06.05.2013 Aufrufe

Ausgabe als PDF herunterladen... - Piano News

Ausgabe als PDF herunterladen... - Piano News

Ausgabe als PDF herunterladen... - Piano News

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Roland V-<strong>Piano</strong><br />

Grand im Test<br />

GERHARD OPPITZ<br />

Japanische<br />

Klaviermusik<br />

Klaviermusik<br />

KLAVIERDUO<br />

KLAVIERDUO<br />

STENZL<br />

25 Jahre Jahre<br />

auf<br />

der Bühne<br />

ALEXANDER LONQUICH<br />

Deutschland EUR 4,30<br />

Österreich EUR 5,00<br />

Luxemburg EUR 5,10<br />

Schweiz sfr 7,90<br />

Klassik auf<br />

Türkisch<br />

ISSN 1434-3592<br />

G 44525<br />

IDIL BIRET FAZIL SAY<br />

GÜHER & SÜHER<br />

PEKINEL<br />

Traditionen aditionen neu überdenk<br />

überdenken<br />

en<br />

Türkische Pianisten über die<br />

Klaviersz Klavierszene<br />

ene in ihrer ihrer<br />

Heimat<br />

GÜLZIN ONAY<br />

18 SEITEN<br />

CD-BESPRECHUNGEN<br />

'!1J60FB-gaedah!:k;P<br />

September / Oktober<br />

5/2011


5 . 11<br />

Entscheidungen treffen<br />

Liebe Klavierfreundinnen und -freunde,<br />

E E<br />

DITORIAL<br />

immer wieder treffen wir auf Künstler, deren gesamte Karriere<br />

von Entscheidungen abhängig war und ist. Welches Repertoire<br />

spielt man, auf welchem Instrument, bei wem soll man studieren,<br />

welchem Bereich des Klavierspiels wendet man sich überhaupt<br />

zu? Diese Fragen werden oftm<strong>als</strong> schon in der Jugend<br />

erörtert, dann entschieden und entsprechend der Ziele verfolgt.<br />

Diese <strong>Ausgabe</strong> von PIANO<strong>News</strong> ist voll mit Artikeln, aus denen<br />

man ersehen kann, wie Entscheidungen einen Lebensweg<br />

und auch künstlerische Aussagen kennzeichnen können. Jos van<br />

Immerseel ist ein wunderbares Beispiel für die beständige<br />

Offenheit in seiner musikalischen Ausrichtung, die dann letztendlich zu seiner Spezialisierung <strong>als</strong><br />

Hammerflügelspieler führte. Ein anderes gutes Beispiel ist das Stenzl Klavierduo, zwei Brüder, die<br />

die Duoform des Klavierspiels wählten und sich ohne Verbitterung im Jahr ihres 25. Bühnenjubiläums<br />

Fragen stellen, ob nicht einige Entscheidungen in ihrem Leben, wären sie schon früher<br />

getroffen worden, andere Wege hätten bereiten können. Der Pianist Gerhard Oppitz hat sich entschieden,<br />

für das Klavierrepertoire aus Japan etwas zu tun, und eine CD mit Werken von hierzulande<br />

weniger bekannten japanischen Komponisten eingespielt.<br />

Dass in der Türkei, gerade von musikalischen Künstlern, beständig Entscheidungen getroffen werden<br />

müssen, versteht sich aufgrund der politischen Situation ebenso wie aufgrund der jeweiligen<br />

persönlichen Situation. Wir betrachten das auf EU-Kurs befindliche große Land in Bezug auf das<br />

Klavierspiel, die Entwicklung und die Klaviermusik. Dabei haben wir alle bekannteren Pianisten<br />

aus unterschiedlichen Generationen nach ihrer Ansicht gefragt und waren auch im Land selbst<br />

unterwegs für Sie, um einen aktuellen Gesamteindruck zu bekommen.<br />

Daneben werfen wir einen „anderen“ Blick auf das größte Klavierwerk des Gedenk-Komponisten<br />

des Jahres 2011, die h-Moll-Sonate von Franz Liszt.<br />

Und was soll man noch über Alexander Lonquich sagen, einen Pianisten, der von allen Seiten<br />

geschätzt wird, aber nach großer Aufmerksamkeit zu Beginn seiner Karriere heute fast nur noch<br />

eingeweihten Klavierfans ein Begriff ist – auch hier waren es Entscheidungen, die zu dieser Art<br />

des Künstlertums abseits der ganz großen Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit führten.<br />

Es ist eine facettenreiche <strong>Ausgabe</strong>, die wir Ihnen für den Sommer anbieten, ein Heft, das neben<br />

den erwähnten Themen natürlich noch zahllose andere Themen enthält und darüber nachdenken<br />

lässt, was man noch alles anstellen kann mit seinem Hobby, dem Klavierspiel oder der Klaviermusik.<br />

Viel Spaß beim Lesen und einen wunderbaren Restsommer wünscht Ihnen Ihr<br />

Carsten Dürer<br />

– Chefredakteur –<br />

Foto: Yoko Tsunekawa<br />

3


I I NHALT<br />

Foto: Cadenza Concert<br />

Alexander Lonquich (S. 10)<br />

Foto: Marco Frei<br />

Klassik auf Türkisch (S. 16)<br />

Foto: Dürer<br />

Roland<br />

V-<strong>Piano</strong> Grand (S. 24)<br />

Klavierduo Stenzl (S. 40)<br />

Jos van<br />

Immerseel<br />

(S. 48)<br />

Foto: Dürer<br />

3<br />

6<br />

9<br />

10<br />

16<br />

24<br />

28<br />

31<br />

32<br />

36<br />

40<br />

44<br />

47<br />

48<br />

53<br />

E DITORIAL<br />

C RESCENDO<br />

INFOS AUS DER SZENE<br />

K LAVIER-NEWS<br />

NEUHEITEN VON<br />

KLAVIERBAUUNTERNEHMEN<br />

I NTERVIEW<br />

ALEXANDER LONQUICH<br />

„TRADITIONEN NEU ÜBERDENKEN.“<br />

A NSICHTEN<br />

KLASSIK AUF TÜRKISCH<br />

ZUR KLAVIERSZENE<br />

ZWISCHEN ORIENT UND OKZIDENT<br />

I NSTRUMENTE<br />

TAUSENDE VON FLÜGELN IN EINEM<br />

DAS V-PIANO GRAND VON ROLAND<br />

A NSICHTEN<br />

FRANZ LISZT, DER GROSSE VERFÜHRER<br />

DIE H-MOLL-SONATE<br />

H ÄNDLER<br />

HIER KÖNNEN SIE PIANONEWS KAUFEN<br />

I NTERVIEW<br />

GERHARD OPPITZ<br />

... ÜBER SEINE NEUESTE EINSPIELUNG MIT<br />

JAPANISCHEN KOMPOSITIONEN<br />

A NSICHTEN<br />

DAS KLAVIER IM SPIELFILM<br />

P ORTRÄT<br />

HANS-PETER & VOLKER STENZL<br />

... FEIERN 25-JÄHRIGES<br />

BÜHNENJUBILÄUM<br />

W ETTBEWERBE<br />

ÜBERRASCHUNGEN<br />

MONTREAL INTERNATIONAL<br />

MUSICAL COMPETITION<br />

DVDS<br />

KLAVIERMUSIK ZUM SEHEN UND HÖREN<br />

P ORTRÄT<br />

EIN TRAUM FÜR EINEN<br />

HAMMERFLÜGELSPIELER<br />

EIN BESUCH BEI JOS VAN IMMERSEEL<br />

W ETTBEWERBE<br />

EIN TRAUM WIRD WIRKLICHKEIT<br />

DER „TOP OF THE WORLD“<br />

KLAVIERWETTBEWERB IN TROMSØ<br />

4 5 . 11


5 . 11<br />

B ERICHTE<br />

SENSIBILISIERUNG FÜR QUALITÄT<br />

„SCHUBERT UNIVERSUM“ MIT<br />

KLAVIERDUOS IN BOSWIL UND MURI<br />

J AZZ-INTERVIEW<br />

TIGRAN HAMASYAN<br />

„ALLEIN MIT DIR, DEM KLAVIER<br />

UND DEM RAUM.“<br />

B ERICHTE<br />

SCHWARZE FARBE, AUS<br />

KLAVIERCLUSTERN TROPFEND<br />

DAS BERLINER FESTIVAL „KLAVIERFIEBER“<br />

W ETTBEWERBE<br />

TERMINE FÜR PROFIS<br />

P ROFI-TIPPS<br />

LISZTS „LA LEGGIEREZZA“<br />

K ONZERTE<br />

TERMINE FÜR LIEBHABER<br />

P ÄDAGOGIK<br />

GESPRÄCH MIT MIKE CORNICK<br />

M USIKSCHULE<br />

SCHULJAHRESRÜCKBLICK<br />

WER IST AM BESTEN VORANGEKOMMEN?<br />

ERWACHSENE AM KLAVIER<br />

KLEINE ÄRGERNISSE VERMEIDEN<br />

A NFÄNGER<br />

DAS KLAVIER, DIE KINDER UND ICH<br />

N OTEN<br />

NEUE KLAVIERWERKE AUF DEM PULT<br />

B ÜCHER<br />

BÜCHER UM LISZT<br />

J AZZ-WORKSHOP<br />

MIT RAINER BRÜNINGHAUS (27)<br />

AKKORDISCHES BALLADENSPIEL<br />

A LTE A UFNAHMEN<br />

UNGEHÖRTES UND ERKENNTNISREICHES<br />

E DITIONEN<br />

RUSSISCHE KOMPONISTEN HOCH IM KURS<br />

VORSCHAU/IMPRESSUM<br />

I NHALT<br />

56<br />

60<br />

64<br />

66<br />

68<br />

72<br />

74<br />

76<br />

78<br />

80<br />

82<br />

88<br />

90<br />

92<br />

94<br />

H ÖREINDRUCK<br />

NEUE CDS 96<br />

110<br />

Schubert Universum (S. 56)<br />

Foto: Dürer<br />

TIGRAN HAMASYAN (S. 60)<br />

Foto: Vahan Stephanyan<br />

Festival „Klavierfieber“ (S. 64)<br />

Foto: Kai Bienert<br />

Anfänger (S. 80)<br />

I<br />

Titelfotos: Marco Frei, Aykut Usluteki (Onay), Marco Borggreve (Say),<br />

Dürer (Biret), Tanja Niemann (Pekinel)<br />

5


C<br />

C RESCENDO<br />

Stille Pianistin im Hintergrund: Dina Yoffe in Düsseldorf<br />

Ihre Karriere verlief dort, wo es wichtig ist, und dennoch<br />

fernab von Glamour und vordergründigem Marketing: auf<br />

den großen Bühnen, in der Abgeschiedenheit von Meisterklassen<br />

in aller Welt. Die im lettischen Riga geborene Dina<br />

Yoffe ist eine Meisterin des Klavierspiels. Wen wundert es,<br />

wurde sie doch von Vera Gornostayeva am Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium<br />

ausgebildet, einer der wichtigsten<br />

Lehrerinnen, die noch aus der deutsch-russischen Schule des<br />

legendären Heinrich Neuhaus stammt. Dina Yoffe ging nach<br />

ihrem Studium unbeirrt ihren Weg, gewann Preise im Schumann-Wettbewerb<br />

in Zwickau und im berühmtesten aller<br />

Klavierwettbewerbe, beim Chopin-Wettbewerb in Warschau.<br />

Danach standen ihr die Bühnen der Welt offen, konzertierte<br />

sie mal in Israel, mal in Japan, überall, wo Dirigenten wie<br />

Zubin Metha oder Valery Gergiev sie einluden. Kammermusik<br />

spielte sie mit Yuri Bashmet, Gidon Kremer oder Vadim Repin,<br />

um nur einige zu nennen. Und sie unterrichtete, erst an der<br />

Rubin-Academy of Music in Tel Aviv, dann an einer Universität<br />

in Japan und nun an der Anton Rubinstein Akademie in<br />

Düsseldorf. Ihre Liebe zum Konzertieren gab sie nie auf,<br />

wovon auch ihre zahlreichen CD-Einspielungen sprechen –<br />

aber einen Großteil ihrer Energie widmete sie der Ausbildung<br />

junger Eleven, wie sie es von Gornostayeva erfahren hatte.<br />

Und so konnte sie schon einigen jungen Pianisten zu Erfolgen<br />

verhelfen.<br />

Nun zeigt Dina Yoffe in den Räumen der „Anton Rubinstein<br />

Internationale Akademie“ in Düsseldorf am 25. September<br />

2011 ihr pianistisches Können. Mit einem Programm, das<br />

Werke darbietet, die Yoffe immer schon liebte. Bachs Partita c-<br />

Moll (BWV 826), Sergej Prokofiews Klaviersonate c-Moll Op.<br />

29, Chopins Fantasie f-Moll Op. 49 und zum Schluss die späten<br />

„7 Fantasien“ Op. 116 von Johannes Brahms. Ein großes<br />

und kräfteraubendes Programm, das Dina Yoffe da bietet.<br />

Doch auch ihre zweite Liebe, das Unterrichten, soll dokumen-<br />

Das Klavier-Duo-Festival in Bad Herrenalb ist seit der<br />

Erstaustragung im Jahr 2000 ein spannendes Festival<br />

unter der Leitung des Pianisten Christoph Sischka, der selbst<br />

mit seiner Frau Eriko Takezawa im Duo spielt. Wurde das<br />

Festival die ersten vier Jahre in Folge abgehalten, hat man<br />

seit 2005 einen zweijährigen Turnus gewählt. So dass das<br />

Festival in diesem Jahr zum 8. Mal stattfinden konnte. Neben<br />

etlichen Konzerten und der Verbindung von „Jugend musi-<br />

Christoph Sischka spielt über das<br />

Internet mit seiner Frau vierhändig.<br />

Foto: Sischka<br />

Internet-Duo-Spiel in Bad Herrenalb<br />

tiert werden. Zum einen gibt Dina Yoffe in der „Anton Rubinstein<br />

Internationale Akademie“ am 20. November dieses Jahre<br />

einen Meisterkurs für talentierte Klavierstudenten, in dem<br />

man erleben kann, wie genau und tatkräftig sie die Spielweise<br />

der jungen Tastenkünstler zu gestalten versteht. Daneben<br />

werden zwei ihrer Studenten Konzerte geben. Den Beginn<br />

macht am 2. Oktober die in Moskau ausgebildete und nun bei<br />

Dina Yoffe studierende Anna Kiskachi. Ihr Programm wird<br />

Werke von Beethoven, Ravel und etliche Adaptionen von<br />

Komponisten durch Liszt beinhalten. Die Zweite ist die Japanerin<br />

Sonoko Ishii, die bereits etliche Preise bei internationalen<br />

Klavierwettbewerben gewinnen konnte. Sie spielt sich<br />

durch die Klaviergeschichte, von Bach über Debussy und<br />

Chopin, hin zu Liszt.<br />

Wer einmal eine der großen Pianistinnen und Pädagoginnen<br />

erleben will, die wahre Kunst eher im Hintergrund betreiben,<br />

sollte diese Abende nicht verpassen.<br />

Während in Texas gespielt<br />

wird, erklingt zeitgleich das<br />

Spiel in Bad Herrenalb auf<br />

dem Disklavier.<br />

Foto: Sischka<br />

Dina Yoffe<br />

www.rubinstein-akademie.de<br />

ziert“ für Klavierduo ist es ein abwechslungsreiches Festival<br />

über vier Tage. In diesem Jahr allerdings hatte Christoph<br />

Sischka noch einen draufgesetzt. Schon seit längerem<br />

beschäftigt sich Sischka mit den technischen Möglichkeiten,<br />

die einem Pianisten die Yamaha-Disklaviere bieten. Denn<br />

diese sind nicht nur in der Lage, Eingespieltes 1:1 auch auf<br />

dem Instrument wiederzugeben. Vielmehr ist die Computertechnologie<br />

mittlerweile auch in diesem Instrument so weit<br />

6 5. 11


5 . 11<br />

C RESCENDO<br />

gediehen, dass die Internet-Anbindung das Spiel an unterschiedlichen<br />

Orten ermöglicht. Der sogenannte e-Competition nutzt dieses System schon<br />

seit langem. Im Klavier-Duo-Festival demonstrierte Sischka die Möglichkeiten<br />

live, indem er Mario Ajero, Professor an der Klavierschule im texanischen<br />

Nacogdoches, nach Bad Herrenalb live hinzuschaltete. Dort wie in<br />

Bad Herrenalb stand ein Disklavier, wobei beide Instrumente über das<br />

Internet verbunden und synchronisiert waren. Mittels einer Videoverbindung<br />

konnte man auf einer Leinwand zudem sehen, was auf der anderen<br />

Seite passiert. Und so spielte einmal in Bad Herrenalb das Remnant Duo für<br />

die Zuhörer im Saal und die Zuhörer in Texas. Mario Ajero und sein sechsjähriger<br />

Sohn Nio in Texas taten es dem Duo in Bad Herrenalb gleich. Doch<br />

es ging noch weiter. Christoph Sischka musizierte gemeinsam im Duo mit<br />

seiner Frau Eriko Takezawa, während Sischka im Saal in Bad Herrenalb<br />

saß, um den Secondo-Part zu spielen, seine Frau allerdings den Primo-Part<br />

in Freiburg, aus dem Wohnzimmer des Ehepaares musizierte. Ein eindringliches<br />

Erlebnis, das zeigte, wie weit die heutige Computertechnologie auch<br />

für das gemeinsame Musizieren an unterschiedlichen Standorten genutzt<br />

werden kann. Dass man sogar mit der Fernbedienung einer Spielekonsole<br />

die Agogik des zuvor Eingespielten verändern kann, bewies dann noch die<br />

Sopranistin Katharina Schwesinger, indem sie die Klavierbegleitung, die<br />

vom Disklavier wiedergegeben wurde, intuitiv mit dieser Fernbedienung<br />

ihrem Gesang angleichen konnte.<br />

Liszt zum Spielen<br />

In diesem Fall meint das Spielen allerdings nicht nach Noten, sondern<br />

nach Frage und Antwort im gesellschaftlichen Miteinander. Der Grupello-Verlag<br />

hat ein Liszt-Quiz auf den Markt gebracht, das mit kleinen<br />

quadratischen Kärtchen nicht weniger <strong>als</strong> 100<br />

Fragen und Antworten rund um das Phänomen<br />

und die Person Franz Liszts bereithält. Da geht es<br />

um viele kleine Dinge. Einige Beispiele gefällig?<br />

Welcher deutsche Lyriker inspirierte Franz Liszt zu<br />

seinem weltberühmten Liebestraum Nr. 3? In welchem<br />

Verhältnis stand der Komponist zu Brahms,<br />

Schumann, Chopin, Berlioz und Heine? Wann<br />

und wo fand das denkwürdige Konzert statt, das<br />

Liszt <strong>als</strong> weltweit erster Pianist alleine am Klavier<br />

bestritt? Und dies ist nur eine kleine Auswahl. Die<br />

Antworten stehen leider auf derselben Seite wie<br />

die Fragen, nur auf dem Kopf. Da ist es nicht so<br />

gut, wenn einem der Befragte gegenübersitzt und<br />

in die Karten schauen kann … Dennoch lernt man vieles bei diesem Quiz!<br />

Liszt-Quiz<br />

100 Fragen und Antworten<br />

verfasst von Georg Kroeger<br />

103 Kärtchen in einem Schmuckkästchen<br />

Grupello-Verlag<br />

ISBN 879-3-89978-153-3<br />

EUR 10,90<br />

Young Sun Jin gewinnt Bechstein<br />

Wettbewerb Baden-Württemberg<br />

Young Sun Jin ist beim 3. C. Bechstein Hochschulwettbewerb für Klavier<br />

Baden-Württemberg mit dem Ersten Preis ausgezeichnet worden. Die<br />

Studentin der Musikhochschulen Trossingen (Klavier solo) und Stuttgart<br />

(Kammermusik) glänzte beim Preisträgerkonzert im Konzertsaal der Staatlichen<br />

Hochschule für Musik Trossingen mit einer farbenreichen<br />

Interpretation des ersten Bands von Claude Debussys „Images“.<br />

Den Zweiten Preis erhielt Atsuko Kinoshita, die an der Staatlichen<br />

Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim studiert. Sie spielte<br />

beim Preisträgerkonzert Werke von Debussy und Brahms. Die Urkunde


C<br />

für den Dritten Preis wurde an Danlin Felix Sheng überreicht,<br />

der an der Staatlichen Hochschule für Musik Freiburg studiert.<br />

Neben den drei Hauptpreisen, die mit Konzertengagements<br />

und einem Preisgeld von insgesamt 3.500 Euro dotiert<br />

waren, wurden auch mehrere Sonderpreise vergeben. Der<br />

Sonderpreis für die beste Interpretation eines Werks von<br />

Franz Liszt, gestiftet vom Klavierhaus Hermann Trossingen,<br />

wurde an Myounghyun Seo (Freiburg) für ihre Interpretation<br />

der Paganini-Etüde Nr. 2 verliehen. Den vom Musikhaus <strong>Piano</strong>-Fischer<br />

Stuttgart gestifteten Sonderpreis für die beste<br />

Interpretation eines klassischen Werks erhielt Mima Matsui<br />

(Mannheim) für ihre Interpretation von Haydns Sonate C-<br />

Dur Hob. XVI:50. Spontan hatte sich zudem Theo Geißler,<br />

Juror des Wettbewerbs und Herausgeber der Neuen Musikzeitung<br />

(nmz), entschieden, gleich zwei Sonderpreise für die<br />

Unser Kooperationspartner, der Online-Verlag INTER-NOTE, bietet allen<br />

PIANO<strong>News</strong>-Abonnenten pro <strong>Ausgabe</strong> 10 neue Notenausgaben zum<br />

kostenlosen Download; dabei handelt es sich nicht um Scans alter<br />

<strong>Ausgabe</strong>n, sondern um Neuausgaben. Einige Raritäten, die ansonsten seit<br />

langem vergriffen sind, wurden auf diese Weise wieder einem größeren<br />

Publikum zugänglich gemacht.<br />

❐ Abonnenten haben pro <strong>Ausgabe</strong> Zugriff auf 10 Werke, die sie kostenlos<br />

downloaden können.<br />

❐ Die Downloads können auf der Festplatte gespeichert und beliebig oft<br />

ausgedruckt werden.<br />

❐ Alle Abonnenten erhalten bei ihrer ersten Notenbestellung <strong>als</strong><br />

Begrüßungsgeschenk einen gedruckten Notenband („PIANO<strong>News</strong><br />

Collection“).<br />

❐ Es wird spezielle Rabatt- und Bonusaktionen für PIANO<strong>News</strong>-<br />

Abonnenten geben.<br />

beiden besten Interpretationen zeitgenössischer Werke auszuloben:<br />

Diese wurden Wanru Fu (Trossingen) und Sangmi<br />

Choi (Karlsruhe) zugesprochen.<br />

40 Studentinnen und Studenten hatten sich zum Wettbewerb<br />

angemeldet, 25 waren zugelassen worden, 20 traten am 2.<br />

Juni zur ersten Runde an. Neun Studentinnen und Studenten<br />

wurden für die Finalrunde am 3. Juni zugelassen, in der sie<br />

ein Programm von jeweils 50 Minuten vortragen mussten. In<br />

der Jury wirkten mit: Reinhard Becker (Trossingen), Theo<br />

Geißler (Herausgeber Neue Musikzeitung), Michael Leuschner<br />

(Freiburg), Rudolf Meister (Mannheim), Kalle Randalu<br />

(Karlsruhe), Jörg Tisken (Musikjournalist), Florian Wiek,<br />

Pianist (Stuttgart) und Gregor Willmes (Kulturmanagement<br />

C. Bechstein Berlin).<br />

„Karneval der Tiere“ von Saint-Säens aus Duisburg<br />

Die „Grande Fantaisie Zoologique“<br />

von Camille Saint-Säens ist für Kinder<br />

immer noch eines der besten Werke,<br />

um ihnen die klassische Musik näherzubringen.<br />

Und da darin auch zwei Klaviere<br />

solistisch eingesetzt werden, ist diese<br />

Musik umso mehr dazu geeignet, auch<br />

auf die Klaviermusik aufmerksam zu machen.<br />

Nun haben die Duisburger Philharmoniker<br />

sich aber nicht einfach nur der<br />

Musik angenommen, sondern eine vollkommen<br />

neue und spannende Geschichte<br />

daraus gemacht und in Buchform veröffentlicht.<br />

Zum einen hat man die junge<br />

Autorin Marie Pohl dazu bewegt, auf die<br />

Musik eine neue Geschichte zu schreiben,<br />

die nun <strong>als</strong> „Die Hochzeit des Löwen“<br />

daherkommt. Zum anderen konnte man<br />

die Schauspielerin Anna Thalbach gewinnen,<br />

die Texte zu sprechen. Und natürlich<br />

spielen die Duisburger Philharmoniker<br />

unter ihrem hervorragenden Dirigenten<br />

Jonathan Darlington brillant. An den beiden<br />

Flügeln sitzen Swetlana und Vladimir<br />

Kharin und verleihen der Musik nochm<strong>als</strong><br />

mehr Effekt, bestechend gespielt. Und die Geschichte ist<br />

witzig und kindgerecht, faszinierend in den unterschiedlichen<br />

Rollen von Thalbach mit Charakter angefüllt.<br />

Doch das reicht noch nicht ganz, denn um diese Einspielung<br />

auch in Buchform kindgerecht herauszubringen, bedurfte es<br />

C RESCENDO<br />

Exklusiver Notendownload für PIANO<strong>News</strong>-Abonnenten<br />

Und so kommen PIANO<strong>News</strong>-Abonnenten auf ihre INTER-NOTE-<br />

Download-Seite:<br />

➠ Gehen Sie auf www.inter-note.com auf „Mein<br />

Konto“<br />

➠ dort klicken Sie auf „Registrieren“<br />

➠ Geben Sie im ersten Schritt Ihre E-Mail-Adresse<br />

ein<br />

➠ Wählen Sie „<strong>Piano</strong>-<strong>News</strong>“ und geben Sie Ihre<br />

Kundennummer ein. Sie finden diese auf Ihrem<br />

Adressaufkleber ganz vorne (PNXXXX). Geben Sie<br />

die vollständige Kundennummer (einschließlich<br />

PN) ein!<br />

➠ Nun befinden Sie sich in Ihrem Account, in<br />

dem oben rechts stehenden Kasten befinden sich<br />

10 Werke, die Sie downloaden können!<br />

noch einer bunten und aufmunternden<br />

Illustration. Und niemand<br />

Geringerer <strong>als</strong> der bekannte deutsche<br />

Künstler Otmar Alt konnte<br />

dafür gewonnen werden. Vielleicht<br />

sind einige der Illustrationen nicht<br />

wirklich kindgerecht, aber witzig<br />

und bunt sind sie allemal. Auf diese<br />

Weise ist ein Gesamtkunstwerk entstanden,<br />

das sich sehen und hören<br />

lassen kann. Wenn man Kinder<br />

kennt, die Geschichten lieben, sollte<br />

man ihnen dieses Buch schenken,<br />

denn so kann man sie leicht an Musik<br />

anderer (und wunderschöner)<br />

Art heranführen. Und vielleicht fällt<br />

dem ein oder anderen Kind ja auch<br />

auf, dass Teile dieser Musik auch in<br />

den Harry-Potter-Filmen Verwendung<br />

fanden …<br />

Camille Saint-Säens<br />

Der Karneval der Tiere – Die Hochzeit<br />

des Löwen<br />

Verlag Demon & Reihl, Witten<br />

ISBN 978-3-9809197-8-4<br />

Buch mit CD<br />

EUR 18,95<br />

8 5 . 11


5 . 11<br />

Im Mai dieses Jahres hat der Braunschweiger<br />

Klavierhersteller Grotrian-<br />

Steinweg ein neues Klaviermodell auf den<br />

Markt gebracht. „Dieses Modell, mit dem<br />

Namen Contour, hat eine Bauhöhe von 114 cm<br />

und kombiniert bewährte Technik mit einem<br />

zeitlos eleganten Gehäuse“, so Burkhard<br />

Stein, Geschäftsführer von Grotrian-Steinweg.<br />

„Als traditionell gestaltetes Klavier, mit<br />

allen Grotrian-Steinweg-Qualitäts-Spezifikationen,<br />

ist es eine besonders schöne Erscheinung<br />

im Raum und bereits jetzt ein Klassiker.“<br />

Durch seinen enorm klaren und satten<br />

Klang soll es besonders für den gehobenen<br />

musikalischen Anspruch und das Musizie-<br />

zu PIANO<strong>News</strong> 4-2011 / Lise de la Salle<br />

Liebe PIANO<strong>News</strong>,<br />

K LAVIER-NEWS<br />

Neuer Salonflügel von Steingraeber & Söhne: B-192<br />

Im Bayreuther Festspielsommer des Liszt-Jahres 2011 präsentierte<br />

Steingraeber & Söhne einen neuen Flügel von 192<br />

cm Länge. Die Konstruktion ist nahe verwandt dem Liszt-Flügel,<br />

dem Steingraeber C-212 und dessen Vorgänger, dem Ed.<br />

Steingraeber 200 von 1873.<br />

Die unverwechselbaren Steingraeber-Charakteristika sind<br />

aber auch bei diesem neuen Modell vorhanden. So verfügt<br />

dieser Flügel über lange Basssaiten, die ihn fast in der Mensurierung<br />

an einen Kammerkonzertflügel heranbringen. Auch<br />

der Basssteg ist weiterhin gerade gearbeitet, um ein besseres<br />

Schwingungsverhalten zu gewährleisten. Ebenso sollen die<br />

Messingauflagen im Diskantbereich dafür sorgen, dass noch<br />

mehr Teiltöne dem Klang beigemischt werden.<br />

Steingraeber & Söhne B-192:<br />

Aufsicht<br />

Foto: Steingraeber<br />

Neues Klavier zu attraktivem Preis von Grotrian: Contour<br />

Das neue Modell<br />

Contour von Grotrian<br />

Foto: Grotrian<br />

L ESERBRIEF<br />

unlängst nahmen wir im Brüsseler Beaux Arts mit üblichen Vorurteilen und, obwohl das<br />

Programm vielversprechend war, leicht unzufrieden und gespannt unsere Plätze ein, um Lise<br />

de la Salle zu hören. Sie war für einen anderen Pianisten (Martin Helmchen) eingesprungen.<br />

Was wir dann hörten, war eine wunderbare Überraschung. Wagner/Liszt „Isoldes Liebestod“,<br />

ein Stück, das auf dem Klavier selten überzeugt, klang schlechthin gelungen, und dann<br />

Schumanns „Sinfonische Etüden“ – haben wir vielleicht noch nie so spannend, so neu und<br />

persönlich gestaltet gehört.<br />

A. Schanz, Brüssel<br />

Steingraeber & Söhne B-192:<br />

Unterseite<br />

Foto: Steingraeber<br />

Die ersten Lieferungen sind im Dezember 2011 geplant. Zielgruppen<br />

für den neuen Flügel sind – laut Herstellerangaben<br />

und neben den anspruchsvollen Privatkunden – ganz besonders<br />

professionelle Pianisten und Hochschulen.<br />

Professionelle und institutionelle Kunden sind hauptsächliche<br />

Käuferschichten bei Steingraeber & Söhne. Neben dem differenziert-farbigen<br />

Steingraeber-Klang fällt dabei besonders oft<br />

die Entscheidung aufgrund der Steingraeber-Mechanik.<br />

Deshalb wurde bei dem neuen Flügel auf die Verwandtschaft<br />

zum größeren Bruder C-212 sehr viel Wert gelegt; das geht so<br />

weit, dass die Mechanik des B-192 identisch ist mit dem größeren<br />

Modell C-212. Der Preis liegt bei EUR 66.480,- (schwarz<br />

poliert).<br />

www.steingreaber.de<br />

ren zu Hause geeignet und natürlich<br />

auch Wertanlage mit Kulturaspekt für<br />

zukünftige Generationen sein, wie Grotrian-Steinweg<br />

verlauten lässt. Die ersten<br />

Instrumente wurden bereits an den<br />

Handel ausgeliefert und werden zu einem<br />

sehr interessanten Verkaufspreis<br />

von 12.500 Euro angeboten. Damit erweitern<br />

die Braunschweiger <strong>Piano</strong>fortefabrikanten<br />

ihre Produktlinie um ein<br />

attraktives Instrument mit einem Preis-<br />

Leistungsverhältnis, das für ein deutsches<br />

Markenklavier in klassischer Gehäuseform<br />

durchaus interessant ist.<br />

www.grotrian.de<br />

Foto: Lynn Goldsmith<br />

K<br />

L<br />

9


I<br />

„Wir müssen<br />

Traditionen immer wieder<br />

neu überdenken.“<br />

Foto: Burkhard Schäfer<br />

I NTERVIEW<br />

ALEXANDER<br />

LEXANDER<br />

LONQUICH<br />

ONQUICH<br />

Von: Burkhard Schäfer<br />

Der in Trier geborene Pianist Alexander Lonquich studierte Klavier bei Astrid Schmidt-<br />

Neuhaus, Paul Badura-Skoda, Andreji Jasinski und Ilonka Deckers. Er begann seine Karriere<br />

mit 16 Jahren <strong>als</strong> erster Preisträger des internationalen „Casagrande“-Klavierwettbewerbes<br />

in Terni, Italien. Bekannt wurde Lonquich in den 1980er Jahren auch <strong>als</strong> Klavierpartner des<br />

Geigers Frank Peter Zimmermann. Weitere Kammermusikpartner sind unter anderem Joshua<br />

Bell, Gautier und Renaud Capuçon, Thomas und Patrick Demenga sowie Veronika Hagen<br />

und Heinz Holliger. Lonquich ist aber nicht nur Pianist und Kammermusiker, sondern seit<br />

einigen Jahren auch <strong>als</strong> Dirigent tätig. In dieser Eigenschaft konzertiert er unter anderem mit<br />

der Camerata Salzburg, dem Münchener Kammerorchester und dem Kammerorchester Basel.<br />

Wir trafen den Pianisten in Ochsenhausen beim Festival „Schwäbischer Frühling“ …<br />

10 5 . 11


5 . 11<br />

PIANO<strong>News</strong>: Herr Lonquich, Sie sind für Ihre Experimentierfreude<br />

bekannt. Auf welchen Klavieren spielen<br />

Sie?<br />

Alexander Lonquich: Bei modernen Klavieren<br />

spiele ich normalerweise auf einem Steinway. Ich<br />

konzertiere aber am liebsten auf historischen Klavieren<br />

und habe deshalb viel auf Hammerflügeln<br />

gespielt. Es gibt Leute, die sind sogar richtige<br />

Hammerflügelspezialisten. Ich habe öfter Konzerte<br />

gegeben, wo ich beide Instrumente nebeneinander<br />

gestellt hatte, Steinway im ersten Teil und den<br />

Hammerflügel im zweiten. Es macht mir viel Spaß,<br />

die riesigen Unterschiede für das Publikum aufzuzeigen,<br />

wenn man <strong>als</strong> Pianist Bach oder Mozart<br />

auf diesen historischen Instrumenten spielt.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Wie kann man diese Unterschiede genauer<br />

erklären?<br />

Alexander Lonquich: Alle zehn Jahre haben sich<br />

die Instrumente weiterentwickelt. Das ist auch ein<br />

Aspekt, den ich aus der Sicht des jeweiligen dazugehörigen<br />

Repertoires gerne ins Programm hineinnehme.<br />

Carl Philipp Emanuel Bach spiele ich zum<br />

Beispiel sehr gerne. Sie können das ganz genau<br />

verfolgen: 1800, 1810, 1820 – <strong>als</strong>o wirklich, alle<br />

zehn Jahre gibt es eine sehr starke Erneuerung, bis<br />

man dann 1840 die ganz reifen Chopin-, Liszt- und<br />

Schumann-Flügel hatte. Ab 1855 gibt es dann eigentlich<br />

schon das ganz moderne Instrument.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Sind diese historischen Instrumente<br />

eine große Umgewöhnung für das Ohr des Zuhörers?<br />

Alexander Lonquich: Ja, sie stellen das heutige<br />

Ohr auf alle Fälle vor eine große Herausforderung.<br />

Ich denke dabei an die frühe Beethoven-Zeit. Da<br />

gab es dadurch, dass die Höhen abgeschnitten<br />

waren, andere Effekte. Und nicht nur das, letztlich<br />

war das ganze Klangempfinden völlig anders. Ich<br />

finde überhaupt, man sollte weniger selbstverständlich<br />

denken, Musik muss sich genau „so“ anhören.<br />

Denn wenn man die verschiedenen Instrumente<br />

nebeneinanderstellt, fällt auf, dass, würde<br />

Beethoven heute auf einem Steinway spielen, es<br />

für ihn sicher eine Überraschung wäre. Das würde<br />

auch für ihn eine Form von Entfremdung darstellen.<br />

Anders herum ist es für uns befremdlich, seine<br />

Musik auf den historischen Instrumenten zu hören.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Was können wir von diesem Entfremdungsgefühl<br />

lernen?<br />

Alexander Lonquich: Ich finde dieses Entfremdungsgefühl<br />

gar nicht schlecht. Man soll ruhig<br />

I NTERVIEW<br />

merken, alles, was wir tun, ist absolut natürlich.<br />

Eine andere Sache, die mich sehr fasziniert – deshalb<br />

höre ich auch so viele alte Aufnahmen – ist,<br />

wie selbstverständlich das Gefühl von Tradition<br />

bei uns ist. Man denkt immer, es soll genau diese<br />

bestimmte Tradition sein, denn man lernt sie von<br />

seinen Lehrern, nach dem Motto: So haben wir es<br />

immer gemacht und so ist es richtig. Das ist aber<br />

f<strong>als</strong>ch, denn eigentlich gab es alle zwanzig,<br />

dreißig Jahre einen ziemlichen Umbruch im Interpretationsstil.<br />

Deshalb müssen wir Traditionen<br />

immer neu betrachten und überdenken.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Können Sie uns dafür ein Beispiel<br />

geben?<br />

Alexander Lonquich: Ende des 19. Jahrhunderts<br />

wurde ganz viel am Klavier arpeggiert. Das war<br />

die Regel und ein zusammengespielter Akkord<br />

eher die Ausnahme. Diese Tatsache ist eindeutig<br />

und ich finde, das müsste auch heute wieder mit<br />

ins Klavierspiel eingebracht werden. Oder diese<br />

gewollte Ungleichmäßigkeit bei einer Phrase. Dass<br />

der erste Ton einfach viel länger ist bei einer Phrasierung.<br />

Das klingt, wenn man die Aufnahmen so<br />

zum ersten Mal hört, ungleichmäßig. Aber man<br />

muss sich vergegenwärtigen: Es war auch<br />

ungleichmäßig. Diese Art des Musizierens kam<br />

aber der menschlichen Sprache näher, man betont<br />

Silben ja auch verschieden.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Als Sie eben konzertiert haben, war auffällig,<br />

dass Sie zum Beispiel bei Schubert viel expressiver<br />

agieren …<br />

Alexander Lonquich: Schubert hat den Ruf <strong>als</strong> Lyriker,<br />

Beethoven dagegen den <strong>als</strong> Dramatiker.<br />

Aber zum Beispiel setzt Schubert die Pianissimo-<br />

Effekte viel stärker gegeneinander <strong>als</strong> Beethoven.<br />

Das heißt, die dynamische Bandbreite bei Schubert<br />

ist eigentlich viel größer <strong>als</strong> bei Beethoven.<br />

Wie oft schreibt Schubert acht Takte lang nur<br />

Pianissimo und dann plötzlich Crescendo, Fortissimo.<br />

Die späte A-Dur-Sonate hat so einen Ausbruch<br />

mittendrin, den kann man nicht laut genug<br />

spielen. Natürlich hat es bei Schuberts Instrumenten<br />

nicht so laut geklungen, aber man spürt ganz<br />

deutlich, dass Schubert Grenzen überspringen<br />

möchte.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Für ECM haben Sie die selten zu hörende<br />

Urfassung von Robert Schumanns „Kreisleriana“<br />

aufgenommen. Was reizt Sie an dieser Fassung?<br />

Alexander Lonquich: Es gibt keine richtige Urfassung<br />

der „Kreisleriana“. Es gibt nur die Henle-<br />

<strong>Ausgabe</strong>, wo man durch den kritischen Bericht<br />

I<br />

11


I<br />

Private Kleinanzeige<br />

I NTERVIEW<br />

einfach ziemlich genau sehen kann, wie die Urfassung<br />

war. Das sind wenige Unterschiede, aber<br />

die sind meiner Meinung nach wichtig. Es gibt<br />

auch bei den „Davidsbündlertänzen“ solche Unterschiede.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Sie kommen aus einem musikalischen<br />

Elternhaus, wurde Ihnen das Klavier sozusagen in die<br />

Wiege gelegt, oder war es bei Ihnen eine bewusste<br />

Entscheidung für dieses Instrument?<br />

Alexander Lonquich: Nein, mein Vater war dam<strong>als</strong><br />

eben am Theater Korrepetitor und Komponist.<br />

Da wurde zuhause so viel Klavier gespielt,<br />

das war für mich ganz natürlich. Ich habe die<br />

Musik von der Bühne her erfahren, von der Oper.<br />

Ich wollte <strong>als</strong> Kind auch nicht Pianist werden. Ich<br />

wollte einfach Musik machen. Irgendwann hat<br />

sich herausgestellt, dass das am Klavier gut funktioniert.<br />

Aber wegen dieser Prägung dirigiere ich<br />

ebenfalls gerne und viel. Ich spiele auch Mozart<br />

oder Beethoven ungern mit Dirigenten. Deshalb<br />

bin ich darauf gekommen, das vom Klavier aus<br />

selbst zu machen. Wenn man in die Musikgeschichte<br />

sieht, merkt man, dass es dam<strong>als</strong> keinen<br />

Dirigenten gab, sondern der Pianist oder Komponist<br />

dies selbst übernommen hat.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Sie spielen darauf an, dass Mozart<br />

auch selbst dirigiert hat?<br />

Alexander Lonquich: Ja, Mozart hat selber vom<br />

Klavier aus Generalbass gespielt und das Konzert<br />

zusammen mit dem Konzertmeister geleitet. Die<br />

Figur des Dirigenten gab es noch nicht. Der kam<br />

erst in den zwanziger, dreißiger Jahren des 19.<br />

Jahrhunderts auf. Und ich verspüre diesen Geist<br />

Steinway C-Flügel von privat zu verkaufen<br />

Nr. 481485; Jg. 1983<br />

47.000 Euro<br />

Topzustand<br />

Tel.: 07253 / 33513<br />

Mobil: 0174 / 9800446<br />

Foto: Cadenza Concert<br />

von dam<strong>als</strong> dann, wenn ich Mozart-<br />

Klavierstücke spiele. Ich bin sehr viel<br />

flexibler und improvisierter im positiven<br />

Sinne, wenn ich die Chance<br />

habe, mit einem großen Kammerensemble<br />

unmittelbar zu arbeiten.<br />

Dadurch bin ich dann aufs Dirigieren<br />

gekommen.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Wie ist für Sie der Wechsel<br />

vom Solisten zum Kammermusiker?<br />

Alexander Lonquich: Das kommt<br />

ganz darauf an, wie man sich mit<br />

den Leuten versteht, mit denen man<br />

zusammen Kammermusik macht.<br />

Wenn da wirklich eine musikalische<br />

Verbindung existiert, dann gibt es keinen großen<br />

Unterschied. Für mich müssen bei der Kammermusik<br />

alle Beteiligten große, ausgeprägte Persönlichkeiten<br />

sein, damit beim gemeinsamen Musizieren<br />

etwas Besonderes passiert. Natürlich muss jeder<br />

Einzelne sensibel genug sein, müssen sich die<br />

Mitglieder eines Ensembles genau zuhören. Je stärker<br />

die künstlerische Vorstellung des Einzelnen ist,<br />

desto spannender ist es, Kammermusik zu machen.<br />

PIANO<strong>News</strong>: In der Kammermusik können sich die<br />

wahren musikalischen Wunder ereignen, wenn dieser<br />

Flow entsteht …<br />

Alexander Lonquich: Das stimmt, da können<br />

ganz fantastische Dinge geschehen. Dazu muss<br />

man nicht unbedingt viel geprobt haben, das passiert<br />

manchmal bei wenigen Proben. Es kommt<br />

natürlich darauf an, welche Musiker wie oft im<br />

Leben schon welche Stücke gespielt haben. Auch<br />

wenn sie zum ersten Mal zusammenkommen, um<br />

zu spielen, kann das Ergebnis manchmal in ganz<br />

kurzer Zeit sehr gut werden.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Ist die Tradition des Musikhörens gleich<br />

geblieben, oder hat sie sich im Laufe der Zeit verändert?<br />

Alexander Lonquich: Ja, ich glaube, das Musikhören<br />

hat sich verändert. Ich kann mir vorstellen,<br />

wie intim das Hörerlebnis heute eines Zuhörers zuhause<br />

an seinem Lautsprecher ist. Das hat Glenn<br />

Gould in gewisser Weise vorausgesehen. Natürlich<br />

haben Konzerte auch ihr Besonderes, aber die<br />

Tatsache, dass man, wann man will – zum Beispiel<br />

nachts – einfach etwas Schönes hören kann, hat<br />

die Hörgewohnheiten gewandelt und das finde ich<br />

faszinierend. Ich bin so ein Nachtmensch, der einfach<br />

nachts um zwei Uhr Interesse daran hat, ein<br />

bestimmtes Stück zu hören. Das sind Dinge, die<br />

man früher nicht in der Form getan hat.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Die medialen Möglichkeiten verändern<br />

auch die Art und Weise der Musikrezeption …<br />

Alexander Lonquich: Was heute gänzlich anders<br />

ist, ist das schnelle Hin- und Herzappen. Da kann<br />

man <strong>als</strong> Musiker nur hoffen, dass man noch in der<br />

12 5 . 11


5 . 11<br />

Lage ist, die großen Zusammenhänge rüberzubringen.<br />

Denken wir an die Länge einer Bruckner-Sinfonie.<br />

Zuhause kann man einfach vier Minuten<br />

von diesem Stück und fünf Minuten von jenem<br />

hören. So kann man schnell weiterspringen.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Wie haben sich Ihre eigenen Konzertund<br />

Hörerlebnisse modifiziert?<br />

Alexander Lonquich: Um 1975, <strong>als</strong> ich die großen<br />

Pianisten wie Claudio Arrau oder Arturo Benedetti<br />

Michelangeli gehört habe, da habe ich in Bonn<br />

gesessen und ein Konzert war wirklich wie ein<br />

Ritual. Man hat sich darauf innerlich vorbereitet<br />

und dabei gab es den gewissen Moment. Deshalb<br />

auch der Kleidungskodex, die Leute haben sich<br />

dafür umgezogen. Das tun sie heute zum Teil auch<br />

noch, aber dam<strong>als</strong> jedenfalls hatte diese Handlung<br />

etwas Rituelles. Es ist auf der einen Seite schade,<br />

wenn so etwas verloren geht. Auf der anderen<br />

Seite, wenn ich vor einem Konzert einen Straßenmusiker<br />

höre, besteht für mich innerlich eine<br />

Verbindungslinie von draußen nach drinnen. Das<br />

hat nicht nur eine negative Seite, dass sich die<br />

Dinge verändern.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Es gibt ja genügend Komponisten, die<br />

diese Polyphonie ins Konzert holen. Würde Sie das<br />

nicht stören, wenn jemand so in Jeans und zerrissener<br />

Jacke kommt?<br />

Alexander Lonquich: Nein, das würde mich überhaupt<br />

nicht stören. Ich bin auf diesen Gebieten<br />

tolerant. Ich bin der Meinung, man kann vieles<br />

machen und man sollte auch sehr viel in einer<br />

neuen Form versuchen. Mich würde nur ein Mangel<br />

an Konzentration stören.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Spüren Sie vom Publikum die verschiedenen<br />

Signale während eines Konzertes?<br />

Alexander Lonquich: Ja, inzwischen viel mehr <strong>als</strong><br />

früher. Jeder Musiker ärgert sich über Schnäuzen<br />

oder Husten. Vor allen Dingen dieses langsame<br />

Karamellen-Öffnen [lacht]. Aber ich habe mittlerweile<br />

das Gefühl, das gehört zum Leben dazu, und<br />

so stark sollte man die Musik gar nicht von allen<br />

Dingen abschotten. Ich finde, da kann man auch<br />

in Beziehung dazu bleiben. Mittlerweile bin ich sogar<br />

der Meinung, man spielt besser, wenn man<br />

diese Dinge mitträgt, <strong>als</strong> wenn man total isoliert<br />

auf dem Podium sitzt.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Spielen Sie dann besser für die Schallplatte?<br />

Denn da sind Sie ja dann alleine …<br />

Alexander Lonquich: Nein, das kann man nicht<br />

vergleichen. Das ist eine ganz andere Erfahrung.<br />

Ich spiele nicht schlechter oder besser, ich spiele<br />

anders. Ich mag es auch sehr gern, wenn man<br />

etwa drei Live-Abende aufzeichnet und dann zusammenschneidet.<br />

Oder zwei Konzerte im gleichen<br />

Saal. Das finde ich fantastisch, das gibt so<br />

einen Live-Effekt. Was ich toll beim Aufnehmen<br />

finde: Für sich alleine kann die Aufnahmesituation<br />

auch eine ganz andere Art von Flow geben. Ich<br />

I NTERVIEW<br />

mag es, wenn ich nachts um halb zwölf in einem<br />

schummerigen Licht spiele. Das kann sehr inspirierend<br />

sein.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Haben Sie das Gefühl, dass Sie sich in<br />

Ihren CD-Aufnahmen sozusagen verewigen?<br />

Alexander Lonquich: Nein, eine CD ist schon bei<br />

der Aufzeichnung eine Momentaufnahme. Es ist<br />

vergleichbar mit einem Foto. Es handelt sich ja nie<br />

um eine endgültige Interpretation. Es ist eine Momentaufnahme,<br />

mit der man zufrieden sein kann,<br />

wenn sie gelungen ist. Das heißt, ich weiß, wenn<br />

ich so ein Stück nach einem Jahr im Konzert wieder<br />

spiele, interpretiere ich es wahrscheinlich wieder<br />

anders. Nicht völlig anders, aber zumindest etwas.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Wie schafft man es, sein Alleinstellungsmerkmal<br />

<strong>als</strong> Pianist heute bei der großen Konkurrenz<br />

beizubehalten?<br />

Alexander Lonquich: Es wird sehr viel verlangt<br />

auf diesem Sektor. Ich persönlich merke, je älter<br />

man wird, desto mehr hat man das Gefühl, man<br />

muss absolut versuchen, man selbst zu sein. Versuchen,<br />

zu einer Art von Leben zu kommen, bei<br />

dem man gerne macht, was man tut. Als junger<br />

Musiker begeht man oft den Fehler, Anfragen<br />

nicht abzulehnen, obwohl sie nicht richtig zu ei-<br />

I<br />

13


I<br />

Foto: Cadenza Concert<br />

I NTERVIEW<br />

nem passen. Da muss man auch „Nein“ sagen<br />

können.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Haben Sie zu wenig „Nein“ gesagt in<br />

Ihrem Leben?<br />

Alexander Lonquich: Ich habe es tatsächlich zu<br />

wenig gemacht. Jeder muss sein Profil schärfen<br />

und da gehört Nein-Sagen dazu. Das heißt für<br />

mich <strong>als</strong> Pianist, nicht nur Klavierabende zu geben,<br />

sondern auch Kammermusik zu spielen, zu dirigieren,<br />

Vorträge zu halten. Das gehört zur Lebensqualität.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Machen es die Nachwuchsmusiker besser?<br />

Alexander Lonquich: Ich habe zwölf Jahre sehr<br />

intensiv unterrichtet. Da habe ich gelernt, welche<br />

Ängste die jungen Musiker von heute ständig<br />

umtreiben: Wer werde ich sein? Werde ich überhaupt<br />

spielen? Und wer wird mich nehmen? Im<br />

Unterricht spüre ich leider sehr oft, dass sie deshalb<br />

gar nicht den Mut haben, ein eigenes musikalisches<br />

Konzept zu suchen, sondern Angst haben,<br />

was der Juror sagen wird. Sie wissen ganz<br />

genau, welche Leute sie vor sich haben und was<br />

die von ihnen erwarten. Sie versuchen dann sozu-<br />

Auswahldiskografie<br />

„Plainte calme“<br />

Gabriel Fauré: Impromtus<br />

Maurice Ravel: Gaspard de la nuit<br />

Olivier Messiaen: Préludes pour piano<br />

ECM New Series 1821<br />

Robert Schumann: Kreisleriana (Erstausgabe 1838)<br />

Heinz Holliger: Partita<br />

ECM New Series 2104<br />

Gideon Lewensohn: Klavierquintett; Postludien für<br />

Klavier; Odradek-Quartett<br />

Alexander Lonquich , Klavier<br />

Auryn Quartett; Ora Rotem Nelken, Klavier<br />

ECM New Series 1781<br />

sagen eine Interpretation zu bringen, die darauf<br />

abgestimmt ist, was dieser und jener erwartet. Das<br />

macht die Musik zum Teil völlig kaputt.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Welche Schlussfolgerungen haben Sie<br />

daraus gezogen?<br />

Alexander Lonquich: Ich habe mir gesagt, so<br />

möchte ich nicht sein, ich möchte auch meinen<br />

Teil dazu beitragen, dass sich was ändert. Es ist<br />

viel schlimmer geworden in den letzten Jahren.<br />

Vor zwanzig, dreißig Jahren, <strong>als</strong> ich studiert habe,<br />

haben wir auch teilweise Ängste gehabt. Aber es<br />

sprach jeder trotzdem ganz begeistert von seiner<br />

eigenen Vorstellung, die er realisieren wollte.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Was hat sich heute an Anforderungen<br />

dem Nachwuchs gegenüber geändert?<br />

Alexander Lonquich: Dam<strong>als</strong> war es auf eine<br />

andere Art schwer. Es gab den Mythos des großen<br />

Pianisten und man wurde an Pollini gemessen.<br />

Heute ist es vielfältiger, es gibt mehr Verschiedenes<br />

und nicht mehr alles schart sich um ein<br />

paar große Musiker – ein paar haben sich gerettet,<br />

wie Martha Argerich …<br />

PIANO<strong>News</strong>: Welcher Pianisten-Typ ist heute gefragt?<br />

Alexander Lonquich: Es werden oft Super-Virtuosen<br />

gesucht, die fantastisch Klavier spielen. Was<br />

ich interessant finde, ist, die erfolgreichen jungen<br />

Pianisten sind oft nicht mehr Leute, die einen<br />

Wettbewerb gewonnen haben. Weder Kissin hat<br />

einen Wettbewerb gewonnen, noch Volodos. Sondern<br />

es handelt sich bei beiden um Musiker, die<br />

sehr früh ein eigenes Profil hatten. Das versuche<br />

ich den jungen Leuten zu vermitteln. Kissin und<br />

Volodos erkennt man an ihrer Spielweise, sie sind<br />

intelligent und in der Musik sehr gebildet. Humanistische<br />

Bildung um die Werke herum ist von<br />

großer Bedeutung. Manche, die solch eine Neugier<br />

mitbringen und individuell sind, schaffen ihren<br />

Weg.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Denken Sie, dass die Klassik in zwanzig<br />

Jahren genauso existiert wie heute?<br />

Alexander Lonquich: Ich glaube, vor zwanzig Jahren<br />

waren wir noch pessimistischer, was die Zukunft<br />

der Klassik angeht. Und es gibt sie immer<br />

noch, die Klassik, aber anders. Es geht sicher nicht<br />

nur steil den Berg runter. Durch Berlusconi und<br />

die Kulturbanausen, die überall an der Kultur sägen,<br />

gehen die Leute viel mehr ins Theater und in<br />

Konzerte <strong>als</strong> früher, das ist erstaunlich. Das hätte<br />

es vor zehn Jahren nicht gegeben. Das ist wirklich<br />

erstaunlich, da war die Kultur so unten, dass die<br />

Leute wieder etwas anderes wollten. Oder die vielen<br />

Wiener Komponisten, die immer gegen Wien<br />

anschrieben. Ich glaube, Alban Berg wäre ohne<br />

Wien auch nicht Alban Berg.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Vielen Dank für das Gespräch, Herr<br />

Lonquich.<br />

14 5 . 11


B<br />

Von: Marco Frei<br />

Der Eingangsbereich des Ahmed Adnan<br />

Saygun Arts Centre in Izmir.<br />

Foto: Marco Frei<br />

B ETRACHTUNGEN<br />

KLASSIK AUF<br />

TÜRKISCH<br />

Blick auf das Zentrum<br />

von Izmir.<br />

Foto: Marco Frei<br />

Zur Klavierszene zwischen<br />

Orient und Okzident<br />

Die Türkei hat eine wesentlich reichere und<br />

vielfältigere Klassiktradition, <strong>als</strong> im Westen<br />

gemeinhin bekannt ist. Das gilt auch für<br />

die Klavierszene. Für ein islamisches Land<br />

ist das einmalig. Und doch ist nicht alles<br />

Gold, was glänzt. Nicht zuletzt scheint der<br />

politische Druck auf die Klassik zu steigen.<br />

Wir haben die türkischen Pianisten Idil<br />

Biret, Fazil Say, Gülsin Onay sowie Güher<br />

und Süher Pekinel befragt und uns in Izmir<br />

umgesehen. Dort gibt es einen neuen Konzertsaal.<br />

Es brodelt, kocht und rumort in Izmir. Mehr<br />

oder weniger unterschwellig. Musiker sind<br />

zusehends unzufrieden, auch die Bevölkerung<br />

in der westtürkischen Hafenstadt scheint irritiert.<br />

Der Gegenstand, um den es geht, ist ein neu-<br />

16 5 . 11


5 . 11<br />

er Konzertsaal. Es ist das „Ahmed Adnan Saygun<br />

Arts Centre“ in Izmir. Vor zwei Jahren wurde der<br />

Komplex in der drittgrößten Stadt der Türkei eröffnet.<br />

Benannt ist das Gebäude nach dem aus Izmir<br />

stammenden Komponisten, Dirigenten, Pädagogen<br />

und Musikforscher Ahmed Adnan Saygun.<br />

Der große Konzertsaal zählt knapp 1200 Plätze,<br />

ein kleinerer für Kammermusik rund 250.<br />

Neuer Konzertsaal, alte Probleme?<br />

Das akustische Design hat das Unternehmen<br />

„ARUP Acoustics“ ausgetüftelt. „Der Saal ist ein<br />

Prestige-Objekt – für Izmir und die Türkei“, betont die<br />

Pianistin Gülsin Onay. Doch es gibt Probleme:<br />

„Jetzt wurde Kritik laut, dass der Saal nicht so gut programmiert<br />

werde und dass da mehr gemacht werden<br />

solle“, berichtet Onay. „Der Saal stehe viel leer, hört<br />

man. Er werde nicht genug genutzt. Es gebe ein oder<br />

zwei Konzerte in der Woche von dem Staatlichen<br />

Sinfonieorchester aus Izmir und vielleicht noch einen<br />

Klavierabend. Aber der Saal soll fast jeden Abend<br />

bespielt werden. Jetzt wollen sie alle Genres der Musik<br />

machen, auch Pop.“<br />

Als wir Anfang Mai in Izmir waren, um ein Konzert<br />

des Staatlichen Sinfonieorchesters unter der<br />

Leitung von Hansjörg Schellenberger zu besuchen<br />

und in der Stadt zu recherchieren, hätten wir gerne<br />

darüber mit der Direktorin des „Ahmed Adnan<br />

Saygun Arts Centre“ gesprochen. Leider ging das<br />

nicht: Sie sei gerade verhaftet worden, wegen<br />

Missmanagements, Veruntreuung und Unterschlagung,<br />

war zu hören. Den eigenen Namen wollte<br />

niemand in diesem Zusammenhang nennen. Dabei<br />

fing die Geschichte mit dem neuen Konzertsaal<br />

so erfolgreich an.<br />

Beim Eröffnungskonzert vor zwei Jahren hatte<br />

Onay in die Tasten gegriffen. „Saygun, nach dem<br />

der Saal benannt ist, war mein Lehrer“, berichtet die<br />

Pianistin, die heute auch in England lebt. „In vielen<br />

Ländern habe ich seine Werke gespielt. Beim Eröffnungskonzert<br />

habe ich sein erstes Klavierkonzert aufgeführt.<br />

Das war sehr emotional für mich.“ Begleitet<br />

wurde Onay seinerzeit vom Staatsorchester aus<br />

Izmir, der 1975 gegründete Klangkörper ist der<br />

Hauptnutzer des „Ahmed Adnan Saygun Arts Centre“.<br />

„Ich habe schon vier oder fünf Mal in dem Saal<br />

gespielt“, so Onay weiter. „Vielleicht ist der kleine<br />

Saal für Kammer- und Klaviermusik besser. Aber beide<br />

Säle haben eine ganz tolle Akustik. Ich würde sagen,<br />

dass die Bühnenakustik beim großen Saal etwas<br />

trocken ist, aber man hört sich sehr gut.“ Auch<br />

Musiker aus dem Ausland schwärmen für das „Ahmed<br />

Adnan Saygun Arts Centre“, darunter Schellenberger.<br />

Seit 2001 dirigiert der frühere Solooboist<br />

der Berliner Philharmoniker immer wieder<br />

beim Staatlichen Sinfonieorchester von Izmir.<br />

Und tatsächlich: Wer den ausgewogenen Klangeindruck<br />

im großen Konzertsaal schon einmal<br />

gehört hat, kann sich gut vorstellen, dass selbst<br />

eine Klassik-Metropole wie München mit der vermurksten<br />

Philharmonie im Gasteig neidisch auf<br />

diese Akustik sein dürfte. So hatte sich der neue<br />

Saal in Izmir in kurzer Zeit zu einer wahren Attraktion<br />

gemausert – nicht nur national, sondern auch<br />

international. Doch nun gibt es Probleme, die<br />

B ETRACHTUNGEN<br />

wohl exemplarisch für die Klassikszene im Land<br />

stehen – eine Szene, die über große Potenziale verfügt,<br />

die aber nicht im vollen Umfang genutzt werden.<br />

Eine Szene, die heute vielfach mit dem<br />

Rücken an der Wand zu stehen scheint.<br />

Reiche Klassiktradition<br />

Dabei ist die türkische Klassiktradition reichhaltiger,<br />

<strong>als</strong> man bisweilen im Westen weiß. Rückblick<br />

auf das Jahr 1826: Sultan Mahmut II. lässt die Janitscharen-Kapellen<br />

zu Militärblasorchestern umwandeln.<br />

Mit der Organisation dieser Mammut-<br />

Aufgabe, die durchaus viel Konfliktpotential bereithält,<br />

beauftragt er Giuseppe Donizetti, ein Bruder<br />

des berühmten Opernkomponisten aus Italien.<br />

Giuseppe Donizetti wird Hofkapellmeister und<br />

gründet schließlich ein Sinfonieorchester und eine<br />

Musikschule nach europäischem Vorbild. Bald<br />

schon besuchen Persönlichkeiten wie Franz Liszt<br />

oder Henri Vieuxtemps Istanbul, und italienische<br />

Ensembles touren durchs Land.<br />

All diese Schritte läuten in der Türkei eine erste<br />

Klassiktradition nach westeuropäischem Beispiel<br />

ein. Allerdings ist es der Republikgründer und Turbo-Reformator<br />

Mustafa Kemal, genannt „Atatürk“,<br />

der den weiteren Ausbau des Klassiklebens<br />

Idil Biret<br />

Foto: Carsten Dürer<br />

Moderne Architektur<br />

herrscht vor im<br />

Ahmed Adnan<br />

Saygun Arts Centre.<br />

Foto: Marco Frei<br />

B<br />

17


B<br />

Auch im Innenbereich des Ahmed Adnan<br />

Saygun Arts Centre gibt es eine offene,<br />

moderne Architektur zu bestaunen.<br />

Foto: Marco Frei<br />

B ETRACHTUNGEN<br />

vorantreibt – fast schon im Hauruck-Verfahren.<br />

Auf die Bemerkung des deutschen Journalisten<br />

Emil Ludwig, dass die europäische Kunstmusik<br />

Jahrhunderte benötigt habe, um dorthin zu gelangen,<br />

wo sie heute sei, soll der „Vater der Türken“<br />

gelassen und zugleich ehrgeizig erwidert haben:<br />

„Ich sehe, wir sind<br />

in Zeitnot.“<br />

Also werden die<br />

Ärmel hochgekrempelt.<br />

1926<br />

öffnet das Konservatorium<br />

in Istanbul<br />

seine Tore.<br />

1938 wird das<br />

Istanbuler Sinfonieorchester<br />

in<br />

die neue Hauptstadt<br />

Ankara<br />

überführt, wo<br />

man zugleich<br />

1939 die erste türkische<br />

Staatsoper<br />

gründet. Sonst<br />

aber profitiert das türkische Klassikleben gerade<br />

auch von der türkischen Neutralität während des<br />

deutschen Nation<strong>als</strong>ozialismus und des Zweiten<br />

Weltkriegs. Viele Künstler und Wissenschaftler fliehen<br />

in die Türkei, darunter der Komponist Paul<br />

Hindemith. Er wird 1935 damit beauftragt, die<br />

türkische Musikausbildung zu „optimieren“.<br />

Dieser empfiehlt ein Konservatoriumsmodell<br />

nach französischem Vorbild, wie es noch heute in<br />

der Türkei gelebt wird, und eröffnet im Mai 1936<br />

in Ankara ein erstes Vorzeigeinstitut. Auch nach<br />

dem Tod von Atatürk 1938 hielten die Regierungen<br />

grundsätzlich an seinem Klassikkurs fest. Bis<br />

in die 1990er Jahre hinein werden verstärkt weitere<br />

Opernhäuser und Orchester gegründet, und<br />

zwar gleichermaßen private und staatliche. Auch<br />

in der Klavierszene gibt es erfolgreiche Initiativen<br />

und Projekte.<br />

Die Klavierszene und Wilhelm Kempff<br />

Onay verweist auf Pädagogen wie Mithat Fenmen:<br />

„Er hat vielen Leuten sehr viel beigebracht – auch mir“,<br />

erinnert sie sich. „Auch meine Klavierkollegen Idil<br />

Biret, Fazil Say und die Pekinel-Geschwister wurden<br />

von ihm unterrichtet. Er war eine sehr liebe Persönlichkeit,<br />

weich und verständnisvoll.“ Ein besonderes<br />

Kapitel in der türkischen Klaviergeschichte waren<br />

nicht zuletzt die Kontakte zu Wilhelm Kempff.<br />

Zwischen 1927 und 1963 besuchte er mehrm<strong>als</strong><br />

die Türkei. Kempff kannte auch Ismet Inonu,<br />

Nachfolger von Atatürk, persönlich.<br />

Im Juli 1982 weilte Idil Biret, Grande Dame der<br />

türkischen Klavierszene, in Wilhelm Kempffs Villa<br />

im italienischen Positano. Zum 100. Geburtstag<br />

von Kempff 1995 hat der Bayerische Rundfunk in<br />

einer Radiosendung von Sefik Yüksel dieses Treffen<br />

und Kempffs Wirken in der Türkei dokumentiert.<br />

„Ich habe die Türkei erstm<strong>als</strong> 1927 besucht“, wird<br />

Kempff zitiert; seinerzeit hatte er in Ankara ein Recital<br />

gegeben. Hinterher wurde Kempff von Kemal<br />

Pasha, einem Referenten von Atatürk, zum Essen<br />

eingeladen.<br />

Laut den Erinnerungen von Kempff habe Kemal<br />

Pasha gesagt, dass er viele Reformen in der Gesetzgebung,<br />

dem Bildungssystem und auf anderen<br />

Gebieten des öffentlichen Lebens starten wolle, um<br />

die Modernisierung der Türkei voranzutreiben. „Er<br />

sagte, dass klassische Musik ein wesentlicher Teil der<br />

westlichen Kultur sei, der die Quelle seiner Reformbewegung<br />

darstelle“, so Kempff. „Deswegen spürte er<br />

die Notwendigkeit, die klassische Musik in der Türkei<br />

weiträumig einzuführen – <strong>als</strong> Teil der Modernisierung<br />

des Lands. Er befürchtete, dass ohne parallele musikalische<br />

Reformen in der Türkei seine Reformen auf anderen<br />

Gebieten unvollständig bleiben würden.“<br />

Wie sich Kempff weiter erinnert, soll ihn Kemal<br />

Pasha um Rat gebeten haben. Welche Musiker<br />

und Musikwissenschaftler könnte man einladen,<br />

um die Schulen und Institutionen des Landes auf<br />

diesem Gebiet zu reformieren und den Grundstein<br />

zu legen für ein Klassikleben in der Türkei? Kempff<br />

empfahl unter anderem Wilhelm Furtwängler, der<br />

daraufhin eingeladen wurde; Furtwängler empfahl<br />

seinerseits Hindemith, um ein Konservatoriumssystem<br />

in der Türkei aufzubauen. „Kemal Pasha<br />

war ein großer Mann“, soll Kempff 1982 zu Biret<br />

gesagt haben.<br />

Türkische Klassik<br />

Zugleich schufen türkische Komponisten die ersten<br />

großen türkischen Beiträge in der klassischen<br />

Musik. Da sind die „Türkischen Fünf“: Cemal Resit<br />

Rey, Adnan Saygun, Necil Kazim Akses, Ulvi Cemal<br />

Erkin und Ferid Alnar. „Sie sind um 1900 geboren,<br />

haben in Städten wie Paris, Wien oder Prag studiert<br />

und benutzen volksmusikalische Elemente“,<br />

erklärt Biret. „Saygun arbeitete in den späten 1930er<br />

Jahren eng mit Béla Bartók zusammen, der die Türkei<br />

besuchte, um türkische Volkslieder zu sammeln.“<br />

Biret verweist auf Bartóks Buch „Turkish Folk<br />

Music from Asia Minor“. Erkin, Akses und Alnar<br />

seien hingegen vor allem von der reichen Folklore<br />

Anatoliens inspiriert, so Biret weiter, wobei sie viele<br />

Werke auch für heimische Instrumente geschrieben<br />

hätten. Dagegen sei die Partitur von Reys<br />

„Concerto Chromatique“ auf dem Flügel von Ravel<br />

aufgefunden worden, nachdem dieser verstorben<br />

war. Andere beschäftigen sich mit der seriellen<br />

(Ilhan Usmanbas und Hüseyin Saadettin Arel)<br />

oder der elektronischen Musik (Ilhan Mimaroglu<br />

und Arel).<br />

„Heute gibt es eine große Zahl von türkischen Komponisten,<br />

die eine große Vielfalt von Stilen bedienen –<br />

von Folklore bis hin zu aktuellen Schreibweisen“, so<br />

Biret weiter. Sie selber interessiere sich sehr für die<br />

Klavierwerke von Ertugrul Oguz Firat: „Er benutzt<br />

ein sehr persönliches atonales Idiom und ergründet<br />

mit großer Imagination alle Möglichkeiten der Tastatur“,<br />

erläutert Biret. Konkret nennt sie die „Sechs<br />

Sätze“ (1996/97), die Sonaten op. 38 und 84, das<br />

Klavierkonzert op. 46 (in Gedenken an Atatürk),<br />

die „Stücke zur Erinnerung an Liszt“ op. 77 sowie<br />

„In war and peace (Atatürk)“ op. 30.<br />

„Ich plane, einige dieser Werke in der nahen Zukunft<br />

einzuspielen“, verrät Biret. Dagegen nennen die Geschwister<br />

Güher und Süher Pekinel, die ein bekanntes<br />

Klavierduo bilden, folgende Komponisten<br />

und konkrete Werke, die eine große Bedeutung für<br />

18 5 . 11


5 . 11<br />

die Entwicklung der türkischen Klaviermusik hätten:<br />

Usmanbas’ „They Were Immortal Seastones“,<br />

Ilhan Barans „Black and White“, Kamuran Inces<br />

„Blue Journey“, Münir Nurettin Beken, Hasan<br />

Ucarsus „Summer Journey“, Özkan Manavs „Movements“,<br />

Muhittin Duroglus „Les Tourneur“, Mahir<br />

Cetiz’ „Transformation“, Zeynep Gedizoglus<br />

„Pentagramme“ sowie von Fazil Say „Paganini Variations<br />

in Jazz Style“ und „Nasreddin Hoca“. Say<br />

selber ergänzt diese Liste um Ulvi Cemal Erkin und<br />

Ahmet Adnan Saygun.<br />

Eine Klassikoase?<br />

So kann man Idil Biret nur zustimmen, wenn sie<br />

betont, dass die Türkei das einzige Land in der<br />

muslimischen Welt sei, das über einen derartigen<br />

Reichtum an klassischer Musik verfüge – eine<br />

„Oase in der Wüste“, wie auch andere sagen.<br />

Dennoch ist auch diese „Oase in der Wüste“ relativ.<br />

So beklagt Biret heute zugleich eine „Abwesenheit<br />

der Kulturpolitik in der Klassik beim Kulturministerium“,<br />

das sei ein großes Problem.<br />

Und nicht nur das: In den letzten Jahren habe<br />

die „islamische Radikalisierung“ des Landes den<br />

Klassikmusikern und dem Musikleben in der Türkei<br />

große Probleme bereitet, berichtet Biret. Die<br />

Regierung habe die staatliche Unterstützung für<br />

Orchester, Opernhäuser und Ballettensembles gekürzt<br />

– mit der Begründung, „die Klassik macht<br />

nicht das Geld, um die Kosten zu decken. Hinter dieser<br />

Art von Rechtfertigung verbirgt sich eine dunklere<br />

Wahrheit“, sagt Biret, nämlich „das Verlangen von<br />

mittelalterlichen, unterdrückenden Kräften, individualistischere,<br />

progressivere, säkularere Denkweisen und<br />

Lebenshaltungen zu unterdrücken.“<br />

Wie weit das zuweilen geht, weiß Biret aus eigener<br />

Erfahrung. 2009 war es, <strong>als</strong> sie im Istanbuler<br />

Topkapi-Palast, dem ehemaligen Herrschaftssitz<br />

von muslimischen Sultanen des Osmanischen<br />

Reiches, gemeinsam mit einem britischen Orchester<br />

konzertierte. Weil schon im Vorfeld die regierungsnahe<br />

Tageszeitung Vakit in einem Artikel<br />

polterte, bei dieser Gelegenheit werde „Alkohol wie<br />

Wasser im geheiligten Palast fließen“, kam es zu heftigen<br />

Protesten von Islamisten. Zwar hatte sich Biret<br />

seinerzeit dafür entschieden, das Konzert dennoch<br />

fortzusetzen, um ein Zeichen zu setzen; hin-<br />

B ETRACHTUNGEN<br />

B<br />

terher musste sie<br />

aber unter Polizeischutz<br />

das Gebäude<br />

verlassen.<br />

Man müsse sich<br />

fragen, in welcher<br />

Art von Staat man<br />

lebe, kommentierte<br />

sie und zeigte sich<br />

verunsichert, ob sie<br />

weiterhin <strong>als</strong> Pianistin<br />

furchtlos in<br />

ihrem Land auftreten<br />

könne. Da Istanbul<br />

ein Jahr späterKulturhauptstadt<br />

Europas werden<br />

sollte, kommentierte<br />

dam<strong>als</strong><br />

PIANO<strong>News</strong> in der<br />

<strong>Ausgabe</strong> 5/2009:<br />

„Diese Aktion wirft<br />

ein negatives Licht<br />

Die Pianistin Gülsin Onay.<br />

auf die die klassische<br />

Foto: Aykut Usluteki<br />

Musik negierenden<br />

Extremnationalisten,<br />

deren Aktion von der Regierungspartei <strong>als</strong> ‚Akt einer<br />

demokratischen Aktion’ abgetan wurde.“ Für ein<br />

Land, das eigentlich eine stärkere Integration in<br />

den Westen anstrebt, ist das äußerst problematisch<br />

und brisant.<br />

Und Ähnliches lässt sich überall im Klassikleben<br />

der Türkei nachweisen, im Großen und im Kleinen.<br />

So werden zwar staatliche Orchestermusiker<br />

in der Türkei vergleichsweise gut entlohnt und<br />

genießen soziale Absicherungen, der Preis ist aber<br />

eine Reglementierung vonseiten des Staats – gerade<br />

auch in sehr sensiblen Bereichen des Orchesteralltags<br />

und der Orchesterkultur. Auch im Staatlichen<br />

Sinfonieorchester Izmir sitzen so gut wie<br />

keine ausländischen Mitglieder, zudem darf nur<br />

ein geringer Teil des Saisonprogramms von ausländischen<br />

Gastdirigenten und Solisten bestritten<br />

werden. Diese erhalten vom türkischen Staat eine<br />

Gage, für die internationale Klassikgrößen nicht<br />

auftreten.<br />

Man sei international kaum wettbewerbsfähig:<br />

„Um teure, gute Solisten und Gastdirigenten zu be-<br />

Wir sind umgezogen und freuen uns<br />

auf Ihren Besuch!<br />

Peiner Str. 26 31311 Eltze Telefon 0177 / 33 01 933 mail@fluegelfink.de www.fluegelfink.de<br />

19


B<br />

B ETRACHTUNGEN<br />

kommen, die gerade auch wichtig sind für die Entwicklung<br />

der Orchesterkultur, braucht man Sponsoren“,<br />

heißt es. Allenthalben wurde und wird der Rotstift<br />

angesetzt: „In den letzten fünfzehn Jahren hat der<br />

Staat im Fach Musik die Stipendien leider drastisch gekürzt“,<br />

berichtet das Pekinel-Duo. „Viele Musiker<br />

sind auf private Stipendien angewiesen, die auf kurze<br />

Zeit begrenzt sind, um ihr Studium fortzusetzen. Da<br />

hat sich bis heute nicht viel geändert.“<br />

Die Musikausbildung<br />

Was die Pekinel-Geschwister erzählen, ist brisant,<br />

denn früher war die Situation anders. „Die hier<br />

ausgebildeten jungen Musiker wurden durch die Regierung<br />

<strong>als</strong> Stipendiaten ins Ausland entsandt, um<br />

dort eine vorzügliche internationale Ausbildung zu<br />

erhalten. Nach den Studien kamen sie in die Türkei<br />

zurück und haben ihr Wissen in neu aufgebauten Klavier-Schulen<br />

an die Jugend weitergegeben.“ Das falle<br />

damit weg, zudem bemängeln sie den Zustand der<br />

türkischen Konservatorien.<br />

„Der heutige Zustand der Konservatorien bedarf<br />

einer systematischen Sanierung des musikalischen Erziehungssystems,<br />

die die Integration des heutigen europäischen<br />

Standards erlaubt und bürokratische Barrieren<br />

überwindet. Heutzutage können Solisten mit<br />

sehr guter Ausbildung keine ihrem Können gebührende<br />

Stelle finden, um zu unterrichten.“ Idil Biret teilt<br />

diese kritischen Einschätzungen nicht: „Vor einigen<br />

Jahrzehnten gingen Musikstudenten noch ins Ausland,<br />

um dort an Hochschulen oder mit privaten Lehrern zu<br />

studieren“, meint sie.<br />

„Ich persönlich glaube, dass heute Studenten eine<br />

sehr gute Ausbildung in der Türkei erhalten und es<br />

nicht mehr notwendig ist, ins Ausland zu gehen.“<br />

Kürzlich sei sie Jury-Mitglied gewesen beim Rachmaninow-Wettbewerb<br />

des Russischen Konsulats in<br />

Istanbul: „Ich habe exzellente junge türkische Pianisten<br />

gehört, von denen einige an Konservatorien in den<br />

Provinzen studiert haben und nicht in Istanbul oder<br />

Ankara.“ Eine Meinung dazwischen vertritt die Geigerin<br />

Hande Özyürek, die lange in Deutschland<br />

lebte und kürzlich eine Professur in Istanbul erhalten<br />

hat: „Seit mehreren Jahren hatte ich dieses An-<br />

Fazil Say<br />

Foto: Marco Borggreve<br />

gebot und habe den Kontakt<br />

zur Türkei nie abgebrochen“,<br />

erzählt sie. „Ich habe es mir<br />

lange überlegt, ob ich das wirklich<br />

machen soll. Aber ich habe<br />

festgestellt, dass es in der Türkei<br />

viele talentierte Musiker<br />

gibt, die noch mehr lernen<br />

möchten. Ich habe gedacht,<br />

dass ich hier viel beibringen<br />

könnte. Es ist nicht einfach,<br />

aber hier ist viel in Bewegung.<br />

Deshalb bin ich auch da –<br />

damit ich auch etwas helfe.“<br />

Historische<br />

Aufführungspraxis und<br />

Neue Musik<br />

Ähnlich Gespaltenes hört<br />

man auch, wenn man fragt,<br />

ob in der Türkei die historische Aufführungspraxis<br />

an den Konservatorien unterrichtet werde – wobei<br />

nicht immer klar zu sein scheint, was überhaupt<br />

damit gemeint ist. Der Pianist Fazil Say stellt hierzu<br />

kurz und knapp fest: „Es gibt eine Pflege der<br />

historischen Aufführungspraxis, das ist nichts Unbekanntes<br />

in der Türkei.“ Das sehen andere völlig<br />

anders, vor allem Orchestermusiker: „Wir haben an<br />

den Konservatorien nicht genug Erziehung sowohl für<br />

Barock <strong>als</strong> auch für Neue Musik“, klagt etwa Tolga<br />

Alpay, Fagottist beim Staatlichen Sinfonieorchester<br />

in Izmir. „Leider haben wir auch keine Erziehung<br />

in historischer Aufführungspraxis.“<br />

Geigerin Hande Özyürek sieht das ähnlich: „In<br />

Istanbul, wo ich unterrichte, rede ich davon. Aber ich<br />

glaube nicht, dass im Moment überall darüber gesprochen<br />

wird. Dennoch sind die Dozenten an den<br />

Musikhochschulen sehr viel bewusster hierin und<br />

haben meistens Kontakte zum Ausland. Wir haben an<br />

der Hochschule ein Kammerorchester und haben<br />

schon Vivaldi gespielt. Ich habe auch mehrere Ideen,<br />

wie wir das in der Türkei ausbauen können: Wir spielen<br />

bald auch mit Barock-Bögen. Ich werde die Bögen<br />

aus Deutschland mitbringen.“<br />

Und die Neue Musik? Es sei Pflicht, moderne Stücke<br />

zu spielen, wenn man studiere, berichtet Özyürek.<br />

„Ich spiele selber öfter zeitgenössische Musik und<br />

werde auch dabei bleiben.“ Die Pekinels bestätigen<br />

diese Einschätzung: „An einigen Hochschulen gibt es<br />

inzwischen eine Abteilung für moderne Musik“, sagen<br />

sie. „Die bekannteste darunter, MIAM (Zentrum für<br />

moderne Musikstudien), befindet sich in Istanbul und<br />

wird durch den in Amerika lebenden Komponisten<br />

Kamran Ince und den bekannten Violinisten Cihat<br />

Askin geleitet.“<br />

Interkulturelle Probleme<br />

und Stadt-Land-Gefälle<br />

Indessen ist es wichtig, bei Klassikkonzerten auch<br />

türkische Folklore zu präsentieren. „Die Leute mögen<br />

es, wenn sie im Konzert etwas hören, das sie kennen“,<br />

bestätigt Fazil Say. „Wenn man ausschließlich<br />

mit Ungewohntem kämpfen muss, kann ein Konzert<br />

anstrengend werden für den Zuhörer. Jedes Konzert<br />

20 5 . 11


5 . 11<br />

während meiner Tournee durch die Dörfer Anatoliens<br />

habe ich deswegen dam<strong>als</strong> mit einem Lied aus der<br />

jeweiligen Region begonnen, um den Einstieg zu<br />

erleichtern.“ Denn, so Say weiter: „Das größte Problem<br />

ist, dass viele Türken das Gefühl haben, dass die<br />

europäische Klassik nicht zur ihrer Kultur gehöre.“<br />

Ähnlich formuliert es Idil Biret, wenn sie sagt:<br />

„Die traditionelle türkische Musik und die westliche<br />

klassische Musik sind heute gegensätzliche Enden des<br />

Spektrums, obwohl sie wie in Japan <strong>als</strong> Ergänzung und<br />

nicht wie in der Türkei <strong>als</strong> Feinde angesehen werden<br />

sollten.“ Für Say steht fest: „Die europäische klassische<br />

Musik ist universal, sie gehört allen – so wie auch<br />

die türkische Musik für alle da ist, nicht nur für die<br />

Türken. Man muss nur gute Vermittlungsarbeit leisten,<br />

dann kann man viele Menschen mit Klassik erreichen.“<br />

Say selber nennt ein Beispiel aus Izmir: „Zu den<br />

großen Aufführungen meiner Oratorien kamen in Izmir<br />

bis zu 18.000 Menschen an einem Abend. Grundsätzlich<br />

ist das Interesse an Klassik <strong>als</strong>o vorhanden,<br />

aber die kommerzialisierte Musik aus dem Radio siegt<br />

leider über alles. Wenn man bewusst versucht, Brücken<br />

zu bauen, kann man durchaus viele Leute begeistern.“<br />

Schwieriger ist die Situation im ländlichen Raum.<br />

„Das Klassikleben in der Türkei spielt sich vor allem in<br />

Großstädten ab, die ihre eigenen Orchester haben“,<br />

berichtet das Pekinel-Duo.<br />

Deswegen tourt das Staatliche Sinfonieorchester<br />

Izmir häufig durch die Dörfer der Region. „Wir verdienen<br />

nichts damit“, sagt Fagottist Alpay. „Wir haben<br />

spezielle Programme für die Dörfer mit türkischer<br />

und klassischer Musik, auch türkische Folklore mit<br />

neuen Arrangements. Andererseits mieten sich viele<br />

Dorfbewohner einen Bus und kommen zu unseren Konzerten<br />

nach Izmir.“ Dennoch: „Es ist leider nicht so<br />

wie in Deutschland, Holland, Frankreich oder in der<br />

Schweiz, wo man sogar in kleinsten Dörfern Konzertsäle<br />

mit guter Akustik und Flügeln finden kann“,<br />

betonen die Pekinel-Schwestern.<br />

Schulische Musikerziehung<br />

Gerade wenn es um das Stadt-Land-Gefälle und<br />

die interkulturellen Probleme in der Türkei geht,<br />

offenbart sich zugleich die Dringlichkeit von schulischer<br />

Musikerziehung. „Hier muss die Türkei noch<br />

aufholen, denke ich“, meint Gülsin Onay. „Ich habe<br />

nicht den Eindruck, dass da viel gemacht wird – gerade<br />

an den Schulen. Wenn man einen guten Lehrer hat,<br />

dann ist das ein großes Glück.“ Die Pekinel-Geschwister<br />

pflichten ihr bei und haben daraus Konsequenzen<br />

gezogen: „Da an den Schulen – im Gegensatz<br />

zu den 1960er Jahren – bis zur Mittelschule<br />

keine Musikerziehung existiert, haben wir <strong>als</strong> Pilotprojekt<br />

vor fünf Jahren in einem Internat für hochbegabte<br />

Kinder eine Musikabteilung gegründet.“<br />

Dieses Internat befinde sich in Istanbul und richte<br />

sich an Schüler von der Mittelstufe bis zum Abitur.<br />

Der Unterricht erfolge auf Englisch. „Kinder<br />

aus der ganzen Türkei werden in drei Etappen ausgewählt<br />

und müssen mehrere Prüfungen absolvieren, um<br />

aufgenommen zu werden. Ihr IQ darf nicht unter 130<br />

Punkten liegen. Die Studenten, die hier ihr Abitur<br />

machen, werden dann von namhaften internationalen<br />

Universitäten mit vollem Stipendium aufgenommen.“<br />

Mit diesem Elite-Projekt wolle man nicht Musiker<br />

B ETRACHTUNGEN<br />

ausbilden, sondern spezielle Talente mit Musikund<br />

Kulturbewusstsein ausrüsten.<br />

Dahinter steckt eine Idee, die nicht gerade uneigennützig<br />

ist, denn: „Sie werden später unter anderem<br />

bei großen Firmen sein und uns Musiker und die<br />

wichtigen kulturellen Projekte unterstützen. Kurz gesagt:<br />

Sie werden unsere wichtigen Sponsoren.“ Zudem<br />

könnten sich die Elite-Schüler später – dank des<br />

„kulturellen Basiswissens“ – besser integrieren und<br />

Dialoge entwickeln, „indem sie zum Beispiel mit ihren<br />

Kommilitonen zusammen musizieren. Dafür haben<br />

wir an die 70 verschiedene Instrumente gekauft, und<br />

die besten Lehrer aus dem Konservatorium unterrichten<br />

hier.“<br />

Einen ersten Erfolg gab es bereits. „Nach vier Jahren<br />

ist das Fach Musik durch das Bildungsministerium<br />

<strong>als</strong> fixer Bestandteil in den normalen Stundenplan integriert<br />

worden“, berichtet das Pekinel-Duo. Was<br />

der nächste Schritt ist? „Unser Wunsch ist, dass sich<br />

dieses System in allen Schulen in der Türkei durchsetzt,<br />

da jedes Kind das Recht dazu hat, sein kreatives Ich zu<br />

entdecken.“ Immerhin haben die Pekinels bereits<br />

ein Orff-Schulwerk initiiert, wofür mit den Orff-<br />

Instituten in Salzburg und München kooperiert<br />

werde. „Diese Methode konzentriert sich wie in Europa<br />

auf das Vorschul- und<br />

Grundschulalter“, so die<br />

Pekinels.<br />

„Derzeit werden dreißig<br />

Lehrer mit Hilfe von<br />

bekannten Professoren<br />

ausgebildet, die rund 2000<br />

Schüler unterrichten. In<br />

ihren Schulen werden die<br />

Kenntnisse dieser Methodik<br />

an den Schülern angewendet.<br />

Die Kinder werden<br />

somit zum Spielen und<br />

Tanzen, zu Instrumentenspiel<br />

und Gruppenarbeit<br />

sowie zum besseren Hören<br />

animiert und entdecken<br />

somit ihre eigene Persönlichkeit.“<br />

Hier sei der<br />

nächste Schritt, dies<br />

auch auf Hochschulen<br />

auszubreiten und dort das Orff-Schulwerk in die<br />

Stundenpläne der jeweiligen Musikfächer <strong>als</strong> fixes<br />

Fach zu integrieren.<br />

Und die Pekinel-Geschwister haben noch ein<br />

weiteres Projekt ausgeklügelt: Es unterstützt werdende<br />

Musiker, die eine solistische Karriere anstreben.<br />

Zwölf Talente, die verschiedene Instrumente<br />

spielen, werden mit Stipendien unterstützt. „Sie<br />

studieren alle derzeit im Ausland bei den besten Professoren“,<br />

berichten sie, „partizipieren an Sommerkursen<br />

und müssen jedes Jahr an einem internationalen<br />

Wettbewerb teilnehmen. Wir haben sie aus verschiedenen<br />

Konservatorien in der Türkei ausgewählt,<br />

wo sie vor einer Jury vorgespielt haben.“<br />

Konzertalltag<br />

Worüber sich alle befragten Musiker einig sind, ist<br />

das deutliche Verbesserungs- und Optimierungspotenzial,<br />

wenn es um die Auftrittsmöglichkeiten<br />

B<br />

Güher & Süher Pekinel<br />

Foto: Tanja Niemann<br />

21


B<br />

Blick auf Izmir.<br />

Foto: Marco Frei<br />

B ETRACHTUNGEN<br />

von Solisten in der Türkei geht. Zwar betonen die<br />

Pekinel-Geschwister, dass man mittlerweile in der<br />

Türkei neben den Hochschul- und Konzertsälen<br />

auch an großen Universitäten und im Rahmen<br />

von Festiv<strong>als</strong> konzertieren könne („Wenn man gut<br />

organisiert ist, kann man dies nahezu in 25 Städten realisieren.“),<br />

aber: „Unverständlicherweise hat sich bis<br />

heute noch kein Konzert- Management-System etabliert.“<br />

Ausnahmen seien, so die Pekinels weiter, die<br />

auch im Ausland sehr bekannte Istanbul Kulturund<br />

Kunst-Stiftung (IKSV) sowie die Is Bankasi<br />

Konzerte. Die Folge: „Viele müssen auf eigene Faust<br />

in den jeweiligen Städten Konzerte organisieren. Dies<br />

ist nicht genug, um zu überleben.“ Idil Biret stimmt<br />

zu: „Die meisten Pianisten unterrichten auch privat<br />

oder an den Hochschulen.“ Sie rate immer jungen<br />

Pianisten, auch<br />

eine zweite Berufsausbildung<br />

zu<br />

absolvieren, um<br />

den Lebensunterhalt<br />

sicher bestreiten<br />

zu können.<br />

„Es ist schwierig,<br />

in der Türkei<br />

nur <strong>als</strong> Konzertpianist<br />

zu überleben –<br />

vor allem für Newcomer“,<br />

sagt sie,<br />

um zugleich zu<br />

betonen, dass dies<br />

überall der Fall sei<br />

und nicht nur in<br />

der Türkei. „Nur die bekannten Namen haben gut<br />

besuchte Konzerte. Ein Newcomer hat keine Chance“,<br />

wenn nicht in den Medien auf das Konzert groß<br />

hingewiesen werde. „Doch selbst dann gibt es keine<br />

Garantie auf ein großes Publikum.“ Als Konzertveranstalter<br />

fungierten hauptsächlich Festiv<strong>als</strong> sowie<br />

die staatlichen Sinfonieorchester in Istanbul,<br />

Ankara, Izmir, Adana, Antalya und Bursa, städtische<br />

Orchester wie in Eskisehir oder private Klangkörper<br />

(Bilkent University und das Borusan Orchestra).<br />

Auch Biret bemängelt das Fehlen von Konzertagenten,<br />

weshalb es für die Pekinels nur ein Fazit<br />

geben kann: „Es sollten so schnell wie möglich Managementorganisationen<br />

etabliert werden, um die<br />

innere Dynamik des Konzertlebens besser unter Kontrolle<br />

zu bringen und zu erweitern. Dies könnte auch<br />

wie zuvor <strong>als</strong> eine weitere Aufbauphase in Zusammenarbeit<br />

mit deutschen Management-Organisationen<br />

geschehen und im gegenseitigen Dialog mit dazu<br />

führen, neue gute Musiker und unbekannte türkische<br />

Komponisten im Ausland zu promoten und zu entdecken.“<br />

Nicht zuletzt sind die geringen Gagen bei Konzerten<br />

in der Türkei ein Problem, wie Fazil Say betont:<br />

„Von ihnen kann kaum ein junger Pianist leben“,<br />

sagt er. Auch deswegen versuchten die meisten,<br />

nach dem Grundstudium in der Türkei ins Ausland<br />

zu gehen. „In der Türkei gab es lange ein anderes System<br />

<strong>als</strong> in Europa. Bis vor zwanzig Jahren waren die<br />

meisten klassischen Musiker Staatskünstler. Sie erhielten<br />

wie Beamte ein festes Monatsgehalt – egal was für<br />

Konzerte sie spielten. Die neue Generation von Musi-<br />

kern muss heute auf Honorarbasis spielen. Das ist<br />

sehr schwierig und wirkt sich auch auf die Anzahl der<br />

Musiker aus.“<br />

Zu viele Musiker?<br />

Damit ist ein Aspekt angesprochen, der tatsächlich<br />

für die internationale Klassikwelt gleichermaßen<br />

gilt. Das Pekinel-Duo findet deutliche Worte: „Wie<br />

überall gibt es auch in der Türkei viele arbeitslose Musiker,<br />

die unserer Meinung nach durch die zu locker<br />

gehaltenen Aufnahmeprüfungen den Weg in die<br />

Konservatorien und Musikakademien finden“, kritisieren<br />

sie. „Das ist ein internationales Dilemma, welches<br />

wir überall beobachten. Nur die besten überleben, was<br />

dazu führt, dass der Wettbewerb unbarmherzig bleibt<br />

und Supertalente produziert, die leider nur kurzzeitig<br />

gefördert werden und konzertieren können.“<br />

Woran das vor allem liegt? „Wir leben in einer immer<br />

schneller werdenden Konsumgesellschaft, was sich<br />

auch in der Musikbranche bemerkbar macht.“<br />

Derart formuliert, möchte das Idil Biret nicht<br />

stehen lassen: „Es gibt so viele Musiker in der Türkei,<br />

wie notwendig ist, um die steigende Nachfrage nach<br />

ihnen im Musikleben der Hauptstädte zu befriedigen.“<br />

Dagegen sieht die Geigerin Hande Özyürek, die in<br />

Istanbul lehrt, durchaus das Problem, dass Musiker<br />

über den eigentlichen Bedarf im Land ausgebildet<br />

werden – zumal es beispielsweise nicht so<br />

viele Orchesterstellen gibt. Besonders problematisch<br />

sei aber auch die ungleiche Verteilung der<br />

Musikstudenten auf die einzelnen Instrumente. „Es<br />

gibt viele Pianisten in der Türkei und Geiger, aber wenig<br />

Bläser oder auch Kontrabassisten.“ Das sei gerade<br />

für die türkischen Orchester ein großes Problem.<br />

Vor dem Hintergrund all dieser Probleme und<br />

Herausforderungen sei es umso wichtiger, dass<br />

neue Konzertsäle gebaut würden, betont Gülsin<br />

Onay. Denn: „Mit neuen Sälen steigert sich auch die<br />

Popularität der Klassik generell“, ist sie überzeugt.<br />

„Es gibt mehr Konzerte, mehr Aufführungsmöglichkeiten<br />

für Musiker und mehr Publikum. Heute ist die Situation<br />

für Musiker in der Türkei wesentlich besser <strong>als</strong><br />

früher.“<br />

Neben dem neuen Saal in Izmir lobt Idil Biret<br />

vor allem die Säle Süreyya und Cemal Resit Rey in<br />

Istanbul, die Häuser der CSO-Symphoniker und<br />

der Bilkent Symphony in Ankara, die Kongresshalle<br />

in Bursa sowie die Konzertsäle in Eskisehir,<br />

Antalya und Adana. Und an Ehrgeiz mangelt es in<br />

der Türkei nicht – auch nicht in Izmir, wo erst<br />

kürzlich der neue Konzertsaal eingeweiht wurde.<br />

Hier denkt man bereits über das nächste gewaltige<br />

Prestigeprojekt nach. Ein neues, großes Opernhaus<br />

soll gebaut werden. Gegenüber, auf der<br />

anderen Seite der wild schäumenden Meeresbucht.<br />

Website der Pianisten:<br />

Idil Biret - www.idilbiret.org<br />

Fazil Say - www-fazilsay.com<br />

Gülsin Onay - www-gulsinonay.com<br />

Güher & Süher Pekinel - www.pekinel.com<br />

22 5 . 11


I I NSTRUMENTE<br />

Tausende von Flügeln in einem<br />

Das V-<strong>Piano</strong> Grand von Roland<br />

Das V-<strong>Piano</strong> haben wir schon ausgiebig in PIANO<strong>News</strong> präsentiert und besprochen, die man nicht müde<br />

werden kann, die Besonderheiten dieses digitalen Klaviers zu erklären und aufzuzeigen. Doch mittlerweile<br />

hat Roland weiter gearbeitet und das „V-<strong>Piano</strong> Grand“, einen digitalen Flügel mit V-Technik auf den<br />

Markt gebracht. Zwar beinhaltet dieses Instrument von Roland dieselben technischen Innovationen wie<br />

das V-<strong>Piano</strong>, das ja <strong>als</strong> Stage-<strong>Piano</strong> daherkam, aber bietet nun nicht nur optisch weitaus mehr. Wir fuhren<br />

zum deutschen Sitz des Unternehmens in Norderstedt, um uns dieses Instrument in Ruhe anzuschauen<br />

und anzuhören.<br />

Von: Carsten Dürer<br />

Die Optik<br />

Da steht es auf der Bühne des in Norderstedt im<br />

Kellergeschoss befindlichen Sa<strong>als</strong> von Roland<br />

Deutschland: das V-<strong>Piano</strong> Grand. Es ist das erste<br />

Exemplar dieses neuen Instruments in Deutschland<br />

– und ist schon recht weit herumgekommen:<br />

Wien (Schönberg-Center) und Hamburg (Mozart-<br />

Saal) für Konzerte mit der Pianistin Yuko Kawai,<br />

nach Süddeutschland für Schulkonzerte mit der<br />

Pianistin Meryem Natalie Akdenizli. Und immer<br />

Ein kurzer Flügel:<br />

Das Roland V-<br />

<strong>Piano</strong> Grand.<br />

Foto: Roland<br />

hat dieses Instrument Aufsehen erregt. Auf den<br />

ersten Blick sieht das V-<strong>Piano</strong> Grand aus wie ein<br />

Stutzflügel, ein akustischer. 149 Zentimeter lang<br />

ist dieser kleine digitale Flügel – aber er klingt<br />

nach mehr. Bei genauerem Hinsehen allerdings<br />

haben die Roland-Techniker sich einiges einfallen<br />

lassen, um dieses Instrument dann doch <strong>als</strong> singulär<br />

zu gestalten. So ist die Zarge etwas flacher <strong>als</strong><br />

bei akustischen Instrumenten, was der Linie bei<br />

dieser geringen Länge zu ein wenig mehr Eleganz<br />

verhilft. Zudem ist die Zarge nicht aus einem Stück<br />

24 5 . 11


5 . 11<br />

gebogen, sondern besteht aus drei einzelnen Teilen,<br />

die an den beiden neuralgischen Ecken des<br />

Instruments optisch auffällig angeschlagen sind.<br />

Der Flügeldeckel ist recht leicht ausgeführt, gut für<br />

zierliche Personen, die kaum ein Problem damit<br />

haben dürften, das Instrument zu öffnen. Allein:<br />

Beim Schließen des Deckels sollte man Vorsicht<br />

walten lassen, da der Deckel in geschlossenem Zustand<br />

nur wenig über die Zarge übersteht und<br />

man sich da leicht beim Schließen die Finger klemmen<br />

könnte. Da wäre eine kleine Aussparung für<br />

die Hand an der Notenpultabdeckung doch geeignet,<br />

dieser Gefahr Abhilfe zu schaffen. Ansonsten<br />

aber gibt es kaum etwas zu beanstanden. Die Tastaturklappe<br />

ist aufwendig in drei Stellungen arretierbar.<br />

Einmal voll geöffnet, so dass man nicht<br />

nur die Klaviatur vor sich hat, sondern auch das<br />

mit nur wenigen Tasten und einem gut lesbaren<br />

Display ausgestattete Bedienfeld. Dann kann man<br />

dieses Bedienfeld zur besseren und originaleren<br />

Optik auch mit der Klaviaturklappe abdecken, indem<br />

man die Klappe eine Stufe nach vorne zieht.<br />

Und natürlich lässt sich die Klappe auch komplett<br />

schließen, wobei dann sogar eine Klappenbremse<br />

eingebaut ist, die hier nun wirklich das Einklemmen<br />

von Fingern verhindert. Ist das Bedienfeld<br />

verdeckt, sind die wichtigsten Knöpfe nochm<strong>als</strong><br />

links neben der Tastatur im kleinen Format wiederzufinden,<br />

so dass man auch bei verdecktem Bedienfeld<br />

Zugriff auf die Technik hat. Das Notenpult<br />

ist so ausgelegt, dass es mit einem Handgriff<br />

leicht nach hinten geschwenkt aufgestellt werden<br />

kann, wodurch die Noten wie in einer Lücke stehen<br />

bleiben. Ein nettes Feature, das zeigt, wie sehr<br />

sich die Roland-Ingenieure mit den Details beschäftigt<br />

haben.<br />

Die Klangabstrahlung<br />

Doch das Besondere an dem V-<strong>Piano</strong> Grand ist ja<br />

nicht allein die Optik, sondern vielmehr das, was<br />

sich in diesem neuen Gehäuse befindet. Denn das,<br />

was bei der Stage-<strong>Piano</strong>-Version des V-<strong>Piano</strong>s störte,<br />

war, dass man die Klangabstrahlung niem<strong>als</strong><br />

so einrichten konnte, dass man einen natürlich<br />

wirkenden Klang hätte empfinden können. Vielmehr<br />

wirkte es auch bei der besten Voraussetzung<br />

wie ein losgelöst vom Instrument erzeugter Klang.<br />

Dafür allerdings war das V-<strong>Piano</strong> auch transportabel<br />

und relativ kostengünstig. Knapp unter 5000,-<br />

Euro kostet dieses V-<strong>Piano</strong> in der Stage-Version.<br />

Nun werden diejenigen, die nicht wissen, was es<br />

mit dem V-<strong>Piano</strong> auf sich hat, entrüstet ausrufen:<br />

Günstig für ein D-<strong>Piano</strong>? Nun, das V-<strong>Piano</strong> ist kein<br />

normales D-<strong>Piano</strong>, sondern ein eigenständiges<br />

Instrument zur Erzeugung von Flügelklängen. Der<br />

Klang basiert nicht auf einem Sample, bei dem der<br />

Klang eines akustischen Instruments digitalisiert<br />

wurde, sondern wurde aufgrund von langen Erfahrungen<br />

der Roland-Ingenieure mittels aller bekannten<br />

Parameter künstlich entwickelt. Das Ergebnis<br />

ist nicht nur ein vollauf überzeugender Flügelklang,<br />

sondern birgt natürlich viele Besonderheiten,<br />

die aufgrund der Erstellung des Klangs<br />

möglich waren. Da all die Parameter, die normalerweise<br />

einen Klang eines akustischen Instru-<br />

I NSTRUMENTE<br />

Kaum zu erkennen, dass ein solch<br />

voluminöser Klang aus dem<br />

Breitbandsystem kommen kann.<br />

Foto: Dürer<br />

ments beeinflussen können, auch hier zugrunde<br />

liegen, lassen auch diese sich nun einzeln verändern:<br />

Beschaffenheit der Hammerköpfe, einzeln zu<br />

I<br />

25


I I NSTRUMENTE<br />

Klangabstrahlung unterhalb des<br />

Instruments wie bei einem Flügel.<br />

Foto: Dürer<br />

stimmende Saiten im Chor eines Tons, Spielschwere<br />

der Mechanik etc. Aber natürlich kann die digitale<br />

Technik weit über die Möglichkeiten eines<br />

akustischen Klaviers und eines entsprechenden<br />

Technikers hinausgehen. So sind die Beschaffenheit<br />

des Resonanzbodens ebenso zu beeinflussen<br />

wie Halleigenschaften und so fort. Und natürlich<br />

lässt sich jede individuelle Einstellung speichern<br />

und wieder abrufen, ebenso wie sich das Spiel aufnehmen<br />

lässt. Man kann aus dem V-<strong>Piano</strong> entsprechend<br />

zigtausend von individuellen Flügelklängen<br />

zaubern, für jede Stimmung, für jeden<br />

Stil, für jeden Komponisten, ja für jedes einzelne<br />

Werk den passenden. Ein Traum für Pianisten, die<br />

ansonsten auf der Bühne alle Werke aller Komponisten<br />

aus einem einzigen Instrument spielen müssen.<br />

Allerdings muss man zugeben: Man sollte<br />

schon ein wenig über die Feinheiten wissen, die<br />

jede Parameter-Veränderung für den Klang mit<br />

sich bringt, <strong>als</strong>o wissen, was auch kleine Schritte in<br />

der Klaviertechnik für Auswirkungen auf den Gesamtklang<br />

haben könnten, ansonsten stochert<br />

man lange im Dunkeln, bis man den Klang erreicht<br />

hat, den man sich wünscht. Am besten setzt<br />

man sich mit einem Klaviertechniker, der sich<br />

Geschickt gelöst (v. l. n. r.): Die Tastaturklappe<br />

lässt sich komplett öffnen, so dass man die<br />

Bedienelemente sieht, halb öffnen, so dass nur die<br />

Klaviatur offen ist, und natürlich schließen.<br />

Fotos: Dürer<br />

offen mit diesem V-<strong>Piano</strong> einmal beschäftigt hat,<br />

zusammen und kreiert eine Reihe von Flügelklängen,<br />

die man sich wünscht.<br />

Doch was beim neuen V-<strong>Piano</strong> Grand nun wirklich<br />

neu ist: die Klangabstrahlung. Viele Jahre<br />

dauerte es, bis die Roland-Techniker das entsprechende,<br />

für das Instrument passende Klangabstrahlungssystem<br />

entwickelt haben. Im Klangraum<br />

des „Flügels“ steckt ein Lautsprechersystem,<br />

das – ja, ähnlich wie beim AvantGrand von Yamaha<br />

– versucht, den Klang so wiederzugeben wie bei<br />

einem Flügel. Das bedeutet, es ist nicht nur einfach<br />

ein Lautsprechersystem eingebaut, das den<br />

Klang abstrahlt, der da erzeugt wird, sondern es<br />

ist ein System, das den Klang so entfaltet, wie dies<br />

bei einem Flügel passiert. Und das ist sehr gut gelungen.<br />

Wenn man bei klingendem Instrument<br />

sich im Raum bewegt, dann erkennt man, wie sich<br />

die Klangabstrahlung ebenso wie bei einem akustischen<br />

Instrument, entwickelt. Wenn man beispielsweise<br />

weiter rechts vom geöffneten Flügel<br />

zuhört, dann erkennt man, dass die Bässe deutlicher<br />

zu hören sind, da der Abstrahlwinkel sich<br />

zum Hörer verändert. Und genau so ist es auch<br />

beim Roland V-<strong>Piano</strong> Grand. Auch wenn man am<br />

Instrument selbst sitzt, kann man erkennen, wie<br />

sich die Klangabstrahlung bei unterschiedlichen<br />

Dynamikstufen verändert: Man scheint wirklich<br />

vor einem Flügel zu sitzen – nur vor einem anderen<br />

und einem, der viele andere Möglichkeiten offeriert.<br />

Dabei ist das Boxensystem scheinbar nicht<br />

sonderlich aufwendig, denn man erkennt nur drei<br />

Breitbandlautsprecher auf der Oberseite im Gehäuse.<br />

Doch schaut man unter das Instrument, so<br />

tun dort weitere drei Lautsprecher ihren Dienst,<br />

um den räumlichen Klang abzubilden. Und plötzlich<br />

ist man erstaunt über einen Flügelklang, zu<br />

dem die kurze Optik natürlich nicht wirklich passt.<br />

Denn das System berechnet das Ausklingen der<br />

Saiten in weiterer Entfernung, <strong>als</strong> man dies tatsächlich<br />

vor sich sieht – und das für jede Klangeinstellung<br />

(<strong>als</strong>o für jeden einzelnen Flügel, den man<br />

klanglich kreiert) neu.<br />

Mit seinen knapp 170 Kilogramm ist dieses Instrument<br />

immer noch relativ leicht transportabel –<br />

und so nimmt man bei dem großen und vo-<br />

26 5 . 11


5. 11<br />

luminösen Klang gerne die Kürze in Kauf, auch wenn ein etwas längeres Gehäuse<br />

auf einer Bühne einen besseren Eindruck hinterlassen hätte.<br />

Neue Anschlüsse und ein neues Pedal<br />

Neben der Klangabstrahlung hat das V-<strong>Piano</strong> Grand allerdings noch einige<br />

andere neue Kleinigkeiten zu bieten. So sind unterschiedliche Anschlüsse zu finden,<br />

wenn man weiß, wo man suchen muss. Denn man wollte die Flügeloptik<br />

auf keinen Fall mit sichtbaren Technikanschlüssen stören. Einen Computer-USBund<br />

-MIDI-Anschluss findet man hinter einer Klappe hinter der Notenpultabdeckung,<br />

so dass man durchaus leicht einen Laptop auf die Abdeckung stellen<br />

kann, um dann per Editor die Klangeinstellung vorzunehmen oder abzurufen.<br />

Etwas zurückliegend links unterhalb der Klaviatur findet man dann einen<br />

Kasten, der zwei Kopfhöreranschlüsse sowie MIDI-Anschlüsse bietet. Unterhalb<br />

des Instruments – nach hinten ausgerichtet – sind dann die XLR-Anschlüsse für<br />

Boxen und Stage-Equipment erkennbar, allerdings muss man da schon ein<br />

wenig unter das Instrument kriechen.<br />

Das Pedal ist beim V-<strong>Piano</strong> Grand natürlich nicht mehr ein einfaches Modul<br />

wie bei der Stage-Version, sondern in einer klassischen Lyra untergebracht.<br />

Allerdings ist es nun auch ein progressives Pedal. Das bedeutet, dass der Gegendruck<br />

bei weiter nach unten getretenem Pedal durchaus spürbar zunimmt,<br />

so wie bei einem akustischen Flügel auch.<br />

Fazit<br />

I NSTRUMENTE<br />

Auch bei halb geschlossener Klappe kann man die<br />

wichtigsten Bedienungen durch dezente Knöpfe<br />

links neben der Klaviatur vornehmen.<br />

Foto: Roland<br />

Das V-<strong>Piano</strong> Grand ist nun ein vollauf ausgereiftes Instrument, das in sich ruht –<br />

keine äußeren Einflüsse mögen es mehr stören, seien es eigenwillige Wiedergabesysteme<br />

oder ein externes Pedal-Modul. Die großartige dynamische Klaviatur<br />

mit authentischem Druckpunkt und der Möglichkeit, sie auf den Spieler<br />

einzustellen, macht aus diesem Instrument mehr <strong>als</strong> einen herkömmlichen<br />

Flügel, bei dem zwar auch alles einzustellen ist, aber letztendlich langwierig zu<br />

ändern wäre und nicht – wie beim V-<strong>Piano</strong> Grand – auf Knopfdruck. Auf diese<br />

Weise hat man nun wirklich ein vollwertiges wie neuartiges Instrument mit<br />

einem wirklich großvolumigen Klang – allerdings nicht nur ein Instrument mit<br />

nur einem Klang, sondern eines, das über alle Möglichkeiten eines akustischen<br />

Flügels verfügt – auf Knopfdruck bei vorheriger Einstellung – und darüber hinausgehen<br />

kann. Wenn man will, hat man Tausende von Flügeln in diesem V-<br />

<strong>Piano</strong> Grand vor sich. Man muss sie nur zum Leben erwecken. Hoffentlich – und<br />

ich bin mir fast sicher – werden sich in naher Zukunft auch die Klaviertechniker<br />

mehr und mehr mit den Möglichkeiten dieses Instruments beschäftigen. Denn<br />

hier würden sie ein neues Feld finden: Mit ihrem Wissen können sie Besitzern<br />

eines V-<strong>Piano</strong>s helfen, die richtigen Klangeinstellungen vorzunehmen und zu<br />

programmieren.<br />

Mit einem Preis von UVP 20.990,- Euro ist das V-<strong>Piano</strong> Grand nicht gerade ein<br />

Schnäppchen – für Tausende von Flügeln allerdings würde man mehr bezahlen<br />

müssen …<br />

I<br />

27


A<br />

Foto: Louis Held<br />

Von: Rafael Sala<br />

A NSICHTEN<br />

FRANZ LISZT<br />

der große Verführer<br />

Ein Leckerbissen im Doppelpack: Vor einem Jahr feierte die Musikwelt den 200. Geburtstag von Frédéric Chopin,<br />

2011 gedenkt sie seines Seelenverwandten Franz Liszt, der ebenfalls vor 200 Jahren geboren wurde: Am 22. Oktober<br />

1811 erblickte Ferencz Liszt, wie er sich selbst schrieb, im damaligen ungarischen Raiding das Licht der Welt. Der<br />

„Salonlöwe“ war nicht nur der am meisten gefeierte Klaviervirtuose seiner Zeit; mit seinen meist programmatisch<br />

ausgerichteten Werken hat er der Musikwelt völlig neue Impulse gegeben. Liszt gilt neben Chopin <strong>als</strong> der bedeutendste<br />

Vertreter der Hochromantik. Sein unbestritten berühmtestes Klavierwerk ist die 1852/1853 komponierte<br />

Sonate h-Moll. Ich mache keinen Hehl aus meiner Auffassung: Dies ist die großartigste Schöpfung für Klavier solo.<br />

Ein Bekenntnis. Und eine literarische Würdigung.<br />

Es scheint paradox: Fast allen seinen Orchesterwerken<br />

hat Franz Liszt programmatische<br />

Inhalte gegeben: Sie heißen „Faust-Sinfonie“,<br />

„Les Préludes“, „Sinfonische Dichtungen“ oder<br />

„Dante-Sinfonie“. Auch zahlreiche seiner Klavierzyklen<br />

und kleineren Stücke tragen klangvolle<br />

Namen mit gezielt außermusikalischen Bezügen:<br />

„Harmonies poétiques et religieuses“, „Années de<br />

pèlerinage“, „Dante-Sonate“, „Études d’exécution<br />

transcendante“ oder kleinere Gebilde wie „Unstern“,<br />

„Sinistre“ oder „Schlaflos“. Seine wohl bedeutendste<br />

und großartigste Tonschöpfung indes<br />

bleibt interessanterweise von diesem Anspruch<br />

außen vor: Sie nennt sich schlicht „Sonate h-Moll“.<br />

Wie kein anderes<br />

Klavierwerk nimmt<br />

die „h-Moll-Sonate“<br />

die Moderne vorweg<br />

Warum hat er dieses Werk nicht „Faust-Sonate“<br />

genannt – ein programmatischer Bezug, der dem<br />

geistigen Kosmos dieser Musik doch voll entsprechen<br />

würde? Ist es Bescheidenheit, Zögern oder<br />

gar Unsicherheit, die den Komponisten dazu veranlasste?<br />

Ich meine nicht. Man darf vielmehr mit<br />

Fug und Recht behaupten: Gerade die Tatsache,<br />

dass Liszt bei seiner „h-Moll-Sonate“ auf Vorbilder<br />

aus der Literatur oder Malerei verzichtete oder sie<br />

zumindest nicht expressis verbis durchblicken ließ,<br />

ist mit ein Schlüssel zum Verständnis dieser Musik.<br />

Er wusste ganz einfach, was er da Geniales geschaffen<br />

hatte: ein Werk, so reichhaltig in seiner<br />

Empfindungswelt, so intelligent in seinem völlig<br />

28 5 . 11


5 . 11<br />

neuartigen Aufbau, so kaleidoskopartig-geheimnisvoll<br />

in seinen Bezügen, so „modern“ in seiner<br />

Textur gewoben, dabei gleichzeitig von einer solch<br />

archaischen Kraft durchwirkt, dass jeder Terminus<br />

schiere Anmaßung wäre. Huldigung vor dem eigenen<br />

Objekt, Zurücknahme eines Anspruches, der<br />

hier nur entstellend hätte wirken können. Nicht<br />

um die Begrenztheit, sondern um die unendliche<br />

Weite des Anspruchs geht es: Liszt, den Romantiker,<br />

drängt es dazu, die Moderne in all ihren<br />

unerschöpflichen Facetten abzubilden. Er ahnte:<br />

Da würde Programmatik nur Überheblichkeit<br />

bedeuten. Dank der labyrinthartig aufgefächerten<br />

Kontrastebenen in dieser Musik lassen sich literarische<br />

Figuren der Moderne zu Hauf finden: Der von<br />

Seelennöten geplagte Dandy Dorian Gray von<br />

Oscar Wilde beispielsweise wäre zu nennen, der<br />

dem Trugbild seiner eigenen Schönheit verfällt<br />

und stirbt, Sinnbild der fatalen Fixierung auf eine<br />

imaginäre Ästhetik in einer Welt der Verdorbenheit.<br />

Oder Hannes Buddenbrook aus Thomas<br />

Manns „Buddenbrooks“, der am Schwanengesang<br />

seines Innenlebens zugrunde geht, Sinnbild des<br />

künstlerischen Verfalls in einer Welt der Pragmatik.<br />

Oder Barabas, an dessen Stelle Jesus gekreuzigt<br />

wurde: Im gleichnamigen Roman des Schweden<br />

Pär Lagerkvist erscheint dieser Mann <strong>als</strong> Gequälter,<br />

der verzweifelt Gott sucht, ihn nicht findet<br />

und dadurch zum politischen Terroristen wird,<br />

Sinnbild der Ohnmacht in einer Welt der Orientierungslosigkeit.<br />

Aber auch Humbert Humbert tanzt<br />

in dieser Sonate, Hauptfigur, Zyniker und Mörder<br />

in Vladimir Nabokovs „Lolita“, der dem Zauber einer<br />

wahnwitzigen Liebe verfällt und an ihr zerbricht,<br />

Sinnbild des gescheiterten Intellekts in einer<br />

Welt der Oberflächlichkeit. So wie Liszts „h-<br />

Moll-Sonate“ in einem düsteren, resignativen Pianissimo<br />

mit leeren Harmonien endet, so hauchen<br />

auch all diese Existenzen ihren Geist und ihr Leben<br />

aus.<br />

Wie in einem Fass ohne Boden schwimmen Symbole<br />

und Figuren darin. Nur dort sind die Grenzen<br />

der Darstellung erreicht, wo sich die Gesellschaft<br />

des Individuums bemächtigt und dessen aktives<br />

Potenzial auslöscht: Die absurden Welten eines<br />

Franz Kafka oder Joseph Roth sind in Liszts Sonate<br />

nicht vorgezeichnet. Zu sehr ist der Komponist<br />

dafür dem Erbe der Klassik und der Romantik verhaftet.<br />

Hier lohnt ein Vergleich mit dem anderen<br />

Meister des lyrisch-dramatischen Aufbaus: Frédéric<br />

Chopin. Der polnische <strong>Piano</strong>-Poet, den Liszt um<br />

knapp vier Jahrzehnte überlebt hat, sperrt seine<br />

„Helden“ nicht ein, sondern lässt sie im nebulösen<br />

Raum von Zweideutigkeiten agieren. Alles könnte<br />

gesagt sein und nichts. Im Grunde ist es die Musik<br />

mit dem perfekten Pokergesicht – nur dass sich<br />

hinter jeder Karte tatsächlich ein Trumpf verbirgt.<br />

Chopins Melodien lassen sich in den Erzählungen<br />

von Edgar Allan Poe ansiedeln (bezeichnenderweise<br />

hatten beide Künstler fast die gleichen Lebensdaten).<br />

Die Melancholie seiner „Mazurken“ etwa<br />

gleicht der Tristesse des „Mannes der Menge“, der<br />

„vor dem Alleinsein“ flieht, wie es am Schluss dieser<br />

Erzählung heißt: „Er ist der Mann der Menge. Umsonst,<br />

ihm zu folgen, ich werde nichts von ihm erfahren,<br />

nichts über ihn.“ Lässt sich die unbestimmte<br />

Richtung der Trauer in diesen musikalischen Mi-<br />

A NSICHTEN<br />

niatur-Gebilden, die teilweise nicht einmal zwei<br />

Minuten dauern, treffender charakterisieren? Hinter<br />

dem Vorhang fiebriger Schönheiten in den<br />

„Nocturnes“ wiederum lauert die „Maske des Roten<br />

Todes“. Die Angst ist allgegenwärtig, immer<br />

fühl-, aber nie greifbar. Und die Unrast in den „Polonaisen“<br />

arbeitet wie die Präzision des Schneidewerkzeugs,<br />

das sich in „Die Grube und das Pendel“<br />

mit unerbittlicher Gleichgültigkeit auf die Brust<br />

des zum Tode Verurteilten zubewegt. Nur der Gebrauch<br />

äußerster Geisteskraft vermag ihn vor dem<br />

Verderben zu schützen: Mit der gleichen Intelligenz<br />

schlagen auch die Funken der Polyphonie<br />

aus Werken wie der „b-Moll-Sonate“ und verzerren<br />

den scheinbar so elegant dahinfließenden<br />

Strom der Melodien. Der Rausch der a-Moll-Étude<br />

perlt in der Häme von Poes letzter Erzählung „Der<br />

Froschhüpfer“. Doppelbödigkeit, Gauklerei, Trugbilder<br />

und Maskeraden sind das Wesen von Chopins<br />

Musik. Die Quelle, aus der sich der Ideenreichtum<br />

seiner Sonaten, Balladen oder Scherzos<br />

speist, ähnelt der der griechischen Mythologie:<br />

Wie Ovid in seinen „Metamorphosen“ verwandelt<br />

auch Chopin sein musikalisches Material ohne<br />

Unterlass – ohne jedoch je dessen geistige Substanz<br />

anzugreifen. Chopin ist kein Hexenkünstler,<br />

sondern eher ein Alchimist, der ein Edelmetall in<br />

ein anderes umschmilzt: Prinzip der Zeitlosigkeit.<br />

Bei Liszt, dem Seelenverwandten und anderen<br />

Epigonen der Hochromantik, hingegen liegen die<br />

Dinge völlig anders. Seine aus 13 rhapsodisch aneinandergefügten<br />

Teilen bestehende „h-Moll-Sonate“<br />

ist in ihrer Wirkung viel schroffer, unmittelbarer,<br />

brutaler. Es ist eine Direktheit, die begeistert<br />

und bestürzt. Kaum einer vor ihm hat musikalische<br />

Inhalte so radikal umgesetzt. Liszt, der Hexenkünstler,<br />

hält seinen „Helden“ im Kerker seines<br />

Innenraums gefangen: Prinzip der Zeitgebundenheit.<br />

Er geht keine Umwege, um ihn dorthin zu<br />

führen, wohin er ihn haben will: in die totale<br />

Isolation – des Rausches und der Ästhetik, aber<br />

auch der Verderbnis. In den Forte-Passagen wie<br />

dem mit einer Fuge einsetzenden „Allegro energico“<br />

diktiert Mephistopheles, Abbild des biblischen<br />

Satans, das Geschehen. Die wunderbaren Adagio-<br />

Teile wie das „Recitativo“ oder das „Andante sostenuto“<br />

aber gehören dem alttestamentarischen<br />

Josef, der sich nach 20 Jahren Exil mit seinen<br />

Brüdern wieder versöhnt und seinem dem Tode<br />

nahen Vater Jakob in trunkener Freude entgegeneilt:<br />

„Als sie in das Land Goschen kamen, spannte<br />

Josef seinen Wagen an und zog hinauf seinem Vater<br />

Israel entgegen nach Goschen. Und <strong>als</strong> er ihn sah, fiel<br />

er ihm um den H<strong>als</strong> und weinte lange an seinem<br />

H<strong>als</strong>e.“ Oder der Königin Ester, die den judenfeindlichen<br />

Herrscher Ahasveros betört, um ihre Landsleute<br />

aus der Gefangenschaft zu befreien. Oder<br />

der Sünderin Magdalena, die über Hingabe Läuterung<br />

erfährt. Wie ein Schwamm saugen die Adagio-Seligkeiten<br />

all diese Figuren auf, Ausdruck entrückter<br />

Schönheit im Dienste eines irdischen Anspruchs.<br />

Zu Recht haben Musikwissenschaftler immer<br />

wieder auf den geistigen Nukleus dieser Musik hingewiesen:<br />

Göttliches und Teuflisches liegen in der<br />

„h-Moll-Sonate“ so dicht beieinander, dass das eine<br />

immer in das andere hineinfließt. Beides amal-<br />

A<br />

29


A<br />

Auszug aus der<br />

Originalhandschrift der<br />

h-Moll-Sonate von Liszt<br />

Abdruck mit freundlicher<br />

Genehmigung des<br />

G. Henle Verlags,<br />

München<br />

A NSICHTEN<br />

gamiert zu einer<br />

unauflöslichen<br />

Einheit. Das ist<br />

meines Erachtens<br />

der Grund dafür,<br />

warum sich Liszt,<br />

dieser Musikrevolutionär,obgleich<br />

er die Bezeichnung„Sonate“<br />

für dieses<br />

760 Takte umfassende<br />

Werk wählte,<br />

nicht für die<br />

Sonatenhauptsatzform<br />

mit dem<br />

klassischen Verständnis<br />

von Exposition-Durchführung-Reprise<br />

und Coda <strong>als</strong><br />

Formprinzip entschied.<br />

Es wäre<br />

auch der f<strong>als</strong>che<br />

Ansatz gewesen.<br />

Denn der geistige<br />

Kern entwickelt sich in diesem Werk nicht nach<br />

den dialektischen Prinzipien der Sonatenhauptsatzform.<br />

Das überragende Motiv, das das musikalische<br />

Geschehen wie mit einem Peitschenhieb vor sich<br />

her treibt, wird gleich mit dem allerersten Intervall<br />

angeschlagen: dem so unvermittelt-unheimlich<br />

einsetzenden dreifachen G im Bass. Wie aus<br />

dem Nichts scheint diese Tonsequenz zu kommen,<br />

Urknall, der Zeit und Raum entstehen lässt. Wie<br />

mit radioaktivem Material ist dieses Intervall angefüllt.<br />

Es ist kein leichtes, reaktionsfreudiges Element<br />

wie Sauerstoff oder Wasserstoff. Es ist vielmehr<br />

schwer wie Thorium, Uran oder Plutonium,<br />

in deren Atomkernen sich zu viele Neutronen und<br />

Protonen befinden. Damit ist es gefährlich instabil.<br />

Das ist die „Waffe“ dieses Intervalls, die dieses<br />

Liszt-Intervall (ähnlich wie Wagners Tristan-Akkord)<br />

so modern macht. Man hat tatsächlich das<br />

Gefühl, <strong>als</strong> würde es im Moment des Anschlags<br />

bereits zerfallen: So viel Gewicht hängt an ihm, so<br />

unendlich mit Energie ist es angereichert. Dass es<br />

nicht nur portato, langsam und bedrohlich, sondern<br />

bestens auch staccato und voller Beize gespielt<br />

werden kann, ändert nichts daran: Spätestens<br />

die düster absteigenden Tonleitern (mit Zigeuner-Moll)<br />

lassen es ins Bodenlose abstürzen.<br />

Letztere kann man gar nicht lange genug durch<br />

Rubati dehnen und ausgetüftelten Pedaleinsatz<br />

verwässern: ein Kunstgriff, der natürlich den Manierismus<br />

streift, aber hier voll und ganz gerechtfertigt<br />

ist.<br />

Wer an dieser Stelle zu wenig nachdenkt, hat die<br />

Faszination dieses Einstiegs nicht begriffen: Maurizio<br />

Pollini nicht und Boris Berezowsky nicht, die<br />

kaltschnäuzig darüber hinweghuschen. Martha<br />

Argerich und Ivo Pogorelich auch nicht, die es mit<br />

Eis und nicht mit Feuer umgeben. Man muss auf<br />

die alten Meister zurückgreifen, wenn man einen<br />

Hauch der versteckten Gewalt spüren will, die bereits<br />

in diesen unscheinbaren Anfangstakten<br />

steckt, vergleichbar vielleicht nur noch mit Beethovens<br />

„Appassionata“ oder Mahlers Neunter:<br />

Vladimir Horowitz, der dieses Intervall spitz triumphieren<br />

lässt, um es in den anschließenden Tonleitern<br />

völlig zu zerfasern. Oder Georges Cziffra, der<br />

es wie mit Samthandschuhen anfasst, dabei regelrecht<br />

implodieren lässt. Zerfall der Schwere <strong>als</strong>o –<br />

aber lange und flüchtige „Molekülketten“ finden<br />

wir in Liszts „h-Moll-Sonate“ ebenso. Auch der<br />

Kohlenstoff, dank seiner Bindungsfähigkeit gerne<br />

der „Partylöwe“ unter den Elementen genannt, ist<br />

bei Liszt voll da: im wenig später einsetzenden, so<br />

genannten „Hammermotiv“, das mit seiner unverschämt<br />

trickreich eingebauten – von fast keinem<br />

Pianisten gewürdigten – Polyphonie Satan herbeiruft<br />

und Verführung und Sünde wie Sekt perlen<br />

lässt. Das ist der Augenblick, in dem Dorian Gray<br />

erstm<strong>als</strong> vor seinem in Schönheit erstrahlenden<br />

Porträt steht und ruft: „Warum soll es behalten, was<br />

ich verlieren muss? Oh, wenn es nur umgekehrt wäre!<br />

Wenn das Bild sich verändern könnte, und ich immer<br />

sein könnte, was ich bin!“ Ein Wunsch, der in Erfüllung<br />

geht. Was folgt, sind Rausch, Ekstase, Illusion.<br />

Der Wucht des Hammermotivs schleudert<br />

Liszt fatale Klang-Kaskaden hinterher. Stürme von<br />

Oktaven-Läufen brechen herein. Es brodelt und<br />

kocht. Es tobt und spuckt. Im Hohlspiegel des eigenen<br />

Innenraums wird die Wirklichkeit zur bösen<br />

Fratze. Wie Feuer brennt das Ich. Lavaströme wälzen<br />

sich durch die Täler. Es ist ein wahrhaft apokalyptisches<br />

Szenario, das Liszt in den „Allegro energico“-Passagen<br />

sowie im „più mosso“, „stretta<br />

quasi presto“ und im „presto-prestissimo“ entwirft,<br />

eine ungeheure Beschleunigung: die Bühne, auf<br />

der Mephistopheles es schafft, das Subjekt komplett<br />

abzuziehen. Unaufhörlich teilen sich die<br />

Zellen. Die Kohlenstoff-Ketten erzeugen Leben ohne<br />

Unterlass. Doch Zucker ist bekanntlich ein süßes<br />

Gift: Es erzeugt leere Kalorien. Der Körper verwandelt<br />

es in Glukose, den Brennstoff des Lebens.<br />

Zu viele Kohlenhydrate aber erzeugen Tumore.<br />

Der Blutzuckerspiegel tanzt. So, wie die Zellen<br />

unkontrolliert wuchern, so lässt auch Liszt sein<br />

musikalisches Material metastasieren: im zweiten<br />

großen Teil der Sonate, der mit einem Fugato beginnt<br />

und die Motivik durcheinanderwirbelt, <strong>als</strong><br />

würde sie durch eine Waschtrommel oder Zentrifuge<br />

gejagt. Am Schluss ist Dorian Gray tot. Die<br />

Wirklichkeit hat sein verlogenes Abbild eingeholt.<br />

Als die Diener in sein Versteck eintreten, sehen sie<br />

ein „herrliches Porträt ihres Herrn an der Wand hängen,<br />

wie sie ihn zuletzt gesehen hatten, in all der<br />

Pracht seiner köstlichen Jugend und Schönheit“. Auf<br />

dem Boden aber liegt ein toter Mann im Smoking,<br />

„mit einem Messer im Herzen. Er war welk, runzlig und<br />

ekelhaft von Angesicht“. Genauso „tötet“ Liszt seinen<br />

Helden, der seiner Illusion beraubt und wieder<br />

der Wirklichkeit zugeführt worden ist. Im<br />

abschließenden „Lento assai“ mit seinem wie ein<br />

erloschener Krater rauchenden „Hammermotiv“<br />

vernichtet er ihn.<br />

Was folgt, ist die gespenstische Leere des G-Intervalls<br />

und der düster absteigenden Tonleitern.<br />

Jetzt sind die schweren Atome zerfallen – und die<br />

illusionären Landschaften kontaminiert. Die musikalische<br />

Bühne ist leer.<br />

30 5. 11


PLZ-Gebiet 0<br />

<strong>Piano</strong>galerie Dresden<br />

Collenbuschstr. 32<br />

01324 Dresden<br />

<strong>Piano</strong> Gäbler<br />

Comeniusstr. 99<br />

01309 Dresden<br />

Klavierhaus Zöschen<br />

Leipziger Str. 23<br />

06237 Leuna OT<br />

Zöschen<br />

<strong>Piano</strong> Centrum<br />

Leipzig<br />

Löhrstr. 2<br />

04105 Leipzig<br />

PLZ-Gebiet 1<br />

<strong>Piano</strong>-Haus Möller<br />

Goethestr. 22<br />

18055 Rostock<br />

<strong>Piano</strong>-Haus Kunze<br />

Lübstorfer Straße 11<br />

19069 Alt Meteln<br />

<strong>Piano</strong> Centrum<br />

Rostock<br />

Lange Str. 13<br />

18055 Rostock<br />

PLZ-Gebiet 2<br />

<strong>Piano</strong>haus Trübger<br />

Schanzenstr. 117<br />

20357 Hamburg<br />

Klavierhaus Helmich<br />

Eitzer Str. 32<br />

27283 Verden<br />

<strong>Piano</strong>haus Zechlin<br />

Große Str. 6 A<br />

22926 Ahrensburg<br />

Clavis Musikhaus<br />

Vegesacker<br />

Heerstr. 115<br />

28757 Bremen<br />

Ahrensburger<br />

Klaviergalerie<br />

Königstr. 3<br />

22926 Ahrensburg<br />

PLZ-Gebiet 3<br />

Klavierhaus Döll<br />

Schmiedestraße 8<br />

30159 Hannover<br />

Schimmel<br />

Auswahlcentrum<br />

Friedrich-Seele-Str. 20<br />

38122 Braunschweig<br />

PLZ-Gebiet 4<br />

Gottschling -<br />

Haus der Klaviere<br />

Graskamp 17<br />

48249 Dülmen-<br />

Hiddingsel<br />

Klavierhaus<br />

de Graaff<br />

Broicherdorfstr. 81<br />

41564 Kaarst<br />

H H<br />

ÄNDLER Bei diesen Fachhändlern und an über 600 Bahnhofsbuchhandlungen und ausgesuchten Kiosken finden Sie PIANO<strong>News</strong>.<br />

<strong>Piano</strong>haus Micke<br />

Wolbeckerstr. 62<br />

48155 Münster<br />

Klavierhaus Schröder<br />

Immermannstr. 11<br />

40210 Düsseldorf<br />

<strong>Piano</strong>haus<br />

van Bremen<br />

Hansastraße 7-11<br />

44137 Dortmund<br />

<strong>Piano</strong> Faust<br />

Reichsstr. 1<br />

42275 Wuppertal<br />

PLZ-Gebiet 5<br />

<strong>Piano</strong>haus<br />

Musik Alexander<br />

Binger Str. 18<br />

55122 Mainz<br />

Musikhaus Tonger<br />

Breite Straße 2-4<br />

50667 Köln<br />

Klaviermomente<br />

Wilhelmstr. 43<br />

58332 Schwelm<br />

Klavier & Flügel<br />

Galerie Maiwald<br />

Herbert-Wehner-Str. 1<br />

59174 Kamen<br />

<strong>Piano</strong> Rumler<br />

Königswinterer<br />

Str. 111-113<br />

53227 Bonn-Beuel<br />

<strong>Piano</strong> Flöck<br />

Kesselheimer Str. 20<br />

56220 St. Sebastian<br />

<strong>Piano</strong>haus Micke<br />

Wiesenstr. 12<br />

59269 Beckum<br />

PLZ-Gebiet 6<br />

<strong>Piano</strong>, <strong>Piano</strong><br />

Geisberg 17a<br />

66132 Saarbrücken<br />

Musikhaus Hochstein<br />

Bergheimer Str. 9-11<br />

69115 Heidelberg<br />

Musikalien Petroll<br />

Marktplatz 5<br />

65183 Wiesbaden<br />

<strong>Piano</strong> Mertens<br />

Ladenburger Str. 10<br />

69198 Schriesheim<br />

PLZ-Gebiet 7<br />

<strong>Piano</strong> Hölzle<br />

Mahdent<strong>als</strong>tr. 26<br />

71065 Sindelfingen<br />

Pufke<br />

Klaviere und Flügel<br />

Hornbergstr. 94<br />

70188 Stuttgart<br />

Hermann Klaviere &<br />

Flügel<br />

Hindenburgstr. 28<br />

71696 Möglingen<br />

<strong>Piano</strong>haus Lepthien<br />

Hildastraße 5<br />

79102 Freiburg<br />

Klavierhaus Hermann<br />

Marktplatz 19<br />

78647 Trossingen<br />

<strong>Piano</strong> Fischer<br />

Theodor-Heuss-Str. 8<br />

70174 Stuttgart<br />

Klavierhaus Labianca<br />

Zähringerstr. 2<br />

77652 Offenburg<br />

Klavier Striegel<br />

Hirschstr. 8<br />

73432 Aalen-Elnat<br />

PLZ-Gebiet 8<br />

pianofactum<br />

Musikhaus<br />

Schmidgasse 23<br />

87600 Kaufbeuren<br />

<strong>Piano</strong> Fischer<br />

Thierschstr. 11<br />

80538 München-Lehel<br />

Bauer & Hieber<br />

Landschaftstraße<br />

80331 München<br />

PLZ-Gebiet 9<br />

Feuchtinger &<br />

Gleichauf<br />

Niedermünstergasse<br />

2<br />

93047 Regensburg<br />

<strong>Piano</strong> Niedermeyer<br />

St. Georgen 42<br />

95448 Bayreuth<br />

Steingraeber & Söhne<br />

Friedrichstraße 2<br />

95444 Bayreuth<br />

Musica<br />

Records & Books<br />

Neustädter<br />

Kirchenplatz 2<br />

91054 Erlangen<br />

Österreich<br />

Gustav Ignaz Stingl<br />

Wiedner Hauptstr. 18<br />

1040 Wien<br />

Klavierhaus<br />

Schimpelsberger<br />

Hans-Sachs-Str. 120<br />

4600 Wels<br />

Klavierfabrik<br />

J. Nemetschke KG<br />

Reinlgasse 10<br />

1140 Wien<br />

Wendl & Lung<br />

Kaiserstr. 10<br />

1070 Wien<br />

Schweiz<br />

modern music<br />

T<strong>als</strong>trasse 2<br />

3053 Münchenbuchsee


Foto: Hans-Dieter Göhre<br />

I<br />

I NTERVIEW<br />

Bewegende Musik aus Japan<br />

Von: Carsten Dürer<br />

Gerhard Oppitz ist ein nachdenklicher Pianist, einer, der sich Zeit lässt mit Ideen, die reifen<br />

müssen. Natürlich gilt er <strong>als</strong> einer der Brahms-Spieler par excellence. Doch auch seine monumentalen<br />

Gesamteinspielungen von Beethovens Klavierkonzerten und Sonaten sowie seine<br />

soeben abgeschlossene Aufnahme mit den Schubert-Sonaten weisen ihn <strong>als</strong> Meister der klassisch-romantischen<br />

Periode aus. Doch es wäre vollkommen f<strong>als</strong>ch, Oppitz auf dieses Repertoire<br />

zu beschränken, denn er hat ein immenses Spektrum an Wissen um das gesamte Klavierrepertoire.<br />

Zudem spielt er Werke wie das Schönberg-Klavierkonzert oder das 2. Klavierkonzert<br />

von Guiseppe Martucci, die er in den Tagen unseres Treffens zur Aufführung bringt.<br />

Doch nun hat sich Oppitz einem vollkommen anderen Repertoire gewidmet: japanischer Klaviermusik.<br />

Im März dieses Jahres ging er wieder in den von ihm seit 20 Jahren <strong>als</strong> Aufnahmeort<br />

bevorzugten Reitstadel in Neumarkt, um vier japanischen Komponisten auch hierzulande<br />

stärker Gewicht zu verleihen: Toru Takemitsu (1930–1996), Shin-Ichiro Ikebe (* 1943), Keiko<br />

Fujiie (* 1963) und Saburo Moroi (1903–1977).<br />

PIANO<strong>News</strong>: Wie kam es zu der Idee, Werke von japanischen<br />

Komponisten aufzunehmen?<br />

Gerhard Oppitz: Nun, diese Idee ist mir schon<br />

lange im Kopf herumgegangen. Ich habe aus der<br />

GERHARD<br />

OPPITZ<br />

... über seine neueste<br />

Einspielung mit<br />

japanischen<br />

Kompositionen<br />

großen Fülle von japanischen Werken dann eine<br />

kleine Auswahl getroffen. Ich kenne auch sehr<br />

viele Komponisten aus Japan …<br />

PIANO<strong>News</strong>: … Sie haben ja sehr früh begonnen,<br />

32 5 . 11


5 . 11<br />

sich mit Japan und seiner Kultur zu beschäftigen …<br />

Gerhard Oppitz: Ja, ich bin 1973 mit meiner späteren<br />

Ehefrau zusammengetroffen und bin seither<br />

unter dem Einfluss der japanischen Kultur, der japanischen<br />

Sprache und der japanischen Lebensart.<br />

Natürlich auch durch viele Reisen nach Japan,<br />

auch zu Freunden, Verwandten und Bekannten.<br />

Ich habe auch viele Studenten aus Japan gehabt<br />

und war immer neugierig darauf, so viel wie möglich<br />

in mich aufzunehmen, was mit Japan zu tun<br />

hat. Auch die Sprache und die Schrift habe ich daher<br />

gelernt. Ich glaube, dass ich durch all dies einen<br />

fundierten Eindruck von den Besonderheiten<br />

der japanischen Kultur habe, dass ich mir zutrauen<br />

kann, die Musik der japanischen Komponisten<br />

ein wenig bekannter zu machen. Ich habe auch<br />

das Gefühl, etwas geben zu können, damit die Musik<br />

der japanischen Komponisten auch in anderen<br />

Ländern zur Diskussion gestellt wird.<br />

Japanische Pianisten spielen schon immer wieder<br />

mal das ein oder andere Werk, aber außerhalb<br />

von Japan kennen und spielen nur wenige nicht<br />

japanische Pianisten dieses Repertoire. Allein Peter<br />

Serkin hat sich stark für die Werke von Toru Takemitsu<br />

eingesetzt, da er ihn auch sehr gut kannte.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Ausgerechnet das von Ihnen ausgewählte<br />

„Rain Tree Sketch“ von Takemitsu ist ja eines<br />

der bekannteren Werke von ihm, das auch immer wieder<br />

von Klavierstudenten gespielt wird – zumindest<br />

kann man dies in internationalen Klavierwettbewerben<br />

feststellen.<br />

Gerhard Oppitz: Das ist sicher das weltweit berühmteste<br />

Klavierstück aus japanischer Feder. Ich<br />

finde, es ist ein zauberhaftes Stück. Nicht viele Noten,<br />

aber sehr viel Musik, viel Poesie und Fragezeichen,<br />

die stehen bleiben. Mit diesem Stück wird<br />

auch Takemitsus Verbundenheit mit der Musik<br />

von Olivier Messiaen dokumentiert.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Takemitsu wie Ikebe haben ja auch für<br />

viele bekannte Filme Musik geschrieben. Das hat zumindest<br />

Takemitsu geholfen seinen Namen bekannter<br />

zu machen, oder?<br />

Gerhard Oppitz: Ja, wobei diese beiden Komponisten<br />

– und auch Vorgänger von ihnen, die für<br />

Hollywood-Filme Musik komponiert haben – ihre<br />

Filmmusik nicht immer <strong>als</strong> wahre Essenz und den<br />

wahren Fokus ihres Schaffens betrachtet haben.<br />

Aber natürlich war es für sie immer eine gute Gelegenheit,<br />

die ökonomische Basis dafür zu schaffen,<br />

dass sie ihre sehr „ernsthaften Ideen“ umsetzen<br />

konnten.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Die Komponisten, die Sie nun eingespielt<br />

haben, sind in Japan sehr bekannt?<br />

Gerhard Oppitz: Das trifft zumindest auf Takemitsu<br />

und Ikebe zu. Die anderen beiden sind nicht so<br />

bekannt. Die fabelhafte Musikerin Keiko Fujiie hat<br />

schon vielerlei Anerkennung erfahren, aber hat<br />

natürlich noch keinen Kultstatus unter den Komponisten<br />

wie ihre älteren Kollegen. Ich habe sie<br />

vor zwei Jahren kennen gelernt und einige ihrer<br />

I NTERVIEW<br />

Partituren gesehen – unter anderem ein fabelhaftes<br />

Klavierkonzert, das ich vielleicht auch einmal<br />

aufnehmen möchte. Die Suite, die ich ausgewählt<br />

habe, die 12-sätzige Suite „On the Water’s Edge“<br />

sind Stücke, die mit Gewässern und dem Verweilen<br />

an Gewässern zu tun haben. Wobei das poetische<br />

Aufhänger sind, aber keine Vorlagen, die postkartenmäßig<br />

ausgemalt werden. Es sind sehr viele<br />

Traumbilder in ihnen, die in der Luft zu schweben<br />

scheinen. Es ist eine sehr sensitive, poetische und<br />

delikate Musik, die mich sehr angesprochen hat.<br />

Ich glaube, dass sie sicherlich noch bekannter und<br />

noch mehr Anerkennung finden wird.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Das, was Sie da über die Musik von<br />

Fujiie sagen, könnte man das – wenn man es verallgeminernd<br />

ausdrücken will – über die jüngere japanische<br />

Kompositionsweise sagen: dass die Komponisten stärker<br />

deskriptiv und mit einem immensen Hang zu einem<br />

Harmonieverständnis schrieben? Zumindest in einer<br />

Zeit, in der wir in Zentraleuropa besonders Werke von<br />

eher experimenteller Art erfahren konnten?<br />

Gerhard Oppitz: Es gibt Beispiele von allem, auch<br />

in der japanischen Musik. Aber es gibt auch dieselben<br />

interessanten Phänomene, dass Komponisten<br />

– ähnlich wie beispielsweise Penderecki in den<br />

letzten Jahren – im Alter weg von der Webern-<br />

Stockhausen-Nachfolge in Bezug auf die Klanglichkeit<br />

zurück zu einem harmonischeren Ausdruck<br />

I<br />

33


I<br />

I NTERVIEW<br />

kommen. Aber ich kenne auch eine Menge Werke<br />

von japanischen Komponisten, die sehr stark in<br />

die Richtung Stockhausens und Berios gegangen<br />

sind, vor allem in den 60er und 70er Jahren. Auch<br />

Ikebe und Takemitsu. Sie haben dann aber auch<br />

einen Altersstil entwickelt, der wesentlich angenehmere<br />

Töne anschlägt.<br />

Was deutlich wird, ist, dass die japanischen Komponisten<br />

viel offener sind für Anregungen außermusikalischer<br />

Art; Anregungen aus der Natur,<br />

Anregungen aus der Literatur, vor allem der Poesie.<br />

Zum Beispiel hat Ikebe ja das Stück, das ich<br />

eingespielt habe, auf ein Gedicht von Paul Eluard<br />

geschrieben und es daher nach der Gedichtzeile<br />

„La terre est bleue comme une orange“ benannt.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Das ist überhaupt bemerkenswert, dass<br />

es bei fast allen diesen Komponisten auch eine Brücke<br />

nach Europa gibt. Saburo Moroi hat ab 1932 bei Willy<br />

Bardas in Berlin studiert, Ikebe wählt ein Gedicht eines<br />

Franzosen …<br />

Gerhard Oppitz: Ja, viele der japanischen Komponisten<br />

und Musiker haben natürlich in Europa studiert.<br />

Eine japanische Komponiertradition ohne<br />

den Einfluss der europäischen Musikszene wäre ja<br />

kaum vorstellbar gewesen. Wenn Japan weiterhin<br />

so isoliert geblieben wäre, wie es bis vor zirka 150<br />

Jahren war, dann wäre sicherlich etwas ganz anderes<br />

<strong>als</strong> Musikszene entstanden.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Das zentrale Werk der CD ist aber die<br />

2. Klaviersonate von Saburo Moroi mit fast einen halben<br />

Stunde Dauer …<br />

Gerhard Oppitz: Bei dieser Sonate, die ich sehr<br />

bewundere, höre ich ganz eindeutig Paul Hinde-<br />

mith <strong>als</strong> großen Schatten und Einfluss seiner Musik<br />

durch seine zeitgleiche Anwesenheit in Berlin.<br />

Aber auch Elemente aus der Vorstellungswelt von<br />

Busoni. Es gab ja seinerzeit in Berlin noch eine<br />

ganze Reihe von Schülern Busonis. Ich glaube, vor<br />

diesem Hintergrund wurde Moroi sehr stark angeregt.<br />

Etwas auszudrücken, was ihm am Herzen<br />

lag, und in einer Sprache, die er aufgesogen hatte<br />

im Umgang mit anderen Künstlern. Und es ist eine<br />

Musik, die sehr bewusst strukturiert ist, geradezu<br />

mit klassischer Formstrenge auftritt. Diese Sonate<br />

hat in ihrer Ausdehnung schon einmal Dimensionen<br />

wie die h-Moll-Sonate von Liszt. Eigenwilligerweise<br />

beginnt die Sonate mit einem G-Dur-Akkord<br />

und endet mit einem H-Dur-Akkord wie bei Liszt,<br />

Foto: Hans-Dieter Göhre<br />

nur dass es bei Liszt im dreifachen <strong>Piano</strong> endet<br />

und bei Moroi im dreifachen Forte. Dadurch dass<br />

er die gesamte Komposition aus ganz wenigen Motiven<br />

entwickelt und auch immer wieder zurückgreift<br />

auf Elemente der vorangegangenen Sätze,<br />

zeigt sich ein geschlossenes Werk, ein zyklisch<br />

strukturiertes. Ich habe auch schon in Japan mit<br />

Journalisten gesprochen, dass ich der Meinung<br />

bin, dass dieses Werk jeder japanische Student einmal<br />

gespielt haben sollte. Aber faktisch ist es so,<br />

dass dieses Werk kaum jemand kennt und es offenbar<br />

auch noch keine Plattenaufnahme davon<br />

gibt. Auch das Notenmaterial ist nicht leicht<br />

erhältlich, auch ich habe nur eine Kopie erhalten.<br />

Zudem ist es ja ein Werk, das 1940 geschrieben<br />

wurde, in einer Zeit <strong>als</strong>o, <strong>als</strong> der Krieg in Europa<br />

schon begonnen hatte, und kurz bevor Japan in<br />

den Krieg einbezogen wurde. Und ich höre in diesem<br />

Werk – ähnlich wie bei Prokofiew-Sonaten,<br />

die aus den Kriegsjahren stammen – ein Abbild<br />

und einen Widerhall des Weltgeschehens und der<br />

34 5 . 11


Unsicherheit, der Sorge um die Zukunft.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Auch eine gewisse Wut über diese<br />

Situation wie bei Prokofiew …<br />

Gerhard Oppitz: Ja, natürlich. Der wichtigste<br />

Aussagepunkt in dieser Sonate ist für mich der<br />

dritte Satz. Es ist eine ganz weit ausgesponnene<br />

Elegie, sehr düster eingefärbt, mit wenigen tröstenden<br />

Momenten. Es ist eine Musik, die mich<br />

innerlich sehr bewegt. Und es würde mich natürlich<br />

freuen, wenn durch meine Aufnahme diese<br />

Musik ein wenig aus der Vergessenheit herausgeholt<br />

würde und sich ein paar junge Pianisten in<br />

Japan und auch außerhalb von Japan ihr zuwenden<br />

würden.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Es scheint ja auch, dass er ein guter<br />

Pianist war, oder?<br />

Gerhard Oppitz: Es scheint so, denn wie er dieses<br />

Werk schreibt, wusste er genau, was man auf dem<br />

Klavier machen kann.<br />

Was ich herausgefunden habe, ist, dass der Einfluss<br />

und die Bedeutung der Komponisten in Japan,<br />

die unter dem Einfluss der deutschen und österreichischen<br />

Musik standen, zurückgegangen ist,<br />

– zumindest in den vergangenen 30 bis 40 Jahren.<br />

Es haben mehr die Komponisten Aufwind gehabt,<br />

die sich an der französischen Musik orientiert haben,<br />

die mit Messiaen oder Dutilleux studiert ha-<br />

I NTERVIEW<br />

ben. Aber Komponisten wie Moroi, bei denen man<br />

noch Prinzipien von Bruckner und auch noch Beethoven<br />

erkennen kann, wenn es um die Struktur<br />

der Musik geht, sind weniger anerkannt heutzutage.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Aber wenn die Musik von Moroi so<br />

schwer zu erhalten ist, dann wird es schwierig sein, eine<br />

Bresche für ihn zu schlagen, oder?<br />

Gerhard Oppitz: Ich denke, dass ich es schaffen<br />

kann, dass der ehemalige Verlag oder ein neuer<br />

Verlag das Werk wieder verlegt.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Vielen Dank für diese Erklärungen,<br />

Herr Oppitz.<br />

Toru Takemitsu (1930–1996)<br />

Rain Tree Sketch<br />

Shin-Ichiro Ikebe (* 1943)<br />

„La terre est bleue comme une orange“<br />

(1989)<br />

Keiko Fujiie (* 1963)<br />

On the Water’s Edge<br />

Saburo Moroi (1903–1977)<br />

Klaviersonate Nr. 2 (1940)<br />

Gerhard Oppitz, Klavier<br />

Hänssler Classics 93.631<br />

(Vertrieb: Naxos)<br />

I


A<br />

A NSICHTEN<br />

Das Klavier im<br />

SPIELFILM<br />

Dooley Wilson und<br />

Humphrey Bogart in<br />

Casablanca.<br />

Foto: Warner Home Video<br />

„Klavierspiel ist eine Bewegung der Finger,<br />

Klavierdarbietung ist eine Bewegung der Seele.“<br />

Anton Rubinstein<br />

Von: Anna Fortunova<br />

Wenn Sie das Plakat zum Film The <strong>Piano</strong> (Das <strong>Piano</strong>,<br />

1993) gesehen haben (s. rechts), werden Sie es aufgrund<br />

seiner Originalität wahrscheinlich nicht mehr<br />

vergessen. Im Zentrum des Bildes sind ein Flügel und<br />

ein Klavierhocker zu sehen. Jedoch machen nicht die<br />

Frau, die neben dem Flügel steht, und auch nicht das<br />

Mädchen, das auf dem Instrument sitzt, einen ungewöhnlichen<br />

Eindruck. Es ist das Gesamtbild, in dem die<br />

Szene stattfindet, das im Gedächtnis bleibt: Das Klavier<br />

steht am Meeresstrand und im Hintergrund ist ein<br />

Gebirge zu sehen. Auch ohne Kenntnis des Films ist offensichtlich,<br />

dass der Flügel nicht nur optisch im Zentrum<br />

dieses Plakates steht, sondern auch in der Handlung<br />

eine wichtige Rolle spielt. Dieser Film von der australischen<br />

Regisseurin Jane Campion mit dem populären<br />

Klavierthema von Michael Nyman gewann im<br />

Jahr 1994 drei Oscars. Er ist einer der bekanntesten<br />

Spielfilme, in denen das Klavier bzw. der Flügel nicht<br />

nur für das Interieur bedeutsam ist, sondern auch eine<br />

künstlerische Idee des Autors offenbart. Das <strong>Piano</strong> ist<br />

einer der bekanntesten Filme, aber längst nicht der einzige.<br />

Dieser Artikel versucht keine „Anthologie des Klaviers im Film“ darzustellen, weshalb einige<br />

bedeutende Werke in diesem Essay nicht erwähnt werden. Vielmehr geht es hier darum,<br />

unterschiedliche Facetten dieses spannenden Themas zu beleuchten.<br />

36 5 . 11


5 . 11<br />

Klaviermusik <strong>als</strong> Symbol<br />

Einer der ersten Filme, in dem das Klavier ein<br />

wichtiges Element der Dramaturgie darstellt, ist<br />

der US-amerikanische Film Dishonored (Entehrt,<br />

1931) von Josef von Sternberg. Die Hauptrolle<br />

spielte die dam<strong>als</strong> dreißigjährige Marlene Dietrich,<br />

die der österreichisch-US-amerikanische Regisseur<br />

ein Jahr zuvor in dem bekannten Film Der<br />

blaue Engel entdeckt hatte, in dem sie wahrscheinlich<br />

eins der berühmtesten Lieder der Filmepoche,<br />

Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, sang.<br />

Dishonored zeigt die Geschichte einer attraktiven<br />

österreichischen Agentin der Spionageabwehr,<br />

Marie Kolverer, die im Jahr 1915 in Wien gegen<br />

den russischen Geheimdienst arbeitet. Als eine ihrer<br />

ersten Aufgaben im Film sieht man die erfolgreiche<br />

Entlarvung des russischen Spions, General<br />

Colonel Kovrins (Lew Cody), der in der Tat der Leiter<br />

des österreichischen Geheimdienstes ist und ihre<br />

Treue prüfen will. Als der „russische General“<br />

ins Zimmer von Marie tritt, spielt er dilettantisch<br />

auf ihrem Klavier die russische Romanze Die Nacht<br />

ist hell, die in seiner Interpretation sehr sentimental,<br />

aber auch etwas mechanisch klingt.<br />

- Soll ich eine andere Münze reinwerfen? – fragt ironisch<br />

Marlene Dietrich alias Marie Kolverer, <strong>als</strong><br />

Kovrin zu spielen aufhört.<br />

- Klinge ich wie ein <strong>Piano</strong>la? – erwidert er.<br />

- Fast, – folgt die Antwort.<br />

Nachdem Marie ihn in die Hände der Polizei<br />

übergibt, wird ihr Instrument<strong>als</strong>piel um vieles virtuoser<br />

und emotionaler, was dieser Situation einen<br />

dramatischen und auch spöttischen Charakter<br />

verleiht.<br />

Wenn in Dishonored das Lied Die Nacht ist hell<br />

zum Symbol eines Landes wird, so erklingt in dem<br />

berühmten, dreifach mit dem Oscar (auch <strong>als</strong><br />

„bester Film“) ausgezeichneten US-amerikanischen<br />

Kriegsmelodrama Casablanca (1942, Regisseur<br />

Michael Curtiz) das Lied As Time Goes by, auf<br />

dem Klavier gespielt, <strong>als</strong> Symbol der Liebe zwischen<br />

Ilsa Lund Laszlo (Ingrid Bergman) und Richard<br />

„Rick“ Blaine (Humphrey Bogart). Das Hören<br />

dieses Liedes, das in Rick seine Liebe zu Ilsa<br />

weckt, wird zu einem der<br />

Schlüsselmomente des Filmes,<br />

denn mit der Hilfe<br />

dieses Liedes wandelt sich<br />

Rick von Grund auf. Die<br />

Zuschauer sehen nicht<br />

mehr einen scheinbar<br />

gleichgültigen Zyniker,<br />

der sich von allem distanziert,<br />

sondern einen mutigen<br />

Mann, der furchtlos,<br />

kühn und edel handelt,<br />

sein Leben riskiert und<br />

letztlich auf seine Liebe<br />

verzichtet, damit er andere<br />

Menschen rettet und ihnen<br />

beim Erreichen ihrer<br />

hohen Zielen hilft.<br />

A NSICHTEN<br />

Geoffrey Rush in Shine.<br />

Foto: Miramax 2003<br />

Pianistinnen und Pianisten im Fokus<br />

36 Jahre vergingen und Ingrid Bergman, die auf<br />

der ganzen Welt berühmt wurde, spielte im Drama<br />

Höstsonaten (Herbstsonate, 1978, Regie: Ingmar<br />

Bergman) eine bekannte und auf ihre Karriere<br />

konzentrierte Pianistin Charlotte Andergast, die<br />

ihre etwa 40-jährige Tochter Eva (Liv Ullmann)<br />

und deren Mann Viktor (Halvar Björk) zum ersten<br />

Mal in sieben Jahren im Norden Norwegens besucht.<br />

Herbstsonate handelt von einem Mutter-<br />

Tochter-Konflikt; viele andere von Bergmans zentralen<br />

Themen – wie zwischenmenschliche Beziehungen,<br />

Kindheit, Tod, Glaube an Gott und Zweifel<br />

an seiner Existenz, die Suche nach dem Sinn<br />

des Lebens – sind in diesem Werk zu finden. Die<br />

Klaviermusik in Herbstsonate ist eine der Grundlagen<br />

und der Schlüssel zur Dramaturgie des Films.<br />

Der Konflikt zwischen Charlotte und Eva wird ab<br />

etwa der 27sten Minute im Film deutlich: Er wird<br />

durch Evas Spiel des a-Moll-Préludes von Chopin<br />

(op. 28 Nr. 2) ausgelöst. Der Klang dieses Préludes<br />

– eines der tragischsten in Chopins Œuvre –, das<br />

Erstarrung, Zerrissenheit und Hoffnungslosigkeit<br />

ausstrahlt, schafft in dieser Szene eine düstere Atmosphäre.<br />

Charlotte mag Evas Spiel nicht und sie<br />

versucht das zu verbergen, aber von Eva (sowie<br />

den Zuschauern des Filmes) bleibt das nicht unbemerkt.<br />

Sie bittet, zwingt beinahe ihre Mutter, ihre<br />

eigene Interpretation des Préludes zu spielen.<br />

Charlotte erklärt: „Chopin war stolz, sarkastisch, hitzig,<br />

gequält rasend und sehr männlich. Er war kein<br />

sentimentales altes Weib.“ Der Antagonismus zwischen<br />

Mutter und Tochter vertieft und verschärft<br />

sich im Laufe des ganzen Dramas, auf eine Versöhnung<br />

wartet man vergeblich. Am Ende des<br />

Films bittet Eva zwar Charlotte in einem Brief um<br />

Verzeihung, aber ob sie ihr gewährt wird und ob<br />

sie sich selbst verzeihen kann, werden wir nicht<br />

erfahren: Ingmar Bergman gibt in seinen Filmen<br />

so gut wie nie eine endgültige Antwort.<br />

In Shine (Shine – der Weg ins Licht, 1996, Regie:<br />

Scott Hicks) findet der Protagonist, der australische<br />

Pianist David Helfgott (geb. 1947), einen<br />

Weg von Zweifel und Leiden zu Freude, Erfolg und<br />

A<br />

37


A<br />

Howard Ellsworth Rollins Jr. in Ragtime.<br />

Foto: Concorde Filmverleih<br />

A NSICHTEN<br />

Glück. Es wird eine sehr persönliche und<br />

bewegende, manchmal tief rührende,<br />

aber auch mutige und auf keinen Fall<br />

sentimentale – und auf realen Fakten<br />

basierende – Geschichte erzählt. Geoffrey<br />

Rush gewann im Jahr 1997 für die<br />

Rolle David Helfgotts den Oscar <strong>als</strong> Bester<br />

Darsteller. Shine wurde noch für<br />

sechs Oscars nominiert (u. a. auch der<br />

deutsche Schauspieler Armin Müller-<br />

Stahl <strong>als</strong> bester Nebendarsteller). In diesem<br />

Film hat ein musikalisches Meisterwerk<br />

– das 3. Klavierkonzert von Sergei<br />

Rachmaninow – eine außerordentliche<br />

Bedeutung. Dies ist das Lieblingsstück<br />

Peter Elias Helfgotts und das Werk, das<br />

zu einem der größten Triumphe seines Sohns wurde.<br />

Konzentriert sich Scott Hicks in Shine auf die Gestalt<br />

David Helfgotts, so werden im achtfach für<br />

den Oscar nominierten Ragtime (1981, Regie:<br />

Miloš Forman, Musik von Randy Newman) die<br />

Hauptfigur des Jazzpianisten Coalhouse Walker Jr.<br />

(Howard Ellsworth Rollins Jr.) und andere Figuren<br />

dieses Films <strong>als</strong> Symbole der amerikanischen Geschichte<br />

jener Zeit gesehen. Im New York der<br />

1900er Jahre zerbrach die Hoffnung vieler Menschen<br />

auf selbst kleinste Gerechtigkeit jeder Art.<br />

Nach der gleichnamigen und mit dem National<br />

Book Critics Circle Award ausgezeichneten Novelle<br />

von Edgar Lawrence Doctorow (1975) gedreht, in<br />

der reale sowie ausgedachte Personen handeln,<br />

wurde diese spannende Kinotragödie zu einem<br />

sozialkritischen Ereignis der achtziger Jahre. „Den<br />

europäischen Blick auf die amerikanische Gesellschaft<br />

hat Forman sich bewahrt. Seine Filme geben dem<br />

Hollywood-Kino, was diesem oft fehlt: Leben“, so Nicolaus<br />

Schröder in seinem Buch „50 Klassiker: Filmregisseure“.<br />

Das mit vielen bedeutenden Preisen gekrönte<br />

Holocaust-Drama The Pianist (Der Pianist, 2002)<br />

von Roman Polanski (geb. 1933) stellt musikdramaturgisch<br />

ein meisterhaftes Werk dar. Das Schaffen<br />

Frédéric Chopins steht im Zentrum des Films.<br />

Die Wahl dieses Komponisten hat biografischen<br />

Hintergrund: Die Hauptfigur Wladyslaw Szpilman<br />

(1911–2000), nach dessen Autobiographie der<br />

Film gedreht wurde, hat <strong>als</strong> polnischer Pianist sehr<br />

viele Werke von Frédéric Chopin gespielt und auch<br />

Adrien Brody in The Pianist.<br />

Foto: Tobis Filmverleih<br />

aufgenommen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat<br />

kein anderer Komponist sein Genie in solchem<br />

Grad dem Klavier gewidmet. Chopins Werke beinhalten<br />

oft (trotz ihrer tiefen edlen Tragik) eine<br />

Synthese von Mut, Kraft, Standhaftigkeit und Hoffnung.<br />

Mit dem cis-Moll-Nocturne op. posth., das<br />

Wladyslaw Szpilman (Adrien Brody) im Jahr 1939<br />

beim Polnischen Rundfunk<br />

aufnimmt, aber wegen des<br />

Bombenangriffs nicht bis zu<br />

Ende einspielen kann, fängt<br />

die Geschichte an. In einer<br />

der wichtigsten Episoden des<br />

Filmes erklingt die 1. Ballade<br />

des großen Romantikers. In<br />

dieser Szene bittet der Wehrmachtshauptmann<br />

Wilhelm<br />

(Wilm) Hosenfeld 1 (Thomas<br />

Kretschmann) den Musiker<br />

Klavier zu spielen und rettet<br />

danach sein Leben. Die Bedeutung<br />

dieses Moments<br />

wird auch durch seine Länge<br />

betont: Er dauert über 4 Minuten,<br />

während viele andere<br />

Musizierszenen kaum länger <strong>als</strong> eine Minute<br />

sind. In diesem Film hören wir auch Teile von<br />

Werken zweier für Chopin wichtiger deutscher<br />

Komponisten: Bach (Die Suite Nr. 1 BWV 1007 für<br />

Cello solo) und Beethoven (Sonate op. 27/2). Das<br />

Klavier bzw. der Flügel begleiten den Haupthelden<br />

durch seine Jahre im Warschauer Ghetto. Beispielsweise<br />

in einer der Wohnungen, wo er sich<br />

mit Hilfe seiner Freunde verstecken konnte, steht<br />

auch ein Klavier, das er, um sich nicht zu verraten,<br />

nicht spielen darf. Trotzdem versucht er auf ihm<br />

klanglos, ohne die Tasten zu berühren, zu „musizieren“<br />

– und die Zuschauer hören die „Grande<br />

Polonaise brillante“ (op. 22) Chopins. Auch wenn<br />

es für ihn keine Möglichkeit gibt, ein Klavier ausfindig<br />

zu machen (so wie in einem zerstörten<br />

Krankenhaus), „spielt“ er in der Luft die 2. Ballade<br />

des polnischen Komponisten – auch wir <strong>als</strong> Zuschauer<br />

können es hören.<br />

Am Ende des Filmes, wenn alle Kreise der Hölle<br />

durchlaufen sind, wird dasselbe Nocturne, welches<br />

der Pianist nun nicht abbrechen muss, sechs Jahre<br />

später wieder beim Polnischen Rundfunk eingespielt.<br />

Danach folgt der Epilog: Im freien Warschau<br />

führt Szpilman mit einem Orchester die<br />

Grande Polonaise brillante des polnischen Kompo-<br />

38 5. 11


5 . 11<br />

Ein Standbild aus <strong>Piano</strong> no Mori.<br />

Abbildung: Anime Virtual S. A.<br />

nisten auf – <strong>als</strong> Mahnmal, Symbol und Hymne des<br />

freien und hellen Lebens. „Es ist für mich eine positive<br />

Geschichte, denn allem Horror und Leid zum Trotz<br />

gibt sie am Ende Anlass zu Hoffnung“, sagte Roman<br />

Polanski. Der Regisseur weiß, wovon er spricht: Er<br />

selbst überlebte <strong>als</strong> Kind das Ghetto in Krakau und<br />

die Warschauer Bombennächte.<br />

Der Flügel <strong>als</strong> „Zauberwesen“<br />

In einigen neuen asiatischen Filmen wird der Flügel<br />

fast wie ein Wesen gezeigt, das zauberhafte<br />

Kräfte besitzt. So etwa in Bu neng shuo de mi mi<br />

(Das Geheimnis, engl. The Secret, vom jungen taiwanesischen<br />

Regisseur Jay Chou, 2007), wo der<br />

Flügel <strong>als</strong> ein Instrument der Liebe interpretiert<br />

wird, mit dessen Hilfe die Liebenden Raum und<br />

Zeit überwinden können, und in dem im selben<br />

Jahr erschienenen japanischen Zeichentrickfilm<br />

<strong>Piano</strong> no Mori (Der Wald des Klaviers, engl. The<br />

<strong>Piano</strong> Forest).<br />

Der Regisseur von Der Wald des Klaviers, Kojima<br />

Masayuki, setzt sich mit dem Thema des Kinderklavierspiels<br />

und der Wettbewerbe auseinander,<br />

dramaturgisch wichtig sind vor allem Werke von<br />

Chopin und Mozart. Die Musik spielt Wladimir<br />

Aschkenasi. Dieser Zeichentrickfilm ist nicht nur<br />

für Kinder interessant, sondern auch für Erwachsene<br />

eine aufschlussreiche Parabel. Der Wald des<br />

Klaviers wurde nach dem gleichnamigen Manga<br />

von Makoto Isshiki produziert und zeigt überzeugend,<br />

ohne belehrend zu wirken, dass Liebe,<br />

Freundschaft, gegenseitige Hilfe, Mut, Edelsinn,<br />

Inspiration und Individualität jeder Persönlichkeit<br />

A NSICHTEN<br />

das sind, was im Leben von wahrhaftem<br />

Wert ist.<br />

Wenn sich Filmregisseure in ihren Werken<br />

dem Klavier zuwenden, haben sie<br />

alle ihre eigenen Ideen, die jedes Mal<br />

individuell umgesetzt werden. Doch was<br />

all diese Filme eint, ist, dass die Musik,<br />

das Klavier <strong>als</strong> Musikinstrument und die<br />

hohe Kunst der Klavierdarbietung <strong>als</strong><br />

Träger von ewigen Werten gesehen, geschätzt<br />

und manchmal auch bewundert<br />

werden.<br />

Anmerkung<br />

1 Wilhelm Hosenfeld rettete in Warschau<br />

während des Krieges nicht nur Wladyslaw<br />

Szpilman, sondern auch andere<br />

Menschen verschiedener Nationalitäten.<br />

Er wurde von der Holocaustgedenkstätte<br />

Yad Vashem im Jahr 2008 nach einem<br />

Brief von Szpilman und mehreren Recherchen<br />

posthum zum Gerechten unter<br />

den Völkern ernannt. Szpilman schrieb:<br />

«Kapitan Hosenfeld bewies, dass er eine<br />

heroische Persönlichkeit gegen Faschismus<br />

war, und er verdient es ausgezeichnet<br />

zu werden».<br />

A<br />

39


P<br />

P ORTRÄT<br />

Hans-Peter &<br />

Volker Stenzl<br />

feiern 25-jähriges Bühnenjubiläum<br />

Eigentlich haben sie schon seit Kindertagen immer wieder einmal gemeinsam am Klavier<br />

gesessen: Hans-Peter Stenzl (* 1960) und sein Bruder Volker (* 1964). Auftritte und Erfolge<br />

bei „Jugend musiziert“ zählten ebenso zum Weg wie der Gewinn beim „Brahms-Wettbewerb“<br />

sowie Konzerte – Aktivitäten, die letztendlich im Gewinn des ARD-Wettbewerbs im Jahr 1986<br />

mündeten. Von da an ging es mit der Karriere bergauf, und entsprechend zählt das<br />

Klavierduo Stenzl seine „Dienstzeit“ von diesem Jahr an. Seit 25 Jahren sind die Brüder auf<br />

den Konzertbühnen aktiv. Wir trafen uns mit ihnen, um etwas über die Erfahrungen zu<br />

hören, die ein Klavierduo macht, wenn es so lange aktiv unterwegs ist.<br />

Der ARD-Wettbewerb im Jahr 1986 war nur<br />

der Beginn einer guten Karriere für die<br />

Brüder Stenzl, die aus dem Stuttgarter<br />

Raum stammen, was man ihrem vorhandenen<br />

sympathischen Dialekt durchaus anmerkt. Nach<br />

diesem Wettbewerb war noch ein Preis beim<br />

Murray Dranoff-Wettbewerb gefolgt, sowie die<br />

Auswahl in die „Konzerte junger Künstler“ des<br />

Deutschen Musikrates, die dam<strong>als</strong> noch abgekoppelt<br />

vom „Deutschen Musikwettbewerb“ stattfand.<br />

Doch wir wollten nicht die genaue Biografie, den<br />

genauen Werdegang der beiden Brüder mit ihnen<br />

besprechen, sondern von den Erfahrungen hören,<br />

die sie in ihrer 25 Jahre dauernden Profi-Zeit sammeln<br />

konnten.<br />

Von: Carsten Dürer<br />

Warum – nachdem das Duo ja schon fast 10 Jahre<br />

vor dem ARD-Wettbewerb erstm<strong>als</strong> konzertierte,<br />

wie Volker Stenzl sich erinnert – das Jahr 1986<br />

<strong>als</strong> Beginn und damit das 25-jährige Jubiläum?<br />

„Nun, das war schon ein wichtiger Moment, es war ein<br />

Moment der Entscheidung, dass wir weitermachen.<br />

Wir sind ja dann auch 1988 <strong>als</strong> Duo zum Studium<br />

nach London gegangen. Der Auslöser war einfach dieser<br />

ARD-Wettbewerb“, erinnert sich Volker Stenzl<br />

und der Bruder fügt hinzu: „Es war vor allem auch<br />

eine Bestätigung, dass dieser Weg möglicherweise ein<br />

gangbarer sein würde.“ Dieser Zeitpunkt war <strong>als</strong>o<br />

der professionelle Moment, um sich vollkommen<br />

auf das Duospiel zu konzentrieren? Volker Stenzl:<br />

„Ja, unser ganzes Denken und unsere Arbeit, das Spie-<br />

40 5 . 11


5 . 11<br />

len und Üben, war auf einmal klar.“ Hans-Peter<br />

Stenzl dazu: „Als wir dieser Erfolge hatten und die<br />

Konzerte ins Haus flatterten, blieb uns eigentlich in<br />

diesem Moment auch gar nichts anderes übrig, <strong>als</strong> uns<br />

auf das Duospiel zu konzentrieren. Zumindest für die<br />

kommenden zwei oder drei Jahre.“<br />

Erfahrungen<br />

Viele Erfahrungen macht man natürlich <strong>als</strong> Duo<br />

über 25 professionelle Jahre. Kann man sagen,<br />

was das Schwierigste für ein Klavierduo im Musikbetrieb<br />

ist? Hans-Peter Stenzl antwortet spontan:<br />

„Ich würde sagen, da hat sich in diesen 25 – und<br />

wahrscheinlich in den vergangenen 100 Jahren – überhaupt<br />

nichts geändert. Das Schwierigste ist nach wie<br />

vor, Veranstalter von der Attraktivität der Besetzung<br />

Klavierduo zu überzeugen. Wir hören heute wie vor 20<br />

Jahren: Oh, Klavierduo ist schwierig zu verkaufen, hinzu<br />

kommt auch immer wieder das Argument mit dem<br />

Problem der zwei Flügel. Und dies, obwohl es heute<br />

kein Problem mehr ist, in einer halbwegs größeren<br />

Stadt zwei Flügel aufzutreiben. Zudem sind die Klavierfirmen<br />

und -händler bereit, großzügig zu helfen. Irgendwie<br />

sitzt dies aber in den Köpfen der Veranstalter<br />

und der Agenten fest. Und genau wie vor 25 Jahren<br />

sagen wir, dass wir nie irgendwelche Klagen hinterher<br />

vom Publikum hören.“ Woran liegt das? „Nun, ich<br />

weiß nicht genau, woran das liegt“, erklärt Volker<br />

Stenzl, „aber wenn man zurückblickt, dann kann man<br />

sagen, dass die Brüder Kontarsky im Duo – zumindest<br />

was sie uns erzählt haben – durchaus attraktiv waren.<br />

Vielleicht, da die Leute dam<strong>als</strong> noch durchaus auf das<br />

Besondere eines Duos angesprungen sind. Da gab es<br />

Klavierduo kaum, <strong>als</strong>o war es eine Art Attraktion,<br />

selbst wenn das Duo sehr viel zeitgenössische Musik<br />

gespielt hat. Und selbst die anderen Werke aus der<br />

Klassik und Romantik kannte man ja dam<strong>als</strong>, Mitte<br />

der 50er Jahre nicht.“ Er meint auch, dass das Publikum<br />

einfach ein wenig überfrachtet ist mit Reizen<br />

und daher die Attraktivität, zwei Pianisten auf einer<br />

Bühne zu erleben, abgenommen hat. Hört<br />

man denn auch das Argument, dass dieses Repertoire<br />

vor allem im gutbürgerlichen Haushalt dem<br />

Spiel der höheren Töchter gedient, und daher<br />

nicht so wichtig sei? Volker Stenzl: „Was das Repertoire<br />

für vier Hände auf einem Instrument angeht,<br />

sicherlich.“ „Deshalb spielen wir dieses Repertoire<br />

auch nicht so gerne in größeren Sälen“, erklärt Hans-<br />

Peter Stenzl und fährt fort: „Gerne ein Werk im Rahmen<br />

eines Duoabends an zwei Flügeln, aber ein reiner<br />

vierhändiger Abend gehört aus unserer Sicht tatsächlich<br />

in einen etwas intimeren Rahmen.“ Aber das<br />

Repertoire für vier Hände ist ja nicht leichter oder<br />

etwa minderwertiger <strong>als</strong> das auf zwei Flügeln …<br />

„Ganz im Gegenteil“, meint Volker Stenzl, „das vierhändige<br />

Spiel birgt viele besondere Schwierigkeiten.<br />

Und die Werke von Schubert – und auch von Mozart –<br />

sind natürlich auch im Bereich der vierhändigen Werke<br />

ganz große Musik.“ „Trotzdem“, wirft sein Bruder<br />

ein, „ist es nicht von der Hand zu weisen, dass diese<br />

Gedanken des Höheren-Töchter-Spiels da irgendwie<br />

mitschwingen. Und man muss ja auch sagen, dass<br />

diese Meisterwerke von Schubert, wie das ‚Grand Duo’<br />

oder die f-Moll-Fantasie, natürlich erst einmal für die<br />

höheren Töchter geschrieben wurden. Ob sie diese<br />

Werke dann spielen konnten, steht auf einem anderen<br />

Blatt. Aber seit der Geburtsstunde ist diese Musik auch<br />

P ORTRÄT<br />

mit diesem Gedanken verbunden.“ Ob nun die Adeligen,<br />

für die Mozart und auch Schubert, diese<br />

Werke explizit schrieben, hervorragende Pianistinnen<br />

waren, vermag man auch seitens des Klavierduos<br />

Stenzl nicht wirklich zu sagen.<br />

Kann man denn gegen diese Vorurteile durch<br />

spannende Programmatik etwas tun? „Das versuchen<br />

natürlich die Klavierduos“, erklärt Hans-Peter<br />

Stenzl, „und das tun wir auch. Wenn wir ans Ziel kommen,<br />

dann nur mit solch extra zusammengestellten<br />

Programmen, die in eine übergeordnete Konzeption<br />

der Veranstalter passen. Fairerweise muss man aber<br />

auch sagen, dass – im Vergleich zum Solo-Repertoire –<br />

die Anzahl der qualitativen Spitzenwerke nun wirklich<br />

deutlich geringer ist.“ Das ist natürlich ein schlechter<br />

Vergleich, da das Repertoire für Klavier solo so<br />

riesig ist, dass man es kaum vergleichen kann –<br />

auch nicht mit dem Repertoire für einen solistischen<br />

Geiger beispielsweise. Wie sieht aber solch<br />

ein Programm aus, das man erfolgreich <strong>als</strong> Duo<br />

vorschlägt? „Wir haben zum Teil solche Programme<br />

auch eingespielt. Gut ist immer unsere Trias: Brahms’<br />

‚Haydn-Variationen’, Regers ‚Beethoven-Variationen’<br />

und Liszts ‚Reminiscences de Don Juan’, <strong>als</strong>o die Klassiker<br />

im Spiegel der Romantik. Ein Projekt für 2012 ist<br />

beispielsweise ein Bach-Programm, in dem wir die<br />

unbekannten vierhändigen Variationen über ein Thema<br />

von Bach von Martin Gustav Nottebohm spielen,<br />

einem engen Freund von Brahms, gefolgt von Busonis<br />

‚Improvisation über Bachs Choral ‚Wie wohl ist mir ...’<br />

für zwei Klaviere und dann Piazzollas ‚Fuga in misterio’.<br />

Piazzolla zieht immer, denn manches Mal ist es<br />

auch klug, Komponistennamen ins Spiel zu bringen.<br />

Bei Piazzolla kommt selten die Frage: ‚Was ist das<br />

denn für ein Stück von Piazzolla?’ Da wird bereitwilliger<br />

die Katze im Sack gekauft, <strong>als</strong> wenn wir ein<br />

Schubert-Programm anbieten.“ „Veranstalter legen<br />

wirklich vielfach auf bekannte Komponistennamen<br />

Wert“, fügt Volker Stenzl hinzu. „Die Bereitschaft,<br />

<strong>als</strong> Veranstalter mutig zu sein, ist immer noch recht<br />

gering. Ob es wirklich am Publikum liegt, weiß ich<br />

nicht.“ Es bleibt ein Balanceakt, meint Hans-Peter<br />

Stenzl.<br />

Das Klavierduo Stenzl hat sich nie spezialisiert<br />

auf eine Facette des Duo-Spiels, während andere<br />

doch verstärkt das vierhändige Spiel in den Vordergrund<br />

heben oder aber das Repertoire der Moderne.<br />

Ist das heute ein Weg, um sich besser im<br />

Markt zu behaupten? Volker Stenzl: „Das kann<br />

funktionieren, muss aber nicht. Man muss es von<br />

innen heraus mit sich vereinbaren können. Unser<br />

Schwerpunkt liegt erst einmal im klassisch-romantischen<br />

Bereich. Und von der Basis aus haben wir uns<br />

ausgebreitet – bis hin zu Uraufführungen von neuen<br />

Werken, die wir auch gerne spielen. Aber unsere Philosophie<br />

ist es, von der traditionellen Basis auszugehen<br />

und von dort in die Tiefe der Musik einzudringen. Ob<br />

eine Spezialisierung für jüngere Duos heutzutage von<br />

Anfang an funktionieren kann, vermag ich nicht zu<br />

sagen. Aber eines ist sicher: Um tief und gut zu musizieren,<br />

ist erst einmal die Beschäftigung mit dieser<br />

klassisch-romantischen Musik wichtig, ansonsten bleiben<br />

auch moderne Werke flach.“ Hans-Peter Stenzl<br />

meint: „Heute ist so vieles unkalkulierbar. Wir unterrichten<br />

ja Klavierduo an der Hochschule für Musik<br />

und Theater in Rostock. Und ich würde keinem unserer<br />

Duos raten, sich innerhalb des Duos weiter zu speziali-<br />

P<br />

41


P<br />

P ORTRÄT<br />

sieren. Das war auch unser Argument: Als wir uns entschlossen,<br />

unsere Klavierduo-Laufbahn zu verfolgen<br />

und uns darauf zu spezialisieren, dann wollten wir<br />

innerhalb dieser Spezialisierung auf Klavierduo diese<br />

ganze bandbreite abdecken.“ Volker Stenzl erwähnt<br />

allerdings, dass ein ehemaliges Studentenduo aus<br />

Rostock nach einiger Zeit verspürt hat, dass die<br />

zeitgenössische Musik ihm sehr nahe ist, und sich<br />

darauf spezialisiert hat – und das erfolgreich.<br />

Der Markt für Klavierduos ist nicht mit Interpreten<br />

überfrachtet, aber dennoch kommen immer<br />

mehr auf den Markt – auch durch die Ausbildung,<br />

wie sie die Stenzls in Rostock in der Lage sind<br />

anzubieten. Spürt man das <strong>als</strong> Klavierduo, das<br />

schon lange auf den Podien konzertiert? Vor allem<br />

vor dem Hintergrund, dass in Klavierkonzertreihen<br />

pro Saison meist nur ein Klavierduo vorkommt.<br />

„Natürlich, die Nachfrage ist für Duos geringer“,<br />

beginnt Volker Stenzl zu erklären, „aber der<br />

Markt ist auch nicht übervoll. Trotzdem denke ich,<br />

dass wir in Rostock keine Konkurrenz heranziehen. Für<br />

uns ist die Arbeit mit den jungen Duos, die schon<br />

Ideen mitbringen, schon weit sind, eine tolle Aufgabe.<br />

Aber man ist doch immer noch relativ weit weg von<br />

denen“, bemerkt er lächelnd. Hans-Peter Stenzl<br />

greift ein: „Nun, wir haben natürlich den Vorsprung<br />

an Jahren und wir versuchen natürlich mit den sehr<br />

guten Studenten von uns weiter zu wachsen, so dass<br />

der Abstand immer gleich bleibt“, lacht er auf.<br />

Immerhin kommen aus der Klasse des Stenzl-Duos<br />

beispielsweise die Preisträger des vergangenen<br />

ARD-Wettbewerbs, Sarah und Susan Wang, oder<br />

auch das ARD-Gewinner-Duo aus Litauen, Vilija<br />

Poskute und Tomas Daukantas.<br />

Nun gibt es für Klavierduos kaum Möglichkeiten<br />

in der Literatur, gemeinsam mit anderen Musikern<br />

zu spielen. Darin sieht Hans-Peter Stenzl ein weiteres<br />

Indiz, warum der Markt für Klavierduos<br />

schwierig ist, denn auf den vielen Festiv<strong>als</strong> treffen<br />

sich ja auch die Solisten, um gemeinsam zu musizieren,<br />

aber für ein Klavierduo ist da kein Platz,<br />

sich musikalisch mit anderen zu treffen.<br />

Die Geheimnisse eines Klavierduos<br />

Meist bestehen langjährige Klavierduos entweder<br />

aus verheirateten Paaren oder aber aus Geschwistern.<br />

Können die Stenzls sagen, worin die größten<br />

Gefahren oder Schwierigkeiten liegen, wenn dies<br />

nicht der Fall ist? „Nun“, beginnt Volker Stenzl, „die<br />

Entwicklung zu einem Klavierduo ist natürlich ein sehr<br />

langer Weg. Wenn man sich erst einmal einfach nur<br />

partnerschaftlich zusammentut, dann kommen doch<br />

früh die Gedanken: Wie finanziere ich mein Leben?<br />

Wenn man ein Klavierduo beginnt, verdient man einfach<br />

erst einmal kein Geld und weiß auch nicht, ob<br />

man Erfolg haben wird. Dann können andere Lebenspartner<br />

zu beiden Teilen des Duos hinzukommen.<br />

Daraus entwickeln sich dann manches Mal andere<br />

Lebensumstände. Bei Geschwistern ist es von Grund<br />

auf eine andere Basis, da sie oftm<strong>als</strong> ja seit der Jugend<br />

zusammenspielen. Und dadurch werden Außeneinflüsse<br />

auch oftm<strong>als</strong> an die Seite gedrängt und man<br />

geht seinen Weg.“ Und genau an diesem Punkt wird<br />

das Klavierduospiel <strong>als</strong> Kammermusik erkennbar.<br />

Denn auch in anderen kammermusikalisch festen<br />

Besetzungen muss man lange hart arbeiten, um<br />

Erfolge vorbringen zu können. Hans-Peter Stenzl:<br />

„Ich würde die Frage so beantworten wollen: Wenn wir<br />

von seriösen Ensembles <strong>als</strong> Klavierduo ausgehen, die<br />

lange zusammenbleiben wollen … und es ein paar Jahre<br />

lang schaffen. Irgendwann entsteht doch der<br />

Wunsch nach mehr Individualität. Denn das<br />

Eingebettet-Sein in ein Ensemble erfordert doch auch<br />

eine gewisse Aufgabe von Individualität. In künstlerischer<br />

Hinsicht muss man sich doch arrangieren. Man<br />

kämpft gemeinsam für eine Interpretation und die<br />

Beteiligten kommen in aller Regel aus verschiedenen<br />

Ecken und raufen sich zusammen. Und dieses Zusammenraufen,<br />

immer wieder, Jahr für Jahr, zehrt natürlich<br />

auch.“ Das bedeutet, dass jede Seite eines Duos<br />

unter dem Eindruck des bestmöglichen Kompromisses<br />

leiden kann. Volker Stenzl: „Wir beide versuchen<br />

ja unsere Individualität beizubehalten, ja sogar<br />

zu stärken, dann unter dem Mantel des Duos, was<br />

anders ist <strong>als</strong> eine solistische Identität.“ Hans-Peter<br />

Stenzl fügt hinzu: „Wir sagen auch unseren Studenten,<br />

dass unser ästhetischer Gedanke ist, innerhalb<br />

eines Duos so unterschiedlich wie möglich zu spielen.<br />

Man soll sich nicht klonen und vollkommen angleichen.<br />

Je individueller man ist, umso spannender wird<br />

es, allerdings muss man es im Ensemble zusammenhalten.“<br />

Dazu zählegehört Toleranz, dass ein<br />

Partner den gleichen Weg geht, auch wenn er<br />

anders denkt.<br />

Was kann man heutzutage jungen Duos denn<br />

raten, damit ein Duo stabil bleibt? „Das ist ein ganzes<br />

Kompendium, was man da nennen müsste“, beginnt<br />

Hans-Peter Stenzl, „aber das Wichtige ist:<br />

Wettbewerbe sind eine gute Möglichkeit, das<br />

Kernrepertoire aufzubauen und auf sich aufmerksam<br />

42 5 . 11


zu machen. In hochkarätigen Wettbewerben ist es so,<br />

dass traditionell kompetente Juroren die Leistungen<br />

beurteilen. So haben vor allem der Murray-Dranoff-<br />

Wettbewerb und der ARD-Wettbewerb einen besonderen<br />

Stellenwert für die Duos.“ Für wichtig hält er<br />

aber auch, den Studenten heutzutage zu vermitteln,<br />

dass mehr dazugehört, <strong>als</strong> sich nur musikalisch<br />

zu entwickeln: „PR-Arbeit gehört ebenso dazu<br />

heutzutage, auch eine Mappe mit Fotos zu haben, ein<br />

‚Gesicht’ zu entwickeln. Ohne das geht es nicht. Allerdings<br />

muss die Gewichtung stimmen. Erst muss die<br />

musikalische Arbeit stimmen, das andere muss dann<br />

danach hinzukommen.“ Volker Stenzl fügt hinzu: „Es<br />

ist einfach auch am Instrument harte Arbeit, das muss<br />

klar sein, eine Arbeit, die auch nicht nachlässt. Und es<br />

gibt kaum eine andere Verbindung, in der die Arbeit so<br />

intensiv ist.“ Daher, so meint er, gibt es einfach<br />

kein Wunderkind-Klavierduo. Das heißt, man<br />

muss schon etwas weiter sein <strong>als</strong> Klavierduo, um<br />

bestehen zu können. Junge Preisgewinner bei<br />

Wettbewerben, <strong>als</strong>o solche, die unter 20 sind, gibt<br />

es im Bereich des Klavierduos einfach nicht.<br />

Zwischenresümee?<br />

Können die beiden Brüder, die so viel Erfahrung<br />

gesammelt haben, heute, nach 25 Jahren professionellen<br />

Spielens auf der Bühne, eine Art von Zwischenresümee<br />

ziehen? Hans-Peter Stenzl: „Es hat<br />

sehr viel Spaß gemacht. Ich kann mir kaum vorstellen,<br />

dass ich musikalisch, aber auch menschlich kontinuierlich<br />

so sehr beobachtet worden wäre oder auch mich<br />

P ORTRÄT<br />

selber beobachtet hätte, wenn wir nicht unser Duo<br />

gehabt hätten. Es ist eine Art Lebensschiene, die nicht<br />

nur schwierig ist, sondern die auch enorm hilft.“<br />

Volker muss überlegen ... dann: „Wenn so etwas aus<br />

dem Nichts kommt – wie bei uns: wir hatten kein musikalisches<br />

Elternhaus, kaum Unterstützung –, dann<br />

kann man einfach mit vielem, was wir erreicht haben,<br />

zufrieden sein. Aber es gibt auch Punkte, bei denen<br />

man in der Rückschau denkt, dass man hätte einiges<br />

anders angehen können. So beispielsweise, dass wir<br />

immer dachten, dass die reine Qualität sich durchsetzt.<br />

Heute wissen wir aber, wie wichtig auch das<br />

Marketing ist, und das hätten wir vielleicht für mehr<br />

Auslandspräsenz ausbauen können. Aber man kann<br />

natürlich die Zeit nicht zurückdrehen.“ Das klingt<br />

selbstkritisch und wirklich erfahren. „Es ist aber<br />

kein resignierender Rückblick, wir versuchen jetzt das<br />

verstärkt anzugehen, was bislang zu kurz kam, beispielsweise<br />

die Auslandspräsenz“, erklärt Hans-Peter<br />

Stenzl. „Was wir in der letzten Zeit spüren“, so Volker<br />

Stenzl, „ist die enorm viele Arbeit, die wir so viele Jahre<br />

in das Spiel, die künstlerische Ebene, gesteckt haben.<br />

Das zahlt sich aus. Unser Spiel wird immer freier und<br />

reifer – auch für uns spürbar. Man fühlt sich immer<br />

wohler auf der Bühne.“<br />

Das Klavierduo Stenzl wird sicherlich auch noch<br />

in den kommenden Jahrzehnten dem Publikum<br />

viele spannende Klavierduo-Konzerte bereiten.<br />

www.stenzl-pianoduo.net<br />

P


W W ETTBEWERBE<br />

Überraschungen<br />

Klavierwettbewerbe bringen über Dekaden ihre eigenen Legenden aufgrund der brillanten Talente hervor,<br />

die sie früh genug erkennen. Der Montreal International Musical Competition (MIMC) oder auch<br />

Concours Musical International de Montreal) ist allerdings noch eine junge Institution, die erst 2002 ins<br />

Leben gerufen wurde und sich alternierend dem Klavier, der Violine und dem Gesang widmet. Dennoch<br />

konnte die vergangene <strong>Ausgabe</strong> des Wettbewerbs für Klavier 2008 großartige Resultate verzeichnen,<br />

indem man einen wirklich wohlverdienten ersten Preis an die hochmusikalische armenische Pianistin<br />

Nareh Arghamanyan vergab. Der Klavierwettbewerb, der in diesem Jahr am 3. Juni endete, verlieh den<br />

1. Preis an die 28-jährige in Italien geborene Beatrice Rana, die bei Benedetto Lupo am Conservatorio<br />

die Musica „Nino Rota“ die Monopoli in Bari studierte.<br />

Von: Benjamin Ivry<br />

Die diesjährige erfahrene Jury setzte sich zusammen<br />

aus dem brasilianischen Pianisten Arnaldo Cohen,<br />

dem Franzosen Jean-Philippe Collard, dem Kanadier<br />

James Parker, dem in Budapest geborenen Österreicher<br />

Imre Rohmann, der Pianistin Lilya Zilberstein, dem<br />

Amerikaner Benjamin Pasternack (vom Baltimore Peabody<br />

Institute) und der Japanerin Mari Kodama. Die letztgenannte<br />

Pianistin ist zudem die Gattin des bekannten Dirigenten<br />

Kent Nagano, der seit 2006 der Musikdirektor des<br />

Orchestre Symphonique de Montreal ist. Mari Kodama<br />

glaubt fest an die Vorteile von Klavierwettbewerben, da<br />

ihre Tochter Karin Kei Nagano <strong>als</strong> Wunderkind bereits drei<br />

Klavierwettbewerbe im Alter von acht Jahren gewonnen<br />

hat.<br />

Wenn auch nicht ganz so jung, zeigten sich die sechs jugendlichen<br />

Finalisten des Montreal Wettbewerbs in diesem<br />

Jahr dennoch sehr eindrucksvoll auf ihre ganz eigene Art.<br />

Die Gewinnerin Beatrice Rana wählte kühn das 1. Klavierkonzert<br />

von Tschaikowsky, dasselbe Werk <strong>als</strong>o, das auch an<br />

gleicher Stelle Nareh Arghamanyan zum ersten Platz verhalf,<br />

<strong>als</strong> diese nur 19 Jahre alt war. Es ist immer gefährlich,<br />

Wettbewerbsergebnisse zu bewerten, wenn man nicht den<br />

Die Siegerin beim Montreal-Wettbewerb:<br />

Beatrice Rana.<br />

Foto: Montreal Musical Competition<br />

Montreal International Musical Competition<br />

gesamten Verlauf der Austragung gehört hat, <strong>als</strong>o Solo-Recit<strong>als</strong><br />

und Klavierkonzerte, die die Jury geduldig durchgesessen<br />

hatte, und so waren einige Musikliebhaber – ebenso<br />

wie der Autor dieses Artikels –, die nur die Finalrunde und<br />

das folgende Galakonzert gehört haben, im ersten Moment<br />

verwirrt durch die Entscheidung, Rana den 1. Preis zu verleihen.<br />

Am 31. Mai schienen die Nerven von Rana sehr gut zu<br />

sein, denn den ersten Satz von Tschaikowskys Konzert spielte<br />

sie, <strong>als</strong> würde sie eine Hausaufgabe erledigen, ohne inneres<br />

Feuer. Ihre eingeengte Darstellung mag auch an dem<br />

Druck der Wettbewerbs-Vorgaben selbst gelegen haben,<br />

der ihren Eifer gekühlt hatte, vielleicht auch teilweise aufgrund<br />

der weniger <strong>als</strong> idealen Begleitung durch das<br />

Montréal Orchestre Métropolitain, das noch zu erwähnen<br />

ist. Ranas Selbstvertrauen wuchs mit dem Fortschritt des<br />

Werks, aber ziemlich hektische Oktaven, manches mechanisch-eingerahmte<br />

Spiel und schüchtern abgeschwächte<br />

leise Töne überzeugten nicht, dass dieses Tschaikowsky-<br />

Schlachtschiff ihr Werk wäre. Im Gegensatz dazu gab<br />

Beatrice Rana am 3. Juni im Galakonzert ein weitaus klareres<br />

Beispiel ihres Könnens in einem spärlich besetzten<br />

44 5 . 11


5 . 11<br />

W ETTBEWERBE<br />

Konzertsaal, das die Entscheidung der<br />

Jury verständlicher werden ließ. Rana<br />

spielte <strong>als</strong> Erstes „A Wild Innocence“,<br />

ein fünfminütiges Werk des kanadischen<br />

Komponisten David McIntyre<br />

(das von allen Kandidaten zu spielende<br />

obligatorische Werk des Wettbewerbs).<br />

Dieses Werk war weder unwillkommen<br />

noch fremdartig, zeigte es<br />

doch harmlose Klänge, die stark von<br />

Prokofiew beeinflusst schienen. Dies<br />

konnte Beatrice Rana angemessen darstellen,<br />

mit flüssigem Lesen, so dass es<br />

überzeugend, Ernsthaftigkeit und lospreschend<br />

gespielt wurde. Noch besser<br />

gelang ihr in demselben Konzert die<br />

zweite Gelegenheit, das Tschaikowsky-<br />

Konzert zu spielen, in dem sie nun weitaus<br />

intensiver deutliche Musikalität<br />

zeigte und bewies, dass es nichts gibt,<br />

was das Selbstvertrauen mehr stärkt<br />

<strong>als</strong> ein erster Platz in einem Wettbewerb.<br />

Allerdings erschien ihr Zugang<br />

immer noch nur solide und statisch,<br />

und da einige Noten immer noch zu<br />

wenig artikuliert waren, gab es auch<br />

immer noch die überhasteten mechanischen<br />

Oktavläufe und die Musik<br />

wurde aus ihrer Form gerissen, indem<br />

plötzliche Temporückgänge in bestimmten<br />

Passagen wohl im Denken an<br />

Rubato erfolgten. Dennoch war dies<br />

ein insgesamt viel sicherer Angang für<br />

dieses Werk, in beiderlei Hinsicht,<br />

technisch und interpretatorisch, der<br />

selbst einige Passagen mit Fantasie<br />

füllte, so <strong>als</strong> würde die Mendelssohn’sche<br />

Seite von schnelleren Passagen im<br />

2. Satz hervorgebracht. Mit dieser<br />

Darbietung wurde Rana mittels<br />

Tschaikowskys wohlwollendem Geist<br />

eine zweite Chance gegeben, um sich selbst zu rehabilitieren,<br />

was ihr mit einer Applaus werten und preiswürdigen<br />

Aufführung gelang.<br />

Solche Unebenheiten konnte man in keiner der Aufführungen<br />

der zweitplatzierten Gewinnerin, der 23-jährigen<br />

Amerikanerin Lindsay Garritson, erleben (einer Studentin<br />

von Boris Berman). Am 1. Juni in der Finalrunde bot Garrit-<br />

Herny Kramer.<br />

Foto: Montreal Musical Competition<br />

Die Amerikanerin Lindsay Garritson.<br />

Foto: Montreal Musical Competition<br />

son Prokofiews 2. Klavierkonzert g-Moll in großartiger Beständigkeit,<br />

meisterhafter Vorbereitung und klarer Struktur.<br />

Garritsons poetisch-idiomatisches Verständnis der Partitur<br />

war bestechend. Ihre poetisch-melodischen Einheiten<br />

waren so fähig geformt, dass ihre Aufführung manchmal<br />

Gefahr lief, das Momentum zu verlieren. Das erstaunlich<br />

klare Spiel mit starken narrativen Impulsen war eine<br />

W<br />

45


W W ETTBEWERBE<br />

Nareh Arghamanyan.<br />

Foto: Montreal Musical Competition<br />

Freude zu hören, während das Finale insgesamt etwas trocken<br />

war und auch überzeugend russisch in seiner Essenz.<br />

Lindsay Garritson erinnerte uns daran, dass Wettbewerbe<br />

immer noch Orte für ehrliches Musikmachen sein können.<br />

Am 3. Juni im Gala-Konzert wurde ihr auferlegt, den ersten<br />

und den letzten Satz desselben Prokofiew-Konzertes zu spielen,<br />

so dass sie hier die zuvor gemachten Eindrücke nochm<strong>als</strong><br />

mit ihrer poetisch-raffinierten Lesart – sogar noch<br />

geistreicher, <strong>als</strong> in ihrer vorherigen Aufführung, aber keinesfalls<br />

<strong>als</strong> reine Kopie – verstärken konnte.<br />

Der dritte Preis ging an den 23-jährigen Henry Kramer,<br />

der bei Julian Martin und Robert McDonald an der Juilliard<br />

School of Music in New York City studiert. Am 31. Mai im<br />

Finalkonzert zeigte uns Kramer einen intimen, ja fast schon<br />

miniaturhaften Blick auf Ravels G-Dur-Konzert, mit einer<br />

stärkeren kammermusikalischen Nostalgie, <strong>als</strong> es vom<br />

Komponisten wohl intendiert war. Mit diesem retrospektiven<br />

Blick auf Ravels so populäres Werk bewies Kramer fähige<br />

Pianistik, die aber nicht unter die Oberfläche des Werks<br />

reichte. In Zukunft wird er vielleicht auch die emotionale<br />

Wahrheit finden. Am 31. Mai allerdings wurde die geschmeidige<br />

Melodie, die den 2. Satz eröffnet, von Kramer in<br />

etwas Harmloses und ein bisschen Dumpfes verformt, vielleicht<br />

auch aus Angst vor Übertreibung. Ein extrem rasches<br />

Finale wurde mit Virtuosität gespielt, aber mit auch nicht<br />

mehr Herz <strong>als</strong> der Rest des Stücks. Am 3. Juni wurde Kramer<br />

dann aufgefordert, nur den 1. Satz von Ravels Konzert zu<br />

wiederholen, und bot dann denselben An-der-Oberfläche-<br />

Zugang, talentiert, aber mit Abstand zu dem emotionalen<br />

Kern dieses Konzerts. Einige Pianisten sind auch mit 23<br />

Jahren noch sehr jung und so gibt es immer noch die Möglichkeit,<br />

dass man mit der Zeit mehr Expressivität von Kramer<br />

hören wird.<br />

Auf der Grundlage allein dieser Finalkonzerte kann man<br />

sagen, dass eine Spielerin aufgrund ihrer Haltung und ihrer<br />

Sicherheit mehr Aufmerksamkeit verdient: die 28 Jahre alte<br />

Zheeyoung Moon, die aus Südkorea stammt und bei Michael<br />

Endres an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in<br />

Berlin studierte. Im Finale bot Moon im Spiel von Liszts 2.<br />

Klavierkonzert A-Dur eine reiche romantische Konzeption,<br />

verbunden mit solidem Zugang zur diabolischen Seite des<br />

Komponisten. Den Finalisten wurde die Wahl von vier unterschiedlichen<br />

Klavieren gegeben, einem Yamaha, einem<br />

Fazioli, einem amerikanischen und einem Hamburger<br />

Steinway. Mit bemerkenswerter Übereinstimmung wählten<br />

alle den Hamburger Steinway, mit Ausnahme der Südkoreanerin<br />

Jong Ho Won, die den Fazioli wählte. Der dunkel<br />

gefärbte Klang des Hamburger Steinways passte zum Liszt-<br />

Konzert, das Moon zu spielen wählte, und im Finale zeigte<br />

sie wirklich einen Sinn für die Lust an stupender Fingerakrobatik.<br />

In allen Konzerten lieferte das Montréal Orchestre Métropolitain<br />

unter der Leitung von Jean Francois Rivest nicht<br />

mehr <strong>als</strong> alltagstaugliche Begleitung, zudem gestört von<br />

unachtsamen Geräuschen der Orchestersolisten.<br />

Für einige Jahre hat<br />

das bekannteste Orchester der Stadt,<br />

das l’Orchestre symphonique de<br />

Montréal, den Wettbewerb nicht<br />

mehr begleitet, aus monetären Gründen.<br />

Allerdings sollte ein internationaler<br />

Wettbewerb dieser Wichtigkeit<br />

weltweiten Talenten die besten Orchesterbedingungen<br />

bieten, nicht die<br />

günstigsten in Bezug auf das Budget.<br />

Kanadas Regierung, die weitaus mehr<br />

tut <strong>als</strong> ihr Nachbar, die USA, unterstützt<br />

soeben die Künste mit einigen<br />

Mehrausgaben und sollte wirklich<br />

versuchen, Ressourcen zu finden, um<br />

bei der kommenden Austragung des<br />

Montreal Competition das l’Orchestre<br />

symphonique de Montreal zu engagieren.<br />

Zheeyoung Moon.<br />

Foto: Montreal Musical Competition<br />

www.concoursmontreal.ca<br />

46 5 . 11


5 . 11<br />

DVDS<br />

Viele Studenten könnten sich einige<br />

teure Meisterkurse sparen, wenn sie<br />

diese DVD aufmerksam betrachteten<br />

und die hochintelligenten Äußerungen<br />

von Nikita Magaloff auch für eigene<br />

Zwecke nutzten. Aber auch für Betrachter,<br />

die nicht vordergründig an den pädagogischen<br />

Qualitäten des 1912 in St.<br />

Petersburg geborenen und 1992 in der<br />

Schweiz verstorbenen russischen Pianisten Nikita Magaloff<br />

interessiert sind, ist diese DVD ein Gewinn. Wir erleben<br />

einen betagten, feinen Herrn, der eine unerhörte Noblesse<br />

ausstrahlt, egal ob er Französisch spricht oder seinen<br />

Schülern in kurzen Phrasen etwas demonstriert. Wir bewegen<br />

uns in seinem Haus in Montreux in einem schwach beleuchteten<br />

Raum. Die Einrichtung entspricht dem Stil der<br />

fünfziger und sechziger Jahre, die Wände sind gesäumt von<br />

Bücherregalen, irgendwo liegt der Gipsabdruck von Cho-<br />

Zeremonielles Verhalten interessierte<br />

den Nonkonformisten Friedrich Gulda<br />

nicht. Ohne Verbeugung, nur mit<br />

knappen Blicken zum Publikum ging er<br />

beim Beethovenfest Bonn 1970 (zum<br />

200. Geburtstag des Komponisten) über<br />

die Bühne, setzte sich ans Klavier, und<br />

ebenso verließ er seinen Platz in umgekehrter<br />

Richtung nach dem Konzert.<br />

Einziges Zugeständnis an die äußerlichen<br />

Konventionen des Klassikbetriebs war lediglich seine<br />

Kleidung: dunkler Anzug, weißes Hemd und Krawatte.<br />

Individualität <strong>als</strong>o ab ovo, die in diesen Schwarz-Weiß-<br />

Aufnahmen aus nächster Kamera-Nähe zu beobachten ist.<br />

Gebeugte Haltung vor dem Klavier, die Finger in flachem<br />

Winkel über die Tasten führend, vor allem auf die rechte<br />

Hand schauend, erscheint es so, <strong>als</strong> ob Friedrich Gulda die<br />

Wechselwirkung von Gedächtnis und Performanz permanent<br />

überprüft. Hinzu kommt, dass er mit dem Mund gelegentlich<br />

Phrasen lautlos nachformt. Diese seltsamen Attitüden<br />

stören aber nicht, sondern zeigen eher seine Hinga-<br />

Die von dem Filmemacher Peter Rosen<br />

produzierte DVD mit dem etwas<br />

martialischen Titel „The Emperor“<br />

dokumentiert Arraus wahrlich triumphale<br />

Rückkehr in seine chilenische Heimat<br />

nach siebzehnjähriger Abwesenheit.<br />

Die Kamera verfolgt den 81-Jährigen<br />

auf Schritt und Tritt: beim Verlassen<br />

des Flugzeugs, beim Tratsch mit alten<br />

Freunden, beim Spaziergang durch seine<br />

Geburtsstadt Chillan usw. Das wird vor allem den Fans<br />

gefallen. Zum Glück hat Rosen einen recht gelungenen biografischen<br />

Abriss in die Dokumentation integriert, der mit<br />

vielen wissenswerten Informationen, Interviews, Kommentaren<br />

und Ausschnitten aus historischen Konzertmitschnitten<br />

aufwartet. Den Höhepunkt von Arraus Reise in die<br />

Vergangenheit markiert abschließend eine Aufführung von<br />

Beethovens Es-Dur-Konzert in der Kathedrale von Santiago<br />

de Chile mit dem Symphony Orchestra of the University of<br />

Chile unter der Leitung von Victor Tevah. Die Leistung des<br />

Studentenorchesters ist immerhin solide, während Arrau<br />

seine Aufgabe mit vornehmer Lässigkeit absolviert. Hier ist<br />

der Event-Charakter sicher höher zu veranschlagen <strong>als</strong> der<br />

interpretatorische Wert.<br />

Was Arrau <strong>als</strong> Beethoven-Interpreten angeht … – dieser Aspekt<br />

ist ein wenig in Vergessenheit geraten – … ist eine<br />

pins Hand. Die junge Patricia Pagny spielt ein Chopin-Prélude,<br />

übrigens die einzige Werkangabe, die auch im Bilduntertitel<br />

genannt ist, dann hören wir Magaloffs Rat: „Nehmen<br />

wir an, es wäre Adagio vorgeschrieben. Spielen Sie es besser<br />

langsamer, um mehr espressivo hervorzuheben.“ Magaloff<br />

klagt über die Verlage, die oft Notentexte veränderten, um<br />

angeblich Fehler auszumerzen. Er wirbt für Urtexttreue<br />

und verweist darauf, dass es bei Debussy etwa kaum einen<br />

Takt gebe, der frei von Anweisungen sei. Magaloff kannte<br />

Prokofiew persönlich, ist in jungen Jahren noch Béla Bartók<br />

begegnet und hat 1964 mit Strawinsky dessen Capriccio<br />

gespielt. Über Rachmaninow sagt er nicht ohne einen kriti-<br />

schen Augenaufschlag: „Ich<br />

fand immer, dass er wie ein<br />

Komponist spielte, er transkribierte,<br />

wie es ihm gefiel.“<br />

Ernst Hoffmann<br />

Nikita Magaloff<br />

Les leçons particulières de musique<br />

Ein Film von Thierry Bénizeau<br />

Harmonia Mundi<br />

DVD HMD 9909040<br />

be an die Musik. So freut sich Friedrich Gulda sichtbar darüber,<br />

dass Johann Sebastian Bach im elegant swingenden<br />

Tempo-Kontinuum der „Englischen Suite“ Humor versteckt<br />

hat. Gar <strong>als</strong> Burleske interpretiert er einige Passagen der<br />

„Eroica Variationen“, vergisst aber nicht emotionale Spannungen<br />

aus jäh unterbrechenden Introspektionen. Überhaupt<br />

ändert sich seine Mimik zur angestrengten Konzentration,<br />

wenn Friedrich Gulda sich der „Hammerklavier-<br />

Sonate“ B-Dur zuwendet. Plötzlich ist Respekt da in energischer<br />

Kraft fürs Allegro und Scherzo, er achtet auf subtile<br />

Nuancen beim „molti sentimento“ im Adagio und macht<br />

die Fuga zu einer Tour de force, sodass die Referenz zu Johann<br />

Sebastian Bach unmittelbar evident wird. Eben we-<br />

gen solchem Bewusstsein<br />

über innere Zusammenhänge<br />

bei Friedrich Gulda sollte<br />

man auf die Kenntnis dieses<br />

audiovisuellen Dokuments<br />

nicht verzichten.<br />

Hans-Dieter Grünefeld<br />

Johann Sebastian Bach<br />

Englische Suite g-Moll<br />

Ludwig van Beethoven<br />

„Eroica“ Variationen op. 35 &<br />

Sonate B-Dur op. 106<br />

Friedrich Gulda, Klavier<br />

EuroArts 2058698 (DVD)<br />

(Vertrieb: Naxos)<br />

andere Veröffentlichung des Labels Euroarts wesentlich<br />

aufschlussreicher. Sie enthält die WDR-Fersehmitschnitte<br />

zweier im Abstand von sieben Jahren gegebener Beethoven-Recit<strong>als</strong><br />

im Rahmen der Bonner Beethovenfeste 1970<br />

und 1977. Das Beethoven-Recital von 1970 wurde noch in<br />

Schwarz-Weiß gedreht, was dem Ganzen eine gewisse<br />

Würde und Gediegenheit verleiht. Das passt auch gut zu<br />

Arraus von der Aura traditionsgesättigter Meisterlichkeit<br />

umgebenen Auftritten. Der in Farbe produzierte Mitschnitt<br />

des Recit<strong>als</strong> von 1977 ist freilich nicht weniger eindrucksvoll,<br />

zumal Arrau auch mit 74 Jahren noch im Vollbesitz<br />

seiner pianistischen Kräfte („Waldstein“-Sonate!) ist. Sein<br />

romantisch geprägtes Beethoven-Spiel mag heute zwar veraltet<br />

und wenig originell erscheinen. Aber wenn einer wie<br />

er es schafft, den Hörer mit seiner Auffassung von Beetho-<br />

ven zu fesseln, dann prallen<br />

alle noch so klugen Einwände<br />

an einer solchen Leistung<br />

einfach ab. Die Mitschnitte<br />

sind technisch sehr gut aufbereitet<br />

und klingen ausgezeichnet.<br />

Absolut empfehlenswert!<br />

Robert Nemecek<br />

Claudio Arrau<br />

The Emperor<br />

Beethoven: Klavierkonzert Nr. 5<br />

Ein Film von Peter Rosen<br />

Euroarts DVD 208648<br />

Claudio Arrau<br />

Beethoven Klaviersonaten<br />

Euroarts Classic Archive<br />

2058708 (2 DVD)<br />

(Vertrieb: Naxos)<br />

D<br />

47


P<br />

Jos van Immerseel inmitten<br />

seiner Instrumente, für<br />

die er ein eigenes Haus<br />

gebaut hat.<br />

Foto: Dürer<br />

Es ist eine ganze Palette von Begriffen, mit<br />

der man die Künstlerpersönlichkeit Jos van<br />

Immerseel beschreiben muss: Pianist, Organist,<br />

Cembalist, Forscher, Dirigent, Orchestergründer<br />

und: Sammler von Tasteninstrumenten.<br />

Für den 1945 im belgischen<br />

Antwerpen geborenen Tasteninstrumenten-Spezialist<br />

Jos van Immerseel gab es<br />

immer wieder Anlässe, sich anderen<br />

Tasteninstrumenten zuzuwenden. Zuerst<br />

studierte er klassisch das moderne<br />

Klavierspiel, dann wandte er sich mehr und<br />

mehr der Orgel zu. Wenig später entstand<br />

dann ein Interesse am Cembalo und heute<br />

spielt Jos van Immerseel unterschiedlichste<br />

historische Hammerflügel – und sammelt<br />

sie, um das jeweils richtige Instrument für<br />

die richtige Musik auswählen zu können.<br />

Wir besuchten van Immerseel und seine<br />

Sammlung in einem Dorf nahe dem belgischen<br />

Middelburg.<br />

P ORTRÄT<br />

Ein Traum für einen Hammerflügelspieler<br />

Ein Besuch bei<br />

Jos van van<br />

Immerseel<br />

Von: Carsten Dürer<br />

48 5 . 11


5 . 11<br />

Es ist gar nicht so weit von Brügge nach<br />

Middelburg, kaum weiter <strong>als</strong> 17 Kilometer.<br />

Und dann ist man kurz vor Middelburg auch<br />

schon mitten auf dem Land. Genau das suchte Jos<br />

van Immerseel seit Jahren, erzählt er, wollte schon<br />

länger aus Antwerpen, seiner Heimatstadt, heraus,<br />

nicht nur, um dem Stadttreiben und dem<br />

damit verbundenen Lärm zu entgehen, sondern<br />

auch, um näher an Brügge zu sein. Dort nämlich,<br />

im seit 2002 bestehenden neuen und modernen<br />

Concertgebouw hat das von van Immerseel 1997<br />

gegründete Orchester „Anima Eterna“ ein neues<br />

Zuhause gefunden. Es ist kein festes Orchester, wie<br />

das selten in dem Umfeld von Alte-Musik-Ensembles<br />

ist, aber hat immerhin <strong>als</strong> Projektorchester bis<br />

zu 40 Auftritte pro Jahr. Und davon etliche im<br />

Concertgebouw in Brügge: Jos van Immerseels<br />

Frau leitet das Orchesterbüro in Brügge und so<br />

war klar, dass man das Landleben mit der Nähe<br />

zu Brügge verbinden wollte.<br />

Ein flaches, langgezogenes Haus, typisch für den<br />

Bauernhausstil der Gegend, bot die Grundlage.<br />

Zwar war mit einer Renovierung schon begonnen<br />

worden, doch war vor dem privaten Einzug der<br />

Immerseels vor zwei Jahren noch viel zu tun. Und<br />

dann mussten die in Antwerpen in einem externen<br />

Studio untergebrachten Instrumente noch einen<br />

besonderen Platz erhalten: in einem extra gebauten<br />

Haus für die Sammlung.<br />

Die Entwicklung<br />

Ich setze mich mit Jos van Immerseel hinter seinem<br />

neuen Domizil zu einem Gespräch zusammen,<br />

um erst einmal etwas über seinen Werdegang<br />

zu erfahren, denn eines ist sicher: Man beginnt<br />

nur selten sogleich mit dem Spiel auf einem<br />

Hammerflügel. „Das lief bei mir ganz natürlich ab.<br />

Ich bin das letzte von vier Kindern, wobei ich einen<br />

gehörigen Altersabstand zu meinen Geschwistern<br />

hatte, so dass ich noch jung war, <strong>als</strong> sie das Elternhaus<br />

verlassen hatten. Meine Mutter hatte früher Klavier<br />

gespielt, mein Vater spielte Geige. Als meine Geschwister<br />

das Haus verließen, dachten sie darüber<br />

nach, ob sie sich wieder ein Klavier anschaffen. So<br />

kauften sie ein gebrauchtes Klavier und spielten sonntags<br />

immer gemeinsam. Nach und nach begann auch<br />

ich herumzuklimpern, allerdings ging es ganz gut. Zu<br />

gut, denn nach einem Jahr wollte meine Mutter nicht<br />

mehr Klavier spielen, da ich anscheinend – so die späteren<br />

Erzählungen meiner Eltern – immer hinter ihr<br />

stand und sie verbesserte, wenn sie einen Fehler machte.“<br />

[er lacht herzlich auf bei dieser Vorstellung]<br />

Bald schon begann er, da war er gerade neun Jahre<br />

alt, mit seinem Vater gemeinsam Kammermusik<br />

zu spielen. „So lernte ich auch das ganze Kammermusikrepertoire<br />

für Violine und Klavier kennen.“ Angesichts<br />

dieser Fortschritte, entsandten seine Eltern<br />

den kleinen Jos an eine Musikschule, wo er „im<br />

alten Stil“, wie er sich ausdrückt, unterrichtet wurde.<br />

Was das bedeutet? „Ich spielte alles, was ich finden<br />

konnte. Vollkommen anders <strong>als</strong> heutzutage. Wenn<br />

man eine Partitur spielt, dann spielt man nur das, was<br />

wichtig ist. Man lässt alles andere einfach weg und<br />

spielt das Werk, nicht jede Kleinigkeit. Aber so spielte<br />

man alles. Aber auch leichte Musik, Foxtrott und amerikanische<br />

Popularmusik. Ich bin froh, dass ich so<br />

P ORTRÄT<br />

angefangen habe. Denn nach zwei Jahren schickten<br />

mich meine Eltern auf eine Musikschule und da war<br />

der Spaß vorbei.“ Was er zuvor <strong>als</strong> Freiheit empfunden<br />

hatte, wurde nun methodisiert. Aber dennoch<br />

hatte er das Glück, dass er in der Musikschule<br />

„Musiker“ <strong>als</strong> Lehrer hatte, wie er betont. „Drei<br />

Lehrer für Klavier und Kammermusik hatte ich und<br />

alle drei waren Pianisten und einer auch Organist.<br />

Und das hat den Blick auf andere Instrumente geöffnet.<br />

Ich begann <strong>als</strong>o auch Orgel zu spielen und habe<br />

dies jahrelang einfach so gemacht.“ Dann kam auch<br />

bald schon die Konservatoriumszeit in Antwerpen,<br />

die er schnell absolvierte – zumindest für das Fach<br />

Klavier. „Mit 16 schloss ich das Klavierstudium ab<br />

und dachte, dass ich noch ein wenig zu jung bin, um<br />

nur Klavier zu spielen. Also begann ich sofort auch<br />

noch Orgel zu studieren.“ Auch in diesem Fach<br />

schloss van Immerseel mit einem Diplom ab. Und<br />

auch dieser Bereich hat seinen Blick auf die Musik<br />

erweitert: „In der Orgelwelt hat man über Musik diskutiert,<br />

über die Instrumente und die Stile. Im Klavierunterricht<br />

dagegen war ja alles standardisiert. Man<br />

versuchte da Mozart wie Rachmaninow zu spielen, was<br />

natürlich nicht geht, aber man hat es halt so versucht.“<br />

Neben dieser Kritik allerdings kommt er<br />

nun auch auf seine Ersterfahrungen mit Klavieren<br />

zu sprechen.<br />

„Ich kam ans Konservatorium, <strong>als</strong> dort noch alle<br />

möglichen Fabrikate standen, Ibach, Bechstein, Grotrian-Steinweg,<br />

Blüthner, Erard und Pleyel und so fort.<br />

Es gab keinen einzigen Steinway & Sons. 1963 kaufte<br />

man einen Steinway-Konzertflügel, den die meisten erst<br />

einmal mieden, da man seinen Klang nicht <strong>als</strong> schön<br />

empfand. Ich habe meine Abschluss-Prüfung noch auf<br />

einem wunderschönen Pleyel-Konzertflügel gespielt. Als<br />

das Konservatorium in ein neues großes Gebäude umzog<br />

und ich ein Jahr später dort wieder zu Besuch war,<br />

waren all die alten Flügel weg und überall standen<br />

Kawai, Yamaha und Steinway. Das heißt: Zuvor gab es<br />

noch eine Verschiedenheit in den Instrumenten, die<br />

nicht perfekt waren, aber die alle ihren Charakter hatten.<br />

Da hatte ich noch ein wenig von der Mentalität<br />

der Organisten wiedergefunden. Aber ein Jahr später<br />

war das auch vorbei. Alles wurde standardisiert und<br />

globalisiert. Es war einfach nicht mehr lustig.“ Zu dieser<br />

Zeit begann van Immerseel schon zahlreiche<br />

Konzerte zu spielen. Dennoch interessierte ihn die<br />

Orgel in dieser Zeit mehr und so spielte er fast<br />

mehr Orgel <strong>als</strong> Klavier, hatte zuweilen bis zu 15<br />

Schlüssel von Kirchen in seiner Tasche, um Zugang<br />

zu unterschiedlichsten Orgeln zu haben, wie er lachend<br />

hinzufügt.<br />

Vom Cembalo zum Hammerflügel<br />

„Für mich war dann der nächste Schritt fast logisch:<br />

das Cembalo und das Clavichord. Es war auch eine<br />

Entscheidung, um eine Bandbreite mit einem klavierähnlichen<br />

Instrument zu haben. Das war in den<br />

70er Jahren, <strong>als</strong>o die Zeit, in der man begann sich<br />

stärker mit diesen Instrumenten zu befassen, sie auch<br />

restaurierte. Ich hatte das Glück, dass ich auf einem<br />

Johannes-Daniel-Dulcken-Cembalo von 1747 studieren<br />

konnte. Dieses Instrument steht im Museum von<br />

Antwerpen. Ich arbeitete <strong>als</strong>o zwei Jahre mit Kenneth<br />

Gilbert. Und so kam ich letztendlich auch automatisch<br />

zum Hammerflügel.“ Das klingt einfach, aber ein<br />

P<br />

49


P<br />

P ORTRÄT<br />

Cembalo ist doch ein vollkommen anderes Instrument,<br />

benötigt eine vollkommen andere Technik,<br />

oder nicht? „Baulich gesprochen ist es eine Fami-<br />

Foto: Dürer<br />

lie. Die Klassifikation sagt natürlich, dass es ein anderes<br />

Instrument ist. Und man sieht es auch gerne <strong>als</strong><br />

vollkommen anders an, für eine andere Epoche, andere<br />

Literatur. Das kommt vor allem dadurch, dass man<br />

in den Hochschulen die Ausbildung trennt, in eine Klavierklasse<br />

und eine Cembaloklasse. Meiner Meinung<br />

nach sollte das nicht so sein. Als ich in Paris und in<br />

Amsterdam Cembalo unterrichtete, habe ich auch<br />

immer den Hammerflügel hinzugenommen für meine<br />

Studenten, bis hin zu jeglicher Literatur. So wie man es<br />

auch bei der Orgel macht, auf der man ja auch vom<br />

16. bis zum 20. Jahrhundert alles spielt. Und im 19.<br />

Jahrhundert, in Kursen von Widor beispielsweise, hat<br />

man auch Orgel und Klavier gespielt.“<br />

Aber ist die technische Herangehensweise dennoch<br />

nicht sehr unterschiedlich, da jemand, der<br />

mit dem Cembalospiel beginnt, nicht zwingend<br />

auch weiß, wie man einen Flügel spielt? „Jedes Instrument<br />

hat seine typische Technik, das ist wirklich<br />

sehr unterschiedlich, ein Klarinettist kann auch nicht<br />

Oboe spielen“, gibt van Immerseel zu. Er selbst hat<br />

einen Wettbewerb für Cembalo gewonnen und<br />

spielte bald schon fast nur noch dieses Instrument.<br />

„Ich wollte aber auch weiterkommen, fühlte mich ein<br />

bisschen eingeschränkt, da ich es schade fand, dass<br />

ich die andere Literatur nicht spielen konnte. Also<br />

kaufte ich mir einen ersten Hammerflügel, einen weiteren<br />

und noch einen, alle vollkommen anders <strong>als</strong> die<br />

ersten. Allerdings nicht mit dem Vorsatz, eine Sammlung<br />

aufzubauen.“ Als er selbst mit dem Hammerflügelspiel<br />

begann, hatte er auch viele Kontakte zu<br />

Klavierbauern. Und so wurde er immer wieder auf<br />

Instrumente aufmerksam. „Als ich mehr und mehr<br />

Hammerflügel spielte, schlug ich meinem Label Accent<br />

dann vor, Werke von Debussy auf einem Erard einzuspielen.<br />

Erst erklärte man mich für vollkommen verrückt,<br />

obwohl bei diesem Label alles historisch korrekt<br />

in Bezug auf die Alte-Musik-Praxis zu sein hatte. Aber<br />

man sagte mir: Debussy spielt man auf einem Steinway.<br />

Viele Leute denken heutzutage immer noch so.<br />

Eigenartigerweise denkt man, dass diese alten Instrumente<br />

nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu spielen<br />

sind und dann ist es vorbei und man hat den modernen<br />

Konzertflügel zu spielen. Selbst Leute wie Nikolaus<br />

Harnoncourt, denen man so viel verdankt, wenn<br />

es um die historische Sichtweise in der Musik geht,<br />

spielen heute ab Beethoven mit einem modernen<br />

Sinfonieorchester. Das ist sehr komisch. Ich denke, alles<br />

braucht seine Zeit, denn die jüngere Generation<br />

denkt nicht mehr so und geht weiter, will mehr wissen,“<br />

sagt er und bringt Beispiele, wie interessiert<br />

vor allem auch die Musiker seines Orchesters mittlerweile<br />

bei jedem Werk sind, um das richtige Instrumentarium<br />

zu spielen. Aber das ist ja auch eine<br />

andere Welt. Wird nicht in der Ausbildung von<br />

Tasteninstrumenten dieses Ele-<br />

Von rechts vorne bis nach<br />

links vorne sind die<br />

Instrumente nach Baujahren<br />

aufgebaut.<br />

Foto: Dürer<br />

ment viel zu sehr vernachlässigt?<br />

„Vollkommen! Es wird in vielen<br />

Schulen vollkommen abgelehnt.<br />

Die Studenten wissen von<br />

der Geschichte ihrer Instrumente<br />

fast nichts – und auch von der<br />

Musikgeschichte oftm<strong>als</strong> nichts.<br />

Ich weiß nicht, woran das liegt,<br />

vielleicht auch ein bisschen an der<br />

Faulheit der Studenten und daran,<br />

dass sie mehr daran interessiert<br />

sind, schnell Karriere zu machen,<br />

schnell zu spielen und<br />

schnell viel zu verdienen. Aber es<br />

gibt halt auch viele andere, die<br />

viel arbeiten und sehr interessiert<br />

sind an der historischen Ausrichtung.“<br />

Interessant ist auch zu hören,<br />

dass Jos van Immerseel seine<br />

Instrumente alle selbst stimmt,<br />

50 5 . 11


5 . 11<br />

vom Clavichord, über das Cembalo bis zu den<br />

Hammerflügeln. Er brachte sich das selbst bei.<br />

Muss man das können? „Nun, wenn man sieht, dass<br />

ein Harfenist zwei Stunden vor einem Konzert kommt<br />

und sein Instrument stimmt, ein Pianist aber nur auf<br />

die Bühne kommt und bemerkt, dass er noch keinen<br />

Klavierstuhl hat, dann scheint es heute nicht so zu<br />

sein. Es war auch in Amsterdam mein Anspruch und<br />

eine Bedingung, dass ich dort lehrte: dass keiner ein<br />

Diplom erhält, der nicht auch Stimmen kann. Auch für<br />

die Pianisten galt dies. Das ist allerdings wieder aufgegeben<br />

worden, <strong>als</strong> ich wegging.“ [er lacht auf] Er<br />

geht sogar so weit, dass er glaubt, am Spiel eines<br />

Pianisten feststellen zu können, ob er stimmen<br />

kann oder nicht: „Wer selbst stimmt, reagiert anders.<br />

Weniger gute Töne werden im Spiel einfach versteckt,<br />

andere gehen einfach drauflos und spielen, <strong>als</strong> ob<br />

alles in Ordnung wäre.“ Allerdings gibt er zu, dass es<br />

Ausnahmen gibt, und dass einige Pianisten durchaus<br />

schnell auf ein Instrument reagieren können.<br />

Aber dennoch weiß er ein Beispiel für Unwissenheit<br />

zu nennen: „Als ich Rhetorik-Kurse gab, habe ich<br />

eine Aufnahme von Maria Callas aufgelegt und erklärte<br />

den Studenten, dass dies eine perfekte Demonstration<br />

von Rhetorik im musikalischen Sinne wäre. Ich<br />

sagte aber auch, dass sie sicherlich nichts davon wisse.<br />

Es sind <strong>als</strong>o Ausnahmeerscheinungen.“ Wenn auf einem<br />

modernen Flügel ausgebildete Pianisten erstm<strong>als</strong><br />

Zugang zu einem Hammerflügel bekommen,<br />

nutzen sie meist nicht den vollen Umfang des Instruments,<br />

wenn es um die Dynamik geht, da sie<br />

Angst haben, das Instrument sei zu fragil. Van Immerseel<br />

dazu: „Ja, man erreicht die Dynamik nur auf<br />

eine andere Art und Weise. Es geht um die Geschwindigkeiten<br />

im Finger. Diese Palette muss man beherrschen.<br />

Man kann nicht drücken und forcieren, aber<br />

das Instrument kann immens groß klingen, wenn man<br />

schnell anschlägt. Aber ein Anschlag, der dem Instrument<br />

nicht wehtut. Man kann nach solch einem voluminösen<br />

Spiel die Hammerköpfe anschauen und<br />

man sieht keinerlei Spuren. Es ist unwahrscheinlich,<br />

welch einen ‚Lärm’ solch ein altes Instrument machen<br />

kann, ohne Schaden zu nehmen.“ Ein Cembalist lernt<br />

genau dies auch, um den Farbenreichtum und die<br />

Akzentuierung des Instrumentes auszunutzen. „Es<br />

hat auch etwas mit Physik zu tun. Beispielsweise Japaner,<br />

vor allem die Mädchen, haben fast von Natur aus<br />

einen sehr leichten Anschlag. Eigentlich sind sie sehr<br />

begabt für das Hammerflügel-Spiel, denn man muss<br />

ihnen den brutalen Anschlag nicht erst verbieten.“<br />

Die moderne Pianistenszene – gibt er zu – verfolgt<br />

er nicht. Bei den Hammerflügelspielern kennt<br />

er sich dagegen gut aus. Immer wieder begeistert<br />

ist er von Claire Chevallier, die auch auf der neuesten<br />

CD mit Jos van Immerseel das Konzert für<br />

zwei Klaviere und Orchester von Francis Poulenc<br />

eingespielt hat, mittlerweile selbst über eine<br />

Sammlung von historischen Instrumenten verfügt<br />

und auch in Brüssel unterrichtet. Pascal Amoyel ist<br />

ein weiterer von ihm favorisierter Partner, ein<br />

Franzose, der hierzulande (noch) nicht allzu bekannt<br />

ist.<br />

P ORTRÄT<br />

Im Vordergrund das Haus für<br />

die Instrumente, im<br />

Hintergrund das Wohnhaus.<br />

Foto: Dürer<br />

Neben den Instrumenten<br />

birgt das Haus auch van<br />

Immerseels Bibliothek.<br />

Foto: Dürer<br />

Die Auswahl der Instrumente<br />

Das große Tor ermöglicht die<br />

Lkw-Anlieferung. Dahinter gibt<br />

es einen Schleusenraum, der die<br />

Temperatur im Innenraum<br />

gleichbleibend hält.<br />

Foto: Dürer<br />

Jos van Immerseel ist immer daran interessiert, für<br />

das entsprechende Werk das richtige und passende<br />

Instrument einzusetzen. Wie sucht er das<br />

Instrument aus? Denn oftm<strong>als</strong> werden Werke auf<br />

Instrumenten gespielt, die aus demselben Jahr<br />

stammen wie das Werk, wobei das Instrument<br />

dann oftm<strong>als</strong> aber viel zu jung und neu ist, der<br />

P<br />

51


P<br />

P ORTRÄT<br />

Komponist diesen Klang gar nicht mehr im Ohr<br />

hatte, da er ja ältere Instrumente gewohnt war,<br />

<strong>als</strong> er sich ans Schreiben machte. Vor allem bei<br />

Werken aus einer Zeit, in der die Entwicklung noch<br />

recht schnell voranschritt oder sich auch in Bezug<br />

auf die nationalen Stile unterschied. „Ein Kompo-<br />

Foto: Dürer<br />

nist schreibt für das, was er kennt. Busoni auf einem<br />

modernen Flügel zu spielen, ist anachronistisch. Aber<br />

einen Rachmaninow auf einem Flügel mit geradsaitiger<br />

Bespannung von 1900 ist nicht anachronistisch,<br />

das war nämlich dam<strong>als</strong> noch die Realität. Und es<br />

klingt immer viel moderner, wenn man einen Beethoven<br />

auf einem Hammerflügel spielt.“ Gerade bei<br />

Beethoven muss man allerdings sagen, und das<br />

gibt van Immerseel zu, aus welcher Periode das jeweilige<br />

Werk stammt, da er immer „die Extreme<br />

aufsuchte“, wie er sagt. „Aber wenn man Mozart auf<br />

einem großen modernen Konzertinstrument spielt, ist<br />

es so, <strong>als</strong> würde man mit einem Helikopter zum Supermarkt<br />

fliegen.“ [er lacht]<br />

Man muss genau schauen, welches Instrument<br />

man wählt. Van Immerseel findet es schon allein<br />

positiv, wenn man sich Gedanken darüber macht,<br />

welches Instrument passen würde. Er weiß aber,<br />

dass es in der Praxis oftm<strong>als</strong> Gegebenheiten gibt,<br />

die nicht immer das vollkommen korrekte Instrument<br />

für ein Werk auf der Bühne zulassen. Er<br />

selbst baut seine Programme entsprechend so auf,<br />

dass er auf einem Instrument, das passt, einen<br />

ganzen Abend spielen kann. Wie nennt er selbst<br />

seine Herangehensweise, „historisch informiert“?<br />

„Nein, das ist eine Flagge, die alles zulässt, es ist ein<br />

sehr gefährlicher Ausdruck.“ Zu „authentisch“ sagt<br />

er: „Das ist noch schlimmer. Ich habe einen Ausdruck<br />

für mich selbst, das gilt aber nicht für andere: Wir im<br />

Orchester und ich selbst versuchen die evidenten<br />

Instrumente zu spielen. Aber das ist kein allgemeiner<br />

Begriff, denn jeder kann etwas anderes <strong>als</strong> evident<br />

ansehen.“<br />

Die Instrumente<br />

Wir gehen in das neu gebaute Haus für die Instrumentensammlung.<br />

Dieses Gebäude wurde sehr<br />

genau geplant, um den Instrumenten die beste<br />

Umgebung zu garantieren. Ein großes Rolltor an<br />

der einen Seite zeigt, dass die Instrumente oft<br />

transportiert werden müssen. Doch ein Schleusenraum<br />

bewahrt die Instrumente davor, dass kühle<br />

oder feuchte Luft in den eigentlichen Raum dringt.<br />

Und hier stehen nun insgesamt 17 historische Instrumente.<br />

Neben 2 Cembali, einem Clavichord,<br />

einer von nur vier gebauten Hammond-Konzertorgeln<br />

von 1958, einem Harmonium und einem<br />

Celesta von Mustel sind es tatsächlich 11 Hammerflügel,<br />

die einen Zeitraum vom Ende des 18.<br />

Jahrhunderts bis zu einem Erard-Flügel, einem Semi-Konzertflügel<br />

von 1897, umfassen. Dieses letztgenannte<br />

Instrument war auch das erste, das sich<br />

van Immerseel anschaffte. Der Spezialist für seine<br />

eigenen Instrumente spielt alle für mich an. Und<br />

schnell wird man gewahr, welch breites Spektrum<br />

nicht nur die Klangcharakteristiken der Instrumente<br />

abzudecken imstande sind, sondern auch<br />

der Pianist, wenn es um das passende Repertoire<br />

geht. Interessant beispielsweise ist ein Flügel aus<br />

der Werkstatt von Johann Nepomuk Tröndlin aus<br />

Leipzig von ca. 1835, der in seiner Bauweise den<br />

Instrumenten aus Wien dieser Zeit klanglich sehr<br />

nahekommt. Ansonsten überwiegen die Instrumente<br />

von Erard und Pleyel. So findet man einen<br />

Pleyel von 1841, einen Erard von 1844 sowie einen<br />

Flügel aus der englischen Fertigung von Erard von<br />

1850. Und gerade wenn man diesen mit dem<br />

Pleyel aus demselben Jahr vergleicht, erkennt man<br />

deutliche Unterschiede, die letztendlich auch den<br />

nationalen Vorlieben Rechnung tragen. Ein wunderbarer<br />

Bechstein-Konzertflügel von 1870 steht<br />

da, ein voluminöses Instrument im Klang, zwar<br />

schon mit Gussrahmen, aber noch mit gerader<br />

Besaitung. Jos van Immerseel ist kein Fanatiker,<br />

sondern ein Kenner und Liebhaber. Und er weiß<br />

genauestens, wie er sich auf jedem seiner Instrumente<br />

spieltechnisch zu verhalten hat, um den<br />

Klang bestens hervorzubringen. Was passiert,<br />

wenn es mehr Instrumente werden? Van Immerseel<br />

lächelt: „Da gibt es immer Möglichkeiten, die Instrumente<br />

anders zu stellen.“ Für den Transport benutzt<br />

er den mittlerweile bekannten „Klavier-Roller“,<br />

den ein Franzose entwickelt hat und der es<br />

ermöglicht, alleine ein Instrument zu transportieren<br />

– auch Stufen herauf. Mit dem Gebäude für<br />

seine Sammlung hat er sich natürlich einen Traum<br />

erfüllt, was ihm in Antwerpen nicht möglich gewesen<br />

wäre – allein dafür hat sich der Umzug in das<br />

Dorf bei Middelburg gelohnt.<br />

Jos van Immerseel versucht nach wie vor fünfzig<br />

Prozent seiner Konzerte für solistische Recit<strong>als</strong> zu<br />

nutzen. Die restliche Zeit verbringt er mit seinem<br />

Orchester „Anima Eterna“. Gastdirigate hat er<br />

mittlerweile aufgegeben.<br />

52 5 . 11


5 . 11<br />

W ETTBEWERBE<br />

Ein Traum wird Wirklichkeit<br />

Der „Top of the World“ Klavierwettbewerb in Tromsø<br />

Im norwegischen Tromsø, dem 500 Kilometer nördlich vom Polarkreis gelegenen „Paris des Nordens“,<br />

fand vom 19. bis 24. Juni zum zweiten Mal der exklusive „Top of the World“ – International <strong>Piano</strong> Competition<br />

statt.<br />

Der Traum der künstlerischen Leiterin Tori Stødle ist in Erfüllung gegangen: Der „exotischste Ort in der<br />

Welt“ (wie es im Programmbuch heißt) lockte auch in diesem Jahr Klaviervirtuosen aus aller Welt in den<br />

hohen Norden. Der „Top of the World“ gehört schon jetzt zu den führenden und schwierigsten Klavierwettbewerben.<br />

Die Italienerin Mariangela Vacatello, Gewinnerin von<br />

2009, eröffnete mit einem Liszt-Programm die<br />

Woche. Anschließend zogen die diesjährigen<br />

Teilnehmer bei einem Glas Sekt ihre Startnummer. Das<br />

hohe Niveau hat sich schnell herumgesprochen: Nach 361<br />

(!) Bewerbungen vor zwei Jahren waren es in diesem Jahr<br />

nur noch 170, aus denen eine nationale Jury 24 Teilnehmer<br />

ausgewählt hat. Schon die Lizenz zur Teilnahme ist eine<br />

Auszeichnung: Wie die Pianistin Mariya Kim, die schon den<br />

ersten Preis in neun internationalen Wettbewerben (darunter<br />

Jose Iturbi-, Seoul- und Paderewski-International Music<br />

Competition) gewonnen hat, können alle eine reiche<br />

Wettbewerbs- und Konzerterfahrung vorweisen. Beste<br />

Voraussetzungen für eine erstklassige Musikwoche!<br />

Für die Ausrichtung eines Wettbewerbs bietet das auf<br />

einer Insel gelegene Tromsø ideale Bedingungen. Alle<br />

Einrichtungen sind fußläufig zu erreichen. Im Musikkonservatorium<br />

können die Kandidaten Tag und Nacht üben.<br />

Nacht? Die gibt es nicht, denn im Juni ist Mittsommernacht!<br />

Die Veranstalter hatten die großartige Idee, Kultureinrichtungen<br />

zum Schauplatz der Empfänge nach den einzelnen<br />

Runden zu machen. So erfuhr man Wissenswertes über<br />

die Bedeutung und Geschichte der Stadt, die eine große<br />

W<br />

Blick über Tromsø.<br />

Foto: Michael Hagemann<br />

Von: Michael Hagemann<br />

53


W W ETTBEWERBE<br />

Blick auf die Jury im Saal. Im Vordergrund (v. l. n. r.):<br />

Michael Uhde, Dorian Leljak und Hyoung-Joon Chang.<br />

Foto: Michael Hagemann<br />

Zukunft haben wird, falls der Seeweg nach<br />

Asien irgendwann über die Arktis führen sollte.<br />

Im interessanten Polarmuseum, das in<br />

einem 1830 erbauten Gebäude untergebracht<br />

ist, und im sehenswerten Kunstmuseum gab es<br />

die Möglichkeit zu Beratungsgesprächen und<br />

zum Erfahrungsaustausch. Im Kino wurde der<br />

Film „Forte – <strong>Piano</strong> – Forte“ gezeigt: eine<br />

Dokumentation über den ersten „Top of the<br />

World“.<br />

Weil die Wettbewerbsbedingungen kein<br />

Pflichtstück vorschreiben, konnte jeder sein<br />

Programm individuell zusammenstellen. Die<br />

einzigen Kompositionen von J. S. Bach spielten<br />

der aus Lecce stammende Scipione<br />

Sangiovanni und die Chinesin Jie Zhang.<br />

Mozart, Schubert und Grieg (!) hörten wir<br />

Ashot Khachatourian, Yaron Kohlberg und Alberto Nosé (v. l. n. r.)<br />

Foto: Michael Hagemann<br />

Alberto Nosé mit der Jurorin Shoko Hayashizaki.<br />

Foto: Michael Hagemann<br />

nicht. Dafür die Metamorphosen des 1950<br />

geborenen Menachem Wiesenberg (jazzy<br />

angehaucht und einfühlsam interpretiert von<br />

Yaron Kohlberg) und die bravourös vorgetragene<br />

erste Sonate des 1954 geborenen australischen<br />

Komponisten Carl Vine, mit Maya<br />

Irgulina, die die zweite Wettbewerbsrunde<br />

beendete.<br />

Bei der ersten Runde im Musikkonservatorium<br />

spielte jeder 30 Minuten (in der zweiten<br />

Runde waren es 35 bis 40 Minuten). Herausragend<br />

waren u. a. die von Yaron Kohlberg<br />

interpretierte „Polonaise-Fantasie“ von<br />

Chopin und „Quejas, o la Maya y el Ruisenor“<br />

von Enrique Granados, exorbitant vorgetragen<br />

von Alberto Nosé.<br />

Zur konzentrierten Vorbereitung für den<br />

Auftritt der Ausnahmetalente gehörten neben<br />

den bezahlten Hotelübernachtungen auch die<br />

gemeinsamen Mahlzeiten in den Pausen.<br />

Die zweite Runde fand im Festsaal<br />

des Hauptsponsors SpareBank<br />

statt. Ein repräsentativer Saal in<br />

einem 1910–1915 erbauten Jugendstilgebäude<br />

des Architekten<br />

Henrik Nissen. Immer wieder faszinierend,<br />

wie der von Klavierstimmer<br />

Thron Irby optimal betreute<br />

Flügel (Steinway & Sons) bei<br />

jeder Pianistin und jedem Pianisten<br />

anders geklungen hat.<br />

Yaron Kohlberg, der uns schon<br />

beim Tivoli-Wettbewerb in Kopenhagen<br />

aufgefallen war, spielte risikoloser<br />

<strong>als</strong> in der ersten Runde. Er<br />

wählte für den delikat vorgetragenen<br />

„Hasche-Mann“ aus Schumanns<br />

„Kinderszenen“ ein mäßiges<br />

Tempo.<br />

Routinier Alexander Ghindin (Gewinner<br />

des Cleveland-Competition<br />

2009), der nach eigenen Angaben<br />

mit 90 bis 100 Konzerten im Jahr<br />

fast zu viel spielt, interpretierte die<br />

54 5 . 11


5 . 11<br />

W ETTBEWERBE<br />

Ilya Rashkovsky und Mariya Kim)<br />

Foto: Michael Hagemann<br />

h-Moll-Sonate von Liszt mit kraftvollem, übertriebenem<br />

Gestus und dämonischem Ausdruck.<br />

Der Italiener Alberto Nosé übertraf die Interpretation der<br />

6. Sonate von Prokofiew, die Mariya Kim am Vortag dargeboten<br />

hatte, und Ashot Khachatourian krönte die 2. Runde<br />

mit einigen „Moments Musicaux“ von Rachmaninow und<br />

der grandios gespielten Toccata von Prokofiew.<br />

Vor der Bekanntgabe der drei Finalisten gespannte Ruhe<br />

im Foyer. Danach freudiges Umarmen und allgemeine Akzeptanz<br />

der Juryentscheidung. Das Finale im ausverkauften<br />

Kulturhuset wurde live im Rundfunk übertragen. Es begleitete<br />

das Kringkastingsorkestret (KORK) unter der Leitung<br />

von Thomas Søndergård.<br />

Die meisten Teilnehmer blieben bis zum Finale und erwiesen<br />

damit den Veranstaltern ihre Reverenz. Sie genossen<br />

die kollegiale pianistische Luft und die skandinavische<br />

Gastfreundschaft. Alexander Ghindin saß nicht in Konzertkleidung,<br />

sondern im legeren Karohemd im Publikum.<br />

Yaron Kohlberg begann mit dem b-Moll-Konzert op. 23<br />

von Peter Tschaikowsky. Seine Stärken lagen in den „Scherzando“-Passagen<br />

des Werks, die er tänzerisch und spritzig<br />

präsentierte. So elegant und federleicht hört man die Oktavpassagen<br />

selten.<br />

Der Armenier Ashot Khachatourian bezauberte das Publikum<br />

mit dem e-Moll-Konzert op. 11 von Frédéric Chopin:<br />

„sophisticated“ und mit viel Esprit. Im letzten Satz demonstrierte<br />

er ein Feuerwerk feinsinniger Klavierkunst und ein<br />

unglaubliches Legato. Unsicherheiten im 2. Satz kosteten<br />

ihn wohl den ersten Platz. Alberto Nosé beendete das Finale<br />

mit dem zweiten Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow.<br />

Jede Note ist bei ihm kontrolliert und bestens artikuliert.<br />

Nach 15 Minuten verkündete die Jury das Resultat und<br />

das Orchester spielte einen Tusch: Der erste Preis ging an<br />

Albert Nosé. Zweiter Preis an Ashot Khachatourian, dritter<br />

Preis an Yaron Kohlberg aus Israel.<br />

Hervorzuheben sind die kompetenten Entscheidungen<br />

der sympathischen Jury und ihre Bereitschaft, Beratungsgespräche<br />

mit den Künstlern zu führen: Hyoung-Joon<br />

Chang (Korea), Michael Uhde (Deutschland), Myrthala<br />

Salazar (Mexiko), Dorian Leljak (Serbien), der in Tromsø<br />

lehrende Sergej Osadchuk (Ukraine), Ilana Vered (Israel)<br />

und der Grieg-Experte Sigurd Slåttebrekk (Norwegen),<br />

bekannt für seine Kinder-TV-Serie, die in über 25 Ländern<br />

(allerdings nicht in Deutschland) zu sehen ist.<br />

Vorbei an wehenden Fahnen, die den „Mittsommernachtmarathon“<br />

am nächsten Tag ankündigten, ging es zur Abschlussfeier.<br />

Um Mitternacht bot der Geburtstag einer Teilnehmerin<br />

noch die Gelegenheit, eine andere musikalische<br />

Seite der Protagonisten kennenzulernen: Abwechselnd improvisierten<br />

sie stundenlang zwei- bis sechshändig: ein beeindruckender<br />

Freundschaftsbeweis und rührender Abschluss<br />

einer unvergesslichen Woche.<br />

Der „Top of the World“-Wettbewerb ist ein Mittsommernachtklaviermarathon<br />

der Spitzenklasse und bietet eine<br />

grandiose Landschaft und großartige Gastgeber. Der neue<br />

Stern am Wettbewerbshimmel ist aufgegangen. Nennen<br />

wir ihn einfach den „Polarstern“!<br />

Shoko Hayashizaki und Michael Hagemann, Autor des Artikels,<br />

sind die künstlerischen Leiter der Reihe „CHT goes Classic“, die<br />

Preisträger internationaler Klavierwettbewerbe präsentiert.<br />

W<br />

55


B B ERICHTE<br />

Blick in die Kirche während einer<br />

Probe des GrauSchumacher Duos.<br />

Foto: Dürer<br />

Sensibilisierung für Qualität<br />

Nicht allzu weit von Zürich und anderen Orten in der<br />

Schweiz liegt das Dorf Boswil, und gleich daneben<br />

befindet sich dann auch Muri. Orte, die aufgrund<br />

ihrer vielschichtigen musikalisch-künstlerischen Aktivitäten<br />

durchaus einen Klang im Kanon der Schweizer Kulturlandschaft<br />

haben. Mit einer Reihe von sechs Klavierkonzerten,<br />

in denen alle vierhändigen Werke Schuberts aufgeführt<br />

werden sollten, zeigten aber beide Orte Mut zum Risiko,<br />

denn das kann eigentlich nur hartgesottene Schubert-Fans<br />

interessieren.<br />

Die Idee war durch den Schweizer Pianisten Ivo Haag ins<br />

Leben gerufen worden, bereits vor über zwei Jahren.<br />

Natürlich ist Haag selbst mit dem Duo Soós-Haag (Adrienne<br />

Soós und Ivo Haag) ein Duo-Pianist. So interessierte ihn<br />

diese Thematik, denn – so bestätigt jedes Klavierduo – in<br />

„Schubert Universum“ mit<br />

Klavierduos in Boswil und Muri<br />

Blick auf das Künstlerhaus und<br />

die Kirche in Boswil.<br />

Foto: Dürer<br />

Franz Schubert war trotz seines kurzen Lebens von nur 31 Jahren ein beachtlich kreativer Komponist, der<br />

wirklich zahllose Werke hinterließ, auch wenn viel aufgrund seiner eigenen harten Kritik entweder niem<strong>als</strong><br />

überliefert wurde oder aber unvollendet blieb. Anders <strong>als</strong> bei den Sonaten für Klavier solo, bei<br />

denen die Anzahl der unvollendeten die der vollendeten übertrifft, und weniger skrupulös von ihm selbst<br />

betrachtet stellt sich sein Werk für Klavier zu vier Händen dar. Allerdings sind die recht zahlreichen<br />

Werke für die Duo-Besetzung nicht weniger ausgefeilt, durchkomponiert oder etwa weniger tiefgründig.<br />

Um dies einmal geschlossen vorzuführen, hat die Stiftung Künstlerhaus Boswil gemeinsam mit Murikultur<br />

Anfang Juni (2.–5.) dieses Jahres eine viertägige Konzertreihe mit drei Klavierduos initiiert, um<br />

das gesamte Klavierwerk für vier Hände von Franz Schubert in sechs Konzerten zu Gehör zu bringen. Wir<br />

fuhren nach Boswil in die Schweiz, um uns die Duo-Werke Schuberts anzuhören.<br />

Von: Carsten Dürer<br />

Schuberts vierhändiger Musik liegt ein ganzer Kosmos von<br />

Aussagen und Formen, von Emotionen und Erfahrungen<br />

verborgen. Bald schon sprach er zwei weitere Duos an, ob<br />

sie mit von der Partie wären: das GrauSchumacher <strong>Piano</strong>-<br />

Duo sowie das Klavierduo Tal & Groethuysen. Letztgenanntes<br />

Duo musste fast schon dabei sein, ist es doch das einzige<br />

Klavierduo, das bislang alle vierhändigen Schubert-Werke<br />

auf CD eingespielt hat. Der Name für diesen Zyklus in Muri<br />

und Boswil war schnell gefunden, denn die vierhändigen<br />

Werke liefern in ihrer Gesamtheit „Schuberts Universum“.<br />

Doch allein die sechs Konzerte – jedes Duo spielte zwei<br />

Konzerte – verteilt auf insgesamt vier Tage, wollten den<br />

mutigen Geschäftsführern der beiden Organisatoren-Einrichtungen,<br />

Michael Schneider für die Stiftung Künstlerhaus<br />

Boswil und Urs Pilgrim für Murikultur, nicht ausreichen.<br />

56 5 . 11


B B ERICHTE<br />

noch mehr erreicht, wäre er nicht so unerwartet früh verstorben.<br />

Mit diesen beiden Vorträgen hatten die Besucher<br />

einen recht umfassenden Einblick in Schuberts Leben und<br />

Wirken erhalten, der eine wunderbare Grundlage für die<br />

Konzertserie darstellte.<br />

Ivo Haag besprach sich intensiv mit den anderen beiden<br />

Duos – immer und immer wieder, da doch die recht umfangreiche<br />

Anzahl der Werke sinnvoll verteilt werden musste<br />

– nicht nur auf die drei Duos, sondern auch auf die sechs<br />

Konzerte. Und so bastelte man gemeinsam an Programmen,<br />

die dramatisch sinnvoll erschienen, das Publikum<br />

nicht mit zu schwergewichtigen Werken überlasteten, einen<br />

interessanten dramatischen Verlauf haben und zudem<br />

nicht zu anstrengend für die Künstler selbst wären. Natürlich<br />

wollte jedes der Duos die f-Moll-Fantasie spielen oder<br />

etwa auch das „Gran Duo“ (Sonate C-Dur D 812), die berühmtesten<br />

und bekanntesten Werke dieses Werk-Bereichs<br />

aus Schuberts Œuvre. Doch letztendlich war man sich bald<br />

einig und hatte eine sinnvolle Verteilung gefunden.<br />

Den Beginn machte das Duo mit Yaara Tal und Andreas<br />

Groethuysen, die auch sogleich die Fantasie D 1 spielten.<br />

Dieses mit fast 20 Minuten Aufführungsdauer immens umfangreiche<br />

Jugendwerk ist formal zwar kein Meisterwerk,<br />

aber dennoch spannungsgeladen. Ja, es ist ein Werk, das<br />

die Experimentierfreudigkeit eines jungen Autodidakten<br />

erkennen lässt, was er gehört hat bis zu diesem Alter, was er<br />

aufgenommen und für sich verarbeitet hat. Kaum hätte<br />

Schubert eine andere Form wählen können, zu unausgewogen<br />

sind die Übergänge der gedanklichen Einfälle, zu<br />

wenig passt es in eine Form. Und dennoch lugt überall immer<br />

wieder das junge Genie durch, die opernhafte Dramatik<br />

eines Jünglings, der schon eine Vorausschau bietet, was<br />

er noch imstande sein wird zu schreiben. Das Duo Tal-<br />

Groethuysen spielte mit einigen kleinen Veränderungen genau<br />

so, dass man all dies zu hören bekam, in einer durchweg<br />

spannungsgeladenen Affekt-Agogik, die Sinn machte.<br />

Die ersten drei der „Six Grandes Marches et Trios“ D 819<br />

schlossen sich an, berauschend in ihrer weit über die Idee<br />

eines Marsches hinausreichenden Gefühlswelt, die Schubert<br />

die Möglichkeit bot, beides gleichermaßen bereitzustellen,<br />

lyrische Liedagogik seiner emotionalen Sehnsuchtswelt sowie<br />

den Zugang zu weiten Kreisen seiner Hauptabnehmer-<br />

Klientel, die sich den Märschen leichter näherten <strong>als</strong> ande-<br />

Das Duo Soós-<br />

Haag bei einem<br />

Auftritt in Muri.<br />

Foto: Dürer<br />

ren Formen. Und natürlich wurde Schubert, nachdem seine<br />

Werke überhaupt erst einmal von Verlegern anerkannt waren,<br />

immer wieder nahegelegt, etwas zu schreiben, was<br />

nicht zu schwer für die Amateure zu spielen sei. Das hielt er<br />

– manches Mal – ein, wusste aber dennoch die vielen kleinen<br />

Facetten seiner Ideenwelt zu verwirklichen. Am Schluss<br />

dieses ersten Konzerts wurde dann mit dem „Divertissement<br />

à la hongroise“ g-Moll D 818 wieder einmal das hörbar,<br />

was das Besondere am Spiel des Duos Tal-Groethuysen ausmacht:<br />

das gemeinsame Klangverschmelzen, das gemeinsame<br />

Atmen, das alles nach einem einzigen Instrument klingen<br />

zu lassen. Das Publikum, das sich im Festsaal des<br />

Klosters in Muri eingefunden hatte (immerhin weit über<br />

200 Musikbegeisterte, die zum Teil aus Bern oder selbst<br />

grenznahen Teilen Deutschlands angereist waren), erlebte<br />

ein grandioses Auftaktkonzert.<br />

Das nächste Duo auf der Agenda war das Duo GrauSchumacher<br />

mit Andreas Grau und Götz Schumacher – dieses<br />

Mal in der Alten Kirche in Boswil. Und auf dieses Duo waren<br />

die oben angesprochenen zwei größten und gewichtigsten<br />

Werke von Schuberts vierhändigem Repertoire entfallen,<br />

die Sonate C-Dur, die <strong>als</strong> „Gran Duo“ bekannt ist, sowie<br />

in einem weiteren Konzert die f-Moll-Fantasie. Doch spannend<br />

war vor allem auch hier wieder der dramatische<br />

Aufbau mit der dramatisch hochspannenden Ouvertüre g-<br />

Moll D 668, der Fantasie g-Moll D 9 und der Vervollständigung<br />

der im ersten Konzert begonnenen Interpretation<br />

der „Six Grandes Marches et Trios“ (nun die Nummern<br />

4–6), bevor die Sonate erklang. Sicherlich ist die Alte Kirche<br />

in Boswil nicht der perfekteste Raum für Klavier-Aufführungen<br />

(wie nur wenige Kirchenräume überhaupt). Entsprechend<br />

musste sich das Duo auf die Gegebenheiten in klanglicher<br />

Hinsicht einstellen, denn immerhin sind nun vier<br />

statt zwei Hände am Klang beteiligt. Dennoch gelang es<br />

dem GrauSchumacher <strong>Piano</strong> Duo, eine wunderbare voluminös<br />

klingende Klangabstimmung zu kreieren, die vor<br />

allem nichts von der leicht und in vielen Interpretationen<br />

zu hörenden Überzuckerung der lyrischen Teile von Schuberts<br />

Ideen aufwies. Nein, GrauSchumacher bestachen in<br />

ihrem Zugang durch Transparenz und auf die Dramatik<br />

ausgerichtete Phrasierung. Ja, es gab fast schon eine Reizüberflutung<br />

in diesem Raum mit dem scharfen Klang bei<br />

akzentuierten Phrasen, aber dennoch war es ein Konzert, in<br />

dem auch deutlich wurde, wie viel Druck und Vorwärtsdrang<br />

in dieser Musik bei allem „Zustand“ dieser Musik vorhanden<br />

ist. Und genau dies ließ dieses Konzert zu einem<br />

wahren Erlebnis werden.<br />

Am kommenden Tag war dann wieder Muris Kloster <strong>als</strong><br />

Ort für gleich zwei Konzerte angesagt: Nun mit dem Klavierduo<br />

Soós-Haag am Nachmittag und dem GrauSchumacher<br />

<strong>Piano</strong> Duo am Abend. Und welch ein positives Erlebnis<br />

mit dem ungarisch-schweizerischen Duo Soós-Haag,<br />

das in unnachahmlich sensibel-kultivierter Weise gerade in<br />

der c-Moll-Fantasie D 48 das Publikum mit Feinsinn und<br />

faszinierender Anschlagnuancierung bewegte. Und dann<br />

am Schluss des Programms die Sonate B-Dur D 617 <strong>als</strong><br />

Beispiel ihrer austarierten Spielweise nicht nur <strong>als</strong> Duo, sondern<br />

auch <strong>als</strong> dynamisch durchweg alle Bereiche mit vollem<br />

Klang auslotendes Kammermusikensemble. Ein vor allem<br />

für die Schreibweise Schuberts wunderbares Duo. Das<br />

GrauSchumcher <strong>Piano</strong> Duo dann am Abend in Muri.<br />

Anscheinend war man nicht ganz so disponiert, fand vor<br />

allem in der berühmten f-Moll-Fantasie nicht zum zuvor<br />

gehörten Feinsinn. Dieses Duo spielt stark auf Affekte und<br />

dramatische Höhepunkte ausgerichtet, weniger auf feinnervigen<br />

Nuancierungsreichtum. Als etwas sportiv könnte man<br />

das Spiel dieses Duos bezeichnen.<br />

Und natürlich stellten sich <strong>als</strong>bald einige Fragen: Beispielsweise<br />

ob diese Art der Aufführung überhaupt Sinn<br />

machte, da die Werke selbstverständlich – und so auch in<br />

den Vorträgen dargestellt – nicht für das Konzertpodium<br />

58 5 . 11


5 . 11<br />

gedacht waren. Und ob in diesem Zusammenhang<br />

nicht gerade das kraftvolle Spiel vielleicht authentischer<br />

ist <strong>als</strong> das fein nuancierte. Die Frage nach dem<br />

heutigen Zugang zu diesen Werken muss aber dann<br />

doch ebenso offenbleiben wie die zuvor aufgebrachte.<br />

Letztendlich hat jegliche Art des Spiels ihre<br />

Berechtigung und ihre begeisterten Zuhörer – und so<br />

sollte es auch sein.<br />

Dann folgte noch der Sonntag in der Alten Kirche<br />

Boswil, wiederum mit Tal-Groethuysen am Vormittag<br />

und mit Soós-Haag am Nachmittag, um die Serie der<br />

sechs Konzerte und des gesamten Materi<strong>als</strong> zu vervollständigen.<br />

Sicherlich war dieses Projekt in seiner Gesamtheit ein<br />

wunderbares und vor allem einmaliges Erlebnis. Auch<br />

wenn man bei der Auswahl und Dichte der vierhändigen<br />

Werke eines einzigen Komponisten eine leichte<br />

Müdigkeit verspüren konnte, wenn man alle Konzerte<br />

besuchte. Die Ähnlichkeit des Schreibstils – gerade,<br />

wenn es um die zahlreichen Tänze geht – wird in diesem<br />

Moment dann doch deutlich. Und dass bei den<br />

Adressaten dann auch die ein oder andere Banalität<br />

der Kompositionen zum Vorschein kommt, ist verständlich.<br />

Dennoch hatte diese bislang wohl einmalige zyklische<br />

Aufführungsserie ihre absolute Berechtigung,<br />

auch wenn der Spiritus Rector des Projektes, Ivo Haag,<br />

am Beginn selbst einige Bedenken hatte. Aber er wollte<br />

es ausprobieren, ob Schuberts vierhändiges<br />

Gesamtwerk dieser Dichte von Aufführungen standhält.<br />

Und ja, nach den Konzerten musste man zugeben:<br />

Es hält in jedem Fall stand. Vor allem aber aufgrund<br />

der so ausgefeilt dargestellten Dramatik in jedem der<br />

Konzerte. Und auch die Unterschiedlichkeit der<br />

Darstellungen war Ivo Haag ein Anliegen, wie er zugab:<br />

„Ansonsten hätte unser Duo ja auch alles selbst spielen<br />

können“, lacht er. Zudem konnte man gegen Ende<br />

des Zyklus vor allem eines feststellen: dass man nicht<br />

mehr zwingend dem verbrämten Bild Schuberts folgt,<br />

weder in die eine noch in die andere Richtung. Ganz im<br />

Gegenteil lässt sich plötzlich zumindest die Qualitäts-<br />

Relation zwischen einzelnen Werken erkennen, wird<br />

man nicht unkritisch glauben, dass die vierhändige<br />

Klaviermusik nur gesellige oder pädagogische Werke<br />

niederen Niveaus umfasst – und auch nicht entgegen<br />

dieser Meinung glaubt, dass alle Werke Schuberts reine<br />

Meisterwerke sind. Genau das war plötzlich im Kanon<br />

von „Schuberts Universum“ möglich. Und all dies hat<br />

man dank der Initiative und des Durchhaltevermögens<br />

von Ivo Haag sowie der Unterstützung von Murikultur<br />

und dem Künstlerhaus Boswil zustande gebracht.<br />

Dass Michael Schneider vom Künstlerhaus Boswil<br />

schon gegen Ende der Reihe laut über ein weiteres<br />

Projekt mit Klavierduos nachdachte, zeigte auch die<br />

wunderbare Atmosphäre, die zwischen den Künstlern<br />

herrschte. Allein die Nähe von Unterbringung und<br />

Konzertorten sowie die zwanglose Bewirtung mit<br />

besten Speisen aus der hauseigenen Küche des<br />

Künstlerhauses in wunderbarer landschaftlicher Umgebung<br />

war den Duos eine Grundbasis für faszinierende<br />

Konzerte. Dass dieses Gesamtkonzept aufging, lag<br />

auch an dem wunderbaren Publikum, das hochkonzentriert<br />

bis zum Ende zuhörte.<br />

www.kuenstlerhausboswil.ch<br />

www.murikultur.ch


J<br />

60<br />

J AZZ-INTERVIEW<br />

TIGRAN HAMASYAN<br />

„Allein mit dir, dem Klavier und dem Raum.“<br />

Der armenische Pianist Tigran Hamasyan legt im Alter von 23 Jahren mit „A Fable“ bereits<br />

sein viertes Album vor. Vor ein paar Jahren waren seine Eltern mit ihm und seiner Schwester<br />

in die USA ausgewandert, um den zwei künstlerisch begabten Kindern eine Karriere zu<br />

ermöglichen. Fern der Heimat, klassisch ausgebildet und bereits stark im Jazz verhaftet,<br />

besinnt sich Hamasyan nun gewissermaßen in einem Zirkelschluss auf seine armenischen<br />

Wurzeln: In einem schmerzvollen, intensiven Prozess öffnet er sich den Melodien, Klängen<br />

und der Poesie der Heimat seiner ersten Lebensjahre. So finden zum einen Gedichte etwa des<br />

Armeniers Hovhannes Tumanyan Eingang in seine musikalische Welt. Zum anderen aber verändert<br />

die Perspektive der Volksmusik mit ihren archaischen Skalen und Stimmungen grundlegend<br />

seine Herangehensweise ans Improvisieren, ans Musikmachen, kehrt sie ins<br />

„Fabelhafte“. Womit wir wieder beim Titel seiner aktuellen CD angelangt wären …<br />

Von: Carina Prange<br />

PIANO<strong>News</strong>: „A Fable“ ist bereits Ihr viertes Album<br />

und das erste auf einem Major-Label. Mit 23 bereits<br />

vier Alben aufgenommen zu haben, ist außerordentlich.<br />

Wie kam es dazu?<br />

Tigran Hamasyan: Nun, ich habe früh angefangen.<br />

Mein erstes Album habe ich mit siebzehn Jahren<br />

aufgenommen. Ich komponiere viel und begann<br />

auch sehr früh auf dem Klavier. Da war ich<br />

drei Jahre alt. Und seit der Zeit komponiere ich<br />

eben auch.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Würden Sie sagen, dass Sie in einer<br />

musikalischen Umgebung aufgewachsen sind? Wie<br />

wichtig ist so etwas für einen Musiker?<br />

Tigran Hamasyan: Oh, das ist elementar! Selbstverständlich<br />

ist es das. Wenn immer Musik da ist,<br />

wenn man aufwächst, von Kind an, dann gewöhnt<br />

man sich an die Musik. Man gewöhnt sich auch<br />

daran, unterschiedliche Musikrichtungen zu hören.<br />

Ich bin außerordentlich froh darüber, dass ich<br />

<strong>als</strong> Kind Rockmusik gehört habe. In diese Musik<br />

habe ich mich verliebt, aber das habe ich erst später<br />

begriffen. So mit vierzehn, fünfzehn begann ich<br />

die Rockklassiker wieder hervorzukramen. Und<br />

dabei tauchte ich umso tiefer in die Rockmusik ein.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Sie haben gerade erwähnt, Sie hätten<br />

mit drei Jahren auf dem Klavier angefangen. Wer<br />

waren Ihre ersten Lehrer?<br />

Foto: Vahan Stephanyan<br />

5 . 11


Tigran Hamasyan: Meine allerersten Lehrer waren<br />

die Schallplatten, die ich hörte. In erster Linie<br />

Klassiker der Rockgeschichte. Das habe ich meinem<br />

Vater zu verdanken, der ein großer Fan dieser<br />

Musikrichtung war. Ich liebte diese Musik.<br />

Mein Onkel hingegen war ein Jazzfan. Irgendwann<br />

begann ich dann auch, Jazz zu hören. Allerdings<br />

eher Funkjazz, Herbie Hancock beispielsweise,<br />

Siebziger Jahre Jazzrock. Eher nichts Traditionelles.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Ihr Vater spielte sicher auch Klavier?<br />

Tigran Hamasyan: Nur ein bisschen und natürlich<br />

nicht beruflich. Meine Mutter war auf der Musikschule<br />

gewesen. Mein Vater auch, etwa fünf,<br />

sechs Jahre lang. Aber sie waren keine Berufsmusiker.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Wann hatten Sie Ihren ersten Unterricht?<br />

Tigran Hamasyan: Meinen ersten Lehrer für klassische<br />

Musik bekam ich, da war ich fünf. Mit sechs<br />

kam ich dann auf die Musikschule und habe für<br />

gut 11 Jahre Klassik studiert. Als ich 11 wurde,<br />

hatte ich meinen ersten Jazz-Lehrer. In der Zeit<br />

wurde mir klar, worum sich der Jazz eigentlich<br />

dreht. Ich gab auch meine ersten Konzerte in jener<br />

Zeit. Der Name meines Lehrers war Vahag Hayrapetyan,<br />

er ist ein großartiger Pianist. Er brachte<br />

mich zum Bebop. Hayrapetyan war in New York<br />

gewesen und hatte bei Barry Harris Unterricht<br />

gehabt. Nachdem er nach Armenien zurückkehrte,<br />

gab er Privatunterricht und Masterclasses. Ich<br />

blieb bei ihm acht Monate, dann ging ich wieder<br />

meine eigenen Wege.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Was faszinierte Sie am Jazz?<br />

Tigran Hamasyan: Das Improvisieren, würde ich<br />

sagen. Von Anfang an, solange ich mich zurückerinnere,<br />

hatte ich eine Leidenschaft für die Improvisation.<br />

Ich improvisierte, ohne zu wissen, was<br />

ich da tat. Vielleicht hat es mich ja deshalb so zum<br />

Jazz hingezogen. Weil es im Jazz im Kern ja um die<br />

Improvisation geht.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Haben Sie Vorbilder im Jazz?<br />

Tigran Hamasyan: Natürlich Herbie Hancock.<br />

Das war der Erste. Danach Thelonious Monk, Bud<br />

Powell, Charlie Parker, Coleman Hawkins, Art<br />

Tatum …<br />

PIANO<strong>News</strong>: Gibt es in Armenien eigentlich viele<br />

Pianisten?<br />

Tigran Hamasyan: Massenhaft! Allerdings weniger<br />

im Jazz, denn das war während der Sowjetzeit<br />

eine sehr kontroverse Musik. Deshalb entwickelte<br />

er sich nur wenig. Es gab zwar Jazz in der UdSSR,<br />

aber Armenien war in der Hinsicht nicht gerade<br />

ein guter Platz dafür. Nichts drang dorthin vor,<br />

kaum Informationen. Also fing dort alles erst viel<br />

später an. In der Klassik sieht das anders aus, jede<br />

Schule könnte tonnenweise Virtuosen vorweisen!<br />

J J<br />

AZZ-INTERVIEW<br />

[lacht] In der Beziehung ist Armenien wirklich gut.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Ist es eine ausgemachte Sache für armenische<br />

Pianisten, in die USA zu gehen?<br />

Tigran Hamasyan: Na ja … Jeder sucht sich eben<br />

seinen Weg im Leben! In Armenien ist es schwer,<br />

eine Karriere auf die Beine zu stellen. Als ich Jugendlicher<br />

war – ich war sechzehn Jahre alt und<br />

lebte noch bei meinen Eltern –, da zog meine ganze<br />

Familie mit mir nach Los Angeles um. Mein Vater,<br />

meine Mutter, meine kleine Schwester. Sie ist<br />

fünf Jahre jünger <strong>als</strong> ich und Malerin. Bildende<br />

Künstlerin, sollte ich vielleicht besser sagen. Meine<br />

Eltern glaubten, dass wir beide in den USA bessere<br />

Chancen haben würden.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Mit 11 Jahren standen Sie das erste<br />

Mal auf einer Bühne. Können Sie die Bezeichnung<br />

„Wunderkind“ leiden?<br />

Foto: Vahan Stephanyan<br />

Tigran Hamasyan: Mir geht es darum, dass man<br />

meiner Musik zuhört und Gefallen daran findet,<br />

was ich mache. Ich selbst <strong>als</strong> Person sollte dabei<br />

keine Rolle spielen, oder die Tatsache, dass ich<br />

früh angefangen habe. Musik macht man für<br />

Menschen, und ob man damit <strong>als</strong> Fünfjähriger<br />

oder mit zwanzig anfängt, sollte egal sein.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Aber gewisse Auswirkungen hatte der<br />

frühe Start doch sicher. Hat man Sie mit dem Fußball<br />

auf der Straße gesehen oder haben Sie den ganzen Tag<br />

geübt?<br />

Tigran Hamasyan: Klar habe ich Fußball gespielt!<br />

Ich war doch ein ganz normaler Junge. So sehr ich<br />

auch Musik liebte, ich wollte <strong>als</strong> Kind doch auch<br />

5 . 11 61


J<br />

Foto: Vahan Stephanyan<br />

62<br />

J AZZ-INTERVIEW<br />

immer draußen sein und spielen. Es gab natürlich<br />

auch Phasen, wo ich lieber Musik machte. Das<br />

nenne ich meine besessenen Phasen. Als ich Bebop<br />

lernte, da hatte ich so eine – ein, zwei Monate übte<br />

ich wirklich den ganzen Tag.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Sie holen sich viel Inspiration aus der<br />

armenischen Volksmusik. Stimmt das?<br />

Tigran Hamasyan: Ja, das ist wahr. Die armenische<br />

Volksmusik ist eine Quelle der Inspiration für<br />

mich, aber genauso die<br />

klassische indische<br />

Musik und skandinavischer<br />

Folk. Auch die<br />

Volksmusik anderer<br />

Länder. Aber die meisten<br />

meiner Kompositionen<br />

wurzeln in der<br />

armenischen Folklore.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Was genau,<br />

welche Aspekte der<br />

Volksmusik sind es, die Sie<br />

anziehen?<br />

Tigran Hamasyan:<br />

Nachdem ich mich vom<br />

Bebop zu lösen und dessen<br />

strikte Regeln, seine<br />

harmonischen und melodischen<br />

Gesetze, zu<br />

durchbrechen begonnen<br />

hatte, fing ich an zu<br />

überlegen, was für ein<br />

Vokabular ich stattdessen<br />

verwenden könnte.<br />

Der Jazz baut ja ziemlich<br />

auf der Klassik auf,<br />

Dur und Moll und die Kirchentonleitern.<br />

Als ich mit vierzehn die armenische Volksmusik<br />

entdeckte – vielmehr sollte ich sagen: wiederentdeckte!<br />

– wurde mir klar, was ich da vernachlässigt,<br />

ja geradezu ignoriert hatte. Meine Herkunft,<br />

mein musikalisches Erbe! Also begann ich, mich in<br />

die armenische Folklore zu vertiefen und einzuarbeiten.<br />

Ein langer Weg und er wird bis zu meinem<br />

Tod nicht enden, da bin ich überzeugt. Und mit<br />

der Zeit wurde die Volksmusik zu meinem Ausdrucksmedium;<br />

der Jazz war nur noch Mittel zum<br />

Zweck, nämlich zu improvisieren. Nur, dass mein<br />

Jazz jetzt auf der armenischen Musik aufbaut, auf<br />

deren Modi und Skalen. Gleichzeitig wurde meine<br />

Diskografie<br />

Solo<br />

Red Hail (Plus Loin Music, 2009)<br />

World Passion (Nocturne Records, 2006)<br />

Tigran Hamasyan Trio<br />

New Era (Nocturne Records, 2007)<br />

Die aktuelle CD:<br />

A Fable (Verve/Universal 2011)<br />

Art zu komponieren immer „klassischer“. Alles<br />

wird ausnotiert, alles ist festgelegt. Natürlich nicht<br />

die improvisierten Teile, aber die Melodien und<br />

die durchkomponierten Abschnitte. Und die bauen<br />

wieder auf der armenischen Musik auf. Was die<br />

Harmonien angeht, da steckt natürlich auch viel<br />

Europäisches drin, aber aus einer Folk-Perspektive<br />

betrachtet – beispielsweise indem die Harmonien<br />

den armenischen Modi folgen.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Spielt Armenien oder die Erinnerung<br />

daran auch sonst in Ihren Kompositionen ein Rolle?<br />

Die Landschaft, Farben, der Duft der Pflanzen? Haben<br />

Sie das vor Augen, wenn Sie schreiben?<br />

Tigran Hamasyan: Bei einigen Stücken sicher. Es<br />

kommt auf den Song an. Wenn ich ein überliefertes<br />

Lied arrangiere, das die Frauen beim Buttermachen<br />

sangen, dann bestimmt. Es hat einfach<br />

eine solche Stimmung. Oder wenn es bei einem<br />

Stück thematisch um die Natur geht.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Sie sind in Jazz, in der Klassik und im<br />

Rock beheimatet. Wo sehen Sie sich selbst dabei<br />

eigentlich?<br />

Tigran Hamasyan: Sogar die Marketingleute<br />

haben es schwer mit mir. Ich verstehe ja, dass sie<br />

mich in eine Kiste packen wollen. Seit ich angefangen<br />

habe, den Folk zu assimilieren, ist das noch<br />

schwerer geworden. Beim Rock ging es wohl noch<br />

irgendwie! [lacht] Ich mag es aber nicht, wenn<br />

Musik in Kategorien gesteckt wird. Stile existieren<br />

<strong>als</strong> Bezeichnungen, aber die Musik existiert neben<br />

und über den Stilen, nicht darin. Stile sind nur<br />

Namen, die sich jemand ausgedacht hat. Musiker<br />

denken nicht in Stilen.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Nehmen Sie ein leeres Blatt Papier zur<br />

Hand, wenn Sie anfangen zu komponieren? Oder<br />

kommt erst eine Idee, eine Melodie?<br />

Tigran Hamasyan: Ganz verschieden. Meistens<br />

habe ich Ideen, wenn ich nicht in der Nähe eines<br />

Klaviers bin. Ich nehme das dann irgendwie auf,<br />

singe die Melodie oder den Rhythmus. Wenn ich<br />

dann am Klavier sitze, kommt der Prozess des Ausarbeitens.<br />

An anderen Tagen sitze ich wiederum<br />

am Klavier und will eigentlich üben. Und dann<br />

merke ich, dass ich in der Stimmung bin, etwas zu<br />

komponieren. Meist kommt dann wirklich etwas<br />

dabei heraus. Manchmal spiele ich auch ein konkretes<br />

Stück, drifte dann plötzlich ab und es<br />

5 . 11


kommt mir ein Einfall. Und daraus erwächst dann<br />

ein neuer Song.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Eine gute Gelegenheit, mal nach ein<br />

paar Ihrer Stücke zu fragen. Für „Longing“ haben Sie<br />

einen Text von Hovhannes Tumanyan vertont. Wovon<br />

handelt das Lied?<br />

Tigran Hamasyan: Es ist ein Lied über das Heimweh.<br />

Tumayan war sehr häufig im Ausland, in<br />

verschiedenen Ländern und reiste hin und her. Es<br />

waren dam<strong>als</strong> harte Zeiten zuhause. In Armenien<br />

ist Tumayan ein Held, gewissermaßen einer der<br />

berühmtesten Dichter und Autoren. In der Kultur<br />

der armenischen Folklore ist er überaus präsent, er<br />

ging in die Dörfer, um Erzählungen zu sammeln,<br />

Geschichten, Legenden. Und alles, was er schrieb,<br />

das meiste zumindest, baut darauf auf. Es sind<br />

eine Vielzahl historischer Erzählungen, aber auch<br />

kurzer Gedichte. Für dieses spezielle Stück habe ich<br />

zwei Werke zusammengefasst, die eigentlich nicht<br />

zusammengehören. Sie sind aber zur gleichen Zeit<br />

entstanden und behandeln dasselbe Thema. Sogar<br />

das Reimschema ist ähnlich. Also kombinierte ich<br />

das und schrieb Musik dazu.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Fiel es Ihnen leicht, zu singen?<br />

Tigran Hamasyan: Das war schon eine Herausforderung!<br />

Obwohl ich früher gesungen hatte.<br />

J J<br />

AZZ-INTERVIEW<br />

Stimmt, ich bin Pianist. Aber vor dem Stimmbruch<br />

war ich auch Sänger. Davon gibt es sogar Aufnahmen,<br />

mit einer Bigband … Mit der Adoleszenz verabschiedete<br />

sich meine Stimme leider. Es ist noch<br />

nicht lange her, dass ich wieder angefangen habe.<br />

Ich muss dafür arbeiten, aber es macht Spaß. Ich<br />

singe wieder beim Komponieren.<br />

PIANO<strong>News</strong>: Jetzt arbeiten Sie solo. Wie finden Sie<br />

das, verglichen mit dem Spiel in einer Band?<br />

Tigran Hamasyan: Anstrengend, weil es technisch<br />

anspruchsvoller ist, aber gleichzeitig lohnend.<br />

Weil man ungeheure Freiheiten dabei hat.<br />

In diesen Freiheiten liegt aber die Herausforderung,<br />

weil man auf die eigenen Einfälle angewiesen<br />

ist. Es ist ja sonst niemand da, wohingegen<br />

in einer Band viele Ideen von den Mitmusikern<br />

kommen. Man braucht nicht alles beizusteuern.<br />

Darum geht es ja in einer Jazzband, dass man aufeinander<br />

aufbaut. Spielt man solo, baut man auf<br />

sich allein. Gleichzeitig kann man beim Improvisieren<br />

tun, was man will. Das ist das Spannende:<br />

Du bist allein mit dir, dem Klavier und dem Raum,<br />

in dem du spielst. Allein mit dem Klang …<br />

www.tigranhamasyan.com


B B ERICHTE<br />

Damit wollte man auch an die großen Zeiten der<br />

„Klavierstadt Berlin“ anknüpfen, <strong>als</strong> hier zu Beginn<br />

des letzten Jahrhunderts legendäre Virtuosen wie<br />

Horowitz, Arrau oder der junge Artur Rubinstein lebten und<br />

die Zuhörerkultur von einer großen Anzahl selbst musizierender<br />

Laien getragen war. Und zusammen mit dem Kooperationspartner<br />

„Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ war<br />

auch schnell ein durchgehendes, zwar nicht neues, aber<br />

doch auch nicht alltägliches Thema gefunden: die Verbindung<br />

von Musik und Bildender Kunst. Wie weiland Sergej<br />

Rachmaninow und Max Reger sinfonische Dichtungen<br />

nach Arnold Böcklins Gemälde „Die Toteninsel“ schufen,<br />

der Synästhetiker Alexander Skrjabin ein „Licht- und Farbenklavier“<br />

entwickelte oder Modest Mussorgsky die „Bilder<br />

einer Ausstellung“ des verstorbenen Malerfreundes Viktor<br />

Hartmann in Tönen wiederauferstehen ließ, so sollten jetzt<br />

Auftragswerke zur zeitgenössischen Produktion bildnerisch<br />

inspirierter Musik beitragen. An sechs Klavierabenden wurden<br />

sie vorgestellt, von sechs jungen Pianisten, die außerdem<br />

noch in einem Nachmittagskonzert bzw. einer Matinee<br />

zu Gehör kamen. Sie alle hatten teils spektakuläre Wettbewerbserfolge<br />

vorzuweisen, die sie in die Startlöcher zur großen<br />

Karriere stellten.<br />

Angst vor der Moderne mussten die stets zahlreichen, aufmerksamen<br />

Zuhörer dabei nicht haben. Gerade in Verbindung<br />

mit bildnerischen Vorstellungen waren die Stücke<br />

insgesamt recht eingängig zu hören und trugen der virtuosen<br />

Tradition des Klaviers durchaus Rechnung. Teilweise<br />

konnten sehr sinnfällige Umsetzungen von der visuellen auf<br />

die akustische Ebene gefunden werden. Birke Bertelsmeier<br />

etwa, vom tiefschürfenden Wolfgang Rihm ausgebildet, nä-<br />

Schwarze Farbe, aus<br />

Klavierclustern tropfend<br />

Das Berliner Festival „Klavierfieber“<br />

Andrew Brownell spielt vor der<br />

Projektion des Gemäldes „1-09-94“<br />

von Zao Wou-Ki die Komposition<br />

Imprint-Blue (2011) for „1-09-94“<br />

von Ying Wang.<br />

Foto: Kai Bienert<br />

Klavierklänge wehen durch die Sommerluft: Sie kommen von einem Lastwagen vor der Berliner<br />

Gemäldegalerie, auf dem die Jungstudentin Constanze Pfeiffer an einem festmontierten Flügel sitzt.<br />

Unermüdlich spielt sie, ohne sich von den umherflanierenden Menschen oder dem wogenden<br />

Verkehrslärm stören zu lassen. Selten bleibt jemand stehen und hört richtig zu; kaum ist auszumachen,<br />

was hier überhaupt erklingt. Auch an anderen Kulturstätten der Hauptstadt war dieses „<strong>Piano</strong>mobil“ im<br />

Juni mit wechselnden jugendlichen Pianisten anzutreffen, vor der Deutschen Oper etwa oder auf der<br />

Museumsinsel. Ein Werbegag, der auf ein brandneues Festival aufmerksam machen sollte: Nachdem sich<br />

die Jugendorchester-Reihe „Young Euro Classic“ im August immer mehr ausgeweitet hatte und mittlerweile<br />

auch dem Klavier einen ganzen Tag widmet, kam ihrem Veranstalter die Idee zu einem eigenen<br />

Klavierfestival. Nun sollte überall „Klavierfieber“ ausbrechen, der Virus der Klavierbegeisterung in der<br />

ganzen Stadt verbreitet werden.<br />

Von: Isabel Herzfeld<br />

hert sich dem antiken „Markttor von Milet“ aus Kleinasien<br />

durchaus originell „… von der anderen Seite“, wie der Titel<br />

ihres Stückes lautet. Hin- und hergedrehtes Klangmaterial<br />

entspricht tatsächlich einer Betrachtung von verschiedenen<br />

Seiten aus. Lebhafte, kontrastreiche Bewegung und stille<br />

Klangflächen imaginieren ebenso früheres Leben wie Leere<br />

und Verfall. Die Brüchigkeit des im Bombenhagel beschädigten<br />

Bauwerks gab die 30-Jährige wieder, indem sie einige<br />

Diskantsaiten mit Tesafilm abklebte, dadurch in fahlen,<br />

brüchigen Klängen „zum Verschwinden brachte“. Der deutsche<br />

Pianist Hinrich Alpers versah das Stück mit „impressionistisch“<br />

weichen Farben. Seiner Tongebung kam auch die<br />

10. Sonate von Skrjabin entgegen, ein überwältigender Trillerrausch.<br />

Doch <strong>als</strong> Schumann- und Beethoven-Interpret<br />

enttäuschte der Gewinner des Telecom Beethoven Competition<br />

2009, indem die C-Dur-Fantasie statt mit Temperament<br />

und Leidenschaft mit Ungenauigkeiten aufwartete,<br />

der As-Dur-Sonate op. 110 das klare, entschiedene Profil<br />

fehlte.<br />

Lust am Experimentieren mit dem Instrument selbst zeigte<br />

außer Bertelsmeier lediglich die Chinesin Ying Wang. Sie<br />

hatte ein Gemälde ihres Landsmannes Zao Wou-Ki gewählt,<br />

dessen Titel „1-09-94“ einfach sein Entstehungsdatum<br />

bezeichnet. Seine bewegten Strukturen in Weiß, Blau und<br />

Schwarz – von ferne an den abstrakten Expressionismus<br />

Jackson Pollocks erinnernd – eigneten sich vorzüglich zur<br />

kompositorischen Übertragung auf helle und dunkle Register<br />

der Klaviatur. Cluster entsprachen den Farbflächen,<br />

Repetitionen imitierten das Tröpfeln der Farbe auf die Leinwand.<br />

Das schwarze Zentrum des Gemäldes wirkt wie ein<br />

Sog ins Nichts, der die 35-jährige Komponistin, die derzeit<br />

64 5 . 11


5 . 11<br />

B ERICHTE<br />

noch in Köln elektronische Musik studiert, zu etwas Tonlosem<br />

inspirierte: zum geräuschvollen, rhythmischen Treten<br />

des linken Ped<strong>als</strong>, der sogenannten „Verschiebung“, das<br />

nachhallend einen gespenstisch wirkenden Klangraum<br />

schuf. Die in ihrer fantasiereichen Konsequenz vielleicht<br />

schlüssigste Bildkomposition des ganzen Festiv<strong>als</strong> wurde<br />

von Andrew Brownell, USA, kontrastreich interpretiert. Der<br />

Gewinner des Leipziger Bach-Wettbewerbs 2002 und des<br />

Hummel-Wettbewerbs 2005 hatte viel Barock-Vorklassisches<br />

im Gepäck, doch faszinierte er am stärksten, wenn<br />

es virtuos so richtig zur Sache ging. Liszts „Réminiscences de<br />

Don Juan“ jedenfalls atmeten verblüffenden, aus einer gewissen<br />

Distanz zum Romantischen geborenen Witz.<br />

Ganz der Romantik verschrieben hat sich die Japanerin<br />

Mizuka Kano. Doch stand ihr Klavierabend in der Gemäldegalerie<br />

unter keinem guten Stern. „Drei Romanzen“ von<br />

Clara Schumann konnten sich in der Badewannenakustik<br />

des Raumes so eben noch behaupten – vielleicht aber nur<br />

aufgrund ihrer vergleichsweise simplen Struktur. Die „Variationen<br />

über ein Thema von Schumann“ op. 9 von Johannes<br />

Brahms und die „Davidsbündlertänze“ von Schumann<br />

selbst jedenfalls klangen so hölzern und undifferenziert,<br />

dass man sich fragen musste, wie die Pianistin seinerzeit<br />

wohl zum Gewinn des Zwickauer Schumann-Wettbewerbs<br />

kommen konnte. In ihr Programm passte Bernhard Weidners<br />

„Tableau vivant“ nach Caspar David Friedrichs „Der<br />

einsame Baum“ an sich perfekt hinein, doch auch hier<br />

wirkte sich der Raum ungünstig aus. Aufgrund der Lichtverhältnisse<br />

war das auf Leinwand projizierte Gemälde ausgerechnet<br />

an diesem Ort der Kunst kaum zu sehen. Über<br />

eine musikalische Auseinandersetzung mit dem Bild schoben<br />

sich zudem Fetzen der übermächtigen Beethoven-Sonate<br />

op. 111 – wozu sich der Komponist dadurch berechtigt<br />

fühlte, dass sie mit Friedrichs Werk das Entstehungsdatum<br />

gemeinsam hat. So geriet das Bild nicht nur aus dem Blick-,<br />

sondern auch aus dem Hörfeld, war höchst äußerlicher Anlass<br />

zur Musik.<br />

Wie seltsam, dass die ungünstigen Bedingungen beim<br />

Klavierabend von Romain Descharmes im selben Raum<br />

kaum störten. Auch hier verschwamm das Gemälde<br />

„Schlachtfeld von Marathon“ von Carl Anton Rottmann im<br />

Gegenlicht. Doch Violeta Dinescus Vertonung „zeichnete“<br />

seine Kontraste von Nebeldunst, Zusammenballung gewaltiger<br />

Energien und Ausbruch im Feuersturm derart zwingend<br />

nach, dass sich sofort eine Wechselwirkung erkennen<br />

ließ. Prägnante thematische Gestalten strukturierten den<br />

eher diffusen Untergrund, und aus den gewaltigen Unterarmclustern<br />

im Bass hörte man förmlich die schwarze Farbe<br />

heraustropfen. Dabei spielte der 31-jährige Franzose, vor<br />

fünf Jahren Gewinner beim Wettbewerb in Dublin, so farbenreich,<br />

sinnlich und zugleich intelligent, dass man auch<br />

über alle akustischen Unwegsamkeiten hinweglauschte.<br />

Descharmes legte einen furiosen, fantasievollen „Carnaval“<br />

von Schumann hin, dessen rauschhaft gesteigerter „Marsch<br />

der Davidsbündler gegen die Philister“ seine abgründige<br />

Konsequenz in Maurice Ravels „La V<strong>als</strong>e“ fand. Höchst erfreulich,<br />

dazwischen einmal Emanuel Chabriers „Pièces pittoresques“<br />

zu begegnen, prallbunten, vitalen, verträumten,<br />

tänzerischen Klangszenerien.<br />

Wie die renommierte Rumänin Dinescu hat auch Jens<br />

Joneleit in letzter Zeit größeren Bekanntheitsgrad erreicht.<br />

Spektakulär wirkte die Uraufführung seiner Oper „Metanoia“<br />

im letzten Herbst durch Daniel Barenboim an der<br />

Berliner Staatsoper. Doch ausgerechnet sein Werk enttäuschte.<br />

Der 1968 geborene Komponist, der angibt, „auch<br />

Maler“ zu sein, hatte sich Hanna Höchs Collage „Schnitt<br />

mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer<br />

B<br />

Bierbauchkulturepoche Deutschlands“ ausgesucht – die vor<br />

den großen Fenstern der Neuen Nationalgalerie überhaupt<br />

nicht gezeigt werden konnte. Stattdessen eröffnete sich der<br />

Blick auf Berliner Baustellen. Wie Höch fremdes Fotomaterial<br />

zerschneidet und neu montiert, so warf Joneleit Klangschnipsel<br />

aus älteren unveröffentlichten Skizzen auf ein<br />

großes Blatt Papier und baute sein Stück aus dieser zufälligen<br />

Materialzusammenstellung. Die parallele Herangehensweise<br />

wirkt auf den ersten Blick überzeugend, doch<br />

was bei Höch vitalen, scharfsinnigen Witz entwickelt, bleibt<br />

bei Joneleit in drögen, dürren Tonpunkten und -linien befangen,<br />

eine beliebig anmutende, reizlose Versuchsanordnung.<br />

Der Kanadier Winston Choi, der <strong>als</strong> Anwalt der Moderne<br />

Klaviermusik von Boulez in die USA und die Werke<br />

des Amerikaners Elliott Carter nach Europa brachte, stellte<br />

Joneleit sperrige Nachtmusiken des Franzosen Jacques Lenot<br />

(* 1945) gegenüber, blieb der querständigen Virtuosität<br />

eines Johannes Brahms in dessen „Paganini-Variationen“<br />

jedoch einiges an<br />

Farbigkeit und Herzblut<br />

Denis Kozhukhin<br />

vor der Projektion der Büste der Nofretete<br />

schuldig.<br />

Foto: Kai Bienert<br />

All diese Ereignisse<br />

überstrahlte der aufgehende<br />

Stern des jungen<br />

Russen Denis Kozhukhin.<br />

Seit er im vorigen Jahr<br />

den renommierten Wettbewerb<br />

„Reine Elisabeth“<br />

in Brüssel gewann, kann<br />

sich der 24-Jährige vor<br />

Einladungen in alle Welt<br />

kaum mehr retten. In Berlin<br />

faszinierte er mit einer<br />

fulminanten Virtuosität,<br />

die sich jedoch nie prahlerisch<br />

vor das Werk selbst<br />

schiebt, sondern mit Klarheit<br />

und Sensibilität<br />

Strukturen und Emotionen<br />

in Balance bringt. So<br />

bezauberte Haydns Sonate<br />

Es-Dur Hob. XVI:49 mit<br />

klanglicher Wärme und<br />

pointensicherem Witz, betörten die sanften, ganz nach<br />

innen gerichteten Schattierungen der „Benediction de Dieu<br />

dans la solitude“ von Franz Liszt, riss die pure Bewegungslust<br />

in „Venezia e Napoli“ das Publikum von den Sitzen. Für<br />

seinen „großen“ Klavierabend in der Staatsbibliothek hatte<br />

Kozhukhin sein Programm perfekt „komponiert“: So erhielt<br />

die Uraufführung „Nofretete“ des 1973 geborenen Deutsch-<br />

Dänen Søren Nils Eichberg zwischen Hindemiths dritter<br />

und Prokofiews 5. Sonate ein ganz besonderes Profil. Es<br />

schien, <strong>als</strong> hätte die Komposition, die Schönheit und<br />

Geheimnis einer historischen Figur heraufbeschwört, von<br />

der zuweilen expressiv ausbrechenden Strenge des einen,<br />

von der maschinenhaft auftrumpfenden Dämonie des anderen<br />

Werkes etwas abbekommen, sei selbst ein Stück Neoklassizismus<br />

voll grenzüberschreitender Ausdrucksgehalte<br />

geworden. Mit überwältigender, farbensprühender Intensität<br />

spielte Kozhukhin auch die hier natürlich besonders<br />

passenden „Bilder einer Ausstellung“ von Mussorgsky – hier<br />

entwickelt sich eine Musikerpersönlichkeit, die gleich nach<br />

der großen, das Festival mit Proben ihrer unnachahmlichen<br />

Anschlagskunst eröffnenden Elisabeth Leonskaja dem „Klavierfieber“<br />

Glanz verlieh.<br />

65


W W ETTBEWERBE<br />

Zeichnung: Wolfgang Hülk<br />

Diese Liste erhebt keinerlei Anspruch auf<br />

Vollständigkeit. Alle Angaben ohne Gewähr.<br />

Die aufgeführten Wettbewerbe<br />

wurden so ausgewählt, dass bei<br />

Erscheinen dieser <strong>Ausgabe</strong> von<br />

PIANO<strong>News</strong> noch die Möglichkeit<br />

einer Bewerbung besteht.<br />

2012<br />

19. Januar – 4. Februar 2012<br />

Pretoria (Südafrika)<br />

12. Unisa International <strong>Piano</strong><br />

Competition<br />

Unisa International Music<br />

Competition<br />

PO Box 392, UNISA<br />

South Africa 0003<br />

Tel.: +27 / 12 / 429 33 44 / 33 36 /<br />

33 11<br />

Fax: +27 / 12 / 429 3644<br />

E-Mail: musicomp@unisa.ac.za<br />

www.unisa.ac.za/musicfoundation<br />

Altersbegrenzung: 30 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 31. August 2011<br />

24. Februar – 4. März 2012<br />

Orléans (Frankreich)<br />

10th International <strong>Piano</strong><br />

Competition Orléans<br />

O.C.I.<br />

46ter, rue Sainte Catherine<br />

45000 Orléans<br />

Frankreich<br />

Tel. & Fax: +33 / 6 / 38 62 89 22<br />

E-Mail: ocipiano@wanadoo.fr<br />

www.oci-piano.com<br />

Altersbegrenzung: 42 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 10. Dezember 2011<br />

26. Februar –17. März 2012<br />

Bremen (Deutschland)<br />

Europäischer<br />

Klavierwettbewerb Bremen<br />

Tel.: +49 / 4296 / 74 86 08<br />

Fax: +49 / 4296 / 74 86 07<br />

E-Mail: info@ekw-bremen.de<br />

www.ekw-bremen.de<br />

11.–21. März 2012<br />

Würzburg (Deutschland)<br />

8. Internationaler<br />

Klavierwettbewerb Johann<br />

Sebastian Bach<br />

Hochschule für Musik Würzburg<br />

Prof. Inge Rosar<br />

Höhenweg 197<br />

66133 Saarbrücken<br />

Tel.: +49 / 681 / 893 186<br />

E-Mail: info@bach-competition.de<br />

www.bach-competition.de<br />

Altersbegrenzung: 36 Jahre<br />

4.–18. Mai 2012<br />

Dublin (Irland)<br />

Dublin International <strong>Piano</strong><br />

Competition<br />

Dublin International <strong>Piano</strong><br />

Competition<br />

P. O. Box 71<br />

An Poist, Bray, Co. Wicklow<br />

Irland<br />

Tel.: +353 / 1 / 272 15 23<br />

Fax: +353 / 1 / 272 15 08<br />

E-Mail:<br />

dublinpianocomp@gmail.com<br />

www.dipc.ie<br />

1.–4. Juni 2012<br />

Gaillard (Frankreich)<br />

8. International Adilia Alieva<br />

<strong>Piano</strong> Competition<br />

Tel.: +33 450 39 67 13<br />

Fax: +33 450 39 79 38<br />

E-Mail:<br />

alievacompetition@yahoo.co.uk<br />

Altersbegrenzung:<br />

Kategorie 1: 14 bis 21 Jahre<br />

Kategorie 2: 22 bis 45 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 31. März 2012<br />

2.–12. Juni 2012<br />

Zürich (Schweiz)<br />

12. Concours Géza Anda<br />

Géza Anda-Stiftung<br />

Bleicherweg 18, CH-8002 Zürich<br />

Tel.: +41 44 205 14 23<br />

Fax: +41 44 205 14 29<br />

E-Mail: info.gezaanda.ch<br />

www.gezaanda.ch<br />

Altersbegrenzung: geboren nach<br />

dem 1. Juni 1980<br />

Anmeldeschluss: 29. Februar 2012<br />

18.–30. Juni 2012<br />

Salt Lake City (Utah, USA)<br />

Gina Bachauer International<br />

Junior & Young Artists <strong>Piano</strong><br />

Competitions<br />

Gina Bachauer International <strong>Piano</strong><br />

Foundation<br />

138 West 300 South<br />

Suite 220<br />

Salt Lake City, UT 84121 USA<br />

Tel.: +1 801 297 4250<br />

Fax: +1 801 521 9202<br />

E-Mail: info@bacuaer-com<br />

www.bachauer.com<br />

Altersbegrenzung:<br />

Junior <strong>Piano</strong> Competition:<br />

11–13 Jahre<br />

Young Artists <strong>Piano</strong> Competition:<br />

14–18 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 1. September 2011<br />

Juni 2012<br />

Moskau (Russland)<br />

Svjatoslav Richter<br />

International <strong>Piano</strong> Forum<br />

International <strong>Piano</strong> Forum<br />

Bolshaya Nikitskaya Str. 46/17,<br />

Bld. 1<br />

Moskau 121069<br />

Russland<br />

Tel.: +7 / 495-69 056 32<br />

Fax: +7 / 495-69 146 72<br />

E-Mail: info@richterforum.com<br />

www.richterforum.com<br />

keine Altersbegrenzung<br />

Anmeldeschluss: 15. Februar 2012<br />

25. Juli – 7. August 2012<br />

Santander (Spanien)<br />

International Santander <strong>Piano</strong><br />

Competition Paloma O’Shea<br />

Concurso Internacional de <strong>Piano</strong><br />

de Santander Paloma O’Shea<br />

Calle Hernán Cortés, 3<br />

E - 39003 Santander<br />

Tel.: +34 / 942 / 31 14 51<br />

Fax: +34 / 942 / 31 48 16<br />

E-Mail: concurso@albeniz.com<br />

www.concoursodepianodesantander.com<br />

Altersbegrenzung: 29 Jahre<br />

Anmeldeschluss:<br />

15. November 2011<br />

4.–12. August 2012<br />

Ettlingen (Deutschland)<br />

13. Internationaler<br />

Wettbewerb für junge<br />

Pianisten<br />

Musikschule der Stadt Ettlingen<br />

Pforzheimer Str. 25<br />

76275 Ettlingen<br />

Tel.: +49 / 7243 / 101-448, 101-312<br />

Fax: +49 / 7243 / 101-180<br />

E-Mail: info@pianocompetition.org<br />

www.pianocompetition.org<br />

Altersbegrenzung:<br />

Kategorie 1: bis 16 Jahre<br />

Kategorie 2: bis 21 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 30. April 2012<br />

29. August – 16. September 2012<br />

Leeds (Großbritannien)<br />

Leeds International <strong>Piano</strong>forte<br />

Competition<br />

Leeds International <strong>Piano</strong>forte<br />

Competition<br />

<strong>Piano</strong> Competition Office<br />

66 5 . 11


5 . 11<br />

W ETTBEWERBE<br />

The University of Leeds, Leeds, LS2 9JT<br />

United Kingdom<br />

Tel.: +44 / 113 / 244 6586<br />

E-Mail: pianocompetitioni@leeds.ac.uk<br />

www.leedspiano.com<br />

Altersbegrenzung: 30 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 1. Februar 2012<br />

13.–27. September 2012<br />

Helsinki (Finland)<br />

3. Helsinki International Maj Lind <strong>Piano</strong><br />

Competition<br />

The 4rd Helsinki International Maj Lind <strong>Piano</strong><br />

Competition<br />

P. O. Box 86<br />

00251 Helsinki<br />

Finnland<br />

Tel.: +44 / 113 / 244 6586<br />

E-Mail: anna-krohn@siba.fi<br />

www.siba.fi/majlind<br />

Altersbegrenzung: 30 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 15. Mai 2012<br />

17.–26. Oktober 2012<br />

Calgary (Kanada)<br />

Honens International <strong>Piano</strong> Competition<br />

Honens International <strong>Piano</strong> Competition<br />

888 Tenth Street SW<br />

Calgary Alberta T2P 2X1<br />

Kanada<br />

Tel.: +1 / 403 / 299 01 30<br />

Fax: +1 / 403 / 299 01 37<br />

E-Mail: info@honens.com<br />

www.honens.com<br />

Anmeldeschluss: 1. Februar 2012<br />

23. Oktober – 3. November 2012<br />

Odessa (Ukraine)<br />

V. International <strong>Piano</strong> Competition<br />

in Memory of Emil Gilels<br />

Odessa State A. V. Nezhdanova Music Academy<br />

63, Novoselskogo Str.<br />

65023 Odessa<br />

Ukraine<br />

Tel.: +380 / 48 / 777 37 96<br />

Fax: +380 / 48 / 72 678 76<br />

E-Mail: odma@online.ua<br />

www.music-academy.odessa.ua<br />

Altersbegrenzung: 16–30 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 1. Juli 2012<br />

November 2012<br />

Paris (Frankreich)<br />

Concours Long Thibaud<br />

Concours „Long Thibaud“<br />

32, avenue Matignon<br />

75008 Paris<br />

Frankreich<br />

Tel.: +33 / 1 / 42 66 66 80<br />

Fax: +33 / 1 / 42 66 06 43<br />

E-Mail: information@long-thibaud.com<br />

www.concours-long-thibaud.com<br />

Anmeldeschluss: Mai 2012


P P ROFI-TIPPS<br />

von: Ratko Delorko<br />

Liszt verwendet zwei Formen der Etüde: Das<br />

rein problemorientierte Werk, das ausschließlich<br />

ein isoliertes technisches Detail behandelt<br />

(12 Etüden oder „Technische Studien“), und<br />

die Konzertetüde, die für das Podium konzipiert<br />

ist und immer 3–5 technische Probleme<br />

hintereinander oder sogar gleichzeitig<br />

angeht, und dazu immer noch für weitere<br />

Überraschungen gut ist. Diese Literatur ist<br />

höchst komplex und lässt auch erfahrene<br />

Spieler gelegentlich ins Grübeln beim Üben<br />

kommen.<br />

„La Leggierezza“ bedeutet „Die Leichtigkeit“.<br />

Gemeint ist: Wer „drückt“ und auf<br />

„Power Play“ aus ist, hat verloren. Das Werk hat<br />

höchst Chopin’sche Züge. Die Konzertetüde beginnt<br />

mit einer improvisatorischen Introduktion<br />

„a cappriccio“, bevor sie auf das 1. Thema zusteuert.<br />

Noch ist überhaupt keine Eile angesagt, <strong>als</strong>o<br />

genießen Sie die Poesie. Bei der scheinbaren<br />

Auflösung des b-Moll-7-Akkordes in den C-Dur-7-9<br />

Takt 3-4 spielt der Gleitton F die zentrale<br />

Rolle. Um das schön „seufzen“ zu lassen,<br />

spiele ich bei diesem Mal das F mit dem<br />

Daumen der linken Hand, bei Lust und<br />

Laune auch etwas zeitversetzt.<br />

Ab dem „quasi Allegretto“ beginnt das Hauptthema,<br />

das uns noch lange durch die Etüde begleiten<br />

wird. Wichtig: Bitte nehmen Sie die linke Hand<br />

total zurück. Die Etüde ist noch auf dem Hammerflügel<br />

komponiert worden, der durch seine vokalen<br />

Register (parallele Besaitung, dazu parallel<br />

verlaufende Resonanzbodenbretter) das Problem<br />

der eventuell zu lauten linken Hand gar nicht erst<br />

entstehen lässt. Aber der moderne Flügel betont<br />

die Mittellage ganz besonders, daher die linke<br />

Hand einfach Pianissimo spielen und dann stimmt<br />

die Balance.<br />

Nun kann man schon ein bisschen die pianisti-<br />

Liszts „La Leggierezza“<br />

Da wir uns noch im Liszt-Jahr befinden, müsste ich eigentlich antizyklisch denken und nicht<br />

über Liszt schreiben. Bei meiner Jurytätigkeit im vergangenen Monat spielte praktisch jeder<br />

Teilnehmer Liszt. Komisch, nicht? Die „Hits“ waren „Mazeppa“, „Campanella“, „Chasse-<br />

Neige“ und natürlich die Dante-Sonate. Bis zu drei Mal am Tag. Keiner beschäftigte sich mit<br />

der „Leggierezza“. Ein Grund, um über genau diese Liszt-Etüde zu reden.<br />

schen Muskeln spielen lassen und ziemlich anziehen.<br />

In dem folgenden Rallantando wird alles wieder<br />

kompensiert und das Thema wird in Ruhe um<br />

eine Oktave nach oben versetzt.<br />

In der folgenden Sextenstelle wünscht sich Liszt<br />

ein Legato in beiden Stimmen. In der Mittellage<br />

fällt es besonders auf, wenn 3-4-5 binden und der<br />

Daumen in der Unterstimme durch die Gegend<br />

hüpft. In der oberen Oktave ist es nicht ganz so<br />

störend. Daher teile ich die As-Dur-Sexten in der<br />

Mittellage wie folgt:<br />

Die drei folgenden Achtel-Sechzehntelketten können<br />

in drei Etappen beschleunigt werden. Jede<br />

Kette lassen Sie wieder leise anfangen. Nun folgt<br />

die gleiche Sextenstelle in E-Dur. Eine Abnahme<br />

mit der linken Hand ist in meinen Augen hier akustisch<br />

nicht mehr nötig, da die Lage höher ist und<br />

wir von der Espressivo- auf die Appassionato-<br />

Ebene gewechselt sind. Schnell findet sich das „più<br />

agitato“ mit chromatischen Sexten aufwärts ein.<br />

Bitte achten Sie darauf, den Daumen am vorderen<br />

Ende der schwarzen Taste in Extension und am<br />

hinteren Ende der weißen Taste in Flexion anzusetzen.<br />

68 5 . 11


5 . 11<br />

Die anschließenden vielen kleinen Stichnoten<br />

„poco rinforzando“ (etwas verstärkend) knapp an<br />

den Tasten und mit wenig Tiefgang spielen. Das<br />

beidhändige Auslaufen dann wirklich Nonlegato<br />

durch das Anziehen der Fingerkuppe zum Handballen<br />

hin gestalten. Die beiden Decrescendo-<br />

Nadeln funktionieren nur, wenn Sie an deren Beginn<br />

punktuell etwas lauter sind.<br />

Die folgende Sechzehntel-Girlande lässt sehr<br />

geschickt das Hauptthema ahnen. Bitte spielen Sie<br />

extrem nahe an der Taste, die 10 mm Tiefgang<br />

allein rauben schon genug Zeit. Weil Sie entlasten<br />

wollen, spielen Sie mit leicht erhöhtem Handgelenk.<br />

Auf einem Hammerflügel aus der Zeit können,<br />

nein, müssen Sie höher auslösen (mehr Fingerdistanz<br />

zur Tasten). Nicht auf dem modernen<br />

Instrument. Die linke Hand verbannen Sie in den<br />

entfernten Hintergrund, allein der Basston reicht,<br />

um die Funktion zu definieren. In dem folgenden<br />

„con grazia“ haben Sie genug Zeit, um sich frei zu<br />

bewegen.<br />

Liszt unterscheidet aus der klassischen Schulung<br />

heraus immer noch sehr fein zwischen Legato- und<br />

Nonlegato-Strecken. Hier lösen Sie mit höherem<br />

Fingerspiel und auf 2-3 Tiefgang (damit früherem<br />

Dämpferschluss) hoch aus. Beachten Sie das keilförmige<br />

Staccato-Zeichen, das man oft bei Haydn<br />

findet. Das ist klein und gemein gedacht, „zickiger“<br />

<strong>als</strong> das <strong>als</strong> Punkt dargestellte Signal. Wichtig:<br />

Vorher endet der Bogen, daher mit frechem Patsch<br />

draufgesprungen. Allerdings steht das Signal am<br />

Ende eines massiven Crescendos und wird dadurch<br />

schon ziemlich massiv. Den modernen Flügel,<br />

der mit dickem Röslau-Stahl besaitet ist und<br />

seinen Hammerstielen aus 3 Millimeter Buche<br />

kümmert das nicht wesentlich, beim Hammerflügel<br />

reißen bei solchen Lautstärkespitzen gerne<br />

die Saiten aus Weicheisen, oder sogar der dünne<br />

Hammerstiel aus hartem, aber gerne splitterndem<br />

Mahagoni kann brechen. Kein Wunder, dass Liszt<br />

bis zu drei Instrumente am Abend verbrauchen<br />

konnte.<br />

Das Thema, wieder in As-Dur, erscheint im Gewand<br />

alternierender Legato-Sexten. Das „C“ liegt<br />

so weit ab vom Schuss, dass ein Legato unmöglich<br />

erscheint. Liszt verpasst deswegen der linken Hand<br />

eine Pause und man kann das „C“ bequem mit<br />

dem linken 2. Finger oder Daumen nehmen. Ein<br />

Paradebeispiel dafür, dass Komponisten die Musik<br />

P ROFI-TIPPS<br />

kompositorisch „richtig“ darstellen, aber das läuft<br />

mit der pianistischen Ausführung dann gelegentlich<br />

auseinander. Dies ist auch der Lerninhalt –<br />

musikalische Aussagen, wie ein Legato, lückenlos<br />

darzustellen.<br />

Es erscheint dabei verlockend, die Rotation des<br />

Unterarmes, im Volksmund „schütteln“ genannt,<br />

bei den Sexten anzuwenden. Da im engen Bereich<br />

schwarze und weiße Tasten hin- und herwechseln,<br />

ist für eine solche Hilfsbewegung<br />

nur minimaler Raum gegeben.<br />

Wenn zwei Takte später Ähnliches mit<br />

Oktave und Terz geschieht, ist mehr<br />

Raum dafür vorhanden. Dort nimmt die<br />

linke Hand in der Pause ebenfalls das „C-<br />

A“ ab.<br />

Das Arpeggio liegt aus dem Sprung heraus richtig<br />

unbequem. Abhilfe: Das „G“ mit dem 2. Finger der<br />

linken Hand nehmen, während der 4. Finger<br />

schon den Trillerton „Es“ spielt. Das Pedal erzeugt<br />

dann die richtige Länge.<br />

In der folgenden Stelle erwartet jeder, z. B. Juroren<br />

eines Wettbewerbs oder die Prüfungskommission,<br />

dass Sie die Ossia spielen, alles andere wäre Stadtranderholung.<br />

Deswegen habe ich die „leichte“<br />

Fassung verschwinden lassen. Damit gehört diese<br />

Stelle zu den größten anzunehmenden Gemeinheiten<br />

der Klavierliteratur und ist auf langfristiges<br />

und langsames Üben ausgerichtet – etwas, womit<br />

man am besten an langen Winterabenden beginnt,<br />

um im Frühjahr mit der ganzen Etüde anfangen<br />

zu können. Kein Witz. Das E-Dur-Sextenthema<br />

mit den chromatischen Terzen der rechten<br />

Hand zu kombinieren, ist schon recht ambitioniert<br />

…<br />

In den Terzen wird am Ende einer 2eroder<br />

3er-Gruppierung von schwarzen<br />

Tasten der 2. Finger zur weißen Taste gezogen.<br />

Bitte nur den Finger aus der Extension<br />

auf Schwarz in die Flexion auf<br />

Weiß ziehen. NICHT durch Erhöhung des<br />

Handgelenkes oder sogar mit dem Arm<br />

ziehen, das geht im Tempo verbindlich<br />

schief (s. folgende Seite).<br />

P<br />

69


P P ROFI-TIPPS<br />

Das folgende Stringendo spielt sich vergleichsweise<br />

angenehm. Achten Sie links darauf, den Daumen<br />

in Extension vorne auf die schwarze<br />

und in Flexion hinten auf die weiße Taste zu<br />

setzen. Dann: Den 4. Finger auf Schwarz,<br />

den 5. Finger auf Weiß nehmen (auch wenn<br />

das wieder für Diskussionsstoff sorgt) und<br />

die Oktaven aus dem Handgelenk, NICHT<br />

mit dem Unterarm, spielen. Warum? Weil<br />

Ihnen bei 3,5 kg gesundem Armgewicht die<br />

Trägheit der zu bewegenden Masse (Physik<br />

8. Klasse) einen Streich spielt.<br />

Presto. Bedeutet schnell, daher haben Sie<br />

hier überhaupt keinen Raum für hohes Fingerspiel.<br />

Beachten Sie die kleine Bindung und das folgende<br />

Staccato-Dreieck. Damit das hörbar bleibt,<br />

lasse ich es erst etwas ruhiger angehen und ziehe<br />

dann allerdings im Acclerando brutal an. Die<br />

Artikulation schreibt Liszt dann auch nicht mehr.<br />

Ab jetzt schwimmen wir in bekannten und „ruhigeren“<br />

Gewässern … Interessante Abwechslung<br />

und kompositorisch wunderhübsch gemacht: Dolcissimo<br />

in Fis7-H Quartsext. F-Moll und f-Moll Sekundakkord<br />

liegen, wie könnte es anders sein, wieder<br />

im Rausch der Geschwindigkeit – ein weiteres<br />

Accelerando liegt an und mündet in einer Des7-<br />

Terzenkette. Den Abgang davor splitte ich, ich<br />

liebe das so knackig, es muss natürlich nicht zwingend<br />

sein. Das Des in der linken Hand spiele ich<br />

mit dem Daumen auf Eins alleine und gewinne<br />

dadurch etwas Zeit, um auf der ersten Terz rechts<br />

ohne Unglück zu landen. Den Split in der Terzenkette<br />

liebe ich sehr, man kann das aber ohne weiteres<br />

konventionell einhändig machen (s. nächste<br />

Spalte oben).<br />

Das Girlanden-Thema gibt sich jetzt noch einmal<br />

die Ehre. Im Anschluss gibt es noch zu guter Letzt<br />

ein Schmankerl in Form einer Sextenkette. Wer<br />

früh bremst, ist feige … Dafür gibt es auch hier<br />

einen hübschen Split, der leidensfähigen Einhandpuristen<br />

die Haare zu Berge stehen lässt. Für mich<br />

zählt nicht einhändiges Heldentum, sondern das<br />

akustische Ergebnis. Daher spiele ich nicht den<br />

Helden, sondern teile.<br />

Der Kreis schließt sich mit dem Motiv der Introduktion,<br />

um im versöhnlichen F-Dur zu enden. Ein<br />

schöner, fast demütiger Schluss, der nach der ganzen<br />

Arbeit bescheiden nicht nach Beifall heischt.<br />

Für mich: „Die“ Liszt-Etüde.<br />

Viel Spaß beim Üben wünscht Ihnen Ihr<br />

Ratko Delorko<br />

70 5 . 11


K<br />

September<br />

Pierre-Laurent Aimard<br />

5. Berlin, Philharmonie (10785)<br />

Bob van Asperen<br />

1. Stuttgart<br />

Clemens Berg<br />

9. Hamburg,<br />

Bechstein Centrum (20095)<br />

Kristian Bezuidenhout<br />

10. Luzern (A)<br />

28. Köln, Philharmonie (50667)<br />

Yefim Bronfman<br />

1. Frankfurt a. M.,<br />

Alte Oper (60313)<br />

7. Grafenegg, Wolkenturm (A)<br />

Khatia Buniatishvili<br />

26. Elmau, Schloss (82493)<br />

Janina Fialkowska<br />

11. Marktoberdorf, Bayerische<br />

Musikakademie (87616)<br />

Hélène Grimaud<br />

2. Grafenegg, Wolkenturm (A)<br />

Menachem Har-Zahav<br />

4. Meiningen, Schloss<br />

Elisabethenburg (98617)<br />

10. Bad Langensalza,<br />

Friederikenschlösschen (99947)<br />

11. Bad Hersfeld,<br />

Stadthalle (36251)<br />

24. Schweich,<br />

Alte Synagoge (54338)<br />

Martin Helmchen<br />

2. Stuttgart<br />

3. Schwarzenberg (A)<br />

11. & 12. Osnabrück<br />

16. Witten<br />

17. Gütersloh<br />

18. Frankfurt a. M.<br />

20. Kiel<br />

21. Berlin<br />

Angela Hewitt<br />

3. St. Gallen (CH)<br />

Denis Kozhukhin<br />

16. Tübingen, Pfleghofsaal (72070)<br />

Alexander Krichel<br />

26. Coburg, Rosengarten (96450)<br />

Klavierduo Kutrowatz<br />

16. Trier, Rokokosaal Kurfürstliches<br />

Palais (54290)<br />

Dejan Lazic<br />

17. Bonn<br />

Elisabeth Leonskaja<br />

5. Hohenems, Angelika-<br />

Kauffmann-Saal (A)<br />

K ONZERTE<br />

Louis Lortie<br />

5. Schwerin (19053)<br />

Nikolai Lugasky<br />

27. Essen, Philharmonie (45128)<br />

Wolfgang Manz<br />

18. Aalen,<br />

Schloß Fachsenfeld (73434)<br />

Ana-Marija Markovina<br />

7., 14., 21. , 28.<br />

Bremen, Universität (28359)<br />

25. Olten (CH)<br />

Denis Matsuev<br />

29. & 30. Frankfurt a. M.,<br />

Alte Oper (60313)<br />

Alexander Melnikov<br />

18. Berlin, Radi<strong>als</strong>ystem (10243)<br />

Hannes Minnaar<br />

25. Köln, Philharmonie (50667)<br />

Pervez Mody<br />

9. Dresden,<br />

Lingner Schloss (01099)<br />

10. Berlin-Neukölln,<br />

Schloss Britz (12359)<br />

11. Leipzig<br />

16. München,<br />

Steinway-Haus (80687)<br />

Murray Perahia<br />

3. Redefin, Landgestüt (19230)<br />

7. Frankfurt a. M.,<br />

Alte Oper (60313)<br />

Cédric Pescia<br />

3. Weimar (99423)<br />

23. Lausanne (CH)<br />

30. Hamburg<br />

Maria João Pires<br />

2. & 11. Leipzig, Gewandhaus (04109)<br />

12. Bonn, Beethovenhalle (53111)<br />

14. Genf, Viktoria Hall (CH)<br />

17. Linz, Brucknerhaus (A)<br />

Hardy Rittner<br />

16. Krefeld, Burg Linn (47809)<br />

19. Leverkusen,<br />

Bayer Kulturhaus (51373)<br />

20. Wuppertal, Stadthalle (42103)<br />

21. Dormagen,<br />

Kreismuseum Zons (41541)<br />

Alexander Romanovsky<br />

18. Herdecke,<br />

Werner Richard Saal (58313)<br />

András Schiff<br />

4. Hohenems, Angelika-<br />

Kauffmann-Saal (A)<br />

18. Berlin, Philharmonie (10785)<br />

David Theodor Schmidt<br />

25. Bad Mergentheim, Deutsch-<br />

Ordensmuseum (97980)<br />

26. Plön, Kulturforum (24306)<br />

Martin Stadtfeld<br />

8. & 10. Schwarzenberg, Angelika-<br />

Kauffmann-Saal (A)<br />

13. Koblenz,<br />

Rhein Mosel Halle (56068)<br />

15. Leipzig, Gewandhaus (04109)<br />

17. & 18. Rudolstadt,<br />

Schloss Heiligsburg (07407)<br />

24. Königswinter, Steigenberger<br />

Grand Hotel (53639)<br />

Andreas Staier<br />

18. Köln, Philharmonie (50667)<br />

Yaara Tal & Andreas Groethuysen<br />

4. Traunstein (83278)<br />

Serra Tavsanli<br />

30. Hamburg,<br />

Bechstein Centrum (20095)<br />

Jean-Yves Thibaudet<br />

6. Köln, Philharmonie (50667)<br />

Nikolai Tokarev<br />

9. Basel, Stadtcasino (CH)<br />

22. Ingolstadt (85049)<br />

24. Bonn<br />

Francesco Tristano<br />

10. Wendorf,<br />

Atelier Ton Matton (19412)<br />

16. Berlin,<br />

Bechstein Centrum (10623)<br />

Mihaela Ursuleasa<br />

24. Bonn, Beethovenhalle (53111)<br />

Lars Vogt<br />

9. Saarbrücken<br />

25. & 26. Hamburg<br />

Oktober<br />

Nareh Arghamanyan<br />

11. Hannover<br />

15. Alzenau<br />

16. Ludwigshafen<br />

Kit Armstrong<br />

25. Köln, Philharmonie (50667)<br />

Werner Bärtschi<br />

22. Zürich, Tonhalle (CH)<br />

Giovanni Bellucci<br />

20. Bad Reichenhall,<br />

Kurhaus (83435)<br />

Um Ihnen das Auffinden der Orte in Ihrer persönlichen Nähe zu erleichtern,<br />

haben wir die Postleitzahlen der Auftrittsorte in Klammern gesetzt,<br />

damit Sie sich leichter (vor allem bei kleineren Orten) orientieren können.<br />

Wie immer sind alle Angaben ohne Gewähr.<br />

72 5 . 11


5 . 11<br />

Rafal Blechacz<br />

14. Dortmund,<br />

Konzerthaus (44135)<br />

17. Berlin,<br />

Evgeni Bozhanov<br />

14. Düsseldorf, Tonhalle (40479)<br />

Khatia Buniatishvili<br />

1. Frankfurt<br />

2. Linz (A)<br />

3. Villach (A)<br />

5. Bregenz (A)<br />

22. Grafenfort, Herrenhaus (CH)<br />

24. Wien, Konzerthaus (A)<br />

Angelina Gadeliya<br />

23. Bad Reichenhall,<br />

Kurhaus (83435)<br />

Kemal Gekic<br />

28. Berlin,<br />

Bechstein Centrum (10623)<br />

Grau-Schumacher <strong>Piano</strong>Duo<br />

24. & 27. Bad Reichenhall,<br />

Kurhaus (83435)<br />

Hélène Grimaud<br />

15. Essen, Philharmonie (45128)<br />

Francois-Frédéric Guy<br />

22. Bad Reichenhall,<br />

Kurhaus (83435)<br />

Menachem Har-Zahav<br />

9. Rösrath, Schloss<br />

Eulenbroich (51503)<br />

16. Velbert-Neviges, Vorburg Schloss<br />

Hardenberg (42553)<br />

22. Bielefeld,<br />

Rudolf-Oetker-Halle (33615)<br />

30. Stadtallendorf,<br />

Stadthalle (35315)<br />

Martin Helmchen<br />

22. Bruchsaal<br />

23. Gernsbach<br />

Igor Kamenz<br />

22. Freiburg (79110)<br />

Kevin Kenner<br />

2 Warburg, Aula Gymnasium<br />

Marianum (34414)<br />

8. Wildeshausen,<br />

Musikschule (27793)<br />

Evgeni Koroliov<br />

9. St. Gallen (CH)<br />

16. Neuss, Zeughaus (41460)<br />

Lang Lang<br />

5. Köln, Philharmonie (50667)<br />

Elisabeth Leonskaja<br />

16.–18. Köln, Philharmonie (50667)<br />

Igor Levitt<br />

8. Hohenems,<br />

Markus-Sittikus-Saal (A)<br />

K ONZERTE<br />

22. Frankfurt a. M.,<br />

Alte Oper (60313)<br />

23. Grafenfort, Herrenhaus (CH)<br />

Paul Lewis<br />

2. Hohenems,<br />

Markus-Sittikus-Saal (A)<br />

Louis Lortie<br />

9. Hohenems,<br />

Markus-Sittikus-Saal (A)<br />

Oleg Maisenberg<br />

6. Hohenems,<br />

Markus-Sittikus-Saal (A)<br />

Wolfgang Manz<br />

7. Zittau, Rathaus (02763)<br />

25. Nürnberg,<br />

Heilig Geist Saal (90403)<br />

Ana-Marija Markovina<br />

7., 14., 21., 28.<br />

Bremen, Universität (28359)<br />

25. Olten (CH)<br />

Pervez Mody<br />

9. Frankfurt a. M., Internationales<br />

Theater (60314)<br />

16. Bad Kreuzach, Kurhaus (55545)<br />

Gabriela Montero<br />

23. Essen, Philharmonie (45128)<br />

Olli Mustonen<br />

17. Karlsruhe, Konzerthaus (76137)<br />

18. Pullach, Bürgerhaus (82049)<br />

20. Lörrach,<br />

Burghof Lörrach (79539)<br />

Alice Sara Ott<br />

27. & 28. Essen, Philharmonie (45128)<br />

Cédric Pescia<br />

3. Genf (CH)<br />

11. Wien (A)<br />

Murray Perahia<br />

1. Regensburg<br />

4. Essen, Philharmonie (45128)<br />

6. Bonn, Beethovenhalle (53111)<br />

Ivo Pogorelich<br />

21. Zürich, Tonhalle (CH)<br />

Denys Proshayev<br />

21. Düsseldorf,<br />

Bechstein Centrum (40212)<br />

Fazil Say<br />

6. München,<br />

Prinzregententheater (80539)<br />

Olga Scheps<br />

10. Leverkusen,<br />

Bayer Kulturhaus (51373)<br />

11. Wuppertal, Stadthalle (42103)<br />

András Schiff<br />

23. Frankfurt a. M.,<br />

Alte Oper (60313)<br />

David Theodor Schmidt<br />

4. Meschede, Stadthalle (59872)<br />

Herbert Schuch<br />

9. Hohenems,<br />

Markus-Sittikus-Saal (A)<br />

17. Salzburg, Mozarteum (A)<br />

Lauma Skride<br />

2. Essen<br />

Martin Stadtfeld<br />

9. Kiel, Schloss (24103)<br />

10. Wilhelmshaven (26382)<br />

12. Köln, Philharmonie (50667)<br />

Hans-Peter & Volker Stenzl<br />

24. Stuttgart<br />

Klavierduo Tal-Groethuysen<br />

7. Olpe (57462)<br />

17. Heilbronn (74072)<br />

22. München, Pinakothek der<br />

Moderne (80333)<br />

Nikolai Tokarew<br />

7., 9. & 10.<br />

Düsseldorf, Tonhalle (40479)<br />

18. & 19. Berlin, Philharmonie (10785)<br />

20. Dortmund,<br />

Konzerthaus (44135)<br />

21. Hamburg, Laeiszhalle (20355)<br />

22. Düsseldorf, Tonhalle (40479)<br />

23. Köln, Philharmonie (506679<br />

Stefan Vladar<br />

28. & 29. Duisburg,<br />

Philharmonie (47051)<br />

Lars Vogt<br />

1. Weißenburg<br />

2. Nürnberg<br />

7. Hohenems,<br />

Markus-Sittikus-Saal (A)<br />

Alexei Volodin<br />

9. & 10. Frankfurt am Main<br />

Arcadi Volodos<br />

8. Bonn, Beethovenhalle (53111)<br />

20. München,<br />

Prinzregententheater (81675)<br />

22. Raiding,<br />

Franz Liszt Konzertsaal (A)<br />

24. Wien, Musikverein (A)<br />

26. Raiding,<br />

Franz Liszt Konzertsaal (A)<br />

27. Graz, Musikverein für<br />

Steiermark (A)<br />

Ingolf Wunder<br />

8. Hohenems,<br />

Markus-Sittikus-Saal (A)<br />

22. Zürich, Tonhalle (CH)<br />

31. Hamburg<br />

Paul Ye<br />

20. Olpe, Rathaus (57462)<br />

K<br />

73


P P ÄDAGOGIK<br />

Eine Klavierschule für hochmotivierte Zeitgenossen mit wenig Zeit<br />

Mike Cornick im Gespräch über „<strong>Piano</strong> Coach“<br />

Gut geschriebene, unterhaltsame<br />

und pfiffige Klavierliteratur, die<br />

das Angenehme mit dem Nützlichen<br />

zu verbinden weiß, gab es zu<br />

allen Zeiten: Man denke nur an Bachs<br />

instruktive „Clavierbüchlein“ für Anna<br />

Magdalena und Wilhelm Friedemann.<br />

Namen wie Friedrich Burgmüller und<br />

Stephen Heller kommen einem in den<br />

Sinn, Cornelius Gurlitt natürlich und<br />

Béla Bartók. Ihren Kompositionen ist<br />

gemeinsam, dass sie unterhalten und<br />

bilden sollen. Der Anfänger am Klavier<br />

soll an die Musik (oder einen bestimmten<br />

Stil) herangeführt werden, ohne<br />

gleich vor allzu großen technischen<br />

Schwierigkeiten kapitulieren zu müssen.<br />

Die Kunst des Komponisten solcher<br />

Stücke besteht nun darin, die richtige<br />

Mischung zu finden. Einer, dem diese<br />

Mischung immer wieder aufs Neue<br />

gelingt, ist der 1947 geborene englische<br />

Komponist Mike Cornick. An den Musikschulen<br />

Ihrer Majestät gehören seine<br />

jazzinspirierten Stücke seit Jahrzehnten<br />

zum Pflichtprogramm für Prüfungen<br />

und Schülerkonzerte. Und auch<br />

auf dem Kontinent werden seine Stücke<br />

von Schülern und Lehrern dankbar<br />

angenommen. Kompositorisch bewegt<br />

sich Cornick dabei immer auf sicherem<br />

Pfad – seine Klaviermusik liegt hervorragend<br />

in der Hand, stellt sanfte Herausforderungen<br />

– und klingt nach Jazz,<br />

ohne sich verbiegen zu müssen.<br />

Klaviermusik ist freilich nicht sein<br />

einziges Steckenpferd. Seit einigen Jahren<br />

schreibt Cornick gemeinsam mit<br />

seinem Kollegen James Rae sehr erfolgreiche<br />

Kindermusic<strong>als</strong> für Schulaufführungen.<br />

Vier Stück sind bislang erschienen:<br />

„Ali Baba“, „Cinderella Jones“,<br />

„Jack!“ und das Weihnachtsmusical<br />

„The Santa Special“. Auch darüber ha-<br />

be ich mich mit ihm unterhalten. Lesen<br />

Sie mehr darüber in meinem Blog<br />

(meisterrarus.blogspot.com).<br />

Ich habe mich mit Mike Cornick auf<br />

der Frankfurter Musikmesse am Stand<br />

seines Verlages verabredet, um über<br />

seine neue Klavierschule „<strong>Piano</strong><br />

Coach“ zu sprechen. Es ist neun Uhr<br />

morgens und in der riesigen Messehalle<br />

ist es noch einigermaßen ruhig.<br />

Cornick ist am Vorabend aus London<br />

angereist, er trägt den dunklen Pullover,<br />

der so etwas wie sein Markenzeichen<br />

ist und ihm eine sehr britische<br />

Aura verleiht. Wir bekommen Kaffee<br />

und Kekse, nehmen Platz und reden<br />

zunächst über seine eigenen Anfänge<br />

am Klavier.<br />

Mike Cornick: Ich habe mit sieben Jahren<br />

angefangen Klavier zu spielen, bin<br />

jeden Samstag zum Unterricht gegangen<br />

und habe mich in der klassischen<br />

Musik langsam hochgearbeitet. Und<br />

ich erinnere mich, dass ich, da war ich<br />

vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt,<br />

die Art, wie der Lehrer die Akkorde behandelte<br />

– Substitutionen, Reharmonisierungen<br />

– mich sofort fasziniert hat.<br />

Ich wusste, das ist etwas völlig anderes<br />

<strong>als</strong> das, was ich bislang aus meinem<br />

Unterricht kannte. Und dann hat mir<br />

jemand eine Platte von George Shearing<br />

vorgespielt und sein Klavier-<br />

Sound, dieser ganz spezielle „close harmony“-Satz<br />

mit den parallelen Oktaven,<br />

hat mich sofort in seinen Bann<br />

geschlagen. Das wollte ich auch spielen.<br />

Ich habe <strong>als</strong>o meinem Lehrer und<br />

meinen Eltern verkündet, dass ich<br />

nicht mehr zum Unterricht gehen würde.<br />

Manuel Rösler: Was geschah dann?<br />

Von: Manuel Rösler<br />

“Mike Cornick ...<br />

I think he’s the best<br />

jazzy composer around …”<br />

John York, 2005<br />

Mike Cornick: Ich habe auf eigene<br />

Faust weitergemacht, mir unendlich<br />

viele Jazz-Platten gekauft und sie immer<br />

wieder laufen lassen, bis ich herausgefunden<br />

hatte, wie man diese Musik<br />

spielt. Und um ehrlich zu sein, ich<br />

hatte keine Ahnung, wie man diese Akkorde<br />

nannte – Am7 oder As-Dur –,<br />

aber ich wusste, wie sie klingen und<br />

wie man sie spielte. Ich habe mir <strong>als</strong>o<br />

das Meiste selbst beigebracht. Und das<br />

schafft eine Verbindung zu „<strong>Piano</strong><br />

Coach“ …<br />

Manuel Rösler: … das sich ganz gut für<br />

das Selbststudium eignet, wie mir scheint?<br />

Mike Cornick: Ja – das ist auch der<br />

Grund dafür, warum das Heft so viel<br />

Text enthält. Ich unterrichte viele Erwachsene,<br />

die mir sagen: „Ich wünschte,<br />

ich hätte nie aufgegeben, ich hätte weitermachen<br />

sollen. Jetzt ist es so schwer, wieder<br />

reinzukommen. Ich habe alles vergessen.“<br />

Und diese Menschen sind hochmotiviert<br />

und bereit, hart zu arbeiten –<br />

aber sie haben einfach nicht die Zeit,<br />

regelmäßig zum Klavierunterricht zu<br />

gehen. Und „<strong>Piano</strong> Coach“ soll dabei<br />

helfen, wieder ins Spiel zu kommen,<br />

sich wieder an seine Fähigkeiten zu erinnern<br />

– oder sogar ganz von vorne zu<br />

beginnen.<br />

Manuel Rösler: Würden Sie sagen, man<br />

kann sich das Klavierspielen auch ohne<br />

Lehrer beibringen, zum Beispiel nur mit<br />

dem „<strong>Piano</strong> Coach“?<br />

Mike Cornick: Nun, wir wissen alle,<br />

dass man ohne einen Lehrer nicht<br />

wirklich weit kommt. Aber das ist natürlich<br />

eine Idealvorstellung. Aber wir<br />

leben nicht in einer idealen Welt. Wir<br />

74 5 . 11


5 . 11<br />

P ÄDAGOGIK<br />

leben in einer Welt, in der die Leute manchmal ihre Dinge selbst in<br />

Angriff nehmen wollen. Und für die wollten wir etwas tun. Ich habe<br />

vor einigen Jahren erwachsene Klavierschüler auf die zentralen<br />

Musikprüfungen vorbereitet, und zwar mit meinen Klavierstücken,<br />

die normalerweise von Kindern gespielt werden. Man sollte meinen,<br />

dass Erwachsene diese Musik nicht mehr spielen wollen, aber das<br />

Gegenteil war der Fall. Diese Erwachsenen haben einen solchen<br />

Enthusiasmus und Arbeitswillen gezeigt, wie man es bei Kindern nur<br />

selten findet. Sie haben eigentlich keine Vorurteile gegenüber der<br />

Musik, die sie spielen sollen – sie wollen wirklich lernen. Wir haben<br />

<strong>als</strong>o versucht, einen Kompromiss zu finden. Wir beginnen wirklich<br />

ganz am Anfang, mit abgeschlossenen Kapiteln, die man auch separat<br />

behandeln kann. Der andere Aspekt ist: Wir bieten den Lesern<br />

aber auch ein begleitendes Gehörbildungstraining auf CD, außerdem<br />

Play-along-Tracks und Aufnahmen aller Übungsstücke und versuchen<br />

damit, die Aufgaben des Lehrers ein Stück weit zu ersetzen.<br />

Mike Cornick<br />

<strong>Piano</strong> Coach – Die Klavierschule für Anfänger und Wiedereinsteiger<br />

Universal Edition UE 34991<br />

EUR 19,95<br />

Mit „<strong>Piano</strong> Coach“ stellt Mike Cornick ein<br />

dynamisches Lehrwerk vor, das in die<br />

Grundlagen des Klavierspiels einführt oder<br />

diese wieder auffrischt. Ganz nach dem<br />

Prinzip „musizierend lernen” werden die vermittelten<br />

Kenntnisse in den klug arrangierten<br />

und abwechslungsreichen Spielstücken<br />

direkt umgesetzt. Die Schule eignet sich sowohl<br />

für jugendliche wie erwachsene Anfänger<br />

und Wiedereinsteiger, für das Selbststudium<br />

oder den Klavierunterricht. Eine CD<br />

mit Play-Along-Tracks und einem Gehörbildungstraining<br />

ergänzt den 84 Seiten starken Band und wem die 54<br />

Übungsstücke aus der Feder des Autors nicht reichen, der kann sich<br />

auf der Verlagshomepage noch mehr <strong>herunterladen</strong>.<br />

P<br />

Irene Vogt-Kluge / Dorothee Graf /<br />

Jutta Schwarting<br />

Klaviergarten – vom Spiel zum Klavierspiel<br />

Anregungen und Material für den Klavierunterricht mit<br />

Kindern ab 4 Jahren<br />

Edition ConBrio ECB 6103<br />

EUR 17,80<br />

„Alle drei Autorinnen leben und arbeiten in Freiburg. Zusammen<br />

verfügen sie über weit mehr <strong>als</strong> 100 Jahre Unterrichtserfahrung“<br />

weiß der Klappentext zu berichten. Da schnalzt man respektvoll<br />

mit der Zunge und sieht sich die Neuerscheinung<br />

aus der Edition ConBrio noch einmal etwas genauer an.<br />

Auf den ersten Blick ähnelt der „Klaviergarten“ eher einem<br />

Bilderbuch <strong>als</strong> einer Klavierschule: Doppelseitige Illustrationen,<br />

die an die schon zu meiner Kindheit beliebten<br />

Wimmelbilder erinnern<br />

(mit forschem Pinselstrich:<br />

Greta Moll), wenig Text und<br />

vor allem – keine Noten. Mit<br />

denen könnte die ins Visier<br />

genommene Zielgruppe der<br />

Vorschulkinder auch vermutlich<br />

wenig anfangen.<br />

Jedes der 15 Bilder illustriert<br />

ein anderes Thema:<br />

Da gibt es eine „Geisterstunde“,<br />

einen Ausflug in<br />

den Tierpark oder auf den<br />

Bauernhof, Märchenerzählungen<br />

und Zauberstunden,<br />

es wird auf dem Sportplatz<br />

getobt und Kindergeburtstag<br />

gefeiert. Und jedes Mal<br />

ist die Fantasie der Kinder gefordert. Mal verwandelt sich<br />

das Klavier in ein Geisterschloss, ein tiefer Ton wird zur<br />

Turmuhr, die schwarzen Tasten zur Schlosstreppe und<br />

wenn man das Pedal vorsichtig niederdrückt oder in den<br />

Innenraum des Klaviers hineinruft, dann ertönen unheimliche<br />

Klänge … Auf spielerische Weise wird so ein Bewusstsein<br />

für die Beziehung zwischen Bild und Klang geweckt.<br />

Auf einigen Bildern sind sogar Spielfelder wie beim<br />

Mensch-ärger-dich-nicht angebracht, auf denen der Schüler<br />

würfelnd voranschreiten muss, bis er wieder in die Nähe<br />

einer Geräuschquelle kommt, die er auf dem Klavier<br />

darstellen soll. Auf anderen Seiten müssen Zaubersprüche<br />

im selben Rhythmus gesprochen und gespielt werden.<br />

Oder Töne auf der Tastatur gesucht werden, die auch im<br />

Bild zu sehen sind. Und zur Belohnung darf man sich einen<br />

der vielen bunten Aufkleber in sein Heft kleben – zum Beispiel<br />

ein Schaf, das sich in die Herde auf der Weihnachtsseite<br />

einreiht, wenn der Schüler die Weihnachtsgeschichte<br />

nur mit Klängen und Tönen erzählt hat.<br />

Der Clou freilich ist der 32 Seiten starke Lehrerkommentar,<br />

der für jedes der 15 Bilder einen ganzen Sack voller Tipps<br />

und Tricks bietet, die so praxiserprobt und handfest sind,<br />

dass man sich sofort einen Fünfjährigen schnappen und<br />

loslegen will. Besonders hilfreich sind dabei die ausgefeilten<br />

Unterrichtsverläufe, in denen von der Begrüßung bis<br />

zur Verabschiedung der Kinder jeder Schritt vorausgedacht<br />

und sowohl didaktisch <strong>als</strong> auch pädagogisch unterfüttert<br />

wird. Dabei wird der Lehrer keineswegs gegängelt – wer jedoch<br />

in der Woche ein Dutzend Stunden vorbereiten muss,<br />

wird für die Handreichung dankbar sein. Ein Unterrichtsjahr<br />

lässt sich damit locker füllen – schließlich werden die<br />

Kinder viele der schönen Seiten oft wiederholen wollen.<br />

75


M<br />

M USIKSCHULE<br />

Schuljahresrückblick<br />

Wer ist am besten vorangekommen?<br />

Langsam beginne ich, meine „Zeugnisse““ zu schreiben - ein schriftlicher Rückblick über das vergangene<br />

Schuljahr, in dem ich festhalte, was für Literatur verwendet wurde, was gut gelaufen ist, und <strong>als</strong> Ausblick:<br />

woran wir im nächsten Schuljahr besonders arbeiten müssen. Ich muss mich sehr anstrengen, um pro<br />

Schüler eine DIN-A4-Seite nicht zu überschreiten, denn schließlich haben die Eltern mehr zu tun, <strong>als</strong><br />

Beobachtungen, die für mich so bedeutsam sind, zu lesen …<br />

von: Martina Sommerer<br />

Natürlich bleibt es nicht aus, dass man im Kopf Quervergleiche<br />

zieht, auf Erfahrungswerte zurückgreift<br />

oder einfach die aktuellen Schüler miteinander vergleicht.<br />

In diesem Fall, und wenn es nur in meinem Kopf<br />

bleibt, hat es ja nichts Destruktives. Und ich bin jedes Jahr<br />

wieder auf der Suche nach DEM Rezept, nach DEM Wundermittel,<br />

um Kinder möglichst schnell und effektiv fit zu<br />

machen auf dem Klavier. Ich glaube, dieses Jahr bin ich ihm<br />

ein bisschen auf die Spur gekommen. Allerdings ist es kein<br />

Zaubertrank, den man den Kindern auf die Finger sprühen<br />

könnte, sondern es ist eine in der heutigen Zeit seltene Eigenschaft,<br />

die die Schüler schon in sich haben müssen: Demut.<br />

Vergangenen Herbst haben zwei Siebzehnjährige bei mir<br />

angefangen. Das ist extrem spät. Bis auf wenige noch später<br />

berufene Erwachsene hatte ich noch nie so „alte“ Anfänger,<br />

doch beide schienen so motiviert und hatten so sehr den<br />

Wunsch, Klavier zu spielen, dass ich zustimmen musste.<br />

Natürlich habe ich mir den Kopf zerbrochen, mit welcher Literatur<br />

wir beginnen. Auch wenn sie vielleicht schon Noten<br />

im Violinschlüssel lesen konnten und sich generell mehr auskannten<br />

<strong>als</strong> Sechsjährige, wollte ich nicht zu viel voraussetzen<br />

und vor allem keine wichtigen Schritte auslassen. Und<br />

so entschied ich mich mit halb schlechtem Gewissen für Kinder-Klavierschulen<br />

– einmal für „Mein erstes Jahr Klavierunterricht“,<br />

weil es von einer Freundin vorhanden war, einmal<br />

für die „Klavierboutique“, weil die immerhin etwas<br />

schneller vorangeht. Wie gesagt, ich kam mir selbst etwas<br />

komisch dabei vor, ausgewachsene Jugendliche, die Führerschein<br />

machen und leider noch nicht erwachsen genug<br />

sind, um nicht zu rauchen, mit diesen Babyschulen mit bun-<br />

Foto: Martina Sommerer<br />

ten Bildchen zu konfrontieren. Aber es war ein guter Weg,<br />

und beide haben sich mit sehr wenig Grummeln diesem<br />

Vorschlag unterworfen und ganz ernsthaft die Grundlagen<br />

gelernt und geübt. Zusammen mit den Burnam-Übungen,<br />

meinen eigenen Fünfton-Übungen und später Tonleitern<br />

hatten wir nach drei, vier Monaten eine gute Basis, um<br />

begleitend zur Klavierschule mit etwas spannenderen kleinen<br />

Stücken zu beginnen. Inzwischen sind sie bei leichteren<br />

Chopin-Walzern und -Préludes angelangt, spielen Satie und<br />

Burgmüller, natürlich „River flows in you“ und Yann Tiersen<br />

rauf und runter. Der eine hat beim Sommerkonzert wunderschön<br />

den ersten Satz der „Mondscheinsonate“ gespielt,<br />

aber so, <strong>als</strong> würde er schon mehrere Jahre spielen und nicht<br />

nur Monate. Und ich bin überzeugt: Das Geheimnis liegt bei<br />

beiden in ihrer demütigen Grundhaltung. Darin, zu beschließen:<br />

Ich durchlaufe im Schnelldurchgang, aber Schritt<br />

für Schritt und ohne etwas auszulassen, diese ganze Prozedur<br />

und bin nicht zu cool für Babystücke. Ich verlasse mich<br />

drauf, dass die Lehrerin weiß, was gut für mich ist, und<br />

mache das einfach, egal, wie blöd es im Moment klingt.<br />

Das andere Extrem hatte ich leider viel, viel öfter, seit ich<br />

unterrichte: Schüler, die sich zu gut sind für eine Klavierschule.<br />

Die nach kürzester Zeit mit eselsohrigen Raubkopien<br />

ankommen und nach einem Jahr „Für Elise“, die „Sonata<br />

facile“ oder gleich ein Chopin-Nocturne spielen wollen und<br />

alle Zwischenschritte oder technischen Übungen <strong>als</strong> sinnlose<br />

Zeitverschwendung ansehen. Eltern, die mir vorrechnen,<br />

dass eine Freundin der Kleinen nach vier Jahren aber dieses<br />

oder jenes Stück gespielt habe und ihr Kind jetzt gefälligst<br />

auch soll. Eltern, die ungebeten gleich mal Noten kaufen<br />

und erwarten, dass es so funktioniert. Kurz: Leute, die pushen<br />

und denken, dass man mit Gewalt schneller vorankommt<br />

und Klavierspielen an einem einzigen<br />

Stück lernen kann.<br />

Ich merke erst jetzt, wie „erwachsen“ und reif meine<br />

grade noch nicht volljährigen Anfänger dieses<br />

Jahr sind. Wie viel Weisheit sie zeigen, indem sie<br />

demütig alles gemacht haben, was ich verlangte.<br />

Dass sie, frei nach Pascal Mercier, nicht tanzen wollten,<br />

bevor sie laufen konnten. Und wie viel Energie<br />

freigesetzt wird, wenn sie eine gutgelaunte Lehrerin<br />

haben, die zufrieden ist, weil alles nach ihrer Pfeife<br />

tanzt und keine kräfteraubenden Grundsatzdiskussionen<br />

stattfinden müssen … So eine von gegenseitigem<br />

Vertrauen geprägte Unterrichtssituation ist sicher der<br />

Idealfall. Doch wenn ich im Rückblick feststelle, dass<br />

das Lernen wie im Zeitraffer stattfinden kann und<br />

man im Lauf eines Jahres dahin kommen kann, wofür<br />

andere sieben Jahre benötigen, dann frage ich<br />

mich: Warum sollte man sich mit weniger zufrieden<br />

geben? Wenn man <strong>als</strong> Lehrer merkt, dass aus irgend-<br />

76 5 . 11


5 . 11<br />

M USIKSCHULE<br />

einem Grund Sand im Getriebe ist und es menschlich einfach<br />

nicht so läuft, wie es könnte, hat man eigentlich die<br />

Verpflichtung, das anzusprechen und eine Lösung zu suchen.<br />

Es gibt für jeden den passenden Lehrer, und man sollte<br />

keine Schüler an sich binden, die bei jemand anders vielleicht<br />

besser vorankommen könnten.<br />

Wem konnte ich nicht helfen?<br />

Neben einzelnen erfreulichen Schnellstartern und vielen<br />

solide, aber langsam und „normal“ lernenden Schülern gibt<br />

es auch in jedem Jahr Fälle, die mir schonungslos meine<br />

Grenzen aufzeigen und mich ratlos machen. Damit meine<br />

ich nicht Kinder, die einfach nicht geeignet sind zum Klavierspielen<br />

oder die keine Lust haben, sondern solche, die<br />

aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten oder Lernstörungen<br />

eine Sonderbehandlung bräuchten. Ich schreibe bewusst<br />

„bräuchten“, denn ich weiß immer noch nicht, wie die aussehen<br />

sollte. Leider bin ich weder durch Studium noch durch<br />

Erfahrung in irgendeiner Weise befähigt, solchen Kindern zu<br />

helfen. An der Hochschule haben wir durchaus etwas über<br />

„Frühförderung von Hochbegabten“ gehört, doch Kinder mit<br />

Konzentrationsschwächen oder motorischen Auffälligkeiten<br />

wurden nicht mal am Rande gestreift – sie existierten vor<br />

vierzehn Jahren einfach gar nicht. Oder es wurde nicht<br />

davon ausgegangen, dass das unsere Klientel sein würde.<br />

Von einer kleinen Fortbildung abgesehen bin ich überhaupt<br />

nicht auf diese besonderen Fälle vorbereitet. Ehrlich gesagt<br />

finde ich es auch paradox, ein Kind, das absolut nicht stillsitzen<br />

kann, dazu zu verdonnern, genau das zu tun und dabei<br />

auch noch Klavier zu spielen. Bei diesen Kandidaten habe<br />

ich immer sehr viel mehr oder weniger versteckten Widerstand<br />

gespürt und für mich gedacht, dass das Kind wesentlich<br />

glücklicher und gelöster wäre, wenn es draußen<br />

springen dürfte oder statt Musikunterricht irgendeinen Auspowersport<br />

belegen dürfte. Obwohl es mich interessiert und<br />

ich mich gerne mit gezielt dafür Ausgebildeten unterhalte,<br />

habe ich mit gutem Grund nicht Psychologie oder Sonderpädagogik<br />

oder Musiktherapie studiert, sondern „nur“ Instrumentalpädagogik.<br />

Deshalb fühle ich mich nicht verpflichtet,<br />

auch für Zappelphilippe das Geheimrezept zu wissen. Es gibt<br />

genug Kollegen, die adäquat dafür ausgebildet sind, und<br />

mir ist durchaus bewusst, wo meine Kompetenzen enden.<br />

Trotzdem werde ich im Alltag immer wieder mit verhaltensauffälligen<br />

Kindern konfrontiert. Leider erwähnen viele<br />

Eltern solche Probleme gar nicht aus Angst, ihr Kind würde<br />

gleich abgewiesen oder in eine Schublade gesteckt. Dabei<br />

würden sie ihrem Kind so einen großen Gefallen tun, wenn<br />

ich sie gleich an jemand anderen verweisen könnte, der<br />

musiktherapeutisch oder früherziehungstechnisch ausgebildet<br />

ist, und würden uns allen eine Menge Stress ersparen!<br />

Meistens dauert es Wochen, bis ich merke, dass es nicht<br />

ganz so rund läuft, und noch mal Tage, in denen ich überlege,<br />

wie ich das heikle Thema anschneiden könnte – und<br />

dann wissen die Eltern längst, unter welchen abgekürzten<br />

Buchstaben ihr Kind leidet, und erzählen mir von Testergebnissen<br />

und Therapieversuchen und dass immer wieder<br />

betont wurde, wie gut Klavierspielen für das Rechts-Links-<br />

Problem oder die Konzentrationsfähigkeit oder das Stillsitzen<br />

sei. Dass ich dann oft am Ende meiner Geduld und selber<br />

therapiereif bin, fällt nicht so ins Gewicht … Was ich mit<br />

meinen Schülern vorhabe, setzt gerade dieses Konzentrationsvermögen<br />

voraus und ist so spezialisiert und oft auch<br />

kompliziert, dass sich Normalbegabte schon manchmal<br />

schwertun.<br />

Leider habe ich weder eine Orff- noch Dalcroze-Ausbildung<br />

und schreibe auch nirgendwo in meiner Website, dass<br />

ich die geeignete Anlaufstelle für elementare Musik wäre.<br />

Trotzdem erwarten die Eltern, ich könnte ihr Kind in seiner<br />

allgemeinen Entwicklung auch in dieser Hinsicht unterstützen.<br />

Ich habe es auch mit viel gutem Willen versucht. Möglicherweise<br />

hat es in ein paar Fällen einen positiven Nebeneffekt<br />

gehabt, aber Klavierspielen konnte eigentlich keiner.<br />

Die meisten waren zwei Jahre bei mir – im ersten wurden<br />

die Probleme langsam offenkundig und waren im Mittelpunkt<br />

des Interesses, dann hatten die Eltern den starken<br />

Wunsch, es doch noch ein Jahr zu probieren, und im Verlauf<br />

dieses Jahres wird die Sinnlosigkeit der Bemühungen immer<br />

offenkundiger und der Beschluss gefasst, es zum Sommer<br />

auslaufen zu lassen. Was sich so leicht in zwei Sätzen zusammenfassen<br />

lässt, birgt in der Realität eine Menge Telefonate,<br />

Gespräche, Energieaufwand auf allen Seiten in sich und<br />

lässt auch jeden leicht frustriert zurück. Ich bin mir auch<br />

nicht sicher, wie ich in Zukunft vorgehen werde. Es ist zu diskriminierend,<br />

Eltern beim ersten Kennenlernen zu fragen,<br />

ob ihr Kind eine Lernstörung hat (ich weiß auch nicht, ob<br />

diese Entwicklungsstörungen für die Eltern nicht schlimmer<br />

sind <strong>als</strong> für die betroffenen Kinder …). Aber vielleicht werde<br />

ich allgemein ansprechen, dass ich dafür nicht die richtige<br />

Lehrerin bin und, sollte sich so was herausstellen, ich den<br />

Schüler an einen anderen Lehrer verweisen werde. Langsam<br />

komme ich zu der Überzeugung, dass man allen einen Gefallen<br />

tut, wenn man rechtzeitig die Notbremse zieht, und<br />

dass es den Kindern gegenüber fairer ist, in aller Offenheit<br />

über die Situation zu sprechen.<br />

Martina Sommerer lebt und unterrichtet in einer bayerischen<br />

Kleinstadt. Die Begegnungen mit ihren Schülern haben jeden Tag<br />

wieder hohen Unterhaltungswert für sie und sind eine ständige<br />

Inspirationsquelle für ihren Blog auf www.martinasommerer.de.<br />

M<br />

77


E<br />

E RWACHSENE AM K LAVIER<br />

Kleine Ärgernisse vermeiden<br />

Sie sind kritikfähig – Ihr Gehirn nicht. Es ist zum Speichern geschaffen und es kommt seiner Aufgabe kritiklos<br />

nach und dagegen können Sie sich nicht wehren. Wie gerne würden Sie und ich manche Dinge einfach<br />

vergessen … Aber wir können Erinnerungen mit der Zeit nur nach hinten schieben, löschen können<br />

wir nichts und im unpassendsten Moment tauchen die „Daten“ wieder auf. Und diese Fragmente sind<br />

beim Klavierspiel absolut hinderlich.<br />

Traurig, aber wahr: Am besten lernen wir unter Extremstress. Wenn Sie jetzt in Ihre frühe Kindheit<br />

zurückblicken, werden Sie feststellen, dass Sie sich am besten an Ereignisse erinnern können, die auf diese<br />

oder jene Art herausragend waren. Positiv oder leider auch negativ. Hauptsache, viel Adrenalin war mit<br />

dabei. Das Stresshormon ist eine fantastische Gedächtnisstütze. Wenn Sie <strong>als</strong>o in einer Stresslage (Vorspiel<br />

im Unterricht oder bei der Geburtstagsfeier), Fehler am Klavier machen, seien Sie versichert, Sie erinnern<br />

sich bei der nächsten Stresslage bestens daran …<br />

von: Ratko Delorko<br />

Nun können Sie sagen „der hat leicht reden“. Hat er<br />

nicht. Sehr gut erinnere ich mich an Spielsituationen<br />

aus Kindertagen und <strong>als</strong> Jugendlicher, in denen dies<br />

oder jenes halt passiert ist. Spiele ich dieselben Stücke heute,<br />

sehe ich z. B. das ins warme Sonnenlicht getauchte Zimmer<br />

des alten Düsseldorfer Konservatoriums mit dem für mich<br />

<strong>als</strong> 8-Jähringen monströsen Steinway B, höre meinen Lehrer<br />

sagen: „Der Übergang muss jetzt Zucker sein.“ (Schubert op.<br />

90/4, Es7-Rückführung nach dem Trio); und wie ich diesen<br />

Übergang mehrm<strong>als</strong> hintereinander erbärmlich versäge.<br />

Wie man Zucker herstellt, hat mir mein Lehrer nicht verraten<br />

… Jedenfalls muss ich noch heute schmunzeln, wenn ich<br />

an die Stelle gerate. Jedes Mal. Jedes Mal sehe ich das Zimmer,<br />

höre die Worte – und habe den Übergang erwartungsgemäß<br />

schon mehrfach im Konzert versemmelt. Ich kann<br />

Ihnen versichern, dass ich die Stelle aus dem Stand ansonsten<br />

10 Mal hintereinander perfekt hinlege. Aber gelernt ist<br />

gelernt …<br />

Warum ich Sie mit Märchen aus alter Zeit langweile: Ich<br />

möchte Ihnen vor Augen führen, dass unser dienstfertiges<br />

Gehirn alles speichert, was ihm angeboten wird. Egal, ob Sie<br />

es <strong>als</strong> wertvolle Information erkennen oder ob es einfach<br />

nur Müll ist. Das bedeutet: Jeder Fehlversuch wird gespeichert.<br />

Wenn Sie <strong>als</strong>o in Ihrem neuen Stück anfänglich rumstochern<br />

und nach dem „Try and Error“-Prinzip vorgehen,<br />

legen Sie sich bereits die kleinen Gedächtnisbömbchen für<br />

die Zukunft. In einer Vorspielsituation verspielen Sie sich an<br />

einer vermeintlich immer funktionierenden Stelle und fragen<br />

sich warum. Vermutlich haben Sie vor Wochen oder<br />

Monden in der Stelle rumgefummelt, bis sie dann klappte,<br />

und somit zu viele Fehlversuche erzeugt, die dann, wenn Sie<br />

anders konditioniert sind (anderes Instrument, anderer<br />

Raum, Gäste hören zu) ihre Wirkung entfalten und vom Gedächtnis<br />

in den Vordergrund gerückt werden.<br />

Natürlich werden Sie, wie ich auch, einige Musik zum<br />

Spaß einfach vom Blatt oder vom Ohr aus mit allen Patzern<br />

„durchfingern“. Das hat alles seine Berechtigung und gehört<br />

zum Spielspaß dazu. Planen Sie jedoch, ein Stück wirklich zu<br />

erarbeiten und spielfertig zu machen, sollten Sie strategisch<br />

etwas gewiefter vorgehen.<br />

Arbeiten Sie in kleinen Häppchen von maximal 20 Sekunden<br />

Länge. Mehr kann unser Gehirn nicht zwischenspeichern.<br />

Bitte spielen Sie so langsam, dass Sie alles im Blick haben,<br />

jederzeit wissen, wohin die Reise Ihrer Hand geht, die rhythmischen<br />

Strukturen stimmen, die Fingersätze geplant sind<br />

und keine Spielfehler passieren. Das kann ganz schön langsam<br />

sein …<br />

Man hat ein kurzes Fragment schnell auswendig gelernt.<br />

Hilfreich ist dabei, den harmonischen Aufbau zu durchschauen<br />

und damit die Masse der Töne zu komprimieren. C-<br />

E-G wird einfach zu C-Dur. Ich schreibe mir gern, neben<br />

Fingersätzen, auch die Harmonien in mein Notenmaterial.<br />

Da Sie das Fragment jetzt auswendig kennen, müssen Sie<br />

nicht wie ein Kaninchen in die Noten gucken, sondern gönnen<br />

Ihren Händen einen Blick. Eigentlich gönnen Sie die Blicke<br />

Ihren Zielen … Sobald ein Griff außerhalb der Handreichweite<br />

liegt, müssen Sie Ihre aktuelle Lage verlassen und<br />

vielleicht sogar flott springen. Alles, was in Handreichweite<br />

liegt, kann man „ertasten“ und das tun Sie auch. Sobald die<br />

Reise weiter weg geht, müssen Sie wissen, wohin. Nichts anderes<br />

tun Sie, wenn Sie über eine Pfütze springen. Sie blicken<br />

nicht wie hypnotisiert auf Ihre Fußspitzen und hoffen trockenen<br />

Fußes auf der anderen Seite zu landen, sondern Sie nehmen<br />

Ihr Ziel vorher fest in den Blick. Dann klappt es auch<br />

mit dem Sprung.<br />

Das Gleiche gilt am Klavier. Sie müssen springen oder weit<br />

reichen? Kein Problem. Ihr Auge braucht genau eine Sekunde,<br />

um einen Zielton zu fixieren. Die Zeit müssen Sie sich<br />

gönnen, daher fokussieren Sie den Zielton bitte rechtzeitig.<br />

Ihre Hand läuft nie längere Zeit unbeobachtet über die Klaviatur.<br />

Müssen beide Hände gleichzeitig springen, haben Sie<br />

Pech gehabt. Sie haben halt keine Facettenaugen. Daher<br />

entscheiden Sie sich für die schwächere Hand – Rechtshänder<br />

für die linke und umgekehrt.<br />

Kleine Unsauberkeiten nerven. Man erwischt noch so eben<br />

gerade kurz die Nachbartaste, schon klingt es irgendwie<br />

blöd. Und jeder merkt es. Das passiert jedem Profi-Spieler<br />

auch und der ärgert sich auch über die unnötigen, kleinen<br />

Schweinereien. Damit sich der Schweinkram in Grenzen<br />

hält, achte ich beim Lernen peinlich genau darauf, jede wei-<br />

78 5 . 11


5 . 11<br />

ße Taste mit meinen Wurstfingern mittig anzuspielen und<br />

Randbereiche zu vermeiden und jede schwarze Taste im<br />

vorderen Fünftel, je nach Grifflage. Das ist nicht immer<br />

konsequent realisierbar, aber in den meisten Fällen klappt<br />

es. Sobald ich eine Taste mittig anspiele, kann ich die<br />

Nachbarn nicht erwischen und ein großer Quell der Unsauberkeit<br />

ist versiegt. Manchmal stelle ich mir auf der<br />

Taste eine Art Minifadenkreuz vor. Männergedanken.<br />

Damit ist es aber noch nicht ganz getan. Jeder Ton<br />

möchte nicht nur genau angespielt werden, er möchte<br />

auch pünktlich verlassen werden, weil sonst die ganze<br />

Geschichte schmierig wird, wenn die Töne ein wenig ineinanderlaufen.<br />

Daher achte ich peinlich genau auf die Längen<br />

und ächte jede Überlänge.<br />

Damit nehme ich jetzt Bezug auf Johann Sebastian Bach,<br />

der behauptet haben soll, Clavier spielen sei gar nicht so<br />

schwer, man müsste nur die richtigen Töne zur richtigen<br />

Zeit spielen. Hm, da ist was dran …<br />

Ihr Fragment ist Ihnen perfekt geglückt, weil Sie sich Zeit<br />

gelassen haben. Das muss jetzt nur noch reproduzierbar<br />

werden und dann so bleiben. Setzen Sie sich <strong>als</strong> Ziel, das<br />

Fragment, egal wie langsam, drei Mal hintereinander zu<br />

Ihrer ehrlichen Zufriedenheit hinzubekommen. Danach<br />

verschnaufen Sie und erweitern das Stückchen vorne um<br />

vier, hinten um zwei Sekunden. Wieder ist Ihr erklärtes<br />

Ziel, das erweiterte Teilstück drei Mal ohne Blessuren zu<br />

schaffen. Und das schaffen Sie auch, weil Sie wirklich langsam<br />

spielen und sich nicht in den Rausch der Fingerfertigkeit<br />

begeben haben. Vielleicht erweitern Sie jetzt noch<br />

mal Ihr Fragment nach dem gleichen Prinzip – und das<br />

Teilstück ist im Kasten.<br />

Fehlt da nicht was? Richtig – wir haben die Dynamik völlig<br />

ignoriert und damit einen beliebten Fehler begangen.<br />

Wieso? Die Dynamik kann man doch später einbringen,<br />

wenn alles schon „in den Fingern“ ist? F<strong>als</strong>ch! Bitte nicht<br />

vergessen: Sie sind der Boss, Ihre Finger sind nur die Ausführenden.<br />

Sie entscheiden, was hier gespielt wird, nicht<br />

Ihre Finger! Sie schicken Ihre Finger kontrolliert und bewusst<br />

auf die Reise. Zwangsläufig wird damit auch das<br />

Griffgedächtnis entwickelt, aber es ist nie primär, wenn<br />

schon eine wundervolle Rückversicherung, etwas „in den<br />

Fingern“ zu haben. Etwa wie dynamische Abstufungen, die<br />

eine hohe haptische Leistung der Sensomotorik erfordern.<br />

Klingt kompliziert, ist es aber nicht.<br />

Wenn Sie Ihr Fragment in einer konstanten mittleren<br />

Lautstärke gelernt haben, so hat Ihr Griffgedächtnis das in<br />

die Schublade „mittlere Lautstärke, keine dynamische Abweichung“<br />

gelegt und speichert dabei das haptische Gesamtbild<br />

mit allen nötigen Griffen und Bewegungen <strong>als</strong><br />

Muster ab. Irgendwann aber haben Sie gemerkt, dass da<br />

vielleicht <strong>Piano</strong>, Crescendo, Akzente, Artikulationen und<br />

Stimmführungen noch zu integrieren sind. Jetzt ziehen Sie<br />

wieder – völlig unnötig – eine weitere Lernschublade auf,<br />

um die Spielanweisungen einzuarbeiten. Wieder wird das<br />

ganze Bild gespeichert. Umso mehr Lernschubladen Sie<br />

aufziehen müssen, desto diffuser ist das Gedächtnisbild.<br />

Das schafft Unsicherheiten.<br />

Deswegen: Blicken Sie lieber etwas länger genauer hin,<br />

spielen noch langsamer, bauen aber bereits von Anfang an<br />

alle wesentlichen dynamischen und artikulatorischen<br />

Merkmale ein, um möglichst wenig Lernschubladen zu öffnen.<br />

Seien Sie versichert: Es kommen sowieso noch genug<br />

dazu.


A<br />

… die Abenteuer von Superpresto und Moderato<br />

Superpresto“ ist ein Superheld, wie er im Buche steht –<br />

komplett mit einem Umhang aus 100 % Baumwolle,<br />

einer Laserbrille, einem Logo wie Superman, einem Paar<br />

Wunderschuhe, einer Zauberstimmgabel und der Katze<br />

Moderato (450 g Nettogewicht). Gemeinsam<br />

gehen sie auf „Entdeckungsreisen<br />

zur klassischen Musik“, die sie<br />

in der ersten Folge zu Georg Philipp<br />

Telemann und in der zweiten zu George<br />

Gershwin führt. Ungewöhnlich und<br />

für ein Kinderbuch durchaus ambitioniert<br />

sind die Illustrationen von<br />

Anouck Bécherraz, die mit einer Collagetechnik<br />

aus Fotografien und Zeichnungen<br />

arbeitet und dem aus Frankreich<br />

stammenden Kinderbuch eine<br />

avantgardistische Note verleiht.<br />

Die Geschichten sind charmant erzählt und absolut dazu geeignet,<br />

Kinder im Vorschulalter in ihren Bann zu ziehen. Superpresto<br />

hat von Georg Philipp Telemann eine magische<br />

Stimmgabel geschenkt bekommen, während er nachts von<br />

einem wilden Gelage verstorbener Komponisten träumt<br />

(fragen Sie nicht …). Als er sie in der ersten Folge ausprobiert,<br />

treffen sie wieder auf den barocken Vielschreiber, der<br />

gerade ein Violinkonzert für den Prinzen von Achteinhalbburg<br />

schreibt, jagen eine polnische<br />

Räuberbande mit Strawinskys „Tanz<br />

der Kutscher“ in die Flucht und erleben<br />

schließlich die Aufführung des<br />

„Froschkonzertes“ TWV 51:A4. In der<br />

zweiten Folge geht es dann ins New<br />

York des Jahres 1928, wo sie in eine<br />

Schießerei verwickelt werden (das<br />

Thema Prohibition und Bandenbildung<br />

wird hier sehr kindgerecht behandelt)<br />

und einen Tag an der Seite<br />

George Gershwins verbringen.<br />

Die mitgelieferten Hörspiel-CDs sind<br />

leider eher geeignet, Eltern in den Wahnsinn zu treiben. Die<br />

Texte wirken abgelesen und besonders Andrea Schönings<br />

bemüht kindertümelnde Sprechweise verführt bereits Fünfjährige<br />

dazu, genervt mit den Augen zu rollen. Wenn man<br />

sich beispielsweise dazu entscheidet, eine ganze CD mit einem<br />

aufgesetzten amerikanischen Akzent zu erzählen, dann<br />

sollte man das auch können … Dann doch lieber selber lesen<br />

– das macht auch viel mehr Spaß.<br />

A NFÄNGER<br />

Das Klavier, die Kinder und ich<br />

Neulich hatte ich Besuch von zwei alten Freunden aus meiner Kölner Zeit, die<br />

vor einigen Jahren an ein Theater in Norddeutschland gegangen sind und mit<br />

ihren beiden kleinen Kindern nun in einer alten Hansestadt an der Ostseeküste<br />

wohnen. Neben der gemeinsamen Liebe zum Theater und zum Gesang verbindet<br />

uns auch eine große Sympathie für gut gemachte Kindermusik. Am besten<br />

Musik, an der nicht nur Sechsjährige ihren Spaß haben, sondern auch deren<br />

Eltern. Musik, die man vielleicht gemeinsam am Klavier spielen kann, oder<br />

Musikbücher, die sich zum abendlichen Vorlesen eignen. Friederike ist erst ein<br />

Jahr alt und interessiert sich eher für die mechanischen Aspekte des Klavierspiels,<br />

aber Clara hat mit ihren fünfeinhalb Jahren schon einen ziemlich ausgeprägten<br />

Musikgeschmack, der natürlich davon beeinflusst ist, dass beide Eltern<br />

Sänger sind. Am liebsten spielt und singt sie „Zu spät zum Gänseblümchen pflücken“ aus dem musikalischen<br />

Kinderbuch „Ritter Rost“. Aber es gibt natürlich noch viel mehr tolle Musikbücher für Kinder – zum Beispiel …<br />

von: Manuel Rösler<br />

Abenteuer im Fabelwesenwald:<br />

Ritter Rost und die Mozart-Motte<br />

Wenn es um Musik für Kinder geht, dann gehört Jörg<br />

Hilbert natürlich zu den großen Namen. Zusammen<br />

mit seiner Frau Susanne hat der Zeichner, Dichter und<br />

Continuo-Lautenist wunderschöne Musikbilderbücher wie<br />

„Schaukelpferdchen und Gespenster“ (in dem es um gespenstische<br />

Abenteuer auf einem dämmerigen Dachboden geht),<br />

„Unter Wasser“ (ein Einsiedlerkrebs auf Wohnungssuche<br />

begegnet seltsamen Meeresmitbewohnern) oder „Der Ohrwurm“<br />

(die wohl launigste Methode, leichte Übungsstücke<br />

für Klavier an das Kind zu bringen)verfasst.<br />

Vor allem jedoch ist Jörg Hilbert der Erfinder von Ritter Rost<br />

und dem Burgfräulein Bö, dem Drachen Koks oder dem<br />

königlichen Hofschreiber Ratzefummel. Seine von Felix Janosa<br />

erarbeiteten, kongenialen Geschichten erschienen<br />

1994 in der dam<strong>als</strong> neu gegründeten Edition ConBrio – und<br />

schlugen ein wie die sprichwörtliche Bombe. Dass ein<br />

Kinderbuch von 48 Seiten auch noch<br />

zehn Lieder und eine CD enthalten<br />

sollte, war für die damalige Zeit vollkommen<br />

ungewöhnlich. Die Geschichten<br />

um den nichtsnutzigen Ritter Rost<br />

und sein patentes Burgfräulein (für<br />

das angeblich Hilberts Frau Susanne<br />

Pate gestanden hat) erhielten zahlreiche<br />

Preise, weitere Bücher folgten,<br />

schließlich ein Musical und eine CD.<br />

Ritter Rost ist waschechte Familienunterhaltung,<br />

die auf mehreren Ebenen<br />

funktioniert: Die Kinder freuen sich an<br />

den albernen Geschichten, den tollen Zeichnungen im typischen<br />

Hilbert-Stil und den lustigen Liedern – und die Erwachsenen<br />

darüber, dass die lustigen Lieder überhaupt<br />

nicht nach „Kinderlied“ klingen, sondern nach „richtigen“<br />

Kanons.<br />

Wer alles in der Beethovenstraße 26 wohnt<br />

Das sechsstöckige Mietshaus in der Beethovenstraße hat<br />

seine besten Jahre schon hinter sich: An der ein oder<br />

anderen Stelle bröckelt der Putz und die Farbe blättert ab,<br />

dafür wirft ein großer Baum seinen Schatten auf das Trottoir.<br />

Mit seinem gelben Putz und den großen grünen Fensterläden<br />

könnte es in einem gutbürgerlichen Arrondissement<br />

von Paris stehen. Oder vielleicht doch in Dresden?<br />

Oder Zürich? Hamburg scheidet aus – auf dem Umschlag-<br />

80 5 . 11


5 . 11<br />

A NFÄNGER<br />

bild scheint die Sonne. Berlin natürlich<br />

ebenfalls: Kein Müll auf der Straße<br />

…<br />

Ebenso spannend wie die Frage, wo<br />

dieses imposante Gebäude steht, ist<br />

die, wer in ihm wohnt. Und die wird<br />

uns beantwortet – auf musikalische<br />

Weise natürlich. Wir begleiten den<br />

Postboten Franz auf seinem täglichen<br />

Weg zu den Mietparteien und treffen<br />

auf dunkle Gestalten in der Parterrewohnung,<br />

eine traumatisierte Seiltänzerin,<br />

ein altes Ehepaar, den nervigen Klarinettenmann, die<br />

kinderreiche Familie im 3. Stock oder die Künstlerin in der<br />

Dachkammer, die sich von Musik inspirieren lässt. Das<br />

Besondere an diesem Heft: Alle Stücke und Zeichnungen<br />

stammen von Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen<br />

neun und 16 Jahren, die 2008 an einem Kompositionsprojekt<br />

im schweizerischen Würenlos teilnahmen.<br />

Elise kommt es gar nicht spanisch vor<br />

Der eine oder andere Leser wird<br />

vielleicht ältere Kinder haben und<br />

ein letztes Mal mit ihnen musizieren<br />

wollen, bevor die Pubertät einsetzt<br />

und dann ohnehin alles anders wird.<br />

Für diesen Fall bietet Michael Proksch<br />

„zwölf raffinierte Stücke für Klavier zu<br />

vier Händen“. Hier wird das Spiel<br />

schon etwas ernsthafter betrieben. Die<br />

witzigen, bildhaften Überschriften motivieren<br />

zu ausdrucksstarkem Spiel. So<br />

lässt sich „Im septimen Himmel“<br />

schwelgen, die „Seine-sucht“ am Pont-<br />

Neuf in Paris ausleben, so können die Spieler gemeinsam<br />

mit „Erik Satie von frischer Landluft überrascht“ und, am<br />

Michel Cardinaux<br />

Superpresto und Moderato besuchen<br />

Georg Philipp Telemann<br />

Illustriert von Anouck Bécherraz<br />

Erzählt von Andrea Schöning und<br />

Harald Arnold<br />

Edition Hug ISBN 979-0-2028-2424-5<br />

EUR 19,90<br />

Superpresto und Moderato besuchen<br />

George Gershwin<br />

Illustriert von Anouck Bécherraz<br />

Erzählt von Andrea Schöning und<br />

Stefan Staudinger<br />

Edition Hug ISBN 979-0-2028-2426-9<br />

EUR 19,90<br />

Susanne und Jörg Hilbert<br />

Schaukelpferdchen und Gespenster<br />

Edition ConBrio ISMN M-2028-6041-0<br />

EUR 13,80<br />

Unter Wasser<br />

Edition ConBrio ISMN M-2028-6044-1<br />

EUR 13,80<br />

Die besprochenen <strong>Ausgabe</strong>n<br />

Der Ohrwurm<br />

Eine Klaviergeschichte mit 20 beliebten<br />

Ohrwürmern<br />

Edition ConBrio ISMN M-2028-6068-7<br />

EUR 12,80<br />

Jörg Hilbert / Felix Janosa<br />

Ritter Rost für Klavier, Heft 1<br />

Edition ConBrio ISMN M-2028-6063-2<br />

EUR 11,80<br />

Ritter Rost für Klavier, Heft 2<br />

Edition ConBrio ISMN M-2028-6085-4<br />

EUR 11,80<br />

Ritter Rost für Klavier vierhändig, Heft 1<br />

Mit CD (Vollversion und<br />

Halbplayback)<br />

Edition ConBrio ISBN 978-3-909415-<br />

51-9<br />

EUR 15,80<br />

Ritter Rost für Klavier vierhändig, Heft 2<br />

Mit CD (Vollversion und<br />

Halbplayback)<br />

Ende, im „Spanier für Elise“ in einen temperamentvollen<br />

Dialog zwischen den Stilen hineingerissen werden.<br />

Konzert im Blumenbeet<br />

Ein herrlich altmodischer Geist von Häschenschule und<br />

Peterchens Mondfahrt durchzieht dieses Heft, denn „irgendwo<br />

gibt es ein ganz besonderes Blumenbeet, in dem<br />

alle Blumen des Jahres blühen – aber nur an einem ganz<br />

bestimmten Tag: dem 8. Sonntag im<br />

Sommer. Manfred Schmitz, <strong>als</strong> Klavierlehrer,<br />

Komponist und Chansonbegleiter<br />

gleichermaßen begehrt und erfahren,<br />

hat eine entzückende kleine Geschichte<br />

über musizierende Grashüpfer<br />

und Basskäfer geschrieben und einfache,<br />

aber nicht simple Klavierstücke<br />

dazu komponiert. Da ertönen Festivalfanfaren<br />

und Schlüsselblumenlieder<br />

und am Ende wird sogar ein Klavier<br />

herausgetragen. Schade nur, dass<br />

man den schönen Illustrationen von Isa Brützke nicht viel<br />

mehr Platz eingeräumt hat. In einem Heft für Kinder sollte<br />

es bunt zugehen, da kann man ruhig einmal die Zeichnungen<br />

hinter den Noten hervorschimmern lassen oder farbiges<br />

Papier verwenden … Gewitzte Eltern legen dem Heft Wachsm<strong>als</strong>tifte<br />

bei, bevor sie es ihren Sprösslingen in die Hände<br />

geben.<br />

Edition ConBrio ISBN 979-0-2028-<br />

6104-2<br />

EUR 15,80<br />

Die Mozart-Motte<br />

Eine Klaviergeschichte mit Löchern und<br />

12 Werken des jungen Mozart<br />

Text, Illustrationen und Gestaltung<br />

von Jörg Hilbert<br />

Edition ConBrio ISMN M-2028-6058-8<br />

EUR 12,80<br />

Michael Proksch<br />

Ein Spanier für Elise<br />

Breitkopf & Härtel EB 8769<br />

EUR 17,50<br />

Manfred Schmitz<br />

Konzert im Blumenbeet<br />

Deutscher Verlag für Musik DV 32147<br />

EUR 14,-<br />

A<br />

81


N N OTEN<br />

Gesichtet und angespielt von: Manuel Rösler<br />

Joseph Marx<br />

Klavierstücke I<br />

Universal Edition UE 34696<br />

EUR 34,95<br />

Natürlich war er kein Nazi. Obwohl<br />

er während des Krieges<br />

seine Heimat Österreich nicht verlassen<br />

hatte, die eine oder andere<br />

öffentliche Rede über die „Rettung<br />

der untergehenden Musikkultur“ gehalten<br />

hat und nach dem Krieg sogar<br />

eine Zeitlang <strong>als</strong> heißer Kandidat<br />

für das Amt des Bundespräsidenten<br />

galt.<br />

Diese Aufgabe übernahm dann der<br />

schillernde Sozialdemokrat Theodor<br />

Körner – Marx hingegen vertrat Österreich<br />

in nahezu alle kulturpolitischen<br />

Belangen: <strong>als</strong> Präsident und<br />

Ehrenvorsitzender vieler bedeutender<br />

Institutionen und Vereinigungen<br />

der österreichischen Musik (u. a. Gesellschaft<br />

der Autoren, Komponisten<br />

und Musikverleger [AKM], Staatsrat<br />

für Kultur, Mozartgemeinde und<br />

Österreichischer Komponistenbund).<br />

Und natürlich <strong>als</strong> kulturpolitischer<br />

Vertreter Österreichs die Ämter<br />

in sämtlichen Gremien der UNES-<br />

CO. Grund genug für eine ganze<br />

Komponistengeneration, nach dem<br />

Krieg gegen die übermächtige Vaterfigur<br />

aufzubegehren und neben seiner<br />

Musik gleich den ganzen Mann<br />

1 Sehr leicht – Diese Stücke sollten auch<br />

Klavieranfängern kaum Probleme bereiten.<br />

2 Leicht – Blattspielfutter für geübte<br />

Amateure und fortgeschrittene Schüler.<br />

3 Standard – Kein Problem für<br />

Amateure, Anfänger müssen hier schon<br />

ein wenig üben.<br />

4 Mittelschwer – Geübte Amateure müssen<br />

hier schon ein wenig Übezeit investieren,<br />

für professionelle Pianisten sollten<br />

zu verdammen. Man schreckte nun<br />

auch nicht mehr davor zurück, Marx<br />

konkret politisch zu verdächtigen<br />

und ihn <strong>als</strong> „NS-Funktionär“ zu bezeichnen.<br />

Dass man ihn mutwillig<br />

mit dem Komponisten Karl Marx,<br />

der während des Zweiten Weltkrieges<br />

ausgerechnet in Joseph Marxens<br />

Heimatstadt und späterem Lehrort<br />

Graz <strong>als</strong> Professor gewirkt und dort<br />

Lieder und Gesänge für die Hitlerjugend<br />

komponiert hatte, verwechselte,<br />

hat sich auf seinen Nachruhm<br />

ebenfalls verhängnisvoll ausgewirkt.<br />

Joseph Marx scheint ein Komponist<br />

vom Schlage eines Richard Strauss<br />

oder Franz Lehar gewesen zu sein.<br />

Jovial-gemütlich, ungemein fleißig<br />

und umtriebig und nur in dem Maße<br />

politisch, wie es ihm selbst nutzte.<br />

Doch die politische Rolle, die er<br />

spielte, soll hier nicht interessieren –<br />

mag sie auch noch so spannende Facetten<br />

aufweisen.<br />

Die Werke von Joseph Marx, der sich<br />

in den Klangwelten von Max Reger,<br />

Claude Debussy und Alexander Skrjabin<br />

zu Hause fühlte, sind das Produkt<br />

eines Exzentrikers und bis ins<br />

hohe Alter hedonistisch veranlagten<br />

Künstlers, der sich am ehesten mit<br />

der hochgeistigen, schwelgerischen<br />

Lebensart der Antike identifizieren<br />

konnte. Ähnlich wie Skrjabin suchte<br />

Marx aufgrund seiner starken Affinität<br />

zu mystischen Vorstellungen<br />

nach dem Höchsten in der Kunst <strong>als</strong><br />

Ausdruck für den transzendenten<br />

Aspekt des Daseins. Dabei trieb er<br />

die spätromantisch-impressionistische<br />

Klangfülle vor allem in der monumentalen,<br />

über weite Strecken regelrecht<br />

orgiastischen Herbstsymphonie<br />

aus dem Jahre 1921 auf einen<br />

Höhepunkt, von dem aus es für<br />

den Komponisten keine Steigerung<br />

mehr geben konnte und wohl auch<br />

nicht sollte. Und auch wenn diese<br />

„Herbstsymphonie“ sicherlich die<br />

Krönung seines musikalischen Lebens<br />

darstellt – auch die Klaviermu-<br />

diese Stücke aber keine Herausforderung<br />

darstellen.<br />

5 Anspruchsvoll – Von erfahrenen<br />

Amateuren durchaus noch zu schaffen,<br />

aber auch für Profis nicht ganz leicht.<br />

6 Schwer – Hier müssen auch Profis<br />

gründlich üben; für reine Amateure kaum<br />

zu schaffen.<br />

7 Sehr schwer – „Nicht einmal der<br />

Komponist kann dieses Stück spielen.“ Auch<br />

für erfahrene Profis eine harte Nuss.<br />

sik ist beachtenswert. Wenn man<br />

denn ein Faible für Gaslicht, Plüsch<br />

und Plunder hat.<br />

Schwierigkeitsgrad: 5<br />

Gottfried Kirchhoff<br />

Sämtliche Werke für Clavier<br />

Ortus Musikverlag om124<br />

Herausgegeben<br />

von Maxim Serebrennikov<br />

ISMN M-700296-87-2<br />

EUR 18,00 EUR<br />

Hinter dem „Ortus Musikverlag“<br />

stecken die beiden Musikwissenschaftler<br />

Tobias Schwinger und<br />

Ekkehard Krüger. 1998 haben sie<br />

den Verlag mit dem schillernden Namen<br />

(das lateinische „ortus“ bezeichnet<br />

den Aufgang eines Sterns,<br />

steht aber auch für Wachstum,<br />

Entstehung, Anfang und – Heimat)<br />

gegründet. Da passt es ins Bild, dass<br />

die beiden Verlagschefs <strong>als</strong> erstes<br />

Domizil Krügers Elternhaus im beschaulichen<br />

Beeskow – eine Tagesreise<br />

von Berlin entfernt – wählten. Musik<br />

des 17. und 18. Jahrhunderts und<br />

der Gegenwart sowie Erstveröffentlichungen<br />

aus dem Kulturraum zwischen<br />

Elbe und Oder standen auf<br />

dem Programm: Kirchenmusik von<br />

Philipp Dulichius und Thomas Selle,<br />

Opern und Oratorien von Telemann<br />

und natürlich Werke des Berliner<br />

Hofkapellmeisters Carl Heinrich<br />

Graun. Inzwischen ist eine weitere<br />

Verlagsadresse in Berlin hinzugekommen<br />

und auch der Katalog hat<br />

sich beträchtlich erweitert: Berliner<br />

Klassik, Veröffentlichungen aus dem<br />

vor einiger Zeit wiederentdeckten legendären<br />

Archiv der Berliner Sing-<br />

Akademie, Hofmusik aus Dresden<br />

und Ludwigslust. Auch für die Schriften<br />

der „Ständigen Konferenz Mitteldeutsche<br />

Barockmusik“ ist man zuständig:<br />

Stichwort „Johann Friedrich<br />

Fasch“.<br />

82 5 . 11


5 . 11<br />

Auch ansonsten ist das Verlagsprogramm<br />

hoch interessant und lohnt<br />

einen zweiten oder dritten Blick.<br />

Reinhard Keiser, der zusammen mit<br />

Johann Matheson so etwas wie der<br />

„Lloyd Webber“ der Hamburger Barockszene<br />

war, ist gleich mit mehreren<br />

Opern vertreten und mit den<br />

musikalischen Weihnachtsgeschichten<br />

von Johann Wilhelm Hertel<br />

(1727–1789) und Carl Heinrich<br />

Graun hat der kleine Verlag sogar<br />

zwei echte Hitkandidaten im Repertoire.<br />

Gottfried Kirchhoff, dessen „Sämtliche<br />

Werke für Clavier“ der Ortus-<br />

Verlag gerade in einer ansprechenden<br />

Neuausgabe herausgegeben<br />

hat, passt mit seiner Lebensgeschichte<br />

und seinem Werk hervorragend in<br />

das Verlagsprogramm „Barockmusik<br />

zwischen Elbe und Oder“. 1685 im<br />

sächsischen Mühlbeck in der Nähe<br />

von Bitterfeld geboren, gehört er zur<br />

Generation Bachs und Händels, die<br />

ja auch eine Generation des Umbruchs<br />

gewesen ist. Was Kirchhoffs<br />

Musik über das rein lexikalische<br />

Interesse hinaus auch für heutige<br />

Ohren interessant macht, ist der an<br />

Händel gemahnende Tonfall seiner<br />

langsamen Sätze, die strenge Form<br />

und zuweilen gewagte Harmonik.<br />

Das unterscheidet ihn von der Dutzendware<br />

seiner Zeit, zu der man<br />

auch größere Namen <strong>als</strong> den seinen<br />

zählen muss. Ob Kirchhoff eine zweite<br />

Chance erhält, wird die Praxis zeigen.<br />

Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />

Konstantin Wecker<br />

Tasten.Spielen –<br />

Klavierimprovisationen<br />

Doblinger 01 434<br />

EUR 14,95<br />

„Das Klavier ist mein künstlerisches<br />

Zuhause, seit ich es in meiner Kindheit<br />

angefangen habe zu spielen. [...] Die<br />

Frage, ob ich nun Opernsänger,<br />

Komponist oder Lyriker werden sollte,<br />

erhielt durch Georg Kreisler, der seine<br />

eigenen Lieder am Klavier sang, den<br />

entscheidenden Lösungsimpuls. Das<br />

Ergebnis ist bekannt.“<br />

Konstantin Wecker<br />

Wie lässt sich der Klavierkomponist<br />

Wecker greifen? Ohne die<br />

kraftvoll-nölende Stimme, das<br />

schwelgerische Pathos und den verschwitzten<br />

Machismo dieses Mannes.<br />

Vielleicht, so denkt man bei Do-<br />

N OTEN<br />

blinger, indem man dem Kerl einen<br />

Kompositionsauftrag gibt. „Du improvisierst<br />

doch so wunderbar – schreib<br />

uns doch das mal auf, wir drucken das<br />

dann!“ Gesagt – getan.<br />

„Ich sehe mich <strong>als</strong>o mehr <strong>als</strong> improvisierenden<br />

Klavierspieler denn <strong>als</strong> Komponist<br />

von Klaviermusik“, sagt Wecker<br />

bescheiden. „Einerseits würde es mich<br />

freuen, das Repertoire an kleinen Vortragsstücken<br />

für Klavierabende und<br />

zum Spielen zu Hause damit erweitern<br />

zu können, hauptsächlich mögen die<br />

schlichten Stücke zu weiterführenden<br />

Improvisationen inspirieren, Anhaltspunkte<br />

sein, eigene Wege zu gehen, ins<br />

eigene Klavier-Ich zu schauen und hoffentlich<br />

zu staunen, wen man und was<br />

man da entdeckt.“<br />

Doch so niedrig muss er die Messlatte<br />

gar nicht legen. Die bei Doblinger<br />

erschienenen Klavierstücke<br />

halten jedem Vergleich mit ähnlich<br />

gelagerten Sammlungen stand. Den<br />

Großteil des Heftes nimmt eine<br />

Reihe von Variationen über ein eigenes<br />

Thema ein: „Leben im Leben“,<br />

das altgediente Wecker-Fans sicherlich<br />

auch unter dem Titel „Paradies“<br />

kennen dürften. Es sind keine Variationen<br />

im klassischen Stil. Das<br />

wäre auch nicht zu erwarten bei<br />

einem kreativen Sprudelkopf wie<br />

Konstantin Wecker. Es sind eher assoziative<br />

Improvisationen, Spielereien,<br />

was sich mit einem solchen Thema<br />

anstellen lässt. Aber die sind<br />

schön: luftig gesetzt und spielbar,<br />

harmonisch durchaus überschaubar<br />

und nicht selten mit Spurenelementen<br />

des Wecker-typischen Blues-<br />

Stils angereichert.<br />

Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />

Leonard Bernstein<br />

Music for piano<br />

Boosey & Hawkes BHI 24641<br />

EUR 19,95<br />

„Sie sind ein jüdischer Kommunist!“ –<br />

„Ein schwuler jüdischer Kommunist!“<br />

Wortwechsel zwischen einem US-<br />

Abgeordneten und Leonard<br />

Bernstein in den fünfziger Jahren<br />

Leonard Bernstein <strong>als</strong> schillernde<br />

Persönlichkeit zu beschreiben, ist<br />

eine gelinde Untertreibung. Zigaretten<br />

und Whisky, Drogen und ein<br />

ebenso offen zur Schau gestelltes<br />

Sexualleben mit zahlreichen Affären<br />

machten seine Persönlichkeit ebenso<br />

aus wie sein niem<strong>als</strong> zu bremsender<br />

Enthusiasmus für Musik. Wilhelm<br />

Furtwängler bezeichnete ihn <strong>als</strong> die<br />

„größte Dirigierbegabung des Jahrhunderts“.<br />

Als Dirigent und Pianist setzte er sich<br />

unermüdlich für die Musik seiner<br />

Kollegen ein: Charles Ives, Aaron<br />

Copland (dessen Schüler er war und<br />

mit dem ihn eine leidenschaftliche<br />

Affäre verbunden haben soll), George<br />

Gershwin. Bernstein setzte ihre<br />

Werke immer wieder aufs Programm<br />

der Orchester, die ihn einluden, und<br />

popularisierte ihre Musik quasi im<br />

Alleingang. Zu Beginn der siebziger<br />

Jahre gelang es ihm sogar, den für<br />

ihre latenten Vorbehalte gegenüber<br />

Frauen, Juden und der Musik von<br />

Gustav Mahler berüchtigten Wiener<br />

Philharmonikern die Liebe zu dessen<br />

Musik einzupflanzen. Die über viele<br />

Jahre entstandenen Aufnahmen bilden<br />

nach wie vor die Referenz für<br />

alle Mahler-Dirigenten.<br />

Bernstein, der sich selbst <strong>als</strong> Wiedergeburt<br />

des 1911 gestorbenen Komponisten<br />

betrachtet haben soll, war jedoch<br />

nicht nur einer der bedeutendsten<br />

Dirigenten des 20. Jahrhunderts,<br />

sondern auch ein ebenso charismatischer<br />

Komponist. Auch wenn keines<br />

seiner anderen Werke den genialen<br />

Wurf der „West Side Story“ jem<strong>als</strong><br />

übertreffen sollte, war Bernstein<br />

doch erstaunlich fruchtbar: drei<br />

N<br />

83


N N OTEN<br />

Sinfonien, ein halbes Dutzend Music<strong>als</strong><br />

und Opern, ausgefallene Liederzyklen<br />

(„I Hate Music“ oder das aus<br />

gesungenen Kochrezepten bestehende<br />

„La bonne cuisine“) und Klaviermusik.<br />

Das Klavier hat ihn <strong>als</strong> sein erstes<br />

Instrument sein Leben lang begleitet.<br />

Man muss sich den jugendlichen<br />

Bernstein <strong>als</strong> Tasten- und Partylöwe<br />

vorstellen, der sich nicht lange bitten<br />

ließ, bis er sich in geselliger Runde<br />

ans Klavier setzte. Der im Rahmen<br />

einer großen Bernstein-Retrospektive<br />

erschienene Band „Music for<br />

<strong>Piano</strong>“ enthält nicht das gesamte<br />

Klavierschaffen, sondern konzentriert<br />

sich auf bislang unveröffentlichte<br />

Werke, darunter eine fantastische<br />

„Bridal Suite“ für Klavier zu vier<br />

Händen, die aus einer Folge glänzend<br />

skizzierter Charakterstücke besteht,<br />

denen der Schalk aus allen<br />

Knopflöchern blitzt.<br />

Schwierigkeitsgrad: 4–5<br />

Gerald Schwertberger<br />

Joplin meets Strauss – Ragtime, Blues<br />

& Boogie-Arrangements nach<br />

berühmten Strauß-Walzern im Stil<br />

von Scott Joplin<br />

Doblinger Musikverlag 01 435<br />

EUR 18,95<br />

Scott Joplin und Johann Strauss –<br />

das sind zwei unwahrscheinliche<br />

musikalische Bettgesellen. Der „King<br />

of Ragtime“ und der „Walzerkönig“<br />

passen schon mathematisch nicht<br />

zusammen: 2/4-Takt der eine, 3/4-<br />

Takt der andere. Gut, Strauss hat<br />

auch schon mal im geraden Takt<br />

komponiert – man denke nur an die<br />

vielen Polkas, Quadrillen und Gallopps.<br />

Und auch Scott Joplin hat den<br />

einen oder anderen Walzer beigesteuert.<br />

Aber sonst trennen natürlich<br />

Welten die beiden Komponisten.<br />

Oder etwa nicht?<br />

Nun hat der Wiener Doblinger-Verlag<br />

– gewissermaßen von Hause aus<br />

zuständig für die Johann-Strauß-<br />

Pflege – die beiden scheinbaren Gegensätze<br />

in einem wunderbaren<br />

neuen Heft zusammengeführt. Lustvoll<br />

legt Bearbeiter Schwertberger<br />

die Axt an die Wurzel des Wiener<br />

Wertgefüges und verwandelt den<br />

„Accelerationen-Walzer“ in einen<br />

schmissigen Ragtime, lässt die<br />

„Schöne blaue Donau“ <strong>als</strong> gemächlichen<br />

12/8-Blues daherströmen und<br />

kleidet sogar Joplins’ ikonographi-<br />

schen „Entertainer“ in das Gewand<br />

eines echten Wiener Walzers. Und so<br />

unwahrscheinlich es klingen mag:<br />

Die ganze Angelegenheit funktioniert!<br />

Als hätte man „Wiener Blut“<br />

immer schon im synkopierten 4/4-<br />

Takte gehört. Nicht einmal der Kaiserwalzer<br />

– Österreichs klingendes<br />

Nationalheiligtum – bleibt verschont.<br />

Und macht sich prächtig <strong>als</strong><br />

funkensprühender Ragtime!<br />

Freuen Sie sich <strong>als</strong>o auf: The Entertainer-Waltz,<br />

To Ann and Florence<br />

(nach „Annen-Polka“), Acceleration-<br />

Rag (nach „Accelerationen“), Schön<br />

blau an der Donau (nach „An der<br />

schönen blauen Donau“), Bloody<br />

Vienna (nach „Wiener Blut“), Batman’s<br />

Grandfather (nach „Du und<br />

Du – Die Fledermaus“), Pizzi-Cat’s<br />

Delight (nach „Pizzicato-Polka“),<br />

Des Kaisers neue Kleider (nach dem<br />

„Kaiser-Walzer“), Wine, Woman and<br />

Songs (nach „Wein, Weib und<br />

Gesang“), Gipsy-Treasure (nach<br />

„Schatz-Walzer – Zigeunerbaron“),<br />

No Smoke, no Flash! (nach „Unter<br />

Donner und Blitz“), Wienerwald-<br />

Highway A 21 („Geschichten aus<br />

dem Wienerwald“) und Human<br />

Blood Light (nach „Leichtes Blut“).<br />

Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />

Vladmir Sterzer<br />

Mundus meus<br />

Edition Dux D 624<br />

EUR 29,90<br />

Phantasma Mea<br />

Edition Dux D 627<br />

EUR 29,90<br />

Ich weiß nicht so recht, was ich von<br />

diesen beiden Heften halten soll.<br />

Der Autor, Vladimir Sterzer, war mir<br />

bislang kein Begriff. Ich öffne das<br />

dicke Buch (das sich dank überlegter<br />

Bindetechnik erfreulich gut auf dem<br />

Klavier platzieren lässt) und entdecke<br />

die CD, die ich gleich in meinen<br />

Laptop wandern lasse. Ich zappe<br />

ein wenig herum. Erster Eindruck:<br />

freundlich tonale Melodien, die Erik<br />

Satie wohl sofort <strong>als</strong> „Musique d’ameublement“<br />

erkannt hätte. Viele<br />

Stücke tragen sprechende Namen<br />

wie „The Old Church“, „Forgive Me“<br />

oder „Wind“ und beginnen oft mit<br />

einem zwei- oder viertaktigen Begleitpattern,<br />

auf das sich eine simple<br />

Melodie der rechten Hand setzt. Alle<br />

Perioden sind sauber abgezählt,<br />

damit sich der Spieler oder seine<br />

Zuhörer nicht erschrecken. Moment<br />

...! Vielleicht sollen sich die Zuhörer<br />

sowieso nicht erschrecken. Vielleicht<br />

sollen sie nicht einmal zuhören.<br />

„Musique d’ameub’ement“ – oder:<br />

Fahrstuhlmusik.<br />

Wenn sie gut ist, erinnert Vladmir<br />

Sterzers Musik an die Sorte traumschwerer<br />

Balladen, die 15-jährige<br />

Mädchen für ihren ersten Freund<br />

komponieren. Ein gründlich erforschter<br />

Gedanke, der – anstatt ihn<br />

zu variieren – einfach immer wiederholt<br />

wird. Wenn sie nicht gut ist,<br />

dann erinnert sie an Kaufhausmusik.<br />

Unaufdringlich und ohne<br />

Tiefgang, dafür aber von niederschmetternder<br />

Monotonie. Man<br />

könnte sie auch gut in Abu Ghreib<br />

oder Guantanamo einsetzen, um widersetzlichen<br />

Gefangenen Geständnisse<br />

zu entlocken. Nach drei Tagen<br />

mit dieser Musik wird auch der härteste<br />

Gotteskrieger mürbe. Wissen<br />

die Vereinten Nationen davon?<br />

Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />

84 5 . 11


5. 11<br />

Franz Liszt<br />

Rigoletto-Konzertparaphrase<br />

Herausgegeben von<br />

Ulrich Scheideler<br />

Fingersätze von<br />

Marc-André Hamelin<br />

G. Henle Verlag HN 978<br />

EUR 8,-<br />

Faksimile HN 3219<br />

EUR 59,-<br />

Sein ganzes Leben lang war Franz<br />

Liszt ein Pendler zwischen den<br />

Welten, ein echter Europäer, der sich<br />

in Budapest ebenso zu Hause fühlte<br />

wie in Wien, Paris oder London. Und<br />

ein Künstler, der all die verschiedenen<br />

musikalischen Einflüsse aus diesen<br />

Ländern in seinem Werk verschmelzen<br />

konnte. Paris und Wien<br />

sind die prägenden Stationen seines<br />

Lebens: Wien, wo er <strong>als</strong> Meisterschüler<br />

Carl Czernys das musikalische<br />

Erbe Beethovens antrat, und Paris,<br />

wo die intellektuellen Debattierzirkel<br />

in den Salons und Cafés seine<br />

Persönlichkeit sowohl in politischer<br />

<strong>als</strong> auch kultureller Hinsicht formten.<br />

Die Februarrevolution prägte<br />

ihn ebenso wie die lebendige geistige<br />

Atmosphäre, die einen bunten<br />

Reigen von Schriftstellern, Malern,<br />

Musikern und Gelehrten vereint.<br />

Überhaupt ist es die Zeit des Bildungsbürgertums<br />

– und was früher<br />

der Adelige für den Künstler gewesen<br />

war, diese Rolle übernahm nun<br />

unter anderen Vorzeichen der Bürger.<br />

Er ist die treibende und erstm<strong>als</strong><br />

auch honorierende Kraft aller Künste,<br />

sodass in diesem Umfeld erstm<strong>als</strong><br />

auch ein Verlagswesen im heutigen<br />

Sinne mit Urheberrecht und entsprechender<br />

Vergütung für den Künstler<br />

entstehen kann. So schreiben Komponisten<br />

ihre Werke nicht länger für<br />

einen adeligen, sondern für einen<br />

bürgerlichen Auftraggeber, der dafür<br />

in barer Münze bezahlt.<br />

Damit hat sich die Welt für den ausübenden<br />

beziehungsweise kreativ<br />

schaffenden Musiker grundlegend<br />

geändert, und insbesondere an die<br />

Solisten werden immer höhere Anforderungen<br />

hinsichtlich der Individualität<br />

gestellt – schließlich muss<br />

sich der Künstler von seiner Konkurrenz<br />

unterscheiden, um sich und seine<br />

Kunst verkaufen zu können. Dies<br />

führt zur Ausbildung des Virtuosentums,<br />

das Geiger wie Niccolò Paganini<br />

oder Pianisten wie Franz Liszt<br />

hervorbringt, die zu gefeierten Stars<br />

der Musikszene aufsteigen und Begeisterungsstürme<br />

entfachen wie in<br />

N OTEN<br />

heutiger Zeit die Popstars. Wie die<br />

Musik aussah, die auf den musikalischen<br />

Schlachtfeldern Europas erklang,<br />

lässt sich beispielhaft an<br />

Liszts über siebzig Opernparaphrasen<br />

hören, die er zwischen 1824 und<br />

1847 für seine zahllosen Konzerte<br />

schrieb.<br />

Die nun im Henle-Verlag vorgelegte<br />

Rigoletto-Paraphrase gehört schon<br />

nicht mehr zu dieser Gruppe. Als<br />

Liszt sie 1859 schrieb, war er des Virtuosenlebens<br />

längst überdrüssig geworden.<br />

Sein Schüler und erster<br />

Schwiegersohn Hans von Bülow<br />

spielte die Uraufführung. Anders <strong>als</strong><br />

in den Transkriptionen der frühen<br />

Jahre hatte Liszt in der „Rigoletto-Paraphrase“<br />

nicht verschiedene Nummern<br />

der gesamten Oper ausgewählt,<br />

sondern sich auf einen einzigen<br />

Ausschnitt aus Giuseppe Verdis<br />

1851 uraufgeführter Oper beschränkt:<br />

das Quartett aus dem dritten<br />

Akt und somit jenes letzte Inne-<br />

N<br />

85


N N OTEN<br />

halten in der Handlung, bevor die<br />

Katastrophe ihren Lauf nimmt.<br />

Hört man diese Musik von einem<br />

guten Pianisten gespielt, so versteht<br />

man, dass es nicht nur der musikalische<br />

Kanonendonner gewesen sein<br />

kann, der das Publikum seiner Zeit<br />

an Liszts Musik fesselte. Durch die<br />

Beschränkung auf einen kleinen<br />

Ausschnitt der Oper erhält die Paraphrase<br />

eine beeindruckende Dichte.<br />

Liszt übertrug die Verdi’sche Vorlage<br />

sehr genau. Er versah sie mit einer<br />

längeren Einleitung, die zwei Motive<br />

des Quartetts (Maddalenas Spott<br />

über den liebeskranken Herzog, Gildas<br />

ungläubiges Staunen über die<br />

Treulosigkeit des Herzogs) vorwegnimmt<br />

und auch dessen Tonartendisposition<br />

(E-Dur – cis-Moll – Des-<br />

Dur) wahrt, und ergänzte einige zusätzliche<br />

Takte und Wiederholungen<br />

in der Mitte des Stücks sowie einen<br />

neuen effektvollen Schluss. Überwölbt<br />

wird die Verdi’sche Musik bald<br />

zunehmend von einem filigranen<br />

virtuosen Geflecht, das die nächtliche<br />

Szenerie gleichsam in ein unheimliches<br />

Licht taucht. Die äußere<br />

Unruhe wird so zum Spiegel der<br />

inneren Bewegung und zum Vorboten<br />

drohenden Unheils.<br />

Schwierigkeitsgrad: 6–7<br />

Valentin Silvestrov<br />

Klavierwerke, Band 2<br />

Werke von 1954 bis 1973<br />

Belaieff Bel 681-20<br />

EUR 32,95<br />

Valentin Silvestrov ist der bedeutendste<br />

Komponist seiner Generation.<br />

Alfred Schnittke<br />

Der größte Komponist unserer Zeit.<br />

Arvo Pärt<br />

Wenn sich zwei bedeutende<br />

Komponisten der Gegenwart<br />

so lobend über einen der Ihren äußern,<br />

sollte man vielleicht genauer<br />

hinschauen: Wer ist eigentlich<br />

Valentin Silvestrov?<br />

Geboren l937 in Kiew, studierte Valentin<br />

Silvestrov zuerst Klavier, anschließend<br />

Komposition, Harmonielehre<br />

und Kontrapunkt am Tschaikowsky-Konservatorium<br />

in Kiew. Zusammen<br />

mit Leonid Grabowsky,<br />

Alfred Schnittke, Sofia Gubaidulina,<br />

Gija Kantscheli sowie Arvo Pärt zählt<br />

er zu den bedeutendsten Repräsentanten<br />

der Kiewer Avantgarde.<br />

Zwölftonmusik und Aleatorik, Elektronik<br />

und Geräuschmusik – bislang<br />

die Kennzeichen der „Kiewer Avantgarde“<br />

ließ Silvestrov in den frühen<br />

Siebzigern hinter sich, um einen neuen<br />

kompositorischen Weg einzuschlagen:<br />

Er wagte stilistisch den<br />

Rückwärtsgang zur Klassik und<br />

Romantik. Seine Musik verbindet<br />

Anklänge der alten Musik mit romantischen<br />

liedartigen Motiven, impressionistischen<br />

Klangfeldern, mit<br />

atonalen Passagen im Sinne Schönbergs<br />

oder modalen Tonreihen im<br />

Stile von Messiaen.<br />

Der mir vorliegende zweite Band<br />

enthält sowohl frühe, in den fünfziger<br />

und sechziger Jahren entstandene<br />

Werke <strong>als</strong> auch die Zyklen „Kindermusik“<br />

I und II sowie die „Musik<br />

im alten Stil“ aus dem Jahre 1973,<br />

der frühen Reifezeit des Komponisten.<br />

In spieltechnischer Hinsicht stellen<br />

sie keine allzu große Herausforderung<br />

dar. Es sind wunderbare kleine<br />

Miniaturen, deren Traditionslinie<br />

wohl am ehesten von Mussorgskys<br />

„Kinderstube“ über Debussy („Children’s<br />

Corner“) führt. Die dichte<br />

Akkordik mancher Stücke, die zuweilen<br />

den Grenzbereich diatonischer<br />

Cluster erreicht, erinnert an die<br />

tonalen Experimente Goreckis und<br />

vor allem Schnittkes.<br />

Der Stil des reifen Silvestrov zeigt sich<br />

in Werken wie „Naive Musik“ oder<br />

„Entfernte Musik“ – hier treten bereits<br />

Elemente eines Stils zutage, den<br />

man recht gut <strong>als</strong> metaphorisch<br />

bezeichnen kann. Sofia Gubaidulina<br />

hat das ganz gut in Worte gefasst:<br />

„Seiner Meinung nach ist alles schon da<br />

– ist alles schon geschrieben worden.<br />

Um das zu verstehen, muss man an den<br />

Allmächtigen erinnern. Alles ist schon<br />

einmal geschaffen worden, man muss<br />

nichts weiter tun, <strong>als</strong> aufmerksam dem<br />

zu lauschen, was schon da ist, und das<br />

wieder aufrufen. Dann fängt wieder<br />

etwas an zu schwingen. Es war eigentlich<br />

die ganze Zeit schon da, aber jetzt<br />

können auch wir die Schwingungen<br />

spüren und das <strong>als</strong> Musik wahrnehmen.“<br />

Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />

Christopher Norton<br />

Microballads – 20 New Pieces<br />

for the Beginner Pianist<br />

Boosey & Hawkes BH 12276<br />

EUR 14,99<br />

Microjazz 1–3<br />

Boosey & Hawkes<br />

BH 12251 – BH 12253<br />

EUR 12,99<br />

Nachdem einige Autoren immer<br />

wieder eindrucksvoll demonstriert<br />

haben, wie man nicht für<br />

Anfänger schreiben sollte, zeigt<br />

Christopher Norton in diesem Heft,<br />

wie es wirklich geht. Zwanzig Stücke,<br />

die die gesamte Bandbreite klassischer<br />

Balladen abdecken und von<br />

stilistischer Vielfalt zeugen: einen<br />

sanften Bossa Nova, einen schotti-<br />

schen Folksong, eine Country-Ballade<br />

und einige waschechte Rockballaden.<br />

Die Begleittracks auf der<br />

CD sorgen für warme, einfühlende<br />

Unterstützung.<br />

Wie alle Norton-Stücke beeindruckt<br />

auch diese Auswahl durch ihre<br />

Stilsicherheit. Ob Gospel, Do-Wop,<br />

Jazz- oder Rockballade – jede einzelne<br />

der zwischen zwei und drei Seiten<br />

langen Balladen ist ein Musterbeispiel<br />

dafür, wie man in einem bestimmten<br />

Stil komponieren soll.<br />

Gleichzeitig sind die Stücke auch für<br />

wenig erfahrene Pianisten spielbar<br />

und regen dazu an, einzelne Strukturelemente<br />

herauszunehmen und<br />

mit ihnen zu experimentieren. Dafür<br />

einen Daumen rauf!<br />

Nortons Reihe „Microjazz“ erfreut<br />

sich schon seit langem großer Beliebtheit<br />

bei Klavierlehrern und<br />

-schülern, Freizeitjazzern und Arrangeuren.<br />

Dafür ist vor allem die ge-<br />

86 5 . 11


5 . 11<br />

schickte Mischung aus zeitgenössischer Popmusik und<br />

bewährter klassischer Tradition verantwortlich.<br />

Zwei Unterrichtshefte und drei Sammlungen mit Repertoirestücken<br />

in fünf klar abgegrenzten Leistungsstufen<br />

machen Microjazz zur Grundlage für den Unterricht. Die<br />

Neuauflage enthält nun zusätzlich Tipps und Hinweise<br />

für Lehrer und eine professionell produzierte Audio-CD,<br />

die sich auch <strong>als</strong> Playalong verwenden lässt.<br />

Schwierigkeitsgrad: 2–3<br />

N OTEN<br />

Kurz angespielt<br />

Helmut Bornefeld<br />

Zweite Sonatine für Klavier (1978)<br />

CV 29 151<br />

EUR 12,-<br />

Dritte Sonatine für Klavier (1978)<br />

CV 29 156<br />

EUR 13,-<br />

Als die drei Sonatinen 1978 erschienen, war es noch<br />

wichtig, sich <strong>als</strong> Komponist wenigstens einen Anschein<br />

von Avantgarde zu geben. Oder, wenn das aufgrund<br />

des frisch komponierten Werkes nicht möglich war, wenigstens<br />

auf das „durchaus Neue“ hinzuweisen, „das bei<br />

aller (scheinbaren) Harmlosigkeit allerlei Probleme in sich<br />

birgt“. Es sei, so Bornefeld, „wie beim Dornröschen – es<br />

schläft hinter der Hecke, und man muss erst (vielleicht mit<br />

ein paar Kratzern) durch die Hecke hindurch, um zur eigentlichen<br />

Schönheit zu gelangen“. Nein – allzu leicht wollte es<br />

einem die diskursfreudige Nachkriegsgeneration auch<br />

wieder nicht machen. Das fängt im vorliegenden Falle<br />

bei Bornefelds nicht immer leicht zu lesender Handschrift<br />

an und endet damit, dass auch das Ergebnis langer<br />

Probenzeit noch immer nach Papiermusik klingt.<br />

Vielleicht ein Grund dafür, dass die 2. Sonatine (wie der<br />

Verlag freimütig bekennt) immer noch nicht uraufgeführt<br />

worden ist?<br />

Johannes Brahms<br />

Händel-Variationen<br />

Herausgegeben von Johannes Behr<br />

Wiener Urtext Edition UT 50171<br />

EUR 12,95<br />

Schon früh zeigte Johannes Brahms Interesse an der<br />

Musik vorangegangener Epochen. In diesem Rahmen<br />

stieß er auch auf das Variationen-Thema Georg Friedrich<br />

Händels, das ihn seinerseits zu einem ausgedehnten<br />

Variationenwerk für Klavier inspirierte. Die Neuausgabe<br />

der Wiener Urtext Edition basiert auf einem akribischen<br />

Vergleich von Autografen, Erstausgabe und<br />

Handexemplaren. Brahms’ autografe Stichvorlage<br />

diente <strong>als</strong> wesentliches Korrektiv, nachträgliche Verbesserungen<br />

des Komponisten im Handexemplar von Max<br />

Kalbeck wurden ebenso berücksichtigt. Veränderungen<br />

in Tempo- und Ausdrucksbezeichnungen von Brahms’<br />

erster Niederschrift bis zum Erstdruck lassen Rückschlüsse<br />

auf dessen interpretatorische Vorstellungen zu<br />

und werden in den Interpretationshinweisen ausgewertet.<br />

Ein übersichtliches, klar lesbares Notenbild macht<br />

die <strong>Ausgabe</strong> zu einer komfortablen Grundlage für das<br />

Studium dieses Meisterwerks.


B B ÜCHER<br />

Romane, deren Hauptprotagonisten Pianisten<br />

sind, gibt es einige – aber im Vergleich<br />

zu der großen Menge an Neuerscheinungen<br />

nicht allzu viele. Daher ist es umso<br />

spannender, wenn ein Roman erscheint, der<br />

einen Pianisten <strong>als</strong> Hauptfigur im Fokus hat.<br />

Der Roman „Die Teufelssonate“ des niederländischen<br />

Drehbuchautors Alex van Galen<br />

ist bereits sein zweiter Roman, der nun im<br />

Insel Taschenbuch-Verlag in deutscher Übersetzung<br />

erschienen ist.<br />

Und van Galen entpuppt sich <strong>als</strong> zweierlei:<br />

<strong>als</strong> geschickter Autor eines Romans, der fast<br />

ein psychologischer Thriller ist, und <strong>als</strong> Kenner,<br />

der gut um die Kleinigkeiten der Musikwelt<br />

weiß – auch um die vielen Negativseiten.<br />

Dabei entwirft er eine wirklich extravagante<br />

Geschichte um den in den Niederlanden<br />

erzogenen, russischstämmigen Mikhael<br />

Notovich. Als Wunderkind und bald schon <strong>als</strong> Ausgeburt<br />

eines Virtuosen bekannt, zieht er sich schon jung von der<br />

Bühne zurück – ausgepowert und verwirrt. Bis er „Sie“ in<br />

Paris kennenlernt, ein Mädchen, das ihm im Handumdrehen<br />

den Kopf verdreht und ihn anstachelt wieder aufzutreten.<br />

Allerdings ausschließlich mit Werken von Liszt. So<br />

begibt er sich auf die Bühnen und wird der Liszt-Interpret<br />

schlechthin, wird gefeiert wie ein „neuer Liszt“. Doch immer<br />

häufiger leidet er unter Blackouts, weiß nach und<br />

während der Auftritte nicht mehr, was geschehen ist. Eines<br />

Tages kommt er mit blutverschmierten Händen auf die<br />

Bühne und es scheint, dass er Senna, das Mädchen getötet<br />

hat. Er allerdings kann sich an nichts erinnern und glaubt<br />

fast schon selbst an den Mord. Verfolgt zieht er sich in die<br />

Niederlande zurück und hört auf zu spielen. Bis eines Tages<br />

ein anderer Pianist ihm seinen Ruf und Rang <strong>als</strong> Nachfolger<br />

Liszts streitig macht. Nach und nach entwirrt van Galen<br />

eine Geschichte um die Vergangenheit Notovichs und<br />

seines Herausforderers Valdin. Notovich beginnt wieder zu<br />

üben, lässt sich auf einen Wettstreit – wie einst Liszt mit<br />

Sigismund Thalberg – ein. Doch damit ist die Geschichte<br />

Lizsts Nachfolger in Romanform<br />

Spielerische Spielräume: Kurtágs „Játékok“<br />

Wie es so ist bei Büchern, die ursprünglich <strong>als</strong><br />

wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht<br />

wurden, so geht es einem auch bei diesem Buch.<br />

Denn dieses Werk wurde <strong>als</strong> Dissertation im<br />

Bereich der Musikwissenschaft von Franziska<br />

Schuller in Köln zu Beginn dieses Jahres abgegeben.<br />

Doch Schuller geht das Thema der wissenschaftlichen<br />

Betrachtung der seit 1973 entstehenden<br />

und mittlerweile auf nicht weniger <strong>als</strong> acht<br />

Bände angewachsenen Stückesammlung „Játékok“<br />

des ungarischen Komponisten György Kurtág<br />

anders an, <strong>als</strong> man es erwartet. Denn Schuller<br />

stellt zuerst einmal klar, was unter dem Titel<br />

nun wirklich zu verstehen ist. Denn „Játékok“ meint ja nun<br />

einmal „Spiele“. Aber in welcher Hinsicht? Natürlich erkennt<br />

die Wissenschaftlerin die Traditionslinie, in der Kurtág<br />

sich befindet, hatte er doch zu Beginn eine Stückefolge<br />

für Kinder im Sinn und stand damit in einer Linie mit<br />

nicht zu Ende, denn noch immer ist nicht geklärt,<br />

was mit Senna geschah. Und ob es die<br />

immer wieder erwähnte „Teufelssonate“ von<br />

Liszt wirklich gibt, bleibt bis zum Schluss<br />

auch offen.<br />

Van Galen beschreibt die Nöte, die Gedanken<br />

und die Ängste eines Pianisten so psychologisch<br />

genau, so eindringlich, dass sie<br />

verständlich werden. Bei den Recherchen<br />

und dem Verständnis dafür halfen ihm mit<br />

Sachverstand vor allem der Pianist und Pädagoge<br />

Jan Beekmans (bei dem van Galen<br />

selbst einmal Unterricht hatte) und Quinten<br />

Peelen, der Leiter des Franz Liszt-Wettbewerbs<br />

in Utrecht. So beschreibt der Autor die<br />

Liszt-Werke, die erarbeitet und gespielt werden,<br />

so genau, dass man sie fast zu hören<br />

glaubt. Auch die historischen Einwürfe über<br />

Liszt sind interessant. Doch vor allem sind es<br />

die Kleinigkeiten, die das Buch so realitätsgenau werden<br />

lassen: dass Notovich in den Wettbewerben, in denen er<br />

antrat, nie den ersten Platz erringen konnte, da sein Spiel<br />

die Jury in ihrer Meinungsbildung spaltete. Dass er sich<br />

nach einem Unterricht auf eine Affäre mit einer Studentin<br />

einlässt. Dass die Machenschaften von Agenten nicht immer<br />

die Ideen der Künstler widerspiegeln und so fort.<br />

Alex van Galen hat einen psychologisch spannungsgeladenen<br />

Thriller in der Pianistenwelt angesiedelt, den man<br />

gar nicht mehr aus der Hand legen mag, wenn man ihn<br />

einmal begonnen hat.<br />

Carsten Dürer<br />

Alex van Galen<br />

Die Teufelssonate<br />

Deutsch von Arne Braun<br />

Insel Taschenbuch 4020<br />

388 Seiten<br />

EUR 9,95<br />

Dohnanyi und Bartók, <strong>als</strong>o in direkter Folge seiner<br />

Landsmänner im 20. Jahrhundert. Doch<br />

anders <strong>als</strong> diese hatte Kurtág niem<strong>als</strong> eine<br />

Schule im Sinn oder eine aufeinander aufbauende<br />

Folge. Die Autorin stellt klar, dass es um<br />

das Spielerische an sich geht. Denn nicht nur<br />

das Spielen am Instrument ist Grundlage des<br />

Titels, sondern auch das Spielen mit den Möglichkeiten<br />

des Klangs, des Instruments Klavier<br />

und allem, was damit zusammenhängt. Dass<br />

Kurtág dabei Grenzen der üblichen kompositorischen<br />

Auffassungen des 20. Jahrhunderts<br />

überschreitet, liegt <strong>als</strong>o in der Natur der Sache,<br />

denn Grundlage ist das spielerische Experimentieren mit<br />

der Musik am Klavier. So geht Schuller erst einmal von der<br />

Begrifflichkeit – der geschichtlichen und der bei Kurtág speziellen<br />

– des Wortes „Spiel“ aus. Allerdings gibt es Regeln<br />

und Spielräume, in denen sich diese Stücke bewegen und<br />

88 5 . 11


5 . 11<br />

die sich Kurtág ausgedacht hat. Dadurch sind diese „Spiele“<br />

auch mittlerweile weit über die Kinderstadien hinausgewachsen<br />

und nicht allein mehr Solostücke, sondern auch<br />

solche für Klavier zu vier Händen oder für zwei Klaviere.<br />

Dennoch sind die Regeln nicht fixiert, sondern flexibel und<br />

so geht es für Kurtág auch immer noch weiter mit seinen<br />

„Játékok“.<br />

Franziska Schuller stellt verständlich dar und geht in die<br />

Grundlagenforschung. Und genau das macht diesen Band<br />

einer wissenschaftlichen Reihe denn auch so lesenswert,<br />

denn anhand dieser Schrift kann man sich endlich einmal<br />

ausführlich mit diesen acht Bänden beschäftigen, die mitt-<br />

Dass sich ein Autor wie Wolfram Huschke,<br />

selbst lange zuständig für die Leitung<br />

der Franz Liszt-Hochschule in Weimar,<br />

heute Vorsitzender des Weimarer<br />

Franz Liszt-Vereins, in diesem Jahr mit<br />

einem Buch zum Thema Liszt zu Wort meldet,<br />

scheint fast eine Selbstverständlichkeit.<br />

Huschke ist Liszt-Kenner, nicht nur,<br />

aber auch. Und Huschke ist Weimar-Kenner,<br />

lebt er hier doch schon lange <strong>als</strong> Kultur-Aktivist.<br />

Wie auch immer, er macht<br />

sich mit diesem umfassenden Band nun<br />

daran, die „Wirkung und Wirkungen“<br />

Liszts in Weimar kenntnisreich und einfühlsam<br />

dazustellen. Natürlich muss es zu<br />

Beginn erst einmal darum gehen, warum<br />

Liszt, der Weltstädter, überhaupt den Entschluss<br />

fasste, ins recht unbedeutende Weimar<br />

zu gehen. Und bedeutend in seiner<br />

Modernität dieser Zeit, nicht in seiner kulturellen Position,<br />

die aber längst der Vergangenheit angehörte und mit dem<br />

Tod Goethes einen Abschluss fand. Klar, Liszt wollte wirken<br />

– und fand zu Beginn seiner ersten Weimarer Phase genau<br />

die richtigen Grundlagen. Die Hofkapellmeister-Stelle wurde<br />

vollkommen frei aufgefasst, so dass Liszt schalten und<br />

walten konnte, wie er wollte, nun mit Zugriff auf das Hoforchester<br />

und das Opernensemble. Zudem wollte er mit<br />

dem Entschluss, mit der Gräfin von Sayn-Wittgenstein zusammenzuleben,<br />

einen Ort des Verbleibens finden. Und<br />

auch das war Weimar – fernab auch von Paris, wo seine<br />

Kinder mit Marie d’Agoult lebten. Und auch fernab von<br />

Russland, wo noch der Ehemann der Gräfin war. Es ist<br />

Liszts vielleicht wichtigster Lebensabschnitt, der in Weimar<br />

stattfindet, das wird durch die Erläuterungen Huschkes<br />

klar: Das Virtuosentum hatte Liszt hinter sich, konnte nun<br />

mit dem Ruhm seiner Person einen Posten antreten, der<br />

ihn dazu befähigte, zahlreiche seiner Kompositionen in die<br />

Tat umzusetzen, sich um Schüler für die Fortführung seines<br />

Ruhms zu bemühen, sich nun großen Themen wie Opern<br />

und seinen sinfonischen Dichtungen zuzuwenden. Und<br />

Huschke lässt kein Thema aus. Er macht die hochtrabenden<br />

Pläne Liszts für eine „Nation<strong>als</strong>tiftung der Künste“<br />

klar, lässt durchblicken, dass viele der gewagten Ideen<br />

nicht verwirklicht wurden, da Geld fehlte oder aber Liszt<br />

seinen eigenen Plänen nicht nachhing.<br />

Die Frage, die den Leser beschäftigt: Hatte Liszt es letztendlich<br />

geschafft, ein „Neu-Weimar“ zu etablieren, mit der<br />

Ideengrundlage, an die literarische Tradition eines Schiller<br />

und Goethe mit der Musik anzuknüpfen? Nun, das bleibt<br />

B B<br />

ÜCHER Liszt und sein „Neu-Weimar“<br />

lerweile ja einen fast selbstverständlichen Eingang in das<br />

Repertoire von Musikschülern und Pianisten gefunden haben.<br />

Carsten Dürer<br />

Franziska Schuller<br />

Spiel <strong>als</strong> kompositorisches Prinzip in György Kurtágs „Játékok“<br />

Kölner Beiträge zur Musikwissenschaft Bd. 14<br />

Gustav Bosse Verlag<br />

104 Seiten<br />

ISBN 978-3-7649-2714-1<br />

EUR 29,95<br />

Ansichtssache. Huschke selbst bewertet nur<br />

selten, sondern versucht ausgiebig alle Facetten<br />

aufzuzeigen, wie man bestimmte<br />

Dinge sehen kann. Und natürlich bleibt bei<br />

diesem Autor auch nicht die wichtige Spätphase<br />

Liszts in Weimar sowie die Rezeption<br />

bis hin zur jüngeren Geschichte mit Betrachtung<br />

der Liszt-Gesellschaft etc. sowie<br />

dem Hinweis zum Liszt-Jahr 2011 in Weimar<br />

unbeachtet.<br />

Huschke ist einer der Liszt-Spezialisten in<br />

der Welt. Und er hat ein Buch vorgelegt,<br />

das man lesen sollte, will man sich intensiv<br />

mit der Person Liszts im zweiten und letzten<br />

Lebensabschnitt, den beiden in Weimar,<br />

beschäftigen. Es lohnt sich.<br />

Carsten Dürer<br />

Wolfram Huschke<br />

Franz Liszt – Wirken und Wirkungen in Weimar<br />

392 Seiten<br />

ISBN 978-3-941830-11-0<br />

EUR 28,-<br />

Landhaus Woltersmühlen, Nähe Timmendorfer Strand<br />

vermietet in romantischer Wassermühle eine komfortable<br />

Ferienwohnung mit Bechstein-Flügel. Schönste Lage in der<br />

Holsteinischen Schweiz.<br />

Tel.: 0177 / 7777359 oder 04524 / 359<br />

www.landhaus-woltersmuehlen.de<br />

Außergewöhnlich schöner Steinway & Sons-Konzertflügel,<br />

Modell D-274 cm, Seriennummer 461.890, aus dem<br />

Privatbesitz eines in Berlin lebenden Pianisten zu verkaufen.<br />

Das Instrument wurde 1998 durch das Steinway-Haus<br />

London generalüberholt und wurde seither regelmäßig<br />

vom Werkstattleiter des Steinway-Hauses Berlin gewartet.<br />

Der Korpus ist schwarz seidenmatt, die Klaviatur ist mit<br />

Elfenbein belegt.<br />

Mitverkauft wird eine professionelle Klavierbank und eine<br />

Flügel-Schutzdecke (gepolstert).<br />

Der Preis beträgt 64.500,- EUR<br />

Für Besichtigung, Anspiel- und Terminabsprachen<br />

kontaktieren Sie bitte info@czajasager.com<br />

Private Kleinanzeigen<br />

89


J<br />

J AZZ-WORKSHOP<br />

90 5 . 11


5 . 11<br />

J AZZ-WORKSHOP<br />

Ursprünglich war die Ballade seit dem 12. Jahrhundert<br />

im romanischen Sprachraum ein Lied mit Kehrreim,<br />

das zum Tanz gesungen wurde. Im Lateinischen heißt<br />

„ballare“ tanzen, im Spanischen übrigens ganz ähnlich:<br />

„bailar“. Interessanterweise widerspricht <strong>als</strong>o die ethymologische<br />

Herkunft des Begriffs total der Bedeutung im Jazz.<br />

Denn eine langsame Jazz-Ballade hat mit der Motorik des<br />

Tanzens nun ganz und gar nichts zu tun (es sei denn, man<br />

geht davon aus, was zu meinen Jugendzeiten <strong>als</strong> „Klammer-<br />

Blues“ bezeichnet wurde – und was einem fast bewegungslosen<br />

„Tanzen“ quasi im Stand entsprach, bei dem die Neigung<br />

zum „Klammern“ nur durch das angebliche Tanzen<br />

kaschiert wurde).<br />

Im Mittelalter in Frankreich bezeichnete „Ballade“ ein<br />

kunstvolles Lied mit strenger Form; in Deutschland im 14.<br />

und 15. Jahrhundert dann ein erzählendes Heldenlied; im<br />

16. und 17. Jahrhundert war die Ballade so etwas wie eine<br />

Moritat; ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ging<br />

dann der Begriff mehr in die literarischen Künste über, bezeichnete<br />

zunächst eine eher schlichte Gedichtform. Kurz vor<br />

dem Ende des 18. Jahrhunderts entstanden dann bedeutende<br />

Balladen, die jeder ehemalige Gymnasiast zum Teil noch<br />

heute fehlerfrei aufsagen kann (oder doch nicht?), besonders<br />

von Schiller (z. B. „Der Handschuh“, „Der Taucher“),<br />

aber auch von Goethe (z. B. „Der Schatzgräber“, „Der Zauberlehrling“).<br />

Es begann die Hochblüte der deutschen Ballade<br />

im literarischen Sinn, <strong>als</strong>o <strong>als</strong> reine Wortkunst ohne musikalischen<br />

Bezug. Sie reichte bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts.<br />

Es handelte sich <strong>als</strong>o um eine ausgefeilte Gedichtform.<br />

Auch Goethes berühmter „Erlkönig“ zählt dazu.<br />

Der Allgemeinbildung mag nun Genüge getan sein. Widmen<br />

wir uns der Ballade, die ich hier vorstellen will, <strong>als</strong>o<br />

einer Jazz-Ballade. Sie hat den Titel „Lover Man (Oh Where<br />

Can You Be?)“, meist nur <strong>als</strong> „Lover Man“ bezeichnet. Das<br />

Stück wurde 1941 komponiert, und zwar ursprünglich für<br />

die große Billie Holiday, deren Version 1989 einen Platz in<br />

der Grammy Hall of Fame bekam.<br />

Ich möchte an diesem Stück akkordisches Spiel demonstrieren.<br />

Dies betrifft die Akkordik der linken Hand, in der Basston<br />

und Akkord abwechseln, vor allem aber die Melodieführung<br />

der rechten Hand, die einmal nicht einstimmig (<strong>als</strong>o<br />

single-line) abläuft, sondern wesentlich komplexer (und<br />

somit auch wesentlich schwieriger) in meist 4- und sogar 5stimmigen<br />

Akkorden. (Wer das Gegenstück anhören möchte,<br />

widme sich Keith Jarretts gelungener Version von „Lover<br />

Man“ mit seinem Jazz-Trio auf der Doppel-CD „Tribute“, wo<br />

er die Melodie single-line spielt und sogar das Stück in einem<br />

flotten Medium-Tempo interpretiert, <strong>als</strong>o gar nicht balladesk.)<br />

Jazz-<strong>Piano</strong>-Workshop (27)<br />

Akkordisches Balladenspiel<br />

„Ballade“ ist ein schillerndes Wort mit vielen Bedeutungen. Im Jazz und in der<br />

Popularmusik wird der Begriff Ballade im weitesten Sinne dann gebraucht, wenn man es<br />

mit einem sehr langsamen Stück mit eher melancholischem Feeling zu tun hat. Bevor ich<br />

jedoch zum Begriff Ballade im Jazzbereich komme, möchte ich der Allgemeinbildung die<br />

Ehre geben und kurz ausführen, was sonst noch <strong>als</strong> Ballade bezeichnet wird.<br />

von: Rainer Brüninghaus<br />

Doch zurück zu meiner sehr langsamen Version. Sie sollte<br />

nur etwa mit dem Tempo Viertelnote = 40 gespielt werden.<br />

Zunächst sollte man die Akkorde der linken Hand „herausfingern“<br />

und <strong>als</strong> Hilfe sich dabei an den bezifferten Akkordsymbolen<br />

über dem System orientieren. Danach nimmt man<br />

sich die rechte Hand vor und erarbeitet sich zunächst mal<br />

jeden Akkord einzeln. Nun zurück zur linken Hand. Wir<br />

üben jetzt den Wechsel von Basston und Akkord.<br />

So allmählich kann man sich nun daranwagen, alles zusammen<br />

zu spielen. Lassen Sie sich nicht irritieren, wenn<br />

mal rechte Hand und linke Hand überlappen. Dabei entstehen<br />

irisierende, volle clusterartige Gesamtklänge. Dies passiert<br />

z. B. gleich auf dem zweiten Viertel des ersten Taktes,<br />

wo der g-Moll-Akkord durch die überlappende rechte und<br />

linke Hand clusterartig (mit Ausnahme des Tones F) sämtliche<br />

Töne der dorischen g-Moll-Skala beinhaltet. An dieser<br />

Stelle möchte ich betonen, dass ich sämtliche Akkorde jeweils<br />

streng ausschließlich aus den jeweiligen Skalentönen<br />

gebaut habe, die dem jeweiligen Akkord zuzuordnen sind.<br />

Skalenfremde Akkordtöne kommen nicht vor.<br />

Zu dieser Problematik – welches sind die „richtigen“ Akkordtöne<br />

– werde ich detailliertere Ausführungen in der kommenden<br />

Folge machen, in der es unter anderem um die<br />

Analyse der Komposition anhand der Akkord-Skalentheorie<br />

geht.<br />

Neu im STACCATO-Verlag<br />

Die EPTA-Dokumentation<br />

2008/2009<br />

In dieser neuen Dokumentation der EPTA<br />

(European <strong>Piano</strong> Teachers Association / Sektion<br />

der Bundesrepublik Deutschland) mit dem Titel<br />

„Zuhause sein im Tonsystem“ erhalten Sie<br />

umfangreiche Informationen über Lernsysteme<br />

durch das Erkennen des Tonsystems, über<br />

„Leadsheets im Unterricht“ bis hin zu „Zum<br />

Auswendiglernen durch Analyse“.<br />

Bestellen Sie jetzt / Order now:<br />

STACCATO-Verlag<br />

Heinrichstr. 108 - 40239 Düsseldorf<br />

Tel.: +49 / 211 / 905 30 48<br />

Fax: +49 / 211 / 905 30 50<br />

E-Mail: info@staccato-verlag.de<br />

www.staccato-verlag.de<br />

EPTA-Dokumentation 2008/2009<br />

Zuhause sein im Tonsystem<br />

164 Seiten / brosch.<br />

Euro 14,-<br />

ISBN 978-3-932976-43-8<br />

STACCATO<br />

Verlag<br />

J<br />

91


A A LTE A UFNAHMEN<br />

Ungehörtes und Erkenntnisreiches<br />

Es ist erstaunlich, mit welcher Akribie einige Labels versuchen, älteste Aufnahmen digital aufbereitet<br />

auf CD herauszubringen. Allerdings Aufnahmen, die sich lohnen gehört zu werden. Denn wer kann<br />

schon behaupten zu wissen, wie Percy Grainger gespielt hat. Nun kann man dies in aller Intensität<br />

durch eine komplette CD-Box nachverfolgen. Dazu sind es immer wieder auch die Archive des russischen<br />

Rundfunks, die bei Melodiya für Überraschungen sorgen. In dieser <strong>Ausgabe</strong> haben wir Elisso<br />

Wirssaladze und Yakov Zak ausgewählt – neben einigen anderen spannenden Aufnahmen.<br />

Von: Carsten Dürer<br />

Der 1881 in Australien geborene Percy Grainger war<br />

sicherlich schon in seiner Jugend ein begabter Pianist.<br />

Denn schließlich hatte er <strong>als</strong> Kind schon Unterricht bei dem<br />

aus Preußen stammenden Louis Pabst, der in Melbourne<br />

eine Konzertserie aufbaute, nachdem er 1884 nach Australien<br />

übergesiedelt war. 1894 verließ Pabst Australien und<br />

nur ein Jahr später entschied auch Grainger, nach Europa<br />

zu kommen, um dort seine musikalischen Studien fortzusetzen,<br />

und kam über Italien nach Frankfurt am Main, um<br />

dort am Hoch’schen Konservatorium zu lernen. 1901 findet<br />

man ihn dann in London, wo er seine Karriere <strong>als</strong> Pianist<br />

wirklich ausbaute – neben seiner Obsession, zu komponieren.<br />

Und dort, in London, begann<br />

er mit seinen Aufnahmen. Die<br />

erste stammt aus dem Jahr 1908<br />

und zeigt ihn <strong>als</strong> Virtuosen Liszts<br />

„Ungarischer Rhapsodie“ Nr. 12<br />

und in der Solokadenz aus Griegs<br />

Klavierkonzert. Grieg hatte er in<br />

London selbst kennen gelernt. Als<br />

Grainger dann 1914 in die USA<br />

kam, war sein Erfolg <strong>als</strong> Pianist<br />

und Komponist gleichermaßen<br />

groß. Und sofort ging es weiter mit den Tonaufnahmen.<br />

Und nun spielt er aus diesem Jahr auch eigene Werke,<br />

„Shepherd’s Hey“ und „Mock Morris“, typische irische<br />

Tunes, die er geschickt für das Klavier arrangierte. Doch<br />

was in der Folge in den Aufnahmen deutlich wird, ist Graingers<br />

Gefühl für Dynamik und Rhythmus, immer genauestens<br />

in der Phrasierung auf den Punkt gebracht. Ein durchweg<br />

intelligenter Pianist, der seine technischen Fähigkeiten<br />

für die Ausdruckswelten seiner Interpretationen einzusetzen<br />

wusste. Und so zeigen auch seine später eingespielten<br />

„Symphonischen Etüden“ von Schumann, seine zahlreichen<br />

kleinen Stücke von Grieg und von ihm selbst, seine Chopin-<br />

Darstellungen einen ganz persönlichen Klavierstil, der so<br />

gar nicht altertümlich wirkt, nichts von dem bei Pianisten<br />

aus seiner Periode oftm<strong>als</strong> erkennbaren Spiel hören lässt.<br />

Grainger war ein wunderbarer Pianist, modern in seiner<br />

Spielweise und durchaus an seinen eigenen Schreibweisen<br />

für das Klavier geschult. Eine Box, die man sich zulegen sollte,<br />

wenn man sich in die Welt frühester Aufnahmen und<br />

alter Klavierstilistik begeben will.<br />

Heutzutage vergessen viele Klavierfans, dass die Georgierin<br />

Elisso Wirssaladze neben ihrer intensiven Lehrtätigkeit<br />

in Moskau und München auch eine wunderbare<br />

Pianistin ist. Dass sie es immer schon war, kann man nun in<br />

den Einspielungen mit den Klavierkonzerten von Chopin<br />

(Nr. 1) und Schumann entdecken. Am 11. März 1977 spielte<br />

sie beide Konzerte im großen Saal des Moskauer Tschai-<br />

kowsky-Konservatoriums. Und wie heute auch noch, zeigt<br />

sich Wirssaladze <strong>als</strong> eine hochsensible Pianistin mit einem<br />

Faible für absolute Durchhörbarkeit jedweder Nuance. In<br />

Chopins Klavierkonzert Nr. 1 vermag sie tatsächlich jeder<br />

Note einen Sinn und eine Bedeutung im Gesamtzusammenhang<br />

zu geben. Dass sie dabei eine immer auf die musikalische<br />

Aussage ausgelegte Phrasierung anzuwenden<br />

imstande ist, macht ihr Klavierspiel so immens flexibel und<br />

klangschön. Und natürlich kann sie auch den recht hell<br />

intonierten Flügel zum Singen bringen. Dabei vermag sie<br />

Nuancen so zu deuten, dass man erkennt, wie viele Gedanken<br />

sie den Werken zugewendet hat. Und welche inspirative<br />

Kraft diese Pianistin besitzt! Und<br />

natürlich kommt das Element des<br />

lyrischen Spiels in Robert Schumanns<br />

Konzert noch stärker zum<br />

Einsatz. Allerdings wird hier im<br />

langen Kopfsatz noch einmal<br />

mehr deutlich, dass gerade ihr Legato-Spiel<br />

sowie der vorsichtiggeschickte<br />

Einsatz des Ped<strong>als</strong> zu<br />

ihrer Interpretation beiträgt. Da<br />

ist jede Nuance durchdacht und dennoch mit so viel Emotion<br />

angefüllt, dass man sich dieses Konzert immer und immer<br />

wieder anhört. Diese Einspielungen sind Referenzen für<br />

diese Konzerte, die man sich anhören sollte, wenn andere<br />

Interpretationen dieser Werke beurteilen will.<br />

Den in Odessa geborenen Pianisten Yakov Zak (1913–<br />

1976) kennen heute fast nur noch Eingeweihte. Dieser<br />

erst in Odessa ausgebildete und dann in Moskau in der<br />

Klasse von Heinrich Neuhaus erzogene Pianist gilt aber vielen<br />

<strong>als</strong> der beste überhaupt. Seine Karriere startete richtig,<br />

<strong>als</strong> er 1937 den ersten Preis beim Warschauer Chopin-Wettbewerb<br />

gewann. Als er 1947 zum Professor für Klavier am<br />

Moskauer Konservatorium wurde, wurden heute bekannte<br />

Pianisten seine Schüler: unter anderen auch die soeben<br />

gelobte Elisso Wirssaladze. In der vorliegenden Einspielung<br />

aus den Jahren 1953 und 1959<br />

war sein Künstlertum vollauf ausgereift.<br />

Und auch wenn sicherlich<br />

die Spielweise des Ravel-Konzerts<br />

nicht jedermanns Geschmack sein<br />

wird, da Zak sehr auf die Brillanz<br />

hin abzielt und weniger auf die<br />

Lyrismen achtet: Sobald man<br />

dann die Prokofiew-Sonate Nr. 4<br />

von ihm hört, ist man überzeugt:<br />

Zak ist ein Klanggestalter, der weiß, wie man diese Musik<br />

aus dem Inneren heraus betrachtet. Ein wunderbarer<br />

Klangmagier geradezu wird da offenbar, feinsinnig in der<br />

92 5 . 11


Phrasierung und der Farbgebung. Dass Zak zudem technisch<br />

ein Kraftpaket ist, kann man dann im 2. Klavierkonzert<br />

von Prokofiew hören, da er hier nun wirklich alle Register<br />

von Virtuosität zieht, stupende Lauftechnik aufweist<br />

und zudem niem<strong>als</strong> die Musikalität vermissen lässt. Diese<br />

Aufnahme ist ein deutlicher Beweis für Zaks Kunst und lässt<br />

das Lob über sein Spiel von anderen Pianisten durchaus verstehen.<br />

Emil Gilels ist bekannt für seine Aufnahmen der Beethoven-Sonaten,<br />

für seine Interpretationen so vieler Werke,<br />

aber nicht unbedingt für seinen Schubert. Doch in dieser<br />

Einspielung, die nun in der Serie der „Origin<strong>als</strong>“ von Sony<br />

Classical in derselben Form wie die ursprüngliche LP bei<br />

RCA Victor wiederaufgelegt wurde, ist es die D-Dur-Sonate<br />

D 850, mit der Gigels besticht. Natürlich war Gilels zu dieser<br />

Zeit – im Jahre 1960 – auf dem Höhepunkt seiner Kunstfertigkeit.<br />

Und diese spielt er in Schuberts Sonate voll aus. Ja,<br />

Gilels verschleiert hier keine der Schubert’schen Ideen mit<br />

samtenem Blick, sondern weiß durchweg die pure Musik zu<br />

Percy Grainger<br />

The complete 78-rmp solo recordings<br />

Aufgenommen 1908 und 1931<br />

APR 7501 (5 CDs)<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

Frédéric Chopin<br />

Klavierkonzert Nr. 1<br />

Robert Schumann<br />

Klavierkonzert a-Moll<br />

Elisso Wirssaladze, Klavier<br />

Moskau Sinfonie-Orchester<br />

Ltg.: Dmitri Kitayenko<br />

A LTE A A<br />

UFNAHMEN Aufgenommen 11. März 1977<br />

Melodiya 10 01819<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

Maurice Ravel<br />

Klavierkonzert G-Dur<br />

Sergei Prokofiew<br />

Klavierkonzerte Nr. 2; Klaviersonate Nr. 4<br />

Yakov Zak, Klavier<br />

USSR Staats-Sinfonie-Orchester; Ltg.:<br />

Evgeny Svetlanov (Ravel)<br />

Großes Allunion Sinfonie-Orchester; Ltg.:<br />

Kurt Sanderling (Prokofiew)<br />

spielen, so wie sie da geschrieben<br />

steht. Wieder einmal zeigt sich die<br />

berauschende Farbnuancierung<br />

dieses Pianisten, der mit einer tiefen<br />

Durchdringung diese Musik zu<br />

gestalten versteht. Schubert ist<br />

hier Schubert und nicht Interpret.<br />

Und dasselbe tiefe Verständnis findet<br />

sich auch in Liszts h-Moll-Sonate.<br />

Ja, hier weiß Gilels besser <strong>als</strong><br />

zahllose seiner Kollegen den Strang der fortlaufenden und<br />

dennoch so facettenreichen dramatischen Einfälle zu halten.<br />

Geschickt weiß der Pianist diese Dramatik zu beschleunigen,<br />

ohne das Tempo anzuziehen. Ganz im Gegenteil<br />

erscheinen die Tempi eigenartigerweise eher verhalten,<br />

dafür hört man aber jede Kleinigkeit, kann den Schwung<br />

genießen und sich auf die hinter dieser Musik zu findende<br />

Eingebung von Geschichten einlassen. Eine bravouröse Interpretation,<br />

die einmal mehr den herausragenden Stellenwert<br />

dieses Pianisten im 20. Jahrhundert festigt.<br />

Jenseits des Mainstreams<br />

Das Festival „Raritäten der Klaviermusik“<br />

Herausgeber: Johanna Jürgensen & Peter Froundjian<br />

232 Seiten / Brosch.<br />

Euro 22,80 (D) / 24,- (A)<br />

ISBN 978-3-932976-45-2<br />

Aufgenommen 1959 und 1970<br />

Melodiya 10 01789<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

Franz Schubert<br />

Klaviersonate D-Dur D 850<br />

Franz Liszt<br />

Klaviersonate h-Moll<br />

Emil Gilels, Klavier<br />

Aufgenommen 1960 und 1964<br />

Sony Classical 88697858242<br />

DAS BESONDERE BUCH IM STACCATO-VERLAG<br />

In deutscher<br />

und englischer<br />

Sprache<br />

erhältlich.<br />

25 Jahre nach der Gründung des Festiv<strong>als</strong> „Raritäten der Klaviermusik“ hat man nun<br />

ein Buch vorliegen, das mit Beiträgen der Initiatoren sowie von Journalisten,<br />

Besuchern und Pianisten wie Marc-André Hamelin die Besonderheiten und<br />

Erfahrungen dieses Festiv<strong>als</strong> zusammenfasst. Ein Buch, das jeder entdeckungsfreudige<br />

Klavierfreund lesen sollte.<br />

Auch in englischer Sprache zu beziehen:<br />

Beyond the mainstream<br />

The Festival „Rarities of <strong>Piano</strong> Music“<br />

Editors: Johanna Jürgensen & Peter Froundjian<br />

232 pages / Paperback<br />

Euro 22,80 (D) / 24,- (A)<br />

ISBN 978-3-932976-46-9<br />

NEU<br />

Bestellen Sie jetzt / Order now:<br />

STACCATO-Verlag<br />

Heinrichstr. 108 - 40239 Düsseldorf<br />

Tel.: +49 / 211 / 905 30 48<br />

Fax: +49 / 211 / 905 30 50<br />

E-Mail: info@staccato-verlag.de<br />

www.staccato-verlag.de<br />

STACCATO<br />

Verlag


E E DITIONEN<br />

Russische Komponisten hoch im Kurs<br />

Gesamtaufnahmen, Arrau und Chopin-Wettbewerbsgewinner<br />

Editionen und Boxen sind nach wie vor besonders bei älteren Aufnahmen oder bei Gedenkjubiläen beliebte<br />

Möglichkeiten, um ältere Einspielungen zu kumulieren und dann für Sammler oder Fans geschlossen<br />

anzubieten. Aber zum Glück gibt es auch immer wieder komplette Boxen, die Neues bieten. Von beidem<br />

haben wir eine Auswahl der zahllosen Editionsboxen ausgesucht.<br />

Von: Carsten Dürer<br />

Da erscheint eine Box mit dem Pianisten Michael<br />

Ponti, der besonders in den späten 60er und den<br />

70er Jahren <strong>als</strong> einer der besten Pianisten auf den<br />

weltweiten Bühnen gehandelt wurde. Und natürlich – auch<br />

das ist bekannt – war er ein Virtuose in bester Manier, einer,<br />

der zuweilen auch schon einmal über<br />

die Stränge schlug und einen Flügel an<br />

den Rand des Zusammenbruchs bringen<br />

konnte. Hier nun erscheint eine<br />

Box mit sämtlichen Werken für Klavier<br />

solo von Sergej Rachmaninow. Sicherlich<br />

wird nicht alles jedem gefallen,<br />

aber man hört: Michael Ponti<br />

(* 1937) war ein brillanter Pianist, der<br />

jedwede Nuance der Préludes Op. 23 und Op. 32 ebenso farbenreich<br />

wie rauschhaft zu gestalten verstand. Schade nur,<br />

dass das Booklet wirklich weniger <strong>als</strong> spärlich über den<br />

Pianisten informiert.<br />

Eigentlich gehören einige Editionen ja in die Rubrik „historische<br />

Einspielungen“, aber wenn man eine 12 CDs beinhaltende<br />

Box mit Einspielungen des legendären Claudio Arrau<br />

in Händen hält, ist es ja eher eine editorische <strong>Ausgabe</strong>. Und<br />

hier nun kann man sich wirklich einen umfassenden Überblick<br />

über die Repertoirebreite dieses Pianisten verschaffen,<br />

der aus Chile stammend (1903–1991) schon 1913 mit einem<br />

Stipendium seiner Regierung nach Berlin kam, um bei<br />

Martin Krause zu studieren. Doch Berlin war ihm niem<strong>als</strong><br />

eine Heimat geworden, versuchte er doch gegen die Übermacht<br />

von Schnabel und anderen längst arrivierten Pianisten<br />

anzuspielen. Und er spielte viel – und ein immens breites<br />

Repertoire. Erst in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts<br />

hatte er es dann geschafft, sich durchzusetzen, ja fast beherrschend<br />

in den Konzertsälen zu werden. Aus dieser Zeit<br />

stammen seine Aufnahmen von Schumanns „Carnaval“,<br />

Debussys „Danse“ und „Estampes Nr. 3“ sowie der „Tarantelle“<br />

von Chopin. Welch ein feuriger Pianist er schon dam<strong>als</strong><br />

war! Dann allerdings kam der 2. Weltkrieg und Arrau<br />

wandte sich – wie so viele andere – Amerika zu, den USA.<br />

Doch hier beherrschten die im Exil lebenden Russen den<br />

Markt. Erst nach und nach setzte er sich nun auch auf diesem<br />

Markt durch, spielte alles, was bekannt war, schränkte<br />

sich niem<strong>als</strong> ein und war ein unentwegter Spieler, der bis zu<br />

100 Konzerte spielte. Als er den legendären Produzenten<br />

Walter Legge trifft, ergibt sich eine großartige Zusammenarbeit<br />

für die Schallplatte. So stammen<br />

denn auch die meisten Produktionen in<br />

dieser Box aus den 50er und 60er Jahren,<br />

Arraus bester Zeit. Gleichgültig, ob<br />

er Beethoven (zahlreiche Sonaten und<br />

alle fünf Klavierkonzerte sind vorhanden),<br />

Brahms (Klavierkonzerte),<br />

Tschaikowsky (1. Klavierkonzert) oder<br />

Carl Maria von Weber (Konzertstück<br />

f-Moll) spielt: Arrau ist der faszinierend kraftvolle und die<br />

alte Schule repräsentierende Interpret, der alles auf das<br />

Werk und den Komponisten setzte. Eine Box, die man einfach<br />

haben muss!<br />

Weitaus unbekannter ist der Interpret der Box mit allen<br />

Klaviersonaten von Sergej Prokofiew. Matti Raekallio (*<br />

1954) wurde in Finnland geboren, studierte bei Maria<br />

Crucio und Dieter Weber. Lange war er Professor für Klavier<br />

an der Helsinkier Sibelius-Akademie, dann zusätzlich an der<br />

Hochschule für Musik in Hannover und wurde dann 2007<br />

Professor an der Juilliard School of<br />

Music in New York City. Die hier zusammengestellten<br />

Aufnahmen stammen<br />

aus den Jahren 1988 bis 1997.<br />

Raekallio ist ein solider Pianist, der<br />

sich wirklich durch diese harten „Brocken“<br />

durchbeißt, genau weiß, wann<br />

er den Klang des Flügels zu kristalliner<br />

Härte führen muss und wann er lyrische<br />

Feinheit aufzurufen hat. Genau dies ist sicherlich das<br />

wichtigste Merkmal dieses Pianisten in seinen Prokofiew-Interpretationen.<br />

Nicht immer sind sie durchweg bestechend,<br />

aber die drei „Kriegs-Sonaten“ (Nrn. 6–8) weiß er mit<br />

unwahrscheinlicher Verve und kraftvollem Zugriff zu spielen.<br />

Eine gute Einspielung, die man sich anhören sollte, vor<br />

allem vor dem Hintergrund, dass Raekallio mit dieser Box<br />

momentan – neben Boris Berman – fast marktbeherrschend<br />

mit einer Gesamteinspielung steht.<br />

Eine wirkliche Neuaufnahme stellt die nächste Box dar, die<br />

alle Klavierwerke von Anatoly Lyadov (1855–1914) enthält.<br />

Der italienische Pianist Marco Rapetti, der am Konservatorium<br />

Genua in Italien und an der Juilliard School of<br />

Music in New York ausgebildet wurde, hat sich in den vergangenen<br />

Jahren immer wieder weniger bekanntem Repertoire<br />

zugewendet und auf diese Weise Gesamteinspielungen<br />

der Werke von Paul Dukas und Alexander Borodin vorgelegt,<br />

sich aber auch mit Lyapunov beschäftigt. Nun <strong>als</strong>o die<br />

Aufnahmen der Musik von Lyadov, der<br />

hierzulande mehr durch seine Kammermusik<br />

ein Begriff ist denn durch<br />

seine Klaviermusik. Entsprechend heutiger<br />

Trends gibt es auch in dieser Box<br />

kein gedrucktes Booklet, dafür aber<br />

eine beigelegte CD-ROM, auf der sich<br />

ein umfangreicher Text von Rapetti in<br />

englischer und italienischer Sprache<br />

befindet, der Aufschluss über das Leben und Wirken Lyadovs<br />

gibt und ihn zwischen Borodin und seinen Kollegen<br />

Rimsky-Korssakov und Glasunov einordnet. Zudem sind<br />

noch etliche Fotos auf dem Datenträger enthalten, die diese<br />

Angaben auch optisch unterstützen. Nun sind es vor allem<br />

kleine Werke, die da vorliegen, Tänze und Préludes <strong>als</strong><br />

94 5 . 11


5 . 11<br />

E DITIONEN<br />

Hauptgruppen. Nicht alles ist vielleicht von Bedeutung, was<br />

da eingespielt ist, so beispielsweise etliche der bearbeiteten<br />

Volksmusikthemen. Und dennoch sollte man nicht vorschnell<br />

urteilen, denn Rapetti macht seine Aufgabe wirklich<br />

gut, kann all den Miniaturen Leben einhauchen, besticht<br />

auch technisch und man ist fast bei einigen Werken gewillt,<br />

diese doch mal genauer zu betrachten, um sie vielleicht<br />

dem ein oder anderen Klavierstudenten zu empfehlen. Eine<br />

Box, die sich lohnt, nicht nur aufgrund des Repertoirewertes<br />

(immerhin hat der Italiener hier viele der Werke<br />

erstmalig für die CD überhaupt eingespielt), sondern vor<br />

allem auch aufgrund der Qualität der Einspielung. Ich<br />

werde auch mal nach den anderen Gesamteinspielungen<br />

von Rapetti schauen …<br />

Kommen wir zurück zum vergangenen<br />

Jahr, dem Chopin-Jahr. Für die<br />

Klavierwelt ein Ohrenschmaus, für<br />

die Studenten, die am Warschauer<br />

Chopin-Wettbewerb teilnahmen,<br />

eine Zitterpartie. Nun sind Aufnahmen<br />

erschienen, die einige der Preisträger<br />

mit ihren Aufführungen während<br />

des Wettbewerbs hörbar machen.<br />

Herausgegeben vom Polnischen Fryderyk Chopin-<br />

Institut fallen auf jeden der veröffentlichten Kandidaten<br />

zwei CDs. Beginnen wir mit der Gewinnerin des Wettbewerbs,<br />

der Russin Yulianna Avdeeva, die neben dem Gewinn<br />

den Sonderpreis für die beste Interpretation der Sonate<br />

b-Moll erhielt. Und wenn man diesen Einspielungen<br />

zuhört – immerhin alle aus einer Wettbewerbs-Situation<br />

unter Stress und Druck entstanden –, dann mag man das<br />

Urteil der Jury durchaus positiv bewerten. Avdeeva sind<br />

hier faszinierende Interpretationen gelungen, ausgewogen<br />

in Klanggestaltung, sensibel im Zugriff und kraftvoll in den<br />

Aussagen. Nicht alles ist fehlerfrei, aber wer will dies schon<br />

von live eingespielten Werken dieses Schwierigkeitsgrades<br />

erwarten? Besser noch <strong>als</strong> die Darstellung der b-Moll-Sonate<br />

gelingen ihr allerdings ihre Interpretation des Scherzos<br />

cis-Moll Op. 39 und die Mazurken, an denen man letztendlich,<br />

wenn es um Chopin geht, die wirkliche Qualität<br />

eines Pianisten ablesen kann. Dass man von dieser Pianistin<br />

momentan in Deutschland viel zu wenig hört – trotz ihres<br />

Gewinns dieses renommierten Wettbewerbs – erscheint<br />

fast ungerecht.<br />

Ingolf Wunder ist ein mittlerweile versierter und in unseren<br />

Landen durchaus schon länger anerkannter Pianist.<br />

Ausgestattet mit einem Vertrag bei<br />

der Deutschen Grammophon, ging<br />

er <strong>als</strong> Zweiter aus dem Wettbewerb<br />

hervor. Und wenn man nun die Aufnahmen<br />

vergleichen will – denn immerhin<br />

sind fast bei allen Pianisten<br />

dieselben Werke vertreten (Klaviersonate<br />

h-Moll, Mazurken, Klavierkonzert<br />

e-Moll), dann kann man<br />

nur froh sein, dass man nicht in der Haut der Jury steckte,<br />

denn auch Wunder kann immer wieder in Nuancen begeistern,<br />

zeigt ein weniger temperamentvolles, aber ein umso<br />

ausgewogeneres Spiel. Er ist sicherlich mit seinem Wiener<br />

Studium ein anderer Pianist, einer, der einen wunderbaren<br />

Klang zu erzeugen vermag, vielleicht mehr Akkuratesse in<br />

den Feinheiten walten lässt <strong>als</strong> Avdeeva. Aber wer nun besser<br />

oder schlechter ist, mag man nicht sagen, denn viel zu<br />

unterschiedlich sind die Herangehensweisen. Zurückhaltender<br />

ist Wunder im Vergleich.<br />

Gemeinsam mit Wunder hat der<br />

Russe Lukas Geniusas einen 2. Preis<br />

erhalten. Und auch er kann mit seiner<br />

Polonaise Op. 44 ebenso überzeugen<br />

wie mit seiner Darstellung<br />

der Etüden Op. 25.<br />

Der dritte Preisträger war dann Daniil<br />

Trifonov, der mittlerweile aber<br />

zwei andere wichtige 1. Preise bei<br />

internationalen Wettbewerben erspielen konnte: den 1.<br />

Preis beim Artur-Rubinstein-Wettbewerb in Tel Aviv und<br />

den Gewinn beim Tschaikowsy-Wettbewerb in Moskau. So<br />

kann man sich aber schon einmal<br />

ein Bild von diesem Pianisten machen,<br />

von dem sicherlich auch bald<br />

CDs bei anderen Labels erscheinen<br />

werden. Er ist vielleicht weniger der<br />

Klangmagier, sondern der brillantere<br />

Pianist, der auf die großen Bögen<br />

ebenso Wert legt wie auf die Darstellung<br />

der technischen Seite. Diese<br />

CDs, die sich nahtlos und aktuell in<br />

die vielen Preisträger-CDs einfügen, die vom polnischen<br />

Fryderyk Chopin-Institut in den vergangenen Jahren veröffentlicht<br />

wurden, sind es wert, <strong>als</strong> Sammlung angeschafft<br />

zu werden. In mehreren Jahren wird man gerne auf sie zurückgreifen,<br />

um das Spiel dieser Pianisten – die bis dahin sicherlich<br />

eine Karriere vorzuweisen haben – noch einmal<br />

aus jüngeren Tagen zu bestaunen.<br />

Sergej Rachmaninow<br />

Sämtliche Werke Klavier solo<br />

Michael Ponti, Klavier<br />

Aufgenommen: k. A.<br />

Musical Concepts 198 (6 CDs)<br />

Claudio Arrau<br />

Werke von Beethoven, Chopin, Brahms, Schumann,<br />

Tschaikowsky, Schubert u. a.<br />

EMI Classics 9 184322 (12 CDs)<br />

Sergej Prokofiew<br />

Sämtliche Klaviersonaten<br />

Matti Raekallio, Klavier<br />

Ondine 1103-2Q<br />

(Vertrieb: Klassik Center)<br />

Anatoly Lyadov<br />

Sämtliche Werke für Klavier solo<br />

Marco Rapetti, Klavier<br />

Brilliant Classics 94155 (5 CDs)<br />

Chopin-Wettbewerb 2010<br />

Aufnahmen mit Yulianna Avdeeva, Ingolf Wunder und<br />

Daniil Trifinov<br />

The Freyderyk Chopin Insitute NIFCCD 600-601, 602-<br />

603, 606-607<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

E<br />

95


H H ÖREINDRUCK<br />

CDS DES DOPPELMONATS<br />

KLASSIK<br />

Sergej Rachmaninow<br />

Sechs Préludes aus Op. 23 und 32<br />

Klavierkonzert Nr. 3<br />

Vladimir Feltsman, Klavier (k. A.)<br />

Russisches National-Sinfonie-Orchester<br />

Ltg.: Mikhail Pletnev<br />

Nimbus 6148 (Vertrieb: Musikwelt)<br />

Es ist eine gemischte Aufnahme, die<br />

da im CD-Player liegt, die Tracks<br />

mit den Préludes sind neu eingespielt,<br />

das Klavierkonzert entstammt<br />

einer Live-Einspielung aus dem Jahr<br />

1992. Es war ein Konzert zu Ehren<br />

des Lehrers beider Musiker, des Pianisten<br />

Jacob Flier (1912–1977). Und<br />

was macht es schon, wenn man eine<br />

Live-Einspielung erst knapp 10 Jahre<br />

später auf den Markt bringt, wenn<br />

diese Qualität dabei herauskommt?<br />

Denn selbstredend haben sich die<br />

beiden ehemaligen Schüler Fliers<br />

mit dem 3. Klavierkonzert von Sergej<br />

Rachmaninow Mühe an diesem<br />

Tag im Bolschoi-Saal des Moskauer<br />

Konservatoriums gegeben, um ihrem<br />

Lehrer Ehre zu erweisen. Und<br />

wie sie spielen. Nicht nur dass Pletnev<br />

mit all seiner Erfahrung des Klavierparts<br />

imstande ist, das Orchester<br />

transparent und zumindest so zurückhaltend<br />

zu führen, dass es das<br />

Klavier auch in den farbenreichen<br />

Tutti-Stellen nicht überdeckt; nein,<br />

er weiß natürlich auch um jede Nuance,<br />

um jede Phrase dieses Konzerts<br />

am Platz des Solisten. Und Vladimir<br />

Feltsman, dieser wunderbare<br />

russische Pianist, der lange schon in<br />

den USA lebt und hierzulande zu<br />

Unrecht unbekannt ist, spielt wie<br />

ein junger Mann – allerdings einer<br />

mit Erfahrung und Weisheit. Nicht<br />

eine Note fällt da unter den Tisch,<br />

nicht eine Phrasierung, die nicht mit<br />

Agogik zum Leben erweckt wird.<br />

Farbenreich wird hier Melancholie,<br />

Hoffnung, Verzweiflung und jede<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />

weitere Emotion geschürt, so dass<br />

man <strong>als</strong> Zuhörer fast in Verzweiflung<br />

auf der einen, in Verzückung<br />

auf der anderen Seite verfällt. Und<br />

man hört dieses Werk, wie zum ersten<br />

Mal, rein und im Augenblick des<br />

Spiels entwickelt. Dass Feltsman gerade<br />

Rachmaninow zu spielen versteht<br />

wie nur wenige andere Pianisten,<br />

zeigt er dann noch mit ausgewählten<br />

Préludes, die er im vergangenen<br />

Jahr einspielte. Welch eine<br />

CD – wann kann man schon begeistert<br />

sein von einem Konzert, das<br />

man schon Hunderte von Malen auf<br />

CD und im Konzertsaal erlebt hat.<br />

Der einzige Wermutstropfen, der<br />

bleibt: dass man an diesem Tag<br />

nicht in Moskau war und dieses<br />

Konzert wirklich live erleben konnte.<br />

Carsten Dürer<br />

Lange Jahre bestanden echte Zweifel,<br />

ob Richie Beirach, dessen überragende<br />

Solo-, Duo- und Trioeinspielungen<br />

der Siebziger und frühen<br />

Achtziger bleibenden Eindruck im<br />

Modernen Jazz hinterlassen haben,<br />

überhaupt noch aktiv ist. Doch<br />

dann kam ein Ruf aus Leipzig, Beirach<br />

hat dort seit zehn Jahren eine<br />

Professur an der Musikhochschule<br />

und ist seitdem auch wieder <strong>als</strong> recording<br />

artist in Europa präsent.<br />

Symbolerklärungen<br />

Die Symbole für die Bewertungen werden von 0<br />

bis 6 Punkten vergeben, wobei 6 die höchste<br />

Bewertung ist. „Klang“ und „Interpretation“ erklären<br />

sich von selbst. Bei dem Punkt „Repertoirewert“<br />

gehen wir von unterschiedlich kumulierten<br />

Dingen aus: Wenn die Seltenheit des<br />

Repertoires einer Einspielung gegeben ist, oder<br />

wenn die Einspielung bei einem Standard-<br />

Repertoire so spannend ist, dass sie auf dem<br />

Markt eine besonders interessante Bereicherung<br />

darstellt.<br />

Bei den diskographischen Angaben haben wir<br />

mittlerweile auch das Instrument angegeben,<br />

wenn es in den Angaben der Labels genannt<br />

wird. Wenn diese Angabe fehlt, erkennen Sie<br />

das an (k. A. = keine Angabe).<br />

Richie Beirach<br />

Impressions of Tokyo<br />

Richie Beirach, Klavier (Bechstein EN)<br />

Out Note Rec. OTN 009<br />

(Vertrieb: edel)<br />

Und, welche Erleichterung, sein Person<strong>als</strong>til<br />

– glasklarer, klassisch geschulter<br />

Anschlag, überraschend<br />

erweiterte Harmonik und treibender<br />

Swing – scheint auch mit 64 Jahren<br />

vollständig intakt. Schon das erste<br />

Stück des seiner langjährigen Affinität<br />

zu Japan gewidmeten Albums<br />

strahlt eine majestätische Stimmung<br />

aus, die es so nur ganz selten zu<br />

hören gibt: Das Thema wird entwickelt,<br />

faltet sich in Variationen auf<br />

und dann verklingt das Stück in einer<br />

nur von wenigen Tönen gehaltenen<br />

Ausruhphase, ehe dann perlendes<br />

melodiöses Klavier wieder einsetzt.<br />

Selbstredend, dass die übrigen<br />

Exkursionen zum Tokyo vergangener<br />

Epochen ähnlich gelungen sind.<br />

Die „spontane Komposition“ bleibt<br />

für Beirach ein anzustrebendes Ideal.<br />

Aber er weiß wohl auch um die<br />

Paradoxie dieser Begriffsfügung, ist<br />

sich darüber im Klaren, dass jeder<br />

mit seinem eigenen Background,<br />

seinen eigenen Prägungen, seinen<br />

eigenen Mustern spielt. Im Spiel mit<br />

der prominent besetzten Gruppe<br />

„Quest“ sind es oft nur Strukturelemente,<br />

hier jedoch sind es meist<br />

auskomponierte Sequenzen, von<br />

denen ausgehend sich Beirachs<br />

Musik frei in die Lüfte bewegt – ein<br />

wahrhaft beglückendes Geschehen.<br />

Tom Fuchs<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: -------------<br />

96 5. 11<br />

JAZZ


5 . 11<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➄➅<br />

Herausragendes Repertoire haben<br />

sich Lestari Scholtes und Gwylim<br />

Janssens, ein Klavierduo der jüngeren<br />

Generation aus den Niederlanden,<br />

für ihr Recital vorgenommen.<br />

Und sie meistern es mit überraschender<br />

Souveränität. Insbesondere<br />

die „Sechs Duette“ (1894) von<br />

Sergej Rachmaninow haben sie in<br />

subtil justiertem Bewusstsein für<br />

Sequenzen mit delikaten Abstufungen<br />

der Dynamik und Gefühl für<br />

Transparenz gestaltet. So die Kontraste<br />

der gemächlichen Barkarole<br />

zum unsteten Temperament des russischen<br />

Intermezzos und die klar<br />

strukturierten Phrasen des Scherzos.<br />

In den Crescendo-Passagen aus liturgischer<br />

Intensität des russischen<br />

Liedes und im grandiosen Slava<br />

(Ruhm) mobilisieren Scholtes &<br />

Janssens das gesamte Spektrum der<br />

Register. Nur beim Avec emportement<br />

(Aufbrausen) der Suite „En<br />

blanc et noir“ (1915) von Claude<br />

Debussy forcieren sie das Tempo so,<br />

dass trotz pointiertem Anschlag die<br />

Gesten zu nervös erscheinen. Dagegen<br />

ist Lent. Sombre filigran und<br />

pittoresk, und im Scherzando werden<br />

die funkelnden Klangschichten<br />

zu kommunikativen Ebenen. Die<br />

psychologischen Akzidenzien in „La<br />

v<strong>als</strong>e“ (1906/1919) von Maurice Ravel,<br />

nämlich Bedrohung, Enttäuschung<br />

und Apotheose, spannen<br />

Scholtes & Janssens zu einem vibrierenden<br />

Klangbogen, der wegen präziser<br />

Artikulation zum beeindruckenden<br />

Format wird. Bravo.<br />

Sergej Rachmaninow: Sechs Duette<br />

(für Klavier zu vier Händen), op. 11<br />

Claude Debussy: En blanc et noir (für<br />

zwei Klaviere)<br />

Maurice Ravel: La v<strong>als</strong>e (für zwei<br />

Klaviere)<br />

Duo Scholtes & Janssens, Klaviere<br />

(Steinway D)<br />

Challenge Records 2010-02<br />

(Vertrieb: SunnyMoon)<br />

H ÖREINDRUCK<br />

Hans-Dieter Grünefeld<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➄➅<br />

Es war lange ruhig um den 1956 in<br />

Moskau gestorbenen russisch-sowjetischen<br />

Komponisten und Musikpädagogen<br />

Reinhold Glière. Glière<br />

selbst war Schüler der Ende des 19.<br />

Jahrhunderts vor allem im Osten berühmten<br />

Komponisten Michail Ippolitow-Iwanow,<br />

Anton Arenski und<br />

Sergej Tanejew. Sein eigener Schüler,<br />

Sergej Prokofjew, überragte ihn<br />

an Ruhm dann um ein Vielfaches.<br />

Besonders Glières aparte und in der<br />

Besetzung oft überraschende Instrumentalkonzerte<br />

oder Vokalkonzerte<br />

sind interessant. 1942 komponierte<br />

Glière ein Konzert für Koloratursopran<br />

und Orchester, in dem<br />

er die Gesangsstimme wie ein Musikinstrument<br />

behandelt und sinngebende<br />

Worte fehlen lässt. Eine<br />

große Kantabilität und die für Glières<br />

Frühwerk charakteristische Anlehnung<br />

an das Idiom nationalrussischer<br />

Musik prägen auch die Klavierwerke,<br />

die die Berlinerin und<br />

Kämmerling-Schülerin Corinna Simon<br />

hier eingespielt hat. Simon nun<br />

hat über die Aufnahme hinaus wahre<br />

Pionierleistung erbracht, indem<br />

sie mit dem Musikologen Klaus Martin<br />

Kopitz viele der hier eingespielten<br />

Stücke erst aus den Beständen<br />

der Staatsbibliothek Berlin quasi wie<br />

einen Schatz gehoben hat. Ganz zu<br />

Recht spielt sie die „Six Morceaux“<br />

op. 26 mit weichsten Bögen und zartestem<br />

Anschlag. Hochromantisch<br />

und durchaus an Schumann orientiert<br />

erscheinen die Acht Leichten<br />

Stücke op. 43. Simon überlädt an<br />

keiner Stelle mit Ausdruck, sondern<br />

lässt die Schlichtheit dieser Werke<br />

ganz aus sich selbst wirken.<br />

Ernst Hoffmann<br />

Reinhold Moritzewitsch Glière<br />

Klavierwerke<br />

Corinna Simon, Klavier (k. A.)<br />

Crystal Classics N 67 057<br />

(Vertrieb: Delta Music)<br />

H<br />

97


H H ÖREINDRUCK<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Der 1974 geborene Usbeke Eldar Nebolsin<br />

ist ein ausgezeichneter Pianist<br />

– zumindest wenn es um das große<br />

romantische und virtuose Repertoire<br />

geht. Doch für Schubert muss man<br />

andere Spiel- und Sichtweisen auf die<br />

Partitur walten lassen. Doch auch<br />

hierin ist Nebolsin ein ausgemachter<br />

Könner. Schon in der frühen Sonate<br />

Nr. 4 a-Moll D 537 vermag er die<br />

Plastizität der Stimmführungen, die<br />

Gedankensuche des Komponisten<br />

nachzuvollziehen. So nimmt er den<br />

zweiten Satz zuerst bedenklich langsam<br />

und scheint dem Drang des Fortschreitens<br />

nicht nachzukommen.<br />

Doch in seiner dynamisch-agogischen<br />

Ausdeutung findet er zu einer<br />

wundervollen Tiefendeutung, die die<br />

Zerbrechlichkeit des Gefundenen und<br />

letztendlich den Frohsinn darzustellen<br />

vermag. Und so geht er auch mit<br />

der Sonate A-Dur um, diesem ersten<br />

großen Brocken aus dem Sonatenschaffen<br />

Schuberts. Klanglich feinsinnig<br />

weiß er die Dualität zwischen Melodienseligkeit<br />

und den dunkel-dramatischen<br />

und fast opernartigen Einwürfen<br />

zu erfassen. Er lässt die Musik<br />

für sich sprechen und weiß dennoch,<br />

sie so zu interpretieren, dass er eine<br />

vollkommen eigenständige Klanglichkeit<br />

schafft. Und genau dies ist die<br />

Kunst in diesen Werken. Und die<br />

„Wandererfantasie“, diese eigentliche<br />

Sonate? Nun, hier geht Nebolsin<br />

harsch zur Sache, aber nicht ohne<br />

den Überblick für alle dynamischen<br />

wie erzählerischen Momente zu behalten.<br />

Allein der ganz große Bogen<br />

in diesem Werk gelingt ihm nicht.<br />

Dennoch: Eldar Nebolsin liefert wunderbare<br />

Schubert-Interpretationen<br />

mit dieser CD ab, die hoffen lassen,<br />

dass er vielleicht Weiteres aus diesem<br />

Repertoire einspielt.<br />

Carsten Dürer<br />

Franz Schubert<br />

Klaviersonaten Nr. 4 D 537, Nr. 13 D 664;<br />

Wandererfantasie D 760<br />

Eldar Nebolsin, Klavier (k. A.)<br />

Naxos 8.572450<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➄➅<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />

Das ebenso Faszinierende wie Erstaunliche<br />

an Liszts Spätwerk ist die<br />

Einfachheit in Sprache und Darstellung:<br />

Nach den Exzessen der Virtuosität,<br />

die fast alle seiner Jugendund<br />

mittleren Werke wie die „Études<br />

d’exécution et transcendante“ und natürlich<br />

die „h-Moll-Sonate“ prägen,<br />

wird die menschliche Existenz –<br />

ähnlich wie beim späten Brahms –<br />

nunmehr ganz auf Grundfragen zurückgeworfen:<br />

Religiosität, Liebe,<br />

Einsamkeit, Resignation. In den<br />

Baumwipfeln von „Aux cyprès de la<br />

ville d’Este“ säuseln die Schatten des<br />

Todes. Der Pianist Claudius Tanski<br />

versteht sich auf diese Sprache: Sein<br />

Spiel verbindet Unaufgeregtheit mit<br />

beschwörender Innerlichkeit, die<br />

dunkel raunenden, monoton wiederholten<br />

Bass-Klangfiguren in „Die<br />

Trauergondel“ entfalten eine gespenstische<br />

Wirkung. Hier hat jemand<br />

verstanden: Nachdenklichkeit, gemischt<br />

mit nervöser Befangenheit,<br />

ist das Wesen dieser Musik, grelle<br />

Färbungen verbieten sich von selbst.<br />

Um diesem Stück – wie auch „Sursum<br />

corda“ oder „Receuillement“ – ein<br />

noch intimeres Gepräge zu geben,<br />

wünschte man sich jedoch einen insgesamt<br />

weicheren Anschlag und<br />

mehr laissez-faire in Phrasierung<br />

und Agogik. Tanski agiert bisweilen<br />

zu unwirsch, man spürt, wie die<br />

Kräfte aus diesem Pianisten, der<br />

über eine makellose Technik verfügt,<br />

förmlich herausschießen. Weniger<br />

um klangliche Sensibilität, dafür<br />

aber um beinahe grotesk anmutende<br />

Kraftakte geht es in der berühmten<br />

Dies-Irae-Paraphrase „Totentanz“,<br />

die hier in einer Orchesterfassung<br />

mit Klavier vorliegt. Tanski<br />

kann sein Potenzial voll entfalten:<br />

Die Mischung aus Energie und Darstellungswillen<br />

begeistert. R. Sala<br />

Franz Liszt<br />

Totentanz, Die Trauer-Gondel, Sursum<br />

Corda u. a.<br />

Claudius Tanski, Klavier (k. A.)<br />

Beethoven Orchester<br />

Ltg.: Stefan Blunier<br />

MDG 937 1678 6 (Vertrieb: Codaex)<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />

Liszts Musik provoziert nicht nur die<br />

außermusikalische Abstraktion, sie<br />

verlangt sie. Nur wer die Bilderwelten<br />

und die ganz bewusst extrovertierte<br />

Dramatik seiner Musik, die<br />

theatralische Geste und das Spiel<br />

mit dem Feuer der Leidenschaft<br />

zulässt, kommt dem Wesen seiner<br />

Werke wirklich nah. Für ihn gilt<br />

eigentlich das Gleiche wie für<br />

Richard Wagner. Wer Dynamik herunterdimmt,<br />

nur weil er die Klangschichtungen<br />

transparent machen<br />

will und zu sehr am Material herumseziert,<br />

ohne ihren eigenen<br />

Zweck zu erkennen, arbeitet an der<br />

Musik vorbei. All das geschieht hier<br />

nicht. Fehler solcher Art vermeidet<br />

der junge Bulgare Julian Gorus, der<br />

die „Années de Pèlerinage“ hier<br />

komplett eingespielt hat. Liszts<br />

Klangbilder aus der Zeit seiner<br />

„Wanderjahre“, in denen Eindrücke<br />

aus der Schweiz und Italien verarbeitet<br />

werden, fasst er auch wie ein<br />

Bilderbuch auf, in dem man blättern<br />

und spielen kann, ohne sich zu<br />

verbeißen oder zu verlieren. Glutvoll<br />

sind Gorus’ Steigerungen, fantasievoll<br />

und angemessen ist seine Agogik.<br />

Bei den großen Crescendi hält<br />

er sich unter Kontrolle, nie wird der<br />

Klang hart und die Entspannung<br />

folgt ganz organisch auf dem Fuße.<br />

Die Entwicklung von der Frische und<br />

Wildheit der früheren Stücke bis zu<br />

den späten Reiseimpressionen von<br />

1883 verfolgt Gorus intelligent.<br />

Wohl sucht er nach den vielen auch<br />

mal exotischen Momenten dieser<br />

Musik und arbeitet sie in kluger<br />

Dramaturgie heraus.<br />

Ernst Hoffmann<br />

Franz Liszt<br />

Années de Pèlerinage<br />

Julian Gorus, Klavier (k. A.)<br />

Hänssler Classic 98.627 (3 CDs)<br />

(Vertrieb: Naxos)<br />

98 5 . 11


Interpretation: ❶❷❸❹➄➅<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />

Es ist ein zwiespältiges Gefühl, das<br />

die russische Pianistin Anastasia<br />

Voltschok mit dieser CD hervorruft:<br />

ein packender und begeisternder<br />

Rachmaninoff, ein ebenso irrwitziger<br />

wie delikater Schumann – und<br />

ein Chopin, der demgegenüber<br />

deutlich abfällt und eher im Mittelfeld<br />

rangiert. Dabei hat sie im<br />

Booklet gerade für dessen Musik die<br />

schönen Worte gefunden: „Der Polonaise-Rhythmus<br />

ist hier ein Gerüst, um<br />

das man seine Fantasie ranken lassen<br />

kann.“ Gerade Letzteres leistet Voltschok<br />

nun gerade nicht: Zu oft wirkt<br />

ihr Spiel an entscheidenden Stellen<br />

in diesem Spätwerk gehetzt und<br />

holzschnitzartig. Agogik, Tempo<br />

und Dynamik finden nicht zu einer<br />

souveränen Einheit zusammen. Es<br />

ist ein zu stählernes Gerüst, das die<br />

Pianistin um die Polonaise-Elemente<br />

schmiedet, so dass auch die hineingewobenen,<br />

flirrenden Klangfiguren<br />

ihrer märchenhaften Züge beraubt<br />

werden. Was hier rankt, ist kein Blütenteppich,<br />

sondern duftloses Blattgrün.<br />

Um den Chopin’schen Klang<br />

zum Leuchten zu bringen, bedarf es<br />

eines Gestaltungswillens jenseits der<br />

Kontrastsprache: Alles muss ineinander<br />

verwoben werden, was eine<br />

gewisse Launenhaftigkeit des Spiels<br />

erfordert. Das bedeutet nicht, dass<br />

man ausdruckssteigernde Mittel wie<br />

Rubati schalten und walten lassen<br />

kann, wie man will, aber die Taktstriche<br />

dürfen ebenso wenig hörbar<br />

sein. Bei Voltschok sind sie es zu<br />

stark. Viel spannender gestaltet die<br />

Moskauerin die b-Moll-Sonate ihres<br />

Landmanns Rachmaninoff: Ihr Spiel<br />

ist von einer Leidenschaft beseelt,<br />

die der zerrissenen Färbung dieser<br />

Musik voll gerecht wird. R. Sala<br />

Frédéric Chopin<br />

Polonaise-Fantasie As-Dur op. 61<br />

Sergej Rachmaninoff<br />

Sonate b-Moll op. 36<br />

Robert Schumann<br />

Carnaval op. 9<br />

Anastasia Voltschok, Klavier (k. A.)<br />

Genuin Classics 12029<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

H<br />

5 . 11 99


H H ÖREINDRUCK<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />

Klang: ❶❷❸❹➄➅<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➄➅<br />

Mit dieser fünften CD der Gesamteinspielung<br />

der Klavierwerke von<br />

Robert Schumann beim Schweizer<br />

Label Claves knüpft der Pianist Cédric<br />

Pescia an seine Reihe interessanter<br />

und zu Recht hochgelobter<br />

Einspielungen an (Bachs „Goldberg-<br />

Variationen“, Beethoven-Sonaten,<br />

noch mehr Schumann, Couperin<br />

und Debussy). Auf einem New Yorker<br />

Steinway von 1901 spielte Pescia<br />

Impromptus op. 5, Carnaval op. 9<br />

und Novelletten op. 21 ein sowie die<br />

kurz vor dem geistigen Verfall komponierten<br />

Gesänge der Frühe und 7<br />

Clavierstücke in Fughettenform von<br />

1853. Es ist nicht allein der klare<br />

und leichtfüßig-elegante Klang des<br />

alten Instruments, der diesen Schumann-Miniaturen<br />

ihre Ausdrucksstärke<br />

verleiht, es ist vor allem der<br />

Umgang des Pianisten mit diesen<br />

gefühlsmäßig so anspruchsvollen<br />

Stücken: Die bildhafte, poetische<br />

Tonsprache des frühen Schumann<br />

liegt ihm ebenso wie die rätselhaften,<br />

sehr eigenen Züge der mehr <strong>als</strong><br />

20 Jahre später entstandenen Werke.<br />

Seine durchdachte Herangehensweise<br />

an die Musik hat Cédric<br />

Pescia bereits mit seinem Debütalbum<br />

mit Bachs Goldberg-Variationen<br />

gezeigt – die Arbeit daran mag<br />

bei der exzellenten Interpretation<br />

der Clavierstücke in Fughettenform<br />

geholfen haben. Pescia beherrscht<br />

neben einer feinen Anschlagskultur<br />

ein romantisches Ausdrucksspektrum,<br />

das prädestiniert scheint für<br />

Schumann: gefühlsmäßige Zerrissenheit,<br />

(un)erfüllte Sehnsüchte,<br />

Mysteriöses und das literarisch Bildliche<br />

seiner Werke. Unbedingt hörenswert!<br />

Isabel Fedrizzi<br />

Robert Schumann<br />

Carnaval op. 9; Impromptus op. 5,<br />

Albumblätter op. 124, Novelletten op. 21,<br />

Gesänge der Frühe op. 133 u. a.<br />

Cédric Pescia, Klavier (Steinway New<br />

York 1901)<br />

Claves Records 50-1103/04 (2 CDs)<br />

(Vertrieb: Klassik Center)<br />

Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />

Nun auch bei der Deutschen Grammophon:<br />

Über die Künstlerin Alice<br />

Sara Ott erfährt man nichts im<br />

Booklet. Allerdings sieht man – wieder<br />

einmal – auf locker und romantisch<br />

getrimmte Fotos der Pianistin.<br />

Wie auch immer, Alice Sara Ott<br />

wendet sich nun nach Liszt Beethoven<br />

zu, geht <strong>als</strong>o zurück in der<br />

Historie. Allerdings hört man schon<br />

in der ersten Sonate auf der CD<br />

(Op. 2 Nr. 3), dass Alice Sara Ott<br />

vielleicht noch einige Zeit benötigt,<br />

um vollkommen frei mit dieser Musik<br />

umzugehen. Zu steif und einstudiert<br />

wirken viele Phrasierungen, zu<br />

wenig frei und organisch. Ott hat<br />

diese Musik noch nicht wirklich verinnerlicht,<br />

so wie es sein sollte –<br />

mag sie sich auch schon lange mit<br />

diesen Werken beschäftigen. Beethovens<br />

Musik der Sturm-und-Drang-<br />

Phase muss man auch drängend,<br />

unwirsch und zweifelnd darstellen.<br />

So auch im 2. Satz, in dem Ott die<br />

dunkel aufkommenden „Wolken“<br />

nicht herausstellt, sondern einfach<br />

weiterspielt. Aber alles ist blitzsauber<br />

und mit viel Liebe zum Detail<br />

gespielt. Doch schon die Anfangsakkorde<br />

der „Waldstein“-Sonate zeigen<br />

wieder, dass hier nicht natürlich<br />

geatmet wird, alles bleibt an der<br />

Oberfläche, da drängt Ott nicht<br />

nach vorne, wird aber immerhin<br />

ausufernd im Klang. Zudem gefällt<br />

hier nun auch die Transparenz der<br />

Stimmen. Gut gelingt ihr das statische<br />

Moment im 2. Satz, wobei der<br />

Fin<strong>als</strong>atz dann wiederum etwas zu<br />

statisch und wenig dramatisch oder<br />

erleichternd klingt. Das Rondo „Die<br />

Wut über den verlorenen Groschen“<br />

gelingt vielleicht am überzeugendsten,<br />

hier ist Ott frei und froh.<br />

Eine CD, die bei weitem nicht an die<br />

Leistungen der bisherigen anknüpfen<br />

kann. Carsten Dürer<br />

Ludwig van Beethoven<br />

Klaviersonaten Op. 2 Nr. 3, Op. 53<br />

„Waldstein“; Andante favori WoO 57;<br />

Rondo a capriccio g-Moll<br />

Alice Sara Ott, Klavier (Steinway D)<br />

Deutsche Grammophon 477 9291<br />

(Vertrieb: Universal)<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎⑥<br />

In Fortsetzung seiner Gesamtaufnahme<br />

aller Klaviertranskriptionen<br />

Busonis nach Musik von Bach setzt<br />

Maurizio Baglini wieder auf ein gemischtes<br />

Programm mit Transkriptionen<br />

klein- und großformatiger<br />

Orgelwerke sowie einer Bearbeitung<br />

der ursprünglich für Cembalo komponierten<br />

Chromatischen Fantasie<br />

und Fuge BWV 903. Es spricht für<br />

Baglini, dass man diesen Unterschied<br />

auch hören kann. Vor allem<br />

in der Fuge hält sich Baglini dynamisch<br />

sehr zurück, zeigt ein prononciertes<br />

Non-legato-Spiel, während er<br />

in den Transkriptionen der großformatigen<br />

Orgelwerke mit einer sehr<br />

breiten Dynamik- und Farbpalette<br />

aufwartet. Ein differenziertes Klangempfinden<br />

sorgt dafür, dass das<br />

Klangbild immer transparent bleibt.<br />

Ein in allen Registern kernig und<br />

klar klingender Fazioli-Flügel trägt<br />

gewiss wesentlich zu diesem Eindruck<br />

bei. Allerdings gelingen die<br />

Choralvorspiele nicht immer so gut,<br />

da Baglinis Bemühen um eine ausgeglichene<br />

Gewichtung der Stimmen<br />

zuweilen zur Verunklarung der<br />

Melodieführung führt (vor allem<br />

BWV 705). Trotzdem gibt es immer<br />

noch genug an Baglinis Spiel zu bewundern,<br />

so dass man auch seine<br />

zweite Bach-Busoni-Einspielung getrost<br />

zu den besten auf diesem Feld<br />

zählen kann.<br />

Robert Nemecek<br />

Ferruccio Busoni<br />

Transkriptionen für Klavier nach J. S. Bach<br />

Vol. 2<br />

Chromatische Fantasie und Fuge BWV<br />

903, Präludium und Fuge BWV 552 &<br />

532, 6 Choralvorspiele<br />

Maurizio Baglini,<br />

Klavier (Fazioli F 278)<br />

Tudor 7156 (Vertrieb: Naxos)<br />

100 5 . 11


5. 11<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />

Dass das Schaffen von Giuseppe Martucci<br />

nicht umfassend bekannt ist,<br />

offenbart einmal mehr die Trägheit<br />

im Musikbetrieb. Auch deshalb können<br />

sich Klischees hartnäckig halten.<br />

Eines besagt, dass sich die musikalische<br />

Romantik in Italien in der Oper<br />

abspielt. Sicher, zwischen 1856, <strong>als</strong><br />

Martucci in Capua geboren wurde,<br />

und 1909, <strong>als</strong> er verstarb, war das<br />

Musiktheater die führende Gattung.<br />

Aber eben nicht die einzige. Gemeinsam<br />

mit Giovanni Sgambati war<br />

Martucci dam<strong>als</strong> der wohl wichtigste<br />

Schöpfer von Instrumentalmusik in<br />

Italien. Darüber hinaus hat Martucci<br />

Komponisten wie Ottorino Respighi<br />

oder Gian Francesco Malipiero den<br />

Weg bereitet. Nun hat Pietro Massa<br />

eine Auswahl von Klavierwerken eingespielt,<br />

<strong>als</strong> Live-Aufnahme ist das 2.<br />

Klavierkonzert von 1884/85 vertreten.<br />

Auch Anton Rubinstein hat es gespielt,<br />

so das informative Beiheft. Zudem<br />

wurde es 1899 von Arturo Toscanini<br />

einstudiert, Gustav Mahler dirigierte<br />

es 1911 in New York bei seinem<br />

letzten Konzert. Und auch auf<br />

dieser CD präsentiert sich Massa <strong>als</strong><br />

stilsicherer Gestalter der Romantik,<br />

mit fast schon unverschämter Leichtigkeit<br />

begegnet er dem technisch<br />

äußerst kniffligen Werk. Gerne würde<br />

man ihn mit einem Orchester hören,<br />

das etwas weniger aufträgt. Klug ist<br />

zudem die Idee, das erste „Notturno“<br />

aus op. 70 in den Fassungen für Klavier<br />

und Orchester zu präsentieren;<br />

sie bilden den Rahmen. Der Variationen-Zyklus<br />

op. 58 von 1882, den Martucci<br />

seinem Weggefährten Sgambati<br />

widmete, rundet die hörenswerte CD<br />

ab.<br />

Marco Frei<br />

Giuseppe Martucci<br />

Klavierkonzert Nr. 2 op. 66; Notturno op.<br />

70, Nr. 1 (Fassungen für Klavier und für<br />

Orchester); „Tema e variazioni“ op. 58<br />

Pietro Massa, Klavier (k. A.)<br />

Neubrandenburger Philharmonie<br />

Ltg.: Stefan Malzew<br />

Crystal Classics N67052<br />

(Vertrieb: Naxos)<br />

H ÖREINDRUCK<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Weil seine pianistischen Fähigkeiten<br />

zu begrenzt seien, um selbst die Konsistenz<br />

seiner zeitgenössischen, aber<br />

nicht unbedingt experimentellen<br />

Klaviermusik zu prüfen, vertraut der<br />

US-amerikanische Komponist John<br />

Corigliano eigenen Methoden der<br />

Assoziation. Nachträglich notierte<br />

Improvisationen nennt er „Winging<br />

It“, in freier Übersetzung entweder<br />

beflügelnd oder beschützend. Sowohl<br />

die Konzert- <strong>als</strong> auch die CD-<br />

Premiere ist von Ursula Oppens, die<br />

sich absolut sicher im klassischen<br />

Idiom dieser transkribierten Trilogie<br />

fühlt. Formbewusst bringt sie das<br />

Fanfaren-Motiv der ersten Sektion<br />

über Tremolo-Kaskaden und lyrischem<br />

Intermezzo zum Anfangsgedanken<br />

retour und gibt den folgenden<br />

Akkordstudien und virtuosen<br />

Skalenprogressionen feste Strukturen.<br />

Für die „Fantasia on an Ostinato“<br />

hat John Corigliano das Allegretto-Thema<br />

aus der 7. Sinfonie Beethovens<br />

entlehnt, dessen stilistische<br />

Einbettung in Klanggitter und aufblitzenden<br />

Tonzellen Ursula Oppens<br />

diskret gestaltet. Dagegen widerstrebend<br />

ist das emotionale Spektrum<br />

der „Etude Fantasy“, eigentlich eine<br />

Suite, wo sich Wut, Hektik, Pointillismus<br />

und poetische Momente begegnen.<br />

Von besonderer Bedeutung ist<br />

„Chiaroscuro“, <strong>als</strong>o Hell-dunkel-Effekte,<br />

die hier in Allianz mit einem<br />

zweiten, um einen Viertelton tiefer<br />

gestimmten Klavier entstehen. Perfekt<br />

demonstrieren Oppens und Lowenthal,<br />

wie sich Klangfächer öffnen<br />

und schließen, Seufzer oszillieren<br />

und so beide Tonsysteme in kooperativer<br />

Konkurrenz bewähren<br />

können. Sein (selbst bekanntes)<br />

Manko hat John Corigliano nun<br />

durch beste Interpreten für seine<br />

originellen Klavierkompositionen<br />

ausgleichen können. Grünefeld<br />

John Corigliano<br />

Klavierwerke<br />

Ursula Oppens & Jerome Lowenthal,<br />

Klaviere (Steinway)<br />

Cedille 90000 123<br />

(Vertrieb: Naxos)<br />

H<br />

101


H H ÖREINDRUCK<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />

Diese auch rein äußerlich gut gemachte<br />

CD mit der passenden Cover-Gestaltung<br />

und dem fundierten<br />

Booklet-Text nimmt man nicht nur<br />

gern zur Hand, man schiebt sie auch<br />

immer wieder gern in den Player.<br />

Und das aus mehreren Gründen:<br />

Erstens handelt es sich bei dieser<br />

Veröffentlichung um nichts Geringeres<br />

<strong>als</strong> um eine kleine Sensation,<br />

weil man die Klavierwerke des lange<br />

Jahre an den Rand gedrängten<br />

Dänen Svend Erik Tarp (1908–<br />

1994) <strong>als</strong> eine willkommene Repertoireerweiterung<br />

betrachten muss,<br />

die es wert ist, häufiger gespielt zu<br />

werden. Zweitens trifft die australische<br />

Pianistin Tonya Lemoh genau<br />

den richtigen Ton dieser zwischen<br />

1927 und 1956 entstandenen Stücke<br />

und drittens sorgt eine lupenreine<br />

Tontechnik für ungetrübten Hörgenuss.<br />

Tarp wird gerne der Gruppe<br />

von dänischen Komponisten zugerechnet,<br />

die mehr von der französischen<br />

<strong>als</strong> von der deutschen Musikkultur<br />

beeinflusst waren, aber diese<br />

Zuordnung greift zu kurz. Der Däne<br />

findet – schon in der frühen Suite –<br />

seinen ureigenen Ton, der sich jenseits<br />

von (Spät-)Impressionismus,<br />

Neoklassizismus und Atonalität bewegt.<br />

Seinen melodischen, angenehm<br />

unterkühlten und bei aller<br />

Kunstfertigkeit doch sehr zurückhaltenden<br />

Klavierwerken fehlt jegliche<br />

Attitüde der Großspurigkeit und des<br />

Aplomb. Gerade das macht sie so<br />

anziehend. Eine rundum gelungene<br />

CD. Da capo!<br />

Burkhard Schäfer<br />

Svend Erik Tarp<br />

Thema (Carillon) mit Variationen op. 43;<br />

Suite; 3 Sonatinen op. 48; 3<br />

Improvisationen op. 21; Sonate op. 60<br />

Tonya Lemoh, Klavier (k. A.)<br />

Dacapo 8.226053<br />

(Vertrieb: Naxos)<br />

Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷③➃➄➅<br />

Hatte die junge, aus Sri Lanka stammende<br />

Pianistin Shani Diluka, die in<br />

Monaco aufwuchs, mit ihren beiden<br />

ersten CDs mit Griegs Klavierkonzert<br />

und Werken von Mendelssohn Bartholdy<br />

doch ihr Talent unter Beweis<br />

stellen können, widmet sie sich nun<br />

den ersten beiden Klavierkonzerten<br />

Beethovens. Schon im auf der CD zuerst<br />

zu hörenden 2. Klavierkonzert<br />

fällt auf, dass Diluka wohl einen etwas<br />

verbrämten Blick auf diese früh<br />

entstandenen Konzerte hat. Nicht nur<br />

die Tempi werden mäßig genommen<br />

– im Vergleich zu vielen Kollegen –,<br />

sondern es scheint auch, dass die<br />

Pianistin dieses Konzert <strong>als</strong> simpel<br />

empfindet und entsprechend ohne<br />

große dramatische Verinnerlichung<br />

präsentiert. Vielmehr sieht sie Beethoven<br />

tatsächlich <strong>als</strong> Nachfolger von<br />

Mozart, in einer Nachfolge, der er<br />

aber schon entwachsen war. Aufgrund<br />

dieser Sicht – und Spielweise<br />

der Pianistin lässt sie dieses Konzert<br />

in die Bedeutungslosigkeit abrutschen,<br />

da hilft auch ihr blitzsauberes<br />

Spiel nichts. Und das 1. Konzert?<br />

Nun, auch hier verbleibt sie an der<br />

Oberfläche und kann nicht in die<br />

Tiefen des Werks eintauchen, die uns<br />

von so vielen Pianisten nahegebracht<br />

wurden. Ja, auch hier besticht die<br />

Pianistin mit wunderbarer Klanggestaltung,<br />

aber wo bleiben die explosiven<br />

Ausbrüche, die Ecken und Kanten?<br />

So beispielsweise im 1. Satz, wo<br />

es doch allein schon im Bass brodeln<br />

muss, wo immer wieder die dunklen<br />

Wolken über aller Melodienseligkeit<br />

schweben. Doch genau davon hört<br />

man hier nichts. Allein: Gutes Klavierspiel.<br />

Aber für Beethoven braucht<br />

es einfach mehr.<br />

Carsten Dürer<br />

Ludwig van Beethoven<br />

Klavierkonzerte Nr. 1 und 2<br />

Shani Diluka, Klavier (Bechstein D)<br />

Orchestre National Bordeaux Aquitaine<br />

Ltg.: Kwamé Ryan<br />

Mirare 126<br />

(Vertrieb: Harmonia Mundi)<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />

CDs mit Werken von Mozart,<br />

Schumann, Rachmaninow und<br />

Bartók hat die ungarische Pianistin<br />

Klára Würtz schon eingespielt. Auf<br />

ihrer neusten Einspielung hat sie<br />

sich nicht – wie so viele in diesem<br />

Jahr – Musik von Liszt ausgesucht,<br />

sondern ein vermeintlich programmatisch<br />

einfaches Konzept vorgenommen:<br />

Sie spielt die Impromptus<br />

op. 90 und op. 142 von Franz Schubert.<br />

Beide Sammlungen entstanden<br />

ein Jahr vor dem Tod des Komponisten.<br />

Eine Besonderheit ist, dass die<br />

jeweils vier Stücke sowohl im Aufbau<br />

und Charakter an eine Sonate<br />

erinnern. Klára Würtz durchwandert<br />

hier eine Vielzahl von Stimmungen<br />

und Emotionen. Mit seiner<br />

Unnachgiebigkeit erinnert das erste<br />

Impromptu c-Moll an die Welt der<br />

„Winterreise“, das zweite – rasante<br />

Impromptu an einen Minutenwalzer<br />

von Chopin, perlend klar und reizvoll<br />

interpretiert. Einem langsamen<br />

Andante in einer viersätzigen Sonate<br />

entspricht Impromptu Nr. 3 in<br />

Ges-Dur, das auf Anraten des Verlegers<br />

in der Erstausgabe von Schubert<br />

in G-Dur transponiert wurde,<br />

damit der pianistische Laie es nicht<br />

allzu schwer haben sollte. Weicher<br />

und dunkler klingt es allerdings in<br />

Ges-Dur: Würtz changiert zwischen<br />

dramatischer Schattierung und lyrischer<br />

Gestaltung. Brillant folgt dann<br />

das kaskadenhafte vierte Impromptu.<br />

In der zweiten Sammlung tritt<br />

insbesondere das populäre zweite<br />

Impromptu op. 142,2 hervor – das<br />

<strong>als</strong> intimes und klangzartes Gegenstück<br />

der anderen Impromptus<br />

wirkt. Klára Würtz nimmt sich Zeit<br />

für die zahlreichen atmosphärischen<br />

Details und schafft damit eine<br />

wunderbar poetische Welt, die Platz<br />

für Bilder und Assoziationen lässt.<br />

Anja Renczikowski<br />

Franz Schubert<br />

Impromptus op. 90; Impromptus op. 142<br />

Klára Würtz, Klavier (k. A.)<br />

<strong>Piano</strong> Classics 0013<br />

(Vertrieb: Revema)<br />

102 5 . 11


5. 11<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />

Auch wenn dieser Variationen-Zyklus<br />

(neben den Diabelli-Variationen<br />

von Beethoven) sicherlich zu<br />

den größten Herausforderungen im<br />

Bereich der Variationszyklen eines<br />

Pianisten zählt, sind Bachs Goldberg-Variationen<br />

noch mehr: ein<br />

eigener Kosmos. Und diesem hat<br />

sich nun Nicholas Angelich gewidmet.<br />

Sicher, Angelich ist ein profunder<br />

Pianist, der in den vergangenen<br />

Jahren immer wieder gezeigt hat,<br />

dass er ein weites Repertoire beherrscht.<br />

Doch Bach? Nun, sicher<br />

ist, dass Angelich in technischer<br />

Hinsicht auch bei schnell gewählten<br />

Tempi keinerlei Probleme hat. Doch<br />

die sensible Nuancierung, die wir<br />

von anderen Pianisten kennen, die<br />

diesen Zyklus von Bach spielen, liegt<br />

bei Angelich nicht im Fokus. Vielmehr<br />

achtet er auf Akkuratesse in<br />

den Tempi, lässt sich nur zu Schluss-<br />

Rubati hinreißen. Daneben bleibt er<br />

weitestgehend in den einmal selbst<br />

gewählten dynamischen Grenzen<br />

einer Variation verhaftet – ebenso<br />

dem jeweiligen Tempo. Nur hier<br />

und da vermag er die Wiederholungen<br />

mit Farbveränderungen zu füllen.<br />

Was allerdings einnimmt, ist<br />

genau dies: die ganz persönliche<br />

Wahl von Tempi und Dynamikabstufungen.<br />

Hier findet Angelich zu<br />

einer vollkommen eigenständigen<br />

Ausdruckswelt, die so gut aufeinander<br />

abgestimmt ist, dass ein Fluss<br />

zustande kommt, der einen Sog bewirkt<br />

– und damit ist diese Interpretation<br />

dann doch in sich geschlossen<br />

und großartig.<br />

Carsten Dürer<br />

Johann Sebastian Bach<br />

Goldberg-Variationen BWV 988<br />

Nicholas Angelich, Klavier (k. A.)<br />

Virgin Classics 50999 0706642 0<br />

(Vertrieb: EMI Classics)<br />

H ÖREINDRUCK<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />

Viele Jahre wurden die Klaviersonaten<br />

von Joseph Haydn unterschätzt.<br />

Vor allem das Haydn-Jahr 2009 hat<br />

daran jedoch einiges geändert. Viele<br />

Pianisten, darunter auch so mancher,<br />

von dem man das nicht unbedingt<br />

erwartet hätte, nahmen sich<br />

der Klaviersonaten an. Besonders<br />

gelungen, da unprätentiös, nachdenklich-intim<br />

war Evgeny Koroliovs<br />

Interpretation, ungewöhnlich<br />

und extravagant die von Tzimon<br />

Barto, stilsicher und exponiert die<br />

auf historischen Instrumenten aufgenommene<br />

Gesamteinspielung von<br />

Christine Schornsheim. Nun scheint<br />

der ganze Hype um Haydn lange<br />

vorbei zu sein (neue Jubilare traten<br />

in den letzten zwei Jahren in den<br />

Vordergrund) – doch da erscheint<br />

der in Metz geborene Pianist Jean-<br />

Efflam Bavouzet mit einer schönen<br />

Auswahl aus Haydns wegweisenden<br />

Sonatenkompositionen. Die Haydn-<br />

Sonaten betrachtet er <strong>als</strong> „Langzeitprojekt,<br />

in dem im Laufe der Jahre<br />

jedes Album wie eine auf meiner<br />

Reise abgeschickte Postkarte sein<br />

wird.“ Bavouzets Spiel ist ganz natürlich,<br />

das Tempo ausgeglichen,<br />

nicht übermäßig schnell. Nuancenreich<br />

durchdacht sind Verzierungen,<br />

Umspielungen und Repetitionen<br />

und niem<strong>als</strong> lässt er – auch wenn er<br />

auf einem modernen Yamaha-Flügel<br />

spielt – die Klangkultur und Musizierpraxis<br />

zu Haydns Zeiten außer<br />

Acht: Die perlende, knapp prägnante<br />

Tongebung erinnert daran, dass<br />

diese Stücke ursprünglich für ein<br />

Hammerklavier gedacht waren. Besonders<br />

gelungen ist die D-Dur-Sonate<br />

Nr. 50 mit ihren schnellen Ecksätzen,<br />

die der Pianist mit unaufhaltsamer<br />

Emphase spielt. Feinfühlig,<br />

geradezu sanglich sind die Adagio-Sätze<br />

interpretiert, allen voran<br />

der Eröffnungssatz der e-Moll-Sonate<br />

Nr. 19. Anja Renczikowski<br />

Franz Joseph Haydn<br />

Klaviersonaten Vol. 2<br />

Jean-Efflam Bavouzet, Klavier<br />

(Yamaha CFIIIS)<br />

Chandos Chan 10668<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

H


H H ÖREINDRUCK<br />

Interpretation: ❶❷❸❹⑤➅<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Als Francesco Piemontesi 2010 eine<br />

Schumann-CD vorlegte, wurde dessen<br />

Kantabilität und Poesie gelobt.<br />

Das wird beim zweiten, Alfred Brendel<br />

gewidmeten Recital des Schweizers<br />

zum Problem. Zwei zentrale<br />

Brückenschläge werden vollzogen.<br />

Einerseits ist die Suite B-Dur HWV<br />

434 von Händel vertreten, deren<br />

„Aria con variazioni“ Brahms in seinen<br />

sogenannten „Händel-Variationen“<br />

op. 24 reflektierte; auch sie<br />

wurden aufgenommen. Andererseits<br />

ist von Bach die Partita Nr. 1 BWV<br />

825 zu hören sowie die Fantasie und<br />

Fuge BWV 542. Letzteres liegt in der<br />

Klavier-Fassung von Liszt vor, von<br />

ihm erklingt zudem „Vallée d’Obermann“<br />

aus den „Années de Pèlerinage“.<br />

Dieses Programm ist spannend,<br />

gerade auch interpretatorisch.<br />

Händel und Bach hätten einen<br />

profunden Einfluss auf Brahms<br />

und Liszt gehabt, wirbt das Cover;<br />

Piemontesi habe die Parallelen und<br />

Kontraste ergründen wollen. Indes<br />

sind die Unterschiede in Piemontesis<br />

Gestaltungen so groß nicht: Er hat<br />

sich eher für eine altbekannte Romantisierung<br />

von Bach und Händel<br />

entschieden. Das verraten schon das<br />

gedehnte langsame Zeitmaß sowie<br />

die ritardierenden Abschlüsse. Dass<br />

man umgekehrt Brahms und Liszt<br />

historisch informiert betrachten<br />

könnte, diese heute brennende Frage<br />

hat er sich nicht gestellt. Muss er<br />

auch nicht, Unterschiede in der Artikulation<br />

und Phrasierung hätte<br />

man aber schon gerne gehört. So<br />

farblich nuanciert und technisch<br />

bravourös das alles klingt: Das gelebte<br />

Gestern ist für einen jungen<br />

Pianisten nicht unproblematisch.<br />

Marco Frei<br />

G. F. Händel: Suite B-Dur HWV 434<br />

J. Brahms: Variationen und Fuge auf ein<br />

Thema von Händel op. 24<br />

J. S. Bach: Partita Nr. 1 BWV 825;<br />

Fantasie und Fuge g-Moll BWV 542 (arr.<br />

von Liszt, R 120 SW 463)<br />

Franz Liszt: „Vallée d’Obermann“<br />

Francesco Piementosi, Klavier (k. A.)<br />

Avanti Classics 541470610342<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />

Die Werke des belgischen Komponisten<br />

Jean Nicolas Joseph Absil<br />

(1893–1974) sind hierzulande nicht<br />

gerade häufig auf den Konzertpodien<br />

zu hören, und das, obwohl Absil<br />

zu seiner Zeit und vor allem in<br />

seinem Land ein buchstäblich ausgezeichneter<br />

Mann war. So erhielt<br />

er unter anderem den „Prix de Rome“<br />

und den „Rubenspreis“ und leitete<br />

von 1922 bis 1952 die Musikakademie<br />

in Etterbeek, die seit 1963<br />

auch seinen Namen trägt. Die hier<br />

eingespielten Klavierwerke aus den<br />

Jahren 1932 bis 1966 zeigen ihn <strong>als</strong><br />

einen gemäßigten Modernen, der<br />

die Strömungen und Stile seiner Zeit<br />

– Impressionismus, Neo-Klassizismus,<br />

Neue Sachlichkeit – sehr wohl<br />

zur Kenntnis nimmt, zum Teil in seinen<br />

Werken auch verarbeitet, dabei<br />

aber nie zum Epigonen einer Richtung<br />

wird. Auch wenn sich die Klavierwerke<br />

in harmonische Grenzbereiche<br />

vorwagen, bleiben sie dabei<br />

doch immer fest in der Tonalität<br />

verwurzelt. Kaum ein Satz der Doppel-CD<br />

dauert länger <strong>als</strong> vier Minuten,<br />

dennoch wäre es f<strong>als</strong>ch, Absil<br />

<strong>als</strong> „Miniaturisten“ zu bezeichnen.<br />

Obwohl kurz, sind die Sätze sehr<br />

kultiviert und von einem inneren<br />

musikalischen Reichtum geprägt,<br />

der das Hören der Silberscheiben<br />

zum Genuss macht. Diese Noblesse<br />

spricht aus Daniel Blumenth<strong>als</strong> vorzüglicher<br />

Interpretation. Sie rückt<br />

Absils (wieder) zu entdeckende<br />

Werke in ein zugleich weiches und<br />

scharf konturiertes Licht und macht<br />

die Erkundung der 116 Spielminuten<br />

zur spannenden Hörreise.<br />

Burkhard Schäfer<br />

Jean Absil<br />

Trois Impromtus op. 10; Sonatine op.<br />

27; Marines op. 36; Cinq Bagatelles op.<br />

61; Grande Suite op. 62; Hommage à<br />

Schumann op. 67 u. a.<br />

Daniel Blumenthal, Klavier (k. A.)<br />

Fuga Libera 578 (2 CDs)<br />

(Vertrieb: Note 1)<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹⑤➅<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤➅<br />

In Johannes Brahms’ Klavierschaffen<br />

spielen Variationen eine zentrale<br />

Rolle – den Reiz daran mag<br />

Brahms darin gesehen haben, thematisch<br />

fest gebunden zu sein und<br />

gestalterisch so frei wie möglich zu<br />

arbeiten: „Über den gegebenen Baß<br />

erfinde ich wirklich neu, ich erfinde ihm<br />

neue Melodien, ich schaffe“, lautete<br />

doch sein Variationsideal. Für sein<br />

Debütalbum wählt der französische<br />

Pianist Ali Hirèche vier bedeutende<br />

Zyklen: die 1854 komponierten poetischen<br />

Variationen mit ihren berückend<br />

schönen Schumann-Anspielungen,<br />

die Variationen über ein<br />

eigenes Thema von 1862 sowie die<br />

diabolisch schwierigen Paganini-<br />

Variationen op. 35, deren lapidares<br />

Thema Brahms gleich zu zwei Zyklen<br />

mit je 14 Variationen anregte.<br />

Ali Hirèche zeigt an den unterschiedlichen<br />

Werken, dass er nicht<br />

nur das Technisch-Virtuose beherrscht,<br />

sondern auch das Leise,<br />

das Lyrische, wie es vor allem die<br />

„Schumann-Variationen“ fordern.<br />

Er schöpft die Gestaltungspalette<br />

ganz aus – energisch und vollgriffig<br />

auf der einen Seite, auf der anderen<br />

filigran und kantabel – dazu geben<br />

ihm diese Variationen reichlich Gelegenheit.<br />

Es gelingt diesem „Enkelschüler“<br />

Alfred Cortots, der in Paris,<br />

Mailand, Imola und am Comer See<br />

ausgebildet wurde, eine transparente<br />

und differenzierte Interpretation,<br />

die niem<strong>als</strong> im Pedalbrei verläuft<br />

oder die melodische Linie aus den<br />

Augen verliert. Eine Einheit von<br />

Struktur und emotionaler Gestaltungskunst<br />

– sehr überzeugend.<br />

Isabel Fedrizzi<br />

Johannes Brahms<br />

Variationen op. 2; Paganini Variationen<br />

op. 35 Nr. 1 und 2 op. 9<br />

Ali Hirèche, Klavier (k. A.)<br />

Integral Classic 221.337<br />

(Vertrieb: SunnyMoon)<br />

104 5 . 11


5 . 11<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤➅<br />

Obwohl Franz Xaver Scharwenka in<br />

Samter (heute: Szamotuly, Polen)<br />

geboren wurde, fühlte er sich <strong>als</strong><br />

Pianist und Komponist der westeuropäischen<br />

Romantik mit dem kulturellen<br />

Zentrum Berlin zugehörig.<br />

Dennoch ist sein Stil mehrdeutig,<br />

insbesondere von Folklore seines<br />

Herkunftslandes beeinflusst, wo<br />

man erst vor einigen Jahren in Poznan<br />

(nahe Szamotuly) begann, sich<br />

um dieses musikalische Erbe zu<br />

kümmern. Zu seinen Lebzeiten, ja,<br />

bis in die Gegenwart waren und<br />

sind die „Polnischen Nationaltänze“<br />

der populärste und erfolgreichste<br />

Klavierzyklus von Scharwenka, sozusagen<br />

seine Visitenkarte. Und seltsamerweise<br />

pointiert François Xavier<br />

Poizat darin sogar Stolz und eine gewisse<br />

Grandezza. Zu ähnlichem Status<br />

ist mittlerweile das geradezu sinfonische<br />

„Klavierkonzert Nr. 4“<br />

avanciert, denn es ist eine Bewährungsprobe<br />

für Virtuosen und deswegen<br />

für einige zeitgenössische Solisten<br />

wieder interessant geworden.<br />

Delikat hat François Xavier Poizat<br />

den Klavierpart in straffem Duktus<br />

interpretiert, sodass die Dramaturgie<br />

von nicht übertriebenem „Allegro<br />

patetico“ und lyrischer Expression<br />

optimal balanciert ist. Die spieltechnisch<br />

schwierigen Passagen des<br />

Intermezzos mit slawischem Kolorit<br />

und, noch extremer, das Fuoco-Temperament<br />

im Finale sind von ihm<br />

und dem Philharmonischen Orchester<br />

Poznan hervorragend gestaltet.<br />

Eine beachtenswerte Hommage an<br />

Franz Xaver Scharwenka und eine<br />

notwendige Erinnerung an ein imposantes<br />

Klavierkonzert.<br />

Hans-Dieter Grünefeld<br />

Franz Xaver Scharwenka<br />

Klavierkonzert Nr. 4 [Polnische<br />

Nationaltänze, op. 3 (Exzerpte) u. a.]<br />

François Xavier Poizat, Klavier (k. A.)<br />

Philharmonisches Orchester Poznan,<br />

Ltg.: Lukasz Borowicz<br />

Naxos 8.572637<br />

H ÖREINDRUCK<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤➅<br />

Periodisch wiederholte Metren sind<br />

ein konventionelles Zeit-Konzept<br />

von Musik oder griechisch: Rhythmus.<br />

Daraus entstehende narrative<br />

Strukturen werden von Komponisten<br />

der Gegenwart ignoriert oder zumindest<br />

verdrängt, wenn sie für ihre<br />

Klavierwerke Zeit neu erfinden. Diesem<br />

Phänomen hat sich die französische<br />

Pianistin Florence Cioccolani<br />

in einem paradigmatischen Programm<br />

zugewandt. Historisch am<br />

ältesten in dieser Kollektion sind die<br />

„Douze Notations“ (1945, rev.<br />

1985) von Pierre Boulez, Aphorismen,<br />

durch deren schnellen Wechsel<br />

von Clustern und Einzelsegmenten<br />

in Spannungsfeldern aus analytischen<br />

und emotionalen Sequenzen<br />

Florence Cioccolani mit bewusster<br />

Disziplin manövriert. Hier wie auch<br />

bei „Suonare“ (2006) von Bruno<br />

Mantovani sind avantgardistische<br />

Klangmodelle dominant, bei ihm <strong>als</strong><br />

Kleckse, die 18 Minuten (!) zwischen<br />

Diskant und tiefen Registern<br />

in verschiedenen Dichtegraden flackern.<br />

Kürzer bleibt Elliot Carter,<br />

dessen „Intermittences“ (2005) wie<br />

vage Schatten vorbeihuschen. Seine<br />

„Caténaires“ (Fahrleitungen, 2005)<br />

mit konstant schnellen Staccato-Skalen<br />

sind dann näher an linearer<br />

Zeitprogression. Ebenso das rasende<br />

Jazz-Ostinato in „Dos formas del<br />

tiempo“ (2002) von Martin Matalon,<br />

dessen abrupten Umschlag in<br />

kontemplative Tremoli Florence<br />

Cioccolani zum Überraschungseffekt<br />

entspannt. Ganz aufs perkussive Potenzial<br />

des Klaviers abgezirkelt sind<br />

die „Six Études d’après Piranèse“<br />

(1975) von André Boucourechliev.<br />

Zeit nicht <strong>als</strong> rhythmischer Puls, sondern<br />

das Klavier <strong>als</strong> Protagonist einer<br />

Vision abstrakter Klänge.<br />

Hans-Dieter Grünefeld<br />

e Temps Recréé /<br />

Neu erfundene Zeit<br />

Werke von Carter, Mantovani, Boulez,<br />

Matalon, Boucourechliev<br />

Florence Cioccolani,<br />

Klavier (Yamaha CFIII)<br />

Sisyphe 017 (Vertrieb: Musikwelt)<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹⑤➅<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤➅<br />

Michael Gees gehört zu den Pianisten,<br />

die sich nicht damit zufrieden<br />

geben wollen, immer nur das zu<br />

spielen, was der Komponist aufgeschrieben<br />

hat. Gees liebt die Kunst<br />

der Improvisation. Dass er sie auch<br />

beherrscht, kann man auf seiner<br />

jüngsten CD mit dem sinnreichen<br />

Titel „Improvisatie“ hören. Saties<br />

Musik haftet ja oft genug der Charakter<br />

des Improvisierten und<br />

Unabgeschlossenen an. Die „Danses<br />

à travers“ hat er in drei verschiedenen<br />

Versionen komponiert, und<br />

Gees fügt noch ein paar weitere improvisierte<br />

Versionen hinzu. Wie er<br />

dabei einen oder zwei Gedanken des<br />

jeweiligen Stücks aufgreift und weiterentwickelt,<br />

ist schon bemerkenswert,<br />

und man folgt ihm gerne bei<br />

seinen Gedankenflügen, die manchmal<br />

eine verblüffende Wendung<br />

nehmen. Seinem Anspruch, über<br />

Saties Musik nach den ihr innewohnenden<br />

Gesetzen zu improvisieren,<br />

wird Gees freilich nur teilweise<br />

gerecht. Der Klangrausch, in<br />

den er sich bei seiner Improvisation<br />

über die 4 Gnossienne hineinsteigert,<br />

dürfte dem Asketen Satie ziemlich<br />

fremd gewesen sein. Manch ein<br />

jazzig angehauchtes Extemporieren<br />

hat sicher mehr mit dem Jazzer Gees<br />

zu tun <strong>als</strong> mit dem genialen Franzosen.<br />

Aber letztlich darf Gees improvisieren,<br />

wie er lustig ist. Gekonnt<br />

und hörenswert ist es auf jeden Fall.<br />

Robert Nemecek<br />

Eric Satie<br />

Gnossiennes 1, 2, 5; Danses à travers; 1<br />

Gymnopédie u. a.<br />

Michael Gees, Klavier (k. A.)<br />

Challenge Classics 72512<br />

(Vertrieb: Sunny Moon)<br />

H<br />

105


H H ÖREINDRUCK<br />

JAZZ<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: -------------<br />

Bei polnischen Fachgazetten fungiert<br />

Leszek Mozdzer <strong>als</strong> farbighochglänzender<br />

Titel-Star, und in<br />

seiner Heimatstadt Danzig kann es<br />

schon einmal vorkommen, dass<br />

Werbeplakate für seine CDs gleich<br />

massenhaft an den Wänden kleben.<br />

Mit derlei Vorschusslorbeeren ausgestattet,<br />

besteht hierzulande eine<br />

recht hohe Erwartungshaltung für<br />

sein deutsches Solo-Debüt – freilich<br />

bei einem Label, das ihn bereits in<br />

Verbindung mit dem schwedischen<br />

Jazz-Bassisten Lars Danielsson präsentiert<br />

hat. Insofern weiß man<br />

bereits um Mozdzers Vorliebe für<br />

Klänge à la Chopin, wie er sie jahrelang<br />

in Polen erfolgreich praktizierte.<br />

Stilistisch bewegt sich Mozdzer<br />

heute dagegen eher in einem zeitlosen<br />

modernen Jazz europäischer<br />

Prägung. Einer der Ersten, die sich<br />

vom amerikanischen Vorbild früh zu<br />

lösen wussten, war Mozdzers Landsmann,<br />

der Pianist Krzysztof Komeda.<br />

Er ist es, dem Mozdzer dieses<br />

Album gewidmet hat. Komeda war<br />

bekannt dafür, dass er eine sehr<br />

bildhafte Sprache in seine Kompositionen<br />

hat einfließen lassen – was<br />

Wunder, angesichts der vielen Verpflichtungen,<br />

die Komeda <strong>als</strong> Filmkomponist<br />

hatte. Unvergessen sein<br />

Soundtrack zu dem Horrorthriller<br />

„Rosemaries Baby“, dessen schaurig-schönes<br />

Wiegenlied von Hauptdarstellerin<br />

Mia Farrow selbst gesungen<br />

wurde. Unter Mozdzers Händen<br />

gerät „Sleep Safe and Warm“<br />

zur romantisierten Blaupause für<br />

das weitere Programm auf dem Album,<br />

dessen Urheber seinen klassischen<br />

Hintergrund nicht verhehlen<br />

kann. Warum sollte er auch? Dass<br />

im Vergleich zu seinem Trio mehr<br />

weiche Konturen aufkommen, ist zu<br />

erwarten gewesen, schlägt Mozdzer<br />

doch hier melodiöse und warme<br />

Töne an. Tom Fuchs<br />

Leszek Mozdzer<br />

Komeda<br />

Leszek Mozdzer, Klavier (Steinway)<br />

ACT 9516-2<br />

(Vertrieb: edel:kultur)<br />

Interpretation: ❶❷❸❹⑤➅<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: -------------<br />

Ähnlich wie es seinerzeit mit dem<br />

schwedischen E.S.T. geschah, versucht<br />

man offensichtlich, das Tingvall<br />

Trio zur neuen, bewunderungswürdigen<br />

Kultband aufzubauen.<br />

Doch um ebenso populär zu werden<br />

wie der verstorbene Kollege Esbjörn<br />

Svensson, muss wohl noch einige<br />

Zeit ins Land gehen. Bei all dem verständlichen<br />

Säbelrasseln eines eh<br />

schon aufs Nischendasein eingerichteten<br />

Genres innerhalb einer gebeutelten<br />

Branche sollte nicht vergessen<br />

werden, dass es begeisternde Jazztrios<br />

mittlerweile in nicht zu übersehender<br />

Zahl gibt, und dies in nahezu<br />

jeder größeren deutschen Stadt.<br />

Sollten <strong>als</strong>o Sie, lieber Leser, beim<br />

nächsten Friseurbesuch in einem<br />

Hamburger Wochenmagazin dessen<br />

CD-Rubrik studieren und auf dieses<br />

Album stoßen, mögen Sie bitte die<br />

zu erwartenden Lobeshymnen <strong>als</strong><br />

geschickte Marketingkampagne enttarnen.<br />

Was bleibt <strong>als</strong>o unterm<br />

Strich über „Vägen“, das dritte Album<br />

des Tingvall Trios, zu sagen?<br />

Während sich Svensson und Co. seinerzeit<br />

<strong>als</strong> verkappte Rockband mit<br />

Ecken und Kanten verstanden, sind<br />

hier eher sanfte Vertreter eines<br />

klangpuristischen Popkammerjazz<br />

zu vernehmen. Stark und sensibel<br />

das Interplay, melodiös die Kompositionen,<br />

die allesamt von Pianist<br />

Martin Tingvall stammen. Es gibt<br />

tatsächlich auch einige bemerkenswerte<br />

Ausreißer zu notieren, die niem<strong>als</strong><br />

von E.S.T. hätten stammen<br />

können: das hymnische „Efrer Livet“<br />

etwa, das mit Tingvalls kraftvoller<br />

Linken entfernt an McCoy Tyner erinnert,<br />

oder das an die bereits aus<br />

dem Album „Norr“ bekannte Spanien-Motivik<br />

andockende „Sevilla“.<br />

Tom Fuchs<br />

Tingvall Trio<br />

Vägen<br />

Martin Tingvall, Klavier (Fazioli Grand<br />

<strong>Piano</strong> F278); Omar Rodriguez Calvo,<br />

Bass; Jürgen Spiegel, Drums<br />

Skip SKP 9170<br />

(Vertrieb: Soulfood)<br />

Interpretation: ❶❷❸❹⑤➅<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: -------------<br />

Auf diesem Album scheinen viele<br />

Passagen so perfekt aufeinander<br />

abgestimmt, dass der Gruppenklang<br />

nur das Ergebnis konstanten Austauschs<br />

sein kann. Bereits auf dem<br />

Vorgänger, „Kyrill“, arbeiteten sie<br />

zusammen: der sich sämtlichen<br />

Klangschablonen entziehende deutsche<br />

Pianist Achim Kaufmann, der<br />

stets für sich verändernde Grundierungen<br />

voll rhythmischer Überraschungen<br />

sorgende Schlagzeuger<br />

Jim Black und der mit oft unerwartet<br />

ins Geschehen fallenden Klangtupfern<br />

agierende isländische Bassist<br />

Valdi Kolli. Zwar ist dieses Konzept,<br />

Begleit- und Solistenrolle zu<br />

ignorieren und jedem Triomitglied<br />

die Aufgabe zu geben, beides gleichzeitig<br />

zu sein, seit Bill Evans nicht<br />

mehr so ganz neu, auch wenn sich<br />

diese Idee mit am überzeugendsten<br />

im zweiten großen Miles-Davis-<br />

Quintett verwirklicht hat. Doch dieser<br />

Hinweis soll gelten, um sprachlich<br />

zu vermitteln, wie dieses Trio<br />

klingt: Man stelle sich das noch sehr<br />

junge Miles-Team mit Hancock,<br />

Carter und Williams vor, das mit<br />

der sensiblen Introvertiertheit eines<br />

Bill Evans agiert und um das Wissen<br />

langjähriger Interaktion verfügt.<br />

Sämtliche Kompositionen stammen<br />

von Kaufmann, wobei der Brauch,<br />

Chorus für Chorus durchzuarbeiten,<br />

hier gründlich ad absurdum geführt<br />

wird. Kaufmann bedient sich des eigenen<br />

Materi<strong>als</strong> aus einer merkwürdigen<br />

Distanz heraus, indem er es<br />

mal komprimiert, mal dreht und<br />

wendet, sich dabei an Überkommenes<br />

erinnert, um dann ungerührt<br />

weiterzuschreiten. Kryptische, beunruhigende,<br />

ja teils bedrohliche Welten<br />

tun sich auf. Und Beunruhigung<br />

hat schon immer zum Nachdenken<br />

aufgefordert. Nichts anderes soll der<br />

geneigte Hörer leisten.<br />

Tom Fuchs<br />

Achim Kaufmann<br />

Verivyr<br />

Achim Kaufmann, Klavier (Steinway B<br />

211), Valdi Kolli, Bass; Jim Black,<br />

Drums<br />

Pirouet PIT3057<br />

106 5 . 11


KURZKRITIKEN<br />

5 . 11<br />

Die in Japan geborene<br />

Pianistin<br />

Madoka Inui hat<br />

ihre Studien in<br />

Wien absolviert<br />

und Wien auch<br />

<strong>als</strong> Wahlheimat<br />

behalten. Neben<br />

einer Kammermusikreihe<br />

mit Mitgliedern der Wiener<br />

Philharmoniker spielte sie bei Naxos zuvor<br />

bereits die Solo-Fantasien für Klavier von<br />

Hummel ein, jetzt legt sie Hummels Variationen<br />

und Bearbeitungen berühmter<br />

Opernthemen<br />

vor. Trotz Hummelseindrucksvoller<br />

Biographie<br />

– Mozart- und Salieri-Schüler,<br />

Haydns Kapellmeister-Nachfolger<br />

in Eisenstadt,<br />

Die auf dieser CD<br />

zusammengestellten<br />

Klaviersonaten<br />

zu vier Händen aus<br />

Mozarts Feder gehören<br />

zu den schwersten<br />

und monument<strong>als</strong>ten,<br />

die der<br />

Komponist geschrieben hat. Manchmal<br />

streift er die Grenzen des auf den Klavieren<br />

seiner Zeit Machbaren. Wenn Marie<br />

& Veronica Kujken auf Kopien eines<br />

<strong>Piano</strong>fortes von 1788 (Johann Andreas<br />

Stein) spielen,<br />

dann wird freilich<br />

auch deutlich,<br />

dass orchestraleKlangeffekte<br />

ebenso<br />

möglich sind wie<br />

virtuoses Spiel,<br />

das Mozart den<br />

Spielern in ungewöhnlich<br />

hohem<br />

Maße abverlangt.<br />

Beides be-<br />

Johann Nepomuk<br />

Hummel: At the<br />

opera<br />

Variationen über<br />

Opernarien von Mozart,<br />

Gluck, Cherubini<br />

Madoka Inui, Klavier<br />

(Bösendorfer)<br />

Naxos 8.572736<br />

Konkurrent Beethovens in Wien, Vorbild<br />

Schumanns und Chopins – ist sein umfangreiches<br />

Werk nie aus dem Schatten<br />

der anderen getreten. Madoka Inui gewinnt<br />

der Musik technisch wie musikalisch<br />

ihr Bestes ab, doch bleibt Hummels<br />

Musik – anders <strong>als</strong> bei den Fantasien<br />

– eher eine Virtuosenschau <strong>als</strong> strukturell<br />

und harmonisch interessant.<br />

Isabel Fedrizzi<br />

Wolfgang Amadeus<br />

Mozart<br />

Sonaten für vier Hände<br />

Sonate D-Dur KV 448, F-<br />

Dur KV 497, C-Dur KV<br />

521<br />

Marie & Veronica<br />

Kujken, Klavier<br />

(Johann Andreas Stein-<br />

Kopie von 1899)<br />

Challenge Classics<br />

72363<br />

(Vertrieb: SunnyMoon)<br />

herrschen die seit vielen Jahren <strong>als</strong> Duo<br />

auftretenden Schwestern glänzend, und<br />

es bereitet große Freude, ihnen dabei<br />

zuzuhören, wie sie sich die Bälle zuspielen.<br />

Die Klangqualität der CD ist ausgezeichnet,<br />

die Texte im Beiheft sind informativ.<br />

Eine runde Sache.<br />

Robert Nemecek<br />

H ÖREINDRUCK<br />

Der 1985 geborene<br />

französische<br />

Pianist Tristan<br />

Pfaff hat viele<br />

Preise bei internationalenKlavier-Wettbewerbenabgeräumt<br />

und trotz<br />

seiner jungen Jahre mit namhaften Orchestern<br />

und Dirigenten zusammengearbeitet.<br />

Studiert hat er am Pariser Konservatorium,<br />

unter anderem bei Michel<br />

Béroff. Auf seiner<br />

zweiten CD präsentiert<br />

er Klavierwerke<br />

von Franz<br />

Liszt, deren Auswahl<br />

und Zusammenstellung<br />

sich<br />

dem Hörer nicht<br />

recht erschließt.<br />

Obwohl Pfaff sein<br />

Franz Liszt<br />

Ungarische Rhapsodie<br />

Nr. 15; Liebestraum Nr.<br />

3; Consolation Nr. 3;<br />

Venezia e Napoli u. a.<br />

Tristan Pfaff, Klavier<br />

(Steinway & Sons)<br />

Aparté (AP019)<br />

(Vertrieb: Musikwelt)<br />

Handwerk beherrscht, fehlt seinen Interpretationen<br />

das „(be)zwingende Etwas“<br />

und – vor allem – der eigene unverwechselbare<br />

Ton. Und so erweckt dieses<br />

CD-Projekt den Eindruck, <strong>als</strong> hätten der<br />

Pianist und das Label sich gesagt: „Es ist<br />

Liszt-Jahr, da machen auch wir mal eine<br />

Liszt-CD.“ Auf diese Weise entstehen aber<br />

keine bleibenden Tondokumente, sondern<br />

allenfalls Bread-and-Butter-Aufnahmen.<br />

Burkhard Schäfer<br />

Zur Demonstration<br />

souveräner<br />

Virtuosität in seinenKlavierkonzertenbearbeitete<br />

Franz Liszt etwa<br />

vierzig Opern<br />

bzw. bestimmte<br />

Szenen daraus.<br />

Der US-amerikanische Pianist Steven<br />

Mayer hat sich aber nicht verleiten lassen,<br />

dass die „Wagner und Weber<br />

Transkriptionen“ zu einem Spektakel<br />

werden. Stattdes-<br />

sen baut er die<br />

orchestrale Aura<br />

der Ouvertüre zu<br />

„Tannhäuser“<br />

von Richard<br />

Wagner mit dy-<br />

Franz Liszt<br />

Wagner und Weber<br />

Transkriptionen<br />

Steven Mayer, Klavier<br />

(k. A.)<br />

Naxos 8.570562<br />

namischen Klangdifferenzierungen auf.<br />

Er beachtet den lyrischen Duktus der<br />

Romanze „O du mein holder Abendstern“,<br />

und maßvoll ist der stolze Gestus<br />

beim „Einzug der Gäste auf der Wartburg“,<br />

beide aus derselben Oper. Seine<br />

disziplinierte Haltung bewahrt Steven<br />

Mayer schließlich auch, wenn er sich der<br />

Ouvertüre zum „Freischütz“ von Carl<br />

Maria von Weber zuwendet, sodass seine<br />

Interpretationen dieses Repertoires ein<br />

durchdachtes Konzept erkennen lassen.<br />

Hans-Dieter Grünefeld<br />

Man hört sofort,<br />

dass hier ein Klavierduo<br />

spielt,<br />

das nicht gelegentlichzusammenfindet,sondern<br />

über Jahrzehnte<br />

an sich<br />

selbst gewachsen<br />

ist. Die in der Schweiz beheimateten<br />

Pianisten Adrienne Soós und Ivo Haag<br />

haben sich Claude Debussys frühe Werke<br />

für Klavierduo ausgewählt, wobei vor<br />

allem die Suite<br />

aus „Le Sacre du<br />

Printemps“ ein<br />

Höchstmaß an<br />

schwebender<br />

Leichtigkeit verlangt.<br />

Immer wieder<br />

wird die In-<br />

Claude Debussy<br />

Frühe Klavierwerke für<br />

Klavierduo<br />

Klavierduo Adrienne<br />

Soós und Ivo Haag,<br />

Klavier<br />

Naxos 8.572385<br />

tensität aber auch unmittelbar wieder<br />

zurückgenommen. Manchmal vermitteln<br />

die Pianisten, <strong>als</strong> wolle man sich für<br />

Sekundenbruchteile voreinander verstecken,<br />

um dann wieder wie von einem<br />

Lichtstrahl getroffen zusammen hervorzutreten.<br />

Ernst Hoffmann<br />

Eigentlich ist der<br />

klassische Pianist<br />

Emanuele Arciuli<br />

hier nur ausführendes<br />

Organ einer Reihe<br />

von Kompositionen<br />

und Motiven,<br />

die einige italienische<br />

und amerikanische Kollegen zum<br />

Monk’schen Thema „’Round Midnight“<br />

verfasst haben. Das Ganze wirkt in seiner<br />

Länge vor dem heimischen Stereo-<br />

Gerät recht langatmig und vermag wohl<br />

nur die profun-<br />

den Kenner von<br />

Uri Caine, Eric<br />

Reed und vielen,<br />

vielen anderen<br />

zu überzeugen.<br />

Arciuli reiht, pianistisch<br />

auf ho-<br />

Emanuele Arciuli<br />

’Round Midnight –<br />

Hommage to Thelonious<br />

Monk<br />

Stradivarius STR 33898<br />

(Vertrieb: Klassik<br />

Center)<br />

hem Niveau, Motiv an Motiv, ohne dass<br />

man lange Gelegenheit hätte, über das<br />

gerade Gehörte zu reflektieren. Da man<br />

jedoch im Grunde 22-mal hintereinander<br />

dieselbe Harmonik und Melodik über<br />

sich ergehen lassen muss, ist der Erkenntnisgewinn<br />

zu Monk und seinen offensichtlich<br />

euphorisierten Anhängern<br />

recht bald erschöpft.<br />

Tom Fuchs<br />

H<br />

107


H H H ÖREINDRUCK<br />

ÖREINDRUCK<br />

Natürlich wartet<br />

Garrick Ohlssons<br />

Beitrag zum<br />

Liszt-Jubeljahr<br />

nicht gerade mit<br />

programmatischerOriginalität<br />

auf. Immerhin<br />

koppelt der<br />

Amerikaner die berühmte, aberdutzendfach<br />

eingespielte Sonate in h-Moll mit<br />

der Fantasie und Fuge über den Choral<br />

„Ad nos, ad salutarem undam“. Das<br />

Werk hat Liszt ursprünglich für Orgel<br />

komponiert, von<br />

Ferruccio Busoni<br />

stammt die vorliegendeBearbeitung<br />

für Klavier.<br />

Dabei gäbe es in<br />

der neuen Musik<br />

einige Liszt-Reflexionen,<br />

gerade<br />

auch der Sonate.<br />

Franz Liszt<br />

Fantasie und Fuge über<br />

den Choral „Ad nos, ad<br />

salutarem undam“ (arr.<br />

von Ferruccio Busoni BV<br />

B 59); Sonate h-Moll<br />

Garrick Ohlsson,<br />

Klavier (Bösendorfer<br />

Imperial)<br />

Bridge Records 9337<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

Ohlssons Spiel ist dann am stärksten,<br />

wenn er im fragilen <strong>Piano</strong> impressionistisch<br />

anmutende Farbtupfer aus den<br />

Tasten perlen lässt. Damit punktet er in<br />

der Sonate h-Moll und nutzt zugleich<br />

seine Kenntnisse <strong>als</strong> Chopin-Interpret.<br />

Das ist klug. Und schon mehrfach erprobt.<br />

Marco Frei<br />

Das Album für<br />

gewisse Stunden!<br />

Nämlich für jene,<br />

in der ein gepflegterBackground<br />

lockere<br />

Unterhaltungen<br />

stimuliert, die<br />

dann womöglich<br />

ebenso „sophisticated“ ausfallen wie der<br />

lässige Groove, der sich – beispielsweise<br />

– über einem McCoy Tyner’schen Ostinato<br />

entspannt. Das ist in Bezug auf „Forward“<br />

des Tor-<br />

que-Trioskeineswegs abwertend<br />

gemeint. Keon<br />

Schalkwijk, <strong>Piano</strong>,<br />

Mathias Pol-<br />

Torque<br />

Forward<br />

Neuklang NCD4055<br />

(Vertrieb: SunnyMoon)<br />

ligkeit, Bass und Antoine Duijkers,<br />

Schlagzeug, meistern diese Kunst nämlich<br />

derart hochkarätig, dass auch konzentriert<br />

reingehört werden darf – überhaupt<br />

leisten sich die drei so viel griffige<br />

Ausgewogenheit, dass die CD schnell<br />

Ohrwurmcharakter annimmt. Sauber<br />

gestylt im Zusammenspiel heißt hier<br />

eben nicht banal geglättet. Zu wünschen<br />

wäre dem Trio dennoch eine nächste<br />

CD, die die letzte Nummer von „Forward“,<br />

ein Stück namens „Housemouse“,<br />

<strong>als</strong> stilistisches Sprungbrett nimmt, um<br />

sich in gewagtere Tiefen zu stürzen.<br />

Tom Fuchs<br />

Nicht immer sind<br />

ausgezeichnete<br />

Wettbewerbssieger<br />

auch wirklich<br />

die Besten. Julianna<br />

Avdeeva<br />

verwies beim<br />

Chopin-Wettbewerb<br />

2010 Ingolf<br />

Wunder auf den zweiten Platz. Der nun<br />

aber zeigt, mit welcher Reife und welchem<br />

Empfindungsreichtum er Chopins<br />

3. Klaviersonate und die Polonaise-Fantaisie<br />

op. 61 zu<br />

spielen fähig ist.<br />

Die Souveränität<br />

und Ausgeglichenheit<br />

im Klang<br />

mögen da fast an<br />

Pollini oder gar<br />

Michelangeli erinnern.<br />

Ingolf Wunder<br />

gehört aber<br />

auch zu den jüngeren<br />

Pianisten,<br />

Die Bedeutung<br />

der Musik von Arnold<br />

Schönberg<br />

für die klassische<br />

Moderne ist unstrittig.<br />

Wie sich<br />

sein individuelles<br />

Kompositionsprofil<br />

konsequent<br />

entwickelt hat, ist exemplarisch mit der<br />

Gesamtaufnahme seiner „Klavierwerke“<br />

nachvollziehbar. Denn die Expertin für<br />

Neue Musik Pi-Hsien Chen hat diese<br />

Kompositionen<br />

in chronologischer<br />

Folge geordnet,<br />

sodass<br />

man von spätromantischen<br />

(1894) über expressionistische<br />

(1909) bis zu ab-<br />

Frédéric Chopin<br />

Klaviersonate Nr. 3 b-<br />

Moll op. 58, Polonaise-<br />

Fantaisie a-Moll op. 61,<br />

Ballade Nr. 4 f-Moll op.<br />

52 u. a.<br />

Ingolf Wunder, Klavier<br />

(Steinway)<br />

Deutsche<br />

Grammophon 477<br />

9634<br />

(Vertrieb: Universal)<br />

die Chopin weit dramatischer zu spielen<br />

bereit sind, <strong>als</strong> es über Jahrzehnte vor<br />

allem bei jungen Pianisten üblich war.<br />

Ernst Hoffmann<br />

Arnold Schönberg<br />

Klavierwerke<br />

Pi-Hsien Chen, Klavier<br />

(k. A.)<br />

Hat [now] ART 184<br />

(Vertrieb:<br />

Harmonia Mundi)<br />

strakten (1920) und reduktionistischen<br />

(1929) „Klavierstücken“ alle Stilphasen<br />

kennenlernen kann. Dabei hat Pi-Hsien<br />

Chen besonders auf die sonoren Eigenschaften<br />

dieser Werke geachtet und<br />

so ein vielleicht ebenso ungewöhnliches<br />

wie empathisches Hörverständnis ermöglicht.<br />

Hans-Dieter Grünefeld<br />

Ein Eintrag ins<br />

Guinness-Buch<br />

der Rekorde war<br />

Nico Brina sicher,<br />

<strong>als</strong> er mit 608 Anschlägen<br />

pro Minute<br />

mit der linken<br />

Hand den<br />

schnellsten Boogie<br />

Woogie der Welt herunterhämmerte.<br />

Hört man sich dieses Album an, so ist<br />

man sich über weite Strecken jedoch<br />

nicht sicher, ob dieser Wettbewerb inzwischen<br />

beendet<br />

wurde. Mit<br />

Rock’n’Roll aufgewachsen,<br />

ist<br />

dem Schweizer<br />

Pianisten die<br />

Nico Brina<br />

Who Cares, Just Boogie<br />

(zu beziehen unter<br />

www.brina.ch)<br />

Verschmelzung mit dem Blues eine<br />

Herzensangelegenheit. Ohne Zweifel<br />

wurzeln Kraft, Dynamik und Spielfreude<br />

in der Kombination von beiden. Zeitweise<br />

scheint es, <strong>als</strong> seien die Gesetze technischer<br />

Spielbarkeit außer Kraft gesetzt. Zu<br />

dritt swingt man sich durchs Repertoire,<br />

ohne dass der Hörer zu Hause davon unberührt<br />

bleiben könnte. Und dies scheint<br />

angesichts der Tatsache, dass Boogie<br />

Woogie eine Musik ist, die man unbedingt<br />

live erleben sollte, die eigentliche<br />

Überraschung dieses formidablen Albums.<br />

Tom Fuchs<br />

Miki Yumihari<br />

wurde in Japan<br />

geboren, studierte<br />

in London und<br />

in New York an<br />

der Juilliard<br />

School. Seit vielen<br />

Jahren pendelt<br />

die Pianistin, deren Markenzeichen es<br />

ist, immer barfuß zu spielen, zwischen<br />

Wien und Japan. Für ihre CD hat sie ein<br />

Programm ausgesucht, das weniger die<br />

Technikerin <strong>als</strong> vielmehr eine empfindsame<br />

Interpretin<br />

fordert. Mit Eleganz<br />

laviert Miki<br />

Yumihari sich<br />

durch Thema<br />

und Variationen<br />

über den Namen<br />

ABEGG. Zart und<br />

ruhig spielt sie<br />

Schumanns Kin-<br />

Robert Schumann<br />

Thema und Variationen<br />

über den Namen ABEGG<br />

op. 1, Kinderszenen op.<br />

15, Fantasie C-Dur op.<br />

17, Widmung<br />

Miki Yumihari, Klavier<br />

(Steinway D)<br />

Camerata CM-28198<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

derszenen, ohne kitschiges Pathos, leicht<br />

und anrührend melancholisch, so dass<br />

man es auch nicht leid wird, den<br />

Dauerklassiker „Träumerei“ zu hören.<br />

„Durchaus phantastisch und leidenschaftlich<br />

vorzutragen“, diese Anweisung<br />

für den ersten Satz der Fantasie C-<br />

Dur op. 17 könnte <strong>als</strong> Motto über dem<br />

gesamten Werk stehen, doch fehlt es Yumihari<br />

an Risikofreude – zu brav erscheint<br />

ihre Version. Ein wenig davon<br />

holt sie dann aber wieder in der „Widmung“<br />

nach und verwandelt das Stück<br />

in eine stürmische Liebeserklärung.<br />

Anja Renczikowski<br />

108 5 . 11


5 . 11<br />

Angesichts der<br />

Flut an ideenlos<br />

und beliebig sich<br />

gleichenden Einspielungen,<br />

die<br />

im Liszt-Jubeljahr<br />

den Klassikmarkt<br />

überrollt, ist jedes<br />

noch so kleine<br />

andere Detail ein willkommener Rettungsring.<br />

Ein solches Detail hat nun Michele<br />

Campanella vorgelegt: Seine Aufnahme<br />

von späten Klavierwerken hat er<br />

auf einem Bech-<br />

stein-Flügelrealisiert, der einstm<strong>als</strong><br />

Liszt gehörte.<br />

Tod und Verklärung<br />

ist das<br />

zentrale Thema.<br />

Häufig ist die Tonsprache<br />

reduziert<br />

und umdüstert.<br />

Weil sich Campanella<br />

viel Zeit und<br />

Raum schenkt<br />

Franz Liszt<br />

„Historische ungarische<br />

Bildnisse“; „V<strong>als</strong>es<br />

oubliées“; „Sancta<br />

Dorothea“; „Carrousel<br />

de Mmw P-N“;<br />

„Resignazione“;<br />

„Romance oubliée“;<br />

„Toccata“ u. a.<br />

Michele Campanella,<br />

Klavier (Bechstein Nr.<br />

247)<br />

Brilliant Classics<br />

94148<br />

und die Stille nicht scheut, erwachsen<br />

vielfach atmosphärisch dichte Befragungen,<br />

die Liszt <strong>als</strong> kühnen Neuerer<br />

ausweisen. Der ausgeprägte Eigenklang<br />

des historischen Instruments macht zudem<br />

das Sphärisch-Zwischenweltliche<br />

unmittelbar hörbar.<br />

Marco Frei<br />

Das späte Klavierwerk<br />

von Johannes<br />

Brahms auf<br />

einem, in diesem<br />

Fall sogar auf<br />

zwei verschiedenen<br />

historischen<br />

Flügeln zu hören,<br />

kann in gewissem<br />

Sinne auch eine Herausforderung sein.<br />

Der Schmelz eines modernen Instrumentes<br />

lindert die ein oder andere Härte<br />

und Wucht mancher Fantasie oder manchesIntermez-<br />

zos. Dennoch hat<br />

sich Hardy Rittner<br />

entschlossen,<br />

dem authentischen<br />

Klang<br />

nachzuspüren,<br />

indem er einen<br />

von Brahms bevorzugten<br />

Flügel<br />

Johannes Brahms<br />

Klavierstücke op.<br />

116–119<br />

Hardy Rittner, Klavier<br />

(Streicher, 1870;<br />

Schweighofer,<br />

1876/77)<br />

MDG 904 1680-6<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

der Firma Streicher von 1870 und einen<br />

nicht weniger reizvollen Schweighofer-<br />

Flügel von 1876 einsetzt. Dabei behält er<br />

sich vor, das jeweilige Instrument dem<br />

Charakter der Stücke entsprechend auszuwählen.<br />

Größtmögliche Transparenz<br />

und Ruhe kommen dabei den Bedingungen<br />

besonders entgegen.<br />

Ernst Hoffmann<br />

H H ÖREINDRUCK<br />

ÖREINDRUCK<br />

Transkriptionen für<br />

Klavier zu vier Händen<br />

beförderten die<br />

Popularität von<br />

Kompositionen. So<br />

auch zwei Zyklen<br />

von Johannes<br />

Brahms, die Brigitte<br />

Engerer und Boris Berezovsky zusammengebracht<br />

haben. In den (ursprünglich<br />

für Gesangsquartett und Klavierbegleitung<br />

komponierten) „Liebeslieder-<br />

Walzern“ erkennen sie durchaus deutlich<br />

Ironie und in den<br />

Vokalversionen<br />

kaschiertes Temperament.Charme<br />

geben sie den<br />

„Zehn Ungarischen<br />

Tänzen“,<br />

die im Duo doch<br />

beachtliche Ver-<br />

Johannes Brahms<br />

Liebesliederwalzer; Zehn<br />

Ungarische Tänze<br />

Brigitte Engerer & Boris<br />

Berezovsky, Klavier<br />

Mirare 134<br />

(Vertrieb: Harmonia<br />

Mundi)<br />

ve bekommen. Ein schönes Klavier-Diptychon.<br />

Hans-Dieter Grünefeld<br />

Diese CD muss<br />

man leider aus<br />

mehreren Gründen<br />

<strong>als</strong> Enttäuschungbezeichnen:<br />

Erstens ist<br />

die Aufnahmequalität<br />

derart<br />

schlecht, dass<br />

einem schon das dumpfe Klangbild den<br />

Hörgenuss verleidet. Zweitens stören die<br />

zahlreichen, vor allem unter dem Kopfhörer<br />

deutlich vernehmbaren Schnitte<br />

die Freude an<br />

der Musik. Drittens<br />

und viertens<br />

laden weder das<br />

süßlich-überzuckerte<br />

CD-Cover<br />

noch der dürftige<br />

Booklet-Text dazu<br />

ein, sich intensiver<br />

mit dem<br />

musikalischen<br />

Inhalt zu be-<br />

Franz Liszt<br />

Fantasie und Fuge über<br />

das Thema B-A-C-H<br />

(2. Fassung); „Litanei“;<br />

Variationen über<br />

„Weinen, klagen, sorgen,<br />

zagen“; Berceuse u. a.<br />

Gregorio Nardi, Klavier<br />

(Steinway D)<br />

Dynamic DM8017<br />

(Vertrieb: Klassik<br />

Center)<br />

schäftigen. Das alles ließe sich ja verschmerzen,<br />

wenn einen wenigstens die<br />

Interpretation der (im Liszt-Jahr gar<br />

nicht mehr so) „raren Klavierwerke“ für<br />

die Unannehmlichkeiten entschädigte.<br />

Dies ist aber leider nicht der Fall. Gregorio<br />

Nardi bietet allenfalls gediegenes<br />

Mittelmaß, teilweise sogar weniger <strong>als</strong><br />

das. Nein, diese CD ist wahrlich kein<br />

substanzieller Beitrag zum Liszt-Jahr.<br />

Burkhard Schäfer<br />

Klaviertrio im<br />

Jazz ist eine traditionsreicheGattung.<br />

Da hat es<br />

alles schon mal<br />

gegeben. Josquin<br />

Rosset kann trotzdem<br />

noch etwas<br />

hinzufügen. Bei den zwölf Tracks dieser<br />

CD handelt es sich um improvisierte<br />

Musik, die klingt, <strong>als</strong> sei sie notiert. Das<br />

heißt, sie ist stringent in ihrer musikalischen<br />

Konzeption, es gibt keine Floskeln<br />

und keine abgedroschene Phraseologie:<br />

knackig kalkulierter<br />

Jazz. Das liegt<br />

unter anderem an<br />

dem unaufdringli-<br />

Die 12 Études d’<br />

exécution transcendente<br />

von Franz<br />

Liszt gelten <strong>als</strong> einer<br />

der anspruchsvollsten<br />

Klavierzyklen<br />

überhaupt – jede<br />

Etüde fordert andere<br />

heraus: Virtuosität, Balance, lyrisches<br />

Spiel. Die italienische Pianistin<br />

Mariangela Vacatello spielt hier die dritte<br />

und letzte Fassung der Sammlung ein,<br />

die 1852 veröf-<br />

fentlicht und von<br />

Lizst <strong>als</strong> einzig<br />

gültige angesehen<br />

wurde. Die<br />

Pianistin hat sich<br />

<strong>als</strong> Liszt-Interpretin<br />

bereits einen<br />

Rosset Meyer Geiger<br />

What happened<br />

Unit Rec. UTR 4266<br />

chen Klavierspiel und den scharf geschnittenen<br />

Co-Kompositionen, aber vor<br />

allem an dem variantenreichen Schlagzeugspiel<br />

von Jan Geiger. Wie überhaupt<br />

das Zusammenspiel dieser von Gabriel<br />

Meyer am Bass komplettierten Formation<br />

sich <strong>als</strong> besonders hörenswert erweist.<br />

So kann das improvisiert Notierte<br />

und das notiert Improvisierte immer wieder<br />

ins Ungewisse und Unbekannte hineinschillern:<br />

Modern Jazz, der sich verwandelt<br />

hat und nur seinem Gestus nach<br />

aus der Tradition kommt. Die Klangsprache<br />

ist eine komplett andere, nicht<br />

länger expressiv, eher abgeklärt unter<br />

den Sternen der Schweiz.<br />

Tom Fuchs<br />

Franz Liszt<br />

Études d’exécution transcendente<br />

Mariangela Vacatello,<br />

Klavier<br />

Brilliant Classics 94250<br />

Namen gemacht und wird ihrem Ruf<br />

hier mehr <strong>als</strong> gerecht: Das teuflisch<br />

schwere Mazeppa bewältigt sie spielerisch,<br />

das schwelgerische Ricordanza<br />

spielt sie poetisch schön und beschwört<br />

im Chasse-neige eisige Winterbilder.<br />

Technisch scheint Mariangela Vacatello<br />

keine Grenzen zu kennen, versteht sich<br />

aber auch auf leidenschaftliche und<br />

werktreue Interpretationen. Eine bemerkenswerte<br />

Künstlerin mit einer ebensolchen<br />

Liszt-Aufnahme.<br />

Isabel Fedrizzi<br />

H<br />

109


V V ORSCHAU<br />

Einige der für die kommende <strong>Ausgabe</strong> für Sie aufbereiteten Themen:<br />

Foto: Marco Borggreve<br />

Meisterkurs im Namen Edwin Fischers<br />

mit Elisabeth Leonskaja<br />

Vor zwei Jahren rief der in Potsdam lebende Pianist<br />

Alexander Untschi die „Potsdamer Sommerakademie“<br />

im Andenken an die legendären Meisterkurse Edwin Fischers<br />

im Potsdamer Marmorpalais wieder ins Leben.<br />

Im ersten Jahr hatte er dazu Paul Badura-Skoda eingeladen,<br />

der selbst noch bei dem legendären deutschen<br />

Pianisten Fischer Unterricht gehabt hat. Im vergangenen<br />

Jahr war Karl-Heinz Kämmerling nach Potsdam<br />

gefahren. In diesem Jahr nun war es die in Wien lebende<br />

russische Pianistin Elisabeth Leonskaja, die 11 ausgesuchte<br />

Studenten unterrichtete. Wir hörten bei der<br />

diesjährigen „Edwin Fischer Sommerakademie“ zu.<br />

Nami Ejiri<br />

Wenn man sich die zahlreichen Chinesen anschaut, die auf den<br />

Klaviermarkt drängen, vergisst man darüber oftm<strong>als</strong> die Japaner,<br />

die sich längst europäisch eingelebt haben, die längst entschieden<br />

haben, das, was sie beispielsweise in Deutschland<br />

erfahren und lernen durften, in Europa wie auch in Japan einem<br />

Publikum wieder näherzubringen. So etwa ist die Japanerin<br />

Nami Ejiri. Nami Ejiri ist kein Newcomer mehr, sie unterrichtet<br />

heute schon selbst <strong>als</strong> Dozentin an der Hochschule für Musik in<br />

Frankfurt am Main. Wir wollten von ihr wissen, wie sie sich integriert<br />

hat und wie sie ihre asiatischen Wurzeln mit ihrer europäischen<br />

Ausbildung verbindet.<br />

Foto: Carsten Dürer<br />

Denis Kozhukin<br />

Seit der 25-jährige Russe Denis Kozhukin den Brüsseler Königin<br />

Elisabeth Wettbewerb 2010 gewonnen hat, ist seine Karriere<br />

nicht mehr aufzuhalten. Als Student von so namhaften<br />

Pädagogen wie Dimitri Bashkirov und Claudio Martínez Mehner<br />

hatte er schon einige Erfolge zuvor aufzuweisen. Wie er<br />

über seine Position, seinen bisherigen Werdegang und die kommenden<br />

Jahre denkt, erfuhren wir in einem Gespräch mit ihm.<br />

Klaviergeschichte(n)<br />

Die Geschichte des modernen Klaviers ist mannigfaltig und<br />

immer wieder von Seitenentwicklungen beeinflusst worden.<br />

Wir werden in loser Folge nicht nur die Entwicklung der<br />

Klavierbaugeschichte bis zum heute bekannten Instrument<br />

betrachten, sondern auch die ungewöhnlichen Entwicklungen,<br />

die die Klavierbaugeschichte immer wieder genommen<br />

hat. Wir beginnen mit einem geschichtlichen Überblick.<br />

Die nächste erscheint<br />

am 4. November 2011.<br />

Foto: Carsten Dürer<br />

I MPRESSUM<br />

erscheint 6 x jährlich im<br />

STACCATO-Verlag<br />

Carsten Dürer<br />

Heinrichstr. 108 · 40239 Düsseldorf<br />

Herausgeber:<br />

Carsten Dürer<br />

Redaktion:<br />

Heinrichstr. 108 · 40239 Düsseldorf<br />

Tel.: 02 11 / 905 30 48 · Fax: 02 11 / 905 30 50<br />

Internet: http://www.pianonews.de<br />

info@staccato-verlag.de<br />

Leser-Service:<br />

dienstags & donnerstags 10 - 15 Uhr<br />

Heinrichstr. 108 · 40239 Düsseldorf<br />

Tel.: 02 11 / 905 32 38 · Fax: 02 11 / 905 30 50<br />

info@staccato-verlag.de<br />

Chefredakteur:<br />

Carsten Dürer<br />

(v.i.S.d.P.)<br />

Graphische Gestaltung:<br />

STACCATO-Verlag<br />

Mitarbeiter dieser <strong>Ausgabe</strong>:<br />

Rainer Brüninghaus, Ratko Delorko, Anna<br />

Fortunova, Marco Frei, Tom Fuchs,<br />

Hans-Dieter Grünefeld, Isabel Herzfeld,<br />

Ernst Hoffmann, Wolfgang Hülk,<br />

Robert Nemecek, Helmut Peters, Carina Prange,<br />

Anja Renczikowski, Manuel Rösler,<br />

Rafael Sala, Burkhard Schäfer, Martina Sommerer<br />

Anzeigenleitung:<br />

Heinrichstr. 108 · 40239 Düsseldorf<br />

Tel.: 02 11 / 905 30 48 · Fax: 02 11 / 905 30 50<br />

Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 3.<br />

Bankverbindung:<br />

Deutsche Bank AG Düsseldorf (BLZ: 300 700 24)<br />

Konto-Nr.: 8 51 23 45<br />

Satz:<br />

STACCATO-Verlag, Düsseldorf<br />

Belichtung:<br />

Printec Offset, Kassel<br />

Druck:<br />

Printec Offset, Kassel<br />

Copyright und Copyrightnachweis für alle<br />

Beiträge bei STACCATO-Verlag, Carsten Dürer.<br />

Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Vervielfältigungen<br />

jeglicher Art nur mit ausdrücklicher,<br />

schriftlicher Genehmigung des Verlags. Für<br />

unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos<br />

übernimmt der Verlag keine Gewähr. Namentlich<br />

gekennzeichnete Beiträge unserer Mitarbeiter<br />

stellen nicht unbedingt die Meinung der<br />

Redaktion dar.<br />

Einzelheftpreis:<br />

EUR 4,30<br />

Jahresabonnement<br />

(6 <strong>Ausgabe</strong>n):<br />

EUR 24,00 inkl. Versandkosten (Inland)<br />

Studenten- und Schülerabonnement<br />

(6 <strong>Ausgabe</strong>n):<br />

EUR 20,- inkl. Versandkosten (Inland)<br />

Auslandspreise auf Anfrage<br />

Vertrieb (Deutschland / Österreich):<br />

SI special-interest GmbH & Co. KG<br />

Nordenstr. 2<br />

64546 Mörfelden-Walldorf<br />

Vertrieb und Abonnements SCHWEIZ:<br />

modern music - Haas & Carnal<br />

T<strong>als</strong>trasse 2, CH - 3053 Münchenbuchsee<br />

Tel.: [0041] 31 / 869 55 77<br />

Fax: [0041] 31 /869 56 08<br />

E-Mail: hello@modernmusic.ch<br />

Abonnement-Service:<br />

PIANO<strong>News</strong>, Düsseldorf<br />

ISSN 1434-3592<br />

110 5 . 11


DAS GESCHENK für<br />

NEUE ABONNENTEN<br />

Die ersten 25 Neu-Abonnenten,<br />

die bis zum 18. Oktober 2011<br />

ein Jahres-Abonnement<br />

von bestellen, erhalten die hier<br />

abgebildete CD <strong>als</strong> Geschenk:<br />

Toru Takemitsu (1930–1996)<br />

Rain Tree Sketch<br />

Shin-Ichiro Ikebe (* 1943)<br />

„La terre est bleue<br />

comme une orange“ (1989)<br />

Keiko Fujiie (* 1963)<br />

On the Water’s Edge<br />

Saburo Moroi (1903–1977)<br />

Klaviersonate Nr. 2 (1940)<br />

Gerhard Oppitz, Klavier<br />

Hänssler Classics 93.631<br />

(Vertrieb: Naxos)<br />

STACCATO-Verlag<br />

c/o PIANO<strong>News</strong><br />

Heinrichstraße 108<br />

40239 Düsseldorf<br />

❏ Ich bestelle PIANO<strong>News</strong> für mindestens 6 <strong>Ausgabe</strong>n (1 Jahr) zum Preis von EURO 24,00<br />

inkl. Versandkosten (Preis nur für Inland).<br />

Das Abonnement verlängert sich automatisch um ein weiteres Jahr (6 <strong>Ausgabe</strong>n),<br />

wenn es nicht 2 Monate vor Ablauf schriftlich gekündigt wird.<br />

❏ Ich bestelle das Studenten- und Schüler-Abonnement: 6 Hefte zum Preis von EURO 20,- inkl.<br />

Versandkosten (Inland) (Kopie von Schüler-/Studenten-Bescheinigung füge ich bei).<br />

Das Abonnement verlängert sich automatisch um ein weiteres Jahr (6 <strong>Ausgabe</strong>n),<br />

wenn es nicht 2 Monate vor Ablauf schriftlich gekündigt wird.<br />

Name / Vorname<br />

Straße / Hausnummer<br />

PLZ / Ort<br />

Datum / Unterschrift<br />

❏ Ich bezahle mein Abonnement bequem und bargeldlos durch Bankeinzug von<br />

meinem Bank- / Postgirokonto.<br />

Konto-Nummer<br />

BLZ<br />

Geldinstitut / Ort<br />

❏ per Verrechnungsscheck (liegt bei)<br />

❏ nach Erhalt der Rechnung<br />

Ich erhalte das erste Heft, wenn der Rechnungsbetrag abgebucht bzw. eingegangen ist.<br />

Mir ist bekannt, dass ich diese Abonnement-Bestellung innerhalb von 10 Tagen schriftlich beim STACCATO-Verlag,<br />

Carsten Dürer, Heinrichstr. 108, 40239 Düsseldorf widerrufen kann. Zur Gewährung der Frist genügt die rechtzeitige<br />

Absendung des Widerrufs.<br />

Datum / 2. Unterschrift des Abonnenten / Auftraggebers<br />

Lesen Sie auch<br />

das Interview mit<br />

Gerhard Oppitz ab<br />

Seite 32 in dieser<br />

<strong>Ausgabe</strong>.<br />

FAX: + 49 (0)211 / 905 30 50 Ausfüllen, ausschneiden, abschicken!<br />

Abo - Bestellkarte<br />

PN 5/2011<br />

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!