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Über die Vision eines „Dritten Weges“<br />
- und lobenswerte Ungeduld<br />
Eine bemerkenswerte Veranstaltung in Weißenfels<br />
Im (n)ostalgischen Ambiente des früheren Kreiskulturhauses Weißenfels hatte am<br />
12. Dezember 2009 die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen-Anhalt e.V. gemeinsam<br />
mit dem Büro der Landtagsabgeordneten Heidelinde Penndorf (DIE LINKE) zur<br />
Diskussion über das Thema „Der dritte Weg – Visionen und Entwürfe für einen<br />
alternativen Entwicklungspfad zwischen Realsozialismus und<br />
Finanzmarktkapitalismus“ eingeladen.<br />
Die Veranstaltung wurde moderiert von Wolfram Tschiche (Theologe und<br />
Philosoph). Referent war Dr. Edelbert Richter (Lehrbeauftragter für Philosophie an<br />
der Bauhaus-Universität Weimar, ehemaliger Bundestags- und Europaparlaments-<br />
Abgeordneter der SPD und seit 2007 Mitglied der LINKEN).<br />
Gestützt auf eigene umfangreiche Recherchen zu seiner Buchveröffentlichung „Die<br />
Linke im Epochenumbruch“ (VSA-Verlag Hamburg 2009) referierte eingangs<br />
Edelbert Richter über Erscheinungsformen, Ursachen und Hintergründe der größten<br />
Krise des Kapitalismus seit den zwanziger/dreißiger Jahren des vergangenen<br />
Jahrhunderts. Rasch entwickelte sich dazu eine breite Diskussion.<br />
Richter brachte in Erinnerung: die Oppositions- und Bürgerrechtsbewegung in der<br />
DDR hatte bei aller heftigen und berechtigten Kritik an fehlender Demokratie und<br />
Freiheit im realen Sozialismus, an Ressourcenverschwendung und<br />
Umweltzerstörung, an ideologischer Bevormundung der Menschen gar nicht den<br />
Übergang zum Kapitalismus im Sinne. Es ging den Akteuren des Herbstes 1989 um<br />
einen „dritten Weg“ zwischen den beiden damals bestehenden Systemen: dem<br />
gescheiterten realen Sozialismus sowjetischen Typs und dem durch NATO-<br />
Hochrüstung und ebenso wahnsinnigen Wachstumsfetischismus geprägten<br />
Kapitalismus. Die bekannten Ereignisse nach der Grenzöffnung vom 9. November<br />
1989 erbrachten ein anderes Ergebnis: die Bevölkerungsmehrheit wollte „keine<br />
Experimente mehr“. Jetzt ging es nicht mehr nur um mehr Freiheit, sondern um die<br />
D-Mark und den raschen Zusammenschluss mit der BRD.<br />
Wie aber ist heute die Lage? Erneut ist ein System gescheitert. Der seit den 70er<br />
Jahren immer stärker durchgesetzte neoliberale Typ des Kapitalismus hat in<br />
globalem Maßstab kein einziges Menschheitsproblem gelöst. Durch die<br />
Finanzmarktkrise wurde offensichtlich, dass die bisherige Alleinherrschaft des<br />
Marktes ohne staatliche Eingriffe nicht mehr funktioniert. Die größenwahnsinnige<br />
Politik einer alleinigen Weltmacht USA ist ebenso gescheitert.<br />
Jetzt ist Zeit für Alternativen – so Edelbert Richter. Die Klimakatastrophe erfordert<br />
sofortiges weltweites Handeln. In der politischen Weltordnung erscheinen neue<br />
starke Kräfte. Damit gibt es die Notwendigkeit und die Möglichkeit, die<br />
vorherrschende kapitalistische Entwicklung in Frage zu stellen und einen „dritten<br />
Weg“ zwischen dem früher gescheiterten Realsozialismus und dem heute<br />
gescheiterten Finanzmarktkapitalismus zu suchen, zu praktisch zu beschreiten.<br />
Was wird der dritte Weg konkret sein? Richter in der Diskussion dazu: „DEN dritten<br />
Weg wird es nicht geben, so wie es keine Linearität in der politischen Entwicklung
gibt. Es geht um eine Pluralität, eine Vielfalt von Möglichkeiten.“ Es gibt in<br />
Nordeuropa immer noch Länder, in denen man sich dem Sozialstaat verpflichtet<br />
fühlt. Überall ist der öffentliche Sektor schützen. Überall ist Wirtschaftsdemokratie<br />
und Mitabeiterbeteiligung in privaten Unternehmen zu stärken. Vielfalt der<br />
Eigentumsformen ist zu sichern – sowohl totales Staatseigentum ohne echte<br />
Mitbestimmung der Werktätigen als auch total privatisiertes Eigentum an<br />
Poduktionsmitteln sind als Extreme zu vermeiden. Immer ist für einen dritten Weg<br />
die Freiheit des einzelnen unverzichtbar, daran sei auch der „Sozialismus des 21.<br />
Jahrhunderts“ in Lateinamerika zu messen, so hoben Referent und Moderator<br />
hervor. Der Kern des dritten Weges, sein „Punkt Eins“ sei aber klar: die Lösung der<br />
ökologischen Problematik. „Auf diesen Gebieten müssen wir menschheitlich<br />
handeln“, hob der Referent hervor, was hieße, dass es um völkerrechtlich<br />
verbindliche und durchsetzbare Vereinbarungen zur Lösung der Umweltfragen<br />
gehen müsse. Ökologie und Außenpolitik gehören also zusammen.<br />
Ein dritter Weg also zwischen zwei gescheiterten Entwicklungspfaden der<br />
Menschheit als idyllischer Ausweg? Was nur in der Diskussion kurz angemerkt<br />
wurde: es wäre auch etwas anderes denkbar, nämlich das Beharren auf dem jetzt<br />
eingeschlagenen Entwicklungspfad mit einem zwar medialen und<br />
regierungsamtlichen hektischen Aktionismus, aber mit in der Tat eben nicht<br />
ausreichenden Bemühungen gegen die heranreifende Klimakrise, gegen die<br />
Welthungerkrise und gegen neue kriegerische Verteilungskämpfe auf diesem<br />
Erdball. Das wäre dann gewissermaßen als „vierter Weg“ die<br />
Menschheitskatastrophe.<br />
Was ist aber konkret möglich gegenüber den dominierenden Interessen des<br />
Finanzkapitals? Gegen Ende der Veranstaltung machte sich verständliche Ungeduld<br />
bei manchen Teilnehmer/innen bemerkbar. Zivilgesellschaftliche Akteure und ihr<br />
Handeln kann tatsächlich die Welt verändern. Wenn die Erfahrungen aus der<br />
Bürgerbewegung, die 1989 zum Zusammenbruch des Staatssozialismus geführt<br />
hatte, wieder aufgegriffen werden, wenn also mündige Bürger/innen das Schicksal<br />
nicht nur ihres eigenen Lebens, sondern auch ihrer Gesellschaft in die Hand<br />
nehmen, dann ist Veränderung hin zu einem besseren Entwicklungspfad für die<br />
Menschheit machbar.<br />
Damit erwies sich das behandelte Thema als ein wichtiger Beitrag auch für die<br />
Programmdebatte innerhalb der Partei DIE LINKE, ist doch für eine politische<br />
Standortbestimmung auch der Umgang mit Visionen und Gesellschaftsentwürfen<br />
unverzichtbar, die helfen können, den Wert „sozialer Humanismus“ im Alltag zu<br />
verankern.<br />
Und es gab noch einen wichtigen Effekt dieser Veranstaltung für die Zukunft der<br />
Rosa-Luxemburg-Stiftung im Burgenlandkreis: die Anwesenden aus Weißenfels<br />
bekundeten deutlich ihren Wunsch nach Fortsetzung von Stiftungsveranstaltungen in<br />
ihrer Region. Es war sogar von der Gründung einer Regionalgruppe der Stiftung in<br />
Weißenfels die Rede.<br />
Bernd Augustin 29.11.2009