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Die Ansprache als PDF. - IRH Islamische Religionsgemeinschaft ...

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Ramadanfestansprache von Ramazan Kuruyüz,<br />

des Vorsitzenden der <strong>Islamische</strong>n <strong>Religionsgemeinschaft</strong> Hessen/<strong>IRH</strong>,<br />

bei der Ramadanfestveranstaltung am <strong>Die</strong>nstag, den 24. Oktober 2006,<br />

im Audimax der Justus-Liebig-Universität Gießen<br />

Bismil-lahir-rahmanir-rahim<br />

Mit dem Namen Allahs/Gottes, des Allgnade Erweisenden, des Allgnädigen<br />

Verehrte Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Gesellschaft,<br />

<strong>Religionsgemeinschaft</strong>en und Kirchen sowie Presse und Medien,<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

Liebe Schwestern, Brüder, Freunde, Nachbarn, Mitbürgerinnen und Mitbürger!<br />

Im Namen der <strong>Islamische</strong>n <strong>Religionsgemeinschaft</strong> Hessen/<strong>IRH</strong> heiße ich Sie alle herzlich willkommen<br />

und freue mich, Sie und euch alle bei unserer heutigen Ramadanfestveranstaltung hier im Audimax<br />

der Justus-Liebig-Universität Gießen begrüßen zu dürfen.<br />

Der soziale und gemeinschaftliche Charakter des Islam hat sich auch in diesem Ramadan in aller<br />

Deutlichkeit und Intensivität gezeigt. Der Fastenmonat Ramadan, genauso wie bei der heutigen<br />

Festveranstaltung, brachte uns alle, ob Muslime, Andersglaubende oder Andersdenkende, in<br />

festlicher, gemeinschaftlicher und friedlicher Stimmung zusammen, stellte eine weite Plattform der<br />

interreligiösen und interkulturellen Begegnung dar und verstärkte unser friedliches Zusammenleben in<br />

unserem Land Hessen und Deutschland.<br />

In meinen Festreden insbesondere bei unseren Iftar - Empfängen an der Universität Kassel am 27.<br />

September und in Darmstadt am 3. Oktober setzte ich mich aus aktuellem Anlass fast ausschließlich<br />

mit der gesamten Rede von Papst Benedikt XVI. vom 12.September 2006 an der Universität<br />

Regensburg und seinen umstrittenen Äußerungen über den Islam inhaltlich, sachlich und intellektuell<br />

auseinander. Dabei ging es vor allem um das Verhältnis des Islam zur Vernunft und zur Gewalt. Sie<br />

können diese Rede unserer Homepage unter www.irh-info.de entnehmen. Auch heute möchte ich<br />

dazu unsere Position, aber hier nur in zusammengefasster Form, vortragen, weil diese<br />

unsachgemäße Darstellung des Islam, unter anderem nicht nur durch den Papst Benedikt XVI., das<br />

Bild des Islam auch hier und heute ständig negativ belastet. Ich hoffe, dass wir dadurch zur<br />

Versachlichung der diesbezüglichen Diskussion beitragen.<br />

1. Das Verhältnis des Islam zur Vernunft: Der Islam bewertet die Verstandeskraft <strong>als</strong><br />

Gottesgeschenk und die Vernunft <strong>als</strong> äußerst positiv. Der Koran und die Sunna (Leben, Taten und<br />

Worte des Propheten) fordern die Muslime immer wieder auf zur intellektuellen<br />

Auseinandersetzung mit der Schöpfung sowie zur Erforschung ihrer Gesetzmäßigkeiten und<br />

Wunder, um dadurch zur Erkenntnis des Schöpfers zu gelangen. <strong>Die</strong> islamische Grundeinstellung<br />

zum Verhältnis von Gott, Schöpfung und Wissenschaft lautet: „Das wahre Wesen der Dinge in der


Schöpfung sind die Namen Gottes.“ Zur Verinnerlichung der Glaubensinhalte und für die Praxis<br />

der rituellen religiösen Handlungen wird im Islam der Gebrauch des Intellekts vorausgesetzt. Der<br />

Glaube an einen einzigen transzendentalen Gott legitimiert im Islam auf keinen Fall die<br />

Unterdrückung der Vernunft und des freien Willens. Bei der Beschreibung des Schöpfungsaktes<br />

demonstriert der Koran in aller Klarheit die Willensfreiheit des Menschen <strong>als</strong> unerlässliche<br />

Voraussetzung der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Blinder Glaube unter Ausschluss des<br />

Intellekts ist im Islam nicht möglich und nicht erwünscht, weil nach islamischem Selbstverständnis<br />

die Beschäftigung mit Wissenschaft zur Erkenntnis Gottes führt. Deshalb war der Erwerb von<br />

Bildung sowie die Förderung von Wissenschaft und Fortschritt von Anfang an immanenter<br />

Bestandteil islamischen Handelns und Denkens und hatte die absolute Priorität. <strong>Die</strong> islamische<br />

Geschichte beweist, dass der Islam aufgrund dieser positiven Einstellung eine fruchtbare<br />

Symbiose zwischen Vernunft und Glaube, zwischen Wissenschaft und Religion zum Wohle der<br />

Menschheit praktiziert hat. <strong>Die</strong> ersten Worte, die der Gesandte Muhammad, Friede sei mit ihm, <strong>als</strong><br />

Offenbarung empfing, waren: „Lies! Lies im Namen deines Herrn...“(96: 01). Er forderte die<br />

Menschen eindringlich auf, sich Wissen anzueignen: „<strong>Die</strong> Suche nach Wissen ist jedem Muslim,<br />

ob Mann oder Frau, eine Pflicht.“ <strong>Die</strong> islamische Geschichte verdankt dieser Einstellung einen so<br />

aufgeschlossenen Zugang zu den Wissenschaften, dass Ergebnisse in der Medizin, Algebra bzw.<br />

Mathematik, Astronomie, Geographie, Soziologie und der Philosophie Europa zum Aufbruch in die<br />

Neuzeit verhalfen. Das heutige Problem in der islamischen Welt liegt nicht im Islam selbst und<br />

nicht in seinem Verhältnis zur Vernunft, sondern im Verhältnis der Muslime zur Schrift.<br />

2. Das Verhältnis des Islam zur Gewalt und zum Krieg: Der Begriff Dschihad wird ins Deutsche<br />

oft unsachgemäß <strong>als</strong> „Heiliger Krieg“ übertragen. Er bedeutet weder „heilig“ noch „Krieg“, sondern<br />

Anstrengung und Einsatz. In seiner umfassenden Form beinhaltet er jede große Anstrengung und<br />

jeden geistigen und gesellschaftlichen Einsatz für ein gottgefälliges Ziel. Es widerspricht dem<br />

koranischen Wesensgehalt von Dschihad, ihn <strong>als</strong> „heiligen Krieg“ aufzufassen. Auch der Begriff<br />

qital im Koran, der Krieg bedeutet, ist kein „Heiliger Krieg“. Krieg ist aus islamischer Sicht auf gar<br />

keinen Fall „heilig“; selbst der Verteidigungskrieg ist ein notwendiges Übel. Kriege und Kämpfe um<br />

wirtschaftliche und politische Macht wurden und werden von den jeweiligen Machtinhabern nicht<br />

selten zu einem Dschihad hochstilisiert und die Religion somit zu ihren Machtzwecken<br />

missbraucht. Es ist unsachgemäß, zu unterstellen, dass nach dem koranischen Verständnis der<br />

Dschihad <strong>als</strong> Mittel zur gewaltsamen Verbreitung des Islam oder zur Bekehrung der<br />

„Ungläubigen“ verstanden wird. Es ist unsachgemäß, den Koran mit einem „Kriegshandbuch“<br />

gleichzusetzen, das angeblich die Ausbreitung des Islam mit „Feuer und Schwert“ verlangt. Völlig<br />

f<strong>als</strong>ch ist es, Terroranschläge <strong>als</strong> islamisch legitimierbare Handlungen zu bezeichnen. Der<br />

Prophet Muhammad (Friede sei mit ihm) hat im Sinne des Koran einer Überlieferung zufolge den<br />

Kampf gegen die eigenen Fehler und schlechten Eigenschaften <strong>als</strong> den „größten“ Dschihad<br />

bezeichnet. Es ist unsachgemäß, die historisch – politisch bzw. machtpolitisch bedingten Kriege in<br />

der Geschichte und Gegenwart <strong>als</strong> Auftrag des Koran zur Verbreitung des Islam zu interpretieren.<br />

Vor allem ist es religionswissenschaftlich unsachgemäß, die einzelnen Koranverse ohne ihren<br />

Gesamtkontext, ohne Studium über ihre Offenbarungsgründe und –zeiten und ohne Wissen über<br />

die damaligen historischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge zu interpretieren. <strong>Die</strong>ses<br />

2


unsachgemäße Vorgehen (nicht nur durch Nicht-Muslime, sondern auch Muslime selbst) trägt zu<br />

einem f<strong>als</strong>chen Bild des Islam und seines Propheten bei und erschwert somit oft eine<br />

vorurteilsfreie und konstruktive Begegnung und Kooperation der Völker, Kulturen und Religionen.<br />

Meine verehrten Damen und Herren,<br />

wir Muslime in Hessen und Deutschland, genauso wie unsere Schwestern und Brüder in der ganzen<br />

Welt (bei Ausnahmen durch einzelne Gewaltakten infolge der bestehenden kriegerischen Zustände in<br />

einigen Regionen der Welt, insbesondere im Nahen Osten) haben unseren Fastenmonat Ramadan,<br />

„alhamdulillah“ (Alles Lob/Dank gebührt Allah) in Frieden und Sicherheit verbracht. Der Ramadan hat<br />

sogar in diesen Kriesenregionen zur Beendigung der Gewalt und zur Versöhnung der Menschen und<br />

Völker beigetragen. Er hat noch einmal verdeutlicht, dass der Islam die Religion des Friedens ist.<br />

Unter anderem hat er auch mit aller Klarheit gezeigt, dass Muslime in der Welt eine Einheit im<br />

Glauben bzw. in Religion bilden. Das einheitliche religiöse Leben der Muslime weltweit und die Einheit<br />

des Islam <strong>als</strong> Religion sind im Ramadan erneut sichtbarer geworden. <strong>Die</strong>s ist auch eine klare Antwort<br />

bzw. Absage an diejenigen, die von einem „Euro – Islam“ sprechen und behaupten, dass es nicht<br />

„den“ Islam gibt. Es gibt nur „einen“ Islam. Er ist in all seinen Grundsätzen überall und in allen Zeiten<br />

gleich und einheitlich. Es gehört zu den Prinzipien des Islam, alles prüfend zu integrieren, was seinen<br />

Grundlagen nicht widerspricht und was der Gesellschaft nutzt. Unterschiedliche Lebensformen der<br />

Muslime in verschiedenen Gesellschaften zeigen daher nur, dass der Islam selber <strong>als</strong> eine<br />

Weltreligion den Muslimen ermöglicht, sich in allen Gesellschaften zurechtzufinden und nach<br />

Gemeinsamkeiten mit den bestehenden Gesellschaftssystemen zu suchen. Auch dies beweist den<br />

universellen Charakter des Islam, der die Vielfalt in Völkern und Kulturen anerkennt. An dieser Stelle<br />

und in diesem Zusammenhang will ich unterstreichen und hervorheben, dass der Islam für die<br />

Integration der Muslime in Deutschland kein Hindernis darstellt, im Gegenteil die Muslime dazu<br />

verpflichtet. Dabei ist es aber notwendig, einerseits allen Muslimen diesen islamischen Ansatz<br />

klarzustellen und Muslime dazu anzuregen, und andererseits die Mehrheitsgesellschaft, die Politik und<br />

den Staat daran zu erinnern, dass die Integration keine Einbahnstraße ist, dass sie mit den religiösen<br />

Werten der Muslime respektvoller und würdiger umgehen und Muslime bzw. ihre<br />

<strong>Religionsgemeinschaft</strong>en in ihren Rechten nach den gleichen Maßstäben im Grundgesetz gleich<br />

behandeln sollen.<br />

Zum Schluss appelliere ich hier erneut an meine muslimischen Schwestern und Brüder, aber auch an<br />

Sie alle, meine verehrten Damen und Herren: Auch wir Muslime sind ein Teil dieser Gesellschaft und<br />

Deutschland ist unser aller Heimat. Wir alle sind eine Familie und eine Gemeinschaft hier in Gießen, in<br />

Hessen und in Deutschland, mit all unseren Gemeinsamkeiten und Unterschieden; egal, ob die einen<br />

von uns zur Mehrheit oder Minderheit angehören, ob wir Muslime, Christen, Andersglaubende oder<br />

Andersdenkende sind, ob wir türkischer, arabischer, deutscher oder anderer Herkunft sind, ob wir oder<br />

unsere Generationen seit Jahrhunderten oder Jahrzehnten oder nur seit einiger Zeit hier leben.<br />

Gießen, Hessen und Deutschland sind zur Heimat und zum Lebensmittelpunkt von uns allen<br />

geworden. Das Wohl unserer Stadt bzw. unserer Heimat ist unser Wohl. Zum Wohl und zur Sicherheit<br />

3


unserer Heimat beizutragen ist unsere gemeinsame Verantwortung. Lassen Sie uns gemeinsam,<br />

meine Damen und Herren, für eine Gemeinschaft in unserer Heimat einsetzen, in der wir uns in<br />

unserer Vielfalt gegenseitig achten, respektieren und anerkennen! Lassen Sie uns gemeinsam für die<br />

Gleichberechtigung und Gleichbehandlung aller Menschen in unserer Heimat einsetzen, unabhängig<br />

von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft, ihrem Glauben und ihrer Weltanschauung! Lassen Sie uns<br />

gegen jede Diskriminierung einsetzen! Lassen Sie uns gemeinsam für die Achtung und den Schutz<br />

der Würde aller Menschen einsetzen! Lassen Sie uns gemeinsam, einheitlich und solidarisch für das<br />

Wohl und die Sicherheit unserer Heimat und den Frieden in unserem Land einsetzen! Lassen Sie uns<br />

gegen jede Hasspredigt einsetzen! Lassen Sie uns gegen jeden Missbrauch unserer Religionen durch<br />

Extremisten einsetzen! Lassen Sie uns gemeinsam, solidarisch und mit aller Klarheit gegen Gewalt<br />

und Terror, aber auch Kriege in der Welt einsetzen! In diesem Sinne wünsche und hoffe ich, dass wir<br />

durch die heutige Begegnung und gemeinsame Feier zur Förderung des Bewusstseins der<br />

Zusammengehörigkeit unserer Gemeinschaft und des friedlichen Miteinanders aller Menschen und<br />

<strong>Religionsgemeinschaft</strong>en in Gießen, Hessen und Deutschland beitragen.<br />

Ich wünsche Ihnen allen einen fruchtbaren Austausch und eine festliche Stimmung und allen<br />

Muslimen ein segenreiches und friedliches Ramadanfest.„Eid mubarak!“–„Bayraminiz mübarek olsun!“<br />

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