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64<br />
Paula Bodensteiner /<br />
Norbert Weidinger (Hrsg.)<br />
Religionsunterricht<br />
in offener Gesellschaft<br />
Religionspädagogisches Zentrum<br />
in Bayern
ISBN 978-3-88795-346-1<br />
© 2009 <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong> e.V., München<br />
Akademie für Politik und Zeitgeschehen<br />
Verantwortlich: Dr. Reinhard C. Meier-Walser (Chefredakteur)<br />
Redaktion:<br />
Barbara Fürbeth M.A. (Redaktionsleiterin)<br />
Susanne Berke, Dipl. Bibl. (Redakteurin)<br />
Claudia Magg-Frank, Dipl. sc. pol. (Redakteurin)<br />
Marion Steib (Redaktionsassistentin)<br />
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form<br />
(durch Fotokopie, Mikrofilm o<strong>der</strong> ein an<strong>der</strong>es Verfahren)<br />
ohne schriftliche Genehmigung <strong>der</strong> Redaktion reproduziert<br />
o<strong>der</strong> unter Verwendung elektronischer Systeme<br />
verarbeitet, vervielfältigt o<strong>der</strong> verbreitet werden.
Inhaltsverzeichnis<br />
Paula Bodensteiner / Norbert Weidinger<br />
Vorwort ................................................................................................................................ 5<br />
Hans Zehetmair<br />
Einführung ............................................................................................................................ 11<br />
Norbert Weidinger<br />
Mediale Hinführung zum Thema ......................................................................................... 15<br />
Wilhelm Vossenkuhl<br />
Religiöse Bildung und menschliche Selbstbestimmung ...................................................... 19<br />
Statements <strong>der</strong> Podiumsdiskussion<br />
Reinhold Baumstark<br />
für die Kunst und Kunstgeschichte ....................................................................................... 27<br />
Bernhard Dressler<br />
für Religion und Philosophie................................................................................................. 31<br />
Thomas Görnitz<br />
für die Naturwissenschaften.................................................................................................. 35<br />
Matthias Jestaedt<br />
für die Rechts- und Gesellschaftswissenschaften.................................................................. 41<br />
Detlef Bierbaum<br />
für die Evangelische Kirche .................................................................................................. 47<br />
Erich Pfanzelt<br />
für die Katholische Kirche .................................................................................................... 49<br />
Ferdinand Herget<br />
Werkstattgespräch und Podiumsdiskussion ......................................................................... 53<br />
Josef Erhard<br />
Die Bedeutung des Religionsunterrichts .............................................................................. 57<br />
Reinhard Marx<br />
Schlusswort .......................................................................................................................... 65<br />
Autorenverzeichnis ............................................................................................................... 71
Was den Fachkongress "Religionsunterricht<br />
in offener Gesellschaft" für die<br />
<strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong> (HSS), das Katholische<br />
Schulkommissariat in Bayern (KSK)<br />
und das Religionspädagogische Zentrum in<br />
Bayern (RPZ) im Kontext des öffentlichen<br />
Schulwesens und seines Bildungsauftrages<br />
als notwendige gemeinsame Veranstaltung<br />
erscheinen ließ, kommt im Ausschreibungstext<br />
(1.) sehr deutlich zum Ausdruck.<br />
Er fasst die gegenwärtige gesellschaftliche<br />
Situation zusammen, auf <strong>der</strong>en Analyse<br />
hin alle drei Einrichtungen die Zusammenarbeit<br />
suchten und glücklicherweise auch<br />
fanden. Für das Programm (4.) und die<br />
Durchführung des Kongresses zeigten die<br />
Vier Modi <strong>der</strong> Weltbegegnung und<br />
-erschließung von Prof. Dr. Jürgen Baumert<br />
(Berlin) die Richtung an (2.). Das<br />
Vorbereitungsteam <strong>der</strong> HSS und des RPZ<br />
fasste sie als konzeptionellen Grundrahmen<br />
zusammen und legte sie allen Referenten<br />
und Gesprächspartnern auf dem<br />
Podium im Vorfeld vor. Dieser Text und<br />
die ergänzenden Hinweise (3.) markieren<br />
auch den Ausgangs- und Zielpunkt für die<br />
Leser/innen dieser Dokumentation. Sie<br />
bilden aus unserer Sicht eine gewichtige<br />
Argumentationsgrundlage, wo immer die<br />
Zukunft und die Begründung des Religionsunterrichts<br />
in <strong>der</strong> pluralen Gesellschaft<br />
diskutiert werden.<br />
1. Zur gesellschaftlichen<br />
Ausgangslage<br />
In letzter Zeit äußern sich zunehmend<br />
hochrangige Vertreter von Staat, Justiz und<br />
Kirche öffentlich zum Verhältnis von Kirche<br />
und Staat in Deutschland. Diese Beziehung<br />
hat ihre spezifische Prägung durch<br />
eine wechselhafte und konfliktreiche Ge-<br />
Vorwort<br />
Paula Bodensteiner / Norbert Weidinger<br />
schichte erhalten. Die aus historischen Entscheidungsprozessen<br />
erwachsene Kooperation<br />
bei grundsätzlicher Trennung bei<strong>der</strong><br />
Bereiche muss sich in <strong>der</strong> Gegenwart und<br />
unter den Vorzeichen einer offenen Gesellschaft<br />
neu bewähren. In diesem Kontext ist<br />
stets auch die Situation des Religionsunterrichts<br />
(RU) mit beleuchtet worden. Trotz<br />
verfassungsrechtlicher Verankerung hat<br />
seine Position im Fächerkanon <strong>der</strong> Schule<br />
und seine Bedeutung in einer weltanschaulich<br />
sich immer stärker ausdifferenzierenden<br />
Gesellschaft dabei ganz unterschiedliche<br />
Bestimmungen erfahren. Vor allem<br />
Vertreter <strong>der</strong> Justiz äußern die Auffassung,<br />
dem Staat komme bildungspolitisch die<br />
Verantwortung zu, unter Achtung <strong>der</strong> positiven<br />
wie negativen Religionsfreiheit in<br />
<strong>der</strong> heranwachsenden Generation einen<br />
Grundwertekonsens anzubahnen und im<br />
Interesse des nationalen wie gesamteuropäischen<br />
Zusammenhaltes abzusichern.<br />
Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes<br />
aus dem Jahr 1998 hat bereits<br />
letztinstanzlich geklärt, dass es den<br />
einzelnen Län<strong>der</strong>n freistehe, ein eigenes<br />
Fach mit dieser Zielsetzung einzurichten.<br />
Unverkennbar stehen sich gegenwärtig<br />
weltanschauliche Indifferenz und wachsende<br />
religiöse Vielfalt gegenüber. Zudem<br />
for<strong>der</strong>n das Erstarken des Islam in unserer<br />
Gesellschaft und das Bemühen des Freidenkertums<br />
um die bundesweite Einrichtung<br />
eines Unterrichtsfaches für humanistische<br />
Lebenskunde neue bildungspolitische<br />
Debatten um den RU heraus. In dieser brisanten<br />
Gemengelage setzte sich <strong>der</strong> Fachkongress<br />
das Ziel, einen Beitrag zu leisten<br />
zur notwendigen grundsätzlichen Situationsanalyse<br />
sowie zur Begründung und Profilierung<br />
des RU durch die Klärung seines<br />
Bildungsbeitrags in einer offenen Gesellschaft.
6 Paula Bodensteiner / Norbert Weidinger<br />
2. Die vier Modi <strong>der</strong> Weltbegegnung<br />
und -erschließung<br />
nach Jürgen Baumert<br />
Jürgen Baumert (Vize-Präsident <strong>der</strong> Max-<br />
Planck-Gesellschaft) hat diese "Grundstruktur<br />
<strong>der</strong> Allgemeinbildung" für die<br />
internationale Vergleichsstudie PISA entwickelt.<br />
Er knüpft dazu an den Humboldtschen<br />
Bildungsbegriff an. Die vier Modi<br />
sollen sicherstellen, dass die heranwachsende<br />
Generation im jeweiligen Bildungssystem<br />
alle notwendigen Basiskompetenzen<br />
zur Begegnung mit <strong>der</strong> Welt und zu ihrer<br />
Gestaltung erwerben kann. Es sind dies<br />
die Bereiche Religion/Philosophie, Politik,<br />
Naturwissenschaft und Kunst.<br />
Grundthese<br />
Die vier Modi bezeichnen unterschiedliche<br />
Weltzugänge und unterschiedliche Welthorizonte,<br />
die sich wechselseitig ergänzen,<br />
aber nicht ersetzen können. Je<strong>der</strong> Modus<br />
hat seine eigene Perspektive, seine eigenen<br />
Wahrnehmungsmuster (Methoden) und<br />
seine eigenen Erkenntnisräume – und damit<br />
auch seine Grenzen. "Keiner Perspektive<br />
eröffnet sich eine an<strong>der</strong>e Welt, aber<br />
immer die eine Welt als eine an<strong>der</strong>e"<br />
(Bernhard Dressler). Religion ersetzt keine<br />
Politik, Naturwissenschaft tritt nicht an die<br />
Stelle von Kunst. Je<strong>der</strong> Welterschließungsmodus<br />
hat seine spezifische "Leseart"<br />
(literacy) von Welt und seine eigenen<br />
"Kulturtechniken". Das Bildungssystem<br />
soll Schüler/innen dazu befähigen, die unterschiedlichen<br />
Perspektiven und die unterschiedlichen<br />
Lesearten zu erkennen und zu<br />
nutzen, um zu wissen, dass mit <strong>der</strong> jeweiligen<br />
"Leseart" von Welt zugleich eine jeweils<br />
eigene "Modellierung" von Welt geschieht.<br />
Somit sind die Schülerinnen und<br />
Schüler zum Perspektivenwechsel anzuleiten<br />
und zu befähigen. Sie sollen "in <strong>der</strong><br />
Form <strong>der</strong> Welterfahrung von den einfachen<br />
Formen des ich-zentrierten Umgangs mit<br />
<strong>der</strong> Welt auf die grundlegenden wissen-<br />
schaftlichen Modi <strong>der</strong> Welterfahrung übergehen<br />
können" (Eckhard Klieme). Die<br />
Aufmerksamkeit ist auf die unterschiedlichen<br />
Instrumentarien (Sprachen), Reichweiten<br />
und die Grenzen (auch "blinde Flecken")<br />
des jeweiligen Modus gerichtet. Die<br />
Schülerinnen und Schüler erlernen so den<br />
sachgerechten Umgang (z.B. unterschiedliche<br />
Sprachen) mit jedem <strong>der</strong> Modi.<br />
Die vier Modi und ihr gemeinsamer<br />
Gegenstand: die Welt<br />
a) Politik / Recht / normativ-evaluative<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Wirtschaft und<br />
Gesellschaft (Grundfrage: Wie ist die<br />
soziale Welt verbindlich zu ordnen?)<br />
Dieser Modus modelliert allgemeine Gesetzmäßigkeiten,<br />
indem er Gegebenes auf<br />
Werte bezieht, daraus allgemein verbindliche<br />
Normen und konkrete Handlungsanweisungen<br />
ableitet. Methodisch wird dies<br />
durch Analyse und Abstraktion erreicht.<br />
b) Naturwissenschaften / kognitiv-instrumentelle<br />
Modellierung <strong>der</strong> Welt (Grundfrage:<br />
Wie geht es?)<br />
Ziel dieses Modus ist die statistische Beschreibung<br />
materieller Wirkungszusammenhänge,<br />
um <strong>der</strong>en Regelhaftigkeit modellieren<br />
und/o<strong>der</strong> technisch-instrumentell beherrschen<br />
zu können. Methodik ist die<br />
Abstraktion von allen Bestimmungen, die<br />
für die Wirkungszusammenhänge und <strong>der</strong>en<br />
mathematische Beschreibbarkeit bedeutungslos<br />
sind.<br />
c) Kunst / ästhetisch-expressive Begegnung<br />
und Gestaltung (Grundfragen:<br />
Wie begegnet mir Wirklichkeit? Wie<br />
kann ich Wirklichkeit ausdrücken?)<br />
In Sprache/Literatur, Musik, Malerei/Bilden<strong>der</strong><br />
Kunst, physischer Expression zielt<br />
dieser Modus material auf die subjektive
Vorwort 7<br />
Deutung und Freilegung von Wirklichkeit<br />
im Fokus individuellen Erlebens und Empfindens.<br />
Formalobjekt sind alle sinnenhaften<br />
Erfahrungsmöglichkeiten und <strong>der</strong>en<br />
gestalterische Vergegenständlichung.<br />
d) Religion / Philosophie – Probleme<br />
konstitutiver Rationalität (Grundfragen<br />
[Philosophie]: Was ist wirklich? [Religion]:<br />
Wozu bin ich da?)<br />
Ihr Gegenstand sind die Fragen nach dem<br />
Woher, Wohin und Wozu des menschlichen<br />
Lebens. Die Philosophie erforscht die<br />
elementaren, konstituierenden Prinzipien<br />
des Seins, indem sie die wesentlichen<br />
Merkmale des Gegebenen abstrahierend zu<br />
erfassen sucht. Die (christliche) Religion<br />
stellt die Frage nach dem Sinn <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />
unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Person<br />
und ihrer subjektiven Erkenntnis-, Entscheidungs-<br />
und Handlungsmöglichkeiten<br />
in existenziell bedeutsamen Situationen.<br />
Im Unterschied zur Philosophie geht es ihr<br />
nicht um Abstraktion von Person, son<strong>der</strong>n<br />
um das Erkennen und Entscheiden einer<br />
Person im Hier und Jetzt, die unter dem<br />
Anspruch Gottes (des Absoluten) steht.<br />
Erst unter diesem Anspruch werden Wert<br />
und Würde des Menschen sichtbar. Formalobjekte<br />
sind philosophische Methoden<br />
und Wege <strong>der</strong> Erkenntnis von Person<br />
(Offenbarung und Glaube). Das erfor<strong>der</strong>t<br />
intensives Einüben in Erkennen, Entscheiden<br />
und Handeln.<br />
3. Ergänzende Hinweise<br />
Jürgen Baumert selbst gibt folgenden erhellenden<br />
Hinweis zu seinem Modell:<br />
"Was verstehe ich unter Modi <strong>der</strong> Weltbegegnung?<br />
Es gibt unterschiedliche Formen<br />
<strong>der</strong> Rationalität, von denen jede in beson<strong>der</strong>er<br />
Weise im menschlichen Handeln zur<br />
Geltung kommt. Kognitive Rationalität ist<br />
nur eine. Kunst, Literatur, Musik und kör-<br />
perliche Übung um ihrer selbst willen folgen<br />
einer eigenen Logik, die nicht mit <strong>der</strong><br />
kognitivinstrumentellen Modellierung <strong>der</strong><br />
Welt zusammenfällt, die Mathematik, Naturwissenschaften<br />
o<strong>der</strong> Technik auszeichnet.<br />
Sie teilen vielmehr eine spezifische<br />
Rationalität des Ästhetisch-Expressiven.<br />
Davon unterscheidet sich wie<strong>der</strong>um die<br />
Logik evaluativ-normativer Fragen, die<br />
Recht, Wirtschaft o<strong>der</strong> Gesellschaft aufwerfen.<br />
Ebenso sind die Fragen des Ultimaten<br />
– also Fragen nach dem Woher,<br />
Wohin und Wozu des menschlichen Lebens<br />
– an<strong>der</strong>s zu behandeln als mathematische<br />
und naturwissenschaftliche Probleme.<br />
Die unterschiedlichen Rationalitätsformen<br />
eröffnen jeweils eigene Horizonte des<br />
Weltverstehens, die für Bildung grundlegend<br />
und nicht wechselseitig austauschbar<br />
sind. Schulen mo<strong>der</strong>ner Gesellschaften institutionalisieren<br />
die reflexive Begegnung<br />
mit je<strong>der</strong> dieser unterschiedlichen menschlichen<br />
Rationalitätsformen." (Baumert<br />
2002, S.7)<br />
"Mit an<strong>der</strong>en Worten: Wenn die Biologielehrerin<br />
über eine Rose spricht, folgt sie<br />
einer an<strong>der</strong>en Form von Rationalität als <strong>der</strong><br />
Deutschlehrer, <strong>der</strong> ein Liebesgedicht behandelt.<br />
Niemand würde (hoffe ich) behaupten,<br />
dass nur einer <strong>der</strong> beiden Zugänge<br />
richtig und angemessen sei. Vielmehr müssen<br />
sich beide Zugänge ergänzen: Wer seiner<br />
Angebeteten seine Liebe erklären will,<br />
sollte um die Symbolkraft <strong>der</strong> Rose wissen<br />
und vielleicht nicht stattdessen einen Kaktus<br />
schenken. Wer mit Zucht und Verkauf<br />
von Blumen Geld verdienen will, dem<br />
kann dagegen die Poesie so lange egal<br />
sein, bis er sich verliebt.<br />
Von einem gebildeten Menschen kann man<br />
also beides erwarten – naturwissenschaftliche<br />
Kenntnisse und ein geisteswissenschaftliches<br />
o<strong>der</strong> ästhetisches Verständnis.<br />
Darüber hinaus sollte man erwarten, dass<br />
er diese verschiedenen Rationalitäten o<strong>der</strong><br />
Weltzugänge unterscheiden und ihre jeweiligen<br />
Grenzen reflektieren kann.
8 Paula Bodensteiner / Norbert Weidinger<br />
Im Blick auf Religion bedeutet das: Es gibt<br />
auch einen religiösen Weltzugang. Daher ist<br />
es Teil eines umfassenden Bildungsprozesses,<br />
die Struktur dieses religiösen Weltzugangs,<br />
seine Möglichkeiten und Grenzen am<br />
Beispiel einer konkreten Konfession o<strong>der</strong><br />
Religion kennen und reflektieren zu lernen:<br />
Wo hat ein Phänomen o<strong>der</strong> ein Problem eine<br />
religiöse Dimension? Welche Dimensionen<br />
– eine ökonomische, eine politische, eine<br />
naturwissenschaftliche – sind neben <strong>der</strong> religiösen<br />
Dimension von Bedeutung? Wie versteht<br />
man innerhalb einer Konfession die<br />
4. Das Programm<br />
Welt – und wie innerhalb von an<strong>der</strong>en Konfessionen?"<br />
(Willems 2007, S.2)<br />
Dementsprechend sah das Programm des<br />
Fachkongresses, zu dem <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong><br />
Akademie für Politik und Zeitgeschehen<br />
<strong>der</strong> <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong>, Dr. Reinhard C.<br />
Meier-Walser, die Referentin für Schulund<br />
Bildungspolitik in <strong>der</strong> <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<br />
<strong>Stiftung</strong>, Paula Bodensteiner, und <strong>der</strong> Leiter<br />
des Katholischen Schulkommissariats in<br />
Bayern, Prälat Domkapitular Erich Pfanzelt,<br />
einluden, den folgenden Verlauf vor:<br />
14.30 Uhr Eröffnung und Begrüßung<br />
Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong>, Staatsminister a.D.<br />
14.45 Uhr Mediale Hinführung zum Thema:<br />
Stellungnahmen zur Bedeutung des Religionsunterrichts<br />
15.00 Uhr Impulsreferat<br />
"Religiöse Bildung und menschliche Selbstbestimmung"<br />
Prof. Dr. Wilhelm Vossenkuhl<br />
Lehrstuhl für Philosophie I, Ludwig-Maximilians-Universität München<br />
15.45 Uhr Kaffeepause<br />
16.15 Uhr Podiumsdiskussion und mo<strong>der</strong>iertes Werkstattgespräch<br />
Statements <strong>der</strong> Teilnehmer:<br />
Prof. Dr. Reinhold Baumstark<br />
Generaldirektor <strong>der</strong> Bayerischen Staatsgemäldesammlung, München<br />
Prof. Dr. Bernhard Dressler<br />
Fachbereich Evangelische Theologie, Philipps-Universität Marburg<br />
Prof. Dr. Thomas Görnitz<br />
Institut für Didaktik <strong>der</strong> Physik, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität<br />
Frankfurt<br />
Prof. Dr. Matthias Jestaedt<br />
Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-<br />
Nürnberg<br />
Prof. Dr. Wilhelm Vossenkuhl<br />
Lehrstuhl für Philosophie I, Ludwig-Maximilians-Universität München<br />
OKR Detlev Bierbaum<br />
Evangelische Landeskirche Bayern<br />
DK Prälat Erich Pfanzelt<br />
Leiter des Katholischen Schulkommissariats in Bayern
Vorwort 9<br />
Anschließend Diskussion mit dem Publikum<br />
Anwälte des Publikums: Die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Religionspädagogischen<br />
Zentrums in Bayern<br />
Mo<strong>der</strong>ation: Dr. Norbert Weidinger<br />
Direktor, wissenschaftlicher Referent am Religionspädagogischen Zentrum in<br />
Bayern<br />
18.00 Uhr Stellungnahme zur Bedeutung des Religionsunterrichts<br />
MD Josef Erhard<br />
Amtschef im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus<br />
18.30 Uhr Schlusswort<br />
Erzbischof Dr. Reinhard Marx<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Freisinger Bischofskonferenz<br />
5. Resümee und Dank<br />
Mit dem Fachkongress ist es – soweit wir<br />
sehen – erstmals gelungen, das Modell<br />
von Jürgen Baumert konkret in einer<br />
öffentlichen Veranstaltung interdisziplinär<br />
auf seine Stringenz und Tragfähigkeit hin<br />
zu überprüfen. Diese Erprobung kann bei<br />
allen noch offenen Fragen, die sich bei<br />
jedem wissenschaftlichen Diskurs zeigen,<br />
als erfolgreich bezeichnet werden. Dies<br />
bestätigen nicht zuletzt die eindeutig<br />
positiven Rückmeldungen <strong>der</strong> Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer wie das Echo in<br />
den Medien.<br />
Somit bleibt den Tagungsleitern die Aufgabe,<br />
allen, die an diesem Fachkongress<br />
als Referenten mitgewirkt haben, ein herzliches<br />
Dankeschön auszusprechen, sodann<br />
dem Vorsitzenden <strong>der</strong> <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<br />
<strong>Stiftung</strong>, Staatsminister a.D., Dr. h.c. mult.<br />
Hans Zehetmair, dem Amtschef des Baye-<br />
rischen Staatsministeriums für Unterricht<br />
und Kultus, Ministerialdirektor Josef Erhard,<br />
<strong>der</strong> kurzfristig für den – durch die<br />
Veröffentlichung <strong>der</strong> aktuellen PISA-<br />
Ergebnisse in Berlin verhin<strong>der</strong>ten, neuen –<br />
Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle eingesprungen<br />
ist, dem Vorsitzenden <strong>der</strong> Freisinger<br />
Bischofskonferenz Erzbischof Dr.<br />
Reinhard Marx und den Mitarbeiter/inne/n<br />
des RPZ Dr. Ferdinand Herget, Frau Edith<br />
Kaindl, Dr. Matthias Pfeufer und StD<br />
Bernhard Rößner. Nur dank ihres Engagements<br />
und ihrer Bereitschaft, sich auf diese<br />
komplexe Thematik einzulassen und sie<br />
zielstrebig und konstruktiv zu bearbeiten,<br />
konnte <strong>der</strong> Fachkongress gelingen. Zweifellos<br />
ist damit das Thema nicht abgehakt.<br />
Es ist sehr zu wünschen und zu hoffen,<br />
dass mit dem Erscheinen dieser Dokumentation<br />
die öffentliche Diskussion zu<br />
Gunsten <strong>der</strong> künftigen Schülergeneration<br />
und des RU ausgeweitet und vertieft werden<br />
kann.
10 Paula Bodensteiner / Norbert Weidinger<br />
Literaturhinweise<br />
Baumert Jürgen: Deutschland im internationalen<br />
Bildungsvergleich. Vortrag anlässlich des dritten<br />
Werkstattgespräches <strong>der</strong> Initiative "McKinsey bildet",<br />
im Museum für ostasiatische Kunst, Köln<br />
6.7.2002, S.7, http://www.mpib-berlin.mpg.de/de/aktuelles/bildungsvergleich.pdf<br />
Belafi, Matthias: Präzisierung <strong>der</strong> Religionsfreiheit?<br />
Eine Replik auf Brigitte Zypries´ Rede zur<br />
Religionspolitik, in: Stimmen <strong>der</strong> Zeit 3/2008,<br />
S.162-172.<br />
Benner, Dietrich: Bildung und Religion. Überlegungen<br />
zu ihrem problematischen Verhältnis und<br />
zu den Aufgaben eines öffentlichen Religionsunterrichts<br />
heute, in: Dietrich Benner, Bildungstheorie<br />
und Bildungsforschung, Grundlagen und Anwendungsfel<strong>der</strong>,<br />
Pa<strong>der</strong>born 2008, S.129-145.<br />
Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Wie können die<br />
Religionen friedlich und frei beisammen leben?, in:<br />
NZZ, 23.7.2007.<br />
Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Im Staat sind die<br />
Gedanken zollfrei, http://www.tagesspiegel.de/<br />
politik/Deutschland-Ingegration-Mitgration<br />
Bormann, Franz-Josef/Irlenborn, Bernd: Überzeugungen<br />
und öffentliche Vernunft. Zur Rolle des<br />
Christentums in <strong>der</strong> pluralistischen Gesellschaft,<br />
Freiburg/Basel/Wien 2008.<br />
Di Fabio, Udo: Gewissen, Glaube, Religion: Wandelt<br />
sich die Religionsfreiheit?, 7. Berliner Rede zur<br />
Religionspolitik, Berlin 2008.<br />
Diotallevi, Luca: Laizität: Krise einer Herrschaft<br />
und Wi<strong>der</strong>stand einer Kultur. Bemerkungen zum<br />
Forschungsstand zum Religionsunterricht in öffentlichen,<br />
weiterführenden Schulen, diotavelli@educ.<br />
uniroma3.it<br />
Dressler, Bernhard: Fachdidaktiken im Umbruch,<br />
http://www.uni-marburg.de/zfl/ueber_uns/artikel/<br />
rede_dressler_fachdidaktiken<br />
Dressler, Bernhard: Modi <strong>der</strong> Weltbegegnung als<br />
Gegenstand fachdidaktischer Analysen, www.unimarburg.de/zfl/uebeer_uns/artikel/rede_dressler_<br />
modi<br />
Dressler, Bernhard: Unterscheidungen. Religion<br />
und Bildung, Leipzig 2006.<br />
Evangelische Akademie zu Berlin (EAzB) / Katholische<br />
Akademie in Berlin e.V. / Kirchenamt <strong>der</strong><br />
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) / Sekretariat<br />
<strong>der</strong> Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.):<br />
Religion an öffentlichen Schulen, Berlin 2008.<br />
Fincke, Andreas: Freidenkerische Lebenskunde<br />
bundesweit? Ein Schulfach konkurriert mit dem<br />
Religionsunterricht, in: Her<strong>der</strong>-Korrespondenz<br />
3/2008, S. 137-142.<br />
Höhn, Hans-Joachim: Postsäkular: Gesellschaft im<br />
Umbruch – Religion im Wandel, Pa<strong>der</strong>born 2007.<br />
Joas, Hans (Hrsg.): Braucht Werteerziehung Religion?,<br />
Göttingen 2007.<br />
Kropac, Ulrich: Religiöse Rationalität als Proprium<br />
religiöser Bildung, in: Religionsunterricht an höheren<br />
Schulen (rhs) 6/2008, S.365-376.<br />
Lehmann, Karl: Zum schiedlich-friedlichen Verhältnis<br />
von Staat und Kirche heute. Vortrag beim<br />
Karlsruher Foyer "Kirche und Recht" am<br />
19.6.2007, http://www.dbk.de/Termine/data/01400<br />
/index.html (MS 3245/2008).<br />
Lehmann, Karl: Religionsunterricht als "Anwalt <strong>der</strong><br />
Vernunft", in: Religionsunterricht an höheren<br />
Schulen (rhs) 50/2007, S.184-194.<br />
Schie<strong>der</strong>, Rolf: Die Zivilisierung <strong>der</strong> Religionen als<br />
Ziel staatlicher Religionspolitik, in: APuZ 6/2007,<br />
S.17-24.<br />
Verhülsdonk, Andreas: Religionsunterricht –<br />
Grundlage von Religionsfreiheit, in: Stimmen <strong>der</strong><br />
Zeit 221/2003, S.329-337.<br />
Willems Joachim: Der Beitrag des Religionsunterrichts<br />
zur allgemeinen Bildung in deutschen Schulen.<br />
Vortrag anlässlich <strong>der</strong> Konferenz "Das Erbe<br />
des Jan Amos Comenius im Kontext <strong>der</strong> Probleme<br />
gegenwärtiger Bildung", Session "Christliche Wurzeln<br />
<strong>der</strong> europäischen pädagogischen Tradition",<br />
St. Petersburg, 17.3.2007, S.2, http://www2.huberlin.de/relpaedagogik/mitarbeiter/PDF/willems/<br />
bildung.pdf<br />
Zypries, Brigitte: 5. Berliner Rede zur Religionspolitik,<br />
12.12.2006, http://www.bmj.bund.de/enid
Religionsunterricht, das ist immer ein Diskussionsthema,<br />
und wir sollten froh darüber<br />
sein, dass es ein Diskussionsthema<br />
ist! Am Religionsunterricht scheiden sich<br />
die Geister, auch das gehört zu einer pluralen<br />
Gesellschaft. Umso wichtiger ist es,<br />
Stellung zu beziehen – gerade für jene, die<br />
den Unterricht in Religion als unverzichtbaren<br />
Bestandteil, für orientierungsgebend<br />
und identitätsbildend halten, für die, die für<br />
die Verständigung in unserer so heterogenen<br />
und pluralen Lebenswelt eintreten,<br />
für die, die Bekennermut zeigen, weil sie<br />
darin ihren Auftrag sehen und ihn erfüllen.<br />
Die <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong> ist dem christlichen<br />
Menschenbild zuoberst verpflichtet.<br />
Für uns gilt, dass wir zwischen dem Staat<br />
und seinen Aufgaben sowie den Kirchen<br />
und <strong>der</strong>en Aufgaben unterscheiden. Aller-<br />
Einführung<br />
Hans Zehetmair<br />
dings die Polarisierung, die wir bei den europäischen<br />
Verfassungsdiskussionen hatten,<br />
bei denen die Franzosen zuvör<strong>der</strong>st<br />
den Gottesbezug verneinten, lehnen wir ab.<br />
Wir werden nicht aufgeben, immer wie<strong>der</strong><br />
mit einem "ceterum censeo" darauf hinzuweisen,<br />
dass die gesamte europäische<br />
Kulturgeschichte ohne den Gottesbezug<br />
eine Verleugnung ist, denn ohne die Kriterien<br />
und die Orientierungen <strong>der</strong> christlichen<br />
Lehre hätten wir nicht unsere Identität.<br />
2009 ist Europawahl. Es muss uns bewusst<br />
sein, dass dieses Europa unser Schicksal<br />
und unsere Zukunftsorientierung ist. Nicht<br />
zu vergessen ist dabei die neue Chance für<br />
das Christentum. Es sind nämlich 40 Millionen<br />
orthodoxe Christen mit den Beitrittslän<strong>der</strong>n<br />
Rumänien und Bulgarien zur Eu-
12 Hans Zehetmair<br />
ropäischen Gemeinschaft hinzugekommen.<br />
Für uns müde Christen, evangelischen und<br />
katholischen Glaubens, ist es vielleicht<br />
auch als ein Stück Ansporn, als ein Risorgimento,<br />
zu sehen, dass wir einen neuen<br />
Auftrag, eine neue Verpflichtung, eine<br />
neue Chance haben.<br />
Rein rechtlich ist festzustellen, dass wir<br />
seit 1933 ein Reichskonkordat haben, das<br />
zwischen dem Vatikan und dem Deutschen<br />
Reich geschlossen wurde. Daraus resultiert,<br />
dass Religion ein ordentliches Unterrichtsfach<br />
an staatlichen Schulen ist.<br />
Die Bundesrepublik Deutschland versteht<br />
sich als Rechtsnachfolgerin des Deutschen<br />
Reiches und ist völkerrechtlich an das<br />
Reichskonkordat gebunden. In das Grundgesetz<br />
wurde in Art. 7 Abs. 3 folgende Regelung<br />
aufgenommen: "Der Religionsunterricht<br />
ist in den öffentlichen Schulen mit<br />
Ausnahme <strong>der</strong> bekenntnisfreien Schulen<br />
ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des<br />
staatlichen Aufsichtsrechts wird <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />
in Übereinstimmung mit<br />
den Grundsätzen <strong>der</strong> Religionsgemeinschaften<br />
erteilt. Kein Lehrer darf gegen<br />
seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht<br />
zu erteilen."<br />
Somit ist <strong>der</strong> Religionsunterricht das einzige<br />
Unterrichtsfach, das in unserer Verfassung<br />
verankert ist und als ordentliches<br />
Unterrichtsfach gilt. Die meisten Verfassungen<br />
<strong>der</strong> alten Län<strong>der</strong> haben nach dem<br />
Krieg einen mehr o<strong>der</strong> weniger weit gefassten<br />
religiös-moralischen Erziehungsauftrag<br />
für das Schulwesen festgeschrieben.<br />
Bayern hatte bereits 1945 in seiner<br />
Verfassung in Art. 137 Abs. 2 festgelegt:<br />
"Für Schüler, die nicht am Religionsunterricht<br />
teilnehmen, ist ein Unterricht über die<br />
allgemein anerkannten Grundsätze <strong>der</strong><br />
Sittlichkeit einzurichten."<br />
Diesem Beispiel folgten in den siebziger<br />
und achtziger Jahren immer mehr Län<strong>der</strong><br />
und richteten einen Ethikunterricht o<strong>der</strong><br />
eine an<strong>der</strong>e verpflichtende Alternative zum<br />
Religionsunterricht ein. 1998 entschied das<br />
Bundesverfassungsgericht letztinstanzlich,<br />
dass es den einzelnen Län<strong>der</strong>n freistehe,<br />
ein eigenes Fach mit <strong>der</strong> genannten Zielsetzung<br />
einzuführen.<br />
Die Frage "Religionsunterricht – wozu?"<br />
ist immer wie<strong>der</strong> Gegenstand öffentlicher<br />
Diskussionen. Deutlich wird dies an <strong>der</strong><br />
Vielzahl von Positionspapieren, Stellungnahmen<br />
und Plädoyers von kirchlichen und<br />
nicht kirchlichen Verbänden, von politischen<br />
Parteien sowie durch Erklärungen<br />
zum Religionsunterricht von kirchlicher<br />
Seite.<br />
Zündstoff gibt bundesweit auch die Situation<br />
in <strong>der</strong> Bundeshauptstadt. Der Berliner<br />
Senat hat 2006, entgegen <strong>der</strong> Kritik vieler,<br />
einen für alle Schülerinnen und Schüler<br />
verpflichtenden Ethikunterricht eingeführt.<br />
Zu dieser Entscheidung kam man durch die<br />
beson<strong>der</strong>e Situation <strong>der</strong> Stadt. Für Berlin<br />
gilt die "Bremer Klausel". Sie besagt, dass<br />
Art. 7 Abs. 3 GG keine Anwendung in<br />
einem Land findet, in dem am 1. Januar<br />
1949 eine an<strong>der</strong>e Regelung galt.<br />
Interessant ist, dass seit dem 22. September<br />
2008 nun dort die Initiative "Pro Reli"<br />
läuft. Mit ihr will man erreichen, dass <strong>der</strong><br />
Schulfachstatus des Religionsunterrichts<br />
gleichrangig mit dem des Ethikunterrichts<br />
wird.<br />
Die religiöse Neutralität des Staates dient<br />
<strong>der</strong> Verwirklichung <strong>der</strong> Glaubens- und<br />
Gewissensfreiheit <strong>der</strong> Bürgerinnen und<br />
Bürger (Art. 4 GG). Dieses Grundrecht<br />
verlangt nicht nur, die religiösen Überzeugungen<br />
des Einzelnen zu achten, son<strong>der</strong>n<br />
auch die rechtlichen Voraussetzungen für<br />
die freie Religionsausübung zu schaffen.<br />
So ist <strong>der</strong> staatlich organisierte und kirchlich<br />
verantwortete Religionsunterricht eine<br />
gemeinsame Angelegenheit des Staates
Einführung 13<br />
und <strong>der</strong> jeweiligen Religionsgemeinschaft.<br />
Der schulische Religionsunterricht stellt<br />
keine Privilegierung <strong>der</strong> Kirchen dar,<br />
durch die die weltanschauliche Neutralität<br />
des Staates verletzt würde.<br />
Der Artikel 131 <strong>der</strong> Bayerischen Verfassung<br />
legt im Grunde das gesamte Schulwesen<br />
auf eine religiöse Perspektive fest.<br />
Als eines <strong>der</strong> obersten Bildungsziele macht<br />
sie die "Ehrfurcht vor Gott" verbindlich.<br />
Und Artikel 135 geht sogar noch darüber<br />
hinaus, indem er die öffentlichen Volksschulen<br />
(an<strong>der</strong>e Schularten nicht) auf eine<br />
ganz bestimmte religiöse Ausrichtung verpflichtet,<br />
nämlich auf die "Grundsätze <strong>der</strong><br />
christlichen Bekenntnisse".<br />
Beide Verfassungsbestimmungen werden<br />
immer wie<strong>der</strong> einer kritischen Diskussion<br />
unterzogen, da man in ihnen die Festlegung<br />
auf Religion überhaupt und gar auf<br />
ein bestimmtes Glaubenssystem sieht. Man<br />
hält dies für gleichbedeutend mit einer<br />
staatlicherseits verordneten Beschneidung<br />
<strong>der</strong> freien Religionswahl beziehungsweise<br />
<strong>der</strong> Freiheit zur Ablehnung <strong>der</strong> Religion<br />
überhaupt. Eine solche Bevormundung des<br />
Bürgers durch den Staat könne, so lautet<br />
das entscheidende Argument, dem Selbstverständnis<br />
einer grundsätzlich säkularisierten,<br />
weltanschaulich pluralen Gesellschaft<br />
nicht entsprechen.<br />
Meine Position dazu ist: Natürlich darf <strong>der</strong><br />
Staat nicht in den Glauben und in das<br />
Gewissen seiner Bürger eingreifen. Die<br />
Verfassungsvorschrift über die "Ehrfurcht<br />
vor Gott" verlangt aber auch nicht, dass<br />
man an Gott im Sinne eines religiösen<br />
Bekenntnisses glauben müsse. Entscheidend<br />
ist, dass die Welt in letzter Instanz<br />
nicht als pure Sinnlosigkeit gedacht wird.<br />
Unsere Gesellschaft verän<strong>der</strong>t sich in<br />
einem rapiden Tempo. Zunehmend kann<br />
man eine Individualisierung sowie eine<br />
Enttraditionalisierung des einzelnen Menschen<br />
wahrnehmen. Dieser gesellschaftli-<br />
che Wandel bedingt in <strong>der</strong> Schule überdurchschnittlich<br />
viele Verän<strong>der</strong>ungen. Die<br />
Frage nach <strong>der</strong> Aufgabe <strong>der</strong> Schule ergibt<br />
sich daraus als logische Konsequenz. Im<br />
Zuge dieser pädagogischen Neuorientierung<br />
von Schule ist auch die Rolle, die <strong>der</strong><br />
Religionsunterricht innerhalb an<strong>der</strong>er<br />
schulischer und pädagogischer Bildungsund<br />
Erziehungskonzeptionen spielt, immer<br />
wie<strong>der</strong> neu zu bedenken und zu bestimmen.<br />
Die Wichtigkeit einer Neubestimmung des<br />
Religionsunterrichts ergibt sich zum einen<br />
aus <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten (lebensbildenden<br />
Welt) Lebenswelt, in <strong>der</strong> unsere Kin<strong>der</strong><br />
und Enkelkin<strong>der</strong> in Zukunft leben werden,<br />
und zum an<strong>der</strong>en daraus, dass sich diese<br />
Lebenswelt unserer Kin<strong>der</strong> stets erheblich<br />
verän<strong>der</strong>t. Wenn ich meine Kindheit mit<br />
<strong>der</strong> heutigen Kindheit meiner Enkel vergleiche,<br />
dann wird das tagtäglich deutlich.<br />
Unsere Kin<strong>der</strong> haben bereits eine an<strong>der</strong>e<br />
Sozialisation erfahren. Bedeutsam für den<br />
Religionsunterricht ist dabei vor allem,<br />
dass die Zahl <strong>der</strong> Schülerinnen und Schüler,<br />
die nicht <strong>der</strong> christlichen Religion angehören<br />
und somit in <strong>der</strong> Regel auch nicht<br />
am Religionsunterricht teilnehmen, sehr<br />
zugenommen hat und weiterhin zunehmen<br />
wird.<br />
Werteerziehung in <strong>der</strong> Schule ist Aufgabe<br />
aller Fächer und <strong>der</strong> gesamten Schulkultur,<br />
nicht nur des Religionsunterrichts. Dabei<br />
kommt dem Fach Religion eine Son<strong>der</strong>stellung<br />
zu, indem es Grundüberzeugungen<br />
und Wertsetzungen zum Thema macht und<br />
kritisch reflektiert. Schulische Allgemeinbildung<br />
kann heute nicht mehr ausschließlich<br />
aus dem historischen Fächerkanon<br />
legitimiert werden. Unterricht soll die Begegnung<br />
und Auseinan<strong>der</strong>setzung mit allen<br />
Gegenständen <strong>der</strong> Kultur ermöglichen. Lebensweltbezüge<br />
dürfen schulische Bildung<br />
nicht auf eine ausschließlich in beruflichen<br />
und wirtschaftlichen Zusammenhängen<br />
verwertbare Bildung reduzieren. Die Frage
14 Hans Zehetmair<br />
nach den Werten in unserem Leben impliziert<br />
die Frage nach dem Sinn unseres<br />
Handelns, letztlich unseres Daseins.<br />
Die Fragen nach dem Woher, Wohin und<br />
Wozu des menschlichen Lebens gehören<br />
zum Bildungsauftrag <strong>der</strong> Schule. Diese<br />
menschlichen Grundfragen finden ihren<br />
Nie<strong>der</strong>schlag in den Fächern Religion und<br />
Philosophie, die den Schülern und Schülerinnen<br />
einen spezifischen Zugang zur<br />
Wirklichkeit erschließen. Dieser Zugang<br />
kann durch an<strong>der</strong>e Formen <strong>der</strong> Welterfahrung,<br />
seien es die Naturwissenschaften, die<br />
Politik, die Kunst, nicht ersetzt werden.<br />
Entscheidend für den Unterricht ist dabei,<br />
die Grenzen und Übergänge zwischen diesen<br />
verschiedenen Weisen, die Welt zu<br />
verstehen, für die Schüler nachvollziehbar<br />
zu machen.<br />
Bildung und Erziehung müssen immer auf<br />
den ganzen Menschen abzielen. Die Schule<br />
darf nicht nur eine Anstalt sein, in <strong>der</strong> ausschließlich<br />
Wissen vermittelt wird. Sie erhebt<br />
den Anspruch, einen entscheidenden<br />
Beitrag zu einem selbstbestimmten, erfüllten<br />
Leben zu leisten und zu einem eigenen<br />
Standpunkt finden zu helfen. Eine Besinnung<br />
auf die Fundamente unserer Werteordnung<br />
ist gefragt.<br />
Albert Einstein hat folgendes Wort geprägt,<br />
welches den Kern unseres Kongresses<br />
trifft: "Eine Antwort auf die Frage nach<br />
dem Sinn des Lebens und aller Lebewesen<br />
gefunden zu wissen, heißt, religiös zu sein.<br />
Wer sein eigenes Leben und das seiner<br />
Mitmenschen als sinnlos empfindet, <strong>der</strong> ist<br />
nicht nur unglücklich, son<strong>der</strong>n auch kaum<br />
lebensfähig."
Drehbuch: HSS – Ref.II/4 / RPZ-Team /<br />
Sankt Michaelsbund *<br />
Drehort: Pater-Rupert-Mayer-Schulen <strong>der</strong><br />
Erzdiözese München und Freising, Pullach<br />
1. Sechs häufige Fragen von<br />
Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />
– Wo war ich, bevor ich geboren wurde?<br />
(Dieter, 6, Grundschule)<br />
– Wenn ich etwas erlebe: Ist das alles<br />
wirklich o<strong>der</strong> nur ein Film?<br />
(Jenny, 13, Hauptschule)<br />
– Ich hab' nicht so 'ne richtige Vorstellung<br />
von Gott. Aber er ist irgendwie<br />
überall da, auch wenn man nicht an<br />
ihn denkt. (Lukas, 15, Gymnasium)<br />
– Ich glaub' nicht an Gott. Ich glaube<br />
aber an den Teufel. Wo sonst soll das<br />
Böse herkommen, das in mir ist?<br />
(Alex, 16, Realschule)<br />
– Wenn ich mal Probleme habe, dann<br />
denk' ich mir: Man geht zur Schule,<br />
um irgendwann mal arbeiten zur dürfen.<br />
Dann ist man alt und hat Geld,<br />
und fragt sich wofür? Dann denke ich<br />
mir: Wo steckt da <strong>der</strong> Sinn?<br />
(Tanja, 19, Berufsoberschule)<br />
– Muss alles so geschehen, wie es geschieht,<br />
o<strong>der</strong> ist alles Zufall? Aber was<br />
geschieht, ist so wichtig. Das kann<br />
doch kein Zufall sein.<br />
(Neşe, 17, Gymnasium)<br />
Solche und ähnliche Fragen beschäftigen<br />
Kin<strong>der</strong> und Jugendliche, Fragen nach Gott<br />
und <strong>der</strong> Welt, nach dem Sinn des Lebens.<br />
Mediale Hinführung zum Thema<br />
Norbert Weidinger<br />
2. Wo suchen Kin<strong>der</strong> und<br />
Jugendliche nach Antworten?<br />
– Religionspädagogen belegen mit ihren<br />
Studien, dass Kin<strong>der</strong> vor allem bei ihren<br />
Eltern und im Familienkreis nach<br />
Antworten suchen. Jugendliche dagegen<br />
fragen eher beiläufig und doch<br />
nachhaltig im Freundeskreis, <strong>der</strong><br />
Peergroup.<br />
– Medienforscher und -pädagogen<br />
kommen zu dem Ergebnis, dass junge<br />
Menschen Antworten vor allem durch<br />
das Fernsehen, das Internet und im<br />
Radio bekommen. Ein weiterer Teil,<br />
allerdings erheblich kleiner, informiert<br />
sich über Zeitungen, Jugend- und<br />
Fachzeitschriften sowie Leserbriefund<br />
Ratgeberseiten.<br />
– Die Medienforscher heben allerdings<br />
auch hervor, dass das Gesprächsforum<br />
Nr. 1 im Jugendalter <strong>der</strong> Freundeskreis<br />
ist, das Handy inbegriffen.<br />
– Bildungsforscher sind davon überzeugt:<br />
Die meisten Fragen beantwortet<br />
die Schule. Gefragt sind zwar zuallererst<br />
die Eltern. Dann aber kommt sofort<br />
die Schule in den Blick. Ihr fällt<br />
die Aufgabe zu, gemeinsam mit den<br />
Schülerinnen und Schülern die Welt<br />
zu erschließen sowie nach Wirklichkeit<br />
und Wahrheit zu suchen.<br />
Junge Menschen sollen schließlich orientierungs-<br />
und auskunftsfähig werden; denn<br />
die offene Gesellschaft kennt verwirrend<br />
viele Sinnangebote und Antworten.
16 Norbert Weidinger<br />
3. Offene Gesellschaft am Beispiel:<br />
Religionszugehörigkeit<br />
Dass sich unsere Gesellschaft deutschlandweit<br />
durch Globalisierungs- und<br />
Migrationsbewegungen offener und vielfältiger<br />
gestaltet, zeigt sich in abgeschwächter<br />
Form in <strong>der</strong> Zusammensetzung<br />
<strong>der</strong> Schülerschaft an den bayerischen<br />
Grundschulen, z.B. an <strong>der</strong> Religionszugehörigkeit<br />
ihrer Schülerinnen und Schüler.<br />
Die Statistiken zeigen, dass seit 2000 bis<br />
heute die Schülerzahlen <strong>der</strong> christlichen<br />
Konfessionen sinken. Die Zahl <strong>der</strong> muslimischen<br />
und <strong>der</strong> konfessionslosen Schüler<br />
steigt. Aber die Abmeldequoten vom Religionsunterricht<br />
sind sehr gering und neben<br />
getauften besuchen beachtlich viele Kin<strong>der</strong><br />
und Jugendliche den Religionsunterricht,<br />
die nicht getauft sind.<br />
Im Schuljahr 2007/08<br />
– besuchten über 440.000 katholische<br />
Schülerinnen und Schüler <strong>der</strong> Grundund<br />
Hauptschulen den Religionsunterricht<br />
und<br />
– mehr als 16.000 mal entschieden sich<br />
nicht-katholische Eltern für die Teilnahme<br />
ihrer Kin<strong>der</strong> am katholischen<br />
Religionsunterricht.<br />
Vergleichbare Verhältnisse finden sich auch<br />
im evangelischen Religionsunterricht und in<br />
an<strong>der</strong>en Schularten. Schülerinnen und<br />
Schüler suchen den Austausch über ihre<br />
existenziellen Fragen. Dazu favorisieren sie<br />
Gesprächspartnerinnen und -partner, die aus<br />
Erfahrung sprechen und ihren Glauben leben.<br />
4. Über den Religionsunterricht<br />
wird öffentlich diskutiert<br />
Statement von Dr. Christof Prechtl,<br />
Abt. Bildung – Vereinigung <strong>der</strong><br />
Bayerischen Wirtschaft e.V.<br />
"Staat, Wirtschaft und Gesellschaft brauchen<br />
ein gemeinsames Fundament an<br />
Werten. Die Vereinigung <strong>der</strong> Bayerischen<br />
Wirtschaft ist fest davon überzeugt, dass<br />
<strong>der</strong> Religionsunterricht in <strong>der</strong> Schule einen<br />
wichtigen Beitrag dazu leisten kann. Der<br />
Religionsunterricht allein reicht dazu aber<br />
nicht aus. Deshalb plädieren wir für ein<br />
besseres, stärkeres, fächerübergreifendes<br />
Prinzip <strong>der</strong> Werteerziehung, damit die jungen<br />
Menschen die Chance bekommen, in<br />
verschiedenen Kontexten ihr eigenes<br />
Wertegerüst zu entwickeln."<br />
Statement von Prof. Dr. Julian Nida-<br />
Rümelin, Kulturstaatsminister a.D.<br />
"Also generell muss die Schule in ihrem<br />
Unterricht weltanschaulich neutral sein,<br />
d.h. sie sollte sich auf das Ethos konzentrieren,<br />
das uns hoffentlich gemeinsam ist,<br />
nämlich das Ethos <strong>der</strong> Humanität, gleiche<br />
Würde, gleicher Respekt, Freiheit, Eigenverantwortung,<br />
aber auch Solidarität und<br />
Kooperation. Darüber hinaus kann dann<br />
<strong>der</strong> Religionsunterricht – wie natürlich<br />
auch zu Hause die Familie – das Spezifische<br />
einer Konfession, was eine Konfession<br />
an Perspektiven und Hilfen einbringt,<br />
deutlich machen. Und er kann dann den<br />
Kin<strong>der</strong>n, die den konfessionsgebundenen<br />
Unterricht besuchen, zusätzlich eine<br />
christliche Orientierung geben."<br />
Statement von StDin i.K. Dr. Sandra<br />
Krump, Abteilungsleiterin im Schulreferat<br />
<strong>der</strong> Erzdiözese München und<br />
Freising<br />
"Die großen Fragen des Lebens sind immer<br />
Fragen nach dem letzten Grund – und<br />
somit für den gläubigen Menschen theologische<br />
Fragen. Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />
haben ein Recht darauf, in ihrem religiösen<br />
Empfinden und Fragen ernst genommen<br />
zu werden. Der konfessionelle Religionsunterricht<br />
kann darauf beson<strong>der</strong>s gut<br />
reagieren, dieses Grundbedürfnis und<br />
Grundrecht beson<strong>der</strong>s gut erfüllen. Schon
Mediale Hinführung zum Thema 17<br />
<strong>der</strong> Religionslehrer, die Religionslehrerin<br />
als solche gibt also nicht einfach nur Informationen,<br />
son<strong>der</strong>n ist Mitglied <strong>der</strong> Kirche,<br />
unterrichtet im Namen <strong>der</strong> Kirche<br />
und steht als Person für die Inhalte ein.<br />
Er/sie kann Rollenmodell gelebten Glaubens<br />
sein.<br />
Kin<strong>der</strong> und Jugendliche sollen nicht einfach<br />
nur Glaubensinhalte, nicht nur Informationen<br />
vermittelt bekommen, son<strong>der</strong>n<br />
sollen rational darüber nachdenken. Nur<br />
wer weiß, was er glaubt, kann darüber auch<br />
Auskunft geben, kann in einen Dialog mit<br />
An<strong>der</strong>sgläubigen treten, wird fähig zu<br />
Anmerkung<br />
*<br />
echter Toleranz. Der konfessionelle Religionsunterricht<br />
ermöglicht Erfahrung,<br />
nämlich die Erfahrung, wie <strong>der</strong> Mensch<br />
sich zu den großen Fragen verhalten, religiös<br />
verhalten und wie er sein Verhalten<br />
vernünftig begründen kann.<br />
Erziehung, die das ausblenden würde, wäre<br />
unvollständig. Bildung ist nur mit religiöser<br />
Bildung vollständig, existenziell vollständig."<br />
Dennoch fragen manche:<br />
Religionsunterricht? In offener Gesellschaft?<br />
Wozu?<br />
HSS: P. Bodensteiner / RPZ: Dr. F. Herget, Dr. M. Pfeufer, StD B. Rößner, Dr. N. Weidinger / Sankt Michaelsbund:<br />
A. Haagn, J. Reiling.
Religiöse Bildung und menschliche Selbstbestimmung<br />
Seit <strong>der</strong> Aufklärung gilt in den Augen<br />
<strong>der</strong>er, die einen libertären Laizismus vertreten,<br />
die religiöse Bildung als autoritäre<br />
Beeinflussung und damit als eines <strong>der</strong><br />
größten Hin<strong>der</strong>nisse menschlicher Selbstbestimmung.<br />
Wenn dem tatsächlich so<br />
wäre, stünden die religiöse Bildung und<br />
die Selbstbestimmung in einem unversöhnlichen<br />
Gegensatz zueinan<strong>der</strong>. Das<br />
eine würde das an<strong>der</strong>e ausschließen. Es<br />
gibt ohne Zweifel Religionen, auf welche<br />
dieser Gegensatz zutrifft. Die großen<br />
christlichen Konfessionen zählen aber<br />
nicht dazu. Sie stehen in einer Tradition,<br />
in <strong>der</strong> Vernunft und Glaube sich nicht<br />
ausschließen, son<strong>der</strong>n ergänzen. Zumindest<br />
ist das ihr Anspruch. Mir geht es nun<br />
aber nicht um die Frage, welche Religionen<br />
die Selbstbestimmung ausschließen,<br />
son<strong>der</strong>n um die Frage, in welchem Ver-<br />
Wilhelm Vossenkuhl<br />
hältnis religiöse Bildung und Selbstbestimmung<br />
zueinan<strong>der</strong> stehen und ob sie<br />
sich wechselseitig för<strong>der</strong>n und wie sie<br />
sich ergänzen können. In meiner Antwort<br />
auf diese Frage wird auch Kant zu Wort<br />
kommen, weil gerade er – nicht ganz zu<br />
Unrecht – als Gegner und Kritiker historischer<br />
Religionen und als Theoretiker des<br />
Verhältnisses zwischen Vernunft und<br />
Glauben bekannt wurde.<br />
Religiöse Bildung beginnt zu Hause, in<br />
den Familien und in <strong>der</strong> Schule, jedenfalls<br />
in Gesellschaften, in denen Schulen überhaupt<br />
Religionsunterricht anbieten. Jürgen<br />
Baumert hat die Aufgabe <strong>der</strong> Schule als<br />
"Beschäftigung mit unterschiedlichen Modi<br />
<strong>der</strong> Weltbegegnung" 1 bezeichnet und<br />
diese vier Modi folgen<strong>der</strong>maßen beschrieben:
20 Wilhelm Vossenkuhl<br />
– die kognitive Rationalität, vor allem<br />
repräsentiert durch Mathematik, Naturwissenschaften<br />
und Technik,<br />
– die Rationalität des Ästhetisch-<br />
Expressiven, repräsentiert in Kunst,<br />
Musik, Literatur und Sport,<br />
– die Logik evaluativ-normativer Fragen,<br />
die Recht, Wirtschaft und Gesellschaft<br />
aufwerfen und<br />
– die "Fragen des Ultimaten", "Fragen<br />
nach dem Woher, Wohin und Wozu<br />
des menschlichen Lebens".<br />
Baumert erläutert, dass es sich um unterschiedliche,<br />
wechselseitig nicht austauschbare<br />
Rationalitätsformen handelt, die jeweils<br />
einen eigenen, für die Bildung<br />
grundlegenden Horizont des Weltverstehens<br />
anbieten. Religiöse Bildung wäre<br />
demnach eine eigene Rationalitätsform,<br />
eben jene, die sich mit letzten Fragen befasst,<br />
Fragen, welche an<strong>der</strong>e Rationalitätsformen<br />
nicht stellen. Ich stimme Baumert<br />
in <strong>der</strong> Hinsicht zu, dass diese Formen <strong>der</strong><br />
Rationalität – genau genommen <strong>der</strong> denkenden<br />
und urteilenden Bezugnahme auf<br />
die Wirklichkeit – nicht einfach austauschbar<br />
sind. Es stellt sich aber im Anschluss<br />
an diese For<strong>der</strong>ung eine Reihe von Fragen,<br />
die Baumert nicht angesprochen hat. Wie<br />
können sich diese Rationalitätsformen tatsächlich<br />
wechselseitig för<strong>der</strong>n und ergänzen?<br />
Wi<strong>der</strong>sprechen sie sich nicht in wesentlichen<br />
Hinsichten? Stellen nicht einige<br />
den Geltungsanspruch <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en infrage?<br />
Sind alle vier o<strong>der</strong> vielleicht einige mehr<br />
überhaupt nötig und für ein menschenwürdiges<br />
Leben? Solche und ähnliche Fragen<br />
liegen nahe. Ich werde aber nur auf einige<br />
wenige näher eingehen.<br />
Wer, wie viele Menschen heute, <strong>der</strong> Ansicht<br />
ist, dass sich Religion und religiöse<br />
Bildung auf <strong>der</strong> einen und Selbstbestimmung<br />
auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ausschließen,<br />
wird die ersten drei Rationalitätsformen<br />
Baumerts begrüßen, die letzte aber infrage<br />
stellen und dem Bereich des Privaten zuordnen.<br />
Die Justizministerin Zypries hat in<br />
einer Rede zur Religionspolitik in diesem<br />
Sinn gemeint, Religion sei im säkularen<br />
Verfassungsstaat "weitgehend zur Privatsache<br />
<strong>der</strong> einzelnen Staatsbürger geworden". 2<br />
Wenn das so ist, wäre es konsequent, in öffentlichen<br />
Schulen auch keinen Religionsunterricht<br />
mehr anzubieten. Religiöse Symbole<br />
müssen ja bereits seit einiger Zeit in<br />
Schulen entfernt werden, wenn jemand daran<br />
Anstoß nimmt. Demgegenüber betont,<br />
wie nicht an<strong>der</strong>s zu erwarten, Kardinal<br />
Lehmann die enge Verbindung zwischen<br />
<strong>der</strong> Religionsfreiheit und <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong><br />
Menschenrechte und das dabei erkennbare<br />
Verhältnis zwischen Religion, Gesellschaft<br />
und Staat. 3 Wenn dies so ist – und davon<br />
bin ich überzeugt –, sollte dieser Zusammenhang<br />
auch Thema in den Schulen sein;<br />
aber dies ist nur sinnvoll, wenn dabei auch<br />
klar wird, was "Religion" bedeutet und<br />
worin religiöse Bildung besteht.<br />
Die Thesen Baumerts haben auf den ersten<br />
Blick eine gewisse Plausibilität. Es ist klar,<br />
dass die Zugänge zur Welt, welche die vier<br />
Rationalitätsformen darstellen, sich nicht<br />
wechselseitig ersetzen können. Der Religionspädagoge<br />
Bernhard Dressler hat diesen<br />
Gedanken ergänzt und gemeint, es gebe<br />
auch keine Hierarchie dieser unterschiedlichen<br />
Weltzugänge. 4 Stattdessen meint er,<br />
sei jeweils ein Perspektivenwechsel möglich<br />
und geboten, <strong>der</strong> es erlaubt, die Welt<br />
aus den unterschiedlichen rationalen Blickwinkeln<br />
jeweils an<strong>der</strong>s zu verstehen. Solange<br />
diese Perspektiven sich wechselseitig in<br />
friedlicher Koexistenz in Ruhe lassen und<br />
gegenseitig ihre Geltungsansprüche respektieren,<br />
mag dieses Modell seinen Nutzen<br />
entfalten. Eine friedliche Koexistenz<br />
herrscht aber in einer szientistischen Welt<br />
gerade nicht, im Gegenteil. Es gibt konkurrierende<br />
Ansprüche <strong>der</strong> Weltdeutung, die<br />
letztlich darauf hinauslaufen, dass religiöse<br />
Fragen und Antworten aus szientistischer<br />
Perspektive für irrelevant für das Verstehen<br />
<strong>der</strong> Wirklichkeit gehalten werden.
Religiöse Bildung und menschliche Selbstbestimmung 21<br />
Aus diesem Grund sollten wir einige <strong>der</strong><br />
Fragen zum wechselseitigen Verhältnis <strong>der</strong><br />
Rationalitätsformen stellen, die ich bereits<br />
genannt habe. Es liegt auf <strong>der</strong> Hand, dass<br />
wechselseitige Einflüsse und auch scharfe<br />
Konkurrenz gar nicht ausgeschlossen werden<br />
können. Nehmen wir als Beispiel die<br />
normativen Fragen in Recht, Wirtschaft<br />
und Gesellschaft. Es wäre erstaunlich,<br />
wenn religiöse und ethische Überzeugungen<br />
auf diese Fragen keinen Einfluss hätten.<br />
Die öffentlichen Debatten über<br />
Stammzellforschung, Spätabtreibungen,<br />
über Stellenabbau, über Korruption und<br />
nicht zuletzt über gerechte Löhne und die<br />
Höhe von Managergehältern zeigen, dass<br />
man die Rationalitätsbereiche, in die Religion<br />
und Ethik auf <strong>der</strong> einen und Recht,<br />
Wirtschaft und Gesellschaft auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
gehören, gar nicht voneinan<strong>der</strong> trennen<br />
kann. Wer für eine wechselseitige Unabhängigkeit<br />
<strong>der</strong> Bereiche bei <strong>der</strong> Urteilsbildung<br />
über die genannten Probleme plädieren<br />
würde, hätte die Probleme nicht<br />
verstanden. Ein solches Plädoyer würde in<br />
eine Zeit passen, in <strong>der</strong> – wie in den 20er-<br />
Jahren des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts – von <strong>der</strong><br />
Wertfreiheit <strong>der</strong> Wissenschaften die Rede<br />
war. Es dürfte heute schwer sein, gute<br />
Gründe für die Wertfreiheit <strong>der</strong> Wissenschaften<br />
zu vertreten.<br />
Ganz beson<strong>der</strong>s brisant ist vor allem in <strong>der</strong><br />
Schule nach wie vor das Verhältnis zwischen<br />
Religion und Naturwissenschaften.<br />
Denn die differenzierte Betrachtung dieses<br />
Verhältnisses ohne wechselseitige Infragestellung<br />
setzt Kenntnisse, Methodenbewusstsein<br />
und Begrifflichkeiten voraus, die<br />
erst – wenn überhaupt – im Hochschulstudium<br />
erworben werden. Es muss einem<br />
z.B. klar geworden sein, dass wissenschaftliche<br />
Erklärungen, Beweise und<br />
Wi<strong>der</strong>legungen nur innerhalb <strong>der</strong> Grenzen<br />
möglich sind, die von Naturgesetzen und<br />
von <strong>der</strong> wissenschaftlichen Axiomatik<br />
beschrieben werden. Erst dann kann man<br />
erkennen, dass Behauptungen, die über<br />
diese Grenzen hinausgehen, dem entspre-<br />
chen, was Kant – und übrigens auch Wittgenstein<br />
– als Aberglauben bezeichnet<br />
haben. Ein solcher Aberglaube bestünde<br />
z.B. in <strong>der</strong> Behauptung, dass es – aus wissenschaftlichen<br />
Gründen – keine Willensfreiheit,<br />
keinen Gott und keine Wun<strong>der</strong><br />
geben könne. Einige Naturwissenschaften<br />
haben von <strong>der</strong> klassischen Philosophie und<br />
auch von <strong>der</strong> Theologie den Anspruch<br />
übernommen, Universalwissenschaften zu<br />
sein, d.h. über die Methoden und Mittel zu<br />
verfügen, die Wirklichkeit als ganze und<br />
restlos erklären zu können. Nicht wenige<br />
Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen<br />
sind sich dieses universalwissenschaftlichen<br />
Erbes nicht bewusst und<br />
deswegen – unbewusst – Metaphysiker,<br />
dazu noch schlechte, weil sie es nicht wissen.<br />
Wer sich imstande sieht, über die<br />
Wirklichkeit im Ganzen etwa mithilfe von<br />
Naturgesetzen vollständige Erklärungen<br />
abgeben zu können, sollte sich darüber klar<br />
sein, dass er Ansprüche einer Universalwissenschaft<br />
und Metaphysik erhebt. Dass<br />
diese Ansprüche nicht mehr erhoben werden<br />
können und von kritischen Wissenschaftlern<br />
auch nicht mehr erhoben werden,<br />
sollte zumindest im Ansatz bereits in<br />
<strong>der</strong> Schule unterrichtet werden. Erst dann<br />
kann es einen für beide Seiten schadlosen<br />
Perspektivenwechsel zwischen Religion<br />
und Naturwissenschaften geben. Erst dann<br />
wären die Geltungsansprüche dieser beiden<br />
Weisen, die Wirklichkeit zu verstehen und<br />
zu deuten, so gegeneinan<strong>der</strong> abgegrenzt,<br />
dass sie sich nicht in die Quere kommen.<br />
Und nur dann erscheint Religion nicht als<br />
obskures Relikt einer mythischen Weltauffassung<br />
und die Naturwissenschaften nicht<br />
als allkompetent in Sachen Wirklichkeitserklärung.<br />
Kant war sich darüber im Klaren, dass es<br />
keine Universalwissenschaft mit absolutem<br />
Erklärungsmonopol geben kann. Deswegen<br />
hat er sich bemüht, in seiner Ersten<br />
Kritik – <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong> reinen Vernunft –<br />
die Frage zu stellen, wie reine Naturwissenschaft<br />
und wie Metaphysik überhaupt
22 Wilhelm Vossenkuhl<br />
möglich sind. Ich habe schon angedeutet,<br />
dass ich ihm kurz das Wort in Sachen<br />
Religion und Vernunft geben will, und<br />
zwar nicht, weil ich glaube, er habe Recht.<br />
Es ist vielmehr interessant, was er zum<br />
Verhältnis zwischen Vernunft und Glauben<br />
sagt, weil man dabei lernen kann, welche<br />
Probleme dieses Verhältnis enthält und wie<br />
sie zumindest in Kants Augen lösbar sind.<br />
In seinem Aufsatz "Was heißt: Sich im<br />
Denken orientieren?" aus dem Jahre 1786<br />
erläutert Kant, was er unter "Vernunftglauben"<br />
versteht. Dieser Glaube sei kein Wissen<br />
und könne niemals eines sein. Vielmehr<br />
biete die Vernunft aus einem inneren<br />
Bedürfnis im undurchschaubaren Bereich<br />
des Übersinnlichen eine praktische, moralische<br />
Orientierung an. Sie tue dies mit <strong>der</strong><br />
Annahme eines höchsten Wesens. Die<br />
Existenz dieses Wesens, Gott, lässt sich –<br />
wie Kant glaubt – nicht beweisen, aber aus<br />
einem in <strong>der</strong> Vernunft selbst enthaltenen<br />
Grund annehmen. Eben dieser in <strong>der</strong> Vernunft<br />
selbst enthaltene Grund des Glaubens<br />
an Gott bringt Kant mit dem Wort<br />
"Vernunftglaube" zum Ausdruck. Er ist,<br />
wie er sagt, ein "Postulat <strong>der</strong> Vernunft"<br />
(AA Bd. 8, 141), ein Fürwahrhalten, das<br />
kein Wissen sei, aber "dem Grade nach<br />
keinem Wissen nachsteht, ob es gleich <strong>der</strong><br />
Art nach davon völlig unterschieden ist."<br />
(a.a.O.) Kant spricht von diesem Glauben<br />
auch als Wegweiser und Kompass für den<br />
Menschen. Für unseren Zusammenhang ist<br />
es entscheidend, dass er dann diesen Glauben<br />
als Orientierung auf dem Weg zur<br />
eigentlichen Bestimmung des Menschen<br />
und gleichzeitig als Basis "je<strong>der</strong> Offenbarung"<br />
bezeichnet. (AA Bd. 8, 142)<br />
Kant hat vier Jahre später, in <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong><br />
Urteilskraft (1790), auf <strong>der</strong> Basis dieses<br />
Vernunftglaubens sogar eine Art Gottesbeweis<br />
entwickelt, den "ethikotheologischen<br />
Beweis", <strong>der</strong> vor allem dazu dient,<br />
<strong>der</strong> Moral eine feste Grundlage jenseits <strong>der</strong><br />
eigenen menschlichen Verfügbarkeit und<br />
Selbstverfügung zu geben. Wenn man dies<br />
alles auf einen Punkt bringen will, sieht es<br />
so aus, als hätte Kant all das anzubieten,<br />
was wir heute benötigen, wenn wir das<br />
Verhältnis zwischen Vernunft und Glauben<br />
verstehen wollen. In seinen Augen ist das<br />
Wissbare, die Wissenschaften, also die<br />
Rationalität <strong>der</strong> Naturwissenschaften, klar<br />
getrennt vom Bereich des Glaubens. Das<br />
eine konkurriert nicht mit dem an<strong>der</strong>en,<br />
vielmehr ergänzen sich beide Bereiche.<br />
So weit so gut. Das Problem ist nur, dass<br />
sein Vernunftglaube einen funktionalen<br />
und instrumentellen Charakter hat. Er dient<br />
<strong>der</strong> Aufgabe, die Geltungsansprüche <strong>der</strong><br />
Ethik durch die Annahme eines höchsten<br />
Moralwesens zu sichern. Kant will keinen<br />
von <strong>der</strong> Vernunft unabhängigen religiösen<br />
Glauben anerkennen. Er kennt keinen den<br />
Ansprüchen <strong>der</strong> Vernunft genügenden religiösen<br />
Glauben, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> menschlichen<br />
Vernunft unabhängige Quellen wie die<br />
Offenbarung, eine Heilige Schrift, die<br />
kirchliche Überlieferung und den Ritus<br />
hätte. Sein Vernunftglaube ist ein Produkt<br />
seines moralphilosophischen Denkens,<br />
nicht mehr und nicht weniger. Dieses Denken<br />
ist zweifellos sehr anspruchsvoll und<br />
von <strong>der</strong> richtigen Einsicht geleitet, dass das<br />
menschliche Denken seine Grenzen kennen<br />
muss, um kritisch und selbstkritisch<br />
sein zu können. Er wolle <strong>der</strong> Vernunft<br />
Grenzen setzen, um dem Glauben Platz zu<br />
schaffen, sagte er einmal.<br />
Ich sehe keinen überzeugenden Grund,<br />
Kants Position zu verteidigen. Wir müssen<br />
das Verhältnis zwischen Vernunft und<br />
religiösem Glauben heute an<strong>der</strong>s fassen<br />
und dürfen den Glauben nicht für die Ethik<br />
funktionalisieren o<strong>der</strong> instrumentalisieren.<br />
Der religiöse Glaube muss in seinen<br />
wesentlichen Ansprüchen unabhängig und<br />
autonom von Auffassungen menschlicher<br />
Vernunft o<strong>der</strong> Rationalität sein, die in den<br />
Wissenschaften gebraucht werden. Dies<br />
bedeutet auch, dass <strong>der</strong> Glaube seine eigenen<br />
Geltungsansprüche nicht vor einem<br />
ihm fremden Tribunal verteidigen muss.<br />
Der wissenschaftlichen Rationalität wird
Religiöse Bildung und menschliche Selbstbestimmung 23<br />
ihrerseits eine entsprechende Autonomie<br />
ohne Weiteres zugestanden. Wer würde<br />
erwarten, dass wissenschaftliche Überzeugungen<br />
nur dann gelten und gerechtfertigt<br />
sind, wenn es dafür religiöse Gründe gibt?<br />
Am Verhältnis des religiösen Glaubens zur<br />
Ethik will ich die eben erwähnte Autonomie<br />
erläutern. Kant hat dem Vernunftglauben<br />
die Rolle zugedacht, die Geltungsgründe<br />
<strong>der</strong> Ethik zu einem Abschluss zu<br />
bringen und kohärent zu machen. Damit<br />
hat er das Verhältnis zwischen Religion<br />
und Ethik auf den Kopf gestellt. Wenn die<br />
Religion ihre eigenen Geltungen und Ansprüche<br />
vertreten können soll, muss sie<br />
eine <strong>der</strong> Voraussetzungen <strong>der</strong> Ethik sein<br />
und ihr – zumindest in einigen wesentlichen<br />
Ansprüchen – zugrunde liegen. Dies<br />
tut sie etwa im Hinblick auf die Ansprüche<br />
<strong>der</strong> Menschenrechte, auf das Tötungsverbot,<br />
auf die Menschenwürde und auf die<br />
Gleichheit <strong>der</strong> Menschen. Die Ansprüche<br />
dieser prinzipiellen Grundlagen menschlichen<br />
Zusammenlebens teilt die Ethik mit<br />
dem Christentum und wohl auch mit einigen<br />
Traditionen des Buddhismus. Diese<br />
Abhängigkeit ethischer Grundprinzipien<br />
von religiösen Grundlagen sollte im Ethikunterricht<br />
thematisiert werden. Es gibt keine<br />
ethischen Argumente für die Geltung<br />
dieser Prinzipien; vielmehr sind sie Teil<br />
unserer sittlichen Grundüberzeugungen<br />
und gelten unabgeleitet, also ohne eigenes<br />
rationales Fundament. Sie gelten genauso<br />
wie im Christentum, denn auch dort gibt es<br />
für ihre Geltung keine unabhängigen<br />
Gründe. Wenn es nötig wäre, für solche<br />
Grundprinzipien zu argumentieren und<br />
Gründe für sie zu finden, wäre ihre Geltung<br />
von vornherein infrage gestellt. Wer<br />
z.B. nicht versteht, warum wir Menschen,<br />
die uns missliebig sind, nicht einfach töten<br />
dürfen, wird sich durch kein noch so kluges<br />
Argument vom Tötungsverbot überzeugen<br />
lassen. Es gibt auch keine hinreichenden<br />
Argumente für dieses Verbot. Es<br />
gibt nur Argumente, die sich auf dieses<br />
Verbot stützen und seine Geltung voraus-<br />
setzen. Deswegen behaupte ich auch, dass<br />
die Ethik dieses und viele an<strong>der</strong>e Prinzipien,<br />
die das Christentum entwickelt hat,<br />
voraussetzt, aber nicht selbst generiert. In<br />
eben diesem Sinn setzt die Ethik christliche<br />
Grundprinzipien voraus. Deswegen<br />
kann es auch nicht sein, dass <strong>der</strong> religiöse<br />
Glaube – wie es Kant mit seinem Vernunftglauben<br />
beabsichtigt – lediglich einem<br />
ethischen Zweck dient.<br />
Der unversöhnliche Gegensatz zwischen<br />
menschlicher Selbstbestimmung und religiösem<br />
Glauben bzw. religiöser Bildung,<br />
wie ich ihn am Anfang erwähnte, existiert<br />
nicht, wenn beides richtig verstanden wird.<br />
Das richtige Verständnis von beidem kann<br />
aber nur erreicht werden, wenn die Unabhängigkeit<br />
religiöser Grundüberzeugungen<br />
von wissenschaftlicher Rationalität eigens<br />
gelehrt, überzeugend vertreten und bereits<br />
in <strong>der</strong> Schule verstanden wird. In <strong>der</strong><br />
Schule werden die Voraussetzungen und<br />
Fähigkeiten menschlicher Selbstbestimmung<br />
vermittelt. Selbst diejenigen, die in<br />
agnostischen Familien aufwachsen, sollten<br />
im Ethikunterricht die Chance haben, zu<br />
verstehen, dass <strong>der</strong> religiöse Glaube von<br />
keiner Wissenschaft infrage gestellt werden<br />
kann. Es sollte aber auch das Umgekehrte<br />
klarwerden. Dann lernen schon die<br />
Kin<strong>der</strong>, dass die Heilige Schrift nicht gegen<br />
Darwin und die Evolutionsbiologie<br />
ausgespielt werden kann.<br />
Ich möchte noch einmal kurz auf die vier<br />
von Jürgen Baumert skizzierten Weisen<br />
des Wirklichkeitsverstehens zurückkommen.<br />
Sie können durchaus in einer Übersicht<br />
über die Aufgaben schulischer Bildung ihren<br />
Zweck erfüllen. Wenn es aber um die<br />
Frage geht, welchen Stellenwert die religiöse<br />
Bildung in <strong>der</strong> Schule hat, wird es<br />
darum gehen müssen, wie die Ansprüche<br />
des religiösen Glaubens gegen die überzogenen<br />
szientistischen Ansprüche <strong>der</strong><br />
Wirklichkeitsdeutung durch die Natur- und<br />
Sozialwissenschaften verteidigt werden<br />
können. Deswegen müssen wir die Ansprüche<br />
<strong>der</strong> unterschiedlichen Weisen, die
24 Wilhelm Vossenkuhl<br />
Welt zu verstehen, entschieden ansprechen<br />
und ihre Grenzen klären. Vor allem sollte<br />
bereits in <strong>der</strong> Schule klarwerden, dass die<br />
menschliche Selbstbestimmung gerade im<br />
Bereich <strong>der</strong> Ethik religiöse Bildung voraussetzt<br />
und nicht etwa ausschließt. Aus<br />
dieser Überzeugung heraus habe ich das<br />
Verhältnis zwischen dem Christentum und<br />
<strong>der</strong> Ethik im Einzelnen angesprochen und<br />
deutlicher herausgestellt. Es ist – zugegeben<br />
– ein schwieriges Verhältnis, das nicht<br />
im Vorbeigehen geklärt und verstanden<br />
werden kann, vor allem nicht in <strong>der</strong> Schule.<br />
Im naturwissenschaftlichen Untericht<br />
Anmerkungen<br />
1<br />
2<br />
3<br />
Baumert, Jürgen: Deutschland im internationalen<br />
Bildungsvergleich, Köln, 3. Werkstattgespräch<br />
<strong>der</strong> Initiative "McKinsey bildet".<br />
Zypries, Brigitte: 5. Berliner Rede zur Religionspolitik,<br />
Berlin, 12.12.2006.<br />
Lehmann, Karl Kardinal: Zum schiedlichfriedlichen<br />
Verhältnis von Staat und Kirche<br />
und in <strong>der</strong> Mathematik herrscht in den<br />
Schulen keine Scheu vor schweren Gehalten.<br />
Da wird den Schülerinnen und Schülern<br />
einiges zugemutet. Warum sollte bei<br />
<strong>der</strong> wirklich wichtigen Frage, welche Bedeutung<br />
<strong>der</strong> religiöse Glaube für das<br />
menschliche Selbstverständnis und das<br />
Verstehen <strong>der</strong> Wirklichkeit hat, den Schülerinnen<br />
und Schülern nicht auch etwas<br />
zugemutet werden? Religiöse Bildung<br />
sollte in <strong>der</strong> Schule nicht leichter gemacht<br />
und nicht leichter angeboten werden, als<br />
<strong>der</strong> religiöse Glaube in unserer Zeit selbst<br />
ist.<br />
4<br />
heute, Vortrag beim Karlsruher Foyer "Kirche<br />
und Recht" am 19.6.2007 im Dekanatszentrum<br />
<strong>der</strong> Erzdiözese Freiburg in Karlsruhe.<br />
Dressler, Bernhard: Performanz und Kompetenz.<br />
Thesen zu einer Didaktik des Perspektivenwechsels,<br />
in: Theo-Web. Zeitschrift für<br />
Religionspädagogik 2/2007, S.27-31, hier<br />
S.28.
Statements <strong>der</strong> Podiumsdiskussion
Wenn ich mir Gedanken über den Religionsunterricht<br />
in <strong>der</strong> offenen Gesellschaft<br />
mache, so muss ich vorausschicken, dass<br />
ich kein Theologe, auch kein Religionspädagoge<br />
bin. Mein Religionsunterricht, den<br />
ich in den fünfziger Jahren des vorigen<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts erhalten habe, würde heute<br />
auch wohl nur noch wenige von den Stühlen<br />
reißen, denn ich habe damals vor allem<br />
den Katechismus gelernt und lernen müssen.<br />
Von daher gesehen scheint es fraglich<br />
zu sein, ob es sinnvoll ist, im Kreis <strong>der</strong><br />
Fachleute, die sich über den Religionsunterricht<br />
austauschen, aufzutreten. Dennoch tue<br />
ich dies gern, denn ich bin Kunsthistoriker<br />
und "Museumsmann" und als dieser möchte<br />
ich nicht nur über, son<strong>der</strong>n vor allem für<br />
den Religionsunterricht sprechen, an dem<br />
ich gerade als Kunsthistoriker und "Museumsmann"<br />
ein genuines Interesse habe.<br />
Zunächst einmal geht es in meinem speziellen<br />
Bereich <strong>der</strong> drei Münchner Pinakotheken<br />
um die Kunst, genauer gesagt,<br />
um die abendländische Kunst, die Kunst<br />
Europas, die Kunst unserer Welt. Diese<br />
wurde seit über 1700 Jahren vom Christentum<br />
geprägt, sie ist damit eine zutiefst<br />
abendländisch-christliche Kunst. Über<br />
weite Strecken dieses großen Bogens bis<br />
hin zum Beginn des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts und<br />
darüber hinaus diente diese Kunst auch <strong>der</strong><br />
Verkündigung, war sie ein Element religiöser<br />
Empfindungsfähigkeit. Und so sind<br />
viele <strong>der</strong> Werke, die uns überliefert wurden,<br />
die wir unter unseren Händen hüten<br />
dürfen, die aufgeschlüsselt werden müssen,<br />
denen unsere Emotionen gelten, an denen<br />
unser Wissen, unsere Liebe hängt, Zeugen,<br />
denen Botschaften des Glaubens eingeschrieben<br />
sind.<br />
Statement<br />
Reinhold Baumstark<br />
für die Kunst und Kunstgeschichte<br />
Nehmen wir die Alte Pinakothek in München<br />
als Beispiel: Etwa sechshun<strong>der</strong>t<br />
Gemälde sind dort ausgestellt, davon enthalten<br />
mehr als zwei Drittel <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong><br />
christliche Inhalte. Man kann damit unsere<br />
Museen auch als "Bildungsspeicher" verstehen<br />
– dabei will ich hier gar nicht von<br />
den Kirchen sprechen, die für die christliche<br />
Kunst stets "Bildungsspeicher" waren<br />
und noch immer sind –, aber Museen<br />
kommt dies in ganz beson<strong>der</strong>em Maße zu,<br />
weil sie das Erbe einer großen Tradition<br />
angetreten haben. Und wer vor diesem<br />
Erbe steht, es annimmt und nicht zur Seite<br />
rückt, son<strong>der</strong>n es als ein wirksames,<br />
fruchtbares Vermächtnis, als einen Teil<br />
unser aller Leben akzeptiert, für den gilt es<br />
auch, dessen Botschaft zu verstehen, den<br />
Sinn zu ermessen, <strong>der</strong> sich hinter diesem<br />
Erbe auftut. Dies allerdings ist ohne das<br />
Wissen um Religion – und ich möchte zunächst<br />
einmal nur vom Wissen sprechen –<br />
keinesfalls zu leisten. Dies gilt natürlich<br />
nicht allein für das christliche Bekenntnis,<br />
son<strong>der</strong>n für alle Religionen. Islamische<br />
Kunst etwa kann nicht verstehen und<br />
wertschätzen, wer nicht über den Schlüssel,<br />
den Zugang zur Welt dieses Glaubens<br />
verfügt. Wir benötigen daher einen Wissensvorsprung,<br />
um uns Kunstwerke zu eigen<br />
zu machen, erst recht, um sie deuten<br />
zu können. Und an diesem Wissen, das<br />
muss man ganz deutlich sagen, mangelt es<br />
den heutigen Museumsbesuchern, ob jung<br />
o<strong>der</strong> alt.<br />
Das Alte Testament wird nur noch von<br />
wenigen als ein Bildungserlebnis mit sich<br />
getragen: Wer weiß schon, was Hagar und<br />
Ismael aus Abrahams Haus in die Wüste<br />
trieb, warum es eines Engels bedurfte, um
28 Reinhold Baumstark<br />
sie dort zu retten. An<strong>der</strong>e, uns sicherlich<br />
vertrautere Darstellungen, wie Judit mit<br />
dem abgetrennten Haupt des Holofernes,<br />
David an <strong>der</strong> Leiche des von ihm gefällten<br />
Goliat, Abraham bei <strong>der</strong> versuchten Opferung<br />
seines Sohnes Isaak, dürfen nicht<br />
allein aus <strong>der</strong> Bildhaftigkeit des vor Augen<br />
geführten schockierenden Geschehens verstanden<br />
werden, son<strong>der</strong>n vor allem von<br />
dem Hoffnungsglauben her, <strong>der</strong> die alttestamentarischen<br />
Berichte beseelt und damit<br />
auch in diesen Bil<strong>der</strong>n steckt. Ohne ein<br />
solches Wissen sind Kunstwerke leere<br />
Kulissen, denen es an Leben, erst recht an<br />
Überzeugungskraft mangelt. Wenn wir<br />
Kunstwerke als den Text einer weit zurückreichenden<br />
Überlieferung verstehen<br />
wollen, dann ist die Erkenntnis unabdingbar,<br />
dass es nicht genügt, die Aneinan<strong>der</strong>reihung<br />
<strong>der</strong> Buchstaben und Worte dieses<br />
Textes – wirkungsvolle Kompositionen,<br />
schöne Farben, gelungene Darstellungen –<br />
zu goutieren, son<strong>der</strong>n wir müssen dafür<br />
sorgen, dass dieser Text spricht, dass die<br />
Bil<strong>der</strong> "ihre" Texte sprechen können. Wir<br />
brauchen Schlüssel, um die Türen <strong>der</strong><br />
Kunstwerke aufzuschließen, und dafür ist<br />
Wissen unumgänglich, und dieses Wissen<br />
muss dem Kind, dem jugendlichen Menschen,<br />
dem Heranwachsenden neben Elternhaus<br />
und Kirche vor allem im Religionsunterricht<br />
vermittelt werden. Hierin<br />
liegt eine Grundfor<strong>der</strong>ung des "Museumsmannes"<br />
an das Festhalten am Religionsunterricht,<br />
das ernsthafte Bemühen um<br />
dessen wirkungsvollen Einsatz.<br />
Doch es bleibt nicht bei dieser Begründung,<br />
denn es genügt nicht – wer wollte es<br />
bestreiten –, sich <strong>der</strong> Kunst allein unter<br />
dem Blickwinkel des "Wissensspeichers"<br />
zu nähern. Es gibt dieses wun<strong>der</strong>bare Wort<br />
von den zwei fundamentalen Kräften, die<br />
im Kunstwerk angelegt sind: das docere<br />
und das movere, das Lehren und das Bewegen,<br />
das Aufrütteln. Und wir alle haben<br />
immer wie<strong>der</strong> neu erfahren, was große<br />
Kunst bewirken kann: Menschen erschüttern,<br />
bis ins Tiefste anrühren, sie aufrüt-<br />
teln. Indem Gefühle angesprochen, Emotionen<br />
wachgerufen werden, vermag <strong>der</strong><br />
Mensch im Dialog mit dem Kunstwerk zu<br />
sich selbst zu finden. Dies gilt natürlich<br />
nicht allein für die bildende Kunst, son<strong>der</strong>n<br />
ebenso für die Literatur, das Geschehen<br />
auf <strong>der</strong> Bühne, erst recht für die Musik mit<br />
ihrer im Beson<strong>der</strong>en emotional aufgeladenen<br />
Sprache.<br />
Von daher gesehen sind "Wissensschlüssel",<br />
die Kunstwerke verstehen und deuten<br />
helfen, auch Werkzeuge <strong>der</strong> Erfahrung, mit<br />
denen wir uns über unsere Emotionen verständigen<br />
können, um Grundelemente des<br />
Menschseins zu ermessen: Leben und<br />
Liebe, Angst und Verzweiflung, Tod und<br />
das Hoffen auf ein Jenseits, den Halt im<br />
Glauben. Von all diesen Dingen sprechen<br />
Kunstwerke in geradezu unglaublich beredter,<br />
ja aufrütteln<strong>der</strong> Weise. Wenn man<br />
sich auf diese Sprache einlässt, mag es<br />
leichter und annehmbarer sein, dem Tod<br />
ins Gesicht zu schauen, sich über Hoffnungen,<br />
über Abgründe, über Ängste zu<br />
verständigen. Wir werden nicht zum eigentlichen<br />
Gehalt von Werken wie dem<br />
Isenheimer Altar von Grünewald, den Bildschöpfungen<br />
eines Rembrandts, den Passionsmusiken<br />
Bachs vordringen, wenn wir<br />
nicht bereit sind, uns auf <strong>der</strong>en Sprache<br />
einzulassen, die auf das Innere des Menschen<br />
zielt. Und bei diesem Vordringen in<br />
die Sphären <strong>der</strong> Emotionen ist das Wissen<br />
um Grundfragen des Lebens, um Fundamente<br />
des Glaubens unabdingbar, denn<br />
ohne ein solches Fundament wären Kunsterfahrungen<br />
Gemütsaufwallungen ohne<br />
jeglichen Sinn. Erst im Prozess des Erkennens<br />
gewinnt das movere, <strong>der</strong> Impuls eines<br />
Kunstwerks, mit dem es den Betrachter<br />
bewegt, Raum, kann es Wirkung auf den<br />
Menschen ausüben.<br />
Dieses sind – zugegebenermaßen – Bildungserlebnisse,<br />
die sich dem Fundament<br />
unserer christlich geprägten Kultur verdanken<br />
und ohne diese Grundvoraussetzung<br />
kaum möglich wären. In Zeiten, die
Statement 29<br />
sich vehement än<strong>der</strong>n, ist an diesem Fundament<br />
festzuhalten, an ihm weiterzubauen,<br />
es als eine Kraft zu erkennen, die unsere<br />
Gesellschaft trägt. Seit <strong>der</strong> Antike, seit<br />
dem Beginn des Christentums hat sich ein<br />
Horizont eröffnet, vor dem wir agieren, <strong>der</strong><br />
in den Werken <strong>der</strong> bildenden Kunst, <strong>der</strong><br />
Musik, <strong>der</strong> Literatur feste Konturen angenommen<br />
hat. Für das Wahrnehmen und<br />
Nutzen dieses Fundaments muss Wissen<br />
gespeichert, vermittelt und immer wie<strong>der</strong><br />
neu als lebendiges Zeugnis weitergetragen<br />
werden. Der Religionsunterricht erfüllt<br />
hierbei eine unentbehrliche Funktion.<br />
Hierbei kann <strong>der</strong> Religionsunterricht allerdings<br />
nur dann Erfolge erzielen, wenn dem<br />
intensiven Studium des "Buches <strong>der</strong> Bücher"<br />
in seinen zwei Hauptschriften, dem<br />
Alten wie dem Neuen Testament, möglichst<br />
breiter Raum zugebilligt wird. Ohne<br />
ein solches Buchwissen bleibt <strong>der</strong> Zugang<br />
zu unserem christlichen Weltbild verstellt.<br />
Es muss daher gelernt werden, dieses Buch<br />
richtig zu lesen, um es zu verstehen, und es<br />
muss auch gelernt und weitergegeben werden,<br />
wie dieses "Buch <strong>der</strong> Bücher" auf<br />
seinen verschiedenen Sinnebenen zu entschlüsseln<br />
ist. Das Verständnis für Bildzeichen<br />
und Symbole, für Prophetien und<br />
Gleichnisse, die Einsicht, dass mehrere<br />
Ebenen gemeinsam lesend miteinan<strong>der</strong> zu<br />
verknüpfen sind, um so das Denken in und<br />
mit Bil<strong>der</strong>n, das Schauen komplexer Sinnbezüge<br />
als Erkenntnisprozesse zu nutzen –<br />
all dies weitet den Horizont, stärkt die<br />
Vertrautheit mit einer jahrhun<strong>der</strong>tealten<br />
Überlieferung. Zugleich nimmt es die<br />
Scheu, den Zeugnissen unserer christlichen<br />
Tradition in den Werken <strong>der</strong> Kunst zu begegnen,<br />
in sie einzudringen, <strong>der</strong>en docere<br />
zu vernehmen, <strong>der</strong>en movere zu spüren<br />
und in sich aufzunehmen.<br />
Ich möchte ein Beispiel dafür anführen,<br />
was ich hier als meine Sicht zu geben versucht<br />
habe. Eines <strong>der</strong> berühmtesten Bil<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Alten Pinakothek zeigt Dürer im Jahre<br />
1500, also genau zur Mitte des Millenni-<br />
ums, im Alter von 28 Jahren. Der Blick des<br />
Malers ist unmittelbar forschend auf den<br />
Betrachter gerichtet, dabei wird das Antlitz<br />
bei absoluter Frontalität gezeigt. Es ist dies<br />
ein ganz und gar unerhörter Vorgang, denn<br />
erstmals in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Kunst werden<br />
Christuszüge auf das Bildnis eines<br />
lebenden Menschen übertragen, malt sich<br />
Dürer im Antlitz Christi selbst. Er nutzte<br />
hierfür die Bildformel <strong>der</strong> vera icon, des<br />
"wahren Antlitzes" Christi, das auf den<br />
Glauben an Existenz und Materialität des<br />
Schweißtuchs <strong>der</strong> Veronika zurückgeht.<br />
Eigentlich müsste dieser Vorgang, mit dem<br />
ein Künstler sich die Züge Christi anmaßt,<br />
um sie auf das eigene Bildnis zu übertragen,<br />
als Sakrileg, als schockierende<br />
Grenzüberschreitung des Schicklichen, ja<br />
des Erlaubten, empfunden werden, verstünde<br />
man nicht, was Dürer im Jahr 1500<br />
tatsächlich zum Ausdruck brachte. Es ist<br />
dies <strong>der</strong> wun<strong>der</strong>bare, große Gedanke, <strong>der</strong><br />
seit dem Alten Testament nachwirkt, dass<br />
<strong>der</strong> Mensch nach dem Bilde Gottes, nach<br />
seinem Antlitz geschaffen ist. Ein Stück<br />
Gottesebenbildlichkeit ist damit allen<br />
menschlichen Zügen eingeschrieben. Dürer<br />
hat diesen Gedanken erstmals in einem<br />
Bild, seinem Bild, aufgezeigt. Darüber<br />
hinaus schwingt in dieser ganz unerhörten<br />
Übernahme des Christusbildes auf das<br />
Antlitz eines Menschen das Wissen darüber<br />
mit, dass sich im Künstlertum ein Reflex<br />
<strong>der</strong> Schöpferkraft Gottes geborgen<br />
findet. Der Künstler, <strong>der</strong> aus dem Nichts<br />
heraus sein Werk schafft, <strong>der</strong> aus dem geringen<br />
Material von Farben, Leinwand,<br />
Holz eine umfassende künstlerische Welt<br />
errichtet, er bietet ein Abbild, einen fernen<br />
Reflex <strong>der</strong> göttlichen Schöpferkraft, <strong>der</strong><br />
das Universum und darin <strong>der</strong> Mensch ihre<br />
Existenz verdanken.<br />
Dieser doppelte Hinweis, <strong>der</strong> Gedanke <strong>der</strong><br />
Gottesebenbildlichkeit und des Reflexes<br />
göttlicher Schöpferkraft, bildet den Kern<br />
dieses erstaunlichen Bildes. Nun spricht<br />
Dürers Werk allerdings eine Botschaft aus,<br />
die mehr als fünfhun<strong>der</strong>t Jahre zurückliegt.
30 Reinhold Baumstark<br />
Wir haben uns heute an an<strong>der</strong>e Botschaften<br />
zu halten, auch geht die zeitgenössische<br />
Kunst an<strong>der</strong>e Wege, vermeidet zumeist den<br />
Grundtenor eines christlichen Weltbildes.<br />
Dennoch werden wir auch für unsere Zeit<br />
die Gültigkeit einer Aussage zu prüfen haben,<br />
die vor fünfhun<strong>der</strong>t Jahren so bedeutsam<br />
war, dass Dürer sein Ebenbild danach<br />
ausrichtete.<br />
Und eine solche Prüfung wäre nicht ohne<br />
Zeitbezug, hat doch gerade erst <strong>der</strong> Bericht<br />
einer großen Tageszeitung aus dem<br />
Grundsatzprogramm <strong>der</strong> CDU des Jahres<br />
2007 ein Wort zitiert, das geradezu Dürers<br />
Selbstbildnis vor Augen ruft (Zitat): "Für<br />
uns ist <strong>der</strong> Mensch von Gott nach seinem<br />
Bilde geschaffen." Dieses alttestamentarische<br />
Wort steht tatsächlich im Programm<br />
einer – zugegeben christlichen – Partei:<br />
"Nach dem Bilde Gottes ist <strong>der</strong> Mensch<br />
geschaffen." Es ist dies eine Botschaft, die<br />
nicht nur in die politische Arbeit, in den<br />
Einsatz für soziale Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit<br />
einbezogen gehört, son<strong>der</strong>n<br />
vor allem in den Kanon <strong>der</strong> Erziehung von<br />
Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen. Hier nun ist <strong>der</strong><br />
Religionsunterricht gefor<strong>der</strong>t, und er wird<br />
dies umso wirkungsvoller und nachdrücklicher<br />
leisten, wenn er sich des geradezu<br />
essenziellen Instrumentes bedient, das<br />
Schichten tieferen Verständnisses vorzubereiten<br />
vermag: das Schauen und Betrachten,<br />
das hin zu Erkenntnis führt.<br />
Werke bilden<strong>der</strong> Kunst bieten hierfür entschiedene<br />
Blickpunkte, schauend zu entschlüsselnde<br />
Botschaften, <strong>der</strong>en Wirkung<br />
wächst, sobald sie den Betrachter in ihren<br />
Bann schlagen und innere, im besten Fall<br />
unvergessliche Bil<strong>der</strong> generieren. Ich<br />
würde mir daher wünschen, dass <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />
an deutschen Schulen –<br />
mehr als bisher – Wege findet hin zu den<br />
Museen, um dort Zeugnissen zu begegnen,<br />
denen das docere und das movere<br />
eingeschrieben ist und die von Grundwerten<br />
künden, an denen unser Leben,<br />
auch die Erziehung zu ihm, Halt zu finden<br />
vermag.
1. Solange Bildungsfragen vorrangig unter<br />
<strong>der</strong> Perspektive diskutiert werden, wie die<br />
Konkurrenzfähigkeit des "Standorts<br />
Deutschland" zu verbessern ist, werden sie<br />
bildungsfremden Zwecksetzungen ausgeliefert.<br />
Religiöse Bildung ist in dieser Perspektive<br />
grundsätzlich überflüssig, es sei<br />
denn um den Preis einer Funktionalisierung<br />
<strong>der</strong> Religion für erzieherischsozialintegrative<br />
Zwecke, also um den<br />
Preis ihrer Ideologisierung o<strong>der</strong> ihrer<br />
Moralisierung: Religion als Opium für das<br />
Volk, als sozialer Kitt. Dass <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />
in dieser Hinsicht nicht ganz<br />
immun ist, zeigt sich daran, wie häufig er<br />
in letzter Zeit <strong>der</strong> Verlockung erliegt, "gebraucht"<br />
zu werden und unter dem Etikett<br />
<strong>der</strong> "Wertefächer" einer solchen Ingebrauchnahme<br />
angedient zu werden. Hier ist<br />
von dem scheinbar paradoxen Satz nicht<br />
abzurücken, den <strong>der</strong> katholische Erziehungswissenschaftler<br />
Helmut Peukert<br />
pointiert formuliert hat: "Bildung kann nur<br />
dann funktional sein, wenn sie nicht nur<br />
funktional ist." Nur Maschinen gehen darin<br />
auf, für etwas gut zu sein. Wenn Otto<br />
Schily als Innenminister sagte, wer Musikschulen<br />
schließe, gefährde die innere<br />
Sicherheit, dann kann man eben daraus<br />
kein kausales Kalkül machen und Geld aus<br />
dem Etat für innere Sicherheit zum Zwecke<br />
<strong>der</strong> Gründung von Musikschulen umwidmen,<br />
ohne <strong>der</strong> Musik und <strong>der</strong> inneren<br />
Sicherheit Schaden anzutun. Was für die<br />
Bildung grundsätzlich gilt, gilt für den<br />
Religionsunterricht in beson<strong>der</strong>em Maße.<br />
2. Bildung – so wird es im gegenwärtigen<br />
bildungspolitischen Diskurs erwartet – soll<br />
auf Kompetenzen, also auf Verbindungen<br />
von Wissen und Können, abzielen. Welche<br />
Kompetenzen sind bei einem religiös ge-<br />
Statement<br />
Bernhard Dressler<br />
für Religion und Philosophie<br />
bildeten Menschen zu erwarten, und zwar<br />
im Wissen, dass Religion niemals in Kompetenzen<br />
aufgeht? Kompetenzen nämlich<br />
sind Handlungsdispositionen, Religion ist<br />
aber immer auch durch eine passivrezeptive<br />
Dimension charakterisiert, die<br />
sich handlungstheoretisch kaum erfassen<br />
lässt. Vor allem aber: Von Christenmenschen<br />
wird bekanntlich erwartet, dass sie<br />
werden sollen wie die Kin<strong>der</strong>, um des<br />
Himmelreiches teilhaftig zu werden. Als<br />
Christen sind wir von Jesus Christus<br />
gleichsam in seine Kindschaftsbeziehung<br />
zu Gott mit hineingenommen. Wir bringen<br />
das im Vaterunser zur Sprache. Das darin<br />
begründete Gottvertrauen als Kompetenz<br />
auszubuchstabieren, halte ich aus theologischen<br />
Gründen nicht für möglich. Es ist<br />
uns eingestiftet und kann nicht als fromme<br />
Leistung veranschlagt werden. Es ist zudem<br />
ganz passiv in Erfahrungen liebevoller<br />
Zuwendung konstituiert. Diese Erfahrungen<br />
werden, auch wenn sie uns durch an<strong>der</strong>e<br />
Menschen zuteil werden, im Horizont<br />
<strong>der</strong> Güte Gottes gedeutet. Aus solchen<br />
Erfahrungen wachsen uns zwar Motive und<br />
Fähigkeiten – wenn man so will: Kompetenzen<br />
– für das Handeln in <strong>der</strong> Welt zu.<br />
Aber die Güte Gottes erschließen wir uns<br />
nicht durch kompetentes Handeln. Ganz im<br />
Sinne Luthers, wonach gute Werke keinen<br />
frommen Menschen machen, aber ein<br />
frommer Mensch gute Werke tut. Deshalb<br />
hat religiöse Kompetenz mit dem Glauben<br />
nur mittelbar zu tun. In <strong>der</strong> Glaubenssprache<br />
formuliert: Durch religiöse Kompetenz<br />
ist kein Heil zu erlangen. Religiöse Kompetenz<br />
kann jedoch, an<strong>der</strong>s als <strong>der</strong> Glaube,<br />
ein Bildungsziel sein. Und Bildung, auch<br />
religiöse Bildung, ist ein weltliches Ding.<br />
Meine Argumentation setzt voraus, dass<br />
man sich wenigstens hypothetisch auf die
32 Bernhard Dressler<br />
Unterscheidung von Glaube und Religion<br />
einlässt. Es ist klar, dass es sich hierbei um<br />
eine analytische Unterscheidung handelt,<br />
die auch dann theoretisch wie praktisch<br />
fruchtbar ist, wenn sie in <strong>der</strong> Lebenswirklichkeit<br />
nicht trennscharf durchzuhalten<br />
ist. Während <strong>der</strong> Glaube als unmittelbar<br />
individuelles Gottvertrauen (fiducia) nicht<br />
durch Bildung zu begründen ist, ist er doch<br />
aber, um ausgedrückt, kommuniziert und<br />
reflektiert werden zu können, auf überindividuelle<br />
Artikulationsformen angewiesen.<br />
Solche Artikulationsmöglichkeiten findet<br />
er in den Sprach- und Zeichengestalten <strong>der</strong><br />
Religion. Während <strong>der</strong> Glaube (als "Glaube<br />
an" statt als "glauben, dass ...") eine<br />
nicht als Ergebnis eines intentionalen<br />
Lernprozesses zu verstehende Gewissheit<br />
ist (certitudo im Unterschied zur securitas),<br />
ist die Religion das lehr- und lernbare Medium,<br />
das kulturelle Zeichen- und Symbolsystem,<br />
in dem sich <strong>der</strong> Glaube historisch<br />
und kulturell unterschiedlich artikulieren<br />
kann. Dieses Medium ist dem Glauben<br />
freilich auch för<strong>der</strong>lich, indem er in ihm<br />
gleichsam wie in einer Art "Nährlösung"<br />
gedeihen kann, ohne deshalb als "erzeugt"<br />
gelten zu können.<br />
3. Bildungsprozesse verstehe ich im Sinne<br />
des "literacy"-Konzeptes <strong>der</strong> PISA-Studien<br />
so, dass in ihnen Welterschließung und<br />
Weltverständnis mit <strong>der</strong> Fähigkeit verbunden<br />
werden, die Welt auf unterschiedliche<br />
Weise lesen zu können. Die "Lesbarkeit"<br />
<strong>der</strong> Welt unterstellt so etwas wie Sinnhaltigkeit;<br />
jedenfalls wird von <strong>der</strong> Weltbeobachtung<br />
mehr erwartet als bloßes Rauschen.<br />
Vor allem aber: Mit den unterschiedlichen<br />
"Lesarten" <strong>der</strong> Welt sind je<br />
spezifische "Modellierungen" von Wirklichkeit<br />
verbunden. Demnach gehört es zur<br />
Bildung, dass sie unterschiedliche Weltzugänge,<br />
unterschiedliche Horizonte des<br />
Weltverstehens eröffnet, die – das ist entscheidend<br />
– nicht wechselseitig substituierbar<br />
sind und auch nicht nach Geltungshierarchien<br />
zu ordnen sind. We<strong>der</strong> kann<br />
Religion an die Stelle von Politik treten<br />
noch Naturwissenschaft an die Stelle von<br />
Kunst – und keine dieser fachlichen Perspektiven<br />
ist bedeutsamer als die an<strong>der</strong>e,<br />
son<strong>der</strong>n immer nur von an<strong>der</strong>er Bedeutung.<br />
Auch im Biologieunterricht sollten Schüler<br />
lernen können, sich z.B. die Liebe zu ihren<br />
Eltern nicht dadurch ausreden lassen zu<br />
müssen, dass sie in bestimmter Perspektive<br />
als funktionales Äquivalent für Überlebensvorteile<br />
im "survival of the fittest" erscheinen<br />
mag. O<strong>der</strong> dass die existenzielle<br />
Erlebnisqualität ihrer pubertären Abgrenzungsgefühle<br />
nicht dadurch herabgemin<strong>der</strong>t<br />
wird, dass sie als psychisches Epiphänomen<br />
hormoneller Umstellungsprozesse<br />
verstanden werden können. Sie sollen lernen<br />
können, dass für die Bewertung <strong>der</strong><br />
literarischen Qualität eines Textes im<br />
Deutschunterricht nicht schon allein dadurch<br />
Kriterien zur Verfügung stehen, dass<br />
gerade im Geschichtsunterricht seine Entstehungszeit<br />
behandelt wird. Und schließlich<br />
auch, dass <strong>der</strong> Hinweis darauf, dass<br />
religiöse Menschen gesün<strong>der</strong> leben, nicht<br />
als sachgerechte Plausibilierung von Religion<br />
verstanden werden kann. Vor allem<br />
aber: Dass im Religionsunterricht nicht das<br />
Fürwahrhalten wissenschaftlich wi<strong>der</strong>legter<br />
Tatsachen erwartet wird.<br />
4. Ein solches Bildungsverständnis, das<br />
durch unterschiedliche Welterschließungsperspektiven<br />
gekennzeichnet ist, bedeutet<br />
nun für den Religionsunterricht, dass in ihm<br />
die spezifische Perspektive eines religiösen<br />
Weltverständnisses erschlossen werden soll<br />
– im Unterschied zu an<strong>der</strong>en Fächern, in<br />
denen <strong>der</strong>en jeweils legitime, aber begrenzte<br />
Weltsicht zum Zuge kommen soll.<br />
Aus naturwissenschaftlicher Perspektive<br />
sieht die Welt an<strong>der</strong>s aus als aus ästhetischer<br />
o<strong>der</strong> religiöser Perspektive. Keine<br />
dieser Perspektiven hat einen prinzipiellen<br />
Geltungsvorrang, keine erschließt die Welt<br />
"besser" als die an<strong>der</strong>e, aber immer "an<strong>der</strong>s".<br />
Um die ästhetische Qualität eines<br />
Gemäldes zu beurteilen, werde ich nicht die
Statement 33<br />
chemische Analyse seines Farbmaterials<br />
benötigen. Es macht einen Unterschied, ob<br />
ich Pubertätsprobleme aus <strong>der</strong> Sicht des<br />
Selbsterlebnisses von Jugendlichen betrachte<br />
o<strong>der</strong> mich dabei auf empirische<br />
Kenntnisse über hormonelle Umstellungsprozesse<br />
beziehe. Nun wissen wir, so hat es<br />
einmal sinngemäß <strong>der</strong> Philosoph Ludwig<br />
Wittgenstein formuliert, dass selbst dann,<br />
wenn alle wissenschaftlich möglichen Fragen<br />
beantwortet sind, unsere Lebensprobleme<br />
noch gar nicht berührt sind. Es sind<br />
dies die Probleme, die we<strong>der</strong> nur empirisch<br />
noch nur kognitiv, auch nicht nur ästhetisch<br />
o<strong>der</strong> nur moralisch zu verhandeln sind, son<strong>der</strong>n<br />
die als "Probleme konstitutiver Rationalität"<br />
jene Fragen aufwerfen, die ganz<br />
grundlegend auf die Deutung <strong>der</strong> Welt und<br />
meines Lebens in dieser Welt hinführen. In<br />
das Feld dieser Fragen gehört die Religion,<br />
was freilich nicht heißt, dass sie dieses Feld<br />
monopolisiert.<br />
5. Das bedeutet indes für religiöse Bildung,<br />
dass sie möglichst nicht nur "über" Religion<br />
handelt, son<strong>der</strong>n die spezifische Weltsicht<br />
<strong>der</strong> Religion erschließen soll – und<br />
das kann, weil es kein religiöses Esperanto<br />
gibt, immer nur heißen: die Weltsicht einer<br />
bestimmten, exemplarischen Religion. An<strong>der</strong>s<br />
wird man gerade nicht begreifen können,<br />
wie sich die Welt in einer religiösen<br />
Perspektive darstellt. Denn "über" Religion<br />
redet man in jener neutralisierenden Distanz,<br />
in <strong>der</strong> Religion ein sozial-kulturelles<br />
Phänomen ist wie die Pubertät ein hormonelles<br />
Problem ist. Was Religion in einer<br />
Binnenperspektive bedeutet, wird man so<br />
niemals auch nur ahnen können. Das gilt ja<br />
übrigens auf jeweils bestimmte Weise auch<br />
für die an<strong>der</strong>en Fächer: Im Musikunterricht<br />
sollten nach Möglichkeit nicht nur die Frequenzen<br />
bestimmter Schwingungen berechnet,<br />
son<strong>der</strong>n sollte musiziert werden.<br />
Im Schwimmunterricht werden nicht nur<br />
physiologische Daten getestet und Bewegungsdiagramme<br />
erstellt, son<strong>der</strong>n wird<br />
auch geschwommen. Im Chemieunterricht<br />
wird experimentiert, statt Formeln aus-<br />
wendig zu lernen. Im Deutschunterricht<br />
sollen Texte nicht linguistisch ausgewertet,<br />
son<strong>der</strong>n hermeneutisch erschlossen und<br />
ästhetisch beurteilt, möglichst auch selbst<br />
produziert werden.<br />
6. Zum Bildungsanspruch gehört es nun,<br />
im Unterricht die probeweise Perspektivenübernahme<br />
einer bestimmten Weltsicht<br />
immer wie<strong>der</strong> auch in die reflexive Distanz<br />
einer Außenperspektive zu rücken. So soll<br />
im Religionsunterricht die Welt gleichsam<br />
experimentell unter <strong>der</strong> Hypothese des<br />
Gottesglaubens betrachtet werden – im<br />
Wissen darüber, dass z.B. in den naturwissenschaftlichen<br />
Fächern aus systematischen<br />
und methodischen Gründen die<br />
gegenteilige Hypothese gilt. Zu diesem<br />
experimentellen Blick <strong>der</strong> Religion gehört<br />
es dann auch, <strong>der</strong>en beson<strong>der</strong>e Sprache –<br />
also metaphorisch-symbolische Sprache<br />
und die dazu gehörenden gestischszenischen<br />
Zeichen, wie sie etwa im Gottesdienst<br />
begegnen – probeweise in<br />
Gebrauch zu nehmen. Aber religiöse Bildung<br />
an <strong>der</strong> Schule, die sich ja von <strong>der</strong> –<br />
an an<strong>der</strong>en Orten durchaus legitimen –<br />
Einübung in eine Religion zu unterscheiden<br />
hat, verlangt, dass die so erschlossene<br />
Binnenperspektive einer Religion immer<br />
wie<strong>der</strong> in eine außenperspektivische Distanz<br />
gerückt wird. An<strong>der</strong>s gesagt: Religiöse<br />
Bildung lebt vom Perspektivenwechsel<br />
zwischen religiösem Reden und Reden<br />
über Religion, zwischen Teilnahme und<br />
Beobachtung. Unterricht ist immer Weltbeobachtung<br />
aus einer bestimmten Teilnahmeperspektive<br />
und zugleich Beobachtung<br />
dieser Beobachtung, d.h. Unterricht,<br />
auch <strong>der</strong> Religionsunterricht verbindet<br />
Beobachtungen erster und zweiter Ordnung.<br />
7. Warum gehört eine so verstandene religiöse<br />
Bildung zu den Aufgaben <strong>der</strong> öffentlichen<br />
Schule im weltanschaulich neutralen<br />
Staat? Kann es – ich komme auf meinen<br />
ersten Punkt zurück – um "Werteerziehung"<br />
gehen? Ich sage pointiert: Reli-
34 Bernhard Dressler<br />
gionsunterricht gehört an die Schule, nicht,<br />
weil Religion zu etwas gut ist, son<strong>der</strong>n<br />
weil es sie gibt; weil sie einen unverzichtbaren<br />
und nicht substituierbaren<br />
Modus <strong>der</strong> Welterschließung in den schulischen<br />
Fächerkanon einspielt. Art. 7.3 GG<br />
verdankt sich nicht religionsdidaktischen<br />
Gründen, son<strong>der</strong>n dem in Deutschland vor<br />
seinem konfessionsgeschichtlichen Hintergrund<br />
religionspolitisch begründeten Verständnis<br />
positiver Religionsfreiheit, die<br />
mehr bedeutet als einen privaten Schutzraum,<br />
mehr als ein Diskriminierungsverbot<br />
und mehr als das Recht auf Gedankenfreiheit.<br />
Positive Religionsfreiheit, wie sie in<br />
Art. 4 GG garantiert wird, sichert vielmehr<br />
das Recht auf eine Praxis, auf freie und öffentliche<br />
Religionsausübung. Für den einer<br />
bestimmten Religion verpflichteten Religionsunterricht<br />
an den öffentlichen Schulen<br />
eines weltanschaulich neutralen Staates<br />
kann es keinen an<strong>der</strong>en Grund geben als<br />
die Befähigung zur aktiven Inanspruchnahme<br />
eines Grundrechts in diesem Staat,<br />
nämlich des Rechts auf freie Religionsausübung.<br />
Freie Religionsausübung ist nur als<br />
eine bestimmte, nicht als eine abstraktallgemeine<br />
Religionspraxis möglich. Es<br />
gibt, wie gesagt, kein religiöses Esperanto.<br />
Deshalb teilt sich <strong>der</strong> Staat die Normierung<br />
dieses Unterrichts und die Aufsicht darüber<br />
mit den Religionsgemeinschaften. Ent-<br />
scheidend ist also, dass <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />
auf die Fähigkeit zur Partizipation an<br />
einer Praxis abzielt. Um gleich jedes Missverständnis<br />
abzuwehren: Zur Partizipationskompetenz<br />
gehört unter pluralistischen<br />
Bedingungen immer auch die Fähigkeit zur<br />
begründeten Nichtteilnahme. Partizipationskompetenz<br />
im hier gemeinten Sinne<br />
kann deshalb nie Resultat einer kirchlichen<br />
Rekrutierungsabsicht sein. Das auf katholischer<br />
Seite gebräuchliche Ziel <strong>der</strong> "Beheimatung"<br />
halte ich für problematisch.<br />
Im Kontext von Bildung ist Partizipationskompetenz<br />
als Handlungskompetenz nur<br />
darstellbar und messbar im Schutzraum<br />
schulischen Probedenkens und Probehandelns<br />
– wie kompetent sich jemand im<br />
außerschulischen Raum <strong>der</strong> Religion bewegen<br />
wird, entzieht sich dem im Unterricht<br />
möglichen und erlaubten Urteil. Allerdings:<br />
Unter <strong>der</strong> Voraussetzung, dass<br />
Religion in <strong>der</strong> Bildungsperspektive immer<br />
eine selbstgewählte Lebensform ist, hat <strong>der</strong><br />
Religionsunterricht die Voraussetzungen<br />
dafür zu schaffen, dass auch unter mo<strong>der</strong>nen<br />
Bedingungen die bewusste Wahl einer<br />
religiösen Lebensform möglich ist und<br />
nicht aus sachfremden Gründen verschlossen<br />
bleibt, seien es antiklerikale Ressentiments<br />
o<strong>der</strong> szientistisch-naturalistische<br />
Wissenschaftsbil<strong>der</strong>.
1. Quantentheorie – Bindeglied<br />
zwischen Religion und Naturwissenschaft<br />
Der Religionsunterricht in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />
Gesellschaft steht vor dem Problem, wie die<br />
Erfahrungen <strong>der</strong> Schülerinnen und Schüler<br />
mit einer Umwelt, die durch die Naturwissenschaften<br />
erklärt und technisch verän<strong>der</strong>t<br />
wird, auch mit religiösen Vorstellungen in<br />
Verbindung gebracht werden können.<br />
Zwar ist es heute nicht mehr so wie in meiner<br />
Jugend, als <strong>der</strong> Staat unter Berufung auf<br />
eine angeblich "wissenschaftliche Weltanschauung"<br />
religiöse Vorstellungen als<br />
Aberglauben einstufen wollte. Aber bis<br />
heute werden Vorstellungen, die aus <strong>der</strong><br />
Naturwissenschaft des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
stammen, sehr aktiv und wirkmächtig gegen<br />
religiöse Überzeugungen eingesetzt.<br />
Der notwendigen philosophisch-theologischen<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung kann man sich<br />
nicht dadurch entziehen, dass man versucht,<br />
Naturwissenschaft und Glauben als<br />
Bereiche zu erklären, die nichts miteinan<strong>der</strong><br />
zu tun haben. Vielmehr ist <strong>der</strong> Jugend<br />
zu verdeutlichen, wie in ihrer Lebenswirklichkeit<br />
diese verschiedenen Bereiche miteinan<strong>der</strong><br />
in Verbindung gebracht werden<br />
können. Dazu bedarf es meiner Meinung<br />
nach nicht nur Anstrengungen vonseiten<br />
<strong>der</strong> Naturwissenschaft, son<strong>der</strong>n auch vonseiten<br />
<strong>der</strong> Theologie.<br />
Was die Naturwissenschaft betrifft, möchte<br />
ich darlegen, in welche Richtung diese gehen<br />
könnte.<br />
Die entscheidende Umwälzung, die es ermöglicht,<br />
eine naturwissenschaftliche Welterfassung<br />
mit religiösem Glauben und<br />
Statement<br />
Thomas Görnitz<br />
für die Naturwissenschaften<br />
Erleben zusammenzudenken, wird durch<br />
die Quantentheorie bewirkt.<br />
Wir beklagen heute zu Recht ein Überhandnehmen<br />
eines materialistischen<br />
Weltverständnisses, welches den Heranwachsenden<br />
nur den Konsum als Lebenssinn<br />
vermitteln kann. Oft wird dabei ignoriert,<br />
welche unbewusst wirkende und daher<br />
entscheidende Rolle eine Weltsicht<br />
spielt, die ihre Selbstbestätigung aus einem<br />
seit langem überholten naturwissenschaftlichen<br />
Konzept bezieht.<br />
Die Quantentheorie versetzt uns in die<br />
Lage, das "Lego-Weltbild" von "kleinsten<br />
Teilchen" durch eine bessere Beschreibung<br />
<strong>der</strong> Natur zu ersetzen. Sie zeigt auf, dass in<br />
<strong>der</strong> Tiefe <strong>der</strong> Wirklichkeit eine Struktur erkennbar<br />
wird, die sehr viel enger mit dem<br />
verwandt ist, was in <strong>der</strong> Sprache <strong>der</strong> Philosophie<br />
als das Geistige bezeichnet wird.<br />
2. Worin besteht das Neue, das sich<br />
aus <strong>der</strong> Quantentheorie ergibt?<br />
Die von Max Planck, Albert Einstein und<br />
Nils Bohr angebahnte und von Werner<br />
Heisenberg begonnene Entwicklung <strong>der</strong><br />
Quantentheorie ist – laut Heisenberg – die<br />
"philosophisch bedeutsamste Entdeckung<br />
des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts". Sie ist unter an<strong>der</strong>em<br />
auch geeignet, aus einer naturwissenschaftlichen<br />
Sicht naturalistische Fehler zu<br />
korrigieren, die bis heute als sogenannte<br />
"wissenschaftliche" Argumente gegen religiöse<br />
Überzeugungen angeführt werden.<br />
Über die Quantentheorie existieren allerdings<br />
bis heute und sogar bis in die Wissenschaften<br />
hinein einige grundlegende<br />
Missverständnisse. Diese machen es prak-
36 Thomas Görnitz<br />
tisch unmöglich, den Wesensgehalt dieser<br />
Theorie zu begreifen.<br />
Der Grund dafür liegt teilweise auch bei<br />
den Physikern, denen es zumeist genügt,<br />
mit dieser Theorie extrem erfolgreich zu<br />
arbeiten und die daher oft wenig Interesse<br />
daran haben, die philosophische Bedeutung<br />
ihrer Theorien zu ergründen.<br />
Das erste Missverständnis besteht darin,<br />
dass man Quantentheorie mit "Unschärfe"<br />
in Verbindung bringt. Das macht die<br />
Erkenntnis fast unmöglich, dass die Quantentheorie<br />
die genaueste und die beste<br />
Theorie ist, die wir in den Naturwissenschaften<br />
besitzen. Diese Genauigkeit war<br />
zum ersten Male im Bereich des Kleinen,<br />
bei <strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong> Atome, zwingend<br />
geboten. Daraus ergab sich ein zweites<br />
Missverständnis über Quantentheorie.<br />
Sie wird nämlich bis heute weithin als<br />
"Mikrophysik" missverstanden. Heute<br />
kann man aber bereits experimentell<br />
Quantensysteme mit Ausdehnungen von<br />
über 100 Kilometern präparieren, da ist<br />
"Mikro" offensichtlich ein falscher<br />
Begriff.<br />
In diesem Zusammenhang sei vermerkt,<br />
dass sich etwa ein Drittel unseres Bruttosozialproduktes<br />
bereits heute aus Anwendungen<br />
<strong>der</strong> Quantentheorie ergibt, beispielsweise<br />
Solarzellen, Chips für Computer<br />
und Handys, Laser usw. Wir haben<br />
es also keineswegs mit einem nur die Spezialisten<br />
interessierenden o<strong>der</strong> gar "esoterischen"<br />
Bereich <strong>der</strong> Naturwissenschaften zu<br />
tun, son<strong>der</strong>n mit einer Theorie, von <strong>der</strong><br />
bisher keine Grenze ihrer Gültigkeit erkennbar<br />
ist.<br />
3. Die "Schichtenstruktur" <strong>der</strong><br />
beiden Bereiche <strong>der</strong> Physik<br />
Die klassische Physik kann charakterisiert<br />
werden als eine Physik <strong>der</strong> Objekte und <strong>der</strong><br />
Kräfte zwischen ihnen.<br />
Quantentheorie hingegen ist in erster Linie<br />
eine "Physik <strong>der</strong> Beziehungen". Sie ist eine<br />
mathematisch streng ausgeformte Theorie,<br />
die erstmals in <strong>der</strong> Naturwissenschaft die<br />
Tatsache berücksichtigt, dass ein Ganzes<br />
oftmals mehr ist als lediglich die Summe<br />
seiner Teile.<br />
Bei Vorträgen in Schulen merke ich, wie<br />
interessiert die jungen Menschen an dem<br />
Gedankengang sind, dass selbst die unbelebte<br />
Natur nicht verstanden werden kann,<br />
wenn sie lediglich als "beziehungsloses<br />
Nebeneinan<strong>der</strong>" angesehen wird – dass<br />
somit <strong>der</strong> Mensch in einem kosmischen<br />
Beziehungsgeflecht steht, welches unüberhörbar<br />
nach Sinn ruft, <strong>der</strong> aber schwerlich<br />
aus diesem Kosmos selbst kommen kann.<br />
Eine zweite Charakterisierung <strong>der</strong> Quantentheorie<br />
ist, sie als "Physik <strong>der</strong> Möglichkeiten"<br />
zu begreifen.<br />
Für uns Menschen ist es eine unmittelbare<br />
Erfahrung, dass unser Verhalten nicht nur<br />
durch die Tatsachen, son<strong>der</strong>n auch durch<br />
die vorhandenen bzw. durch nicht vorhandene<br />
o<strong>der</strong> eingeschränkte Möglichkeiten<br />
beeinflusst wird. Die Quantentheorie zeigt<br />
auf, dass dies bereits in <strong>der</strong> unbelebten<br />
Natur <strong>der</strong> Fall ist, dass also Möglichkeiten<br />
Wirkung entfalten können.<br />
Eine wirklich gute Beschreibung von Natur<br />
und Mensch benötigt also eine Schichtenstruktur<br />
aus klassischer und quantischer<br />
Physik, mit <strong>der</strong> sowohl das Wirken <strong>der</strong><br />
Fakten als auch das <strong>der</strong> Möglichkeiten<br />
berücksichtigt wird.<br />
4. Was sind die wesentlichen<br />
Aspekte, die aus <strong>der</strong> Quantenstruktur<br />
<strong>der</strong> Natur für den<br />
Religionsunterricht folgen?<br />
Beson<strong>der</strong>s wichtig ist aus meiner Sicht,<br />
dass durch die Quantentheorie Denkein-
Statement 37<br />
schränkungen relativiert werden, die aus<br />
<strong>der</strong> klassischen Physik in den Alltag und<br />
teilweise auch in die herkömmliche Philosophie<br />
übernommen worden sind.<br />
Die Quantentheorie zeigt, dass bei einer<br />
hinreichend genauen Untersuchung <strong>der</strong><br />
Natur Unterschiede zwischen Ausgedehntheit<br />
und Lokalisierung aufgehoben werden.<br />
In <strong>der</strong> Schule wird dies unter dem Schlagwort<br />
des "Welle-Teilchen-Dualismus" abgehandelt<br />
– nach meiner Erfahrung zumeist<br />
als eine "Absurdität <strong>der</strong> Mikrowelt"<br />
und ohne jeden Bezug zum Menschen. Dabei<br />
zeigt doch manche religiöse Erfahrung,<br />
dass die Vorstellungen des Alltags über<br />
räumliche o<strong>der</strong> zeitliche Zusammenhänge<br />
nur eine Oberflächenschicht sind, unter <strong>der</strong><br />
manchmal eine tiefere Wahrheit deutlich<br />
wird. Ich habe daher zur Erläuterung dieses<br />
Sachverhaltes in meinem Buch über<br />
Quantentheorie die Geschichte vom Propheten<br />
Jona aufgenommen.<br />
Die Bedeutung <strong>der</strong> Quantentheorie reicht<br />
aber weit über Nichtlokalitäten hinaus,<br />
denn von ihr werden auch die Unterschiede<br />
zwischen Kraft und Stoff und zwischen<br />
Materie und Bewegung relativiert. Auch<br />
die von den Mystikern aufgezeigte Nichtunterschiedenheit<br />
von Fülle und Leere hat<br />
ihre Entsprechung in <strong>der</strong> Quantentheorie.<br />
Selbst <strong>der</strong> fundamental erscheinende Unterschied<br />
zwischen Objekt und Eigenschaft<br />
relativiert sich im Lichte <strong>der</strong> Quantentheorie<br />
– und schließlich sogar <strong>der</strong> zwischen<br />
Materie bzw. Energie einerseits und an<strong>der</strong>erseits<br />
einer abstrakten, kosmologisch<br />
fundierten und bedeutungsfreien Quanteninformation.<br />
Quanteninformation – so fremd dieses<br />
Konzept auf den ersten Blick erscheinen<br />
mag – ist uns Menschen zumindest in <strong>der</strong><br />
Form bekannt, die wir als unsere bewussten<br />
Gedanken kennen.<br />
Wenn also aus <strong>der</strong> Quantentheorie eine<br />
Äquivalenz zwischen Materie, Energie und<br />
Quanteninformation hergeleitet werden<br />
kann, so bedeutet das unter an<strong>der</strong>em, dass<br />
die Gedanken in unserem Bewusstsein<br />
nicht weniger real sind als die Elementarteilchen,<br />
die man aus den Zellen unseres<br />
Gehirns isolieren könnte.<br />
Daraus folgt aus naturwissenschaftlicher<br />
Sicht, dass es unberechtigt ist, das Geistige<br />
in <strong>der</strong> Weise darzustellen, wie es teilweise<br />
in populären und damit breitenwirksamen<br />
<strong>Publikation</strong>en von Ergebnissen <strong>der</strong> Hirnforschung<br />
zu finden ist. Wie wichtig diese<br />
Korrektur für ein realistisches Menschenbild<br />
ist, welches mit unserer Selbsterfahrung<br />
übereinstimmt und das uns Menschen<br />
nicht wie determinierte und damit verantwortungslose<br />
Zombies erscheinen lässt,<br />
muss nicht extra betont werden.<br />
5. Die neue Aufgabe <strong>der</strong> Physik<br />
Eine Aufgabe, die Carl Friedrich von<br />
Weizsäcker <strong>der</strong> Physik gestellt hat, ist es,<br />
die bekannten Formen <strong>der</strong> Materie aus einer<br />
abstrakten Quanteninformation herzuleiten.<br />
Werner Heisenberg hat dazu geschrieben,<br />
dass die Durchführung dieses<br />
Programmes "ein Denken von so hoher<br />
Abstraktheit erfor<strong>der</strong>t, wie sie bisher, wenigstens<br />
in <strong>der</strong> Physik, nie vorgekommen<br />
ist." Ihm, Heisenberg, "wäre das sicher zu<br />
schwer", aber Weizsäcker solle es mit seinen<br />
Mitarbeitern unbedingt versuchen. 1<br />
Auf diesem Wege sind bedeutsame Fortschritte<br />
erzielt worden, die im Einzelnen<br />
auszuführen allerdings den Rahmen des<br />
kurzen Beitrages hier überschreiten würden.<br />
Ich will nur so viel erwähnen, dass<br />
mit diesem Konzept einer abstrakten<br />
Quanteninformation – für die wegen ihrer<br />
Bedeutungsfreiheit <strong>der</strong> neue Begriff <strong>der</strong><br />
Protyposis eingeführt worden ist – die<br />
kosmische Evolution als ein Prozess verstanden<br />
werden kann, <strong>der</strong> primär als die<br />
Entwicklung eines geistigen Prinzips zu<br />
verstehen ist. In ihm ist die Bildung mate-
38 Thomas Görnitz<br />
rieller Formen ein wichtiger, aber keineswegs<br />
<strong>der</strong> grundlegende o<strong>der</strong> gar <strong>der</strong> einzige<br />
Aspekt.<br />
Damit ergibt sich ein naturwissenschaftlicher<br />
Zugang zu einer These des Heiligen<br />
Vaters, die er noch als Prof. Ratzinger<br />
aufgestellt hatte: nämlich, dass "<strong>der</strong> Geist<br />
(= Denkfähigkeit) nicht ein Zufallsprodukt<br />
materieller Entwicklungen ist, son<strong>der</strong>n<br />
dass vielmehr die Materie ein Moment an<br />
<strong>der</strong> Geschichte des Geistes bedeutet." 2<br />
6. Naturgesetze, Kosmologie,<br />
Gleichheit<br />
Im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Evolution des<br />
Kosmos ist ein Blick auf die Bedeutung<br />
<strong>der</strong> Naturgesetze zu werfen. Gesetze sind<br />
lediglich sinnvoll für "viel des Gleichen".<br />
Die Vorstellung eines gesetzmäßigen Verhaltens<br />
ist sinnlos für einen Einzelfall. Ein<br />
Einzelfall kann definitionsgemäß nicht<br />
wie<strong>der</strong>holt werden, deshalb sind für ihn<br />
Regeln o<strong>der</strong> gar Gesetze unsinnig.<br />
Das bedeutsamste "Unikat" ist das Universum<br />
als "die eine Gesamtheit" all dessen,<br />
was <strong>der</strong> physikalischen Empirie zugänglich<br />
sein kann. Daher kann dieser eine Kosmos<br />
nicht als "Lösung von allgemeinen Gesetzen"<br />
verstanden werden. Allerdings wird<br />
seine Entwicklung nicht zu den Naturgesetzen<br />
im Wi<strong>der</strong>spruch stehen, die für die<br />
vielen gleichen Objekte in ihm gefunden<br />
werden können.<br />
"Gleiches" wird in <strong>der</strong> Natur dadurch gefunden,<br />
dass Unterschiede ignoriert werden.<br />
Je mehr ignoriert wird, desto exaktere,<br />
d.h. mathematisch schärfere Gesetze werden<br />
möglich. Die klassische Physik liefert<br />
die exaktesten Gesetze, die für die zeitliche<br />
Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Fakten einen strengen<br />
Determinismus zur Folge haben. Was aber<br />
oft vergessen wird, ist: Je mehr ignoriert<br />
wird, desto ungenauer wird auch die Modellierung.<br />
Diese Ungenauigkeit korrigie-<br />
ren zu müssen war <strong>der</strong> Grund, weshalb die<br />
Physiker <strong>der</strong> Quantentheorie nicht ausweichen<br />
konnten.<br />
7. Ein neuer Reduktionismus<br />
Eine weitere, auch für den Religionsunterricht<br />
wichtige Frage betrifft den Reduktionismus.<br />
Die durch die Quantentheorie ermöglichte<br />
Ablösung des Lego-Weltbildes<br />
hat zur Folge, dass auch <strong>der</strong> Reduktionismus<br />
in einem neuen Licht gesehen werden<br />
kann.<br />
Naturwissenschaft hat das Ziel, Erscheinungen<br />
zu erklären, um Handlungsoptionen<br />
gewinnen zu können. Erklären meint, dass<br />
Unbekanntes auf Bekanntes, dass Unverstandenes<br />
auf bereits Verstandenes und dass<br />
Komplexes auf Einfaches zurückgeführt<br />
werden soll. Dieses Zurückführen geschieht<br />
mithilfe von neuen und gut verständlichen<br />
Strukturen, d.h. in <strong>der</strong> Regel mit einsichtigen<br />
mathematischen Formen. Wegen dieses<br />
Zurückführens ist in dem Sinne Naturwissenschaft<br />
notwendig reduktionistisch.<br />
In geisteswissenschaftlichen Diskussionszusammenhängen<br />
erlebe ich oftmals eine<br />
Ablehnung reduktionistischer Konzepte.<br />
Diese Ablehnung ist aus meiner Sicht unberechtigt,<br />
wenn sie sich gegen die naturwissenschaftliche<br />
Methode richtet.<br />
Die Ablehnung ist aber in einer an<strong>der</strong>en<br />
Hinsicht berechtigt, auch wenn die Gründe<br />
dafür in <strong>der</strong> Regel gerade nicht deutlich<br />
formuliert werden.<br />
Es ist nämlich festzuhalten, dass eine<br />
Reduktion <strong>der</strong> Wirklichkeit auf die bisher<br />
überkommenen Vorstellungen von "Materie"<br />
verfehlt ist, denn im Rahmen naturwissenschaftlicher<br />
Forschung wird fast nie<br />
deutlich gemacht, dass in <strong>der</strong> bisherigen<br />
Wissenschaft <strong>der</strong> am wenigsten verstandene<br />
Begriff <strong>der</strong>jenige <strong>der</strong> Materie gewesen<br />
war. Im "Lego-Weltbild" soll Materie
Statement 39<br />
letztlich dadurch erklärt werden, dass<br />
"Materie aus kleinen Stücken von Materie<br />
besteht". Das ist alles an<strong>der</strong>e als eine<br />
Erklärung, das ist natürlich kein "Zurückführen<br />
auf Bekanntes".<br />
Wenn man es so deutlich formuliert, so<br />
wird erkennbar, dass eine "Reduktion auf<br />
kleinste Teilchen" ein Verfehlen des eigentlichen<br />
Zieles von Naturwissenschaft darstellt,<br />
nämlich Unbekanntes auf bereits<br />
Bekanntes zu reduzieren. Mit <strong>der</strong> Protyposis<br />
aber, mit abstrakter Quanteninformation,<br />
wird aus meiner Sicht eine Reduktion<br />
möglich, die auch für Theologen o<strong>der</strong><br />
Philosophen akzeptierbar ist.<br />
Weiterführende Literatur<br />
Görnitz, Thomas/Görnitz, Brigitte: Die Evolution<br />
des Geistigen. Quantenphysik – Bewusstsein –<br />
Religion, Göttingen 2008.<br />
Görnitz, Thomas: Quanten sind an<strong>der</strong>s, die verborgene<br />
Einheit <strong>der</strong> Welt, Heidelberg 1999.<br />
Görnitz, Thomas/Görnitz, Brigitte: Der kreative<br />
Kosmos – Geist und Materie aus Quanteninformation,<br />
Heidelberg 2002.<br />
Ich möchte schließen mit einem Zitat von<br />
Dietrich Bonhoeffer: "In dem, was wir<br />
erkennen, sollen wir Gott finden, nicht<br />
aber in dem, was wir nicht erkennen;<br />
nicht in den ungelösten, son<strong>der</strong>n in den<br />
gelösten Fragen will Gott von uns begriffen<br />
sein." 3<br />
Ich denke, es ist deutlich geworden, dass in<br />
<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen und offenen Gesellschaft<br />
auch ein offenes und kreatives Verhältnis<br />
von Religionsunterricht und Naturwissenschaft<br />
möglich wird und frühere Verkrampfungen<br />
überflüssig werden. Ich hoffe,<br />
dass diese Möglichkeiten im Interesse <strong>der</strong><br />
Jugend auch genutzt werden.<br />
Anmerkungen<br />
1<br />
2<br />
3<br />
Heisenberg, Werner: Der Teil und das Ganze,<br />
München 1969, S.332.<br />
Schultz, Hans Jürgen (Hrsg.): Was ist das<br />
eigentlich – Gott?, München 1969, S.240f.<br />
Bonhoeffer, Dietrich: Wi<strong>der</strong>stand und Ergebung,<br />
Briefe und Aufzeichnungen aus <strong>der</strong> Haft,<br />
Berlin 1961, S.170f.
1. Die verfassungsdogmatische und<br />
die verfassungstheoretische Sicht<br />
Als Jurist könnte ich es mir an sich einfach<br />
machen und auf die Bundesverfassung, das<br />
Grundgesetz, verweisen, welches in Art. 7<br />
Absätze 2 und insbeson<strong>der</strong>e 3 Regelungen<br />
zum Religionsunterricht trifft. Danach ist<br />
Religionsunterricht, um nur das Wichtigste<br />
zu nennen, in öffentlichen Schulen ordentliches<br />
– und das heißt: versetzungserhebliches<br />
– Lehrfach. Er wird in Übereinstimmung<br />
mit den Grundsätzen <strong>der</strong> jeweiligen<br />
Religionsgemeinschaft erteilt, d.h. diese<br />
verantworten und bestimmen die Inhalte<br />
desselben. Dabei begrenzt das Grundgesetz<br />
den Kreis von Religionsgemeinschaften,<br />
denen die Erteilung des Religionsunterrichts<br />
in <strong>der</strong> öffentlichen Schule anvertraut<br />
werden darf, keineswegs nur auf die beiden<br />
christlichen "Großkirchen". Die dritte Beson<strong>der</strong>heit:<br />
Vom Religionsunterricht kann<br />
man sich, wiewohl versetzungserhebliches<br />
Fach und im Gegensatz zu allen an<strong>der</strong>en<br />
ordentlichen Lehrfächern, abmelden.<br />
Doch zöge man sich auf die Anordnungen<br />
und Verbürgungen des Grundgesetzes zurück,<br />
verfehlte man die uns umtreibende<br />
Fragestellung, die ja just nach <strong>der</strong> fortbestehenden<br />
Berechtigung <strong>der</strong> bestehenden<br />
(Rechts-)Lage fragt, nach dem Umwillen<br />
<strong>der</strong> verfassungsgesetzlichen Gewährleistung.<br />
Zugespitzt: Es geht nicht um die Frage<br />
<strong>der</strong> positivrechtlichen Geltung <strong>der</strong> im<br />
Grundgesetz enthaltenen Bestimmungen<br />
zum Religionsunterricht – diese Frage wäre<br />
schnell erledigt –, son<strong>der</strong>n es geht um<br />
die jenseits <strong>der</strong> "nackten" Positivität liegende,<br />
innere Rechtfertigung des durch das<br />
Verfassungsrecht Angeordneten und Gewährleisteten.<br />
Das aber ist, wie <strong>der</strong> Ver-<br />
Statement<br />
Matthias Jestaedt<br />
für die Rechts- und Gesellschaftswissenschaften<br />
fassungsrechtswissenschaftlerformulieren würde, keine Frage <strong>der</strong> Verfassungsdogmatik,<br />
<strong>der</strong> es um das rechtliche Sein,<br />
um die Legalität des geltenden Verfassungsrechts<br />
zu tun ist, son<strong>der</strong>n eine solche<br />
<strong>der</strong> Verfassungstheorie, die nach dem dahinter<br />
liegenden Sinn, <strong>der</strong> Legitimität des<br />
geltenden Verfassungsrechts fragt.<br />
Um nicht missverstanden zu werden: Allfällige<br />
verfassungstheoretische Zweifel<br />
daran, dass die Verbürgung des Religionsunterrichts<br />
in Art. 7 Abs. 3 GG auch heute<br />
noch ihren guten Sinn hat, würden zunächst<br />
nichts am Fortbestand <strong>der</strong> Geltung<br />
dieser Verfassungsvorschrift än<strong>der</strong>n. Der<br />
gemeinrechtliche Satz "cessante ratione<br />
legis cessat lex ipsa" – mit dem Wegfall<br />
des eigentlichen Sinnes einer Norm entfällt<br />
diese selbst – kann in das vollpositivierte<br />
Recht eines mo<strong>der</strong>nen Verfassungsstaates<br />
nicht unbesehen übernommen werden.<br />
Und doch: In dem Maße, in dem eine<br />
Rechtsbestimmung (und stehe sie auch in<br />
<strong>der</strong> Verfassung) nicht mehr den Nachweis<br />
zu führen vermag, dass die in ihr angelegte<br />
Sinnerwartung weiterhin besteht, erhöht<br />
sich <strong>der</strong> Druck auf den zuständigen Rechtsetzer<br />
– hier: den Bundesverfassungsgesetzgeber<br />
–, diese Norm anzupassen o<strong>der</strong><br />
gar gänzlich aufzuheben.<br />
2. Die religiös-weltanschauliche<br />
Neutralität und das schulische<br />
Erziehungsmandat des Staates<br />
Ausgangspunkt all unserer Überlegungen<br />
zur verfassungstheoretischen Ortsbestimmung<br />
des Religionsunterrichts ist die religiös-weltanschauliche<br />
Neutralität des Verfassungsstaates,<br />
genauer: die Neutralität in
42 Matthias Jestaedt<br />
Bezug auf das ebenfalls in <strong>der</strong> Verfassung<br />
angelegte staatliche Bildungs- und Erziehungsmandat<br />
in <strong>der</strong> Schule. Damit sind<br />
zwei Fragen – wenn auch im gegebenen<br />
Kontext nur sehr holzschnittartig – zu beantworten:<br />
Wozu dient das schulische<br />
Mandat des Staates? Und was bedeutet in<br />
diesem Kontext die staatliche Neutralität?<br />
2.1 Das Schulmandat des Staates<br />
Zunächst zum schulischen Bildungs- und<br />
Erziehungsmandat des Staates, welches<br />
aus Art. 7 Abs. 1 GG hergeleitet wird: Dieses<br />
zielt neben einer – zugespitzt formuliert<br />
– eher äußerlich-mechanistisch verstandenen<br />
Wissensvermittlung auch und<br />
gerade auf die Integration des heranwachsenden<br />
Menschen in unsere Gesellschaft<br />
mit ihren Anfor<strong>der</strong>ungen und Möglichkeiten.<br />
Das Grundgesetz, welches in puncto<br />
Pflege und Erziehung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> nach den<br />
totalitären Erfahrungen ganz konsequent<br />
nicht auf das staatliche Kollektiv, son<strong>der</strong>n<br />
zuvör<strong>der</strong>st auf die individuelle elterliche<br />
Verantwortung setzt, nimmt doch einen<br />
Bereich von dieser Vorrangentscheidung<br />
zugunsten des Individuums und zulasten<br />
des Kollektivs aus: die Schule. Hier ist es<br />
<strong>der</strong> Staat, <strong>der</strong> – selbstredend unter tunlichster<br />
Achtung <strong>der</strong> elterlichen Verantwortung<br />
– einen eigenständigen Bildungsund<br />
Erziehungsauftrag zu erfüllen hat.<br />
Dieser Auftrag ist indes nicht gleichsam<br />
ziellos und vollauf den Vorstellungen <strong>der</strong><br />
jeweils aktuellen demokratischen Mehrheit<br />
ausgeliefert. Vielmehr ist, bei aller Konkretisierungsfreiheit<br />
im Detail, d.h. bei aller<br />
politischen Gestaltungsmacht, das<br />
oberste Erziehungsziel <strong>der</strong> staatlichen<br />
Schule von <strong>der</strong> Verfassung unverrückbar<br />
vorgegeben: Es verkörpert sich im sogenannten<br />
"Menschenbild des Grundgesetzes".<br />
Die Integrationsaufgabe <strong>der</strong> Schule<br />
zielt auf das selbstbestimmte und gemeinschaftsfähige<br />
Individuum. Darin manifestiert<br />
sich zugleich die zentrale gesamtgesellschaftliche<br />
Verantwortung <strong>der</strong> Schule.<br />
2.2 Die staatliche Neutralität<br />
Eine weitere verfassungsrechtliche Bindung<br />
und Prägung des staatlichen Schulmandates:<br />
Die staatliche Schule und die in<br />
ihr Tätigen erfüllen ihren Auftrag unter <strong>der</strong><br />
Maßgabe religiös-weltanschaulicher Neutralität.<br />
Der mo<strong>der</strong>ne, religiös-weltanschaulich<br />
neutrale Verfassungsstaat markiert<br />
unsere Antwort auf die Frage, wie<br />
staatliche Gemeinschaft gelebt werden<br />
kann unter den Bedingungen, dass es nicht<br />
mehr eine Wahrheit, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong>en viele,<br />
dass es nicht mehr einen Glauben und eine<br />
Weltanschauung gibt, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong>en viele,<br />
dass – mit an<strong>der</strong>en Worten – die rechte<br />
Ordnung just nicht mehr auf die Wahrheit<br />
und den Glauben gegründet werden kann,<br />
son<strong>der</strong>n ein Grund des Gemeinwesens gesucht<br />
und gefunden werden muss, <strong>der</strong> jenseits<br />
von Glauben und Unglauben liegt.<br />
Um in einer religiös-weltanschaulich pluralen<br />
– man mag auch formulieren: religiös-weltanschaulich<br />
pluriformen und heterogenen<br />
– Gesellschaft "Heimstatt aller<br />
Bürgerinnen und Bürger", von Gläubigen<br />
und Ungläubigen, So- und An<strong>der</strong>sgläubigen<br />
sein zu können, verpflichtet sich <strong>der</strong><br />
Verfassungsstaat dem Integrationsmodell<br />
religiös-weltanschaulicher Neutralität. Das<br />
heißt: Er privatisiert die letzten Fragen<br />
nach dem Woher, Wozu und Wohin des<br />
Menschen und lässt insoweit jeden nach<br />
eigener Façon glücklich werden. Er nimmt<br />
folglich nicht Partei in dem Wettbewerb<br />
um das Seelenheil und die wahre Weltanschauung.<br />
Neutralität meint insoweit<br />
Nicht-Identifikation, Äquidistanz zu den<br />
religiös-weltanschaulichen Konkurrenten,<br />
Unparteilichkeit und Überparteilichkeit<br />
und ist die Konsequenz des Zerbrechens<br />
<strong>der</strong> Einheit von Staat und Kirche, von Politik<br />
und Religion, von Recht und Moral.<br />
Doch bedeutet Neutralität im Kontext des<br />
Grundgesetzes – entgegen einem geläufigen<br />
Missverständnis – keineswegs völlige<br />
Wertabstinenz. Wertfreiheit hieße auch<br />
hier: Wertlosigkeit. Das Grundgesetz aber
Statement 43<br />
begründet und gewährleistet eine ebenso<br />
wehrhafte wie werthafte Demokratie.<br />
Schon sein erster Satz – "Die Würde des<br />
Menschen ist unantastbar" – ist ein Wertbekenntnis<br />
par excellence. Nicht <strong>der</strong><br />
Mensch ist um des Staates willen, son<strong>der</strong>n,<br />
just umgekehrt, <strong>der</strong> Staat ist um des Menschen<br />
willen da. Den – weithin sogar jeglicher<br />
Verfassungsän<strong>der</strong>ung entzogenen –<br />
Verfassungskern bildet die freiheitlichdemokratische<br />
Grundordnung mit Menschenwürde<br />
und Menschenbild, mit<br />
Selbstbestimmung und Geschlechtergleichheit,<br />
mit Grundrechten und Rechtsstaat,<br />
mit politischer Selbstbestimmung<br />
(Demokratie), aber auch mit gemeingesellschaftlicher<br />
Solidarität (Sozialstaat) und<br />
Verantwortung gegenüber Umwelt und<br />
Nachwelt. Hier ist <strong>der</strong> Staat des Grundgesetzes<br />
keineswegs neutral, hier ist er ganz<br />
Partei.<br />
Religiös-weltanschauliche Neutralität meint<br />
denn auch, bei Lichte besehen, dass <strong>der</strong><br />
Staat erst jenseits o<strong>der</strong> auch oberhalb dieses<br />
systemtragenden verfassungsrechtlichen<br />
Sockels Unparteilichkeit zu wahren<br />
hat. Und selbst insoweit gilt: Der Staat darf<br />
– und muss – Wertentscheidungen treffen,<br />
er darf dies nur nicht tun, indem er seine<br />
Begründung auf die verbindlichen Glaubensinhalte<br />
einer Religion o<strong>der</strong> Weltanschauung<br />
stützt (Begründungs-Neutralität).<br />
3. Staatliche Erziehungsziele<br />
Für die staatliche Schule folgt daraus zunächst,<br />
dass <strong>der</strong> schulische Bildungs- und<br />
Erziehungsauftrag nicht neutral im Sinne<br />
von wert(ungs)frei-"objektiv" zu sein habe<br />
– o<strong>der</strong> auch nur sein dürfte. Das Grundgesetz<br />
wie die Landesverfassungen sind<br />
äußerst werthaltige, wertorientierte Fundamente<br />
unseres Gemeinwesens, formulieren<br />
also einen inhaltlich anspruchsvollen<br />
Integrationsauftrag. Die schulischen Erziehungsziele<br />
umschreibt denn auch Art. 1<br />
Abs. 1 des Bayerischen Erziehungs- und<br />
Unterrichtsgesetzes im Einklang mit <strong>der</strong><br />
Landesverfassung wie folgt:<br />
"(1) 1 Die Schulen haben den in <strong>der</strong> Verfassung<br />
verankerten Bildungs- und Erziehungsauftrag<br />
zu verwirklichen. 2 Sie sollen<br />
Wissen und Können vermitteln sowie<br />
Geist und Körper, Herz und Charakter bilden.<br />
3 Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht<br />
vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung,<br />
vor <strong>der</strong> Würde des Menschen und<br />
vor <strong>der</strong> Gleichberechtigung von Männern<br />
und Frauen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl<br />
und Verantwortungsfreudigkeit,<br />
Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit<br />
für alles Wahre, Gute und Schöne und<br />
Verantwortungsbewusstsein für Natur und<br />
Umwelt. 4 Die Schülerinnen und Schüler<br />
sind im Geist <strong>der</strong> Demokratie, in <strong>der</strong> Liebe<br />
zur bayerischen Heimat und zum deutschen<br />
Volk und im Sinn <strong>der</strong> Völkerversöhnung<br />
zu erziehen."<br />
Soweit die schulischen Erziehungsziele<br />
den Staat selbst in die Pflicht nehmen und<br />
ihm die Mittel zur Pflichterfüllung an die<br />
Hand gegeben sind, hat er an sich keinen<br />
Bedarf an nichtstaatlichen Wertvermittlungshelfern.<br />
Erst jenseits dessen, also jenseits<br />
dessen, was <strong>der</strong> Staat selbst, mit eigenen<br />
Lehrkräften und im Rahmen des regulären<br />
Fächerkanons bewerkstelligen kann,<br />
kommen nichtstaatliche Miterzieher in <strong>der</strong><br />
staatlichen Schule in den Blick.<br />
4. Die staatliche Inpflichtnahme<br />
<strong>der</strong> Religionsgemeinschaften<br />
Bekennt das Grundgesetz sich zu einer von<br />
<strong>der</strong> Würde des Menschen bestimmten Anschauung<br />
<strong>der</strong> Welt und ist dem Staat damit<br />
nicht jegliche Werteerziehung versagt, so<br />
stellt sich umso drängen<strong>der</strong> die Frage, wozu<br />
er sich in Gestalt des Religionsunterrichts<br />
moralisch-religiöser Zuliefererdienste<br />
<strong>der</strong> Religionsgemeinschaften bedient.<br />
Die Antwort auf diese Frage weist<br />
das berühmte Diktum Ernst-Wolfgang Bö-
44 Matthias Jestaedt<br />
ckenfördes, wonach <strong>der</strong> freiheitliche Verfassungsstaat<br />
von Voraussetzungen lebt,<br />
die er selbst – um seiner Freiheitlichkeit<br />
willen – nicht garantieren kann. Dieser<br />
Satz hat zahlreiche Dimensionen, von denen<br />
ich nur eine herausgreifen möchte: So<br />
sehr die Verfassungsordnung mit den<br />
Grundrechten und <strong>der</strong> demokratischen<br />
Herrschaftsordnung eine dezidierte Werthaltung<br />
einnimmt, so wenig bilden diese<br />
einen selbsttragenden Grund. Das lässt sich<br />
vielleicht am eindrücklichsten am Basissatz<br />
und Fundamentalwert <strong>der</strong> gesamten<br />
Verfassungsordnung, <strong>der</strong> Menschenwürde,<br />
demonstrieren. Theodor Heuß nannte sie<br />
mit Recht eine "uninterpretierte These"<br />
und meinte damit, dass sie in ihrem kategorischen<br />
Gebotscharakter ernst genommen<br />
und eine ganze säkulare staatliche<br />
Ordnung darauf gegründet werden müsse,<br />
auch wenn sie mit rein säkularen, religiösweltanschaulich<br />
neutralen Mitteln gar nicht<br />
vollauf erfasst und begründet werden könne.<br />
Wer den Grund <strong>der</strong> Verfassung zu erund<br />
zu begründen trachtet, wird früher<br />
o<strong>der</strong> später bei <strong>der</strong> Gottebenbildlichkeit<br />
des Menschen, bei <strong>der</strong> geschöpflichen<br />
Würde und Gleichheit <strong>der</strong> Menschen landen.<br />
Doch diese theologischen Wurzeln im<br />
"Untergrund" des Verfassungsstaates werden<br />
– durch den Setzungsakt <strong>der</strong> Verfassung<br />
– gleichsam abgeschnitten. Was für<br />
den Verfassungsstaat und in ihm verbindlich<br />
ist, ist allein die "Frucht" an <strong>der</strong> positivrechtlichen<br />
"Oberfläche".<br />
An<strong>der</strong>s gewendet: Der Staat verfügt als<br />
freiheitlicher Staat nur über ein begrenztes<br />
Handlungsinstrumentarium und Sinnstiftungsangebot,<br />
er steht aber für den Erhalt<br />
von Staat und Gesellschaft als Ganzer gerade.<br />
In dieser Lage bedient er sich auch<br />
nichtstaatlicher, dem Bereich <strong>der</strong> Gesellschaft,<br />
also grundrechtlicher Freiheit zugehöriger<br />
intermediärer Gewalten, in unserem<br />
Kontext: <strong>der</strong> Religionsgemeinschaften.<br />
Denn diese sind von Verfassung wegen<br />
frei, auch die letzten Dinge in den<br />
Blick zu nehmen, letztgültige Sinnstiftung<br />
und Wertvermittlung zu betreiben – und<br />
den Staat damit von unerfüllbaren Heilserwartungen<br />
zu entlasten.<br />
Für den Religionsunterricht folgt daraus<br />
eine grundlegende Positionsbestimmung:<br />
Er stellt keineswegs – wie seine Kritiker<br />
behaupten – ein Privileg <strong>der</strong> Kirchen und<br />
sonstigen Religionsgemeinschaften dar. Er<br />
zielt nicht darauf, diesen einen weiteren<br />
Wirkungs- und Einflussbereich zu erschließen.<br />
In dieser Missdeutung liefe die<br />
Gewähr des Religionsunterrichts in <strong>der</strong><br />
Staatsschule in <strong>der</strong> Tat dem Gebot religiösweltanschaulicher<br />
Neutralität zuwi<strong>der</strong>. Die<br />
Abhaltung des Religionsunterrichts mag<br />
zwar <strong>der</strong> sogenannten positiven Religionsfreiheit<br />
<strong>der</strong> betroffenen Religionsgemeinschaften,<br />
Schüler und Eltern – in Gestalt<br />
eines Rechtsreflexes – zugute kommen;<br />
allein auf diese Grundrechtsverbürgung<br />
gestützt ließe sich aber die For<strong>der</strong>ung nach<br />
Einrichtung und Abhaltung eines Religionsunterrichts<br />
in <strong>der</strong> staatlichen Schule –<br />
gar die For<strong>der</strong>ung nach dessen Versetzungserheblichkeit<br />
– nicht begründen. Dafür<br />
bedarf es <strong>der</strong> konstitutiven Anordnung<br />
in Art. 7 Abs. 3 GG. Dies wird umso plausibler,<br />
als <strong>der</strong> Staat sich im Religionsunterricht<br />
nicht von den Religionsgemeinschaften<br />
in <strong>der</strong>en Dienst stellen lässt, son<strong>der</strong>n,<br />
ganz im Gegenteil, diese in den Dienst und<br />
in die Pflicht nimmt, gemeinwohlför<strong>der</strong>liche<br />
Grundlegungsarbeit zu betreiben, auf<br />
die <strong>der</strong> Staat zwar angewiesen, die selbst<br />
auszuführen ihm indes versagt ist. Der<br />
Verfassungsstaat als <strong>der</strong> Staat, <strong>der</strong> Distanz<br />
zum Bekenntnis des Einzelnen wahrt, bindet<br />
die Bekenntnisgemeinschaften ein,<br />
damit diese ihr proprium einbringen, damit<br />
diese den Religionsunterricht als konfessionell<br />
gebundene – selbstredend in den<br />
pädagogisch-didaktischen Formen heutigen<br />
Schulunterrichts dargebotene – Glaubenslehre<br />
abhalten.<br />
Ein lediglich religionskundlicher Unterricht<br />
wie auch ein Unterricht, in dem in einem<br />
an <strong>der</strong> Oberfläche bleibenden, sich
Statement 45<br />
humanistisch nennenden Sinne für Menschenwürde,<br />
Geschlechtergleichheit, Toleranz,<br />
Gewaltfreiheit, Pluralismus und die<br />
sonstigen Werte des Grundgesetzes geworben<br />
würde, verfehlte das eigentliche<br />
Umwillen, die ratio <strong>der</strong> Gewährleistung<br />
des Religionsunterrichts, wäre – um es auf<br />
den Punkt zu bringen – kein Religionsunterricht<br />
im Sinne von Art. 7 Abs. 3 GG.<br />
Einen <strong>der</strong>artigen Wertevermittlungs-<br />
Unterricht könnte <strong>der</strong> Staat auch selbst,<br />
ohne Beteiligung <strong>der</strong> Religionsgemeinschaften,<br />
abhalten – sei es in einem spezifisch<br />
darauf ausgelegten Fach wie Gemeinschaftskunde,<br />
Ethik o<strong>der</strong> Philosophie,<br />
sei es im Rahmen jedes an<strong>der</strong>en Unterrichtsfaches<br />
von Deutsch über Geschichte<br />
bin hin zu Sport.<br />
Art. 7 Abs. 3 GG richtet folglich eine –<br />
zwar nicht sanktionierte, deswegen aber<br />
nicht irrelevante – Verfassungserwartung<br />
an die Religionsgemeinschaften, im schulischen<br />
Religionsunterricht allen Versuchungen<br />
<strong>der</strong> Selbstsäkularisierung und<br />
Selbstneutralisierung entgegenzuwirken.<br />
Der für alle und alles offene, religiös<br />
standpunktlose, überkonfessionelle "Religionsunterricht"<br />
geht am Sinn – und an <strong>der</strong><br />
Rechtfertigung – <strong>der</strong> verfassungsgesetzlichen<br />
Gewährleistung vorbei und trägt das<br />
Seine dazu bei, den Religionsunterricht zu<br />
diskreditieren und die Verfassungsgarantie<br />
von innen auszuhöhlen.<br />
Demgegenüber kann nicht prononciert genug<br />
daran erinnert werden, wie unverzichtbar<br />
<strong>der</strong> gesamtgesellschaftliche Dienst<br />
ist, den ein wohlverstandener Religionsunterricht<br />
zu erbringen imstande ist. Indem<br />
die Religionsgemeinschaften jenen Sinn-,<br />
Wert- und Begründungshorizont eröffnen,<br />
<strong>der</strong> jenen des auf die Immanenz beschränkten<br />
Verfassungsstaates übersteigt,<br />
leisten sie einen unschätzbaren Beitrag dazu,<br />
das stets labile Gleichgewicht, welches<br />
ebenso konstitutiv wie charakteristisch ist<br />
für eine freiheitlich-demokratische Ordnung,<br />
immer wie<strong>der</strong> neu zu aktualisieren<br />
und zu stabilisieren.
Der Münchner Physiker Harald Lesch hat<br />
einmal bei einer Diskussion davon gesprochen,<br />
dass <strong>der</strong> Mensch eine Jahrtausende<br />
alte Hardware sei, auf <strong>der</strong> gerade die mo<strong>der</strong>ne<br />
Software aufgespielt werde. Allerdings<br />
sei er für die Geschwindigkeit und die<br />
Kompression <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft<br />
nicht eingerichtet. Darum benötige er immer<br />
wie<strong>der</strong> Entschleunigung, Zeit, um zu<br />
sich zu kommen, Ruhepausen und Stille.<br />
Von <strong>der</strong> Kirche wünsche er sich, dass sie<br />
etwas von dieser Gelassenheit vermittle.<br />
Lesch hat da etwas ganz Richtiges beobachtet.<br />
Wir brauchen das An<strong>der</strong>e, das uns<br />
zu uns selbst als Menschen kommen lässt.<br />
Sonst leben wir nicht mehr, son<strong>der</strong>n werden<br />
gelebt. Sonst handeln wir nicht mehr,<br />
sonst funktionieren wir nur noch. Das gilt<br />
schon für die Schulkin<strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Stundenplan<br />
oft den eines Arbeitnehmers übersteigt.<br />
Religionslehrerinnen und Religionslehrer<br />
sorgen mit ihrem Unterricht<br />
immer wie<strong>der</strong> dafür, dass das Kind im<br />
Zentrum steht. Sie lassen Schülerinnen und<br />
Schüler etwas davon erfahren, dass sie –<br />
ich gebrauche ein biblisches Bild – "auf<br />
weiten Raum" (Ps 30,9) und nicht in ein<br />
enges Zeitkorsett "gestellt sind". Sie ermöglichen<br />
den Mädchen und Jungen Orte<br />
<strong>der</strong> Besinnung, <strong>der</strong> Begegnung und des<br />
vertieften Gesprächs, bei dem es lebhaft<br />
zugehen wird und kann.<br />
Wir sind davon überzeugt, dass religiöse<br />
Erziehung in <strong>der</strong> Schule für eine ganzheitliche<br />
Bildung des Menschen unverzichtbar<br />
ist und dass dies aufgrund <strong>der</strong><br />
"positiven" Religionsfreiheit auch vom<br />
Staat so gewollt ist. Die Schule braucht<br />
Angebote, die sich damit beschäftigen, wie<br />
die Pluralität <strong>der</strong> Positionen und Anschau-<br />
Statement<br />
Detlef Bierbaum<br />
für die Evangelische Kirche<br />
ungen in unserer Gesellschaft in ein gemeinsames<br />
Leben integriert werden kann.<br />
Es geht um die Ausbildung einer sprachfähigen<br />
Identität, die Verständigung sucht.<br />
Religion gehört sowohl unter individuellen,<br />
gesellschaftlichen und damit auch<br />
unter interkulturellen Gesichtspunkten zu<br />
den Grundfragen des Lebens. Sie ist eben<br />
keine Privatsache.<br />
Was sie bedeutet und bewirkt, ob sie Verständnis<br />
för<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> nicht, hat für die<br />
Gesellschaft unmittelbare Auswirkungen<br />
und geht daher auch sie etwas an. Es gibt<br />
keine Religion, die ohne Konsequenzen für<br />
die Lebensführung gelebt werden kann.<br />
Im Sinne <strong>der</strong> vier Welterschließungsmodi<br />
von Baumert dürfen wir unserer nachwachsenden<br />
Generation keinen Schlüssel<br />
zur Eröffnung <strong>der</strong> gesamten Wirklichkeit<br />
vorenthalten. Fragen nach dem immer<br />
wie<strong>der</strong> anklingenden Woher, Wohin und<br />
Wozu prägen seit Anfang an die Entwicklung<br />
menschlichen Bewusstseins. Eine wissenschaftliche<br />
Durchdringung natürlicher<br />
und gesellschaftlicher Prozesse entbindet<br />
die Menschen nicht vom Handeln. Nach<br />
wie vor müssen Konflikte entschieden, Interessen<br />
durchgesetzt und Interpretationen<br />
gefunden werden.<br />
Ich möchte es in einem Bild beschreiben:<br />
Um die Schatztruhe mit <strong>der</strong> Fülle des Lebens<br />
zu öffnen, braucht es unterschiedliche<br />
Schlüssel, die wie bei einem Tresor die<br />
verschiedenen vielleicht hinter einan<strong>der</strong><br />
liegenden Schlösser entriegeln können. Je<strong>der</strong><br />
Schlüssel hat für sich seine Berechtigung<br />
und seinen Wert. Wenn einer dieser<br />
Schlüssel, eine dieser Zahlenkombinationen<br />
fehlt, lässt sich <strong>der</strong> Deckel dieser Tru-
48 Detlef Bierbaum<br />
he einfach nicht anheben. Aber es ist die<br />
Frage: Wollen wir unseren Kin<strong>der</strong>n eine<br />
reduzierte Wirklichkeitserfassung zumuten<br />
o<strong>der</strong> ihnen die Fülle vorstellen, aus <strong>der</strong><br />
auch wir alle schöpfen können und schöpfen<br />
könnten. Welche Lebensmuster sie<br />
dann für sich selbst übernehmen, haben<br />
wir – das kennen wir möglicherweise von<br />
unseren eigenen Kin<strong>der</strong>n – natürlich nicht<br />
in <strong>der</strong> Hand. Und von <strong>der</strong> protestantischen<br />
Tradition des "allein aus Gnade", des<br />
"allein Christus", <strong>der</strong> sola gratia und des<br />
solus christus herkommend bleibt <strong>der</strong> persönliche<br />
Glaube, bleibt die glaubende<br />
Weltdeutung letztendlich unverfügbar und<br />
ich schreibe in Klammern: Das entlastet<br />
auch ganz massiv Religionslehrerinnen<br />
und -lehrer.<br />
Im konfessionellen Religionsunterricht erfahren<br />
und erleben die Schülerinnen/die<br />
Schüler durch die Lehrkraft, wie eine bestimmte<br />
Religion die Lebenseinstellung<br />
und Wirklichkeitserschließung eines Menschen<br />
prägen kann. Da dies in vielen Familien<br />
so nicht mehr spürbar ist, wird es<br />
für ein Kind immer wichtiger, den Religionsunterricht<br />
sowohl als Raum für Diskussionen<br />
über Lebensfragen zu nutzen als<br />
auch Formen religiöser Lebenspraxis ausprobieren<br />
zu können.<br />
Das geschieht – ich meine, das muss dann<br />
aber auch immer geschehen – unter dem<br />
Schild eines recht verstandenen Toleranzbegriffs.<br />
Und Toleranz muss gerade aus<br />
christlicher Perspektive in einer Glaubensgewissheit<br />
gründen, um <strong>der</strong>entwillen <strong>der</strong><br />
Mitmensch als Nächster geachtet und in<br />
seiner abweichenden Glaubensweise respektiert<br />
– und ich sage für uns Christen –<br />
auch angenommen wird.
Bei seinem denkwürdigen Besuch in<br />
Bayern vor zwei Jahren appellierte Papst<br />
Benedikt XVI. im Münchner Dom an die<br />
Eltern, Erzieher/innen und Religionslehrer/<br />
-innen: "Regt die Schüler an, nicht nur nach<br />
diesem und jenem zu fragen, son<strong>der</strong>n nach<br />
dem Woher und Wohin unseres Lebens.<br />
Helft Ihnen zu erkennen, dass alle Antworten,<br />
die nicht bis zu Gott hinkommen, zu<br />
kurz sind!"<br />
Hier ist <strong>der</strong> vierte Modus <strong>der</strong> Welterschließung<br />
und Weltbegegnung nach Professor<br />
Jürgen Baumert angesprochen, <strong>der</strong> zum<br />
Kanon mo<strong>der</strong>ner Schulbildung wesentlich<br />
dazugehört, <strong>der</strong> durch keinen an<strong>der</strong>en<br />
Modus <strong>der</strong> Welterfahrung ersetzt werden<br />
kann. Es kennzeichnet den Religionsunterricht,<br />
sich mit konstitutiven "letzten" Fragen<br />
auseinan<strong>der</strong>zusetzen: Der Frage, ob es Gott<br />
gibt o<strong>der</strong> nicht, woher Welt und Mensch<br />
kommen, wohin alles läuft, wozu ich auf<br />
<strong>der</strong> Welt bin – und vor allem: Antworten zu<br />
geben auf diese Fragen. Diese Antworten<br />
kommen bei uns im Religionsunterricht zuallererst<br />
aus <strong>der</strong> Offenbarung. Von diesen<br />
Antworten leiten sich grundlegende Werte<br />
des Lebens und konkrete Handlungsentscheidungen<br />
ab. Professor Baumstark hat es<br />
so großartig verdeutlicht am Selbstbildnis<br />
Albrecht Dürers, auf dem <strong>der</strong> Mensch nicht<br />
nur gezeigt wird als vernunftbegabtes Wesen,<br />
als Individuum und was auch immer,<br />
son<strong>der</strong>n als Gottes Geschöpf und Ebenbild.<br />
Darin liegt die tiefste Begründung <strong>der</strong> Menschenwürde.<br />
Von daher leiten sich wesentliche<br />
Werteoptionen ab.<br />
Religiöse Bildung gehört in die Schule als<br />
eigenständiger Zugang zur Wirklichkeit, zur<br />
Weltbegegnung und Weltdeutung. Ich bin<br />
absolut überzeugt: Religiöse Bildung zu<br />
Statement<br />
Erich Pfanzelt<br />
für die Katholische Kirche<br />
vernachlässigen o<strong>der</strong> gar auszublenden<br />
würde jungen Menschen in ihrer Suche<br />
nach Weltverständnis, nach Orientierung<br />
und Lebensbewältigung, nach Mensch- und<br />
Persönlichkeitswerdung wesentliche Dimensionen<br />
des Daseins vorenthalten.<br />
Das Ziel des schulischen Religionsunterrichts,<br />
wie ihn die katholische Kirche versteht<br />
und in dem Bischofspapier "Die bildende<br />
Kraft des Religionsunterrichts" schon<br />
1996 formulierte, ist ein reflexiver Zugang<br />
zur Religion, ein Dienst von Kirche und<br />
Staat gemeinsam am heranwachsenden<br />
Menschen, <strong>der</strong> ein Recht hat auf Mündigwerden<br />
in <strong>der</strong> eigenen Religion, <strong>der</strong> das<br />
Recht hat, befähigt zu werden zu verantwortlichem<br />
Denken, Urteilen und Handeln<br />
im Blick auf Religion und Glaube. Dieser<br />
reflexive Zugang legitimiert den Religionsunterricht<br />
als Fach im Fächerkanon <strong>der</strong><br />
Schule. Dabei geht es freilich "nicht nur um<br />
Bescheid wissen, son<strong>der</strong>n immer auch um<br />
die Ermöglichung von Religion und Glaube<br />
selbst" (DBK 1974, Synode). Dazu möchte<br />
ich zwei wesentliche Grundvoraussetzungen,<br />
die <strong>der</strong>zeit durchaus kontrovers diskutiert<br />
werden, noch in beson<strong>der</strong>er Weise<br />
nennen.<br />
1. Religiöse Bildung kann nur in Verbindung<br />
mit gelebter Religiosität erfolgen, d.h.<br />
als konfessioneller Religionsunterricht in<br />
Anbindung an die konkrete Religionsgemeinschaft.<br />
Unsere Schüler/innen, die den<br />
Religionsunterricht besuchen, sind zum<br />
allergrößten Teil getauft. Sie wollen nicht<br />
nur wissen, welche Religionen es gibt und<br />
worin sie sich unterscheiden; Schüler haben<br />
auch ein Anrecht darauf zu erfahren, was<br />
sie selbst glauben sollen, was wahr und<br />
richtig ist. Je<strong>der</strong> Lehrer, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Schule
50 Erich Pfanzelt<br />
Religion unterrichtet hat, weiß, dass man<br />
ständig hinterfragt wird: "Glauben Sie das<br />
auch selbst?" Die Schüler/innen wollen in<br />
die Wahrheitsfrage eintreten. Eine Religionskunde<br />
die neutral bliebe und nur wissenschaftlich<br />
beschreibt, was Religionen unterscheidet,<br />
gleicht – ich zitiere Herrn Professor<br />
Dressler – einem religiösen Esperanto,<br />
das in <strong>der</strong> Wirklichkeit nirgendwo gesprochen<br />
wird. Aber genau dies wird gegenwärtig<br />
von verschiedenen Seiten her gefor<strong>der</strong>t.<br />
Es heißt, es brauche ein gemeinsames Fach<br />
für alle, wie immer man es auch nennt, ob<br />
L-E-R, Philosophie, Ethik o<strong>der</strong> Werteunterricht.<br />
Konfessioneller Religionsunterricht –<br />
so wird argumentiert – sei heute zunehmend<br />
nicht mehr organisierbar und – wie es Frau<br />
Bundesjustizministerin Zypries in ihrer<br />
5. Rede zur Religionskritik deutlich gemacht<br />
hat – behin<strong>der</strong>e die Integration von<br />
Schülern in unserer multikulturellen und<br />
multireligiösen Gesellschaft. Aber konfessioneller<br />
Religionsunterricht redet ja nicht<br />
einem Konfessionalismus das Wort, er will<br />
seine Identität nicht nur in Abgrenzung und<br />
Distanzierung zum An<strong>der</strong>en finden, son<strong>der</strong>n<br />
er geschieht aus <strong>der</strong> Teilnehmerperspektive<br />
und will daraus den Glauben einer kirchlichen<br />
Gemeinschaft darstellen und zur Geltung<br />
bringen, nicht aus <strong>der</strong> Beobachterperspektive.<br />
Er will die christliche Tradition<br />
Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen zur Verfügung<br />
stellen, wie es die französischen Bischöfe<br />
formuliert haben: "Den Glauben anbieten".<br />
Konfessioneller Religionsunterricht will<br />
Bezüge herstellen zum gelebten Glauben,<br />
die Schüler/innen mit dem eigenen Wahrheitsanspruch<br />
konfrontieren, ihnen zu freier<br />
Entscheidung verhelfen. Niemand wird im<br />
Religionsunterricht unter Druck gesetzt<br />
o<strong>der</strong> gezwungen. Je<strong>der</strong> soll einen eigenen<br />
Standpunkt finden können in Glaubensfragen<br />
und so dialogfähig werden in <strong>der</strong> Begegnung<br />
mit an<strong>der</strong>en Konfessionen, Religionen<br />
und Weltanschauungen, mit denen sie<br />
sich im Leben auseinan<strong>der</strong>setzen müssen<br />
und denen sie sich ausgesetzt sehen – auch<br />
mit Atheismen. Ich vertrete zusammen mit<br />
Herrn OKR Bierbaum einen Religionsunterricht<br />
in ökumenischer Offenheit und Kooperation,<br />
wie ihn die evangelische und die<br />
katholische Kirche in ganz Deutschland<br />
verstehen. Er verhin<strong>der</strong>t nicht, son<strong>der</strong>n<br />
stärkt die Toleranz und die Integration <strong>der</strong><br />
Schüler/innen in unsere plurale Gesellschaft.<br />
Denn nur wer einen eigenen Standpunkt<br />
hat, wird einen An<strong>der</strong>en verstehen,<br />
<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e Überzeugung hat.<br />
2. In meinem zweiten Punkt schließe ich<br />
mich dem von mir sehr geschätzten Prof.<br />
Mendl (Passau) an – Stichwort "Performativer<br />
Religionsunterricht". Es geht darum,<br />
wie er im RPZ Heilsbronn ausgeführt hat:<br />
"Nicht nur über Religion reden, son<strong>der</strong>n<br />
Religion erleben!" Das scheint mir heute<br />
ein ganz wichtiger Aspekt zu sein. Ein<br />
Religionsunterricht, <strong>der</strong> Schülerinnen und<br />
Schülern einen verstehenden und reflektierenden<br />
Zugang zum Glauben eröffnen will,<br />
kann sich nicht mit <strong>der</strong> Vermittlung von<br />
Glaubenswissen begnügen. In den Schulfächern<br />
begnügt man sich nicht mit dem<br />
Kognitiven und mit <strong>der</strong> Theorie allein. In<br />
jedem Fach braucht es auch das praktische,<br />
erlebnishafte Tun. In <strong>der</strong> Physik gibt es z.B.<br />
Experimente, die nicht nur <strong>der</strong> Lehrer<br />
macht, son<strong>der</strong>n die auch die Schüler/innen<br />
machen dürfen. Im Sport kennt man Theorie<br />
eigentlich nur im Leistungskurs, aber<br />
ansonsten herrscht praktisches Tun vor. In<br />
<strong>der</strong> Kunst kann man sich nicht vorstellen,<br />
dass man nur über die Theorie redet und<br />
nicht selber malt. Und in <strong>der</strong> Musik ist es<br />
genauso. Und ich frage: Braucht nicht auch<br />
<strong>der</strong> Religionsunterricht das Erleben von<br />
Religion und Riten und Feiern, Gebet und<br />
Meditation, den Besuch einer Kirche (Kirchenraumpädagogik),<br />
außerschulische Erkundungen,<br />
Begegnungen in Klöstern,<br />
caritativen Einrichtungen, Sozialprojekten<br />
(Compassion-Projekte)?<br />
In alledem reflektieren und deuten die<br />
Schüler/innen selbst ihre Erlebnisse. Sie<br />
übernehmen probeweise eine solche Perspektive<br />
und prüfen, ob dies für ihr Leben
Statement 51<br />
etwas Bedeutsames ist o<strong>der</strong> nicht. Ziel<br />
eines solchen Religionsunterrichts ist ein<br />
selbstständiges und von <strong>der</strong> Vernunft her<br />
verantwortbares Urteil über Religion zu<br />
gewinnen, an Religion zu partizipieren.<br />
Mein Schlusssatz: Religion gibt es. Das ist<br />
die tiefste Begründung für den Religionsunterricht.<br />
Wir Menschen sind im Grunde<br />
unserer Seele religiöse Menschen. Und<br />
darum brauchen wir Religionsunterricht in<br />
<strong>der</strong> Schule. Er ist zwar nur ein Lernort des<br />
Glaubens, aber heutzutage ein wesentlicher.<br />
Wir haben einen eigenen, durch an<strong>der</strong>e Fächer<br />
nicht ersetzbaren Zugang zur Wirklichkeit<br />
und leisten einen unersetzlichen<br />
Beitrag zur Welterschließung und Persönlichkeitsentwicklung<br />
im Rahmen schulischer<br />
Bildung. Zugleich ist er ein Dienst <strong>der</strong><br />
Kirche an <strong>der</strong> Humanität <strong>der</strong> Schule und <strong>der</strong><br />
Gesellschaft.
Werkstattgespräch und Podiumsdiskussion<br />
Ferdinand Herget: Kann die christliche<br />
Religion allein Grundlegung <strong>der</strong> Ethik<br />
sein? Das Problem ist doch, wie wir mit<br />
Menschen sprechen können, die die Religion<br />
nicht als Horizont für ihre eigene<br />
Weltdeutung verstehen. Wie können wir<br />
dennoch zu Plausibilitäten kommen und<br />
ethische Entscheidungen begründen?<br />
Wilhelm Vossenkuhl: Natürlich wäre es<br />
falsch, wenn ich behaupten würde, die<br />
Grundlagen <strong>der</strong> Ethik seien ausschließlich<br />
aus dem Fundus des christlichen Glaubens.<br />
Es gibt viele kulturelle Leistungen <strong>der</strong><br />
Menschheit, die auch zu Grundlagen für<br />
die Ethik geworden sind: Rechtssicherheit,<br />
überhaupt Sicherheit als Bedürfnis, geboren<br />
aus dem Zusammenleben <strong>der</strong> Menschen,<br />
ist ein großer Punkt in <strong>der</strong> Ethik und<br />
wird auch dort argumentativ verwendet. Es<br />
gibt aus <strong>der</strong> Kultur, zu <strong>der</strong> ja auch die Religion<br />
gehört, sehr viel mehr Grundlagen.<br />
Aber ich muss wie<strong>der</strong>holen, die Ethik<br />
schafft ihre Grundlagen nicht selbst. Das<br />
kann sie nicht. Dafür ist sie stark im Argumentieren.<br />
Außerdem gibt es ja nicht die<br />
Ethik, son<strong>der</strong>n es gibt große Traditionen,<br />
die sich z.T. diametral gegenüberstehen.<br />
Denken Sie etwa an die Kantianer und die<br />
Utilitaristen, die sich partout nicht leiden<br />
können. Heute ist es interessant zu sehen,<br />
dass die methodischen Differenzen, die<br />
jahrzehntelang eine große Rolle gespielt<br />
haben, angesichts <strong>der</strong> konkreten Probleme<br />
relativ unwichtig sind. Man kann nach wie<br />
vor einen Utilitaristen ärgern, wenn man<br />
ihn fragt: "Kennst du ein paar gute utilitaristische<br />
Argumente, die für das Verbot <strong>der</strong><br />
Folter argumentieren?" Da ist für den Utilitarist<br />
eine Antwort schwierig. Es gibt<br />
demnach viele konkrete Probleme, die man<br />
lösen will, egal ob man von Kant herkommt<br />
o<strong>der</strong> sonstwo. Also es gibt nicht<br />
Ferdinand Herget<br />
nur die christlichen Grundlagen für die<br />
Ethik.<br />
Ferdinand Herget: Muss nicht das Plausibelmachen<br />
<strong>der</strong> Zusammenhänge zwischen<br />
Selbstbestimmung und Glaubenserfahrungen<br />
intensiv in <strong>der</strong> Lehrerbildung<br />
und auch in das Gesamtkonzept von Unterricht<br />
eingebracht werden, um von <strong>der</strong> Vorstellung<br />
abzukommen, <strong>der</strong> Mensch könne<br />
über alle Ethik beliebig bestimmen.<br />
Wilhelm Vossenkuhl: Ja, natürlich. Aber<br />
was die Vorstellung angeht, dass <strong>der</strong><br />
Mensch über alle Ethik beliebig bestimmen<br />
kann, das sollte auch thematisiert werden.<br />
Das habe ich vorhin in einigen Nebensätzen<br />
angesprochen. Es existiert eine falsch<br />
verstandene Kanttradition, eine laizistischlibertäre<br />
Kantinterpretation, die meint, dass<br />
wir Menschen Schöpfer unserer selbst<br />
sind, Schöpfer unserer Ethik, eigenmächtig,<br />
und dass wir uns quasi aus unserem<br />
Kopf heraus selbst ethisch ziehen können.<br />
Dieser Irrglaube steckt auch im Szientismus.<br />
Die Überzeugung, dass man alle<br />
Probleme <strong>der</strong> Welt, einschließlich <strong>der</strong><br />
Umwelt, wissenschaftlich lösen kann, ist<br />
auch ein Irrglaube. Man sollte diese Meinungen<br />
im Unterricht, nicht nur im Religionsunterricht,<br />
auch in <strong>der</strong> Ethik und im<br />
Deutschunterricht als Aberglauben thematisieren.<br />
Ferdinand Herget: Geht es im Religionsunterricht<br />
nur um religiöses Wissen?<br />
Wilhelm Vossenkuhl: Nein, natürlich<br />
nicht. Man kann die Ansprüche, die Geltungsansprüche<br />
des religiösen Glaubens ja<br />
nur klarmachen, wenn man Differenzen<br />
aufzeigen kann. Daher muss sehr viel kulturwissenschaftliches<br />
Wissensgut auch im
54 Ferdinand Herget<br />
Religionsunterricht thematisiert werden.<br />
Ich finde, dass kaum ein menschlicher<br />
Schaffensbereich ausgeschlossen werden<br />
darf, sonst ist ja auch die Behauptung, dass<br />
Religion Orientierung bietet, gar nicht<br />
glaubhaft. Man muss es irgendwie klarmachen<br />
können. Deshalb muss man die<br />
Welt ansprechen. Sie sehen auch hier, dass<br />
ich nicht überzeugt davon bin, dass diese<br />
Bereiche, diese Rationalitätsbereiche, die<br />
Baumert angesprochen hat, so sauber voneinan<strong>der</strong><br />
getrennt werden können. Ich sehe<br />
gerade eine Chance in <strong>der</strong> Konfrontation,<br />
nicht durch Mischung, aber Konfrontation.<br />
Ferdinand Herget: Spaemann sagt, mehr<br />
als Theologie und Philosophie ist die<br />
Kunst <strong>der</strong> ideale Partner für Religion. In<br />
einer Fassadenwelt übernimmt sie eine<br />
quasi sakrale Funktion, eine verlorene<br />
Wirklichkeit als unsichtbare zu vergegenwärtigen.<br />
Ist das nicht mehr als ein Entziffern<br />
von Bil<strong>der</strong>n aufgrund von Bibelkenntnissen?<br />
Reinhold Baumstark: Die letzte Frage<br />
kann ich sehr kurz beantworten. Natürlich<br />
ist Kunst mehr als ein Entziffern von Bibeltexten.<br />
Ihr geht es ja auch, wie ich gesagt<br />
habe, um das Movere. Aber ohne die<br />
Bibelkenntnis kommen Sie nicht sehr weit.<br />
Deshalb brauchen Sie diese Grundlage. Ob<br />
es <strong>der</strong> ideale Weg ist, ob es <strong>der</strong> beste Weg<br />
ist, da hätte ich meine Zweifel, obwohl ich<br />
wirklich für die Kunst spreche. Aber es ist<br />
ein Weg, <strong>der</strong> dringend genutzt werden soll<br />
und genutzt werden muss. Da liegt in meinen<br />
Augen etwas im Argen. Viele Ausbildende<br />
nutzen dieses ungeheure Potenzial<br />
nicht, was wir haben. Deswegen bitte ich<br />
auch in diesem Kreis, nutzen Sie diesen<br />
idealen Bereich. Aber nicht nur, um Bibeltexte<br />
zu erläutern und auszudeuten, son<strong>der</strong>n<br />
um wirklich zu den großen und wichtigen<br />
Fragen des Lebens vorzudringen.<br />
Ferdinand Herget: Kann, soll und darf<br />
Religionsunterricht im Rahmen <strong>der</strong> Schule<br />
religiöse Praxis einüben und religiöse Erfahrung<br />
ermöglichen? Gehört religiöse Praxis<br />
nicht in die Familie und Pfarrgemeinde?<br />
Ist Religionsunterricht nicht vor allen Dingen<br />
Reflexion und Fundierung gelebten<br />
Glaubens? Verletzt das probeweise Handeln<br />
nicht die Würde <strong>der</strong> Schüler?<br />
Bernhard Dressler: Den Satz, dass Religionsunterricht<br />
vor allem Reflexion und<br />
Fundierung gelebten Glaubens ist, kann ich<br />
völlig unterschreiben. Das Problem ist,<br />
wenn gelebte Religion <strong>der</strong> Mehrheit <strong>der</strong><br />
Schülerinnen und Schüler nicht mehr durch<br />
eigene Erfahrung bekannt ist, ist <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />
stricken ohne Wolle. D.h.,<br />
er hängt im Leeren. Allerdings soll das<br />
keine Pointe auf Kosten des Gewichts dieser<br />
Frage sein. Ich will sagen, dass authentische<br />
Religionspraxis im Religionsunterricht<br />
nicht möglich ist, weil die Schule<br />
schon immer ein Moratorium des Lebensernstes<br />
ist. Die Schule gibt es überhaupt<br />
nur, weil Leben und Lernen nicht mehr<br />
ungeschieden sind, son<strong>der</strong>n sich ausdifferenziert<br />
und getrennt haben. Deshalb ist die<br />
ganze Schule als Unterricht, nicht als<br />
Lebensform, als Unterricht ein Raum von<br />
Probedenken und Probehandeln. D.h., es<br />
ist gar kein Privileg des Religionsunterrichts,<br />
etwas gleichsam in <strong>der</strong> "Als-Ob-<br />
Perspektive" zu erschließen, son<strong>der</strong>n das<br />
gilt generell für alle Fächer. Seitdem es die<br />
Schule gibt, spielt sie sozusagen diese<br />
Welterschließungsmodi im Als-Ob-Modus<br />
ein. Und selbstverständlich ist es Aufgabe<br />
<strong>der</strong> Lehrerinnen und Lehrer, diesen Als-<br />
Ob-Modus so stark zu machen, dass er<br />
Überzeugungskraft gewinnt, damit man<br />
z.B. leidenschaftlicher Chemiker werden<br />
will; aber eben auch, dass man die Religion<br />
des Religionsunterrichts als eine<br />
Lebensperspektive verstehen kann, die<br />
durchträgt. Und die Einübung religiöser<br />
Praxis ist kein Bildungsprogramm, deswegen<br />
ist sozusagen dieser Ingebrauchnahme<br />
religiöser Sprachformen, religiöser Handlungsformen<br />
immer die Reflexion und das<br />
Reden über Religion an die Seite zu stel-
Werkstattgespräch und Podiumsdiskussion 55<br />
len. Nur im bloßen Reden über Religion<br />
mache ich die Religion, zumal wenn sie<br />
vorher unbekannt ist, nochmal zu einem<br />
fremden Gegenstand. Und auch das kann<br />
nicht das Ziel religiöser Bildung sein.<br />
Ferdinand Herget: Wenn <strong>der</strong> Staat zur<br />
Sicherung seines Selbstvollzugs die christliche<br />
Kultur braucht, warum bestimmt er<br />
so selbstbewusst die Grenzen für die<br />
kirchliche Dienstbarkeit, z.B. Unterrichtsausfall?<br />
Muss hier nicht einvernehmlicher<br />
mit den Kirchen gesprochen werden?<br />
Matthias Jestaedt: Ich bin hier überfragt,<br />
da ich die Praxis nicht kenne. Zunächst<br />
einmal ist <strong>der</strong> RU ein ordentliches Lehrfach.<br />
Er ist daher nicht schlechter und nicht<br />
besser zu behandeln als an<strong>der</strong>e Lehrfächer<br />
auch. Im Übrigen ist es richtig, dass es ein<br />
staatliches Schulhalten ist und <strong>der</strong> Staat die<br />
Gesamtveranstaltung zu verantworten hat.<br />
Und in diesem Rahmen hat er sich einvernehmlich<br />
mit den Kirchen abzustimmen.<br />
Es gibt keinen Grund – und es wäre auch<br />
eine rechtswidrige Praxis – den Religionsunterricht<br />
beson<strong>der</strong>s zu den ausfallträchtigen,<br />
ausfallgeneigten Fächern zu zählen.<br />
Sonst gibt es keine Beson<strong>der</strong>heiten.<br />
Josef Erhard: Zur Frage, die zuvor gestellt<br />
wurde, "Unterrichtsausfall o<strong>der</strong><br />
nicht?" und "Stellenwert des Religionsunterrichts":<br />
Es stimmt, <strong>der</strong> RU ist im Zuge<br />
<strong>der</strong> schulischen Wirklichkeit ein Fach, das<br />
gefahrgeneigt ist. Gefahrgeneigt deshalb,<br />
weil man leichter sagt: "Da kann ich kür-<br />
zen". Wir sehen das im Berufsschulbereich<br />
am deutlichsten. Ich habe erst vor kurzem<br />
mit den Kirchen darüber verhandelt, wie<br />
man hier versuchen kann, diesen Unterrichtsausfall<br />
zu minimieren.<br />
Es ist in <strong>der</strong> Öffentlichkeit das Bewusstsein<br />
dafür, dass <strong>der</strong> RU ein wichtiger Bestandteil<br />
schulischer Bildung ist, nicht immer im ausreichenden<br />
Maße vorhanden, sei es nun,<br />
weil wir in einer säkularen Welt leben o<strong>der</strong><br />
weil vielleicht auch die Religion und <strong>der</strong><br />
Religionslehrer nicht immer deutlich genug<br />
machen können, wie wichtig <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />
ist. Noch ein Beispiel: Als an das<br />
Kultusministerium das Ansinnen herangetragen<br />
worden ist, in <strong>der</strong> Grundschule das<br />
Fach Englisch, also die Fremdsprache ab<br />
<strong>der</strong> 1. Klasse einzuführen, haben wir gefragt,<br />
wo wir das noch unterbringen sollen.<br />
Die Kin<strong>der</strong> sind doch schon überfor<strong>der</strong>t. Da<br />
haben Eltern und Elternverbände massiv gefor<strong>der</strong>t:<br />
"Ja, lasst halt Religion dafür ausfallen.<br />
Englisch ist ja viel wichtiger als<br />
Religion." Selbst mein Hinweis auf das<br />
Konkordat und weitere Verträge half nicht.<br />
Vielmehr hieß es dann: "Verhandelt doch<br />
mit den Kirchen, die müssen das einsehen,<br />
was wichtig und was unwichtig ist." Also<br />
ich glaube, dass hier schon diese Tagung<br />
heute "Was ist Religionsunterricht" und<br />
"Was bedeutet Religionsunterricht in einer<br />
offenen Gesellschaft" ein wichtiges, ein<br />
überlegenswertes Thema ist und die Zahl<br />
<strong>der</strong>er, die heute gekommen ist, ist eigentlich<br />
Beweis dafür, wie wichtig uns dies sein<br />
müsste.
Die Bedeutung des Religionsunterrichts<br />
"Meditation für Neugierige und Ungeduldige",<br />
"Das Lebensrad. Eine praktische<br />
Einführung in den tantrischen Buddhismus",<br />
"Das Vier-Elemente-Programm <strong>der</strong><br />
Schamanen: Entdecken Sie das Geheimwissen<br />
<strong>der</strong> Indianer und nutzen Sie es für<br />
Glück, Gesundheit, Erfolg."<br />
Titel wie diese überschwemmen in den<br />
letzten Jahren den Buchmarkt. Und obwohl<br />
die Stimmung in <strong>der</strong> Buchbranche <strong>der</strong>zeit<br />
insgesamt eher gedämpft ist: Im Bereich<br />
Lebenshilfe/Esoterik wird weiterhin eine<br />
überdurchschnittliche Entwicklung erwartet.<br />
Was den Buchhändler freut – bei einem Kirchenvertreter<br />
o<strong>der</strong> Religionslehrer wird es<br />
gemischte Gefühle hervorrufen. Die Vielfalt<br />
<strong>der</strong> Titel ist kaum mehr überschaubar, die<br />
Qualität etlicher <strong>Publikation</strong>en zweifelhaft.<br />
Josef Erhard<br />
Dennoch: Die Fülle <strong>der</strong> Neuerscheinungen<br />
in diesem Bereich zeigt, dass viele Menschen<br />
in unserer Zeit, in unserer Gesellschaft<br />
ganz offensichtlich ein tiefes Bedürfnis<br />
nach Orientierung haben:<br />
– ein Bedürfnis nach einer verbindlichen<br />
Richtschnur für ihr eigenes Handeln;<br />
– ein Bedürfnis nach persönlicher Religiosität<br />
und nach Werten;<br />
– ein Bedürfnis nach einer Heimat im<br />
Glauben – wie auch immer dieser<br />
Glaube aussehen mag.<br />
Da hängt schon einmal ein Traumfänger<br />
über dem Bett, daneben steht eine Buddhafigur<br />
auf dem Nachtkästchen. Gleichzeitig<br />
findet immer noch das Kreuz an <strong>der</strong> Wand<br />
seinen Platz.
58 Josef Erhard<br />
Auf dem von <strong>der</strong> Jugend als absolutes<br />
Kult-Highlight gefeierten Tollwood-Festival<br />
gibt es ganze Kaufstraßen mit esoterisch-schamanistischen<br />
Gegenständen und<br />
Schmuckstücken. Das Festival wird <strong>der</strong>zeit<br />
in <strong>der</strong> Provinz allenthalten imitiert.<br />
Viele "basteln" sich heute also eine Art<br />
persönliche Religion zurecht. Glaube, Religion<br />
scheinen etwas Individuelles geworden<br />
zu sein – etwas, das sich beliebig verän<strong>der</strong>n<br />
und den persönlichen Bedürfnissen<br />
entsprechend gestalten lässt.<br />
Und noch ein letzter Befund:<br />
– Von den Katholiken besuchen kaum<br />
15% sonntags den Gottesdienst.<br />
– In den evangelischen Kirchen ist diese<br />
Zahl noch weit geringer.<br />
Und dennoch haben Umfragen im Umkreis<br />
des "Bündnisses für Erziehung" gezeigt:<br />
Mehr als achtzig Prozent <strong>der</strong> Deutschen<br />
befürworten Erziehungsziele, die sich eng<br />
an christlichen Grundwerten orientieren.<br />
Wie gehen wir mit diesen Befunden um?<br />
Welche Konsequenzen ergeben sich daraus<br />
für die Schulen – und ganz speziell für den<br />
konfessionellen Religionsunterricht?<br />
Gerade wir, die wir in unterschiedlicher<br />
Weise Verantwortung für junge Menschen<br />
übernommen haben, müssen uns fragen:<br />
Wie können wir <strong>der</strong> Verantwortung gerecht<br />
werden, Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />
wirkliche Orientierung zu geben? Und<br />
zwar Orientierung auch im religiösen Bereich?<br />
Wir leben heute in einer offenen Gesellschaft.<br />
Das drückt auch das Motto des<br />
Kongresses aus: "Religionsunterricht in<br />
offener Gesellschaft".<br />
Was aber ist eine "offene Gesellschaft"?<br />
Wenn man darunter nicht mehr versteht als<br />
eine weltoffene, plurale, tolerante Gesell-<br />
schaft, die die Freiheitsrechte des Einzelnen<br />
wahrt, dann können wir uns rasch darauf<br />
einigen: Das ist auch gut so!<br />
Allerdings dürfen wir dieses Konzept auch<br />
nicht überstrapazieren,<br />
– denn eine Gesellschaft, die die Freiheit<br />
des Einzelnen verabsolutiert, verliert<br />
den Zusammenhalt. Die Folgen können<br />
dann übersteigerter Individualismus,<br />
Werteverfall, Entsolidarisierung,<br />
ja Atomisierung sein.<br />
– Eine Gesellschaft muss aber mehr sein<br />
als eine Ansammlung von Individuen.<br />
Sie muss eine Gemeinschaft sein: eine<br />
kulturelle Gemeinschaft, eine Solidargemeinschaft,<br />
eine Traditionsgemeinschaft,<br />
eine Wertegemeinschaft.<br />
Ich bin überzeugt: Gerade in einer offenen<br />
Gesellschaft dürfen wir junge Menschen<br />
mit ihrem Bedürfnis nach Zugehörigkeit<br />
und Teilhabe, nach Wertorientierung, den<br />
Fragen nach dem Sinn des Lebens und<br />
nach Transzendenz nicht alleine lassen!<br />
Damit stellt sich für die Vertreter von<br />
Bildungs- und Schulpolitik natürlich die<br />
Frage, wie wir den jungen Menschen dabei<br />
zur Seite stehen können. Es geht also darum,<br />
wie wir sie bei diesem Prozess begleiten<br />
und unterstützen können, ohne sie<br />
einzuschränken und ohne in den Verdacht<br />
<strong>der</strong> Einflussnahme o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Manipulation<br />
zu geraten.<br />
Das ist eine sensible Gratwan<strong>der</strong>ung. Die<br />
Lösung dafür kann meines Erachtens nur<br />
durch authentische Orientierungsangebote<br />
gelingen. Der Staat ist zwar zu weltanschaulicher<br />
Neutralität verpflichtet. Weltanschauliche<br />
Neutralität ist aber nicht<br />
gleich Wertneutralität! Unser Staat ist zum<br />
einen eine "wehrhafte Demokratie" mit<br />
Grundrechtsgarantie. Zum an<strong>der</strong>en hat unsere<br />
Gesellschaft ihr Fundament in <strong>der</strong><br />
christlich-abendländischen Wertetradition.
Die Bedeutung des Religionsunterrichts 59<br />
Bundespräsident Horst Köhler hat dies in<br />
seiner Welt-Ethos-Rede von 2004 mit deutlichen<br />
Worten angesprochen – ich zitiere:<br />
"Ich habe manchmal den Eindruck, als sei<br />
Europa müde geworden, als sei es dabei,<br />
seine Identität zu verlieren, seine Wurzeln<br />
selber nicht mehr zu kennen. Zu diesen<br />
Wurzeln gehören ganz sicher die Aufklärung,<br />
die Menschenrechte, die verschiedenen<br />
Emanzipationsbewegungen. Aber eben<br />
auch das Christentum und die christliche<br />
Ethik."<br />
Das ist ein entscheiden<strong>der</strong> Punkt: Unsere<br />
christlich-abendländischen Werte bilden<br />
eine wichtige Grundlage für unsere Identität<br />
als Gesellschaft und Kultur.<br />
Wenn einer Gesellschaft dieses stabile<br />
Wertefundament verloren geht, dann drohen<br />
Identitätsverlust, Orientierungslosigkeit,<br />
ja im Extremfall die Anfälligkeit für<br />
menschenverachtende Ideologien.<br />
Auch die Religionsfreiheit kann sich nicht<br />
darin erschöpfen, dass <strong>der</strong> Staat sich einfach<br />
aus allem Religiösen heraushält. Religionsfreiheit<br />
bedeutet nach meinem Verständnis<br />
vielmehr, den Religionen und den<br />
Kirchen als ihren Trägern Raum zu geben,<br />
ihre eigenen Aufgaben zu entfalten.<br />
Deshalb müssen Staat, Bildungspolitik und<br />
Schule auch Sorge dafür tragen, dass junge<br />
Menschen Orientierung und Hilfestellung<br />
erhalten bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung,<br />
bei ihrer Suche nach Antworten auf<br />
die Fragen des Menschseins und bei ihrer<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung mit unserer Werteordnung.<br />
Wie kann das gelingen? Meiner Meinung<br />
nach durch Bildung:<br />
– Nur eine fundierte allgemeine und<br />
religiöse Bildung kann sicherstellen,<br />
dass die jungen Menschen sich selbst<br />
und an<strong>der</strong>en über die Wurzeln unse-<br />
rer Kultur im Christentum und <strong>der</strong><br />
Aufklärung Rechenschaft geben können.<br />
– Nur durch Bildung werden sie auch in<br />
Fragen <strong>der</strong> Werteorientierung und ihrer<br />
religiösen Orientierung kompetent<br />
werden.<br />
– Nur durch eine fundierte allgemeine<br />
und auch religiöse Bildung werden die<br />
jungen Menschen sich zu selbstbewussten,<br />
starken, mündigen Persönlichkeiten<br />
entwickeln.<br />
Deshalb ist es nur konsequent, wenn <strong>der</strong><br />
Staat in Wahrnehmung <strong>der</strong> positiven Religionsfreiheit<br />
und im Rahmen des Bildungsauftrags<br />
<strong>der</strong> öffentlichen Schulen mit<br />
dem konfessionellen Religionsunterricht<br />
einen Freiraum eröffnet – einen Freiraum,<br />
in dem Religionsgemeinschaften ein vielfältiges<br />
und authentisches Angebot religiöser<br />
Bildung ausgestalten können.<br />
Der Religionsunterricht in Kooperation<br />
von Staat und Kirche ist ein wichtiger<br />
Bestandteil des bayerischen Bildungskonzepts:<br />
– Er bietet den Schülerinnen und Schülern<br />
Gelegenheit und Anregung, sich<br />
mit den großen Fragen des Menschseins<br />
auseinan<strong>der</strong>zusetzen. Und er gibt<br />
<strong>der</strong> christlichen Tradition und Sinndimension<br />
bei <strong>der</strong> Beantwortung dieser<br />
Fragen Raum.<br />
– Er vermittelt ihnen Wissen, das ihnen<br />
dabei hilft, ihre Identität und Verwurzelung<br />
in einer christlich geprägten Welt<br />
zu entdecken und zu entschlüsseln.<br />
– Und er vermittelt ihnen die nötigen<br />
Kompetenzen, sich <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit an<strong>der</strong>en in einer pluralen,<br />
säkularen Welt zu stellen.<br />
Dabei ist entscheidend, dass <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />
in und durch Kooperation und<br />
Vernetzung mit an<strong>der</strong>en Fächern sein spezifisches<br />
Profil zur Geltung bringt. Denn
60 Josef Erhard<br />
dadurch begründet sich ja auch sein beson<strong>der</strong>er<br />
Beitrag zur Bildungsarbeit in <strong>der</strong><br />
Schule. Drei Aspekte sehe ich im Mittelpunkt.<br />
Erstens: Religiöse Bildung ist ein wesentlicher<br />
Bestandteil <strong>der</strong> Allgemeinbildung.<br />
Kardinal Lehmann hat einmal gesagt, es<br />
gehe im Land <strong>der</strong> Dichter und Denker, in<br />
einem Land mit jahrhun<strong>der</strong>tealten christlichen<br />
Wurzeln nicht an, dass "manche<br />
Menschen heute Colgate mit Golgatha<br />
verwechseln".<br />
Die christliche Tradition durchdringt und<br />
prägt unsere Geschichte, Kultur und Gesellschaft<br />
nachhaltig. Und <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />
trägt wesentlich dazu bei, dieses<br />
Wissen um unsere christlich geprägte<br />
Kultur von Generation zu Generation weiterzutragen<br />
und wach zu halten!<br />
Dem Religionsunterricht in einer pluralen,<br />
säkularen Gesellschaft kommt deshalb in<br />
zunehmendem Maße auch die Funktion zu,<br />
Kin<strong>der</strong> und Jugendliche mit einer <strong>der</strong> bestimmenden<br />
Traditionen unserer Kultur<br />
überhaupt erst einmal vertraut zu machen –<br />
mit <strong>der</strong> biblischen Tradition.<br />
Der Religionsunterricht führt die jungen<br />
Menschen an diese Tradition heran – und<br />
damit an ein wesentliches Fundament <strong>der</strong><br />
abendländischen Kultur. Damit eröffnet er<br />
vielen Schülerinnen und Schülern überhaupt<br />
erst die kompetente kulturelle Teilhabe<br />
an unserem Gemeinwesen.<br />
Durch die reflektierte Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit dem Christentum wird so die Betrachtung<br />
<strong>der</strong> eigenen Kultur um wichtige<br />
Aspekte bereichert. Die eigene kulturelle<br />
Identität wird vertieft. Und die Sensibilität<br />
im Umgang mit an<strong>der</strong>en Kulturen und<br />
Religionen wird geweckt.<br />
Dieses elementare Wissen ist ein wesentlicher<br />
Bestandteil des Religionsunterrichts.<br />
Dabei darf <strong>der</strong> Religionsunterricht aber<br />
nicht in <strong>der</strong> neutralen religionskundlichen<br />
Außenperspektive verbleiben. Vielmehr soll<br />
er durch seine konfessionelle Ausrichtung<br />
eine eindeutige Position beziehen.<br />
Damit leistet <strong>der</strong> Religionsunterricht gleichzeitig<br />
auch einen wichtigen Beitrag zur<br />
Persönlichkeitsbildung.<br />
Damit bin ich bei dem zweiten Aspekt,<br />
wenn es um den beson<strong>der</strong>en Beitrag des<br />
Religionsunterrichts zur Bildungsarbeit an<br />
unseren Schulen geht.<br />
Ich meine: Die reflektierte Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit den Inhalten <strong>der</strong> christlichen Religion,<br />
ihren Traditionen und Werten ist für<br />
die jungen Menschen eine große Hilfe bei<br />
<strong>der</strong> Entwicklung zu reifen Persönlichkeiten.<br />
Dabei ist die Beziehung zur jeweiligen<br />
Lehrkraft von beson<strong>der</strong>er Bedeutung. Je<strong>der</strong><br />
Unterricht lebt zwar davon, dass die Lehrkräfte<br />
mit ihrer ganzen Persönlichkeit für<br />
das stehen, was sie unterrichten. Im Falle<br />
von Religionslehrkräften ist es aber von<br />
ganz entscheiden<strong>der</strong> Bedeutung, dass diese<br />
ein authentisches Zeugnis gelebten Christentums<br />
ablegen und dass sie eine persönliche<br />
Beziehung mit den Schülern zulassen,<br />
in <strong>der</strong> sie sich als Glaubende anfragen<br />
und hinterfragen lassen können.<br />
Dabei spielt die Schule eine große Rolle.<br />
Aktuelle Studien bestätigen: Die Schule ist<br />
heute eines <strong>der</strong> prägendsten Netzwerke für<br />
die Persönlichkeitsentwicklung von Kin<strong>der</strong>n<br />
und Jugendlichen.<br />
Nicht selten wird <strong>der</strong> Lernraum zum Lebensraum<br />
und die Schulgemeinschaft zur<br />
Schulfamilie, weil an<strong>der</strong>e Familie nicht<br />
mehr erlebt wird.<br />
Eine solche Schulkultur braucht auch<br />
selbst Raum zur Entfaltung. Und sie<br />
braucht Angebote, die diesen Raum produktiv<br />
und verantwortungsvoll ausfüllen.
Die Bedeutung des Religionsunterrichts 61<br />
Die Religionslehrkräfte an unseren Schulen<br />
tragen maßgeblich zu einer solchen<br />
Schulkultur bei. Denn mit ihrem Wirken<br />
weit über den Unterricht hinaus tragen sie<br />
Entscheidendes dazu bei, dass die jungen<br />
Menschen gerade auch auf einer spirituellen<br />
und emotionalen Ebene ihrer Persönlichkeitsentwicklung<br />
angesprochen werden.<br />
Das Schulpastoral kann und soll hier<br />
ergänzen und helfen.<br />
Ich komme zum dritten Beitrag des Religionsunterrichts<br />
zur Bildungsarbeit an<br />
unseren Schulen – zur Erschließung <strong>der</strong><br />
religiösen Dimension im Leben <strong>der</strong> jungen<br />
Menschen.<br />
Kein Zweifel: Es ist ein Wesensmerkmal des<br />
Menschen, über sich selbst, über Welt und<br />
Zeit hinauszudenken. Die Fragen nach dem<br />
Sinn und den Grenzen menschlicher Existenz,<br />
nach dem Woher und Wohin, nicht<br />
zuletzt nach Gott – sie stellen sich jedem.<br />
Natürlich: Die Suche nach den Antworten<br />
auf diese Fragen – sie findet nicht nur im<br />
Religionsunterricht statt. Und <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />
kann sie auch kaum alleine<br />
bewältigen. Und doch ist <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />
<strong>der</strong> geeignete Ort, sich diesen<br />
Fragen zu stellen, die jungen Menschen zu<br />
eigener Überlegung zu ermutigen und <strong>der</strong><br />
christlichen Tradition und Sinndimension<br />
bei <strong>der</strong> Beantwortung dieser Fragen Raum<br />
zu geben.<br />
So bietet <strong>der</strong> Religionsunterricht weitaus<br />
mehr als nur Sachwissen. Er vermittelt eine<br />
Erfahrungsdimension, die Orientierung<br />
geben kann.<br />
"Religiöse Bildung – Persönlichkeitsbildung<br />
– Erschließung <strong>der</strong> religiösen Dimension":<br />
Dieser Dreiklang deutet wichtige<br />
Dimensionen des Religionsunterrichts an.<br />
Was dabei an Bildung entsteht, ist gerade<br />
für eine offene Gesellschaft von enormer<br />
Bedeutung.<br />
Denn in <strong>der</strong> Beschäftigung mit den Inhalten<br />
des Religionsunterrichts werden auch<br />
allgemeine Kompetenzen aufgebaut, die<br />
gerade zum Leben in einer offenen, globalisierten,<br />
pluralen Gesellschaft unabdingbar<br />
sind.<br />
Ich will auch hier drei Aspekte andeuten,<br />
die mir wichtig erscheinen.<br />
Erstens: Religionsunterricht befähigt die<br />
jungen Menschen zum echten Dialog – in<br />
<strong>der</strong> Schule, in <strong>der</strong> Klasse, <strong>der</strong> Nachbarschaft,<br />
<strong>der</strong> Familie.<br />
Bereitschaft und Fähigkeit zum Dialog<br />
sind aber wesentliche Eckpunkte von Bildung<br />
in einer offenen Gesellschaft. Sie<br />
können bewirken, dass aus einem geduldeten<br />
Nebeneinan<strong>der</strong> ein echtes Miteinan<strong>der</strong><br />
wird.<br />
Zweitens: Religionsunterricht kann die Voraussetzung<br />
dafür werden, dass Integration<br />
gelingt und als Bereicherung erfahren wird.<br />
In <strong>der</strong> Schule findet bereits die Begegnung<br />
mit jungen Leuten aus an<strong>der</strong>en Kulturkreisen<br />
statt – dazu bedarf es des Dialogs.<br />
Drittens: Dialogfähigkeit und religiöse<br />
Kompetenzen sind aber natürlich nicht nur<br />
auf nationaler Ebene wichtig. Gerade mit<br />
Blick auf die wachsende internationale Zusammenarbeit<br />
und Globalisierung haben<br />
sie eine enorme Bedeutung.<br />
In allen Teilen <strong>der</strong> Welt spielt religiöse<br />
Überzeugung und religiös motivierte Lebensgestaltung<br />
eine wichtige Rolle – zumeist<br />
eine viel wichtigere als bei uns. Wir<br />
können sicher sein: Unsere Kin<strong>der</strong> und<br />
Jugendlichen werden als Erwachsene vielfach<br />
mit Menschen zu tun haben, für die<br />
ihre Religion ihre Lebensgestaltung entscheidend<br />
prägt.<br />
In einer solchen Welt ist es unabdingbar,<br />
dass die jungen Menschen die Fähigkeit<br />
zur Empathie und zum Dialog erworben
62 Josef Erhard<br />
haben – auch wenn sie selbst <strong>der</strong> Religion<br />
vielleicht einen geringeren Stellenwert einräumen.<br />
Welche Mindestanfor<strong>der</strong>ung stelle ich –<br />
aufgrund dieser Überlegungen – an den<br />
Religionsunterricht?<br />
– Zunächst sollen die Schüler Religionen<br />
als bedeutsam und prägend für<br />
eine Gesellschaft wahrnehmen.<br />
– Sie sollen ferner die Religion als tragfähigen<br />
Faktor im Leben des Einzelnen<br />
erkennen<br />
– Und sie sollen drittens positiv mit Religion<br />
und Religiosität umgehen können.<br />
Ich bin überzeugt: Die Zukunftsfähigkeit<br />
unseres Landes hängt auch von diesen<br />
Kompetenzen ab.<br />
Vor einigen Jahren gab es einen Werbeslogan:<br />
"Wer keine eigene Meinung hat,<br />
kommt überall an – nur nicht bei sich<br />
selbst".<br />
Religion und Religionsunterricht müssen<br />
also für den jungen Menschen ganz unmittelbar<br />
und persönlich Bedeutung entfalten.<br />
Ein Rückzug in die religiöse und<br />
moralische Unverbindlichkeit sollte deshalb<br />
für uns nicht infrage kommen. Er zeugt<br />
von einem falschen Verständnis von Toleranz<br />
und er bietet jungen Menschen keine<br />
Hilfe zur Erlangung von Identität, Selbstbewusstsein<br />
und Selbstverantwortung.<br />
Das heißt: Wer Selbstverantwortlichkeit<br />
und soziale Verantwortlichkeit erreichen<br />
will, darf sich um Orientierung nicht herumdrücken.<br />
Ein mo<strong>der</strong>ner Religionsunterricht, wie wir<br />
ihn in Bayern anbieten, liefert dazu die<br />
notwendigen Grundlagen. Denn er ist konfessionell,<br />
kompetenzorientiert und offen<br />
für interreligiösen und ökumenischen Dialog<br />
und Kooperation.<br />
Ein solcher Religionsunterricht ist ein<br />
wesentlicher Akzent <strong>der</strong> ganzheitlichen<br />
Bildung in <strong>der</strong> offenen Gesellschaft.<br />
Und ich bin <strong>der</strong> festen Überzeugung: Er<br />
kann nur durch die bewährte Zusammenarbeit<br />
von Kirche und Staat getragen werden!<br />
Denn das ist eine Kooperation, in die sich<br />
beide Seiten einbringen – und die alle<br />
Beteiligten bereichert:<br />
– Der Staat nutzt dabei seine Verpflichtung<br />
zu weltanschaulicher Neutralität<br />
positiv und stellt Räume und Mittel<br />
zur Verfügung.<br />
– Die Kirche kommt ihrer gesellschaftlichen<br />
Verantwortung nach und gestaltet<br />
diese Räume inhaltlich aus.<br />
Dem Religionsunterricht kommt innerhalb<br />
des Fächerkanons an unseren Schulen<br />
zweifellos eine ganz beson<strong>der</strong>e Bedeutung<br />
zu. Entscheidend ist aber nicht allein die<br />
Tatsache, dass wir in Bayern – mit voller<br />
Überzeugung – einen konfessionellen Religionsunterricht<br />
anbieten. Entscheidend ist<br />
vielmehr die Qualität dieses Angebots. Um<br />
diese Qualität sicherzustellen, sind wir auf<br />
das Engagement <strong>der</strong> beiden großen Kirchen<br />
bei <strong>der</strong> Mitgestaltung <strong>der</strong> Lehrpläne<br />
und bei <strong>der</strong> Ausbildung <strong>der</strong> Religionslehrkräfte<br />
angewiesen, ebenso bei <strong>der</strong> Ausgestaltung<br />
<strong>der</strong> Weiterbildung.<br />
Für dieses Engagement darf ich an dieser<br />
Stelle den Dank <strong>der</strong> Bayerischen Staatsregierung<br />
aussprechen. Ebenso danke ich<br />
für die Trägerschaft bei den kirchlichen<br />
Schulen. Sie sind eine unverzichtbare<br />
Bereicherung <strong>der</strong> bayerischen Schullandschaft!<br />
Ganz beson<strong>der</strong>er Dank gebührt denjenigen,<br />
die den Religionsunterricht an unseren<br />
Schulen Tag für Tag mit großem Engagement<br />
und innerer Überzeugung tragen:<br />
den Religionslehrerinnen und Religionslehrern.
Die Bedeutung des Religionsunterrichts 63<br />
Viele Religionslehrkräfte leisten an unseren<br />
Schulen auch weit über ihren Unterricht<br />
hinaus einen unverzichtbaren Beitrag<br />
zu einem guten Schulklima – zu einem<br />
Schulklima, in dem Schüler und Lehrer<br />
respektvoll miteinan<strong>der</strong> umgehen.<br />
Ich denke hier nicht allein an adventliche<br />
Morgenmeditationen o<strong>der</strong> Schulgottesdienste<br />
vor Weihnachten und Ostern, die<br />
das Schulleben bereichern und prägen.<br />
Ich denke hier vor allem auch daran, dass<br />
sich Religionslehrerinnen und Religionslehrer<br />
gerade dann immer wie<strong>der</strong> ihrer beson<strong>der</strong>en<br />
Verantwortung stellen, wenn<br />
Schüler mit existenziellen Themen wie<br />
Krankheit o<strong>der</strong> Tod konfrontiert werden<br />
und zu individuellen Gesprächen zur Verfügung<br />
stehen. Sie sind da, wenn Jugendliche<br />
von Berichten über Gewalttaten o<strong>der</strong><br />
Naturkatastrophen schockiert sind. Sie<br />
gestalten das Gedenken an verstorbene<br />
Mitschüler o<strong>der</strong> Lehrkräfte.<br />
Wir leben in einer säkularen Welt. Aber<br />
unsere Kultur, unsere Wertvorstellungen<br />
haben ihre Wurzeln im Christentum. Die<br />
jungen Menschen in unserem Land haben<br />
ein Anrecht darauf, diese Wurzeln zu kennen<br />
und sich aktiv mit unseren christlichen<br />
Werten auseinan<strong>der</strong>zusetzen.<br />
Eltern, Schule, Kirche und Gesellschaft<br />
müssen die jungen Menschen gemeinsam<br />
auf ihrem Weg zu reifen, verantwortungsvollen<br />
Persönlichkeiten begleiten. Damit<br />
diese Begleitung auch mit authentischen<br />
und überzeugten Christen geschehen kann,<br />
brauchen wir die Unterstützung <strong>der</strong> Kirchen.<br />
Ich bin überzeugt, dass wir die großen<br />
Chancen des Religionsunterrichts auch in<br />
Zukunft aktiv nutzen müssen.
Dem Erzbischof hat man Gelegenheit gegeben,<br />
aus seiner Sicht einen Schlusspunkt in<br />
diesem Fachkongress zu setzen. Am Ende<br />
einer sehr intensiven Tagung, die auch sehr<br />
fruchtbar, konstruktiv und substanziell war,<br />
möchte ich zunächst einmal den Veranstaltern,<br />
<strong>der</strong> <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong> in Kooperation<br />
mit dem Katholischen Schulkommissariat<br />
und dem Religionspädagogischen<br />
Zentrum, meinen herzlichsten Dank sagen!<br />
Die wir hier versammelt sind, beson<strong>der</strong>s<br />
die Veranstalter und die Referenten – sind<br />
dafür, dass <strong>der</strong> Religionsunterricht in unserer<br />
Gesellschaft, in unserer Schule, in <strong>der</strong><br />
offenen Gesellschaft weiterhin seinen<br />
wichtigen Ort hat. Aber diese Veranstaltung<br />
findet eben auch statt, weil wir wissen,<br />
dass das nicht mehr selbstverständlicher<br />
Common Sense ist.<br />
Schlusswort *<br />
Reinhard Marx<br />
Deswegen besteht ein Ergebnis <strong>der</strong> Tagung<br />
auch darin: Wir müssen für unsere Einsichten,<br />
die wir mit Applaus bedacht haben,<br />
kämpfen! Ich bitte Sie herzlich um den Einsatz,<br />
dass wir dieses beson<strong>der</strong>e Fach bewahren!<br />
Wir alle wissen doch zumindest in den<br />
großen Linien, dass <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />
etwas Kostbares ist. Nicht nur für die Zukunftssicherung<br />
<strong>der</strong> Kirche, son<strong>der</strong>n auch<br />
für das kulturelle Gedächtnis, für die Zukunft<br />
einer Gesellschaft und – gerade in<br />
seiner konfessionellen Ausprägung, mit seiner<br />
Verbindung zur gelebten Religiosität –<br />
von außerordentlicher Bedeutung für alle<br />
Menschen ist. Die Diskussion darüber wird<br />
in den nächsten Jahren heftigst auf uns zukommen!<br />
Deswegen ist es notwendig und ich bin<br />
auch dankbar, dass wir unser geistiges
66 Reinhard Marx<br />
Rüstzeug präparieren, denn wir wollen<br />
eine geistige Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />
Argumenten führen, die auch den überzeugen,<br />
<strong>der</strong> vielleicht zunächst <strong>der</strong> Meinung<br />
ist, Religionsunterricht sei mittlerweile<br />
überholt. Wir wollen ihn überzeugen,<br />
vor allen Dingen auch in den politischen<br />
Parteien unsere Überzeugungen<br />
wachhalten.<br />
Wir haben ja gegenwärtig eine Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
um den Religionsunterricht in<br />
Berlin, die für uns als katholische und<br />
evangelische Kirche ein beson<strong>der</strong>es Anliegen<br />
ist: Dort wird <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />
im Grunde nicht mehr in seiner Eigenart<br />
gesehen, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Staat will selber<br />
weltanschaulich unterrichtend tätig sein.<br />
Aber wir haben auch in Bayern politische<br />
Parteien, die das gerne bei uns einführen<br />
würden, und deswegen müssen wir uns auf<br />
diese Auseinan<strong>der</strong>setzung einlassen. Wie<br />
gesagt: mit geistigen Argumenten, in großer<br />
Freundlichkeit und Offenheit, aber<br />
auch mit einer kämpferischen Gesinnung!<br />
Wir meinen, dass hier tatsächlich etwas<br />
Wichtiges für die jungen Leute von uns mit<br />
eingebracht werden kann – nicht weil wir<br />
an Privilegien o<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
hängen, son<strong>der</strong>n weil wir <strong>der</strong> Überzeugung<br />
sind, dass hier etwas sehr Wesentliches<br />
auch für die Zukunft zu bewahren ist.<br />
Denn das ist ein Kernpunkt, <strong>der</strong> mir heute<br />
aufgefallen ist: In <strong>der</strong> Diskussion haben<br />
wir erlebt, dass es in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
um den Religionsunterricht nicht<br />
allein um den Religionsunterricht geht,<br />
son<strong>der</strong>n eigentlich um unsere Gesellschaft<br />
insgesamt: Was hält diese Gesellschaft zusammen,<br />
haben wir gemeinsame Werte,<br />
wollen wir sie miteinan<strong>der</strong> teilen, wie soll<br />
eine offene Gesellschaft aussehen, was ist<br />
ein weltanschaulich neutraler Staat? Auf<br />
jeden Fall kein indifferenter Staat!<br />
Es ist interessant, dass Paul Kirchhof den<br />
Satz von Böckenförde etwas verschärft,<br />
indem er – sinngemäß – gesagt hat: Der<br />
offene Staat, <strong>der</strong> weltanschaulich neutrale<br />
Staat, lebt nicht nur aus Voraussetzungen,<br />
die er selbst nicht schaffen kann, son<strong>der</strong>n<br />
er ist selbst verantwortlich für die Voraussetzungen,<br />
aus denen er lebt, die er aber<br />
nicht selbst schaffen kann.<br />
Das ist eine Verschärfung, gerade im Blick<br />
auf unsere Frage, auf den Religionsunterricht<br />
hin! Wir erleben in <strong>der</strong> Diskussion um<br />
den Religionsunterricht mehr als lediglich<br />
eine spezielle schulinterne Debatte. Wir erleben<br />
vielmehr eine Diskussion <strong>der</strong> Frage:<br />
Was ist eigentlich insgesamt in unserer Gesellschaft<br />
an Bildungsvorstellungen da, an<br />
gemeinsamer Zivilisation, gibt es das noch,<br />
eine gemeinsame Kultur?<br />
In <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung um die Einbürgerung<br />
hat sich diese Grundfrage gezeigt:<br />
Entsprechende Einbürgerungsbogen wurden<br />
verfasst – ich kenne diese nicht auswendig,<br />
aber eigentlich müsste in einem<br />
Einbürgerungsbogen in Bayern o<strong>der</strong> in<br />
Deutschland auch stehen: Kennen Sie die<br />
Zehn Gebote? Auch für einen Nichtchristen<br />
gehört dies zum Bildungskanon. Kann<br />
denn jemand gebildet sein, <strong>der</strong> nicht weiß,<br />
wer Jesus von Nazareth gewesen ist? Ich<br />
meine nicht; dann würde man genauso behaupten,<br />
jemand sei gebildet, <strong>der</strong> Mozart<br />
für den Erfin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Mozartkugeln hielte.<br />
Wir glauben nicht, dass dieser Mensch gebildet<br />
sei, wenn wir den Bildungsbegriff<br />
im umfassenden Sinne verstehen. Es geht<br />
also um mehr als nur um die Zukunft des<br />
Religionsunterrichts, es geht wirklich um<br />
unsere gesellschaftlichen Grundlagen, und<br />
deswegen ist die Debatte so wichtig und<br />
muss sich verzahnen mit den an<strong>der</strong>en gesellschaftlichen<br />
Debatten.<br />
Ich möchte bei dieser Gelegenheit nur drei<br />
Aspekte noch einmal in Erinnerung rufen.<br />
Der eine Aspekt ist <strong>der</strong> anthropologische<br />
Zugang, dass das Thema Religion im Menschen<br />
angelegt ist. Die Frage ist da, also<br />
muss sie behandelt werden. Alles, was <strong>der</strong><br />
Fall ist – Die Welt ist alles, was <strong>der</strong> Fall
Schlusswort 67<br />
ist, so Wittgenstein –, muss auch in <strong>der</strong><br />
Schule einen Bildungsraum, einen Raum<br />
haben, damit man sich auseinan<strong>der</strong>setzt.<br />
Die Erfahrungen des Menschen kommen<br />
eben ohne die religiöse Beziehung nicht<br />
aus, ohne den Bezug zu den Fragen: Gibt<br />
es so etwas wie einen Schöpfer, gibt es so<br />
etwas wie ein ewiges Leben, wo komme<br />
ich her? Dass es notwendig und auch vernünftig<br />
ist, danach zu fragen, ohne immer<br />
sofort eine Antwort zu haben, ist ein ganz<br />
wesentlicher Gesichtspunkt gerade im<br />
christlichen Glauben.<br />
Papst Johannes Paul II. hat das ja in <strong>der</strong><br />
Enzyklika Fides et ratio stark hervorgehoben,<br />
und dies ist mir ein wichtiges Anliegen,<br />
auch im Bewusstsein <strong>der</strong> Kirche. Was<br />
Ministerialdirektor Erhard im Blick auf die<br />
Kirche gesagt hat, beinhaltet auch den<br />
Auftrag an uns, deutlich zu machen:<br />
Christlicher Glaube – so hat es Kardinal<br />
Ratzinger noch vor seiner Zeit als Papst<br />
einmal in einem Vortrag an <strong>der</strong> Sorbonne<br />
formuliert – ist vernunftgeleitete Aufklärung.<br />
Vor allem müssen wir selber als Religionslehrer,<br />
als Kirchenglie<strong>der</strong>, als Theologen,<br />
also als diejenigen, die für das Beson<strong>der</strong>e<br />
des Religionsunterrichtes eintreten,<br />
verdeutlichen, dass wir nicht meinen, Religion<br />
sei ein Residuum aus einer vergangenen<br />
Welt, die eigentlich jetzt überwunden<br />
werden müsse. Vielmehr handelt es sich<br />
um ein Nachdenken, das <strong>der</strong> Vernunft<br />
nicht wi<strong>der</strong>spricht. Wir können im Glauben<br />
sogar die Vernunft weiterführen. Das<br />
war eigentlich durchgehend <strong>der</strong> Anspruch<br />
<strong>der</strong> gesamten jüdisch-christlichen Tradition.<br />
Ich sage das auch in den Gemeinden, und<br />
da sind wir bei einem Aspekt, <strong>der</strong> heute<br />
ebenfalls erwähnt worden ist: Immer weniger<br />
Menschen gehen zur Kirche, weil wir<br />
selber oft das Bewusstsein verloren haben,<br />
dass wir auch die Vorhut <strong>der</strong> Geschichte<br />
sind, und nicht nur die Nachhut; dass wir<br />
nicht nur die Bewahrer einer großen Vergangenheit<br />
sind, son<strong>der</strong>n auch diejenigen,<br />
die dem Menschen für die Zukunft etwas<br />
Wichtiges zu sagen haben. Wenn wir diese<br />
Überzeugung nicht haben, werden wir<br />
auch nicht richtig auf junge Leute zugehen<br />
können!<br />
Deswegen ist es uns aufgetragen, nicht nur<br />
isoliert auf den Religionsunterricht selbst<br />
zu schauen, son<strong>der</strong>n ihn auch im Kontext<br />
des gesamten gesellschaftlichen und kirchlichen<br />
Lebens zu sehen.<br />
Ja, wir müssen wie<strong>der</strong> evangelisieren, wir<br />
müssen uns auf den Weg machen und neu –<br />
und zwar nicht nur im Religionsunterricht<br />
– deutlich machen: Der Religionsunterricht<br />
wird seine Aufgaben nicht leisten<br />
können und wird dann immer ein Son<strong>der</strong>fall<br />
sein, wenn er alleingelassen wird und<br />
in <strong>der</strong> Kirche keine lebendige Aufbruchstimmung<br />
da ist, <strong>der</strong> lebendige Evangelisierungswille<br />
und die Bereitschaft, auch<br />
wie<strong>der</strong> wirklich vom christlichen Glauben<br />
zu überzeugen.<br />
So kommen beispielsweise die Schülerinnen<br />
und Schüler nach Hause und erleben<br />
Eltern, die sagen: Religion ist etwas für die<br />
Großeltern, das brauchen wir nicht, für uns<br />
ist das vorbei! O<strong>der</strong> in einer Pfarrei versammeln<br />
sich tatsächlich nur diejenigen,<br />
die ausschließlich von <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
erzählen.<br />
Für die Zukunftssicherung des Religionsunterrichts<br />
– staatsrechtlich können wir<br />
natürlich kämpfen – würde ich ergänzend<br />
und erweiternd uns als Kirche in die Pflicht<br />
nehmen. Wir müssen auch wie<strong>der</strong> gesellschaftlich,<br />
in unseren Pfarreien, in unseren<br />
Verbänden und in <strong>der</strong> Öffentlichkeit deutlich<br />
machen: Der christliche Glaube ist<br />
keine Sache <strong>der</strong> Vergangenheit, er ist das<br />
große Potenzial für die Zukunft. Ohne dieses<br />
Potenzial wollen wir nicht leben, und<br />
es hat etwas beizutragen zur Gestaltung <strong>der</strong><br />
Gesellschaft, es ist eine positive Zukunfts-
68 Reinhard Marx<br />
vision. Dann könnten wir auch, denke ich,<br />
den Religionsunterricht wie<strong>der</strong> mit einer<br />
an<strong>der</strong>en Dynamik versehen.<br />
Der zweite Gesichtspunkt besteht in <strong>der</strong><br />
kulturellen Dimension. Wie es Professor<br />
Baumstark heute in unübertroffener Weise<br />
ausgedrückt hat, habe ich es selbst immer<br />
wie<strong>der</strong> festgestellt: Wenn man durch ein<br />
Museum geht o<strong>der</strong> Jugendliche in einer<br />
Kirche führt – aber auch Erwachsene,<br />
schauen wir nicht nur auf die Jugend –,<br />
nimmt man ein Unwissen wahr, das wirklich<br />
manchmal erschreckend ist! Dass man<br />
Josef und Maria noch erkennt, darüber<br />
kann man erleichtert sein, aber bei den<br />
Weihnachtsbil<strong>der</strong>n, die wir im Advent<br />
wie<strong>der</strong> sehen werden, stottern einige schon<br />
bei den Hl. Drei Königen gewaltig, und<br />
an<strong>der</strong>e Figuren wie Simeon und Hannah<br />
im Tempel wären für viele äußerst schwierig<br />
zu erraten.<br />
Diese kulturelle Seite ist somit, wie ich<br />
glaube, durchaus ein starkes Argument,<br />
denn in <strong>der</strong> heutigen Zeit – das gilt auch<br />
für Bayern, rund zwei Millionen Menschen<br />
sind in den letzten 15 Jahren zugewan<strong>der</strong>t,<br />
zahlreiche Mitbürger aus Ostdeutschland –<br />
bringen eben viele mit dem christlichen<br />
Glauben keine eigene Tradition mehr in<br />
Verbindung. Dabei zeigt sich gerade, dass<br />
Integration nicht bedeuten muss – das hat<br />
Prälat Pfanzelt sehr gut formuliert und an<strong>der</strong>e<br />
haben es bestätigt –, einfach zu sagen:<br />
Machen wir eine Art Einheitsreligion –<br />
Esperanto war das Stichwort –, versuchen<br />
wir einen allgemeinen Slang zu finden, bei<br />
dem alle mitmachen können. Das dient gerade<br />
nicht <strong>der</strong> Integration, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />
Desintegration, <strong>der</strong> Vergleichgültigung,<br />
mit <strong>der</strong> Folge, dass junge Menschen dann<br />
in eigene Szenen abgleiten und sich selber<br />
eine profilierte Weltanschauung basteln.<br />
Eigentlich kann gerade Bayern zeigen,<br />
dass es die Kraft <strong>der</strong> Integration hat, ohne<br />
profillos zu werden. Das ist auch in unseren<br />
Dörfern und Gemeinden die Heraus-<br />
for<strong>der</strong>ung, nicht das Profil einfach<br />
schwammig werden lassen, son<strong>der</strong>n mit<br />
einem starken Profil offen zu sein. Dann<br />
kann auch Integration erfolgen. Ähnlich<br />
gilt dies auch für den Religionsunterricht;<br />
insofern hat er eigentlich nur eine Zukunft,<br />
wenn er in <strong>der</strong> starken Verbindung mit <strong>der</strong><br />
gelebten Gläubigkeit präsent ist.<br />
Der kulturelle Aspekt geht aber über die<br />
Frage <strong>der</strong> Museen, <strong>der</strong> Kenntnis <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong><br />
o<strong>der</strong> auch <strong>der</strong> Literatur hinaus, die ohne<br />
Rückgriffe auf biblische Geschichten nicht<br />
auskommt. Raum und Zeit sind ebenfalls<br />
zu gestalten, heute ist im Blick auf den<br />
Sonntag das Wort Entschleunigung gefallen.<br />
Ich sage das auch den Politikern: Ich kämpfe<br />
gerne für das Kreuz in öffentlichen Räumen,<br />
für die öffentlichen Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Religion<br />
in unserer Gesellschaft, das ist weltanschaulich<br />
nicht verboten. Ein weltanschaulich<br />
neutraler Staat muss nicht indifferent<br />
sein, er steht zu seiner eigenen Tradition<br />
und kann sich auch unterschiedlich zu den<br />
Religionen verhalten. Er muss es aber begründen,<br />
dass das Christentum für Bayern<br />
eine an<strong>der</strong>e Tradition hat als <strong>der</strong> Buddhismus.<br />
Warum soll <strong>der</strong> Staat nicht begründen<br />
können, dass deswegen das Verhalten des<br />
Staates auf diese Religion hin noch einmal<br />
ein beson<strong>der</strong>es ist, ohne intolerant zu sein?<br />
Das ist, glaube ich, ein wichtiges staatsrechtliches<br />
Thema <strong>der</strong> nächsten Jahre!<br />
Für diese kulturelle Seite ist ein Symbol,<br />
das wir wirklich mit den Augen wahrnehmen<br />
können, wichtig, aber eben zum Beispiel<br />
auch <strong>der</strong> Sonntag. Ich habe im politischen<br />
Gespräch gesagt: Ich freue mich,<br />
wenn die Staatsregierung mit dafür sorgt,<br />
dass das Kreuz und die Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Heiligen<br />
in unserer Landschaft, auch in den Schulen,<br />
auch in den öffentlichen Schulen<br />
lebendig bleiben. Aber genauso will ich<br />
kämpfen für den Sonntag, das zeitliche<br />
Symbol des christlichen Glaubens, das einschneidet<br />
in unsere Tagesabläufe, in unsere<br />
wirtschaftliche Logik. Ich will eintreten für
Schlusswort 69<br />
die "Sabbatkultur", wie man es auch nennt.<br />
Die kürzeste Definition von Religion lautet<br />
ja, nach Johann Baptist Metz, Unterbrechung.<br />
Der Schutz des Sonntags ist etwas<br />
so Kulturprägendes, er ist so kostbar wie<br />
<strong>der</strong> Kölner Dom, nein, er ist kostbarer!<br />
Wenn wir den Sonntag verlieren als eine<br />
Errungenschaft, als einen Raum, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>s<br />
als <strong>der</strong> Alltag geprägt ist, dann verlieren<br />
wir mehr als ein paar Gemälde o<strong>der</strong> ein<br />
paar Gebäude.<br />
Ein drittes Stichwort ist Demokratietheorie:<br />
Der Religionsunterricht und seine<br />
Stellung zeigen auch etwas über die demokratietheoretische<br />
Debatte. Udo Di Fabio<br />
hat vor einigen Wochen ein Buch über<br />
Staat und Kirche herausgegeben. Ich sehe<br />
mit großer Freude, dass nicht nur im Bezug<br />
auf den Religionsunterricht, son<strong>der</strong>n insgesamt<br />
dieses Diskussionsfeld des Verhältnisses<br />
von Staat und Kirche neu in den<br />
Blick kommt. Nicht in <strong>der</strong> Perspektive:<br />
Machen wir uns die Kirche dienstbar! Ich<br />
habe beispielsweise Bürgermeistern, die<br />
sich bei einem Gemeindetag für christliche<br />
Werte ausgesprochen haben, natürlich beigepflichtet,<br />
dass wir gemeinsam dafür<br />
kämpfen müssen. Man kann aber nur für die<br />
christlichen Werte kämpfen, und nur dann<br />
bleiben sie letztlich lebendig, wenn man an<br />
Christus glaubt! Man kann "die christlichen<br />
Werte" nicht abschöpfen wie einen Rahm<br />
und <strong>der</strong> Auffassung sein, <strong>der</strong> Glaube und<br />
die Religionsausübung seien nicht so wichtig.<br />
Es ist ein falsch verstandener Kant, zu<br />
meinen: Religion nur innerhalb <strong>der</strong> Grenzen<br />
<strong>der</strong> reinen Vernunft, das Liturgische und<br />
das Dogmatische seien wegzulassen, die<br />
Ethik herauszunehmen, dann hätte man im<br />
Grunde den "Kern von Religion". Wie man<br />
weiß, ist das ein Konstrukt.<br />
Es wurde heute auch danach gefragt, ob es<br />
ethische Begründungen auch außerhalb des<br />
Christentums gebe. Natürlich gibt es das.<br />
Wir glauben daran, dass es eine gemeinsame<br />
Menschennatur gibt und je<strong>der</strong> Mensch<br />
Bild Gottes ist, nicht nur <strong>der</strong> Christ!<br />
Der revolutionärste Satz, <strong>der</strong> jemals auf<br />
dieser Erde über den Menschen gesagt<br />
wurde, so hat es meines Wissens Paul<br />
Kirchhof formuliert, ist einer <strong>der</strong> ersten<br />
Sätze <strong>der</strong> Hl. Schrift: Als Bild Gottes schuf<br />
er ihn, als Mann und Frau schuf er sie. Was<br />
will das aussagen? Der Mensch ist Gottes<br />
Ebenbild und alle Menschen sind gleich.<br />
Wir alle stammen von einem Elternpaar ab,<br />
gehören also alle zu einer Familie, sind<br />
eine Menschheitsfamilie! Die jüdischchristliche<br />
Tradition war nicht immer auf<br />
<strong>der</strong> Höhe dieser Erkenntnis. Das muss man<br />
so bekennen, aber sie hat den Satz nicht<br />
gestrichen, er steht im Gedächtnis <strong>der</strong><br />
Menschheit als <strong>der</strong> revolutionärste Satz<br />
überhaupt. Es gibt keinen vergleichbaren<br />
Satz! Das wäre im Grunde ein erneuter<br />
Hinweis darauf, sich <strong>der</strong> eigenen Schätze<br />
bewusst zu werden.<br />
Demokratietheoretisch wird man nur dann<br />
weiterdiskutieren können, wenn wir auch<br />
das Verhältnis von Staat und Kirche in guter<br />
Weise auf eine neue Grundlage stellen o<strong>der</strong><br />
jedenfalls noch einmal neu formulieren –<br />
auch angesichts <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten Bedingungen.<br />
Die Väter des Grundgesetzes haben<br />
damals nicht daran gedacht, dass wir einmal<br />
in diesen Größenordnungen mit Muslimen<br />
zusammenleben, mit Buddhisten, mit Menschen,<br />
die aus <strong>der</strong> Kirche ausgetreten sind.<br />
Das war gar nicht im damaligen Blickfeld!<br />
Jetzt leben wir in dieser Gesellschaft, und<br />
wir wollen auch darin leben! Aber das for<strong>der</strong>t<br />
uns heute heraus, dieses Verhältnis neu<br />
zu interpretieren und auf feste Grundlagen<br />
zu stellen, denn sonst hängt auch <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />
in <strong>der</strong> Luft.<br />
Ich glaube, wir haben in den letzten Jahrzehnten<br />
durch die Diskussion um den Religionsunterricht<br />
und durch die Qualitätsstandards<br />
auch wie<strong>der</strong> Schwung bekommen.<br />
Und das Gefühl, das manche zu<br />
Beginn <strong>der</strong> 70er-Jahre hatten – vielleicht<br />
als Religionslehrer, aber auch von den<br />
an<strong>der</strong>en Fachkollegen her –, Religion bedeute<br />
vor allem "Singen, Springen, Beten"
70 Reinhard Marx<br />
ist gewichen. Das möchte ich auch bei<br />
Ihnen stark machen, bei Ihnen als Religionslehrerinnen<br />
und Religionslehrern: Seien<br />
Sie sich bewusst, Sie unterrichten ein Fach,<br />
das nicht weniger wert ist als eines <strong>der</strong> sogenannten<br />
Hauptfächer, son<strong>der</strong>n ein wirklich<br />
anspruchsvolles und umfassendes<br />
Fach mit einem Bildungsprogramm, das<br />
sich beispielsweise von Textanalyse, Geschichtsunterricht<br />
bis hin zu Lebenserfahrung<br />
und <strong>der</strong>en Reflexion erstreckt. Sie<br />
wissen, was Religionsunterricht alles bedeuten<br />
kann; was auch an Theologie auf<br />
einem Niveau dargeboten wird, dass<br />
Schülerinnen und Schüler darauf einsteigen<br />
können, ist faszinierend! Sie machen<br />
eine großartige Arbeit, Religionsunterricht<br />
ist ein starkes Fach. Lassen Sie sich nicht<br />
einreden, Sie verträten irgendein unbedeutendes<br />
Fach, das irgendwann überholt und<br />
überflüssig sei! Da steht die Kirche hinter<br />
Ihnen, in diesem Kampf stehen wir gemeinsam.<br />
In Bayern ist es wirklich so, dass <strong>der</strong> Sinn<br />
dessen, was Religionsunterricht bedeutet,<br />
bei vielen Politikern und auch in den Gemeinden<br />
wach ist, das wissen Sie als Religionslehrkräfte<br />
o<strong>der</strong> als kommunale Vertreter<br />
o<strong>der</strong> Verbandsvertreter. Aber auch da<br />
gilt es zu kämpfen, auch da gibt es manche,<br />
die meinen, wenn schon Unterricht ausfällt,<br />
da ist es am besten, wenn – neben Sport und<br />
Musik – Religion davon betroffen ist, aber<br />
auf keinen Fall Englisch o<strong>der</strong> Mathematik!<br />
Als sei Bildung im Grunde genommen nur<br />
nach Funktionalitäten zu bemessen, die man<br />
leicht abrufen kann. Da steht ein Bildungsbegriff<br />
im Hintergrund, <strong>der</strong> viel zu kurz<br />
greift, aber auch das ist heute intensiv ausgeführt<br />
worden.<br />
Anmerkung<br />
*<br />
Ich erinnere mich sehr an eine großartige<br />
Erfahrung beim Weltjugendtag in Paris –<br />
da war ich gerade junger Weihbischof – als<br />
Johannes Paul II. zehn junge Erwachsene<br />
taufte. Die Zwanzig-, Zweiundzwanzigjährigen<br />
traten vor, und wie bei <strong>der</strong> Erwachsenentaufe<br />
üblich wurde dann gefragt: Was<br />
erbittest du von <strong>der</strong> Kirche Gottes? Und<br />
je<strong>der</strong> Täufling antwortete: Den Glauben!<br />
Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt, <strong>der</strong><br />
mir seitdem wie<strong>der</strong> intensiver mit auf den<br />
Lebensweg und auf die Reflexionswege<br />
gegeben ist: Es geht nicht nur um unseren<br />
persönlichen Glauben: Was kann ich verstehen,<br />
was kann ich begreifen? Son<strong>der</strong>n es<br />
geht darum, dass man im Religionsunterricht,<br />
in <strong>der</strong> Katechese und im Mitleben mit<br />
<strong>der</strong> Kirche hineinwächst in einen Glauben,<br />
in ein Zeugnis, das größer ist als ich. Vergleichbar<br />
mit einem großen Garten, in den<br />
ich eintrete und in dem ich verschiedene<br />
Pflanzen sehe. Diese Vielfalt zu entdecken<br />
und nicht nur das zu akzeptieren, was ich<br />
verstehen kann, son<strong>der</strong>n alles anzusehen<br />
und nicht sofort Einzelnes zu verwerfen.<br />
Wenn wir also gemeinsam für den Religionsunterricht<br />
eintreten, tun wir einen<br />
Dienst an den Menschen. Wir versuchen,<br />
den jungen Menschen, die ja getauft sind,<br />
deutlich zu machen, aus welcher Tradition<br />
sie kommen, aber wir eröffnen und erschließen<br />
ihnen auch die Potenziale, die<br />
Kraftquellen, die für die Zukunft ihres Lebens<br />
und für die Zukunft unserer Gesellschaft<br />
wichtig sind.<br />
Das Evangelium Jesu Christi, das Evangelium<br />
von <strong>der</strong> Frohen Botschaft, von dem<br />
Gott, <strong>der</strong> unter uns Mensch geworden ist,<br />
ist auch in tausend Jahren nicht überholt.<br />
Der Stil des mündlichen Vortrags wurde bewusst beibehalten. Es wurden nur geringfügige Än<strong>der</strong>ungen<br />
vorgenommen.
Baumstark, Reinhold, Prof. Dr.<br />
Generaldirektor a.D. <strong>der</strong> Bayerischen<br />
Staatsgemäldesammlung, München<br />
Bierbaum, Detlev<br />
Oberkirchenrat, Evangelische Landeskirche<br />
Bayern, München<br />
Bodensteiner, Paula<br />
Referentin für Schul- und Bildungspolitik,<br />
Akademie für Politik und Zeitgeschehen<br />
<strong>der</strong> <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-Stifung, München<br />
Dressler, Bernhard, Prof. Dr.<br />
Fachbereich Evangelische Theologie, Philipps-Universität<br />
Marburg<br />
Erhard, Josef<br />
MD, Amtschef im Bayerischen Staatsministerium<br />
für Unterricht und Kultus, München<br />
Görnitz, Thomas, Prof. Dr.<br />
Institut für Didaktik <strong>der</strong> Physik, Johann-<br />
Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt<br />
Herget, Ferdinand, Dr.<br />
Wissenschaftlicher Referent im Religionspädagogischen<br />
Zentrum in Bayern, München<br />
Autorenverzeichnis<br />
Jestaedt, Matthias, Prof. Dr.<br />
Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Friedrich-<br />
Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-Nürnberg<br />
Marx, Reinhard, Dr.<br />
Erzbischof von München und Freising,<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Freisinger Bischofskonferenz<br />
Pfanzelt, Erich<br />
Prälat, Domkapitular, Leiter des Katholischen<br />
Schulkommissariats in Bayern,<br />
München<br />
Vossenkuhl, Wilhelm, Prof. Dr.<br />
Lehrstuhl für Philosophie I, Ludwig-<br />
Maximilian-Universität München<br />
Weidinger, Norbert, Dr.<br />
Direktor, Wissenschaftlicher Referent am<br />
Religionspädagogischen Zentrum in Bayern,<br />
München<br />
Zehetmair, Hans, Dr. h.c. mult.<br />
Staatsminister a.D., Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong>, München
Verantwortlich:<br />
Dr. Reinhard C. Meier-Walser<br />
Leiter <strong>der</strong> Akademie für Politik und Zeitgeschehen, <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong>, München<br />
Herausgeber:<br />
Paula Bodensteiner<br />
Referentin für Bildungs- und Schulpolitik, Akademie für Politik und Zeitgeschehen,<br />
<strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong>, München<br />
Dr. Norbert Weidinger<br />
Direktor, Wissenschaftlicher Referent am Religionspädagogischen Zentrum in Bayern,<br />
München – i.A. des Katholischen Schulkommissariats in Bayern
"Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen"<br />
Die "Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen" werden ab Nr. 14 parallel zur Druckfassung<br />
auch zum Herunterladen auf <strong>der</strong> Homepage <strong>der</strong> <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong> angeboten:<br />
www.hss.de. Ausgaben, die noch nicht vergriffen sind, können per Klick auf "<strong>Publikation</strong>en"<br />
o<strong>der</strong> telefonisch unter 089/1258-263 kostenfrei bestellt werden.<br />
Nr. 1 Berufsvorbereitende Programme für Studierende an deutschen Universitäten<br />
Nr. 2 Zukunft sichern: Teilhabegesellschaft durch Vermögensbildung<br />
Nr. 3 Start in die Zukunft – Das Future-Board<br />
Nr. 4 Die Bundeswehr – Grundlagen, Rollen, Aufgaben<br />
Nr. 5 "Stille Allianz"? Die deutsch-britischen Beziehungen im neuen Europa<br />
Nr. 6 Neue Herausfor<strong>der</strong>ungen für die Sicherheit Europas<br />
Nr. 7 Aspekte <strong>der</strong> Erweiterung und Vertiefung <strong>der</strong> Europäischen Union<br />
Nr. 8 Möglichkeiten und Wege <strong>der</strong> Zusammenarbeit <strong>der</strong> Museen in Mittel- und<br />
Osteuropa<br />
Nr. 9 Sicherheit in Zentral- und Südasien – Determinanten eines Krisenherdes<br />
Nr. 10 Die gestaltende Rolle <strong>der</strong> Frau im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
Nr. 11 Griechenland: Politik und Perspektiven<br />
Nr. 12 Russland und <strong>der</strong> Westen<br />
Nr. 13 Die neue Familie: Familienleitbil<strong>der</strong> – Familienrealitäten<br />
Nr. 14 Kommunistische und postkommunistische Parteien in Osteuropa –<br />
Ausgewählte Fallstudien<br />
Nr. 15 Doppelqualifikation: Berufsausbildung und Studienberechtigung –<br />
Leistungsfähige in <strong>der</strong> beruflichen Erstausbildung<br />
Nr. 16 Qualitätssteigerung im Bildungswesen: Innere Schulreform –<br />
Auftrag für Schulleitungen und Kollegien<br />
Nr. 17 Die Beziehungen <strong>der</strong> Volksrepublik China zu Westeuropa –<br />
Bilanz und Ausblick am Beginn des 21. Jahrhun<strong>der</strong>ts
Nr. 18 Auf <strong>der</strong> ewigen Suche nach dem Frieden – Neue und alte Bedingungen für die<br />
Friedenssicherung<br />
Nr. 19 Die islamischen Staaten und ihr Verhältnis zur westlichen Welt –<br />
Ausgewählte Aspekte<br />
Nr. 20 Die PDS: Zustand und Entwicklungsperspektiven<br />
Nr. 21 Deutschland und Frankreich: Gemeinsame Zukunftsfragen<br />
Nr. 22 Bessere Justiz durch dreigliedrigen Justizaufbau?<br />
Nr. 23 Konservative Parteien in <strong>der</strong> Opposition – Ausgewählte Fallbeispiele<br />
Nr. 24 Gesellschaftliche Herausfor<strong>der</strong>ungen aus westlicher und östlicher Perspektive –<br />
Ein deutsch-koreanischer Dialog<br />
Nr. 25 Chinas Rolle in <strong>der</strong> Weltpolitik<br />
Nr. 26 Lernmodelle <strong>der</strong> Zukunft am Beispiel <strong>der</strong> Medizin<br />
Nr. 27 Grundrechte – Grundpflichten: eine untrennbare Verbindung<br />
Nr. 28 Gegen Völkermord und Vertreibung – Die Überwindung des zwanzigsten<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
Nr. 29 Spanien und Europa<br />
Nr. 30 Elternverantwortung und Generationenethik in einer freiheitlichen Gesellschaft<br />
Nr. 31 Die Clinton-Präsidentschaft – ein Rückblick<br />
Nr. 32 Alte und neue Deutsche? Staatsangehörigkeits- und Integrationspolitik auf dem<br />
Prüfstand<br />
Nr. 33 Perspektiven zur Regelung des Internetversandhandels von Arzneimitteln<br />
Nr. 34 Die Zukunft <strong>der</strong> NATO<br />
Nr. 35 Frankophonie – nationale und internationale Dimensionen<br />
Nr. 36 Neue Wege in <strong>der</strong> Prävention<br />
Nr. 37 Italien im Aufbruch – eine Zwischenbilanz<br />
Nr. 38 Qualifizierung und Beschäftigung<br />
Nr. 39 Moral im Kontext unternehmerischen Denkens und Handelns
Nr. 40 Terrorismus und Recht – Der wehrhafte Rechtsstaat<br />
Nr. 41 Indien heute – Brennpunkte seiner Innenpolitik<br />
Nr. 42 Deutschland und seine Partner im Osten – Gemeinsame Kulturarbeit im<br />
erweiterten Europa<br />
Nr. 43 Herausfor<strong>der</strong>ung Europa – Die Christen im Spannungsfeld von nationaler Identität,<br />
demokratischer Gesellschaft und politischer Kultur<br />
Nr. 44 Die Universalität <strong>der</strong> Menschenrechte<br />
Nr. 45 Reformfähigkeit und Reformstau – ein europäischer Vergleich<br />
Nr. 46 Aktive Bürgergesellschaft durch bundesweite Volksentscheide?<br />
Direkte Demokratie in <strong>der</strong> Diskussion<br />
Nr. 47 Die Zukunft <strong>der</strong> Demokratie – Politische Herausfor<strong>der</strong>ungen zu Beginn des<br />
21. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
Nr. 48 Nachhaltige Zukunftsstrategien für Bayern – Zum Stellenwert von Ökonomie,<br />
Ethik und Bürgerengagement<br />
Nr. 49 Globalisierung und demografischer Wandel – Fakten und Konsequenzen zweier<br />
Megatrends<br />
Nr. 50 Islamistischer Terrorismus und Massenvernichtungsmittel<br />
Nr. 51 Rumänien und Bulgarien vor den Toren <strong>der</strong> EU<br />
Nr. 52 Bürgerschaftliches Engagement im Sozialstaat<br />
Nr. 53 Kin<strong>der</strong> philosophieren<br />
Nr. 54 Perspektiven für die Agrarwirtschaft im Alpenraum<br />
Nr. 55 Brasilien – Großmacht in Lateinamerika<br />
Nr. 56 Rauschgift, Organisierte Kriminalität und Terrorismus<br />
Nr. 57 Fröhlicher Patriotismus? Eine WM-Nachlese<br />
Nr. 58 Bildung in Bestform – Welche Schule braucht Bayern?<br />
Nr. 59 "Sie werden Euch hassen ..." – Christenverfolgung weltweit<br />
Nr. 60 Vergangenheitsbewältigung im Osten – Russland, Polen, Rumänien<br />
Nr 61 Die Ukraine – Partner <strong>der</strong> EU
Nr. 62 Der Weg Pakistans – Rückblick und Ausblick<br />
Nr. 63 Von den Ideen zum Erfolg: Bildung im Wandel<br />
Nr. 64 Religionsunterricht in offener Gesellschaft