ICHHABE MENSCHLICHE EMBRYONEN GEKLONT«
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P.M. INVESTIGATIV<br />
»ICH HABE<br />
<strong>MENSCHLICHE</strong><br />
<strong>EMBRYONEN</strong><br />
<strong>GEKLONT«</strong><br />
Das Klonen von Menschen zum Zweck der Fortpflanzung:<br />
Dieses Tabu wurde am 14. März 2003 gebrochen – von<br />
einem Mediziner, der jetzt gegenüber P.M. sein Schweigen<br />
gebrochen hat. Unser Bericht zeigt: Der biotechnische Fortschritt<br />
ist juristisch nicht aufzuhalten Von Sascha Karberg<br />
Am Morgen des 14. März 2003 macht sich Karl<br />
Oskar Illmensee auf den Weg, einen Menschen zu<br />
klonen. Der Frühaufsteher, der gedankenversunken<br />
die Straße entlangspaziert, gilt als einer der<br />
renommiertesten Embryologen der Welt. Sein Ziel ist ein<br />
Labor an einem geheimen Ort. Gegen sieben Uhr beginnt<br />
Illmensee hier, wie er mir vier Jahre später in einem langen<br />
Interview sagen wird, das Experiment vorzubereiten, das die<br />
Welt verändern wird.<br />
Immer wieder haben Forscher behauptet, sie könnten<br />
Menschen klonen: Ein greiser Physiker aus Chicago, der umstrittene<br />
italienische Reproduktionsmediziner Severino<br />
Antinori und die UFO-gläubige Sekte der Raelianer. Sie alle<br />
haben sich als »Sprücheklopfer« erwiesen, sagt der Stammzellforscher<br />
Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare<br />
Biomedizin in Münster. Illmensee jedoch sei ein<br />
»ganz anderes Kaliber«. Lange wurden dem heute 68-Jähri-<br />
gen in Fachkreisen »begnadete Hände« nachgesagt. Es soll<br />
ihm sogar gelungen sein, als Erster ein Säugetier zu klonen<br />
– 16 Jahre vor »Dolly« . Dann wurden ihm Fälschungen vorgeworfen,<br />
und er fiel in Ungnade. Seitdem schweigt der inzwischen<br />
pensionierte Forscher. Auch über seine Versuche,<br />
Menschen zu klonen, hat er kein öffentliches Wort verloren.<br />
Doch jetzt sitzt er mir am steinigen Strand von Patras, der<br />
drittgrößten Stadt Griechenlands, auf einem Plastikstuhl gegenüber<br />
und bricht zum ersten Mal sein Schweigen. Hinter<br />
ihm plätschert das türkisblaue Meer zwischen Peloponnes<br />
und Balkan. Ab und zu nippt er an seiner Diät-Cola und plaudert:<br />
über das Klonen und über sein Leben – was allerdings<br />
nicht voneinander zu trennen ist. Nur die Bewegungen seiner<br />
Beine und Hände verraten Nervosität, als er spricht. Von<br />
Triumph und Niederlage, von Hochmut und tiefem Fall.<br />
KARBERG<br />
Und vom Sündenfall am 14. März 2003 in einem Labordes<br />
Reproduktionsmediziners Panayiotis Zavos – an einem ge- SASCHA<br />
11/2007 P.M. 35
DAS NEUE LEBEN DES KARL ILLMENSEE Er galt als Genie mit »begnadeten Händen«. Wahrscheinlich war er der<br />
erste Wissenschaftler überhaupt, dem es gelang, Säugetiere zu klonen. Heute arbeitet der seit 2005 offiziell pensionierte<br />
Forscher als Fortpflanzungsmediziner in der griechischen Hafenstadt Patras<br />
heimen Ort. Illmensee ist dabei, als einer über 40-jährigen Amerikanerin<br />
zehn Eizellen für das Klonen entnommen werden. Eigenhändig<br />
überführt er die Zellen in die am Morgen vorbereiteten<br />
Salzlösungen, in denen der so genannte Kerntransfer, also der<br />
Klonvorgang, stattfinden soll. Danach setzt er sich ans Mikroskop<br />
und saugt mit einer feinen Glaspipette vorsichtig das Erbgut aus der<br />
ersten Eizelle, wartet eine Stunde und legt eine Körperzelle der Frau<br />
zwischen Hülle und Membran der Eizelle. Dann jagt er zwei elektrische<br />
Pulse von Millisekunden durch die Lösung in der Petrischale,<br />
in der die Eizelle schwimmt: Die Membranen der zwei Zellen<br />
verschmelzen, der Zellkern der Körperzelle schlüpft samt<br />
komplettem Erbgut in die Eizelle. Chemische Substanzen sollen die<br />
neu konstruierte Zelle zur Teilung an anregen. Illmensee stellt die<br />
Petrischale vorsichtig in einen Brutschrank. In wenigen Tagen, so<br />
seine Hoffnung damals, werde sich daraus ein menschlicher Embryo<br />
entwickeln. Der erste Menschenklon.<br />
Illmensee schläft schlecht in dieser Nacht. Wird der Versuch gelingen?<br />
Wird sich ein Klon-Embryo entwickeln? Wird die Frau<br />
tatsächlich schwanger werden, nachdem man ihr den künstlich<br />
konstruierten Embryo in die Gebärmutter eingesetzt hat? Und<br />
wenn: Wie wird die Welt auf die Sensation reagieren? Das erste<br />
Klonbaby könnte ihn als Forscher unsterblich machen. Oder zumindest<br />
von den Fälschungsvorwürfen befreien, die ihn vor zwanzig<br />
Jahren seine wissenschaftliche Karriere gekostet haben.<br />
36 P.M. 11/2007<br />
Am nächsten Tag überprüft er die Petrischale und dokumentiert<br />
in seinem Laborbuch, dass in zwei der zehn Eizellen jeweils ein<br />
großer Zellkern zu sehen ist. In einer dritten liegt der Kern nicht<br />
ganz an der richtigen Stelle. Nach 40 Stunden registriert Illmensee<br />
einen fünfzelligen Embryo. Einen weiteren Tag später, nach mittlerweile<br />
64 Stunden, hat der Klon-Embryo acht Zellen, und Illmensee<br />
notiert stolz: »It is the first!« Doch die Gebärmutter der<br />
Amerikanerin erweist sich zu diesem Zeitpunkt als ungeeignet für<br />
den Transfer des Embryos – er wird deshalb eingefroren.<br />
ABER DER RUBIKONist überschritten. »Reproduktives Klonen:<br />
Die Zeit ist nah« lautet die Titelzeile eines Kommentars im Journal<br />
»Reproductive Biomedicine Online«, der am 5. April 2003 ins<br />
Web gestellt wird – und aus Zavos’ Feder stammt. »Kürzlich hat<br />
unser Team aus wissenschaftlichen und medizinischen Experten<br />
den ersten menschlichen Klon-Embryo für Fortpflanzungszwecke<br />
geschaffen«, schreibt er. Auf Einzelheiten geht er nicht ein, auch<br />
Illmensee findet keine Erwähnung. Aber aller Welt ist klar: Mit<br />
diesem Experiment haben die Forscher eine Tür aufgestoßen, und<br />
ob man sie je wieder wird schließen können, erscheint fraglich.<br />
Kaum ein Thema ist so umstritten wie das Klonen von Menschen.<br />
Es steht für die unheimlichen Möglichkeiten der Gentechnologie,<br />
für Forscherhybris und Allmachtswahn, für alptraumhafte<br />
Sciencefiction-Szenarien von genetisch designten Übermenschen.<br />
SASCHA KARBERG (7)<br />
WARUM UNTERNIMMT EIN EINST<br />
ANGESEHENER FORSCHER IMMER WIEDER DEN<br />
VERSUCH, EINEN MENSCHEN ZU<br />
KLONEN? WARUM LÄSST ER SICH AUF<br />
EINE ARBEIT EIN, BEI DER ER DAS LICHT DER<br />
ÖFFENTLICHKEIT SCHEUEN MUSS?<br />
Kritiker warnen vor Fehlgeburten und monströsen Missbildungen,<br />
ja vor der Schreckensvision einer genetisch gleichgeschalteten Gesellschaft.<br />
Nur wenige träumen von der Möglichkeit, unfruchtbaren<br />
Paaren durch Klonen zu Kindern zu verhelfen oder Menschen<br />
mit außergewöhnlichen Talenten zu vervielfältigen. Die Geburt des<br />
Klonschafs Dolly Anfang 1997 löste weltweite Diskussionen aus,<br />
seine Schöpfer wurden kritisiert, moderne Frankensteins zu züchten.<br />
Der »Spiegel« zeigte gar geklonte Hitler auf dem Cover. Überall<br />
brach die Debatte über die ethischen Grenzen der Biowissenschaft<br />
los. Seit Dolly haben Forscher Mäuse, Ratten, Rinder,<br />
Katzen, Hunde, Schweine, Pferde, Ziegen und sogar Affen geklont.<br />
Doch das Klonen von Menschen zu Fortpflanzungszwecken gilt<br />
immer noch als Tabu.<br />
SCHON DAS so genannte therapeutische Klonen zur medizinischen<br />
Gewinnung von Stammzellen ist ethisch heftig umstritten, weil<br />
die geklonten menschlichen Embryonen bei der Entnahme der Zellen<br />
abgetötet werden. Noch kontroverser ist das reproduktive Klonen,<br />
also das Einsetzen von geklonten<br />
menschlichen Embryonen<br />
in die Gebärmutter: Es ist<br />
heute weltweit geächtet – und in<br />
vielen Ländern verboten.<br />
Doch die Gesetzeslage ist uneinheitlich.<br />
Die Vereinten Nationen<br />
konnten sich bislang nicht<br />
auf eine gemeinsame Resolution<br />
zum Thema Klonen von Menschen<br />
einigen. In vielen Ländern<br />
ist sowohl das reproduktive als<br />
auch das therapeutische Klonen<br />
per Gesetz verboten, etwa in<br />
Deutschland. Daneben gibt es<br />
aber einige Staaten wie Großbritannien,<br />
in denen nur das reproduktive<br />
Klonen unter Strafe<br />
steht. Noch unübersichtlicher<br />
wird die juristische Lage etwa in<br />
den USA, wo einige Bundesstaaten<br />
noch gar keine einschlägige<br />
Regelung getroffen haben. In Bundessstaaten wie Kentucky beispielsweise<br />
wären Klonversuche deshalb überhaupt nicht strafbar.<br />
In Deutschland hingegen ist die Situation durch das Embryonenschutzgesetz<br />
klar geregelt: »Wer künstlich bewirkt, dass ein<br />
menschlicher Embryo mit der gleichen Erbinformation wie ein anderer<br />
Embryo, ein Fötus, ein Mensch oder ein Verstorbener entsteht,<br />
wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe<br />
bestraft.«<br />
Dass der Klon bei seinem Experiment 2003 der Frau nicht eingesetzt<br />
werden konnte, lässt Illmensee nicht ruhen. Anfang 2004<br />
versucht er es erneut: mit den Hautzellen eines unfruchtbaren<br />
Mannes und den Eizellen von dessen Ehefrau. Diesmal wird der<br />
Embryo eingesetzt, es kommt aber zu keiner Schwangerschaft.<br />
2005 ein weiterer Versuch, bei drei unfruchtbaren Ehemännern. Ich<br />
wundere mich, wie geradezu sportlich Illmensee den Tabubruch zu<br />
nehmen scheint: »Als Pensionist an meinen Motorrädern und Oldtimern<br />
rumschrauben? Da arbeite ich lieber ein wenig.«<br />
»Wir haben insgesamt fünf Menschen zu klonen versucht«, bilanziert<br />
Illmensee: »Ein Paar kam aus Ägypten, zwei aus den USA,<br />
eines aus England und eines aus dem arabischen Raum, Syrien oder<br />
Jordanien. Ich war bei der Entnahme der Eizellen dabei und auch<br />
beim Transfer der Klon-Embryonen in die Gebärmutter. Das waren<br />
keine gespendeten oder überzähligen, sondern von den Ehefrauen<br />
der unfruchtbaren Männer entnommene Eizellen.« Neun<br />
Klon-Embryonen seien hergestellt worden: »Einer davon hat sich<br />
mindestens bis zum Zwölf-Zellen-Stadium entwickelt, bevor wir<br />
ihn in die Gebärmutter transferiert haben.« Warum unternimmt<br />
ein einst angesehener Weltklasseforscher wiederholt den umstrittenen<br />
Versuch, Menschen zu klonen? Warum nimmt er das Risiko<br />
von Fehlgeburten und Missbildungen in Kauf? Und warum<br />
lässt er sich auf eine Arbeit ein, bei der er das Licht der Öffentlichkeit<br />
scheuen muss?<br />
Als Illmensee in den 1960er Jahren zu forschen beginnt,<br />
erscheinen die atemberaubenden Fortschritte der Biotechnologie<br />
noch unvorstellbar. Der Biologie- und Chemiestudent sitzt<br />
in einem Labor an der MünchenerLudwig-Maximilians-Universität<br />
und beschäftigt sich mit<br />
der Entwicklungsgenetik von<br />
Fruchtfliegen. Er braucht noch<br />
ein Thema für seine Doktorarbeit,<br />
da hört er von ersten erfolgreichen<br />
Klonversuchen bei<br />
Fröschen. Könnte man das Gleiche<br />
nicht auch bei Insekten probieren?<br />
Illmensee ist Feuer und<br />
Flamme und lässt sich auch von<br />
dem Einwand nicht beirren, dass<br />
es für winzige Fliegeneier kein<br />
geeignetes Werkzeug gebe. Ein<br />
Jahr lang tüftelt der Doktorand<br />
daran herum, sehr feine Glaspipetten<br />
herzustellen – Tag und<br />
Nacht, fast wie besessen, erinnern<br />
sich Freunde von damals.<br />
»Ich kann mich ziemlich hartnäckig<br />
in eine Sache verbeißen«,<br />
sagt Illmensee. »Wenn etwas nicht auf Anhieb funktioniert, dann<br />
werfe ich’s nicht gleich hin, sondern probiere so lange rum, bis es<br />
klappt.« Edison habe schließlich auch 1000-mal probiert, bis die<br />
Glühbirne brannte.<br />
Stück für Stück bastelt sich Illmensee mit den Feinmechanikern<br />
der Uni München die nötigen Instrumente zusammen. Nach langem<br />
Probieren gelingt es ihm tatsächlich, den Zellkern aus einer Eizelle<br />
der Fruchtfliege Drosophila zu entfernen und an dessen Stel-<br />
11/2007 P.M. 37
»JA, WIR GEHEN RISIKEN EIN. ABER MAN GEHT AUCH EIN RISIKO EIN, WENN MAN ÜBER<br />
DIE STRASSE GEHT. JETZT ARBEITEN WIR AM EMBRYO-SPLITTING: WIR KREIEREN<br />
DEN ERSTEN MENSCHEN MIT ERSATZRAD« (PANAYIOTIS ZAVOS)<br />
le den Zellkern eines anderen,<br />
schon weiter entwickelten Embryos<br />
einzusetzen. Doch die manipulierten<br />
Eier teilen sich meist<br />
nur ein paar Mal. Nur ein Prozent<br />
vollendet die Embryonalentwicklung,<br />
so dass eine Larve<br />
schlüpfen kann. Und nur ein<br />
einziges Mal entwickelt sich eine<br />
Larve fast bis zum Puppenstadium.<br />
Eine Ausbeute, die ihn<br />
40 Jahre später und nach unzähligen<br />
Klon-Experimenten<br />
bei diversen Arten nicht mehr<br />
verwundert: Meist sind weniger<br />
als ein Prozent der Klonversuche<br />
erfolgreich. Obwohl Illmensee<br />
1968 keine Klonfliege<br />
vermelden kann, begründet ein<br />
Artikel im Fachmagazin »Nature«<br />
seinen Ruf als Forscher<br />
mit »begnadeten Händen«. Erst<br />
2004 gelingt es einer Forschergruppe<br />
aus Kanada, fünf Fliegen zu klonen – nach 820 Versuchen.<br />
Um den jungen Mann mit der filigranen Technik reißen sich in<br />
den 1970er Jahren viele Labors. Er geht in die USA und lernt, die<br />
Eizellen von Mäusen zu manipulieren. Dann gehen die ersten Angebote<br />
für Professuren ein, unter anderem von der Universität<br />
Genf. Dort rollt man ihm einen roten Teppich aus: Er bekommt<br />
mehr Forschungsmittel und Mitarbeiter als andere Professoren.<br />
Kaum hat sich Illmensee in Genf eingerichtet, erhält er den Marcel-Benoist-Forschungspreis,<br />
in der Schweiz die mit 100 000 Franken<br />
höchstdotierte Auszeichnung für Wissenschaftler.<br />
AUSGESTATTET MIT allem, was sich ein Forscher wünschen<br />
kann, wagt Illmensee 1980 zusammen mit Peter Hoppe, einem US-<br />
Kollegen vom Jackson-Labor in Maine, den Versuch, Mäuse zu<br />
klonen. Neben den Pflichten als Professor experimentiert er daran<br />
an den Wochenenden und nachts. Etwas anders als 16 Jahre später<br />
die Schöpfer des Klonschafs Dolly nimmt Illmensee befruchtete<br />
Eizellen, entfernt mütterliches und väterliches Erbgut und stopft<br />
den Kern einer Zelle aus einem Maus-Embryo hinein. Nach wochenlangen<br />
Versuchen entwickeln sich geklonte Embryonen. Etwa<br />
300 Versuche braucht Illmensee, um drei Klonmäuse zu bekommen.<br />
1981 erscheint seine Forschungsarbeit im renommierten<br />
Fachjournal »Cell« – die Reaktionen der Wissenschaftler-Gemeinschaft<br />
und der Öffentlichkeit sind enorm. Niemand glaubte daran,<br />
dass das Klonen von Säugetieren möglich sein könnte – wieder hatten<br />
Illmensees »begnadete Hände« einen Durchbruch geschafft.<br />
So scheint es zumindest. Doch hinter seinem Rücken braut sich<br />
eine Katastrophe zusammen: Als Illmensee neue Experimente vorstellt,<br />
zweifeln zwei Mitarbeiter die Seriosität seiner Versuche an.<br />
38 P.M. 11/2007<br />
DIE KLON-CONNECTION Reproduktionsmediziner<br />
Zavos ist heute noch stolz auf die ersten Klonembryonen,<br />
die er zusammen mit Illmensee hergestellt hat<br />
Eine Untersuchungskommission<br />
der Universität Genf deckt<br />
Schlampereien in den Aufzeichnungen<br />
über die Experimente auf.<br />
Fälschungsvorwürfe lassen sich<br />
zwar nicht beweisen; dennoch<br />
verlangt die Kommission, dass die<br />
Versuche »mit aller wissenschaftlichen<br />
Strenge« wiederholt werden,<br />
weil sie sonst »wissenschaftlich<br />
wertlos« seien. Obwohl<br />
Illmensee die Forschungsgelder<br />
gekürzt werden, gelingt es ihm<br />
tatsächlich , die Experimente zu<br />
wiederholen.<br />
Doch 1984 erscheint eine Studie,<br />
in der nun auch die Klonmäuse<br />
selbst angezweifelt werden.<br />
Jahrelang hatte kein Forscher<br />
das Klon-Experiment wiederholen<br />
können. Zwar glauben<br />
viele Experten bis heute an Illmensees<br />
»begnadete Hände« –<br />
doch ein Experiment hat in der Forschung nur Bestand, wenn auch<br />
andere Forscher es wiederholen können. Die Klonmäuse gelten<br />
fortan als Fälschungen und Illmensee als Betrüger.<br />
Erst 2006 werden Warschauer und im Jahr darauf Bostoner Forscher<br />
zeigen, dass Mäuse tatsächlich auf die von Illmensee beschriebene<br />
Weise, mit befruchteten Eizellen, geklont worden sein<br />
könnten. Damit wäre Karl Illmensee der erste Forscher gewesen,<br />
der ein Säugetier geklont hat – 16 Jahre vor den Dolly-Schöpfern<br />
Ian Wilmut und Keith Campbell. Doch damals in den 1980er Jahren<br />
glaubt ihm niemand. Die Mehrheit der Professoren in Genf<br />
sieht Illmensee als Belastung für das Image der Universität.<br />
Illmensee will sich nicht demütigen lassen, kündigt noch vor der Abstimmung<br />
über die Verlängerung seiner Professur und geht an die<br />
Universität Salzburg. Zwar hat er hier ein Auskommen, doch für<br />
Spitzenforschung fehlt ihm der nötige Spielraum. Und das weiß<br />
Illmensee auch. Während die Familie nach Starnberg bei München<br />
zieht, haust er in einer kleinen Wohnung in Salzburg – der Absturz<br />
scheint vorprogrammiert. Der Vorwurf der Fälschung nagt weiter<br />
an ihm. Immer wieder fordert er von seiner früheren Uni in Genf:<br />
Man solle publik machen, dass die Untersuchungskommission den<br />
Fälschungsverdacht nicht bestätigt habe. Doch nichts passiert. Der<br />
Name Illmensee gerät in Vergessenheit, die Chance auf wissenschaftliche<br />
Rehabilitierung sinkt.<br />
Aber als 1997 das Klon-Schaf Dolly für Aufregung sorgt, schöpft<br />
Illmensee wieder neuen Mut. Er beginnt, Briefe an alte Forscherkollegen<br />
zu schreiben, korrespondiert mit Fachmagazinen. Doch<br />
selbst wieder in die Klonforschung einzusteigen, dazu fehlen ihm<br />
die Mittel. Inzwischen ist er in Innsbruck an der dortigen Frauenklinik<br />
tätig – da meldet sich Anfang 2001 Severino Antinori. Der<br />
SASCHA KARBERG (3)<br />
Spur nach Deutschland<br />
Zu Testzwecken für sein Klonexperiment<br />
benutzte Karl Oskar<br />
Illmensee aus Mangel an kostbaren<br />
menschlichen Eizellen die<br />
Eizellen von Rindern – und versah<br />
diese mit Zellkernen von vier<br />
unfruchtbaren Männern. Aus solchen<br />
»Inter-Spezies-Klonen« kann<br />
sich zwar nie ein funktionierender<br />
Embryo entwickeln, doch die<br />
ersten Phasen der Embryonalentwicklung<br />
laufen mehr oder weniger<br />
normal ab. Das reicht aus, um<br />
die Methode zu üben, Kulturbedingungen<br />
zu optimieren und<br />
auszuloten, ob es besser ist,<br />
Haut-, Fett- oder Muskelzellen der<br />
Männer zu verwenden. Die gleiche<br />
Methode wurde vor Kurzem<br />
in England staatlich zugelassen,<br />
um die besten Bedingungen zur<br />
Produktion von Klon-Embryonen<br />
für das therapeutische Klonen<br />
austesten zu können. In Deutschland<br />
ist das Herstellen solcher<br />
Mischformen aus Tier und<br />
Mensch jedoch nicht zulässig.<br />
»Mit Erbgut von jedem der vier<br />
unfruchtbaren klonwilligen Männer<br />
und von der einen Frau haben<br />
wir vorher Inter-Spezies-Klone<br />
gemacht«, sagt Illmensee. »Wir<br />
haben gesagt: Nur wenn sich diese<br />
Embryonen gut entwickeln,<br />
macht ein Klonversuch Sinn.« Das<br />
Know-how, mit Rinder-Eizellen<br />
umzugehen, sowie andere Klontricks<br />
hat Illmensee beim Klonforscher<br />
Eckhard Wolf am Versuchsgut<br />
in Oberschleißheim<br />
nördlich von München studiert.<br />
Die Analysen der Inter-Spezies-<br />
Embryonen führte ein anderer<br />
alter Forscherkollege, der Tierge-<br />
DAS EXPERIMENT Am<br />
14. März 2003 versucht<br />
Illmensee erstmals, einen<br />
Menschen zu klonen<br />
(rechts: sein Arbeitsprotokoll).<br />
Unten: zweizelliger<br />
sowie fünfzelliger<br />
Klon-Embryo aus einem<br />
der folgenden Versuche<br />
im Jahr 2005. Unten<br />
rechts: hochpräzise<br />
Instrumente zum Klonen.<br />
Links: Illmensee in<br />
seinem heutigen Labor<br />
netiker Bertram Brenig, an der<br />
Universität Göttingen durch –<br />
mit Kostenerstattung durch<br />
Panayiotis Zavos. »Wir selbst<br />
waren bei den Experimenten<br />
nicht dabei«, erzählt Brenig: »Wir<br />
haben nur kleine Plastikgefäße<br />
bekommen, in denen die Zellen<br />
schwammen. Wir sollten überprüfen,<br />
welche DNA sich in den Zellen<br />
befindet.« Illmensee betont,<br />
dass Brenig und Wolf mit den<br />
Klonversuchen selbst nichts zu<br />
tun gehabt haben. »Von meiner<br />
Seite ist es<br />
ganz klar, dass reproduktives Klonen<br />
von Menschen nicht befürwortet<br />
werden kann. Damit<br />
möchte ich nichts zu tun haben«,<br />
sagt Brenig. Allerdings: Im Zuge<br />
der Göttinger Untersuchungen<br />
waren möglicherweise Klon-<br />
Embryonen mit menschlicher<br />
DNA auf deutschem Boden.<br />
»Aber die sind nicht mehr lebensfähig<br />
gewesen«, sagt Brenig:<br />
»Das waren keine Klone mehr,<br />
sondern geplatzte Zellen.«
HÖHEN UND TIEFEN DER BIOTECHNIK Das erste Retortenbaby kam 1978 zur Welt: Louise Brown (Mitte). 1997 weckte die Nachricht<br />
vom Klonschaf Dolly (r. mit Schöpfer Ian Wilmut) die Hoffnung auf die Gewinnung embryonaler Stammzellen (ganz links)<br />
IMMER WIEDER HABEN FORSCHER BEHAUPTET, SIE KÖNNTEN MENSCHEN KLONEN. SIE WAREN<br />
ALLE SPRÜCHEKLOPFER. ERST SEIT DEM SÜNDENFALL VOM 14. MÄRZ 2003 IST<br />
DAS KLONEN ZUM ZWECK DER FORTPFLANZUNG REALITÄT<br />
italienische Reproduktionsmediziner wurde 1992 bekannt, als er<br />
einer damals 62-jährigen Frau durch gespendete Eizellen und<br />
künstliche Befruchtung zu einem Baby verhalf. Antinori will in<br />
Rom eine Klonkonferenz organisieren, auf der Illmensee reden soll.<br />
Der Österreicher kommt, der Kontakt zur Klon-Szene ist hergestellt<br />
– und auf einem Treffen ein paar Wochen später »war dann auch<br />
Zavos dabei«.<br />
Der Reproduktionsmediziner Panayiotis Zavos gilt in Forscherkreisen<br />
als schillernde Figur. In Lexington betreibt er eine Klinik<br />
für künstliche Befruchtungen. Viele halten den Arzt für einen<br />
Sprücheklopfer und Demagogen. Auf seiner Website feiert er sich<br />
selbst als unerschrockenen Pionier. Sein Motto: »Der Erste zu sein<br />
– darauf kommt es an.« Die Vision seiner Firma Reprogen: Sie will<br />
unfruchtbaren Paaren durch das Klonen zu Nachwuchs verhelfen.<br />
Schon seit Jahren kündigt Zavos mit großem Brimborium einschlägige<br />
Experimente an, immer wieder geistert sein Name im<br />
Zusammenhang mit Klonversuchen durch die Medien.<br />
ILLMENSEE ERINNERT sich, dass er zusammen mit Zavos, Antinori<br />
und weiteren Medizinern einen Plan für Experimente zum<br />
Klonen von Menschen erarbeitet hat. Nach Meinungsverschiedenheiten<br />
platzt das Projekt. Zavos habe daraufhin Illmensee gefragt,<br />
»ob wir nicht etwas Seriöses in Lexington machen wollen«.<br />
Illmensee reist in die amerikanische Kleinstadt, findet ein »relativ<br />
gut ausgestattetes Labor« vor und ist von der »gewissen Ausstrahlung«<br />
seines Kollegen beeindruckt. Der Drang, endlich wieder<br />
Klonforschung betreiben zu können, lässt ihn anbeißen. Er wird<br />
»Wissenschaftlicher Direktor« von Zavos’ Klonfirma Reprogen.<br />
Geschickt bereitet Zavos dem Outlaw Illmensee ein finanzielles<br />
und institutionelles Nest. Doch der ist Zavos’ Einladung nicht willenlos<br />
gefolgt. »Ich hätte ja auch nein sagen können«, gesteht er mir<br />
am Strand von Patras. »Ich bin da schon ein bisschen hineingerutscht.<br />
Zavos hat mir mit dem Versprechen, in Limassol auf<br />
Zypern eine Klinik leiten zu können, den Mund wässrig gemacht.«<br />
40 P.M. 11/2007<br />
Ich frage Illmensee, womit er seine Klon-Experimente rechtfertigt:<br />
»Wenn man sieht, was diese unfruchtbaren Paare durchgemacht<br />
haben«, antwortet Illmensee, »dann ist das schon ein<br />
Argument, das Klonen zu probieren.«<br />
»Haben Sie auch Zellen von Toten für Klonversuche verwendet,<br />
wie es Zavos auf einer Pressekonferenz behauptet hat? Zum<br />
Beispiel die Zellen eines elfjährigen Mädchens, das bei einem Unfall<br />
gestorben ist?«<br />
»Wir haben die Proben von den Toten zwar mal aufgetaut und<br />
versucht, Kulturen anzulegen, doch für die Klon-Experimente haben<br />
wir das nie verwendet.«<br />
»Sie wussten doch von den vielen Fehlversuchen beim Klonen<br />
anderer Säugetiere, vom hohen Fehlbildungsrisiko für die Klon-<br />
Embryonen und die hohe Wahrscheinlichkeit für Fehlgeburten?<br />
Warum haben Sie trotzdem gewagt, Menschen zu klonen?«<br />
»Am Anfang habe ich gedacht, dass das Klonen beim Menschen<br />
vielleicht besser klappt als bei anderen Säugetieren. Wer kann das<br />
schon wissen, wenn es nie untersucht wurde? Erst unsere Arbeit hat<br />
gezeigt, wie lausig das Klonen funktioniert.«<br />
»Aber das war doch absehbar, was hat Sie dennoch getrieben?«<br />
»Es war, muss ich gestehen, extreme Neugier. Aber nachdem ich<br />
die ersten Resultate gesehen habe, war mir klar: Wir sollten nicht<br />
weitermachen.«<br />
»Angenommen, es würde funktionieren, wäre eine klinische Anwendung<br />
überhaupt machbar?«<br />
»Nein, denn bis ein unfruchtbarer Mann per Klonen ein normales<br />
Baby bekommt, braucht es vermutlich 200 Spendereizellen<br />
und mehrere Transfers, bis das zu einer Schwangerschaft führt. Ein<br />
unglaublicher Aufwand nur für einen Patienten. Ich sehe keinerlei<br />
Chance einer klinischen Anwendbarkeit mehr, und damit ist das<br />
Ganze für mich gestorben.«<br />
Am 8. Mai 2007 beendet Illmensee per E-Mail die Zusammenarbeit<br />
mit Zavos. Doch was ihn sein Leben lang beschäftigt hat,<br />
bewegt ihn noch immer – die Neugier lässt sich nicht abstellen. Er<br />
DPA (4), SPL<br />
INFOGRAFIK: CORALE<br />
BLENDER Die Rael-Sekte (l.) konnte Klonierungen nicht beweisen;<br />
Forscher Hwang Woo-suk fälschte seine Klon-Ergebnisse<br />
arbeitet heute mit Mike Levanduski zusammen – ebenfalls kein<br />
unbeschriebenes Blatt, was das Klonen betrifft. Der New Yorker<br />
Embryologe hat mit Mark Westhusin von der Texas A&M University<br />
Rinder geklont. In Levanduskis Labor beschäftigt sich Illmensee<br />
mit »Embryo-Splitting«: Er trennt nach der ersten Teilung<br />
die beiden entstandenen Zellen voneinander, sodass sich aus jeder<br />
von ihnen ein vollständiger Embryo entwickelt. Dabei erzeugt Illmensee<br />
künstlich das, was in der Natur zu eineiigen Zwillingen führt<br />
– biologisch gesehen nichts anderes als Klone. Durch Embryo-Splitting<br />
lässt sich die Chance auf eine Schwangerschaft verdoppeln.<br />
Außerdem könnte man den einen der beiden Zwillinge einfrieren<br />
– als lebenslanges genetisches<br />
Ersatzteillager für den geborenen<br />
Zwilling. Die Ethikkom-<br />
mission der amerikanischen Gesellschaft<br />
für Reproduktive<br />
Medizin sieht das erstaunlicherweise<br />
genauso, hält Embryo-<br />
Splitting für sinnvoll und das Erforschen<br />
geeigneter Techniken<br />
für »ethisch akzeptabel«. In<br />
Deutschland allerdings ist es<br />
verboten und ethisch ähnlich<br />
umstritten wie das Klonen, denn<br />
es führt zu zwei oder mehr genetisch<br />
identischen Individuen.<br />
Noch 40 Jahre nach seinen<br />
Klonversuchen an Fliegen, nach<br />
dem in Zweifel gezogenen Klonen<br />
von Mäusen, den vergeblichen<br />
und heftig kritisierten Versuchen,<br />
Menschen zu klonen,<br />
bleibt Illmensee also auf Tuchfühlung<br />
zum Klonen. Zu groß<br />
der Forscherdrang, zu groß die<br />
Neugier, zu berauschend das<br />
Gefühl, ein Entdecker zu sein.<br />
Ohne Zweifel hat Illmensee eine<br />
ethische Grenze überschritten,<br />
Ersatzteillager Mensch<br />
EMBRYONALE STAMMZELLEN DURCH<br />
THERAPEUTISCHES KLONEN Die einer Körperzelle<br />
(1) entnommene Erbsubstanz wird in<br />
eine entkernte Eizelle (2) transferiert. Durch<br />
Zellteilung (3) hat sich nach einigen Tagen<br />
ein Embryo (»Blastozyt«; 4) gebildet<br />
4<br />
In eine Gebärmutter<br />
eingesetzt,<br />
könnte aus dem<br />
Blastozyten ein<br />
menschlicher Klon<br />
werden (reproduktives<br />
Klonen)<br />
als er nicht nur ein- sondern neunmal Klon-Embryonen in Gebärmütter<br />
einsetzte. Der Klonforscher Rudolf Jaenisch vom Massachusetts<br />
Institute of Technology hält es für einen »Riesenfehler«,<br />
dass sich Illmensee mit Zavos eingelassen hat. Er habe damit seiner<br />
wissenschaftlichen Reputation wohl noch mehr geschadet, als<br />
es die Fälschungsvorwürfe in den 1980er Jahren vermochten. Und<br />
seinen Ruf zu verlieren sei »das Schlimmste, was einem Forscher<br />
passieren kann«.<br />
UNABHÄNGIG VOM menschlichen Drama des Karl Oskar Illmensee<br />
zeigt der Fall: Das Klonen von Menschen ist bereits Realität.<br />
Als technische Ausrüstung braucht es nicht mehr als ein Mittelklasse-Befruchtungslabor<br />
wie das von Panayiotis Zavos. Auch<br />
die Nachfrage wird es aus den unterschiedlichsten Gründen immer<br />
geben, Geldgeber wohl auch. Mit ausreichend Eizellen versorgt,<br />
könnte also irgendein anderer ehrgeiziger Klonforscher Illmensees<br />
Weg zu Ende gehen – sehr wahrscheinlich wieder im Verborgenen,<br />
der Kontrolle der Gesellschaft entzogen. Und irgendwann könnte<br />
dann das erste Klonbaby von den Titelseiten lächeln. Denn bisher<br />
konnte kein Gesetz die »extreme Neugier« von Forschern wie Illmensee<br />
stoppen: Was machbar ist, wird eines Tages auch getan.<br />
Geld und Skrupellosigkeit bringen Steigbügelhalter wie Zavos mit<br />
– das nötige Wissen und Können Forscher wie Illmensee.<br />
Ich besuche Panayiotis Zavos in Kentucky, einer Gegend von nahezu<br />
bayerischer Beschaulichkeit. Sattes Grün und schmucke Farmen<br />
überall, mittendrin die gemütliche Kleinstadt Lexington. Eine<br />
schwere, knallrote Tür führt in Zavos’ Reich. Plüschiger<br />
Teppichboden, schwülstige Einrichtung im Wartezimmer, im Büro<br />
hängen Urkunden, Ehrungen und Zeitungsausschnitte an der<br />
3<br />
2<br />
Aus dem Blas-tozyten<br />
werden<br />
Stammzellen<br />
gewonnen<br />
1<br />
ADULTE STAMMZELLEN DURCH<br />
GEWEBEENTNAHME Aus dem<br />
entnommenem Gewebe (a)<br />
werden adulte (erwachsene)<br />
Stammzellen (b) gewonnen<br />
a<br />
Die (embryonalen oder adulten)<br />
Stammzellen werden in Kulturen<br />
chemisch und biologisch zum<br />
Wachstum angeregt. Dabei<br />
können sich ganz verschiedene<br />
Zelltypen bilden: So will man<br />
für geschädigte Organe<br />
von Patienten genidentisches<br />
gesundes<br />
Gewebe »züchten«<br />
b<br />
11/2007 P.M. 41
FORTSETZUNG FOLGT<br />
Illmensee (hier in seinem<br />
griechischen<br />
Labor) arbeitet in den<br />
USA weiter in der<br />
Klonforschung<br />
»ES WAR EXTREME NEUGIER –<br />
ICH HÄTTE AUCH NEIN SAGEN KÖNNEN. HEUTE SEHE<br />
ICH ABER KEINE CHANCE EINER KLINISCHEN<br />
ANWENDBARKEIT« (KARL OSKAR ILLMENSEE)<br />
Wand. Der erste Satz des Mediziners, der an der Universität von<br />
Kentucky an Truthähnen geforscht hat: »Ich bin ein Pionier, kein<br />
gewöhnlicher Typ.« Offensichtlich ist Zavos mächtig stolz darauf,<br />
ins Menschenklonen involviert zu sein. Auch stolz genug, um einzugestehen,<br />
wo die Klon-Experimente durchgeführt wurden?<br />
»In unserem eigenen Labor«, sagt er.<br />
»Hier in den USA?«, frage ich nach. Das behauptet nämlich Karl<br />
Illmensee, und mit »Lexington« ist auch einer seiner handschriftlichen<br />
Laborberichte überschrieben.<br />
»Nein, nein ...«<br />
»Auf Zypern?«<br />
»Ich kann Ihnen nicht sagen, wo. Was ich hier nicht machen<br />
kann, das mache ich woanders.« Zavos zählt eine endlose Liste von<br />
Städten rund um die Welt auf: »Damaskus, Beirut, Kuwait-City,<br />
Shanghai, Peking ...«<br />
»Aber wie transportieren Sie die Geräte und die Zellen dorthin?«<br />
»Die Küche geht dahin, wo der Koch ist. Wir verschiffen das<br />
eben, wir machen alles Mögliche. Wir haben menschliche Em-<br />
42 P.M. 11/2007<br />
bryonen geklont und sie in die<br />
Gebärmutter transferiert.«<br />
»Haben Sie keine Angst vor<br />
Missbildungen, wenn sich einmal<br />
ein Klon-Embryo in der Gebärmutter<br />
einnisten sollte?«<br />
»Ich glaube nicht, dass sie<br />
anomal sein werden. Es gibt<br />
noch keine Untersuchungen<br />
darüber. Wir werden das Kind<br />
ab dem Tag der Implantation in<br />
jeder erdenklichen Weise beobachten.<br />
Wenn es missgebildet ist,<br />
dann können wir immer noch<br />
machen, was wir in solchen Fällen<br />
auch bei künstlichen Befruchtungen<br />
tun: abtreiben.«<br />
»Viele Forscher halten solch<br />
ein Vorgehen für ethisch unverantwortlich!«<br />
»Ich habe wahrscheinlich<br />
mehr Feinde als Freunde, aber<br />
das stört mich nicht.«<br />
»Wie finanzieren Sie die<br />
Klon-Experimente?«<br />
»Viel zahlen wir aus unserer<br />
eigenen Tasche: etwa eine halbe,<br />
vielleicht zwei Millionen bisher.<br />
Außerdem haben wir Leute, die<br />
zu unserer Stiftung beitragen –<br />
viele wollen, dass diese Techniken<br />
weiterentwickelt werden.<br />
Und wir berechnen minimale Honorare von denen, die von den<br />
Techniken profitieren.«<br />
»Aber es gibt doch Regeln für die Wissenschaft – bestimmte Experimente<br />
dürfen trotz Freiheit der Forschung nicht gemacht werden.<br />
Insbesondere, wenn Menschenleben gefährdet werden.«<br />
»Wir haben die Eizellen von Frauen, die über die Versuche informiert<br />
wurden und ihre Zustimmung gegeben haben, wie es auch<br />
sonst bei der künstlichen Befruchtung vorgeschrieben ist. Ja, wir<br />
gehen Risiken ein. Natürlich. Aber man geht auch ein Risiko ein,<br />
wenn man über die Straße geht.«<br />
»Wie wird es weitergehen, Herr Zavos?«<br />
»Wir arbeiten zum Beispiel an Embryo-Splitting. Damit kreieren<br />
wir die ersten Menschen mit Ersatzrad. Kauft man ein Auto ohne<br />
Ersatzrad? Nein. Der eine Embryo wird zum Baby, der andere<br />
wird eingefroren, um später Quelle für embryonale Stammzellen<br />
zu sein. Das ist die Zukunft.«<br />
Und wer entscheidet, wer Baby wird – und wer Ersatzrad?<br />
WEBWEISER<br />
Interview mit dem DGRM-Vorsitzenden Hans-<br />
Rudolf Tinneberg zu Illmensees Versuchen:<br />
www.heise.de/tr/artikel/92217/0/101<br />
SASCHA KARBERG