White Ladies - Dark continent - Institut für Kirche und Gesellschaft
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<strong>White</strong> <strong>Ladies</strong> – <strong>Dark</strong> <strong>continent</strong><br />
Rita Morrien<br />
Dieser Vortrag ist im Mittelteil an meinen Aufsatz "Afrika mon amour"? Der Afrika-Diskurs im<br />
populären deutschen Spielfilm angelehnt. In: Deutsch-afrikanische Diskurs in Geschichte <strong>und</strong><br />
Gegenwart. Literatur- <strong>und</strong> kulturwissenschaftliche Perspektiven. Hg. von Michael Hofmann <strong>und</strong> Rita<br />
Morrien. Amsterdamer Beiträge zur Neueren Germanistik 80. Amsterdam/New York 2012.<br />
Einleitung<br />
Eine weiße Frau, privilegiert, verheiratet, gesellschaftlich etabliert, erlebt die<br />
Verbannung ins soziale Abseits, den Sturz in die totale Rechtlosigkeit, wird an Körper<br />
<strong>und</strong> Seele verletzt von ihrem eigenen Mann, der hoch angesehen ist <strong>und</strong> Verbrechen<br />
praktiziert „innerhalb des Erlaubten <strong>und</strong> der Sitten“. Ihr passiert das Schlimmste, was<br />
einer (werdenden) Mutter passieren kann: das (ungeborene) Kind wird ihr<br />
genommen. Die Frau liegt vernichtet am Boden, weiß nun, „ich bin von niederer<br />
Rasse“ – da rafft sie sich in einem gewaltigen Kraftakt auf, nachdem sie zuvor<br />
vergeblich versucht hat, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Sie macht sich auf den<br />
Weg, um das Land der weißen Männer hinter sich zu lassen. Sie erreicht mit letzter<br />
Kraft den „dark <strong>continent</strong>“ <strong>und</strong> weiß: „hier komme ich zu meinem Recht“.<br />
Das ist die Geschichte – eine Kurzfassung, die freilich auch ganz anders ausfallen<br />
könnte –, die Ingeborg Bachmann in ihrem Romanfragment „Das Buch Franza“<br />
erzählt. Die Zitate stammen aus diesem Text. Und das ist auch die Geschichte, die<br />
im Jahr 2007 als dreiteiliger TV-Spielfilm unter dem Titel „Afrika mon amour“ vom<br />
Zweiten deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Der Dreiteiler war ein Erfolg, was<br />
nicht zuletzt der Riege deutscher Fernsehstars zu verdanken ist (angefangen bei<br />
Publikumsliebling Iris Berben in der Hauptrolle der Katharina von Strahlberg).<br />
Ingeborg Bachmanns Franza-Buch ist insofern ein ‚Erfolg’, weil sich seit den<br />
Siebziger Jahren Scharen von Literaturwissenschaftlerinnen <strong>und</strong> -wissenschaftlern<br />
mit diesem Fragment gebliebenen Text beschäftigt haben. Unter dem Titel „Der Fall<br />
Franza“ avancierte der Text in den 80er Jahren zu einem kanonischen Text<br />
patriarchatskritischer ‚Frauenliteratur’, in der die tödliche Marginalisierung des<br />
Weiblichen in unserer Kultur schonungslos offen gelegt wird. Im Zuge der<br />
1
postkolonialen Literaturwissenschaft wurde der Roman einer kritischen Revision<br />
unterzogen. Sara Lennox stellte die heikle Frage, ob es sich bei Bachmanns<br />
Fragment um ein Buch über Rassismus oder um ein rassistisches Buch handelt. Im<br />
Kern geht es darum, ob die bei Bachmann anzutreffende Analogisierung von<br />
Patriarchalismus <strong>und</strong> Kolonialismus (der weiße Mann agiert jeweils als Täter)<br />
politisch <strong>und</strong> historisch korrekt ist oder ob damit nicht eine Verharmlosung des Leids<br />
der kolonisierten <strong>und</strong> unterdrückten Völker einhergeht. Lennox kommt zu dem<br />
Schluss, Bachmann habe den Topos vom dark <strong>continent</strong> als therapeutischem Ort, an<br />
dem das zivilisationsgeschädigte weiße Subjekt Heilung sucht, weitgehend kritiklos<br />
adaptiert. „Bachmann’s attempt to escape whiteness proves how very white she is“,<br />
so Lennox. “Das Buch Franza” ist heute nicht mein Thema, ich habe den Fall<br />
Bachmann gewählt, um zu zeigen, wie schmal der Grat sein kann zwischen der so<br />
genannten ‚Hochkultur’ <strong>und</strong> den Niederungen des deutschen Unterhaltungsfilms,<br />
wenn es um das Thema Afrika geht. Damit möchte ich „Das Buch Franza“ verlassen,<br />
nicht ohne noch einmal daran zu erinnern, dass Bachmann diesen Roman nach<br />
zahlreichen Neuanläufen schließlich unvollendet zur Seite gelegt hat. Sei es, weil sie<br />
die richtige Stimme nicht finden konnte, wie ihren Entwürfen <strong>und</strong> Aufzeichnungen zu<br />
entnehmen ist. Vielleicht aber auch, weil sie ihre „unauflösbare Komplizenschaft mit<br />
den weißen Imperialisten erkannt hat“ (Sara Lennox) 1 .<br />
Die ‚Komplizenschaft mit den weißen Imperialisten’ soll nun mein Thema bleiben.<br />
Wie sieht es mit dieser Komplizenschaft heute in der populären Kultur aus? Können<br />
wir, wenn wir über Afrika schreiben <strong>und</strong> sprechen, eine Position einnehmen jenseits<br />
der gängigen binären Konstellationen schwarz – weiß, Kultur – Natur, Zivilisation –<br />
Ursprüngliche Wildnis etc. Zu den Gr<strong>und</strong>regeln des wissenschaftlichen Diskurses<br />
gehört, dass wir unseren eigenen Standort permanent kritisch reflektieren, unser<br />
methodisches Instrumentarium auf Tauglichkeit hin überprüfen <strong>und</strong> unsere blinden<br />
Flecken nach Möglichkeit ausleuchten. Als Literaturwissenschaftlerin bin ich versiert<br />
darin, nach diesen Maßstäben mit dem gedruckten Wort zu verfahren. Wie aber sieht<br />
es mit der sinnlichen Verführungskraft von Bildern aus? Afrika im Spielfilm –<br />
schließen Sie <strong>für</strong> einen Moment die Augen <strong>und</strong> überlassen Sie sich – ohne inneren<br />
Zensor – dem Bildrepertoire, mit dem die audiovisuellen Medien uns speisen: African<br />
1 Sara Lennox: <strong>White</strong> <strong>Ladies</strong> and <strong>Dark</strong> Continents in Ingeborg Bachmann’s Todesarten. In:<br />
Friedrichsmeyer, Lennox, Zantop: The Imperialist Imagination. University of Michigan Press 2001.<br />
2
Queen, Schnee am Kilimandscharo, Jenseits von Afrika, Die letzten Tage von Kenia,<br />
Nirgendwo in Afrika, Die weiße Massai – um nur ein paar Klassiker der<br />
Filmgeschichte <strong>und</strong> zwei Erfolgsfilme des jüngeren deutschen Kinos zu nennen.<br />
Wenn wir nicht gerade Afrika als Katastrophenkontinent, geplagt von Dürreperioden,<br />
Hunger, Armut, Epidemien <strong>und</strong> Gewaltexzessen, vor Augen haben, sehen wir Afrika<br />
als traumhaft schöne, fremde <strong>und</strong> faszinierende Kulisse <strong>für</strong> Abenteuerfilme,<br />
Beziehungsdramen <strong>und</strong> (neo)koloniale Filmepen. Das ist das, was wir alle kennen<br />
<strong>und</strong> immer wieder sehen wollen – davon gehen ganz offensichtlich die<br />
Programmschefs des deutschen Fernsehens, allen voran des ZDF aus. Seit Caroline<br />
Links mit dem Oscar <strong>für</strong> den besten ausländischen Film prämierten Kinoerfolg<br />
„Nirgendwo in Afrika“ (D 2001) soll der Schauplatz Afrika <strong>für</strong> gute Quoten sorgen. Die<br />
exotische Kulisse ist aber nur die eine Säule des Erfolges. Die andere Säule bildet,<br />
betrachtet man das Gros der TV-Afrikafilme seit der Jahrtausendwende, eine starke<br />
weibliche Hauptfigur: Eine Frau, die bereit <strong>und</strong> fähig ist, Grenzen zu überschreiten:<br />
geografische, kulturelle, körperliche <strong>und</strong> solche Grenzen, die durch die traditionelle<br />
Geschlechterordnung gesetzt werden (Grenzen, die in unserem realen Alltag so nicht<br />
mehr bestehen). In diesem Sinne lautet die Devise „Starke Frauen – nicht nur auf<br />
Deutschlands Straßen, sondern auch in der afrikanischen Wildnis“. In den 1990er<br />
Jahren wurde die schlag- <strong>und</strong> schießkräftige Kriminalkommissarin initiiert –<br />
inzwischen ist mindestens jeder 2. Serien- <strong>und</strong> Reihencop im deutschen Fernsehen<br />
weiblichen Geschlechts. Mit der Milleniumswende, angeregt wohl durch Kinoerfolge<br />
wie „Nirgendwo in Afrika“ <strong>und</strong> „Die weiße Massai“, kommt ein weiterer<br />
Quantensprung. Inzwischen stellen Frauen ihr Überlebens- <strong>und</strong> Gestaltungstalent<br />
auch auf dem ‚Katastrophenkontinent’ Afrika unter Beweis. Zahlreiche TV-Frauen<br />
verlassen ihr Heimatland, ihren (untreuen) Mann oder ihren langweiligen Verlobten,<br />
eine aussichtsreiche berufliche Laufbahn, um sich in den Dienst einer ‚guten Sache’<br />
zu stellen (sei es als Krankenschwester, Ärztin, Entwicklungshelferin, ökologisch<br />
korrekter Farmerin). Diesen Frauen gelingt es, sich auf dem dark <strong>continent</strong> neu zu<br />
entwerfen. Der seit dem 18. Jahrh<strong>und</strong>ert bekannte Topos vom zivilisationsmüden<br />
westlichen Subjekt, das sich in einer ursprünglichen Fremde regeneriert, wird r<strong>und</strong> 30<br />
Jahre nach der Zweiten Frauenbewegung also auch <strong>für</strong> das weiblichen Geschlecht<br />
adaptiert. Davon zeugen deutsche Fernsehfilme wie „Eine Liebe in Afrika“ (Julia<br />
Stemberger, ZDF 2002), „Kein Himmel über Afrika“ (mit Veronika Ferres, ZDF 2004),<br />
3
„Afrika mon amour“ (mit Iris Berben, ZDF 2007), „Momella – eine Farm in Afrika<br />
(ZDF-Dokudrama mit Christine Neubauer) – ich nenne hier nur einige prominent<br />
besetzte Mehrteiler, die Liste der TV-Einteiler nach diesem Muster ist zu lang, als<br />
dass ich sie hier vortragen möchte.<br />
Was aber ist so faszinierend an dem Sujet „white ladies, dark <strong>continent</strong>s“? Eine sehr<br />
simple Antwort ist zunächst einmal die, dass die Konstellation weiße Frau <strong>und</strong><br />
schwarzer Mann schon rein auf der visuellen Ebene, die <strong>für</strong> das Medium Film<br />
naturgemäß von einiger Bedeutung ist, die größtmögliche Differenz darstellt. In kaum<br />
verhüllter Form wird diese Differenz – <strong>und</strong> die Angst vor dem ‚überpotenten<br />
schwarzen Mann’ - schon im Afrika-Film der Weimarer Republik inszeniert. Als<br />
Beispiel hier nur zwei Filmplakate aus den 20er Jahren, die <strong>für</strong> sich sprechen. Auf<br />
den Inhalt muss ich nicht näher eingehen. Folien Filmplakate WR<br />
Filmisch gesprochen erscheint eine weiße Frau nie so weiß (so unschuldig, rein,<br />
schutzbedürftig, schön, attraktiv, erotisch, verführerisch, lasterhaft, verwerflich etc.)<br />
wie in den Armen eines schwarzen Mannes. Und doch handelte es sich bei dieser<br />
visuell starken Konstellation lange Zeit um ein Tabu, das zunächst nur im<br />
kompensatorischen Schutzraum des Phantastischen gebrochen werden konnte <strong>und</strong><br />
dessen Wirksamkeit bis heute deutlich spürbar ist. So lässt sich zumindest <strong>für</strong> den<br />
populären deutschen Afrika-Spielfilm sagen, dass die Geschlechterliebe<br />
überwiegend eine nach Hautfarbe fein säuberlich getrennte Angelegenheit bleibt. Mit<br />
Ausnahme von Hermine Huntgeburths „Die weiße Massai“, der in Deutschland über<br />
zwei Millionen Zuschauer in die Kinos lockte <strong>und</strong> damit erfolgreichster deutscher Film<br />
des Jahres 2005 war, privilegiert die Liebe der weißen Frau im deutschen Afrika-Film<br />
immer noch den weißen Mann (der allerdings nicht deutschstämmig sein muss).<br />
Während es in der Literatur mittlerweile einige Erfahrungsberichte von Frauen gibt,<br />
die eine Liebesbeziehung <strong>und</strong> eine (temporäre) Lebensgemeinschaft mit einem<br />
schwarzen Mann eingegangen sind, 2 reproduziert der populäre Film mit wenigen<br />
Ausnahmen die noch aus Kolonialzeiten stammende <strong>und</strong> in der NS-Zeit<br />
propagandistisch instrumentalisierte Überzeugung, dass der Körper der weißen<br />
(arischen) Frau ausschließlich dem weißen (arischen) Mann vorbehalten ist.<br />
Dagegen galt die umgekehrte Konstellation, also weißer Mann <strong>und</strong> schwarze Frau,<br />
2 Neben Corinne Hofmanns „Die weiße Massai“ (1998) sind auch Ilona Maria Hilliges „Die weiße<br />
Hexe“ (2000), Cornelia Canadys „Tränen am Oubangui“ (2000) <strong>und</strong> Christina Hachfeld-Tapukais „Mit<br />
der Liebe einer Löwin. Wie ich die Frau eines Samburu-Kriegers wurde“ (2006) zu nennen.<br />
4
zwar als durchaus problematisch, barg sie doch u.a. das Risiko der „Verkafferung“,<br />
also des Herabsinkens des Weißen durch den Umgang mit Schwarzen, aber eben<br />
nicht als Tabubruch. 3 Die Überwindung geographischer, kultureller <strong>und</strong> rassischer<br />
Grenzen ist also tendenziell <strong>für</strong> das weibliche Geschlecht nach wie vor an andere<br />
Prämissen geb<strong>und</strong>en als <strong>für</strong> das männliche Geschlecht.<br />
1. Beispiel: Afrika mon amour<br />
Ich möchte nach diesen allgemeinen Beobachtungen auf zwei sehr unterschiedliche<br />
Filme ausführlicher eingehen, beginne mit dem eingangs genannten ZDF-Dreiteiler<br />
„Afrika mon amour“ aus dem Jahr 2007. Meine Wahl ist auf diesen in der<br />
wilhelminischen Ära, also noch in der deutschen Kolonialzeit angesiedelten Film,<br />
gefallen, weil er wesentliche Merkmale <strong>und</strong> Topoi des alten <strong>und</strong> neuen deutschen<br />
Afrika-Spielfilms repräsentiert. Das sehen Sie gleich an den beiden Schlussszenen<br />
des Films.<br />
Die Handlung ist schnell erzählt: Katharina von Strahlberg (Iris Berben), eine<br />
gesellschaftlich angesehene Frau in mittleren Jahren, trennt sich von ihrem Mann<br />
(Robert Atzorn), nachdem dieser die eigene Schwägerin geschwängert hat. Sie<br />
macht jedoch die bittere Erfahrung, dass die Rechtslage <strong>für</strong> scheidungswillige Frauen<br />
Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts extrem ungünstig ist <strong>und</strong> sie praktisch mittellos <strong>und</strong><br />
ohne soziales Netz sein wird. Da auch der fast erwachsene Sohn sich von ihr<br />
abwendet <strong>und</strong> sie <strong>für</strong> sich in Deutschland keine Existenzmöglichkeit sieht, tritt sie die<br />
Flucht nach vorn an – was in diesem Fall die Auswanderung nach Deutsch-Ost-<br />
Afrika bedeutet, wo sie sich nach einigen Schwierigkeiten als<br />
Reisekrankenschwester verdient machen kann. Die Vergangenheit holt sie jedoch<br />
ein, als ihr Mann, ihr Sohn <strong>und</strong> ihr Schwager plötzlich in Afrika auftauchen. Von<br />
diesem Punkt an überschlagen sich die Ereignisse: Katharinas Sohn wird aus<br />
unbekannten Gründen ermordet. Auf der Suche nach dem Mörder entdeckt<br />
Katharina, dass ihr betrügerischer Mann <strong>und</strong> sein noch skrupelloserer Bruder in<br />
einen gigantischen Regierungsbetrug um eine vermeintliche Diamantenmine in Afrika<br />
verwickelt sind. Zudem ist inzwischen der Erste Weltkrieg ausgebrochen, Afrika wird<br />
zu einem blutigen Schauplatz der Kriegsparteien Deutschland <strong>und</strong> England <strong>und</strong><br />
3 Die Konstellation weißer Mann <strong>und</strong> schwarze Frau kommt u.a. in folgenden Filmen vor: „Out of<br />
Africa“ (USA 1985), „Afrika mon amour“ (Dt. 2007) – jeweils in Nebensträngen – <strong>und</strong> „African Timber“<br />
(Dt./F 1988).<br />
5
Katharina verliebt sich in einen geheimnisumwitterten schottischen Offizier, der vor<br />
seiner düsteren Vergangenheit in die Kolonien geflohen ist …<br />
Was sich im weiteren Verlauf des Dreiteilers abspielt, ist eine gewagte Mischung aus<br />
griechischer Tragödie <strong>und</strong> Konsalik. Katharina, halb Florence Nightingale, halb<br />
Nemesis, zieht auf der Suche nach dem Mörder ihres Sohnes durch die afrikanische<br />
Steppen- <strong>und</strong> Buschlandschaft. Jede innere wie äußere Grenze überwindet sie<br />
unabhängig von Krieg, Racheintrigen des verlassenen Mannes, Malariaanfällen etc.<br />
Selbst einen eigentlich tödlichen Schlangenbiss überlebt sie auf w<strong>und</strong>ersame Weise.<br />
Die Protagonistin transzendiert gleichsam die Beschränkungen ihres Geschlechts,<br />
ihrer kulturellen Prägung, ihrer Rasse. Unzählige Kriegsopfer pflastern ihren Weg,<br />
Soldaten wie Zivilisten, denen sie unabhängig von Nationalität <strong>und</strong> Hautfarbe das<br />
Leben zu retten oder das Sterben zu erleichtern versucht. In diesem Szenario mutiert<br />
Katharina zur trauernden Allmutter, zur mater dolorosa, die nicht nur um ihren<br />
ermordeten Sohn, sondern um jeden gefallenen Soldaten, gehängten Deserteur <strong>und</strong><br />
unschuldig getroffenen Zivilisten weint. Schließlich ist es Afrika selbst, das (quasi als<br />
Antizipation der künftigen Rede vom Katastrophenkontinent) beklagt wird, das aber<br />
im Schlussteil, nachdem alle Schlachten geschlagen <strong>und</strong> die Bösen (Kolonialisten)<br />
gerichtet sind, auch als Ort der Sehnsucht, der Liebe <strong>und</strong> eines ‚humaneren’<br />
Kolonialismus. In "Afrika mon amour" wird also nicht nur die übliche weibliche<br />
Emanzipations- <strong>und</strong> Selbstfindungsgeschichte inszeniert, sondern ein weißer<br />
Heldinnenmythos – gleichsam als Krönung der von den öffentlich-rechtlichen<br />
Sendern ausgegebenen Parole „starke Frauen an die Front“.<br />
Dadurch dass die verbrecherische, menschenverachtende Seite des Kolonialkrieges<br />
gezeigt <strong>und</strong> das vaterländische Pathos als hohl entlarvt wird, demonstriert der TV-<br />
Dreiteiler eine pazifistische <strong>und</strong> vordergründig auch anti-kolonialistische Haltung.<br />
Jedoch wird auch in diesem Film ausschließlich der weißen Perspektive Raum<br />
gegeben. Die Schwarzen bleiben bis auf ganz wenige Ausnahmen namen- <strong>und</strong><br />
gesichtslos, treten auf als Söldner im Dienste weißer Kriegsherren, panisch<br />
aufgescheuchte, dem weißen Kriegstreiben hilflos ausgelieferte Zivilisten oder<br />
exotische Buschbewohner, auf die Katharina während ihrer Odyssee trifft.<br />
Hier der angekündigte Filmausschnitt : wir steigen ein mit den Szene, in der<br />
Katharina durch einen Zufall die Identität des Mörders ihres Sohnes entdeckt.<br />
an diesen Ausschnitt möchte ich direkt mein Fazit anschließen:<br />
6
- 1. "Afrika mon amour" knüpft – nur sehr vordergründig gebrochen – an den<br />
kolonialen Sehnsuchtsfilm an. Damit ist nach Nganang eine in den 50er Jahren<br />
populäre Spielart/Variante des deutschen Heimatfilms an, wobei mit Heimat die<br />
verlorenen deutschen Kolonialgebiete in Afrika gemeint sind (z.B. „Unser Haus in<br />
Kamerun“, 1961). 4<br />
- 2. Er ist ein eklatantes Beispiel <strong>für</strong> den Mythos vom besseren <strong>und</strong><br />
menschlicheren (Neo)Kolonialismus (die Formulierung hat Monika Albrecht). Das<br />
heißt, der Film transportiert zwar Kritik am Kolonialismus – wie könnte es in<br />
einem heutigen Afrika-Film auch anders sein. Aber es wird sorgsam zwischen<br />
bösen <strong>und</strong> guten – menschlichen – Kolonialisten unterschieden.<br />
- Und 3. Im Mittelpunkt steht eine Frau, die nach einem unbefriedigenden, ja<br />
demütigenden Dasein an der Seite eines rücksichts- <strong>und</strong> skrupellosen Mannes<br />
nach Afrika aufbricht, dort allen Widrigkeiten trotzt <strong>und</strong> sich schließlich in der<br />
Fremde als starke <strong>und</strong> emanzipierte Frau neu erfindet (neue Heimat, neue Liebe,<br />
Hosen, Pferd <strong>und</strong> Pistole markieren die Entwicklung in der gesehenen Szene).<br />
„Afrika mon amour“ transportiert in eklatanter Weise neokolonialistisches<br />
Gedankengut. Dass so etwas in der postkolonialen Ära noch möglich ist, ist sicherlich<br />
dem Umstand geschuldet, dass das eigentlich Ungeheuerliche durch das historische<br />
Gewand abgemildert wird. Die Popularität von historischen Stoffen im öffentlich-<br />
rechtlichen Fernsehen geht, so meine Vermutung, nicht primär auf den<br />
Bildungsauftrag zurück. Maßgeblich ist wohl eher die Einstellung, dass die größte<br />
Trivialität wie auch der größte Verstoß gegen ethische Erwägungen an Legitimität<br />
gewinnen, sobald entweder das Etikett des Historischen oder des Authentischen<br />
darauf klebt.<br />
2. Filmbeispiel: Die weiße Massai<br />
Als zweites Beispiel wähle ich einen Kinofilm, den vermutlich einige von Ihnen<br />
kennen, zumal er inzwischen mehrfach im Fernsehen ausgestrahlt wurde, nämlich<br />
Hermine Huntgeburths „Die weisse Massai“. Meine Wahl ist auf diesen Film gefallen,<br />
weil ich ihn, gemessen an den genannten TV-Filmen <strong>und</strong> Mehrteilern,<br />
4 Vgl. Alain Patrice Nganang: Der koloniale Sehnsuchtsfilm: Vom lieben „Afrikaner“ deutscher Filme in<br />
der NS-Zeit. In: Susanne Arndt (Hg.): AfrikaBilder. Studien zu Rassismus in Deutschland. Münster<br />
2001.<br />
7
vergleichsweise ausgewogen <strong>und</strong> sensibel gegenüber dem Problem der kulturellen<br />
Differenz finde. Mit dieser Einstellung, ja Verteidigung des Films widerspreche ich<br />
dem Gros der Filmrezensionen. Und von denjenigen hier, die den Film gesehen<br />
haben, sind vermutlich auch einige skeptisch. Meine (maßvolle) Verteidigung basiert<br />
auf zwei Punkten:<br />
1. Der Vergleich mit der Buchvorlage, die kurz gesagt, in sprachlicher wie<br />
inhaltlicher Hinsicht qualvoll ist. Ich möchte zeigen, dass der kulturalistische<br />
Rassismus, von dem das Buch durchdrungen ist (vgl. Franziska Reiniger), in<br />
der filmischen Umsetzung stark zurückgenommen ist.<br />
2. Anders als in den meisten Afrika-Filmen steht das Zusammenleben von<br />
Weißen / einer weißen Frau <strong>und</strong> Schwarzen tatsächlich im Zentrum. Die<br />
schwarze Bevölkerung ist also nicht auf eine reine Kulissenfunktion reduziert.<br />
Zunächst ein paar Sätze zu der gleichnamigen Buchvorlage der Schweizer Autorin<br />
Corinne Hofmann: Dieser internationale Bestseller, der in über 20 Sprachen<br />
übersetzt wurde, steht in frappierender Weise <strong>für</strong> ein Phänomen, das der<br />
französische Philosoph Etienne Balibar als „Rassismus ohne Rassen“ 5 nennt. Der<br />
neue Rassismus - entstanden als Zugeständnis an das postkoloniale Zeitalter <strong>und</strong><br />
angesichts der katastrophalen Folgen der nationalsozialistischen Rassenlehre – ,<br />
zeichnet sich nach Balibar dadurch aus, dass nicht mehr mit dem historisch<br />
belasteten Begriff der Rasse (im Sinne von biologischer Vererbung) argumentiert<br />
wird, sondern von der Unüberbrückbarkeit der kulturellen Differenzen gesprochen<br />
wird. Zu genau diesem Fazit kommt die Ich-Erzählerin in Corinne Hofmanns „Die<br />
weiße Massai“, als sie in der Retrospektive das Scheitern ihrer Ehe mit einem<br />
Angehörigen einer traditionellen Samburu-Dorfgemeinschaft analysiert. Das selbst<br />
entlarvende Moment dieser Verschiebung hin zu einem kulturalistischen Rassismus<br />
liegt jedoch darin, dass die vermeintlich primitivere Kultur, hier die schwarze Kultur,<br />
als eine Kultur gesehen wird, die relativ statisch ist <strong>und</strong> sich als resistent gegenüber<br />
den Aufklärungs- <strong>und</strong> Fortschrittsbemühungen der westlichen Kulturnationen erweist.<br />
Zum Tragen kommt dann ein biologistischer Kulturbegriff, der, obwohl als soziale<br />
Kategorie getarnt, wieder auf die unveränderbare Natur der vermeintlich niederen<br />
Rasse rekurriert. 6<br />
5 Balibar, Etienne: Gibt es einen „Neo-Rassismus“? In: Balibar, Etienne; Wallerstein, Immanuel:<br />
Rasse, Klasse, Nation – Ambivalente Identitäten. Hamburg 1990. S. 23-38, S. 28.<br />
6 Vgl. ebd., S. 28f.<br />
8
Hermine Huntgeburths filmische Adaption von Corinne Hofmanns<br />
autobiographischem Roman folgt im Wesentlichen dem Handlungsverlauf der<br />
Textvorlage, bemüht sich jedoch, die eindimensionale, eurozentrische <strong>und</strong><br />
rassistische Perspektive Hofmanns maßvoll zu relativieren. Über das Buch ist ohne<br />
größere Abstriche zu sagen, dass es die in der Kolonialzeit etablierten dichotomen<br />
Konstrukte Weißsein <strong>und</strong> Schwarzsein reproduziert: Es illustriert einerseits den<br />
Topos von der Primitivität <strong>und</strong> Entwicklungsunfähigkeit der schwarzen Bevölkerung.<br />
Andererseits wird der ‚schwarze Kontinent’ als Projektionsfläche <strong>für</strong><br />
kompensatorische (Sex-)Phantasien, die sich aus der bewährten Verbindung von<br />
Exotik <strong>und</strong> Erotik speisen, funktionalisiert. 7<br />
Roman wie Film erzählen die Geschichte einer jungen Schweizerin, die sich während<br />
einer Afrika-Reise in einen Massai verliebt, sich daraufhin von ihrem mitreisenden<br />
Lebensgefährten trennt, ihr Geschäft in der Heimat verkauft <strong>und</strong> ihrer großen Liebe in<br />
das Dorf Barsaloi im kenianischen Hochland folgt. Hier lebt Corinne (im Film<br />
Carola/Nina Hoss) über einen Zeitraum von r<strong>und</strong> vier Jahren inmitten einer<br />
traditionell strukturierten Samburu-Dorfgemeinschaft. Sie heiratet Lketinga (im Film<br />
Lemalian/Jacky Ido), eröffnet mitten im Busch einen Lebensmittelladen <strong>und</strong> bekommt<br />
ein Kind, gewinnt jedoch im Lauf der Zeit immer stärker den Eindruck, dass die<br />
kulturellen Differenzen unüberwindbar <strong>und</strong> die Lebensbedingungen <strong>für</strong> sie <strong>und</strong> ihre<br />
Tochter auf Dauer untragbar sind. Zusätzlich zermürbt durch die andauernden<br />
Untreuevorwürfe ihres Mannes, kehrt sie schließlich mit ihrem Kind zurück in die<br />
Schweiz.<br />
Corinne Hofmanns Geschichte bedient die von den populären Medien nicht nur<br />
geschürte, sondern mitproduzierte Lust an exotischen Schauplätzen, welche als<br />
Kulisse <strong>für</strong> romantisch-erotische Begegnungen der ‚besonderen Art’ fungieren. Die<br />
Konstellation weiße Frau <strong>und</strong> schwarzer Mann stellt einerseits einen Bruch mit dem<br />
im populären Film immer noch erstaunlich virulenten kolonialen Anachronismus dar,<br />
dass der Körper der weißen Frau <strong>für</strong> den schwarzen Mann tabu ist. Andererseits wird<br />
das alte Verbot bei Hofmann insofern bestätigt <strong>und</strong> rekonstituiert, als das Fazit der<br />
7 Vgl. vor allem Franziska Reinigers sehr engagierte <strong>und</strong> theoretisch f<strong>und</strong>ierte Analyse des Romans:<br />
Die große Liebe in einer fremden Welt. Die Inszenierung von Schwarzsein <strong>und</strong> Weißsein in<br />
gegenwärtigen Afrikaromanen am Beispiel Corinne Hofmanns „Die weiße Massai“. Saarbrücken 2008.<br />
Siehe auch Göttsche: Zwischen Exotismus <strong>und</strong> Postkolonialismus. Der Afrika-Diskurs in der<br />
deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. In: M. Moustapha Diallo u. Dirk Göttsche (Hg.): Intertextuelle<br />
Texturen. Afrika <strong>und</strong> Deutschland im Reflexionsmedium der Literatur. Bielefeld 2003. S. 170-175.<br />
9
Protagonistin ja gerade in der Erkenntnis besteht, die Verbindung sei aufgr<strong>und</strong> der<br />
unüberbrückbaren kulturellen Differenzen von vornherein zum Scheitern verurteilt<br />
gewesen <strong>und</strong> bedürfe keinesfalls einer Wiederholung: „Für Dich ist es leicht, eine<br />
neue Frau zu finden, die in der gleichen Welt lebt. Aber suche jetzt eine Samburu-<br />
Frau, nicht wieder eine Weiße, wir sind zu verschieden.“ 8 So heißt es in dem<br />
Abschiedsbrief, den die Protagonistin an ihren Ehemann Lketinga schickt, nachdem<br />
sie zusammen mit ihrer Tochter endgültig in die Schweiz zurückgekehrt ist. Der<br />
Tabubruch wird also in der Retrospektive des ‚reiferen’ <strong>und</strong> ‚klügeren’ Roman-Ich als<br />
Ausnahme einer Regel deklariert, die gr<strong>und</strong>sätzlich immer noch sinnvoll <strong>und</strong><br />
notwendig ist.<br />
In der filmischen Adaption der Sensationsstory fehlt ein solches überlegenes Fazit.<br />
Während der Roman mit einer Reihe von Briefen endet, in denen die „Flucht“<br />
Corinnes legitimiert wird, schließt der Film nonverbal mit Bildern einer trauernden <strong>und</strong><br />
um ihre Schuld – streng genommen kann man von Kindesentführung <strong>und</strong> einer<br />
gewaltsamen Entwurzelung der Tochter aus dem Kreis ihrer Familie <strong>und</strong> Kultur –<br />
wissenden Protagonistin. Dieses Filmende (das sehen Sie gleich noch) bildet den<br />
konsequenten Abschluss einer Figurenkonzeption, die schon von der ersten Szene<br />
an deutlich von der Romanvorlage abweicht.<br />
Diese erste Filmszene (Kapitel 1 bis Ende Fähre) zeige ich Ihnen jetzt:<br />
Zum Vergleich: Im Buch treffen wir auf eine überlegene, zielstrebige <strong>und</strong> beruflich<br />
wie privat erfolgreiche Businessfrau („Wir gelten in Biel als Traumpaar“, „als<br />
Betreiberin einer „exklusive[n] Secondhand-Boutique mit einer Abteilung <strong>für</strong><br />
Brautkleider […] habe ich es geschafft, auf einen ansehnlichen Lebensstandard zu<br />
kommen“ 9 ).<br />
Der Film dagegen zeigt uns eine durchschnittliche weiße Pauschaltouristin mit den<br />
üblichen Beziehungsproblemen <strong>und</strong> einer mäßig erfolgreichen beruflichen Existenz:<br />
„Ich habe auch nur einen Laden <strong>und</strong> verkaufe irgendwelche Klamotten“, entgegnet<br />
Carola, als ihr Verlobter sie mit dem Hinweis „der Typ tanzt <strong>für</strong> Touristen“ zu<br />
desillusionieren versucht. Vor allem aber setzt der Film mit dem Eingeständnis<br />
Carolas ein, dass sie Fehler gemacht hat, die Situation nicht richtig eingeschätzt hat.<br />
8 Corinne Hofmann: Die weiße Massai. München 2000. S. 445.<br />
9 Ebd., S. 12.<br />
10
Auch Carolas Motivation, in Afrika zu bleiben <strong>und</strong> ihrer großen Liebe in ein Samburu-<br />
Dorf fernab der weißen Zivilisation zu folgen, bleibt in der filmischen Inszenierung<br />
diffus. Während die Romanprotagonistin Corinne selbstsicher, entschlossen <strong>und</strong><br />
siegesgewiss agiert („Nur einmal denke ich kurz darüber nach, was er <strong>für</strong> mich<br />
empfindet, doch sofort gebe ich mir selbst die Antwort. Er muß einfach genauso<br />
empfinden wie ich!“ 10 ), wirkt die Filmfigur sehr viel unbestimmter, unsouveräner. Als<br />
Zuschauerin folgt man ihr eher fassungslos, möchte ihr raten: Kehr um, dass packst<br />
Du nicht!<br />
Ich zeige Ihnen jetzt eine Szene aus dem Mittelteil des Films, die besonders deutlich<br />
<strong>für</strong> die Akzentverschiebung ist, die Huntgeburth gegenüber der Romanvorlage<br />
vornimmt. Carola ist inzwischen mit L verheiratet, lebt seit einigen Monaten in der<br />
Dorfgemeinschaft, als sie der Fehlgeburt einer schwarzen Frau mitten in der Wildnis<br />
beiwohnen muss. Bitte stellen Sie sich darauf ein, dass die Filmszene ziemlich<br />
belastend ist.<br />
2. Filmszene Kap. 16 Tragische Geburt<br />
Im Buch handelt es sich bei dieser Frau um eine vorher bereits eingeführte Figur,<br />
nämlich um „Die Frau des Lehrers“ (so auch die Kapitelüberschrift), die Corinne<br />
ausdrücklich um Hilfe bittet: „Please, Corinne, help me, I am dying!“ 11 . Im Film wird,<br />
wie Sie gesehen haben, Carola dagegen fast unvermittelt <strong>und</strong> schockartig mit einer<br />
auf der Straße liegenden Schwangeren konfrontiert, die starke Blutungen hat <strong>und</strong><br />
kurz davor ist, ein offensichtlich bereits totes Kind 12 zu gebären. Im Film wie im Buch<br />
muss die Protagonistin fassungslos erleben, dass die Dorfbevölkerung keine<br />
Hilfestellung leisten will (im Film erklärt Lketinga, die Frau sei verhext), woraufhin sie<br />
lediglich unterstützt durch ein junges schwarzes Mädchen mit ihrem Landrover<br />
losfährt, um die Schwangere in die nächste Krankenstation zu bringen. Während<br />
Corinne im Roman, auch nachdem der Wagen wegen einer Panne zeitweilig liegen<br />
bleibt, durchgehend eine aktive Rolle spielt, die Schwangere mit Wasser versorgt<br />
<strong>und</strong> das schließlich totgeborene Kind in einen Kanga wickelt, wird Carola im<br />
entscheidenden Moment weggeschickt: „Go away“, schreit die Gebärende sie an,<br />
woraufhin Carola sich schluchzend an den Straßenrand hockt <strong>und</strong> dem Geschehen<br />
10 Ebd., S. 19.<br />
11 Ebd., S. 275.<br />
12 Der Zuschauer sieht, was auch im Roman beschrieben wird: „[…] ich sehe ein kleines, blaues<br />
Ärmchen aus der Scheide hervorhängen.“ Ebd.<br />
11
nur noch passiv beiwohnt. Auch die Reaktionen nach dem Vorfall sind<br />
unterschiedlich. Im Buch wird eine klare Schuldzuweisung vorgenommen: „[D]ass<br />
ausgerechnet mein gutmütiger Mann so kaltherzig sein kann“ 13 , heißt es über<br />
Lketinga, <strong>und</strong> über den Ehemann der Schwangeren, der als Lehrer dem dörflichen<br />
Aberglauben nach Einschätzung der Protagonistin nicht anhängen dürfte: „[er]<br />
bedankt sich überschwenglich <strong>für</strong> meine Hilfe, fragt dabei aber nicht einmal, wie es<br />
seiner Frau ergangen ist. So ein Heuchler!“ 14 Im Film dagegen kann das<br />
traumatische Erlebnis nicht durch eine personalisierte Schuldzuweisung verarbeitet<br />
werden, die betroffene Frau bleibt namenlos, das Verhalten der Dorfbevölkerung<br />
unfassbar, das eigene Versagen unentschuldbar. Während die Position der<br />
Romanfigur also durchaus mit Begriffen wie eurozentrischer Überlegenheit,<br />
Souveränität <strong>und</strong> Helfersyndrom charakterisiert werden kann, entwirft Huntgeburth<br />
eine Figur, die in vielen Situation desorientiert, hilflos <strong>und</strong> verzweifelt ist, reproduziert<br />
also gerade nicht die von Hofmann suggerierte rassistische Hierarchie.<br />
Ein weiterer Aspekt, in dem sich die Verfilmung positiv von der Romanvorlage<br />
abhebt, betrifft die Figur des Lketinga/Lemalian. Im Roman steht diese Figur<br />
zunächst <strong>für</strong> die bekannte Verbindung von Exotik <strong>und</strong> Erotik. Nachdem Lketinga sich<br />
aber nicht nur in sexueller Hinsicht als Enttäuschung <strong>und</strong> als entwicklungsunfähig<br />
erwiesen hat, wird die Figur zunehmend demontiert. Auf der Plotebene orientiert sich<br />
Huntgeburth bei der Einführung der Figur Lemalian zwar eng an der Romanvorlage.<br />
Die filmische Adaption weicht aber insofern von der Textvorlage ab, als Huntgeburth<br />
versucht, der Figur eine eigene Subjektivität zu geben, sie also nicht nur aus der<br />
Perspektive der weißen Hauptfigur – zunächst als Objekt des Begehrens, dann als<br />
Quelle der Frustration <strong>und</strong> der wirtschaftlichen Ausbeutung – zeigt, sondern die<br />
Problematik der Beziehung auch aus seiner Sicht darstellt. Da<strong>für</strong> nur ein<br />
Dialogbeispiel, das im Buch nicht vorkommt:<br />
3. Filmszene Kap. 21 Stammesgericht - hier geht es mir vor allem um den<br />
Schlussdialog<br />
„The shop is your business, and now the goats are your business, too“, erklärt<br />
Lemalian, inwiefern ihr relativer Wohlstand <strong>und</strong> ihre Erfolge im Dorf seinen Status als<br />
männliches Mitglied einer traditionell strukturierten Samburu-Stammesgemeinschaft<br />
untergraben. Den letzten Teil dieser Erklärung lässt Huntgeburth ihn<br />
bezeichnenderweise auf Deutsch sagen, während ansonsten in englischer Sprache<br />
13 Ebd.<br />
14 Ebd., S. 281.<br />
12
kommuniziert wird: „Ich hüte jetzt die Ziegen meiner Frau“, <strong>und</strong> macht damit deutlich,<br />
wie weit der kulturelle Einfluss Carolas reicht <strong>und</strong> welche Auswirkungen diese<br />
Prägung auf seine Identität hat.<br />
Man könnte im Gegenzug viele Beispiele da<strong>für</strong> anführen, inwiefern Hermine<br />
Huntgeburth doch wieder rassistische Klischees <strong>und</strong> das Bedürfnis des<br />
Massenpublikums nach exotischen Kulissen <strong>und</strong> folkloristischer Liebelei bedient. 15<br />
Es verhält sich nicht so, dass der Film den Roman komplett gegen den Strich kämmt,<br />
die weiße Heldin demontiert <strong>und</strong> dem schwarzen Mann zu seinem Recht verhilft.<br />
Was sich aber sagen lässt, ist, dass Huntgeburth den Topos von der white lady auf<br />
dem dark <strong>continent</strong> nicht als eine Erfolgs- oder Emanzipationsgeschichte inszeniert.<br />
Huntgeburth akzentuiert, verglichen mit der Buchvorlage, das Scheitern der Figur.<br />
Während die Romanfigur nach ihrer Rückkehr in die Schweiz noch die<br />
Angelegenheiten des rückständigen Mannes <strong>und</strong> seiner Familie erfolgreich managt,<br />
sieht der Filmzuschauer am Ende eine Frau, die trauert, mit sich hadert <strong>und</strong> von<br />
Schuldgefühlen geplagt ist<br />
Hier die Schlussszene des Films.<br />
Perspektive Lemalians<br />
IV Ausblick:<br />
Ich möchte schließen mit ein paar noch nicht systematisierten Beobachtungen zur<br />
jüngsten Entwicklung. Wie sieht es aktuell mit dem Sujet white women, dark<br />
<strong>continent</strong> aus? Folgendes zeichnet sich ab:<br />
1. Beobachtung: Das eingangs beschriebene Tabu, dass der Körper <strong>und</strong> die Liebe<br />
der weißen Frau auch auf dem schwarzen Kontinent dem weißen Mann vorbehalten<br />
sind, ist ins Wanken geraten. Auf dem Buchmarkt ist dieser Trend ja schon seit<br />
einigen Jahren zu beobachten, ich verweise neben Corinne Hofmanns „Die weiße<br />
Massai“ (1998) auf Ilona Maria Hilliges „Die weiße Hexe“ (2000), Cornelia Canadys<br />
15 Eine bündige Zusammenfassung im Film zitierter Klischees liefert die nicht unzutreffende, aber<br />
reichlich polemische Rezension Peter Körtes (FAZ): „Der Afrikaner, man lernt es im Film schnell, ist<br />
schwer von Begriff. Er wird geliebt, aber er weiß nicht, daß zum Sex das Vorspiel gehört <strong>und</strong> daß es<br />
nicht einfach schnell auf dem Ziegenfell geht; er kann nicht Auto fahren <strong>und</strong> ruiniert den Landrover. Er<br />
begreift auch den Kapitalismus nicht, als Carola einen Laden mitten im Busch eröffnet <strong>und</strong> Lemalian<br />
(Jacky Ido) allen unbegrenzt Kredit einräumt; er setzt lieber, wie der böse Dorfchef, auf Schmiergeld<br />
<strong>und</strong> Nepotismus. […] Bunt ist die Armut, schwarz <strong>und</strong> weiß sind die Körper. Die Musik schwillt, die<br />
Kamera schwelgt in der Natur <strong>und</strong> produziert jene konfektionierten ‚schönen Bilder’, bei denen man<br />
sofort daran denken muß, wie klar <strong>und</strong> überlegt ein Wim Wenders in ‚Don’t come knocking’ seine<br />
Einstellungen komponiert.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung. 15.09.2005. S. 37.<br />
13
„Tränen am Oubangui“ (2000) <strong>und</strong> Christina Hachfeld-Tapukais „Mit der Liebe einer<br />
Löwin. Wie ich die Frau eines Samburu-Kriegers wurde“ (2006). Nun zieht auch das<br />
Fernsehen nach, allen voran das Zweite Deutsche Fernsehen mit gleich drei Filmen:<br />
a. In „Ellas Geheimnis“ (2009) wird rückblickend die noch in der Zeit der Apartheid<br />
spielende, traumatisch endende Liebesbeziehung zwischen einer jungen Weißen<br />
<strong>und</strong> einem Schwarzen erzählt. Ungeachtet der vordergründigen Rassismuskritik<br />
kommt Afrika aber auch in diesem Film vor allem als Kulisse <strong>für</strong> erotische <strong>und</strong><br />
folkloristische Spektakel ins Spiel.<br />
b. In „Ein Sommer in Kapstadt“ (2010) wird die Beziehung zwischen der weißen<br />
Mitvierzigerin Sophie <strong>und</strong> einem jüngeren Schwarzen sogar vergleichsweise<br />
unangestrengt, also nicht mehr als spektakulärer Tabubruch, dargestellt.<br />
c) Eine weitere Steigerung bietet „Auftrag in Afrika“ (2010): Hier fre<strong>und</strong>et sich die<br />
junge, unkonventionelle Tochter des deutschen Botschafters in Sambia mit einem<br />
schwarzen Medizinstudenten an, der HIV-positiv ist. Ob es sich um eine sexuelle<br />
Beziehung handelt, lässt der Film jedoch offen.<br />
2. Beobachtung: Nach den zahlreichen weiblichen Selbstfindungsgeschichten im<br />
ersten Jahrzehnt des 2. Milleniums gehen nun wieder verstärkt männliche<br />
Protagonisten ins Rennen:<br />
a) Ganz frisch gelaufen (am 28.12.2012 in der ARD) „Afrika ruft nach Dir“ – In der<br />
traumhaften Wildnis Südafrikas findet der verwitwete Tierarzt Markus (Erol Sander)<br />
ein neues Liebesglück an der Seite der Wildhüterin Ariane (Christina Plate). Statt<br />
einer eigenen Bewertung zitiere ich den Kommentar aus der TV-Spielfilm: „Typischer<br />
Fall von Afrikanitis im gebührenfinanzierten deutschen Wellness-TV: Ein fades Nichts<br />
an vorhersehbarer Handlung vor Exotiktapete“.<br />
b) Wirklich sehenswert ist dagegen der Kinofilm „Der Fluss war einst ein Mensch“<br />
aus dem Jahr 2011 (im Kino erst im Herbst 2012 gelaufen), in dem Regisseur Jan<br />
Zabeil seinen namenlosen Antihelden (gespielt von Alexander Fehling) nach<br />
Botswana schickt, wo dieser sich gerade nicht findet, sondern sich in dem<br />
labyrinthischen Flussdelta verliert. Ein Film, der fast ohne erklärende Dialoge<br />
auskommt <strong>und</strong> der gerade das verweigert, was wir im Rahmen der üblichen TV-<br />
‚Afrikanitis’ bekommen, nämlich eine Aneignung <strong>und</strong> Trivialisierung der afrikanischen<br />
Mythologie.<br />
14
„Dieses Land braucht nicht unseren Blick, unsere Verklärung, unseren Hang zur<br />
Mythisierung, um zu existieren.“ So TAZ-Filmrezensentin Anke Leweke über "Der<br />
Fluss war einst ein Mensch" (27.09.2012). Diesem Statement schließe ich mich<br />
gerne an.<br />
15