Ausgabe als PDF herunterladen... - Piano News
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Roland V-<strong>Piano</strong><br />
Grand im Test<br />
GERHARD OPPITZ<br />
Japanische<br />
Klaviermusik<br />
Klaviermusik<br />
KLAVIERDUO<br />
KLAVIERDUO<br />
STENZL<br />
25 Jahre Jahre<br />
auf<br />
der Bühne<br />
ALEXANDER LONQUICH<br />
Deutschland EUR 4,30<br />
Österreich EUR 5,00<br />
Luxemburg EUR 5,10<br />
Schweiz sfr 7,90<br />
Klassik auf<br />
Türkisch<br />
ISSN 1434-3592<br />
G 44525<br />
IDIL BIRET FAZIL SAY<br />
GÜHER & SÜHER<br />
PEKINEL<br />
Traditionen aditionen neu überdenk<br />
überdenken<br />
en<br />
Türkische Pianisten über die<br />
Klaviersz Klavierszene<br />
ene in ihrer ihrer<br />
Heimat<br />
GÜLZIN ONAY<br />
18 SEITEN<br />
CD-BESPRECHUNGEN<br />
'!1J60FB-gaedah!:k;P<br />
September / Oktober<br />
5/2011
5 . 11<br />
Entscheidungen treffen<br />
Liebe Klavierfreundinnen und -freunde,<br />
E E<br />
DITORIAL<br />
immer wieder treffen wir auf Künstler, deren gesamte Karriere<br />
von Entscheidungen abhängig war und ist. Welches Repertoire<br />
spielt man, auf welchem Instrument, bei wem soll man studieren,<br />
welchem Bereich des Klavierspiels wendet man sich überhaupt<br />
zu? Diese Fragen werden oftm<strong>als</strong> schon in der Jugend<br />
erörtert, dann entschieden und entsprechend der Ziele verfolgt.<br />
Diese <strong>Ausgabe</strong> von PIANO<strong>News</strong> ist voll mit Artikeln, aus denen<br />
man ersehen kann, wie Entscheidungen einen Lebensweg<br />
und auch künstlerische Aussagen kennzeichnen können. Jos van<br />
Immerseel ist ein wunderbares Beispiel für die beständige<br />
Offenheit in seiner musikalischen Ausrichtung, die dann letztendlich zu seiner Spezialisierung <strong>als</strong><br />
Hammerflügelspieler führte. Ein anderes gutes Beispiel ist das Stenzl Klavierduo, zwei Brüder, die<br />
die Duoform des Klavierspiels wählten und sich ohne Verbitterung im Jahr ihres 25. Bühnenjubiläums<br />
Fragen stellen, ob nicht einige Entscheidungen in ihrem Leben, wären sie schon früher<br />
getroffen worden, andere Wege hätten bereiten können. Der Pianist Gerhard Oppitz hat sich entschieden,<br />
für das Klavierrepertoire aus Japan etwas zu tun, und eine CD mit Werken von hierzulande<br />
weniger bekannten japanischen Komponisten eingespielt.<br />
Dass in der Türkei, gerade von musikalischen Künstlern, beständig Entscheidungen getroffen werden<br />
müssen, versteht sich aufgrund der politischen Situation ebenso wie aufgrund der jeweiligen<br />
persönlichen Situation. Wir betrachten das auf EU-Kurs befindliche große Land in Bezug auf das<br />
Klavierspiel, die Entwicklung und die Klaviermusik. Dabei haben wir alle bekannteren Pianisten<br />
aus unterschiedlichen Generationen nach ihrer Ansicht gefragt und waren auch im Land selbst<br />
unterwegs für Sie, um einen aktuellen Gesamteindruck zu bekommen.<br />
Daneben werfen wir einen „anderen“ Blick auf das größte Klavierwerk des Gedenk-Komponisten<br />
des Jahres 2011, die h-Moll-Sonate von Franz Liszt.<br />
Und was soll man noch über Alexander Lonquich sagen, einen Pianisten, der von allen Seiten<br />
geschätzt wird, aber nach großer Aufmerksamkeit zu Beginn seiner Karriere heute fast nur noch<br />
eingeweihten Klavierfans ein Begriff ist – auch hier waren es Entscheidungen, die zu dieser Art<br />
des Künstlertums abseits der ganz großen Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit führten.<br />
Es ist eine facettenreiche <strong>Ausgabe</strong>, die wir Ihnen für den Sommer anbieten, ein Heft, das neben<br />
den erwähnten Themen natürlich noch zahllose andere Themen enthält und darüber nachdenken<br />
lässt, was man noch alles anstellen kann mit seinem Hobby, dem Klavierspiel oder der Klaviermusik.<br />
Viel Spaß beim Lesen und einen wunderbaren Restsommer wünscht Ihnen Ihr<br />
Carsten Dürer<br />
– Chefredakteur –<br />
Foto: Yoko Tsunekawa<br />
3
I I NHALT<br />
Foto: Cadenza Concert<br />
Alexander Lonquich (S. 10)<br />
Foto: Marco Frei<br />
Klassik auf Türkisch (S. 16)<br />
Foto: Dürer<br />
Roland<br />
V-<strong>Piano</strong> Grand (S. 24)<br />
Klavierduo Stenzl (S. 40)<br />
Jos van<br />
Immerseel<br />
(S. 48)<br />
Foto: Dürer<br />
3<br />
6<br />
9<br />
10<br />
16<br />
24<br />
28<br />
31<br />
32<br />
36<br />
40<br />
44<br />
47<br />
48<br />
53<br />
E DITORIAL<br />
C RESCENDO<br />
INFOS AUS DER SZENE<br />
K LAVIER-NEWS<br />
NEUHEITEN VON<br />
KLAVIERBAUUNTERNEHMEN<br />
I NTERVIEW<br />
ALEXANDER LONQUICH<br />
„TRADITIONEN NEU ÜBERDENKEN.“<br />
A NSICHTEN<br />
KLASSIK AUF TÜRKISCH<br />
ZUR KLAVIERSZENE<br />
ZWISCHEN ORIENT UND OKZIDENT<br />
I NSTRUMENTE<br />
TAUSENDE VON FLÜGELN IN EINEM<br />
DAS V-PIANO GRAND VON ROLAND<br />
A NSICHTEN<br />
FRANZ LISZT, DER GROSSE VERFÜHRER<br />
DIE H-MOLL-SONATE<br />
H ÄNDLER<br />
HIER KÖNNEN SIE PIANONEWS KAUFEN<br />
I NTERVIEW<br />
GERHARD OPPITZ<br />
... ÜBER SEINE NEUESTE EINSPIELUNG MIT<br />
JAPANISCHEN KOMPOSITIONEN<br />
A NSICHTEN<br />
DAS KLAVIER IM SPIELFILM<br />
P ORTRÄT<br />
HANS-PETER & VOLKER STENZL<br />
... FEIERN 25-JÄHRIGES<br />
BÜHNENJUBILÄUM<br />
W ETTBEWERBE<br />
ÜBERRASCHUNGEN<br />
MONTREAL INTERNATIONAL<br />
MUSICAL COMPETITION<br />
DVDS<br />
KLAVIERMUSIK ZUM SEHEN UND HÖREN<br />
P ORTRÄT<br />
EIN TRAUM FÜR EINEN<br />
HAMMERFLÜGELSPIELER<br />
EIN BESUCH BEI JOS VAN IMMERSEEL<br />
W ETTBEWERBE<br />
EIN TRAUM WIRD WIRKLICHKEIT<br />
DER „TOP OF THE WORLD“<br />
KLAVIERWETTBEWERB IN TROMSØ<br />
4 5 . 11
5 . 11<br />
B ERICHTE<br />
SENSIBILISIERUNG FÜR QUALITÄT<br />
„SCHUBERT UNIVERSUM“ MIT<br />
KLAVIERDUOS IN BOSWIL UND MURI<br />
J AZZ-INTERVIEW<br />
TIGRAN HAMASYAN<br />
„ALLEIN MIT DIR, DEM KLAVIER<br />
UND DEM RAUM.“<br />
B ERICHTE<br />
SCHWARZE FARBE, AUS<br />
KLAVIERCLUSTERN TROPFEND<br />
DAS BERLINER FESTIVAL „KLAVIERFIEBER“<br />
W ETTBEWERBE<br />
TERMINE FÜR PROFIS<br />
P ROFI-TIPPS<br />
LISZTS „LA LEGGIEREZZA“<br />
K ONZERTE<br />
TERMINE FÜR LIEBHABER<br />
P ÄDAGOGIK<br />
GESPRÄCH MIT MIKE CORNICK<br />
M USIKSCHULE<br />
SCHULJAHRESRÜCKBLICK<br />
WER IST AM BESTEN VORANGEKOMMEN?<br />
ERWACHSENE AM KLAVIER<br />
KLEINE ÄRGERNISSE VERMEIDEN<br />
A NFÄNGER<br />
DAS KLAVIER, DIE KINDER UND ICH<br />
N OTEN<br />
NEUE KLAVIERWERKE AUF DEM PULT<br />
B ÜCHER<br />
BÜCHER UM LISZT<br />
J AZZ-WORKSHOP<br />
MIT RAINER BRÜNINGHAUS (27)<br />
AKKORDISCHES BALLADENSPIEL<br />
A LTE A UFNAHMEN<br />
UNGEHÖRTES UND ERKENNTNISREICHES<br />
E DITIONEN<br />
RUSSISCHE KOMPONISTEN HOCH IM KURS<br />
VORSCHAU/IMPRESSUM<br />
I NHALT<br />
56<br />
60<br />
64<br />
66<br />
68<br />
72<br />
74<br />
76<br />
78<br />
80<br />
82<br />
88<br />
90<br />
92<br />
94<br />
H ÖREINDRUCK<br />
NEUE CDS 96<br />
110<br />
Schubert Universum (S. 56)<br />
Foto: Dürer<br />
TIGRAN HAMASYAN (S. 60)<br />
Foto: Vahan Stephanyan<br />
Festival „Klavierfieber“ (S. 64)<br />
Foto: Kai Bienert<br />
Anfänger (S. 80)<br />
I<br />
Titelfotos: Marco Frei, Aykut Usluteki (Onay), Marco Borggreve (Say),<br />
Dürer (Biret), Tanja Niemann (Pekinel)<br />
5
C<br />
C RESCENDO<br />
Stille Pianistin im Hintergrund: Dina Yoffe in Düsseldorf<br />
Ihre Karriere verlief dort, wo es wichtig ist, und dennoch<br />
fernab von Glamour und vordergründigem Marketing: auf<br />
den großen Bühnen, in der Abgeschiedenheit von Meisterklassen<br />
in aller Welt. Die im lettischen Riga geborene Dina<br />
Yoffe ist eine Meisterin des Klavierspiels. Wen wundert es,<br />
wurde sie doch von Vera Gornostayeva am Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium<br />
ausgebildet, einer der wichtigsten<br />
Lehrerinnen, die noch aus der deutsch-russischen Schule des<br />
legendären Heinrich Neuhaus stammt. Dina Yoffe ging nach<br />
ihrem Studium unbeirrt ihren Weg, gewann Preise im Schumann-Wettbewerb<br />
in Zwickau und im berühmtesten aller<br />
Klavierwettbewerbe, beim Chopin-Wettbewerb in Warschau.<br />
Danach standen ihr die Bühnen der Welt offen, konzertierte<br />
sie mal in Israel, mal in Japan, überall, wo Dirigenten wie<br />
Zubin Metha oder Valery Gergiev sie einluden. Kammermusik<br />
spielte sie mit Yuri Bashmet, Gidon Kremer oder Vadim Repin,<br />
um nur einige zu nennen. Und sie unterrichtete, erst an der<br />
Rubin-Academy of Music in Tel Aviv, dann an einer Universität<br />
in Japan und nun an der Anton Rubinstein Akademie in<br />
Düsseldorf. Ihre Liebe zum Konzertieren gab sie nie auf,<br />
wovon auch ihre zahlreichen CD-Einspielungen sprechen –<br />
aber einen Großteil ihrer Energie widmete sie der Ausbildung<br />
junger Eleven, wie sie es von Gornostayeva erfahren hatte.<br />
Und so konnte sie schon einigen jungen Pianisten zu Erfolgen<br />
verhelfen.<br />
Nun zeigt Dina Yoffe in den Räumen der „Anton Rubinstein<br />
Internationale Akademie“ in Düsseldorf am 25. September<br />
2011 ihr pianistisches Können. Mit einem Programm, das<br />
Werke darbietet, die Yoffe immer schon liebte. Bachs Partita c-<br />
Moll (BWV 826), Sergej Prokofiews Klaviersonate c-Moll Op.<br />
29, Chopins Fantasie f-Moll Op. 49 und zum Schluss die späten<br />
„7 Fantasien“ Op. 116 von Johannes Brahms. Ein großes<br />
und kräfteraubendes Programm, das Dina Yoffe da bietet.<br />
Doch auch ihre zweite Liebe, das Unterrichten, soll dokumen-<br />
Das Klavier-Duo-Festival in Bad Herrenalb ist seit der<br />
Erstaustragung im Jahr 2000 ein spannendes Festival<br />
unter der Leitung des Pianisten Christoph Sischka, der selbst<br />
mit seiner Frau Eriko Takezawa im Duo spielt. Wurde das<br />
Festival die ersten vier Jahre in Folge abgehalten, hat man<br />
seit 2005 einen zweijährigen Turnus gewählt. So dass das<br />
Festival in diesem Jahr zum 8. Mal stattfinden konnte. Neben<br />
etlichen Konzerten und der Verbindung von „Jugend musi-<br />
Christoph Sischka spielt über das<br />
Internet mit seiner Frau vierhändig.<br />
Foto: Sischka<br />
Internet-Duo-Spiel in Bad Herrenalb<br />
tiert werden. Zum einen gibt Dina Yoffe in der „Anton Rubinstein<br />
Internationale Akademie“ am 20. November dieses Jahre<br />
einen Meisterkurs für talentierte Klavierstudenten, in dem<br />
man erleben kann, wie genau und tatkräftig sie die Spielweise<br />
der jungen Tastenkünstler zu gestalten versteht. Daneben<br />
werden zwei ihrer Studenten Konzerte geben. Den Beginn<br />
macht am 2. Oktober die in Moskau ausgebildete und nun bei<br />
Dina Yoffe studierende Anna Kiskachi. Ihr Programm wird<br />
Werke von Beethoven, Ravel und etliche Adaptionen von<br />
Komponisten durch Liszt beinhalten. Die Zweite ist die Japanerin<br />
Sonoko Ishii, die bereits etliche Preise bei internationalen<br />
Klavierwettbewerben gewinnen konnte. Sie spielt sich<br />
durch die Klaviergeschichte, von Bach über Debussy und<br />
Chopin, hin zu Liszt.<br />
Wer einmal eine der großen Pianistinnen und Pädagoginnen<br />
erleben will, die wahre Kunst eher im Hintergrund betreiben,<br />
sollte diese Abende nicht verpassen.<br />
Während in Texas gespielt<br />
wird, erklingt zeitgleich das<br />
Spiel in Bad Herrenalb auf<br />
dem Disklavier.<br />
Foto: Sischka<br />
Dina Yoffe<br />
www.rubinstein-akademie.de<br />
ziert“ für Klavierduo ist es ein abwechslungsreiches Festival<br />
über vier Tage. In diesem Jahr allerdings hatte Christoph<br />
Sischka noch einen draufgesetzt. Schon seit längerem<br />
beschäftigt sich Sischka mit den technischen Möglichkeiten,<br />
die einem Pianisten die Yamaha-Disklaviere bieten. Denn<br />
diese sind nicht nur in der Lage, Eingespieltes 1:1 auch auf<br />
dem Instrument wiederzugeben. Vielmehr ist die Computertechnologie<br />
mittlerweile auch in diesem Instrument so weit<br />
6 5. 11
5 . 11<br />
C RESCENDO<br />
gediehen, dass die Internet-Anbindung das Spiel an unterschiedlichen<br />
Orten ermöglicht. Der sogenannte e-Competition nutzt dieses System schon<br />
seit langem. Im Klavier-Duo-Festival demonstrierte Sischka die Möglichkeiten<br />
live, indem er Mario Ajero, Professor an der Klavierschule im texanischen<br />
Nacogdoches, nach Bad Herrenalb live hinzuschaltete. Dort wie in<br />
Bad Herrenalb stand ein Disklavier, wobei beide Instrumente über das<br />
Internet verbunden und synchronisiert waren. Mittels einer Videoverbindung<br />
konnte man auf einer Leinwand zudem sehen, was auf der anderen<br />
Seite passiert. Und so spielte einmal in Bad Herrenalb das Remnant Duo für<br />
die Zuhörer im Saal und die Zuhörer in Texas. Mario Ajero und sein sechsjähriger<br />
Sohn Nio in Texas taten es dem Duo in Bad Herrenalb gleich. Doch<br />
es ging noch weiter. Christoph Sischka musizierte gemeinsam im Duo mit<br />
seiner Frau Eriko Takezawa, während Sischka im Saal in Bad Herrenalb<br />
saß, um den Secondo-Part zu spielen, seine Frau allerdings den Primo-Part<br />
in Freiburg, aus dem Wohnzimmer des Ehepaares musizierte. Ein eindringliches<br />
Erlebnis, das zeigte, wie weit die heutige Computertechnologie auch<br />
für das gemeinsame Musizieren an unterschiedlichen Standorten genutzt<br />
werden kann. Dass man sogar mit der Fernbedienung einer Spielekonsole<br />
die Agogik des zuvor Eingespielten verändern kann, bewies dann noch die<br />
Sopranistin Katharina Schwesinger, indem sie die Klavierbegleitung, die<br />
vom Disklavier wiedergegeben wurde, intuitiv mit dieser Fernbedienung<br />
ihrem Gesang angleichen konnte.<br />
Liszt zum Spielen<br />
In diesem Fall meint das Spielen allerdings nicht nach Noten, sondern<br />
nach Frage und Antwort im gesellschaftlichen Miteinander. Der Grupello-Verlag<br />
hat ein Liszt-Quiz auf den Markt gebracht, das mit kleinen<br />
quadratischen Kärtchen nicht weniger <strong>als</strong> 100<br />
Fragen und Antworten rund um das Phänomen<br />
und die Person Franz Liszts bereithält. Da geht es<br />
um viele kleine Dinge. Einige Beispiele gefällig?<br />
Welcher deutsche Lyriker inspirierte Franz Liszt zu<br />
seinem weltberühmten Liebestraum Nr. 3? In welchem<br />
Verhältnis stand der Komponist zu Brahms,<br />
Schumann, Chopin, Berlioz und Heine? Wann<br />
und wo fand das denkwürdige Konzert statt, das<br />
Liszt <strong>als</strong> weltweit erster Pianist alleine am Klavier<br />
bestritt? Und dies ist nur eine kleine Auswahl. Die<br />
Antworten stehen leider auf derselben Seite wie<br />
die Fragen, nur auf dem Kopf. Da ist es nicht so<br />
gut, wenn einem der Befragte gegenübersitzt und<br />
in die Karten schauen kann … Dennoch lernt man vieles bei diesem Quiz!<br />
Liszt-Quiz<br />
100 Fragen und Antworten<br />
verfasst von Georg Kroeger<br />
103 Kärtchen in einem Schmuckkästchen<br />
Grupello-Verlag<br />
ISBN 879-3-89978-153-3<br />
EUR 10,90<br />
Young Sun Jin gewinnt Bechstein<br />
Wettbewerb Baden-Württemberg<br />
Young Sun Jin ist beim 3. C. Bechstein Hochschulwettbewerb für Klavier<br />
Baden-Württemberg mit dem Ersten Preis ausgezeichnet worden. Die<br />
Studentin der Musikhochschulen Trossingen (Klavier solo) und Stuttgart<br />
(Kammermusik) glänzte beim Preisträgerkonzert im Konzertsaal der Staatlichen<br />
Hochschule für Musik Trossingen mit einer farbenreichen<br />
Interpretation des ersten Bands von Claude Debussys „Images“.<br />
Den Zweiten Preis erhielt Atsuko Kinoshita, die an der Staatlichen<br />
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim studiert. Sie spielte<br />
beim Preisträgerkonzert Werke von Debussy und Brahms. Die Urkunde
C<br />
für den Dritten Preis wurde an Danlin Felix Sheng überreicht,<br />
der an der Staatlichen Hochschule für Musik Freiburg studiert.<br />
Neben den drei Hauptpreisen, die mit Konzertengagements<br />
und einem Preisgeld von insgesamt 3.500 Euro dotiert<br />
waren, wurden auch mehrere Sonderpreise vergeben. Der<br />
Sonderpreis für die beste Interpretation eines Werks von<br />
Franz Liszt, gestiftet vom Klavierhaus Hermann Trossingen,<br />
wurde an Myounghyun Seo (Freiburg) für ihre Interpretation<br />
der Paganini-Etüde Nr. 2 verliehen. Den vom Musikhaus <strong>Piano</strong>-Fischer<br />
Stuttgart gestifteten Sonderpreis für die beste<br />
Interpretation eines klassischen Werks erhielt Mima Matsui<br />
(Mannheim) für ihre Interpretation von Haydns Sonate C-<br />
Dur Hob. XVI:50. Spontan hatte sich zudem Theo Geißler,<br />
Juror des Wettbewerbs und Herausgeber der Neuen Musikzeitung<br />
(nmz), entschieden, gleich zwei Sonderpreise für die<br />
Unser Kooperationspartner, der Online-Verlag INTER-NOTE, bietet allen<br />
PIANO<strong>News</strong>-Abonnenten pro <strong>Ausgabe</strong> 10 neue Notenausgaben zum<br />
kostenlosen Download; dabei handelt es sich nicht um Scans alter<br />
<strong>Ausgabe</strong>n, sondern um Neuausgaben. Einige Raritäten, die ansonsten seit<br />
langem vergriffen sind, wurden auf diese Weise wieder einem größeren<br />
Publikum zugänglich gemacht.<br />
❐ Abonnenten haben pro <strong>Ausgabe</strong> Zugriff auf 10 Werke, die sie kostenlos<br />
downloaden können.<br />
❐ Die Downloads können auf der Festplatte gespeichert und beliebig oft<br />
ausgedruckt werden.<br />
❐ Alle Abonnenten erhalten bei ihrer ersten Notenbestellung <strong>als</strong><br />
Begrüßungsgeschenk einen gedruckten Notenband („PIANO<strong>News</strong><br />
Collection“).<br />
❐ Es wird spezielle Rabatt- und Bonusaktionen für PIANO<strong>News</strong>-<br />
Abonnenten geben.<br />
beiden besten Interpretationen zeitgenössischer Werke auszuloben:<br />
Diese wurden Wanru Fu (Trossingen) und Sangmi<br />
Choi (Karlsruhe) zugesprochen.<br />
40 Studentinnen und Studenten hatten sich zum Wettbewerb<br />
angemeldet, 25 waren zugelassen worden, 20 traten am 2.<br />
Juni zur ersten Runde an. Neun Studentinnen und Studenten<br />
wurden für die Finalrunde am 3. Juni zugelassen, in der sie<br />
ein Programm von jeweils 50 Minuten vortragen mussten. In<br />
der Jury wirkten mit: Reinhard Becker (Trossingen), Theo<br />
Geißler (Herausgeber Neue Musikzeitung), Michael Leuschner<br />
(Freiburg), Rudolf Meister (Mannheim), Kalle Randalu<br />
(Karlsruhe), Jörg Tisken (Musikjournalist), Florian Wiek,<br />
Pianist (Stuttgart) und Gregor Willmes (Kulturmanagement<br />
C. Bechstein Berlin).<br />
„Karneval der Tiere“ von Saint-Säens aus Duisburg<br />
Die „Grande Fantaisie Zoologique“<br />
von Camille Saint-Säens ist für Kinder<br />
immer noch eines der besten Werke,<br />
um ihnen die klassische Musik näherzubringen.<br />
Und da darin auch zwei Klaviere<br />
solistisch eingesetzt werden, ist diese<br />
Musik umso mehr dazu geeignet, auch<br />
auf die Klaviermusik aufmerksam zu machen.<br />
Nun haben die Duisburger Philharmoniker<br />
sich aber nicht einfach nur der<br />
Musik angenommen, sondern eine vollkommen<br />
neue und spannende Geschichte<br />
daraus gemacht und in Buchform veröffentlicht.<br />
Zum einen hat man die junge<br />
Autorin Marie Pohl dazu bewegt, auf die<br />
Musik eine neue Geschichte zu schreiben,<br />
die nun <strong>als</strong> „Die Hochzeit des Löwen“<br />
daherkommt. Zum anderen konnte man<br />
die Schauspielerin Anna Thalbach gewinnen,<br />
die Texte zu sprechen. Und natürlich<br />
spielen die Duisburger Philharmoniker<br />
unter ihrem hervorragenden Dirigenten<br />
Jonathan Darlington brillant. An den beiden<br />
Flügeln sitzen Swetlana und Vladimir<br />
Kharin und verleihen der Musik nochm<strong>als</strong><br />
mehr Effekt, bestechend gespielt. Und die Geschichte ist<br />
witzig und kindgerecht, faszinierend in den unterschiedlichen<br />
Rollen von Thalbach mit Charakter angefüllt.<br />
Doch das reicht noch nicht ganz, denn um diese Einspielung<br />
auch in Buchform kindgerecht herauszubringen, bedurfte es<br />
C RESCENDO<br />
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noch einer bunten und aufmunternden<br />
Illustration. Und niemand<br />
Geringerer <strong>als</strong> der bekannte deutsche<br />
Künstler Otmar Alt konnte<br />
dafür gewonnen werden. Vielleicht<br />
sind einige der Illustrationen nicht<br />
wirklich kindgerecht, aber witzig<br />
und bunt sind sie allemal. Auf diese<br />
Weise ist ein Gesamtkunstwerk entstanden,<br />
das sich sehen und hören<br />
lassen kann. Wenn man Kinder<br />
kennt, die Geschichten lieben, sollte<br />
man ihnen dieses Buch schenken,<br />
denn so kann man sie leicht an Musik<br />
anderer (und wunderschöner)<br />
Art heranführen. Und vielleicht fällt<br />
dem ein oder anderen Kind ja auch<br />
auf, dass Teile dieser Musik auch in<br />
den Harry-Potter-Filmen Verwendung<br />
fanden …<br />
Camille Saint-Säens<br />
Der Karneval der Tiere – Die Hochzeit<br />
des Löwen<br />
Verlag Demon & Reihl, Witten<br />
ISBN 978-3-9809197-8-4<br />
Buch mit CD<br />
EUR 18,95<br />
8 5 . 11
5 . 11<br />
Im Mai dieses Jahres hat der Braunschweiger<br />
Klavierhersteller Grotrian-<br />
Steinweg ein neues Klaviermodell auf den<br />
Markt gebracht. „Dieses Modell, mit dem<br />
Namen Contour, hat eine Bauhöhe von 114 cm<br />
und kombiniert bewährte Technik mit einem<br />
zeitlos eleganten Gehäuse“, so Burkhard<br />
Stein, Geschäftsführer von Grotrian-Steinweg.<br />
„Als traditionell gestaltetes Klavier, mit<br />
allen Grotrian-Steinweg-Qualitäts-Spezifikationen,<br />
ist es eine besonders schöne Erscheinung<br />
im Raum und bereits jetzt ein Klassiker.“<br />
Durch seinen enorm klaren und satten<br />
Klang soll es besonders für den gehobenen<br />
musikalischen Anspruch und das Musizie-<br />
zu PIANO<strong>News</strong> 4-2011 / Lise de la Salle<br />
Liebe PIANO<strong>News</strong>,<br />
K LAVIER-NEWS<br />
Neuer Salonflügel von Steingraeber & Söhne: B-192<br />
Im Bayreuther Festspielsommer des Liszt-Jahres 2011 präsentierte<br />
Steingraeber & Söhne einen neuen Flügel von 192<br />
cm Länge. Die Konstruktion ist nahe verwandt dem Liszt-Flügel,<br />
dem Steingraeber C-212 und dessen Vorgänger, dem Ed.<br />
Steingraeber 200 von 1873.<br />
Die unverwechselbaren Steingraeber-Charakteristika sind<br />
aber auch bei diesem neuen Modell vorhanden. So verfügt<br />
dieser Flügel über lange Basssaiten, die ihn fast in der Mensurierung<br />
an einen Kammerkonzertflügel heranbringen. Auch<br />
der Basssteg ist weiterhin gerade gearbeitet, um ein besseres<br />
Schwingungsverhalten zu gewährleisten. Ebenso sollen die<br />
Messingauflagen im Diskantbereich dafür sorgen, dass noch<br />
mehr Teiltöne dem Klang beigemischt werden.<br />
Steingraeber & Söhne B-192:<br />
Aufsicht<br />
Foto: Steingraeber<br />
Neues Klavier zu attraktivem Preis von Grotrian: Contour<br />
Das neue Modell<br />
Contour von Grotrian<br />
Foto: Grotrian<br />
L ESERBRIEF<br />
unlängst nahmen wir im Brüsseler Beaux Arts mit üblichen Vorurteilen und, obwohl das<br />
Programm vielversprechend war, leicht unzufrieden und gespannt unsere Plätze ein, um Lise<br />
de la Salle zu hören. Sie war für einen anderen Pianisten (Martin Helmchen) eingesprungen.<br />
Was wir dann hörten, war eine wunderbare Überraschung. Wagner/Liszt „Isoldes Liebestod“,<br />
ein Stück, das auf dem Klavier selten überzeugt, klang schlechthin gelungen, und dann<br />
Schumanns „Sinfonische Etüden“ – haben wir vielleicht noch nie so spannend, so neu und<br />
persönlich gestaltet gehört.<br />
A. Schanz, Brüssel<br />
Steingraeber & Söhne B-192:<br />
Unterseite<br />
Foto: Steingraeber<br />
Die ersten Lieferungen sind im Dezember 2011 geplant. Zielgruppen<br />
für den neuen Flügel sind – laut Herstellerangaben<br />
und neben den anspruchsvollen Privatkunden – ganz besonders<br />
professionelle Pianisten und Hochschulen.<br />
Professionelle und institutionelle Kunden sind hauptsächliche<br />
Käuferschichten bei Steingraeber & Söhne. Neben dem differenziert-farbigen<br />
Steingraeber-Klang fällt dabei besonders oft<br />
die Entscheidung aufgrund der Steingraeber-Mechanik.<br />
Deshalb wurde bei dem neuen Flügel auf die Verwandtschaft<br />
zum größeren Bruder C-212 sehr viel Wert gelegt; das geht so<br />
weit, dass die Mechanik des B-192 identisch ist mit dem größeren<br />
Modell C-212. Der Preis liegt bei EUR 66.480,- (schwarz<br />
poliert).<br />
www.steingreaber.de<br />
ren zu Hause geeignet und natürlich<br />
auch Wertanlage mit Kulturaspekt für<br />
zukünftige Generationen sein, wie Grotrian-Steinweg<br />
verlauten lässt. Die ersten<br />
Instrumente wurden bereits an den<br />
Handel ausgeliefert und werden zu einem<br />
sehr interessanten Verkaufspreis<br />
von 12.500 Euro angeboten. Damit erweitern<br />
die Braunschweiger <strong>Piano</strong>fortefabrikanten<br />
ihre Produktlinie um ein<br />
attraktives Instrument mit einem Preis-<br />
Leistungsverhältnis, das für ein deutsches<br />
Markenklavier in klassischer Gehäuseform<br />
durchaus interessant ist.<br />
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Foto: Lynn Goldsmith<br />
K<br />
L<br />
9
I<br />
„Wir müssen<br />
Traditionen immer wieder<br />
neu überdenken.“<br />
Foto: Burkhard Schäfer<br />
I NTERVIEW<br />
ALEXANDER<br />
LEXANDER<br />
LONQUICH<br />
ONQUICH<br />
Von: Burkhard Schäfer<br />
Der in Trier geborene Pianist Alexander Lonquich studierte Klavier bei Astrid Schmidt-<br />
Neuhaus, Paul Badura-Skoda, Andreji Jasinski und Ilonka Deckers. Er begann seine Karriere<br />
mit 16 Jahren <strong>als</strong> erster Preisträger des internationalen „Casagrande“-Klavierwettbewerbes<br />
in Terni, Italien. Bekannt wurde Lonquich in den 1980er Jahren auch <strong>als</strong> Klavierpartner des<br />
Geigers Frank Peter Zimmermann. Weitere Kammermusikpartner sind unter anderem Joshua<br />
Bell, Gautier und Renaud Capuçon, Thomas und Patrick Demenga sowie Veronika Hagen<br />
und Heinz Holliger. Lonquich ist aber nicht nur Pianist und Kammermusiker, sondern seit<br />
einigen Jahren auch <strong>als</strong> Dirigent tätig. In dieser Eigenschaft konzertiert er unter anderem mit<br />
der Camerata Salzburg, dem Münchener Kammerorchester und dem Kammerorchester Basel.<br />
Wir trafen den Pianisten in Ochsenhausen beim Festival „Schwäbischer Frühling“ …<br />
10 5 . 11
5 . 11<br />
PIANO<strong>News</strong>: Herr Lonquich, Sie sind für Ihre Experimentierfreude<br />
bekannt. Auf welchen Klavieren spielen<br />
Sie?<br />
Alexander Lonquich: Bei modernen Klavieren<br />
spiele ich normalerweise auf einem Steinway. Ich<br />
konzertiere aber am liebsten auf historischen Klavieren<br />
und habe deshalb viel auf Hammerflügeln<br />
gespielt. Es gibt Leute, die sind sogar richtige<br />
Hammerflügelspezialisten. Ich habe öfter Konzerte<br />
gegeben, wo ich beide Instrumente nebeneinander<br />
gestellt hatte, Steinway im ersten Teil und den<br />
Hammerflügel im zweiten. Es macht mir viel Spaß,<br />
die riesigen Unterschiede für das Publikum aufzuzeigen,<br />
wenn man <strong>als</strong> Pianist Bach oder Mozart<br />
auf diesen historischen Instrumenten spielt.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Wie kann man diese Unterschiede genauer<br />
erklären?<br />
Alexander Lonquich: Alle zehn Jahre haben sich<br />
die Instrumente weiterentwickelt. Das ist auch ein<br />
Aspekt, den ich aus der Sicht des jeweiligen dazugehörigen<br />
Repertoires gerne ins Programm hineinnehme.<br />
Carl Philipp Emanuel Bach spiele ich zum<br />
Beispiel sehr gerne. Sie können das ganz genau<br />
verfolgen: 1800, 1810, 1820 – <strong>als</strong>o wirklich, alle<br />
zehn Jahre gibt es eine sehr starke Erneuerung, bis<br />
man dann 1840 die ganz reifen Chopin-, Liszt- und<br />
Schumann-Flügel hatte. Ab 1855 gibt es dann eigentlich<br />
schon das ganz moderne Instrument.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Sind diese historischen Instrumente<br />
eine große Umgewöhnung für das Ohr des Zuhörers?<br />
Alexander Lonquich: Ja, sie stellen das heutige<br />
Ohr auf alle Fälle vor eine große Herausforderung.<br />
Ich denke dabei an die frühe Beethoven-Zeit. Da<br />
gab es dadurch, dass die Höhen abgeschnitten<br />
waren, andere Effekte. Und nicht nur das, letztlich<br />
war das ganze Klangempfinden völlig anders. Ich<br />
finde überhaupt, man sollte weniger selbstverständlich<br />
denken, Musik muss sich genau „so“ anhören.<br />
Denn wenn man die verschiedenen Instrumente<br />
nebeneinanderstellt, fällt auf, dass, würde<br />
Beethoven heute auf einem Steinway spielen, es<br />
für ihn sicher eine Überraschung wäre. Das würde<br />
auch für ihn eine Form von Entfremdung darstellen.<br />
Anders herum ist es für uns befremdlich, seine<br />
Musik auf den historischen Instrumenten zu hören.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Was können wir von diesem Entfremdungsgefühl<br />
lernen?<br />
Alexander Lonquich: Ich finde dieses Entfremdungsgefühl<br />
gar nicht schlecht. Man soll ruhig<br />
I NTERVIEW<br />
merken, alles, was wir tun, ist absolut natürlich.<br />
Eine andere Sache, die mich sehr fasziniert – deshalb<br />
höre ich auch so viele alte Aufnahmen – ist,<br />
wie selbstverständlich das Gefühl von Tradition<br />
bei uns ist. Man denkt immer, es soll genau diese<br />
bestimmte Tradition sein, denn man lernt sie von<br />
seinen Lehrern, nach dem Motto: So haben wir es<br />
immer gemacht und so ist es richtig. Das ist aber<br />
f<strong>als</strong>ch, denn eigentlich gab es alle zwanzig,<br />
dreißig Jahre einen ziemlichen Umbruch im Interpretationsstil.<br />
Deshalb müssen wir Traditionen<br />
immer neu betrachten und überdenken.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Können Sie uns dafür ein Beispiel<br />
geben?<br />
Alexander Lonquich: Ende des 19. Jahrhunderts<br />
wurde ganz viel am Klavier arpeggiert. Das war<br />
die Regel und ein zusammengespielter Akkord<br />
eher die Ausnahme. Diese Tatsache ist eindeutig<br />
und ich finde, das müsste auch heute wieder mit<br />
ins Klavierspiel eingebracht werden. Oder diese<br />
gewollte Ungleichmäßigkeit bei einer Phrase. Dass<br />
der erste Ton einfach viel länger ist bei einer Phrasierung.<br />
Das klingt, wenn man die Aufnahmen so<br />
zum ersten Mal hört, ungleichmäßig. Aber man<br />
muss sich vergegenwärtigen: Es war auch<br />
ungleichmäßig. Diese Art des Musizierens kam<br />
aber der menschlichen Sprache näher, man betont<br />
Silben ja auch verschieden.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Als Sie eben konzertiert haben, war auffällig,<br />
dass Sie zum Beispiel bei Schubert viel expressiver<br />
agieren …<br />
Alexander Lonquich: Schubert hat den Ruf <strong>als</strong> Lyriker,<br />
Beethoven dagegen den <strong>als</strong> Dramatiker.<br />
Aber zum Beispiel setzt Schubert die Pianissimo-<br />
Effekte viel stärker gegeneinander <strong>als</strong> Beethoven.<br />
Das heißt, die dynamische Bandbreite bei Schubert<br />
ist eigentlich viel größer <strong>als</strong> bei Beethoven.<br />
Wie oft schreibt Schubert acht Takte lang nur<br />
Pianissimo und dann plötzlich Crescendo, Fortissimo.<br />
Die späte A-Dur-Sonate hat so einen Ausbruch<br />
mittendrin, den kann man nicht laut genug<br />
spielen. Natürlich hat es bei Schuberts Instrumenten<br />
nicht so laut geklungen, aber man spürt ganz<br />
deutlich, dass Schubert Grenzen überspringen<br />
möchte.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Für ECM haben Sie die selten zu hörende<br />
Urfassung von Robert Schumanns „Kreisleriana“<br />
aufgenommen. Was reizt Sie an dieser Fassung?<br />
Alexander Lonquich: Es gibt keine richtige Urfassung<br />
der „Kreisleriana“. Es gibt nur die Henle-<br />
<strong>Ausgabe</strong>, wo man durch den kritischen Bericht<br />
I<br />
11
I<br />
Private Kleinanzeige<br />
I NTERVIEW<br />
einfach ziemlich genau sehen kann, wie die Urfassung<br />
war. Das sind wenige Unterschiede, aber<br />
die sind meiner Meinung nach wichtig. Es gibt<br />
auch bei den „Davidsbündlertänzen“ solche Unterschiede.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Sie kommen aus einem musikalischen<br />
Elternhaus, wurde Ihnen das Klavier sozusagen in die<br />
Wiege gelegt, oder war es bei Ihnen eine bewusste<br />
Entscheidung für dieses Instrument?<br />
Alexander Lonquich: Nein, mein Vater war dam<strong>als</strong><br />
eben am Theater Korrepetitor und Komponist.<br />
Da wurde zuhause so viel Klavier gespielt,<br />
das war für mich ganz natürlich. Ich habe die<br />
Musik von der Bühne her erfahren, von der Oper.<br />
Ich wollte <strong>als</strong> Kind auch nicht Pianist werden. Ich<br />
wollte einfach Musik machen. Irgendwann hat<br />
sich herausgestellt, dass das am Klavier gut funktioniert.<br />
Aber wegen dieser Prägung dirigiere ich<br />
ebenfalls gerne und viel. Ich spiele auch Mozart<br />
oder Beethoven ungern mit Dirigenten. Deshalb<br />
bin ich darauf gekommen, das vom Klavier aus<br />
selbst zu machen. Wenn man in die Musikgeschichte<br />
sieht, merkt man, dass es dam<strong>als</strong> keinen<br />
Dirigenten gab, sondern der Pianist oder Komponist<br />
dies selbst übernommen hat.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Sie spielen darauf an, dass Mozart<br />
auch selbst dirigiert hat?<br />
Alexander Lonquich: Ja, Mozart hat selber vom<br />
Klavier aus Generalbass gespielt und das Konzert<br />
zusammen mit dem Konzertmeister geleitet. Die<br />
Figur des Dirigenten gab es noch nicht. Der kam<br />
erst in den zwanziger, dreißiger Jahren des 19.<br />
Jahrhunderts auf. Und ich verspüre diesen Geist<br />
Steinway C-Flügel von privat zu verkaufen<br />
Nr. 481485; Jg. 1983<br />
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Foto: Cadenza Concert<br />
von dam<strong>als</strong> dann, wenn ich Mozart-<br />
Klavierstücke spiele. Ich bin sehr viel<br />
flexibler und improvisierter im positiven<br />
Sinne, wenn ich die Chance<br />
habe, mit einem großen Kammerensemble<br />
unmittelbar zu arbeiten.<br />
Dadurch bin ich dann aufs Dirigieren<br />
gekommen.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Wie ist für Sie der Wechsel<br />
vom Solisten zum Kammermusiker?<br />
Alexander Lonquich: Das kommt<br />
ganz darauf an, wie man sich mit<br />
den Leuten versteht, mit denen man<br />
zusammen Kammermusik macht.<br />
Wenn da wirklich eine musikalische<br />
Verbindung existiert, dann gibt es keinen großen<br />
Unterschied. Für mich müssen bei der Kammermusik<br />
alle Beteiligten große, ausgeprägte Persönlichkeiten<br />
sein, damit beim gemeinsamen Musizieren<br />
etwas Besonderes passiert. Natürlich muss jeder<br />
Einzelne sensibel genug sein, müssen sich die<br />
Mitglieder eines Ensembles genau zuhören. Je stärker<br />
die künstlerische Vorstellung des Einzelnen ist,<br />
desto spannender ist es, Kammermusik zu machen.<br />
PIANO<strong>News</strong>: In der Kammermusik können sich die<br />
wahren musikalischen Wunder ereignen, wenn dieser<br />
Flow entsteht …<br />
Alexander Lonquich: Das stimmt, da können<br />
ganz fantastische Dinge geschehen. Dazu muss<br />
man nicht unbedingt viel geprobt haben, das passiert<br />
manchmal bei wenigen Proben. Es kommt<br />
natürlich darauf an, welche Musiker wie oft im<br />
Leben schon welche Stücke gespielt haben. Auch<br />
wenn sie zum ersten Mal zusammenkommen, um<br />
zu spielen, kann das Ergebnis manchmal in ganz<br />
kurzer Zeit sehr gut werden.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Ist die Tradition des Musikhörens gleich<br />
geblieben, oder hat sie sich im Laufe der Zeit verändert?<br />
Alexander Lonquich: Ja, ich glaube, das Musikhören<br />
hat sich verändert. Ich kann mir vorstellen,<br />
wie intim das Hörerlebnis heute eines Zuhörers zuhause<br />
an seinem Lautsprecher ist. Das hat Glenn<br />
Gould in gewisser Weise vorausgesehen. Natürlich<br />
haben Konzerte auch ihr Besonderes, aber die<br />
Tatsache, dass man, wann man will – zum Beispiel<br />
nachts – einfach etwas Schönes hören kann, hat<br />
die Hörgewohnheiten gewandelt und das finde ich<br />
faszinierend. Ich bin so ein Nachtmensch, der einfach<br />
nachts um zwei Uhr Interesse daran hat, ein<br />
bestimmtes Stück zu hören. Das sind Dinge, die<br />
man früher nicht in der Form getan hat.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Die medialen Möglichkeiten verändern<br />
auch die Art und Weise der Musikrezeption …<br />
Alexander Lonquich: Was heute gänzlich anders<br />
ist, ist das schnelle Hin- und Herzappen. Da kann<br />
man <strong>als</strong> Musiker nur hoffen, dass man noch in der<br />
12 5 . 11
5 . 11<br />
Lage ist, die großen Zusammenhänge rüberzubringen.<br />
Denken wir an die Länge einer Bruckner-Sinfonie.<br />
Zuhause kann man einfach vier Minuten<br />
von diesem Stück und fünf Minuten von jenem<br />
hören. So kann man schnell weiterspringen.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Wie haben sich Ihre eigenen Konzertund<br />
Hörerlebnisse modifiziert?<br />
Alexander Lonquich: Um 1975, <strong>als</strong> ich die großen<br />
Pianisten wie Claudio Arrau oder Arturo Benedetti<br />
Michelangeli gehört habe, da habe ich in Bonn<br />
gesessen und ein Konzert war wirklich wie ein<br />
Ritual. Man hat sich darauf innerlich vorbereitet<br />
und dabei gab es den gewissen Moment. Deshalb<br />
auch der Kleidungskodex, die Leute haben sich<br />
dafür umgezogen. Das tun sie heute zum Teil auch<br />
noch, aber dam<strong>als</strong> jedenfalls hatte diese Handlung<br />
etwas Rituelles. Es ist auf der einen Seite schade,<br />
wenn so etwas verloren geht. Auf der anderen<br />
Seite, wenn ich vor einem Konzert einen Straßenmusiker<br />
höre, besteht für mich innerlich eine<br />
Verbindungslinie von draußen nach drinnen. Das<br />
hat nicht nur eine negative Seite, dass sich die<br />
Dinge verändern.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Es gibt ja genügend Komponisten, die<br />
diese Polyphonie ins Konzert holen. Würde Sie das<br />
nicht stören, wenn jemand so in Jeans und zerrissener<br />
Jacke kommt?<br />
Alexander Lonquich: Nein, das würde mich überhaupt<br />
nicht stören. Ich bin auf diesen Gebieten<br />
tolerant. Ich bin der Meinung, man kann vieles<br />
machen und man sollte auch sehr viel in einer<br />
neuen Form versuchen. Mich würde nur ein Mangel<br />
an Konzentration stören.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Spüren Sie vom Publikum die verschiedenen<br />
Signale während eines Konzertes?<br />
Alexander Lonquich: Ja, inzwischen viel mehr <strong>als</strong><br />
früher. Jeder Musiker ärgert sich über Schnäuzen<br />
oder Husten. Vor allen Dingen dieses langsame<br />
Karamellen-Öffnen [lacht]. Aber ich habe mittlerweile<br />
das Gefühl, das gehört zum Leben dazu, und<br />
so stark sollte man die Musik gar nicht von allen<br />
Dingen abschotten. Ich finde, da kann man auch<br />
in Beziehung dazu bleiben. Mittlerweile bin ich sogar<br />
der Meinung, man spielt besser, wenn man<br />
diese Dinge mitträgt, <strong>als</strong> wenn man total isoliert<br />
auf dem Podium sitzt.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Spielen Sie dann besser für die Schallplatte?<br />
Denn da sind Sie ja dann alleine …<br />
Alexander Lonquich: Nein, das kann man nicht<br />
vergleichen. Das ist eine ganz andere Erfahrung.<br />
Ich spiele nicht schlechter oder besser, ich spiele<br />
anders. Ich mag es auch sehr gern, wenn man<br />
etwa drei Live-Abende aufzeichnet und dann zusammenschneidet.<br />
Oder zwei Konzerte im gleichen<br />
Saal. Das finde ich fantastisch, das gibt so<br />
einen Live-Effekt. Was ich toll beim Aufnehmen<br />
finde: Für sich alleine kann die Aufnahmesituation<br />
auch eine ganz andere Art von Flow geben. Ich<br />
I NTERVIEW<br />
mag es, wenn ich nachts um halb zwölf in einem<br />
schummerigen Licht spiele. Das kann sehr inspirierend<br />
sein.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Haben Sie das Gefühl, dass Sie sich in<br />
Ihren CD-Aufnahmen sozusagen verewigen?<br />
Alexander Lonquich: Nein, eine CD ist schon bei<br />
der Aufzeichnung eine Momentaufnahme. Es ist<br />
vergleichbar mit einem Foto. Es handelt sich ja nie<br />
um eine endgültige Interpretation. Es ist eine Momentaufnahme,<br />
mit der man zufrieden sein kann,<br />
wenn sie gelungen ist. Das heißt, ich weiß, wenn<br />
ich so ein Stück nach einem Jahr im Konzert wieder<br />
spiele, interpretiere ich es wahrscheinlich wieder<br />
anders. Nicht völlig anders, aber zumindest etwas.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Wie schafft man es, sein Alleinstellungsmerkmal<br />
<strong>als</strong> Pianist heute bei der großen Konkurrenz<br />
beizubehalten?<br />
Alexander Lonquich: Es wird sehr viel verlangt<br />
auf diesem Sektor. Ich persönlich merke, je älter<br />
man wird, desto mehr hat man das Gefühl, man<br />
muss absolut versuchen, man selbst zu sein. Versuchen,<br />
zu einer Art von Leben zu kommen, bei<br />
dem man gerne macht, was man tut. Als junger<br />
Musiker begeht man oft den Fehler, Anfragen<br />
nicht abzulehnen, obwohl sie nicht richtig zu ei-<br />
I<br />
13
I<br />
Foto: Cadenza Concert<br />
I NTERVIEW<br />
nem passen. Da muss man auch „Nein“ sagen<br />
können.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Haben Sie zu wenig „Nein“ gesagt in<br />
Ihrem Leben?<br />
Alexander Lonquich: Ich habe es tatsächlich zu<br />
wenig gemacht. Jeder muss sein Profil schärfen<br />
und da gehört Nein-Sagen dazu. Das heißt für<br />
mich <strong>als</strong> Pianist, nicht nur Klavierabende zu geben,<br />
sondern auch Kammermusik zu spielen, zu dirigieren,<br />
Vorträge zu halten. Das gehört zur Lebensqualität.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Machen es die Nachwuchsmusiker besser?<br />
Alexander Lonquich: Ich habe zwölf Jahre sehr<br />
intensiv unterrichtet. Da habe ich gelernt, welche<br />
Ängste die jungen Musiker von heute ständig<br />
umtreiben: Wer werde ich sein? Werde ich überhaupt<br />
spielen? Und wer wird mich nehmen? Im<br />
Unterricht spüre ich leider sehr oft, dass sie deshalb<br />
gar nicht den Mut haben, ein eigenes musikalisches<br />
Konzept zu suchen, sondern Angst haben,<br />
was der Juror sagen wird. Sie wissen ganz<br />
genau, welche Leute sie vor sich haben und was<br />
die von ihnen erwarten. Sie versuchen dann sozu-<br />
Auswahldiskografie<br />
„Plainte calme“<br />
Gabriel Fauré: Impromtus<br />
Maurice Ravel: Gaspard de la nuit<br />
Olivier Messiaen: Préludes pour piano<br />
ECM New Series 1821<br />
Robert Schumann: Kreisleriana (Erstausgabe 1838)<br />
Heinz Holliger: Partita<br />
ECM New Series 2104<br />
Gideon Lewensohn: Klavierquintett; Postludien für<br />
Klavier; Odradek-Quartett<br />
Alexander Lonquich , Klavier<br />
Auryn Quartett; Ora Rotem Nelken, Klavier<br />
ECM New Series 1781<br />
sagen eine Interpretation zu bringen, die darauf<br />
abgestimmt ist, was dieser und jener erwartet. Das<br />
macht die Musik zum Teil völlig kaputt.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Welche Schlussfolgerungen haben Sie<br />
daraus gezogen?<br />
Alexander Lonquich: Ich habe mir gesagt, so<br />
möchte ich nicht sein, ich möchte auch meinen<br />
Teil dazu beitragen, dass sich was ändert. Es ist<br />
viel schlimmer geworden in den letzten Jahren.<br />
Vor zwanzig, dreißig Jahren, <strong>als</strong> ich studiert habe,<br />
haben wir auch teilweise Ängste gehabt. Aber es<br />
sprach jeder trotzdem ganz begeistert von seiner<br />
eigenen Vorstellung, die er realisieren wollte.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Was hat sich heute an Anforderungen<br />
dem Nachwuchs gegenüber geändert?<br />
Alexander Lonquich: Dam<strong>als</strong> war es auf eine<br />
andere Art schwer. Es gab den Mythos des großen<br />
Pianisten und man wurde an Pollini gemessen.<br />
Heute ist es vielfältiger, es gibt mehr Verschiedenes<br />
und nicht mehr alles schart sich um ein<br />
paar große Musiker – ein paar haben sich gerettet,<br />
wie Martha Argerich …<br />
PIANO<strong>News</strong>: Welcher Pianisten-Typ ist heute gefragt?<br />
Alexander Lonquich: Es werden oft Super-Virtuosen<br />
gesucht, die fantastisch Klavier spielen. Was<br />
ich interessant finde, ist, die erfolgreichen jungen<br />
Pianisten sind oft nicht mehr Leute, die einen<br />
Wettbewerb gewonnen haben. Weder Kissin hat<br />
einen Wettbewerb gewonnen, noch Volodos. Sondern<br />
es handelt sich bei beiden um Musiker, die<br />
sehr früh ein eigenes Profil hatten. Das versuche<br />
ich den jungen Leuten zu vermitteln. Kissin und<br />
Volodos erkennt man an ihrer Spielweise, sie sind<br />
intelligent und in der Musik sehr gebildet. Humanistische<br />
Bildung um die Werke herum ist von<br />
großer Bedeutung. Manche, die solch eine Neugier<br />
mitbringen und individuell sind, schaffen ihren<br />
Weg.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Denken Sie, dass die Klassik in zwanzig<br />
Jahren genauso existiert wie heute?<br />
Alexander Lonquich: Ich glaube, vor zwanzig Jahren<br />
waren wir noch pessimistischer, was die Zukunft<br />
der Klassik angeht. Und es gibt sie immer<br />
noch, die Klassik, aber anders. Es geht sicher nicht<br />
nur steil den Berg runter. Durch Berlusconi und<br />
die Kulturbanausen, die überall an der Kultur sägen,<br />
gehen die Leute viel mehr ins Theater und in<br />
Konzerte <strong>als</strong> früher, das ist erstaunlich. Das hätte<br />
es vor zehn Jahren nicht gegeben. Das ist wirklich<br />
erstaunlich, da war die Kultur so unten, dass die<br />
Leute wieder etwas anderes wollten. Oder die vielen<br />
Wiener Komponisten, die immer gegen Wien<br />
anschrieben. Ich glaube, Alban Berg wäre ohne<br />
Wien auch nicht Alban Berg.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Vielen Dank für das Gespräch, Herr<br />
Lonquich.<br />
14 5 . 11
B<br />
Von: Marco Frei<br />
Der Eingangsbereich des Ahmed Adnan<br />
Saygun Arts Centre in Izmir.<br />
Foto: Marco Frei<br />
B ETRACHTUNGEN<br />
KLASSIK AUF<br />
TÜRKISCH<br />
Blick auf das Zentrum<br />
von Izmir.<br />
Foto: Marco Frei<br />
Zur Klavierszene zwischen<br />
Orient und Okzident<br />
Die Türkei hat eine wesentlich reichere und<br />
vielfältigere Klassiktradition, <strong>als</strong> im Westen<br />
gemeinhin bekannt ist. Das gilt auch für<br />
die Klavierszene. Für ein islamisches Land<br />
ist das einmalig. Und doch ist nicht alles<br />
Gold, was glänzt. Nicht zuletzt scheint der<br />
politische Druck auf die Klassik zu steigen.<br />
Wir haben die türkischen Pianisten Idil<br />
Biret, Fazil Say, Gülsin Onay sowie Güher<br />
und Süher Pekinel befragt und uns in Izmir<br />
umgesehen. Dort gibt es einen neuen Konzertsaal.<br />
Es brodelt, kocht und rumort in Izmir. Mehr<br />
oder weniger unterschwellig. Musiker sind<br />
zusehends unzufrieden, auch die Bevölkerung<br />
in der westtürkischen Hafenstadt scheint irritiert.<br />
Der Gegenstand, um den es geht, ist ein neu-<br />
16 5 . 11
5 . 11<br />
er Konzertsaal. Es ist das „Ahmed Adnan Saygun<br />
Arts Centre“ in Izmir. Vor zwei Jahren wurde der<br />
Komplex in der drittgrößten Stadt der Türkei eröffnet.<br />
Benannt ist das Gebäude nach dem aus Izmir<br />
stammenden Komponisten, Dirigenten, Pädagogen<br />
und Musikforscher Ahmed Adnan Saygun.<br />
Der große Konzertsaal zählt knapp 1200 Plätze,<br />
ein kleinerer für Kammermusik rund 250.<br />
Neuer Konzertsaal, alte Probleme?<br />
Das akustische Design hat das Unternehmen<br />
„ARUP Acoustics“ ausgetüftelt. „Der Saal ist ein<br />
Prestige-Objekt – für Izmir und die Türkei“, betont die<br />
Pianistin Gülsin Onay. Doch es gibt Probleme:<br />
„Jetzt wurde Kritik laut, dass der Saal nicht so gut programmiert<br />
werde und dass da mehr gemacht werden<br />
solle“, berichtet Onay. „Der Saal stehe viel leer, hört<br />
man. Er werde nicht genug genutzt. Es gebe ein oder<br />
zwei Konzerte in der Woche von dem Staatlichen<br />
Sinfonieorchester aus Izmir und vielleicht noch einen<br />
Klavierabend. Aber der Saal soll fast jeden Abend<br />
bespielt werden. Jetzt wollen sie alle Genres der Musik<br />
machen, auch Pop.“<br />
Als wir Anfang Mai in Izmir waren, um ein Konzert<br />
des Staatlichen Sinfonieorchesters unter der<br />
Leitung von Hansjörg Schellenberger zu besuchen<br />
und in der Stadt zu recherchieren, hätten wir gerne<br />
darüber mit der Direktorin des „Ahmed Adnan<br />
Saygun Arts Centre“ gesprochen. Leider ging das<br />
nicht: Sie sei gerade verhaftet worden, wegen<br />
Missmanagements, Veruntreuung und Unterschlagung,<br />
war zu hören. Den eigenen Namen wollte<br />
niemand in diesem Zusammenhang nennen. Dabei<br />
fing die Geschichte mit dem neuen Konzertsaal<br />
so erfolgreich an.<br />
Beim Eröffnungskonzert vor zwei Jahren hatte<br />
Onay in die Tasten gegriffen. „Saygun, nach dem<br />
der Saal benannt ist, war mein Lehrer“, berichtet die<br />
Pianistin, die heute auch in England lebt. „In vielen<br />
Ländern habe ich seine Werke gespielt. Beim Eröffnungskonzert<br />
habe ich sein erstes Klavierkonzert aufgeführt.<br />
Das war sehr emotional für mich.“ Begleitet<br />
wurde Onay seinerzeit vom Staatsorchester aus<br />
Izmir, der 1975 gegründete Klangkörper ist der<br />
Hauptnutzer des „Ahmed Adnan Saygun Arts Centre“.<br />
„Ich habe schon vier oder fünf Mal in dem Saal<br />
gespielt“, so Onay weiter. „Vielleicht ist der kleine<br />
Saal für Kammer- und Klaviermusik besser. Aber beide<br />
Säle haben eine ganz tolle Akustik. Ich würde sagen,<br />
dass die Bühnenakustik beim großen Saal etwas<br />
trocken ist, aber man hört sich sehr gut.“ Auch<br />
Musiker aus dem Ausland schwärmen für das „Ahmed<br />
Adnan Saygun Arts Centre“, darunter Schellenberger.<br />
Seit 2001 dirigiert der frühere Solooboist<br />
der Berliner Philharmoniker immer wieder<br />
beim Staatlichen Sinfonieorchester von Izmir.<br />
Und tatsächlich: Wer den ausgewogenen Klangeindruck<br />
im großen Konzertsaal schon einmal<br />
gehört hat, kann sich gut vorstellen, dass selbst<br />
eine Klassik-Metropole wie München mit der vermurksten<br />
Philharmonie im Gasteig neidisch auf<br />
diese Akustik sein dürfte. So hatte sich der neue<br />
Saal in Izmir in kurzer Zeit zu einer wahren Attraktion<br />
gemausert – nicht nur national, sondern auch<br />
international. Doch nun gibt es Probleme, die<br />
B ETRACHTUNGEN<br />
wohl exemplarisch für die Klassikszene im Land<br />
stehen – eine Szene, die über große Potenziale verfügt,<br />
die aber nicht im vollen Umfang genutzt werden.<br />
Eine Szene, die heute vielfach mit dem<br />
Rücken an der Wand zu stehen scheint.<br />
Reiche Klassiktradition<br />
Dabei ist die türkische Klassiktradition reichhaltiger,<br />
<strong>als</strong> man bisweilen im Westen weiß. Rückblick<br />
auf das Jahr 1826: Sultan Mahmut II. lässt die Janitscharen-Kapellen<br />
zu Militärblasorchestern umwandeln.<br />
Mit der Organisation dieser Mammut-<br />
Aufgabe, die durchaus viel Konfliktpotential bereithält,<br />
beauftragt er Giuseppe Donizetti, ein Bruder<br />
des berühmten Opernkomponisten aus Italien.<br />
Giuseppe Donizetti wird Hofkapellmeister und<br />
gründet schließlich ein Sinfonieorchester und eine<br />
Musikschule nach europäischem Vorbild. Bald<br />
schon besuchen Persönlichkeiten wie Franz Liszt<br />
oder Henri Vieuxtemps Istanbul, und italienische<br />
Ensembles touren durchs Land.<br />
All diese Schritte läuten in der Türkei eine erste<br />
Klassiktradition nach westeuropäischem Beispiel<br />
ein. Allerdings ist es der Republikgründer und Turbo-Reformator<br />
Mustafa Kemal, genannt „Atatürk“,<br />
der den weiteren Ausbau des Klassiklebens<br />
Idil Biret<br />
Foto: Carsten Dürer<br />
Moderne Architektur<br />
herrscht vor im<br />
Ahmed Adnan<br />
Saygun Arts Centre.<br />
Foto: Marco Frei<br />
B<br />
17
B<br />
Auch im Innenbereich des Ahmed Adnan<br />
Saygun Arts Centre gibt es eine offene,<br />
moderne Architektur zu bestaunen.<br />
Foto: Marco Frei<br />
B ETRACHTUNGEN<br />
vorantreibt – fast schon im Hauruck-Verfahren.<br />
Auf die Bemerkung des deutschen Journalisten<br />
Emil Ludwig, dass die europäische Kunstmusik<br />
Jahrhunderte benötigt habe, um dorthin zu gelangen,<br />
wo sie heute sei, soll der „Vater der Türken“<br />
gelassen und zugleich ehrgeizig erwidert haben:<br />
„Ich sehe, wir sind<br />
in Zeitnot.“<br />
Also werden die<br />
Ärmel hochgekrempelt.<br />
1926<br />
öffnet das Konservatorium<br />
in Istanbul<br />
seine Tore.<br />
1938 wird das<br />
Istanbuler Sinfonieorchester<br />
in<br />
die neue Hauptstadt<br />
Ankara<br />
überführt, wo<br />
man zugleich<br />
1939 die erste türkische<br />
Staatsoper<br />
gründet. Sonst<br />
aber profitiert das türkische Klassikleben gerade<br />
auch von der türkischen Neutralität während des<br />
deutschen Nation<strong>als</strong>ozialismus und des Zweiten<br />
Weltkriegs. Viele Künstler und Wissenschaftler fliehen<br />
in die Türkei, darunter der Komponist Paul<br />
Hindemith. Er wird 1935 damit beauftragt, die<br />
türkische Musikausbildung zu „optimieren“.<br />
Dieser empfiehlt ein Konservatoriumsmodell<br />
nach französischem Vorbild, wie es noch heute in<br />
der Türkei gelebt wird, und eröffnet im Mai 1936<br />
in Ankara ein erstes Vorzeigeinstitut. Auch nach<br />
dem Tod von Atatürk 1938 hielten die Regierungen<br />
grundsätzlich an seinem Klassikkurs fest. Bis<br />
in die 1990er Jahre hinein werden verstärkt weitere<br />
Opernhäuser und Orchester gegründet, und<br />
zwar gleichermaßen private und staatliche. Auch<br />
in der Klavierszene gibt es erfolgreiche Initiativen<br />
und Projekte.<br />
Die Klavierszene und Wilhelm Kempff<br />
Onay verweist auf Pädagogen wie Mithat Fenmen:<br />
„Er hat vielen Leuten sehr viel beigebracht – auch mir“,<br />
erinnert sie sich. „Auch meine Klavierkollegen Idil<br />
Biret, Fazil Say und die Pekinel-Geschwister wurden<br />
von ihm unterrichtet. Er war eine sehr liebe Persönlichkeit,<br />
weich und verständnisvoll.“ Ein besonderes<br />
Kapitel in der türkischen Klaviergeschichte waren<br />
nicht zuletzt die Kontakte zu Wilhelm Kempff.<br />
Zwischen 1927 und 1963 besuchte er mehrm<strong>als</strong><br />
die Türkei. Kempff kannte auch Ismet Inonu,<br />
Nachfolger von Atatürk, persönlich.<br />
Im Juli 1982 weilte Idil Biret, Grande Dame der<br />
türkischen Klavierszene, in Wilhelm Kempffs Villa<br />
im italienischen Positano. Zum 100. Geburtstag<br />
von Kempff 1995 hat der Bayerische Rundfunk in<br />
einer Radiosendung von Sefik Yüksel dieses Treffen<br />
und Kempffs Wirken in der Türkei dokumentiert.<br />
„Ich habe die Türkei erstm<strong>als</strong> 1927 besucht“, wird<br />
Kempff zitiert; seinerzeit hatte er in Ankara ein Recital<br />
gegeben. Hinterher wurde Kempff von Kemal<br />
Pasha, einem Referenten von Atatürk, zum Essen<br />
eingeladen.<br />
Laut den Erinnerungen von Kempff habe Kemal<br />
Pasha gesagt, dass er viele Reformen in der Gesetzgebung,<br />
dem Bildungssystem und auf anderen<br />
Gebieten des öffentlichen Lebens starten wolle, um<br />
die Modernisierung der Türkei voranzutreiben. „Er<br />
sagte, dass klassische Musik ein wesentlicher Teil der<br />
westlichen Kultur sei, der die Quelle seiner Reformbewegung<br />
darstelle“, so Kempff. „Deswegen spürte er<br />
die Notwendigkeit, die klassische Musik in der Türkei<br />
weiträumig einzuführen – <strong>als</strong> Teil der Modernisierung<br />
des Lands. Er befürchtete, dass ohne parallele musikalische<br />
Reformen in der Türkei seine Reformen auf anderen<br />
Gebieten unvollständig bleiben würden.“<br />
Wie sich Kempff weiter erinnert, soll ihn Kemal<br />
Pasha um Rat gebeten haben. Welche Musiker<br />
und Musikwissenschaftler könnte man einladen,<br />
um die Schulen und Institutionen des Landes auf<br />
diesem Gebiet zu reformieren und den Grundstein<br />
zu legen für ein Klassikleben in der Türkei? Kempff<br />
empfahl unter anderem Wilhelm Furtwängler, der<br />
daraufhin eingeladen wurde; Furtwängler empfahl<br />
seinerseits Hindemith, um ein Konservatoriumssystem<br />
in der Türkei aufzubauen. „Kemal Pasha<br />
war ein großer Mann“, soll Kempff 1982 zu Biret<br />
gesagt haben.<br />
Türkische Klassik<br />
Zugleich schufen türkische Komponisten die ersten<br />
großen türkischen Beiträge in der klassischen<br />
Musik. Da sind die „Türkischen Fünf“: Cemal Resit<br />
Rey, Adnan Saygun, Necil Kazim Akses, Ulvi Cemal<br />
Erkin und Ferid Alnar. „Sie sind um 1900 geboren,<br />
haben in Städten wie Paris, Wien oder Prag studiert<br />
und benutzen volksmusikalische Elemente“,<br />
erklärt Biret. „Saygun arbeitete in den späten 1930er<br />
Jahren eng mit Béla Bartók zusammen, der die Türkei<br />
besuchte, um türkische Volkslieder zu sammeln.“<br />
Biret verweist auf Bartóks Buch „Turkish Folk<br />
Music from Asia Minor“. Erkin, Akses und Alnar<br />
seien hingegen vor allem von der reichen Folklore<br />
Anatoliens inspiriert, so Biret weiter, wobei sie viele<br />
Werke auch für heimische Instrumente geschrieben<br />
hätten. Dagegen sei die Partitur von Reys<br />
„Concerto Chromatique“ auf dem Flügel von Ravel<br />
aufgefunden worden, nachdem dieser verstorben<br />
war. Andere beschäftigen sich mit der seriellen<br />
(Ilhan Usmanbas und Hüseyin Saadettin Arel)<br />
oder der elektronischen Musik (Ilhan Mimaroglu<br />
und Arel).<br />
„Heute gibt es eine große Zahl von türkischen Komponisten,<br />
die eine große Vielfalt von Stilen bedienen –<br />
von Folklore bis hin zu aktuellen Schreibweisen“, so<br />
Biret weiter. Sie selber interessiere sich sehr für die<br />
Klavierwerke von Ertugrul Oguz Firat: „Er benutzt<br />
ein sehr persönliches atonales Idiom und ergründet<br />
mit großer Imagination alle Möglichkeiten der Tastatur“,<br />
erläutert Biret. Konkret nennt sie die „Sechs<br />
Sätze“ (1996/97), die Sonaten op. 38 und 84, das<br />
Klavierkonzert op. 46 (in Gedenken an Atatürk),<br />
die „Stücke zur Erinnerung an Liszt“ op. 77 sowie<br />
„In war and peace (Atatürk)“ op. 30.<br />
„Ich plane, einige dieser Werke in der nahen Zukunft<br />
einzuspielen“, verrät Biret. Dagegen nennen die Geschwister<br />
Güher und Süher Pekinel, die ein bekanntes<br />
Klavierduo bilden, folgende Komponisten<br />
und konkrete Werke, die eine große Bedeutung für<br />
18 5 . 11
5 . 11<br />
die Entwicklung der türkischen Klaviermusik hätten:<br />
Usmanbas’ „They Were Immortal Seastones“,<br />
Ilhan Barans „Black and White“, Kamuran Inces<br />
„Blue Journey“, Münir Nurettin Beken, Hasan<br />
Ucarsus „Summer Journey“, Özkan Manavs „Movements“,<br />
Muhittin Duroglus „Les Tourneur“, Mahir<br />
Cetiz’ „Transformation“, Zeynep Gedizoglus<br />
„Pentagramme“ sowie von Fazil Say „Paganini Variations<br />
in Jazz Style“ und „Nasreddin Hoca“. Say<br />
selber ergänzt diese Liste um Ulvi Cemal Erkin und<br />
Ahmet Adnan Saygun.<br />
Eine Klassikoase?<br />
So kann man Idil Biret nur zustimmen, wenn sie<br />
betont, dass die Türkei das einzige Land in der<br />
muslimischen Welt sei, das über einen derartigen<br />
Reichtum an klassischer Musik verfüge – eine<br />
„Oase in der Wüste“, wie auch andere sagen.<br />
Dennoch ist auch diese „Oase in der Wüste“ relativ.<br />
So beklagt Biret heute zugleich eine „Abwesenheit<br />
der Kulturpolitik in der Klassik beim Kulturministerium“,<br />
das sei ein großes Problem.<br />
Und nicht nur das: In den letzten Jahren habe<br />
die „islamische Radikalisierung“ des Landes den<br />
Klassikmusikern und dem Musikleben in der Türkei<br />
große Probleme bereitet, berichtet Biret. Die<br />
Regierung habe die staatliche Unterstützung für<br />
Orchester, Opernhäuser und Ballettensembles gekürzt<br />
– mit der Begründung, „die Klassik macht<br />
nicht das Geld, um die Kosten zu decken. Hinter dieser<br />
Art von Rechtfertigung verbirgt sich eine dunklere<br />
Wahrheit“, sagt Biret, nämlich „das Verlangen von<br />
mittelalterlichen, unterdrückenden Kräften, individualistischere,<br />
progressivere, säkularere Denkweisen und<br />
Lebenshaltungen zu unterdrücken.“<br />
Wie weit das zuweilen geht, weiß Biret aus eigener<br />
Erfahrung. 2009 war es, <strong>als</strong> sie im Istanbuler<br />
Topkapi-Palast, dem ehemaligen Herrschaftssitz<br />
von muslimischen Sultanen des Osmanischen<br />
Reiches, gemeinsam mit einem britischen Orchester<br />
konzertierte. Weil schon im Vorfeld die regierungsnahe<br />
Tageszeitung Vakit in einem Artikel<br />
polterte, bei dieser Gelegenheit werde „Alkohol wie<br />
Wasser im geheiligten Palast fließen“, kam es zu heftigen<br />
Protesten von Islamisten. Zwar hatte sich Biret<br />
seinerzeit dafür entschieden, das Konzert dennoch<br />
fortzusetzen, um ein Zeichen zu setzen; hin-<br />
B ETRACHTUNGEN<br />
B<br />
terher musste sie<br />
aber unter Polizeischutz<br />
das Gebäude<br />
verlassen.<br />
Man müsse sich<br />
fragen, in welcher<br />
Art von Staat man<br />
lebe, kommentierte<br />
sie und zeigte sich<br />
verunsichert, ob sie<br />
weiterhin <strong>als</strong> Pianistin<br />
furchtlos in<br />
ihrem Land auftreten<br />
könne. Da Istanbul<br />
ein Jahr späterKulturhauptstadt<br />
Europas werden<br />
sollte, kommentierte<br />
dam<strong>als</strong><br />
PIANO<strong>News</strong> in der<br />
<strong>Ausgabe</strong> 5/2009:<br />
„Diese Aktion wirft<br />
ein negatives Licht<br />
Die Pianistin Gülsin Onay.<br />
auf die die klassische<br />
Foto: Aykut Usluteki<br />
Musik negierenden<br />
Extremnationalisten,<br />
deren Aktion von der Regierungspartei <strong>als</strong> ‚Akt einer<br />
demokratischen Aktion’ abgetan wurde.“ Für ein<br />
Land, das eigentlich eine stärkere Integration in<br />
den Westen anstrebt, ist das äußerst problematisch<br />
und brisant.<br />
Und Ähnliches lässt sich überall im Klassikleben<br />
der Türkei nachweisen, im Großen und im Kleinen.<br />
So werden zwar staatliche Orchestermusiker<br />
in der Türkei vergleichsweise gut entlohnt und<br />
genießen soziale Absicherungen, der Preis ist aber<br />
eine Reglementierung vonseiten des Staats – gerade<br />
auch in sehr sensiblen Bereichen des Orchesteralltags<br />
und der Orchesterkultur. Auch im Staatlichen<br />
Sinfonieorchester Izmir sitzen so gut wie<br />
keine ausländischen Mitglieder, zudem darf nur<br />
ein geringer Teil des Saisonprogramms von ausländischen<br />
Gastdirigenten und Solisten bestritten<br />
werden. Diese erhalten vom türkischen Staat eine<br />
Gage, für die internationale Klassikgrößen nicht<br />
auftreten.<br />
Man sei international kaum wettbewerbsfähig:<br />
„Um teure, gute Solisten und Gastdirigenten zu be-<br />
Wir sind umgezogen und freuen uns<br />
auf Ihren Besuch!<br />
Peiner Str. 26 31311 Eltze Telefon 0177 / 33 01 933 mail@fluegelfink.de www.fluegelfink.de<br />
19
B<br />
B ETRACHTUNGEN<br />
kommen, die gerade auch wichtig sind für die Entwicklung<br />
der Orchesterkultur, braucht man Sponsoren“,<br />
heißt es. Allenthalben wurde und wird der Rotstift<br />
angesetzt: „In den letzten fünfzehn Jahren hat der<br />
Staat im Fach Musik die Stipendien leider drastisch gekürzt“,<br />
berichtet das Pekinel-Duo. „Viele Musiker<br />
sind auf private Stipendien angewiesen, die auf kurze<br />
Zeit begrenzt sind, um ihr Studium fortzusetzen. Da<br />
hat sich bis heute nicht viel geändert.“<br />
Die Musikausbildung<br />
Was die Pekinel-Geschwister erzählen, ist brisant,<br />
denn früher war die Situation anders. „Die hier<br />
ausgebildeten jungen Musiker wurden durch die Regierung<br />
<strong>als</strong> Stipendiaten ins Ausland entsandt, um<br />
dort eine vorzügliche internationale Ausbildung zu<br />
erhalten. Nach den Studien kamen sie in die Türkei<br />
zurück und haben ihr Wissen in neu aufgebauten Klavier-Schulen<br />
an die Jugend weitergegeben.“ Das falle<br />
damit weg, zudem bemängeln sie den Zustand der<br />
türkischen Konservatorien.<br />
„Der heutige Zustand der Konservatorien bedarf<br />
einer systematischen Sanierung des musikalischen Erziehungssystems,<br />
die die Integration des heutigen europäischen<br />
Standards erlaubt und bürokratische Barrieren<br />
überwindet. Heutzutage können Solisten mit<br />
sehr guter Ausbildung keine ihrem Können gebührende<br />
Stelle finden, um zu unterrichten.“ Idil Biret teilt<br />
diese kritischen Einschätzungen nicht: „Vor einigen<br />
Jahrzehnten gingen Musikstudenten noch ins Ausland,<br />
um dort an Hochschulen oder mit privaten Lehrern zu<br />
studieren“, meint sie.<br />
„Ich persönlich glaube, dass heute Studenten eine<br />
sehr gute Ausbildung in der Türkei erhalten und es<br />
nicht mehr notwendig ist, ins Ausland zu gehen.“<br />
Kürzlich sei sie Jury-Mitglied gewesen beim Rachmaninow-Wettbewerb<br />
des Russischen Konsulats in<br />
Istanbul: „Ich habe exzellente junge türkische Pianisten<br />
gehört, von denen einige an Konservatorien in den<br />
Provinzen studiert haben und nicht in Istanbul oder<br />
Ankara.“ Eine Meinung dazwischen vertritt die Geigerin<br />
Hande Özyürek, die lange in Deutschland<br />
lebte und kürzlich eine Professur in Istanbul erhalten<br />
hat: „Seit mehreren Jahren hatte ich dieses An-<br />
Fazil Say<br />
Foto: Marco Borggreve<br />
gebot und habe den Kontakt<br />
zur Türkei nie abgebrochen“,<br />
erzählt sie. „Ich habe es mir<br />
lange überlegt, ob ich das wirklich<br />
machen soll. Aber ich habe<br />
festgestellt, dass es in der Türkei<br />
viele talentierte Musiker<br />
gibt, die noch mehr lernen<br />
möchten. Ich habe gedacht,<br />
dass ich hier viel beibringen<br />
könnte. Es ist nicht einfach,<br />
aber hier ist viel in Bewegung.<br />
Deshalb bin ich auch da –<br />
damit ich auch etwas helfe.“<br />
Historische<br />
Aufführungspraxis und<br />
Neue Musik<br />
Ähnlich Gespaltenes hört<br />
man auch, wenn man fragt,<br />
ob in der Türkei die historische Aufführungspraxis<br />
an den Konservatorien unterrichtet werde – wobei<br />
nicht immer klar zu sein scheint, was überhaupt<br />
damit gemeint ist. Der Pianist Fazil Say stellt hierzu<br />
kurz und knapp fest: „Es gibt eine Pflege der<br />
historischen Aufführungspraxis, das ist nichts Unbekanntes<br />
in der Türkei.“ Das sehen andere völlig<br />
anders, vor allem Orchestermusiker: „Wir haben an<br />
den Konservatorien nicht genug Erziehung sowohl für<br />
Barock <strong>als</strong> auch für Neue Musik“, klagt etwa Tolga<br />
Alpay, Fagottist beim Staatlichen Sinfonieorchester<br />
in Izmir. „Leider haben wir auch keine Erziehung<br />
in historischer Aufführungspraxis.“<br />
Geigerin Hande Özyürek sieht das ähnlich: „In<br />
Istanbul, wo ich unterrichte, rede ich davon. Aber ich<br />
glaube nicht, dass im Moment überall darüber gesprochen<br />
wird. Dennoch sind die Dozenten an den<br />
Musikhochschulen sehr viel bewusster hierin und<br />
haben meistens Kontakte zum Ausland. Wir haben an<br />
der Hochschule ein Kammerorchester und haben<br />
schon Vivaldi gespielt. Ich habe auch mehrere Ideen,<br />
wie wir das in der Türkei ausbauen können: Wir spielen<br />
bald auch mit Barock-Bögen. Ich werde die Bögen<br />
aus Deutschland mitbringen.“<br />
Und die Neue Musik? Es sei Pflicht, moderne Stücke<br />
zu spielen, wenn man studiere, berichtet Özyürek.<br />
„Ich spiele selber öfter zeitgenössische Musik und<br />
werde auch dabei bleiben.“ Die Pekinels bestätigen<br />
diese Einschätzung: „An einigen Hochschulen gibt es<br />
inzwischen eine Abteilung für moderne Musik“, sagen<br />
sie. „Die bekannteste darunter, MIAM (Zentrum für<br />
moderne Musikstudien), befindet sich in Istanbul und<br />
wird durch den in Amerika lebenden Komponisten<br />
Kamran Ince und den bekannten Violinisten Cihat<br />
Askin geleitet.“<br />
Interkulturelle Probleme<br />
und Stadt-Land-Gefälle<br />
Indessen ist es wichtig, bei Klassikkonzerten auch<br />
türkische Folklore zu präsentieren. „Die Leute mögen<br />
es, wenn sie im Konzert etwas hören, das sie kennen“,<br />
bestätigt Fazil Say. „Wenn man ausschließlich<br />
mit Ungewohntem kämpfen muss, kann ein Konzert<br />
anstrengend werden für den Zuhörer. Jedes Konzert<br />
20 5 . 11
5 . 11<br />
während meiner Tournee durch die Dörfer Anatoliens<br />
habe ich deswegen dam<strong>als</strong> mit einem Lied aus der<br />
jeweiligen Region begonnen, um den Einstieg zu<br />
erleichtern.“ Denn, so Say weiter: „Das größte Problem<br />
ist, dass viele Türken das Gefühl haben, dass die<br />
europäische Klassik nicht zur ihrer Kultur gehöre.“<br />
Ähnlich formuliert es Idil Biret, wenn sie sagt:<br />
„Die traditionelle türkische Musik und die westliche<br />
klassische Musik sind heute gegensätzliche Enden des<br />
Spektrums, obwohl sie wie in Japan <strong>als</strong> Ergänzung und<br />
nicht wie in der Türkei <strong>als</strong> Feinde angesehen werden<br />
sollten.“ Für Say steht fest: „Die europäische klassische<br />
Musik ist universal, sie gehört allen – so wie auch<br />
die türkische Musik für alle da ist, nicht nur für die<br />
Türken. Man muss nur gute Vermittlungsarbeit leisten,<br />
dann kann man viele Menschen mit Klassik erreichen.“<br />
Say selber nennt ein Beispiel aus Izmir: „Zu den<br />
großen Aufführungen meiner Oratorien kamen in Izmir<br />
bis zu 18.000 Menschen an einem Abend. Grundsätzlich<br />
ist das Interesse an Klassik <strong>als</strong>o vorhanden,<br />
aber die kommerzialisierte Musik aus dem Radio siegt<br />
leider über alles. Wenn man bewusst versucht, Brücken<br />
zu bauen, kann man durchaus viele Leute begeistern.“<br />
Schwieriger ist die Situation im ländlichen Raum.<br />
„Das Klassikleben in der Türkei spielt sich vor allem in<br />
Großstädten ab, die ihre eigenen Orchester haben“,<br />
berichtet das Pekinel-Duo.<br />
Deswegen tourt das Staatliche Sinfonieorchester<br />
Izmir häufig durch die Dörfer der Region. „Wir verdienen<br />
nichts damit“, sagt Fagottist Alpay. „Wir haben<br />
spezielle Programme für die Dörfer mit türkischer<br />
und klassischer Musik, auch türkische Folklore mit<br />
neuen Arrangements. Andererseits mieten sich viele<br />
Dorfbewohner einen Bus und kommen zu unseren Konzerten<br />
nach Izmir.“ Dennoch: „Es ist leider nicht so<br />
wie in Deutschland, Holland, Frankreich oder in der<br />
Schweiz, wo man sogar in kleinsten Dörfern Konzertsäle<br />
mit guter Akustik und Flügeln finden kann“,<br />
betonen die Pekinel-Schwestern.<br />
Schulische Musikerziehung<br />
Gerade wenn es um das Stadt-Land-Gefälle und<br />
die interkulturellen Probleme in der Türkei geht,<br />
offenbart sich zugleich die Dringlichkeit von schulischer<br />
Musikerziehung. „Hier muss die Türkei noch<br />
aufholen, denke ich“, meint Gülsin Onay. „Ich habe<br />
nicht den Eindruck, dass da viel gemacht wird – gerade<br />
an den Schulen. Wenn man einen guten Lehrer hat,<br />
dann ist das ein großes Glück.“ Die Pekinel-Geschwister<br />
pflichten ihr bei und haben daraus Konsequenzen<br />
gezogen: „Da an den Schulen – im Gegensatz<br />
zu den 1960er Jahren – bis zur Mittelschule<br />
keine Musikerziehung existiert, haben wir <strong>als</strong> Pilotprojekt<br />
vor fünf Jahren in einem Internat für hochbegabte<br />
Kinder eine Musikabteilung gegründet.“<br />
Dieses Internat befinde sich in Istanbul und richte<br />
sich an Schüler von der Mittelstufe bis zum Abitur.<br />
Der Unterricht erfolge auf Englisch. „Kinder<br />
aus der ganzen Türkei werden in drei Etappen ausgewählt<br />
und müssen mehrere Prüfungen absolvieren, um<br />
aufgenommen zu werden. Ihr IQ darf nicht unter 130<br />
Punkten liegen. Die Studenten, die hier ihr Abitur<br />
machen, werden dann von namhaften internationalen<br />
Universitäten mit vollem Stipendium aufgenommen.“<br />
Mit diesem Elite-Projekt wolle man nicht Musiker<br />
B ETRACHTUNGEN<br />
ausbilden, sondern spezielle Talente mit Musikund<br />
Kulturbewusstsein ausrüsten.<br />
Dahinter steckt eine Idee, die nicht gerade uneigennützig<br />
ist, denn: „Sie werden später unter anderem<br />
bei großen Firmen sein und uns Musiker und die<br />
wichtigen kulturellen Projekte unterstützen. Kurz gesagt:<br />
Sie werden unsere wichtigen Sponsoren.“ Zudem<br />
könnten sich die Elite-Schüler später – dank des<br />
„kulturellen Basiswissens“ – besser integrieren und<br />
Dialoge entwickeln, „indem sie zum Beispiel mit ihren<br />
Kommilitonen zusammen musizieren. Dafür haben<br />
wir an die 70 verschiedene Instrumente gekauft, und<br />
die besten Lehrer aus dem Konservatorium unterrichten<br />
hier.“<br />
Einen ersten Erfolg gab es bereits. „Nach vier Jahren<br />
ist das Fach Musik durch das Bildungsministerium<br />
<strong>als</strong> fixer Bestandteil in den normalen Stundenplan integriert<br />
worden“, berichtet das Pekinel-Duo. Was<br />
der nächste Schritt ist? „Unser Wunsch ist, dass sich<br />
dieses System in allen Schulen in der Türkei durchsetzt,<br />
da jedes Kind das Recht dazu hat, sein kreatives Ich zu<br />
entdecken.“ Immerhin haben die Pekinels bereits<br />
ein Orff-Schulwerk initiiert, wofür mit den Orff-<br />
Instituten in Salzburg und München kooperiert<br />
werde. „Diese Methode konzentriert sich wie in Europa<br />
auf das Vorschul- und<br />
Grundschulalter“, so die<br />
Pekinels.<br />
„Derzeit werden dreißig<br />
Lehrer mit Hilfe von<br />
bekannten Professoren<br />
ausgebildet, die rund 2000<br />
Schüler unterrichten. In<br />
ihren Schulen werden die<br />
Kenntnisse dieser Methodik<br />
an den Schülern angewendet.<br />
Die Kinder werden<br />
somit zum Spielen und<br />
Tanzen, zu Instrumentenspiel<br />
und Gruppenarbeit<br />
sowie zum besseren Hören<br />
animiert und entdecken<br />
somit ihre eigene Persönlichkeit.“<br />
Hier sei der<br />
nächste Schritt, dies<br />
auch auf Hochschulen<br />
auszubreiten und dort das Orff-Schulwerk in die<br />
Stundenpläne der jeweiligen Musikfächer <strong>als</strong> fixes<br />
Fach zu integrieren.<br />
Und die Pekinel-Geschwister haben noch ein<br />
weiteres Projekt ausgeklügelt: Es unterstützt werdende<br />
Musiker, die eine solistische Karriere anstreben.<br />
Zwölf Talente, die verschiedene Instrumente<br />
spielen, werden mit Stipendien unterstützt. „Sie<br />
studieren alle derzeit im Ausland bei den besten Professoren“,<br />
berichten sie, „partizipieren an Sommerkursen<br />
und müssen jedes Jahr an einem internationalen<br />
Wettbewerb teilnehmen. Wir haben sie aus verschiedenen<br />
Konservatorien in der Türkei ausgewählt,<br />
wo sie vor einer Jury vorgespielt haben.“<br />
Konzertalltag<br />
Worüber sich alle befragten Musiker einig sind, ist<br />
das deutliche Verbesserungs- und Optimierungspotenzial,<br />
wenn es um die Auftrittsmöglichkeiten<br />
B<br />
Güher & Süher Pekinel<br />
Foto: Tanja Niemann<br />
21
B<br />
Blick auf Izmir.<br />
Foto: Marco Frei<br />
B ETRACHTUNGEN<br />
von Solisten in der Türkei geht. Zwar betonen die<br />
Pekinel-Geschwister, dass man mittlerweile in der<br />
Türkei neben den Hochschul- und Konzertsälen<br />
auch an großen Universitäten und im Rahmen<br />
von Festiv<strong>als</strong> konzertieren könne („Wenn man gut<br />
organisiert ist, kann man dies nahezu in 25 Städten realisieren.“),<br />
aber: „Unverständlicherweise hat sich bis<br />
heute noch kein Konzert- Management-System etabliert.“<br />
Ausnahmen seien, so die Pekinels weiter, die<br />
auch im Ausland sehr bekannte Istanbul Kulturund<br />
Kunst-Stiftung (IKSV) sowie die Is Bankasi<br />
Konzerte. Die Folge: „Viele müssen auf eigene Faust<br />
in den jeweiligen Städten Konzerte organisieren. Dies<br />
ist nicht genug, um zu überleben.“ Idil Biret stimmt<br />
zu: „Die meisten Pianisten unterrichten auch privat<br />
oder an den Hochschulen.“ Sie rate immer jungen<br />
Pianisten, auch<br />
eine zweite Berufsausbildung<br />
zu<br />
absolvieren, um<br />
den Lebensunterhalt<br />
sicher bestreiten<br />
zu können.<br />
„Es ist schwierig,<br />
in der Türkei<br />
nur <strong>als</strong> Konzertpianist<br />
zu überleben –<br />
vor allem für Newcomer“,<br />
sagt sie,<br />
um zugleich zu<br />
betonen, dass dies<br />
überall der Fall sei<br />
und nicht nur in<br />
der Türkei. „Nur die bekannten Namen haben gut<br />
besuchte Konzerte. Ein Newcomer hat keine Chance“,<br />
wenn nicht in den Medien auf das Konzert groß<br />
hingewiesen werde. „Doch selbst dann gibt es keine<br />
Garantie auf ein großes Publikum.“ Als Konzertveranstalter<br />
fungierten hauptsächlich Festiv<strong>als</strong> sowie<br />
die staatlichen Sinfonieorchester in Istanbul,<br />
Ankara, Izmir, Adana, Antalya und Bursa, städtische<br />
Orchester wie in Eskisehir oder private Klangkörper<br />
(Bilkent University und das Borusan Orchestra).<br />
Auch Biret bemängelt das Fehlen von Konzertagenten,<br />
weshalb es für die Pekinels nur ein Fazit<br />
geben kann: „Es sollten so schnell wie möglich Managementorganisationen<br />
etabliert werden, um die<br />
innere Dynamik des Konzertlebens besser unter Kontrolle<br />
zu bringen und zu erweitern. Dies könnte auch<br />
wie zuvor <strong>als</strong> eine weitere Aufbauphase in Zusammenarbeit<br />
mit deutschen Management-Organisationen<br />
geschehen und im gegenseitigen Dialog mit dazu<br />
führen, neue gute Musiker und unbekannte türkische<br />
Komponisten im Ausland zu promoten und zu entdecken.“<br />
Nicht zuletzt sind die geringen Gagen bei Konzerten<br />
in der Türkei ein Problem, wie Fazil Say betont:<br />
„Von ihnen kann kaum ein junger Pianist leben“,<br />
sagt er. Auch deswegen versuchten die meisten,<br />
nach dem Grundstudium in der Türkei ins Ausland<br />
zu gehen. „In der Türkei gab es lange ein anderes System<br />
<strong>als</strong> in Europa. Bis vor zwanzig Jahren waren die<br />
meisten klassischen Musiker Staatskünstler. Sie erhielten<br />
wie Beamte ein festes Monatsgehalt – egal was für<br />
Konzerte sie spielten. Die neue Generation von Musi-<br />
kern muss heute auf Honorarbasis spielen. Das ist<br />
sehr schwierig und wirkt sich auch auf die Anzahl der<br />
Musiker aus.“<br />
Zu viele Musiker?<br />
Damit ist ein Aspekt angesprochen, der tatsächlich<br />
für die internationale Klassikwelt gleichermaßen<br />
gilt. Das Pekinel-Duo findet deutliche Worte: „Wie<br />
überall gibt es auch in der Türkei viele arbeitslose Musiker,<br />
die unserer Meinung nach durch die zu locker<br />
gehaltenen Aufnahmeprüfungen den Weg in die<br />
Konservatorien und Musikakademien finden“, kritisieren<br />
sie. „Das ist ein internationales Dilemma, welches<br />
wir überall beobachten. Nur die besten überleben, was<br />
dazu führt, dass der Wettbewerb unbarmherzig bleibt<br />
und Supertalente produziert, die leider nur kurzzeitig<br />
gefördert werden und konzertieren können.“<br />
Woran das vor allem liegt? „Wir leben in einer immer<br />
schneller werdenden Konsumgesellschaft, was sich<br />
auch in der Musikbranche bemerkbar macht.“<br />
Derart formuliert, möchte das Idil Biret nicht<br />
stehen lassen: „Es gibt so viele Musiker in der Türkei,<br />
wie notwendig ist, um die steigende Nachfrage nach<br />
ihnen im Musikleben der Hauptstädte zu befriedigen.“<br />
Dagegen sieht die Geigerin Hande Özyürek, die in<br />
Istanbul lehrt, durchaus das Problem, dass Musiker<br />
über den eigentlichen Bedarf im Land ausgebildet<br />
werden – zumal es beispielsweise nicht so<br />
viele Orchesterstellen gibt. Besonders problematisch<br />
sei aber auch die ungleiche Verteilung der<br />
Musikstudenten auf die einzelnen Instrumente. „Es<br />
gibt viele Pianisten in der Türkei und Geiger, aber wenig<br />
Bläser oder auch Kontrabassisten.“ Das sei gerade<br />
für die türkischen Orchester ein großes Problem.<br />
Vor dem Hintergrund all dieser Probleme und<br />
Herausforderungen sei es umso wichtiger, dass<br />
neue Konzertsäle gebaut würden, betont Gülsin<br />
Onay. Denn: „Mit neuen Sälen steigert sich auch die<br />
Popularität der Klassik generell“, ist sie überzeugt.<br />
„Es gibt mehr Konzerte, mehr Aufführungsmöglichkeiten<br />
für Musiker und mehr Publikum. Heute ist die Situation<br />
für Musiker in der Türkei wesentlich besser <strong>als</strong><br />
früher.“<br />
Neben dem neuen Saal in Izmir lobt Idil Biret<br />
vor allem die Säle Süreyya und Cemal Resit Rey in<br />
Istanbul, die Häuser der CSO-Symphoniker und<br />
der Bilkent Symphony in Ankara, die Kongresshalle<br />
in Bursa sowie die Konzertsäle in Eskisehir,<br />
Antalya und Adana. Und an Ehrgeiz mangelt es in<br />
der Türkei nicht – auch nicht in Izmir, wo erst<br />
kürzlich der neue Konzertsaal eingeweiht wurde.<br />
Hier denkt man bereits über das nächste gewaltige<br />
Prestigeprojekt nach. Ein neues, großes Opernhaus<br />
soll gebaut werden. Gegenüber, auf der<br />
anderen Seite der wild schäumenden Meeresbucht.<br />
Website der Pianisten:<br />
Idil Biret - www.idilbiret.org<br />
Fazil Say - www-fazilsay.com<br />
Gülsin Onay - www-gulsinonay.com<br />
Güher & Süher Pekinel - www.pekinel.com<br />
22 5 . 11
I I NSTRUMENTE<br />
Tausende von Flügeln in einem<br />
Das V-<strong>Piano</strong> Grand von Roland<br />
Das V-<strong>Piano</strong> haben wir schon ausgiebig in PIANO<strong>News</strong> präsentiert und besprochen, die man nicht müde<br />
werden kann, die Besonderheiten dieses digitalen Klaviers zu erklären und aufzuzeigen. Doch mittlerweile<br />
hat Roland weiter gearbeitet und das „V-<strong>Piano</strong> Grand“, einen digitalen Flügel mit V-Technik auf den<br />
Markt gebracht. Zwar beinhaltet dieses Instrument von Roland dieselben technischen Innovationen wie<br />
das V-<strong>Piano</strong>, das ja <strong>als</strong> Stage-<strong>Piano</strong> daherkam, aber bietet nun nicht nur optisch weitaus mehr. Wir fuhren<br />
zum deutschen Sitz des Unternehmens in Norderstedt, um uns dieses Instrument in Ruhe anzuschauen<br />
und anzuhören.<br />
Von: Carsten Dürer<br />
Die Optik<br />
Da steht es auf der Bühne des in Norderstedt im<br />
Kellergeschoss befindlichen Sa<strong>als</strong> von Roland<br />
Deutschland: das V-<strong>Piano</strong> Grand. Es ist das erste<br />
Exemplar dieses neuen Instruments in Deutschland<br />
– und ist schon recht weit herumgekommen:<br />
Wien (Schönberg-Center) und Hamburg (Mozart-<br />
Saal) für Konzerte mit der Pianistin Yuko Kawai,<br />
nach Süddeutschland für Schulkonzerte mit der<br />
Pianistin Meryem Natalie Akdenizli. Und immer<br />
Ein kurzer Flügel:<br />
Das Roland V-<br />
<strong>Piano</strong> Grand.<br />
Foto: Roland<br />
hat dieses Instrument Aufsehen erregt. Auf den<br />
ersten Blick sieht das V-<strong>Piano</strong> Grand aus wie ein<br />
Stutzflügel, ein akustischer. 149 Zentimeter lang<br />
ist dieser kleine digitale Flügel – aber er klingt<br />
nach mehr. Bei genauerem Hinsehen allerdings<br />
haben die Roland-Techniker sich einiges einfallen<br />
lassen, um dieses Instrument dann doch <strong>als</strong> singulär<br />
zu gestalten. So ist die Zarge etwas flacher <strong>als</strong><br />
bei akustischen Instrumenten, was der Linie bei<br />
dieser geringen Länge zu ein wenig mehr Eleganz<br />
verhilft. Zudem ist die Zarge nicht aus einem Stück<br />
24 5 . 11
5 . 11<br />
gebogen, sondern besteht aus drei einzelnen Teilen,<br />
die an den beiden neuralgischen Ecken des<br />
Instruments optisch auffällig angeschlagen sind.<br />
Der Flügeldeckel ist recht leicht ausgeführt, gut für<br />
zierliche Personen, die kaum ein Problem damit<br />
haben dürften, das Instrument zu öffnen. Allein:<br />
Beim Schließen des Deckels sollte man Vorsicht<br />
walten lassen, da der Deckel in geschlossenem Zustand<br />
nur wenig über die Zarge übersteht und<br />
man sich da leicht beim Schließen die Finger klemmen<br />
könnte. Da wäre eine kleine Aussparung für<br />
die Hand an der Notenpultabdeckung doch geeignet,<br />
dieser Gefahr Abhilfe zu schaffen. Ansonsten<br />
aber gibt es kaum etwas zu beanstanden. Die Tastaturklappe<br />
ist aufwendig in drei Stellungen arretierbar.<br />
Einmal voll geöffnet, so dass man nicht<br />
nur die Klaviatur vor sich hat, sondern auch das<br />
mit nur wenigen Tasten und einem gut lesbaren<br />
Display ausgestattete Bedienfeld. Dann kann man<br />
dieses Bedienfeld zur besseren und originaleren<br />
Optik auch mit der Klaviaturklappe abdecken, indem<br />
man die Klappe eine Stufe nach vorne zieht.<br />
Und natürlich lässt sich die Klappe auch komplett<br />
schließen, wobei dann sogar eine Klappenbremse<br />
eingebaut ist, die hier nun wirklich das Einklemmen<br />
von Fingern verhindert. Ist das Bedienfeld<br />
verdeckt, sind die wichtigsten Knöpfe nochm<strong>als</strong><br />
links neben der Tastatur im kleinen Format wiederzufinden,<br />
so dass man auch bei verdecktem Bedienfeld<br />
Zugriff auf die Technik hat. Das Notenpult<br />
ist so ausgelegt, dass es mit einem Handgriff<br />
leicht nach hinten geschwenkt aufgestellt werden<br />
kann, wodurch die Noten wie in einer Lücke stehen<br />
bleiben. Ein nettes Feature, das zeigt, wie sehr<br />
sich die Roland-Ingenieure mit den Details beschäftigt<br />
haben.<br />
Die Klangabstrahlung<br />
Doch das Besondere an dem V-<strong>Piano</strong> Grand ist ja<br />
nicht allein die Optik, sondern vielmehr das, was<br />
sich in diesem neuen Gehäuse befindet. Denn das,<br />
was bei der Stage-<strong>Piano</strong>-Version des V-<strong>Piano</strong>s störte,<br />
war, dass man die Klangabstrahlung niem<strong>als</strong><br />
so einrichten konnte, dass man einen natürlich<br />
wirkenden Klang hätte empfinden können. Vielmehr<br />
wirkte es auch bei der besten Voraussetzung<br />
wie ein losgelöst vom Instrument erzeugter Klang.<br />
Dafür allerdings war das V-<strong>Piano</strong> auch transportabel<br />
und relativ kostengünstig. Knapp unter 5000,-<br />
Euro kostet dieses V-<strong>Piano</strong> in der Stage-Version.<br />
Nun werden diejenigen, die nicht wissen, was es<br />
mit dem V-<strong>Piano</strong> auf sich hat, entrüstet ausrufen:<br />
Günstig für ein D-<strong>Piano</strong>? Nun, das V-<strong>Piano</strong> ist kein<br />
normales D-<strong>Piano</strong>, sondern ein eigenständiges<br />
Instrument zur Erzeugung von Flügelklängen. Der<br />
Klang basiert nicht auf einem Sample, bei dem der<br />
Klang eines akustischen Instruments digitalisiert<br />
wurde, sondern wurde aufgrund von langen Erfahrungen<br />
der Roland-Ingenieure mittels aller bekannten<br />
Parameter künstlich entwickelt. Das Ergebnis<br />
ist nicht nur ein vollauf überzeugender Flügelklang,<br />
sondern birgt natürlich viele Besonderheiten,<br />
die aufgrund der Erstellung des Klangs<br />
möglich waren. Da all die Parameter, die normalerweise<br />
einen Klang eines akustischen Instru-<br />
I NSTRUMENTE<br />
Kaum zu erkennen, dass ein solch<br />
voluminöser Klang aus dem<br />
Breitbandsystem kommen kann.<br />
Foto: Dürer<br />
ments beeinflussen können, auch hier zugrunde<br />
liegen, lassen auch diese sich nun einzeln verändern:<br />
Beschaffenheit der Hammerköpfe, einzeln zu<br />
I<br />
25
I I NSTRUMENTE<br />
Klangabstrahlung unterhalb des<br />
Instruments wie bei einem Flügel.<br />
Foto: Dürer<br />
stimmende Saiten im Chor eines Tons, Spielschwere<br />
der Mechanik etc. Aber natürlich kann die digitale<br />
Technik weit über die Möglichkeiten eines<br />
akustischen Klaviers und eines entsprechenden<br />
Technikers hinausgehen. So sind die Beschaffenheit<br />
des Resonanzbodens ebenso zu beeinflussen<br />
wie Halleigenschaften und so fort. Und natürlich<br />
lässt sich jede individuelle Einstellung speichern<br />
und wieder abrufen, ebenso wie sich das Spiel aufnehmen<br />
lässt. Man kann aus dem V-<strong>Piano</strong> entsprechend<br />
zigtausend von individuellen Flügelklängen<br />
zaubern, für jede Stimmung, für jeden<br />
Stil, für jeden Komponisten, ja für jedes einzelne<br />
Werk den passenden. Ein Traum für Pianisten, die<br />
ansonsten auf der Bühne alle Werke aller Komponisten<br />
aus einem einzigen Instrument spielen müssen.<br />
Allerdings muss man zugeben: Man sollte<br />
schon ein wenig über die Feinheiten wissen, die<br />
jede Parameter-Veränderung für den Klang mit<br />
sich bringt, <strong>als</strong>o wissen, was auch kleine Schritte in<br />
der Klaviertechnik für Auswirkungen auf den Gesamtklang<br />
haben könnten, ansonsten stochert<br />
man lange im Dunkeln, bis man den Klang erreicht<br />
hat, den man sich wünscht. Am besten setzt<br />
man sich mit einem Klaviertechniker, der sich<br />
Geschickt gelöst (v. l. n. r.): Die Tastaturklappe<br />
lässt sich komplett öffnen, so dass man die<br />
Bedienelemente sieht, halb öffnen, so dass nur die<br />
Klaviatur offen ist, und natürlich schließen.<br />
Fotos: Dürer<br />
offen mit diesem V-<strong>Piano</strong> einmal beschäftigt hat,<br />
zusammen und kreiert eine Reihe von Flügelklängen,<br />
die man sich wünscht.<br />
Doch was beim neuen V-<strong>Piano</strong> Grand nun wirklich<br />
neu ist: die Klangabstrahlung. Viele Jahre<br />
dauerte es, bis die Roland-Techniker das entsprechende,<br />
für das Instrument passende Klangabstrahlungssystem<br />
entwickelt haben. Im Klangraum<br />
des „Flügels“ steckt ein Lautsprechersystem,<br />
das – ja, ähnlich wie beim AvantGrand von Yamaha<br />
– versucht, den Klang so wiederzugeben wie bei<br />
einem Flügel. Das bedeutet, es ist nicht nur einfach<br />
ein Lautsprechersystem eingebaut, das den<br />
Klang abstrahlt, der da erzeugt wird, sondern es<br />
ist ein System, das den Klang so entfaltet, wie dies<br />
bei einem Flügel passiert. Und das ist sehr gut gelungen.<br />
Wenn man bei klingendem Instrument<br />
sich im Raum bewegt, dann erkennt man, wie sich<br />
die Klangabstrahlung ebenso wie bei einem akustischen<br />
Instrument, entwickelt. Wenn man beispielsweise<br />
weiter rechts vom geöffneten Flügel<br />
zuhört, dann erkennt man, dass die Bässe deutlicher<br />
zu hören sind, da der Abstrahlwinkel sich<br />
zum Hörer verändert. Und genau so ist es auch<br />
beim Roland V-<strong>Piano</strong> Grand. Auch wenn man am<br />
Instrument selbst sitzt, kann man erkennen, wie<br />
sich die Klangabstrahlung bei unterschiedlichen<br />
Dynamikstufen verändert: Man scheint wirklich<br />
vor einem Flügel zu sitzen – nur vor einem anderen<br />
und einem, der viele andere Möglichkeiten offeriert.<br />
Dabei ist das Boxensystem scheinbar nicht<br />
sonderlich aufwendig, denn man erkennt nur drei<br />
Breitbandlautsprecher auf der Oberseite im Gehäuse.<br />
Doch schaut man unter das Instrument, so<br />
tun dort weitere drei Lautsprecher ihren Dienst,<br />
um den räumlichen Klang abzubilden. Und plötzlich<br />
ist man erstaunt über einen Flügelklang, zu<br />
dem die kurze Optik natürlich nicht wirklich passt.<br />
Denn das System berechnet das Ausklingen der<br />
Saiten in weiterer Entfernung, <strong>als</strong> man dies tatsächlich<br />
vor sich sieht – und das für jede Klangeinstellung<br />
(<strong>als</strong>o für jeden einzelnen Flügel, den man<br />
klanglich kreiert) neu.<br />
Mit seinen knapp 170 Kilogramm ist dieses Instrument<br />
immer noch relativ leicht transportabel –<br />
und so nimmt man bei dem großen und vo-<br />
26 5 . 11
5. 11<br />
luminösen Klang gerne die Kürze in Kauf, auch wenn ein etwas längeres Gehäuse<br />
auf einer Bühne einen besseren Eindruck hinterlassen hätte.<br />
Neue Anschlüsse und ein neues Pedal<br />
Neben der Klangabstrahlung hat das V-<strong>Piano</strong> Grand allerdings noch einige<br />
andere neue Kleinigkeiten zu bieten. So sind unterschiedliche Anschlüsse zu finden,<br />
wenn man weiß, wo man suchen muss. Denn man wollte die Flügeloptik<br />
auf keinen Fall mit sichtbaren Technikanschlüssen stören. Einen Computer-USBund<br />
-MIDI-Anschluss findet man hinter einer Klappe hinter der Notenpultabdeckung,<br />
so dass man durchaus leicht einen Laptop auf die Abdeckung stellen<br />
kann, um dann per Editor die Klangeinstellung vorzunehmen oder abzurufen.<br />
Etwas zurückliegend links unterhalb der Klaviatur findet man dann einen<br />
Kasten, der zwei Kopfhöreranschlüsse sowie MIDI-Anschlüsse bietet. Unterhalb<br />
des Instruments – nach hinten ausgerichtet – sind dann die XLR-Anschlüsse für<br />
Boxen und Stage-Equipment erkennbar, allerdings muss man da schon ein<br />
wenig unter das Instrument kriechen.<br />
Das Pedal ist beim V-<strong>Piano</strong> Grand natürlich nicht mehr ein einfaches Modul<br />
wie bei der Stage-Version, sondern in einer klassischen Lyra untergebracht.<br />
Allerdings ist es nun auch ein progressives Pedal. Das bedeutet, dass der Gegendruck<br />
bei weiter nach unten getretenem Pedal durchaus spürbar zunimmt,<br />
so wie bei einem akustischen Flügel auch.<br />
Fazit<br />
I NSTRUMENTE<br />
Auch bei halb geschlossener Klappe kann man die<br />
wichtigsten Bedienungen durch dezente Knöpfe<br />
links neben der Klaviatur vornehmen.<br />
Foto: Roland<br />
Das V-<strong>Piano</strong> Grand ist nun ein vollauf ausgereiftes Instrument, das in sich ruht –<br />
keine äußeren Einflüsse mögen es mehr stören, seien es eigenwillige Wiedergabesysteme<br />
oder ein externes Pedal-Modul. Die großartige dynamische Klaviatur<br />
mit authentischem Druckpunkt und der Möglichkeit, sie auf den Spieler<br />
einzustellen, macht aus diesem Instrument mehr <strong>als</strong> einen herkömmlichen<br />
Flügel, bei dem zwar auch alles einzustellen ist, aber letztendlich langwierig zu<br />
ändern wäre und nicht – wie beim V-<strong>Piano</strong> Grand – auf Knopfdruck. Auf diese<br />
Weise hat man nun wirklich ein vollwertiges wie neuartiges Instrument mit<br />
einem wirklich großvolumigen Klang – allerdings nicht nur ein Instrument mit<br />
nur einem Klang, sondern eines, das über alle Möglichkeiten eines akustischen<br />
Flügels verfügt – auf Knopfdruck bei vorheriger Einstellung – und darüber hinausgehen<br />
kann. Wenn man will, hat man Tausende von Flügeln in diesem V-<br />
<strong>Piano</strong> Grand vor sich. Man muss sie nur zum Leben erwecken. Hoffentlich – und<br />
ich bin mir fast sicher – werden sich in naher Zukunft auch die Klaviertechniker<br />
mehr und mehr mit den Möglichkeiten dieses Instruments beschäftigen. Denn<br />
hier würden sie ein neues Feld finden: Mit ihrem Wissen können sie Besitzern<br />
eines V-<strong>Piano</strong>s helfen, die richtigen Klangeinstellungen vorzunehmen und zu<br />
programmieren.<br />
Mit einem Preis von UVP 20.990,- Euro ist das V-<strong>Piano</strong> Grand nicht gerade ein<br />
Schnäppchen – für Tausende von Flügeln allerdings würde man mehr bezahlen<br />
müssen …<br />
I<br />
27
A<br />
Foto: Louis Held<br />
Von: Rafael Sala<br />
A NSICHTEN<br />
FRANZ LISZT<br />
der große Verführer<br />
Ein Leckerbissen im Doppelpack: Vor einem Jahr feierte die Musikwelt den 200. Geburtstag von Frédéric Chopin,<br />
2011 gedenkt sie seines Seelenverwandten Franz Liszt, der ebenfalls vor 200 Jahren geboren wurde: Am 22. Oktober<br />
1811 erblickte Ferencz Liszt, wie er sich selbst schrieb, im damaligen ungarischen Raiding das Licht der Welt. Der<br />
„Salonlöwe“ war nicht nur der am meisten gefeierte Klaviervirtuose seiner Zeit; mit seinen meist programmatisch<br />
ausgerichteten Werken hat er der Musikwelt völlig neue Impulse gegeben. Liszt gilt neben Chopin <strong>als</strong> der bedeutendste<br />
Vertreter der Hochromantik. Sein unbestritten berühmtestes Klavierwerk ist die 1852/1853 komponierte<br />
Sonate h-Moll. Ich mache keinen Hehl aus meiner Auffassung: Dies ist die großartigste Schöpfung für Klavier solo.<br />
Ein Bekenntnis. Und eine literarische Würdigung.<br />
Es scheint paradox: Fast allen seinen Orchesterwerken<br />
hat Franz Liszt programmatische<br />
Inhalte gegeben: Sie heißen „Faust-Sinfonie“,<br />
„Les Préludes“, „Sinfonische Dichtungen“ oder<br />
„Dante-Sinfonie“. Auch zahlreiche seiner Klavierzyklen<br />
und kleineren Stücke tragen klangvolle<br />
Namen mit gezielt außermusikalischen Bezügen:<br />
„Harmonies poétiques et religieuses“, „Années de<br />
pèlerinage“, „Dante-Sonate“, „Études d’exécution<br />
transcendante“ oder kleinere Gebilde wie „Unstern“,<br />
„Sinistre“ oder „Schlaflos“. Seine wohl bedeutendste<br />
und großartigste Tonschöpfung indes<br />
bleibt interessanterweise von diesem Anspruch<br />
außen vor: Sie nennt sich schlicht „Sonate h-Moll“.<br />
Wie kein anderes<br />
Klavierwerk nimmt<br />
die „h-Moll-Sonate“<br />
die Moderne vorweg<br />
Warum hat er dieses Werk nicht „Faust-Sonate“<br />
genannt – ein programmatischer Bezug, der dem<br />
geistigen Kosmos dieser Musik doch voll entsprechen<br />
würde? Ist es Bescheidenheit, Zögern oder<br />
gar Unsicherheit, die den Komponisten dazu veranlasste?<br />
Ich meine nicht. Man darf vielmehr mit<br />
Fug und Recht behaupten: Gerade die Tatsache,<br />
dass Liszt bei seiner „h-Moll-Sonate“ auf Vorbilder<br />
aus der Literatur oder Malerei verzichtete oder sie<br />
zumindest nicht expressis verbis durchblicken ließ,<br />
ist mit ein Schlüssel zum Verständnis dieser Musik.<br />
Er wusste ganz einfach, was er da Geniales geschaffen<br />
hatte: ein Werk, so reichhaltig in seiner<br />
Empfindungswelt, so intelligent in seinem völlig<br />
28 5 . 11
5 . 11<br />
neuartigen Aufbau, so kaleidoskopartig-geheimnisvoll<br />
in seinen Bezügen, so „modern“ in seiner<br />
Textur gewoben, dabei gleichzeitig von einer solch<br />
archaischen Kraft durchwirkt, dass jeder Terminus<br />
schiere Anmaßung wäre. Huldigung vor dem eigenen<br />
Objekt, Zurücknahme eines Anspruches, der<br />
hier nur entstellend hätte wirken können. Nicht<br />
um die Begrenztheit, sondern um die unendliche<br />
Weite des Anspruchs geht es: Liszt, den Romantiker,<br />
drängt es dazu, die Moderne in all ihren<br />
unerschöpflichen Facetten abzubilden. Er ahnte:<br />
Da würde Programmatik nur Überheblichkeit<br />
bedeuten. Dank der labyrinthartig aufgefächerten<br />
Kontrastebenen in dieser Musik lassen sich literarische<br />
Figuren der Moderne zu Hauf finden: Der von<br />
Seelennöten geplagte Dandy Dorian Gray von<br />
Oscar Wilde beispielsweise wäre zu nennen, der<br />
dem Trugbild seiner eigenen Schönheit verfällt<br />
und stirbt, Sinnbild der fatalen Fixierung auf eine<br />
imaginäre Ästhetik in einer Welt der Verdorbenheit.<br />
Oder Hannes Buddenbrook aus Thomas<br />
Manns „Buddenbrooks“, der am Schwanengesang<br />
seines Innenlebens zugrunde geht, Sinnbild des<br />
künstlerischen Verfalls in einer Welt der Pragmatik.<br />
Oder Barabas, an dessen Stelle Jesus gekreuzigt<br />
wurde: Im gleichnamigen Roman des Schweden<br />
Pär Lagerkvist erscheint dieser Mann <strong>als</strong> Gequälter,<br />
der verzweifelt Gott sucht, ihn nicht findet<br />
und dadurch zum politischen Terroristen wird,<br />
Sinnbild der Ohnmacht in einer Welt der Orientierungslosigkeit.<br />
Aber auch Humbert Humbert tanzt<br />
in dieser Sonate, Hauptfigur, Zyniker und Mörder<br />
in Vladimir Nabokovs „Lolita“, der dem Zauber einer<br />
wahnwitzigen Liebe verfällt und an ihr zerbricht,<br />
Sinnbild des gescheiterten Intellekts in einer<br />
Welt der Oberflächlichkeit. So wie Liszts „h-<br />
Moll-Sonate“ in einem düsteren, resignativen Pianissimo<br />
mit leeren Harmonien endet, so hauchen<br />
auch all diese Existenzen ihren Geist und ihr Leben<br />
aus.<br />
Wie in einem Fass ohne Boden schwimmen Symbole<br />
und Figuren darin. Nur dort sind die Grenzen<br />
der Darstellung erreicht, wo sich die Gesellschaft<br />
des Individuums bemächtigt und dessen aktives<br />
Potenzial auslöscht: Die absurden Welten eines<br />
Franz Kafka oder Joseph Roth sind in Liszts Sonate<br />
nicht vorgezeichnet. Zu sehr ist der Komponist<br />
dafür dem Erbe der Klassik und der Romantik verhaftet.<br />
Hier lohnt ein Vergleich mit dem anderen<br />
Meister des lyrisch-dramatischen Aufbaus: Frédéric<br />
Chopin. Der polnische <strong>Piano</strong>-Poet, den Liszt um<br />
knapp vier Jahrzehnte überlebt hat, sperrt seine<br />
„Helden“ nicht ein, sondern lässt sie im nebulösen<br />
Raum von Zweideutigkeiten agieren. Alles könnte<br />
gesagt sein und nichts. Im Grunde ist es die Musik<br />
mit dem perfekten Pokergesicht – nur dass sich<br />
hinter jeder Karte tatsächlich ein Trumpf verbirgt.<br />
Chopins Melodien lassen sich in den Erzählungen<br />
von Edgar Allan Poe ansiedeln (bezeichnenderweise<br />
hatten beide Künstler fast die gleichen Lebensdaten).<br />
Die Melancholie seiner „Mazurken“ etwa<br />
gleicht der Tristesse des „Mannes der Menge“, der<br />
„vor dem Alleinsein“ flieht, wie es am Schluss dieser<br />
Erzählung heißt: „Er ist der Mann der Menge. Umsonst,<br />
ihm zu folgen, ich werde nichts von ihm erfahren,<br />
nichts über ihn.“ Lässt sich die unbestimmte<br />
Richtung der Trauer in diesen musikalischen Mi-<br />
A NSICHTEN<br />
niatur-Gebilden, die teilweise nicht einmal zwei<br />
Minuten dauern, treffender charakterisieren? Hinter<br />
dem Vorhang fiebriger Schönheiten in den<br />
„Nocturnes“ wiederum lauert die „Maske des Roten<br />
Todes“. Die Angst ist allgegenwärtig, immer<br />
fühl-, aber nie greifbar. Und die Unrast in den „Polonaisen“<br />
arbeitet wie die Präzision des Schneidewerkzeugs,<br />
das sich in „Die Grube und das Pendel“<br />
mit unerbittlicher Gleichgültigkeit auf die Brust<br />
des zum Tode Verurteilten zubewegt. Nur der Gebrauch<br />
äußerster Geisteskraft vermag ihn vor dem<br />
Verderben zu schützen: Mit der gleichen Intelligenz<br />
schlagen auch die Funken der Polyphonie<br />
aus Werken wie der „b-Moll-Sonate“ und verzerren<br />
den scheinbar so elegant dahinfließenden<br />
Strom der Melodien. Der Rausch der a-Moll-Étude<br />
perlt in der Häme von Poes letzter Erzählung „Der<br />
Froschhüpfer“. Doppelbödigkeit, Gauklerei, Trugbilder<br />
und Maskeraden sind das Wesen von Chopins<br />
Musik. Die Quelle, aus der sich der Ideenreichtum<br />
seiner Sonaten, Balladen oder Scherzos<br />
speist, ähnelt der der griechischen Mythologie:<br />
Wie Ovid in seinen „Metamorphosen“ verwandelt<br />
auch Chopin sein musikalisches Material ohne<br />
Unterlass – ohne jedoch je dessen geistige Substanz<br />
anzugreifen. Chopin ist kein Hexenkünstler,<br />
sondern eher ein Alchimist, der ein Edelmetall in<br />
ein anderes umschmilzt: Prinzip der Zeitlosigkeit.<br />
Bei Liszt, dem Seelenverwandten und anderen<br />
Epigonen der Hochromantik, hingegen liegen die<br />
Dinge völlig anders. Seine aus 13 rhapsodisch aneinandergefügten<br />
Teilen bestehende „h-Moll-Sonate“<br />
ist in ihrer Wirkung viel schroffer, unmittelbarer,<br />
brutaler. Es ist eine Direktheit, die begeistert<br />
und bestürzt. Kaum einer vor ihm hat musikalische<br />
Inhalte so radikal umgesetzt. Liszt, der Hexenkünstler,<br />
hält seinen „Helden“ im Kerker seines<br />
Innenraums gefangen: Prinzip der Zeitgebundenheit.<br />
Er geht keine Umwege, um ihn dorthin zu<br />
führen, wohin er ihn haben will: in die totale<br />
Isolation – des Rausches und der Ästhetik, aber<br />
auch der Verderbnis. In den Forte-Passagen wie<br />
dem mit einer Fuge einsetzenden „Allegro energico“<br />
diktiert Mephistopheles, Abbild des biblischen<br />
Satans, das Geschehen. Die wunderbaren Adagio-<br />
Teile wie das „Recitativo“ oder das „Andante sostenuto“<br />
aber gehören dem alttestamentarischen<br />
Josef, der sich nach 20 Jahren Exil mit seinen<br />
Brüdern wieder versöhnt und seinem dem Tode<br />
nahen Vater Jakob in trunkener Freude entgegeneilt:<br />
„Als sie in das Land Goschen kamen, spannte<br />
Josef seinen Wagen an und zog hinauf seinem Vater<br />
Israel entgegen nach Goschen. Und <strong>als</strong> er ihn sah, fiel<br />
er ihm um den H<strong>als</strong> und weinte lange an seinem<br />
H<strong>als</strong>e.“ Oder der Königin Ester, die den judenfeindlichen<br />
Herrscher Ahasveros betört, um ihre Landsleute<br />
aus der Gefangenschaft zu befreien. Oder<br />
der Sünderin Magdalena, die über Hingabe Läuterung<br />
erfährt. Wie ein Schwamm saugen die Adagio-Seligkeiten<br />
all diese Figuren auf, Ausdruck entrückter<br />
Schönheit im Dienste eines irdischen Anspruchs.<br />
Zu Recht haben Musikwissenschaftler immer<br />
wieder auf den geistigen Nukleus dieser Musik hingewiesen:<br />
Göttliches und Teuflisches liegen in der<br />
„h-Moll-Sonate“ so dicht beieinander, dass das eine<br />
immer in das andere hineinfließt. Beides amal-<br />
A<br />
29
A<br />
Auszug aus der<br />
Originalhandschrift der<br />
h-Moll-Sonate von Liszt<br />
Abdruck mit freundlicher<br />
Genehmigung des<br />
G. Henle Verlags,<br />
München<br />
A NSICHTEN<br />
gamiert zu einer<br />
unauflöslichen<br />
Einheit. Das ist<br />
meines Erachtens<br />
der Grund dafür,<br />
warum sich Liszt,<br />
dieser Musikrevolutionär,obgleich<br />
er die Bezeichnung„Sonate“<br />
für dieses<br />
760 Takte umfassende<br />
Werk wählte,<br />
nicht für die<br />
Sonatenhauptsatzform<br />
mit dem<br />
klassischen Verständnis<br />
von Exposition-Durchführung-Reprise<br />
und Coda <strong>als</strong><br />
Formprinzip entschied.<br />
Es wäre<br />
auch der f<strong>als</strong>che<br />
Ansatz gewesen.<br />
Denn der geistige<br />
Kern entwickelt sich in diesem Werk nicht nach<br />
den dialektischen Prinzipien der Sonatenhauptsatzform.<br />
Das überragende Motiv, das das musikalische<br />
Geschehen wie mit einem Peitschenhieb vor sich<br />
her treibt, wird gleich mit dem allerersten Intervall<br />
angeschlagen: dem so unvermittelt-unheimlich<br />
einsetzenden dreifachen G im Bass. Wie aus<br />
dem Nichts scheint diese Tonsequenz zu kommen,<br />
Urknall, der Zeit und Raum entstehen lässt. Wie<br />
mit radioaktivem Material ist dieses Intervall angefüllt.<br />
Es ist kein leichtes, reaktionsfreudiges Element<br />
wie Sauerstoff oder Wasserstoff. Es ist vielmehr<br />
schwer wie Thorium, Uran oder Plutonium,<br />
in deren Atomkernen sich zu viele Neutronen und<br />
Protonen befinden. Damit ist es gefährlich instabil.<br />
Das ist die „Waffe“ dieses Intervalls, die dieses<br />
Liszt-Intervall (ähnlich wie Wagners Tristan-Akkord)<br />
so modern macht. Man hat tatsächlich das<br />
Gefühl, <strong>als</strong> würde es im Moment des Anschlags<br />
bereits zerfallen: So viel Gewicht hängt an ihm, so<br />
unendlich mit Energie ist es angereichert. Dass es<br />
nicht nur portato, langsam und bedrohlich, sondern<br />
bestens auch staccato und voller Beize gespielt<br />
werden kann, ändert nichts daran: Spätestens<br />
die düster absteigenden Tonleitern (mit Zigeuner-Moll)<br />
lassen es ins Bodenlose abstürzen.<br />
Letztere kann man gar nicht lange genug durch<br />
Rubati dehnen und ausgetüftelten Pedaleinsatz<br />
verwässern: ein Kunstgriff, der natürlich den Manierismus<br />
streift, aber hier voll und ganz gerechtfertigt<br />
ist.<br />
Wer an dieser Stelle zu wenig nachdenkt, hat die<br />
Faszination dieses Einstiegs nicht begriffen: Maurizio<br />
Pollini nicht und Boris Berezowsky nicht, die<br />
kaltschnäuzig darüber hinweghuschen. Martha<br />
Argerich und Ivo Pogorelich auch nicht, die es mit<br />
Eis und nicht mit Feuer umgeben. Man muss auf<br />
die alten Meister zurückgreifen, wenn man einen<br />
Hauch der versteckten Gewalt spüren will, die bereits<br />
in diesen unscheinbaren Anfangstakten<br />
steckt, vergleichbar vielleicht nur noch mit Beethovens<br />
„Appassionata“ oder Mahlers Neunter:<br />
Vladimir Horowitz, der dieses Intervall spitz triumphieren<br />
lässt, um es in den anschließenden Tonleitern<br />
völlig zu zerfasern. Oder Georges Cziffra, der<br />
es wie mit Samthandschuhen anfasst, dabei regelrecht<br />
implodieren lässt. Zerfall der Schwere <strong>als</strong>o –<br />
aber lange und flüchtige „Molekülketten“ finden<br />
wir in Liszts „h-Moll-Sonate“ ebenso. Auch der<br />
Kohlenstoff, dank seiner Bindungsfähigkeit gerne<br />
der „Partylöwe“ unter den Elementen genannt, ist<br />
bei Liszt voll da: im wenig später einsetzenden, so<br />
genannten „Hammermotiv“, das mit seiner unverschämt<br />
trickreich eingebauten – von fast keinem<br />
Pianisten gewürdigten – Polyphonie Satan herbeiruft<br />
und Verführung und Sünde wie Sekt perlen<br />
lässt. Das ist der Augenblick, in dem Dorian Gray<br />
erstm<strong>als</strong> vor seinem in Schönheit erstrahlenden<br />
Porträt steht und ruft: „Warum soll es behalten, was<br />
ich verlieren muss? Oh, wenn es nur umgekehrt wäre!<br />
Wenn das Bild sich verändern könnte, und ich immer<br />
sein könnte, was ich bin!“ Ein Wunsch, der in Erfüllung<br />
geht. Was folgt, sind Rausch, Ekstase, Illusion.<br />
Der Wucht des Hammermotivs schleudert<br />
Liszt fatale Klang-Kaskaden hinterher. Stürme von<br />
Oktaven-Läufen brechen herein. Es brodelt und<br />
kocht. Es tobt und spuckt. Im Hohlspiegel des eigenen<br />
Innenraums wird die Wirklichkeit zur bösen<br />
Fratze. Wie Feuer brennt das Ich. Lavaströme wälzen<br />
sich durch die Täler. Es ist ein wahrhaft apokalyptisches<br />
Szenario, das Liszt in den „Allegro energico“-Passagen<br />
sowie im „più mosso“, „stretta<br />
quasi presto“ und im „presto-prestissimo“ entwirft,<br />
eine ungeheure Beschleunigung: die Bühne, auf<br />
der Mephistopheles es schafft, das Subjekt komplett<br />
abzuziehen. Unaufhörlich teilen sich die<br />
Zellen. Die Kohlenstoff-Ketten erzeugen Leben ohne<br />
Unterlass. Doch Zucker ist bekanntlich ein süßes<br />
Gift: Es erzeugt leere Kalorien. Der Körper verwandelt<br />
es in Glukose, den Brennstoff des Lebens.<br />
Zu viele Kohlenhydrate aber erzeugen Tumore.<br />
Der Blutzuckerspiegel tanzt. So, wie die Zellen<br />
unkontrolliert wuchern, so lässt auch Liszt sein<br />
musikalisches Material metastasieren: im zweiten<br />
großen Teil der Sonate, der mit einem Fugato beginnt<br />
und die Motivik durcheinanderwirbelt, <strong>als</strong><br />
würde sie durch eine Waschtrommel oder Zentrifuge<br />
gejagt. Am Schluss ist Dorian Gray tot. Die<br />
Wirklichkeit hat sein verlogenes Abbild eingeholt.<br />
Als die Diener in sein Versteck eintreten, sehen sie<br />
ein „herrliches Porträt ihres Herrn an der Wand hängen,<br />
wie sie ihn zuletzt gesehen hatten, in all der<br />
Pracht seiner köstlichen Jugend und Schönheit“. Auf<br />
dem Boden aber liegt ein toter Mann im Smoking,<br />
„mit einem Messer im Herzen. Er war welk, runzlig und<br />
ekelhaft von Angesicht“. Genauso „tötet“ Liszt seinen<br />
Helden, der seiner Illusion beraubt und wieder<br />
der Wirklichkeit zugeführt worden ist. Im<br />
abschließenden „Lento assai“ mit seinem wie ein<br />
erloschener Krater rauchenden „Hammermotiv“<br />
vernichtet er ihn.<br />
Was folgt, ist die gespenstische Leere des G-Intervalls<br />
und der düster absteigenden Tonleitern.<br />
Jetzt sind die schweren Atome zerfallen – und die<br />
illusionären Landschaften kontaminiert. Die musikalische<br />
Bühne ist leer.<br />
30 5. 11
PLZ-Gebiet 0<br />
<strong>Piano</strong>galerie Dresden<br />
Collenbuschstr. 32<br />
01324 Dresden<br />
<strong>Piano</strong> Gäbler<br />
Comeniusstr. 99<br />
01309 Dresden<br />
Klavierhaus Zöschen<br />
Leipziger Str. 23<br />
06237 Leuna OT<br />
Zöschen<br />
<strong>Piano</strong> Centrum<br />
Leipzig<br />
Löhrstr. 2<br />
04105 Leipzig<br />
PLZ-Gebiet 1<br />
<strong>Piano</strong>-Haus Möller<br />
Goethestr. 22<br />
18055 Rostock<br />
<strong>Piano</strong>-Haus Kunze<br />
Lübstorfer Straße 11<br />
19069 Alt Meteln<br />
<strong>Piano</strong> Centrum<br />
Rostock<br />
Lange Str. 13<br />
18055 Rostock<br />
PLZ-Gebiet 2<br />
<strong>Piano</strong>haus Trübger<br />
Schanzenstr. 117<br />
20357 Hamburg<br />
Klavierhaus Helmich<br />
Eitzer Str. 32<br />
27283 Verden<br />
<strong>Piano</strong>haus Zechlin<br />
Große Str. 6 A<br />
22926 Ahrensburg<br />
Clavis Musikhaus<br />
Vegesacker<br />
Heerstr. 115<br />
28757 Bremen<br />
Ahrensburger<br />
Klaviergalerie<br />
Königstr. 3<br />
22926 Ahrensburg<br />
PLZ-Gebiet 3<br />
Klavierhaus Döll<br />
Schmiedestraße 8<br />
30159 Hannover<br />
Schimmel<br />
Auswahlcentrum<br />
Friedrich-Seele-Str. 20<br />
38122 Braunschweig<br />
PLZ-Gebiet 4<br />
Gottschling -<br />
Haus der Klaviere<br />
Graskamp 17<br />
48249 Dülmen-<br />
Hiddingsel<br />
Klavierhaus<br />
de Graaff<br />
Broicherdorfstr. 81<br />
41564 Kaarst<br />
H H<br />
ÄNDLER Bei diesen Fachhändlern und an über 600 Bahnhofsbuchhandlungen und ausgesuchten Kiosken finden Sie PIANO<strong>News</strong>.<br />
<strong>Piano</strong>haus Micke<br />
Wolbeckerstr. 62<br />
48155 Münster<br />
Klavierhaus Schröder<br />
Immermannstr. 11<br />
40210 Düsseldorf<br />
<strong>Piano</strong>haus<br />
van Bremen<br />
Hansastraße 7-11<br />
44137 Dortmund<br />
<strong>Piano</strong> Faust<br />
Reichsstr. 1<br />
42275 Wuppertal<br />
PLZ-Gebiet 5<br />
<strong>Piano</strong>haus<br />
Musik Alexander<br />
Binger Str. 18<br />
55122 Mainz<br />
Musikhaus Tonger<br />
Breite Straße 2-4<br />
50667 Köln<br />
Klaviermomente<br />
Wilhelmstr. 43<br />
58332 Schwelm<br />
Klavier & Flügel<br />
Galerie Maiwald<br />
Herbert-Wehner-Str. 1<br />
59174 Kamen<br />
<strong>Piano</strong> Rumler<br />
Königswinterer<br />
Str. 111-113<br />
53227 Bonn-Beuel<br />
<strong>Piano</strong> Flöck<br />
Kesselheimer Str. 20<br />
56220 St. Sebastian<br />
<strong>Piano</strong>haus Micke<br />
Wiesenstr. 12<br />
59269 Beckum<br />
PLZ-Gebiet 6<br />
<strong>Piano</strong>, <strong>Piano</strong><br />
Geisberg 17a<br />
66132 Saarbrücken<br />
Musikhaus Hochstein<br />
Bergheimer Str. 9-11<br />
69115 Heidelberg<br />
Musikalien Petroll<br />
Marktplatz 5<br />
65183 Wiesbaden<br />
<strong>Piano</strong> Mertens<br />
Ladenburger Str. 10<br />
69198 Schriesheim<br />
PLZ-Gebiet 7<br />
<strong>Piano</strong> Hölzle<br />
Mahdent<strong>als</strong>tr. 26<br />
71065 Sindelfingen<br />
Pufke<br />
Klaviere und Flügel<br />
Hornbergstr. 94<br />
70188 Stuttgart<br />
Hermann Klaviere &<br />
Flügel<br />
Hindenburgstr. 28<br />
71696 Möglingen<br />
<strong>Piano</strong>haus Lepthien<br />
Hildastraße 5<br />
79102 Freiburg<br />
Klavierhaus Hermann<br />
Marktplatz 19<br />
78647 Trossingen<br />
<strong>Piano</strong> Fischer<br />
Theodor-Heuss-Str. 8<br />
70174 Stuttgart<br />
Klavierhaus Labianca<br />
Zähringerstr. 2<br />
77652 Offenburg<br />
Klavier Striegel<br />
Hirschstr. 8<br />
73432 Aalen-Elnat<br />
PLZ-Gebiet 8<br />
pianofactum<br />
Musikhaus<br />
Schmidgasse 23<br />
87600 Kaufbeuren<br />
<strong>Piano</strong> Fischer<br />
Thierschstr. 11<br />
80538 München-Lehel<br />
Bauer & Hieber<br />
Landschaftstraße<br />
80331 München<br />
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Feuchtinger &<br />
Gleichauf<br />
Niedermünstergasse<br />
2<br />
93047 Regensburg<br />
<strong>Piano</strong> Niedermeyer<br />
St. Georgen 42<br />
95448 Bayreuth<br />
Steingraeber & Söhne<br />
Friedrichstraße 2<br />
95444 Bayreuth<br />
Musica<br />
Records & Books<br />
Neustädter<br />
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91054 Erlangen<br />
Österreich<br />
Gustav Ignaz Stingl<br />
Wiedner Hauptstr. 18<br />
1040 Wien<br />
Klavierhaus<br />
Schimpelsberger<br />
Hans-Sachs-Str. 120<br />
4600 Wels<br />
Klavierfabrik<br />
J. Nemetschke KG<br />
Reinlgasse 10<br />
1140 Wien<br />
Wendl & Lung<br />
Kaiserstr. 10<br />
1070 Wien<br />
Schweiz<br />
modern music<br />
T<strong>als</strong>trasse 2<br />
3053 Münchenbuchsee
Foto: Hans-Dieter Göhre<br />
I<br />
I NTERVIEW<br />
Bewegende Musik aus Japan<br />
Von: Carsten Dürer<br />
Gerhard Oppitz ist ein nachdenklicher Pianist, einer, der sich Zeit lässt mit Ideen, die reifen<br />
müssen. Natürlich gilt er <strong>als</strong> einer der Brahms-Spieler par excellence. Doch auch seine monumentalen<br />
Gesamteinspielungen von Beethovens Klavierkonzerten und Sonaten sowie seine<br />
soeben abgeschlossene Aufnahme mit den Schubert-Sonaten weisen ihn <strong>als</strong> Meister der klassisch-romantischen<br />
Periode aus. Doch es wäre vollkommen f<strong>als</strong>ch, Oppitz auf dieses Repertoire<br />
zu beschränken, denn er hat ein immenses Spektrum an Wissen um das gesamte Klavierrepertoire.<br />
Zudem spielt er Werke wie das Schönberg-Klavierkonzert oder das 2. Klavierkonzert<br />
von Guiseppe Martucci, die er in den Tagen unseres Treffens zur Aufführung bringt.<br />
Doch nun hat sich Oppitz einem vollkommen anderen Repertoire gewidmet: japanischer Klaviermusik.<br />
Im März dieses Jahres ging er wieder in den von ihm seit 20 Jahren <strong>als</strong> Aufnahmeort<br />
bevorzugten Reitstadel in Neumarkt, um vier japanischen Komponisten auch hierzulande<br />
stärker Gewicht zu verleihen: Toru Takemitsu (1930–1996), Shin-Ichiro Ikebe (* 1943), Keiko<br />
Fujiie (* 1963) und Saburo Moroi (1903–1977).<br />
PIANO<strong>News</strong>: Wie kam es zu der Idee, Werke von japanischen<br />
Komponisten aufzunehmen?<br />
Gerhard Oppitz: Nun, diese Idee ist mir schon<br />
lange im Kopf herumgegangen. Ich habe aus der<br />
GERHARD<br />
OPPITZ<br />
... über seine neueste<br />
Einspielung mit<br />
japanischen<br />
Kompositionen<br />
großen Fülle von japanischen Werken dann eine<br />
kleine Auswahl getroffen. Ich kenne auch sehr<br />
viele Komponisten aus Japan …<br />
PIANO<strong>News</strong>: … Sie haben ja sehr früh begonnen,<br />
32 5 . 11
5 . 11<br />
sich mit Japan und seiner Kultur zu beschäftigen …<br />
Gerhard Oppitz: Ja, ich bin 1973 mit meiner späteren<br />
Ehefrau zusammengetroffen und bin seither<br />
unter dem Einfluss der japanischen Kultur, der japanischen<br />
Sprache und der japanischen Lebensart.<br />
Natürlich auch durch viele Reisen nach Japan,<br />
auch zu Freunden, Verwandten und Bekannten.<br />
Ich habe auch viele Studenten aus Japan gehabt<br />
und war immer neugierig darauf, so viel wie möglich<br />
in mich aufzunehmen, was mit Japan zu tun<br />
hat. Auch die Sprache und die Schrift habe ich daher<br />
gelernt. Ich glaube, dass ich durch all dies einen<br />
fundierten Eindruck von den Besonderheiten<br />
der japanischen Kultur habe, dass ich mir zutrauen<br />
kann, die Musik der japanischen Komponisten<br />
ein wenig bekannter zu machen. Ich habe auch<br />
das Gefühl, etwas geben zu können, damit die Musik<br />
der japanischen Komponisten auch in anderen<br />
Ländern zur Diskussion gestellt wird.<br />
Japanische Pianisten spielen schon immer wieder<br />
mal das ein oder andere Werk, aber außerhalb<br />
von Japan kennen und spielen nur wenige nicht<br />
japanische Pianisten dieses Repertoire. Allein Peter<br />
Serkin hat sich stark für die Werke von Toru Takemitsu<br />
eingesetzt, da er ihn auch sehr gut kannte.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Ausgerechnet das von Ihnen ausgewählte<br />
„Rain Tree Sketch“ von Takemitsu ist ja eines<br />
der bekannteren Werke von ihm, das auch immer wieder<br />
von Klavierstudenten gespielt wird – zumindest<br />
kann man dies in internationalen Klavierwettbewerben<br />
feststellen.<br />
Gerhard Oppitz: Das ist sicher das weltweit berühmteste<br />
Klavierstück aus japanischer Feder. Ich<br />
finde, es ist ein zauberhaftes Stück. Nicht viele Noten,<br />
aber sehr viel Musik, viel Poesie und Fragezeichen,<br />
die stehen bleiben. Mit diesem Stück wird<br />
auch Takemitsus Verbundenheit mit der Musik<br />
von Olivier Messiaen dokumentiert.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Takemitsu wie Ikebe haben ja auch für<br />
viele bekannte Filme Musik geschrieben. Das hat zumindest<br />
Takemitsu geholfen seinen Namen bekannter<br />
zu machen, oder?<br />
Gerhard Oppitz: Ja, wobei diese beiden Komponisten<br />
– und auch Vorgänger von ihnen, die für<br />
Hollywood-Filme Musik komponiert haben – ihre<br />
Filmmusik nicht immer <strong>als</strong> wahre Essenz und den<br />
wahren Fokus ihres Schaffens betrachtet haben.<br />
Aber natürlich war es für sie immer eine gute Gelegenheit,<br />
die ökonomische Basis dafür zu schaffen,<br />
dass sie ihre sehr „ernsthaften Ideen“ umsetzen<br />
konnten.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Die Komponisten, die Sie nun eingespielt<br />
haben, sind in Japan sehr bekannt?<br />
Gerhard Oppitz: Das trifft zumindest auf Takemitsu<br />
und Ikebe zu. Die anderen beiden sind nicht so<br />
bekannt. Die fabelhafte Musikerin Keiko Fujiie hat<br />
schon vielerlei Anerkennung erfahren, aber hat<br />
natürlich noch keinen Kultstatus unter den Komponisten<br />
wie ihre älteren Kollegen. Ich habe sie<br />
vor zwei Jahren kennen gelernt und einige ihrer<br />
I NTERVIEW<br />
Partituren gesehen – unter anderem ein fabelhaftes<br />
Klavierkonzert, das ich vielleicht auch einmal<br />
aufnehmen möchte. Die Suite, die ich ausgewählt<br />
habe, die 12-sätzige Suite „On the Water’s Edge“<br />
sind Stücke, die mit Gewässern und dem Verweilen<br />
an Gewässern zu tun haben. Wobei das poetische<br />
Aufhänger sind, aber keine Vorlagen, die postkartenmäßig<br />
ausgemalt werden. Es sind sehr viele<br />
Traumbilder in ihnen, die in der Luft zu schweben<br />
scheinen. Es ist eine sehr sensitive, poetische und<br />
delikate Musik, die mich sehr angesprochen hat.<br />
Ich glaube, dass sie sicherlich noch bekannter und<br />
noch mehr Anerkennung finden wird.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Das, was Sie da über die Musik von<br />
Fujiie sagen, könnte man das – wenn man es verallgeminernd<br />
ausdrücken will – über die jüngere japanische<br />
Kompositionsweise sagen: dass die Komponisten stärker<br />
deskriptiv und mit einem immensen Hang zu einem<br />
Harmonieverständnis schrieben? Zumindest in einer<br />
Zeit, in der wir in Zentraleuropa besonders Werke von<br />
eher experimenteller Art erfahren konnten?<br />
Gerhard Oppitz: Es gibt Beispiele von allem, auch<br />
in der japanischen Musik. Aber es gibt auch dieselben<br />
interessanten Phänomene, dass Komponisten<br />
– ähnlich wie beispielsweise Penderecki in den<br />
letzten Jahren – im Alter weg von der Webern-<br />
Stockhausen-Nachfolge in Bezug auf die Klanglichkeit<br />
zurück zu einem harmonischeren Ausdruck<br />
I<br />
33
I<br />
I NTERVIEW<br />
kommen. Aber ich kenne auch eine Menge Werke<br />
von japanischen Komponisten, die sehr stark in<br />
die Richtung Stockhausens und Berios gegangen<br />
sind, vor allem in den 60er und 70er Jahren. Auch<br />
Ikebe und Takemitsu. Sie haben dann aber auch<br />
einen Altersstil entwickelt, der wesentlich angenehmere<br />
Töne anschlägt.<br />
Was deutlich wird, ist, dass die japanischen Komponisten<br />
viel offener sind für Anregungen außermusikalischer<br />
Art; Anregungen aus der Natur,<br />
Anregungen aus der Literatur, vor allem der Poesie.<br />
Zum Beispiel hat Ikebe ja das Stück, das ich<br />
eingespielt habe, auf ein Gedicht von Paul Eluard<br />
geschrieben und es daher nach der Gedichtzeile<br />
„La terre est bleue comme une orange“ benannt.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Das ist überhaupt bemerkenswert, dass<br />
es bei fast allen diesen Komponisten auch eine Brücke<br />
nach Europa gibt. Saburo Moroi hat ab 1932 bei Willy<br />
Bardas in Berlin studiert, Ikebe wählt ein Gedicht eines<br />
Franzosen …<br />
Gerhard Oppitz: Ja, viele der japanischen Komponisten<br />
und Musiker haben natürlich in Europa studiert.<br />
Eine japanische Komponiertradition ohne<br />
den Einfluss der europäischen Musikszene wäre ja<br />
kaum vorstellbar gewesen. Wenn Japan weiterhin<br />
so isoliert geblieben wäre, wie es bis vor zirka 150<br />
Jahren war, dann wäre sicherlich etwas ganz anderes<br />
<strong>als</strong> Musikszene entstanden.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Das zentrale Werk der CD ist aber die<br />
2. Klaviersonate von Saburo Moroi mit fast einen halben<br />
Stunde Dauer …<br />
Gerhard Oppitz: Bei dieser Sonate, die ich sehr<br />
bewundere, höre ich ganz eindeutig Paul Hinde-<br />
mith <strong>als</strong> großen Schatten und Einfluss seiner Musik<br />
durch seine zeitgleiche Anwesenheit in Berlin.<br />
Aber auch Elemente aus der Vorstellungswelt von<br />
Busoni. Es gab ja seinerzeit in Berlin noch eine<br />
ganze Reihe von Schülern Busonis. Ich glaube, vor<br />
diesem Hintergrund wurde Moroi sehr stark angeregt.<br />
Etwas auszudrücken, was ihm am Herzen<br />
lag, und in einer Sprache, die er aufgesogen hatte<br />
im Umgang mit anderen Künstlern. Und es ist eine<br />
Musik, die sehr bewusst strukturiert ist, geradezu<br />
mit klassischer Formstrenge auftritt. Diese Sonate<br />
hat in ihrer Ausdehnung schon einmal Dimensionen<br />
wie die h-Moll-Sonate von Liszt. Eigenwilligerweise<br />
beginnt die Sonate mit einem G-Dur-Akkord<br />
und endet mit einem H-Dur-Akkord wie bei Liszt,<br />
Foto: Hans-Dieter Göhre<br />
nur dass es bei Liszt im dreifachen <strong>Piano</strong> endet<br />
und bei Moroi im dreifachen Forte. Dadurch dass<br />
er die gesamte Komposition aus ganz wenigen Motiven<br />
entwickelt und auch immer wieder zurückgreift<br />
auf Elemente der vorangegangenen Sätze,<br />
zeigt sich ein geschlossenes Werk, ein zyklisch<br />
strukturiertes. Ich habe auch schon in Japan mit<br />
Journalisten gesprochen, dass ich der Meinung<br />
bin, dass dieses Werk jeder japanische Student einmal<br />
gespielt haben sollte. Aber faktisch ist es so,<br />
dass dieses Werk kaum jemand kennt und es offenbar<br />
auch noch keine Plattenaufnahme davon<br />
gibt. Auch das Notenmaterial ist nicht leicht<br />
erhältlich, auch ich habe nur eine Kopie erhalten.<br />
Zudem ist es ja ein Werk, das 1940 geschrieben<br />
wurde, in einer Zeit <strong>als</strong>o, <strong>als</strong> der Krieg in Europa<br />
schon begonnen hatte, und kurz bevor Japan in<br />
den Krieg einbezogen wurde. Und ich höre in diesem<br />
Werk – ähnlich wie bei Prokofiew-Sonaten,<br />
die aus den Kriegsjahren stammen – ein Abbild<br />
und einen Widerhall des Weltgeschehens und der<br />
34 5 . 11
Unsicherheit, der Sorge um die Zukunft.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Auch eine gewisse Wut über diese<br />
Situation wie bei Prokofiew …<br />
Gerhard Oppitz: Ja, natürlich. Der wichtigste<br />
Aussagepunkt in dieser Sonate ist für mich der<br />
dritte Satz. Es ist eine ganz weit ausgesponnene<br />
Elegie, sehr düster eingefärbt, mit wenigen tröstenden<br />
Momenten. Es ist eine Musik, die mich<br />
innerlich sehr bewegt. Und es würde mich natürlich<br />
freuen, wenn durch meine Aufnahme diese<br />
Musik ein wenig aus der Vergessenheit herausgeholt<br />
würde und sich ein paar junge Pianisten in<br />
Japan und auch außerhalb von Japan ihr zuwenden<br />
würden.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Es scheint ja auch, dass er ein guter<br />
Pianist war, oder?<br />
Gerhard Oppitz: Es scheint so, denn wie er dieses<br />
Werk schreibt, wusste er genau, was man auf dem<br />
Klavier machen kann.<br />
Was ich herausgefunden habe, ist, dass der Einfluss<br />
und die Bedeutung der Komponisten in Japan,<br />
die unter dem Einfluss der deutschen und österreichischen<br />
Musik standen, zurückgegangen ist,<br />
– zumindest in den vergangenen 30 bis 40 Jahren.<br />
Es haben mehr die Komponisten Aufwind gehabt,<br />
die sich an der französischen Musik orientiert haben,<br />
die mit Messiaen oder Dutilleux studiert ha-<br />
I NTERVIEW<br />
ben. Aber Komponisten wie Moroi, bei denen man<br />
noch Prinzipien von Bruckner und auch noch Beethoven<br />
erkennen kann, wenn es um die Struktur<br />
der Musik geht, sind weniger anerkannt heutzutage.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Aber wenn die Musik von Moroi so<br />
schwer zu erhalten ist, dann wird es schwierig sein, eine<br />
Bresche für ihn zu schlagen, oder?<br />
Gerhard Oppitz: Ich denke, dass ich es schaffen<br />
kann, dass der ehemalige Verlag oder ein neuer<br />
Verlag das Werk wieder verlegt.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Vielen Dank für diese Erklärungen,<br />
Herr Oppitz.<br />
Toru Takemitsu (1930–1996)<br />
Rain Tree Sketch<br />
Shin-Ichiro Ikebe (* 1943)<br />
„La terre est bleue comme une orange“<br />
(1989)<br />
Keiko Fujiie (* 1963)<br />
On the Water’s Edge<br />
Saburo Moroi (1903–1977)<br />
Klaviersonate Nr. 2 (1940)<br />
Gerhard Oppitz, Klavier<br />
Hänssler Classics 93.631<br />
(Vertrieb: Naxos)<br />
I
A<br />
A NSICHTEN<br />
Das Klavier im<br />
SPIELFILM<br />
Dooley Wilson und<br />
Humphrey Bogart in<br />
Casablanca.<br />
Foto: Warner Home Video<br />
„Klavierspiel ist eine Bewegung der Finger,<br />
Klavierdarbietung ist eine Bewegung der Seele.“<br />
Anton Rubinstein<br />
Von: Anna Fortunova<br />
Wenn Sie das Plakat zum Film The <strong>Piano</strong> (Das <strong>Piano</strong>,<br />
1993) gesehen haben (s. rechts), werden Sie es aufgrund<br />
seiner Originalität wahrscheinlich nicht mehr<br />
vergessen. Im Zentrum des Bildes sind ein Flügel und<br />
ein Klavierhocker zu sehen. Jedoch machen nicht die<br />
Frau, die neben dem Flügel steht, und auch nicht das<br />
Mädchen, das auf dem Instrument sitzt, einen ungewöhnlichen<br />
Eindruck. Es ist das Gesamtbild, in dem die<br />
Szene stattfindet, das im Gedächtnis bleibt: Das Klavier<br />
steht am Meeresstrand und im Hintergrund ist ein<br />
Gebirge zu sehen. Auch ohne Kenntnis des Films ist offensichtlich,<br />
dass der Flügel nicht nur optisch im Zentrum<br />
dieses Plakates steht, sondern auch in der Handlung<br />
eine wichtige Rolle spielt. Dieser Film von der australischen<br />
Regisseurin Jane Campion mit dem populären<br />
Klavierthema von Michael Nyman gewann im<br />
Jahr 1994 drei Oscars. Er ist einer der bekanntesten<br />
Spielfilme, in denen das Klavier bzw. der Flügel nicht<br />
nur für das Interieur bedeutsam ist, sondern auch eine<br />
künstlerische Idee des Autors offenbart. Das <strong>Piano</strong> ist<br />
einer der bekanntesten Filme, aber längst nicht der einzige.<br />
Dieser Artikel versucht keine „Anthologie des Klaviers im Film“ darzustellen, weshalb einige<br />
bedeutende Werke in diesem Essay nicht erwähnt werden. Vielmehr geht es hier darum,<br />
unterschiedliche Facetten dieses spannenden Themas zu beleuchten.<br />
36 5 . 11
5 . 11<br />
Klaviermusik <strong>als</strong> Symbol<br />
Einer der ersten Filme, in dem das Klavier ein<br />
wichtiges Element der Dramaturgie darstellt, ist<br />
der US-amerikanische Film Dishonored (Entehrt,<br />
1931) von Josef von Sternberg. Die Hauptrolle<br />
spielte die dam<strong>als</strong> dreißigjährige Marlene Dietrich,<br />
die der österreichisch-US-amerikanische Regisseur<br />
ein Jahr zuvor in dem bekannten Film Der<br />
blaue Engel entdeckt hatte, in dem sie wahrscheinlich<br />
eins der berühmtesten Lieder der Filmepoche,<br />
Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, sang.<br />
Dishonored zeigt die Geschichte einer attraktiven<br />
österreichischen Agentin der Spionageabwehr,<br />
Marie Kolverer, die im Jahr 1915 in Wien gegen<br />
den russischen Geheimdienst arbeitet. Als eine ihrer<br />
ersten Aufgaben im Film sieht man die erfolgreiche<br />
Entlarvung des russischen Spions, General<br />
Colonel Kovrins (Lew Cody), der in der Tat der Leiter<br />
des österreichischen Geheimdienstes ist und ihre<br />
Treue prüfen will. Als der „russische General“<br />
ins Zimmer von Marie tritt, spielt er dilettantisch<br />
auf ihrem Klavier die russische Romanze Die Nacht<br />
ist hell, die in seiner Interpretation sehr sentimental,<br />
aber auch etwas mechanisch klingt.<br />
- Soll ich eine andere Münze reinwerfen? – fragt ironisch<br />
Marlene Dietrich alias Marie Kolverer, <strong>als</strong><br />
Kovrin zu spielen aufhört.<br />
- Klinge ich wie ein <strong>Piano</strong>la? – erwidert er.<br />
- Fast, – folgt die Antwort.<br />
Nachdem Marie ihn in die Hände der Polizei<br />
übergibt, wird ihr Instrument<strong>als</strong>piel um vieles virtuoser<br />
und emotionaler, was dieser Situation einen<br />
dramatischen und auch spöttischen Charakter<br />
verleiht.<br />
Wenn in Dishonored das Lied Die Nacht ist hell<br />
zum Symbol eines Landes wird, so erklingt in dem<br />
berühmten, dreifach mit dem Oscar (auch <strong>als</strong><br />
„bester Film“) ausgezeichneten US-amerikanischen<br />
Kriegsmelodrama Casablanca (1942, Regisseur<br />
Michael Curtiz) das Lied As Time Goes by, auf<br />
dem Klavier gespielt, <strong>als</strong> Symbol der Liebe zwischen<br />
Ilsa Lund Laszlo (Ingrid Bergman) und Richard<br />
„Rick“ Blaine (Humphrey Bogart). Das Hören<br />
dieses Liedes, das in Rick seine Liebe zu Ilsa<br />
weckt, wird zu einem der<br />
Schlüsselmomente des Filmes,<br />
denn mit der Hilfe<br />
dieses Liedes wandelt sich<br />
Rick von Grund auf. Die<br />
Zuschauer sehen nicht<br />
mehr einen scheinbar<br />
gleichgültigen Zyniker,<br />
der sich von allem distanziert,<br />
sondern einen mutigen<br />
Mann, der furchtlos,<br />
kühn und edel handelt,<br />
sein Leben riskiert und<br />
letztlich auf seine Liebe<br />
verzichtet, damit er andere<br />
Menschen rettet und ihnen<br />
beim Erreichen ihrer<br />
hohen Zielen hilft.<br />
A NSICHTEN<br />
Geoffrey Rush in Shine.<br />
Foto: Miramax 2003<br />
Pianistinnen und Pianisten im Fokus<br />
36 Jahre vergingen und Ingrid Bergman, die auf<br />
der ganzen Welt berühmt wurde, spielte im Drama<br />
Höstsonaten (Herbstsonate, 1978, Regie: Ingmar<br />
Bergman) eine bekannte und auf ihre Karriere<br />
konzentrierte Pianistin Charlotte Andergast, die<br />
ihre etwa 40-jährige Tochter Eva (Liv Ullmann)<br />
und deren Mann Viktor (Halvar Björk) zum ersten<br />
Mal in sieben Jahren im Norden Norwegens besucht.<br />
Herbstsonate handelt von einem Mutter-<br />
Tochter-Konflikt; viele andere von Bergmans zentralen<br />
Themen – wie zwischenmenschliche Beziehungen,<br />
Kindheit, Tod, Glaube an Gott und Zweifel<br />
an seiner Existenz, die Suche nach dem Sinn<br />
des Lebens – sind in diesem Werk zu finden. Die<br />
Klaviermusik in Herbstsonate ist eine der Grundlagen<br />
und der Schlüssel zur Dramaturgie des Films.<br />
Der Konflikt zwischen Charlotte und Eva wird ab<br />
etwa der 27sten Minute im Film deutlich: Er wird<br />
durch Evas Spiel des a-Moll-Préludes von Chopin<br />
(op. 28 Nr. 2) ausgelöst. Der Klang dieses Préludes<br />
– eines der tragischsten in Chopins Œuvre –, das<br />
Erstarrung, Zerrissenheit und Hoffnungslosigkeit<br />
ausstrahlt, schafft in dieser Szene eine düstere Atmosphäre.<br />
Charlotte mag Evas Spiel nicht und sie<br />
versucht das zu verbergen, aber von Eva (sowie<br />
den Zuschauern des Filmes) bleibt das nicht unbemerkt.<br />
Sie bittet, zwingt beinahe ihre Mutter, ihre<br />
eigene Interpretation des Préludes zu spielen.<br />
Charlotte erklärt: „Chopin war stolz, sarkastisch, hitzig,<br />
gequält rasend und sehr männlich. Er war kein<br />
sentimentales altes Weib.“ Der Antagonismus zwischen<br />
Mutter und Tochter vertieft und verschärft<br />
sich im Laufe des ganzen Dramas, auf eine Versöhnung<br />
wartet man vergeblich. Am Ende des<br />
Films bittet Eva zwar Charlotte in einem Brief um<br />
Verzeihung, aber ob sie ihr gewährt wird und ob<br />
sie sich selbst verzeihen kann, werden wir nicht<br />
erfahren: Ingmar Bergman gibt in seinen Filmen<br />
so gut wie nie eine endgültige Antwort.<br />
In Shine (Shine – der Weg ins Licht, 1996, Regie:<br />
Scott Hicks) findet der Protagonist, der australische<br />
Pianist David Helfgott (geb. 1947), einen<br />
Weg von Zweifel und Leiden zu Freude, Erfolg und<br />
A<br />
37
A<br />
Howard Ellsworth Rollins Jr. in Ragtime.<br />
Foto: Concorde Filmverleih<br />
A NSICHTEN<br />
Glück. Es wird eine sehr persönliche und<br />
bewegende, manchmal tief rührende,<br />
aber auch mutige und auf keinen Fall<br />
sentimentale – und auf realen Fakten<br />
basierende – Geschichte erzählt. Geoffrey<br />
Rush gewann im Jahr 1997 für die<br />
Rolle David Helfgotts den Oscar <strong>als</strong> Bester<br />
Darsteller. Shine wurde noch für<br />
sechs Oscars nominiert (u. a. auch der<br />
deutsche Schauspieler Armin Müller-<br />
Stahl <strong>als</strong> bester Nebendarsteller). In diesem<br />
Film hat ein musikalisches Meisterwerk<br />
– das 3. Klavierkonzert von Sergei<br />
Rachmaninow – eine außerordentliche<br />
Bedeutung. Dies ist das Lieblingsstück<br />
Peter Elias Helfgotts und das Werk, das<br />
zu einem der größten Triumphe seines Sohns wurde.<br />
Konzentriert sich Scott Hicks in Shine auf die Gestalt<br />
David Helfgotts, so werden im achtfach für<br />
den Oscar nominierten Ragtime (1981, Regie:<br />
Miloš Forman, Musik von Randy Newman) die<br />
Hauptfigur des Jazzpianisten Coalhouse Walker Jr.<br />
(Howard Ellsworth Rollins Jr.) und andere Figuren<br />
dieses Films <strong>als</strong> Symbole der amerikanischen Geschichte<br />
jener Zeit gesehen. Im New York der<br />
1900er Jahre zerbrach die Hoffnung vieler Menschen<br />
auf selbst kleinste Gerechtigkeit jeder Art.<br />
Nach der gleichnamigen und mit dem National<br />
Book Critics Circle Award ausgezeichneten Novelle<br />
von Edgar Lawrence Doctorow (1975) gedreht, in<br />
der reale sowie ausgedachte Personen handeln,<br />
wurde diese spannende Kinotragödie zu einem<br />
sozialkritischen Ereignis der achtziger Jahre. „Den<br />
europäischen Blick auf die amerikanische Gesellschaft<br />
hat Forman sich bewahrt. Seine Filme geben dem<br />
Hollywood-Kino, was diesem oft fehlt: Leben“, so Nicolaus<br />
Schröder in seinem Buch „50 Klassiker: Filmregisseure“.<br />
Das mit vielen bedeutenden Preisen gekrönte<br />
Holocaust-Drama The Pianist (Der Pianist, 2002)<br />
von Roman Polanski (geb. 1933) stellt musikdramaturgisch<br />
ein meisterhaftes Werk dar. Das Schaffen<br />
Frédéric Chopins steht im Zentrum des Films.<br />
Die Wahl dieses Komponisten hat biografischen<br />
Hintergrund: Die Hauptfigur Wladyslaw Szpilman<br />
(1911–2000), nach dessen Autobiographie der<br />
Film gedreht wurde, hat <strong>als</strong> polnischer Pianist sehr<br />
viele Werke von Frédéric Chopin gespielt und auch<br />
Adrien Brody in The Pianist.<br />
Foto: Tobis Filmverleih<br />
aufgenommen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat<br />
kein anderer Komponist sein Genie in solchem<br />
Grad dem Klavier gewidmet. Chopins Werke beinhalten<br />
oft (trotz ihrer tiefen edlen Tragik) eine<br />
Synthese von Mut, Kraft, Standhaftigkeit und Hoffnung.<br />
Mit dem cis-Moll-Nocturne op. posth., das<br />
Wladyslaw Szpilman (Adrien Brody) im Jahr 1939<br />
beim Polnischen Rundfunk<br />
aufnimmt, aber wegen des<br />
Bombenangriffs nicht bis zu<br />
Ende einspielen kann, fängt<br />
die Geschichte an. In einer<br />
der wichtigsten Episoden des<br />
Filmes erklingt die 1. Ballade<br />
des großen Romantikers. In<br />
dieser Szene bittet der Wehrmachtshauptmann<br />
Wilhelm<br />
(Wilm) Hosenfeld 1 (Thomas<br />
Kretschmann) den Musiker<br />
Klavier zu spielen und rettet<br />
danach sein Leben. Die Bedeutung<br />
dieses Moments<br />
wird auch durch seine Länge<br />
betont: Er dauert über 4 Minuten,<br />
während viele andere<br />
Musizierszenen kaum länger <strong>als</strong> eine Minute<br />
sind. In diesem Film hören wir auch Teile von<br />
Werken zweier für Chopin wichtiger deutscher<br />
Komponisten: Bach (Die Suite Nr. 1 BWV 1007 für<br />
Cello solo) und Beethoven (Sonate op. 27/2). Das<br />
Klavier bzw. der Flügel begleiten den Haupthelden<br />
durch seine Jahre im Warschauer Ghetto. Beispielsweise<br />
in einer der Wohnungen, wo er sich<br />
mit Hilfe seiner Freunde verstecken konnte, steht<br />
auch ein Klavier, das er, um sich nicht zu verraten,<br />
nicht spielen darf. Trotzdem versucht er auf ihm<br />
klanglos, ohne die Tasten zu berühren, zu „musizieren“<br />
– und die Zuschauer hören die „Grande<br />
Polonaise brillante“ (op. 22) Chopins. Auch wenn<br />
es für ihn keine Möglichkeit gibt, ein Klavier ausfindig<br />
zu machen (so wie in einem zerstörten<br />
Krankenhaus), „spielt“ er in der Luft die 2. Ballade<br />
des polnischen Komponisten – auch wir <strong>als</strong> Zuschauer<br />
können es hören.<br />
Am Ende des Filmes, wenn alle Kreise der Hölle<br />
durchlaufen sind, wird dasselbe Nocturne, welches<br />
der Pianist nun nicht abbrechen muss, sechs Jahre<br />
später wieder beim Polnischen Rundfunk eingespielt.<br />
Danach folgt der Epilog: Im freien Warschau<br />
führt Szpilman mit einem Orchester die<br />
Grande Polonaise brillante des polnischen Kompo-<br />
38 5. 11
5 . 11<br />
Ein Standbild aus <strong>Piano</strong> no Mori.<br />
Abbildung: Anime Virtual S. A.<br />
nisten auf – <strong>als</strong> Mahnmal, Symbol und Hymne des<br />
freien und hellen Lebens. „Es ist für mich eine positive<br />
Geschichte, denn allem Horror und Leid zum Trotz<br />
gibt sie am Ende Anlass zu Hoffnung“, sagte Roman<br />
Polanski. Der Regisseur weiß, wovon er spricht: Er<br />
selbst überlebte <strong>als</strong> Kind das Ghetto in Krakau und<br />
die Warschauer Bombennächte.<br />
Der Flügel <strong>als</strong> „Zauberwesen“<br />
In einigen neuen asiatischen Filmen wird der Flügel<br />
fast wie ein Wesen gezeigt, das zauberhafte<br />
Kräfte besitzt. So etwa in Bu neng shuo de mi mi<br />
(Das Geheimnis, engl. The Secret, vom jungen taiwanesischen<br />
Regisseur Jay Chou, 2007), wo der<br />
Flügel <strong>als</strong> ein Instrument der Liebe interpretiert<br />
wird, mit dessen Hilfe die Liebenden Raum und<br />
Zeit überwinden können, und in dem im selben<br />
Jahr erschienenen japanischen Zeichentrickfilm<br />
<strong>Piano</strong> no Mori (Der Wald des Klaviers, engl. The<br />
<strong>Piano</strong> Forest).<br />
Der Regisseur von Der Wald des Klaviers, Kojima<br />
Masayuki, setzt sich mit dem Thema des Kinderklavierspiels<br />
und der Wettbewerbe auseinander,<br />
dramaturgisch wichtig sind vor allem Werke von<br />
Chopin und Mozart. Die Musik spielt Wladimir<br />
Aschkenasi. Dieser Zeichentrickfilm ist nicht nur<br />
für Kinder interessant, sondern auch für Erwachsene<br />
eine aufschlussreiche Parabel. Der Wald des<br />
Klaviers wurde nach dem gleichnamigen Manga<br />
von Makoto Isshiki produziert und zeigt überzeugend,<br />
ohne belehrend zu wirken, dass Liebe,<br />
Freundschaft, gegenseitige Hilfe, Mut, Edelsinn,<br />
Inspiration und Individualität jeder Persönlichkeit<br />
A NSICHTEN<br />
das sind, was im Leben von wahrhaftem<br />
Wert ist.<br />
Wenn sich Filmregisseure in ihren Werken<br />
dem Klavier zuwenden, haben sie<br />
alle ihre eigenen Ideen, die jedes Mal<br />
individuell umgesetzt werden. Doch was<br />
all diese Filme eint, ist, dass die Musik,<br />
das Klavier <strong>als</strong> Musikinstrument und die<br />
hohe Kunst der Klavierdarbietung <strong>als</strong><br />
Träger von ewigen Werten gesehen, geschätzt<br />
und manchmal auch bewundert<br />
werden.<br />
Anmerkung<br />
1 Wilhelm Hosenfeld rettete in Warschau<br />
während des Krieges nicht nur Wladyslaw<br />
Szpilman, sondern auch andere<br />
Menschen verschiedener Nationalitäten.<br />
Er wurde von der Holocaustgedenkstätte<br />
Yad Vashem im Jahr 2008 nach einem<br />
Brief von Szpilman und mehreren Recherchen<br />
posthum zum Gerechten unter<br />
den Völkern ernannt. Szpilman schrieb:<br />
«Kapitan Hosenfeld bewies, dass er eine<br />
heroische Persönlichkeit gegen Faschismus<br />
war, und er verdient es ausgezeichnet<br />
zu werden».<br />
A<br />
39
P<br />
P ORTRÄT<br />
Hans-Peter &<br />
Volker Stenzl<br />
feiern 25-jähriges Bühnenjubiläum<br />
Eigentlich haben sie schon seit Kindertagen immer wieder einmal gemeinsam am Klavier<br />
gesessen: Hans-Peter Stenzl (* 1960) und sein Bruder Volker (* 1964). Auftritte und Erfolge<br />
bei „Jugend musiziert“ zählten ebenso zum Weg wie der Gewinn beim „Brahms-Wettbewerb“<br />
sowie Konzerte – Aktivitäten, die letztendlich im Gewinn des ARD-Wettbewerbs im Jahr 1986<br />
mündeten. Von da an ging es mit der Karriere bergauf, und entsprechend zählt das<br />
Klavierduo Stenzl seine „Dienstzeit“ von diesem Jahr an. Seit 25 Jahren sind die Brüder auf<br />
den Konzertbühnen aktiv. Wir trafen uns mit ihnen, um etwas über die Erfahrungen zu<br />
hören, die ein Klavierduo macht, wenn es so lange aktiv unterwegs ist.<br />
Der ARD-Wettbewerb im Jahr 1986 war nur<br />
der Beginn einer guten Karriere für die<br />
Brüder Stenzl, die aus dem Stuttgarter<br />
Raum stammen, was man ihrem vorhandenen<br />
sympathischen Dialekt durchaus anmerkt. Nach<br />
diesem Wettbewerb war noch ein Preis beim<br />
Murray Dranoff-Wettbewerb gefolgt, sowie die<br />
Auswahl in die „Konzerte junger Künstler“ des<br />
Deutschen Musikrates, die dam<strong>als</strong> noch abgekoppelt<br />
vom „Deutschen Musikwettbewerb“ stattfand.<br />
Doch wir wollten nicht die genaue Biografie, den<br />
genauen Werdegang der beiden Brüder mit ihnen<br />
besprechen, sondern von den Erfahrungen hören,<br />
die sie in ihrer 25 Jahre dauernden Profi-Zeit sammeln<br />
konnten.<br />
Von: Carsten Dürer<br />
Warum – nachdem das Duo ja schon fast 10 Jahre<br />
vor dem ARD-Wettbewerb erstm<strong>als</strong> konzertierte,<br />
wie Volker Stenzl sich erinnert – das Jahr 1986<br />
<strong>als</strong> Beginn und damit das 25-jährige Jubiläum?<br />
„Nun, das war schon ein wichtiger Moment, es war ein<br />
Moment der Entscheidung, dass wir weitermachen.<br />
Wir sind ja dann auch 1988 <strong>als</strong> Duo zum Studium<br />
nach London gegangen. Der Auslöser war einfach dieser<br />
ARD-Wettbewerb“, erinnert sich Volker Stenzl<br />
und der Bruder fügt hinzu: „Es war vor allem auch<br />
eine Bestätigung, dass dieser Weg möglicherweise ein<br />
gangbarer sein würde.“ Dieser Zeitpunkt war <strong>als</strong>o<br />
der professionelle Moment, um sich vollkommen<br />
auf das Duospiel zu konzentrieren? Volker Stenzl:<br />
„Ja, unser ganzes Denken und unsere Arbeit, das Spie-<br />
40 5 . 11
5 . 11<br />
len und Üben, war auf einmal klar.“ Hans-Peter<br />
Stenzl dazu: „Als wir dieser Erfolge hatten und die<br />
Konzerte ins Haus flatterten, blieb uns eigentlich in<br />
diesem Moment auch gar nichts anderes übrig, <strong>als</strong> uns<br />
auf das Duospiel zu konzentrieren. Zumindest für die<br />
kommenden zwei oder drei Jahre.“<br />
Erfahrungen<br />
Viele Erfahrungen macht man natürlich <strong>als</strong> Duo<br />
über 25 professionelle Jahre. Kann man sagen,<br />
was das Schwierigste für ein Klavierduo im Musikbetrieb<br />
ist? Hans-Peter Stenzl antwortet spontan:<br />
„Ich würde sagen, da hat sich in diesen 25 – und<br />
wahrscheinlich in den vergangenen 100 Jahren – überhaupt<br />
nichts geändert. Das Schwierigste ist nach wie<br />
vor, Veranstalter von der Attraktivität der Besetzung<br />
Klavierduo zu überzeugen. Wir hören heute wie vor 20<br />
Jahren: Oh, Klavierduo ist schwierig zu verkaufen, hinzu<br />
kommt auch immer wieder das Argument mit dem<br />
Problem der zwei Flügel. Und dies, obwohl es heute<br />
kein Problem mehr ist, in einer halbwegs größeren<br />
Stadt zwei Flügel aufzutreiben. Zudem sind die Klavierfirmen<br />
und -händler bereit, großzügig zu helfen. Irgendwie<br />
sitzt dies aber in den Köpfen der Veranstalter<br />
und der Agenten fest. Und genau wie vor 25 Jahren<br />
sagen wir, dass wir nie irgendwelche Klagen hinterher<br />
vom Publikum hören.“ Woran liegt das? „Nun, ich<br />
weiß nicht genau, woran das liegt“, erklärt Volker<br />
Stenzl, „aber wenn man zurückblickt, dann kann man<br />
sagen, dass die Brüder Kontarsky im Duo – zumindest<br />
was sie uns erzählt haben – durchaus attraktiv waren.<br />
Vielleicht, da die Leute dam<strong>als</strong> noch durchaus auf das<br />
Besondere eines Duos angesprungen sind. Da gab es<br />
Klavierduo kaum, <strong>als</strong>o war es eine Art Attraktion,<br />
selbst wenn das Duo sehr viel zeitgenössische Musik<br />
gespielt hat. Und selbst die anderen Werke aus der<br />
Klassik und Romantik kannte man ja dam<strong>als</strong>, Mitte<br />
der 50er Jahre nicht.“ Er meint auch, dass das Publikum<br />
einfach ein wenig überfrachtet ist mit Reizen<br />
und daher die Attraktivität, zwei Pianisten auf einer<br />
Bühne zu erleben, abgenommen hat. Hört<br />
man denn auch das Argument, dass dieses Repertoire<br />
vor allem im gutbürgerlichen Haushalt dem<br />
Spiel der höheren Töchter gedient, und daher<br />
nicht so wichtig sei? Volker Stenzl: „Was das Repertoire<br />
für vier Hände auf einem Instrument angeht,<br />
sicherlich.“ „Deshalb spielen wir dieses Repertoire<br />
auch nicht so gerne in größeren Sälen“, erklärt Hans-<br />
Peter Stenzl und fährt fort: „Gerne ein Werk im Rahmen<br />
eines Duoabends an zwei Flügeln, aber ein reiner<br />
vierhändiger Abend gehört aus unserer Sicht tatsächlich<br />
in einen etwas intimeren Rahmen.“ Aber das<br />
Repertoire für vier Hände ist ja nicht leichter oder<br />
etwa minderwertiger <strong>als</strong> das auf zwei Flügeln …<br />
„Ganz im Gegenteil“, meint Volker Stenzl, „das vierhändige<br />
Spiel birgt viele besondere Schwierigkeiten.<br />
Und die Werke von Schubert – und auch von Mozart –<br />
sind natürlich auch im Bereich der vierhändigen Werke<br />
ganz große Musik.“ „Trotzdem“, wirft sein Bruder<br />
ein, „ist es nicht von der Hand zu weisen, dass diese<br />
Gedanken des Höheren-Töchter-Spiels da irgendwie<br />
mitschwingen. Und man muss ja auch sagen, dass<br />
diese Meisterwerke von Schubert, wie das ‚Grand Duo’<br />
oder die f-Moll-Fantasie, natürlich erst einmal für die<br />
höheren Töchter geschrieben wurden. Ob sie diese<br />
Werke dann spielen konnten, steht auf einem anderen<br />
Blatt. Aber seit der Geburtsstunde ist diese Musik auch<br />
P ORTRÄT<br />
mit diesem Gedanken verbunden.“ Ob nun die Adeligen,<br />
für die Mozart und auch Schubert, diese<br />
Werke explizit schrieben, hervorragende Pianistinnen<br />
waren, vermag man auch seitens des Klavierduos<br />
Stenzl nicht wirklich zu sagen.<br />
Kann man denn gegen diese Vorurteile durch<br />
spannende Programmatik etwas tun? „Das versuchen<br />
natürlich die Klavierduos“, erklärt Hans-Peter<br />
Stenzl, „und das tun wir auch. Wenn wir ans Ziel kommen,<br />
dann nur mit solch extra zusammengestellten<br />
Programmen, die in eine übergeordnete Konzeption<br />
der Veranstalter passen. Fairerweise muss man aber<br />
auch sagen, dass – im Vergleich zum Solo-Repertoire –<br />
die Anzahl der qualitativen Spitzenwerke nun wirklich<br />
deutlich geringer ist.“ Das ist natürlich ein schlechter<br />
Vergleich, da das Repertoire für Klavier solo so<br />
riesig ist, dass man es kaum vergleichen kann –<br />
auch nicht mit dem Repertoire für einen solistischen<br />
Geiger beispielsweise. Wie sieht aber solch<br />
ein Programm aus, das man erfolgreich <strong>als</strong> Duo<br />
vorschlägt? „Wir haben zum Teil solche Programme<br />
auch eingespielt. Gut ist immer unsere Trias: Brahms’<br />
‚Haydn-Variationen’, Regers ‚Beethoven-Variationen’<br />
und Liszts ‚Reminiscences de Don Juan’, <strong>als</strong>o die Klassiker<br />
im Spiegel der Romantik. Ein Projekt für 2012 ist<br />
beispielsweise ein Bach-Programm, in dem wir die<br />
unbekannten vierhändigen Variationen über ein Thema<br />
von Bach von Martin Gustav Nottebohm spielen,<br />
einem engen Freund von Brahms, gefolgt von Busonis<br />
‚Improvisation über Bachs Choral ‚Wie wohl ist mir ...’<br />
für zwei Klaviere und dann Piazzollas ‚Fuga in misterio’.<br />
Piazzolla zieht immer, denn manches Mal ist es<br />
auch klug, Komponistennamen ins Spiel zu bringen.<br />
Bei Piazzolla kommt selten die Frage: ‚Was ist das<br />
denn für ein Stück von Piazzolla?’ Da wird bereitwilliger<br />
die Katze im Sack gekauft, <strong>als</strong> wenn wir ein<br />
Schubert-Programm anbieten.“ „Veranstalter legen<br />
wirklich vielfach auf bekannte Komponistennamen<br />
Wert“, fügt Volker Stenzl hinzu. „Die Bereitschaft,<br />
<strong>als</strong> Veranstalter mutig zu sein, ist immer noch recht<br />
gering. Ob es wirklich am Publikum liegt, weiß ich<br />
nicht.“ Es bleibt ein Balanceakt, meint Hans-Peter<br />
Stenzl.<br />
Das Klavierduo Stenzl hat sich nie spezialisiert<br />
auf eine Facette des Duo-Spiels, während andere<br />
doch verstärkt das vierhändige Spiel in den Vordergrund<br />
heben oder aber das Repertoire der Moderne.<br />
Ist das heute ein Weg, um sich besser im<br />
Markt zu behaupten? Volker Stenzl: „Das kann<br />
funktionieren, muss aber nicht. Man muss es von<br />
innen heraus mit sich vereinbaren können. Unser<br />
Schwerpunkt liegt erst einmal im klassisch-romantischen<br />
Bereich. Und von der Basis aus haben wir uns<br />
ausgebreitet – bis hin zu Uraufführungen von neuen<br />
Werken, die wir auch gerne spielen. Aber unsere Philosophie<br />
ist es, von der traditionellen Basis auszugehen<br />
und von dort in die Tiefe der Musik einzudringen. Ob<br />
eine Spezialisierung für jüngere Duos heutzutage von<br />
Anfang an funktionieren kann, vermag ich nicht zu<br />
sagen. Aber eines ist sicher: Um tief und gut zu musizieren,<br />
ist erst einmal die Beschäftigung mit dieser<br />
klassisch-romantischen Musik wichtig, ansonsten bleiben<br />
auch moderne Werke flach.“ Hans-Peter Stenzl<br />
meint: „Heute ist so vieles unkalkulierbar. Wir unterrichten<br />
ja Klavierduo an der Hochschule für Musik<br />
und Theater in Rostock. Und ich würde keinem unserer<br />
Duos raten, sich innerhalb des Duos weiter zu speziali-<br />
P<br />
41
P<br />
P ORTRÄT<br />
sieren. Das war auch unser Argument: Als wir uns entschlossen,<br />
unsere Klavierduo-Laufbahn zu verfolgen<br />
und uns darauf zu spezialisieren, dann wollten wir<br />
innerhalb dieser Spezialisierung auf Klavierduo diese<br />
ganze bandbreite abdecken.“ Volker Stenzl erwähnt<br />
allerdings, dass ein ehemaliges Studentenduo aus<br />
Rostock nach einiger Zeit verspürt hat, dass die<br />
zeitgenössische Musik ihm sehr nahe ist, und sich<br />
darauf spezialisiert hat – und das erfolgreich.<br />
Der Markt für Klavierduos ist nicht mit Interpreten<br />
überfrachtet, aber dennoch kommen immer<br />
mehr auf den Markt – auch durch die Ausbildung,<br />
wie sie die Stenzls in Rostock in der Lage sind<br />
anzubieten. Spürt man das <strong>als</strong> Klavierduo, das<br />
schon lange auf den Podien konzertiert? Vor allem<br />
vor dem Hintergrund, dass in Klavierkonzertreihen<br />
pro Saison meist nur ein Klavierduo vorkommt.<br />
„Natürlich, die Nachfrage ist für Duos geringer“,<br />
beginnt Volker Stenzl zu erklären, „aber der<br />
Markt ist auch nicht übervoll. Trotzdem denke ich,<br />
dass wir in Rostock keine Konkurrenz heranziehen. Für<br />
uns ist die Arbeit mit den jungen Duos, die schon<br />
Ideen mitbringen, schon weit sind, eine tolle Aufgabe.<br />
Aber man ist doch immer noch relativ weit weg von<br />
denen“, bemerkt er lächelnd. Hans-Peter Stenzl<br />
greift ein: „Nun, wir haben natürlich den Vorsprung<br />
an Jahren und wir versuchen natürlich mit den sehr<br />
guten Studenten von uns weiter zu wachsen, so dass<br />
der Abstand immer gleich bleibt“, lacht er auf.<br />
Immerhin kommen aus der Klasse des Stenzl-Duos<br />
beispielsweise die Preisträger des vergangenen<br />
ARD-Wettbewerbs, Sarah und Susan Wang, oder<br />
auch das ARD-Gewinner-Duo aus Litauen, Vilija<br />
Poskute und Tomas Daukantas.<br />
Nun gibt es für Klavierduos kaum Möglichkeiten<br />
in der Literatur, gemeinsam mit anderen Musikern<br />
zu spielen. Darin sieht Hans-Peter Stenzl ein weiteres<br />
Indiz, warum der Markt für Klavierduos<br />
schwierig ist, denn auf den vielen Festiv<strong>als</strong> treffen<br />
sich ja auch die Solisten, um gemeinsam zu musizieren,<br />
aber für ein Klavierduo ist da kein Platz,<br />
sich musikalisch mit anderen zu treffen.<br />
Die Geheimnisse eines Klavierduos<br />
Meist bestehen langjährige Klavierduos entweder<br />
aus verheirateten Paaren oder aber aus Geschwistern.<br />
Können die Stenzls sagen, worin die größten<br />
Gefahren oder Schwierigkeiten liegen, wenn dies<br />
nicht der Fall ist? „Nun“, beginnt Volker Stenzl, „die<br />
Entwicklung zu einem Klavierduo ist natürlich ein sehr<br />
langer Weg. Wenn man sich erst einmal einfach nur<br />
partnerschaftlich zusammentut, dann kommen doch<br />
früh die Gedanken: Wie finanziere ich mein Leben?<br />
Wenn man ein Klavierduo beginnt, verdient man einfach<br />
erst einmal kein Geld und weiß auch nicht, ob<br />
man Erfolg haben wird. Dann können andere Lebenspartner<br />
zu beiden Teilen des Duos hinzukommen.<br />
Daraus entwickeln sich dann manches Mal andere<br />
Lebensumstände. Bei Geschwistern ist es von Grund<br />
auf eine andere Basis, da sie oftm<strong>als</strong> ja seit der Jugend<br />
zusammenspielen. Und dadurch werden Außeneinflüsse<br />
auch oftm<strong>als</strong> an die Seite gedrängt und man<br />
geht seinen Weg.“ Und genau an diesem Punkt wird<br />
das Klavierduospiel <strong>als</strong> Kammermusik erkennbar.<br />
Denn auch in anderen kammermusikalisch festen<br />
Besetzungen muss man lange hart arbeiten, um<br />
Erfolge vorbringen zu können. Hans-Peter Stenzl:<br />
„Ich würde die Frage so beantworten wollen: Wenn wir<br />
von seriösen Ensembles <strong>als</strong> Klavierduo ausgehen, die<br />
lange zusammenbleiben wollen … und es ein paar Jahre<br />
lang schaffen. Irgendwann entsteht doch der<br />
Wunsch nach mehr Individualität. Denn das<br />
Eingebettet-Sein in ein Ensemble erfordert doch auch<br />
eine gewisse Aufgabe von Individualität. In künstlerischer<br />
Hinsicht muss man sich doch arrangieren. Man<br />
kämpft gemeinsam für eine Interpretation und die<br />
Beteiligten kommen in aller Regel aus verschiedenen<br />
Ecken und raufen sich zusammen. Und dieses Zusammenraufen,<br />
immer wieder, Jahr für Jahr, zehrt natürlich<br />
auch.“ Das bedeutet, dass jede Seite eines Duos<br />
unter dem Eindruck des bestmöglichen Kompromisses<br />
leiden kann. Volker Stenzl: „Wir beide versuchen<br />
ja unsere Individualität beizubehalten, ja sogar<br />
zu stärken, dann unter dem Mantel des Duos, was<br />
anders ist <strong>als</strong> eine solistische Identität.“ Hans-Peter<br />
Stenzl fügt hinzu: „Wir sagen auch unseren Studenten,<br />
dass unser ästhetischer Gedanke ist, innerhalb<br />
eines Duos so unterschiedlich wie möglich zu spielen.<br />
Man soll sich nicht klonen und vollkommen angleichen.<br />
Je individueller man ist, umso spannender wird<br />
es, allerdings muss man es im Ensemble zusammenhalten.“<br />
Dazu zählegehört Toleranz, dass ein<br />
Partner den gleichen Weg geht, auch wenn er<br />
anders denkt.<br />
Was kann man heutzutage jungen Duos denn<br />
raten, damit ein Duo stabil bleibt? „Das ist ein ganzes<br />
Kompendium, was man da nennen müsste“, beginnt<br />
Hans-Peter Stenzl, „aber das Wichtige ist:<br />
Wettbewerbe sind eine gute Möglichkeit, das<br />
Kernrepertoire aufzubauen und auf sich aufmerksam<br />
42 5 . 11
zu machen. In hochkarätigen Wettbewerben ist es so,<br />
dass traditionell kompetente Juroren die Leistungen<br />
beurteilen. So haben vor allem der Murray-Dranoff-<br />
Wettbewerb und der ARD-Wettbewerb einen besonderen<br />
Stellenwert für die Duos.“ Für wichtig hält er<br />
aber auch, den Studenten heutzutage zu vermitteln,<br />
dass mehr dazugehört, <strong>als</strong> sich nur musikalisch<br />
zu entwickeln: „PR-Arbeit gehört ebenso dazu<br />
heutzutage, auch eine Mappe mit Fotos zu haben, ein<br />
‚Gesicht’ zu entwickeln. Ohne das geht es nicht. Allerdings<br />
muss die Gewichtung stimmen. Erst muss die<br />
musikalische Arbeit stimmen, das andere muss dann<br />
danach hinzukommen.“ Volker Stenzl fügt hinzu: „Es<br />
ist einfach auch am Instrument harte Arbeit, das muss<br />
klar sein, eine Arbeit, die auch nicht nachlässt. Und es<br />
gibt kaum eine andere Verbindung, in der die Arbeit so<br />
intensiv ist.“ Daher, so meint er, gibt es einfach<br />
kein Wunderkind-Klavierduo. Das heißt, man<br />
muss schon etwas weiter sein <strong>als</strong> Klavierduo, um<br />
bestehen zu können. Junge Preisgewinner bei<br />
Wettbewerben, <strong>als</strong>o solche, die unter 20 sind, gibt<br />
es im Bereich des Klavierduos einfach nicht.<br />
Zwischenresümee?<br />
Können die beiden Brüder, die so viel Erfahrung<br />
gesammelt haben, heute, nach 25 Jahren professionellen<br />
Spielens auf der Bühne, eine Art von Zwischenresümee<br />
ziehen? Hans-Peter Stenzl: „Es hat<br />
sehr viel Spaß gemacht. Ich kann mir kaum vorstellen,<br />
dass ich musikalisch, aber auch menschlich kontinuierlich<br />
so sehr beobachtet worden wäre oder auch mich<br />
P ORTRÄT<br />
selber beobachtet hätte, wenn wir nicht unser Duo<br />
gehabt hätten. Es ist eine Art Lebensschiene, die nicht<br />
nur schwierig ist, sondern die auch enorm hilft.“<br />
Volker muss überlegen ... dann: „Wenn so etwas aus<br />
dem Nichts kommt – wie bei uns: wir hatten kein musikalisches<br />
Elternhaus, kaum Unterstützung –, dann<br />
kann man einfach mit vielem, was wir erreicht haben,<br />
zufrieden sein. Aber es gibt auch Punkte, bei denen<br />
man in der Rückschau denkt, dass man hätte einiges<br />
anders angehen können. So beispielsweise, dass wir<br />
immer dachten, dass die reine Qualität sich durchsetzt.<br />
Heute wissen wir aber, wie wichtig auch das<br />
Marketing ist, und das hätten wir vielleicht für mehr<br />
Auslandspräsenz ausbauen können. Aber man kann<br />
natürlich die Zeit nicht zurückdrehen.“ Das klingt<br />
selbstkritisch und wirklich erfahren. „Es ist aber<br />
kein resignierender Rückblick, wir versuchen jetzt das<br />
verstärkt anzugehen, was bislang zu kurz kam, beispielsweise<br />
die Auslandspräsenz“, erklärt Hans-Peter<br />
Stenzl. „Was wir in der letzten Zeit spüren“, so Volker<br />
Stenzl, „ist die enorm viele Arbeit, die wir so viele Jahre<br />
in das Spiel, die künstlerische Ebene, gesteckt haben.<br />
Das zahlt sich aus. Unser Spiel wird immer freier und<br />
reifer – auch für uns spürbar. Man fühlt sich immer<br />
wohler auf der Bühne.“<br />
Das Klavierduo Stenzl wird sicherlich auch noch<br />
in den kommenden Jahrzehnten dem Publikum<br />
viele spannende Klavierduo-Konzerte bereiten.<br />
www.stenzl-pianoduo.net<br />
P
W W ETTBEWERBE<br />
Überraschungen<br />
Klavierwettbewerbe bringen über Dekaden ihre eigenen Legenden aufgrund der brillanten Talente hervor,<br />
die sie früh genug erkennen. Der Montreal International Musical Competition (MIMC) oder auch<br />
Concours Musical International de Montreal) ist allerdings noch eine junge Institution, die erst 2002 ins<br />
Leben gerufen wurde und sich alternierend dem Klavier, der Violine und dem Gesang widmet. Dennoch<br />
konnte die vergangene <strong>Ausgabe</strong> des Wettbewerbs für Klavier 2008 großartige Resultate verzeichnen,<br />
indem man einen wirklich wohlverdienten ersten Preis an die hochmusikalische armenische Pianistin<br />
Nareh Arghamanyan vergab. Der Klavierwettbewerb, der in diesem Jahr am 3. Juni endete, verlieh den<br />
1. Preis an die 28-jährige in Italien geborene Beatrice Rana, die bei Benedetto Lupo am Conservatorio<br />
die Musica „Nino Rota“ die Monopoli in Bari studierte.<br />
Von: Benjamin Ivry<br />
Die diesjährige erfahrene Jury setzte sich zusammen<br />
aus dem brasilianischen Pianisten Arnaldo Cohen,<br />
dem Franzosen Jean-Philippe Collard, dem Kanadier<br />
James Parker, dem in Budapest geborenen Österreicher<br />
Imre Rohmann, der Pianistin Lilya Zilberstein, dem<br />
Amerikaner Benjamin Pasternack (vom Baltimore Peabody<br />
Institute) und der Japanerin Mari Kodama. Die letztgenannte<br />
Pianistin ist zudem die Gattin des bekannten Dirigenten<br />
Kent Nagano, der seit 2006 der Musikdirektor des<br />
Orchestre Symphonique de Montreal ist. Mari Kodama<br />
glaubt fest an die Vorteile von Klavierwettbewerben, da<br />
ihre Tochter Karin Kei Nagano <strong>als</strong> Wunderkind bereits drei<br />
Klavierwettbewerbe im Alter von acht Jahren gewonnen<br />
hat.<br />
Wenn auch nicht ganz so jung, zeigten sich die sechs jugendlichen<br />
Finalisten des Montreal Wettbewerbs in diesem<br />
Jahr dennoch sehr eindrucksvoll auf ihre ganz eigene Art.<br />
Die Gewinnerin Beatrice Rana wählte kühn das 1. Klavierkonzert<br />
von Tschaikowsky, dasselbe Werk <strong>als</strong>o, das auch an<br />
gleicher Stelle Nareh Arghamanyan zum ersten Platz verhalf,<br />
<strong>als</strong> diese nur 19 Jahre alt war. Es ist immer gefährlich,<br />
Wettbewerbsergebnisse zu bewerten, wenn man nicht den<br />
Die Siegerin beim Montreal-Wettbewerb:<br />
Beatrice Rana.<br />
Foto: Montreal Musical Competition<br />
Montreal International Musical Competition<br />
gesamten Verlauf der Austragung gehört hat, <strong>als</strong>o Solo-Recit<strong>als</strong><br />
und Klavierkonzerte, die die Jury geduldig durchgesessen<br />
hatte, und so waren einige Musikliebhaber – ebenso<br />
wie der Autor dieses Artikels –, die nur die Finalrunde und<br />
das folgende Galakonzert gehört haben, im ersten Moment<br />
verwirrt durch die Entscheidung, Rana den 1. Preis zu verleihen.<br />
Am 31. Mai schienen die Nerven von Rana sehr gut zu<br />
sein, denn den ersten Satz von Tschaikowskys Konzert spielte<br />
sie, <strong>als</strong> würde sie eine Hausaufgabe erledigen, ohne inneres<br />
Feuer. Ihre eingeengte Darstellung mag auch an dem<br />
Druck der Wettbewerbs-Vorgaben selbst gelegen haben,<br />
der ihren Eifer gekühlt hatte, vielleicht auch teilweise aufgrund<br />
der weniger <strong>als</strong> idealen Begleitung durch das<br />
Montréal Orchestre Métropolitain, das noch zu erwähnen<br />
ist. Ranas Selbstvertrauen wuchs mit dem Fortschritt des<br />
Werks, aber ziemlich hektische Oktaven, manches mechanisch-eingerahmte<br />
Spiel und schüchtern abgeschwächte<br />
leise Töne überzeugten nicht, dass dieses Tschaikowsky-<br />
Schlachtschiff ihr Werk wäre. Im Gegensatz dazu gab<br />
Beatrice Rana am 3. Juni im Galakonzert ein weitaus klareres<br />
Beispiel ihres Könnens in einem spärlich besetzten<br />
44 5 . 11
5 . 11<br />
W ETTBEWERBE<br />
Konzertsaal, das die Entscheidung der<br />
Jury verständlicher werden ließ. Rana<br />
spielte <strong>als</strong> Erstes „A Wild Innocence“,<br />
ein fünfminütiges Werk des kanadischen<br />
Komponisten David McIntyre<br />
(das von allen Kandidaten zu spielende<br />
obligatorische Werk des Wettbewerbs).<br />
Dieses Werk war weder unwillkommen<br />
noch fremdartig, zeigte es<br />
doch harmlose Klänge, die stark von<br />
Prokofiew beeinflusst schienen. Dies<br />
konnte Beatrice Rana angemessen darstellen,<br />
mit flüssigem Lesen, so dass es<br />
überzeugend, Ernsthaftigkeit und lospreschend<br />
gespielt wurde. Noch besser<br />
gelang ihr in demselben Konzert die<br />
zweite Gelegenheit, das Tschaikowsky-<br />
Konzert zu spielen, in dem sie nun weitaus<br />
intensiver deutliche Musikalität<br />
zeigte und bewies, dass es nichts gibt,<br />
was das Selbstvertrauen mehr stärkt<br />
<strong>als</strong> ein erster Platz in einem Wettbewerb.<br />
Allerdings erschien ihr Zugang<br />
immer noch nur solide und statisch,<br />
und da einige Noten immer noch zu<br />
wenig artikuliert waren, gab es auch<br />
immer noch die überhasteten mechanischen<br />
Oktavläufe und die Musik<br />
wurde aus ihrer Form gerissen, indem<br />
plötzliche Temporückgänge in bestimmten<br />
Passagen wohl im Denken an<br />
Rubato erfolgten. Dennoch war dies<br />
ein insgesamt viel sicherer Angang für<br />
dieses Werk, in beiderlei Hinsicht,<br />
technisch und interpretatorisch, der<br />
selbst einige Passagen mit Fantasie<br />
füllte, so <strong>als</strong> würde die Mendelssohn’sche<br />
Seite von schnelleren Passagen im<br />
2. Satz hervorgebracht. Mit dieser<br />
Darbietung wurde Rana mittels<br />
Tschaikowskys wohlwollendem Geist<br />
eine zweite Chance gegeben, um sich selbst zu rehabilitieren,<br />
was ihr mit einer Applaus werten und preiswürdigen<br />
Aufführung gelang.<br />
Solche Unebenheiten konnte man in keiner der Aufführungen<br />
der zweitplatzierten Gewinnerin, der 23-jährigen<br />
Amerikanerin Lindsay Garritson, erleben (einer Studentin<br />
von Boris Berman). Am 1. Juni in der Finalrunde bot Garrit-<br />
Herny Kramer.<br />
Foto: Montreal Musical Competition<br />
Die Amerikanerin Lindsay Garritson.<br />
Foto: Montreal Musical Competition<br />
son Prokofiews 2. Klavierkonzert g-Moll in großartiger Beständigkeit,<br />
meisterhafter Vorbereitung und klarer Struktur.<br />
Garritsons poetisch-idiomatisches Verständnis der Partitur<br />
war bestechend. Ihre poetisch-melodischen Einheiten<br />
waren so fähig geformt, dass ihre Aufführung manchmal<br />
Gefahr lief, das Momentum zu verlieren. Das erstaunlich<br />
klare Spiel mit starken narrativen Impulsen war eine<br />
W<br />
45
W W ETTBEWERBE<br />
Nareh Arghamanyan.<br />
Foto: Montreal Musical Competition<br />
Freude zu hören, während das Finale insgesamt etwas trocken<br />
war und auch überzeugend russisch in seiner Essenz.<br />
Lindsay Garritson erinnerte uns daran, dass Wettbewerbe<br />
immer noch Orte für ehrliches Musikmachen sein können.<br />
Am 3. Juni im Gala-Konzert wurde ihr auferlegt, den ersten<br />
und den letzten Satz desselben Prokofiew-Konzertes zu spielen,<br />
so dass sie hier die zuvor gemachten Eindrücke nochm<strong>als</strong><br />
mit ihrer poetisch-raffinierten Lesart – sogar noch<br />
geistreicher, <strong>als</strong> in ihrer vorherigen Aufführung, aber keinesfalls<br />
<strong>als</strong> reine Kopie – verstärken konnte.<br />
Der dritte Preis ging an den 23-jährigen Henry Kramer,<br />
der bei Julian Martin und Robert McDonald an der Juilliard<br />
School of Music in New York City studiert. Am 31. Mai im<br />
Finalkonzert zeigte uns Kramer einen intimen, ja fast schon<br />
miniaturhaften Blick auf Ravels G-Dur-Konzert, mit einer<br />
stärkeren kammermusikalischen Nostalgie, <strong>als</strong> es vom<br />
Komponisten wohl intendiert war. Mit diesem retrospektiven<br />
Blick auf Ravels so populäres Werk bewies Kramer fähige<br />
Pianistik, die aber nicht unter die Oberfläche des Werks<br />
reichte. In Zukunft wird er vielleicht auch die emotionale<br />
Wahrheit finden. Am 31. Mai allerdings wurde die geschmeidige<br />
Melodie, die den 2. Satz eröffnet, von Kramer in<br />
etwas Harmloses und ein bisschen Dumpfes verformt, vielleicht<br />
auch aus Angst vor Übertreibung. Ein extrem rasches<br />
Finale wurde mit Virtuosität gespielt, aber mit auch nicht<br />
mehr Herz <strong>als</strong> der Rest des Stücks. Am 3. Juni wurde Kramer<br />
dann aufgefordert, nur den 1. Satz von Ravels Konzert zu<br />
wiederholen, und bot dann denselben An-der-Oberfläche-<br />
Zugang, talentiert, aber mit Abstand zu dem emotionalen<br />
Kern dieses Konzerts. Einige Pianisten sind auch mit 23<br />
Jahren noch sehr jung und so gibt es immer noch die Möglichkeit,<br />
dass man mit der Zeit mehr Expressivität von Kramer<br />
hören wird.<br />
Auf der Grundlage allein dieser Finalkonzerte kann man<br />
sagen, dass eine Spielerin aufgrund ihrer Haltung und ihrer<br />
Sicherheit mehr Aufmerksamkeit verdient: die 28 Jahre alte<br />
Zheeyoung Moon, die aus Südkorea stammt und bei Michael<br />
Endres an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in<br />
Berlin studierte. Im Finale bot Moon im Spiel von Liszts 2.<br />
Klavierkonzert A-Dur eine reiche romantische Konzeption,<br />
verbunden mit solidem Zugang zur diabolischen Seite des<br />
Komponisten. Den Finalisten wurde die Wahl von vier unterschiedlichen<br />
Klavieren gegeben, einem Yamaha, einem<br />
Fazioli, einem amerikanischen und einem Hamburger<br />
Steinway. Mit bemerkenswerter Übereinstimmung wählten<br />
alle den Hamburger Steinway, mit Ausnahme der Südkoreanerin<br />
Jong Ho Won, die den Fazioli wählte. Der dunkel<br />
gefärbte Klang des Hamburger Steinways passte zum Liszt-<br />
Konzert, das Moon zu spielen wählte, und im Finale zeigte<br />
sie wirklich einen Sinn für die Lust an stupender Fingerakrobatik.<br />
In allen Konzerten lieferte das Montréal Orchestre Métropolitain<br />
unter der Leitung von Jean Francois Rivest nicht<br />
mehr <strong>als</strong> alltagstaugliche Begleitung, zudem gestört von<br />
unachtsamen Geräuschen der Orchestersolisten.<br />
Für einige Jahre hat<br />
das bekannteste Orchester der Stadt,<br />
das l’Orchestre symphonique de<br />
Montréal, den Wettbewerb nicht<br />
mehr begleitet, aus monetären Gründen.<br />
Allerdings sollte ein internationaler<br />
Wettbewerb dieser Wichtigkeit<br />
weltweiten Talenten die besten Orchesterbedingungen<br />
bieten, nicht die<br />
günstigsten in Bezug auf das Budget.<br />
Kanadas Regierung, die weitaus mehr<br />
tut <strong>als</strong> ihr Nachbar, die USA, unterstützt<br />
soeben die Künste mit einigen<br />
Mehrausgaben und sollte wirklich<br />
versuchen, Ressourcen zu finden, um<br />
bei der kommenden Austragung des<br />
Montreal Competition das l’Orchestre<br />
symphonique de Montreal zu engagieren.<br />
Zheeyoung Moon.<br />
Foto: Montreal Musical Competition<br />
www.concoursmontreal.ca<br />
46 5 . 11
5 . 11<br />
DVDS<br />
Viele Studenten könnten sich einige<br />
teure Meisterkurse sparen, wenn sie<br />
diese DVD aufmerksam betrachteten<br />
und die hochintelligenten Äußerungen<br />
von Nikita Magaloff auch für eigene<br />
Zwecke nutzten. Aber auch für Betrachter,<br />
die nicht vordergründig an den pädagogischen<br />
Qualitäten des 1912 in St.<br />
Petersburg geborenen und 1992 in der<br />
Schweiz verstorbenen russischen Pianisten Nikita Magaloff<br />
interessiert sind, ist diese DVD ein Gewinn. Wir erleben<br />
einen betagten, feinen Herrn, der eine unerhörte Noblesse<br />
ausstrahlt, egal ob er Französisch spricht oder seinen<br />
Schülern in kurzen Phrasen etwas demonstriert. Wir bewegen<br />
uns in seinem Haus in Montreux in einem schwach beleuchteten<br />
Raum. Die Einrichtung entspricht dem Stil der<br />
fünfziger und sechziger Jahre, die Wände sind gesäumt von<br />
Bücherregalen, irgendwo liegt der Gipsabdruck von Cho-<br />
Zeremonielles Verhalten interessierte<br />
den Nonkonformisten Friedrich Gulda<br />
nicht. Ohne Verbeugung, nur mit<br />
knappen Blicken zum Publikum ging er<br />
beim Beethovenfest Bonn 1970 (zum<br />
200. Geburtstag des Komponisten) über<br />
die Bühne, setzte sich ans Klavier, und<br />
ebenso verließ er seinen Platz in umgekehrter<br />
Richtung nach dem Konzert.<br />
Einziges Zugeständnis an die äußerlichen<br />
Konventionen des Klassikbetriebs war lediglich seine<br />
Kleidung: dunkler Anzug, weißes Hemd und Krawatte.<br />
Individualität <strong>als</strong>o ab ovo, die in diesen Schwarz-Weiß-<br />
Aufnahmen aus nächster Kamera-Nähe zu beobachten ist.<br />
Gebeugte Haltung vor dem Klavier, die Finger in flachem<br />
Winkel über die Tasten führend, vor allem auf die rechte<br />
Hand schauend, erscheint es so, <strong>als</strong> ob Friedrich Gulda die<br />
Wechselwirkung von Gedächtnis und Performanz permanent<br />
überprüft. Hinzu kommt, dass er mit dem Mund gelegentlich<br />
Phrasen lautlos nachformt. Diese seltsamen Attitüden<br />
stören aber nicht, sondern zeigen eher seine Hinga-<br />
Die von dem Filmemacher Peter Rosen<br />
produzierte DVD mit dem etwas<br />
martialischen Titel „The Emperor“<br />
dokumentiert Arraus wahrlich triumphale<br />
Rückkehr in seine chilenische Heimat<br />
nach siebzehnjähriger Abwesenheit.<br />
Die Kamera verfolgt den 81-Jährigen<br />
auf Schritt und Tritt: beim Verlassen<br />
des Flugzeugs, beim Tratsch mit alten<br />
Freunden, beim Spaziergang durch seine<br />
Geburtsstadt Chillan usw. Das wird vor allem den Fans<br />
gefallen. Zum Glück hat Rosen einen recht gelungenen biografischen<br />
Abriss in die Dokumentation integriert, der mit<br />
vielen wissenswerten Informationen, Interviews, Kommentaren<br />
und Ausschnitten aus historischen Konzertmitschnitten<br />
aufwartet. Den Höhepunkt von Arraus Reise in die<br />
Vergangenheit markiert abschließend eine Aufführung von<br />
Beethovens Es-Dur-Konzert in der Kathedrale von Santiago<br />
de Chile mit dem Symphony Orchestra of the University of<br />
Chile unter der Leitung von Victor Tevah. Die Leistung des<br />
Studentenorchesters ist immerhin solide, während Arrau<br />
seine Aufgabe mit vornehmer Lässigkeit absolviert. Hier ist<br />
der Event-Charakter sicher höher zu veranschlagen <strong>als</strong> der<br />
interpretatorische Wert.<br />
Was Arrau <strong>als</strong> Beethoven-Interpreten angeht … – dieser Aspekt<br />
ist ein wenig in Vergessenheit geraten – … ist eine<br />
pins Hand. Die junge Patricia Pagny spielt ein Chopin-Prélude,<br />
übrigens die einzige Werkangabe, die auch im Bilduntertitel<br />
genannt ist, dann hören wir Magaloffs Rat: „Nehmen<br />
wir an, es wäre Adagio vorgeschrieben. Spielen Sie es besser<br />
langsamer, um mehr espressivo hervorzuheben.“ Magaloff<br />
klagt über die Verlage, die oft Notentexte veränderten, um<br />
angeblich Fehler auszumerzen. Er wirbt für Urtexttreue<br />
und verweist darauf, dass es bei Debussy etwa kaum einen<br />
Takt gebe, der frei von Anweisungen sei. Magaloff kannte<br />
Prokofiew persönlich, ist in jungen Jahren noch Béla Bartók<br />
begegnet und hat 1964 mit Strawinsky dessen Capriccio<br />
gespielt. Über Rachmaninow sagt er nicht ohne einen kriti-<br />
schen Augenaufschlag: „Ich<br />
fand immer, dass er wie ein<br />
Komponist spielte, er transkribierte,<br />
wie es ihm gefiel.“<br />
Ernst Hoffmann<br />
Nikita Magaloff<br />
Les leçons particulières de musique<br />
Ein Film von Thierry Bénizeau<br />
Harmonia Mundi<br />
DVD HMD 9909040<br />
be an die Musik. So freut sich Friedrich Gulda sichtbar darüber,<br />
dass Johann Sebastian Bach im elegant swingenden<br />
Tempo-Kontinuum der „Englischen Suite“ Humor versteckt<br />
hat. Gar <strong>als</strong> Burleske interpretiert er einige Passagen der<br />
„Eroica Variationen“, vergisst aber nicht emotionale Spannungen<br />
aus jäh unterbrechenden Introspektionen. Überhaupt<br />
ändert sich seine Mimik zur angestrengten Konzentration,<br />
wenn Friedrich Gulda sich der „Hammerklavier-<br />
Sonate“ B-Dur zuwendet. Plötzlich ist Respekt da in energischer<br />
Kraft fürs Allegro und Scherzo, er achtet auf subtile<br />
Nuancen beim „molti sentimento“ im Adagio und macht<br />
die Fuga zu einer Tour de force, sodass die Referenz zu Johann<br />
Sebastian Bach unmittelbar evident wird. Eben we-<br />
gen solchem Bewusstsein<br />
über innere Zusammenhänge<br />
bei Friedrich Gulda sollte<br />
man auf die Kenntnis dieses<br />
audiovisuellen Dokuments<br />
nicht verzichten.<br />
Hans-Dieter Grünefeld<br />
Johann Sebastian Bach<br />
Englische Suite g-Moll<br />
Ludwig van Beethoven<br />
„Eroica“ Variationen op. 35 &<br />
Sonate B-Dur op. 106<br />
Friedrich Gulda, Klavier<br />
EuroArts 2058698 (DVD)<br />
(Vertrieb: Naxos)<br />
andere Veröffentlichung des Labels Euroarts wesentlich<br />
aufschlussreicher. Sie enthält die WDR-Fersehmitschnitte<br />
zweier im Abstand von sieben Jahren gegebener Beethoven-Recit<strong>als</strong><br />
im Rahmen der Bonner Beethovenfeste 1970<br />
und 1977. Das Beethoven-Recital von 1970 wurde noch in<br />
Schwarz-Weiß gedreht, was dem Ganzen eine gewisse<br />
Würde und Gediegenheit verleiht. Das passt auch gut zu<br />
Arraus von der Aura traditionsgesättigter Meisterlichkeit<br />
umgebenen Auftritten. Der in Farbe produzierte Mitschnitt<br />
des Recit<strong>als</strong> von 1977 ist freilich nicht weniger eindrucksvoll,<br />
zumal Arrau auch mit 74 Jahren noch im Vollbesitz<br />
seiner pianistischen Kräfte („Waldstein“-Sonate!) ist. Sein<br />
romantisch geprägtes Beethoven-Spiel mag heute zwar veraltet<br />
und wenig originell erscheinen. Aber wenn einer wie<br />
er es schafft, den Hörer mit seiner Auffassung von Beetho-<br />
ven zu fesseln, dann prallen<br />
alle noch so klugen Einwände<br />
an einer solchen Leistung<br />
einfach ab. Die Mitschnitte<br />
sind technisch sehr gut aufbereitet<br />
und klingen ausgezeichnet.<br />
Absolut empfehlenswert!<br />
Robert Nemecek<br />
Claudio Arrau<br />
The Emperor<br />
Beethoven: Klavierkonzert Nr. 5<br />
Ein Film von Peter Rosen<br />
Euroarts DVD 208648<br />
Claudio Arrau<br />
Beethoven Klaviersonaten<br />
Euroarts Classic Archive<br />
2058708 (2 DVD)<br />
(Vertrieb: Naxos)<br />
D<br />
47
P<br />
Jos van Immerseel inmitten<br />
seiner Instrumente, für<br />
die er ein eigenes Haus<br />
gebaut hat.<br />
Foto: Dürer<br />
Es ist eine ganze Palette von Begriffen, mit<br />
der man die Künstlerpersönlichkeit Jos van<br />
Immerseel beschreiben muss: Pianist, Organist,<br />
Cembalist, Forscher, Dirigent, Orchestergründer<br />
und: Sammler von Tasteninstrumenten.<br />
Für den 1945 im belgischen<br />
Antwerpen geborenen Tasteninstrumenten-Spezialist<br />
Jos van Immerseel gab es<br />
immer wieder Anlässe, sich anderen<br />
Tasteninstrumenten zuzuwenden. Zuerst<br />
studierte er klassisch das moderne<br />
Klavierspiel, dann wandte er sich mehr und<br />
mehr der Orgel zu. Wenig später entstand<br />
dann ein Interesse am Cembalo und heute<br />
spielt Jos van Immerseel unterschiedlichste<br />
historische Hammerflügel – und sammelt<br />
sie, um das jeweils richtige Instrument für<br />
die richtige Musik auswählen zu können.<br />
Wir besuchten van Immerseel und seine<br />
Sammlung in einem Dorf nahe dem belgischen<br />
Middelburg.<br />
P ORTRÄT<br />
Ein Traum für einen Hammerflügelspieler<br />
Ein Besuch bei<br />
Jos van van<br />
Immerseel<br />
Von: Carsten Dürer<br />
48 5 . 11
5 . 11<br />
Es ist gar nicht so weit von Brügge nach<br />
Middelburg, kaum weiter <strong>als</strong> 17 Kilometer.<br />
Und dann ist man kurz vor Middelburg auch<br />
schon mitten auf dem Land. Genau das suchte Jos<br />
van Immerseel seit Jahren, erzählt er, wollte schon<br />
länger aus Antwerpen, seiner Heimatstadt, heraus,<br />
nicht nur, um dem Stadttreiben und dem<br />
damit verbundenen Lärm zu entgehen, sondern<br />
auch, um näher an Brügge zu sein. Dort nämlich,<br />
im seit 2002 bestehenden neuen und modernen<br />
Concertgebouw hat das von van Immerseel 1997<br />
gegründete Orchester „Anima Eterna“ ein neues<br />
Zuhause gefunden. Es ist kein festes Orchester, wie<br />
das selten in dem Umfeld von Alte-Musik-Ensembles<br />
ist, aber hat immerhin <strong>als</strong> Projektorchester bis<br />
zu 40 Auftritte pro Jahr. Und davon etliche im<br />
Concertgebouw in Brügge: Jos van Immerseels<br />
Frau leitet das Orchesterbüro in Brügge und so<br />
war klar, dass man das Landleben mit der Nähe<br />
zu Brügge verbinden wollte.<br />
Ein flaches, langgezogenes Haus, typisch für den<br />
Bauernhausstil der Gegend, bot die Grundlage.<br />
Zwar war mit einer Renovierung schon begonnen<br />
worden, doch war vor dem privaten Einzug der<br />
Immerseels vor zwei Jahren noch viel zu tun. Und<br />
dann mussten die in Antwerpen in einem externen<br />
Studio untergebrachten Instrumente noch einen<br />
besonderen Platz erhalten: in einem extra gebauten<br />
Haus für die Sammlung.<br />
Die Entwicklung<br />
Ich setze mich mit Jos van Immerseel hinter seinem<br />
neuen Domizil zu einem Gespräch zusammen,<br />
um erst einmal etwas über seinen Werdegang<br />
zu erfahren, denn eines ist sicher: Man beginnt<br />
nur selten sogleich mit dem Spiel auf einem<br />
Hammerflügel. „Das lief bei mir ganz natürlich ab.<br />
Ich bin das letzte von vier Kindern, wobei ich einen<br />
gehörigen Altersabstand zu meinen Geschwistern<br />
hatte, so dass ich noch jung war, <strong>als</strong> sie das Elternhaus<br />
verlassen hatten. Meine Mutter hatte früher Klavier<br />
gespielt, mein Vater spielte Geige. Als meine Geschwister<br />
das Haus verließen, dachten sie darüber<br />
nach, ob sie sich wieder ein Klavier anschaffen. So<br />
kauften sie ein gebrauchtes Klavier und spielten sonntags<br />
immer gemeinsam. Nach und nach begann auch<br />
ich herumzuklimpern, allerdings ging es ganz gut. Zu<br />
gut, denn nach einem Jahr wollte meine Mutter nicht<br />
mehr Klavier spielen, da ich anscheinend – so die späteren<br />
Erzählungen meiner Eltern – immer hinter ihr<br />
stand und sie verbesserte, wenn sie einen Fehler machte.“<br />
[er lacht herzlich auf bei dieser Vorstellung]<br />
Bald schon begann er, da war er gerade neun Jahre<br />
alt, mit seinem Vater gemeinsam Kammermusik<br />
zu spielen. „So lernte ich auch das ganze Kammermusikrepertoire<br />
für Violine und Klavier kennen.“ Angesichts<br />
dieser Fortschritte, entsandten seine Eltern<br />
den kleinen Jos an eine Musikschule, wo er „im<br />
alten Stil“, wie er sich ausdrückt, unterrichtet wurde.<br />
Was das bedeutet? „Ich spielte alles, was ich finden<br />
konnte. Vollkommen anders <strong>als</strong> heutzutage. Wenn<br />
man eine Partitur spielt, dann spielt man nur das, was<br />
wichtig ist. Man lässt alles andere einfach weg und<br />
spielt das Werk, nicht jede Kleinigkeit. Aber so spielte<br />
man alles. Aber auch leichte Musik, Foxtrott und amerikanische<br />
Popularmusik. Ich bin froh, dass ich so<br />
P ORTRÄT<br />
angefangen habe. Denn nach zwei Jahren schickten<br />
mich meine Eltern auf eine Musikschule und da war<br />
der Spaß vorbei.“ Was er zuvor <strong>als</strong> Freiheit empfunden<br />
hatte, wurde nun methodisiert. Aber dennoch<br />
hatte er das Glück, dass er in der Musikschule<br />
„Musiker“ <strong>als</strong> Lehrer hatte, wie er betont. „Drei<br />
Lehrer für Klavier und Kammermusik hatte ich und<br />
alle drei waren Pianisten und einer auch Organist.<br />
Und das hat den Blick auf andere Instrumente geöffnet.<br />
Ich begann <strong>als</strong>o auch Orgel zu spielen und habe<br />
dies jahrelang einfach so gemacht.“ Dann kam auch<br />
bald schon die Konservatoriumszeit in Antwerpen,<br />
die er schnell absolvierte – zumindest für das Fach<br />
Klavier. „Mit 16 schloss ich das Klavierstudium ab<br />
und dachte, dass ich noch ein wenig zu jung bin, um<br />
nur Klavier zu spielen. Also begann ich sofort auch<br />
noch Orgel zu studieren.“ Auch in diesem Fach<br />
schloss van Immerseel mit einem Diplom ab. Und<br />
auch dieser Bereich hat seinen Blick auf die Musik<br />
erweitert: „In der Orgelwelt hat man über Musik diskutiert,<br />
über die Instrumente und die Stile. Im Klavierunterricht<br />
dagegen war ja alles standardisiert. Man<br />
versuchte da Mozart wie Rachmaninow zu spielen, was<br />
natürlich nicht geht, aber man hat es halt so versucht.“<br />
Neben dieser Kritik allerdings kommt er<br />
nun auch auf seine Ersterfahrungen mit Klavieren<br />
zu sprechen.<br />
„Ich kam ans Konservatorium, <strong>als</strong> dort noch alle<br />
möglichen Fabrikate standen, Ibach, Bechstein, Grotrian-Steinweg,<br />
Blüthner, Erard und Pleyel und so fort.<br />
Es gab keinen einzigen Steinway & Sons. 1963 kaufte<br />
man einen Steinway-Konzertflügel, den die meisten erst<br />
einmal mieden, da man seinen Klang nicht <strong>als</strong> schön<br />
empfand. Ich habe meine Abschluss-Prüfung noch auf<br />
einem wunderschönen Pleyel-Konzertflügel gespielt. Als<br />
das Konservatorium in ein neues großes Gebäude umzog<br />
und ich ein Jahr später dort wieder zu Besuch war,<br />
waren all die alten Flügel weg und überall standen<br />
Kawai, Yamaha und Steinway. Das heißt: Zuvor gab es<br />
noch eine Verschiedenheit in den Instrumenten, die<br />
nicht perfekt waren, aber die alle ihren Charakter hatten.<br />
Da hatte ich noch ein wenig von der Mentalität<br />
der Organisten wiedergefunden. Aber ein Jahr später<br />
war das auch vorbei. Alles wurde standardisiert und<br />
globalisiert. Es war einfach nicht mehr lustig.“ Zu dieser<br />
Zeit begann van Immerseel schon zahlreiche<br />
Konzerte zu spielen. Dennoch interessierte ihn die<br />
Orgel in dieser Zeit mehr und so spielte er fast<br />
mehr Orgel <strong>als</strong> Klavier, hatte zuweilen bis zu 15<br />
Schlüssel von Kirchen in seiner Tasche, um Zugang<br />
zu unterschiedlichsten Orgeln zu haben, wie er lachend<br />
hinzufügt.<br />
Vom Cembalo zum Hammerflügel<br />
„Für mich war dann der nächste Schritt fast logisch:<br />
das Cembalo und das Clavichord. Es war auch eine<br />
Entscheidung, um eine Bandbreite mit einem klavierähnlichen<br />
Instrument zu haben. Das war in den<br />
70er Jahren, <strong>als</strong>o die Zeit, in der man begann sich<br />
stärker mit diesen Instrumenten zu befassen, sie auch<br />
restaurierte. Ich hatte das Glück, dass ich auf einem<br />
Johannes-Daniel-Dulcken-Cembalo von 1747 studieren<br />
konnte. Dieses Instrument steht im Museum von<br />
Antwerpen. Ich arbeitete <strong>als</strong>o zwei Jahre mit Kenneth<br />
Gilbert. Und so kam ich letztendlich auch automatisch<br />
zum Hammerflügel.“ Das klingt einfach, aber ein<br />
P<br />
49
P<br />
P ORTRÄT<br />
Cembalo ist doch ein vollkommen anderes Instrument,<br />
benötigt eine vollkommen andere Technik,<br />
oder nicht? „Baulich gesprochen ist es eine Fami-<br />
Foto: Dürer<br />
lie. Die Klassifikation sagt natürlich, dass es ein anderes<br />
Instrument ist. Und man sieht es auch gerne <strong>als</strong><br />
vollkommen anders an, für eine andere Epoche, andere<br />
Literatur. Das kommt vor allem dadurch, dass man<br />
in den Hochschulen die Ausbildung trennt, in eine Klavierklasse<br />
und eine Cembaloklasse. Meiner Meinung<br />
nach sollte das nicht so sein. Als ich in Paris und in<br />
Amsterdam Cembalo unterrichtete, habe ich auch<br />
immer den Hammerflügel hinzugenommen für meine<br />
Studenten, bis hin zu jeglicher Literatur. So wie man es<br />
auch bei der Orgel macht, auf der man ja auch vom<br />
16. bis zum 20. Jahrhundert alles spielt. Und im 19.<br />
Jahrhundert, in Kursen von Widor beispielsweise, hat<br />
man auch Orgel und Klavier gespielt.“<br />
Aber ist die technische Herangehensweise dennoch<br />
nicht sehr unterschiedlich, da jemand, der<br />
mit dem Cembalospiel beginnt, nicht zwingend<br />
auch weiß, wie man einen Flügel spielt? „Jedes Instrument<br />
hat seine typische Technik, das ist wirklich<br />
sehr unterschiedlich, ein Klarinettist kann auch nicht<br />
Oboe spielen“, gibt van Immerseel zu. Er selbst hat<br />
einen Wettbewerb für Cembalo gewonnen und<br />
spielte bald schon fast nur noch dieses Instrument.<br />
„Ich wollte aber auch weiterkommen, fühlte mich ein<br />
bisschen eingeschränkt, da ich es schade fand, dass<br />
ich die andere Literatur nicht spielen konnte. Also<br />
kaufte ich mir einen ersten Hammerflügel, einen weiteren<br />
und noch einen, alle vollkommen anders <strong>als</strong> die<br />
ersten. Allerdings nicht mit dem Vorsatz, eine Sammlung<br />
aufzubauen.“ Als er selbst mit dem Hammerflügelspiel<br />
begann, hatte er auch viele Kontakte zu<br />
Klavierbauern. Und so wurde er immer wieder auf<br />
Instrumente aufmerksam. „Als ich mehr und mehr<br />
Hammerflügel spielte, schlug ich meinem Label Accent<br />
dann vor, Werke von Debussy auf einem Erard einzuspielen.<br />
Erst erklärte man mich für vollkommen verrückt,<br />
obwohl bei diesem Label alles historisch korrekt<br />
in Bezug auf die Alte-Musik-Praxis zu sein hatte. Aber<br />
man sagte mir: Debussy spielt man auf einem Steinway.<br />
Viele Leute denken heutzutage immer noch so.<br />
Eigenartigerweise denkt man, dass diese alten Instrumente<br />
nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu spielen<br />
sind und dann ist es vorbei und man hat den modernen<br />
Konzertflügel zu spielen. Selbst Leute wie Nikolaus<br />
Harnoncourt, denen man so viel verdankt, wenn<br />
es um die historische Sichtweise in der Musik geht,<br />
spielen heute ab Beethoven mit einem modernen<br />
Sinfonieorchester. Das ist sehr komisch. Ich denke, alles<br />
braucht seine Zeit, denn die jüngere Generation<br />
denkt nicht mehr so und geht weiter, will mehr wissen,“<br />
sagt er und bringt Beispiele, wie interessiert<br />
vor allem auch die Musiker seines Orchesters mittlerweile<br />
bei jedem Werk sind, um das richtige Instrumentarium<br />
zu spielen. Aber das ist ja auch eine<br />
andere Welt. Wird nicht in der Ausbildung von<br />
Tasteninstrumenten dieses Ele-<br />
Von rechts vorne bis nach<br />
links vorne sind die<br />
Instrumente nach Baujahren<br />
aufgebaut.<br />
Foto: Dürer<br />
ment viel zu sehr vernachlässigt?<br />
„Vollkommen! Es wird in vielen<br />
Schulen vollkommen abgelehnt.<br />
Die Studenten wissen von<br />
der Geschichte ihrer Instrumente<br />
fast nichts – und auch von der<br />
Musikgeschichte oftm<strong>als</strong> nichts.<br />
Ich weiß nicht, woran das liegt,<br />
vielleicht auch ein bisschen an der<br />
Faulheit der Studenten und daran,<br />
dass sie mehr daran interessiert<br />
sind, schnell Karriere zu machen,<br />
schnell zu spielen und<br />
schnell viel zu verdienen. Aber es<br />
gibt halt auch viele andere, die<br />
viel arbeiten und sehr interessiert<br />
sind an der historischen Ausrichtung.“<br />
Interessant ist auch zu hören,<br />
dass Jos van Immerseel seine<br />
Instrumente alle selbst stimmt,<br />
50 5 . 11
5 . 11<br />
vom Clavichord, über das Cembalo bis zu den<br />
Hammerflügeln. Er brachte sich das selbst bei.<br />
Muss man das können? „Nun, wenn man sieht, dass<br />
ein Harfenist zwei Stunden vor einem Konzert kommt<br />
und sein Instrument stimmt, ein Pianist aber nur auf<br />
die Bühne kommt und bemerkt, dass er noch keinen<br />
Klavierstuhl hat, dann scheint es heute nicht so zu<br />
sein. Es war auch in Amsterdam mein Anspruch und<br />
eine Bedingung, dass ich dort lehrte: dass keiner ein<br />
Diplom erhält, der nicht auch Stimmen kann. Auch für<br />
die Pianisten galt dies. Das ist allerdings wieder aufgegeben<br />
worden, <strong>als</strong> ich wegging.“ [er lacht auf] Er<br />
geht sogar so weit, dass er glaubt, am Spiel eines<br />
Pianisten feststellen zu können, ob er stimmen<br />
kann oder nicht: „Wer selbst stimmt, reagiert anders.<br />
Weniger gute Töne werden im Spiel einfach versteckt,<br />
andere gehen einfach drauflos und spielen, <strong>als</strong> ob<br />
alles in Ordnung wäre.“ Allerdings gibt er zu, dass es<br />
Ausnahmen gibt, und dass einige Pianisten durchaus<br />
schnell auf ein Instrument reagieren können.<br />
Aber dennoch weiß er ein Beispiel für Unwissenheit<br />
zu nennen: „Als ich Rhetorik-Kurse gab, habe ich<br />
eine Aufnahme von Maria Callas aufgelegt und erklärte<br />
den Studenten, dass dies eine perfekte Demonstration<br />
von Rhetorik im musikalischen Sinne wäre. Ich<br />
sagte aber auch, dass sie sicherlich nichts davon wisse.<br />
Es sind <strong>als</strong>o Ausnahmeerscheinungen.“ Wenn auf einem<br />
modernen Flügel ausgebildete Pianisten erstm<strong>als</strong><br />
Zugang zu einem Hammerflügel bekommen,<br />
nutzen sie meist nicht den vollen Umfang des Instruments,<br />
wenn es um die Dynamik geht, da sie<br />
Angst haben, das Instrument sei zu fragil. Van Immerseel<br />
dazu: „Ja, man erreicht die Dynamik nur auf<br />
eine andere Art und Weise. Es geht um die Geschwindigkeiten<br />
im Finger. Diese Palette muss man beherrschen.<br />
Man kann nicht drücken und forcieren, aber<br />
das Instrument kann immens groß klingen, wenn man<br />
schnell anschlägt. Aber ein Anschlag, der dem Instrument<br />
nicht wehtut. Man kann nach solch einem voluminösen<br />
Spiel die Hammerköpfe anschauen und<br />
man sieht keinerlei Spuren. Es ist unwahrscheinlich,<br />
welch einen ‚Lärm’ solch ein altes Instrument machen<br />
kann, ohne Schaden zu nehmen.“ Ein Cembalist lernt<br />
genau dies auch, um den Farbenreichtum und die<br />
Akzentuierung des Instrumentes auszunutzen. „Es<br />
hat auch etwas mit Physik zu tun. Beispielsweise Japaner,<br />
vor allem die Mädchen, haben fast von Natur aus<br />
einen sehr leichten Anschlag. Eigentlich sind sie sehr<br />
begabt für das Hammerflügel-Spiel, denn man muss<br />
ihnen den brutalen Anschlag nicht erst verbieten.“<br />
Die moderne Pianistenszene – gibt er zu – verfolgt<br />
er nicht. Bei den Hammerflügelspielern kennt<br />
er sich dagegen gut aus. Immer wieder begeistert<br />
ist er von Claire Chevallier, die auch auf der neuesten<br />
CD mit Jos van Immerseel das Konzert für<br />
zwei Klaviere und Orchester von Francis Poulenc<br />
eingespielt hat, mittlerweile selbst über eine<br />
Sammlung von historischen Instrumenten verfügt<br />
und auch in Brüssel unterrichtet. Pascal Amoyel ist<br />
ein weiterer von ihm favorisierter Partner, ein<br />
Franzose, der hierzulande (noch) nicht allzu bekannt<br />
ist.<br />
P ORTRÄT<br />
Im Vordergrund das Haus für<br />
die Instrumente, im<br />
Hintergrund das Wohnhaus.<br />
Foto: Dürer<br />
Neben den Instrumenten<br />
birgt das Haus auch van<br />
Immerseels Bibliothek.<br />
Foto: Dürer<br />
Die Auswahl der Instrumente<br />
Das große Tor ermöglicht die<br />
Lkw-Anlieferung. Dahinter gibt<br />
es einen Schleusenraum, der die<br />
Temperatur im Innenraum<br />
gleichbleibend hält.<br />
Foto: Dürer<br />
Jos van Immerseel ist immer daran interessiert, für<br />
das entsprechende Werk das richtige und passende<br />
Instrument einzusetzen. Wie sucht er das<br />
Instrument aus? Denn oftm<strong>als</strong> werden Werke auf<br />
Instrumenten gespielt, die aus demselben Jahr<br />
stammen wie das Werk, wobei das Instrument<br />
dann oftm<strong>als</strong> aber viel zu jung und neu ist, der<br />
P<br />
51
P<br />
P ORTRÄT<br />
Komponist diesen Klang gar nicht mehr im Ohr<br />
hatte, da er ja ältere Instrumente gewohnt war,<br />
<strong>als</strong> er sich ans Schreiben machte. Vor allem bei<br />
Werken aus einer Zeit, in der die Entwicklung noch<br />
recht schnell voranschritt oder sich auch in Bezug<br />
auf die nationalen Stile unterschied. „Ein Kompo-<br />
Foto: Dürer<br />
nist schreibt für das, was er kennt. Busoni auf einem<br />
modernen Flügel zu spielen, ist anachronistisch. Aber<br />
einen Rachmaninow auf einem Flügel mit geradsaitiger<br />
Bespannung von 1900 ist nicht anachronistisch,<br />
das war nämlich dam<strong>als</strong> noch die Realität. Und es<br />
klingt immer viel moderner, wenn man einen Beethoven<br />
auf einem Hammerflügel spielt.“ Gerade bei<br />
Beethoven muss man allerdings sagen, und das<br />
gibt van Immerseel zu, aus welcher Periode das jeweilige<br />
Werk stammt, da er immer „die Extreme<br />
aufsuchte“, wie er sagt. „Aber wenn man Mozart auf<br />
einem großen modernen Konzertinstrument spielt, ist<br />
es so, <strong>als</strong> würde man mit einem Helikopter zum Supermarkt<br />
fliegen.“ [er lacht]<br />
Man muss genau schauen, welches Instrument<br />
man wählt. Van Immerseel findet es schon allein<br />
positiv, wenn man sich Gedanken darüber macht,<br />
welches Instrument passen würde. Er weiß aber,<br />
dass es in der Praxis oftm<strong>als</strong> Gegebenheiten gibt,<br />
die nicht immer das vollkommen korrekte Instrument<br />
für ein Werk auf der Bühne zulassen. Er<br />
selbst baut seine Programme entsprechend so auf,<br />
dass er auf einem Instrument, das passt, einen<br />
ganzen Abend spielen kann. Wie nennt er selbst<br />
seine Herangehensweise, „historisch informiert“?<br />
„Nein, das ist eine Flagge, die alles zulässt, es ist ein<br />
sehr gefährlicher Ausdruck.“ Zu „authentisch“ sagt<br />
er: „Das ist noch schlimmer. Ich habe einen Ausdruck<br />
für mich selbst, das gilt aber nicht für andere: Wir im<br />
Orchester und ich selbst versuchen die evidenten<br />
Instrumente zu spielen. Aber das ist kein allgemeiner<br />
Begriff, denn jeder kann etwas anderes <strong>als</strong> evident<br />
ansehen.“<br />
Die Instrumente<br />
Wir gehen in das neu gebaute Haus für die Instrumentensammlung.<br />
Dieses Gebäude wurde sehr<br />
genau geplant, um den Instrumenten die beste<br />
Umgebung zu garantieren. Ein großes Rolltor an<br />
der einen Seite zeigt, dass die Instrumente oft<br />
transportiert werden müssen. Doch ein Schleusenraum<br />
bewahrt die Instrumente davor, dass kühle<br />
oder feuchte Luft in den eigentlichen Raum dringt.<br />
Und hier stehen nun insgesamt 17 historische Instrumente.<br />
Neben 2 Cembali, einem Clavichord,<br />
einer von nur vier gebauten Hammond-Konzertorgeln<br />
von 1958, einem Harmonium und einem<br />
Celesta von Mustel sind es tatsächlich 11 Hammerflügel,<br />
die einen Zeitraum vom Ende des 18.<br />
Jahrhunderts bis zu einem Erard-Flügel, einem Semi-Konzertflügel<br />
von 1897, umfassen. Dieses letztgenannte<br />
Instrument war auch das erste, das sich<br />
van Immerseel anschaffte. Der Spezialist für seine<br />
eigenen Instrumente spielt alle für mich an. Und<br />
schnell wird man gewahr, welch breites Spektrum<br />
nicht nur die Klangcharakteristiken der Instrumente<br />
abzudecken imstande sind, sondern auch<br />
der Pianist, wenn es um das passende Repertoire<br />
geht. Interessant beispielsweise ist ein Flügel aus<br />
der Werkstatt von Johann Nepomuk Tröndlin aus<br />
Leipzig von ca. 1835, der in seiner Bauweise den<br />
Instrumenten aus Wien dieser Zeit klanglich sehr<br />
nahekommt. Ansonsten überwiegen die Instrumente<br />
von Erard und Pleyel. So findet man einen<br />
Pleyel von 1841, einen Erard von 1844 sowie einen<br />
Flügel aus der englischen Fertigung von Erard von<br />
1850. Und gerade wenn man diesen mit dem<br />
Pleyel aus demselben Jahr vergleicht, erkennt man<br />
deutliche Unterschiede, die letztendlich auch den<br />
nationalen Vorlieben Rechnung tragen. Ein wunderbarer<br />
Bechstein-Konzertflügel von 1870 steht<br />
da, ein voluminöses Instrument im Klang, zwar<br />
schon mit Gussrahmen, aber noch mit gerader<br />
Besaitung. Jos van Immerseel ist kein Fanatiker,<br />
sondern ein Kenner und Liebhaber. Und er weiß<br />
genauestens, wie er sich auf jedem seiner Instrumente<br />
spieltechnisch zu verhalten hat, um den<br />
Klang bestens hervorzubringen. Was passiert,<br />
wenn es mehr Instrumente werden? Van Immerseel<br />
lächelt: „Da gibt es immer Möglichkeiten, die Instrumente<br />
anders zu stellen.“ Für den Transport benutzt<br />
er den mittlerweile bekannten „Klavier-Roller“,<br />
den ein Franzose entwickelt hat und der es<br />
ermöglicht, alleine ein Instrument zu transportieren<br />
– auch Stufen herauf. Mit dem Gebäude für<br />
seine Sammlung hat er sich natürlich einen Traum<br />
erfüllt, was ihm in Antwerpen nicht möglich gewesen<br />
wäre – allein dafür hat sich der Umzug in das<br />
Dorf bei Middelburg gelohnt.<br />
Jos van Immerseel versucht nach wie vor fünfzig<br />
Prozent seiner Konzerte für solistische Recit<strong>als</strong> zu<br />
nutzen. Die restliche Zeit verbringt er mit seinem<br />
Orchester „Anima Eterna“. Gastdirigate hat er<br />
mittlerweile aufgegeben.<br />
52 5 . 11
5 . 11<br />
W ETTBEWERBE<br />
Ein Traum wird Wirklichkeit<br />
Der „Top of the World“ Klavierwettbewerb in Tromsø<br />
Im norwegischen Tromsø, dem 500 Kilometer nördlich vom Polarkreis gelegenen „Paris des Nordens“,<br />
fand vom 19. bis 24. Juni zum zweiten Mal der exklusive „Top of the World“ – International <strong>Piano</strong> Competition<br />
statt.<br />
Der Traum der künstlerischen Leiterin Tori Stødle ist in Erfüllung gegangen: Der „exotischste Ort in der<br />
Welt“ (wie es im Programmbuch heißt) lockte auch in diesem Jahr Klaviervirtuosen aus aller Welt in den<br />
hohen Norden. Der „Top of the World“ gehört schon jetzt zu den führenden und schwierigsten Klavierwettbewerben.<br />
Die Italienerin Mariangela Vacatello, Gewinnerin von<br />
2009, eröffnete mit einem Liszt-Programm die<br />
Woche. Anschließend zogen die diesjährigen<br />
Teilnehmer bei einem Glas Sekt ihre Startnummer. Das<br />
hohe Niveau hat sich schnell herumgesprochen: Nach 361<br />
(!) Bewerbungen vor zwei Jahren waren es in diesem Jahr<br />
nur noch 170, aus denen eine nationale Jury 24 Teilnehmer<br />
ausgewählt hat. Schon die Lizenz zur Teilnahme ist eine<br />
Auszeichnung: Wie die Pianistin Mariya Kim, die schon den<br />
ersten Preis in neun internationalen Wettbewerben (darunter<br />
Jose Iturbi-, Seoul- und Paderewski-International Music<br />
Competition) gewonnen hat, können alle eine reiche<br />
Wettbewerbs- und Konzerterfahrung vorweisen. Beste<br />
Voraussetzungen für eine erstklassige Musikwoche!<br />
Für die Ausrichtung eines Wettbewerbs bietet das auf<br />
einer Insel gelegene Tromsø ideale Bedingungen. Alle<br />
Einrichtungen sind fußläufig zu erreichen. Im Musikkonservatorium<br />
können die Kandidaten Tag und Nacht üben.<br />
Nacht? Die gibt es nicht, denn im Juni ist Mittsommernacht!<br />
Die Veranstalter hatten die großartige Idee, Kultureinrichtungen<br />
zum Schauplatz der Empfänge nach den einzelnen<br />
Runden zu machen. So erfuhr man Wissenswertes über<br />
die Bedeutung und Geschichte der Stadt, die eine große<br />
W<br />
Blick über Tromsø.<br />
Foto: Michael Hagemann<br />
Von: Michael Hagemann<br />
53
W W ETTBEWERBE<br />
Blick auf die Jury im Saal. Im Vordergrund (v. l. n. r.):<br />
Michael Uhde, Dorian Leljak und Hyoung-Joon Chang.<br />
Foto: Michael Hagemann<br />
Zukunft haben wird, falls der Seeweg nach<br />
Asien irgendwann über die Arktis führen sollte.<br />
Im interessanten Polarmuseum, das in<br />
einem 1830 erbauten Gebäude untergebracht<br />
ist, und im sehenswerten Kunstmuseum gab es<br />
die Möglichkeit zu Beratungsgesprächen und<br />
zum Erfahrungsaustausch. Im Kino wurde der<br />
Film „Forte – <strong>Piano</strong> – Forte“ gezeigt: eine<br />
Dokumentation über den ersten „Top of the<br />
World“.<br />
Weil die Wettbewerbsbedingungen kein<br />
Pflichtstück vorschreiben, konnte jeder sein<br />
Programm individuell zusammenstellen. Die<br />
einzigen Kompositionen von J. S. Bach spielten<br />
der aus Lecce stammende Scipione<br />
Sangiovanni und die Chinesin Jie Zhang.<br />
Mozart, Schubert und Grieg (!) hörten wir<br />
Ashot Khachatourian, Yaron Kohlberg und Alberto Nosé (v. l. n. r.)<br />
Foto: Michael Hagemann<br />
Alberto Nosé mit der Jurorin Shoko Hayashizaki.<br />
Foto: Michael Hagemann<br />
nicht. Dafür die Metamorphosen des 1950<br />
geborenen Menachem Wiesenberg (jazzy<br />
angehaucht und einfühlsam interpretiert von<br />
Yaron Kohlberg) und die bravourös vorgetragene<br />
erste Sonate des 1954 geborenen australischen<br />
Komponisten Carl Vine, mit Maya<br />
Irgulina, die die zweite Wettbewerbsrunde<br />
beendete.<br />
Bei der ersten Runde im Musikkonservatorium<br />
spielte jeder 30 Minuten (in der zweiten<br />
Runde waren es 35 bis 40 Minuten). Herausragend<br />
waren u. a. die von Yaron Kohlberg<br />
interpretierte „Polonaise-Fantasie“ von<br />
Chopin und „Quejas, o la Maya y el Ruisenor“<br />
von Enrique Granados, exorbitant vorgetragen<br />
von Alberto Nosé.<br />
Zur konzentrierten Vorbereitung für den<br />
Auftritt der Ausnahmetalente gehörten neben<br />
den bezahlten Hotelübernachtungen auch die<br />
gemeinsamen Mahlzeiten in den Pausen.<br />
Die zweite Runde fand im Festsaal<br />
des Hauptsponsors SpareBank<br />
statt. Ein repräsentativer Saal in<br />
einem 1910–1915 erbauten Jugendstilgebäude<br />
des Architekten<br />
Henrik Nissen. Immer wieder faszinierend,<br />
wie der von Klavierstimmer<br />
Thron Irby optimal betreute<br />
Flügel (Steinway & Sons) bei<br />
jeder Pianistin und jedem Pianisten<br />
anders geklungen hat.<br />
Yaron Kohlberg, der uns schon<br />
beim Tivoli-Wettbewerb in Kopenhagen<br />
aufgefallen war, spielte risikoloser<br />
<strong>als</strong> in der ersten Runde. Er<br />
wählte für den delikat vorgetragenen<br />
„Hasche-Mann“ aus Schumanns<br />
„Kinderszenen“ ein mäßiges<br />
Tempo.<br />
Routinier Alexander Ghindin (Gewinner<br />
des Cleveland-Competition<br />
2009), der nach eigenen Angaben<br />
mit 90 bis 100 Konzerten im Jahr<br />
fast zu viel spielt, interpretierte die<br />
54 5 . 11
5 . 11<br />
W ETTBEWERBE<br />
Ilya Rashkovsky und Mariya Kim)<br />
Foto: Michael Hagemann<br />
h-Moll-Sonate von Liszt mit kraftvollem, übertriebenem<br />
Gestus und dämonischem Ausdruck.<br />
Der Italiener Alberto Nosé übertraf die Interpretation der<br />
6. Sonate von Prokofiew, die Mariya Kim am Vortag dargeboten<br />
hatte, und Ashot Khachatourian krönte die 2. Runde<br />
mit einigen „Moments Musicaux“ von Rachmaninow und<br />
der grandios gespielten Toccata von Prokofiew.<br />
Vor der Bekanntgabe der drei Finalisten gespannte Ruhe<br />
im Foyer. Danach freudiges Umarmen und allgemeine Akzeptanz<br />
der Juryentscheidung. Das Finale im ausverkauften<br />
Kulturhuset wurde live im Rundfunk übertragen. Es begleitete<br />
das Kringkastingsorkestret (KORK) unter der Leitung<br />
von Thomas Søndergård.<br />
Die meisten Teilnehmer blieben bis zum Finale und erwiesen<br />
damit den Veranstaltern ihre Reverenz. Sie genossen<br />
die kollegiale pianistische Luft und die skandinavische<br />
Gastfreundschaft. Alexander Ghindin saß nicht in Konzertkleidung,<br />
sondern im legeren Karohemd im Publikum.<br />
Yaron Kohlberg begann mit dem b-Moll-Konzert op. 23<br />
von Peter Tschaikowsky. Seine Stärken lagen in den „Scherzando“-Passagen<br />
des Werks, die er tänzerisch und spritzig<br />
präsentierte. So elegant und federleicht hört man die Oktavpassagen<br />
selten.<br />
Der Armenier Ashot Khachatourian bezauberte das Publikum<br />
mit dem e-Moll-Konzert op. 11 von Frédéric Chopin:<br />
„sophisticated“ und mit viel Esprit. Im letzten Satz demonstrierte<br />
er ein Feuerwerk feinsinniger Klavierkunst und ein<br />
unglaubliches Legato. Unsicherheiten im 2. Satz kosteten<br />
ihn wohl den ersten Platz. Alberto Nosé beendete das Finale<br />
mit dem zweiten Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow.<br />
Jede Note ist bei ihm kontrolliert und bestens artikuliert.<br />
Nach 15 Minuten verkündete die Jury das Resultat und<br />
das Orchester spielte einen Tusch: Der erste Preis ging an<br />
Albert Nosé. Zweiter Preis an Ashot Khachatourian, dritter<br />
Preis an Yaron Kohlberg aus Israel.<br />
Hervorzuheben sind die kompetenten Entscheidungen<br />
der sympathischen Jury und ihre Bereitschaft, Beratungsgespräche<br />
mit den Künstlern zu führen: Hyoung-Joon<br />
Chang (Korea), Michael Uhde (Deutschland), Myrthala<br />
Salazar (Mexiko), Dorian Leljak (Serbien), der in Tromsø<br />
lehrende Sergej Osadchuk (Ukraine), Ilana Vered (Israel)<br />
und der Grieg-Experte Sigurd Slåttebrekk (Norwegen),<br />
bekannt für seine Kinder-TV-Serie, die in über 25 Ländern<br />
(allerdings nicht in Deutschland) zu sehen ist.<br />
Vorbei an wehenden Fahnen, die den „Mittsommernachtmarathon“<br />
am nächsten Tag ankündigten, ging es zur Abschlussfeier.<br />
Um Mitternacht bot der Geburtstag einer Teilnehmerin<br />
noch die Gelegenheit, eine andere musikalische<br />
Seite der Protagonisten kennenzulernen: Abwechselnd improvisierten<br />
sie stundenlang zwei- bis sechshändig: ein beeindruckender<br />
Freundschaftsbeweis und rührender Abschluss<br />
einer unvergesslichen Woche.<br />
Der „Top of the World“-Wettbewerb ist ein Mittsommernachtklaviermarathon<br />
der Spitzenklasse und bietet eine<br />
grandiose Landschaft und großartige Gastgeber. Der neue<br />
Stern am Wettbewerbshimmel ist aufgegangen. Nennen<br />
wir ihn einfach den „Polarstern“!<br />
Shoko Hayashizaki und Michael Hagemann, Autor des Artikels,<br />
sind die künstlerischen Leiter der Reihe „CHT goes Classic“, die<br />
Preisträger internationaler Klavierwettbewerbe präsentiert.<br />
W<br />
55
B B ERICHTE<br />
Blick in die Kirche während einer<br />
Probe des GrauSchumacher Duos.<br />
Foto: Dürer<br />
Sensibilisierung für Qualität<br />
Nicht allzu weit von Zürich und anderen Orten in der<br />
Schweiz liegt das Dorf Boswil, und gleich daneben<br />
befindet sich dann auch Muri. Orte, die aufgrund<br />
ihrer vielschichtigen musikalisch-künstlerischen Aktivitäten<br />
durchaus einen Klang im Kanon der Schweizer Kulturlandschaft<br />
haben. Mit einer Reihe von sechs Klavierkonzerten,<br />
in denen alle vierhändigen Werke Schuberts aufgeführt<br />
werden sollten, zeigten aber beide Orte Mut zum Risiko,<br />
denn das kann eigentlich nur hartgesottene Schubert-Fans<br />
interessieren.<br />
Die Idee war durch den Schweizer Pianisten Ivo Haag ins<br />
Leben gerufen worden, bereits vor über zwei Jahren.<br />
Natürlich ist Haag selbst mit dem Duo Soós-Haag (Adrienne<br />
Soós und Ivo Haag) ein Duo-Pianist. So interessierte ihn<br />
diese Thematik, denn – so bestätigt jedes Klavierduo – in<br />
„Schubert Universum“ mit<br />
Klavierduos in Boswil und Muri<br />
Blick auf das Künstlerhaus und<br />
die Kirche in Boswil.<br />
Foto: Dürer<br />
Franz Schubert war trotz seines kurzen Lebens von nur 31 Jahren ein beachtlich kreativer Komponist, der<br />
wirklich zahllose Werke hinterließ, auch wenn viel aufgrund seiner eigenen harten Kritik entweder niem<strong>als</strong><br />
überliefert wurde oder aber unvollendet blieb. Anders <strong>als</strong> bei den Sonaten für Klavier solo, bei<br />
denen die Anzahl der unvollendeten die der vollendeten übertrifft, und weniger skrupulös von ihm selbst<br />
betrachtet stellt sich sein Werk für Klavier zu vier Händen dar. Allerdings sind die recht zahlreichen<br />
Werke für die Duo-Besetzung nicht weniger ausgefeilt, durchkomponiert oder etwa weniger tiefgründig.<br />
Um dies einmal geschlossen vorzuführen, hat die Stiftung Künstlerhaus Boswil gemeinsam mit Murikultur<br />
Anfang Juni (2.–5.) dieses Jahres eine viertägige Konzertreihe mit drei Klavierduos initiiert, um<br />
das gesamte Klavierwerk für vier Hände von Franz Schubert in sechs Konzerten zu Gehör zu bringen. Wir<br />
fuhren nach Boswil in die Schweiz, um uns die Duo-Werke Schuberts anzuhören.<br />
Von: Carsten Dürer<br />
Schuberts vierhändiger Musik liegt ein ganzer Kosmos von<br />
Aussagen und Formen, von Emotionen und Erfahrungen<br />
verborgen. Bald schon sprach er zwei weitere Duos an, ob<br />
sie mit von der Partie wären: das GrauSchumacher <strong>Piano</strong>-<br />
Duo sowie das Klavierduo Tal & Groethuysen. Letztgenanntes<br />
Duo musste fast schon dabei sein, ist es doch das einzige<br />
Klavierduo, das bislang alle vierhändigen Schubert-Werke<br />
auf CD eingespielt hat. Der Name für diesen Zyklus in Muri<br />
und Boswil war schnell gefunden, denn die vierhändigen<br />
Werke liefern in ihrer Gesamtheit „Schuberts Universum“.<br />
Doch allein die sechs Konzerte – jedes Duo spielte zwei<br />
Konzerte – verteilt auf insgesamt vier Tage, wollten den<br />
mutigen Geschäftsführern der beiden Organisatoren-Einrichtungen,<br />
Michael Schneider für die Stiftung Künstlerhaus<br />
Boswil und Urs Pilgrim für Murikultur, nicht ausreichen.<br />
56 5 . 11
B B ERICHTE<br />
noch mehr erreicht, wäre er nicht so unerwartet früh verstorben.<br />
Mit diesen beiden Vorträgen hatten die Besucher<br />
einen recht umfassenden Einblick in Schuberts Leben und<br />
Wirken erhalten, der eine wunderbare Grundlage für die<br />
Konzertserie darstellte.<br />
Ivo Haag besprach sich intensiv mit den anderen beiden<br />
Duos – immer und immer wieder, da doch die recht umfangreiche<br />
Anzahl der Werke sinnvoll verteilt werden musste<br />
– nicht nur auf die drei Duos, sondern auch auf die sechs<br />
Konzerte. Und so bastelte man gemeinsam an Programmen,<br />
die dramatisch sinnvoll erschienen, das Publikum<br />
nicht mit zu schwergewichtigen Werken überlasteten, einen<br />
interessanten dramatischen Verlauf haben und zudem<br />
nicht zu anstrengend für die Künstler selbst wären. Natürlich<br />
wollte jedes der Duos die f-Moll-Fantasie spielen oder<br />
etwa auch das „Gran Duo“ (Sonate C-Dur D 812), die berühmtesten<br />
und bekanntesten Werke dieses Werk-Bereichs<br />
aus Schuberts Œuvre. Doch letztendlich war man sich bald<br />
einig und hatte eine sinnvolle Verteilung gefunden.<br />
Den Beginn machte das Duo mit Yaara Tal und Andreas<br />
Groethuysen, die auch sogleich die Fantasie D 1 spielten.<br />
Dieses mit fast 20 Minuten Aufführungsdauer immens umfangreiche<br />
Jugendwerk ist formal zwar kein Meisterwerk,<br />
aber dennoch spannungsgeladen. Ja, es ist ein Werk, das<br />
die Experimentierfreudigkeit eines jungen Autodidakten<br />
erkennen lässt, was er gehört hat bis zu diesem Alter, was er<br />
aufgenommen und für sich verarbeitet hat. Kaum hätte<br />
Schubert eine andere Form wählen können, zu unausgewogen<br />
sind die Übergänge der gedanklichen Einfälle, zu<br />
wenig passt es in eine Form. Und dennoch lugt überall immer<br />
wieder das junge Genie durch, die opernhafte Dramatik<br />
eines Jünglings, der schon eine Vorausschau bietet, was<br />
er noch imstande sein wird zu schreiben. Das Duo Tal-<br />
Groethuysen spielte mit einigen kleinen Veränderungen genau<br />
so, dass man all dies zu hören bekam, in einer durchweg<br />
spannungsgeladenen Affekt-Agogik, die Sinn machte.<br />
Die ersten drei der „Six Grandes Marches et Trios“ D 819<br />
schlossen sich an, berauschend in ihrer weit über die Idee<br />
eines Marsches hinausreichenden Gefühlswelt, die Schubert<br />
die Möglichkeit bot, beides gleichermaßen bereitzustellen,<br />
lyrische Liedagogik seiner emotionalen Sehnsuchtswelt sowie<br />
den Zugang zu weiten Kreisen seiner Hauptabnehmer-<br />
Klientel, die sich den Märschen leichter näherten <strong>als</strong> ande-<br />
Das Duo Soós-<br />
Haag bei einem<br />
Auftritt in Muri.<br />
Foto: Dürer<br />
ren Formen. Und natürlich wurde Schubert, nachdem seine<br />
Werke überhaupt erst einmal von Verlegern anerkannt waren,<br />
immer wieder nahegelegt, etwas zu schreiben, was<br />
nicht zu schwer für die Amateure zu spielen sei. Das hielt er<br />
– manches Mal – ein, wusste aber dennoch die vielen kleinen<br />
Facetten seiner Ideenwelt zu verwirklichen. Am Schluss<br />
dieses ersten Konzerts wurde dann mit dem „Divertissement<br />
à la hongroise“ g-Moll D 818 wieder einmal das hörbar,<br />
was das Besondere am Spiel des Duos Tal-Groethuysen ausmacht:<br />
das gemeinsame Klangverschmelzen, das gemeinsame<br />
Atmen, das alles nach einem einzigen Instrument klingen<br />
zu lassen. Das Publikum, das sich im Festsaal des<br />
Klosters in Muri eingefunden hatte (immerhin weit über<br />
200 Musikbegeisterte, die zum Teil aus Bern oder selbst<br />
grenznahen Teilen Deutschlands angereist waren), erlebte<br />
ein grandioses Auftaktkonzert.<br />
Das nächste Duo auf der Agenda war das Duo GrauSchumacher<br />
mit Andreas Grau und Götz Schumacher – dieses<br />
Mal in der Alten Kirche in Boswil. Und auf dieses Duo waren<br />
die oben angesprochenen zwei größten und gewichtigsten<br />
Werke von Schuberts vierhändigem Repertoire entfallen,<br />
die Sonate C-Dur, die <strong>als</strong> „Gran Duo“ bekannt ist, sowie<br />
in einem weiteren Konzert die f-Moll-Fantasie. Doch spannend<br />
war vor allem auch hier wieder der dramatische<br />
Aufbau mit der dramatisch hochspannenden Ouvertüre g-<br />
Moll D 668, der Fantasie g-Moll D 9 und der Vervollständigung<br />
der im ersten Konzert begonnenen Interpretation<br />
der „Six Grandes Marches et Trios“ (nun die Nummern<br />
4–6), bevor die Sonate erklang. Sicherlich ist die Alte Kirche<br />
in Boswil nicht der perfekteste Raum für Klavier-Aufführungen<br />
(wie nur wenige Kirchenräume überhaupt). Entsprechend<br />
musste sich das Duo auf die Gegebenheiten in klanglicher<br />
Hinsicht einstellen, denn immerhin sind nun vier<br />
statt zwei Hände am Klang beteiligt. Dennoch gelang es<br />
dem GrauSchumacher <strong>Piano</strong> Duo, eine wunderbare voluminös<br />
klingende Klangabstimmung zu kreieren, die vor<br />
allem nichts von der leicht und in vielen Interpretationen<br />
zu hörenden Überzuckerung der lyrischen Teile von Schuberts<br />
Ideen aufwies. Nein, GrauSchumacher bestachen in<br />
ihrem Zugang durch Transparenz und auf die Dramatik<br />
ausgerichtete Phrasierung. Ja, es gab fast schon eine Reizüberflutung<br />
in diesem Raum mit dem scharfen Klang bei<br />
akzentuierten Phrasen, aber dennoch war es ein Konzert, in<br />
dem auch deutlich wurde, wie viel Druck und Vorwärtsdrang<br />
in dieser Musik bei allem „Zustand“ dieser Musik vorhanden<br />
ist. Und genau dies ließ dieses Konzert zu einem<br />
wahren Erlebnis werden.<br />
Am kommenden Tag war dann wieder Muris Kloster <strong>als</strong><br />
Ort für gleich zwei Konzerte angesagt: Nun mit dem Klavierduo<br />
Soós-Haag am Nachmittag und dem GrauSchumacher<br />
<strong>Piano</strong> Duo am Abend. Und welch ein positives Erlebnis<br />
mit dem ungarisch-schweizerischen Duo Soós-Haag,<br />
das in unnachahmlich sensibel-kultivierter Weise gerade in<br />
der c-Moll-Fantasie D 48 das Publikum mit Feinsinn und<br />
faszinierender Anschlagnuancierung bewegte. Und dann<br />
am Schluss des Programms die Sonate B-Dur D 617 <strong>als</strong><br />
Beispiel ihrer austarierten Spielweise nicht nur <strong>als</strong> Duo, sondern<br />
auch <strong>als</strong> dynamisch durchweg alle Bereiche mit vollem<br />
Klang auslotendes Kammermusikensemble. Ein vor allem<br />
für die Schreibweise Schuberts wunderbares Duo. Das<br />
GrauSchumcher <strong>Piano</strong> Duo dann am Abend in Muri.<br />
Anscheinend war man nicht ganz so disponiert, fand vor<br />
allem in der berühmten f-Moll-Fantasie nicht zum zuvor<br />
gehörten Feinsinn. Dieses Duo spielt stark auf Affekte und<br />
dramatische Höhepunkte ausgerichtet, weniger auf feinnervigen<br />
Nuancierungsreichtum. Als etwas sportiv könnte man<br />
das Spiel dieses Duos bezeichnen.<br />
Und natürlich stellten sich <strong>als</strong>bald einige Fragen: Beispielsweise<br />
ob diese Art der Aufführung überhaupt Sinn<br />
machte, da die Werke selbstverständlich – und so auch in<br />
den Vorträgen dargestellt – nicht für das Konzertpodium<br />
58 5 . 11
5 . 11<br />
gedacht waren. Und ob in diesem Zusammenhang<br />
nicht gerade das kraftvolle Spiel vielleicht authentischer<br />
ist <strong>als</strong> das fein nuancierte. Die Frage nach dem<br />
heutigen Zugang zu diesen Werken muss aber dann<br />
doch ebenso offenbleiben wie die zuvor aufgebrachte.<br />
Letztendlich hat jegliche Art des Spiels ihre<br />
Berechtigung und ihre begeisterten Zuhörer – und so<br />
sollte es auch sein.<br />
Dann folgte noch der Sonntag in der Alten Kirche<br />
Boswil, wiederum mit Tal-Groethuysen am Vormittag<br />
und mit Soós-Haag am Nachmittag, um die Serie der<br />
sechs Konzerte und des gesamten Materi<strong>als</strong> zu vervollständigen.<br />
Sicherlich war dieses Projekt in seiner Gesamtheit ein<br />
wunderbares und vor allem einmaliges Erlebnis. Auch<br />
wenn man bei der Auswahl und Dichte der vierhändigen<br />
Werke eines einzigen Komponisten eine leichte<br />
Müdigkeit verspüren konnte, wenn man alle Konzerte<br />
besuchte. Die Ähnlichkeit des Schreibstils – gerade,<br />
wenn es um die zahlreichen Tänze geht – wird in diesem<br />
Moment dann doch deutlich. Und dass bei den<br />
Adressaten dann auch die ein oder andere Banalität<br />
der Kompositionen zum Vorschein kommt, ist verständlich.<br />
Dennoch hatte diese bislang wohl einmalige zyklische<br />
Aufführungsserie ihre absolute Berechtigung,<br />
auch wenn der Spiritus Rector des Projektes, Ivo Haag,<br />
am Beginn selbst einige Bedenken hatte. Aber er wollte<br />
es ausprobieren, ob Schuberts vierhändiges<br />
Gesamtwerk dieser Dichte von Aufführungen standhält.<br />
Und ja, nach den Konzerten musste man zugeben:<br />
Es hält in jedem Fall stand. Vor allem aber aufgrund<br />
der so ausgefeilt dargestellten Dramatik in jedem der<br />
Konzerte. Und auch die Unterschiedlichkeit der<br />
Darstellungen war Ivo Haag ein Anliegen, wie er zugab:<br />
„Ansonsten hätte unser Duo ja auch alles selbst spielen<br />
können“, lacht er. Zudem konnte man gegen Ende<br />
des Zyklus vor allem eines feststellen: dass man nicht<br />
mehr zwingend dem verbrämten Bild Schuberts folgt,<br />
weder in die eine noch in die andere Richtung. Ganz im<br />
Gegenteil lässt sich plötzlich zumindest die Qualitäts-<br />
Relation zwischen einzelnen Werken erkennen, wird<br />
man nicht unkritisch glauben, dass die vierhändige<br />
Klaviermusik nur gesellige oder pädagogische Werke<br />
niederen Niveaus umfasst – und auch nicht entgegen<br />
dieser Meinung glaubt, dass alle Werke Schuberts reine<br />
Meisterwerke sind. Genau das war plötzlich im Kanon<br />
von „Schuberts Universum“ möglich. Und all dies hat<br />
man dank der Initiative und des Durchhaltevermögens<br />
von Ivo Haag sowie der Unterstützung von Murikultur<br />
und dem Künstlerhaus Boswil zustande gebracht.<br />
Dass Michael Schneider vom Künstlerhaus Boswil<br />
schon gegen Ende der Reihe laut über ein weiteres<br />
Projekt mit Klavierduos nachdachte, zeigte auch die<br />
wunderbare Atmosphäre, die zwischen den Künstlern<br />
herrschte. Allein die Nähe von Unterbringung und<br />
Konzertorten sowie die zwanglose Bewirtung mit<br />
besten Speisen aus der hauseigenen Küche des<br />
Künstlerhauses in wunderbarer landschaftlicher Umgebung<br />
war den Duos eine Grundbasis für faszinierende<br />
Konzerte. Dass dieses Gesamtkonzept aufging, lag<br />
auch an dem wunderbaren Publikum, das hochkonzentriert<br />
bis zum Ende zuhörte.<br />
www.kuenstlerhausboswil.ch<br />
www.murikultur.ch
J<br />
60<br />
J AZZ-INTERVIEW<br />
TIGRAN HAMASYAN<br />
„Allein mit dir, dem Klavier und dem Raum.“<br />
Der armenische Pianist Tigran Hamasyan legt im Alter von 23 Jahren mit „A Fable“ bereits<br />
sein viertes Album vor. Vor ein paar Jahren waren seine Eltern mit ihm und seiner Schwester<br />
in die USA ausgewandert, um den zwei künstlerisch begabten Kindern eine Karriere zu<br />
ermöglichen. Fern der Heimat, klassisch ausgebildet und bereits stark im Jazz verhaftet,<br />
besinnt sich Hamasyan nun gewissermaßen in einem Zirkelschluss auf seine armenischen<br />
Wurzeln: In einem schmerzvollen, intensiven Prozess öffnet er sich den Melodien, Klängen<br />
und der Poesie der Heimat seiner ersten Lebensjahre. So finden zum einen Gedichte etwa des<br />
Armeniers Hovhannes Tumanyan Eingang in seine musikalische Welt. Zum anderen aber verändert<br />
die Perspektive der Volksmusik mit ihren archaischen Skalen und Stimmungen grundlegend<br />
seine Herangehensweise ans Improvisieren, ans Musikmachen, kehrt sie ins<br />
„Fabelhafte“. Womit wir wieder beim Titel seiner aktuellen CD angelangt wären …<br />
Von: Carina Prange<br />
PIANO<strong>News</strong>: „A Fable“ ist bereits Ihr viertes Album<br />
und das erste auf einem Major-Label. Mit 23 bereits<br />
vier Alben aufgenommen zu haben, ist außerordentlich.<br />
Wie kam es dazu?<br />
Tigran Hamasyan: Nun, ich habe früh angefangen.<br />
Mein erstes Album habe ich mit siebzehn Jahren<br />
aufgenommen. Ich komponiere viel und begann<br />
auch sehr früh auf dem Klavier. Da war ich<br />
drei Jahre alt. Und seit der Zeit komponiere ich<br />
eben auch.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Würden Sie sagen, dass Sie in einer<br />
musikalischen Umgebung aufgewachsen sind? Wie<br />
wichtig ist so etwas für einen Musiker?<br />
Tigran Hamasyan: Oh, das ist elementar! Selbstverständlich<br />
ist es das. Wenn immer Musik da ist,<br />
wenn man aufwächst, von Kind an, dann gewöhnt<br />
man sich an die Musik. Man gewöhnt sich auch<br />
daran, unterschiedliche Musikrichtungen zu hören.<br />
Ich bin außerordentlich froh darüber, dass ich<br />
<strong>als</strong> Kind Rockmusik gehört habe. In diese Musik<br />
habe ich mich verliebt, aber das habe ich erst später<br />
begriffen. So mit vierzehn, fünfzehn begann ich<br />
die Rockklassiker wieder hervorzukramen. Und<br />
dabei tauchte ich umso tiefer in die Rockmusik ein.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Sie haben gerade erwähnt, Sie hätten<br />
mit drei Jahren auf dem Klavier angefangen. Wer<br />
waren Ihre ersten Lehrer?<br />
Foto: Vahan Stephanyan<br />
5 . 11
Tigran Hamasyan: Meine allerersten Lehrer waren<br />
die Schallplatten, die ich hörte. In erster Linie<br />
Klassiker der Rockgeschichte. Das habe ich meinem<br />
Vater zu verdanken, der ein großer Fan dieser<br />
Musikrichtung war. Ich liebte diese Musik.<br />
Mein Onkel hingegen war ein Jazzfan. Irgendwann<br />
begann ich dann auch, Jazz zu hören. Allerdings<br />
eher Funkjazz, Herbie Hancock beispielsweise,<br />
Siebziger Jahre Jazzrock. Eher nichts Traditionelles.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Ihr Vater spielte sicher auch Klavier?<br />
Tigran Hamasyan: Nur ein bisschen und natürlich<br />
nicht beruflich. Meine Mutter war auf der Musikschule<br />
gewesen. Mein Vater auch, etwa fünf,<br />
sechs Jahre lang. Aber sie waren keine Berufsmusiker.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Wann hatten Sie Ihren ersten Unterricht?<br />
Tigran Hamasyan: Meinen ersten Lehrer für klassische<br />
Musik bekam ich, da war ich fünf. Mit sechs<br />
kam ich dann auf die Musikschule und habe für<br />
gut 11 Jahre Klassik studiert. Als ich 11 wurde,<br />
hatte ich meinen ersten Jazz-Lehrer. In der Zeit<br />
wurde mir klar, worum sich der Jazz eigentlich<br />
dreht. Ich gab auch meine ersten Konzerte in jener<br />
Zeit. Der Name meines Lehrers war Vahag Hayrapetyan,<br />
er ist ein großartiger Pianist. Er brachte<br />
mich zum Bebop. Hayrapetyan war in New York<br />
gewesen und hatte bei Barry Harris Unterricht<br />
gehabt. Nachdem er nach Armenien zurückkehrte,<br />
gab er Privatunterricht und Masterclasses. Ich<br />
blieb bei ihm acht Monate, dann ging ich wieder<br />
meine eigenen Wege.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Was faszinierte Sie am Jazz?<br />
Tigran Hamasyan: Das Improvisieren, würde ich<br />
sagen. Von Anfang an, solange ich mich zurückerinnere,<br />
hatte ich eine Leidenschaft für die Improvisation.<br />
Ich improvisierte, ohne zu wissen, was<br />
ich da tat. Vielleicht hat es mich ja deshalb so zum<br />
Jazz hingezogen. Weil es im Jazz im Kern ja um die<br />
Improvisation geht.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Haben Sie Vorbilder im Jazz?<br />
Tigran Hamasyan: Natürlich Herbie Hancock.<br />
Das war der Erste. Danach Thelonious Monk, Bud<br />
Powell, Charlie Parker, Coleman Hawkins, Art<br />
Tatum …<br />
PIANO<strong>News</strong>: Gibt es in Armenien eigentlich viele<br />
Pianisten?<br />
Tigran Hamasyan: Massenhaft! Allerdings weniger<br />
im Jazz, denn das war während der Sowjetzeit<br />
eine sehr kontroverse Musik. Deshalb entwickelte<br />
er sich nur wenig. Es gab zwar Jazz in der UdSSR,<br />
aber Armenien war in der Hinsicht nicht gerade<br />
ein guter Platz dafür. Nichts drang dorthin vor,<br />
kaum Informationen. Also fing dort alles erst viel<br />
später an. In der Klassik sieht das anders aus, jede<br />
Schule könnte tonnenweise Virtuosen vorweisen!<br />
J J<br />
AZZ-INTERVIEW<br />
[lacht] In der Beziehung ist Armenien wirklich gut.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Ist es eine ausgemachte Sache für armenische<br />
Pianisten, in die USA zu gehen?<br />
Tigran Hamasyan: Na ja … Jeder sucht sich eben<br />
seinen Weg im Leben! In Armenien ist es schwer,<br />
eine Karriere auf die Beine zu stellen. Als ich Jugendlicher<br />
war – ich war sechzehn Jahre alt und<br />
lebte noch bei meinen Eltern –, da zog meine ganze<br />
Familie mit mir nach Los Angeles um. Mein Vater,<br />
meine Mutter, meine kleine Schwester. Sie ist<br />
fünf Jahre jünger <strong>als</strong> ich und Malerin. Bildende<br />
Künstlerin, sollte ich vielleicht besser sagen. Meine<br />
Eltern glaubten, dass wir beide in den USA bessere<br />
Chancen haben würden.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Mit 11 Jahren standen Sie das erste<br />
Mal auf einer Bühne. Können Sie die Bezeichnung<br />
„Wunderkind“ leiden?<br />
Foto: Vahan Stephanyan<br />
Tigran Hamasyan: Mir geht es darum, dass man<br />
meiner Musik zuhört und Gefallen daran findet,<br />
was ich mache. Ich selbst <strong>als</strong> Person sollte dabei<br />
keine Rolle spielen, oder die Tatsache, dass ich<br />
früh angefangen habe. Musik macht man für<br />
Menschen, und ob man damit <strong>als</strong> Fünfjähriger<br />
oder mit zwanzig anfängt, sollte egal sein.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Aber gewisse Auswirkungen hatte der<br />
frühe Start doch sicher. Hat man Sie mit dem Fußball<br />
auf der Straße gesehen oder haben Sie den ganzen Tag<br />
geübt?<br />
Tigran Hamasyan: Klar habe ich Fußball gespielt!<br />
Ich war doch ein ganz normaler Junge. So sehr ich<br />
auch Musik liebte, ich wollte <strong>als</strong> Kind doch auch<br />
5 . 11 61
J<br />
Foto: Vahan Stephanyan<br />
62<br />
J AZZ-INTERVIEW<br />
immer draußen sein und spielen. Es gab natürlich<br />
auch Phasen, wo ich lieber Musik machte. Das<br />
nenne ich meine besessenen Phasen. Als ich Bebop<br />
lernte, da hatte ich so eine – ein, zwei Monate übte<br />
ich wirklich den ganzen Tag.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Sie holen sich viel Inspiration aus der<br />
armenischen Volksmusik. Stimmt das?<br />
Tigran Hamasyan: Ja, das ist wahr. Die armenische<br />
Volksmusik ist eine Quelle der Inspiration für<br />
mich, aber genauso die<br />
klassische indische<br />
Musik und skandinavischer<br />
Folk. Auch die<br />
Volksmusik anderer<br />
Länder. Aber die meisten<br />
meiner Kompositionen<br />
wurzeln in der<br />
armenischen Folklore.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Was genau,<br />
welche Aspekte der<br />
Volksmusik sind es, die Sie<br />
anziehen?<br />
Tigran Hamasyan:<br />
Nachdem ich mich vom<br />
Bebop zu lösen und dessen<br />
strikte Regeln, seine<br />
harmonischen und melodischen<br />
Gesetze, zu<br />
durchbrechen begonnen<br />
hatte, fing ich an zu<br />
überlegen, was für ein<br />
Vokabular ich stattdessen<br />
verwenden könnte.<br />
Der Jazz baut ja ziemlich<br />
auf der Klassik auf,<br />
Dur und Moll und die Kirchentonleitern.<br />
Als ich mit vierzehn die armenische Volksmusik<br />
entdeckte – vielmehr sollte ich sagen: wiederentdeckte!<br />
– wurde mir klar, was ich da vernachlässigt,<br />
ja geradezu ignoriert hatte. Meine Herkunft,<br />
mein musikalisches Erbe! Also begann ich, mich in<br />
die armenische Folklore zu vertiefen und einzuarbeiten.<br />
Ein langer Weg und er wird bis zu meinem<br />
Tod nicht enden, da bin ich überzeugt. Und mit<br />
der Zeit wurde die Volksmusik zu meinem Ausdrucksmedium;<br />
der Jazz war nur noch Mittel zum<br />
Zweck, nämlich zu improvisieren. Nur, dass mein<br />
Jazz jetzt auf der armenischen Musik aufbaut, auf<br />
deren Modi und Skalen. Gleichzeitig wurde meine<br />
Diskografie<br />
Solo<br />
Red Hail (Plus Loin Music, 2009)<br />
World Passion (Nocturne Records, 2006)<br />
Tigran Hamasyan Trio<br />
New Era (Nocturne Records, 2007)<br />
Die aktuelle CD:<br />
A Fable (Verve/Universal 2011)<br />
Art zu komponieren immer „klassischer“. Alles<br />
wird ausnotiert, alles ist festgelegt. Natürlich nicht<br />
die improvisierten Teile, aber die Melodien und<br />
die durchkomponierten Abschnitte. Und die bauen<br />
wieder auf der armenischen Musik auf. Was die<br />
Harmonien angeht, da steckt natürlich auch viel<br />
Europäisches drin, aber aus einer Folk-Perspektive<br />
betrachtet – beispielsweise indem die Harmonien<br />
den armenischen Modi folgen.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Spielt Armenien oder die Erinnerung<br />
daran auch sonst in Ihren Kompositionen ein Rolle?<br />
Die Landschaft, Farben, der Duft der Pflanzen? Haben<br />
Sie das vor Augen, wenn Sie schreiben?<br />
Tigran Hamasyan: Bei einigen Stücken sicher. Es<br />
kommt auf den Song an. Wenn ich ein überliefertes<br />
Lied arrangiere, das die Frauen beim Buttermachen<br />
sangen, dann bestimmt. Es hat einfach<br />
eine solche Stimmung. Oder wenn es bei einem<br />
Stück thematisch um die Natur geht.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Sie sind in Jazz, in der Klassik und im<br />
Rock beheimatet. Wo sehen Sie sich selbst dabei<br />
eigentlich?<br />
Tigran Hamasyan: Sogar die Marketingleute<br />
haben es schwer mit mir. Ich verstehe ja, dass sie<br />
mich in eine Kiste packen wollen. Seit ich angefangen<br />
habe, den Folk zu assimilieren, ist das noch<br />
schwerer geworden. Beim Rock ging es wohl noch<br />
irgendwie! [lacht] Ich mag es aber nicht, wenn<br />
Musik in Kategorien gesteckt wird. Stile existieren<br />
<strong>als</strong> Bezeichnungen, aber die Musik existiert neben<br />
und über den Stilen, nicht darin. Stile sind nur<br />
Namen, die sich jemand ausgedacht hat. Musiker<br />
denken nicht in Stilen.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Nehmen Sie ein leeres Blatt Papier zur<br />
Hand, wenn Sie anfangen zu komponieren? Oder<br />
kommt erst eine Idee, eine Melodie?<br />
Tigran Hamasyan: Ganz verschieden. Meistens<br />
habe ich Ideen, wenn ich nicht in der Nähe eines<br />
Klaviers bin. Ich nehme das dann irgendwie auf,<br />
singe die Melodie oder den Rhythmus. Wenn ich<br />
dann am Klavier sitze, kommt der Prozess des Ausarbeitens.<br />
An anderen Tagen sitze ich wiederum<br />
am Klavier und will eigentlich üben. Und dann<br />
merke ich, dass ich in der Stimmung bin, etwas zu<br />
komponieren. Meist kommt dann wirklich etwas<br />
dabei heraus. Manchmal spiele ich auch ein konkretes<br />
Stück, drifte dann plötzlich ab und es<br />
5 . 11
kommt mir ein Einfall. Und daraus erwächst dann<br />
ein neuer Song.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Eine gute Gelegenheit, mal nach ein<br />
paar Ihrer Stücke zu fragen. Für „Longing“ haben Sie<br />
einen Text von Hovhannes Tumanyan vertont. Wovon<br />
handelt das Lied?<br />
Tigran Hamasyan: Es ist ein Lied über das Heimweh.<br />
Tumayan war sehr häufig im Ausland, in<br />
verschiedenen Ländern und reiste hin und her. Es<br />
waren dam<strong>als</strong> harte Zeiten zuhause. In Armenien<br />
ist Tumayan ein Held, gewissermaßen einer der<br />
berühmtesten Dichter und Autoren. In der Kultur<br />
der armenischen Folklore ist er überaus präsent, er<br />
ging in die Dörfer, um Erzählungen zu sammeln,<br />
Geschichten, Legenden. Und alles, was er schrieb,<br />
das meiste zumindest, baut darauf auf. Es sind<br />
eine Vielzahl historischer Erzählungen, aber auch<br />
kurzer Gedichte. Für dieses spezielle Stück habe ich<br />
zwei Werke zusammengefasst, die eigentlich nicht<br />
zusammengehören. Sie sind aber zur gleichen Zeit<br />
entstanden und behandeln dasselbe Thema. Sogar<br />
das Reimschema ist ähnlich. Also kombinierte ich<br />
das und schrieb Musik dazu.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Fiel es Ihnen leicht, zu singen?<br />
Tigran Hamasyan: Das war schon eine Herausforderung!<br />
Obwohl ich früher gesungen hatte.<br />
J J<br />
AZZ-INTERVIEW<br />
Stimmt, ich bin Pianist. Aber vor dem Stimmbruch<br />
war ich auch Sänger. Davon gibt es sogar Aufnahmen,<br />
mit einer Bigband … Mit der Adoleszenz verabschiedete<br />
sich meine Stimme leider. Es ist noch<br />
nicht lange her, dass ich wieder angefangen habe.<br />
Ich muss dafür arbeiten, aber es macht Spaß. Ich<br />
singe wieder beim Komponieren.<br />
PIANO<strong>News</strong>: Jetzt arbeiten Sie solo. Wie finden Sie<br />
das, verglichen mit dem Spiel in einer Band?<br />
Tigran Hamasyan: Anstrengend, weil es technisch<br />
anspruchsvoller ist, aber gleichzeitig lohnend.<br />
Weil man ungeheure Freiheiten dabei hat.<br />
In diesen Freiheiten liegt aber die Herausforderung,<br />
weil man auf die eigenen Einfälle angewiesen<br />
ist. Es ist ja sonst niemand da, wohingegen<br />
in einer Band viele Ideen von den Mitmusikern<br />
kommen. Man braucht nicht alles beizusteuern.<br />
Darum geht es ja in einer Jazzband, dass man aufeinander<br />
aufbaut. Spielt man solo, baut man auf<br />
sich allein. Gleichzeitig kann man beim Improvisieren<br />
tun, was man will. Das ist das Spannende:<br />
Du bist allein mit dir, dem Klavier und dem Raum,<br />
in dem du spielst. Allein mit dem Klang …<br />
www.tigranhamasyan.com
B B ERICHTE<br />
Damit wollte man auch an die großen Zeiten der<br />
„Klavierstadt Berlin“ anknüpfen, <strong>als</strong> hier zu Beginn<br />
des letzten Jahrhunderts legendäre Virtuosen wie<br />
Horowitz, Arrau oder der junge Artur Rubinstein lebten und<br />
die Zuhörerkultur von einer großen Anzahl selbst musizierender<br />
Laien getragen war. Und zusammen mit dem Kooperationspartner<br />
„Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ war<br />
auch schnell ein durchgehendes, zwar nicht neues, aber<br />
doch auch nicht alltägliches Thema gefunden: die Verbindung<br />
von Musik und Bildender Kunst. Wie weiland Sergej<br />
Rachmaninow und Max Reger sinfonische Dichtungen<br />
nach Arnold Böcklins Gemälde „Die Toteninsel“ schufen,<br />
der Synästhetiker Alexander Skrjabin ein „Licht- und Farbenklavier“<br />
entwickelte oder Modest Mussorgsky die „Bilder<br />
einer Ausstellung“ des verstorbenen Malerfreundes Viktor<br />
Hartmann in Tönen wiederauferstehen ließ, so sollten jetzt<br />
Auftragswerke zur zeitgenössischen Produktion bildnerisch<br />
inspirierter Musik beitragen. An sechs Klavierabenden wurden<br />
sie vorgestellt, von sechs jungen Pianisten, die außerdem<br />
noch in einem Nachmittagskonzert bzw. einer Matinee<br />
zu Gehör kamen. Sie alle hatten teils spektakuläre Wettbewerbserfolge<br />
vorzuweisen, die sie in die Startlöcher zur großen<br />
Karriere stellten.<br />
Angst vor der Moderne mussten die stets zahlreichen, aufmerksamen<br />
Zuhörer dabei nicht haben. Gerade in Verbindung<br />
mit bildnerischen Vorstellungen waren die Stücke<br />
insgesamt recht eingängig zu hören und trugen der virtuosen<br />
Tradition des Klaviers durchaus Rechnung. Teilweise<br />
konnten sehr sinnfällige Umsetzungen von der visuellen auf<br />
die akustische Ebene gefunden werden. Birke Bertelsmeier<br />
etwa, vom tiefschürfenden Wolfgang Rihm ausgebildet, nä-<br />
Schwarze Farbe, aus<br />
Klavierclustern tropfend<br />
Das Berliner Festival „Klavierfieber“<br />
Andrew Brownell spielt vor der<br />
Projektion des Gemäldes „1-09-94“<br />
von Zao Wou-Ki die Komposition<br />
Imprint-Blue (2011) for „1-09-94“<br />
von Ying Wang.<br />
Foto: Kai Bienert<br />
Klavierklänge wehen durch die Sommerluft: Sie kommen von einem Lastwagen vor der Berliner<br />
Gemäldegalerie, auf dem die Jungstudentin Constanze Pfeiffer an einem festmontierten Flügel sitzt.<br />
Unermüdlich spielt sie, ohne sich von den umherflanierenden Menschen oder dem wogenden<br />
Verkehrslärm stören zu lassen. Selten bleibt jemand stehen und hört richtig zu; kaum ist auszumachen,<br />
was hier überhaupt erklingt. Auch an anderen Kulturstätten der Hauptstadt war dieses „<strong>Piano</strong>mobil“ im<br />
Juni mit wechselnden jugendlichen Pianisten anzutreffen, vor der Deutschen Oper etwa oder auf der<br />
Museumsinsel. Ein Werbegag, der auf ein brandneues Festival aufmerksam machen sollte: Nachdem sich<br />
die Jugendorchester-Reihe „Young Euro Classic“ im August immer mehr ausgeweitet hatte und mittlerweile<br />
auch dem Klavier einen ganzen Tag widmet, kam ihrem Veranstalter die Idee zu einem eigenen<br />
Klavierfestival. Nun sollte überall „Klavierfieber“ ausbrechen, der Virus der Klavierbegeisterung in der<br />
ganzen Stadt verbreitet werden.<br />
Von: Isabel Herzfeld<br />
hert sich dem antiken „Markttor von Milet“ aus Kleinasien<br />
durchaus originell „… von der anderen Seite“, wie der Titel<br />
ihres Stückes lautet. Hin- und hergedrehtes Klangmaterial<br />
entspricht tatsächlich einer Betrachtung von verschiedenen<br />
Seiten aus. Lebhafte, kontrastreiche Bewegung und stille<br />
Klangflächen imaginieren ebenso früheres Leben wie Leere<br />
und Verfall. Die Brüchigkeit des im Bombenhagel beschädigten<br />
Bauwerks gab die 30-Jährige wieder, indem sie einige<br />
Diskantsaiten mit Tesafilm abklebte, dadurch in fahlen,<br />
brüchigen Klängen „zum Verschwinden brachte“. Der deutsche<br />
Pianist Hinrich Alpers versah das Stück mit „impressionistisch“<br />
weichen Farben. Seiner Tongebung kam auch die<br />
10. Sonate von Skrjabin entgegen, ein überwältigender Trillerrausch.<br />
Doch <strong>als</strong> Schumann- und Beethoven-Interpret<br />
enttäuschte der Gewinner des Telecom Beethoven Competition<br />
2009, indem die C-Dur-Fantasie statt mit Temperament<br />
und Leidenschaft mit Ungenauigkeiten aufwartete,<br />
der As-Dur-Sonate op. 110 das klare, entschiedene Profil<br />
fehlte.<br />
Lust am Experimentieren mit dem Instrument selbst zeigte<br />
außer Bertelsmeier lediglich die Chinesin Ying Wang. Sie<br />
hatte ein Gemälde ihres Landsmannes Zao Wou-Ki gewählt,<br />
dessen Titel „1-09-94“ einfach sein Entstehungsdatum<br />
bezeichnet. Seine bewegten Strukturen in Weiß, Blau und<br />
Schwarz – von ferne an den abstrakten Expressionismus<br />
Jackson Pollocks erinnernd – eigneten sich vorzüglich zur<br />
kompositorischen Übertragung auf helle und dunkle Register<br />
der Klaviatur. Cluster entsprachen den Farbflächen,<br />
Repetitionen imitierten das Tröpfeln der Farbe auf die Leinwand.<br />
Das schwarze Zentrum des Gemäldes wirkt wie ein<br />
Sog ins Nichts, der die 35-jährige Komponistin, die derzeit<br />
64 5 . 11
5 . 11<br />
B ERICHTE<br />
noch in Köln elektronische Musik studiert, zu etwas Tonlosem<br />
inspirierte: zum geräuschvollen, rhythmischen Treten<br />
des linken Ped<strong>als</strong>, der sogenannten „Verschiebung“, das<br />
nachhallend einen gespenstisch wirkenden Klangraum<br />
schuf. Die in ihrer fantasiereichen Konsequenz vielleicht<br />
schlüssigste Bildkomposition des ganzen Festiv<strong>als</strong> wurde<br />
von Andrew Brownell, USA, kontrastreich interpretiert. Der<br />
Gewinner des Leipziger Bach-Wettbewerbs 2002 und des<br />
Hummel-Wettbewerbs 2005 hatte viel Barock-Vorklassisches<br />
im Gepäck, doch faszinierte er am stärksten, wenn<br />
es virtuos so richtig zur Sache ging. Liszts „Réminiscences de<br />
Don Juan“ jedenfalls atmeten verblüffenden, aus einer gewissen<br />
Distanz zum Romantischen geborenen Witz.<br />
Ganz der Romantik verschrieben hat sich die Japanerin<br />
Mizuka Kano. Doch stand ihr Klavierabend in der Gemäldegalerie<br />
unter keinem guten Stern. „Drei Romanzen“ von<br />
Clara Schumann konnten sich in der Badewannenakustik<br />
des Raumes so eben noch behaupten – vielleicht aber nur<br />
aufgrund ihrer vergleichsweise simplen Struktur. Die „Variationen<br />
über ein Thema von Schumann“ op. 9 von Johannes<br />
Brahms und die „Davidsbündlertänze“ von Schumann<br />
selbst jedenfalls klangen so hölzern und undifferenziert,<br />
dass man sich fragen musste, wie die Pianistin seinerzeit<br />
wohl zum Gewinn des Zwickauer Schumann-Wettbewerbs<br />
kommen konnte. In ihr Programm passte Bernhard Weidners<br />
„Tableau vivant“ nach Caspar David Friedrichs „Der<br />
einsame Baum“ an sich perfekt hinein, doch auch hier<br />
wirkte sich der Raum ungünstig aus. Aufgrund der Lichtverhältnisse<br />
war das auf Leinwand projizierte Gemälde ausgerechnet<br />
an diesem Ort der Kunst kaum zu sehen. Über<br />
eine musikalische Auseinandersetzung mit dem Bild schoben<br />
sich zudem Fetzen der übermächtigen Beethoven-Sonate<br />
op. 111 – wozu sich der Komponist dadurch berechtigt<br />
fühlte, dass sie mit Friedrichs Werk das Entstehungsdatum<br />
gemeinsam hat. So geriet das Bild nicht nur aus dem Blick-,<br />
sondern auch aus dem Hörfeld, war höchst äußerlicher Anlass<br />
zur Musik.<br />
Wie seltsam, dass die ungünstigen Bedingungen beim<br />
Klavierabend von Romain Descharmes im selben Raum<br />
kaum störten. Auch hier verschwamm das Gemälde<br />
„Schlachtfeld von Marathon“ von Carl Anton Rottmann im<br />
Gegenlicht. Doch Violeta Dinescus Vertonung „zeichnete“<br />
seine Kontraste von Nebeldunst, Zusammenballung gewaltiger<br />
Energien und Ausbruch im Feuersturm derart zwingend<br />
nach, dass sich sofort eine Wechselwirkung erkennen<br />
ließ. Prägnante thematische Gestalten strukturierten den<br />
eher diffusen Untergrund, und aus den gewaltigen Unterarmclustern<br />
im Bass hörte man förmlich die schwarze Farbe<br />
heraustropfen. Dabei spielte der 31-jährige Franzose, vor<br />
fünf Jahren Gewinner beim Wettbewerb in Dublin, so farbenreich,<br />
sinnlich und zugleich intelligent, dass man auch<br />
über alle akustischen Unwegsamkeiten hinweglauschte.<br />
Descharmes legte einen furiosen, fantasievollen „Carnaval“<br />
von Schumann hin, dessen rauschhaft gesteigerter „Marsch<br />
der Davidsbündler gegen die Philister“ seine abgründige<br />
Konsequenz in Maurice Ravels „La V<strong>als</strong>e“ fand. Höchst erfreulich,<br />
dazwischen einmal Emanuel Chabriers „Pièces pittoresques“<br />
zu begegnen, prallbunten, vitalen, verträumten,<br />
tänzerischen Klangszenerien.<br />
Wie die renommierte Rumänin Dinescu hat auch Jens<br />
Joneleit in letzter Zeit größeren Bekanntheitsgrad erreicht.<br />
Spektakulär wirkte die Uraufführung seiner Oper „Metanoia“<br />
im letzten Herbst durch Daniel Barenboim an der<br />
Berliner Staatsoper. Doch ausgerechnet sein Werk enttäuschte.<br />
Der 1968 geborene Komponist, der angibt, „auch<br />
Maler“ zu sein, hatte sich Hanna Höchs Collage „Schnitt<br />
mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer<br />
B<br />
Bierbauchkulturepoche Deutschlands“ ausgesucht – die vor<br />
den großen Fenstern der Neuen Nationalgalerie überhaupt<br />
nicht gezeigt werden konnte. Stattdessen eröffnete sich der<br />
Blick auf Berliner Baustellen. Wie Höch fremdes Fotomaterial<br />
zerschneidet und neu montiert, so warf Joneleit Klangschnipsel<br />
aus älteren unveröffentlichten Skizzen auf ein<br />
großes Blatt Papier und baute sein Stück aus dieser zufälligen<br />
Materialzusammenstellung. Die parallele Herangehensweise<br />
wirkt auf den ersten Blick überzeugend, doch<br />
was bei Höch vitalen, scharfsinnigen Witz entwickelt, bleibt<br />
bei Joneleit in drögen, dürren Tonpunkten und -linien befangen,<br />
eine beliebig anmutende, reizlose Versuchsanordnung.<br />
Der Kanadier Winston Choi, der <strong>als</strong> Anwalt der Moderne<br />
Klaviermusik von Boulez in die USA und die Werke<br />
des Amerikaners Elliott Carter nach Europa brachte, stellte<br />
Joneleit sperrige Nachtmusiken des Franzosen Jacques Lenot<br />
(* 1945) gegenüber, blieb der querständigen Virtuosität<br />
eines Johannes Brahms in dessen „Paganini-Variationen“<br />
jedoch einiges an<br />
Farbigkeit und Herzblut<br />
Denis Kozhukhin<br />
vor der Projektion der Büste der Nofretete<br />
schuldig.<br />
Foto: Kai Bienert<br />
All diese Ereignisse<br />
überstrahlte der aufgehende<br />
Stern des jungen<br />
Russen Denis Kozhukhin.<br />
Seit er im vorigen Jahr<br />
den renommierten Wettbewerb<br />
„Reine Elisabeth“<br />
in Brüssel gewann, kann<br />
sich der 24-Jährige vor<br />
Einladungen in alle Welt<br />
kaum mehr retten. In Berlin<br />
faszinierte er mit einer<br />
fulminanten Virtuosität,<br />
die sich jedoch nie prahlerisch<br />
vor das Werk selbst<br />
schiebt, sondern mit Klarheit<br />
und Sensibilität<br />
Strukturen und Emotionen<br />
in Balance bringt. So<br />
bezauberte Haydns Sonate<br />
Es-Dur Hob. XVI:49 mit<br />
klanglicher Wärme und<br />
pointensicherem Witz, betörten die sanften, ganz nach<br />
innen gerichteten Schattierungen der „Benediction de Dieu<br />
dans la solitude“ von Franz Liszt, riss die pure Bewegungslust<br />
in „Venezia e Napoli“ das Publikum von den Sitzen. Für<br />
seinen „großen“ Klavierabend in der Staatsbibliothek hatte<br />
Kozhukhin sein Programm perfekt „komponiert“: So erhielt<br />
die Uraufführung „Nofretete“ des 1973 geborenen Deutsch-<br />
Dänen Søren Nils Eichberg zwischen Hindemiths dritter<br />
und Prokofiews 5. Sonate ein ganz besonderes Profil. Es<br />
schien, <strong>als</strong> hätte die Komposition, die Schönheit und<br />
Geheimnis einer historischen Figur heraufbeschwört, von<br />
der zuweilen expressiv ausbrechenden Strenge des einen,<br />
von der maschinenhaft auftrumpfenden Dämonie des anderen<br />
Werkes etwas abbekommen, sei selbst ein Stück Neoklassizismus<br />
voll grenzüberschreitender Ausdrucksgehalte<br />
geworden. Mit überwältigender, farbensprühender Intensität<br />
spielte Kozhukhin auch die hier natürlich besonders<br />
passenden „Bilder einer Ausstellung“ von Mussorgsky – hier<br />
entwickelt sich eine Musikerpersönlichkeit, die gleich nach<br />
der großen, das Festival mit Proben ihrer unnachahmlichen<br />
Anschlagskunst eröffnenden Elisabeth Leonskaja dem „Klavierfieber“<br />
Glanz verlieh.<br />
65
W W ETTBEWERBE<br />
Zeichnung: Wolfgang Hülk<br />
Diese Liste erhebt keinerlei Anspruch auf<br />
Vollständigkeit. Alle Angaben ohne Gewähr.<br />
Die aufgeführten Wettbewerbe<br />
wurden so ausgewählt, dass bei<br />
Erscheinen dieser <strong>Ausgabe</strong> von<br />
PIANO<strong>News</strong> noch die Möglichkeit<br />
einer Bewerbung besteht.<br />
2012<br />
19. Januar – 4. Februar 2012<br />
Pretoria (Südafrika)<br />
12. Unisa International <strong>Piano</strong><br />
Competition<br />
Unisa International Music<br />
Competition<br />
PO Box 392, UNISA<br />
South Africa 0003<br />
Tel.: +27 / 12 / 429 33 44 / 33 36 /<br />
33 11<br />
Fax: +27 / 12 / 429 3644<br />
E-Mail: musicomp@unisa.ac.za<br />
www.unisa.ac.za/musicfoundation<br />
Altersbegrenzung: 30 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 31. August 2011<br />
24. Februar – 4. März 2012<br />
Orléans (Frankreich)<br />
10th International <strong>Piano</strong><br />
Competition Orléans<br />
O.C.I.<br />
46ter, rue Sainte Catherine<br />
45000 Orléans<br />
Frankreich<br />
Tel. & Fax: +33 / 6 / 38 62 89 22<br />
E-Mail: ocipiano@wanadoo.fr<br />
www.oci-piano.com<br />
Altersbegrenzung: 42 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 10. Dezember 2011<br />
26. Februar –17. März 2012<br />
Bremen (Deutschland)<br />
Europäischer<br />
Klavierwettbewerb Bremen<br />
Tel.: +49 / 4296 / 74 86 08<br />
Fax: +49 / 4296 / 74 86 07<br />
E-Mail: info@ekw-bremen.de<br />
www.ekw-bremen.de<br />
11.–21. März 2012<br />
Würzburg (Deutschland)<br />
8. Internationaler<br />
Klavierwettbewerb Johann<br />
Sebastian Bach<br />
Hochschule für Musik Würzburg<br />
Prof. Inge Rosar<br />
Höhenweg 197<br />
66133 Saarbrücken<br />
Tel.: +49 / 681 / 893 186<br />
E-Mail: info@bach-competition.de<br />
www.bach-competition.de<br />
Altersbegrenzung: 36 Jahre<br />
4.–18. Mai 2012<br />
Dublin (Irland)<br />
Dublin International <strong>Piano</strong><br />
Competition<br />
Dublin International <strong>Piano</strong><br />
Competition<br />
P. O. Box 71<br />
An Poist, Bray, Co. Wicklow<br />
Irland<br />
Tel.: +353 / 1 / 272 15 23<br />
Fax: +353 / 1 / 272 15 08<br />
E-Mail:<br />
dublinpianocomp@gmail.com<br />
www.dipc.ie<br />
1.–4. Juni 2012<br />
Gaillard (Frankreich)<br />
8. International Adilia Alieva<br />
<strong>Piano</strong> Competition<br />
Tel.: +33 450 39 67 13<br />
Fax: +33 450 39 79 38<br />
E-Mail:<br />
alievacompetition@yahoo.co.uk<br />
Altersbegrenzung:<br />
Kategorie 1: 14 bis 21 Jahre<br />
Kategorie 2: 22 bis 45 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 31. März 2012<br />
2.–12. Juni 2012<br />
Zürich (Schweiz)<br />
12. Concours Géza Anda<br />
Géza Anda-Stiftung<br />
Bleicherweg 18, CH-8002 Zürich<br />
Tel.: +41 44 205 14 23<br />
Fax: +41 44 205 14 29<br />
E-Mail: info.gezaanda.ch<br />
www.gezaanda.ch<br />
Altersbegrenzung: geboren nach<br />
dem 1. Juni 1980<br />
Anmeldeschluss: 29. Februar 2012<br />
18.–30. Juni 2012<br />
Salt Lake City (Utah, USA)<br />
Gina Bachauer International<br />
Junior & Young Artists <strong>Piano</strong><br />
Competitions<br />
Gina Bachauer International <strong>Piano</strong><br />
Foundation<br />
138 West 300 South<br />
Suite 220<br />
Salt Lake City, UT 84121 USA<br />
Tel.: +1 801 297 4250<br />
Fax: +1 801 521 9202<br />
E-Mail: info@bacuaer-com<br />
www.bachauer.com<br />
Altersbegrenzung:<br />
Junior <strong>Piano</strong> Competition:<br />
11–13 Jahre<br />
Young Artists <strong>Piano</strong> Competition:<br />
14–18 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 1. September 2011<br />
Juni 2012<br />
Moskau (Russland)<br />
Svjatoslav Richter<br />
International <strong>Piano</strong> Forum<br />
International <strong>Piano</strong> Forum<br />
Bolshaya Nikitskaya Str. 46/17,<br />
Bld. 1<br />
Moskau 121069<br />
Russland<br />
Tel.: +7 / 495-69 056 32<br />
Fax: +7 / 495-69 146 72<br />
E-Mail: info@richterforum.com<br />
www.richterforum.com<br />
keine Altersbegrenzung<br />
Anmeldeschluss: 15. Februar 2012<br />
25. Juli – 7. August 2012<br />
Santander (Spanien)<br />
International Santander <strong>Piano</strong><br />
Competition Paloma O’Shea<br />
Concurso Internacional de <strong>Piano</strong><br />
de Santander Paloma O’Shea<br />
Calle Hernán Cortés, 3<br />
E - 39003 Santander<br />
Tel.: +34 / 942 / 31 14 51<br />
Fax: +34 / 942 / 31 48 16<br />
E-Mail: concurso@albeniz.com<br />
www.concoursodepianodesantander.com<br />
Altersbegrenzung: 29 Jahre<br />
Anmeldeschluss:<br />
15. November 2011<br />
4.–12. August 2012<br />
Ettlingen (Deutschland)<br />
13. Internationaler<br />
Wettbewerb für junge<br />
Pianisten<br />
Musikschule der Stadt Ettlingen<br />
Pforzheimer Str. 25<br />
76275 Ettlingen<br />
Tel.: +49 / 7243 / 101-448, 101-312<br />
Fax: +49 / 7243 / 101-180<br />
E-Mail: info@pianocompetition.org<br />
www.pianocompetition.org<br />
Altersbegrenzung:<br />
Kategorie 1: bis 16 Jahre<br />
Kategorie 2: bis 21 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 30. April 2012<br />
29. August – 16. September 2012<br />
Leeds (Großbritannien)<br />
Leeds International <strong>Piano</strong>forte<br />
Competition<br />
Leeds International <strong>Piano</strong>forte<br />
Competition<br />
<strong>Piano</strong> Competition Office<br />
66 5 . 11
5 . 11<br />
W ETTBEWERBE<br />
The University of Leeds, Leeds, LS2 9JT<br />
United Kingdom<br />
Tel.: +44 / 113 / 244 6586<br />
E-Mail: pianocompetitioni@leeds.ac.uk<br />
www.leedspiano.com<br />
Altersbegrenzung: 30 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 1. Februar 2012<br />
13.–27. September 2012<br />
Helsinki (Finland)<br />
3. Helsinki International Maj Lind <strong>Piano</strong><br />
Competition<br />
The 4rd Helsinki International Maj Lind <strong>Piano</strong><br />
Competition<br />
P. O. Box 86<br />
00251 Helsinki<br />
Finnland<br />
Tel.: +44 / 113 / 244 6586<br />
E-Mail: anna-krohn@siba.fi<br />
www.siba.fi/majlind<br />
Altersbegrenzung: 30 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 15. Mai 2012<br />
17.–26. Oktober 2012<br />
Calgary (Kanada)<br />
Honens International <strong>Piano</strong> Competition<br />
Honens International <strong>Piano</strong> Competition<br />
888 Tenth Street SW<br />
Calgary Alberta T2P 2X1<br />
Kanada<br />
Tel.: +1 / 403 / 299 01 30<br />
Fax: +1 / 403 / 299 01 37<br />
E-Mail: info@honens.com<br />
www.honens.com<br />
Anmeldeschluss: 1. Februar 2012<br />
23. Oktober – 3. November 2012<br />
Odessa (Ukraine)<br />
V. International <strong>Piano</strong> Competition<br />
in Memory of Emil Gilels<br />
Odessa State A. V. Nezhdanova Music Academy<br />
63, Novoselskogo Str.<br />
65023 Odessa<br />
Ukraine<br />
Tel.: +380 / 48 / 777 37 96<br />
Fax: +380 / 48 / 72 678 76<br />
E-Mail: odma@online.ua<br />
www.music-academy.odessa.ua<br />
Altersbegrenzung: 16–30 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 1. Juli 2012<br />
November 2012<br />
Paris (Frankreich)<br />
Concours Long Thibaud<br />
Concours „Long Thibaud“<br />
32, avenue Matignon<br />
75008 Paris<br />
Frankreich<br />
Tel.: +33 / 1 / 42 66 66 80<br />
Fax: +33 / 1 / 42 66 06 43<br />
E-Mail: information@long-thibaud.com<br />
www.concours-long-thibaud.com<br />
Anmeldeschluss: Mai 2012
P P ROFI-TIPPS<br />
von: Ratko Delorko<br />
Liszt verwendet zwei Formen der Etüde: Das<br />
rein problemorientierte Werk, das ausschließlich<br />
ein isoliertes technisches Detail behandelt<br />
(12 Etüden oder „Technische Studien“), und<br />
die Konzertetüde, die für das Podium konzipiert<br />
ist und immer 3–5 technische Probleme<br />
hintereinander oder sogar gleichzeitig<br />
angeht, und dazu immer noch für weitere<br />
Überraschungen gut ist. Diese Literatur ist<br />
höchst komplex und lässt auch erfahrene<br />
Spieler gelegentlich ins Grübeln beim Üben<br />
kommen.<br />
„La Leggierezza“ bedeutet „Die Leichtigkeit“.<br />
Gemeint ist: Wer „drückt“ und auf<br />
„Power Play“ aus ist, hat verloren. Das Werk hat<br />
höchst Chopin’sche Züge. Die Konzertetüde beginnt<br />
mit einer improvisatorischen Introduktion<br />
„a cappriccio“, bevor sie auf das 1. Thema zusteuert.<br />
Noch ist überhaupt keine Eile angesagt, <strong>als</strong>o<br />
genießen Sie die Poesie. Bei der scheinbaren<br />
Auflösung des b-Moll-7-Akkordes in den C-Dur-7-9<br />
Takt 3-4 spielt der Gleitton F die zentrale<br />
Rolle. Um das schön „seufzen“ zu lassen,<br />
spiele ich bei diesem Mal das F mit dem<br />
Daumen der linken Hand, bei Lust und<br />
Laune auch etwas zeitversetzt.<br />
Ab dem „quasi Allegretto“ beginnt das Hauptthema,<br />
das uns noch lange durch die Etüde begleiten<br />
wird. Wichtig: Bitte nehmen Sie die linke Hand<br />
total zurück. Die Etüde ist noch auf dem Hammerflügel<br />
komponiert worden, der durch seine vokalen<br />
Register (parallele Besaitung, dazu parallel<br />
verlaufende Resonanzbodenbretter) das Problem<br />
der eventuell zu lauten linken Hand gar nicht erst<br />
entstehen lässt. Aber der moderne Flügel betont<br />
die Mittellage ganz besonders, daher die linke<br />
Hand einfach Pianissimo spielen und dann stimmt<br />
die Balance.<br />
Nun kann man schon ein bisschen die pianisti-<br />
Liszts „La Leggierezza“<br />
Da wir uns noch im Liszt-Jahr befinden, müsste ich eigentlich antizyklisch denken und nicht<br />
über Liszt schreiben. Bei meiner Jurytätigkeit im vergangenen Monat spielte praktisch jeder<br />
Teilnehmer Liszt. Komisch, nicht? Die „Hits“ waren „Mazeppa“, „Campanella“, „Chasse-<br />
Neige“ und natürlich die Dante-Sonate. Bis zu drei Mal am Tag. Keiner beschäftigte sich mit<br />
der „Leggierezza“. Ein Grund, um über genau diese Liszt-Etüde zu reden.<br />
schen Muskeln spielen lassen und ziemlich anziehen.<br />
In dem folgenden Rallantando wird alles wieder<br />
kompensiert und das Thema wird in Ruhe um<br />
eine Oktave nach oben versetzt.<br />
In der folgenden Sextenstelle wünscht sich Liszt<br />
ein Legato in beiden Stimmen. In der Mittellage<br />
fällt es besonders auf, wenn 3-4-5 binden und der<br />
Daumen in der Unterstimme durch die Gegend<br />
hüpft. In der oberen Oktave ist es nicht ganz so<br />
störend. Daher teile ich die As-Dur-Sexten in der<br />
Mittellage wie folgt:<br />
Die drei folgenden Achtel-Sechzehntelketten können<br />
in drei Etappen beschleunigt werden. Jede<br />
Kette lassen Sie wieder leise anfangen. Nun folgt<br />
die gleiche Sextenstelle in E-Dur. Eine Abnahme<br />
mit der linken Hand ist in meinen Augen hier akustisch<br />
nicht mehr nötig, da die Lage höher ist und<br />
wir von der Espressivo- auf die Appassionato-<br />
Ebene gewechselt sind. Schnell findet sich das „più<br />
agitato“ mit chromatischen Sexten aufwärts ein.<br />
Bitte achten Sie darauf, den Daumen am vorderen<br />
Ende der schwarzen Taste in Extension und am<br />
hinteren Ende der weißen Taste in Flexion anzusetzen.<br />
68 5 . 11
5 . 11<br />
Die anschließenden vielen kleinen Stichnoten<br />
„poco rinforzando“ (etwas verstärkend) knapp an<br />
den Tasten und mit wenig Tiefgang spielen. Das<br />
beidhändige Auslaufen dann wirklich Nonlegato<br />
durch das Anziehen der Fingerkuppe zum Handballen<br />
hin gestalten. Die beiden Decrescendo-<br />
Nadeln funktionieren nur, wenn Sie an deren Beginn<br />
punktuell etwas lauter sind.<br />
Die folgende Sechzehntel-Girlande lässt sehr<br />
geschickt das Hauptthema ahnen. Bitte spielen Sie<br />
extrem nahe an der Taste, die 10 mm Tiefgang<br />
allein rauben schon genug Zeit. Weil Sie entlasten<br />
wollen, spielen Sie mit leicht erhöhtem Handgelenk.<br />
Auf einem Hammerflügel aus der Zeit können,<br />
nein, müssen Sie höher auslösen (mehr Fingerdistanz<br />
zur Tasten). Nicht auf dem modernen<br />
Instrument. Die linke Hand verbannen Sie in den<br />
entfernten Hintergrund, allein der Basston reicht,<br />
um die Funktion zu definieren. In dem folgenden<br />
„con grazia“ haben Sie genug Zeit, um sich frei zu<br />
bewegen.<br />
Liszt unterscheidet aus der klassischen Schulung<br />
heraus immer noch sehr fein zwischen Legato- und<br />
Nonlegato-Strecken. Hier lösen Sie mit höherem<br />
Fingerspiel und auf 2-3 Tiefgang (damit früherem<br />
Dämpferschluss) hoch aus. Beachten Sie das keilförmige<br />
Staccato-Zeichen, das man oft bei Haydn<br />
findet. Das ist klein und gemein gedacht, „zickiger“<br />
<strong>als</strong> das <strong>als</strong> Punkt dargestellte Signal. Wichtig:<br />
Vorher endet der Bogen, daher mit frechem Patsch<br />
draufgesprungen. Allerdings steht das Signal am<br />
Ende eines massiven Crescendos und wird dadurch<br />
schon ziemlich massiv. Den modernen Flügel,<br />
der mit dickem Röslau-Stahl besaitet ist und<br />
seinen Hammerstielen aus 3 Millimeter Buche<br />
kümmert das nicht wesentlich, beim Hammerflügel<br />
reißen bei solchen Lautstärkespitzen gerne<br />
die Saiten aus Weicheisen, oder sogar der dünne<br />
Hammerstiel aus hartem, aber gerne splitterndem<br />
Mahagoni kann brechen. Kein Wunder, dass Liszt<br />
bis zu drei Instrumente am Abend verbrauchen<br />
konnte.<br />
Das Thema, wieder in As-Dur, erscheint im Gewand<br />
alternierender Legato-Sexten. Das „C“ liegt<br />
so weit ab vom Schuss, dass ein Legato unmöglich<br />
erscheint. Liszt verpasst deswegen der linken Hand<br />
eine Pause und man kann das „C“ bequem mit<br />
dem linken 2. Finger oder Daumen nehmen. Ein<br />
Paradebeispiel dafür, dass Komponisten die Musik<br />
P ROFI-TIPPS<br />
kompositorisch „richtig“ darstellen, aber das läuft<br />
mit der pianistischen Ausführung dann gelegentlich<br />
auseinander. Dies ist auch der Lerninhalt –<br />
musikalische Aussagen, wie ein Legato, lückenlos<br />
darzustellen.<br />
Es erscheint dabei verlockend, die Rotation des<br />
Unterarmes, im Volksmund „schütteln“ genannt,<br />
bei den Sexten anzuwenden. Da im engen Bereich<br />
schwarze und weiße Tasten hin- und herwechseln,<br />
ist für eine solche Hilfsbewegung<br />
nur minimaler Raum gegeben.<br />
Wenn zwei Takte später Ähnliches mit<br />
Oktave und Terz geschieht, ist mehr<br />
Raum dafür vorhanden. Dort nimmt die<br />
linke Hand in der Pause ebenfalls das „C-<br />
A“ ab.<br />
Das Arpeggio liegt aus dem Sprung heraus richtig<br />
unbequem. Abhilfe: Das „G“ mit dem 2. Finger der<br />
linken Hand nehmen, während der 4. Finger<br />
schon den Trillerton „Es“ spielt. Das Pedal erzeugt<br />
dann die richtige Länge.<br />
In der folgenden Stelle erwartet jeder, z. B. Juroren<br />
eines Wettbewerbs oder die Prüfungskommission,<br />
dass Sie die Ossia spielen, alles andere wäre Stadtranderholung.<br />
Deswegen habe ich die „leichte“<br />
Fassung verschwinden lassen. Damit gehört diese<br />
Stelle zu den größten anzunehmenden Gemeinheiten<br />
der Klavierliteratur und ist auf langfristiges<br />
und langsames Üben ausgerichtet – etwas, womit<br />
man am besten an langen Winterabenden beginnt,<br />
um im Frühjahr mit der ganzen Etüde anfangen<br />
zu können. Kein Witz. Das E-Dur-Sextenthema<br />
mit den chromatischen Terzen der rechten<br />
Hand zu kombinieren, ist schon recht ambitioniert<br />
…<br />
In den Terzen wird am Ende einer 2eroder<br />
3er-Gruppierung von schwarzen<br />
Tasten der 2. Finger zur weißen Taste gezogen.<br />
Bitte nur den Finger aus der Extension<br />
auf Schwarz in die Flexion auf<br />
Weiß ziehen. NICHT durch Erhöhung des<br />
Handgelenkes oder sogar mit dem Arm<br />
ziehen, das geht im Tempo verbindlich<br />
schief (s. folgende Seite).<br />
P<br />
69
P P ROFI-TIPPS<br />
Das folgende Stringendo spielt sich vergleichsweise<br />
angenehm. Achten Sie links darauf, den Daumen<br />
in Extension vorne auf die schwarze<br />
und in Flexion hinten auf die weiße Taste zu<br />
setzen. Dann: Den 4. Finger auf Schwarz,<br />
den 5. Finger auf Weiß nehmen (auch wenn<br />
das wieder für Diskussionsstoff sorgt) und<br />
die Oktaven aus dem Handgelenk, NICHT<br />
mit dem Unterarm, spielen. Warum? Weil<br />
Ihnen bei 3,5 kg gesundem Armgewicht die<br />
Trägheit der zu bewegenden Masse (Physik<br />
8. Klasse) einen Streich spielt.<br />
Presto. Bedeutet schnell, daher haben Sie<br />
hier überhaupt keinen Raum für hohes Fingerspiel.<br />
Beachten Sie die kleine Bindung und das folgende<br />
Staccato-Dreieck. Damit das hörbar bleibt,<br />
lasse ich es erst etwas ruhiger angehen und ziehe<br />
dann allerdings im Acclerando brutal an. Die<br />
Artikulation schreibt Liszt dann auch nicht mehr.<br />
Ab jetzt schwimmen wir in bekannten und „ruhigeren“<br />
Gewässern … Interessante Abwechslung<br />
und kompositorisch wunderhübsch gemacht: Dolcissimo<br />
in Fis7-H Quartsext. F-Moll und f-Moll Sekundakkord<br />
liegen, wie könnte es anders sein, wieder<br />
im Rausch der Geschwindigkeit – ein weiteres<br />
Accelerando liegt an und mündet in einer Des7-<br />
Terzenkette. Den Abgang davor splitte ich, ich<br />
liebe das so knackig, es muss natürlich nicht zwingend<br />
sein. Das Des in der linken Hand spiele ich<br />
mit dem Daumen auf Eins alleine und gewinne<br />
dadurch etwas Zeit, um auf der ersten Terz rechts<br />
ohne Unglück zu landen. Den Split in der Terzenkette<br />
liebe ich sehr, man kann das aber ohne weiteres<br />
konventionell einhändig machen (s. nächste<br />
Spalte oben).<br />
Das Girlanden-Thema gibt sich jetzt noch einmal<br />
die Ehre. Im Anschluss gibt es noch zu guter Letzt<br />
ein Schmankerl in Form einer Sextenkette. Wer<br />
früh bremst, ist feige … Dafür gibt es auch hier<br />
einen hübschen Split, der leidensfähigen Einhandpuristen<br />
die Haare zu Berge stehen lässt. Für mich<br />
zählt nicht einhändiges Heldentum, sondern das<br />
akustische Ergebnis. Daher spiele ich nicht den<br />
Helden, sondern teile.<br />
Der Kreis schließt sich mit dem Motiv der Introduktion,<br />
um im versöhnlichen F-Dur zu enden. Ein<br />
schöner, fast demütiger Schluss, der nach der ganzen<br />
Arbeit bescheiden nicht nach Beifall heischt.<br />
Für mich: „Die“ Liszt-Etüde.<br />
Viel Spaß beim Üben wünscht Ihnen Ihr<br />
Ratko Delorko<br />
70 5 . 11
K<br />
September<br />
Pierre-Laurent Aimard<br />
5. Berlin, Philharmonie (10785)<br />
Bob van Asperen<br />
1. Stuttgart<br />
Clemens Berg<br />
9. Hamburg,<br />
Bechstein Centrum (20095)<br />
Kristian Bezuidenhout<br />
10. Luzern (A)<br />
28. Köln, Philharmonie (50667)<br />
Yefim Bronfman<br />
1. Frankfurt a. M.,<br />
Alte Oper (60313)<br />
7. Grafenegg, Wolkenturm (A)<br />
Khatia Buniatishvili<br />
26. Elmau, Schloss (82493)<br />
Janina Fialkowska<br />
11. Marktoberdorf, Bayerische<br />
Musikakademie (87616)<br />
Hélène Grimaud<br />
2. Grafenegg, Wolkenturm (A)<br />
Menachem Har-Zahav<br />
4. Meiningen, Schloss<br />
Elisabethenburg (98617)<br />
10. Bad Langensalza,<br />
Friederikenschlösschen (99947)<br />
11. Bad Hersfeld,<br />
Stadthalle (36251)<br />
24. Schweich,<br />
Alte Synagoge (54338)<br />
Martin Helmchen<br />
2. Stuttgart<br />
3. Schwarzenberg (A)<br />
11. & 12. Osnabrück<br />
16. Witten<br />
17. Gütersloh<br />
18. Frankfurt a. M.<br />
20. Kiel<br />
21. Berlin<br />
Angela Hewitt<br />
3. St. Gallen (CH)<br />
Denis Kozhukhin<br />
16. Tübingen, Pfleghofsaal (72070)<br />
Alexander Krichel<br />
26. Coburg, Rosengarten (96450)<br />
Klavierduo Kutrowatz<br />
16. Trier, Rokokosaal Kurfürstliches<br />
Palais (54290)<br />
Dejan Lazic<br />
17. Bonn<br />
Elisabeth Leonskaja<br />
5. Hohenems, Angelika-<br />
Kauffmann-Saal (A)<br />
K ONZERTE<br />
Louis Lortie<br />
5. Schwerin (19053)<br />
Nikolai Lugasky<br />
27. Essen, Philharmonie (45128)<br />
Wolfgang Manz<br />
18. Aalen,<br />
Schloß Fachsenfeld (73434)<br />
Ana-Marija Markovina<br />
7., 14., 21. , 28.<br />
Bremen, Universität (28359)<br />
25. Olten (CH)<br />
Denis Matsuev<br />
29. & 30. Frankfurt a. M.,<br />
Alte Oper (60313)<br />
Alexander Melnikov<br />
18. Berlin, Radi<strong>als</strong>ystem (10243)<br />
Hannes Minnaar<br />
25. Köln, Philharmonie (50667)<br />
Pervez Mody<br />
9. Dresden,<br />
Lingner Schloss (01099)<br />
10. Berlin-Neukölln,<br />
Schloss Britz (12359)<br />
11. Leipzig<br />
16. München,<br />
Steinway-Haus (80687)<br />
Murray Perahia<br />
3. Redefin, Landgestüt (19230)<br />
7. Frankfurt a. M.,<br />
Alte Oper (60313)<br />
Cédric Pescia<br />
3. Weimar (99423)<br />
23. Lausanne (CH)<br />
30. Hamburg<br />
Maria João Pires<br />
2. & 11. Leipzig, Gewandhaus (04109)<br />
12. Bonn, Beethovenhalle (53111)<br />
14. Genf, Viktoria Hall (CH)<br />
17. Linz, Brucknerhaus (A)<br />
Hardy Rittner<br />
16. Krefeld, Burg Linn (47809)<br />
19. Leverkusen,<br />
Bayer Kulturhaus (51373)<br />
20. Wuppertal, Stadthalle (42103)<br />
21. Dormagen,<br />
Kreismuseum Zons (41541)<br />
Alexander Romanovsky<br />
18. Herdecke,<br />
Werner Richard Saal (58313)<br />
András Schiff<br />
4. Hohenems, Angelika-<br />
Kauffmann-Saal (A)<br />
18. Berlin, Philharmonie (10785)<br />
David Theodor Schmidt<br />
25. Bad Mergentheim, Deutsch-<br />
Ordensmuseum (97980)<br />
26. Plön, Kulturforum (24306)<br />
Martin Stadtfeld<br />
8. & 10. Schwarzenberg, Angelika-<br />
Kauffmann-Saal (A)<br />
13. Koblenz,<br />
Rhein Mosel Halle (56068)<br />
15. Leipzig, Gewandhaus (04109)<br />
17. & 18. Rudolstadt,<br />
Schloss Heiligsburg (07407)<br />
24. Königswinter, Steigenberger<br />
Grand Hotel (53639)<br />
Andreas Staier<br />
18. Köln, Philharmonie (50667)<br />
Yaara Tal & Andreas Groethuysen<br />
4. Traunstein (83278)<br />
Serra Tavsanli<br />
30. Hamburg,<br />
Bechstein Centrum (20095)<br />
Jean-Yves Thibaudet<br />
6. Köln, Philharmonie (50667)<br />
Nikolai Tokarev<br />
9. Basel, Stadtcasino (CH)<br />
22. Ingolstadt (85049)<br />
24. Bonn<br />
Francesco Tristano<br />
10. Wendorf,<br />
Atelier Ton Matton (19412)<br />
16. Berlin,<br />
Bechstein Centrum (10623)<br />
Mihaela Ursuleasa<br />
24. Bonn, Beethovenhalle (53111)<br />
Lars Vogt<br />
9. Saarbrücken<br />
25. & 26. Hamburg<br />
Oktober<br />
Nareh Arghamanyan<br />
11. Hannover<br />
15. Alzenau<br />
16. Ludwigshafen<br />
Kit Armstrong<br />
25. Köln, Philharmonie (50667)<br />
Werner Bärtschi<br />
22. Zürich, Tonhalle (CH)<br />
Giovanni Bellucci<br />
20. Bad Reichenhall,<br />
Kurhaus (83435)<br />
Um Ihnen das Auffinden der Orte in Ihrer persönlichen Nähe zu erleichtern,<br />
haben wir die Postleitzahlen der Auftrittsorte in Klammern gesetzt,<br />
damit Sie sich leichter (vor allem bei kleineren Orten) orientieren können.<br />
Wie immer sind alle Angaben ohne Gewähr.<br />
72 5 . 11
5 . 11<br />
Rafal Blechacz<br />
14. Dortmund,<br />
Konzerthaus (44135)<br />
17. Berlin,<br />
Evgeni Bozhanov<br />
14. Düsseldorf, Tonhalle (40479)<br />
Khatia Buniatishvili<br />
1. Frankfurt<br />
2. Linz (A)<br />
3. Villach (A)<br />
5. Bregenz (A)<br />
22. Grafenfort, Herrenhaus (CH)<br />
24. Wien, Konzerthaus (A)<br />
Angelina Gadeliya<br />
23. Bad Reichenhall,<br />
Kurhaus (83435)<br />
Kemal Gekic<br />
28. Berlin,<br />
Bechstein Centrum (10623)<br />
Grau-Schumacher <strong>Piano</strong>Duo<br />
24. & 27. Bad Reichenhall,<br />
Kurhaus (83435)<br />
Hélène Grimaud<br />
15. Essen, Philharmonie (45128)<br />
Francois-Frédéric Guy<br />
22. Bad Reichenhall,<br />
Kurhaus (83435)<br />
Menachem Har-Zahav<br />
9. Rösrath, Schloss<br />
Eulenbroich (51503)<br />
16. Velbert-Neviges, Vorburg Schloss<br />
Hardenberg (42553)<br />
22. Bielefeld,<br />
Rudolf-Oetker-Halle (33615)<br />
30. Stadtallendorf,<br />
Stadthalle (35315)<br />
Martin Helmchen<br />
22. Bruchsaal<br />
23. Gernsbach<br />
Igor Kamenz<br />
22. Freiburg (79110)<br />
Kevin Kenner<br />
2 Warburg, Aula Gymnasium<br />
Marianum (34414)<br />
8. Wildeshausen,<br />
Musikschule (27793)<br />
Evgeni Koroliov<br />
9. St. Gallen (CH)<br />
16. Neuss, Zeughaus (41460)<br />
Lang Lang<br />
5. Köln, Philharmonie (50667)<br />
Elisabeth Leonskaja<br />
16.–18. Köln, Philharmonie (50667)<br />
Igor Levitt<br />
8. Hohenems,<br />
Markus-Sittikus-Saal (A)<br />
K ONZERTE<br />
22. Frankfurt a. M.,<br />
Alte Oper (60313)<br />
23. Grafenfort, Herrenhaus (CH)<br />
Paul Lewis<br />
2. Hohenems,<br />
Markus-Sittikus-Saal (A)<br />
Louis Lortie<br />
9. Hohenems,<br />
Markus-Sittikus-Saal (A)<br />
Oleg Maisenberg<br />
6. Hohenems,<br />
Markus-Sittikus-Saal (A)<br />
Wolfgang Manz<br />
7. Zittau, Rathaus (02763)<br />
25. Nürnberg,<br />
Heilig Geist Saal (90403)<br />
Ana-Marija Markovina<br />
7., 14., 21., 28.<br />
Bremen, Universität (28359)<br />
25. Olten (CH)<br />
Pervez Mody<br />
9. Frankfurt a. M., Internationales<br />
Theater (60314)<br />
16. Bad Kreuzach, Kurhaus (55545)<br />
Gabriela Montero<br />
23. Essen, Philharmonie (45128)<br />
Olli Mustonen<br />
17. Karlsruhe, Konzerthaus (76137)<br />
18. Pullach, Bürgerhaus (82049)<br />
20. Lörrach,<br />
Burghof Lörrach (79539)<br />
Alice Sara Ott<br />
27. & 28. Essen, Philharmonie (45128)<br />
Cédric Pescia<br />
3. Genf (CH)<br />
11. Wien (A)<br />
Murray Perahia<br />
1. Regensburg<br />
4. Essen, Philharmonie (45128)<br />
6. Bonn, Beethovenhalle (53111)<br />
Ivo Pogorelich<br />
21. Zürich, Tonhalle (CH)<br />
Denys Proshayev<br />
21. Düsseldorf,<br />
Bechstein Centrum (40212)<br />
Fazil Say<br />
6. München,<br />
Prinzregententheater (80539)<br />
Olga Scheps<br />
10. Leverkusen,<br />
Bayer Kulturhaus (51373)<br />
11. Wuppertal, Stadthalle (42103)<br />
András Schiff<br />
23. Frankfurt a. M.,<br />
Alte Oper (60313)<br />
David Theodor Schmidt<br />
4. Meschede, Stadthalle (59872)<br />
Herbert Schuch<br />
9. Hohenems,<br />
Markus-Sittikus-Saal (A)<br />
17. Salzburg, Mozarteum (A)<br />
Lauma Skride<br />
2. Essen<br />
Martin Stadtfeld<br />
9. Kiel, Schloss (24103)<br />
10. Wilhelmshaven (26382)<br />
12. Köln, Philharmonie (50667)<br />
Hans-Peter & Volker Stenzl<br />
24. Stuttgart<br />
Klavierduo Tal-Groethuysen<br />
7. Olpe (57462)<br />
17. Heilbronn (74072)<br />
22. München, Pinakothek der<br />
Moderne (80333)<br />
Nikolai Tokarew<br />
7., 9. & 10.<br />
Düsseldorf, Tonhalle (40479)<br />
18. & 19. Berlin, Philharmonie (10785)<br />
20. Dortmund,<br />
Konzerthaus (44135)<br />
21. Hamburg, Laeiszhalle (20355)<br />
22. Düsseldorf, Tonhalle (40479)<br />
23. Köln, Philharmonie (506679<br />
Stefan Vladar<br />
28. & 29. Duisburg,<br />
Philharmonie (47051)<br />
Lars Vogt<br />
1. Weißenburg<br />
2. Nürnberg<br />
7. Hohenems,<br />
Markus-Sittikus-Saal (A)<br />
Alexei Volodin<br />
9. & 10. Frankfurt am Main<br />
Arcadi Volodos<br />
8. Bonn, Beethovenhalle (53111)<br />
20. München,<br />
Prinzregententheater (81675)<br />
22. Raiding,<br />
Franz Liszt Konzertsaal (A)<br />
24. Wien, Musikverein (A)<br />
26. Raiding,<br />
Franz Liszt Konzertsaal (A)<br />
27. Graz, Musikverein für<br />
Steiermark (A)<br />
Ingolf Wunder<br />
8. Hohenems,<br />
Markus-Sittikus-Saal (A)<br />
22. Zürich, Tonhalle (CH)<br />
31. Hamburg<br />
Paul Ye<br />
20. Olpe, Rathaus (57462)<br />
K<br />
73
P P ÄDAGOGIK<br />
Eine Klavierschule für hochmotivierte Zeitgenossen mit wenig Zeit<br />
Mike Cornick im Gespräch über „<strong>Piano</strong> Coach“<br />
Gut geschriebene, unterhaltsame<br />
und pfiffige Klavierliteratur, die<br />
das Angenehme mit dem Nützlichen<br />
zu verbinden weiß, gab es zu<br />
allen Zeiten: Man denke nur an Bachs<br />
instruktive „Clavierbüchlein“ für Anna<br />
Magdalena und Wilhelm Friedemann.<br />
Namen wie Friedrich Burgmüller und<br />
Stephen Heller kommen einem in den<br />
Sinn, Cornelius Gurlitt natürlich und<br />
Béla Bartók. Ihren Kompositionen ist<br />
gemeinsam, dass sie unterhalten und<br />
bilden sollen. Der Anfänger am Klavier<br />
soll an die Musik (oder einen bestimmten<br />
Stil) herangeführt werden, ohne<br />
gleich vor allzu großen technischen<br />
Schwierigkeiten kapitulieren zu müssen.<br />
Die Kunst des Komponisten solcher<br />
Stücke besteht nun darin, die richtige<br />
Mischung zu finden. Einer, dem diese<br />
Mischung immer wieder aufs Neue<br />
gelingt, ist der 1947 geborene englische<br />
Komponist Mike Cornick. An den Musikschulen<br />
Ihrer Majestät gehören seine<br />
jazzinspirierten Stücke seit Jahrzehnten<br />
zum Pflichtprogramm für Prüfungen<br />
und Schülerkonzerte. Und auch<br />
auf dem Kontinent werden seine Stücke<br />
von Schülern und Lehrern dankbar<br />
angenommen. Kompositorisch bewegt<br />
sich Cornick dabei immer auf sicherem<br />
Pfad – seine Klaviermusik liegt hervorragend<br />
in der Hand, stellt sanfte Herausforderungen<br />
– und klingt nach Jazz,<br />
ohne sich verbiegen zu müssen.<br />
Klaviermusik ist freilich nicht sein<br />
einziges Steckenpferd. Seit einigen Jahren<br />
schreibt Cornick gemeinsam mit<br />
seinem Kollegen James Rae sehr erfolgreiche<br />
Kindermusic<strong>als</strong> für Schulaufführungen.<br />
Vier Stück sind bislang erschienen:<br />
„Ali Baba“, „Cinderella Jones“,<br />
„Jack!“ und das Weihnachtsmusical<br />
„The Santa Special“. Auch darüber ha-<br />
be ich mich mit ihm unterhalten. Lesen<br />
Sie mehr darüber in meinem Blog<br />
(meisterrarus.blogspot.com).<br />
Ich habe mich mit Mike Cornick auf<br />
der Frankfurter Musikmesse am Stand<br />
seines Verlages verabredet, um über<br />
seine neue Klavierschule „<strong>Piano</strong><br />
Coach“ zu sprechen. Es ist neun Uhr<br />
morgens und in der riesigen Messehalle<br />
ist es noch einigermaßen ruhig.<br />
Cornick ist am Vorabend aus London<br />
angereist, er trägt den dunklen Pullover,<br />
der so etwas wie sein Markenzeichen<br />
ist und ihm eine sehr britische<br />
Aura verleiht. Wir bekommen Kaffee<br />
und Kekse, nehmen Platz und reden<br />
zunächst über seine eigenen Anfänge<br />
am Klavier.<br />
Mike Cornick: Ich habe mit sieben Jahren<br />
angefangen Klavier zu spielen, bin<br />
jeden Samstag zum Unterricht gegangen<br />
und habe mich in der klassischen<br />
Musik langsam hochgearbeitet. Und<br />
ich erinnere mich, dass ich, da war ich<br />
vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt,<br />
die Art, wie der Lehrer die Akkorde behandelte<br />
– Substitutionen, Reharmonisierungen<br />
– mich sofort fasziniert hat.<br />
Ich wusste, das ist etwas völlig anderes<br />
<strong>als</strong> das, was ich bislang aus meinem<br />
Unterricht kannte. Und dann hat mir<br />
jemand eine Platte von George Shearing<br />
vorgespielt und sein Klavier-<br />
Sound, dieser ganz spezielle „close harmony“-Satz<br />
mit den parallelen Oktaven,<br />
hat mich sofort in seinen Bann<br />
geschlagen. Das wollte ich auch spielen.<br />
Ich habe <strong>als</strong>o meinem Lehrer und<br />
meinen Eltern verkündet, dass ich<br />
nicht mehr zum Unterricht gehen würde.<br />
Manuel Rösler: Was geschah dann?<br />
Von: Manuel Rösler<br />
“Mike Cornick ...<br />
I think he’s the best<br />
jazzy composer around …”<br />
John York, 2005<br />
Mike Cornick: Ich habe auf eigene<br />
Faust weitergemacht, mir unendlich<br />
viele Jazz-Platten gekauft und sie immer<br />
wieder laufen lassen, bis ich herausgefunden<br />
hatte, wie man diese Musik<br />
spielt. Und um ehrlich zu sein, ich<br />
hatte keine Ahnung, wie man diese Akkorde<br />
nannte – Am7 oder As-Dur –,<br />
aber ich wusste, wie sie klingen und<br />
wie man sie spielte. Ich habe mir <strong>als</strong>o<br />
das Meiste selbst beigebracht. Und das<br />
schafft eine Verbindung zu „<strong>Piano</strong><br />
Coach“ …<br />
Manuel Rösler: … das sich ganz gut für<br />
das Selbststudium eignet, wie mir scheint?<br />
Mike Cornick: Ja – das ist auch der<br />
Grund dafür, warum das Heft so viel<br />
Text enthält. Ich unterrichte viele Erwachsene,<br />
die mir sagen: „Ich wünschte,<br />
ich hätte nie aufgegeben, ich hätte weitermachen<br />
sollen. Jetzt ist es so schwer, wieder<br />
reinzukommen. Ich habe alles vergessen.“<br />
Und diese Menschen sind hochmotiviert<br />
und bereit, hart zu arbeiten –<br />
aber sie haben einfach nicht die Zeit,<br />
regelmäßig zum Klavierunterricht zu<br />
gehen. Und „<strong>Piano</strong> Coach“ soll dabei<br />
helfen, wieder ins Spiel zu kommen,<br />
sich wieder an seine Fähigkeiten zu erinnern<br />
– oder sogar ganz von vorne zu<br />
beginnen.<br />
Manuel Rösler: Würden Sie sagen, man<br />
kann sich das Klavierspielen auch ohne<br />
Lehrer beibringen, zum Beispiel nur mit<br />
dem „<strong>Piano</strong> Coach“?<br />
Mike Cornick: Nun, wir wissen alle,<br />
dass man ohne einen Lehrer nicht<br />
wirklich weit kommt. Aber das ist natürlich<br />
eine Idealvorstellung. Aber wir<br />
leben nicht in einer idealen Welt. Wir<br />
74 5 . 11
5 . 11<br />
P ÄDAGOGIK<br />
leben in einer Welt, in der die Leute manchmal ihre Dinge selbst in<br />
Angriff nehmen wollen. Und für die wollten wir etwas tun. Ich habe<br />
vor einigen Jahren erwachsene Klavierschüler auf die zentralen<br />
Musikprüfungen vorbereitet, und zwar mit meinen Klavierstücken,<br />
die normalerweise von Kindern gespielt werden. Man sollte meinen,<br />
dass Erwachsene diese Musik nicht mehr spielen wollen, aber das<br />
Gegenteil war der Fall. Diese Erwachsenen haben einen solchen<br />
Enthusiasmus und Arbeitswillen gezeigt, wie man es bei Kindern nur<br />
selten findet. Sie haben eigentlich keine Vorurteile gegenüber der<br />
Musik, die sie spielen sollen – sie wollen wirklich lernen. Wir haben<br />
<strong>als</strong>o versucht, einen Kompromiss zu finden. Wir beginnen wirklich<br />
ganz am Anfang, mit abgeschlossenen Kapiteln, die man auch separat<br />
behandeln kann. Der andere Aspekt ist: Wir bieten den Lesern<br />
aber auch ein begleitendes Gehörbildungstraining auf CD, außerdem<br />
Play-along-Tracks und Aufnahmen aller Übungsstücke und versuchen<br />
damit, die Aufgaben des Lehrers ein Stück weit zu ersetzen.<br />
Mike Cornick<br />
<strong>Piano</strong> Coach – Die Klavierschule für Anfänger und Wiedereinsteiger<br />
Universal Edition UE 34991<br />
EUR 19,95<br />
Mit „<strong>Piano</strong> Coach“ stellt Mike Cornick ein<br />
dynamisches Lehrwerk vor, das in die<br />
Grundlagen des Klavierspiels einführt oder<br />
diese wieder auffrischt. Ganz nach dem<br />
Prinzip „musizierend lernen” werden die vermittelten<br />
Kenntnisse in den klug arrangierten<br />
und abwechslungsreichen Spielstücken<br />
direkt umgesetzt. Die Schule eignet sich sowohl<br />
für jugendliche wie erwachsene Anfänger<br />
und Wiedereinsteiger, für das Selbststudium<br />
oder den Klavierunterricht. Eine CD<br />
mit Play-Along-Tracks und einem Gehörbildungstraining<br />
ergänzt den 84 Seiten starken Band und wem die 54<br />
Übungsstücke aus der Feder des Autors nicht reichen, der kann sich<br />
auf der Verlagshomepage noch mehr <strong>herunterladen</strong>.<br />
P<br />
Irene Vogt-Kluge / Dorothee Graf /<br />
Jutta Schwarting<br />
Klaviergarten – vom Spiel zum Klavierspiel<br />
Anregungen und Material für den Klavierunterricht mit<br />
Kindern ab 4 Jahren<br />
Edition ConBrio ECB 6103<br />
EUR 17,80<br />
„Alle drei Autorinnen leben und arbeiten in Freiburg. Zusammen<br />
verfügen sie über weit mehr <strong>als</strong> 100 Jahre Unterrichtserfahrung“<br />
weiß der Klappentext zu berichten. Da schnalzt man respektvoll<br />
mit der Zunge und sieht sich die Neuerscheinung<br />
aus der Edition ConBrio noch einmal etwas genauer an.<br />
Auf den ersten Blick ähnelt der „Klaviergarten“ eher einem<br />
Bilderbuch <strong>als</strong> einer Klavierschule: Doppelseitige Illustrationen,<br />
die an die schon zu meiner Kindheit beliebten<br />
Wimmelbilder erinnern<br />
(mit forschem Pinselstrich:<br />
Greta Moll), wenig Text und<br />
vor allem – keine Noten. Mit<br />
denen könnte die ins Visier<br />
genommene Zielgruppe der<br />
Vorschulkinder auch vermutlich<br />
wenig anfangen.<br />
Jedes der 15 Bilder illustriert<br />
ein anderes Thema:<br />
Da gibt es eine „Geisterstunde“,<br />
einen Ausflug in<br />
den Tierpark oder auf den<br />
Bauernhof, Märchenerzählungen<br />
und Zauberstunden,<br />
es wird auf dem Sportplatz<br />
getobt und Kindergeburtstag<br />
gefeiert. Und jedes Mal<br />
ist die Fantasie der Kinder gefordert. Mal verwandelt sich<br />
das Klavier in ein Geisterschloss, ein tiefer Ton wird zur<br />
Turmuhr, die schwarzen Tasten zur Schlosstreppe und<br />
wenn man das Pedal vorsichtig niederdrückt oder in den<br />
Innenraum des Klaviers hineinruft, dann ertönen unheimliche<br />
Klänge … Auf spielerische Weise wird so ein Bewusstsein<br />
für die Beziehung zwischen Bild und Klang geweckt.<br />
Auf einigen Bildern sind sogar Spielfelder wie beim<br />
Mensch-ärger-dich-nicht angebracht, auf denen der Schüler<br />
würfelnd voranschreiten muss, bis er wieder in die Nähe<br />
einer Geräuschquelle kommt, die er auf dem Klavier<br />
darstellen soll. Auf anderen Seiten müssen Zaubersprüche<br />
im selben Rhythmus gesprochen und gespielt werden.<br />
Oder Töne auf der Tastatur gesucht werden, die auch im<br />
Bild zu sehen sind. Und zur Belohnung darf man sich einen<br />
der vielen bunten Aufkleber in sein Heft kleben – zum Beispiel<br />
ein Schaf, das sich in die Herde auf der Weihnachtsseite<br />
einreiht, wenn der Schüler die Weihnachtsgeschichte<br />
nur mit Klängen und Tönen erzählt hat.<br />
Der Clou freilich ist der 32 Seiten starke Lehrerkommentar,<br />
der für jedes der 15 Bilder einen ganzen Sack voller Tipps<br />
und Tricks bietet, die so praxiserprobt und handfest sind,<br />
dass man sich sofort einen Fünfjährigen schnappen und<br />
loslegen will. Besonders hilfreich sind dabei die ausgefeilten<br />
Unterrichtsverläufe, in denen von der Begrüßung bis<br />
zur Verabschiedung der Kinder jeder Schritt vorausgedacht<br />
und sowohl didaktisch <strong>als</strong> auch pädagogisch unterfüttert<br />
wird. Dabei wird der Lehrer keineswegs gegängelt – wer jedoch<br />
in der Woche ein Dutzend Stunden vorbereiten muss,<br />
wird für die Handreichung dankbar sein. Ein Unterrichtsjahr<br />
lässt sich damit locker füllen – schließlich werden die<br />
Kinder viele der schönen Seiten oft wiederholen wollen.<br />
75
M<br />
M USIKSCHULE<br />
Schuljahresrückblick<br />
Wer ist am besten vorangekommen?<br />
Langsam beginne ich, meine „Zeugnisse““ zu schreiben - ein schriftlicher Rückblick über das vergangene<br />
Schuljahr, in dem ich festhalte, was für Literatur verwendet wurde, was gut gelaufen ist, und <strong>als</strong> Ausblick:<br />
woran wir im nächsten Schuljahr besonders arbeiten müssen. Ich muss mich sehr anstrengen, um pro<br />
Schüler eine DIN-A4-Seite nicht zu überschreiten, denn schließlich haben die Eltern mehr zu tun, <strong>als</strong><br />
Beobachtungen, die für mich so bedeutsam sind, zu lesen …<br />
von: Martina Sommerer<br />
Natürlich bleibt es nicht aus, dass man im Kopf Quervergleiche<br />
zieht, auf Erfahrungswerte zurückgreift<br />
oder einfach die aktuellen Schüler miteinander vergleicht.<br />
In diesem Fall, und wenn es nur in meinem Kopf<br />
bleibt, hat es ja nichts Destruktives. Und ich bin jedes Jahr<br />
wieder auf der Suche nach DEM Rezept, nach DEM Wundermittel,<br />
um Kinder möglichst schnell und effektiv fit zu<br />
machen auf dem Klavier. Ich glaube, dieses Jahr bin ich ihm<br />
ein bisschen auf die Spur gekommen. Allerdings ist es kein<br />
Zaubertrank, den man den Kindern auf die Finger sprühen<br />
könnte, sondern es ist eine in der heutigen Zeit seltene Eigenschaft,<br />
die die Schüler schon in sich haben müssen: Demut.<br />
Vergangenen Herbst haben zwei Siebzehnjährige bei mir<br />
angefangen. Das ist extrem spät. Bis auf wenige noch später<br />
berufene Erwachsene hatte ich noch nie so „alte“ Anfänger,<br />
doch beide schienen so motiviert und hatten so sehr den<br />
Wunsch, Klavier zu spielen, dass ich zustimmen musste.<br />
Natürlich habe ich mir den Kopf zerbrochen, mit welcher Literatur<br />
wir beginnen. Auch wenn sie vielleicht schon Noten<br />
im Violinschlüssel lesen konnten und sich generell mehr auskannten<br />
<strong>als</strong> Sechsjährige, wollte ich nicht zu viel voraussetzen<br />
und vor allem keine wichtigen Schritte auslassen. Und<br />
so entschied ich mich mit halb schlechtem Gewissen für Kinder-Klavierschulen<br />
– einmal für „Mein erstes Jahr Klavierunterricht“,<br />
weil es von einer Freundin vorhanden war, einmal<br />
für die „Klavierboutique“, weil die immerhin etwas<br />
schneller vorangeht. Wie gesagt, ich kam mir selbst etwas<br />
komisch dabei vor, ausgewachsene Jugendliche, die Führerschein<br />
machen und leider noch nicht erwachsen genug<br />
sind, um nicht zu rauchen, mit diesen Babyschulen mit bun-<br />
Foto: Martina Sommerer<br />
ten Bildchen zu konfrontieren. Aber es war ein guter Weg,<br />
und beide haben sich mit sehr wenig Grummeln diesem<br />
Vorschlag unterworfen und ganz ernsthaft die Grundlagen<br />
gelernt und geübt. Zusammen mit den Burnam-Übungen,<br />
meinen eigenen Fünfton-Übungen und später Tonleitern<br />
hatten wir nach drei, vier Monaten eine gute Basis, um<br />
begleitend zur Klavierschule mit etwas spannenderen kleinen<br />
Stücken zu beginnen. Inzwischen sind sie bei leichteren<br />
Chopin-Walzern und -Préludes angelangt, spielen Satie und<br />
Burgmüller, natürlich „River flows in you“ und Yann Tiersen<br />
rauf und runter. Der eine hat beim Sommerkonzert wunderschön<br />
den ersten Satz der „Mondscheinsonate“ gespielt,<br />
aber so, <strong>als</strong> würde er schon mehrere Jahre spielen und nicht<br />
nur Monate. Und ich bin überzeugt: Das Geheimnis liegt bei<br />
beiden in ihrer demütigen Grundhaltung. Darin, zu beschließen:<br />
Ich durchlaufe im Schnelldurchgang, aber Schritt<br />
für Schritt und ohne etwas auszulassen, diese ganze Prozedur<br />
und bin nicht zu cool für Babystücke. Ich verlasse mich<br />
drauf, dass die Lehrerin weiß, was gut für mich ist, und<br />
mache das einfach, egal, wie blöd es im Moment klingt.<br />
Das andere Extrem hatte ich leider viel, viel öfter, seit ich<br />
unterrichte: Schüler, die sich zu gut sind für eine Klavierschule.<br />
Die nach kürzester Zeit mit eselsohrigen Raubkopien<br />
ankommen und nach einem Jahr „Für Elise“, die „Sonata<br />
facile“ oder gleich ein Chopin-Nocturne spielen wollen und<br />
alle Zwischenschritte oder technischen Übungen <strong>als</strong> sinnlose<br />
Zeitverschwendung ansehen. Eltern, die mir vorrechnen,<br />
dass eine Freundin der Kleinen nach vier Jahren aber dieses<br />
oder jenes Stück gespielt habe und ihr Kind jetzt gefälligst<br />
auch soll. Eltern, die ungebeten gleich mal Noten kaufen<br />
und erwarten, dass es so funktioniert. Kurz: Leute, die pushen<br />
und denken, dass man mit Gewalt schneller vorankommt<br />
und Klavierspielen an einem einzigen<br />
Stück lernen kann.<br />
Ich merke erst jetzt, wie „erwachsen“ und reif meine<br />
grade noch nicht volljährigen Anfänger dieses<br />
Jahr sind. Wie viel Weisheit sie zeigen, indem sie<br />
demütig alles gemacht haben, was ich verlangte.<br />
Dass sie, frei nach Pascal Mercier, nicht tanzen wollten,<br />
bevor sie laufen konnten. Und wie viel Energie<br />
freigesetzt wird, wenn sie eine gutgelaunte Lehrerin<br />
haben, die zufrieden ist, weil alles nach ihrer Pfeife<br />
tanzt und keine kräfteraubenden Grundsatzdiskussionen<br />
stattfinden müssen … So eine von gegenseitigem<br />
Vertrauen geprägte Unterrichtssituation ist sicher der<br />
Idealfall. Doch wenn ich im Rückblick feststelle, dass<br />
das Lernen wie im Zeitraffer stattfinden kann und<br />
man im Lauf eines Jahres dahin kommen kann, wofür<br />
andere sieben Jahre benötigen, dann frage ich<br />
mich: Warum sollte man sich mit weniger zufrieden<br />
geben? Wenn man <strong>als</strong> Lehrer merkt, dass aus irgend-<br />
76 5 . 11
5 . 11<br />
M USIKSCHULE<br />
einem Grund Sand im Getriebe ist und es menschlich einfach<br />
nicht so läuft, wie es könnte, hat man eigentlich die<br />
Verpflichtung, das anzusprechen und eine Lösung zu suchen.<br />
Es gibt für jeden den passenden Lehrer, und man sollte<br />
keine Schüler an sich binden, die bei jemand anders vielleicht<br />
besser vorankommen könnten.<br />
Wem konnte ich nicht helfen?<br />
Neben einzelnen erfreulichen Schnellstartern und vielen<br />
solide, aber langsam und „normal“ lernenden Schülern gibt<br />
es auch in jedem Jahr Fälle, die mir schonungslos meine<br />
Grenzen aufzeigen und mich ratlos machen. Damit meine<br />
ich nicht Kinder, die einfach nicht geeignet sind zum Klavierspielen<br />
oder die keine Lust haben, sondern solche, die<br />
aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten oder Lernstörungen<br />
eine Sonderbehandlung bräuchten. Ich schreibe bewusst<br />
„bräuchten“, denn ich weiß immer noch nicht, wie die aussehen<br />
sollte. Leider bin ich weder durch Studium noch durch<br />
Erfahrung in irgendeiner Weise befähigt, solchen Kindern zu<br />
helfen. An der Hochschule haben wir durchaus etwas über<br />
„Frühförderung von Hochbegabten“ gehört, doch Kinder mit<br />
Konzentrationsschwächen oder motorischen Auffälligkeiten<br />
wurden nicht mal am Rande gestreift – sie existierten vor<br />
vierzehn Jahren einfach gar nicht. Oder es wurde nicht<br />
davon ausgegangen, dass das unsere Klientel sein würde.<br />
Von einer kleinen Fortbildung abgesehen bin ich überhaupt<br />
nicht auf diese besonderen Fälle vorbereitet. Ehrlich gesagt<br />
finde ich es auch paradox, ein Kind, das absolut nicht stillsitzen<br />
kann, dazu zu verdonnern, genau das zu tun und dabei<br />
auch noch Klavier zu spielen. Bei diesen Kandidaten habe<br />
ich immer sehr viel mehr oder weniger versteckten Widerstand<br />
gespürt und für mich gedacht, dass das Kind wesentlich<br />
glücklicher und gelöster wäre, wenn es draußen<br />
springen dürfte oder statt Musikunterricht irgendeinen Auspowersport<br />
belegen dürfte. Obwohl es mich interessiert und<br />
ich mich gerne mit gezielt dafür Ausgebildeten unterhalte,<br />
habe ich mit gutem Grund nicht Psychologie oder Sonderpädagogik<br />
oder Musiktherapie studiert, sondern „nur“ Instrumentalpädagogik.<br />
Deshalb fühle ich mich nicht verpflichtet,<br />
auch für Zappelphilippe das Geheimrezept zu wissen. Es gibt<br />
genug Kollegen, die adäquat dafür ausgebildet sind, und<br />
mir ist durchaus bewusst, wo meine Kompetenzen enden.<br />
Trotzdem werde ich im Alltag immer wieder mit verhaltensauffälligen<br />
Kindern konfrontiert. Leider erwähnen viele<br />
Eltern solche Probleme gar nicht aus Angst, ihr Kind würde<br />
gleich abgewiesen oder in eine Schublade gesteckt. Dabei<br />
würden sie ihrem Kind so einen großen Gefallen tun, wenn<br />
ich sie gleich an jemand anderen verweisen könnte, der<br />
musiktherapeutisch oder früherziehungstechnisch ausgebildet<br />
ist, und würden uns allen eine Menge Stress ersparen!<br />
Meistens dauert es Wochen, bis ich merke, dass es nicht<br />
ganz so rund läuft, und noch mal Tage, in denen ich überlege,<br />
wie ich das heikle Thema anschneiden könnte – und<br />
dann wissen die Eltern längst, unter welchen abgekürzten<br />
Buchstaben ihr Kind leidet, und erzählen mir von Testergebnissen<br />
und Therapieversuchen und dass immer wieder<br />
betont wurde, wie gut Klavierspielen für das Rechts-Links-<br />
Problem oder die Konzentrationsfähigkeit oder das Stillsitzen<br />
sei. Dass ich dann oft am Ende meiner Geduld und selber<br />
therapiereif bin, fällt nicht so ins Gewicht … Was ich mit<br />
meinen Schülern vorhabe, setzt gerade dieses Konzentrationsvermögen<br />
voraus und ist so spezialisiert und oft auch<br />
kompliziert, dass sich Normalbegabte schon manchmal<br />
schwertun.<br />
Leider habe ich weder eine Orff- noch Dalcroze-Ausbildung<br />
und schreibe auch nirgendwo in meiner Website, dass<br />
ich die geeignete Anlaufstelle für elementare Musik wäre.<br />
Trotzdem erwarten die Eltern, ich könnte ihr Kind in seiner<br />
allgemeinen Entwicklung auch in dieser Hinsicht unterstützen.<br />
Ich habe es auch mit viel gutem Willen versucht. Möglicherweise<br />
hat es in ein paar Fällen einen positiven Nebeneffekt<br />
gehabt, aber Klavierspielen konnte eigentlich keiner.<br />
Die meisten waren zwei Jahre bei mir – im ersten wurden<br />
die Probleme langsam offenkundig und waren im Mittelpunkt<br />
des Interesses, dann hatten die Eltern den starken<br />
Wunsch, es doch noch ein Jahr zu probieren, und im Verlauf<br />
dieses Jahres wird die Sinnlosigkeit der Bemühungen immer<br />
offenkundiger und der Beschluss gefasst, es zum Sommer<br />
auslaufen zu lassen. Was sich so leicht in zwei Sätzen zusammenfassen<br />
lässt, birgt in der Realität eine Menge Telefonate,<br />
Gespräche, Energieaufwand auf allen Seiten in sich und<br />
lässt auch jeden leicht frustriert zurück. Ich bin mir auch<br />
nicht sicher, wie ich in Zukunft vorgehen werde. Es ist zu diskriminierend,<br />
Eltern beim ersten Kennenlernen zu fragen,<br />
ob ihr Kind eine Lernstörung hat (ich weiß auch nicht, ob<br />
diese Entwicklungsstörungen für die Eltern nicht schlimmer<br />
sind <strong>als</strong> für die betroffenen Kinder …). Aber vielleicht werde<br />
ich allgemein ansprechen, dass ich dafür nicht die richtige<br />
Lehrerin bin und, sollte sich so was herausstellen, ich den<br />
Schüler an einen anderen Lehrer verweisen werde. Langsam<br />
komme ich zu der Überzeugung, dass man allen einen Gefallen<br />
tut, wenn man rechtzeitig die Notbremse zieht, und<br />
dass es den Kindern gegenüber fairer ist, in aller Offenheit<br />
über die Situation zu sprechen.<br />
Martina Sommerer lebt und unterrichtet in einer bayerischen<br />
Kleinstadt. Die Begegnungen mit ihren Schülern haben jeden Tag<br />
wieder hohen Unterhaltungswert für sie und sind eine ständige<br />
Inspirationsquelle für ihren Blog auf www.martinasommerer.de.<br />
M<br />
77
E<br />
E RWACHSENE AM K LAVIER<br />
Kleine Ärgernisse vermeiden<br />
Sie sind kritikfähig – Ihr Gehirn nicht. Es ist zum Speichern geschaffen und es kommt seiner Aufgabe kritiklos<br />
nach und dagegen können Sie sich nicht wehren. Wie gerne würden Sie und ich manche Dinge einfach<br />
vergessen … Aber wir können Erinnerungen mit der Zeit nur nach hinten schieben, löschen können<br />
wir nichts und im unpassendsten Moment tauchen die „Daten“ wieder auf. Und diese Fragmente sind<br />
beim Klavierspiel absolut hinderlich.<br />
Traurig, aber wahr: Am besten lernen wir unter Extremstress. Wenn Sie jetzt in Ihre frühe Kindheit<br />
zurückblicken, werden Sie feststellen, dass Sie sich am besten an Ereignisse erinnern können, die auf diese<br />
oder jene Art herausragend waren. Positiv oder leider auch negativ. Hauptsache, viel Adrenalin war mit<br />
dabei. Das Stresshormon ist eine fantastische Gedächtnisstütze. Wenn Sie <strong>als</strong>o in einer Stresslage (Vorspiel<br />
im Unterricht oder bei der Geburtstagsfeier), Fehler am Klavier machen, seien Sie versichert, Sie erinnern<br />
sich bei der nächsten Stresslage bestens daran …<br />
von: Ratko Delorko<br />
Nun können Sie sagen „der hat leicht reden“. Hat er<br />
nicht. Sehr gut erinnere ich mich an Spielsituationen<br />
aus Kindertagen und <strong>als</strong> Jugendlicher, in denen dies<br />
oder jenes halt passiert ist. Spiele ich dieselben Stücke heute,<br />
sehe ich z. B. das ins warme Sonnenlicht getauchte Zimmer<br />
des alten Düsseldorfer Konservatoriums mit dem für mich<br />
<strong>als</strong> 8-Jähringen monströsen Steinway B, höre meinen Lehrer<br />
sagen: „Der Übergang muss jetzt Zucker sein.“ (Schubert op.<br />
90/4, Es7-Rückführung nach dem Trio); und wie ich diesen<br />
Übergang mehrm<strong>als</strong> hintereinander erbärmlich versäge.<br />
Wie man Zucker herstellt, hat mir mein Lehrer nicht verraten<br />
… Jedenfalls muss ich noch heute schmunzeln, wenn ich<br />
an die Stelle gerate. Jedes Mal. Jedes Mal sehe ich das Zimmer,<br />
höre die Worte – und habe den Übergang erwartungsgemäß<br />
schon mehrfach im Konzert versemmelt. Ich kann<br />
Ihnen versichern, dass ich die Stelle aus dem Stand ansonsten<br />
10 Mal hintereinander perfekt hinlege. Aber gelernt ist<br />
gelernt …<br />
Warum ich Sie mit Märchen aus alter Zeit langweile: Ich<br />
möchte Ihnen vor Augen führen, dass unser dienstfertiges<br />
Gehirn alles speichert, was ihm angeboten wird. Egal, ob Sie<br />
es <strong>als</strong> wertvolle Information erkennen oder ob es einfach<br />
nur Müll ist. Das bedeutet: Jeder Fehlversuch wird gespeichert.<br />
Wenn Sie <strong>als</strong>o in Ihrem neuen Stück anfänglich rumstochern<br />
und nach dem „Try and Error“-Prinzip vorgehen,<br />
legen Sie sich bereits die kleinen Gedächtnisbömbchen für<br />
die Zukunft. In einer Vorspielsituation verspielen Sie sich an<br />
einer vermeintlich immer funktionierenden Stelle und fragen<br />
sich warum. Vermutlich haben Sie vor Wochen oder<br />
Monden in der Stelle rumgefummelt, bis sie dann klappte,<br />
und somit zu viele Fehlversuche erzeugt, die dann, wenn Sie<br />
anders konditioniert sind (anderes Instrument, anderer<br />
Raum, Gäste hören zu) ihre Wirkung entfalten und vom Gedächtnis<br />
in den Vordergrund gerückt werden.<br />
Natürlich werden Sie, wie ich auch, einige Musik zum<br />
Spaß einfach vom Blatt oder vom Ohr aus mit allen Patzern<br />
„durchfingern“. Das hat alles seine Berechtigung und gehört<br />
zum Spielspaß dazu. Planen Sie jedoch, ein Stück wirklich zu<br />
erarbeiten und spielfertig zu machen, sollten Sie strategisch<br />
etwas gewiefter vorgehen.<br />
Arbeiten Sie in kleinen Häppchen von maximal 20 Sekunden<br />
Länge. Mehr kann unser Gehirn nicht zwischenspeichern.<br />
Bitte spielen Sie so langsam, dass Sie alles im Blick haben,<br />
jederzeit wissen, wohin die Reise Ihrer Hand geht, die rhythmischen<br />
Strukturen stimmen, die Fingersätze geplant sind<br />
und keine Spielfehler passieren. Das kann ganz schön langsam<br />
sein …<br />
Man hat ein kurzes Fragment schnell auswendig gelernt.<br />
Hilfreich ist dabei, den harmonischen Aufbau zu durchschauen<br />
und damit die Masse der Töne zu komprimieren. C-<br />
E-G wird einfach zu C-Dur. Ich schreibe mir gern, neben<br />
Fingersätzen, auch die Harmonien in mein Notenmaterial.<br />
Da Sie das Fragment jetzt auswendig kennen, müssen Sie<br />
nicht wie ein Kaninchen in die Noten gucken, sondern gönnen<br />
Ihren Händen einen Blick. Eigentlich gönnen Sie die Blicke<br />
Ihren Zielen … Sobald ein Griff außerhalb der Handreichweite<br />
liegt, müssen Sie Ihre aktuelle Lage verlassen und<br />
vielleicht sogar flott springen. Alles, was in Handreichweite<br />
liegt, kann man „ertasten“ und das tun Sie auch. Sobald die<br />
Reise weiter weg geht, müssen Sie wissen, wohin. Nichts anderes<br />
tun Sie, wenn Sie über eine Pfütze springen. Sie blicken<br />
nicht wie hypnotisiert auf Ihre Fußspitzen und hoffen trockenen<br />
Fußes auf der anderen Seite zu landen, sondern Sie nehmen<br />
Ihr Ziel vorher fest in den Blick. Dann klappt es auch<br />
mit dem Sprung.<br />
Das Gleiche gilt am Klavier. Sie müssen springen oder weit<br />
reichen? Kein Problem. Ihr Auge braucht genau eine Sekunde,<br />
um einen Zielton zu fixieren. Die Zeit müssen Sie sich<br />
gönnen, daher fokussieren Sie den Zielton bitte rechtzeitig.<br />
Ihre Hand läuft nie längere Zeit unbeobachtet über die Klaviatur.<br />
Müssen beide Hände gleichzeitig springen, haben Sie<br />
Pech gehabt. Sie haben halt keine Facettenaugen. Daher<br />
entscheiden Sie sich für die schwächere Hand – Rechtshänder<br />
für die linke und umgekehrt.<br />
Kleine Unsauberkeiten nerven. Man erwischt noch so eben<br />
gerade kurz die Nachbartaste, schon klingt es irgendwie<br />
blöd. Und jeder merkt es. Das passiert jedem Profi-Spieler<br />
auch und der ärgert sich auch über die unnötigen, kleinen<br />
Schweinereien. Damit sich der Schweinkram in Grenzen<br />
hält, achte ich beim Lernen peinlich genau darauf, jede wei-<br />
78 5 . 11
5 . 11<br />
ße Taste mit meinen Wurstfingern mittig anzuspielen und<br />
Randbereiche zu vermeiden und jede schwarze Taste im<br />
vorderen Fünftel, je nach Grifflage. Das ist nicht immer<br />
konsequent realisierbar, aber in den meisten Fällen klappt<br />
es. Sobald ich eine Taste mittig anspiele, kann ich die<br />
Nachbarn nicht erwischen und ein großer Quell der Unsauberkeit<br />
ist versiegt. Manchmal stelle ich mir auf der<br />
Taste eine Art Minifadenkreuz vor. Männergedanken.<br />
Damit ist es aber noch nicht ganz getan. Jeder Ton<br />
möchte nicht nur genau angespielt werden, er möchte<br />
auch pünktlich verlassen werden, weil sonst die ganze<br />
Geschichte schmierig wird, wenn die Töne ein wenig ineinanderlaufen.<br />
Daher achte ich peinlich genau auf die Längen<br />
und ächte jede Überlänge.<br />
Damit nehme ich jetzt Bezug auf Johann Sebastian Bach,<br />
der behauptet haben soll, Clavier spielen sei gar nicht so<br />
schwer, man müsste nur die richtigen Töne zur richtigen<br />
Zeit spielen. Hm, da ist was dran …<br />
Ihr Fragment ist Ihnen perfekt geglückt, weil Sie sich Zeit<br />
gelassen haben. Das muss jetzt nur noch reproduzierbar<br />
werden und dann so bleiben. Setzen Sie sich <strong>als</strong> Ziel, das<br />
Fragment, egal wie langsam, drei Mal hintereinander zu<br />
Ihrer ehrlichen Zufriedenheit hinzubekommen. Danach<br />
verschnaufen Sie und erweitern das Stückchen vorne um<br />
vier, hinten um zwei Sekunden. Wieder ist Ihr erklärtes<br />
Ziel, das erweiterte Teilstück drei Mal ohne Blessuren zu<br />
schaffen. Und das schaffen Sie auch, weil Sie wirklich langsam<br />
spielen und sich nicht in den Rausch der Fingerfertigkeit<br />
begeben haben. Vielleicht erweitern Sie jetzt noch<br />
mal Ihr Fragment nach dem gleichen Prinzip – und das<br />
Teilstück ist im Kasten.<br />
Fehlt da nicht was? Richtig – wir haben die Dynamik völlig<br />
ignoriert und damit einen beliebten Fehler begangen.<br />
Wieso? Die Dynamik kann man doch später einbringen,<br />
wenn alles schon „in den Fingern“ ist? F<strong>als</strong>ch! Bitte nicht<br />
vergessen: Sie sind der Boss, Ihre Finger sind nur die Ausführenden.<br />
Sie entscheiden, was hier gespielt wird, nicht<br />
Ihre Finger! Sie schicken Ihre Finger kontrolliert und bewusst<br />
auf die Reise. Zwangsläufig wird damit auch das<br />
Griffgedächtnis entwickelt, aber es ist nie primär, wenn<br />
schon eine wundervolle Rückversicherung, etwas „in den<br />
Fingern“ zu haben. Etwa wie dynamische Abstufungen, die<br />
eine hohe haptische Leistung der Sensomotorik erfordern.<br />
Klingt kompliziert, ist es aber nicht.<br />
Wenn Sie Ihr Fragment in einer konstanten mittleren<br />
Lautstärke gelernt haben, so hat Ihr Griffgedächtnis das in<br />
die Schublade „mittlere Lautstärke, keine dynamische Abweichung“<br />
gelegt und speichert dabei das haptische Gesamtbild<br />
mit allen nötigen Griffen und Bewegungen <strong>als</strong><br />
Muster ab. Irgendwann aber haben Sie gemerkt, dass da<br />
vielleicht <strong>Piano</strong>, Crescendo, Akzente, Artikulationen und<br />
Stimmführungen noch zu integrieren sind. Jetzt ziehen Sie<br />
wieder – völlig unnötig – eine weitere Lernschublade auf,<br />
um die Spielanweisungen einzuarbeiten. Wieder wird das<br />
ganze Bild gespeichert. Umso mehr Lernschubladen Sie<br />
aufziehen müssen, desto diffuser ist das Gedächtnisbild.<br />
Das schafft Unsicherheiten.<br />
Deswegen: Blicken Sie lieber etwas länger genauer hin,<br />
spielen noch langsamer, bauen aber bereits von Anfang an<br />
alle wesentlichen dynamischen und artikulatorischen<br />
Merkmale ein, um möglichst wenig Lernschubladen zu öffnen.<br />
Seien Sie versichert: Es kommen sowieso noch genug<br />
dazu.
A<br />
… die Abenteuer von Superpresto und Moderato<br />
Superpresto“ ist ein Superheld, wie er im Buche steht –<br />
komplett mit einem Umhang aus 100 % Baumwolle,<br />
einer Laserbrille, einem Logo wie Superman, einem Paar<br />
Wunderschuhe, einer Zauberstimmgabel und der Katze<br />
Moderato (450 g Nettogewicht). Gemeinsam<br />
gehen sie auf „Entdeckungsreisen<br />
zur klassischen Musik“, die sie<br />
in der ersten Folge zu Georg Philipp<br />
Telemann und in der zweiten zu George<br />
Gershwin führt. Ungewöhnlich und<br />
für ein Kinderbuch durchaus ambitioniert<br />
sind die Illustrationen von<br />
Anouck Bécherraz, die mit einer Collagetechnik<br />
aus Fotografien und Zeichnungen<br />
arbeitet und dem aus Frankreich<br />
stammenden Kinderbuch eine<br />
avantgardistische Note verleiht.<br />
Die Geschichten sind charmant erzählt und absolut dazu geeignet,<br />
Kinder im Vorschulalter in ihren Bann zu ziehen. Superpresto<br />
hat von Georg Philipp Telemann eine magische<br />
Stimmgabel geschenkt bekommen, während er nachts von<br />
einem wilden Gelage verstorbener Komponisten träumt<br />
(fragen Sie nicht …). Als er sie in der ersten Folge ausprobiert,<br />
treffen sie wieder auf den barocken Vielschreiber, der<br />
gerade ein Violinkonzert für den Prinzen von Achteinhalbburg<br />
schreibt, jagen eine polnische<br />
Räuberbande mit Strawinskys „Tanz<br />
der Kutscher“ in die Flucht und erleben<br />
schließlich die Aufführung des<br />
„Froschkonzertes“ TWV 51:A4. In der<br />
zweiten Folge geht es dann ins New<br />
York des Jahres 1928, wo sie in eine<br />
Schießerei verwickelt werden (das<br />
Thema Prohibition und Bandenbildung<br />
wird hier sehr kindgerecht behandelt)<br />
und einen Tag an der Seite<br />
George Gershwins verbringen.<br />
Die mitgelieferten Hörspiel-CDs sind<br />
leider eher geeignet, Eltern in den Wahnsinn zu treiben. Die<br />
Texte wirken abgelesen und besonders Andrea Schönings<br />
bemüht kindertümelnde Sprechweise verführt bereits Fünfjährige<br />
dazu, genervt mit den Augen zu rollen. Wenn man<br />
sich beispielsweise dazu entscheidet, eine ganze CD mit einem<br />
aufgesetzten amerikanischen Akzent zu erzählen, dann<br />
sollte man das auch können … Dann doch lieber selber lesen<br />
– das macht auch viel mehr Spaß.<br />
A NFÄNGER<br />
Das Klavier, die Kinder und ich<br />
Neulich hatte ich Besuch von zwei alten Freunden aus meiner Kölner Zeit, die<br />
vor einigen Jahren an ein Theater in Norddeutschland gegangen sind und mit<br />
ihren beiden kleinen Kindern nun in einer alten Hansestadt an der Ostseeküste<br />
wohnen. Neben der gemeinsamen Liebe zum Theater und zum Gesang verbindet<br />
uns auch eine große Sympathie für gut gemachte Kindermusik. Am besten<br />
Musik, an der nicht nur Sechsjährige ihren Spaß haben, sondern auch deren<br />
Eltern. Musik, die man vielleicht gemeinsam am Klavier spielen kann, oder<br />
Musikbücher, die sich zum abendlichen Vorlesen eignen. Friederike ist erst ein<br />
Jahr alt und interessiert sich eher für die mechanischen Aspekte des Klavierspiels,<br />
aber Clara hat mit ihren fünfeinhalb Jahren schon einen ziemlich ausgeprägten<br />
Musikgeschmack, der natürlich davon beeinflusst ist, dass beide Eltern<br />
Sänger sind. Am liebsten spielt und singt sie „Zu spät zum Gänseblümchen pflücken“ aus dem musikalischen<br />
Kinderbuch „Ritter Rost“. Aber es gibt natürlich noch viel mehr tolle Musikbücher für Kinder – zum Beispiel …<br />
von: Manuel Rösler<br />
Abenteuer im Fabelwesenwald:<br />
Ritter Rost und die Mozart-Motte<br />
Wenn es um Musik für Kinder geht, dann gehört Jörg<br />
Hilbert natürlich zu den großen Namen. Zusammen<br />
mit seiner Frau Susanne hat der Zeichner, Dichter und<br />
Continuo-Lautenist wunderschöne Musikbilderbücher wie<br />
„Schaukelpferdchen und Gespenster“ (in dem es um gespenstische<br />
Abenteuer auf einem dämmerigen Dachboden geht),<br />
„Unter Wasser“ (ein Einsiedlerkrebs auf Wohnungssuche<br />
begegnet seltsamen Meeresmitbewohnern) oder „Der Ohrwurm“<br />
(die wohl launigste Methode, leichte Übungsstücke<br />
für Klavier an das Kind zu bringen)verfasst.<br />
Vor allem jedoch ist Jörg Hilbert der Erfinder von Ritter Rost<br />
und dem Burgfräulein Bö, dem Drachen Koks oder dem<br />
königlichen Hofschreiber Ratzefummel. Seine von Felix Janosa<br />
erarbeiteten, kongenialen Geschichten erschienen<br />
1994 in der dam<strong>als</strong> neu gegründeten Edition ConBrio – und<br />
schlugen ein wie die sprichwörtliche Bombe. Dass ein<br />
Kinderbuch von 48 Seiten auch noch<br />
zehn Lieder und eine CD enthalten<br />
sollte, war für die damalige Zeit vollkommen<br />
ungewöhnlich. Die Geschichten<br />
um den nichtsnutzigen Ritter Rost<br />
und sein patentes Burgfräulein (für<br />
das angeblich Hilberts Frau Susanne<br />
Pate gestanden hat) erhielten zahlreiche<br />
Preise, weitere Bücher folgten,<br />
schließlich ein Musical und eine CD.<br />
Ritter Rost ist waschechte Familienunterhaltung,<br />
die auf mehreren Ebenen<br />
funktioniert: Die Kinder freuen sich an<br />
den albernen Geschichten, den tollen Zeichnungen im typischen<br />
Hilbert-Stil und den lustigen Liedern – und die Erwachsenen<br />
darüber, dass die lustigen Lieder überhaupt<br />
nicht nach „Kinderlied“ klingen, sondern nach „richtigen“<br />
Kanons.<br />
Wer alles in der Beethovenstraße 26 wohnt<br />
Das sechsstöckige Mietshaus in der Beethovenstraße hat<br />
seine besten Jahre schon hinter sich: An der ein oder<br />
anderen Stelle bröckelt der Putz und die Farbe blättert ab,<br />
dafür wirft ein großer Baum seinen Schatten auf das Trottoir.<br />
Mit seinem gelben Putz und den großen grünen Fensterläden<br />
könnte es in einem gutbürgerlichen Arrondissement<br />
von Paris stehen. Oder vielleicht doch in Dresden?<br />
Oder Zürich? Hamburg scheidet aus – auf dem Umschlag-<br />
80 5 . 11
5 . 11<br />
A NFÄNGER<br />
bild scheint die Sonne. Berlin natürlich<br />
ebenfalls: Kein Müll auf der Straße<br />
…<br />
Ebenso spannend wie die Frage, wo<br />
dieses imposante Gebäude steht, ist<br />
die, wer in ihm wohnt. Und die wird<br />
uns beantwortet – auf musikalische<br />
Weise natürlich. Wir begleiten den<br />
Postboten Franz auf seinem täglichen<br />
Weg zu den Mietparteien und treffen<br />
auf dunkle Gestalten in der Parterrewohnung,<br />
eine traumatisierte Seiltänzerin,<br />
ein altes Ehepaar, den nervigen Klarinettenmann, die<br />
kinderreiche Familie im 3. Stock oder die Künstlerin in der<br />
Dachkammer, die sich von Musik inspirieren lässt. Das<br />
Besondere an diesem Heft: Alle Stücke und Zeichnungen<br />
stammen von Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen<br />
neun und 16 Jahren, die 2008 an einem Kompositionsprojekt<br />
im schweizerischen Würenlos teilnahmen.<br />
Elise kommt es gar nicht spanisch vor<br />
Der eine oder andere Leser wird<br />
vielleicht ältere Kinder haben und<br />
ein letztes Mal mit ihnen musizieren<br />
wollen, bevor die Pubertät einsetzt<br />
und dann ohnehin alles anders wird.<br />
Für diesen Fall bietet Michael Proksch<br />
„zwölf raffinierte Stücke für Klavier zu<br />
vier Händen“. Hier wird das Spiel<br />
schon etwas ernsthafter betrieben. Die<br />
witzigen, bildhaften Überschriften motivieren<br />
zu ausdrucksstarkem Spiel. So<br />
lässt sich „Im septimen Himmel“<br />
schwelgen, die „Seine-sucht“ am Pont-<br />
Neuf in Paris ausleben, so können die Spieler gemeinsam<br />
mit „Erik Satie von frischer Landluft überrascht“ und, am<br />
Michel Cardinaux<br />
Superpresto und Moderato besuchen<br />
Georg Philipp Telemann<br />
Illustriert von Anouck Bécherraz<br />
Erzählt von Andrea Schöning und<br />
Harald Arnold<br />
Edition Hug ISBN 979-0-2028-2424-5<br />
EUR 19,90<br />
Superpresto und Moderato besuchen<br />
George Gershwin<br />
Illustriert von Anouck Bécherraz<br />
Erzählt von Andrea Schöning und<br />
Stefan Staudinger<br />
Edition Hug ISBN 979-0-2028-2426-9<br />
EUR 19,90<br />
Susanne und Jörg Hilbert<br />
Schaukelpferdchen und Gespenster<br />
Edition ConBrio ISMN M-2028-6041-0<br />
EUR 13,80<br />
Unter Wasser<br />
Edition ConBrio ISMN M-2028-6044-1<br />
EUR 13,80<br />
Die besprochenen <strong>Ausgabe</strong>n<br />
Der Ohrwurm<br />
Eine Klaviergeschichte mit 20 beliebten<br />
Ohrwürmern<br />
Edition ConBrio ISMN M-2028-6068-7<br />
EUR 12,80<br />
Jörg Hilbert / Felix Janosa<br />
Ritter Rost für Klavier, Heft 1<br />
Edition ConBrio ISMN M-2028-6063-2<br />
EUR 11,80<br />
Ritter Rost für Klavier, Heft 2<br />
Edition ConBrio ISMN M-2028-6085-4<br />
EUR 11,80<br />
Ritter Rost für Klavier vierhändig, Heft 1<br />
Mit CD (Vollversion und<br />
Halbplayback)<br />
Edition ConBrio ISBN 978-3-909415-<br />
51-9<br />
EUR 15,80<br />
Ritter Rost für Klavier vierhändig, Heft 2<br />
Mit CD (Vollversion und<br />
Halbplayback)<br />
Ende, im „Spanier für Elise“ in einen temperamentvollen<br />
Dialog zwischen den Stilen hineingerissen werden.<br />
Konzert im Blumenbeet<br />
Ein herrlich altmodischer Geist von Häschenschule und<br />
Peterchens Mondfahrt durchzieht dieses Heft, denn „irgendwo<br />
gibt es ein ganz besonderes Blumenbeet, in dem<br />
alle Blumen des Jahres blühen – aber nur an einem ganz<br />
bestimmten Tag: dem 8. Sonntag im<br />
Sommer. Manfred Schmitz, <strong>als</strong> Klavierlehrer,<br />
Komponist und Chansonbegleiter<br />
gleichermaßen begehrt und erfahren,<br />
hat eine entzückende kleine Geschichte<br />
über musizierende Grashüpfer<br />
und Basskäfer geschrieben und einfache,<br />
aber nicht simple Klavierstücke<br />
dazu komponiert. Da ertönen Festivalfanfaren<br />
und Schlüsselblumenlieder<br />
und am Ende wird sogar ein Klavier<br />
herausgetragen. Schade nur, dass<br />
man den schönen Illustrationen von Isa Brützke nicht viel<br />
mehr Platz eingeräumt hat. In einem Heft für Kinder sollte<br />
es bunt zugehen, da kann man ruhig einmal die Zeichnungen<br />
hinter den Noten hervorschimmern lassen oder farbiges<br />
Papier verwenden … Gewitzte Eltern legen dem Heft Wachsm<strong>als</strong>tifte<br />
bei, bevor sie es ihren Sprösslingen in die Hände<br />
geben.<br />
Edition ConBrio ISBN 979-0-2028-<br />
6104-2<br />
EUR 15,80<br />
Die Mozart-Motte<br />
Eine Klaviergeschichte mit Löchern und<br />
12 Werken des jungen Mozart<br />
Text, Illustrationen und Gestaltung<br />
von Jörg Hilbert<br />
Edition ConBrio ISMN M-2028-6058-8<br />
EUR 12,80<br />
Michael Proksch<br />
Ein Spanier für Elise<br />
Breitkopf & Härtel EB 8769<br />
EUR 17,50<br />
Manfred Schmitz<br />
Konzert im Blumenbeet<br />
Deutscher Verlag für Musik DV 32147<br />
EUR 14,-<br />
A<br />
81
N N OTEN<br />
Gesichtet und angespielt von: Manuel Rösler<br />
Joseph Marx<br />
Klavierstücke I<br />
Universal Edition UE 34696<br />
EUR 34,95<br />
Natürlich war er kein Nazi. Obwohl<br />
er während des Krieges<br />
seine Heimat Österreich nicht verlassen<br />
hatte, die eine oder andere<br />
öffentliche Rede über die „Rettung<br />
der untergehenden Musikkultur“ gehalten<br />
hat und nach dem Krieg sogar<br />
eine Zeitlang <strong>als</strong> heißer Kandidat<br />
für das Amt des Bundespräsidenten<br />
galt.<br />
Diese Aufgabe übernahm dann der<br />
schillernde Sozialdemokrat Theodor<br />
Körner – Marx hingegen vertrat Österreich<br />
in nahezu alle kulturpolitischen<br />
Belangen: <strong>als</strong> Präsident und<br />
Ehrenvorsitzender vieler bedeutender<br />
Institutionen und Vereinigungen<br />
der österreichischen Musik (u. a. Gesellschaft<br />
der Autoren, Komponisten<br />
und Musikverleger [AKM], Staatsrat<br />
für Kultur, Mozartgemeinde und<br />
Österreichischer Komponistenbund).<br />
Und natürlich <strong>als</strong> kulturpolitischer<br />
Vertreter Österreichs die Ämter<br />
in sämtlichen Gremien der UNES-<br />
CO. Grund genug für eine ganze<br />
Komponistengeneration, nach dem<br />
Krieg gegen die übermächtige Vaterfigur<br />
aufzubegehren und neben seiner<br />
Musik gleich den ganzen Mann<br />
1 Sehr leicht – Diese Stücke sollten auch<br />
Klavieranfängern kaum Probleme bereiten.<br />
2 Leicht – Blattspielfutter für geübte<br />
Amateure und fortgeschrittene Schüler.<br />
3 Standard – Kein Problem für<br />
Amateure, Anfänger müssen hier schon<br />
ein wenig üben.<br />
4 Mittelschwer – Geübte Amateure müssen<br />
hier schon ein wenig Übezeit investieren,<br />
für professionelle Pianisten sollten<br />
zu verdammen. Man schreckte nun<br />
auch nicht mehr davor zurück, Marx<br />
konkret politisch zu verdächtigen<br />
und ihn <strong>als</strong> „NS-Funktionär“ zu bezeichnen.<br />
Dass man ihn mutwillig<br />
mit dem Komponisten Karl Marx,<br />
der während des Zweiten Weltkrieges<br />
ausgerechnet in Joseph Marxens<br />
Heimatstadt und späterem Lehrort<br />
Graz <strong>als</strong> Professor gewirkt und dort<br />
Lieder und Gesänge für die Hitlerjugend<br />
komponiert hatte, verwechselte,<br />
hat sich auf seinen Nachruhm<br />
ebenfalls verhängnisvoll ausgewirkt.<br />
Joseph Marx scheint ein Komponist<br />
vom Schlage eines Richard Strauss<br />
oder Franz Lehar gewesen zu sein.<br />
Jovial-gemütlich, ungemein fleißig<br />
und umtriebig und nur in dem Maße<br />
politisch, wie es ihm selbst nutzte.<br />
Doch die politische Rolle, die er<br />
spielte, soll hier nicht interessieren –<br />
mag sie auch noch so spannende Facetten<br />
aufweisen.<br />
Die Werke von Joseph Marx, der sich<br />
in den Klangwelten von Max Reger,<br />
Claude Debussy und Alexander Skrjabin<br />
zu Hause fühlte, sind das Produkt<br />
eines Exzentrikers und bis ins<br />
hohe Alter hedonistisch veranlagten<br />
Künstlers, der sich am ehesten mit<br />
der hochgeistigen, schwelgerischen<br />
Lebensart der Antike identifizieren<br />
konnte. Ähnlich wie Skrjabin suchte<br />
Marx aufgrund seiner starken Affinität<br />
zu mystischen Vorstellungen<br />
nach dem Höchsten in der Kunst <strong>als</strong><br />
Ausdruck für den transzendenten<br />
Aspekt des Daseins. Dabei trieb er<br />
die spätromantisch-impressionistische<br />
Klangfülle vor allem in der monumentalen,<br />
über weite Strecken regelrecht<br />
orgiastischen Herbstsymphonie<br />
aus dem Jahre 1921 auf einen<br />
Höhepunkt, von dem aus es für<br />
den Komponisten keine Steigerung<br />
mehr geben konnte und wohl auch<br />
nicht sollte. Und auch wenn diese<br />
„Herbstsymphonie“ sicherlich die<br />
Krönung seines musikalischen Lebens<br />
darstellt – auch die Klaviermu-<br />
diese Stücke aber keine Herausforderung<br />
darstellen.<br />
5 Anspruchsvoll – Von erfahrenen<br />
Amateuren durchaus noch zu schaffen,<br />
aber auch für Profis nicht ganz leicht.<br />
6 Schwer – Hier müssen auch Profis<br />
gründlich üben; für reine Amateure kaum<br />
zu schaffen.<br />
7 Sehr schwer – „Nicht einmal der<br />
Komponist kann dieses Stück spielen.“ Auch<br />
für erfahrene Profis eine harte Nuss.<br />
sik ist beachtenswert. Wenn man<br />
denn ein Faible für Gaslicht, Plüsch<br />
und Plunder hat.<br />
Schwierigkeitsgrad: 5<br />
Gottfried Kirchhoff<br />
Sämtliche Werke für Clavier<br />
Ortus Musikverlag om124<br />
Herausgegeben<br />
von Maxim Serebrennikov<br />
ISMN M-700296-87-2<br />
EUR 18,00 EUR<br />
Hinter dem „Ortus Musikverlag“<br />
stecken die beiden Musikwissenschaftler<br />
Tobias Schwinger und<br />
Ekkehard Krüger. 1998 haben sie<br />
den Verlag mit dem schillernden Namen<br />
(das lateinische „ortus“ bezeichnet<br />
den Aufgang eines Sterns,<br />
steht aber auch für Wachstum,<br />
Entstehung, Anfang und – Heimat)<br />
gegründet. Da passt es ins Bild, dass<br />
die beiden Verlagschefs <strong>als</strong> erstes<br />
Domizil Krügers Elternhaus im beschaulichen<br />
Beeskow – eine Tagesreise<br />
von Berlin entfernt – wählten. Musik<br />
des 17. und 18. Jahrhunderts und<br />
der Gegenwart sowie Erstveröffentlichungen<br />
aus dem Kulturraum zwischen<br />
Elbe und Oder standen auf<br />
dem Programm: Kirchenmusik von<br />
Philipp Dulichius und Thomas Selle,<br />
Opern und Oratorien von Telemann<br />
und natürlich Werke des Berliner<br />
Hofkapellmeisters Carl Heinrich<br />
Graun. Inzwischen ist eine weitere<br />
Verlagsadresse in Berlin hinzugekommen<br />
und auch der Katalog hat<br />
sich beträchtlich erweitert: Berliner<br />
Klassik, Veröffentlichungen aus dem<br />
vor einiger Zeit wiederentdeckten legendären<br />
Archiv der Berliner Sing-<br />
Akademie, Hofmusik aus Dresden<br />
und Ludwigslust. Auch für die Schriften<br />
der „Ständigen Konferenz Mitteldeutsche<br />
Barockmusik“ ist man zuständig:<br />
Stichwort „Johann Friedrich<br />
Fasch“.<br />
82 5 . 11
5 . 11<br />
Auch ansonsten ist das Verlagsprogramm<br />
hoch interessant und lohnt<br />
einen zweiten oder dritten Blick.<br />
Reinhard Keiser, der zusammen mit<br />
Johann Matheson so etwas wie der<br />
„Lloyd Webber“ der Hamburger Barockszene<br />
war, ist gleich mit mehreren<br />
Opern vertreten und mit den<br />
musikalischen Weihnachtsgeschichten<br />
von Johann Wilhelm Hertel<br />
(1727–1789) und Carl Heinrich<br />
Graun hat der kleine Verlag sogar<br />
zwei echte Hitkandidaten im Repertoire.<br />
Gottfried Kirchhoff, dessen „Sämtliche<br />
Werke für Clavier“ der Ortus-<br />
Verlag gerade in einer ansprechenden<br />
Neuausgabe herausgegeben<br />
hat, passt mit seiner Lebensgeschichte<br />
und seinem Werk hervorragend in<br />
das Verlagsprogramm „Barockmusik<br />
zwischen Elbe und Oder“. 1685 im<br />
sächsischen Mühlbeck in der Nähe<br />
von Bitterfeld geboren, gehört er zur<br />
Generation Bachs und Händels, die<br />
ja auch eine Generation des Umbruchs<br />
gewesen ist. Was Kirchhoffs<br />
Musik über das rein lexikalische<br />
Interesse hinaus auch für heutige<br />
Ohren interessant macht, ist der an<br />
Händel gemahnende Tonfall seiner<br />
langsamen Sätze, die strenge Form<br />
und zuweilen gewagte Harmonik.<br />
Das unterscheidet ihn von der Dutzendware<br />
seiner Zeit, zu der man<br />
auch größere Namen <strong>als</strong> den seinen<br />
zählen muss. Ob Kirchhoff eine zweite<br />
Chance erhält, wird die Praxis zeigen.<br />
Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />
Konstantin Wecker<br />
Tasten.Spielen –<br />
Klavierimprovisationen<br />
Doblinger 01 434<br />
EUR 14,95<br />
„Das Klavier ist mein künstlerisches<br />
Zuhause, seit ich es in meiner Kindheit<br />
angefangen habe zu spielen. [...] Die<br />
Frage, ob ich nun Opernsänger,<br />
Komponist oder Lyriker werden sollte,<br />
erhielt durch Georg Kreisler, der seine<br />
eigenen Lieder am Klavier sang, den<br />
entscheidenden Lösungsimpuls. Das<br />
Ergebnis ist bekannt.“<br />
Konstantin Wecker<br />
Wie lässt sich der Klavierkomponist<br />
Wecker greifen? Ohne die<br />
kraftvoll-nölende Stimme, das<br />
schwelgerische Pathos und den verschwitzten<br />
Machismo dieses Mannes.<br />
Vielleicht, so denkt man bei Do-<br />
N OTEN<br />
blinger, indem man dem Kerl einen<br />
Kompositionsauftrag gibt. „Du improvisierst<br />
doch so wunderbar – schreib<br />
uns doch das mal auf, wir drucken das<br />
dann!“ Gesagt – getan.<br />
„Ich sehe mich <strong>als</strong>o mehr <strong>als</strong> improvisierenden<br />
Klavierspieler denn <strong>als</strong> Komponist<br />
von Klaviermusik“, sagt Wecker<br />
bescheiden. „Einerseits würde es mich<br />
freuen, das Repertoire an kleinen Vortragsstücken<br />
für Klavierabende und<br />
zum Spielen zu Hause damit erweitern<br />
zu können, hauptsächlich mögen die<br />
schlichten Stücke zu weiterführenden<br />
Improvisationen inspirieren, Anhaltspunkte<br />
sein, eigene Wege zu gehen, ins<br />
eigene Klavier-Ich zu schauen und hoffentlich<br />
zu staunen, wen man und was<br />
man da entdeckt.“<br />
Doch so niedrig muss er die Messlatte<br />
gar nicht legen. Die bei Doblinger<br />
erschienenen Klavierstücke<br />
halten jedem Vergleich mit ähnlich<br />
gelagerten Sammlungen stand. Den<br />
Großteil des Heftes nimmt eine<br />
Reihe von Variationen über ein eigenes<br />
Thema ein: „Leben im Leben“,<br />
das altgediente Wecker-Fans sicherlich<br />
auch unter dem Titel „Paradies“<br />
kennen dürften. Es sind keine Variationen<br />
im klassischen Stil. Das<br />
wäre auch nicht zu erwarten bei<br />
einem kreativen Sprudelkopf wie<br />
Konstantin Wecker. Es sind eher assoziative<br />
Improvisationen, Spielereien,<br />
was sich mit einem solchen Thema<br />
anstellen lässt. Aber die sind<br />
schön: luftig gesetzt und spielbar,<br />
harmonisch durchaus überschaubar<br />
und nicht selten mit Spurenelementen<br />
des Wecker-typischen Blues-<br />
Stils angereichert.<br />
Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />
Leonard Bernstein<br />
Music for piano<br />
Boosey & Hawkes BHI 24641<br />
EUR 19,95<br />
„Sie sind ein jüdischer Kommunist!“ –<br />
„Ein schwuler jüdischer Kommunist!“<br />
Wortwechsel zwischen einem US-<br />
Abgeordneten und Leonard<br />
Bernstein in den fünfziger Jahren<br />
Leonard Bernstein <strong>als</strong> schillernde<br />
Persönlichkeit zu beschreiben, ist<br />
eine gelinde Untertreibung. Zigaretten<br />
und Whisky, Drogen und ein<br />
ebenso offen zur Schau gestelltes<br />
Sexualleben mit zahlreichen Affären<br />
machten seine Persönlichkeit ebenso<br />
aus wie sein niem<strong>als</strong> zu bremsender<br />
Enthusiasmus für Musik. Wilhelm<br />
Furtwängler bezeichnete ihn <strong>als</strong> die<br />
„größte Dirigierbegabung des Jahrhunderts“.<br />
Als Dirigent und Pianist setzte er sich<br />
unermüdlich für die Musik seiner<br />
Kollegen ein: Charles Ives, Aaron<br />
Copland (dessen Schüler er war und<br />
mit dem ihn eine leidenschaftliche<br />
Affäre verbunden haben soll), George<br />
Gershwin. Bernstein setzte ihre<br />
Werke immer wieder aufs Programm<br />
der Orchester, die ihn einluden, und<br />
popularisierte ihre Musik quasi im<br />
Alleingang. Zu Beginn der siebziger<br />
Jahre gelang es ihm sogar, den für<br />
ihre latenten Vorbehalte gegenüber<br />
Frauen, Juden und der Musik von<br />
Gustav Mahler berüchtigten Wiener<br />
Philharmonikern die Liebe zu dessen<br />
Musik einzupflanzen. Die über viele<br />
Jahre entstandenen Aufnahmen bilden<br />
nach wie vor die Referenz für<br />
alle Mahler-Dirigenten.<br />
Bernstein, der sich selbst <strong>als</strong> Wiedergeburt<br />
des 1911 gestorbenen Komponisten<br />
betrachtet haben soll, war jedoch<br />
nicht nur einer der bedeutendsten<br />
Dirigenten des 20. Jahrhunderts,<br />
sondern auch ein ebenso charismatischer<br />
Komponist. Auch wenn keines<br />
seiner anderen Werke den genialen<br />
Wurf der „West Side Story“ jem<strong>als</strong><br />
übertreffen sollte, war Bernstein<br />
doch erstaunlich fruchtbar: drei<br />
N<br />
83
N N OTEN<br />
Sinfonien, ein halbes Dutzend Music<strong>als</strong><br />
und Opern, ausgefallene Liederzyklen<br />
(„I Hate Music“ oder das aus<br />
gesungenen Kochrezepten bestehende<br />
„La bonne cuisine“) und Klaviermusik.<br />
Das Klavier hat ihn <strong>als</strong> sein erstes<br />
Instrument sein Leben lang begleitet.<br />
Man muss sich den jugendlichen<br />
Bernstein <strong>als</strong> Tasten- und Partylöwe<br />
vorstellen, der sich nicht lange bitten<br />
ließ, bis er sich in geselliger Runde<br />
ans Klavier setzte. Der im Rahmen<br />
einer großen Bernstein-Retrospektive<br />
erschienene Band „Music for<br />
<strong>Piano</strong>“ enthält nicht das gesamte<br />
Klavierschaffen, sondern konzentriert<br />
sich auf bislang unveröffentlichte<br />
Werke, darunter eine fantastische<br />
„Bridal Suite“ für Klavier zu vier<br />
Händen, die aus einer Folge glänzend<br />
skizzierter Charakterstücke besteht,<br />
denen der Schalk aus allen<br />
Knopflöchern blitzt.<br />
Schwierigkeitsgrad: 4–5<br />
Gerald Schwertberger<br />
Joplin meets Strauss – Ragtime, Blues<br />
& Boogie-Arrangements nach<br />
berühmten Strauß-Walzern im Stil<br />
von Scott Joplin<br />
Doblinger Musikverlag 01 435<br />
EUR 18,95<br />
Scott Joplin und Johann Strauss –<br />
das sind zwei unwahrscheinliche<br />
musikalische Bettgesellen. Der „King<br />
of Ragtime“ und der „Walzerkönig“<br />
passen schon mathematisch nicht<br />
zusammen: 2/4-Takt der eine, 3/4-<br />
Takt der andere. Gut, Strauss hat<br />
auch schon mal im geraden Takt<br />
komponiert – man denke nur an die<br />
vielen Polkas, Quadrillen und Gallopps.<br />
Und auch Scott Joplin hat den<br />
einen oder anderen Walzer beigesteuert.<br />
Aber sonst trennen natürlich<br />
Welten die beiden Komponisten.<br />
Oder etwa nicht?<br />
Nun hat der Wiener Doblinger-Verlag<br />
– gewissermaßen von Hause aus<br />
zuständig für die Johann-Strauß-<br />
Pflege – die beiden scheinbaren Gegensätze<br />
in einem wunderbaren<br />
neuen Heft zusammengeführt. Lustvoll<br />
legt Bearbeiter Schwertberger<br />
die Axt an die Wurzel des Wiener<br />
Wertgefüges und verwandelt den<br />
„Accelerationen-Walzer“ in einen<br />
schmissigen Ragtime, lässt die<br />
„Schöne blaue Donau“ <strong>als</strong> gemächlichen<br />
12/8-Blues daherströmen und<br />
kleidet sogar Joplins’ ikonographi-<br />
schen „Entertainer“ in das Gewand<br />
eines echten Wiener Walzers. Und so<br />
unwahrscheinlich es klingen mag:<br />
Die ganze Angelegenheit funktioniert!<br />
Als hätte man „Wiener Blut“<br />
immer schon im synkopierten 4/4-<br />
Takte gehört. Nicht einmal der Kaiserwalzer<br />
– Österreichs klingendes<br />
Nationalheiligtum – bleibt verschont.<br />
Und macht sich prächtig <strong>als</strong><br />
funkensprühender Ragtime!<br />
Freuen Sie sich <strong>als</strong>o auf: The Entertainer-Waltz,<br />
To Ann and Florence<br />
(nach „Annen-Polka“), Acceleration-<br />
Rag (nach „Accelerationen“), Schön<br />
blau an der Donau (nach „An der<br />
schönen blauen Donau“), Bloody<br />
Vienna (nach „Wiener Blut“), Batman’s<br />
Grandfather (nach „Du und<br />
Du – Die Fledermaus“), Pizzi-Cat’s<br />
Delight (nach „Pizzicato-Polka“),<br />
Des Kaisers neue Kleider (nach dem<br />
„Kaiser-Walzer“), Wine, Woman and<br />
Songs (nach „Wein, Weib und<br />
Gesang“), Gipsy-Treasure (nach<br />
„Schatz-Walzer – Zigeunerbaron“),<br />
No Smoke, no Flash! (nach „Unter<br />
Donner und Blitz“), Wienerwald-<br />
Highway A 21 („Geschichten aus<br />
dem Wienerwald“) und Human<br />
Blood Light (nach „Leichtes Blut“).<br />
Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />
Vladmir Sterzer<br />
Mundus meus<br />
Edition Dux D 624<br />
EUR 29,90<br />
Phantasma Mea<br />
Edition Dux D 627<br />
EUR 29,90<br />
Ich weiß nicht so recht, was ich von<br />
diesen beiden Heften halten soll.<br />
Der Autor, Vladimir Sterzer, war mir<br />
bislang kein Begriff. Ich öffne das<br />
dicke Buch (das sich dank überlegter<br />
Bindetechnik erfreulich gut auf dem<br />
Klavier platzieren lässt) und entdecke<br />
die CD, die ich gleich in meinen<br />
Laptop wandern lasse. Ich zappe<br />
ein wenig herum. Erster Eindruck:<br />
freundlich tonale Melodien, die Erik<br />
Satie wohl sofort <strong>als</strong> „Musique d’ameublement“<br />
erkannt hätte. Viele<br />
Stücke tragen sprechende Namen<br />
wie „The Old Church“, „Forgive Me“<br />
oder „Wind“ und beginnen oft mit<br />
einem zwei- oder viertaktigen Begleitpattern,<br />
auf das sich eine simple<br />
Melodie der rechten Hand setzt. Alle<br />
Perioden sind sauber abgezählt,<br />
damit sich der Spieler oder seine<br />
Zuhörer nicht erschrecken. Moment<br />
...! Vielleicht sollen sich die Zuhörer<br />
sowieso nicht erschrecken. Vielleicht<br />
sollen sie nicht einmal zuhören.<br />
„Musique d’ameub’ement“ – oder:<br />
Fahrstuhlmusik.<br />
Wenn sie gut ist, erinnert Vladmir<br />
Sterzers Musik an die Sorte traumschwerer<br />
Balladen, die 15-jährige<br />
Mädchen für ihren ersten Freund<br />
komponieren. Ein gründlich erforschter<br />
Gedanke, der – anstatt ihn<br />
zu variieren – einfach immer wiederholt<br />
wird. Wenn sie nicht gut ist,<br />
dann erinnert sie an Kaufhausmusik.<br />
Unaufdringlich und ohne<br />
Tiefgang, dafür aber von niederschmetternder<br />
Monotonie. Man<br />
könnte sie auch gut in Abu Ghreib<br />
oder Guantanamo einsetzen, um widersetzlichen<br />
Gefangenen Geständnisse<br />
zu entlocken. Nach drei Tagen<br />
mit dieser Musik wird auch der härteste<br />
Gotteskrieger mürbe. Wissen<br />
die Vereinten Nationen davon?<br />
Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />
84 5 . 11
5. 11<br />
Franz Liszt<br />
Rigoletto-Konzertparaphrase<br />
Herausgegeben von<br />
Ulrich Scheideler<br />
Fingersätze von<br />
Marc-André Hamelin<br />
G. Henle Verlag HN 978<br />
EUR 8,-<br />
Faksimile HN 3219<br />
EUR 59,-<br />
Sein ganzes Leben lang war Franz<br />
Liszt ein Pendler zwischen den<br />
Welten, ein echter Europäer, der sich<br />
in Budapest ebenso zu Hause fühlte<br />
wie in Wien, Paris oder London. Und<br />
ein Künstler, der all die verschiedenen<br />
musikalischen Einflüsse aus diesen<br />
Ländern in seinem Werk verschmelzen<br />
konnte. Paris und Wien<br />
sind die prägenden Stationen seines<br />
Lebens: Wien, wo er <strong>als</strong> Meisterschüler<br />
Carl Czernys das musikalische<br />
Erbe Beethovens antrat, und Paris,<br />
wo die intellektuellen Debattierzirkel<br />
in den Salons und Cafés seine<br />
Persönlichkeit sowohl in politischer<br />
<strong>als</strong> auch kultureller Hinsicht formten.<br />
Die Februarrevolution prägte<br />
ihn ebenso wie die lebendige geistige<br />
Atmosphäre, die einen bunten<br />
Reigen von Schriftstellern, Malern,<br />
Musikern und Gelehrten vereint.<br />
Überhaupt ist es die Zeit des Bildungsbürgertums<br />
– und was früher<br />
der Adelige für den Künstler gewesen<br />
war, diese Rolle übernahm nun<br />
unter anderen Vorzeichen der Bürger.<br />
Er ist die treibende und erstm<strong>als</strong><br />
auch honorierende Kraft aller Künste,<br />
sodass in diesem Umfeld erstm<strong>als</strong><br />
auch ein Verlagswesen im heutigen<br />
Sinne mit Urheberrecht und entsprechender<br />
Vergütung für den Künstler<br />
entstehen kann. So schreiben Komponisten<br />
ihre Werke nicht länger für<br />
einen adeligen, sondern für einen<br />
bürgerlichen Auftraggeber, der dafür<br />
in barer Münze bezahlt.<br />
Damit hat sich die Welt für den ausübenden<br />
beziehungsweise kreativ<br />
schaffenden Musiker grundlegend<br />
geändert, und insbesondere an die<br />
Solisten werden immer höhere Anforderungen<br />
hinsichtlich der Individualität<br />
gestellt – schließlich muss<br />
sich der Künstler von seiner Konkurrenz<br />
unterscheiden, um sich und seine<br />
Kunst verkaufen zu können. Dies<br />
führt zur Ausbildung des Virtuosentums,<br />
das Geiger wie Niccolò Paganini<br />
oder Pianisten wie Franz Liszt<br />
hervorbringt, die zu gefeierten Stars<br />
der Musikszene aufsteigen und Begeisterungsstürme<br />
entfachen wie in<br />
N OTEN<br />
heutiger Zeit die Popstars. Wie die<br />
Musik aussah, die auf den musikalischen<br />
Schlachtfeldern Europas erklang,<br />
lässt sich beispielhaft an<br />
Liszts über siebzig Opernparaphrasen<br />
hören, die er zwischen 1824 und<br />
1847 für seine zahllosen Konzerte<br />
schrieb.<br />
Die nun im Henle-Verlag vorgelegte<br />
Rigoletto-Paraphrase gehört schon<br />
nicht mehr zu dieser Gruppe. Als<br />
Liszt sie 1859 schrieb, war er des Virtuosenlebens<br />
längst überdrüssig geworden.<br />
Sein Schüler und erster<br />
Schwiegersohn Hans von Bülow<br />
spielte die Uraufführung. Anders <strong>als</strong><br />
in den Transkriptionen der frühen<br />
Jahre hatte Liszt in der „Rigoletto-Paraphrase“<br />
nicht verschiedene Nummern<br />
der gesamten Oper ausgewählt,<br />
sondern sich auf einen einzigen<br />
Ausschnitt aus Giuseppe Verdis<br />
1851 uraufgeführter Oper beschränkt:<br />
das Quartett aus dem dritten<br />
Akt und somit jenes letzte Inne-<br />
N<br />
85
N N OTEN<br />
halten in der Handlung, bevor die<br />
Katastrophe ihren Lauf nimmt.<br />
Hört man diese Musik von einem<br />
guten Pianisten gespielt, so versteht<br />
man, dass es nicht nur der musikalische<br />
Kanonendonner gewesen sein<br />
kann, der das Publikum seiner Zeit<br />
an Liszts Musik fesselte. Durch die<br />
Beschränkung auf einen kleinen<br />
Ausschnitt der Oper erhält die Paraphrase<br />
eine beeindruckende Dichte.<br />
Liszt übertrug die Verdi’sche Vorlage<br />
sehr genau. Er versah sie mit einer<br />
längeren Einleitung, die zwei Motive<br />
des Quartetts (Maddalenas Spott<br />
über den liebeskranken Herzog, Gildas<br />
ungläubiges Staunen über die<br />
Treulosigkeit des Herzogs) vorwegnimmt<br />
und auch dessen Tonartendisposition<br />
(E-Dur – cis-Moll – Des-<br />
Dur) wahrt, und ergänzte einige zusätzliche<br />
Takte und Wiederholungen<br />
in der Mitte des Stücks sowie einen<br />
neuen effektvollen Schluss. Überwölbt<br />
wird die Verdi’sche Musik bald<br />
zunehmend von einem filigranen<br />
virtuosen Geflecht, das die nächtliche<br />
Szenerie gleichsam in ein unheimliches<br />
Licht taucht. Die äußere<br />
Unruhe wird so zum Spiegel der<br />
inneren Bewegung und zum Vorboten<br />
drohenden Unheils.<br />
Schwierigkeitsgrad: 6–7<br />
Valentin Silvestrov<br />
Klavierwerke, Band 2<br />
Werke von 1954 bis 1973<br />
Belaieff Bel 681-20<br />
EUR 32,95<br />
Valentin Silvestrov ist der bedeutendste<br />
Komponist seiner Generation.<br />
Alfred Schnittke<br />
Der größte Komponist unserer Zeit.<br />
Arvo Pärt<br />
Wenn sich zwei bedeutende<br />
Komponisten der Gegenwart<br />
so lobend über einen der Ihren äußern,<br />
sollte man vielleicht genauer<br />
hinschauen: Wer ist eigentlich<br />
Valentin Silvestrov?<br />
Geboren l937 in Kiew, studierte Valentin<br />
Silvestrov zuerst Klavier, anschließend<br />
Komposition, Harmonielehre<br />
und Kontrapunkt am Tschaikowsky-Konservatorium<br />
in Kiew. Zusammen<br />
mit Leonid Grabowsky,<br />
Alfred Schnittke, Sofia Gubaidulina,<br />
Gija Kantscheli sowie Arvo Pärt zählt<br />
er zu den bedeutendsten Repräsentanten<br />
der Kiewer Avantgarde.<br />
Zwölftonmusik und Aleatorik, Elektronik<br />
und Geräuschmusik – bislang<br />
die Kennzeichen der „Kiewer Avantgarde“<br />
ließ Silvestrov in den frühen<br />
Siebzigern hinter sich, um einen neuen<br />
kompositorischen Weg einzuschlagen:<br />
Er wagte stilistisch den<br />
Rückwärtsgang zur Klassik und<br />
Romantik. Seine Musik verbindet<br />
Anklänge der alten Musik mit romantischen<br />
liedartigen Motiven, impressionistischen<br />
Klangfeldern, mit<br />
atonalen Passagen im Sinne Schönbergs<br />
oder modalen Tonreihen im<br />
Stile von Messiaen.<br />
Der mir vorliegende zweite Band<br />
enthält sowohl frühe, in den fünfziger<br />
und sechziger Jahren entstandene<br />
Werke <strong>als</strong> auch die Zyklen „Kindermusik“<br />
I und II sowie die „Musik<br />
im alten Stil“ aus dem Jahre 1973,<br />
der frühen Reifezeit des Komponisten.<br />
In spieltechnischer Hinsicht stellen<br />
sie keine allzu große Herausforderung<br />
dar. Es sind wunderbare kleine<br />
Miniaturen, deren Traditionslinie<br />
wohl am ehesten von Mussorgskys<br />
„Kinderstube“ über Debussy („Children’s<br />
Corner“) führt. Die dichte<br />
Akkordik mancher Stücke, die zuweilen<br />
den Grenzbereich diatonischer<br />
Cluster erreicht, erinnert an die<br />
tonalen Experimente Goreckis und<br />
vor allem Schnittkes.<br />
Der Stil des reifen Silvestrov zeigt sich<br />
in Werken wie „Naive Musik“ oder<br />
„Entfernte Musik“ – hier treten bereits<br />
Elemente eines Stils zutage, den<br />
man recht gut <strong>als</strong> metaphorisch<br />
bezeichnen kann. Sofia Gubaidulina<br />
hat das ganz gut in Worte gefasst:<br />
„Seiner Meinung nach ist alles schon da<br />
– ist alles schon geschrieben worden.<br />
Um das zu verstehen, muss man an den<br />
Allmächtigen erinnern. Alles ist schon<br />
einmal geschaffen worden, man muss<br />
nichts weiter tun, <strong>als</strong> aufmerksam dem<br />
zu lauschen, was schon da ist, und das<br />
wieder aufrufen. Dann fängt wieder<br />
etwas an zu schwingen. Es war eigentlich<br />
die ganze Zeit schon da, aber jetzt<br />
können auch wir die Schwingungen<br />
spüren und das <strong>als</strong> Musik wahrnehmen.“<br />
Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />
Christopher Norton<br />
Microballads – 20 New Pieces<br />
for the Beginner Pianist<br />
Boosey & Hawkes BH 12276<br />
EUR 14,99<br />
Microjazz 1–3<br />
Boosey & Hawkes<br />
BH 12251 – BH 12253<br />
EUR 12,99<br />
Nachdem einige Autoren immer<br />
wieder eindrucksvoll demonstriert<br />
haben, wie man nicht für<br />
Anfänger schreiben sollte, zeigt<br />
Christopher Norton in diesem Heft,<br />
wie es wirklich geht. Zwanzig Stücke,<br />
die die gesamte Bandbreite klassischer<br />
Balladen abdecken und von<br />
stilistischer Vielfalt zeugen: einen<br />
sanften Bossa Nova, einen schotti-<br />
schen Folksong, eine Country-Ballade<br />
und einige waschechte Rockballaden.<br />
Die Begleittracks auf der<br />
CD sorgen für warme, einfühlende<br />
Unterstützung.<br />
Wie alle Norton-Stücke beeindruckt<br />
auch diese Auswahl durch ihre<br />
Stilsicherheit. Ob Gospel, Do-Wop,<br />
Jazz- oder Rockballade – jede einzelne<br />
der zwischen zwei und drei Seiten<br />
langen Balladen ist ein Musterbeispiel<br />
dafür, wie man in einem bestimmten<br />
Stil komponieren soll.<br />
Gleichzeitig sind die Stücke auch für<br />
wenig erfahrene Pianisten spielbar<br />
und regen dazu an, einzelne Strukturelemente<br />
herauszunehmen und<br />
mit ihnen zu experimentieren. Dafür<br />
einen Daumen rauf!<br />
Nortons Reihe „Microjazz“ erfreut<br />
sich schon seit langem großer Beliebtheit<br />
bei Klavierlehrern und<br />
-schülern, Freizeitjazzern und Arrangeuren.<br />
Dafür ist vor allem die ge-<br />
86 5 . 11
5 . 11<br />
schickte Mischung aus zeitgenössischer Popmusik und<br />
bewährter klassischer Tradition verantwortlich.<br />
Zwei Unterrichtshefte und drei Sammlungen mit Repertoirestücken<br />
in fünf klar abgegrenzten Leistungsstufen<br />
machen Microjazz zur Grundlage für den Unterricht. Die<br />
Neuauflage enthält nun zusätzlich Tipps und Hinweise<br />
für Lehrer und eine professionell produzierte Audio-CD,<br />
die sich auch <strong>als</strong> Playalong verwenden lässt.<br />
Schwierigkeitsgrad: 2–3<br />
N OTEN<br />
Kurz angespielt<br />
Helmut Bornefeld<br />
Zweite Sonatine für Klavier (1978)<br />
CV 29 151<br />
EUR 12,-<br />
Dritte Sonatine für Klavier (1978)<br />
CV 29 156<br />
EUR 13,-<br />
Als die drei Sonatinen 1978 erschienen, war es noch<br />
wichtig, sich <strong>als</strong> Komponist wenigstens einen Anschein<br />
von Avantgarde zu geben. Oder, wenn das aufgrund<br />
des frisch komponierten Werkes nicht möglich war, wenigstens<br />
auf das „durchaus Neue“ hinzuweisen, „das bei<br />
aller (scheinbaren) Harmlosigkeit allerlei Probleme in sich<br />
birgt“. Es sei, so Bornefeld, „wie beim Dornröschen – es<br />
schläft hinter der Hecke, und man muss erst (vielleicht mit<br />
ein paar Kratzern) durch die Hecke hindurch, um zur eigentlichen<br />
Schönheit zu gelangen“. Nein – allzu leicht wollte es<br />
einem die diskursfreudige Nachkriegsgeneration auch<br />
wieder nicht machen. Das fängt im vorliegenden Falle<br />
bei Bornefelds nicht immer leicht zu lesender Handschrift<br />
an und endet damit, dass auch das Ergebnis langer<br />
Probenzeit noch immer nach Papiermusik klingt.<br />
Vielleicht ein Grund dafür, dass die 2. Sonatine (wie der<br />
Verlag freimütig bekennt) immer noch nicht uraufgeführt<br />
worden ist?<br />
Johannes Brahms<br />
Händel-Variationen<br />
Herausgegeben von Johannes Behr<br />
Wiener Urtext Edition UT 50171<br />
EUR 12,95<br />
Schon früh zeigte Johannes Brahms Interesse an der<br />
Musik vorangegangener Epochen. In diesem Rahmen<br />
stieß er auch auf das Variationen-Thema Georg Friedrich<br />
Händels, das ihn seinerseits zu einem ausgedehnten<br />
Variationenwerk für Klavier inspirierte. Die Neuausgabe<br />
der Wiener Urtext Edition basiert auf einem akribischen<br />
Vergleich von Autografen, Erstausgabe und<br />
Handexemplaren. Brahms’ autografe Stichvorlage<br />
diente <strong>als</strong> wesentliches Korrektiv, nachträgliche Verbesserungen<br />
des Komponisten im Handexemplar von Max<br />
Kalbeck wurden ebenso berücksichtigt. Veränderungen<br />
in Tempo- und Ausdrucksbezeichnungen von Brahms’<br />
erster Niederschrift bis zum Erstdruck lassen Rückschlüsse<br />
auf dessen interpretatorische Vorstellungen zu<br />
und werden in den Interpretationshinweisen ausgewertet.<br />
Ein übersichtliches, klar lesbares Notenbild macht<br />
die <strong>Ausgabe</strong> zu einer komfortablen Grundlage für das<br />
Studium dieses Meisterwerks.
B B ÜCHER<br />
Romane, deren Hauptprotagonisten Pianisten<br />
sind, gibt es einige – aber im Vergleich<br />
zu der großen Menge an Neuerscheinungen<br />
nicht allzu viele. Daher ist es umso<br />
spannender, wenn ein Roman erscheint, der<br />
einen Pianisten <strong>als</strong> Hauptfigur im Fokus hat.<br />
Der Roman „Die Teufelssonate“ des niederländischen<br />
Drehbuchautors Alex van Galen<br />
ist bereits sein zweiter Roman, der nun im<br />
Insel Taschenbuch-Verlag in deutscher Übersetzung<br />
erschienen ist.<br />
Und van Galen entpuppt sich <strong>als</strong> zweierlei:<br />
<strong>als</strong> geschickter Autor eines Romans, der fast<br />
ein psychologischer Thriller ist, und <strong>als</strong> Kenner,<br />
der gut um die Kleinigkeiten der Musikwelt<br />
weiß – auch um die vielen Negativseiten.<br />
Dabei entwirft er eine wirklich extravagante<br />
Geschichte um den in den Niederlanden<br />
erzogenen, russischstämmigen Mikhael<br />
Notovich. Als Wunderkind und bald schon <strong>als</strong> Ausgeburt<br />
eines Virtuosen bekannt, zieht er sich schon jung von der<br />
Bühne zurück – ausgepowert und verwirrt. Bis er „Sie“ in<br />
Paris kennenlernt, ein Mädchen, das ihm im Handumdrehen<br />
den Kopf verdreht und ihn anstachelt wieder aufzutreten.<br />
Allerdings ausschließlich mit Werken von Liszt. So<br />
begibt er sich auf die Bühnen und wird der Liszt-Interpret<br />
schlechthin, wird gefeiert wie ein „neuer Liszt“. Doch immer<br />
häufiger leidet er unter Blackouts, weiß nach und<br />
während der Auftritte nicht mehr, was geschehen ist. Eines<br />
Tages kommt er mit blutverschmierten Händen auf die<br />
Bühne und es scheint, dass er Senna, das Mädchen getötet<br />
hat. Er allerdings kann sich an nichts erinnern und glaubt<br />
fast schon selbst an den Mord. Verfolgt zieht er sich in die<br />
Niederlande zurück und hört auf zu spielen. Bis eines Tages<br />
ein anderer Pianist ihm seinen Ruf und Rang <strong>als</strong> Nachfolger<br />
Liszts streitig macht. Nach und nach entwirrt van Galen<br />
eine Geschichte um die Vergangenheit Notovichs und<br />
seines Herausforderers Valdin. Notovich beginnt wieder zu<br />
üben, lässt sich auf einen Wettstreit – wie einst Liszt mit<br />
Sigismund Thalberg – ein. Doch damit ist die Geschichte<br />
Lizsts Nachfolger in Romanform<br />
Spielerische Spielräume: Kurtágs „Játékok“<br />
Wie es so ist bei Büchern, die ursprünglich <strong>als</strong><br />
wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht<br />
wurden, so geht es einem auch bei diesem Buch.<br />
Denn dieses Werk wurde <strong>als</strong> Dissertation im<br />
Bereich der Musikwissenschaft von Franziska<br />
Schuller in Köln zu Beginn dieses Jahres abgegeben.<br />
Doch Schuller geht das Thema der wissenschaftlichen<br />
Betrachtung der seit 1973 entstehenden<br />
und mittlerweile auf nicht weniger <strong>als</strong> acht<br />
Bände angewachsenen Stückesammlung „Játékok“<br />
des ungarischen Komponisten György Kurtág<br />
anders an, <strong>als</strong> man es erwartet. Denn Schuller<br />
stellt zuerst einmal klar, was unter dem Titel<br />
nun wirklich zu verstehen ist. Denn „Játékok“ meint ja nun<br />
einmal „Spiele“. Aber in welcher Hinsicht? Natürlich erkennt<br />
die Wissenschaftlerin die Traditionslinie, in der Kurtág<br />
sich befindet, hatte er doch zu Beginn eine Stückefolge<br />
für Kinder im Sinn und stand damit in einer Linie mit<br />
nicht zu Ende, denn noch immer ist nicht geklärt,<br />
was mit Senna geschah. Und ob es die<br />
immer wieder erwähnte „Teufelssonate“ von<br />
Liszt wirklich gibt, bleibt bis zum Schluss<br />
auch offen.<br />
Van Galen beschreibt die Nöte, die Gedanken<br />
und die Ängste eines Pianisten so psychologisch<br />
genau, so eindringlich, dass sie<br />
verständlich werden. Bei den Recherchen<br />
und dem Verständnis dafür halfen ihm mit<br />
Sachverstand vor allem der Pianist und Pädagoge<br />
Jan Beekmans (bei dem van Galen<br />
selbst einmal Unterricht hatte) und Quinten<br />
Peelen, der Leiter des Franz Liszt-Wettbewerbs<br />
in Utrecht. So beschreibt der Autor die<br />
Liszt-Werke, die erarbeitet und gespielt werden,<br />
so genau, dass man sie fast zu hören<br />
glaubt. Auch die historischen Einwürfe über<br />
Liszt sind interessant. Doch vor allem sind es<br />
die Kleinigkeiten, die das Buch so realitätsgenau werden<br />
lassen: dass Notovich in den Wettbewerben, in denen er<br />
antrat, nie den ersten Platz erringen konnte, da sein Spiel<br />
die Jury in ihrer Meinungsbildung spaltete. Dass er sich<br />
nach einem Unterricht auf eine Affäre mit einer Studentin<br />
einlässt. Dass die Machenschaften von Agenten nicht immer<br />
die Ideen der Künstler widerspiegeln und so fort.<br />
Alex van Galen hat einen psychologisch spannungsgeladenen<br />
Thriller in der Pianistenwelt angesiedelt, den man<br />
gar nicht mehr aus der Hand legen mag, wenn man ihn<br />
einmal begonnen hat.<br />
Carsten Dürer<br />
Alex van Galen<br />
Die Teufelssonate<br />
Deutsch von Arne Braun<br />
Insel Taschenbuch 4020<br />
388 Seiten<br />
EUR 9,95<br />
Dohnanyi und Bartók, <strong>als</strong>o in direkter Folge seiner<br />
Landsmänner im 20. Jahrhundert. Doch<br />
anders <strong>als</strong> diese hatte Kurtág niem<strong>als</strong> eine<br />
Schule im Sinn oder eine aufeinander aufbauende<br />
Folge. Die Autorin stellt klar, dass es um<br />
das Spielerische an sich geht. Denn nicht nur<br />
das Spielen am Instrument ist Grundlage des<br />
Titels, sondern auch das Spielen mit den Möglichkeiten<br />
des Klangs, des Instruments Klavier<br />
und allem, was damit zusammenhängt. Dass<br />
Kurtág dabei Grenzen der üblichen kompositorischen<br />
Auffassungen des 20. Jahrhunderts<br />
überschreitet, liegt <strong>als</strong>o in der Natur der Sache,<br />
denn Grundlage ist das spielerische Experimentieren mit<br />
der Musik am Klavier. So geht Schuller erst einmal von der<br />
Begrifflichkeit – der geschichtlichen und der bei Kurtág speziellen<br />
– des Wortes „Spiel“ aus. Allerdings gibt es Regeln<br />
und Spielräume, in denen sich diese Stücke bewegen und<br />
88 5 . 11
5 . 11<br />
die sich Kurtág ausgedacht hat. Dadurch sind diese „Spiele“<br />
auch mittlerweile weit über die Kinderstadien hinausgewachsen<br />
und nicht allein mehr Solostücke, sondern auch<br />
solche für Klavier zu vier Händen oder für zwei Klaviere.<br />
Dennoch sind die Regeln nicht fixiert, sondern flexibel und<br />
so geht es für Kurtág auch immer noch weiter mit seinen<br />
„Játékok“.<br />
Franziska Schuller stellt verständlich dar und geht in die<br />
Grundlagenforschung. Und genau das macht diesen Band<br />
einer wissenschaftlichen Reihe denn auch so lesenswert,<br />
denn anhand dieser Schrift kann man sich endlich einmal<br />
ausführlich mit diesen acht Bänden beschäftigen, die mitt-<br />
Dass sich ein Autor wie Wolfram Huschke,<br />
selbst lange zuständig für die Leitung<br />
der Franz Liszt-Hochschule in Weimar,<br />
heute Vorsitzender des Weimarer<br />
Franz Liszt-Vereins, in diesem Jahr mit<br />
einem Buch zum Thema Liszt zu Wort meldet,<br />
scheint fast eine Selbstverständlichkeit.<br />
Huschke ist Liszt-Kenner, nicht nur,<br />
aber auch. Und Huschke ist Weimar-Kenner,<br />
lebt er hier doch schon lange <strong>als</strong> Kultur-Aktivist.<br />
Wie auch immer, er macht<br />
sich mit diesem umfassenden Band nun<br />
daran, die „Wirkung und Wirkungen“<br />
Liszts in Weimar kenntnisreich und einfühlsam<br />
dazustellen. Natürlich muss es zu<br />
Beginn erst einmal darum gehen, warum<br />
Liszt, der Weltstädter, überhaupt den Entschluss<br />
fasste, ins recht unbedeutende Weimar<br />
zu gehen. Und bedeutend in seiner<br />
Modernität dieser Zeit, nicht in seiner kulturellen Position,<br />
die aber längst der Vergangenheit angehörte und mit dem<br />
Tod Goethes einen Abschluss fand. Klar, Liszt wollte wirken<br />
– und fand zu Beginn seiner ersten Weimarer Phase genau<br />
die richtigen Grundlagen. Die Hofkapellmeister-Stelle wurde<br />
vollkommen frei aufgefasst, so dass Liszt schalten und<br />
walten konnte, wie er wollte, nun mit Zugriff auf das Hoforchester<br />
und das Opernensemble. Zudem wollte er mit<br />
dem Entschluss, mit der Gräfin von Sayn-Wittgenstein zusammenzuleben,<br />
einen Ort des Verbleibens finden. Und<br />
auch das war Weimar – fernab auch von Paris, wo seine<br />
Kinder mit Marie d’Agoult lebten. Und auch fernab von<br />
Russland, wo noch der Ehemann der Gräfin war. Es ist<br />
Liszts vielleicht wichtigster Lebensabschnitt, der in Weimar<br />
stattfindet, das wird durch die Erläuterungen Huschkes<br />
klar: Das Virtuosentum hatte Liszt hinter sich, konnte nun<br />
mit dem Ruhm seiner Person einen Posten antreten, der<br />
ihn dazu befähigte, zahlreiche seiner Kompositionen in die<br />
Tat umzusetzen, sich um Schüler für die Fortführung seines<br />
Ruhms zu bemühen, sich nun großen Themen wie Opern<br />
und seinen sinfonischen Dichtungen zuzuwenden. Und<br />
Huschke lässt kein Thema aus. Er macht die hochtrabenden<br />
Pläne Liszts für eine „Nation<strong>als</strong>tiftung der Künste“<br />
klar, lässt durchblicken, dass viele der gewagten Ideen<br />
nicht verwirklicht wurden, da Geld fehlte oder aber Liszt<br />
seinen eigenen Plänen nicht nachhing.<br />
Die Frage, die den Leser beschäftigt: Hatte Liszt es letztendlich<br />
geschafft, ein „Neu-Weimar“ zu etablieren, mit der<br />
Ideengrundlage, an die literarische Tradition eines Schiller<br />
und Goethe mit der Musik anzuknüpfen? Nun, das bleibt<br />
B B<br />
ÜCHER Liszt und sein „Neu-Weimar“<br />
lerweile ja einen fast selbstverständlichen Eingang in das<br />
Repertoire von Musikschülern und Pianisten gefunden haben.<br />
Carsten Dürer<br />
Franziska Schuller<br />
Spiel <strong>als</strong> kompositorisches Prinzip in György Kurtágs „Játékok“<br />
Kölner Beiträge zur Musikwissenschaft Bd. 14<br />
Gustav Bosse Verlag<br />
104 Seiten<br />
ISBN 978-3-7649-2714-1<br />
EUR 29,95<br />
Ansichtssache. Huschke selbst bewertet nur<br />
selten, sondern versucht ausgiebig alle Facetten<br />
aufzuzeigen, wie man bestimmte<br />
Dinge sehen kann. Und natürlich bleibt bei<br />
diesem Autor auch nicht die wichtige Spätphase<br />
Liszts in Weimar sowie die Rezeption<br />
bis hin zur jüngeren Geschichte mit Betrachtung<br />
der Liszt-Gesellschaft etc. sowie<br />
dem Hinweis zum Liszt-Jahr 2011 in Weimar<br />
unbeachtet.<br />
Huschke ist einer der Liszt-Spezialisten in<br />
der Welt. Und er hat ein Buch vorgelegt,<br />
das man lesen sollte, will man sich intensiv<br />
mit der Person Liszts im zweiten und letzten<br />
Lebensabschnitt, den beiden in Weimar,<br />
beschäftigen. Es lohnt sich.<br />
Carsten Dürer<br />
Wolfram Huschke<br />
Franz Liszt – Wirken und Wirkungen in Weimar<br />
392 Seiten<br />
ISBN 978-3-941830-11-0<br />
EUR 28,-<br />
Landhaus Woltersmühlen, Nähe Timmendorfer Strand<br />
vermietet in romantischer Wassermühle eine komfortable<br />
Ferienwohnung mit Bechstein-Flügel. Schönste Lage in der<br />
Holsteinischen Schweiz.<br />
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Außergewöhnlich schöner Steinway & Sons-Konzertflügel,<br />
Modell D-274 cm, Seriennummer 461.890, aus dem<br />
Privatbesitz eines in Berlin lebenden Pianisten zu verkaufen.<br />
Das Instrument wurde 1998 durch das Steinway-Haus<br />
London generalüberholt und wurde seither regelmäßig<br />
vom Werkstattleiter des Steinway-Hauses Berlin gewartet.<br />
Der Korpus ist schwarz seidenmatt, die Klaviatur ist mit<br />
Elfenbein belegt.<br />
Mitverkauft wird eine professionelle Klavierbank und eine<br />
Flügel-Schutzdecke (gepolstert).<br />
Der Preis beträgt 64.500,- EUR<br />
Für Besichtigung, Anspiel- und Terminabsprachen<br />
kontaktieren Sie bitte info@czajasager.com<br />
Private Kleinanzeigen<br />
89
J<br />
J AZZ-WORKSHOP<br />
90 5 . 11
5 . 11<br />
J AZZ-WORKSHOP<br />
Ursprünglich war die Ballade seit dem 12. Jahrhundert<br />
im romanischen Sprachraum ein Lied mit Kehrreim,<br />
das zum Tanz gesungen wurde. Im Lateinischen heißt<br />
„ballare“ tanzen, im Spanischen übrigens ganz ähnlich:<br />
„bailar“. Interessanterweise widerspricht <strong>als</strong>o die ethymologische<br />
Herkunft des Begriffs total der Bedeutung im Jazz.<br />
Denn eine langsame Jazz-Ballade hat mit der Motorik des<br />
Tanzens nun ganz und gar nichts zu tun (es sei denn, man<br />
geht davon aus, was zu meinen Jugendzeiten <strong>als</strong> „Klammer-<br />
Blues“ bezeichnet wurde – und was einem fast bewegungslosen<br />
„Tanzen“ quasi im Stand entsprach, bei dem die Neigung<br />
zum „Klammern“ nur durch das angebliche Tanzen<br />
kaschiert wurde).<br />
Im Mittelalter in Frankreich bezeichnete „Ballade“ ein<br />
kunstvolles Lied mit strenger Form; in Deutschland im 14.<br />
und 15. Jahrhundert dann ein erzählendes Heldenlied; im<br />
16. und 17. Jahrhundert war die Ballade so etwas wie eine<br />
Moritat; ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ging<br />
dann der Begriff mehr in die literarischen Künste über, bezeichnete<br />
zunächst eine eher schlichte Gedichtform. Kurz vor<br />
dem Ende des 18. Jahrhunderts entstanden dann bedeutende<br />
Balladen, die jeder ehemalige Gymnasiast zum Teil noch<br />
heute fehlerfrei aufsagen kann (oder doch nicht?), besonders<br />
von Schiller (z. B. „Der Handschuh“, „Der Taucher“),<br />
aber auch von Goethe (z. B. „Der Schatzgräber“, „Der Zauberlehrling“).<br />
Es begann die Hochblüte der deutschen Ballade<br />
im literarischen Sinn, <strong>als</strong>o <strong>als</strong> reine Wortkunst ohne musikalischen<br />
Bezug. Sie reichte bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts.<br />
Es handelte sich <strong>als</strong>o um eine ausgefeilte Gedichtform.<br />
Auch Goethes berühmter „Erlkönig“ zählt dazu.<br />
Der Allgemeinbildung mag nun Genüge getan sein. Widmen<br />
wir uns der Ballade, die ich hier vorstellen will, <strong>als</strong>o<br />
einer Jazz-Ballade. Sie hat den Titel „Lover Man (Oh Where<br />
Can You Be?)“, meist nur <strong>als</strong> „Lover Man“ bezeichnet. Das<br />
Stück wurde 1941 komponiert, und zwar ursprünglich für<br />
die große Billie Holiday, deren Version 1989 einen Platz in<br />
der Grammy Hall of Fame bekam.<br />
Ich möchte an diesem Stück akkordisches Spiel demonstrieren.<br />
Dies betrifft die Akkordik der linken Hand, in der Basston<br />
und Akkord abwechseln, vor allem aber die Melodieführung<br />
der rechten Hand, die einmal nicht einstimmig (<strong>als</strong>o<br />
single-line) abläuft, sondern wesentlich komplexer (und<br />
somit auch wesentlich schwieriger) in meist 4- und sogar 5stimmigen<br />
Akkorden. (Wer das Gegenstück anhören möchte,<br />
widme sich Keith Jarretts gelungener Version von „Lover<br />
Man“ mit seinem Jazz-Trio auf der Doppel-CD „Tribute“, wo<br />
er die Melodie single-line spielt und sogar das Stück in einem<br />
flotten Medium-Tempo interpretiert, <strong>als</strong>o gar nicht balladesk.)<br />
Jazz-<strong>Piano</strong>-Workshop (27)<br />
Akkordisches Balladenspiel<br />
„Ballade“ ist ein schillerndes Wort mit vielen Bedeutungen. Im Jazz und in der<br />
Popularmusik wird der Begriff Ballade im weitesten Sinne dann gebraucht, wenn man es<br />
mit einem sehr langsamen Stück mit eher melancholischem Feeling zu tun hat. Bevor ich<br />
jedoch zum Begriff Ballade im Jazzbereich komme, möchte ich der Allgemeinbildung die<br />
Ehre geben und kurz ausführen, was sonst noch <strong>als</strong> Ballade bezeichnet wird.<br />
von: Rainer Brüninghaus<br />
Doch zurück zu meiner sehr langsamen Version. Sie sollte<br />
nur etwa mit dem Tempo Viertelnote = 40 gespielt werden.<br />
Zunächst sollte man die Akkorde der linken Hand „herausfingern“<br />
und <strong>als</strong> Hilfe sich dabei an den bezifferten Akkordsymbolen<br />
über dem System orientieren. Danach nimmt man<br />
sich die rechte Hand vor und erarbeitet sich zunächst mal<br />
jeden Akkord einzeln. Nun zurück zur linken Hand. Wir<br />
üben jetzt den Wechsel von Basston und Akkord.<br />
So allmählich kann man sich nun daranwagen, alles zusammen<br />
zu spielen. Lassen Sie sich nicht irritieren, wenn<br />
mal rechte Hand und linke Hand überlappen. Dabei entstehen<br />
irisierende, volle clusterartige Gesamtklänge. Dies passiert<br />
z. B. gleich auf dem zweiten Viertel des ersten Taktes,<br />
wo der g-Moll-Akkord durch die überlappende rechte und<br />
linke Hand clusterartig (mit Ausnahme des Tones F) sämtliche<br />
Töne der dorischen g-Moll-Skala beinhaltet. An dieser<br />
Stelle möchte ich betonen, dass ich sämtliche Akkorde jeweils<br />
streng ausschließlich aus den jeweiligen Skalentönen<br />
gebaut habe, die dem jeweiligen Akkord zuzuordnen sind.<br />
Skalenfremde Akkordtöne kommen nicht vor.<br />
Zu dieser Problematik – welches sind die „richtigen“ Akkordtöne<br />
– werde ich detailliertere Ausführungen in der kommenden<br />
Folge machen, in der es unter anderem um die<br />
Analyse der Komposition anhand der Akkord-Skalentheorie<br />
geht.<br />
Neu im STACCATO-Verlag<br />
Die EPTA-Dokumentation<br />
2008/2009<br />
In dieser neuen Dokumentation der EPTA<br />
(European <strong>Piano</strong> Teachers Association / Sektion<br />
der Bundesrepublik Deutschland) mit dem Titel<br />
„Zuhause sein im Tonsystem“ erhalten Sie<br />
umfangreiche Informationen über Lernsysteme<br />
durch das Erkennen des Tonsystems, über<br />
„Leadsheets im Unterricht“ bis hin zu „Zum<br />
Auswendiglernen durch Analyse“.<br />
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STACCATO-Verlag<br />
Heinrichstr. 108 - 40239 Düsseldorf<br />
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EPTA-Dokumentation 2008/2009<br />
Zuhause sein im Tonsystem<br />
164 Seiten / brosch.<br />
Euro 14,-<br />
ISBN 978-3-932976-43-8<br />
STACCATO<br />
Verlag<br />
J<br />
91
A A LTE A UFNAHMEN<br />
Ungehörtes und Erkenntnisreiches<br />
Es ist erstaunlich, mit welcher Akribie einige Labels versuchen, älteste Aufnahmen digital aufbereitet<br />
auf CD herauszubringen. Allerdings Aufnahmen, die sich lohnen gehört zu werden. Denn wer kann<br />
schon behaupten zu wissen, wie Percy Grainger gespielt hat. Nun kann man dies in aller Intensität<br />
durch eine komplette CD-Box nachverfolgen. Dazu sind es immer wieder auch die Archive des russischen<br />
Rundfunks, die bei Melodiya für Überraschungen sorgen. In dieser <strong>Ausgabe</strong> haben wir Elisso<br />
Wirssaladze und Yakov Zak ausgewählt – neben einigen anderen spannenden Aufnahmen.<br />
Von: Carsten Dürer<br />
Der 1881 in Australien geborene Percy Grainger war<br />
sicherlich schon in seiner Jugend ein begabter Pianist.<br />
Denn schließlich hatte er <strong>als</strong> Kind schon Unterricht bei dem<br />
aus Preußen stammenden Louis Pabst, der in Melbourne<br />
eine Konzertserie aufbaute, nachdem er 1884 nach Australien<br />
übergesiedelt war. 1894 verließ Pabst Australien und<br />
nur ein Jahr später entschied auch Grainger, nach Europa<br />
zu kommen, um dort seine musikalischen Studien fortzusetzen,<br />
und kam über Italien nach Frankfurt am Main, um<br />
dort am Hoch’schen Konservatorium zu lernen. 1901 findet<br />
man ihn dann in London, wo er seine Karriere <strong>als</strong> Pianist<br />
wirklich ausbaute – neben seiner Obsession, zu komponieren.<br />
Und dort, in London, begann<br />
er mit seinen Aufnahmen. Die<br />
erste stammt aus dem Jahr 1908<br />
und zeigt ihn <strong>als</strong> Virtuosen Liszts<br />
„Ungarischer Rhapsodie“ Nr. 12<br />
und in der Solokadenz aus Griegs<br />
Klavierkonzert. Grieg hatte er in<br />
London selbst kennen gelernt. Als<br />
Grainger dann 1914 in die USA<br />
kam, war sein Erfolg <strong>als</strong> Pianist<br />
und Komponist gleichermaßen<br />
groß. Und sofort ging es weiter mit den Tonaufnahmen.<br />
Und nun spielt er aus diesem Jahr auch eigene Werke,<br />
„Shepherd’s Hey“ und „Mock Morris“, typische irische<br />
Tunes, die er geschickt für das Klavier arrangierte. Doch<br />
was in der Folge in den Aufnahmen deutlich wird, ist Graingers<br />
Gefühl für Dynamik und Rhythmus, immer genauestens<br />
in der Phrasierung auf den Punkt gebracht. Ein durchweg<br />
intelligenter Pianist, der seine technischen Fähigkeiten<br />
für die Ausdruckswelten seiner Interpretationen einzusetzen<br />
wusste. Und so zeigen auch seine später eingespielten<br />
„Symphonischen Etüden“ von Schumann, seine zahlreichen<br />
kleinen Stücke von Grieg und von ihm selbst, seine Chopin-<br />
Darstellungen einen ganz persönlichen Klavierstil, der so<br />
gar nicht altertümlich wirkt, nichts von dem bei Pianisten<br />
aus seiner Periode oftm<strong>als</strong> erkennbaren Spiel hören lässt.<br />
Grainger war ein wunderbarer Pianist, modern in seiner<br />
Spielweise und durchaus an seinen eigenen Schreibweisen<br />
für das Klavier geschult. Eine Box, die man sich zulegen sollte,<br />
wenn man sich in die Welt frühester Aufnahmen und<br />
alter Klavierstilistik begeben will.<br />
Heutzutage vergessen viele Klavierfans, dass die Georgierin<br />
Elisso Wirssaladze neben ihrer intensiven Lehrtätigkeit<br />
in Moskau und München auch eine wunderbare<br />
Pianistin ist. Dass sie es immer schon war, kann man nun in<br />
den Einspielungen mit den Klavierkonzerten von Chopin<br />
(Nr. 1) und Schumann entdecken. Am 11. März 1977 spielte<br />
sie beide Konzerte im großen Saal des Moskauer Tschai-<br />
kowsky-Konservatoriums. Und wie heute auch noch, zeigt<br />
sich Wirssaladze <strong>als</strong> eine hochsensible Pianistin mit einem<br />
Faible für absolute Durchhörbarkeit jedweder Nuance. In<br />
Chopins Klavierkonzert Nr. 1 vermag sie tatsächlich jeder<br />
Note einen Sinn und eine Bedeutung im Gesamtzusammenhang<br />
zu geben. Dass sie dabei eine immer auf die musikalische<br />
Aussage ausgelegte Phrasierung anzuwenden<br />
imstande ist, macht ihr Klavierspiel so immens flexibel und<br />
klangschön. Und natürlich kann sie auch den recht hell<br />
intonierten Flügel zum Singen bringen. Dabei vermag sie<br />
Nuancen so zu deuten, dass man erkennt, wie viele Gedanken<br />
sie den Werken zugewendet hat. Und welche inspirative<br />
Kraft diese Pianistin besitzt! Und<br />
natürlich kommt das Element des<br />
lyrischen Spiels in Robert Schumanns<br />
Konzert noch stärker zum<br />
Einsatz. Allerdings wird hier im<br />
langen Kopfsatz noch einmal<br />
mehr deutlich, dass gerade ihr Legato-Spiel<br />
sowie der vorsichtiggeschickte<br />
Einsatz des Ped<strong>als</strong> zu<br />
ihrer Interpretation beiträgt. Da<br />
ist jede Nuance durchdacht und dennoch mit so viel Emotion<br />
angefüllt, dass man sich dieses Konzert immer und immer<br />
wieder anhört. Diese Einspielungen sind Referenzen für<br />
diese Konzerte, die man sich anhören sollte, wenn andere<br />
Interpretationen dieser Werke beurteilen will.<br />
Den in Odessa geborenen Pianisten Yakov Zak (1913–<br />
1976) kennen heute fast nur noch Eingeweihte. Dieser<br />
erst in Odessa ausgebildete und dann in Moskau in der<br />
Klasse von Heinrich Neuhaus erzogene Pianist gilt aber vielen<br />
<strong>als</strong> der beste überhaupt. Seine Karriere startete richtig,<br />
<strong>als</strong> er 1937 den ersten Preis beim Warschauer Chopin-Wettbewerb<br />
gewann. Als er 1947 zum Professor für Klavier am<br />
Moskauer Konservatorium wurde, wurden heute bekannte<br />
Pianisten seine Schüler: unter anderen auch die soeben<br />
gelobte Elisso Wirssaladze. In der vorliegenden Einspielung<br />
aus den Jahren 1953 und 1959<br />
war sein Künstlertum vollauf ausgereift.<br />
Und auch wenn sicherlich<br />
die Spielweise des Ravel-Konzerts<br />
nicht jedermanns Geschmack sein<br />
wird, da Zak sehr auf die Brillanz<br />
hin abzielt und weniger auf die<br />
Lyrismen achtet: Sobald man<br />
dann die Prokofiew-Sonate Nr. 4<br />
von ihm hört, ist man überzeugt:<br />
Zak ist ein Klanggestalter, der weiß, wie man diese Musik<br />
aus dem Inneren heraus betrachtet. Ein wunderbarer<br />
Klangmagier geradezu wird da offenbar, feinsinnig in der<br />
92 5 . 11
Phrasierung und der Farbgebung. Dass Zak zudem technisch<br />
ein Kraftpaket ist, kann man dann im 2. Klavierkonzert<br />
von Prokofiew hören, da er hier nun wirklich alle Register<br />
von Virtuosität zieht, stupende Lauftechnik aufweist<br />
und zudem niem<strong>als</strong> die Musikalität vermissen lässt. Diese<br />
Aufnahme ist ein deutlicher Beweis für Zaks Kunst und lässt<br />
das Lob über sein Spiel von anderen Pianisten durchaus verstehen.<br />
Emil Gilels ist bekannt für seine Aufnahmen der Beethoven-Sonaten,<br />
für seine Interpretationen so vieler Werke,<br />
aber nicht unbedingt für seinen Schubert. Doch in dieser<br />
Einspielung, die nun in der Serie der „Origin<strong>als</strong>“ von Sony<br />
Classical in derselben Form wie die ursprüngliche LP bei<br />
RCA Victor wiederaufgelegt wurde, ist es die D-Dur-Sonate<br />
D 850, mit der Gigels besticht. Natürlich war Gilels zu dieser<br />
Zeit – im Jahre 1960 – auf dem Höhepunkt seiner Kunstfertigkeit.<br />
Und diese spielt er in Schuberts Sonate voll aus. Ja,<br />
Gilels verschleiert hier keine der Schubert’schen Ideen mit<br />
samtenem Blick, sondern weiß durchweg die pure Musik zu<br />
Percy Grainger<br />
The complete 78-rmp solo recordings<br />
Aufgenommen 1908 und 1931<br />
APR 7501 (5 CDs)<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
Frédéric Chopin<br />
Klavierkonzert Nr. 1<br />
Robert Schumann<br />
Klavierkonzert a-Moll<br />
Elisso Wirssaladze, Klavier<br />
Moskau Sinfonie-Orchester<br />
Ltg.: Dmitri Kitayenko<br />
A LTE A A<br />
UFNAHMEN Aufgenommen 11. März 1977<br />
Melodiya 10 01819<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
Maurice Ravel<br />
Klavierkonzert G-Dur<br />
Sergei Prokofiew<br />
Klavierkonzerte Nr. 2; Klaviersonate Nr. 4<br />
Yakov Zak, Klavier<br />
USSR Staats-Sinfonie-Orchester; Ltg.:<br />
Evgeny Svetlanov (Ravel)<br />
Großes Allunion Sinfonie-Orchester; Ltg.:<br />
Kurt Sanderling (Prokofiew)<br />
spielen, so wie sie da geschrieben<br />
steht. Wieder einmal zeigt sich die<br />
berauschende Farbnuancierung<br />
dieses Pianisten, der mit einer tiefen<br />
Durchdringung diese Musik zu<br />
gestalten versteht. Schubert ist<br />
hier Schubert und nicht Interpret.<br />
Und dasselbe tiefe Verständnis findet<br />
sich auch in Liszts h-Moll-Sonate.<br />
Ja, hier weiß Gilels besser <strong>als</strong><br />
zahllose seiner Kollegen den Strang der fortlaufenden und<br />
dennoch so facettenreichen dramatischen Einfälle zu halten.<br />
Geschickt weiß der Pianist diese Dramatik zu beschleunigen,<br />
ohne das Tempo anzuziehen. Ganz im Gegenteil<br />
erscheinen die Tempi eigenartigerweise eher verhalten,<br />
dafür hört man aber jede Kleinigkeit, kann den Schwung<br />
genießen und sich auf die hinter dieser Musik zu findende<br />
Eingebung von Geschichten einlassen. Eine bravouröse Interpretation,<br />
die einmal mehr den herausragenden Stellenwert<br />
dieses Pianisten im 20. Jahrhundert festigt.<br />
Jenseits des Mainstreams<br />
Das Festival „Raritäten der Klaviermusik“<br />
Herausgeber: Johanna Jürgensen & Peter Froundjian<br />
232 Seiten / Brosch.<br />
Euro 22,80 (D) / 24,- (A)<br />
ISBN 978-3-932976-45-2<br />
Aufgenommen 1959 und 1970<br />
Melodiya 10 01789<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
Franz Schubert<br />
Klaviersonate D-Dur D 850<br />
Franz Liszt<br />
Klaviersonate h-Moll<br />
Emil Gilels, Klavier<br />
Aufgenommen 1960 und 1964<br />
Sony Classical 88697858242<br />
DAS BESONDERE BUCH IM STACCATO-VERLAG<br />
In deutscher<br />
und englischer<br />
Sprache<br />
erhältlich.<br />
25 Jahre nach der Gründung des Festiv<strong>als</strong> „Raritäten der Klaviermusik“ hat man nun<br />
ein Buch vorliegen, das mit Beiträgen der Initiatoren sowie von Journalisten,<br />
Besuchern und Pianisten wie Marc-André Hamelin die Besonderheiten und<br />
Erfahrungen dieses Festiv<strong>als</strong> zusammenfasst. Ein Buch, das jeder entdeckungsfreudige<br />
Klavierfreund lesen sollte.<br />
Auch in englischer Sprache zu beziehen:<br />
Beyond the mainstream<br />
The Festival „Rarities of <strong>Piano</strong> Music“<br />
Editors: Johanna Jürgensen & Peter Froundjian<br />
232 pages / Paperback<br />
Euro 22,80 (D) / 24,- (A)<br />
ISBN 978-3-932976-46-9<br />
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STACCATO-Verlag<br />
Heinrichstr. 108 - 40239 Düsseldorf<br />
Tel.: +49 / 211 / 905 30 48<br />
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STACCATO<br />
Verlag
E E DITIONEN<br />
Russische Komponisten hoch im Kurs<br />
Gesamtaufnahmen, Arrau und Chopin-Wettbewerbsgewinner<br />
Editionen und Boxen sind nach wie vor besonders bei älteren Aufnahmen oder bei Gedenkjubiläen beliebte<br />
Möglichkeiten, um ältere Einspielungen zu kumulieren und dann für Sammler oder Fans geschlossen<br />
anzubieten. Aber zum Glück gibt es auch immer wieder komplette Boxen, die Neues bieten. Von beidem<br />
haben wir eine Auswahl der zahllosen Editionsboxen ausgesucht.<br />
Von: Carsten Dürer<br />
Da erscheint eine Box mit dem Pianisten Michael<br />
Ponti, der besonders in den späten 60er und den<br />
70er Jahren <strong>als</strong> einer der besten Pianisten auf den<br />
weltweiten Bühnen gehandelt wurde. Und natürlich – auch<br />
das ist bekannt – war er ein Virtuose in bester Manier, einer,<br />
der zuweilen auch schon einmal über<br />
die Stränge schlug und einen Flügel an<br />
den Rand des Zusammenbruchs bringen<br />
konnte. Hier nun erscheint eine<br />
Box mit sämtlichen Werken für Klavier<br />
solo von Sergej Rachmaninow. Sicherlich<br />
wird nicht alles jedem gefallen,<br />
aber man hört: Michael Ponti<br />
(* 1937) war ein brillanter Pianist, der<br />
jedwede Nuance der Préludes Op. 23 und Op. 32 ebenso farbenreich<br />
wie rauschhaft zu gestalten verstand. Schade nur,<br />
dass das Booklet wirklich weniger <strong>als</strong> spärlich über den<br />
Pianisten informiert.<br />
Eigentlich gehören einige Editionen ja in die Rubrik „historische<br />
Einspielungen“, aber wenn man eine 12 CDs beinhaltende<br />
Box mit Einspielungen des legendären Claudio Arrau<br />
in Händen hält, ist es ja eher eine editorische <strong>Ausgabe</strong>. Und<br />
hier nun kann man sich wirklich einen umfassenden Überblick<br />
über die Repertoirebreite dieses Pianisten verschaffen,<br />
der aus Chile stammend (1903–1991) schon 1913 mit einem<br />
Stipendium seiner Regierung nach Berlin kam, um bei<br />
Martin Krause zu studieren. Doch Berlin war ihm niem<strong>als</strong><br />
eine Heimat geworden, versuchte er doch gegen die Übermacht<br />
von Schnabel und anderen längst arrivierten Pianisten<br />
anzuspielen. Und er spielte viel – und ein immens breites<br />
Repertoire. Erst in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts<br />
hatte er es dann geschafft, sich durchzusetzen, ja fast beherrschend<br />
in den Konzertsälen zu werden. Aus dieser Zeit<br />
stammen seine Aufnahmen von Schumanns „Carnaval“,<br />
Debussys „Danse“ und „Estampes Nr. 3“ sowie der „Tarantelle“<br />
von Chopin. Welch ein feuriger Pianist er schon dam<strong>als</strong><br />
war! Dann allerdings kam der 2. Weltkrieg und Arrau<br />
wandte sich – wie so viele andere – Amerika zu, den USA.<br />
Doch hier beherrschten die im Exil lebenden Russen den<br />
Markt. Erst nach und nach setzte er sich nun auch auf diesem<br />
Markt durch, spielte alles, was bekannt war, schränkte<br />
sich niem<strong>als</strong> ein und war ein unentwegter Spieler, der bis zu<br />
100 Konzerte spielte. Als er den legendären Produzenten<br />
Walter Legge trifft, ergibt sich eine großartige Zusammenarbeit<br />
für die Schallplatte. So stammen<br />
denn auch die meisten Produktionen in<br />
dieser Box aus den 50er und 60er Jahren,<br />
Arraus bester Zeit. Gleichgültig, ob<br />
er Beethoven (zahlreiche Sonaten und<br />
alle fünf Klavierkonzerte sind vorhanden),<br />
Brahms (Klavierkonzerte),<br />
Tschaikowsky (1. Klavierkonzert) oder<br />
Carl Maria von Weber (Konzertstück<br />
f-Moll) spielt: Arrau ist der faszinierend kraftvolle und die<br />
alte Schule repräsentierende Interpret, der alles auf das<br />
Werk und den Komponisten setzte. Eine Box, die man einfach<br />
haben muss!<br />
Weitaus unbekannter ist der Interpret der Box mit allen<br />
Klaviersonaten von Sergej Prokofiew. Matti Raekallio (*<br />
1954) wurde in Finnland geboren, studierte bei Maria<br />
Crucio und Dieter Weber. Lange war er Professor für Klavier<br />
an der Helsinkier Sibelius-Akademie, dann zusätzlich an der<br />
Hochschule für Musik in Hannover und wurde dann 2007<br />
Professor an der Juilliard School of<br />
Music in New York City. Die hier zusammengestellten<br />
Aufnahmen stammen<br />
aus den Jahren 1988 bis 1997.<br />
Raekallio ist ein solider Pianist, der<br />
sich wirklich durch diese harten „Brocken“<br />
durchbeißt, genau weiß, wann<br />
er den Klang des Flügels zu kristalliner<br />
Härte führen muss und wann er lyrische<br />
Feinheit aufzurufen hat. Genau dies ist sicherlich das<br />
wichtigste Merkmal dieses Pianisten in seinen Prokofiew-Interpretationen.<br />
Nicht immer sind sie durchweg bestechend,<br />
aber die drei „Kriegs-Sonaten“ (Nrn. 6–8) weiß er mit<br />
unwahrscheinlicher Verve und kraftvollem Zugriff zu spielen.<br />
Eine gute Einspielung, die man sich anhören sollte, vor<br />
allem vor dem Hintergrund, dass Raekallio mit dieser Box<br />
momentan – neben Boris Berman – fast marktbeherrschend<br />
mit einer Gesamteinspielung steht.<br />
Eine wirkliche Neuaufnahme stellt die nächste Box dar, die<br />
alle Klavierwerke von Anatoly Lyadov (1855–1914) enthält.<br />
Der italienische Pianist Marco Rapetti, der am Konservatorium<br />
Genua in Italien und an der Juilliard School of<br />
Music in New York ausgebildet wurde, hat sich in den vergangenen<br />
Jahren immer wieder weniger bekanntem Repertoire<br />
zugewendet und auf diese Weise Gesamteinspielungen<br />
der Werke von Paul Dukas und Alexander Borodin vorgelegt,<br />
sich aber auch mit Lyapunov beschäftigt. Nun <strong>als</strong>o die<br />
Aufnahmen der Musik von Lyadov, der<br />
hierzulande mehr durch seine Kammermusik<br />
ein Begriff ist denn durch<br />
seine Klaviermusik. Entsprechend heutiger<br />
Trends gibt es auch in dieser Box<br />
kein gedrucktes Booklet, dafür aber<br />
eine beigelegte CD-ROM, auf der sich<br />
ein umfangreicher Text von Rapetti in<br />
englischer und italienischer Sprache<br />
befindet, der Aufschluss über das Leben und Wirken Lyadovs<br />
gibt und ihn zwischen Borodin und seinen Kollegen<br />
Rimsky-Korssakov und Glasunov einordnet. Zudem sind<br />
noch etliche Fotos auf dem Datenträger enthalten, die diese<br />
Angaben auch optisch unterstützen. Nun sind es vor allem<br />
kleine Werke, die da vorliegen, Tänze und Préludes <strong>als</strong><br />
94 5 . 11
5 . 11<br />
E DITIONEN<br />
Hauptgruppen. Nicht alles ist vielleicht von Bedeutung, was<br />
da eingespielt ist, so beispielsweise etliche der bearbeiteten<br />
Volksmusikthemen. Und dennoch sollte man nicht vorschnell<br />
urteilen, denn Rapetti macht seine Aufgabe wirklich<br />
gut, kann all den Miniaturen Leben einhauchen, besticht<br />
auch technisch und man ist fast bei einigen Werken gewillt,<br />
diese doch mal genauer zu betrachten, um sie vielleicht<br />
dem ein oder anderen Klavierstudenten zu empfehlen. Eine<br />
Box, die sich lohnt, nicht nur aufgrund des Repertoirewertes<br />
(immerhin hat der Italiener hier viele der Werke<br />
erstmalig für die CD überhaupt eingespielt), sondern vor<br />
allem auch aufgrund der Qualität der Einspielung. Ich<br />
werde auch mal nach den anderen Gesamteinspielungen<br />
von Rapetti schauen …<br />
Kommen wir zurück zum vergangenen<br />
Jahr, dem Chopin-Jahr. Für die<br />
Klavierwelt ein Ohrenschmaus, für<br />
die Studenten, die am Warschauer<br />
Chopin-Wettbewerb teilnahmen,<br />
eine Zitterpartie. Nun sind Aufnahmen<br />
erschienen, die einige der Preisträger<br />
mit ihren Aufführungen während<br />
des Wettbewerbs hörbar machen.<br />
Herausgegeben vom Polnischen Fryderyk Chopin-<br />
Institut fallen auf jeden der veröffentlichten Kandidaten<br />
zwei CDs. Beginnen wir mit der Gewinnerin des Wettbewerbs,<br />
der Russin Yulianna Avdeeva, die neben dem Gewinn<br />
den Sonderpreis für die beste Interpretation der Sonate<br />
b-Moll erhielt. Und wenn man diesen Einspielungen<br />
zuhört – immerhin alle aus einer Wettbewerbs-Situation<br />
unter Stress und Druck entstanden –, dann mag man das<br />
Urteil der Jury durchaus positiv bewerten. Avdeeva sind<br />
hier faszinierende Interpretationen gelungen, ausgewogen<br />
in Klanggestaltung, sensibel im Zugriff und kraftvoll in den<br />
Aussagen. Nicht alles ist fehlerfrei, aber wer will dies schon<br />
von live eingespielten Werken dieses Schwierigkeitsgrades<br />
erwarten? Besser noch <strong>als</strong> die Darstellung der b-Moll-Sonate<br />
gelingen ihr allerdings ihre Interpretation des Scherzos<br />
cis-Moll Op. 39 und die Mazurken, an denen man letztendlich,<br />
wenn es um Chopin geht, die wirkliche Qualität<br />
eines Pianisten ablesen kann. Dass man von dieser Pianistin<br />
momentan in Deutschland viel zu wenig hört – trotz ihres<br />
Gewinns dieses renommierten Wettbewerbs – erscheint<br />
fast ungerecht.<br />
Ingolf Wunder ist ein mittlerweile versierter und in unseren<br />
Landen durchaus schon länger anerkannter Pianist.<br />
Ausgestattet mit einem Vertrag bei<br />
der Deutschen Grammophon, ging<br />
er <strong>als</strong> Zweiter aus dem Wettbewerb<br />
hervor. Und wenn man nun die Aufnahmen<br />
vergleichen will – denn immerhin<br />
sind fast bei allen Pianisten<br />
dieselben Werke vertreten (Klaviersonate<br />
h-Moll, Mazurken, Klavierkonzert<br />
e-Moll), dann kann man<br />
nur froh sein, dass man nicht in der Haut der Jury steckte,<br />
denn auch Wunder kann immer wieder in Nuancen begeistern,<br />
zeigt ein weniger temperamentvolles, aber ein umso<br />
ausgewogeneres Spiel. Er ist sicherlich mit seinem Wiener<br />
Studium ein anderer Pianist, einer, der einen wunderbaren<br />
Klang zu erzeugen vermag, vielleicht mehr Akkuratesse in<br />
den Feinheiten walten lässt <strong>als</strong> Avdeeva. Aber wer nun besser<br />
oder schlechter ist, mag man nicht sagen, denn viel zu<br />
unterschiedlich sind die Herangehensweisen. Zurückhaltender<br />
ist Wunder im Vergleich.<br />
Gemeinsam mit Wunder hat der<br />
Russe Lukas Geniusas einen 2. Preis<br />
erhalten. Und auch er kann mit seiner<br />
Polonaise Op. 44 ebenso überzeugen<br />
wie mit seiner Darstellung<br />
der Etüden Op. 25.<br />
Der dritte Preisträger war dann Daniil<br />
Trifonov, der mittlerweile aber<br />
zwei andere wichtige 1. Preise bei<br />
internationalen Wettbewerben erspielen konnte: den 1.<br />
Preis beim Artur-Rubinstein-Wettbewerb in Tel Aviv und<br />
den Gewinn beim Tschaikowsy-Wettbewerb in Moskau. So<br />
kann man sich aber schon einmal<br />
ein Bild von diesem Pianisten machen,<br />
von dem sicherlich auch bald<br />
CDs bei anderen Labels erscheinen<br />
werden. Er ist vielleicht weniger der<br />
Klangmagier, sondern der brillantere<br />
Pianist, der auf die großen Bögen<br />
ebenso Wert legt wie auf die Darstellung<br />
der technischen Seite. Diese<br />
CDs, die sich nahtlos und aktuell in<br />
die vielen Preisträger-CDs einfügen, die vom polnischen<br />
Fryderyk Chopin-Institut in den vergangenen Jahren veröffentlicht<br />
wurden, sind es wert, <strong>als</strong> Sammlung angeschafft<br />
zu werden. In mehreren Jahren wird man gerne auf sie zurückgreifen,<br />
um das Spiel dieser Pianisten – die bis dahin sicherlich<br />
eine Karriere vorzuweisen haben – noch einmal<br />
aus jüngeren Tagen zu bestaunen.<br />
Sergej Rachmaninow<br />
Sämtliche Werke Klavier solo<br />
Michael Ponti, Klavier<br />
Aufgenommen: k. A.<br />
Musical Concepts 198 (6 CDs)<br />
Claudio Arrau<br />
Werke von Beethoven, Chopin, Brahms, Schumann,<br />
Tschaikowsky, Schubert u. a.<br />
EMI Classics 9 184322 (12 CDs)<br />
Sergej Prokofiew<br />
Sämtliche Klaviersonaten<br />
Matti Raekallio, Klavier<br />
Ondine 1103-2Q<br />
(Vertrieb: Klassik Center)<br />
Anatoly Lyadov<br />
Sämtliche Werke für Klavier solo<br />
Marco Rapetti, Klavier<br />
Brilliant Classics 94155 (5 CDs)<br />
Chopin-Wettbewerb 2010<br />
Aufnahmen mit Yulianna Avdeeva, Ingolf Wunder und<br />
Daniil Trifinov<br />
The Freyderyk Chopin Insitute NIFCCD 600-601, 602-<br />
603, 606-607<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
E<br />
95
H H ÖREINDRUCK<br />
CDS DES DOPPELMONATS<br />
KLASSIK<br />
Sergej Rachmaninow<br />
Sechs Préludes aus Op. 23 und 32<br />
Klavierkonzert Nr. 3<br />
Vladimir Feltsman, Klavier (k. A.)<br />
Russisches National-Sinfonie-Orchester<br />
Ltg.: Mikhail Pletnev<br />
Nimbus 6148 (Vertrieb: Musikwelt)<br />
Es ist eine gemischte Aufnahme, die<br />
da im CD-Player liegt, die Tracks<br />
mit den Préludes sind neu eingespielt,<br />
das Klavierkonzert entstammt<br />
einer Live-Einspielung aus dem Jahr<br />
1992. Es war ein Konzert zu Ehren<br />
des Lehrers beider Musiker, des Pianisten<br />
Jacob Flier (1912–1977). Und<br />
was macht es schon, wenn man eine<br />
Live-Einspielung erst knapp 10 Jahre<br />
später auf den Markt bringt, wenn<br />
diese Qualität dabei herauskommt?<br />
Denn selbstredend haben sich die<br />
beiden ehemaligen Schüler Fliers<br />
mit dem 3. Klavierkonzert von Sergej<br />
Rachmaninow Mühe an diesem<br />
Tag im Bolschoi-Saal des Moskauer<br />
Konservatoriums gegeben, um ihrem<br />
Lehrer Ehre zu erweisen. Und<br />
wie sie spielen. Nicht nur dass Pletnev<br />
mit all seiner Erfahrung des Klavierparts<br />
imstande ist, das Orchester<br />
transparent und zumindest so zurückhaltend<br />
zu führen, dass es das<br />
Klavier auch in den farbenreichen<br />
Tutti-Stellen nicht überdeckt; nein,<br />
er weiß natürlich auch um jede Nuance,<br />
um jede Phrase dieses Konzerts<br />
am Platz des Solisten. Und Vladimir<br />
Feltsman, dieser wunderbare<br />
russische Pianist, der lange schon in<br />
den USA lebt und hierzulande zu<br />
Unrecht unbekannt ist, spielt wie<br />
ein junger Mann – allerdings einer<br />
mit Erfahrung und Weisheit. Nicht<br />
eine Note fällt da unter den Tisch,<br />
nicht eine Phrasierung, die nicht mit<br />
Agogik zum Leben erweckt wird.<br />
Farbenreich wird hier Melancholie,<br />
Hoffnung, Verzweiflung und jede<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />
weitere Emotion geschürt, so dass<br />
man <strong>als</strong> Zuhörer fast in Verzweiflung<br />
auf der einen, in Verzückung<br />
auf der anderen Seite verfällt. Und<br />
man hört dieses Werk, wie zum ersten<br />
Mal, rein und im Augenblick des<br />
Spiels entwickelt. Dass Feltsman gerade<br />
Rachmaninow zu spielen versteht<br />
wie nur wenige andere Pianisten,<br />
zeigt er dann noch mit ausgewählten<br />
Préludes, die er im vergangenen<br />
Jahr einspielte. Welch eine<br />
CD – wann kann man schon begeistert<br />
sein von einem Konzert, das<br />
man schon Hunderte von Malen auf<br />
CD und im Konzertsaal erlebt hat.<br />
Der einzige Wermutstropfen, der<br />
bleibt: dass man an diesem Tag<br />
nicht in Moskau war und dieses<br />
Konzert wirklich live erleben konnte.<br />
Carsten Dürer<br />
Lange Jahre bestanden echte Zweifel,<br />
ob Richie Beirach, dessen überragende<br />
Solo-, Duo- und Trioeinspielungen<br />
der Siebziger und frühen<br />
Achtziger bleibenden Eindruck im<br />
Modernen Jazz hinterlassen haben,<br />
überhaupt noch aktiv ist. Doch<br />
dann kam ein Ruf aus Leipzig, Beirach<br />
hat dort seit zehn Jahren eine<br />
Professur an der Musikhochschule<br />
und ist seitdem auch wieder <strong>als</strong> recording<br />
artist in Europa präsent.<br />
Symbolerklärungen<br />
Die Symbole für die Bewertungen werden von 0<br />
bis 6 Punkten vergeben, wobei 6 die höchste<br />
Bewertung ist. „Klang“ und „Interpretation“ erklären<br />
sich von selbst. Bei dem Punkt „Repertoirewert“<br />
gehen wir von unterschiedlich kumulierten<br />
Dingen aus: Wenn die Seltenheit des<br />
Repertoires einer Einspielung gegeben ist, oder<br />
wenn die Einspielung bei einem Standard-<br />
Repertoire so spannend ist, dass sie auf dem<br />
Markt eine besonders interessante Bereicherung<br />
darstellt.<br />
Bei den diskographischen Angaben haben wir<br />
mittlerweile auch das Instrument angegeben,<br />
wenn es in den Angaben der Labels genannt<br />
wird. Wenn diese Angabe fehlt, erkennen Sie<br />
das an (k. A. = keine Angabe).<br />
Richie Beirach<br />
Impressions of Tokyo<br />
Richie Beirach, Klavier (Bechstein EN)<br />
Out Note Rec. OTN 009<br />
(Vertrieb: edel)<br />
Und, welche Erleichterung, sein Person<strong>als</strong>til<br />
– glasklarer, klassisch geschulter<br />
Anschlag, überraschend<br />
erweiterte Harmonik und treibender<br />
Swing – scheint auch mit 64 Jahren<br />
vollständig intakt. Schon das erste<br />
Stück des seiner langjährigen Affinität<br />
zu Japan gewidmeten Albums<br />
strahlt eine majestätische Stimmung<br />
aus, die es so nur ganz selten zu<br />
hören gibt: Das Thema wird entwickelt,<br />
faltet sich in Variationen auf<br />
und dann verklingt das Stück in einer<br />
nur von wenigen Tönen gehaltenen<br />
Ausruhphase, ehe dann perlendes<br />
melodiöses Klavier wieder einsetzt.<br />
Selbstredend, dass die übrigen<br />
Exkursionen zum Tokyo vergangener<br />
Epochen ähnlich gelungen sind.<br />
Die „spontane Komposition“ bleibt<br />
für Beirach ein anzustrebendes Ideal.<br />
Aber er weiß wohl auch um die<br />
Paradoxie dieser Begriffsfügung, ist<br />
sich darüber im Klaren, dass jeder<br />
mit seinem eigenen Background,<br />
seinen eigenen Prägungen, seinen<br />
eigenen Mustern spielt. Im Spiel mit<br />
der prominent besetzten Gruppe<br />
„Quest“ sind es oft nur Strukturelemente,<br />
hier jedoch sind es meist<br />
auskomponierte Sequenzen, von<br />
denen ausgehend sich Beirachs<br />
Musik frei in die Lüfte bewegt – ein<br />
wahrhaft beglückendes Geschehen.<br />
Tom Fuchs<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: -------------<br />
96 5. 11<br />
JAZZ
5 . 11<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➄➅<br />
Herausragendes Repertoire haben<br />
sich Lestari Scholtes und Gwylim<br />
Janssens, ein Klavierduo der jüngeren<br />
Generation aus den Niederlanden,<br />
für ihr Recital vorgenommen.<br />
Und sie meistern es mit überraschender<br />
Souveränität. Insbesondere<br />
die „Sechs Duette“ (1894) von<br />
Sergej Rachmaninow haben sie in<br />
subtil justiertem Bewusstsein für<br />
Sequenzen mit delikaten Abstufungen<br />
der Dynamik und Gefühl für<br />
Transparenz gestaltet. So die Kontraste<br />
der gemächlichen Barkarole<br />
zum unsteten Temperament des russischen<br />
Intermezzos und die klar<br />
strukturierten Phrasen des Scherzos.<br />
In den Crescendo-Passagen aus liturgischer<br />
Intensität des russischen<br />
Liedes und im grandiosen Slava<br />
(Ruhm) mobilisieren Scholtes &<br />
Janssens das gesamte Spektrum der<br />
Register. Nur beim Avec emportement<br />
(Aufbrausen) der Suite „En<br />
blanc et noir“ (1915) von Claude<br />
Debussy forcieren sie das Tempo so,<br />
dass trotz pointiertem Anschlag die<br />
Gesten zu nervös erscheinen. Dagegen<br />
ist Lent. Sombre filigran und<br />
pittoresk, und im Scherzando werden<br />
die funkelnden Klangschichten<br />
zu kommunikativen Ebenen. Die<br />
psychologischen Akzidenzien in „La<br />
v<strong>als</strong>e“ (1906/1919) von Maurice Ravel,<br />
nämlich Bedrohung, Enttäuschung<br />
und Apotheose, spannen<br />
Scholtes & Janssens zu einem vibrierenden<br />
Klangbogen, der wegen präziser<br />
Artikulation zum beeindruckenden<br />
Format wird. Bravo.<br />
Sergej Rachmaninow: Sechs Duette<br />
(für Klavier zu vier Händen), op. 11<br />
Claude Debussy: En blanc et noir (für<br />
zwei Klaviere)<br />
Maurice Ravel: La v<strong>als</strong>e (für zwei<br />
Klaviere)<br />
Duo Scholtes & Janssens, Klaviere<br />
(Steinway D)<br />
Challenge Records 2010-02<br />
(Vertrieb: SunnyMoon)<br />
H ÖREINDRUCK<br />
Hans-Dieter Grünefeld<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➄➅<br />
Es war lange ruhig um den 1956 in<br />
Moskau gestorbenen russisch-sowjetischen<br />
Komponisten und Musikpädagogen<br />
Reinhold Glière. Glière<br />
selbst war Schüler der Ende des 19.<br />
Jahrhunderts vor allem im Osten berühmten<br />
Komponisten Michail Ippolitow-Iwanow,<br />
Anton Arenski und<br />
Sergej Tanejew. Sein eigener Schüler,<br />
Sergej Prokofjew, überragte ihn<br />
an Ruhm dann um ein Vielfaches.<br />
Besonders Glières aparte und in der<br />
Besetzung oft überraschende Instrumentalkonzerte<br />
oder Vokalkonzerte<br />
sind interessant. 1942 komponierte<br />
Glière ein Konzert für Koloratursopran<br />
und Orchester, in dem<br />
er die Gesangsstimme wie ein Musikinstrument<br />
behandelt und sinngebende<br />
Worte fehlen lässt. Eine<br />
große Kantabilität und die für Glières<br />
Frühwerk charakteristische Anlehnung<br />
an das Idiom nationalrussischer<br />
Musik prägen auch die Klavierwerke,<br />
die die Berlinerin und<br />
Kämmerling-Schülerin Corinna Simon<br />
hier eingespielt hat. Simon nun<br />
hat über die Aufnahme hinaus wahre<br />
Pionierleistung erbracht, indem<br />
sie mit dem Musikologen Klaus Martin<br />
Kopitz viele der hier eingespielten<br />
Stücke erst aus den Beständen<br />
der Staatsbibliothek Berlin quasi wie<br />
einen Schatz gehoben hat. Ganz zu<br />
Recht spielt sie die „Six Morceaux“<br />
op. 26 mit weichsten Bögen und zartestem<br />
Anschlag. Hochromantisch<br />
und durchaus an Schumann orientiert<br />
erscheinen die Acht Leichten<br />
Stücke op. 43. Simon überlädt an<br />
keiner Stelle mit Ausdruck, sondern<br />
lässt die Schlichtheit dieser Werke<br />
ganz aus sich selbst wirken.<br />
Ernst Hoffmann<br />
Reinhold Moritzewitsch Glière<br />
Klavierwerke<br />
Corinna Simon, Klavier (k. A.)<br />
Crystal Classics N 67 057<br />
(Vertrieb: Delta Music)<br />
H<br />
97
H H ÖREINDRUCK<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Der 1974 geborene Usbeke Eldar Nebolsin<br />
ist ein ausgezeichneter Pianist<br />
– zumindest wenn es um das große<br />
romantische und virtuose Repertoire<br />
geht. Doch für Schubert muss man<br />
andere Spiel- und Sichtweisen auf die<br />
Partitur walten lassen. Doch auch<br />
hierin ist Nebolsin ein ausgemachter<br />
Könner. Schon in der frühen Sonate<br />
Nr. 4 a-Moll D 537 vermag er die<br />
Plastizität der Stimmführungen, die<br />
Gedankensuche des Komponisten<br />
nachzuvollziehen. So nimmt er den<br />
zweiten Satz zuerst bedenklich langsam<br />
und scheint dem Drang des Fortschreitens<br />
nicht nachzukommen.<br />
Doch in seiner dynamisch-agogischen<br />
Ausdeutung findet er zu einer<br />
wundervollen Tiefendeutung, die die<br />
Zerbrechlichkeit des Gefundenen und<br />
letztendlich den Frohsinn darzustellen<br />
vermag. Und so geht er auch mit<br />
der Sonate A-Dur um, diesem ersten<br />
großen Brocken aus dem Sonatenschaffen<br />
Schuberts. Klanglich feinsinnig<br />
weiß er die Dualität zwischen Melodienseligkeit<br />
und den dunkel-dramatischen<br />
und fast opernartigen Einwürfen<br />
zu erfassen. Er lässt die Musik<br />
für sich sprechen und weiß dennoch,<br />
sie so zu interpretieren, dass er eine<br />
vollkommen eigenständige Klanglichkeit<br />
schafft. Und genau dies ist die<br />
Kunst in diesen Werken. Und die<br />
„Wandererfantasie“, diese eigentliche<br />
Sonate? Nun, hier geht Nebolsin<br />
harsch zur Sache, aber nicht ohne<br />
den Überblick für alle dynamischen<br />
wie erzählerischen Momente zu behalten.<br />
Allein der ganz große Bogen<br />
in diesem Werk gelingt ihm nicht.<br />
Dennoch: Eldar Nebolsin liefert wunderbare<br />
Schubert-Interpretationen<br />
mit dieser CD ab, die hoffen lassen,<br />
dass er vielleicht Weiteres aus diesem<br />
Repertoire einspielt.<br />
Carsten Dürer<br />
Franz Schubert<br />
Klaviersonaten Nr. 4 D 537, Nr. 13 D 664;<br />
Wandererfantasie D 760<br />
Eldar Nebolsin, Klavier (k. A.)<br />
Naxos 8.572450<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➄➅<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />
Das ebenso Faszinierende wie Erstaunliche<br />
an Liszts Spätwerk ist die<br />
Einfachheit in Sprache und Darstellung:<br />
Nach den Exzessen der Virtuosität,<br />
die fast alle seiner Jugendund<br />
mittleren Werke wie die „Études<br />
d’exécution et transcendante“ und natürlich<br />
die „h-Moll-Sonate“ prägen,<br />
wird die menschliche Existenz –<br />
ähnlich wie beim späten Brahms –<br />
nunmehr ganz auf Grundfragen zurückgeworfen:<br />
Religiosität, Liebe,<br />
Einsamkeit, Resignation. In den<br />
Baumwipfeln von „Aux cyprès de la<br />
ville d’Este“ säuseln die Schatten des<br />
Todes. Der Pianist Claudius Tanski<br />
versteht sich auf diese Sprache: Sein<br />
Spiel verbindet Unaufgeregtheit mit<br />
beschwörender Innerlichkeit, die<br />
dunkel raunenden, monoton wiederholten<br />
Bass-Klangfiguren in „Die<br />
Trauergondel“ entfalten eine gespenstische<br />
Wirkung. Hier hat jemand<br />
verstanden: Nachdenklichkeit, gemischt<br />
mit nervöser Befangenheit,<br />
ist das Wesen dieser Musik, grelle<br />
Färbungen verbieten sich von selbst.<br />
Um diesem Stück – wie auch „Sursum<br />
corda“ oder „Receuillement“ – ein<br />
noch intimeres Gepräge zu geben,<br />
wünschte man sich jedoch einen insgesamt<br />
weicheren Anschlag und<br />
mehr laissez-faire in Phrasierung<br />
und Agogik. Tanski agiert bisweilen<br />
zu unwirsch, man spürt, wie die<br />
Kräfte aus diesem Pianisten, der<br />
über eine makellose Technik verfügt,<br />
förmlich herausschießen. Weniger<br />
um klangliche Sensibilität, dafür<br />
aber um beinahe grotesk anmutende<br />
Kraftakte geht es in der berühmten<br />
Dies-Irae-Paraphrase „Totentanz“,<br />
die hier in einer Orchesterfassung<br />
mit Klavier vorliegt. Tanski<br />
kann sein Potenzial voll entfalten:<br />
Die Mischung aus Energie und Darstellungswillen<br />
begeistert. R. Sala<br />
Franz Liszt<br />
Totentanz, Die Trauer-Gondel, Sursum<br />
Corda u. a.<br />
Claudius Tanski, Klavier (k. A.)<br />
Beethoven Orchester<br />
Ltg.: Stefan Blunier<br />
MDG 937 1678 6 (Vertrieb: Codaex)<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />
Liszts Musik provoziert nicht nur die<br />
außermusikalische Abstraktion, sie<br />
verlangt sie. Nur wer die Bilderwelten<br />
und die ganz bewusst extrovertierte<br />
Dramatik seiner Musik, die<br />
theatralische Geste und das Spiel<br />
mit dem Feuer der Leidenschaft<br />
zulässt, kommt dem Wesen seiner<br />
Werke wirklich nah. Für ihn gilt<br />
eigentlich das Gleiche wie für<br />
Richard Wagner. Wer Dynamik herunterdimmt,<br />
nur weil er die Klangschichtungen<br />
transparent machen<br />
will und zu sehr am Material herumseziert,<br />
ohne ihren eigenen<br />
Zweck zu erkennen, arbeitet an der<br />
Musik vorbei. All das geschieht hier<br />
nicht. Fehler solcher Art vermeidet<br />
der junge Bulgare Julian Gorus, der<br />
die „Années de Pèlerinage“ hier<br />
komplett eingespielt hat. Liszts<br />
Klangbilder aus der Zeit seiner<br />
„Wanderjahre“, in denen Eindrücke<br />
aus der Schweiz und Italien verarbeitet<br />
werden, fasst er auch wie ein<br />
Bilderbuch auf, in dem man blättern<br />
und spielen kann, ohne sich zu<br />
verbeißen oder zu verlieren. Glutvoll<br />
sind Gorus’ Steigerungen, fantasievoll<br />
und angemessen ist seine Agogik.<br />
Bei den großen Crescendi hält<br />
er sich unter Kontrolle, nie wird der<br />
Klang hart und die Entspannung<br />
folgt ganz organisch auf dem Fuße.<br />
Die Entwicklung von der Frische und<br />
Wildheit der früheren Stücke bis zu<br />
den späten Reiseimpressionen von<br />
1883 verfolgt Gorus intelligent.<br />
Wohl sucht er nach den vielen auch<br />
mal exotischen Momenten dieser<br />
Musik und arbeitet sie in kluger<br />
Dramaturgie heraus.<br />
Ernst Hoffmann<br />
Franz Liszt<br />
Années de Pèlerinage<br />
Julian Gorus, Klavier (k. A.)<br />
Hänssler Classic 98.627 (3 CDs)<br />
(Vertrieb: Naxos)<br />
98 5 . 11
Interpretation: ❶❷❸❹➄➅<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />
Es ist ein zwiespältiges Gefühl, das<br />
die russische Pianistin Anastasia<br />
Voltschok mit dieser CD hervorruft:<br />
ein packender und begeisternder<br />
Rachmaninoff, ein ebenso irrwitziger<br />
wie delikater Schumann – und<br />
ein Chopin, der demgegenüber<br />
deutlich abfällt und eher im Mittelfeld<br />
rangiert. Dabei hat sie im<br />
Booklet gerade für dessen Musik die<br />
schönen Worte gefunden: „Der Polonaise-Rhythmus<br />
ist hier ein Gerüst, um<br />
das man seine Fantasie ranken lassen<br />
kann.“ Gerade Letzteres leistet Voltschok<br />
nun gerade nicht: Zu oft wirkt<br />
ihr Spiel an entscheidenden Stellen<br />
in diesem Spätwerk gehetzt und<br />
holzschnitzartig. Agogik, Tempo<br />
und Dynamik finden nicht zu einer<br />
souveränen Einheit zusammen. Es<br />
ist ein zu stählernes Gerüst, das die<br />
Pianistin um die Polonaise-Elemente<br />
schmiedet, so dass auch die hineingewobenen,<br />
flirrenden Klangfiguren<br />
ihrer märchenhaften Züge beraubt<br />
werden. Was hier rankt, ist kein Blütenteppich,<br />
sondern duftloses Blattgrün.<br />
Um den Chopin’schen Klang<br />
zum Leuchten zu bringen, bedarf es<br />
eines Gestaltungswillens jenseits der<br />
Kontrastsprache: Alles muss ineinander<br />
verwoben werden, was eine<br />
gewisse Launenhaftigkeit des Spiels<br />
erfordert. Das bedeutet nicht, dass<br />
man ausdruckssteigernde Mittel wie<br />
Rubati schalten und walten lassen<br />
kann, wie man will, aber die Taktstriche<br />
dürfen ebenso wenig hörbar<br />
sein. Bei Voltschok sind sie es zu<br />
stark. Viel spannender gestaltet die<br />
Moskauerin die b-Moll-Sonate ihres<br />
Landmanns Rachmaninoff: Ihr Spiel<br />
ist von einer Leidenschaft beseelt,<br />
die der zerrissenen Färbung dieser<br />
Musik voll gerecht wird. R. Sala<br />
Frédéric Chopin<br />
Polonaise-Fantasie As-Dur op. 61<br />
Sergej Rachmaninoff<br />
Sonate b-Moll op. 36<br />
Robert Schumann<br />
Carnaval op. 9<br />
Anastasia Voltschok, Klavier (k. A.)<br />
Genuin Classics 12029<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
H<br />
5 . 11 99
H H ÖREINDRUCK<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />
Klang: ❶❷❸❹➄➅<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➄➅<br />
Mit dieser fünften CD der Gesamteinspielung<br />
der Klavierwerke von<br />
Robert Schumann beim Schweizer<br />
Label Claves knüpft der Pianist Cédric<br />
Pescia an seine Reihe interessanter<br />
und zu Recht hochgelobter<br />
Einspielungen an (Bachs „Goldberg-<br />
Variationen“, Beethoven-Sonaten,<br />
noch mehr Schumann, Couperin<br />
und Debussy). Auf einem New Yorker<br />
Steinway von 1901 spielte Pescia<br />
Impromptus op. 5, Carnaval op. 9<br />
und Novelletten op. 21 ein sowie die<br />
kurz vor dem geistigen Verfall komponierten<br />
Gesänge der Frühe und 7<br />
Clavierstücke in Fughettenform von<br />
1853. Es ist nicht allein der klare<br />
und leichtfüßig-elegante Klang des<br />
alten Instruments, der diesen Schumann-Miniaturen<br />
ihre Ausdrucksstärke<br />
verleiht, es ist vor allem der<br />
Umgang des Pianisten mit diesen<br />
gefühlsmäßig so anspruchsvollen<br />
Stücken: Die bildhafte, poetische<br />
Tonsprache des frühen Schumann<br />
liegt ihm ebenso wie die rätselhaften,<br />
sehr eigenen Züge der mehr <strong>als</strong><br />
20 Jahre später entstandenen Werke.<br />
Seine durchdachte Herangehensweise<br />
an die Musik hat Cédric<br />
Pescia bereits mit seinem Debütalbum<br />
mit Bachs Goldberg-Variationen<br />
gezeigt – die Arbeit daran mag<br />
bei der exzellenten Interpretation<br />
der Clavierstücke in Fughettenform<br />
geholfen haben. Pescia beherrscht<br />
neben einer feinen Anschlagskultur<br />
ein romantisches Ausdrucksspektrum,<br />
das prädestiniert scheint für<br />
Schumann: gefühlsmäßige Zerrissenheit,<br />
(un)erfüllte Sehnsüchte,<br />
Mysteriöses und das literarisch Bildliche<br />
seiner Werke. Unbedingt hörenswert!<br />
Isabel Fedrizzi<br />
Robert Schumann<br />
Carnaval op. 9; Impromptus op. 5,<br />
Albumblätter op. 124, Novelletten op. 21,<br />
Gesänge der Frühe op. 133 u. a.<br />
Cédric Pescia, Klavier (Steinway New<br />
York 1901)<br />
Claves Records 50-1103/04 (2 CDs)<br />
(Vertrieb: Klassik Center)<br />
Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />
Nun auch bei der Deutschen Grammophon:<br />
Über die Künstlerin Alice<br />
Sara Ott erfährt man nichts im<br />
Booklet. Allerdings sieht man – wieder<br />
einmal – auf locker und romantisch<br />
getrimmte Fotos der Pianistin.<br />
Wie auch immer, Alice Sara Ott<br />
wendet sich nun nach Liszt Beethoven<br />
zu, geht <strong>als</strong>o zurück in der<br />
Historie. Allerdings hört man schon<br />
in der ersten Sonate auf der CD<br />
(Op. 2 Nr. 3), dass Alice Sara Ott<br />
vielleicht noch einige Zeit benötigt,<br />
um vollkommen frei mit dieser Musik<br />
umzugehen. Zu steif und einstudiert<br />
wirken viele Phrasierungen, zu<br />
wenig frei und organisch. Ott hat<br />
diese Musik noch nicht wirklich verinnerlicht,<br />
so wie es sein sollte –<br />
mag sie sich auch schon lange mit<br />
diesen Werken beschäftigen. Beethovens<br />
Musik der Sturm-und-Drang-<br />
Phase muss man auch drängend,<br />
unwirsch und zweifelnd darstellen.<br />
So auch im 2. Satz, in dem Ott die<br />
dunkel aufkommenden „Wolken“<br />
nicht herausstellt, sondern einfach<br />
weiterspielt. Aber alles ist blitzsauber<br />
und mit viel Liebe zum Detail<br />
gespielt. Doch schon die Anfangsakkorde<br />
der „Waldstein“-Sonate zeigen<br />
wieder, dass hier nicht natürlich<br />
geatmet wird, alles bleibt an der<br />
Oberfläche, da drängt Ott nicht<br />
nach vorne, wird aber immerhin<br />
ausufernd im Klang. Zudem gefällt<br />
hier nun auch die Transparenz der<br />
Stimmen. Gut gelingt ihr das statische<br />
Moment im 2. Satz, wobei der<br />
Fin<strong>als</strong>atz dann wiederum etwas zu<br />
statisch und wenig dramatisch oder<br />
erleichternd klingt. Das Rondo „Die<br />
Wut über den verlorenen Groschen“<br />
gelingt vielleicht am überzeugendsten,<br />
hier ist Ott frei und froh.<br />
Eine CD, die bei weitem nicht an die<br />
Leistungen der bisherigen anknüpfen<br />
kann. Carsten Dürer<br />
Ludwig van Beethoven<br />
Klaviersonaten Op. 2 Nr. 3, Op. 53<br />
„Waldstein“; Andante favori WoO 57;<br />
Rondo a capriccio g-Moll<br />
Alice Sara Ott, Klavier (Steinway D)<br />
Deutsche Grammophon 477 9291<br />
(Vertrieb: Universal)<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎⑥<br />
In Fortsetzung seiner Gesamtaufnahme<br />
aller Klaviertranskriptionen<br />
Busonis nach Musik von Bach setzt<br />
Maurizio Baglini wieder auf ein gemischtes<br />
Programm mit Transkriptionen<br />
klein- und großformatiger<br />
Orgelwerke sowie einer Bearbeitung<br />
der ursprünglich für Cembalo komponierten<br />
Chromatischen Fantasie<br />
und Fuge BWV 903. Es spricht für<br />
Baglini, dass man diesen Unterschied<br />
auch hören kann. Vor allem<br />
in der Fuge hält sich Baglini dynamisch<br />
sehr zurück, zeigt ein prononciertes<br />
Non-legato-Spiel, während er<br />
in den Transkriptionen der großformatigen<br />
Orgelwerke mit einer sehr<br />
breiten Dynamik- und Farbpalette<br />
aufwartet. Ein differenziertes Klangempfinden<br />
sorgt dafür, dass das<br />
Klangbild immer transparent bleibt.<br />
Ein in allen Registern kernig und<br />
klar klingender Fazioli-Flügel trägt<br />
gewiss wesentlich zu diesem Eindruck<br />
bei. Allerdings gelingen die<br />
Choralvorspiele nicht immer so gut,<br />
da Baglinis Bemühen um eine ausgeglichene<br />
Gewichtung der Stimmen<br />
zuweilen zur Verunklarung der<br />
Melodieführung führt (vor allem<br />
BWV 705). Trotzdem gibt es immer<br />
noch genug an Baglinis Spiel zu bewundern,<br />
so dass man auch seine<br />
zweite Bach-Busoni-Einspielung getrost<br />
zu den besten auf diesem Feld<br />
zählen kann.<br />
Robert Nemecek<br />
Ferruccio Busoni<br />
Transkriptionen für Klavier nach J. S. Bach<br />
Vol. 2<br />
Chromatische Fantasie und Fuge BWV<br />
903, Präludium und Fuge BWV 552 &<br />
532, 6 Choralvorspiele<br />
Maurizio Baglini,<br />
Klavier (Fazioli F 278)<br />
Tudor 7156 (Vertrieb: Naxos)<br />
100 5 . 11
5. 11<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />
Dass das Schaffen von Giuseppe Martucci<br />
nicht umfassend bekannt ist,<br />
offenbart einmal mehr die Trägheit<br />
im Musikbetrieb. Auch deshalb können<br />
sich Klischees hartnäckig halten.<br />
Eines besagt, dass sich die musikalische<br />
Romantik in Italien in der Oper<br />
abspielt. Sicher, zwischen 1856, <strong>als</strong><br />
Martucci in Capua geboren wurde,<br />
und 1909, <strong>als</strong> er verstarb, war das<br />
Musiktheater die führende Gattung.<br />
Aber eben nicht die einzige. Gemeinsam<br />
mit Giovanni Sgambati war<br />
Martucci dam<strong>als</strong> der wohl wichtigste<br />
Schöpfer von Instrumentalmusik in<br />
Italien. Darüber hinaus hat Martucci<br />
Komponisten wie Ottorino Respighi<br />
oder Gian Francesco Malipiero den<br />
Weg bereitet. Nun hat Pietro Massa<br />
eine Auswahl von Klavierwerken eingespielt,<br />
<strong>als</strong> Live-Aufnahme ist das 2.<br />
Klavierkonzert von 1884/85 vertreten.<br />
Auch Anton Rubinstein hat es gespielt,<br />
so das informative Beiheft. Zudem<br />
wurde es 1899 von Arturo Toscanini<br />
einstudiert, Gustav Mahler dirigierte<br />
es 1911 in New York bei seinem<br />
letzten Konzert. Und auch auf<br />
dieser CD präsentiert sich Massa <strong>als</strong><br />
stilsicherer Gestalter der Romantik,<br />
mit fast schon unverschämter Leichtigkeit<br />
begegnet er dem technisch<br />
äußerst kniffligen Werk. Gerne würde<br />
man ihn mit einem Orchester hören,<br />
das etwas weniger aufträgt. Klug ist<br />
zudem die Idee, das erste „Notturno“<br />
aus op. 70 in den Fassungen für Klavier<br />
und Orchester zu präsentieren;<br />
sie bilden den Rahmen. Der Variationen-Zyklus<br />
op. 58 von 1882, den Martucci<br />
seinem Weggefährten Sgambati<br />
widmete, rundet die hörenswerte CD<br />
ab.<br />
Marco Frei<br />
Giuseppe Martucci<br />
Klavierkonzert Nr. 2 op. 66; Notturno op.<br />
70, Nr. 1 (Fassungen für Klavier und für<br />
Orchester); „Tema e variazioni“ op. 58<br />
Pietro Massa, Klavier (k. A.)<br />
Neubrandenburger Philharmonie<br />
Ltg.: Stefan Malzew<br />
Crystal Classics N67052<br />
(Vertrieb: Naxos)<br />
H ÖREINDRUCK<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Weil seine pianistischen Fähigkeiten<br />
zu begrenzt seien, um selbst die Konsistenz<br />
seiner zeitgenössischen, aber<br />
nicht unbedingt experimentellen<br />
Klaviermusik zu prüfen, vertraut der<br />
US-amerikanische Komponist John<br />
Corigliano eigenen Methoden der<br />
Assoziation. Nachträglich notierte<br />
Improvisationen nennt er „Winging<br />
It“, in freier Übersetzung entweder<br />
beflügelnd oder beschützend. Sowohl<br />
die Konzert- <strong>als</strong> auch die CD-<br />
Premiere ist von Ursula Oppens, die<br />
sich absolut sicher im klassischen<br />
Idiom dieser transkribierten Trilogie<br />
fühlt. Formbewusst bringt sie das<br />
Fanfaren-Motiv der ersten Sektion<br />
über Tremolo-Kaskaden und lyrischem<br />
Intermezzo zum Anfangsgedanken<br />
retour und gibt den folgenden<br />
Akkordstudien und virtuosen<br />
Skalenprogressionen feste Strukturen.<br />
Für die „Fantasia on an Ostinato“<br />
hat John Corigliano das Allegretto-Thema<br />
aus der 7. Sinfonie Beethovens<br />
entlehnt, dessen stilistische<br />
Einbettung in Klanggitter und aufblitzenden<br />
Tonzellen Ursula Oppens<br />
diskret gestaltet. Dagegen widerstrebend<br />
ist das emotionale Spektrum<br />
der „Etude Fantasy“, eigentlich eine<br />
Suite, wo sich Wut, Hektik, Pointillismus<br />
und poetische Momente begegnen.<br />
Von besonderer Bedeutung ist<br />
„Chiaroscuro“, <strong>als</strong>o Hell-dunkel-Effekte,<br />
die hier in Allianz mit einem<br />
zweiten, um einen Viertelton tiefer<br />
gestimmten Klavier entstehen. Perfekt<br />
demonstrieren Oppens und Lowenthal,<br />
wie sich Klangfächer öffnen<br />
und schließen, Seufzer oszillieren<br />
und so beide Tonsysteme in kooperativer<br />
Konkurrenz bewähren<br />
können. Sein (selbst bekanntes)<br />
Manko hat John Corigliano nun<br />
durch beste Interpreten für seine<br />
originellen Klavierkompositionen<br />
ausgleichen können. Grünefeld<br />
John Corigliano<br />
Klavierwerke<br />
Ursula Oppens & Jerome Lowenthal,<br />
Klaviere (Steinway)<br />
Cedille 90000 123<br />
(Vertrieb: Naxos)<br />
H<br />
101
H H ÖREINDRUCK<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />
Diese auch rein äußerlich gut gemachte<br />
CD mit der passenden Cover-Gestaltung<br />
und dem fundierten<br />
Booklet-Text nimmt man nicht nur<br />
gern zur Hand, man schiebt sie auch<br />
immer wieder gern in den Player.<br />
Und das aus mehreren Gründen:<br />
Erstens handelt es sich bei dieser<br />
Veröffentlichung um nichts Geringeres<br />
<strong>als</strong> um eine kleine Sensation,<br />
weil man die Klavierwerke des lange<br />
Jahre an den Rand gedrängten<br />
Dänen Svend Erik Tarp (1908–<br />
1994) <strong>als</strong> eine willkommene Repertoireerweiterung<br />
betrachten muss,<br />
die es wert ist, häufiger gespielt zu<br />
werden. Zweitens trifft die australische<br />
Pianistin Tonya Lemoh genau<br />
den richtigen Ton dieser zwischen<br />
1927 und 1956 entstandenen Stücke<br />
und drittens sorgt eine lupenreine<br />
Tontechnik für ungetrübten Hörgenuss.<br />
Tarp wird gerne der Gruppe<br />
von dänischen Komponisten zugerechnet,<br />
die mehr von der französischen<br />
<strong>als</strong> von der deutschen Musikkultur<br />
beeinflusst waren, aber diese<br />
Zuordnung greift zu kurz. Der Däne<br />
findet – schon in der frühen Suite –<br />
seinen ureigenen Ton, der sich jenseits<br />
von (Spät-)Impressionismus,<br />
Neoklassizismus und Atonalität bewegt.<br />
Seinen melodischen, angenehm<br />
unterkühlten und bei aller<br />
Kunstfertigkeit doch sehr zurückhaltenden<br />
Klavierwerken fehlt jegliche<br />
Attitüde der Großspurigkeit und des<br />
Aplomb. Gerade das macht sie so<br />
anziehend. Eine rundum gelungene<br />
CD. Da capo!<br />
Burkhard Schäfer<br />
Svend Erik Tarp<br />
Thema (Carillon) mit Variationen op. 43;<br />
Suite; 3 Sonatinen op. 48; 3<br />
Improvisationen op. 21; Sonate op. 60<br />
Tonya Lemoh, Klavier (k. A.)<br />
Dacapo 8.226053<br />
(Vertrieb: Naxos)<br />
Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷③➃➄➅<br />
Hatte die junge, aus Sri Lanka stammende<br />
Pianistin Shani Diluka, die in<br />
Monaco aufwuchs, mit ihren beiden<br />
ersten CDs mit Griegs Klavierkonzert<br />
und Werken von Mendelssohn Bartholdy<br />
doch ihr Talent unter Beweis<br />
stellen können, widmet sie sich nun<br />
den ersten beiden Klavierkonzerten<br />
Beethovens. Schon im auf der CD zuerst<br />
zu hörenden 2. Klavierkonzert<br />
fällt auf, dass Diluka wohl einen etwas<br />
verbrämten Blick auf diese früh<br />
entstandenen Konzerte hat. Nicht nur<br />
die Tempi werden mäßig genommen<br />
– im Vergleich zu vielen Kollegen –,<br />
sondern es scheint auch, dass die<br />
Pianistin dieses Konzert <strong>als</strong> simpel<br />
empfindet und entsprechend ohne<br />
große dramatische Verinnerlichung<br />
präsentiert. Vielmehr sieht sie Beethoven<br />
tatsächlich <strong>als</strong> Nachfolger von<br />
Mozart, in einer Nachfolge, der er<br />
aber schon entwachsen war. Aufgrund<br />
dieser Sicht – und Spielweise<br />
der Pianistin lässt sie dieses Konzert<br />
in die Bedeutungslosigkeit abrutschen,<br />
da hilft auch ihr blitzsauberes<br />
Spiel nichts. Und das 1. Konzert?<br />
Nun, auch hier verbleibt sie an der<br />
Oberfläche und kann nicht in die<br />
Tiefen des Werks eintauchen, die uns<br />
von so vielen Pianisten nahegebracht<br />
wurden. Ja, auch hier besticht die<br />
Pianistin mit wunderbarer Klanggestaltung,<br />
aber wo bleiben die explosiven<br />
Ausbrüche, die Ecken und Kanten?<br />
So beispielsweise im 1. Satz, wo<br />
es doch allein schon im Bass brodeln<br />
muss, wo immer wieder die dunklen<br />
Wolken über aller Melodienseligkeit<br />
schweben. Doch genau davon hört<br />
man hier nichts. Allein: Gutes Klavierspiel.<br />
Aber für Beethoven braucht<br />
es einfach mehr.<br />
Carsten Dürer<br />
Ludwig van Beethoven<br />
Klavierkonzerte Nr. 1 und 2<br />
Shani Diluka, Klavier (Bechstein D)<br />
Orchestre National Bordeaux Aquitaine<br />
Ltg.: Kwamé Ryan<br />
Mirare 126<br />
(Vertrieb: Harmonia Mundi)<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />
CDs mit Werken von Mozart,<br />
Schumann, Rachmaninow und<br />
Bartók hat die ungarische Pianistin<br />
Klára Würtz schon eingespielt. Auf<br />
ihrer neusten Einspielung hat sie<br />
sich nicht – wie so viele in diesem<br />
Jahr – Musik von Liszt ausgesucht,<br />
sondern ein vermeintlich programmatisch<br />
einfaches Konzept vorgenommen:<br />
Sie spielt die Impromptus<br />
op. 90 und op. 142 von Franz Schubert.<br />
Beide Sammlungen entstanden<br />
ein Jahr vor dem Tod des Komponisten.<br />
Eine Besonderheit ist, dass die<br />
jeweils vier Stücke sowohl im Aufbau<br />
und Charakter an eine Sonate<br />
erinnern. Klára Würtz durchwandert<br />
hier eine Vielzahl von Stimmungen<br />
und Emotionen. Mit seiner<br />
Unnachgiebigkeit erinnert das erste<br />
Impromptu c-Moll an die Welt der<br />
„Winterreise“, das zweite – rasante<br />
Impromptu an einen Minutenwalzer<br />
von Chopin, perlend klar und reizvoll<br />
interpretiert. Einem langsamen<br />
Andante in einer viersätzigen Sonate<br />
entspricht Impromptu Nr. 3 in<br />
Ges-Dur, das auf Anraten des Verlegers<br />
in der Erstausgabe von Schubert<br />
in G-Dur transponiert wurde,<br />
damit der pianistische Laie es nicht<br />
allzu schwer haben sollte. Weicher<br />
und dunkler klingt es allerdings in<br />
Ges-Dur: Würtz changiert zwischen<br />
dramatischer Schattierung und lyrischer<br />
Gestaltung. Brillant folgt dann<br />
das kaskadenhafte vierte Impromptu.<br />
In der zweiten Sammlung tritt<br />
insbesondere das populäre zweite<br />
Impromptu op. 142,2 hervor – das<br />
<strong>als</strong> intimes und klangzartes Gegenstück<br />
der anderen Impromptus<br />
wirkt. Klára Würtz nimmt sich Zeit<br />
für die zahlreichen atmosphärischen<br />
Details und schafft damit eine<br />
wunderbar poetische Welt, die Platz<br />
für Bilder und Assoziationen lässt.<br />
Anja Renczikowski<br />
Franz Schubert<br />
Impromptus op. 90; Impromptus op. 142<br />
Klára Würtz, Klavier (k. A.)<br />
<strong>Piano</strong> Classics 0013<br />
(Vertrieb: Revema)<br />
102 5 . 11
5. 11<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />
Auch wenn dieser Variationen-Zyklus<br />
(neben den Diabelli-Variationen<br />
von Beethoven) sicherlich zu<br />
den größten Herausforderungen im<br />
Bereich der Variationszyklen eines<br />
Pianisten zählt, sind Bachs Goldberg-Variationen<br />
noch mehr: ein<br />
eigener Kosmos. Und diesem hat<br />
sich nun Nicholas Angelich gewidmet.<br />
Sicher, Angelich ist ein profunder<br />
Pianist, der in den vergangenen<br />
Jahren immer wieder gezeigt hat,<br />
dass er ein weites Repertoire beherrscht.<br />
Doch Bach? Nun, sicher<br />
ist, dass Angelich in technischer<br />
Hinsicht auch bei schnell gewählten<br />
Tempi keinerlei Probleme hat. Doch<br />
die sensible Nuancierung, die wir<br />
von anderen Pianisten kennen, die<br />
diesen Zyklus von Bach spielen, liegt<br />
bei Angelich nicht im Fokus. Vielmehr<br />
achtet er auf Akkuratesse in<br />
den Tempi, lässt sich nur zu Schluss-<br />
Rubati hinreißen. Daneben bleibt er<br />
weitestgehend in den einmal selbst<br />
gewählten dynamischen Grenzen<br />
einer Variation verhaftet – ebenso<br />
dem jeweiligen Tempo. Nur hier<br />
und da vermag er die Wiederholungen<br />
mit Farbveränderungen zu füllen.<br />
Was allerdings einnimmt, ist<br />
genau dies: die ganz persönliche<br />
Wahl von Tempi und Dynamikabstufungen.<br />
Hier findet Angelich zu<br />
einer vollkommen eigenständigen<br />
Ausdruckswelt, die so gut aufeinander<br />
abgestimmt ist, dass ein Fluss<br />
zustande kommt, der einen Sog bewirkt<br />
– und damit ist diese Interpretation<br />
dann doch in sich geschlossen<br />
und großartig.<br />
Carsten Dürer<br />
Johann Sebastian Bach<br />
Goldberg-Variationen BWV 988<br />
Nicholas Angelich, Klavier (k. A.)<br />
Virgin Classics 50999 0706642 0<br />
(Vertrieb: EMI Classics)<br />
H ÖREINDRUCK<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />
Viele Jahre wurden die Klaviersonaten<br />
von Joseph Haydn unterschätzt.<br />
Vor allem das Haydn-Jahr 2009 hat<br />
daran jedoch einiges geändert. Viele<br />
Pianisten, darunter auch so mancher,<br />
von dem man das nicht unbedingt<br />
erwartet hätte, nahmen sich<br />
der Klaviersonaten an. Besonders<br />
gelungen, da unprätentiös, nachdenklich-intim<br />
war Evgeny Koroliovs<br />
Interpretation, ungewöhnlich<br />
und extravagant die von Tzimon<br />
Barto, stilsicher und exponiert die<br />
auf historischen Instrumenten aufgenommene<br />
Gesamteinspielung von<br />
Christine Schornsheim. Nun scheint<br />
der ganze Hype um Haydn lange<br />
vorbei zu sein (neue Jubilare traten<br />
in den letzten zwei Jahren in den<br />
Vordergrund) – doch da erscheint<br />
der in Metz geborene Pianist Jean-<br />
Efflam Bavouzet mit einer schönen<br />
Auswahl aus Haydns wegweisenden<br />
Sonatenkompositionen. Die Haydn-<br />
Sonaten betrachtet er <strong>als</strong> „Langzeitprojekt,<br />
in dem im Laufe der Jahre<br />
jedes Album wie eine auf meiner<br />
Reise abgeschickte Postkarte sein<br />
wird.“ Bavouzets Spiel ist ganz natürlich,<br />
das Tempo ausgeglichen,<br />
nicht übermäßig schnell. Nuancenreich<br />
durchdacht sind Verzierungen,<br />
Umspielungen und Repetitionen<br />
und niem<strong>als</strong> lässt er – auch wenn er<br />
auf einem modernen Yamaha-Flügel<br />
spielt – die Klangkultur und Musizierpraxis<br />
zu Haydns Zeiten außer<br />
Acht: Die perlende, knapp prägnante<br />
Tongebung erinnert daran, dass<br />
diese Stücke ursprünglich für ein<br />
Hammerklavier gedacht waren. Besonders<br />
gelungen ist die D-Dur-Sonate<br />
Nr. 50 mit ihren schnellen Ecksätzen,<br />
die der Pianist mit unaufhaltsamer<br />
Emphase spielt. Feinfühlig,<br />
geradezu sanglich sind die Adagio-Sätze<br />
interpretiert, allen voran<br />
der Eröffnungssatz der e-Moll-Sonate<br />
Nr. 19. Anja Renczikowski<br />
Franz Joseph Haydn<br />
Klaviersonaten Vol. 2<br />
Jean-Efflam Bavouzet, Klavier<br />
(Yamaha CFIIIS)<br />
Chandos Chan 10668<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
H
H H ÖREINDRUCK<br />
Interpretation: ❶❷❸❹⑤➅<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Als Francesco Piemontesi 2010 eine<br />
Schumann-CD vorlegte, wurde dessen<br />
Kantabilität und Poesie gelobt.<br />
Das wird beim zweiten, Alfred Brendel<br />
gewidmeten Recital des Schweizers<br />
zum Problem. Zwei zentrale<br />
Brückenschläge werden vollzogen.<br />
Einerseits ist die Suite B-Dur HWV<br />
434 von Händel vertreten, deren<br />
„Aria con variazioni“ Brahms in seinen<br />
sogenannten „Händel-Variationen“<br />
op. 24 reflektierte; auch sie<br />
wurden aufgenommen. Andererseits<br />
ist von Bach die Partita Nr. 1 BWV<br />
825 zu hören sowie die Fantasie und<br />
Fuge BWV 542. Letzteres liegt in der<br />
Klavier-Fassung von Liszt vor, von<br />
ihm erklingt zudem „Vallée d’Obermann“<br />
aus den „Années de Pèlerinage“.<br />
Dieses Programm ist spannend,<br />
gerade auch interpretatorisch.<br />
Händel und Bach hätten einen<br />
profunden Einfluss auf Brahms<br />
und Liszt gehabt, wirbt das Cover;<br />
Piemontesi habe die Parallelen und<br />
Kontraste ergründen wollen. Indes<br />
sind die Unterschiede in Piemontesis<br />
Gestaltungen so groß nicht: Er hat<br />
sich eher für eine altbekannte Romantisierung<br />
von Bach und Händel<br />
entschieden. Das verraten schon das<br />
gedehnte langsame Zeitmaß sowie<br />
die ritardierenden Abschlüsse. Dass<br />
man umgekehrt Brahms und Liszt<br />
historisch informiert betrachten<br />
könnte, diese heute brennende Frage<br />
hat er sich nicht gestellt. Muss er<br />
auch nicht, Unterschiede in der Artikulation<br />
und Phrasierung hätte<br />
man aber schon gerne gehört. So<br />
farblich nuanciert und technisch<br />
bravourös das alles klingt: Das gelebte<br />
Gestern ist für einen jungen<br />
Pianisten nicht unproblematisch.<br />
Marco Frei<br />
G. F. Händel: Suite B-Dur HWV 434<br />
J. Brahms: Variationen und Fuge auf ein<br />
Thema von Händel op. 24<br />
J. S. Bach: Partita Nr. 1 BWV 825;<br />
Fantasie und Fuge g-Moll BWV 542 (arr.<br />
von Liszt, R 120 SW 463)<br />
Franz Liszt: „Vallée d’Obermann“<br />
Francesco Piementosi, Klavier (k. A.)<br />
Avanti Classics 541470610342<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />
Die Werke des belgischen Komponisten<br />
Jean Nicolas Joseph Absil<br />
(1893–1974) sind hierzulande nicht<br />
gerade häufig auf den Konzertpodien<br />
zu hören, und das, obwohl Absil<br />
zu seiner Zeit und vor allem in<br />
seinem Land ein buchstäblich ausgezeichneter<br />
Mann war. So erhielt<br />
er unter anderem den „Prix de Rome“<br />
und den „Rubenspreis“ und leitete<br />
von 1922 bis 1952 die Musikakademie<br />
in Etterbeek, die seit 1963<br />
auch seinen Namen trägt. Die hier<br />
eingespielten Klavierwerke aus den<br />
Jahren 1932 bis 1966 zeigen ihn <strong>als</strong><br />
einen gemäßigten Modernen, der<br />
die Strömungen und Stile seiner Zeit<br />
– Impressionismus, Neo-Klassizismus,<br />
Neue Sachlichkeit – sehr wohl<br />
zur Kenntnis nimmt, zum Teil in seinen<br />
Werken auch verarbeitet, dabei<br />
aber nie zum Epigonen einer Richtung<br />
wird. Auch wenn sich die Klavierwerke<br />
in harmonische Grenzbereiche<br />
vorwagen, bleiben sie dabei<br />
doch immer fest in der Tonalität<br />
verwurzelt. Kaum ein Satz der Doppel-CD<br />
dauert länger <strong>als</strong> vier Minuten,<br />
dennoch wäre es f<strong>als</strong>ch, Absil<br />
<strong>als</strong> „Miniaturisten“ zu bezeichnen.<br />
Obwohl kurz, sind die Sätze sehr<br />
kultiviert und von einem inneren<br />
musikalischen Reichtum geprägt,<br />
der das Hören der Silberscheiben<br />
zum Genuss macht. Diese Noblesse<br />
spricht aus Daniel Blumenth<strong>als</strong> vorzüglicher<br />
Interpretation. Sie rückt<br />
Absils (wieder) zu entdeckende<br />
Werke in ein zugleich weiches und<br />
scharf konturiertes Licht und macht<br />
die Erkundung der 116 Spielminuten<br />
zur spannenden Hörreise.<br />
Burkhard Schäfer<br />
Jean Absil<br />
Trois Impromtus op. 10; Sonatine op.<br />
27; Marines op. 36; Cinq Bagatelles op.<br />
61; Grande Suite op. 62; Hommage à<br />
Schumann op. 67 u. a.<br />
Daniel Blumenthal, Klavier (k. A.)<br />
Fuga Libera 578 (2 CDs)<br />
(Vertrieb: Note 1)<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹⑤➅<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤➅<br />
In Johannes Brahms’ Klavierschaffen<br />
spielen Variationen eine zentrale<br />
Rolle – den Reiz daran mag<br />
Brahms darin gesehen haben, thematisch<br />
fest gebunden zu sein und<br />
gestalterisch so frei wie möglich zu<br />
arbeiten: „Über den gegebenen Baß<br />
erfinde ich wirklich neu, ich erfinde ihm<br />
neue Melodien, ich schaffe“, lautete<br />
doch sein Variationsideal. Für sein<br />
Debütalbum wählt der französische<br />
Pianist Ali Hirèche vier bedeutende<br />
Zyklen: die 1854 komponierten poetischen<br />
Variationen mit ihren berückend<br />
schönen Schumann-Anspielungen,<br />
die Variationen über ein<br />
eigenes Thema von 1862 sowie die<br />
diabolisch schwierigen Paganini-<br />
Variationen op. 35, deren lapidares<br />
Thema Brahms gleich zu zwei Zyklen<br />
mit je 14 Variationen anregte.<br />
Ali Hirèche zeigt an den unterschiedlichen<br />
Werken, dass er nicht<br />
nur das Technisch-Virtuose beherrscht,<br />
sondern auch das Leise,<br />
das Lyrische, wie es vor allem die<br />
„Schumann-Variationen“ fordern.<br />
Er schöpft die Gestaltungspalette<br />
ganz aus – energisch und vollgriffig<br />
auf der einen Seite, auf der anderen<br />
filigran und kantabel – dazu geben<br />
ihm diese Variationen reichlich Gelegenheit.<br />
Es gelingt diesem „Enkelschüler“<br />
Alfred Cortots, der in Paris,<br />
Mailand, Imola und am Comer See<br />
ausgebildet wurde, eine transparente<br />
und differenzierte Interpretation,<br />
die niem<strong>als</strong> im Pedalbrei verläuft<br />
oder die melodische Linie aus den<br />
Augen verliert. Eine Einheit von<br />
Struktur und emotionaler Gestaltungskunst<br />
– sehr überzeugend.<br />
Isabel Fedrizzi<br />
Johannes Brahms<br />
Variationen op. 2; Paganini Variationen<br />
op. 35 Nr. 1 und 2 op. 9<br />
Ali Hirèche, Klavier (k. A.)<br />
Integral Classic 221.337<br />
(Vertrieb: SunnyMoon)<br />
104 5 . 11
5 . 11<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤➅<br />
Obwohl Franz Xaver Scharwenka in<br />
Samter (heute: Szamotuly, Polen)<br />
geboren wurde, fühlte er sich <strong>als</strong><br />
Pianist und Komponist der westeuropäischen<br />
Romantik mit dem kulturellen<br />
Zentrum Berlin zugehörig.<br />
Dennoch ist sein Stil mehrdeutig,<br />
insbesondere von Folklore seines<br />
Herkunftslandes beeinflusst, wo<br />
man erst vor einigen Jahren in Poznan<br />
(nahe Szamotuly) begann, sich<br />
um dieses musikalische Erbe zu<br />
kümmern. Zu seinen Lebzeiten, ja,<br />
bis in die Gegenwart waren und<br />
sind die „Polnischen Nationaltänze“<br />
der populärste und erfolgreichste<br />
Klavierzyklus von Scharwenka, sozusagen<br />
seine Visitenkarte. Und seltsamerweise<br />
pointiert François Xavier<br />
Poizat darin sogar Stolz und eine gewisse<br />
Grandezza. Zu ähnlichem Status<br />
ist mittlerweile das geradezu sinfonische<br />
„Klavierkonzert Nr. 4“<br />
avanciert, denn es ist eine Bewährungsprobe<br />
für Virtuosen und deswegen<br />
für einige zeitgenössische Solisten<br />
wieder interessant geworden.<br />
Delikat hat François Xavier Poizat<br />
den Klavierpart in straffem Duktus<br />
interpretiert, sodass die Dramaturgie<br />
von nicht übertriebenem „Allegro<br />
patetico“ und lyrischer Expression<br />
optimal balanciert ist. Die spieltechnisch<br />
schwierigen Passagen des<br />
Intermezzos mit slawischem Kolorit<br />
und, noch extremer, das Fuoco-Temperament<br />
im Finale sind von ihm<br />
und dem Philharmonischen Orchester<br />
Poznan hervorragend gestaltet.<br />
Eine beachtenswerte Hommage an<br />
Franz Xaver Scharwenka und eine<br />
notwendige Erinnerung an ein imposantes<br />
Klavierkonzert.<br />
Hans-Dieter Grünefeld<br />
Franz Xaver Scharwenka<br />
Klavierkonzert Nr. 4 [Polnische<br />
Nationaltänze, op. 3 (Exzerpte) u. a.]<br />
François Xavier Poizat, Klavier (k. A.)<br />
Philharmonisches Orchester Poznan,<br />
Ltg.: Lukasz Borowicz<br />
Naxos 8.572637<br />
H ÖREINDRUCK<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤➅<br />
Periodisch wiederholte Metren sind<br />
ein konventionelles Zeit-Konzept<br />
von Musik oder griechisch: Rhythmus.<br />
Daraus entstehende narrative<br />
Strukturen werden von Komponisten<br />
der Gegenwart ignoriert oder zumindest<br />
verdrängt, wenn sie für ihre<br />
Klavierwerke Zeit neu erfinden. Diesem<br />
Phänomen hat sich die französische<br />
Pianistin Florence Cioccolani<br />
in einem paradigmatischen Programm<br />
zugewandt. Historisch am<br />
ältesten in dieser Kollektion sind die<br />
„Douze Notations“ (1945, rev.<br />
1985) von Pierre Boulez, Aphorismen,<br />
durch deren schnellen Wechsel<br />
von Clustern und Einzelsegmenten<br />
in Spannungsfeldern aus analytischen<br />
und emotionalen Sequenzen<br />
Florence Cioccolani mit bewusster<br />
Disziplin manövriert. Hier wie auch<br />
bei „Suonare“ (2006) von Bruno<br />
Mantovani sind avantgardistische<br />
Klangmodelle dominant, bei ihm <strong>als</strong><br />
Kleckse, die 18 Minuten (!) zwischen<br />
Diskant und tiefen Registern<br />
in verschiedenen Dichtegraden flackern.<br />
Kürzer bleibt Elliot Carter,<br />
dessen „Intermittences“ (2005) wie<br />
vage Schatten vorbeihuschen. Seine<br />
„Caténaires“ (Fahrleitungen, 2005)<br />
mit konstant schnellen Staccato-Skalen<br />
sind dann näher an linearer<br />
Zeitprogression. Ebenso das rasende<br />
Jazz-Ostinato in „Dos formas del<br />
tiempo“ (2002) von Martin Matalon,<br />
dessen abrupten Umschlag in<br />
kontemplative Tremoli Florence<br />
Cioccolani zum Überraschungseffekt<br />
entspannt. Ganz aufs perkussive Potenzial<br />
des Klaviers abgezirkelt sind<br />
die „Six Études d’après Piranèse“<br />
(1975) von André Boucourechliev.<br />
Zeit nicht <strong>als</strong> rhythmischer Puls, sondern<br />
das Klavier <strong>als</strong> Protagonist einer<br />
Vision abstrakter Klänge.<br />
Hans-Dieter Grünefeld<br />
e Temps Recréé /<br />
Neu erfundene Zeit<br />
Werke von Carter, Mantovani, Boulez,<br />
Matalon, Boucourechliev<br />
Florence Cioccolani,<br />
Klavier (Yamaha CFIII)<br />
Sisyphe 017 (Vertrieb: Musikwelt)<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹⑤➅<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤➅<br />
Michael Gees gehört zu den Pianisten,<br />
die sich nicht damit zufrieden<br />
geben wollen, immer nur das zu<br />
spielen, was der Komponist aufgeschrieben<br />
hat. Gees liebt die Kunst<br />
der Improvisation. Dass er sie auch<br />
beherrscht, kann man auf seiner<br />
jüngsten CD mit dem sinnreichen<br />
Titel „Improvisatie“ hören. Saties<br />
Musik haftet ja oft genug der Charakter<br />
des Improvisierten und<br />
Unabgeschlossenen an. Die „Danses<br />
à travers“ hat er in drei verschiedenen<br />
Versionen komponiert, und<br />
Gees fügt noch ein paar weitere improvisierte<br />
Versionen hinzu. Wie er<br />
dabei einen oder zwei Gedanken des<br />
jeweiligen Stücks aufgreift und weiterentwickelt,<br />
ist schon bemerkenswert,<br />
und man folgt ihm gerne bei<br />
seinen Gedankenflügen, die manchmal<br />
eine verblüffende Wendung<br />
nehmen. Seinem Anspruch, über<br />
Saties Musik nach den ihr innewohnenden<br />
Gesetzen zu improvisieren,<br />
wird Gees freilich nur teilweise<br />
gerecht. Der Klangrausch, in<br />
den er sich bei seiner Improvisation<br />
über die 4 Gnossienne hineinsteigert,<br />
dürfte dem Asketen Satie ziemlich<br />
fremd gewesen sein. Manch ein<br />
jazzig angehauchtes Extemporieren<br />
hat sicher mehr mit dem Jazzer Gees<br />
zu tun <strong>als</strong> mit dem genialen Franzosen.<br />
Aber letztlich darf Gees improvisieren,<br />
wie er lustig ist. Gekonnt<br />
und hörenswert ist es auf jeden Fall.<br />
Robert Nemecek<br />
Eric Satie<br />
Gnossiennes 1, 2, 5; Danses à travers; 1<br />
Gymnopédie u. a.<br />
Michael Gees, Klavier (k. A.)<br />
Challenge Classics 72512<br />
(Vertrieb: Sunny Moon)<br />
H<br />
105
H H ÖREINDRUCK<br />
JAZZ<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: -------------<br />
Bei polnischen Fachgazetten fungiert<br />
Leszek Mozdzer <strong>als</strong> farbighochglänzender<br />
Titel-Star, und in<br />
seiner Heimatstadt Danzig kann es<br />
schon einmal vorkommen, dass<br />
Werbeplakate für seine CDs gleich<br />
massenhaft an den Wänden kleben.<br />
Mit derlei Vorschusslorbeeren ausgestattet,<br />
besteht hierzulande eine<br />
recht hohe Erwartungshaltung für<br />
sein deutsches Solo-Debüt – freilich<br />
bei einem Label, das ihn bereits in<br />
Verbindung mit dem schwedischen<br />
Jazz-Bassisten Lars Danielsson präsentiert<br />
hat. Insofern weiß man<br />
bereits um Mozdzers Vorliebe für<br />
Klänge à la Chopin, wie er sie jahrelang<br />
in Polen erfolgreich praktizierte.<br />
Stilistisch bewegt sich Mozdzer<br />
heute dagegen eher in einem zeitlosen<br />
modernen Jazz europäischer<br />
Prägung. Einer der Ersten, die sich<br />
vom amerikanischen Vorbild früh zu<br />
lösen wussten, war Mozdzers Landsmann,<br />
der Pianist Krzysztof Komeda.<br />
Er ist es, dem Mozdzer dieses<br />
Album gewidmet hat. Komeda war<br />
bekannt dafür, dass er eine sehr<br />
bildhafte Sprache in seine Kompositionen<br />
hat einfließen lassen – was<br />
Wunder, angesichts der vielen Verpflichtungen,<br />
die Komeda <strong>als</strong> Filmkomponist<br />
hatte. Unvergessen sein<br />
Soundtrack zu dem Horrorthriller<br />
„Rosemaries Baby“, dessen schaurig-schönes<br />
Wiegenlied von Hauptdarstellerin<br />
Mia Farrow selbst gesungen<br />
wurde. Unter Mozdzers Händen<br />
gerät „Sleep Safe and Warm“<br />
zur romantisierten Blaupause für<br />
das weitere Programm auf dem Album,<br />
dessen Urheber seinen klassischen<br />
Hintergrund nicht verhehlen<br />
kann. Warum sollte er auch? Dass<br />
im Vergleich zu seinem Trio mehr<br />
weiche Konturen aufkommen, ist zu<br />
erwarten gewesen, schlägt Mozdzer<br />
doch hier melodiöse und warme<br />
Töne an. Tom Fuchs<br />
Leszek Mozdzer<br />
Komeda<br />
Leszek Mozdzer, Klavier (Steinway)<br />
ACT 9516-2<br />
(Vertrieb: edel:kultur)<br />
Interpretation: ❶❷❸❹⑤➅<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: -------------<br />
Ähnlich wie es seinerzeit mit dem<br />
schwedischen E.S.T. geschah, versucht<br />
man offensichtlich, das Tingvall<br />
Trio zur neuen, bewunderungswürdigen<br />
Kultband aufzubauen.<br />
Doch um ebenso populär zu werden<br />
wie der verstorbene Kollege Esbjörn<br />
Svensson, muss wohl noch einige<br />
Zeit ins Land gehen. Bei all dem verständlichen<br />
Säbelrasseln eines eh<br />
schon aufs Nischendasein eingerichteten<br />
Genres innerhalb einer gebeutelten<br />
Branche sollte nicht vergessen<br />
werden, dass es begeisternde Jazztrios<br />
mittlerweile in nicht zu übersehender<br />
Zahl gibt, und dies in nahezu<br />
jeder größeren deutschen Stadt.<br />
Sollten <strong>als</strong>o Sie, lieber Leser, beim<br />
nächsten Friseurbesuch in einem<br />
Hamburger Wochenmagazin dessen<br />
CD-Rubrik studieren und auf dieses<br />
Album stoßen, mögen Sie bitte die<br />
zu erwartenden Lobeshymnen <strong>als</strong><br />
geschickte Marketingkampagne enttarnen.<br />
Was bleibt <strong>als</strong>o unterm<br />
Strich über „Vägen“, das dritte Album<br />
des Tingvall Trios, zu sagen?<br />
Während sich Svensson und Co. seinerzeit<br />
<strong>als</strong> verkappte Rockband mit<br />
Ecken und Kanten verstanden, sind<br />
hier eher sanfte Vertreter eines<br />
klangpuristischen Popkammerjazz<br />
zu vernehmen. Stark und sensibel<br />
das Interplay, melodiös die Kompositionen,<br />
die allesamt von Pianist<br />
Martin Tingvall stammen. Es gibt<br />
tatsächlich auch einige bemerkenswerte<br />
Ausreißer zu notieren, die niem<strong>als</strong><br />
von E.S.T. hätten stammen<br />
können: das hymnische „Efrer Livet“<br />
etwa, das mit Tingvalls kraftvoller<br />
Linken entfernt an McCoy Tyner erinnert,<br />
oder das an die bereits aus<br />
dem Album „Norr“ bekannte Spanien-Motivik<br />
andockende „Sevilla“.<br />
Tom Fuchs<br />
Tingvall Trio<br />
Vägen<br />
Martin Tingvall, Klavier (Fazioli Grand<br />
<strong>Piano</strong> F278); Omar Rodriguez Calvo,<br />
Bass; Jürgen Spiegel, Drums<br />
Skip SKP 9170<br />
(Vertrieb: Soulfood)<br />
Interpretation: ❶❷❸❹⑤➅<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: -------------<br />
Auf diesem Album scheinen viele<br />
Passagen so perfekt aufeinander<br />
abgestimmt, dass der Gruppenklang<br />
nur das Ergebnis konstanten Austauschs<br />
sein kann. Bereits auf dem<br />
Vorgänger, „Kyrill“, arbeiteten sie<br />
zusammen: der sich sämtlichen<br />
Klangschablonen entziehende deutsche<br />
Pianist Achim Kaufmann, der<br />
stets für sich verändernde Grundierungen<br />
voll rhythmischer Überraschungen<br />
sorgende Schlagzeuger<br />
Jim Black und der mit oft unerwartet<br />
ins Geschehen fallenden Klangtupfern<br />
agierende isländische Bassist<br />
Valdi Kolli. Zwar ist dieses Konzept,<br />
Begleit- und Solistenrolle zu<br />
ignorieren und jedem Triomitglied<br />
die Aufgabe zu geben, beides gleichzeitig<br />
zu sein, seit Bill Evans nicht<br />
mehr so ganz neu, auch wenn sich<br />
diese Idee mit am überzeugendsten<br />
im zweiten großen Miles-Davis-<br />
Quintett verwirklicht hat. Doch dieser<br />
Hinweis soll gelten, um sprachlich<br />
zu vermitteln, wie dieses Trio<br />
klingt: Man stelle sich das noch sehr<br />
junge Miles-Team mit Hancock,<br />
Carter und Williams vor, das mit<br />
der sensiblen Introvertiertheit eines<br />
Bill Evans agiert und um das Wissen<br />
langjähriger Interaktion verfügt.<br />
Sämtliche Kompositionen stammen<br />
von Kaufmann, wobei der Brauch,<br />
Chorus für Chorus durchzuarbeiten,<br />
hier gründlich ad absurdum geführt<br />
wird. Kaufmann bedient sich des eigenen<br />
Materi<strong>als</strong> aus einer merkwürdigen<br />
Distanz heraus, indem er es<br />
mal komprimiert, mal dreht und<br />
wendet, sich dabei an Überkommenes<br />
erinnert, um dann ungerührt<br />
weiterzuschreiten. Kryptische, beunruhigende,<br />
ja teils bedrohliche Welten<br />
tun sich auf. Und Beunruhigung<br />
hat schon immer zum Nachdenken<br />
aufgefordert. Nichts anderes soll der<br />
geneigte Hörer leisten.<br />
Tom Fuchs<br />
Achim Kaufmann<br />
Verivyr<br />
Achim Kaufmann, Klavier (Steinway B<br />
211), Valdi Kolli, Bass; Jim Black,<br />
Drums<br />
Pirouet PIT3057<br />
106 5 . 11
KURZKRITIKEN<br />
5 . 11<br />
Die in Japan geborene<br />
Pianistin<br />
Madoka Inui hat<br />
ihre Studien in<br />
Wien absolviert<br />
und Wien auch<br />
<strong>als</strong> Wahlheimat<br />
behalten. Neben<br />
einer Kammermusikreihe<br />
mit Mitgliedern der Wiener<br />
Philharmoniker spielte sie bei Naxos zuvor<br />
bereits die Solo-Fantasien für Klavier von<br />
Hummel ein, jetzt legt sie Hummels Variationen<br />
und Bearbeitungen berühmter<br />
Opernthemen<br />
vor. Trotz Hummelseindrucksvoller<br />
Biographie<br />
– Mozart- und Salieri-Schüler,<br />
Haydns Kapellmeister-Nachfolger<br />
in Eisenstadt,<br />
Die auf dieser CD<br />
zusammengestellten<br />
Klaviersonaten<br />
zu vier Händen aus<br />
Mozarts Feder gehören<br />
zu den schwersten<br />
und monument<strong>als</strong>ten,<br />
die der<br />
Komponist geschrieben hat. Manchmal<br />
streift er die Grenzen des auf den Klavieren<br />
seiner Zeit Machbaren. Wenn Marie<br />
& Veronica Kujken auf Kopien eines<br />
<strong>Piano</strong>fortes von 1788 (Johann Andreas<br />
Stein) spielen,<br />
dann wird freilich<br />
auch deutlich,<br />
dass orchestraleKlangeffekte<br />
ebenso<br />
möglich sind wie<br />
virtuoses Spiel,<br />
das Mozart den<br />
Spielern in ungewöhnlich<br />
hohem<br />
Maße abverlangt.<br />
Beides be-<br />
Johann Nepomuk<br />
Hummel: At the<br />
opera<br />
Variationen über<br />
Opernarien von Mozart,<br />
Gluck, Cherubini<br />
Madoka Inui, Klavier<br />
(Bösendorfer)<br />
Naxos 8.572736<br />
Konkurrent Beethovens in Wien, Vorbild<br />
Schumanns und Chopins – ist sein umfangreiches<br />
Werk nie aus dem Schatten<br />
der anderen getreten. Madoka Inui gewinnt<br />
der Musik technisch wie musikalisch<br />
ihr Bestes ab, doch bleibt Hummels<br />
Musik – anders <strong>als</strong> bei den Fantasien<br />
– eher eine Virtuosenschau <strong>als</strong> strukturell<br />
und harmonisch interessant.<br />
Isabel Fedrizzi<br />
Wolfgang Amadeus<br />
Mozart<br />
Sonaten für vier Hände<br />
Sonate D-Dur KV 448, F-<br />
Dur KV 497, C-Dur KV<br />
521<br />
Marie & Veronica<br />
Kujken, Klavier<br />
(Johann Andreas Stein-<br />
Kopie von 1899)<br />
Challenge Classics<br />
72363<br />
(Vertrieb: SunnyMoon)<br />
herrschen die seit vielen Jahren <strong>als</strong> Duo<br />
auftretenden Schwestern glänzend, und<br />
es bereitet große Freude, ihnen dabei<br />
zuzuhören, wie sie sich die Bälle zuspielen.<br />
Die Klangqualität der CD ist ausgezeichnet,<br />
die Texte im Beiheft sind informativ.<br />
Eine runde Sache.<br />
Robert Nemecek<br />
H ÖREINDRUCK<br />
Der 1985 geborene<br />
französische<br />
Pianist Tristan<br />
Pfaff hat viele<br />
Preise bei internationalenKlavier-Wettbewerbenabgeräumt<br />
und trotz<br />
seiner jungen Jahre mit namhaften Orchestern<br />
und Dirigenten zusammengearbeitet.<br />
Studiert hat er am Pariser Konservatorium,<br />
unter anderem bei Michel<br />
Béroff. Auf seiner<br />
zweiten CD präsentiert<br />
er Klavierwerke<br />
von Franz<br />
Liszt, deren Auswahl<br />
und Zusammenstellung<br />
sich<br />
dem Hörer nicht<br />
recht erschließt.<br />
Obwohl Pfaff sein<br />
Franz Liszt<br />
Ungarische Rhapsodie<br />
Nr. 15; Liebestraum Nr.<br />
3; Consolation Nr. 3;<br />
Venezia e Napoli u. a.<br />
Tristan Pfaff, Klavier<br />
(Steinway & Sons)<br />
Aparté (AP019)<br />
(Vertrieb: Musikwelt)<br />
Handwerk beherrscht, fehlt seinen Interpretationen<br />
das „(be)zwingende Etwas“<br />
und – vor allem – der eigene unverwechselbare<br />
Ton. Und so erweckt dieses<br />
CD-Projekt den Eindruck, <strong>als</strong> hätten der<br />
Pianist und das Label sich gesagt: „Es ist<br />
Liszt-Jahr, da machen auch wir mal eine<br />
Liszt-CD.“ Auf diese Weise entstehen aber<br />
keine bleibenden Tondokumente, sondern<br />
allenfalls Bread-and-Butter-Aufnahmen.<br />
Burkhard Schäfer<br />
Zur Demonstration<br />
souveräner<br />
Virtuosität in seinenKlavierkonzertenbearbeitete<br />
Franz Liszt etwa<br />
vierzig Opern<br />
bzw. bestimmte<br />
Szenen daraus.<br />
Der US-amerikanische Pianist Steven<br />
Mayer hat sich aber nicht verleiten lassen,<br />
dass die „Wagner und Weber<br />
Transkriptionen“ zu einem Spektakel<br />
werden. Stattdes-<br />
sen baut er die<br />
orchestrale Aura<br />
der Ouvertüre zu<br />
„Tannhäuser“<br />
von Richard<br />
Wagner mit dy-<br />
Franz Liszt<br />
Wagner und Weber<br />
Transkriptionen<br />
Steven Mayer, Klavier<br />
(k. A.)<br />
Naxos 8.570562<br />
namischen Klangdifferenzierungen auf.<br />
Er beachtet den lyrischen Duktus der<br />
Romanze „O du mein holder Abendstern“,<br />
und maßvoll ist der stolze Gestus<br />
beim „Einzug der Gäste auf der Wartburg“,<br />
beide aus derselben Oper. Seine<br />
disziplinierte Haltung bewahrt Steven<br />
Mayer schließlich auch, wenn er sich der<br />
Ouvertüre zum „Freischütz“ von Carl<br />
Maria von Weber zuwendet, sodass seine<br />
Interpretationen dieses Repertoires ein<br />
durchdachtes Konzept erkennen lassen.<br />
Hans-Dieter Grünefeld<br />
Man hört sofort,<br />
dass hier ein Klavierduo<br />
spielt,<br />
das nicht gelegentlichzusammenfindet,sondern<br />
über Jahrzehnte<br />
an sich<br />
selbst gewachsen<br />
ist. Die in der Schweiz beheimateten<br />
Pianisten Adrienne Soós und Ivo Haag<br />
haben sich Claude Debussys frühe Werke<br />
für Klavierduo ausgewählt, wobei vor<br />
allem die Suite<br />
aus „Le Sacre du<br />
Printemps“ ein<br />
Höchstmaß an<br />
schwebender<br />
Leichtigkeit verlangt.<br />
Immer wieder<br />
wird die In-<br />
Claude Debussy<br />
Frühe Klavierwerke für<br />
Klavierduo<br />
Klavierduo Adrienne<br />
Soós und Ivo Haag,<br />
Klavier<br />
Naxos 8.572385<br />
tensität aber auch unmittelbar wieder<br />
zurückgenommen. Manchmal vermitteln<br />
die Pianisten, <strong>als</strong> wolle man sich für<br />
Sekundenbruchteile voreinander verstecken,<br />
um dann wieder wie von einem<br />
Lichtstrahl getroffen zusammen hervorzutreten.<br />
Ernst Hoffmann<br />
Eigentlich ist der<br />
klassische Pianist<br />
Emanuele Arciuli<br />
hier nur ausführendes<br />
Organ einer Reihe<br />
von Kompositionen<br />
und Motiven,<br />
die einige italienische<br />
und amerikanische Kollegen zum<br />
Monk’schen Thema „’Round Midnight“<br />
verfasst haben. Das Ganze wirkt in seiner<br />
Länge vor dem heimischen Stereo-<br />
Gerät recht langatmig und vermag wohl<br />
nur die profun-<br />
den Kenner von<br />
Uri Caine, Eric<br />
Reed und vielen,<br />
vielen anderen<br />
zu überzeugen.<br />
Arciuli reiht, pianistisch<br />
auf ho-<br />
Emanuele Arciuli<br />
’Round Midnight –<br />
Hommage to Thelonious<br />
Monk<br />
Stradivarius STR 33898<br />
(Vertrieb: Klassik<br />
Center)<br />
hem Niveau, Motiv an Motiv, ohne dass<br />
man lange Gelegenheit hätte, über das<br />
gerade Gehörte zu reflektieren. Da man<br />
jedoch im Grunde 22-mal hintereinander<br />
dieselbe Harmonik und Melodik über<br />
sich ergehen lassen muss, ist der Erkenntnisgewinn<br />
zu Monk und seinen offensichtlich<br />
euphorisierten Anhängern<br />
recht bald erschöpft.<br />
Tom Fuchs<br />
H<br />
107
H H H ÖREINDRUCK<br />
ÖREINDRUCK<br />
Natürlich wartet<br />
Garrick Ohlssons<br />
Beitrag zum<br />
Liszt-Jubeljahr<br />
nicht gerade mit<br />
programmatischerOriginalität<br />
auf. Immerhin<br />
koppelt der<br />
Amerikaner die berühmte, aberdutzendfach<br />
eingespielte Sonate in h-Moll mit<br />
der Fantasie und Fuge über den Choral<br />
„Ad nos, ad salutarem undam“. Das<br />
Werk hat Liszt ursprünglich für Orgel<br />
komponiert, von<br />
Ferruccio Busoni<br />
stammt die vorliegendeBearbeitung<br />
für Klavier.<br />
Dabei gäbe es in<br />
der neuen Musik<br />
einige Liszt-Reflexionen,<br />
gerade<br />
auch der Sonate.<br />
Franz Liszt<br />
Fantasie und Fuge über<br />
den Choral „Ad nos, ad<br />
salutarem undam“ (arr.<br />
von Ferruccio Busoni BV<br />
B 59); Sonate h-Moll<br />
Garrick Ohlsson,<br />
Klavier (Bösendorfer<br />
Imperial)<br />
Bridge Records 9337<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
Ohlssons Spiel ist dann am stärksten,<br />
wenn er im fragilen <strong>Piano</strong> impressionistisch<br />
anmutende Farbtupfer aus den<br />
Tasten perlen lässt. Damit punktet er in<br />
der Sonate h-Moll und nutzt zugleich<br />
seine Kenntnisse <strong>als</strong> Chopin-Interpret.<br />
Das ist klug. Und schon mehrfach erprobt.<br />
Marco Frei<br />
Das Album für<br />
gewisse Stunden!<br />
Nämlich für jene,<br />
in der ein gepflegterBackground<br />
lockere<br />
Unterhaltungen<br />
stimuliert, die<br />
dann womöglich<br />
ebenso „sophisticated“ ausfallen wie der<br />
lässige Groove, der sich – beispielsweise<br />
– über einem McCoy Tyner’schen Ostinato<br />
entspannt. Das ist in Bezug auf „Forward“<br />
des Tor-<br />
que-Trioskeineswegs abwertend<br />
gemeint. Keon<br />
Schalkwijk, <strong>Piano</strong>,<br />
Mathias Pol-<br />
Torque<br />
Forward<br />
Neuklang NCD4055<br />
(Vertrieb: SunnyMoon)<br />
ligkeit, Bass und Antoine Duijkers,<br />
Schlagzeug, meistern diese Kunst nämlich<br />
derart hochkarätig, dass auch konzentriert<br />
reingehört werden darf – überhaupt<br />
leisten sich die drei so viel griffige<br />
Ausgewogenheit, dass die CD schnell<br />
Ohrwurmcharakter annimmt. Sauber<br />
gestylt im Zusammenspiel heißt hier<br />
eben nicht banal geglättet. Zu wünschen<br />
wäre dem Trio dennoch eine nächste<br />
CD, die die letzte Nummer von „Forward“,<br />
ein Stück namens „Housemouse“,<br />
<strong>als</strong> stilistisches Sprungbrett nimmt, um<br />
sich in gewagtere Tiefen zu stürzen.<br />
Tom Fuchs<br />
Nicht immer sind<br />
ausgezeichnete<br />
Wettbewerbssieger<br />
auch wirklich<br />
die Besten. Julianna<br />
Avdeeva<br />
verwies beim<br />
Chopin-Wettbewerb<br />
2010 Ingolf<br />
Wunder auf den zweiten Platz. Der nun<br />
aber zeigt, mit welcher Reife und welchem<br />
Empfindungsreichtum er Chopins<br />
3. Klaviersonate und die Polonaise-Fantaisie<br />
op. 61 zu<br />
spielen fähig ist.<br />
Die Souveränität<br />
und Ausgeglichenheit<br />
im Klang<br />
mögen da fast an<br />
Pollini oder gar<br />
Michelangeli erinnern.<br />
Ingolf Wunder<br />
gehört aber<br />
auch zu den jüngeren<br />
Pianisten,<br />
Die Bedeutung<br />
der Musik von Arnold<br />
Schönberg<br />
für die klassische<br />
Moderne ist unstrittig.<br />
Wie sich<br />
sein individuelles<br />
Kompositionsprofil<br />
konsequent<br />
entwickelt hat, ist exemplarisch mit der<br />
Gesamtaufnahme seiner „Klavierwerke“<br />
nachvollziehbar. Denn die Expertin für<br />
Neue Musik Pi-Hsien Chen hat diese<br />
Kompositionen<br />
in chronologischer<br />
Folge geordnet,<br />
sodass<br />
man von spätromantischen<br />
(1894) über expressionistische<br />
(1909) bis zu ab-<br />
Frédéric Chopin<br />
Klaviersonate Nr. 3 b-<br />
Moll op. 58, Polonaise-<br />
Fantaisie a-Moll op. 61,<br />
Ballade Nr. 4 f-Moll op.<br />
52 u. a.<br />
Ingolf Wunder, Klavier<br />
(Steinway)<br />
Deutsche<br />
Grammophon 477<br />
9634<br />
(Vertrieb: Universal)<br />
die Chopin weit dramatischer zu spielen<br />
bereit sind, <strong>als</strong> es über Jahrzehnte vor<br />
allem bei jungen Pianisten üblich war.<br />
Ernst Hoffmann<br />
Arnold Schönberg<br />
Klavierwerke<br />
Pi-Hsien Chen, Klavier<br />
(k. A.)<br />
Hat [now] ART 184<br />
(Vertrieb:<br />
Harmonia Mundi)<br />
strakten (1920) und reduktionistischen<br />
(1929) „Klavierstücken“ alle Stilphasen<br />
kennenlernen kann. Dabei hat Pi-Hsien<br />
Chen besonders auf die sonoren Eigenschaften<br />
dieser Werke geachtet und<br />
so ein vielleicht ebenso ungewöhnliches<br />
wie empathisches Hörverständnis ermöglicht.<br />
Hans-Dieter Grünefeld<br />
Ein Eintrag ins<br />
Guinness-Buch<br />
der Rekorde war<br />
Nico Brina sicher,<br />
<strong>als</strong> er mit 608 Anschlägen<br />
pro Minute<br />
mit der linken<br />
Hand den<br />
schnellsten Boogie<br />
Woogie der Welt herunterhämmerte.<br />
Hört man sich dieses Album an, so ist<br />
man sich über weite Strecken jedoch<br />
nicht sicher, ob dieser Wettbewerb inzwischen<br />
beendet<br />
wurde. Mit<br />
Rock’n’Roll aufgewachsen,<br />
ist<br />
dem Schweizer<br />
Pianisten die<br />
Nico Brina<br />
Who Cares, Just Boogie<br />
(zu beziehen unter<br />
www.brina.ch)<br />
Verschmelzung mit dem Blues eine<br />
Herzensangelegenheit. Ohne Zweifel<br />
wurzeln Kraft, Dynamik und Spielfreude<br />
in der Kombination von beiden. Zeitweise<br />
scheint es, <strong>als</strong> seien die Gesetze technischer<br />
Spielbarkeit außer Kraft gesetzt. Zu<br />
dritt swingt man sich durchs Repertoire,<br />
ohne dass der Hörer zu Hause davon unberührt<br />
bleiben könnte. Und dies scheint<br />
angesichts der Tatsache, dass Boogie<br />
Woogie eine Musik ist, die man unbedingt<br />
live erleben sollte, die eigentliche<br />
Überraschung dieses formidablen Albums.<br />
Tom Fuchs<br />
Miki Yumihari<br />
wurde in Japan<br />
geboren, studierte<br />
in London und<br />
in New York an<br />
der Juilliard<br />
School. Seit vielen<br />
Jahren pendelt<br />
die Pianistin, deren Markenzeichen es<br />
ist, immer barfuß zu spielen, zwischen<br />
Wien und Japan. Für ihre CD hat sie ein<br />
Programm ausgesucht, das weniger die<br />
Technikerin <strong>als</strong> vielmehr eine empfindsame<br />
Interpretin<br />
fordert. Mit Eleganz<br />
laviert Miki<br />
Yumihari sich<br />
durch Thema<br />
und Variationen<br />
über den Namen<br />
ABEGG. Zart und<br />
ruhig spielt sie<br />
Schumanns Kin-<br />
Robert Schumann<br />
Thema und Variationen<br />
über den Namen ABEGG<br />
op. 1, Kinderszenen op.<br />
15, Fantasie C-Dur op.<br />
17, Widmung<br />
Miki Yumihari, Klavier<br />
(Steinway D)<br />
Camerata CM-28198<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
derszenen, ohne kitschiges Pathos, leicht<br />
und anrührend melancholisch, so dass<br />
man es auch nicht leid wird, den<br />
Dauerklassiker „Träumerei“ zu hören.<br />
„Durchaus phantastisch und leidenschaftlich<br />
vorzutragen“, diese Anweisung<br />
für den ersten Satz der Fantasie C-<br />
Dur op. 17 könnte <strong>als</strong> Motto über dem<br />
gesamten Werk stehen, doch fehlt es Yumihari<br />
an Risikofreude – zu brav erscheint<br />
ihre Version. Ein wenig davon<br />
holt sie dann aber wieder in der „Widmung“<br />
nach und verwandelt das Stück<br />
in eine stürmische Liebeserklärung.<br />
Anja Renczikowski<br />
108 5 . 11
5 . 11<br />
Angesichts der<br />
Flut an ideenlos<br />
und beliebig sich<br />
gleichenden Einspielungen,<br />
die<br />
im Liszt-Jubeljahr<br />
den Klassikmarkt<br />
überrollt, ist jedes<br />
noch so kleine<br />
andere Detail ein willkommener Rettungsring.<br />
Ein solches Detail hat nun Michele<br />
Campanella vorgelegt: Seine Aufnahme<br />
von späten Klavierwerken hat er<br />
auf einem Bech-<br />
stein-Flügelrealisiert, der einstm<strong>als</strong><br />
Liszt gehörte.<br />
Tod und Verklärung<br />
ist das<br />
zentrale Thema.<br />
Häufig ist die Tonsprache<br />
reduziert<br />
und umdüstert.<br />
Weil sich Campanella<br />
viel Zeit und<br />
Raum schenkt<br />
Franz Liszt<br />
„Historische ungarische<br />
Bildnisse“; „V<strong>als</strong>es<br />
oubliées“; „Sancta<br />
Dorothea“; „Carrousel<br />
de Mmw P-N“;<br />
„Resignazione“;<br />
„Romance oubliée“;<br />
„Toccata“ u. a.<br />
Michele Campanella,<br />
Klavier (Bechstein Nr.<br />
247)<br />
Brilliant Classics<br />
94148<br />
und die Stille nicht scheut, erwachsen<br />
vielfach atmosphärisch dichte Befragungen,<br />
die Liszt <strong>als</strong> kühnen Neuerer<br />
ausweisen. Der ausgeprägte Eigenklang<br />
des historischen Instruments macht zudem<br />
das Sphärisch-Zwischenweltliche<br />
unmittelbar hörbar.<br />
Marco Frei<br />
Das späte Klavierwerk<br />
von Johannes<br />
Brahms auf<br />
einem, in diesem<br />
Fall sogar auf<br />
zwei verschiedenen<br />
historischen<br />
Flügeln zu hören,<br />
kann in gewissem<br />
Sinne auch eine Herausforderung sein.<br />
Der Schmelz eines modernen Instrumentes<br />
lindert die ein oder andere Härte<br />
und Wucht mancher Fantasie oder manchesIntermez-<br />
zos. Dennoch hat<br />
sich Hardy Rittner<br />
entschlossen,<br />
dem authentischen<br />
Klang<br />
nachzuspüren,<br />
indem er einen<br />
von Brahms bevorzugten<br />
Flügel<br />
Johannes Brahms<br />
Klavierstücke op.<br />
116–119<br />
Hardy Rittner, Klavier<br />
(Streicher, 1870;<br />
Schweighofer,<br />
1876/77)<br />
MDG 904 1680-6<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
der Firma Streicher von 1870 und einen<br />
nicht weniger reizvollen Schweighofer-<br />
Flügel von 1876 einsetzt. Dabei behält er<br />
sich vor, das jeweilige Instrument dem<br />
Charakter der Stücke entsprechend auszuwählen.<br />
Größtmögliche Transparenz<br />
und Ruhe kommen dabei den Bedingungen<br />
besonders entgegen.<br />
Ernst Hoffmann<br />
H H ÖREINDRUCK<br />
ÖREINDRUCK<br />
Transkriptionen für<br />
Klavier zu vier Händen<br />
beförderten die<br />
Popularität von<br />
Kompositionen. So<br />
auch zwei Zyklen<br />
von Johannes<br />
Brahms, die Brigitte<br />
Engerer und Boris Berezovsky zusammengebracht<br />
haben. In den (ursprünglich<br />
für Gesangsquartett und Klavierbegleitung<br />
komponierten) „Liebeslieder-<br />
Walzern“ erkennen sie durchaus deutlich<br />
Ironie und in den<br />
Vokalversionen<br />
kaschiertes Temperament.Charme<br />
geben sie den<br />
„Zehn Ungarischen<br />
Tänzen“,<br />
die im Duo doch<br />
beachtliche Ver-<br />
Johannes Brahms<br />
Liebesliederwalzer; Zehn<br />
Ungarische Tänze<br />
Brigitte Engerer & Boris<br />
Berezovsky, Klavier<br />
Mirare 134<br />
(Vertrieb: Harmonia<br />
Mundi)<br />
ve bekommen. Ein schönes Klavier-Diptychon.<br />
Hans-Dieter Grünefeld<br />
Diese CD muss<br />
man leider aus<br />
mehreren Gründen<br />
<strong>als</strong> Enttäuschungbezeichnen:<br />
Erstens ist<br />
die Aufnahmequalität<br />
derart<br />
schlecht, dass<br />
einem schon das dumpfe Klangbild den<br />
Hörgenuss verleidet. Zweitens stören die<br />
zahlreichen, vor allem unter dem Kopfhörer<br />
deutlich vernehmbaren Schnitte<br />
die Freude an<br />
der Musik. Drittens<br />
und viertens<br />
laden weder das<br />
süßlich-überzuckerte<br />
CD-Cover<br />
noch der dürftige<br />
Booklet-Text dazu<br />
ein, sich intensiver<br />
mit dem<br />
musikalischen<br />
Inhalt zu be-<br />
Franz Liszt<br />
Fantasie und Fuge über<br />
das Thema B-A-C-H<br />
(2. Fassung); „Litanei“;<br />
Variationen über<br />
„Weinen, klagen, sorgen,<br />
zagen“; Berceuse u. a.<br />
Gregorio Nardi, Klavier<br />
(Steinway D)<br />
Dynamic DM8017<br />
(Vertrieb: Klassik<br />
Center)<br />
schäftigen. Das alles ließe sich ja verschmerzen,<br />
wenn einen wenigstens die<br />
Interpretation der (im Liszt-Jahr gar<br />
nicht mehr so) „raren Klavierwerke“ für<br />
die Unannehmlichkeiten entschädigte.<br />
Dies ist aber leider nicht der Fall. Gregorio<br />
Nardi bietet allenfalls gediegenes<br />
Mittelmaß, teilweise sogar weniger <strong>als</strong><br />
das. Nein, diese CD ist wahrlich kein<br />
substanzieller Beitrag zum Liszt-Jahr.<br />
Burkhard Schäfer<br />
Klaviertrio im<br />
Jazz ist eine traditionsreicheGattung.<br />
Da hat es<br />
alles schon mal<br />
gegeben. Josquin<br />
Rosset kann trotzdem<br />
noch etwas<br />
hinzufügen. Bei den zwölf Tracks dieser<br />
CD handelt es sich um improvisierte<br />
Musik, die klingt, <strong>als</strong> sei sie notiert. Das<br />
heißt, sie ist stringent in ihrer musikalischen<br />
Konzeption, es gibt keine Floskeln<br />
und keine abgedroschene Phraseologie:<br />
knackig kalkulierter<br />
Jazz. Das liegt<br />
unter anderem an<br />
dem unaufdringli-<br />
Die 12 Études d’<br />
exécution transcendente<br />
von Franz<br />
Liszt gelten <strong>als</strong> einer<br />
der anspruchsvollsten<br />
Klavierzyklen<br />
überhaupt – jede<br />
Etüde fordert andere<br />
heraus: Virtuosität, Balance, lyrisches<br />
Spiel. Die italienische Pianistin<br />
Mariangela Vacatello spielt hier die dritte<br />
und letzte Fassung der Sammlung ein,<br />
die 1852 veröf-<br />
fentlicht und von<br />
Lizst <strong>als</strong> einzig<br />
gültige angesehen<br />
wurde. Die<br />
Pianistin hat sich<br />
<strong>als</strong> Liszt-Interpretin<br />
bereits einen<br />
Rosset Meyer Geiger<br />
What happened<br />
Unit Rec. UTR 4266<br />
chen Klavierspiel und den scharf geschnittenen<br />
Co-Kompositionen, aber vor<br />
allem an dem variantenreichen Schlagzeugspiel<br />
von Jan Geiger. Wie überhaupt<br />
das Zusammenspiel dieser von Gabriel<br />
Meyer am Bass komplettierten Formation<br />
sich <strong>als</strong> besonders hörenswert erweist.<br />
So kann das improvisiert Notierte<br />
und das notiert Improvisierte immer wieder<br />
ins Ungewisse und Unbekannte hineinschillern:<br />
Modern Jazz, der sich verwandelt<br />
hat und nur seinem Gestus nach<br />
aus der Tradition kommt. Die Klangsprache<br />
ist eine komplett andere, nicht<br />
länger expressiv, eher abgeklärt unter<br />
den Sternen der Schweiz.<br />
Tom Fuchs<br />
Franz Liszt<br />
Études d’exécution transcendente<br />
Mariangela Vacatello,<br />
Klavier<br />
Brilliant Classics 94250<br />
Namen gemacht und wird ihrem Ruf<br />
hier mehr <strong>als</strong> gerecht: Das teuflisch<br />
schwere Mazeppa bewältigt sie spielerisch,<br />
das schwelgerische Ricordanza<br />
spielt sie poetisch schön und beschwört<br />
im Chasse-neige eisige Winterbilder.<br />
Technisch scheint Mariangela Vacatello<br />
keine Grenzen zu kennen, versteht sich<br />
aber auch auf leidenschaftliche und<br />
werktreue Interpretationen. Eine bemerkenswerte<br />
Künstlerin mit einer ebensolchen<br />
Liszt-Aufnahme.<br />
Isabel Fedrizzi<br />
H<br />
109
V V ORSCHAU<br />
Einige der für die kommende <strong>Ausgabe</strong> für Sie aufbereiteten Themen:<br />
Foto: Marco Borggreve<br />
Meisterkurs im Namen Edwin Fischers<br />
mit Elisabeth Leonskaja<br />
Vor zwei Jahren rief der in Potsdam lebende Pianist<br />
Alexander Untschi die „Potsdamer Sommerakademie“<br />
im Andenken an die legendären Meisterkurse Edwin Fischers<br />
im Potsdamer Marmorpalais wieder ins Leben.<br />
Im ersten Jahr hatte er dazu Paul Badura-Skoda eingeladen,<br />
der selbst noch bei dem legendären deutschen<br />
Pianisten Fischer Unterricht gehabt hat. Im vergangenen<br />
Jahr war Karl-Heinz Kämmerling nach Potsdam<br />
gefahren. In diesem Jahr nun war es die in Wien lebende<br />
russische Pianistin Elisabeth Leonskaja, die 11 ausgesuchte<br />
Studenten unterrichtete. Wir hörten bei der<br />
diesjährigen „Edwin Fischer Sommerakademie“ zu.<br />
Nami Ejiri<br />
Wenn man sich die zahlreichen Chinesen anschaut, die auf den<br />
Klaviermarkt drängen, vergisst man darüber oftm<strong>als</strong> die Japaner,<br />
die sich längst europäisch eingelebt haben, die längst entschieden<br />
haben, das, was sie beispielsweise in Deutschland<br />
erfahren und lernen durften, in Europa wie auch in Japan einem<br />
Publikum wieder näherzubringen. So etwa ist die Japanerin<br />
Nami Ejiri. Nami Ejiri ist kein Newcomer mehr, sie unterrichtet<br />
heute schon selbst <strong>als</strong> Dozentin an der Hochschule für Musik in<br />
Frankfurt am Main. Wir wollten von ihr wissen, wie sie sich integriert<br />
hat und wie sie ihre asiatischen Wurzeln mit ihrer europäischen<br />
Ausbildung verbindet.<br />
Foto: Carsten Dürer<br />
Denis Kozhukin<br />
Seit der 25-jährige Russe Denis Kozhukin den Brüsseler Königin<br />
Elisabeth Wettbewerb 2010 gewonnen hat, ist seine Karriere<br />
nicht mehr aufzuhalten. Als Student von so namhaften<br />
Pädagogen wie Dimitri Bashkirov und Claudio Martínez Mehner<br />
hatte er schon einige Erfolge zuvor aufzuweisen. Wie er<br />
über seine Position, seinen bisherigen Werdegang und die kommenden<br />
Jahre denkt, erfuhren wir in einem Gespräch mit ihm.<br />
Klaviergeschichte(n)<br />
Die Geschichte des modernen Klaviers ist mannigfaltig und<br />
immer wieder von Seitenentwicklungen beeinflusst worden.<br />
Wir werden in loser Folge nicht nur die Entwicklung der<br />
Klavierbaugeschichte bis zum heute bekannten Instrument<br />
betrachten, sondern auch die ungewöhnlichen Entwicklungen,<br />
die die Klavierbaugeschichte immer wieder genommen<br />
hat. Wir beginnen mit einem geschichtlichen Überblick.<br />
Die nächste erscheint<br />
am 4. November 2011.<br />
Foto: Carsten Dürer<br />
I MPRESSUM<br />
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Ernst Hoffmann, Wolfgang Hülk,<br />
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110 5 . 11
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