Nur die Liebe zählt…
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thema<br />
zürcher studentin - nr. 8/84 - 3. april 2006<br />
Die hohe Kunst des Verliebt Seins<br />
Love is in the books! Und wer verstünde besser zu lieben, als <strong>die</strong><br />
Lieblinge der Dichter? Ein Streifzug zu den Verliebten in der Literatur.<br />
Von Stefanie Ziegler<br />
Gewiss,am Ende sterben sie.Einer zum Beispiel<br />
schiesst sich über dem rechten Auge eine Kugel<br />
in den Kopf, ein anderer muss in den Wellen ertrinken<br />
und ein Dritter wiederum küsst das Gift<br />
von den Lippen der vermeintlich toten Geliebten<br />
weg, um mit ihr sterben zu können. Vorher<br />
jedoch, bevor sie sterben müssen oder sterben<br />
wollen, da sind sie verliebt! Und wer könnte<br />
schöner verliebt sein und seine<br />
<strong>Liebe</strong> poetischer zum Ausdruck<br />
bringen als <strong>die</strong> grossen <strong>Liebe</strong>nden<br />
der Dichter?<br />
Perlen aus längst vergangener<br />
Zeit<br />
Eines der schönsten und einzigartigsten<br />
Gemälde der <strong>Liebe</strong><br />
findet sich in einem alten Buch,<br />
in dem man es vielleicht nicht<br />
vermutet hätte: «Verzaubert<br />
hast du mich, meine Schwester<br />
Braut; ja verzaubert mit einem<br />
Blick deiner Augen, mit einer<br />
Perle deiner Halskette. Wie<br />
schön ist deine <strong>Liebe</strong>, meine<br />
Schwester Braut; wie viel süsser<br />
ist deine <strong>Liebe</strong> als Wein, der<br />
Duft deiner Salben köstlicher<br />
als alle Balsamdüfte. Von deinen<br />
Lippen, Braut, tropft Honig;<br />
Milch und Honig ist unter<br />
deiner Zunge.» Der kurze Ausschnitt<br />
stammt aus dem Hohelied<br />
Salomonis im alten Testament.<br />
In Rede und Gegenrede<br />
beschreiben und bejubeln <strong>die</strong><br />
Geliebte und der Geliebte ihre<br />
Gefühle zum anderen und<br />
schwärmen in zahlreichen Vergleichen<br />
von der Schönheit des anderen.<br />
Mein Feind <strong>die</strong> Lerche<br />
Die <strong>Liebe</strong> war in der Literatur verschiedenster<br />
Art und Herkunft schon immer Thema.<br />
Von den klassischen Autoren Griechenlands<br />
und Roms über <strong>die</strong> Minnelieder und Heldenepen<br />
des Mittelalters zu den Werken der Neuzeit<br />
durften sich <strong>die</strong> Protagonisten stets mit<br />
Leib und Seele, bis über beide Ohren und über<br />
sämtliche Standesgrenzen hinweg verlieben.<br />
In sämtlichen literarischen Genres und Gattungen<br />
wurde Amor sein Tribut gezollt. Genauso<br />
wie <strong>die</strong> <strong>Liebe</strong> an sich nichts Neues, son-<br />
dern vielmehr etwas ewig Wiederkehrendes<br />
ist, so behandeln auch viele der <strong>Liebe</strong>sgeschichten<br />
nicht neue Themen, sondern es sind<br />
alte, <strong>die</strong> nach Jahrzehnten und teils nach Jahrhunderten<br />
wieder aufgenommen und neu bearbeitet<br />
wurden. Verschiedentlich vernetzt<br />
sind <strong>die</strong> Traditionen und Themen rund um <strong>die</strong><br />
<strong>Liebe</strong>. So be<strong>die</strong>nte sich Shakespeare, der mit<br />
Romeo and Juliet das wohl berühmteste <strong>Liebe</strong>spaar<br />
der Literatur erschaffen hat, sowohl<br />
bei Stoffen aus der Antike als auch bei Themen<br />
der italienischen Novellen. Er lässt auch<br />
noch andere Traditionen einfliessen: «It is not<br />
yet near day. It was the nightingale and not the<br />
lark, that pierced the fearful hollow of thine<br />
ear.» Sagt Juliet früh morgens zu ihrem Romeo,<br />
damit er noch ein bisschen länger bei ihr<br />
bleibt. Damit knüpft Shakespeare an <strong>die</strong> Tradition<br />
der mittelalterlichen Tagelieder an: Deren<br />
Thematik ist der Abschied des Liebhabers<br />
von seiner Geliebten, der sich davonschleichen<br />
muss um nicht entdeckt zu werden, sobald<br />
der Gesang der Vögel <strong>die</strong> Schlafenden ge-<br />
weckt hat und vor dem Fenster der Tag anbricht.<br />
Dem Tod <strong>die</strong> roten Lippen küssen<br />
Wenn der Blick so über all <strong>die</strong> tragisch <strong>Liebe</strong>nden<br />
der Literatur schweift, so scheint es beinahe,<br />
dass der Tod weniger als Folge, denn als<br />
Bedingung zur grossen <strong>Liebe</strong> auftritt. Als wäre<br />
das grosse Glück nicht ohne <strong>die</strong> grosse Katastrophe<br />
möglich.<br />
«Das alles war mir, wie ein Traum. Konnt’ ich<br />
glauben an <strong>die</strong>s Wunder der <strong>Liebe</strong>? Konnt’ ich?<br />
Mich hätte <strong>die</strong> Freude getötet.» Sagt Hölderlins<br />
Protagonist Hyperion ahnungsvoll. Doch<br />
bevor er Abschied nahm, durfte er <strong>die</strong> <strong>Liebe</strong><br />
Die berühmtesten <strong>Liebe</strong>nden der Welt im Schauspielhaus Zürich. (Bild: zis)<br />
geniessen: «Lass uns vergessen, dass es eine<br />
Zeit gibt und zähle <strong>die</strong> Lebenstage nicht! Was<br />
sind Jahrhunderte gegen den Augenblick, wo<br />
zwei Menschen sich so ahnen und nahn?»<br />
Und es braucht ja nicht gleich der Tod zu sein,<br />
wie bei Hyperions geliebter Diotima und den<br />
drei anfangs genannten <strong>Liebe</strong>nden, Goethes<br />
Werther, Leander und Romeo. Es geht auch<br />
leichter, wie bei Robert Walsers Simon, der<br />
glücklich in den Tag hinein lebt, und hingebungsvoll<br />
liebt, ohne dafür Gegenliebe zu<br />
wollen: «Aber ich liebe Frauen von deinem<br />
Schlag, und einer Frau, <strong>die</strong> man liebt, macht<br />
man gerne ein Geschenk, und so schenke ich dir<br />
mich,weil ich kein besseres Geschenk weiss.“