02.05.2013 Aufrufe

1 Maria Montessoris Lebenslauf und Beschreibung Ihrer ...

1 Maria Montessoris Lebenslauf und Beschreibung Ihrer ...

1 Maria Montessoris Lebenslauf und Beschreibung Ihrer ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Inhaltsverzeichnis<br />

1 <strong>Maria</strong> <strong>Montessoris</strong> <strong>Lebenslauf</strong> <strong>und</strong> die <strong>Beschreibung</strong> <strong>Ihrer</strong> Persönlichkeit<br />

2 Casa dei bambini<br />

3 Die Bewegung<br />

4 Das Diplom<br />

5 Itard <strong>und</strong> Séguin <strong>und</strong> ihr Einfluß auf Montessori<br />

6 Das Montessori Arbeitsmaterial<br />

7 Kurzer Überblick über die <strong>Maria</strong> Montessori-Methode<br />

8 Die Rechte des Kindes<br />

9 Bedingung der Erziehung: Verständnis der Erwachsenen<br />

10 Relevanz <strong>und</strong> Verbreitung des Modells <strong>Maria</strong> <strong>Montessoris</strong> in Kultur <strong>und</strong><br />

Praxis<br />

11 Abbildungsverzeichnis (entfällt in HTML)<br />

12 Quellennachweis


1 <strong>Maria</strong> <strong>Montessoris</strong> <strong>Lebenslauf</strong> <strong>und</strong> <strong>Beschreibung</strong> <strong>Ihrer</strong><br />

Persönlichkeit<br />

Sie wird im Jahr der staatlichen Einigung Italiens, am 31. August 1870 in Chiaravalle<br />

in der Provinz Ancona in Italien geboren.<br />

1.1 Die Eltern von <strong>Maria</strong> Montessori<br />

Ihr Vater, Alessandro Montessori (1832-1915), ist Finanzbeamter, die Mutter,<br />

Renilde Montessori, geborene Stoppani (1840-1912), stammt aus einer<br />

Gutsbesitzerfamilie <strong>und</strong> ist die Nichte des hervorragenden Naturwissenschaftlers<br />

Antonio Stoppani, der sich durch liberale Äußerungen zu Zeitfragen einen Namen<br />

gemacht hat.<br />

Der Vater, eher einer kleinbürgerlichen Schicht zuzuordnen, sein Vater ist<br />

Angestellter in einer Tabakhandlung in Bologna gewesen, entwickelt deutlich<br />

konservative Züge. Hingegen ist die Mutter hochgebildet <strong>und</strong> vertritt liberale<br />

Ansichten. Sie reagiert Zeitveränderungen gegenüber aufgeschlossen.<br />

<strong>Maria</strong> <strong>Montessoris</strong> Vater Alessandro hatte Arithmetik <strong>und</strong> Rhetorik studiert <strong>und</strong><br />

wird 1850 Angestellter in der Finanzbürokratie des Vatikans. 1863 wird er<br />

Inspektor für die Abgaben der Salz- <strong>und</strong> Tabakindustrie in der Finanzverwaltung<br />

der Romagna. In dieser Funktion kontrolliert er 1865 in Chiaravalle die dortige<br />

Tabakindustrie <strong>und</strong> lernt dort Renilde kennen. Sie heiraten 1866. 1873 wird<br />

Alessandro nach Florenz versetzt. 1875 wird er nach Rom versetzt, wo dann das<br />

Ehepaar Montessori bis zu seinem Tod leben wird.<br />

Die Biographin <strong>Maria</strong> Montessori´s, Rita Kramer, schildert das Ehepaar<br />

Montessori:<br />

Abbildung 1<br />

Alessandro<br />

Montessori<br />

"Sie waren ein anziehendes Paar: Er mit lockigem,<br />

dunklem Haar <strong>und</strong> einem dunklem Schnauzbart, sie<br />

r<strong>und</strong>lich, wie es Mode war, r<strong>und</strong>äugig <strong>und</strong> mit<br />

sanften Zügen. Wenn sie in der Stadt spazieren<br />

gingen, Alessandro in einem Straßenanzug,<br />

geschmückt mit einer baumelnden Uhrkette, <strong>und</strong><br />

Renilde in wohlanständigem Schwarz, den<br />

Spitzenkragen mit einem kleinen, goldenen Kreuz<br />

verziert <strong>und</strong> eine Rose, in den auf dem Kopf hoch<br />

aufgetürmten Locken, erschienen sie einem Bild der<br />

Achtbarkeit <strong>und</strong> Prosperität" (Prosperität =<br />

Wohlstand, Blüte, Duden)<br />

Abbildung 2<br />

Renilde<br />

Montessori


1.2 <strong>Beschreibung</strong> der kleinen <strong>Maria</strong><br />

Renilde erzieht ihr einziges Kind zur Selbstdisziplin. Auch soll <strong>Maria</strong> für arme<br />

Familien stricken <strong>und</strong> ein behindertes Kind in der Nachbarschaft bei Spaziergängen<br />

begleiten. Aussagen zur Kindheit <strong>Maria</strong> <strong>Montessoris</strong> bieten ihre beiden Mitarbeiter:<br />

Anna Maccheronis, die sie 1907 kennenlernte <strong>und</strong> Edward M. Standing, den sie<br />

1921 kennenlernte. <strong>Maria</strong> besaß schon als Kind ein starkes Gefühl für persönliche<br />

Würde <strong>und</strong> konnte andere Kinder durchaus verbal herabsetzen. Außerdem soll sie<br />

auch schon als Kind eine friedensstiftende Wirkung gehabt haben. Standing<br />

berichtet:<br />

"Frieden zu stiften - <strong>und</strong> allen Benachteiligten zu helfen - sollte ihr ganzes Leben<br />

lang ihr Hauptanliegen sein."<br />

Als ihre Eltern sich stritten, soll <strong>Maria</strong> einen Stuhl zwischen beide geschoben<br />

haben, sich darauf gestellt <strong>und</strong> die Hände der Eltern ineinander gelegt haben. Sie<br />

soll, allen Berichten nach, als Kind selbstbewußt, willensstark aber auch<br />

selbstgefällig <strong>und</strong> deutlich Ichbezogen gewesen sein. Sie hatte keine Geschwister<br />

<strong>und</strong> genoß die völlige Zuwendung ihrer Eltern, was sicher auch zu der Entwicklung<br />

ihrer Charakterzüge beitrug. Mit fünf Jahren zieht <strong>Maria</strong> mit ihren Eltern nach<br />

Rom, eine Stadt, die durch anregende Atmosphäre fasziniert <strong>und</strong> wesentlich<br />

bessere Bildungsmöglichkeiten bietet als die Provinz. <strong>Maria</strong> wächst dann in Rom<br />

auf.<br />

1.3 <strong>Montessoris</strong> Gr<strong>und</strong>schulzeit<br />

Sie scheint in der Gr<strong>und</strong>schule zunächst keinerlei Ehrgeiz zu haben. Standing<br />

berichtet von einer Erinnerung <strong>Maria</strong> <strong>Montessoris</strong> aus der Schule:<br />

"Eine unserer Lehrerinnen war von der fixen Idee besessen, das Auswendiglernen<br />

von Lebensläufen berühmter Frauen müsse uns zur Nachahmung anspornen. Jede<br />

ihrer Erzählungen schloß mit der Mahnung: "Auch Ihr solltet nach Ruhm streben!<br />

Möchtet ihr denn nicht berühmt werden?" - "Oh nein" gab ich ihr eines Tages<br />

trocken zur Antwort, "Ich will nicht berühmt werden. Ich habe viel zu viel Mitleid<br />

mit den Kindern der Zukunft, als daß ich die Liste um eine Biographie verlängern<br />

möchte.""<br />

Die Klassen waren damals überfüllt <strong>und</strong> die LehrerInnen schlecht ausgebildet. Die<br />

damaligen Schulen vermochten geistige Kräfte nicht zu entwickeln <strong>und</strong> vertraten<br />

die Stock- <strong>und</strong> Paukdidaktik. Es überrascht nicht, daß sich <strong>Maria</strong> trotz ihrer hohen<br />

Intelligenz nicht auszeichnet. Allmählich sucht sie dann doch den schulischen<br />

Erfolg. Sicher hat ihre Mutter hier eine Rolle gespielt. Sie wollte für ihre Tochter<br />

eine hochqualifizierte Ausbildung <strong>und</strong> spätere Berufstätigkeit. <strong>Maria</strong> beginnt<br />

intensiv zu lesen <strong>und</strong> beschäftigt sich vor allem mit Mathematik. Gegen Ende der<br />

Gr<strong>und</strong>schulzeit nimmt sie das Mathematikbuch sogar zu Theaterbesuchen mit, um<br />

es während der Vorstellung zu studieren.


1.4 <strong>Maria</strong> geht zur Sek<strong>und</strong>arschule (1883)<br />

Abbildung 3<br />

<strong>Maria</strong> Montessori, 1880<br />

Nach der sechsjährigen Gr<strong>und</strong>schule tritt sie mit<br />

dreizehn Jahren, im Herbst 1883, in die "Regia Scuola<br />

Tecnica Michelangelo Buonarotti" ein. Dies ist eine<br />

naturwissenschaftlich - technische Sek<strong>und</strong>arschule mit<br />

dreijähriger Unterstufe, der sich ein vierjähriger<br />

weiterführender Kurs anschließt. Der Abschluß<br />

berechtigt zum Hochschulstudium. Die<br />

Unterrichtspraxis ist lehrbuchorientiert. Selbständiges<br />

Erk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Erforschen von fachlichen<br />

Zusammenhängen gibt es nicht.<br />

Möglicherweise haben sich hier erste Aspekte eines<br />

Konzepts selbstaktiven Lernens bei Montessori<br />

herausgebildet. Denn Selbständigkeit <strong>und</strong> eigenes Tun<br />

ist ja zentrales Element ihrer Entwicklungspädagogik.<br />

Der Fächerplan ist modern: Dem dreijährigem Kurs<br />

mit Mathematik, Französisch, Buchhaltung,<br />

Geschichte, Erdk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> eine Einführung in die<br />

Naturwissenschaften, folgt der vierjährige Kurs mit<br />

modernen Sprachen (Englisch, Französisch, Deutsch)<br />

Mathematik, Physik <strong>und</strong> Chemie, dazu kommen noch<br />

"kommerzielle Fächer". Aus dem Lehrbuch wird vom<br />

Lehrer vorgetragen, der Lehrbuchtext muß auswendig<br />

gelernt <strong>und</strong> im Gedächtnis behalten werden.<br />

Schulischer Unterricht ist präzise Reproduktion<br />

gespeicherten Wissens. Die Entscheidung für diese<br />

Schule war damals höchst ungewöhnlich. Mädchen<br />

gingen äußerst selten in die Sek<strong>und</strong>arschule <strong>und</strong> wenn<br />

dann auf das "Ginnasio", weil es gesellschaftlich<br />

brauchbare humanistische Allgemeinbildung<br />

vermittelte.<br />

<strong>Maria</strong> spielt mit dem Gedanken Ingenieur zu werden. Die Eltern bevorzugen den<br />

Lehrerberuf als Ausbildungsziel. Doch die Mutter stellt sich auf <strong>Maria</strong>s Seite <strong>und</strong><br />

unterstützt sie. Alessandro Montessori sieht in dem Wunsch der Tochter eine<br />

Neuerung, die mit seiner konservativen Weltanschauung nicht zu vereinbaren ist.<br />

Kramer sieht in der Tatsache, daß <strong>Maria</strong> Montessori dieses Drillsystem mit<br />

vorzüglichen Leistungen absolviert <strong>und</strong> trotzdem später in kreativer Weise eine<br />

neue <strong>und</strong> weltweit rezipierte Erziehungskonzeption zu schaffen vermag, zu Recht,<br />

einen eindeutigen Beleg für die "Genialität" <strong>Maria</strong> <strong>Montessoris</strong>.<br />

1886 machte sie den Abschluß des dreijährigen Kurses mit guten Leistungen in<br />

allen Fächern <strong>und</strong> besucht den weiterführenden vierjährigen Kurs. Auch hier ist sie


erfolgreich. Insbesondere ihre Leistungen in Mathematik sind hervorragend. Gegen<br />

Ende der Institutzeit ändert sich ihr Berufsziel. Sie will Ärztin werden <strong>und</strong> Medizin<br />

studieren. Ihr Vater wird 1890 mit dem drängenden Wunsch seiner<br />

zwanzigjährigen Tochter konfrontiert, Ärztin werden zu wollen, obwohl der<br />

Arztberuf eine absolute Domäne des Mannes war. Es gab in Italien keine einzige<br />

Ärztin. Sich ihm gegenüber durchzusetzen gelingt ihr soweit, daß er das Studium<br />

nicht verbietet, sich aber deutlich von ihr distanziert.<br />

Sie führt mit dem Professor für klinische Medizin an der Universität in Rom ein<br />

Gespräch, um die Zulassung zur Aufnahme zu erreichen. Der Versuch endet<br />

negativ. Montessori soll nach dem Gespräch gesagt haben:<br />

"Ich weiß, daß ich Ärztin werde".<br />

1.5 Die Studienzeit <strong>Montessoris</strong> beginnt (1890)<br />

Das Medizinstudium bestand aus zwei vormedizinischen naturwissenschaftlichen<br />

Studienjahren (Botanik, Zoologie, Physik <strong>und</strong> Chemie) <strong>und</strong> aus vierjährigen<br />

Kursen in Pathologie, Anatomie <strong>und</strong> klinischer Medizin. 1890 schreibt sich<br />

Montessori als Studentin der Mathematik, Physik <strong>und</strong> Naturwissenschaften an der<br />

Universität Rom ein <strong>und</strong> konzentriert sich auf die vormedizinischen Fächer. 1892<br />

legt sie die Prüfung auch in Latein <strong>und</strong> Italienisch mit sehr gutem Erfolg ab <strong>und</strong><br />

bekommt damit das Berechtigungszertifikat (Diploma di licenza) um das klinische<br />

Studium der Medizin studieren zu können. Sie stellt den Antrag <strong>und</strong> setzt sich für<br />

die Zulassung ein.<br />

Kramer ist Zeitungsmeldungen nachgegangen, die behaupten, Papst Leo XIII habe<br />

sich für die Zulassung von <strong>Maria</strong> Montessori ausgesprochen.<br />

1.6 Montessori beginnt das Medizinstudium (1892)<br />

Sie beginnt im Herbst 1892 das Medizinstudium. Die Studienbedingungen gleichen<br />

der Unterrichtspraxis in den Schulen. Prüfungen beziehen sich auf Vorlesungen,<br />

deren Inhalt genauestens wiedergegeben werden müssen. Man kann sich Skripte<br />

ausleihen <strong>und</strong> den Lehrstoff am Semesterende aneignen.<br />

Montessori lebt weiterhin bei Ihren Eltern, besucht die Vorlesungen <strong>und</strong> arbeitet zu<br />

Hause ihre Notizen durch. Sie ist nicht nur intelligent <strong>und</strong> fleißig, sondern auch<br />

dem Leben außerhalb des Studiums nicht abgeneigt. Sie ist hübsch, kleidet sich<br />

adrett, hat gepflegte Umgangsformen <strong>und</strong> ißt gerne.<br />

Im Studium fällt sie in zweifacher Weise auf: Einmal als Frau <strong>und</strong> als fleißige <strong>und</strong><br />

lernbegierige Studentin.<br />

Standing bringt dazu ein Beispiel, daß ihren Lerneifer verdeutlicht:<br />

Einen Bericht über einen Professor der Medizin, der während der Studienzeit<br />

<strong>Montessoris</strong> Dozent war.<br />

"An einem seiner Vorlesungstage tobte in Rom ein so gewaltiger Schneesturm, daß<br />

alle Hörer wegblieben, bis auf einen allerdings, <strong>und</strong> das war die "Hörerin". Als sie<br />

sich nun allein im Hörsaal fand schlug sie dem Dozenten bescheiden vor, die<br />

Vorlesung zu verschieben, wovon er aber nichts wissen wollte, denn solcher Eifer<br />

mußte seiner Meinung nach belohnt werden. Also hielt er seine Vorlesung wie<br />

immer - nur diesmal vor einer einköpfigen Hörerschaft."


Ihre Mutter unterstützt <strong>Maria</strong> im häuslichen Studium. Ihr Vater distanziert sich von<br />

ihr. Die Distanz ihres Vaters belastet sie stark, aber glücklicherweise löst sich<br />

dieser Konflikt gegen Ende des Studiums auf.<br />

1.7 Die erste Vorlesung in Anatomie<br />

<strong>Maria</strong> Montessori schreibt während ihrer Studienzeit einen Brief an Clara, den Rita<br />

Kramer erschlossen hat. Er berichtet von den persönlichen Problemen der jungen<br />

Medizinstudentin in der Anatomie <strong>und</strong> im Umgang mit dem Menschen als Leiche.<br />

Die erste Vorlesung fand im "Anatomischen Institut" statt. Montessori war<br />

abgestoßen von den Skeletten, Organen <strong>und</strong> Eingeweiden, die in Spiritus eingelegt<br />

waren. Die Leichen <strong>und</strong> die Knochen, mit herabhängendem rosa Fleisch, machten<br />

ihr Angst <strong>und</strong> ihr wurde schlecht.<br />

Der Weg, ihr Ziel zu verwirklichen erschien ihr fürchterlich <strong>und</strong> sie dachte daran,<br />

ihr Studium aufzugeben. Auch ihre Eltern rieten ihr dazu.<br />

1.8 Ein Schlüsselerlebnis <strong>Maria</strong> <strong>Montessoris</strong><br />

Eine Szene aus ihrem Leben wurde berühmt dafür, daß sie das Studium fortgesetzt<br />

hat. Die Szene wird auch als Schlüsselerlebnis zur Begründung des Studiums<br />

bezeichnet:<br />

"Eines Tages war sie verzweifelt, daß sie sich dem ungleichen Kampf nicht mehr<br />

gewachsen fühlte. Als sie an diesem Abend die Anatomie verließ, war sie<br />

entschlossen, die Waffen zu strecken <strong>und</strong> nach einem anderen, weniger steilen Pfad<br />

zu suchen. Ihr Heimweg führte damals durch den um diese St<strong>und</strong>e fast<br />

menschenleeren Pincio-Park. Während sie noch über ihren Entschluß<br />

nachgrübelte, kam sie an einer ärmlich gekleideten Frau mit einem kleinen, etwa<br />

zehnjährigen Kinde vorüber. Die unordentliche, schmutzige Person, offenbar eine<br />

gewerbsmäßige Bettlerin, begann sogleich um Almosen zu flehen. Während die<br />

Mutter ihr Klagelied sang, saß das kleine Wesen völlig unbeteiligt am Boden <strong>und</strong><br />

spielte mit einem bunten Papierfetzen. Der Ausdruck glücklicher<br />

Selbstvergessenheit auf dem Gesichtchen des mit ganzer Seele seinem wertlosen<br />

Spielzeug hingegebenen Kindes, erregte in der zuschauenden Studentin ein Gefühl,<br />

daß kaum besser als mit dem Vers Matthews Arnolds beschrieben werden kann:<br />

"Ein Riegel wurde in der Brust zurückgestoßen <strong>und</strong> ein verlorenes Gefühl ward<br />

neu."<br />

Ohne sich deuten zu können, was sie empfand, machte sie kehrt <strong>und</strong> ging<br />

geradewegs in die Anatomie zurück. Von St<strong>und</strong> an war ihr Widerwille gegen die<br />

unsympathische Stätte erloschen <strong>und</strong> erwachte niemals wieder. Als sie später<br />

einmal von diesem Vorfall erzählte, sagte sie: "Erklären kann ich es nicht. So ist es<br />

gewesen. Vermutlich kommt ihnen diese Geschichte ziemlich dumm vor, <strong>und</strong> wenn<br />

Sie sie jemand erzählen, würde er sie lächerlich finden.""<br />

Die Szene gewinnt an Authentizität wenn man bedenkt, daß <strong>Maria</strong> Montessori sich<br />

in ihren beiden letzten Jahren vor ihrer Promotion zur Expertin für<br />

Kinderkrankheiten ausbildet <strong>und</strong> mit kranken <strong>und</strong> geistig behinderten Kindern im<br />

Krankenhaus <strong>und</strong> in der Psychiatrie Umgang hat.


Die spätere Theorie <strong>Montessoris</strong> lautet:<br />

"Auch das leiblich - organisch ges<strong>und</strong>e Kind, kann "krank" sein, das heißt nicht<br />

"normal" sein <strong>und</strong> bedarf entsprechender Zuwendung <strong>und</strong> spezifischer Mittel, um<br />

sich durch die eigenen Kräfte mit Hilfe der Mittel zu normalisieren."<br />

1.9 Zur Studienzeit von 1894 bis 1896<br />

1894 gewinnt sie auf Gr<strong>und</strong> ihrer Leistungen in Pathologie einen Preis der Rolli -<br />

Stiftung (Abteilung für Chirurgie) <strong>und</strong> 1895 einen Wettbewerb um eine vorzeitige<br />

Assistentenstelle in der Klinik. Sie sammelt früh praktische, klinische Erfahrungen.<br />

1895 / 1896 arbeitet sie am Frauenkrankenhaus "San Salvatore al Laterno" <strong>und</strong> am<br />

Männerkrankenhaus "Ospedale Santo Spirito in Sassia" als Hilfsassistenzärztin,<br />

außerdem in der Ambulanz des römischen Kinderkrankenhauses <strong>und</strong> assistiert bei<br />

Operationen auf der Unfallstation im Notdienst.<br />

In den beiden Jahren vor dem Examen spezialisiert sich <strong>Maria</strong> Montessori auf<br />

Kinderheilk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> wird Expertin für Kleinkinderkrankheiten. In der<br />

psychiatrischen Klinik sammelt sie Material für die Doktorarbeit, die sich mit<br />

klinischen Problemen des Verfolgungswahns beschäftigt.<br />

Jeder Medizinstudent war verpflichtet im letzten Studienjahr vor seinen<br />

Mitkommilitonen einen Vortrag zu halten.<br />

Viele Zuhörer kamen nicht aus Interesse am Vortrag <strong>Montessoris</strong>, sondern in der<br />

Hoffnung auf einen Skandal. Sie behandelte ihr Thema ausgezeichnet, trug es<br />

brillant vor <strong>und</strong> faszinierte die Zuhörer durch ihre Persönlichkeit.<br />

Am Morgen des Vortrages trifft Allessandro Montessori in der Stadt einen Fre<strong>und</strong>,<br />

der ihn fragt, ob er denn nicht zu dem Vortrag seiner Tochter geht. Der Vater, der<br />

das berufliche Interesse seiner Tochter vollständig ignoriert, weiß nichts von dem<br />

Vortrag, geht aber, nachdem er überredet wird, mit. Nach der Vorlesung wird A.<br />

Montessori von vielen Menschen umringt, die ihn zu seiner Tochter<br />

beglückwünschen.<br />

Nach Standing hat sich die Entfremdung zwischen Vater <strong>und</strong> Tochter in dieser<br />

dramatischen Szene gelöst.<br />

1.10 Montessori erhält das Promotionsdiplom<br />

1896 legt <strong>Maria</strong> Montessori ihre Doktorarbeit zum Thema<br />

"Contributo clinico allo studio delle Allucinazioni a continuto antagonistico"<br />

(Ein klinischer Beitrag zum Studium des Verfolgungswahns) vor, eine Arbeit von<br />

96 handschriftlichen Seiten. Sie erhält als erste Frau Italiens das Promotionsdiplom.<br />

Ihre Leistungen sind vorzüglich: Von maximal 110 Punkten erreicht sie 105. Ihre<br />

Doktorurk<strong>und</strong>e muß handschriftlich umgeändert werden, denn der Vordruck sieht<br />

nur männliche Absolventen vor. Trotz der damaligen Ärzteschwemme sind die<br />

beruflichen Aussichten für Montessori glänzend.<br />

Ihr Abschluß wird groß gefeiert. Es ist eine Familienfeier, an der auch der Vater<br />

voller Stolz teilnimmt, sowie auch Professoren sie durch ihre Teilnahme am Fest<br />

ehren.<br />

Die Presse Roms berichtet von der ersten "dottoressa" Italiens. Sie steht jetzt in der


Öffentlichkeit. In einem Brief an Clara schreibt Montessori:<br />

"Ich bin nicht berühmt wegen meines Könnens oder meiner Klugheit, sondern<br />

wegen meines Mutes <strong>und</strong> meiner Kaltblütigkeit gegen alles."<br />

1.11 Die Zeit von 1896 bis 1898 nach dem Studium<br />

Sie eröffnet eine Privatpraxis <strong>und</strong> wird auf Gr<strong>und</strong> ihrer hervorragenden Leistungen<br />

am Krankenhaus "San Giovanni", das der Universität untersteht, als Assistenzärztin<br />

angestellt.<br />

1896 nimmt sie am Internationalen Frauenkongreß in Berlin teil <strong>und</strong> erregt durch<br />

Vorträge zur Frauenemanzipation in Italien Aufsehen.<br />

Im November wird sie Assistenzärztin in der Chirurgie am Männerkrankenhaus<br />

"Ospedale Santo Spirito in Sassia".<br />

Ende 1896 erscheint ihre erste medizinische Veröffentlichung in einer<br />

Fachzeitschrift: "Sul significato dei cristalli di Leyden nell´ asma bronchiale" (Die<br />

Bedeutung der Leydener Kristalle bei Bronchialasthma)<br />

1897 übernimmt sie eine Assistentur an der psychiatrischen Klinik der Universität.<br />

Hier lernt sie Dr. Giuseppe Montesano kennen, mit dem sie zur Ausbildung von<br />

Lehrern für geistig behinderte Kinder eng zusammenarbeitet.<br />

1.12 Montessori bekommt einen Sohn<br />

Am 31. März 1898 wird ihr Sohn Mario geboren. Er ist das Kind der Beziehung zu<br />

Dr. Montesano. Sie zieht das Kind nicht selber auf, sondern gibt es zu Bekannten<br />

aufs Land, besucht ihren Sohn aber häufig.<br />

1913 wird sie dann Mario zu sich nehmen <strong>und</strong> er wird ihr zuverlässiger, ständiger<br />

Begleiter <strong>und</strong> der Organisator der "Bewegung".<br />

Nach Aussagen des Sohnes Mario war Montesanos Familie <strong>und</strong> vor allem seine<br />

Mutter gegen die Heirat von Montesano <strong>und</strong> Montessori. Montessori, die ihren<br />

Willen eigentlich immer durchgesetzt hat, wird ihre Gründe gehabt haben, Dr.<br />

Montesano nicht zu heiraten. Dem Sohn hatten sie auch gesagt, sie hätten einander<br />

versprochen, niemals zu heiraten. Montesano habe dieses Versprechen gebrochen<br />

<strong>und</strong> eine andere Frau geheiratet.<br />

Kramer:<br />

"Vor 75 Jahren hätte die Nachricht, daß sie ein uneheliches Kind zur Welt gebracht<br />

habe, die Karriere jeder Frau zerstört, sie hätte <strong>Maria</strong> Montessori sämtliche<br />

Zukunftshoffnungen beendet, jede Möglichkeit, den Beitrag zu leisten, den sie<br />

mittlerweile als den wahren Zweck ihres Lebens ansah."<br />

Da sie die Erfahrung missen mußte, ihr Kind zu versorgen, wandte sie sich den<br />

Bedürfnissen anderer Kinder zu. Aus Liebe zu ihrem Kind, wurde die Liebe zu<br />

allen Kindern. Um 1897 bis 1901 hat sich möglicherweise ein traumatischer<br />

Zusammenhang entwickelt, bei der Abneigung gegen Montesano <strong>und</strong> dem Mann<br />

überhaupt, gegenüber Sexualität <strong>und</strong> Leiblichkeit insgesamt. Es erfolgt eine<br />

Kompensation ins Allgemein - Pädagogische. Der Verzicht auf eine eigene Familie<br />

wird ausgeglichen durch die familienähnlichen Beziehungen innerhalb der


"Bewegung" mit ihren engen Mitarbeitern, meist Frauen, die einen kindähnlichen<br />

Status erhalten.<br />

<strong>Maria</strong> Montessori gibt 1902 die Arbeit des Ausbildungsinstituts <strong>und</strong> der<br />

Modellschule auf, an denen sie mit Montesano zusammenarbeitete.<br />

1.13 Der Übergang von der Medizin zur Pädagogik<br />

Die Jahre von 1896 bis 1906 sind für <strong>Maria</strong> Montessori eine wohl entscheidende<br />

Zeitspanne gewesen. In dieser Phase vollzieht sich der Übergang von der Medizin<br />

zur Pädagogik. Sie sieht nicht nur das organisch kranke Kind als hilfsbedürftig an,<br />

sondern gelangt zu einem breiteren Verständnis des devianten Kindes. Sie erkennt<br />

die Notwendigkeit diesen Kindern zu helfen. Als Brücke zwischen beiden<br />

Bereichen stand das behinderte Kind, dem sich sowohl die Medizin, als auch die<br />

Pädagogik zuwendet.<br />

1.14 1896 bis 1909<br />

Zwischen 1896 <strong>und</strong> 1909 studiert Montessori die Schriften von Jean Marc Caspard<br />

Itard <strong>und</strong> Eduard Séguin.<br />

Sie setzt sich auch mit den Theorien von Achille de Giovanni (Medizinische<br />

Anthropologie) <strong>und</strong> Cesare Lambroso (Kriminalanthropologie) <strong>und</strong> ihres Lehrers<br />

Giuseppe Sergi (Pädagogische Anthropologie) auseinander. Von Sergi wird sie die<br />

quantitativen Methoden exakter Messung der körperlichen Entwicklung<br />

übernehmen.<br />

Abbildung 4<br />

Auf dem nationalen Ärztekongreß in Turin 1897<br />

spricht <strong>Maria</strong> Montessori über die Ursachen von<br />

Kriminalität <strong>und</strong> über den Zusammenhang von<br />

Verbrechen, sozialer Not <strong>und</strong> fehlender Schulreform.<br />

Auf dem nationalen Pädagogenkongreß 1898 fordert<br />

sie erneut die Beseitigung der sozialen Mißstände<br />

durch Schulreformen, insbesondere die Reform der<br />

Erziehung geistig behinderter Kinder. Ende 1898 wird<br />

Montessori Mitglied der Liga für die Erziehung<br />

behinderter Kinder.<br />

Hier entwickelt sie aus der Lektüre Itards <strong>und</strong> Séguins<br />

die Konsequenz einer Erziehung des Intellekts durch<br />

Schulung der Sinne. Im Kern ist damit schon die<br />

spezifische Methode <strong>Montessoris</strong> skizziert, die sie zu<br />

dieser Zeit mit behinderten Kindern praktiziert.<br />

Im Sommer 1899 reist sie im Auftrag der Liga zu<br />

Vorträgen nach Mailand, Padua, Venedig <strong>und</strong> Genua.<br />

Sie wird ins Kuratorium der Liga gewählt, ist deren<br />

Repräsentantin auf dem Frauenkongreß in Rom, hält<br />

Vorträge in London <strong>und</strong> wird von Königin Viktoria<br />

empfangen.


<strong>Maria</strong> Montessori 1898<br />

Im Herbst 1899 erhält sie eine Dozentur am Lehrerinnenausbildungsinstitut in Rom<br />

<strong>und</strong> liest über Hygiene <strong>und</strong> Anthropologie. Sie macht sich mit der Geschichte der<br />

Pädagogik <strong>und</strong> mit Erziehungstheorien vertraut.<br />

Nach dem Bruch mit Montesano verläßt sie 1902 ihr Amt als Leiterin des<br />

medizinisch - pädagogischen Instituts (mit Modellschule zur Ausbildung von<br />

Lehrern für behinderte Kinder), welches im Frühjahr 1900 eröffnet wurde.<br />

Neben den übrigen Tätigkeiten beginnt sie ein Studium der Pädagogik,<br />

Experimentalpsychologie <strong>und</strong> Anthropologie.<br />

Auf dem zweiten nationalen Pädagogenkongreß in Neapel Ende 1902 stellt sie<br />

Séguins <strong>und</strong> ihre Methode heilpädagogischer Betreuung vor. Seit 1904 hält sie<br />

Vorlesungen über Anthropologie <strong>und</strong> Biologie am pädagogischen Institut der<br />

Universität Rom. (1904 bekam sie den Lehrstuhl für Anthropologie).<br />

Von 1897 bis 1906 erscheinen weitere medizinische Veröffentlichungen.<br />

Noch vor der Eröffnung des ersten "Kinderhauses", durch welches sie weltweit<br />

berühmt wurde, hat sie bestimmte Materialien <strong>und</strong> eine spezifische Umgebung<br />

konzipiert, die sich zum Großteil nicht mehr ändern, deren Gr<strong>und</strong>gedanken sie<br />

später jedoch ausweiten wird. Vor allem die Anwendung der "Methode" im<br />

Gr<strong>und</strong>schulbereich wurde außerordentlich erfolgreich.<br />

Sie baut einen Theoriezusammenhang auf, den sie in Vorlesungen von 1904 bis<br />

1908 entfaltet <strong>und</strong> in ihrem zweiten Buch "L´ Antropologia pedagogica"<br />

(Pädagogische Anthropologie) von 1910 darstellt.<br />

Gr<strong>und</strong>lage ihrer Methode ist die <strong>Beschreibung</strong> von Meßverfahren <strong>und</strong> die<br />

Beachtung der Eigenaktivität des Kindes, außerdem eine Konzeption der<br />

spezifischen Umgebung <strong>und</strong> spezifischer Materialien sowie die Methode der<br />

Vermittlung dieser. Den Umgang mit der Umgebung, Kriterien <strong>und</strong> Instrumente<br />

zur Erfassung der Wirkung dieser Umgebung <strong>und</strong> schließlich eine anthropologische<br />

Konzeption vom Wesen des Kindes, liegen schon weitgehend ausgearbeitet vor der<br />

Eröffnung des Kinderhauses vor.<br />

1.15 Eröffnung der ersten "casa dei bambini"<br />

Am 6. Januar 1907 wird das erste "Kinderhaus" (casa dei bambini) im römischen<br />

Stadtteil San Lorenzo eröffnet.<br />

1.16 Erster Ausbildungskurs <strong>und</strong> "Il metodo" (1909 bis 1912)<br />

Im Sommer 1909 hält Montessori ihren ersten Ausbildungskurs über ihre Methode<br />

in "Città di Castello" ab.<br />

Im Anschluß daran verfaßt sie innerhalb eines Monats den Text zu "Il metodo".<br />

Das Erscheinen dieses Buches macht sie schlagartig berühmt. Es wird in den<br />

nächsten Jahren in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt <strong>und</strong> erlebt 1912 in der<br />

englischen Fassung in den USA einen überwältigenden Erfolg.<br />

Die englische Ausgabe wurde in Höhe von 5000 Exemplaren innerhalb weniger


Tage vergriffen. In England wird die Montessori-Gesellschaft gegründet <strong>und</strong> in den<br />

USA ein Montessori-Komitee. In Rom hält sie den ersten internationalen<br />

Ausbildungskurs ab.<br />

1911 wird die Montessori Methode in englischen <strong>und</strong> argentinischen Schulen<br />

praktiziert <strong>und</strong> in italienischen <strong>und</strong> schweizerischen Volksschulen eingeführt.<br />

Modellschulen entstehen in Paris, New York <strong>und</strong> Boston.<br />

1.17 <strong>Montessoris</strong> Mutter stirbt<br />

Am 20.12. 1912 stirbt Renilde Montessori <strong>und</strong> seit dem kleidet sich <strong>Maria</strong><br />

Montessori nur noch schwarz.<br />

1.18 Erste Reise in die USA (1913)<br />

Ihre erste Reise in die USA unternimmt sie 1913 <strong>und</strong> dort gelingt ihr der<br />

internationale Durchbruch.<br />

Sie wird eine weltberühmte Frau, die erste Pädagogin von internationalem Rang.<br />

Es wird die amerikanische Montessori-Education-Society gegründet.<br />

Abbildung 5<br />

<strong>Maria</strong> Montessori 1914<br />

1.19 Zweiter Ausbildungskurs <strong>und</strong> Erscheinen des<br />

zweiten Buches zur Methode<br />

Nach der Rückkehr nach Italien findet in "Castell Sant´<br />

Angelo" der zweite internationale Ausbildungskurs<br />

statt.<br />

1914 erscheint ihr zweites Buch zur Methode "Dr.<br />

<strong>Montessoris</strong> own handbook" (Mein Handbuch).<br />

1.20 Zweite Reise in die USA <strong>und</strong> Tod des Vaters<br />

1915 reist Montessori zum zweiten mal in die USA,<br />

zusammen mit Mario <strong>und</strong> hält einen Ausbildungskurs.<br />

Im November stirbt ihr Vater, Mario bleibt in<br />

Kalifornien <strong>und</strong> <strong>Maria</strong> kehrt nach Italien zurück.<br />

1916 geht sie nach Barcelona, auf die Einladung der<br />

Stadtverwaltung hin. Dort bleibt ihr Wohnsitz bis zur<br />

Machtübernahme Francos (1936).<br />

1.21 1917 bis 1922 - Dritte Reise in die USA <strong>und</strong> Vorträgen<br />

1917 hält sie Vorträge in den Niederlanden, wo die niederländische Montessori<br />

Gesellschaft gegründet wird.<br />

Sie fährt zum dritten Mal in die USA.


1919 bis 1922 hält sie Vorträge in Amsterdam, Paris, Mailand <strong>und</strong> Rom sowie in<br />

Neapel <strong>und</strong> Berlin.<br />

1.22 Montessori - Pädagogik wird zur Erziehungsmethode Italiens<br />

1924 wird dann nach der Begegnung mit Mussolini, dem Führer des italienischen<br />

Faschismus (Machtübernahme 1922), die Montessori Methode in den italienischen<br />

Schulen eingeführt <strong>und</strong> die Montessori Pädagogik zur internationalen<br />

Erziehungstheorie Italiens. Die italienische Montessori Gesellschaft (Opera<br />

Montessori) wird von der faschistischen Regierung unterstützt.<br />

1926 reist Montessori nach Südamerika <strong>und</strong> besucht Buernos Aires, La Plata <strong>und</strong><br />

Córdoba.<br />

In Genf spricht sie über Erziehung <strong>und</strong> Frieden.<br />

1.23 Gründung der AMI<br />

1929 wird der Association Montessori Internationale (AMI) von Montessori <strong>und</strong><br />

ihrem Sohn Mario mit Sitz in Berlin gegründet. (Ab 1935 ist der Sitz in<br />

Amsterdam).<br />

Darüber hinaus findet in diesem Jahr der erste internationale Montessori - Kongreß<br />

im dänischen Helsingør statt.<br />

Der Zweite findet dann 1932 in Nizza statt <strong>und</strong> 1933 der Dritte in Amsterdam.<br />

Außerdem hält sie Kurse in London, Dublin <strong>und</strong> Barcelona ab.<br />

1.24 1933 Zerstörung der Montessori - Bewegung in Deutschland<br />

Es ist das Jahr der Machtübernahme Adolf Hitlers.<br />

1933 zerstört der Nationalsozialismus dann die deutsche Montessori Bewegung.<br />

1934 findet der vierte internationale Montessori - Kongreß in Rom statt.<br />

Nach dem Konflikt mit dem italienischen Faschismus werden die Montessori<br />

Schulen geschlossen, aber ihre Methode wird für die mathematischen Bereiche<br />

angewandt.<br />

Nachdem in Spanien 1936 der Bürgerkrieg ausbricht, verläßt sie Barcelona <strong>und</strong><br />

kehrt zurück nach Italien.<br />

1936 findet der fünfte internationale Montessori - Kongreß in Oxford <strong>und</strong> der<br />

Sechste in Kopenhagen statt. 1938 findet dann der siebte Kongreß in Edinburgh<br />

statt.<br />

1.25 Flucht vor dem Faschismus, neuer Wohnsitz bis 1946 in Indien<br />

Montessori verläßt um 1936 an Bord eines englischen Kriegsschiffes Italien <strong>und</strong><br />

läßt ihren gesamten Besitz zurück. Sie lebt bis 1939 in Amsterdam. Sie verläßt


dann Europa um bis 1946 in Adjar (Indien) zu leben. Die Montessori - Bewegung<br />

bekommt auch in Indien großen Aufschwung <strong>und</strong> wird von Ghandi <strong>und</strong> Tagore<br />

unterstützt.<br />

1945 findet die allindische Montessori Konferenz in Jaipur statt.<br />

1.26 Rückkehr nach Europa (1946)<br />

Nach ihrer Rückkehr nach Europa um 1946, gibt sie in London einen<br />

Ausbildungskurs, reist dann nach Schottland <strong>und</strong> wird 1947 die "Opera<br />

Montessori" in Italien neu gründen.<br />

Es findet die Feier des ersten Jahrestages der Gründung der ersten "casa die<br />

bambini" (Januar 1947) statt. Sie plant die Eröffnung einer Montessori - Universität<br />

in Madras <strong>und</strong> reist im Herbst 1947 nach Indien <strong>und</strong> 1948 nach Ceylon <strong>und</strong> macht<br />

einen Ausbildungskurs in Pakistan.<br />

1949 findet der achte internationale Montessori - Kongreß in San Remo statt.<br />

1950 unternimmt sie eine Vortragsreise nach Norwegen <strong>und</strong> Schweden.<br />

Danach reist sie zurück nach Italien <strong>und</strong> besucht Perugia, Chiaravalle <strong>und</strong> Mailand.<br />

1951 findet der neunte internationale Montessori - Kongreß in London statt.<br />

Danach reist sie nach Tirol <strong>und</strong> gibt einen Ausbildungskurs in Innsbruck.<br />

1.27 Tod <strong>Maria</strong> <strong>Montessoris</strong> (1952)<br />

<strong>Maria</strong> Montessori stirbt am 6. Mai 1952 in Nordwijk aan Zee in den Niederlanden<br />

<strong>und</strong> wird auf dem dortigen katholischen Friedhof beigesetzt.<br />

Abbildung 6 Grabstein <strong>Maria</strong> Montessori in den Niederlanden<br />

Auf ihrem Grabstein steht geschrieben:


"Io prego i cari bambini, che possono tutto die unirsi a me<br />

per la costruzione della pacé negli uomini e nel mondo"<br />

"Ich bitte die lieben Kinder, die alles können, mit mir zusammen<br />

für den Aufbau des Friedens zwischen den Menschen <strong>und</strong> in der Welt<br />

zu arbeiten"<br />

2 Casa dei bambini<br />

Rom ist 1870 Hauptstadt des geeinigten Italiens <strong>und</strong> erlebt zu dieser Zeit einen<br />

Bauboom.<br />

Geplante Wohnbauten können auf Gr<strong>und</strong> von Boden- <strong>und</strong> Mietspekulationen nicht<br />

zu Ende gebracht werden, in den Ruinen machen sich Kriminalität <strong>und</strong> Prostitution<br />

breit.<br />

Im Stadtteil "San Lorenzo" macht sich diese Entwicklung besonders bemerkbar.<br />

Bauten werden notdürftig saniert <strong>und</strong> Familien der unteren Schicht zugewiesen.<br />

Damit die Miete gesichert werden konnte, mußten auch die Frauen mitarbeiten,<br />

deren noch nicht schulpflichtigen Kinder somit keine Betreuung hatten.<br />

Der Leiter der Sanierungsgesellschaft trat an Montessori heran, mit der Bitte, eine<br />

geeignete Betreuungsperson zu finden. Da Montessori schon lange beabsichtigte,<br />

ihre Arbeitsmethode von "behinderten" auf "normale" Kinder zu übertragen, nimmt<br />

sie die Stelle selbst an. Sie übernimmt die Leitung der ersten "Casa dei bambini",<br />

die am 6. Januar 1907 eröffnet wurde.<br />

Die Ausstattung ist ärmlich. Montessori besorgt eine Aufsichtsperson für die 2 bis<br />

6 jährigen ziemlich verwahrlosten Kinder. Sie organisiert durch Spenden Tische<br />

<strong>und</strong> Stühle <strong>und</strong> Materialien <strong>und</strong> betreut die Kinder. Sie leitet zwei Jahre lang das<br />

Kinderhaus mit einer Gruppe von 50 Kindern <strong>und</strong> hat eine Mitarbeiterin.<br />

Durch den großen Erfolg des Kinderhauses wurden weitere in Mailand <strong>und</strong> Anfang<br />

1909 auch in der Schweiz gegründet.<br />

Mit der Veröffentlichung des ersten Buches "Il metodo della pedagogia scientifica<br />

applicato all` educatione infantile nelle case die bambini" (Die Methode der<br />

wissenschaftlichen Pädagogik angewandt in der Erziehung der Kinder im<br />

Kinderhaus) von 1909 beginnt die internationale Ausbreitung von Kinderhäusern<br />

<strong>und</strong> Montessori - Schulen.<br />

In der 4. Auflage von "Il metodo" 1948 (The discovery of the child/ Die<br />

Entdeckung des Kindes) beschreibt sie ausführlich die Eröffnung des ersten "Casa<br />

dei bambini".<br />

Das besondere an diesem Kinderhaus war, daß sich die Kinder, in kurzer Zeit, von<br />

verschüchterten, wilden, unbeholfenen <strong>und</strong> weinenden Kindern in gesellige <strong>und</strong><br />

mitteilungsfreudige Kinder verwandelten. Es ergaben sich persönliche<br />

Beziehungen untereinander. Sie zeigten außerordentliches Verständnis, Aktivität,<br />

Lebhaftigkeit <strong>und</strong> Selbstvertrauen <strong>und</strong> ihre Persönlichkeit entwickelte sich.<br />

Montessori paßte die Umgebung im Kinderhaus genau der Größe <strong>und</strong> den<br />

Bedürfnissen der Kinder an. Tische <strong>und</strong> Stühle wurden den Kindern angemessen in<br />

der Größe.


Sie sind pflegeleicht, also von den Kindern selbst abwaschbar, ebenso wie die<br />

Schränke für das Material <strong>und</strong> kleine Kommoden mit Schubladen <strong>und</strong> kleine<br />

Waschtische.<br />

Im Speisezimmer befindet sich kindgemäßes Geschirr <strong>und</strong> Besteck, Bilder <strong>und</strong><br />

Pflanzen <strong>und</strong> Möbel aus Holz vermitteln eine warme, gemütliche <strong>und</strong> familiäre<br />

Atmosphäre.<br />

Jedes Kind kann sich frei entfalten <strong>und</strong> gemäß seinen Impulsen aktiv werden. Die<br />

Betreuung der Kinder hat neben dem Material einen großen Einfluß auf die Kinder.<br />

Bei der Betreuung wird besonders auf die Würde des Kindes geachtet, das Kind<br />

wird respektiert. Es wird weniger gelenkt, es werden nur Anregungen gegeben. Die<br />

eigentliche Erziehung geschieht durch die Umgebung, die Materialien <strong>und</strong> die<br />

Tätigkeiten.<br />

Die Erziehung <strong>Montessoris</strong> beschränkt sich bei der Einwirkung Erwachsener auf<br />

das Kind, nur auf Hilfen , die vom Kind gewünscht werden, außerdem auf<br />

Erläuterungen.<br />

Die freie Wahl der Gegenstände <strong>und</strong> die sich dann vollziehende Selbstaktivierung<br />

der kindlichen Kräfte sind entscheidend. Die Kräfte können nach Montessori nicht<br />

gesteuert werden.<br />

Das Sinnesmaterial ist so gestaltet, daß es dem Kind selbst die Möglichkeit zur<br />

Überprüfung der eigenen Leistung gibt, die Erfolgskontrolle durch den<br />

Erwachsenen wird überflüssig.<br />

"So wird die gesamte Umgebung zu einem strengen Erzieher, zu einem immer<br />

aufmerksamen Wachtposten. Jedes Kind empfindet seine Warnungen, als stünde es<br />

ganz allein vor diesem unbeseelten Lehrer.<br />

Der größte Teil der Materialien besitzt also eine "eingebaute Fehlerkontrolle".<br />

Dies trägt zur Selbstsicherheit der Kinder bei, da ihnen niemand sagen muß: "Das<br />

hast Du falsch gemacht, Du hast einen Fehler gemacht". Wie fre<strong>und</strong>lich auch<br />

immer man das einem Kind sagen mag, es vermittelt ein Gefühl des Versagens, der<br />

Schuld <strong>und</strong> den Vorwurf, den verantwortlichen Erwachsenen enttäuscht zu haben:<br />

Ein demütigender Effekt. Unsere Materialien vermitteln kein solches Gefühl der<br />

Scham; sie appellieren einfach an das Kind, seine Bewegungen zu perfektionieren,<br />

seinen Blick zu schärfen, aufmerksamer hinzuhören. Fehler verlieren so den<br />

Beigeschmack des Versagens <strong>und</strong> werden positive Elemente der Entwicklung: Das<br />

Kind wird mit der Tatsache vertraut, daß jedem Vervollkommnungsprozeß Fehler<br />

innewohnen. Diese sachliche Fehlerkontrolle führt das Kind dazu, bei seinen<br />

Übungen überlegt, kritisch, mit einer an Genauigkeit immer stärker interessierten<br />

Aufmerksamkeit, mit einer verfeinerten Fähigkeit, kleine Unterschiede zu erkennen<br />

zu verfahren. So wird das Bewußtsein des Kindes auf die Kontrolle der Fehler<br />

vorbereitet, auch wenn diese nicht mehr stofflich oder sinnlich wahrnehmbar sind."<br />

Der/die LehrerInn ist geduldig <strong>und</strong> zeigt die Benutzung des Materials ausführlich.<br />

Auch den eigenen Umgang des Kindes mit dem Material beeinflußt sie nicht.<br />

Montessori nennt dies die Respektierung der Eigenwürde <strong>und</strong> der Selbstkraft des<br />

Kindes.<br />

3 Die Bewegung


Wenn eine Idee weltweite Anerkennung gef<strong>und</strong>en hat, also eine Bewegung<br />

geworden ist, die ganze Länder beeinflußt, ergibt sich das Problem der<br />

Übermittlung. <strong>Maria</strong> Montessori identifizierte sich vollständig mit der Bewegung,<br />

mit ihrer pädagogischen Idee <strong>und</strong> ging in der Bewegung völlig auf. Mehr noch: Sie<br />

war die entscheidende Persönlichkeit in der internationalen Montessori -<br />

Bewegung.<br />

Durch zahlreiche Ausbildungskurse in vielen Ländern bildet sie Montessori -<br />

Lehrer aus, die selbst nicht ausbildungsberechtigt sind.<br />

Positiv ist dabei, sich die Ausbildungsfunktion vorzubehalten <strong>und</strong> damit die<br />

Reinheit <strong>und</strong> Authentizität der Erziehungsmethode zu sichern. Die Einheit <strong>und</strong><br />

Homogenität ihres Werkes wurde so überwiegend beibehalten.<br />

Kramer hingegen bewertet diese Dominanz eindeutig negativ <strong>und</strong> sieht darin eine<br />

unproduktive Erstarrung.<br />

Negativ dabei ist sicherlich, daß die Weiterentwicklung im Rahmen der Bewegung<br />

nicht möglich war. Ein negativer Nebeneffekt der weltweiten Arbeit ergab sich,<br />

neben ihrem Nomadendasein, durch die unüberschaubar gewordenen, nicht<br />

vollständig veröffentlichten, literarischen Werke, wegen der Interessen spezifischer<br />

Länder <strong>und</strong> verschiedener Standorte der Ausbildungskurse.<br />

Die Bewegung <strong>Maria</strong> <strong>Montessoris</strong> lebte von ihrem Wort, ihrer Persönlichkeit <strong>und</strong><br />

ihrem persönlichen Vortrag.<br />

4 Das Diplom<br />

Von 1909 bis 1951 bildete sie in ihren Kursen ca. 4000 bis 5000 Menschen aus.<br />

Nach der bestandenen Prüfung erhielt man ein von ihr unterzeichnetes Diplom, daß<br />

den Inhaber berechtigt, eine Montessori - Schule zu eröffnen. Hat man dann zwei<br />

Jahre in dieser Schule gearbeitet, bekommt man dies im Diplom bestätigt.<br />

5 Itard <strong>und</strong> Séguin <strong>und</strong> ihr Einfluß auf Montessori<br />

Der Schüler in er französische Arzt Jean - Marc Gaspard Itard<br />

(1775 - 1838) führte als erster Erzieher die Beobachtung der<br />

Praxis durch. Er gilt als Begründer der Heilpädagogik.<br />

Insbesondere durch seine beiden Berichte über einen, in den<br />

Wäldern von Aveyron aufgewachsenen, sprachlosen elf bis<br />

zwölfjährigen Jungen, den er Victor nannte <strong>und</strong> den er zu<br />

erziehen <strong>und</strong> zu unterrichten versuchte, veranschaulicht er die<br />

Ideale der Aufklärungsepoche. Charakteristisch für die Zeit<br />

der Aufklärung ist es, jeden Menschen zu einem nützlichen<br />

Mitglied der Gesellschaft zu erziehen.Während im Mittelalter<br />

nur Armen- <strong>und</strong> Waisenkinder in "Industrieschulen"<br />

beschäftigt wurden, damit diese ihren Lebensunterhalt selbst<br />

verdienen <strong>und</strong> dem Staat nützlich werden, nimmt sich die<br />

Aufklärung auch der sinnes- <strong>und</strong> geistesbehinderten Kinder<br />

an. Sie werden hierdurch zur aktiven <strong>und</strong> produktiven<br />

Lebensführung befähigt.


Der Schüler Itards, Eduard Séguin (1812 - 1880), der zuerst<br />

Lehrer <strong>und</strong> dann Arzt war, ging von Itards Versuchen aus.<br />

Unter Veränderung <strong>und</strong> Ergänzung der Methode Itards,<br />

wandte er diese an Kindern an <strong>und</strong> sammelte über einen<br />

Zeitraum von zehn Jahren Erfahrung, die er in zwei Berichten<br />

festhielt.<br />

<strong>Maria</strong> Montessori orientiert sich insbesondere am zweiten<br />

Hauptwerk Séguins: "Traitement moral, hygiène et éducation<br />

des idiots" (1846).<br />

Ausgangspunkt der heilpädagogischen Überlegungen<br />

<strong>Montessoris</strong> ist eine Beobachtung bei Besuchen in den<br />

römischen "Irrenanstalten". Sie ist 1897 Assistentin an der<br />

psychiatrischen Klinik <strong>und</strong> besucht Kinder in "Irrenanstalten",<br />

um sie zur Behandlung auszuwählen.<br />

Sie stellt fest, daß die Kinder in den Häusern in kerkerartigen<br />

Gewölben untergebracht werden. Auch haben sie keinerlei<br />

Spielzeug oder Gegenstände, mit denen sie sich haben<br />

beschäftigen können.<br />

<strong>Maria</strong> Montessori sagt dazu:<br />

"Ihnen zur Unabhängigkeit von der Hilfe anderer <strong>und</strong> zur Menschenwürde zu<br />

verhelfen, das war eine Aufgabe, die so an mein Herz apellierte, daß ich jahrelang<br />

nicht von ihr loskam."<br />

Der entscheidende Gedanke bei Itard <strong>und</strong> Séguin ist die "Physiologische Methode"<br />

(Séguin): Hierunter ist die Einheit von Intellekt <strong>und</strong> Sinnestätigkeit bzw. Motorik<br />

<strong>und</strong> die Aktivierung des Intellekts, die Einwirkung auf die Sinne <strong>und</strong> den<br />

Bewegungszusammenhang zu verstehen.<br />

Geistige Behindertheit äußert sich ja zunächst als Sinnesschädigung. Die<br />

Aktivierung des Geistes geschieht daher über die Übung der Sinne. <strong>Maria</strong><br />

Montessori experimentiert an der Modellschule mit sinnesaktivierenden<br />

Materialien. Sie orientiert sich stark an Séguins Buch <strong>und</strong> beherzigt Itards<br />

großartige Erfahrungen. Sie ließ ein besonders reichhaltiges Lehrmaterial erstellen,<br />

wobei sie sich auf die Texte stützte.<br />

Itard erfand für seinen Zögling eine eigene Methode des Lesenlernens.<br />

Er klebte einen roten Kreis, ein<br />

blaues Dreieck <strong>und</strong> ein schwarzes<br />

Viereck auf ein Brett <strong>und</strong> gab den<br />

Jungen drei Stück Pappe der<br />

gleichen Größe, Form <strong>und</strong> Farbe,<br />

die er auf die Figuren legen sollte.<br />

Von dieser Übung ging er zu<br />

komplizierteren über <strong>und</strong><br />

schließlich zu einem Satz von<br />

Pappbuchstaben Das Sortieren


Dieser Zusammenhang spielt auch bei Montessori eine Rolle.<br />

<strong>und</strong> Ordnen zu gleichen Paaren<br />

führte schließlich dazu, daß der<br />

Junge die Buchstaben LAIT<br />

(franz. Milch) heraussuchte, wenn<br />

er Milch wollte.<br />

Der Versuch des Lesens wird also<br />

mit manueller Tätigkeit<br />

gekoppelt.<br />

Montessori übernimmt Theorie <strong>und</strong> Praxis ihrer "Lehrmeister" <strong>und</strong> führt zugleich<br />

über sie hinaus. Sie verfeinert <strong>und</strong> systematisiert das Ganze der Materialien.<br />

Es entsteht das "Didaktische Material".<br />

Sie überträgt die Funktion der Materialien auf die Normalerziehung. Denn sie<br />

entdeckt, daß der Umgang nicht - behinderter Kinder mit diesen Materialien bei<br />

den Kindern eine Veränderung herbeiführt: Eine "Explosion" sowie<br />

"Konzentration" "die Normalisierung des Verhaltens". Es gelang ihr, geistig<br />

zurückgebliebenen Kindern, das Lesen <strong>und</strong> Schreiben in Schönschrift<br />

beizubringen. Diese Kinder konnten dann in einer öffentlichen Schule zusammen<br />

mit "normalen" Kindern eine Prüfung ablegen, die sie auch bestanden. Sie stellte<br />

fest, daß glückliche <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>e Kinder in gewöhnlichen Schulen auf sehr<br />

niedrigem Niveau gehalten wurden, da sie bei Prüfungen der Intelligenz von den<br />

behinderten Kindern, die <strong>Maria</strong> Montessori gefördert hat, eingeholt wurden.<br />

Montessori sieht das Problem der geringen geistigen Lernfähigkeit "normaler"<br />

Schüler in der ungenügend aktivierenden Umgebung der Schule selbst. Durch<br />

Montessori erreichte man eine gr<strong>und</strong>legende Verbesserung schulischer, aber auch<br />

vorschulischer Erziehungspraxis.<br />

6 Das Montessori Arbeitsmaterial<br />

Itard entwickelte vor allem zwei Prinzipien, die dann bei Séguin <strong>und</strong> vor allem bei<br />

Montessori eine zentrale Rolle spielen.<br />

6.1 Die Isolierung des einzelnen Sinnes beim Training<br />

(siehe bei Montessori unterschiedlich große Einsatzzylinder, die der Schulung der<br />

Augen dienen, das Unterschiede in der Ausdehnung erkennen muß.)


Itard:<br />

"Da von allen Sinnen der Gehörsinn derjenige ist,<br />

welcher hauptsächlich zur Entwicklung unserer<br />

intellektuellen Fähigkeiten beiträgt, ....(). Ich kam<br />

zu dem Schluß, daß man dieses Organ, um es zu<br />

wecken, gleichsam isolieren müsse ..().<br />

Demzufolge verband ich Victors Augen mit einer<br />

dichten Binde <strong>und</strong> ließ an sein Ohr die stärksten<br />

<strong>und</strong> einander unähnlichsten Töne schallen. Meine<br />

Absicht war, sie ihn nicht nur zu Gehör zu<br />

bringen, sondern sie auch von ihm unterscheiden<br />

zu lassen."<br />

1. Aus Metall, Holz <strong>und</strong> Filz bestehen<br />

jeweils zwei Plättchen, die gemischt, mit<br />

geschlossenen Augen ertastet <strong>und</strong><br />

einander zugeordnet werden.<br />

Unterschiedliche Flächenbeschaffenheit<br />

des Materials <strong>und</strong> verschiedene<br />

Temperaturempfindungen werden<br />

wahrgenommen.<br />

2. Sandpapierplättchen unterschiedlicher<br />

Körnung werden gemischt, mit<br />

verb<strong>und</strong>enen Augen ihrer haptischen<br />

Qualität entsprechend erfaßt <strong>und</strong> als Paare<br />

nebeneinander gelegt.


Einzelne Buchstaben in<br />

Schreibschrift sollen mit<br />

verb<strong>und</strong>enen Augen über die<br />

Fingerspitzen erkannt werden.<br />

Dies geschieht nur über den<br />

angerauhten Weg, den die Finger<br />

ertasten, hier mit der<br />

Erschwernis, daß die Buchstaben<br />

auf dem Kopf stehen.<br />

6.2 Das Prinzip von grob unterschiedlichen Sinneseindrücken zu immer<br />

feineren Unterschieden zu gelangen.<br />

(siehe <strong>Montessoris</strong> Farbtäfelchen, aber auch wieder Einsatzzylinder <strong>und</strong> Sinnesmaterial des Gehörsinnes)<br />

Farbtäfelchen mit acht Gr<strong>und</strong>farben <strong>und</strong> jeweils acht Abtönungen sollen paarweise<br />

zugeordnet werden.<br />

Dies erfordert Konzentration.<br />

Zur Unterscheidung verschiedener Dimensionen sind die Einsatzzylinder,<br />

(Abbildung 10 Einsatz- zylinder <strong>Montessoris</strong>), gedacht. Der Gesichtssinn wird<br />

angesprochen, gleichzeitig gilt diese Übung als eine wichtige feinmotorische<br />

Vorbereitung zum Schreiben. Das Kind faßt die "Knöpfe" der Zylinder mit den drei<br />

Fingern an, die es später zum Halten des Stiftes benutzt. Zehn Zylinder befinden<br />

sich in jedem der vier Holzblöcke, was beiläufig auf das Zehnersystem hinweist.<br />

6.3 Anwendung des Materials<br />

Der/die LehrerIn zeigt dem Kind die Übung, während es zuschaut. Dann probieren<br />

sie die Übung gemeinsam.<br />

Weil die Kinder nicht nur von Lehrern, sondern auch durch Nachahmung von<br />

älteren Kindern lernen, werden in Montessori Schulen altersheterogene Gruppen<br />

bevorzugt. So finden sich häufig zwei bis drei Klassenstufen in einem Raum.<br />

"In einer Montessori - Umgebung werden die Kinder in gemischten Altersgruppen,<br />

die etwa drei Lebensjahre umfassen, zusammengefaßt, also etwa die drei- bis<br />

sechsjährigen, die sechs- bis neunjährigen <strong>und</strong> die neun- bis zwölfjährigen; wo<br />

immer möglich, wird den Gruppen eine leichte Zugangsmöglichkeit untereinander<br />

gewährt.<br />

Eine der zweckmäßigsten Neuerungen, die unsere Schule eingeführt hat, besteht<br />

meiner Ansicht nach darin, daß wir Kinder verschiedenen Alters in Gruppen


zusammenfassen, in denen sie miteinander leben <strong>und</strong> lernen.<br />

Da gibt es nicht nur auf der materiellen Ebene Hilfe, irgendwie findet auch auf der<br />

Ebene der Handlungen <strong>und</strong> Gefühle wirklich etwas statt. Ich glaube, eines Tages<br />

wird man verstehen, daß es der Natur zuwider läuft, wenn man Kinder nach<br />

Jahrgängen voneinander trennt - es schafft Langeweile <strong>und</strong> erschwert den<br />

geistigen Austausch. Auch die intellektuelle Entwicklung wird behindert, wenn<br />

Personen gleichen Alters separiert werden, denn dies führt zu intellektuellem<br />

Wettbewerb, weil Erwachsene häufig, um Unterschiede zwischen den Kindern<br />

auszumachen, dazu Zuflucht nehmen, solche über <strong>und</strong> unter einem künstlichen<br />

Durchschnitt herauszufinden.<br />

Die gemischten Altersgruppen ermöglichen es, daß nicht nur Wettbewerb<br />

verhindert, sondern auch Neid, Disziplinprobleme <strong>und</strong> exzessive Abhängigkeit von<br />

Erwachsenen abgebaut werden. Die sozialen Beziehungen der Kinder<br />

untereinander werden verstärkt."<br />

Bei den Materialien handelt es sich nicht um "Spielzeug", mit dem Kinder<br />

gemeinsam spielen können (Montessori nennt es Arbeitsmaterial). Sie stellen<br />

vielmehr Hilfsmittel dar, die das Kind zu einer gegebenen Zeit benutzt, um<br />

bestimmte Funktionen zu entwickeln. Der Unterricht in einer Montessori Schule<br />

besteht zu einem großen Teil aus sogenannter "freier Arbeitszeit" bzw. "Freiarbeit"<br />

6.4 Montessori stellt folgende Anforderungen an das Material<br />

• Das Material muß der individuellen Entwicklungsstufe des Kindes<br />

Rechnung tragen<br />

• Es soll die Aufmerksamkeit fesseln<br />

• Das Material muß ein hierarchisches Ordnungsprinzip enthalten<br />

• Die Anzahl des Materials ist begrenzt, es gibt von jedem Spielzeug nur<br />

eines, weil ein Überangebot die Aufmerksamkeit beeinträchtigt, außerdem<br />

hat dies auch eine soziale Bedeutung: die Kinder lernen zu warten, üben<br />

Geduld <strong>und</strong> es verleiht auch eine gewisse Qualität des Einzigartigen<br />

• Die Isolation einer einzigen Eigenschaft initiiert eine geistige Ordnung <strong>und</strong><br />

fördert das Wachstum an Interesse <strong>und</strong> Konzentration<br />

• Das Material soll eine Fehlerkontrolle enthalten, zur Selbsterziehung,<br />

Unabhängigkeit der Erwachsenen <strong>und</strong> wegen der unmittelbaren Erkenntnis<br />

des Tuns, ob es richtig oder falsch ist<br />

• Das Material zeichnet sich durch Einfachheit aus<br />

• Es soll einen Ganzheitscharakter haben, das konkrete Einzelmaterial muß<br />

sich als Detail zugleich immer als Teil des Ganzen darstellen


Es gibt außer dem Sinnesmaterial <strong>und</strong> dem<br />

Sprachmaterial auch mathematisches Material:<br />

Das Multiplikationsbrett, das H<strong>und</strong>erterbrett,<br />

das Divisionsbrett <strong>und</strong> das Streifenbrett zur<br />

Addition sowie die geometrischen Kreise.<br />

Darüber hinaus gibt es einen "Binomischen<br />

Würfel", für blinde Kinder mit Rillen<br />

gekennzeichnet, die anderen Kinder orientieren<br />

sich an den Farben der Würfelseiten. Die<br />

Vorbereitung zur Algebra wird hierdurch schon<br />

im Kinderhaus spielerisch angedeutet.<br />

• Die geometrischen Kreis sind beweglich <strong>und</strong> austauschbar. Sie dienen dem<br />

anschaulichen Lernen der Bruchrechnung. Dazu gibt es Aufgabenkarten, mit<br />

denen die Kinder Aufgaben gestellt bekommen.<br />

6.5 Montessori Material: Übungen des täglichen Lebens<br />

Séguin kannte auch bereits die Übung, eine Jacke zuzuknöpfen <strong>und</strong> einen Schuh<br />

zuschnüren zu müssen. Er ließ seinen Zögling Klötze in bestimmten Dimensionen<br />

miteinander kombinieren <strong>und</strong> legen um dem Griff Festigkeit zu geben.<br />

Ein Nagelbrett, das mit Löchern durchbrochen ist, in die einige Nägel genau<br />

passen, die das Kind hineinsteckt <strong>und</strong> herauszieht, ist dafür gedacht, die Hand in<br />

Präzision zu üben.<br />

Unähnliche Dinge werden durch Gegenüberstellung gelehrt. Übungen, die<br />

üblicherweise mit den Augen gemacht werden, werden mit den Fingern ausgeführt.<br />

Sitzen wird durch Stehen abgelöst. Aufmerksames Schweigen wird durch das<br />

Ausstoßen von Lauten ersetzt.<br />

Zusätzlich gibt es auch Material zu den "Übungen des täglichen Lebens". Die<br />

"Übungen des täglichen Lebens" bestehen bei Montessori aus Schnürriemen<br />

binden, Gürtelschnallen öffnen <strong>und</strong> schließen sowie aus kochen, putzen, waschen,<br />

bügeln, u.s.w.. Die Kinder lernen dies schon im frühen Alter, mit geeignetem<br />

kindgerechten Material, in der Größe an das Kind angepaßt, um sie so zur<br />

Selbständigkeit zu erziehen.


7 Kurzer Überblick über die <strong>Maria</strong> Montessori - Methode<br />

Illustration from the 1916<br />

cataloque of the "House of<br />

children" in New York<br />

City, one of the first<br />

manufacturers of<br />

Montessori education<br />

material<br />

• Leitsätze:<br />

1. Hilf` mir es selbst zu tun<br />

2. Nicht das Kind soll sich der Umgebung anpassen, sondern wir<br />

sollten die Umgebung dem Kind anpassen.<br />

3. Selbsttätigkeit führt zur Selbständigkeit<br />

• Kinderhaus: reichhaltiges Angebot an "Arbeitsmaterial", Möglichkeit zur<br />

Selbständigkeit, freie Arbeitsauswahl, individuelles Lerntempo<br />

• Erziehung <strong>und</strong> Entwicklung des Geistes durch Sinnesmaterial <strong>und</strong> Übungen<br />

des täglichen Lebens<br />

• Übergang von Kinderhaus zur Gr<strong>und</strong>schule ist fließend <strong>und</strong> ohne Bruch, das<br />

Kind wird schon vor dem 6. Lebensjahr gefördert, ohne es zu überfordern<br />

• Konzept der <strong>Maria</strong> Montessori - Schule: geschlechts- <strong>und</strong> altersgemischte<br />

Gruppen kein 45-Minuten Takt, sachgeb<strong>und</strong>ene Arbeit am<br />

Entwicklungsmaterial, Lehrer ist Beobachter <strong>und</strong> Helfer, bzw. Begleiter<br />

• sachlich <strong>und</strong> räumlich vorbereitete Umgebung, Wahl- <strong>und</strong><br />

Bewegungsfreiheit (Arbeit am Tisch oder auf dem Boden), Kontakt mit der<br />

Umgebung sammeln: natürliche, sensorische <strong>und</strong> kulturelle Erfahrungen<br />

• Kinder haben Zeit zur Entwicklung einer unschätzbaren<br />

Konzentrationsfähigkeit<br />

• Jahrgangsübergreifende Lerngruppen: Ältere Kinder helfen den jüngeren<br />

<strong>und</strong> haben dabei die Möglichkeit der Wiederholung, die anderen sehen im<br />

älteren Schüler den Helfer (Soziales Lernen)


• Zeitpunkt zur Erreichung des Ziels bleibt dem Kind selbst überlassen<br />

• Zusammenarbeit mit den Eltern wird wichtig genommen: die Eltern<br />

hospitieren <strong>und</strong> dürfen Kritik anbringen<br />

• "Erziehung zum Frieden", sie muß im frühen Kindesalter anfangen, der<br />

Erwachsene trägt die Verantwortung für die Entwicklung<br />

• Kind muß körperliche Aktivitäten frei entfalten können, Bewegung wird in<br />

Zusammenhang mit der Intelligenz gesehen: motorische Koordination,<br />

räumliches Wahrnehmungsvermögen, Lernen den Körper funktional zu<br />

gebrauchen, optimale Entwicklung der Psyche <strong>und</strong> des Intellekts hängt von<br />

physischer Bewegung ab, Umgebung (die bei Montessori eine wichtige<br />

Rolle spielt), wird durch Bewegung erforscht, Erlangung der<br />

Unabhängigkeit durch Bewegung,<br />

• Unterricht besteht zum größten Teil aus "Freier Arbeitszeit"<br />

• Respekt vor dem menschlichen Lebewesen in allen Stufen seiner<br />

Entwicklung<br />

• Erziehung als Lebenshilfe ,Hilfe für die menschliche Person, ihre<br />

Unabhängigkeit zu erobern<br />

• vorbereitete Umgebung wird zum Erzieher, der Erwachsene nimmt sich<br />

immer mehr zurück (Entwicklung heißt: immer mehr Unabhängigkeit zu<br />

erlangen)<br />

• Erziehung zur Ordnung <strong>und</strong> Disziplin: Material hat einen ganz bestimmten<br />

Platz, zu dem es nach Benutzung zurückgebracht werden soll<br />

• Behinderte Kinder werden in Gruppen integriert (mehr Toleranz, soziales<br />

Lernen)<br />

• Ziele der Erziehung: Selbständigkeit zur Lebensbewältigung, Disziplin,<br />

soziale Umgangsformen <strong>und</strong> Friedfertigkeit<br />

• Historischer Hintergr<strong>und</strong> des Modells: Reformpädagogik, Frauenbewegung -<br />

Kinderarbeit


7.1 Freie Arbeit<br />

Die Freiarbeit nimmt in der Schule einen hohen Stellenwert ein. Die Räume<br />

müssen entsprechende Weite haben (Bewegungsfreiheit/psychisch wohltätige<br />

Wirkung). Das Kind kann sich im Klassenzimmer frei bewegen <strong>und</strong> sich<br />

beschäftigen (Beschäftigungsfreiheit). Der Raum muß auch die Möglichkeit der<br />

Isolierung bieten (Absonderungsmöglichkeit einzelner oder einer Gruppe) Die<br />

Umgebung ist ansprechend, wohnlich mit Pflanzen <strong>und</strong> Tieren gestaltet. Die<br />

Einrichtungsgegenstände lassen sich nach Belieben verschieben, solange die<br />

anderen Kinder nicht dabei gestört werden (Gestaltungsfreiheit). Tische stehen in<br />

Tischgruppen unterschiedlicher Größe, in der sich der Tisch des Lehrers<br />

eingliedert, die Kinder dürfen entscheiden, mit wem sie arbeiten wollen (Alleine,<br />

Partner- oder Gruppenarbeit).<br />

An den Wänden stehen offene Regale , in denen Material zur Selbstbildung steht.<br />

Das Kind darf das Thema selbst wählen, das Material selbst wählen <strong>und</strong> darf auch<br />

von einem Klassenraum in den anderen gehen. Die Klassen- bzw. Gruppenräume<br />

sind nicht streng voneinander getrennt. ("Jede Gruppe hat ihre Umgebung, ist aber<br />

nicht voneinander isoliert").<br />

Damit es nicht zu Mißverständnissen führt: die Montessori - Schule gibt den<br />

Schülern nur eine begrenzte Auswahl an Material, die Kinder können nicht lernen,<br />

was sie wollen. Es gibt ein vorgeschriebenes Programm. Es wird den Kindern so<br />

viel Freiheit wie möglich, innerhalb des Rahmens, gegeben.<br />

7.2 Sensible Phasen<br />

(Den Begriff "sensible Phasen" hat Montessori 1917 von de Vries übernommen)<br />

"Der holländische Gelehrte de Vries entdeckte die Empfänglickeitsperioden bei den<br />

Tieren, <strong>und</strong> uns gelang es in unseren Schulen, dieselben "Sensiblen Perioden" auch<br />

in der Entwicklung der Kinder festzustellen <strong>und</strong> den Zwecken der Erziehung<br />

nutzbar zu machen.<br />

Es handelt sich um besondere Empfänglichkeiten, die in der Entwicklung, daß heißt<br />

im Kindesalter der Lebewesen auftreten. Sie sind von vorübergehender Dauer <strong>und</strong><br />

dienen nur dazu, dem Wesen die Erwerbung einer bestimmten Fähigkeit zu<br />

ermöglichen. So bald dies geschehen ist, klingt die entsprechende Empfänglichkeit<br />

wieder ab." 10<br />

"Im Bezug auf das Menschenkind, ist von besonderer Wichtigkeit: auf der einen<br />

Seite haben wir es mit einem inneren Anstoß zu tun, der zu den<br />

bew<strong>und</strong>erungswürdigsten Leistungen führt, auf der anderen mit Perioden einer<br />

Gleichgültigkeit, die blind <strong>und</strong> leistungsunfähig macht. Auf diese gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Entwicklungsstadien vermag der Erwachsene in keiner Weise von außen her<br />

einzuwirken. Hat das Kind aber nicht die Möglichkeit gehabt, gemäß den inneren<br />

Direktiven seiner Empfänglichkeitsperioden zu handeln, so hat es die Gelegenheit<br />

versäumt, sich auf natürliche Weise eine bestimmte Fähigkeit anzueignen; <strong>und</strong><br />

diese Gelegenheit ist für immer vorbei." 10<br />

"Das Erlernen einer neuen Sprache nötigt den Erwachsenen zu harter Arbeit, <strong>und</strong><br />

dennoch erreicht er niemals die Vollendung, mit der er seine in der Kindheit


erworbene Muttersprache beherrscht.<br />

Das Kind macht seine Erwerbungen in seinen Empfänglichkeitsperioden. Diese<br />

sind einem Scheinwerfer vergleichbar, der einen bestimmten Bezirk des Inneren<br />

taghell erleuchtet, vielleicht auch einem Zustand elektrischer Aufladung." 10<br />

"Ist die Phase vorbei, so können weitere Errungenschaften nur mit reflektierender<br />

Tätigkeit, mit Aufwand von Willenskraft, mit Mühe <strong>und</strong> Anstrengung gemacht<br />

werden."<br />

"Stößt das Kind jedoch während einer Empfänglichkeitsperiode auf ein Hindernis<br />

für seine Arbeit, so erfolgt in der Seele des Kindes eine Art Zusammenbruch, eine<br />

Verbildung." 10<br />

Montessori beschreibt in ihrem Buch "Kinder sind anders" ganz genau die<br />

"Sensiblen Phasen". Sie erklärt, in welchem Alter Kinder für bestimmte Dinge<br />

empfänglich sind.<br />

Die erläutert sie anhand von Beispielen aus der Praxis. Sie geht auch auf Anzeichen<br />

ein, die das Einsetzten der "Sensiblen Phasen" erkennen lassen. Unter anderem hebt<br />

sie auch die "Sensible Periode" des Ordnungssinns hervor. Sie stellt mit einigen<br />

Beispielen die quälenden Konflikte, die in der kindlichen Seele hervorgerufen<br />

werden, wenn das Kind im Umfeld eine Unordnung der Dinge <strong>und</strong> der Personen<br />

wahrnimmt, vor.<br />

7.3 Die kosmische Entfaltung des Kindes<br />

Damit ist gemeint, daß alle Lebewesen mit ihrer Umgebung, in einem<br />

wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Alle Lebewesen habe eine<br />

"kosmische Mission auf der Erde". Wir sind alle Teil einer "kosmischen Ordnung"<br />

<strong>und</strong> haben den Auftrag, unsere Aufgabe zu erfüllen. Die Gr<strong>und</strong>lage der Montessori<br />

- Erziehung ist, daß wir Teil dieser "kosmischen Ordnung" sind <strong>und</strong> die "kosmische<br />

Entfaltung" des Kindes berücksichtigen sollten. Die Bedürfnisse eines jeden<br />

lebenden Wesens sollen befriedigt werden. Wichtig ist ihr dabei der Respekt vor<br />

dem menschlichen Wesen in allen Stufen seiner Entwicklung.<br />

7.4 Polarisierung der Aufmerksamkeit zur Normalisierung des individuellen -<br />

schöpferischen Lebens<br />

Damit ist gemeint: Die Aufmerksamkeit des Kindes ist auf eine einzige Sache<br />

gerichtet, zum Beispiel auf die Handhabung eines bestimmten Materials. Diese<br />

Konzentration bewirkt bei dem Kind eine sogenannte "Normalisierung". Läßt man<br />

das Kind in Ruhe mit der bestimmten vorbereiteten Umgebung, dann entwickelt es<br />

sich "normal". Dazu gibt es ein berühmtes Beispiel, das sich als Montessori -<br />

Phänomen bezeichnen läßt <strong>und</strong> in die Geschichte der Pädagogik eingegangen ist.<br />

Montessori erzählt eine Begebenheit von einem dreijährigen Mädchen, das<br />

tiefversunken mit einem Einsatzzylinderblock beschäftigt war:


8 Die Rechte des Kindes<br />

"Zu Anfang beobachtete ich die Kleine, ohne sie zu stören,<br />

<strong>und</strong> begann zu zählen, wie oft sie die Übung wiederholte,<br />

aber dann, als ich sah, daß sie sehr lange damit fortfuhr,<br />

nahm ich das Stühlchen, auf dem sie saß, <strong>und</strong> stellte<br />

Stühlchen <strong>und</strong> Mädchen auf den Tisch; die Kleine<br />

sammelte schnell ihr Steckspiel auf, stellte den Holzblock<br />

auf die Armlehnen des kleinen Sessels, legte sich die<br />

Zylinder in den Schoß <strong>und</strong> fuhr mit ihrer Arbeit fort. Da<br />

forderte ich alle Kinder auf zu singen; sie sangen, aber das<br />

Mädchen fuhr unbeirrt fort, seine Übung zu wiederholen,<br />

auch nachdem das kurze Lied beendet war. Ich hatte 44<br />

Übungen gezählt; <strong>und</strong> als es endlich aufhörte, tat es dies<br />

unabhängig von den Anreizen der Umgebung, die es hätte<br />

stören können; <strong>und</strong> das Mädchen schaute zufrieden um<br />

sich, als erwachte es aus einem erholsamen Schlaf - Mein<br />

unvergeßlichen Eindruck glich, glaube ich dem, den man<br />

bei einer Entdeckung verspürt."<br />

Der Text über die "Rechte des Kindes" aus der Zeitschrift für Montessori -<br />

Pädagogik "Das Kind" enthält zehn Gr<strong>und</strong>sätze. Er wurde mit der Genehmigung<br />

der deutschen UNESCO - Kommission abgedruckt.<br />

In groben Stichworten behindert er die Gr<strong>und</strong>sätze,<br />

• die das Kind schützen<br />

• ihm Fürsorge<br />

• Anspruch auf Unterricht<br />

• Hilfe<br />

• Erziehung<br />

• körperliche <strong>und</strong> seelische Ges<strong>und</strong>heitsförderung (ärztliche Betreuung)<br />

• staatliche <strong>und</strong> anderweitige finanzielle Unterstützung<br />

• soziale Sicherheit<br />

• keine Benachteiligung wegen Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache,<br />

Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer<br />

Herkunft, Geburt oder sonstiger Umstände<br />

• ausreichende Ernährung<br />

• Wohnung<br />

• <strong>und</strong> Erholung zusichern.<br />

9 Bedingung der Erziehung: Verständnis der Erwachsenen<br />

Der Anspruch <strong>Montessoris</strong> ist der, die Erwachsenen im Hinblick auf ihr Verhalten<br />

zu den Kindern zu sensibilisieren <strong>und</strong> zu verändern. Sie kritisiert die Erwachsenen<br />

vor allem in "Kind sind anders".<br />

Sie beschreibt, wie schon direkt nach der Geburt das Baby unsanft berührt,


gewaschen, in Decken <strong>und</strong> enge Kleidung gehüllt, grellem Licht <strong>und</strong> Kälte<br />

ausgeliefert <strong>und</strong> der Mutter fortgenommen wird. Montessori hat hierzu ein Gedicht<br />

geschrieben (siehe "Kinder sind anders", Seite 33 ff).<br />

Das Verhalten der Erwachsenen beschreibt sie wie folgt:<br />

"Der Erwachsene ist in seinem Verhalten zum Kind egozentrisch - nicht egoistisch,<br />

aber egozentrisch. Alles was die Seele des Kindes angeht, beurteilt er nach seinen<br />

eigenen Maßstäben, <strong>und</strong> dies muß zu einem immer größeren Unverständnis führen.<br />

Von diesem Blickpunkt aus erscheint ihm das Kind als ein leeres als ein träges <strong>und</strong><br />

unfähiges Wesen, dem er jegliche Verrichtung abnehmen muß, als ein Wesen ohne<br />

innere Führung, das der Führung durch den Erwachsenen bedarf. Schließlich führt<br />

sich der Erwachsene als Schöpfer des Kindes <strong>und</strong> beurteilt Gut <strong>und</strong> Böse der<br />

Handlungen des Kindes nach dessen Beziehungen zu ihnen selbst. So wird der<br />

Erwachsene zum Maßstab von Gut <strong>und</strong> Böse. Er ist unfehlbar, nach seinem Vorbild<br />

hat sich das Kind zu richten, <strong>und</strong> alles im Kinde, was vom Charakter des<br />

Erwachsenen abweicht, gilt als ein Fehler, den der Erwachsenen eilends zu<br />

korrigieren sucht.<br />

Mit einem solchen Verhalten glaubt der Erwachsene um das Wohl des Kindes<br />

eifrig, voll Liebe <strong>und</strong> Opferbereitschaft besorgt zu sein. In Wirklichkeit aber löscht<br />

er damit die Persönlichkeit des Kindes aus."<br />

10 Relevanz <strong>und</strong> Verbreitung des Modells <strong>Maria</strong> <strong>Montessoris</strong> in Kultur <strong>und</strong><br />

Praxis<br />

Die Montessori - Methode ist auf der ganzen Welt heute noch sehr verbreitet <strong>und</strong> es<br />

entstehen immer mehr Montessori - Kinderhäuser <strong>und</strong> Montessori - Schulen.<br />

Viele Straßen wurden nach ihr benannt. Um nur einige zu nennen:<br />

• Montessori - Allee in Bonn<br />

• <strong>Maria</strong> Montessori - Straße in Wallenhorst<br />

• Montessori - Straße in der Ortsgemeinde Niederolm<br />

Darüber hinaus gibt es viele Schulen, Organisationen <strong>und</strong> Privatleute, die ihre<br />

Konzepte, Satzungen <strong>und</strong> Referate weltweit im Internet anbieten.<br />

Allein die Internetsuchmaschine ALTAVISTA bietet zu dem Schlüsselwort<br />

"Montessori" genau 17.926 Verweise an. Ein kleine Auswahl der "links":<br />

• Montessori Network http://www.montessori.org<br />

• Montessori World Ltd. Http://www.montessori.co.uk<br />

• Montessori Fo<strong>und</strong>ation centre (Virginia)<br />

• American Montessori Society (New York)<br />

• Association Montessori International (AMI, Cansas City)<br />

• Miami Montessori Teacher Training Institute at Alexander - Montessori -<br />

School<br />

• Über 30 Schulen in Amerika, die sich online im Internet präsentieren


(Diese Quellen habe ich unter anderem bei der Recherche zum meinem Referat<br />

genutzt.)<br />

Die Elemente der Montessori - Pädagogik <strong>und</strong> das Material sind auch in "Nicht -<br />

Montessori - Schulen" weit verbreitet.<br />

Das Kultusministerium führte in allen Schulen Material ein, das Montessori<br />

benutzte.<br />

Die Umgebung nach Montessori ist eine gute Alternative zur allgemeinen<br />

Reizüberflutung. Das Material überzeugt durch Einfachheit, es ist übersichtlich<br />

geordnet <strong>und</strong> in nicht zu großer Anzahl vorhanden.<br />

Zusätzlich ist das Montessori - Material sehr gut für behinderte Kinder geeignet.<br />

Auch heute noch sollten sich Eltern, ErzieherInnen, PädogInnen <strong>und</strong> LehrerInnen<br />

mit den Gr<strong>und</strong>sätzen ihrer Methode befassen.<br />

Immer noch werden die Bedürfnisse des Kindes zu wenig beachtet. Außerdem<br />

besteht zu wenig Wissen <strong>und</strong> Sensibilität über die Auswirkung des Verhaltens<br />

durch den Erwachsenen auf das Kind <strong>und</strong> sein späteres Leben.<br />

12 Quellennachweis<br />

Literatur:<br />

Helmut Heiland: <strong>Maria</strong> Montessori,<br />

Rororo (1996)<br />

Renilde Montessori: Uns drückt keine Schulbank,<br />

Karin Schneider-Henn: Erziehung im Bild,<br />

Klett-Cotta, Stuttgart 1983<br />

<strong>Maria</strong> Montessori: Kinder sind anders,<br />

Klett-Cotter, Stuttgart 1952<br />

<strong>Maria</strong> Montessori, Schule des Kindes - Montessori Erziehung in der Gr<strong>und</strong>schule,<br />

Hrsg.: Paul Oswald & Günter Schulz-Benesch. Freiburg i. Br.<br />

(Herder 1976, 2. Aufl. 1987)


Rita Kramer: <strong>Maria</strong> Montessori. Leben <strong>und</strong> Werk einer großen Frau.<br />

München (Kindler) 1977<br />

Edward M. Standing: <strong>Maria</strong> Montessori. Leben <strong>und</strong> Werk.<br />

Stuttgart (Klett) 1959<br />

Krenberger (Hg.): Edward Séguin<br />

Internet:<br />

Montessori Network http://www.montessori.org<br />

Montessori World Ltd. Http://www.montessori.co.uk<br />

London Montessori Centre Online http://www.montessori.ac.uk<br />

http://www.missouri.edu<br />

Stefan Seigel http://www.stepnet.de/privat/seigel/<br />

Vorlesung:<br />

Seminar Theorien <strong>und</strong> Modell der Sozialpädagogik, Klaus Tophofen

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!