Beitrag lesen (pdf) [91 kB] - Resonanz Sprech
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Erschienen in: „sprechen“, Zeitschrift für <strong>Sprech</strong>wissenschaft - <strong>Sprech</strong>pädagogik<br />
– <strong>Sprech</strong>therapie – <strong>Sprech</strong>kunst, 1/1997, S.54-62<br />
Franziska Fuchs<br />
Umfrageerhebung zur sprechwissenschaftlichen<br />
Fachsprache während der DGSS-Tagung in Duisburg 1993<br />
Die Herausbildung und den Entwicklungsgang der sprechwissenschaftlichen<br />
Fachsprache habe ich in meiner DGSS-Abschlußarbeit von 1995 mit dem Titel:<br />
„Das Thema ‘<strong>Sprech</strong>en’ zwischen <strong>Sprech</strong>kunde und <strong>Sprech</strong>wissenschaft.<br />
Beobachtungen zur Entstehung einer Fachsprache“ zu skizzieren versucht. Um<br />
sich der sprechwissenschaftlichen Fachsprache in ihrer gegenwärtigen Präsenz<br />
und Anwendung zu nähern, diente eine Umfrage, die ich im Rahmen des<br />
Kongresses der Deutschen Gesellschaft für <strong>Sprech</strong>wissenschaft und<br />
<strong>Sprech</strong>erziehung (DGSS) durchgeführt habe. Das Thema der Fachtagung<br />
lautete "<strong>Sprech</strong>wissenschaft und Unternehmenskommunikation" und fand in<br />
Duisburg vom 23. bis 25. September 1993 statt.<br />
1. Vorüberlegung<br />
Es ergaben sich drei zu untersuchende Themenkomplexe, die sich auf folgende<br />
Fragestellungen konzentrieren lassen:<br />
1. Inwiefern prägt die sprechwissenschaftliche Fachsprache den Gemeinsprachgebrauch<br />
der Benutzer/Benutzerinnen?<br />
2. Gibt es eine Übereinstimmung bei der Benutzung von Fachtermini, so daß die<br />
fachsprachliche Anwendung ihre optimale Funktion erfüllt?<br />
3. Welche semantische Bedeutung wählen die Anwender/Anwenderinnen der<br />
sprechwissenschaftlichen Fachsprache bei Lexemen, die sowohl in der<br />
eigenen<br />
als auch in anderen Fachsprachen und in der Gemeinsprache verschiedene<br />
Bedeutungen haben?<br />
Es wurde versucht, die Fragen so zu formulieren, daß sie den Befragten einen<br />
möglichst großen Assoziationsfreiraum lassen, um so einen Einblick in den<br />
spontansprachlichen Gebrauch gewinnen zu können.
2. Fragebogen<br />
Der Fragebogen umfaßt insgesamt vier Fragen, wobei sich die ersten drei Fragestellungen<br />
jeweils auf die Umschreibung, Erklärung oder Definition eines<br />
Terminus beziehen. Das vierte Item bezieht sich auf das gruppenspezifische<br />
bzw. berufliche Selbstverständnis der Befragten:<br />
- Wie würden Sie die Tätigkeit "Hören" umschreiben?<br />
- Was verstehen Sie unter "<strong>Sprech</strong>denken"?<br />
- Wie würden Sie "Kommunikation" definieren?<br />
- Würden Sie sich bezeichnen als:<br />
<strong>Sprech</strong>erzieher/in / <strong>Sprech</strong>kundler/in<br />
<strong>Sprech</strong>erzieher/in / <strong>Sprech</strong>wissenschaftler/in<br />
Student/in der <strong>Sprech</strong>erziehung / <strong>Sprech</strong>wissenschaft<br />
oder keines von diesen<br />
Von der ersten Vorüberlegung ausgehend, wird nach dem gemeinsprachlichen<br />
Begriff "Hören", der in der sprechwissenschaftlichen Fachsprache keine<br />
ausdrücklich andere Bedeutung hat, gefragt. Innerhalb der <strong>Sprech</strong>wissenschaft<br />
gibt es allerdings den häufig angewandten Terminus "Hörverstehen". Es gilt im<br />
folgenden zu untersuchen, ob sich dieser Fachterminus verändernd auf den<br />
gemeinsprachlichen Begriff "Hören" auswirkt.<br />
Die zweite Frage bezieht sich auf den Fachterminus "<strong>Sprech</strong>denken"; da<br />
"<strong>Sprech</strong>-denken" bereits seit den Anfängen des Faches in der Fachlexik<br />
vorhanden ist, kann ein breites fachsprachliches Verständnis vermutet werden.<br />
2
Die dritte Frage soll Aufklärung darüber geben, ob die Benutzerinnen und Benutzer<br />
der sprechwissenschaftlichen Fachsprache bei der Definition des<br />
mittlerweile allgegenwärtigen Begriffs "Kommunikation" eher eine fachinterne<br />
oder eine andere Definition wählen.<br />
3. Fragebogenauswertung<br />
Selbstverständlich kann und soll mit dieser Umfrage kein repräsentativer<br />
Anspruch erhoben werden. Die Befragung dient lediglich dazu, einen kleinen<br />
Einblick in die Tendenzen der gegenwärtigen fachsprachlichen Benutzung zu<br />
gewinnen.<br />
An dieser Fachtagung haben ca. 250 Personen teilgenommen, davon erklärten<br />
sich 82 Teilnehmerinnen und Teilnehmer bereit, den Fragebogen stichpunktartig<br />
auszufüllen.<br />
3.1 Gruppenspezifische Zuordnung der Befragten<br />
Von den 82 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Umfrage, die mit der vierten<br />
Frage die Möglichkeit hatten, durch Ankreuzen sich selbst einer der vier<br />
beruflichen bzw. gruppenspezifischen Kategorien zuzuordnen, bezeichnen sich:<br />
6 als <strong>Sprech</strong>erzieher/in / <strong>Sprech</strong>kundler/in<br />
33 als <strong>Sprech</strong>erzieher/in / <strong>Sprech</strong>wissenschaftler/in<br />
22 als Student/in der <strong>Sprech</strong>erziehung / <strong>Sprech</strong>wissenschaft<br />
21 als keines von diesen.<br />
Da der Fragebogen keine Altersangaben beinhaltet, läßt sich nur vermuten, daß<br />
es sich ersten Gruppe (<strong>Sprech</strong>erzieher/<strong>Sprech</strong>kundler) um eine Berufsbezeichnung<br />
handelt, die wohl vor allem die älteren Teilnehmer gewählt haben.<br />
Die vierte Gruppe (keines von diesen) umfaßt sprechwissenschaftlich<br />
interessierte Laien, wie z. B. Unternehmensberater, Wirtschafts- und<br />
Geisteswissenschaftler sowie Vertreter aus den Bereichen Verwaltung, Medien<br />
und Kirche. Im folgenden werde ich diese Gruppe zusammenfassend als<br />
fachsprachliche Laien bezeichnen.<br />
3
3.2. Zum Begriff "Hören"<br />
Die Antworten auf die Frage "Wie würden Sie die Tätigkeit 'Hören'<br />
umschreiben?" lassen sich im wesentlichen in drei Kategorien einteilen. Die erste<br />
Kategorie der Antworten läßt sich mit "physiologischen Definitionen"<br />
umschreiben. Hierunter fallen Antworten, wie z. B.: "Hören ist das Aufnehmen<br />
akustischer Reize über die Rezeptoren des Ohres" oder "Wahrnehmung<br />
akustischer Signale durch das Gehör".<br />
Die zweite Kategorie der Antworten läßt sich mit "menschlichem Verstehen"<br />
umschreiben. Hierunter fallen Antworten wie z. B.: "Dabeisein - zuhören<br />
- mitdenken, den /die anderen verstehen" oder "konzentriert 'hörverstehend' dem<br />
'<strong>Sprech</strong>denken' folgend, im mitdenkenden Nachvollzug" oder "Zuhören: aktiver<br />
Vorgang unter Berücksichtigung der <strong>Sprech</strong>situation".<br />
Die dritte Aussageart der Antworten läßt sich als eine Verbindung der beiden<br />
oben genannten Kategorien beschreiben. Sie wird deshalb hier mit<br />
"physiologischer Definition und menschlichem Verstehen" bezeichnet, wie z.B.:<br />
"Schallwellen wahrnehmen, Laute auswerten, aktives Hinhören und Mitdenken"<br />
oder "aktives Sinngestalten akustischer Phänomene, Wahrnehmen dessen, was<br />
verbal und nonverbal gesagt wird, um den anderen zu verstehen".<br />
Wie würden Sie die Tätigkeit "Hören" umschreiben?<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
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<strong>Sprech</strong>wissenschaftler<br />
<strong>Sprech</strong>kundler Studenten Fachl. Laien<br />
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physiologische<br />
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Definition<br />
menschliches<br />
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Verständnis<br />
phys. Definit. +<br />
<br />
mensch.Verst.<br />
Sonstiges<br />
Die Gruppe der <strong>Sprech</strong>wissenschaftler hat zu 24 % eine physiologische<br />
Definition gegeben, zu 33 % hat sie "Hören" mit "menschlichem Verstehen"<br />
4
umschrieben, und die größte Gruppe von ihnen mit 43 % hat ihre Antworten mit<br />
beiden Kategorien beantwortet.<br />
Bei den <strong>Sprech</strong>kundlern liegt der Schwerpunkt mit 50 % eindeutig auf dem<br />
"menschlichen Verstehen", gefolgt von der doppelten Begriffsbestimmung<br />
"physiologische Definition und menschliches Verstehen" mit 34 %, und nur 16 %<br />
der <strong>Sprech</strong>kundler haben eine rein "physiologische Definition" gegeben.<br />
Diametral entgegengesetzt liegt der Schwerpunkt innerhalb der sprechwissenschaftlichen<br />
Studentenschaft. Sie haben zum größten Teil, nämlich zu 46 %,<br />
eine "physiologische Definition" von Hören und zu 27 % eine Kombination aus<br />
"physiologischer Definition und menschlichem Verstehen" gegeben, und nur ein<br />
kleiner Teil mit 18 % stellt das "menschliche Verstehen" in den Vordergrund.<br />
Innerhalb dieser Gruppe gibt es noch 9 % Antworten, die sich unter keine der<br />
drei Aussageklassen einordnen lassen.<br />
Die Gruppe der fachsprachlichen Laien ist gekennzeichnet durch zwei mit 38 %<br />
gleichgewichtete Kategorien. Dies betrifft zum einen die Kategorie der "physiologischen<br />
Definition" und zum anderen die Doppelkategorie "physiologische<br />
Definition und menschliches Verstehen".<br />
Zunächst ist auffallend, daß das Hauptgewicht innerhalb der drei<br />
fachsprachlichen Gruppen jeweils in einer anderen Kategorie zu finden ist. Bei<br />
den <strong>Sprech</strong>wissen-schaftlern liegt das Hauptakzent auf der doppelten Kategorie<br />
"physiologische Definition und menschliches Verstehen" (43%), bei den<br />
<strong>Sprech</strong>kundlern auf dem "menschlichen Verstehen" (50%) und bei den<br />
Studenten liegt die Betonung auf der "physiologischen Definition" (46%).<br />
Berücksichtigt man jedoch, daß in der Doppelkategorie jeweils beide Definitionen<br />
genannt werden und ordnet man diese Doppelkategorie den jeweils einzelnen<br />
Kategorien zu, verändert sich das Bild. Bei den <strong>Sprech</strong>wissenschaftlern liegt<br />
dann der Schwerpunkt zu Dreiviertel und bei den <strong>Sprech</strong>kundlern zu Vierfünftel<br />
auf dem "menschlichen Verstehen". Anders bei den Studenten und<br />
fachsprachlichen Laien, dort liegt die Gewichtung mit knapp Dreiviertel und gut<br />
Vierfünftel bei den fachsprachlichen Laien auf der "physiologischen Definition".<br />
5
Die physiologische Definition von "Hören" deckt sich mit der gegenwärtigen<br />
gemeinsprachlichen Definition. "Hören" ist laut Gesundheits-Brockhaus (1972)<br />
definiert als "eine Sinnesfunktion des Ohres, die Fähigkeit des Gehörs Schall<br />
aufzunehmen". Dieses gegenwärtige Begriffsverständnis ist vor allem bei den<br />
Studenten und fachsprachlichen Laien wiederzufinden.<br />
Im Gegensatz dazu ist zu sehen, daß der fachsprachliche Hintergrund bei den<br />
<strong>Sprech</strong>wissenschaftlern und <strong>Sprech</strong>kundlern einen starken Einfluß auf ihr Verständnis<br />
vom gemeinsprachlichen Wort "Hören" hat. Sicherlich wirkt sich hier der<br />
in der <strong>Sprech</strong>wissenschaft häufig angewandte Fachterminus "Hörverstehen" aus.<br />
Der Terminus steht als Komplementärbegriff zu "<strong>Sprech</strong>denken". Die fachsprachliche<br />
Kompositabildung "Hörverstehen" soll ausdrücken, daß bei einem<br />
menschlichen Kommunikationsvorgang nicht das ungerichtete und passive<br />
Hören akustischer Signale genügt, sondern aktives Verarbeiten und Verstehen,<br />
d.h. aktives Sinngestalten der verbalen und auch der nonverbalen Mitteilungen<br />
nötig ist.<br />
Zuhören heißt, seine Hör-Aufmerksamkeit auf etwas richten; heißt sich hörend<br />
konzentrieren. Erst dann kann es zum nächsten Schritt kommen: Zum Verstehen<br />
des Gehörten. In der Fachsprache nennt man diesen dritten Schritt: Hörverstehen.<br />
Hörverstehen ist das Verarbeiten des Gehörten im Kopf. (Geißner 1985:6)<br />
3.3. Zum Begriff "<strong>Sprech</strong>denken"<br />
Die Antworten auf die Frage "Was verstehen Sie unter '<strong>Sprech</strong>denken'?" lassen<br />
sich in sprechwissenschaftlich fachliche und nicht fachliche Definitionen einteilen.<br />
Als fachliche Definitionen gelten Antworten, wie z. B.: "Dialektischer Vorgang des<br />
Denkens während des <strong>Sprech</strong>ens und des <strong>Sprech</strong>ens während des Denkens"<br />
oder "<strong>Sprech</strong>denken ist der Vorgang des simultanen und sukzessiven Ablaufs<br />
von Denken und <strong>Sprech</strong>en. Dabei werden innersprachlich programmierte<br />
Vorstellungen (vgl. Wygotski, Barthel) oder kommunizierende Vorstellungen<br />
(Drach) in phonetische Abläufe umgesetzt" oder auch prägnant mit Kleists Essay<br />
gesprochen: "Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden".<br />
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100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
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Was verstehen Sie unter "<strong>Sprech</strong>denken"?<br />
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<strong>Sprech</strong>wissenschaftler<br />
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<strong>Sprech</strong>kundler<br />
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Studenten Fachl. Laien<br />
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fachliche<br />
<br />
Definition<br />
<br />
andere<br />
Definitionen<br />
78,5 % der <strong>Sprech</strong>wissenschaftler und 17 % der <strong>Sprech</strong>kundler sowie 68,5 %<br />
der Studenten und 19 % der fachsprachlichen Laien haben zu dem Terminus<br />
"<strong>Sprech</strong>denken" eine fachliche Definition gegeben.<br />
Wie zu erwarten war, hat der größte Teil der <strong>Sprech</strong>wissenschaftlerinnen und<br />
<strong>Sprech</strong>wissenschaftler (78,5%) den Fachbegriff "<strong>Sprech</strong>denken" gemäß der<br />
Fachsprache definiert. Auch bei dem überwiegenden Teil der Studentenschaft<br />
(68,5%) ist diese fachsprachliche Definition präsent.<br />
Gänzlich unerwartet war das Definitionsverhalten der <strong>Sprech</strong>kundler, nur 17 %<br />
haben eine fachliche Definition gegeben, obwohl dieser Fachterminus seit<br />
Drachs "<strong>Sprech</strong>erziehung" von 1922, also seit den Anfängen des Faches<br />
durchgehend in der Fachliteratur zu finden ist.<br />
Überraschenderweise haben 19 % der fachsprachlichen Laien eine fachliche<br />
Definition des Fachbegriffs gegeben. Eine mögliche Erklärung könnte an dem<br />
Ort der Befragung liegen. Es ist naheliegend, daß die Besucher dieses<br />
Kongresses mit dem Fach <strong>Sprech</strong>wissenschaft durch artverwandte Berufe oder<br />
besonderes Interesse in engerer Verbindung stehen. Auffallend ist bei dieser<br />
Gruppe noch ein weiteres Phänomen. Alle fachsprachlichen Laien sehen sich in<br />
der Lage, den sprechwissenschaftlichen Terminus "<strong>Sprech</strong>denken" zu erläutern,<br />
wenn auch meist aus fachlich unrichtiger Sicht.<br />
Hieran wird ein Problem sichtbar: Wenn die Fachtermini einer Fachsprache aus<br />
Kompositabildungen von gemeinsprachlich belegten Begriffen wie "<strong>Sprech</strong>en"<br />
und "Denken" bestehen, hält sie der Laie offensichtlich für etwas merkwürdig,<br />
aber im Grunde ohne weiteres für verständlich. Mit einer im fachlichen Sinne<br />
falschen Vorstellung muß ein Benutzer der Fachsprache rechnen, wenn die<br />
Fachlexik nicht in erster Linie aus lateinischen und griechischen Entlehnungen<br />
7
oder Anglismen bzw. Amerikanismen besteht. So besteht Grund zu der<br />
Annahme, ohne es hier genauer verifizieren zu können, daß die Frage "Was<br />
verstehen Sie unter einer Phonasthenie oder einer Echolalie?" innerhalb der<br />
Gruppe der fachsprachlichen Laien häufiger unbeantwortet geblieben wäre.<br />
3. 4. Zum Begriff "Kommunikation"<br />
Die Antworten auf die Frage "Wie würden Sie 'Kommunikation' definieren?"<br />
lassen sich zunächst einteilen in Definitionen, wie sie Hellmut Geißner für die<br />
<strong>Sprech</strong>wissenschaft geprägt hat, und in andere Kommunikationsdefinitionen.<br />
100<br />
80<br />
60<br />
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20<br />
Wie würden Sie "Kommunikation" <br />
definieren"?<br />
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<strong>Sprech</strong>wissenschaftler<br />
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<strong>Sprech</strong>kundler<br />
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Studenten Fachl. Laien<br />
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Definition n.<br />
<br />
Geißner<br />
<br />
andere<br />
Definitionen<br />
51,5 %, also gut die Hälfte der <strong>Sprech</strong>wissenschaftler/innen fällt beim Begriff<br />
"Kommunikation" spontan eine sprechwissenschaftliche, von Geißner geprägte<br />
Fachdefinition ein. Bei den <strong>Sprech</strong>kundlern sind es mit 33,5 % ein Drittel, bei der<br />
Studentenschaft mit 13,5 % etwas über ein Zehntel. Innerhalb der Gruppe der<br />
fachsprachlichen Laien haben erwartungsgemäß alle Befragten andere<br />
Kommunikationsdefinitionen dargelegt. Aus der Tatsache, daß die<br />
<strong>Sprech</strong>wissenschaftler zu 48,5 %, die <strong>Sprech</strong>kundler zu 66,5 % und die<br />
Studentenschaft sogar zu 86,5 % eine nicht sprechwissenschaftliche Definition<br />
gewählt haben, zu schließen, sie sei ihnen unbekannt, ist meiner Ansicht nach<br />
eine unzulässig verkürzte Deutung.<br />
Betrachtet man die nicht sprechwissenschaftlichen Kommunikationsdefinitionen<br />
näher, heißt es u.a. in der Gruppe der Studentenschaft: "Schwammiger Ober-<br />
8
egriff = Austauschen von Zeichen, Ideen usw., anders 'rhetorische Kommunikation'<br />
= durch Miteinandersprechen ..." oder eine andere Antwort lautet: "Kommunikation<br />
ist allgemein alles, was zwischen zwei Menschen abgeht, aber<br />
- mündliche Kommunikation (vgl. Geißner)<br />
- rhetorische Kommunikation (Frank-Böhringer)".<br />
Hierbei wird deutlich, daß offensichtlich differenziert wird zwischen dem Begriff<br />
"Kommunikation" im allgemeinen Sprachgebrauch und den im sprechwissenschaftlichen<br />
Sinne gebrauchten Fachbegriffen von "Kommunikation".<br />
Durch die allgemein gestellte Frage nach der Definition von Kommunikation hat<br />
sich offensichtlich ein Großteil der Befragten um eine ebensolche Antwort<br />
bemüht. Es läßt sich dennoch festhalten, daß trotz der allgemeinen Fragestellung<br />
und der geforderten Spontanität von mehr als der Hälfte der <strong>Sprech</strong>wissenschaftler/innen<br />
der fachsprachliche Kommunikationsbegriff genannt wird.<br />
3.4.1. Kategorien der Antworten der nicht sprechwissenschaftlichen Kommunikationsdefinitionen<br />
Im folgenden werden die nicht sprechwissenschaftlichen Kommunikationsdefinitionen<br />
noch unter weiteren Gesichtspunkten aufgeschlüsselt und zu analysieren<br />
versucht. Es bietet sich an, die gegebenen Antworten in vier Kategorien zu<br />
unterteilen. Die erste Gruppe der Antworten sind "rein technische Definitionen",<br />
wie z. B.: "Weitergabe von Zeichen von Sender und Empfänger, die sich eines<br />
bestimmten Zeichensystems bedienen" oder "Austausch von Zeichen zwischen<br />
Subjekt und Objekt, Objekt und Objekt oder Objekt und Subjekt" oder<br />
"Informationsaustausch zwischen Systemen".<br />
Die zweite Kategorie der Antworten bezieht sich ausschließlich auf eine "rein<br />
menschliche Ebene", wie z.B.: "Mitteilung zwischen mindestens zwei Menschen"<br />
oder "Prozeß sich sprechend und hörend auszutauschen" oder "Kommunikation<br />
ist das <strong>Sprech</strong>en von Menschen miteinander und untereinander über ein<br />
bestimmtes Thema".<br />
9
Eine dritte Gruppe gibt sowohl eine technische als auch eine menschliche<br />
Definition zu dem Begriff "Kommunikation", wie folgende Beispiele zeigen: "Kommunikation<br />
ist die Übermittlung von Signalen auf allen Ebenen (sprachlich<br />
- visuell - taktil - emotional) zwischen Individuen und auch zwischen Maschinen"<br />
oder "Austausch von Signalen / Zeichen / Symbolen (Informationsaustausch)<br />
und im weitesten Sinne: Aufbau und Erhaltung menschlicher Beziehungen".<br />
Eine letzte Kategorie der Antworten entsteht durch Definitionen, die zugleich die<br />
menschliche Kommunikation und die Kommunikation mit der Natur miteinander<br />
verknüpfen: "Kommunikation bezeichnet den Austausch zwischen Menschen,<br />
aber auch zwischen Tieren und der gesamten Natur".<br />
3.4.2. Auswertung der nicht sprechwissenschaftlichen Kommunikationsdefinitionen<br />
100<br />
80<br />
60<br />
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20<br />
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Andere Definitionen unterteilen sich in:<br />
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<strong>Sprech</strong>wissen- <strong>Sprech</strong>kundler<br />
schaftler<br />
Studenten Fachl. Laien<br />
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rein technisch<br />
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rein menschlich<br />
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technisch +<br />
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menschlich<br />
menschlich +<br />
Natur<br />
Den geringsten Anteil hat der "rein technisch" definierte Kommunikationsbegriff.<br />
In der Gruppe der <strong>Sprech</strong>wissenschaftler und in der Gruppe der <strong>Sprech</strong>kundler<br />
kommt er überhaupt nicht vor. Innerhalb der Gruppe der Studentenschaft macht<br />
sein Anteil nur 5 % und unter den fachsprachlichen Laien 10 % aus.<br />
Der "rein menschlich" geprägte Kommunikationsbegriff ist in allen vier Gruppen<br />
mit Abstand am stärksten vertreten. Diese Definition macht innerhalb der<br />
Antworten der <strong>Sprech</strong>wissenschaftler 88 %, in der Gruppe der <strong>Sprech</strong>kundler<br />
75 %, bei den Studenten 80 % und bei den fachsprachlichen Laien 57 % aus.<br />
10
Eine Antwort, die sowohl die "technische" als auch die "menschliche" Seite der<br />
Kommunikation berücksichtigt, wird in der Gruppe der <strong>Sprech</strong>wissenschaftler zu<br />
12 %, in der Gruppe der Studenten zu 10 % und unter den fachsprachlichen<br />
Laien zu 28 % gegeben. Innerhalb der Gruppe der <strong>Sprech</strong>kundler kommt diese<br />
Antwort nicht vor.<br />
Die vierte Kategorie der Antworten, die sich sowohl auf den "Menschen" als auch<br />
auf die "Natur" bezieht, kommt in der Gruppe der <strong>Sprech</strong>kundler mit 25 %, in der<br />
Gruppe der Studenten und der fachsprachlichen Laien zu je 5 % und innerhalb<br />
der <strong>Sprech</strong>wissenschaftler überhaupt nicht vor.<br />
3.4.3. Auf welche Ausdrucksebenen wird Kommunikation bezogen?<br />
Bei den nicht sprechwissenschaftlichen Definitionen zum Begriff "Kommunikation"<br />
ist eine häufig wiederkehrende Wortwahl, die auf bestimmte<br />
menschliche Ausdrucksebenen hindeutet, auffallend. Es werden z. B. Worte wie<br />
"sprechen", "reden", "verbalisieren" und "verbal" gebraucht, die sich unter der<br />
Kategorie "verbal" zusammenfassen lassen. Außerdem hat eine große Gruppe<br />
der Ant-wortenden noch eine zweite Ausdrucksebene hinzugefügt mit Umschreibungen<br />
wie z. B. "nicht nur verbal", "über das <strong>Sprech</strong>erische hinausgehend",<br />
"auch Mimisches und Gestisches betreffend", "auch nonverbal". Diese Ausdrucksebene<br />
kann man mit der Überschrift "verbal/nonverbal" bezeichnen.<br />
Auf welche Ausdrucksebenen wird "Kommunikation"<br />
bezogen?<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
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<strong>Sprech</strong>wissenschaftler<br />
<strong>Sprech</strong>kundler Studenten Fachl. Laien<br />
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verbal<br />
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Verbal /<br />
Nonverbal<br />
Sonstiges<br />
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Bei den <strong>Sprech</strong>wissenschaftlern bietet sich ein relativ ausgewogenes Bild mit<br />
jeweils einem Drittel verteilt auf jede Kategorie, wobei die "verbale" Ausdrucksebene<br />
mit 37 % leicht überwiegt.<br />
Bei den <strong>Sprech</strong>kundlern berücksichtigen die Antworten jeweils zur Hälfte die<br />
"verbale" und die "verbal/nonverbale" Ausdrucksebene.<br />
16 % innerhalb der Studentenschaft beziehen sich in ihren Antworten auf die rein<br />
"verbale" Ebene, wobei der Schwerpunkt der Antworten mit 58 % deutlich auf der<br />
"verbalen/nonverbalen" Ausdrucksebene liegt. 26 % beziehen sich weder auf die<br />
"verbale" noch auf die "nonverbale" Ausdrucksebene.<br />
Von den fachsprachlichen Laien wird die "verbale" Ebene mit 28,5% und die<br />
"verbale/nonverbale" Ausdrucksebene mit 23,5 % relativ gleichmäßig angesprochen,<br />
wobei ein großer Teil dieser Gruppe (48 %) weder die eine noch die<br />
andere Ausdrucksebene berücksichtigt.<br />
Legt man zugrunde, daß bei der Ausdrucksebene "verbal/nonverbal" die<br />
"verbale" Ausdrucksebene immer mit angesprochen ist, liegt die Präferenz<br />
deutlich auf der "verbalen" Ausdrucksebene, d. h. mit zwei Drittel innerhalb der<br />
Gruppe der <strong>Sprech</strong>wissenschaftler, zu Dreiviertel in der Gruppe der<br />
Studentenschaft und sogar zu 100 % bei den <strong>Sprech</strong>kundlern.<br />
Anders verhält es sich in der Gruppe der fachsprachlichen Laien, die etwa zur<br />
Hälfte eine "verbale" bzw. "verbale/nonverbale" Ausdrucksebene und zu 48 %<br />
überhaupt keine der genannten Ausdrucksebenen anspricht.<br />
4. Zusammenfassung<br />
Mit dieser Fragebogenerhebung ist ein erster Versuch unternommen worden,<br />
den Einfluß der sprechwissenschaftlichen Fachsprache auf ihre Anwender/innen<br />
transparent zu machen. Im Hinblick auf die erste Frage kann man zusammenfassend<br />
festhalten, daß sich bei dem gemeinsprachlichen Begriff "Hören" ein<br />
leichter Einfluß der sprechwissenschaftlichen Fachsprache vor allem innerhalb in<br />
den Gruppen der <strong>Sprech</strong>wissenschaftler und der <strong>Sprech</strong>kundler bemerkbar<br />
macht.<br />
Über die semantische Bedeutung des Terminus "<strong>Sprech</strong>denken", auf die sich die<br />
zweite Frage bezieht, herrscht weitgehend Konsens unter den <strong>Sprech</strong>wissenschaftlern<br />
und innerhalb der Studentenschaft, eine Ausnahme bilden lediglich die<br />
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<strong>Sprech</strong>kundler. Unerwartet ist das Phänomen, daß dieser Fachterminus von den<br />
fachsprachlichen Laien durchgängig nicht als solcher erkannt wird, was wohl u.a.<br />
auf die Kompositabildung aus den gemeinsprachlich bekannten Begriffen<br />
"<strong>Sprech</strong>en" und "Denken" zurückgeführt werden kann.<br />
Die Bitte, "Kommunikation" stichpunktartig zu definieren, führte zu ausführlichen<br />
und vielfältigen Antworten. Eine sprechwissenschaftliche Definition des Begriffs<br />
"Kommunikation" gibt etwas über die Hälfte der befragten <strong>Sprech</strong>wissenschaftlerinnen<br />
und <strong>Sprech</strong>wissenschaftler. Da in den übrigen Gruppen ein Großteil der<br />
Befragten eine andere Definition wählt, sind diese Definitionen noch einmal unter<br />
verschiedenen Gesichtspunkten aufgeschlüsselt worden.<br />
Abschließend läßt sich festhalten, daß das Sprachverständnis der hier untersuchten<br />
<strong>Sprech</strong>ergemeinschaft Konturen einer gemeinsamen fachsprachlichen<br />
Prägung aufweist. Allerdings wurde gleichfalls das Problem der semantischen<br />
Unschärfe ersichtlich, das entstehen kann, wenn fachsprachlich abgegrenzte<br />
Termini eine hohe gemeinsprachliche Frequenz aufweisen, wie z. B.<br />
<strong>Sprech</strong>denken.<br />
Literatur<br />
Drozd, L. / Seibicke, W.: Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache. Wiesbaden 1973.<br />
Fluck, Hans-Rüdiger: Fachsprachen. 3. Aufl., Tübingen 1985<br />
Geißner, Hellmut: Über die Entwicklung der <strong>Sprech</strong>wissenschaft und einige Grundfragen<br />
der <strong>Sprech</strong>erziehung. In: Grundlagen der <strong>Sprech</strong>erziehung. Hrsg.:<br />
S. Berthold, Düsseldorf 1981.<br />
Geißner, Hellmut: Miteinanderreden. Über Kommunikation in alltäglichen Situationen. In:<br />
<strong>Sprech</strong>en, H. 2, 1985. S.4-18.<br />
Gesundheits-Brockhaus, 2. Aufl., Wiesbaden 1972.<br />
Pongrácz, Judit: Zur Rolle der allgemeinsprachlichen Lexik in der Fachkommunikation. In:<br />
Fachsprache und Allgemeinsprache. Hrsg.: Sabine Dallmann, S.5-21.<br />
Pörksen, Uwe: Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur, Stuttgart 1988.<br />
Seiffert, Helmut: Nichtwissenschaftliche und wissenschaftliche Aussagen. In Fachsprache<br />
und Gemeinsprache. Hrsg.: Willfried Klute, Frankfurt/M. 1975.<br />
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