Gestaltung der Zeit
Gestaltung der Zeit
Gestaltung der Zeit
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
„Endlich mal <strong>Zeit</strong> haben“, diesen Gedanken und<br />
tiefen Wunsch, endlich mal <strong>Zeit</strong> zu haben für alle<br />
Dinge, die immer liegen bleiben: für das Hobby, für<br />
Haus und Garten, für Freunde und Post, für Kreativität,<br />
für übergreifendes Engagement o<strong>der</strong> o<strong>der</strong> o<strong>der</strong>.<br />
Eine Urlaubszeit zu Hause kann fast je<strong>der</strong> gut gestalten<br />
und genießen. Wie lange man freie <strong>Zeit</strong> als<br />
bereichernden Freiraum nutzen kann o<strong>der</strong> wie<br />
schnell man bedrohliche, gähnende Leere empfindet,<br />
da hat wohl je<strong>der</strong> seine persönliche „Schmerzgrenze“.<br />
Oft hört man von Menschen, die mit dem<br />
Renteneintritt, Arbeitslosigkeit o<strong>der</strong> ähnlichen Situationen,<br />
(bei denen nicht Krankheit o.ä. zum zu Hause<br />
bleiben zwingt), wenn plötzlich jede Menge <strong>Zeit</strong><br />
einfach da ist und genutzt werden könnte, in ein<br />
tiefes Loch fallen. Die freie <strong>Zeit</strong> erstreckt sich unübersichtlich,<br />
unerbittlich, lähmend und sinnlos vor<br />
den Menschen. Und selbst zu den Dingen, die man<br />
immer schon tun wollte, fehlen <strong>der</strong> Antrieb und die<br />
Freude darauf. Na klar, Arbeit ist für viele Menschen<br />
ein sinngebendes Element und ihr Wegfallen kann<br />
zu einer Krise führen. Warum aber gelingt es nicht,<br />
sich aus <strong>der</strong> Lethargie zu befreien?<br />
Mein Denken über dieses Thema ist von <strong>der</strong> Transaktionsanalyse<br />
(TA) geprägt, mit <strong>der</strong> ich mich seit<br />
langem in Weiterbildung beschäftige. Je<strong>der</strong> Mensch<br />
hat laut Eric Berne, dem Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> TA, drei<br />
(psychologische) Grundbedürfnisse, nämlich nach<br />
Struktur (Strukturhunger), Stimulierung und Anerkennung.<br />
Auf die Grundbedürfnisse nach Stimulierung<br />
und nach Anerkennung gehe ich hier nun nicht<br />
ein, und denkt man u.a. an Spitz´ Säuglingsforschung<br />
ist für das Grundbedürfnis nach Stimulierung<br />
schon deutlich, was gemeint ist.<br />
Dass Kin<strong>der</strong> Struktur brauchen, ist jedem, <strong>der</strong> mit<br />
Kin<strong>der</strong>n je zu tun hatte, klar. Dass es sich aber um<br />
ein Grundbedürfnis handelt und damit für jeden<br />
Menschen, auch Erwachsene, existentiell wichtig ist,<br />
halte ich für einen interessanten Gedanken und eine<br />
wichtige These 2 . Denn damit ist nicht nur ein Recht<br />
auf Strukturgebung, son<strong>der</strong>n auch eine Notwendigkeit<br />
dazu sowie die zu erlernende Fähigkeit, für seine<br />
Befriedigung zu sorgen, verbunden. In <strong>der</strong> Folge<br />
bedeutet fehlende Struktur, dass ein Grundbedürfnis<br />
nicht befriedigt ist. Verfügt ein Mensch nicht über die<br />
Fähigkeit, dieses Bedürfnis zu befriedigen, kann es<br />
zu z.B. psychischen Störungen kommen.<br />
Berne beschreibt 6 Möglichkeiten <strong>der</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Zeit</strong> mit <strong>der</strong> grundlegenden Annahme, dass jede<br />
dieser Möglichkeiten ein Weg ist, unseren Struktur-<br />
Hunger zu befriedigen (allein wegen dieses schönen<br />
Begriffs lohnt es sich schon, sich mit <strong>der</strong> TA zu<br />
beschäftigen! ☺).<br />
2 Die These, ob das Bedürfnis nach Struktur wirklich<br />
ein Grundbedürfnis ist, wird innerhalb <strong>der</strong> TA diskutiert.<br />
Nichtsdestotrotz finde ich sie interessant und<br />
insofern berichtenswert.<br />
<strong>Gestaltung</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong><br />
Berne benennt als die 6 Arten <strong>der</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Zeit</strong> Rückzug, Rituale, <strong>Zeit</strong>vertreib, Aktivität,<br />
Psychologische Spiele und Intimität (im Sinne<br />
<strong>der</strong> TA). Kurz zu den Begriffen: Rückzug und Rituale<br />
verstehen sich von selbst. <strong>Zeit</strong>vertreib meint<br />
eine unverbindliche Unterhaltung, z.B. Partygespräche.<br />
Unter Aktivität versteht Berne eine sinnvolle<br />
und zielgerichtete Tätigkeit, z.B. Arbeit o<strong>der</strong> Hobbys.<br />
Mit psychologischen Spielen meint Berne eine Begegnung<br />
o<strong>der</strong> Beziehung, bei <strong>der</strong> ein unausgesprochenes<br />
o<strong>der</strong> uneingestandenes Motiv eine Rolle<br />
spielt und am Ende <strong>der</strong> Interaktion beide Seiten<br />
unzufrieden zurückbleiben (z.B. wie bei Loriots<br />
„Hermann, was machst du?“ „Ich mache nichts!“).<br />
Intimität im Sinne <strong>der</strong> TA meint eine offene, aufrichtige,<br />
uneigennützige und spielfreie Begegnung.<br />
Die unterschiedlichen Arten <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>strukturierung<br />
sollen nicht wertend betrachtet werden, keine <strong>der</strong><br />
Arten ist besser o<strong>der</strong> schlechter als die an<strong>der</strong>e. Die<br />
Wahl einer Art von <strong>Zeit</strong>strukturierung sowie auch die<br />
Zufriedenheit damit hängt von <strong>der</strong> Situation ab, in<br />
<strong>der</strong> man sich befindet, denn in je<strong>der</strong> Situation ist<br />
unterschiedliches angemessen. Auch bevorzugt<br />
je<strong>der</strong> Mensch mal mehr die eine Art und weniger die<br />
an<strong>der</strong>e. „Es besteht ein Unterschied, ob es sich z.B.<br />
um einen geschäftlichen Kontakt o<strong>der</strong> um eine Liebesbeziehung<br />
handelt. Die individuellen Muster <strong>der</strong><br />
<strong>Gestaltung</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> werden aus dem in <strong>der</strong> Kindheit<br />
Erlebten, vom Temperament und dem persönlichen<br />
Stil geprägt. („TransaktionsAnalyse“; G. Hennig und<br />
G. Pelz; Junfermann 2002, S. 68, 69).<br />
Sich darüber bewusst zu werden, welche Arten <strong>der</strong><br />
Strukturierung <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> man bevorzugt, kann anregend<br />
sein und man lernt sich ein bisschen besser<br />
kennen - auch dahingehend, ob man das Risiko<br />
menschlicher Nähe und Auseinan<strong>der</strong>setzung eingehen<br />
mag.<br />
Denn je nachdem, wie man bevorzugt seine <strong>Zeit</strong><br />
gestaltet, lässt man z.B. mehr o<strong>der</strong> weniger Nähe zu<br />
o<strong>der</strong> vermeidet das Risiko von Enttäuschung, Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
o.ä..<br />
In unserer Arbeit wird das oben genannte – neben<br />
dem Wissen um die Bedeutung von Struktur - für<br />
mich dann interessant, wenn das Modell zur Analyse<br />
verwendet wird und ich damit die Neigungen z.B.<br />
eines Kindes, die <strong>Zeit</strong> zu strukturieren, betrachte.<br />
Bleiben die Kontakte oft unbefriedigend? Spielt das<br />
Kind viele psychologische Spiele? Zieht es sich über<br />
die Maßen zurück? Wie könnte ich es anregen und<br />
ermutigen, das Risiko einzugehen, sich auf Nähe<br />
einzulassen? Welche Erfahrungen hat das Kind<br />
gemacht und welche Bedingungen muss ich ihm<br />
bieten, damit es wagen kann, ein Bedürfnis zu äußern?<br />
Das Modell ist Anregung für einen an<strong>der</strong>en<br />
Blick auf Menschen und insofern hilfreich, um neue<br />
Wege zu entdecken.<br />
Ausgabe 76 8 KIM
Literatur:<br />
„Die Transaktionsanalyse“; Ian Stewart, Vann Joines,<br />
Her<strong>der</strong> Spektrum 2002<br />
„TransaktionsAnalyse“; Gudrun Hennig, Georg Pelz,<br />
Junfermann 2002<br />
„Handbuch <strong>der</strong> Transaktionsanalyse“, Leonhard<br />
Schlegel, 2002<br />
Karen Heimberg<br />
Erziehungsleitung<br />
GfS Oldenburg