politik und kultur - Deutscher Kulturrat
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FÖDERALISMUSREFORM<br />
Welches Land könnte sich hinsichtlich<br />
seiner <strong>kultur</strong>ellen Vielfalt mit<br />
Deutschland messen? Welches<br />
Land verfügt über eine ähnlich reiche<br />
Theater- <strong>und</strong> Museenlandschaft,<br />
über eine solche Vielzahl gut<br />
erhaltender oder aufwendig restaurierter<br />
Denkmäler, über eine so<br />
umfassend betriebene Brauchtumspflege?<br />
Diese Situation herrscht – bei allen<br />
Problemen, die die derzeitige<br />
wirtschaftliche Lage mit sich<br />
bringt – in Deutschland nicht trotz,<br />
sondern gerade wegen des Kulturföderalismus.<br />
Die Kulturhoheit der Länder<br />
ist nicht nur der historischen Entwicklung<br />
Deutschlands geschuldet,<br />
sie hat sich auch seit Inkrafttreten des<br />
Gr<strong>und</strong>gesetzes hervorragend bewährt.<br />
Deshalb war es eine Selbstverständlichkeit,<br />
dass die Länder im Zuge<br />
der Diskussion um eine Reform der<br />
b<strong>und</strong>esstaatlichen Ordnung auf eine<br />
Stärkung ihrer Zuständigkeiten im<br />
Bereich Kultur gedrungen haben. Gerade<br />
dem Freistaat Bayern, der sich in<br />
Art. 3 seiner Verfassung ausdrücklich<br />
als Kulturstaat definiert, war dies ein<br />
großes Anliegen. Kultur war <strong>und</strong> bleibt<br />
Ländersache, <strong>und</strong> deshalb wird der<br />
Bayerische Landtag auch weiterhin<br />
der gegebene Ort für umfassende <strong>kultur</strong>politische<br />
Debatten sein.<br />
Bei genauer Betrachtung der einschlägigen<br />
Ergebnisse der Föderalismusreform<br />
lässt sich feststellen,<br />
dass die Veränderungen nicht sonderlich<br />
gravierend sind <strong>und</strong> allesamt dem<br />
Gr<strong>und</strong>anliegen Rechnung tragen, Zuständigkeiten<br />
klarer zu regeln <strong>und</strong><br />
dadurch Kompetenzstreitigkeiten zu<br />
Fortsetzung von Seite 21<br />
Stärkung der Kulturhoheit<br />
in Fällen der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit<br />
der Länder<br />
gab es schon bisher, künftig ist<br />
sie zwingend. Im Gegenzug wird sie<br />
auf die drei Bereiche schulische Bildung,<br />
Kultur <strong>und</strong> R<strong>und</strong>funk beschränkt.<br />
Ich halte es für richtig, dass sich<br />
unsere föderale Vielfalt auch auf der<br />
Brüsseler Ebene widerspiegelt. Sie<br />
ist auch sachgerecht, da die Sachkompetenz<br />
in den genannten Bereichen<br />
eben nicht beim B<strong>und</strong>, sondern<br />
bei den Ländern angesiedelt ist.<br />
Angesichts der Zugewinne des<br />
B<strong>und</strong>es in der Kultur<strong>politik</strong> lassen<br />
sich die in der Beratung vorgetragenen<br />
Einwände gegen den im Bereich<br />
der Kultur<strong>politik</strong> gef<strong>und</strong>enen Kompromiss<br />
schwer nachvollziehen. Natürlich,<br />
wer sich mehr Zentralismus<br />
von der Reform erhofft hat, muss<br />
enttäuscht sein. Mit dem ersten Teil<br />
der Föderalismusreform wird der<br />
Föderalismus in Deutschland ein<br />
gutes Stück wieder auf den Gr<strong>und</strong>gedanken<br />
der weitestgehenden<br />
Selbstständigkeit der einzelnen B<strong>und</strong>esstaaten<br />
zurückgeführt. Dass dies<br />
zu Unterschieden zwischen den<br />
Ländern führen kann, liegt in der<br />
Natur der Sache. Denn Föderalismus<br />
ist das Gegenteil von Nivellierung<br />
<strong>und</strong> Gleichmacherei, sondern er ist<br />
Ausdrucksform der vielfältigen, gewachsenen<br />
regionalen Unterschiede.<br />
Und es gehört zum Gr<strong>und</strong>verständnis<br />
des föderalen Gemeinwesens,<br />
dass man auch regionale Unterschiede<br />
aushalten muss. Die Reform<br />
ist deshalb nicht unfair wie<br />
manche meinen, unfair ist es vielmehr,<br />
die leistungsfördernde Kraft<br />
des Wettbewerbs zwischen den Ländern<br />
aus Furcht vor der Verantwortung<br />
zu negieren.<br />
Der Verfasser ist Präsident des<br />
Landtags von Baden-Württemberg<br />
<strong>politik</strong> <strong>und</strong> <strong>kultur</strong> • Sept. – Okt. 2006 • Seite 22<br />
Bayerische Kultur<strong>politik</strong> <strong>und</strong> Föderalismusreform<br />
Auswirkungen auf das <strong>kultur</strong>elle Erbe <strong>und</strong> die <strong>kultur</strong>elle Zukunft des Freistaates • Von Alois Glück<br />
verhindern. Dafür nur zwei Beispiele:<br />
· Durch die thematische Einschränkung<br />
der Beteiligung der Länder<br />
auf die drei Kerngebiete schulische<br />
Bildung, Kultur <strong>und</strong> R<strong>und</strong>funk hat<br />
Art. 23 Abs. 6 GG an Europatauglichkeit<br />
gewonnen.<br />
· Der B<strong>und</strong> hat nicht nur durch die<br />
Einfügung der Hauptstadtklausel<br />
in Art. 22 GG eine Absicherung seiner<br />
Repräsentationsaufgaben, soweit<br />
diese den Gesamtstaat betreffen,<br />
erreicht, ihm wurde auch als<br />
ausschließliche Gesetzgebungskompetenz<br />
der Schutz deutschen<br />
Kulturgutes gegen Abwanderung<br />
ins Ausland zuerkannt (Art. 73 Abs.<br />
1 Satz 5a).<br />
Durch die Föderalismusreform<br />
ist die Gewähr gegeben, dass die erfolgreiche<br />
bayerische Kultur<strong>politik</strong>,<br />
für die der Bayerische Landtag die<br />
maßgeblichen Gr<strong>und</strong>lagen gelegt<br />
hat, auch in Zukunft fortgeführt werden<br />
kann.<br />
In der langen Geschichte Bayerns<br />
hat sich ein <strong>kultur</strong>elles Erbe angesammelt,<br />
das uns kostbar ist <strong>und</strong> für<br />
dessen Bewahrung von staatlicher<br />
Seite viel geleistet wird. Darüber<br />
muss es aber das Bestreben verantwortungsbewusster<br />
Kultur<strong>politik</strong><br />
sein, Raum für Neues zu geben <strong>und</strong><br />
zeitgenössischen Künstlern die kreative<br />
Auseinandersetzung mit den<br />
Fragen unserer Zeit zu ermöglichen.<br />
Der Freistaat Bayern bringt jährlich<br />
über eine halbe Milliarde Euro für<br />
Kunst <strong>und</strong> Kultur auf; das sind r<strong>und</strong><br />
1,5 Prozent des Staatshaushalts. Mit<br />
diesem Wert steht Bayern im b<strong>und</strong>esweiten<br />
wie im internationalen<br />
Vergleich mit an der Spitze. Dabei<br />
Zu Recht gab es in den letzten Monaten<br />
umfangreiche Diskussionen<br />
über die nun verabschiedete Föderalismusreform.<br />
Wieso das bewährte<br />
Gr<strong>und</strong>gesetz überhaupt ändern?<br />
Langwierige Entscheidungsprozesse<br />
in der deutschen Gesetzgebung<br />
<strong>und</strong> die Tendenz der jeweiligen Opposition,<br />
den B<strong>und</strong>esrat zur parteipolitisch<br />
motivierten Blockade gegen<br />
Regierungsvorlagen zu nutzen,<br />
haben Änderungen notwendig gemacht.<br />
Darin waren sich alle einig.<br />
Erst die Entwicklung der nächsten<br />
Jahre wird jedoch zeigen, ob die Reform<br />
gelungen ist <strong>und</strong> inwiefern es<br />
Nachbesserungen geben kann <strong>und</strong><br />
muss. Interessant ist, dass es sowohl<br />
Kritik aus dem Lager derjenigen<br />
gibt, die eine zentralistisch ausgerichtete<br />
Staatsform befürworten<br />
als auch aus dem Lager der Föderalismusanhänger.<br />
I<br />
n diesem Zusammenhang sollte<br />
man die deutsche Geschichte<br />
nicht vergessen. Im Gegensatz zu einigen<br />
seiner europäischen Nachbarn<br />
ist Deutschland ein föderalistischer<br />
Staat. Dies ist kein Zufall. Im Gr<strong>und</strong>gesetz<br />
so angelegt, geht diese Staatsform<br />
zurück auf die „Goldene Bulle“<br />
von 1356: eine Einigung zwischen den<br />
regionalen Fürsten <strong>und</strong> dem deutschen<br />
Kaiser. Gar nicht so anders ist<br />
es heute. Die Verfassungsänderung<br />
zur Föderalismusreform ist eine Vereinbarung<br />
zwischen den Ministerpräsidenten<br />
<strong>und</strong> der B<strong>und</strong>esregierung,<br />
welche den Ländern – <strong>und</strong> vorneweg<br />
ihren „Landesfürsten“ – mehr Kompetenzen<br />
einräumen soll. Bis heute ist<br />
Deutschland also ein Föderalstaat, in<br />
dem die B<strong>und</strong>esländer erheblichen<br />
Einfluss auf Politik, Kultur <strong>und</strong> Wirtschaft<br />
nehmen.<br />
Im Abgeordnetenhaus von Berlin<br />
werden wir in den nächsten Jahren<br />
über viele Eckpunkte der Reform dis-<br />
Maximilianeum mit Springbrunnen. Foto: Bildarchiv Bayerischer Landtag<br />
fließen Gelder nicht nur in die großen<br />
staatlichen Einrichtungen wie<br />
die Münchner Staatstheater oder die<br />
Museen der Bayerischen Staatsge-<br />
mäldesammlung, denn mit dem Kulturfonds<br />
Bayern fördert der Freistaat<br />
auch nichtstaatliche Theater <strong>und</strong><br />
Museen, Laienmusiker, junge bil-<br />
Eine Jahrh<strong>und</strong>ertreform für die Kultur?<br />
Von der historischen Verpflichtung gegenüber Berlin • Von Walter Momper<br />
kutieren. Der Rückzug des B<strong>und</strong>es aus<br />
der Bildungs<strong>politik</strong>, das neue Ladenschlussrecht,<br />
Regelungen zum Strafvollzug<br />
oder Umweltschutz werden in<br />
Berlin eine große Rolle spielen.<br />
In der Kultur<strong>politik</strong> gibt es im Wesentlichen<br />
drei große Veränderungen.<br />
Das ist zum einen die Neuregelung<br />
des Art. 23 Abs. 6 GG, zum anderen<br />
der neue Art. 73 Nr. 5 a GG <strong>und</strong> zu<br />
guter Letzt die Änderung des Art. 22<br />
Abs. 1 GG.<br />
Sicherlich werden wir im Abgeordnetenhaus<br />
von Berlin nicht über<br />
den neu gefassten Artikel 73 Nr. 5 a<br />
GG – der Schutz deutschen Kulturgutes<br />
gegen Abwanderung in das Ausland<br />
– debattieren. Dass der B<strong>und</strong> in<br />
dieser Frage die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz<br />
erhält, bedarf<br />
keiner weiteren Erörterung.<br />
Auch ist es zum momentanen Zeitpunkt<br />
generell schwer, etwas zur weiteren<br />
Entwicklung der Diskussionen<br />
über die sonstigen <strong>kultur</strong>politischen<br />
Änderung der Föderalismusreform zu<br />
sagen. Diese sehr speziellen Fragen<br />
<strong>und</strong> Probleme werden sich vermutlich<br />
erst im Laufe der nächsten Monate<br />
oder gar Jahre herausstellen.<br />
Ich möchte jedoch auf die Änderung<br />
des Art. 22 Abs. 1 GG eingehen.<br />
Vor dem 30.6.2006 war dieser Artikel<br />
einer der kürzesten im Gr<strong>und</strong>gesetz<br />
<strong>und</strong> lautete: „Die B<strong>und</strong>esflagge ist<br />
schwarz-rot-gold“ – eine Tatsache,<br />
die uns allen besonders während der<br />
Fußball-Weltmeisterschaft deutlich<br />
vor Augen geführt worden ist. Auch<br />
wenn es die Jüngeren unter uns nicht<br />
so empfinden – nicht ganz so selbstverständlich<br />
ist dieser neue Artikel 22<br />
Abs. 1 GG, wonach „die Hauptstadt<br />
der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />
Berlin ist“ <strong>und</strong> „die Repräsentation<br />
des Gesamtstaates in der Hauptstadt<br />
zur Zuständigkeit des B<strong>und</strong>es“ erklärt<br />
wird. Ich freue mich sehr über diese<br />
Gr<strong>und</strong>gesetzänderung <strong>und</strong> hoffe,<br />
dass sie im B<strong>und</strong>estag, aber auch in<br />
anderen Landtagen zum Anlass genommen<br />
wird, sich der historischen<br />
dende Künstler <strong>und</strong> vieles mehr.<br />
Über 8 Millionen Euro stehen daraus<br />
jedes Jahr zur Verfügung. Auch wurden<br />
aus den Privatisierungserlösen<br />
des Freistaats Bayern seit 1996 zusätzlich<br />
345 Millionen Euro für Kunst<br />
<strong>und</strong> Kultur investiert. Durch die Aufbietung<br />
dieser erheblichen Mittel ist<br />
Bayern in der Lage, seine wichtigste<br />
<strong>kultur</strong>politische Maxime zu verfolgen,<br />
nämlich <strong>kultur</strong>elle Projekte<br />
gleichermaßen in allen bayerischen<br />
Regierungsbezirken zu fördern. Bayern<br />
besteht aus vielen Gebieten, die<br />
bis zu den Mediatisierungen am<br />
Ende des Alten Reiches ein reges Eigenleben<br />
führten. Deshalb ist bayerische<br />
Kultur<strong>politik</strong> von jeher regional<br />
<strong>und</strong> dezentral ausgerichtet.<br />
Trotz dieser beachtlichen Anstrengungen,<br />
die der Freistaat Bayern<br />
auf <strong>kultur</strong>politischem Gebiet auf<br />
sich nimmt, wird aufgr<strong>und</strong> der Situation<br />
der öffentlichen Kassen die<br />
Bedeutung privaten Mäzenatentums<br />
immer größer. Ein herausragendes<br />
Beispiel dafür ist der Bau der Pinakothek<br />
der Moderne, die ihre Gründung<br />
maßgeblich einer vorbildlichen<br />
staatlich-privaten Partnerschaft<br />
verdankt.<br />
Die durch Aktivitäten wie diese<br />
zum Ausdruck kommende Identifikation<br />
der bayerischen Bevölkerung<br />
mit der Kultur ihrer Heimat ist die<br />
wichtigste Gr<strong>und</strong>lage für unsere<br />
Kultur<strong>politik</strong>, die das Erbe verantwortungsbewusst<br />
pflegt <strong>und</strong> dem<br />
Neuen die ihm zukommenden Freiräume<br />
gewährt.<br />
Der Verfasser ist Präsident des<br />
Bayerischen Landtags<br />
Verpflichtung gegenüber Berlin noch<br />
bewusster zu werden. Im Abgeordnetenhaus<br />
von Berlin werden wir uns<br />
gut überlegen müssen, wie eine solche<br />
Diskussion sinnvoll <strong>und</strong> ohne<br />
dass es zu Verstimmungen unterhalb<br />
der B<strong>und</strong>esländer kommt, zu führen<br />
sein wird.<br />
Denn nach wie vor ist eine der<br />
Fragen schlechthin die der Wahrnehmung<br />
Berlins als Hauptstadt aller<br />
Deutschen. Auch zwischen dem Land<br />
Berlin <strong>und</strong> dem B<strong>und</strong> ist die Kompetenzverteilung<br />
im Kulturbereich<br />
geradezu ein klassischer Streitfall.<br />
Hinsichtlich Kulturstätten, Veranstaltungen,<br />
historischen Gebäuden <strong>und</strong><br />
Geländen <strong>und</strong> ähnlichem fällt die Verantwortung<br />
nach dem Gr<strong>und</strong>gesetz<br />
zunächst in den ausschließlichen Verantwortungsbereich<br />
des Landes Berlin.<br />
Dies ist nicht immer sinnvoll <strong>und</strong><br />
vom Land Berlin oft nicht zu leisten.<br />
Weiter auf Seite 23<br />
Frontansicht des Berliner Abgeordnetenhauses. Foto: Florian Profitlich, Bildbearbeitung: Clemens Franke, Copyright:<br />
Abgeordnetenhaus von Berlin