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64<br />

Paula Bodensteiner /<br />

Norbert Weidinger (Hrsg.)<br />

Religionsunterricht<br />

in offener Gesellschaft<br />

Religionspädagogisches Zentrum<br />

in Bayern


ISBN 978-3-88795-346-1<br />

© 2009 <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong> e.V., München<br />

Akademie für Politik und Zeitgeschehen<br />

Verantwortlich: Dr. Reinhard C. Meier-Walser (Chefredakteur)<br />

Redaktion:<br />

Barbara Fürbeth M.A. (Redaktionsleiterin)<br />

Susanne Berke, Dipl. Bibl. (Redakteurin)<br />

Claudia Magg-Frank, Dipl. sc. pol. (Redakteurin)<br />

Marion Steib (Redaktionsassistentin)<br />

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form<br />

(durch Fotokopie, Mikrofilm o<strong>der</strong> ein an<strong>der</strong>es Verfahren)<br />

ohne schriftliche Genehmigung <strong>der</strong> Redaktion reproduziert<br />

o<strong>der</strong> unter Verwendung elektronischer Systeme<br />

verarbeitet, vervielfältigt o<strong>der</strong> verbreitet werden.


Inhaltsverzeichnis<br />

Paula Bodensteiner / Norbert Weidinger<br />

Vorwort ................................................................................................................................ 5<br />

Hans Zehetmair<br />

Einführung ............................................................................................................................ 11<br />

Norbert Weidinger<br />

Mediale Hinführung zum Thema ......................................................................................... 15<br />

Wilhelm Vossenkuhl<br />

Religiöse Bildung und menschliche Selbstbestimmung ...................................................... 19<br />

Statements <strong>der</strong> Podiumsdiskussion<br />

Reinhold Baumstark<br />

für die Kunst und Kunstgeschichte ....................................................................................... 27<br />

Bernhard Dressler<br />

für Religion und Philosophie................................................................................................. 31<br />

Thomas Görnitz<br />

für die Naturwissenschaften.................................................................................................. 35<br />

Matthias Jestaedt<br />

für die Rechts- und Gesellschaftswissenschaften.................................................................. 41<br />

Detlef Bierbaum<br />

für die Evangelische Kirche .................................................................................................. 47<br />

Erich Pfanzelt<br />

für die Katholische Kirche .................................................................................................... 49<br />

Ferdinand Herget<br />

Werkstattgespräch und Podiumsdiskussion ......................................................................... 53<br />

Josef Erhard<br />

Die Bedeutung des Religionsunterrichts .............................................................................. 57<br />

Reinhard Marx<br />

Schlusswort .......................................................................................................................... 65<br />

Autorenverzeichnis ............................................................................................................... 71


Was den Fachkongress "Religionsunterricht<br />

in offener Gesellschaft" für die<br />

<strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong> (HSS), das Katholische<br />

Schulkommissariat in Bayern (KSK)<br />

und das Religionspädagogische Zentrum in<br />

Bayern (RPZ) im Kontext des öffentlichen<br />

Schulwesens und seines Bildungsauftrages<br />

als notwendige gemeinsame Veranstaltung<br />

erscheinen ließ, kommt im Ausschreibungstext<br />

(1.) sehr deutlich zum Ausdruck.<br />

Er fasst die gegenwärtige gesellschaftliche<br />

Situation zusammen, auf <strong>der</strong>en Analyse<br />

hin alle drei Einrichtungen die Zusammenarbeit<br />

suchten und glücklicherweise auch<br />

fanden. Für das Programm (4.) und die<br />

Durchführung des Kongresses zeigten die<br />

Vier Modi <strong>der</strong> Weltbegegnung und<br />

-erschließung von Prof. Dr. Jürgen Baumert<br />

(Berlin) die Richtung an (2.). Das<br />

Vorbereitungsteam <strong>der</strong> HSS und des RPZ<br />

fasste sie als konzeptionellen Grundrahmen<br />

zusammen und legte sie allen Referenten<br />

und Gesprächspartnern auf dem<br />

Podium im Vorfeld vor. Dieser Text und<br />

die ergänzenden Hinweise (3.) markieren<br />

auch den Ausgangs- und Zielpunkt für die<br />

Leser/innen dieser Dokumentation. Sie<br />

bilden aus unserer Sicht eine gewichtige<br />

Argumentationsgrundlage, wo immer die<br />

Zukunft und die Begründung des Religionsunterrichts<br />

in <strong>der</strong> pluralen Gesellschaft<br />

diskutiert werden.<br />

1. Zur gesellschaftlichen<br />

Ausgangslage<br />

In letzter Zeit äußern sich zunehmend<br />

hochrangige Vertreter von Staat, Justiz und<br />

Kirche öffentlich zum Verhältnis von Kirche<br />

und Staat in Deutschland. Diese Beziehung<br />

hat ihre spezifische Prägung durch<br />

eine wechselhafte und konfliktreiche Ge-<br />

Vorwort<br />

Paula Bodensteiner / Norbert Weidinger<br />

schichte erhalten. Die aus historischen Entscheidungsprozessen<br />

erwachsene Kooperation<br />

bei grundsätzlicher Trennung bei<strong>der</strong><br />

Bereiche muss sich in <strong>der</strong> Gegenwart und<br />

unter den Vorzeichen einer offenen Gesellschaft<br />

neu bewähren. In diesem Kontext ist<br />

stets auch die Situation des Religionsunterrichts<br />

(RU) mit beleuchtet worden. Trotz<br />

verfassungsrechtlicher Verankerung hat<br />

seine Position im Fächerkanon <strong>der</strong> Schule<br />

und seine Bedeutung in einer weltanschaulich<br />

sich immer stärker ausdifferenzierenden<br />

Gesellschaft dabei ganz unterschiedliche<br />

Bestimmungen erfahren. Vor allem<br />

Vertreter <strong>der</strong> Justiz äußern die Auffassung,<br />

dem Staat komme bildungspolitisch die<br />

Verantwortung zu, unter Achtung <strong>der</strong> positiven<br />

wie negativen Religionsfreiheit in<br />

<strong>der</strong> heranwachsenden Generation einen<br />

Grundwertekonsens anzubahnen und im<br />

Interesse des nationalen wie gesamteuropäischen<br />

Zusammenhaltes abzusichern.<br />

Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes<br />

aus dem Jahr 1998 hat bereits<br />

letztinstanzlich geklärt, dass es den<br />

einzelnen Län<strong>der</strong>n freistehe, ein eigenes<br />

Fach mit dieser Zielsetzung einzurichten.<br />

Unverkennbar stehen sich gegenwärtig<br />

weltanschauliche Indifferenz und wachsende<br />

religiöse Vielfalt gegenüber. Zudem<br />

for<strong>der</strong>n das Erstarken des Islam in unserer<br />

Gesellschaft und das Bemühen des Freidenkertums<br />

um die bundesweite Einrichtung<br />

eines Unterrichtsfaches für humanistische<br />

Lebenskunde neue bildungspolitische<br />

Debatten um den RU heraus. In dieser brisanten<br />

Gemengelage setzte sich <strong>der</strong> Fachkongress<br />

das Ziel, einen Beitrag zu leisten<br />

zur notwendigen grundsätzlichen Situationsanalyse<br />

sowie zur Begründung und Profilierung<br />

des RU durch die Klärung seines<br />

Bildungsbeitrags in einer offenen Gesellschaft.


6 Paula Bodensteiner / Norbert Weidinger<br />

2. Die vier Modi <strong>der</strong> Weltbegegnung<br />

und -erschließung<br />

nach Jürgen Baumert<br />

Jürgen Baumert (Vize-Präsident <strong>der</strong> Max-<br />

Planck-Gesellschaft) hat diese "Grundstruktur<br />

<strong>der</strong> Allgemeinbildung" für die<br />

internationale Vergleichsstudie PISA entwickelt.<br />

Er knüpft dazu an den Humboldtschen<br />

Bildungsbegriff an. Die vier Modi<br />

sollen sicherstellen, dass die heranwachsende<br />

Generation im jeweiligen Bildungssystem<br />

alle notwendigen Basiskompetenzen<br />

zur Begegnung mit <strong>der</strong> Welt und zu ihrer<br />

Gestaltung erwerben kann. Es sind dies<br />

die Bereiche Religion/Philosophie, Politik,<br />

Naturwissenschaft und Kunst.<br />

Grundthese<br />

Die vier Modi bezeichnen unterschiedliche<br />

Weltzugänge und unterschiedliche Welthorizonte,<br />

die sich wechselseitig ergänzen,<br />

aber nicht ersetzen können. Je<strong>der</strong> Modus<br />

hat seine eigene Perspektive, seine eigenen<br />

Wahrnehmungsmuster (Methoden) und<br />

seine eigenen Erkenntnisräume – und damit<br />

auch seine Grenzen. "Keiner Perspektive<br />

eröffnet sich eine an<strong>der</strong>e Welt, aber<br />

immer die eine Welt als eine an<strong>der</strong>e"<br />

(Bernhard Dressler). Religion ersetzt keine<br />

Politik, Naturwissenschaft tritt nicht an die<br />

Stelle von Kunst. Je<strong>der</strong> Welterschließungsmodus<br />

hat seine spezifische "Leseart"<br />

(literacy) von Welt und seine eigenen<br />

"Kulturtechniken". Das Bildungssystem<br />

soll Schüler/innen dazu befähigen, die unterschiedlichen<br />

Perspektiven und die unterschiedlichen<br />

Lesearten zu erkennen und zu<br />

nutzen, um zu wissen, dass mit <strong>der</strong> jeweiligen<br />

"Leseart" von Welt zugleich eine jeweils<br />

eigene "Modellierung" von Welt geschieht.<br />

Somit sind die Schülerinnen und<br />

Schüler zum Perspektivenwechsel anzuleiten<br />

und zu befähigen. Sie sollen "in <strong>der</strong><br />

Form <strong>der</strong> Welterfahrung von den einfachen<br />

Formen des ich-zentrierten Umgangs mit<br />

<strong>der</strong> Welt auf die grundlegenden wissen-<br />

schaftlichen Modi <strong>der</strong> Welterfahrung übergehen<br />

können" (Eckhard Klieme). Die<br />

Aufmerksamkeit ist auf die unterschiedlichen<br />

Instrumentarien (Sprachen), Reichweiten<br />

und die Grenzen (auch "blinde Flecken")<br />

des jeweiligen Modus gerichtet. Die<br />

Schülerinnen und Schüler erlernen so den<br />

sachgerechten Umgang (z.B. unterschiedliche<br />

Sprachen) mit jedem <strong>der</strong> Modi.<br />

Die vier Modi und ihr gemeinsamer<br />

Gegenstand: die Welt<br />

a) Politik / Recht / normativ-evaluative<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Wirtschaft und<br />

Gesellschaft (Grundfrage: Wie ist die<br />

soziale Welt verbindlich zu ordnen?)<br />

Dieser Modus modelliert allgemeine Gesetzmäßigkeiten,<br />

indem er Gegebenes auf<br />

Werte bezieht, daraus allgemein verbindliche<br />

Normen und konkrete Handlungsanweisungen<br />

ableitet. Methodisch wird dies<br />

durch Analyse und Abstraktion erreicht.<br />

b) Naturwissenschaften / kognitiv-instrumentelle<br />

Modellierung <strong>der</strong> Welt (Grundfrage:<br />

Wie geht es?)<br />

Ziel dieses Modus ist die statistische Beschreibung<br />

materieller Wirkungszusammenhänge,<br />

um <strong>der</strong>en Regelhaftigkeit modellieren<br />

und/o<strong>der</strong> technisch-instrumentell beherrschen<br />

zu können. Methodik ist die<br />

Abstraktion von allen Bestimmungen, die<br />

für die Wirkungszusammenhänge und <strong>der</strong>en<br />

mathematische Beschreibbarkeit bedeutungslos<br />

sind.<br />

c) Kunst / ästhetisch-expressive Begegnung<br />

und Gestaltung (Grundfragen:<br />

Wie begegnet mir Wirklichkeit? Wie<br />

kann ich Wirklichkeit ausdrücken?)<br />

In Sprache/Literatur, Musik, Malerei/Bilden<strong>der</strong><br />

Kunst, physischer Expression zielt<br />

dieser Modus material auf die subjektive


Vorwort 7<br />

Deutung und Freilegung von Wirklichkeit<br />

im Fokus individuellen Erlebens und Empfindens.<br />

Formalobjekt sind alle sinnenhaften<br />

Erfahrungsmöglichkeiten und <strong>der</strong>en<br />

gestalterische Vergegenständlichung.<br />

d) Religion / Philosophie – Probleme<br />

konstitutiver Rationalität (Grundfragen<br />

[Philosophie]: Was ist wirklich? [Religion]:<br />

Wozu bin ich da?)<br />

Ihr Gegenstand sind die Fragen nach dem<br />

Woher, Wohin und Wozu des menschlichen<br />

Lebens. Die Philosophie erforscht die<br />

elementaren, konstituierenden Prinzipien<br />

des Seins, indem sie die wesentlichen<br />

Merkmale des Gegebenen abstrahierend zu<br />

erfassen sucht. Die (christliche) Religion<br />

stellt die Frage nach dem Sinn <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />

unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Person<br />

und ihrer subjektiven Erkenntnis-, Entscheidungs-<br />

und Handlungsmöglichkeiten<br />

in existenziell bedeutsamen Situationen.<br />

Im Unterschied zur Philosophie geht es ihr<br />

nicht um Abstraktion von Person, son<strong>der</strong>n<br />

um das Erkennen und Entscheiden einer<br />

Person im Hier und Jetzt, die unter dem<br />

Anspruch Gottes (des Absoluten) steht.<br />

Erst unter diesem Anspruch werden Wert<br />

und Würde des Menschen sichtbar. Formalobjekte<br />

sind philosophische Methoden<br />

und Wege <strong>der</strong> Erkenntnis von Person<br />

(Offenbarung und Glaube). Das erfor<strong>der</strong>t<br />

intensives Einüben in Erkennen, Entscheiden<br />

und Handeln.<br />

3. Ergänzende Hinweise<br />

Jürgen Baumert selbst gibt folgenden erhellenden<br />

Hinweis zu seinem Modell:<br />

"Was verstehe ich unter Modi <strong>der</strong> Weltbegegnung?<br />

Es gibt unterschiedliche Formen<br />

<strong>der</strong> Rationalität, von denen jede in beson<strong>der</strong>er<br />

Weise im menschlichen Handeln zur<br />

Geltung kommt. Kognitive Rationalität ist<br />

nur eine. Kunst, Literatur, Musik und kör-<br />

perliche Übung um ihrer selbst willen folgen<br />

einer eigenen Logik, die nicht mit <strong>der</strong><br />

kognitivinstrumentellen Modellierung <strong>der</strong><br />

Welt zusammenfällt, die Mathematik, Naturwissenschaften<br />

o<strong>der</strong> Technik auszeichnet.<br />

Sie teilen vielmehr eine spezifische<br />

Rationalität des Ästhetisch-Expressiven.<br />

Davon unterscheidet sich wie<strong>der</strong>um die<br />

Logik evaluativ-normativer Fragen, die<br />

Recht, Wirtschaft o<strong>der</strong> Gesellschaft aufwerfen.<br />

Ebenso sind die Fragen des Ultimaten<br />

– also Fragen nach dem Woher,<br />

Wohin und Wozu des menschlichen Lebens<br />

– an<strong>der</strong>s zu behandeln als mathematische<br />

und naturwissenschaftliche Probleme.<br />

Die unterschiedlichen Rationalitätsformen<br />

eröffnen jeweils eigene Horizonte des<br />

Weltverstehens, die für Bildung grundlegend<br />

und nicht wechselseitig austauschbar<br />

sind. Schulen mo<strong>der</strong>ner Gesellschaften institutionalisieren<br />

die reflexive Begegnung<br />

mit je<strong>der</strong> dieser unterschiedlichen menschlichen<br />

Rationalitätsformen." (Baumert<br />

2002, S.7)<br />

"Mit an<strong>der</strong>en Worten: Wenn die Biologielehrerin<br />

über eine Rose spricht, folgt sie<br />

einer an<strong>der</strong>en Form von Rationalität als <strong>der</strong><br />

Deutschlehrer, <strong>der</strong> ein Liebesgedicht behandelt.<br />

Niemand würde (hoffe ich) behaupten,<br />

dass nur einer <strong>der</strong> beiden Zugänge<br />

richtig und angemessen sei. Vielmehr müssen<br />

sich beide Zugänge ergänzen: Wer seiner<br />

Angebeteten seine Liebe erklären will,<br />

sollte um die Symbolkraft <strong>der</strong> Rose wissen<br />

und vielleicht nicht stattdessen einen Kaktus<br />

schenken. Wer mit Zucht und Verkauf<br />

von Blumen Geld verdienen will, dem<br />

kann dagegen die Poesie so lange egal<br />

sein, bis er sich verliebt.<br />

Von einem gebildeten Menschen kann man<br />

also beides erwarten – naturwissenschaftliche<br />

Kenntnisse und ein geisteswissenschaftliches<br />

o<strong>der</strong> ästhetisches Verständnis.<br />

Darüber hinaus sollte man erwarten, dass<br />

er diese verschiedenen Rationalitäten o<strong>der</strong><br />

Weltzugänge unterscheiden und ihre jeweiligen<br />

Grenzen reflektieren kann.


8 Paula Bodensteiner / Norbert Weidinger<br />

Im Blick auf Religion bedeutet das: Es gibt<br />

auch einen religiösen Weltzugang. Daher ist<br />

es Teil eines umfassenden Bildungsprozesses,<br />

die Struktur dieses religiösen Weltzugangs,<br />

seine Möglichkeiten und Grenzen am<br />

Beispiel einer konkreten Konfession o<strong>der</strong><br />

Religion kennen und reflektieren zu lernen:<br />

Wo hat ein Phänomen o<strong>der</strong> ein Problem eine<br />

religiöse Dimension? Welche Dimensionen<br />

– eine ökonomische, eine politische, eine<br />

naturwissenschaftliche – sind neben <strong>der</strong> religiösen<br />

Dimension von Bedeutung? Wie versteht<br />

man innerhalb einer Konfession die<br />

4. Das Programm<br />

Welt – und wie innerhalb von an<strong>der</strong>en Konfessionen?"<br />

(Willems 2007, S.2)<br />

Dementsprechend sah das Programm des<br />

Fachkongresses, zu dem <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong><br />

Akademie für Politik und Zeitgeschehen<br />

<strong>der</strong> <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong>, Dr. Reinhard C.<br />

Meier-Walser, die Referentin für Schulund<br />

Bildungspolitik in <strong>der</strong> <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<br />

<strong>Stiftung</strong>, Paula Bodensteiner, und <strong>der</strong> Leiter<br />

des Katholischen Schulkommissariats in<br />

Bayern, Prälat Domkapitular Erich Pfanzelt,<br />

einluden, den folgenden Verlauf vor:<br />

14.30 Uhr Eröffnung und Begrüßung<br />

Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong>, Staatsminister a.D.<br />

14.45 Uhr Mediale Hinführung zum Thema:<br />

Stellungnahmen zur Bedeutung des Religionsunterrichts<br />

15.00 Uhr Impulsreferat<br />

"Religiöse Bildung und menschliche Selbstbestimmung"<br />

Prof. Dr. Wilhelm Vossenkuhl<br />

Lehrstuhl für Philosophie I, Ludwig-Maximilians-Universität München<br />

15.45 Uhr Kaffeepause<br />

16.15 Uhr Podiumsdiskussion und mo<strong>der</strong>iertes Werkstattgespräch<br />

Statements <strong>der</strong> Teilnehmer:<br />

Prof. Dr. Reinhold Baumstark<br />

Generaldirektor <strong>der</strong> Bayerischen Staatsgemäldesammlung, München<br />

Prof. Dr. Bernhard Dressler<br />

Fachbereich Evangelische Theologie, Philipps-Universität Marburg<br />

Prof. Dr. Thomas Görnitz<br />

Institut für Didaktik <strong>der</strong> Physik, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität<br />

Frankfurt<br />

Prof. Dr. Matthias Jestaedt<br />

Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-<br />

Nürnberg<br />

Prof. Dr. Wilhelm Vossenkuhl<br />

Lehrstuhl für Philosophie I, Ludwig-Maximilians-Universität München<br />

OKR Detlev Bierbaum<br />

Evangelische Landeskirche Bayern<br />

DK Prälat Erich Pfanzelt<br />

Leiter des Katholischen Schulkommissariats in Bayern


Vorwort 9<br />

Anschließend Diskussion mit dem Publikum<br />

Anwälte des Publikums: Die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Religionspädagogischen<br />

Zentrums in Bayern<br />

Mo<strong>der</strong>ation: Dr. Norbert Weidinger<br />

Direktor, wissenschaftlicher Referent am Religionspädagogischen Zentrum in<br />

Bayern<br />

18.00 Uhr Stellungnahme zur Bedeutung des Religionsunterrichts<br />

MD Josef Erhard<br />

Amtschef im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus<br />

18.30 Uhr Schlusswort<br />

Erzbischof Dr. Reinhard Marx<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Freisinger Bischofskonferenz<br />

5. Resümee und Dank<br />

Mit dem Fachkongress ist es – soweit wir<br />

sehen – erstmals gelungen, das Modell<br />

von Jürgen Baumert konkret in einer<br />

öffentlichen Veranstaltung interdisziplinär<br />

auf seine Stringenz und Tragfähigkeit hin<br />

zu überprüfen. Diese Erprobung kann bei<br />

allen noch offenen Fragen, die sich bei<br />

jedem wissenschaftlichen Diskurs zeigen,<br />

als erfolgreich bezeichnet werden. Dies<br />

bestätigen nicht zuletzt die eindeutig<br />

positiven Rückmeldungen <strong>der</strong> Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer wie das Echo in<br />

den Medien.<br />

Somit bleibt den Tagungsleitern die Aufgabe,<br />

allen, die an diesem Fachkongress<br />

als Referenten mitgewirkt haben, ein herzliches<br />

Dankeschön auszusprechen, sodann<br />

dem Vorsitzenden <strong>der</strong> <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<br />

<strong>Stiftung</strong>, Staatsminister a.D., Dr. h.c. mult.<br />

Hans Zehetmair, dem Amtschef des Baye-<br />

rischen Staatsministeriums für Unterricht<br />

und Kultus, Ministerialdirektor Josef Erhard,<br />

<strong>der</strong> kurzfristig für den – durch die<br />

Veröffentlichung <strong>der</strong> aktuellen PISA-<br />

Ergebnisse in Berlin verhin<strong>der</strong>ten, neuen –<br />

Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle eingesprungen<br />

ist, dem Vorsitzenden <strong>der</strong> Freisinger<br />

Bischofskonferenz Erzbischof Dr.<br />

Reinhard Marx und den Mitarbeiter/inne/n<br />

des RPZ Dr. Ferdinand Herget, Frau Edith<br />

Kaindl, Dr. Matthias Pfeufer und StD<br />

Bernhard Rößner. Nur dank ihres Engagements<br />

und ihrer Bereitschaft, sich auf diese<br />

komplexe Thematik einzulassen und sie<br />

zielstrebig und konstruktiv zu bearbeiten,<br />

konnte <strong>der</strong> Fachkongress gelingen. Zweifellos<br />

ist damit das Thema nicht abgehakt.<br />

Es ist sehr zu wünschen und zu hoffen,<br />

dass mit dem Erscheinen dieser Dokumentation<br />

die öffentliche Diskussion zu<br />

Gunsten <strong>der</strong> künftigen Schülergeneration<br />

und des RU ausgeweitet und vertieft werden<br />

kann.


10 Paula Bodensteiner / Norbert Weidinger<br />

Literaturhinweise<br />

Baumert Jürgen: Deutschland im internationalen<br />

Bildungsvergleich. Vortrag anlässlich des dritten<br />

Werkstattgespräches <strong>der</strong> Initiative "McKinsey bildet",<br />

im Museum für ostasiatische Kunst, Köln<br />

6.7.2002, S.7, http://www.mpib-berlin.mpg.de/de/aktuelles/bildungsvergleich.pdf<br />

Belafi, Matthias: Präzisierung <strong>der</strong> Religionsfreiheit?<br />

Eine Replik auf Brigitte Zypries´ Rede zur<br />

Religionspolitik, in: Stimmen <strong>der</strong> Zeit 3/2008,<br />

S.162-172.<br />

Benner, Dietrich: Bildung und Religion. Überlegungen<br />

zu ihrem problematischen Verhältnis und<br />

zu den Aufgaben eines öffentlichen Religionsunterrichts<br />

heute, in: Dietrich Benner, Bildungstheorie<br />

und Bildungsforschung, Grundlagen und Anwendungsfel<strong>der</strong>,<br />

Pa<strong>der</strong>born 2008, S.129-145.<br />

Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Wie können die<br />

Religionen friedlich und frei beisammen leben?, in:<br />

NZZ, 23.7.2007.<br />

Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Im Staat sind die<br />

Gedanken zollfrei, http://www.tagesspiegel.de/<br />

politik/Deutschland-Ingegration-Mitgration<br />

Bormann, Franz-Josef/Irlenborn, Bernd: Überzeugungen<br />

und öffentliche Vernunft. Zur Rolle des<br />

Christentums in <strong>der</strong> pluralistischen Gesellschaft,<br />

Freiburg/Basel/Wien 2008.<br />

Di Fabio, Udo: Gewissen, Glaube, Religion: Wandelt<br />

sich die Religionsfreiheit?, 7. Berliner Rede zur<br />

Religionspolitik, Berlin 2008.<br />

Diotallevi, Luca: Laizität: Krise einer Herrschaft<br />

und Wi<strong>der</strong>stand einer Kultur. Bemerkungen zum<br />

Forschungsstand zum Religionsunterricht in öffentlichen,<br />

weiterführenden Schulen, diotavelli@educ.<br />

uniroma3.it<br />

Dressler, Bernhard: Fachdidaktiken im Umbruch,<br />

http://www.uni-marburg.de/zfl/ueber_uns/artikel/<br />

rede_dressler_fachdidaktiken<br />

Dressler, Bernhard: Modi <strong>der</strong> Weltbegegnung als<br />

Gegenstand fachdidaktischer Analysen, www.unimarburg.de/zfl/uebeer_uns/artikel/rede_dressler_<br />

modi<br />

Dressler, Bernhard: Unterscheidungen. Religion<br />

und Bildung, Leipzig 2006.<br />

Evangelische Akademie zu Berlin (EAzB) / Katholische<br />

Akademie in Berlin e.V. / Kirchenamt <strong>der</strong><br />

Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) / Sekretariat<br />

<strong>der</strong> Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.):<br />

Religion an öffentlichen Schulen, Berlin 2008.<br />

Fincke, Andreas: Freidenkerische Lebenskunde<br />

bundesweit? Ein Schulfach konkurriert mit dem<br />

Religionsunterricht, in: Her<strong>der</strong>-Korrespondenz<br />

3/2008, S. 137-142.<br />

Höhn, Hans-Joachim: Postsäkular: Gesellschaft im<br />

Umbruch – Religion im Wandel, Pa<strong>der</strong>born 2007.<br />

Joas, Hans (Hrsg.): Braucht Werteerziehung Religion?,<br />

Göttingen 2007.<br />

Kropac, Ulrich: Religiöse Rationalität als Proprium<br />

religiöser Bildung, in: Religionsunterricht an höheren<br />

Schulen (rhs) 6/2008, S.365-376.<br />

Lehmann, Karl: Zum schiedlich-friedlichen Verhältnis<br />

von Staat und Kirche heute. Vortrag beim<br />

Karlsruher Foyer "Kirche und Recht" am<br />

19.6.2007, http://www.dbk.de/Termine/data/01400<br />

/index.html (MS 3245/2008).<br />

Lehmann, Karl: Religionsunterricht als "Anwalt <strong>der</strong><br />

Vernunft", in: Religionsunterricht an höheren<br />

Schulen (rhs) 50/2007, S.184-194.<br />

Schie<strong>der</strong>, Rolf: Die Zivilisierung <strong>der</strong> Religionen als<br />

Ziel staatlicher Religionspolitik, in: APuZ 6/2007,<br />

S.17-24.<br />

Verhülsdonk, Andreas: Religionsunterricht –<br />

Grundlage von Religionsfreiheit, in: Stimmen <strong>der</strong><br />

Zeit 221/2003, S.329-337.<br />

Willems Joachim: Der Beitrag des Religionsunterrichts<br />

zur allgemeinen Bildung in deutschen Schulen.<br />

Vortrag anlässlich <strong>der</strong> Konferenz "Das Erbe<br />

des Jan Amos Comenius im Kontext <strong>der</strong> Probleme<br />

gegenwärtiger Bildung", Session "Christliche Wurzeln<br />

<strong>der</strong> europäischen pädagogischen Tradition",<br />

St. Petersburg, 17.3.2007, S.2, http://www2.huberlin.de/relpaedagogik/mitarbeiter/PDF/willems/<br />

bildung.pdf<br />

Zypries, Brigitte: 5. Berliner Rede zur Religionspolitik,<br />

12.12.2006, http://www.bmj.bund.de/enid


Religionsunterricht, das ist immer ein Diskussionsthema,<br />

und wir sollten froh darüber<br />

sein, dass es ein Diskussionsthema<br />

ist! Am Religionsunterricht scheiden sich<br />

die Geister, auch das gehört zu einer pluralen<br />

Gesellschaft. Umso wichtiger ist es,<br />

Stellung zu beziehen – gerade für jene, die<br />

den Unterricht in Religion als unverzichtbaren<br />

Bestandteil, für orientierungsgebend<br />

und identitätsbildend halten, für die, die für<br />

die Verständigung in unserer so heterogenen<br />

und pluralen Lebenswelt eintreten,<br />

für die, die Bekennermut zeigen, weil sie<br />

darin ihren Auftrag sehen und ihn erfüllen.<br />

Die <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong> ist dem christlichen<br />

Menschenbild zuoberst verpflichtet.<br />

Für uns gilt, dass wir zwischen dem Staat<br />

und seinen Aufgaben sowie den Kirchen<br />

und <strong>der</strong>en Aufgaben unterscheiden. Aller-<br />

Einführung<br />

Hans Zehetmair<br />

dings die Polarisierung, die wir bei den europäischen<br />

Verfassungsdiskussionen hatten,<br />

bei denen die Franzosen zuvör<strong>der</strong>st<br />

den Gottesbezug verneinten, lehnen wir ab.<br />

Wir werden nicht aufgeben, immer wie<strong>der</strong><br />

mit einem "ceterum censeo" darauf hinzuweisen,<br />

dass die gesamte europäische<br />

Kulturgeschichte ohne den Gottesbezug<br />

eine Verleugnung ist, denn ohne die Kriterien<br />

und die Orientierungen <strong>der</strong> christlichen<br />

Lehre hätten wir nicht unsere Identität.<br />

2009 ist Europawahl. Es muss uns bewusst<br />

sein, dass dieses Europa unser Schicksal<br />

und unsere Zukunftsorientierung ist. Nicht<br />

zu vergessen ist dabei die neue Chance für<br />

das Christentum. Es sind nämlich 40 Millionen<br />

orthodoxe Christen mit den Beitrittslän<strong>der</strong>n<br />

Rumänien und Bulgarien zur Eu-


12 Hans Zehetmair<br />

ropäischen Gemeinschaft hinzugekommen.<br />

Für uns müde Christen, evangelischen und<br />

katholischen Glaubens, ist es vielleicht<br />

auch als ein Stück Ansporn, als ein Risorgimento,<br />

zu sehen, dass wir einen neuen<br />

Auftrag, eine neue Verpflichtung, eine<br />

neue Chance haben.<br />

Rein rechtlich ist festzustellen, dass wir<br />

seit 1933 ein Reichskonkordat haben, das<br />

zwischen dem Vatikan und dem Deutschen<br />

Reich geschlossen wurde. Daraus resultiert,<br />

dass Religion ein ordentliches Unterrichtsfach<br />

an staatlichen Schulen ist.<br />

Die Bundesrepublik Deutschland versteht<br />

sich als Rechtsnachfolgerin des Deutschen<br />

Reiches und ist völkerrechtlich an das<br />

Reichskonkordat gebunden. In das Grundgesetz<br />

wurde in Art. 7 Abs. 3 folgende Regelung<br />

aufgenommen: "Der Religionsunterricht<br />

ist in den öffentlichen Schulen mit<br />

Ausnahme <strong>der</strong> bekenntnisfreien Schulen<br />

ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des<br />

staatlichen Aufsichtsrechts wird <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />

in Übereinstimmung mit<br />

den Grundsätzen <strong>der</strong> Religionsgemeinschaften<br />

erteilt. Kein Lehrer darf gegen<br />

seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht<br />

zu erteilen."<br />

Somit ist <strong>der</strong> Religionsunterricht das einzige<br />

Unterrichtsfach, das in unserer Verfassung<br />

verankert ist und als ordentliches<br />

Unterrichtsfach gilt. Die meisten Verfassungen<br />

<strong>der</strong> alten Län<strong>der</strong> haben nach dem<br />

Krieg einen mehr o<strong>der</strong> weniger weit gefassten<br />

religiös-moralischen Erziehungsauftrag<br />

für das Schulwesen festgeschrieben.<br />

Bayern hatte bereits 1945 in seiner<br />

Verfassung in Art. 137 Abs. 2 festgelegt:<br />

"Für Schüler, die nicht am Religionsunterricht<br />

teilnehmen, ist ein Unterricht über die<br />

allgemein anerkannten Grundsätze <strong>der</strong><br />

Sittlichkeit einzurichten."<br />

Diesem Beispiel folgten in den siebziger<br />

und achtziger Jahren immer mehr Län<strong>der</strong><br />

und richteten einen Ethikunterricht o<strong>der</strong><br />

eine an<strong>der</strong>e verpflichtende Alternative zum<br />

Religionsunterricht ein. 1998 entschied das<br />

Bundesverfassungsgericht letztinstanzlich,<br />

dass es den einzelnen Län<strong>der</strong>n freistehe,<br />

ein eigenes Fach mit <strong>der</strong> genannten Zielsetzung<br />

einzuführen.<br />

Die Frage "Religionsunterricht – wozu?"<br />

ist immer wie<strong>der</strong> Gegenstand öffentlicher<br />

Diskussionen. Deutlich wird dies an <strong>der</strong><br />

Vielzahl von Positionspapieren, Stellungnahmen<br />

und Plädoyers von kirchlichen und<br />

nicht kirchlichen Verbänden, von politischen<br />

Parteien sowie durch Erklärungen<br />

zum Religionsunterricht von kirchlicher<br />

Seite.<br />

Zündstoff gibt bundesweit auch die Situation<br />

in <strong>der</strong> Bundeshauptstadt. Der Berliner<br />

Senat hat 2006, entgegen <strong>der</strong> Kritik vieler,<br />

einen für alle Schülerinnen und Schüler<br />

verpflichtenden Ethikunterricht eingeführt.<br />

Zu dieser Entscheidung kam man durch die<br />

beson<strong>der</strong>e Situation <strong>der</strong> Stadt. Für Berlin<br />

gilt die "Bremer Klausel". Sie besagt, dass<br />

Art. 7 Abs. 3 GG keine Anwendung in<br />

einem Land findet, in dem am 1. Januar<br />

1949 eine an<strong>der</strong>e Regelung galt.<br />

Interessant ist, dass seit dem 22. September<br />

2008 nun dort die Initiative "Pro Reli"<br />

läuft. Mit ihr will man erreichen, dass <strong>der</strong><br />

Schulfachstatus des Religionsunterrichts<br />

gleichrangig mit dem des Ethikunterrichts<br />

wird.<br />

Die religiöse Neutralität des Staates dient<br />

<strong>der</strong> Verwirklichung <strong>der</strong> Glaubens- und<br />

Gewissensfreiheit <strong>der</strong> Bürgerinnen und<br />

Bürger (Art. 4 GG). Dieses Grundrecht<br />

verlangt nicht nur, die religiösen Überzeugungen<br />

des Einzelnen zu achten, son<strong>der</strong>n<br />

auch die rechtlichen Voraussetzungen für<br />

die freie Religionsausübung zu schaffen.<br />

So ist <strong>der</strong> staatlich organisierte und kirchlich<br />

verantwortete Religionsunterricht eine<br />

gemeinsame Angelegenheit des Staates


Einführung 13<br />

und <strong>der</strong> jeweiligen Religionsgemeinschaft.<br />

Der schulische Religionsunterricht stellt<br />

keine Privilegierung <strong>der</strong> Kirchen dar,<br />

durch die die weltanschauliche Neutralität<br />

des Staates verletzt würde.<br />

Der Artikel 131 <strong>der</strong> Bayerischen Verfassung<br />

legt im Grunde das gesamte Schulwesen<br />

auf eine religiöse Perspektive fest.<br />

Als eines <strong>der</strong> obersten Bildungsziele macht<br />

sie die "Ehrfurcht vor Gott" verbindlich.<br />

Und Artikel 135 geht sogar noch darüber<br />

hinaus, indem er die öffentlichen Volksschulen<br />

(an<strong>der</strong>e Schularten nicht) auf eine<br />

ganz bestimmte religiöse Ausrichtung verpflichtet,<br />

nämlich auf die "Grundsätze <strong>der</strong><br />

christlichen Bekenntnisse".<br />

Beide Verfassungsbestimmungen werden<br />

immer wie<strong>der</strong> einer kritischen Diskussion<br />

unterzogen, da man in ihnen die Festlegung<br />

auf Religion überhaupt und gar auf<br />

ein bestimmtes Glaubenssystem sieht. Man<br />

hält dies für gleichbedeutend mit einer<br />

staatlicherseits verordneten Beschneidung<br />

<strong>der</strong> freien Religionswahl beziehungsweise<br />

<strong>der</strong> Freiheit zur Ablehnung <strong>der</strong> Religion<br />

überhaupt. Eine solche Bevormundung des<br />

Bürgers durch den Staat könne, so lautet<br />

das entscheidende Argument, dem Selbstverständnis<br />

einer grundsätzlich säkularisierten,<br />

weltanschaulich pluralen Gesellschaft<br />

nicht entsprechen.<br />

Meine Position dazu ist: Natürlich darf <strong>der</strong><br />

Staat nicht in den Glauben und in das<br />

Gewissen seiner Bürger eingreifen. Die<br />

Verfassungsvorschrift über die "Ehrfurcht<br />

vor Gott" verlangt aber auch nicht, dass<br />

man an Gott im Sinne eines religiösen<br />

Bekenntnisses glauben müsse. Entscheidend<br />

ist, dass die Welt in letzter Instanz<br />

nicht als pure Sinnlosigkeit gedacht wird.<br />

Unsere Gesellschaft verän<strong>der</strong>t sich in<br />

einem rapiden Tempo. Zunehmend kann<br />

man eine Individualisierung sowie eine<br />

Enttraditionalisierung des einzelnen Menschen<br />

wahrnehmen. Dieser gesellschaftli-<br />

che Wandel bedingt in <strong>der</strong> Schule überdurchschnittlich<br />

viele Verän<strong>der</strong>ungen. Die<br />

Frage nach <strong>der</strong> Aufgabe <strong>der</strong> Schule ergibt<br />

sich daraus als logische Konsequenz. Im<br />

Zuge dieser pädagogischen Neuorientierung<br />

von Schule ist auch die Rolle, die <strong>der</strong><br />

Religionsunterricht innerhalb an<strong>der</strong>er<br />

schulischer und pädagogischer Bildungsund<br />

Erziehungskonzeptionen spielt, immer<br />

wie<strong>der</strong> neu zu bedenken und zu bestimmen.<br />

Die Wichtigkeit einer Neubestimmung des<br />

Religionsunterrichts ergibt sich zum einen<br />

aus <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten (lebensbildenden<br />

Welt) Lebenswelt, in <strong>der</strong> unsere Kin<strong>der</strong><br />

und Enkelkin<strong>der</strong> in Zukunft leben werden,<br />

und zum an<strong>der</strong>en daraus, dass sich diese<br />

Lebenswelt unserer Kin<strong>der</strong> stets erheblich<br />

verän<strong>der</strong>t. Wenn ich meine Kindheit mit<br />

<strong>der</strong> heutigen Kindheit meiner Enkel vergleiche,<br />

dann wird das tagtäglich deutlich.<br />

Unsere Kin<strong>der</strong> haben bereits eine an<strong>der</strong>e<br />

Sozialisation erfahren. Bedeutsam für den<br />

Religionsunterricht ist dabei vor allem,<br />

dass die Zahl <strong>der</strong> Schülerinnen und Schüler,<br />

die nicht <strong>der</strong> christlichen Religion angehören<br />

und somit in <strong>der</strong> Regel auch nicht<br />

am Religionsunterricht teilnehmen, sehr<br />

zugenommen hat und weiterhin zunehmen<br />

wird.<br />

Werteerziehung in <strong>der</strong> Schule ist Aufgabe<br />

aller Fächer und <strong>der</strong> gesamten Schulkultur,<br />

nicht nur des Religionsunterrichts. Dabei<br />

kommt dem Fach Religion eine Son<strong>der</strong>stellung<br />

zu, indem es Grundüberzeugungen<br />

und Wertsetzungen zum Thema macht und<br />

kritisch reflektiert. Schulische Allgemeinbildung<br />

kann heute nicht mehr ausschließlich<br />

aus dem historischen Fächerkanon<br />

legitimiert werden. Unterricht soll die Begegnung<br />

und Auseinan<strong>der</strong>setzung mit allen<br />

Gegenständen <strong>der</strong> Kultur ermöglichen. Lebensweltbezüge<br />

dürfen schulische Bildung<br />

nicht auf eine ausschließlich in beruflichen<br />

und wirtschaftlichen Zusammenhängen<br />

verwertbare Bildung reduzieren. Die Frage


14 Hans Zehetmair<br />

nach den Werten in unserem Leben impliziert<br />

die Frage nach dem Sinn unseres<br />

Handelns, letztlich unseres Daseins.<br />

Die Fragen nach dem Woher, Wohin und<br />

Wozu des menschlichen Lebens gehören<br />

zum Bildungsauftrag <strong>der</strong> Schule. Diese<br />

menschlichen Grundfragen finden ihren<br />

Nie<strong>der</strong>schlag in den Fächern Religion und<br />

Philosophie, die den Schülern und Schülerinnen<br />

einen spezifischen Zugang zur<br />

Wirklichkeit erschließen. Dieser Zugang<br />

kann durch an<strong>der</strong>e Formen <strong>der</strong> Welterfahrung,<br />

seien es die Naturwissenschaften, die<br />

Politik, die Kunst, nicht ersetzt werden.<br />

Entscheidend für den Unterricht ist dabei,<br />

die Grenzen und Übergänge zwischen diesen<br />

verschiedenen Weisen, die Welt zu<br />

verstehen, für die Schüler nachvollziehbar<br />

zu machen.<br />

Bildung und Erziehung müssen immer auf<br />

den ganzen Menschen abzielen. Die Schule<br />

darf nicht nur eine Anstalt sein, in <strong>der</strong> ausschließlich<br />

Wissen vermittelt wird. Sie erhebt<br />

den Anspruch, einen entscheidenden<br />

Beitrag zu einem selbstbestimmten, erfüllten<br />

Leben zu leisten und zu einem eigenen<br />

Standpunkt finden zu helfen. Eine Besinnung<br />

auf die Fundamente unserer Werteordnung<br />

ist gefragt.<br />

Albert Einstein hat folgendes Wort geprägt,<br />

welches den Kern unseres Kongresses<br />

trifft: "Eine Antwort auf die Frage nach<br />

dem Sinn des Lebens und aller Lebewesen<br />

gefunden zu wissen, heißt, religiös zu sein.<br />

Wer sein eigenes Leben und das seiner<br />

Mitmenschen als sinnlos empfindet, <strong>der</strong> ist<br />

nicht nur unglücklich, son<strong>der</strong>n auch kaum<br />

lebensfähig."


Drehbuch: HSS – Ref.II/4 / RPZ-Team /<br />

Sankt Michaelsbund *<br />

Drehort: Pater-Rupert-Mayer-Schulen <strong>der</strong><br />

Erzdiözese München und Freising, Pullach<br />

1. Sechs häufige Fragen von<br />

Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

– Wo war ich, bevor ich geboren wurde?<br />

(Dieter, 6, Grundschule)<br />

– Wenn ich etwas erlebe: Ist das alles<br />

wirklich o<strong>der</strong> nur ein Film?<br />

(Jenny, 13, Hauptschule)<br />

– Ich hab' nicht so 'ne richtige Vorstellung<br />

von Gott. Aber er ist irgendwie<br />

überall da, auch wenn man nicht an<br />

ihn denkt. (Lukas, 15, Gymnasium)<br />

– Ich glaub' nicht an Gott. Ich glaube<br />

aber an den Teufel. Wo sonst soll das<br />

Böse herkommen, das in mir ist?<br />

(Alex, 16, Realschule)<br />

– Wenn ich mal Probleme habe, dann<br />

denk' ich mir: Man geht zur Schule,<br />

um irgendwann mal arbeiten zur dürfen.<br />

Dann ist man alt und hat Geld,<br />

und fragt sich wofür? Dann denke ich<br />

mir: Wo steckt da <strong>der</strong> Sinn?<br />

(Tanja, 19, Berufsoberschule)<br />

– Muss alles so geschehen, wie es geschieht,<br />

o<strong>der</strong> ist alles Zufall? Aber was<br />

geschieht, ist so wichtig. Das kann<br />

doch kein Zufall sein.<br />

(Neşe, 17, Gymnasium)<br />

Solche und ähnliche Fragen beschäftigen<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche, Fragen nach Gott<br />

und <strong>der</strong> Welt, nach dem Sinn des Lebens.<br />

Mediale Hinführung zum Thema<br />

Norbert Weidinger<br />

2. Wo suchen Kin<strong>der</strong> und<br />

Jugendliche nach Antworten?<br />

– Religionspädagogen belegen mit ihren<br />

Studien, dass Kin<strong>der</strong> vor allem bei ihren<br />

Eltern und im Familienkreis nach<br />

Antworten suchen. Jugendliche dagegen<br />

fragen eher beiläufig und doch<br />

nachhaltig im Freundeskreis, <strong>der</strong><br />

Peergroup.<br />

– Medienforscher und -pädagogen<br />

kommen zu dem Ergebnis, dass junge<br />

Menschen Antworten vor allem durch<br />

das Fernsehen, das Internet und im<br />

Radio bekommen. Ein weiterer Teil,<br />

allerdings erheblich kleiner, informiert<br />

sich über Zeitungen, Jugend- und<br />

Fachzeitschriften sowie Leserbriefund<br />

Ratgeberseiten.<br />

– Die Medienforscher heben allerdings<br />

auch hervor, dass das Gesprächsforum<br />

Nr. 1 im Jugendalter <strong>der</strong> Freundeskreis<br />

ist, das Handy inbegriffen.<br />

– Bildungsforscher sind davon überzeugt:<br />

Die meisten Fragen beantwortet<br />

die Schule. Gefragt sind zwar zuallererst<br />

die Eltern. Dann aber kommt sofort<br />

die Schule in den Blick. Ihr fällt<br />

die Aufgabe zu, gemeinsam mit den<br />

Schülerinnen und Schülern die Welt<br />

zu erschließen sowie nach Wirklichkeit<br />

und Wahrheit zu suchen.<br />

Junge Menschen sollen schließlich orientierungs-<br />

und auskunftsfähig werden; denn<br />

die offene Gesellschaft kennt verwirrend<br />

viele Sinnangebote und Antworten.


16 Norbert Weidinger<br />

3. Offene Gesellschaft am Beispiel:<br />

Religionszugehörigkeit<br />

Dass sich unsere Gesellschaft deutschlandweit<br />

durch Globalisierungs- und<br />

Migrationsbewegungen offener und vielfältiger<br />

gestaltet, zeigt sich in abgeschwächter<br />

Form in <strong>der</strong> Zusammensetzung<br />

<strong>der</strong> Schülerschaft an den bayerischen<br />

Grundschulen, z.B. an <strong>der</strong> Religionszugehörigkeit<br />

ihrer Schülerinnen und Schüler.<br />

Die Statistiken zeigen, dass seit 2000 bis<br />

heute die Schülerzahlen <strong>der</strong> christlichen<br />

Konfessionen sinken. Die Zahl <strong>der</strong> muslimischen<br />

und <strong>der</strong> konfessionslosen Schüler<br />

steigt. Aber die Abmeldequoten vom Religionsunterricht<br />

sind sehr gering und neben<br />

getauften besuchen beachtlich viele Kin<strong>der</strong><br />

und Jugendliche den Religionsunterricht,<br />

die nicht getauft sind.<br />

Im Schuljahr 2007/08<br />

– besuchten über 440.000 katholische<br />

Schülerinnen und Schüler <strong>der</strong> Grundund<br />

Hauptschulen den Religionsunterricht<br />

und<br />

– mehr als 16.000 mal entschieden sich<br />

nicht-katholische Eltern für die Teilnahme<br />

ihrer Kin<strong>der</strong> am katholischen<br />

Religionsunterricht.<br />

Vergleichbare Verhältnisse finden sich auch<br />

im evangelischen Religionsunterricht und in<br />

an<strong>der</strong>en Schularten. Schülerinnen und<br />

Schüler suchen den Austausch über ihre<br />

existenziellen Fragen. Dazu favorisieren sie<br />

Gesprächspartnerinnen und -partner, die aus<br />

Erfahrung sprechen und ihren Glauben leben.<br />

4. Über den Religionsunterricht<br />

wird öffentlich diskutiert<br />

Statement von Dr. Christof Prechtl,<br />

Abt. Bildung – Vereinigung <strong>der</strong><br />

Bayerischen Wirtschaft e.V.<br />

"Staat, Wirtschaft und Gesellschaft brauchen<br />

ein gemeinsames Fundament an<br />

Werten. Die Vereinigung <strong>der</strong> Bayerischen<br />

Wirtschaft ist fest davon überzeugt, dass<br />

<strong>der</strong> Religionsunterricht in <strong>der</strong> Schule einen<br />

wichtigen Beitrag dazu leisten kann. Der<br />

Religionsunterricht allein reicht dazu aber<br />

nicht aus. Deshalb plädieren wir für ein<br />

besseres, stärkeres, fächerübergreifendes<br />

Prinzip <strong>der</strong> Werteerziehung, damit die jungen<br />

Menschen die Chance bekommen, in<br />

verschiedenen Kontexten ihr eigenes<br />

Wertegerüst zu entwickeln."<br />

Statement von Prof. Dr. Julian Nida-<br />

Rümelin, Kulturstaatsminister a.D.<br />

"Also generell muss die Schule in ihrem<br />

Unterricht weltanschaulich neutral sein,<br />

d.h. sie sollte sich auf das Ethos konzentrieren,<br />

das uns hoffentlich gemeinsam ist,<br />

nämlich das Ethos <strong>der</strong> Humanität, gleiche<br />

Würde, gleicher Respekt, Freiheit, Eigenverantwortung,<br />

aber auch Solidarität und<br />

Kooperation. Darüber hinaus kann dann<br />

<strong>der</strong> Religionsunterricht – wie natürlich<br />

auch zu Hause die Familie – das Spezifische<br />

einer Konfession, was eine Konfession<br />

an Perspektiven und Hilfen einbringt,<br />

deutlich machen. Und er kann dann den<br />

Kin<strong>der</strong>n, die den konfessionsgebundenen<br />

Unterricht besuchen, zusätzlich eine<br />

christliche Orientierung geben."<br />

Statement von StDin i.K. Dr. Sandra<br />

Krump, Abteilungsleiterin im Schulreferat<br />

<strong>der</strong> Erzdiözese München und<br />

Freising<br />

"Die großen Fragen des Lebens sind immer<br />

Fragen nach dem letzten Grund – und<br />

somit für den gläubigen Menschen theologische<br />

Fragen. Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

haben ein Recht darauf, in ihrem religiösen<br />

Empfinden und Fragen ernst genommen<br />

zu werden. Der konfessionelle Religionsunterricht<br />

kann darauf beson<strong>der</strong>s gut<br />

reagieren, dieses Grundbedürfnis und<br />

Grundrecht beson<strong>der</strong>s gut erfüllen. Schon


Mediale Hinführung zum Thema 17<br />

<strong>der</strong> Religionslehrer, die Religionslehrerin<br />

als solche gibt also nicht einfach nur Informationen,<br />

son<strong>der</strong>n ist Mitglied <strong>der</strong> Kirche,<br />

unterrichtet im Namen <strong>der</strong> Kirche<br />

und steht als Person für die Inhalte ein.<br />

Er/sie kann Rollenmodell gelebten Glaubens<br />

sein.<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche sollen nicht einfach<br />

nur Glaubensinhalte, nicht nur Informationen<br />

vermittelt bekommen, son<strong>der</strong>n<br />

sollen rational darüber nachdenken. Nur<br />

wer weiß, was er glaubt, kann darüber auch<br />

Auskunft geben, kann in einen Dialog mit<br />

An<strong>der</strong>sgläubigen treten, wird fähig zu<br />

Anmerkung<br />

*<br />

echter Toleranz. Der konfessionelle Religionsunterricht<br />

ermöglicht Erfahrung,<br />

nämlich die Erfahrung, wie <strong>der</strong> Mensch<br />

sich zu den großen Fragen verhalten, religiös<br />

verhalten und wie er sein Verhalten<br />

vernünftig begründen kann.<br />

Erziehung, die das ausblenden würde, wäre<br />

unvollständig. Bildung ist nur mit religiöser<br />

Bildung vollständig, existenziell vollständig."<br />

Dennoch fragen manche:<br />

Religionsunterricht? In offener Gesellschaft?<br />

Wozu?<br />

HSS: P. Bodensteiner / RPZ: Dr. F. Herget, Dr. M. Pfeufer, StD B. Rößner, Dr. N. Weidinger / Sankt Michaelsbund:<br />

A. Haagn, J. Reiling.


Religiöse Bildung und menschliche Selbstbestimmung<br />

Seit <strong>der</strong> Aufklärung gilt in den Augen<br />

<strong>der</strong>er, die einen libertären Laizismus vertreten,<br />

die religiöse Bildung als autoritäre<br />

Beeinflussung und damit als eines <strong>der</strong><br />

größten Hin<strong>der</strong>nisse menschlicher Selbstbestimmung.<br />

Wenn dem tatsächlich so<br />

wäre, stünden die religiöse Bildung und<br />

die Selbstbestimmung in einem unversöhnlichen<br />

Gegensatz zueinan<strong>der</strong>. Das<br />

eine würde das an<strong>der</strong>e ausschließen. Es<br />

gibt ohne Zweifel Religionen, auf welche<br />

dieser Gegensatz zutrifft. Die großen<br />

christlichen Konfessionen zählen aber<br />

nicht dazu. Sie stehen in einer Tradition,<br />

in <strong>der</strong> Vernunft und Glaube sich nicht<br />

ausschließen, son<strong>der</strong>n ergänzen. Zumindest<br />

ist das ihr Anspruch. Mir geht es nun<br />

aber nicht um die Frage, welche Religionen<br />

die Selbstbestimmung ausschließen,<br />

son<strong>der</strong>n um die Frage, in welchem Ver-<br />

Wilhelm Vossenkuhl<br />

hältnis religiöse Bildung und Selbstbestimmung<br />

zueinan<strong>der</strong> stehen und ob sie<br />

sich wechselseitig för<strong>der</strong>n und wie sie<br />

sich ergänzen können. In meiner Antwort<br />

auf diese Frage wird auch Kant zu Wort<br />

kommen, weil gerade er – nicht ganz zu<br />

Unrecht – als Gegner und Kritiker historischer<br />

Religionen und als Theoretiker des<br />

Verhältnisses zwischen Vernunft und<br />

Glauben bekannt wurde.<br />

Religiöse Bildung beginnt zu Hause, in<br />

den Familien und in <strong>der</strong> Schule, jedenfalls<br />

in Gesellschaften, in denen Schulen überhaupt<br />

Religionsunterricht anbieten. Jürgen<br />

Baumert hat die Aufgabe <strong>der</strong> Schule als<br />

"Beschäftigung mit unterschiedlichen Modi<br />

<strong>der</strong> Weltbegegnung" 1 bezeichnet und<br />

diese vier Modi folgen<strong>der</strong>maßen beschrieben:


20 Wilhelm Vossenkuhl<br />

– die kognitive Rationalität, vor allem<br />

repräsentiert durch Mathematik, Naturwissenschaften<br />

und Technik,<br />

– die Rationalität des Ästhetisch-<br />

Expressiven, repräsentiert in Kunst,<br />

Musik, Literatur und Sport,<br />

– die Logik evaluativ-normativer Fragen,<br />

die Recht, Wirtschaft und Gesellschaft<br />

aufwerfen und<br />

– die "Fragen des Ultimaten", "Fragen<br />

nach dem Woher, Wohin und Wozu<br />

des menschlichen Lebens".<br />

Baumert erläutert, dass es sich um unterschiedliche,<br />

wechselseitig nicht austauschbare<br />

Rationalitätsformen handelt, die jeweils<br />

einen eigenen, für die Bildung<br />

grundlegenden Horizont des Weltverstehens<br />

anbieten. Religiöse Bildung wäre<br />

demnach eine eigene Rationalitätsform,<br />

eben jene, die sich mit letzten Fragen befasst,<br />

Fragen, welche an<strong>der</strong>e Rationalitätsformen<br />

nicht stellen. Ich stimme Baumert<br />

in <strong>der</strong> Hinsicht zu, dass diese Formen <strong>der</strong><br />

Rationalität – genau genommen <strong>der</strong> denkenden<br />

und urteilenden Bezugnahme auf<br />

die Wirklichkeit – nicht einfach austauschbar<br />

sind. Es stellt sich aber im Anschluss<br />

an diese For<strong>der</strong>ung eine Reihe von Fragen,<br />

die Baumert nicht angesprochen hat. Wie<br />

können sich diese Rationalitätsformen tatsächlich<br />

wechselseitig för<strong>der</strong>n und ergänzen?<br />

Wi<strong>der</strong>sprechen sie sich nicht in wesentlichen<br />

Hinsichten? Stellen nicht einige<br />

den Geltungsanspruch <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en infrage?<br />

Sind alle vier o<strong>der</strong> vielleicht einige mehr<br />

überhaupt nötig und für ein menschenwürdiges<br />

Leben? Solche und ähnliche Fragen<br />

liegen nahe. Ich werde aber nur auf einige<br />

wenige näher eingehen.<br />

Wer, wie viele Menschen heute, <strong>der</strong> Ansicht<br />

ist, dass sich Religion und religiöse<br />

Bildung auf <strong>der</strong> einen und Selbstbestimmung<br />

auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ausschließen,<br />

wird die ersten drei Rationalitätsformen<br />

Baumerts begrüßen, die letzte aber infrage<br />

stellen und dem Bereich des Privaten zuordnen.<br />

Die Justizministerin Zypries hat in<br />

einer Rede zur Religionspolitik in diesem<br />

Sinn gemeint, Religion sei im säkularen<br />

Verfassungsstaat "weitgehend zur Privatsache<br />

<strong>der</strong> einzelnen Staatsbürger geworden". 2<br />

Wenn das so ist, wäre es konsequent, in öffentlichen<br />

Schulen auch keinen Religionsunterricht<br />

mehr anzubieten. Religiöse Symbole<br />

müssen ja bereits seit einiger Zeit in<br />

Schulen entfernt werden, wenn jemand daran<br />

Anstoß nimmt. Demgegenüber betont,<br />

wie nicht an<strong>der</strong>s zu erwarten, Kardinal<br />

Lehmann die enge Verbindung zwischen<br />

<strong>der</strong> Religionsfreiheit und <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong><br />

Menschenrechte und das dabei erkennbare<br />

Verhältnis zwischen Religion, Gesellschaft<br />

und Staat. 3 Wenn dies so ist – und davon<br />

bin ich überzeugt –, sollte dieser Zusammenhang<br />

auch Thema in den Schulen sein;<br />

aber dies ist nur sinnvoll, wenn dabei auch<br />

klar wird, was "Religion" bedeutet und<br />

worin religiöse Bildung besteht.<br />

Die Thesen Baumerts haben auf den ersten<br />

Blick eine gewisse Plausibilität. Es ist klar,<br />

dass die Zugänge zur Welt, welche die vier<br />

Rationalitätsformen darstellen, sich nicht<br />

wechselseitig ersetzen können. Der Religionspädagoge<br />

Bernhard Dressler hat diesen<br />

Gedanken ergänzt und gemeint, es gebe<br />

auch keine Hierarchie dieser unterschiedlichen<br />

Weltzugänge. 4 Stattdessen meint er,<br />

sei jeweils ein Perspektivenwechsel möglich<br />

und geboten, <strong>der</strong> es erlaubt, die Welt<br />

aus den unterschiedlichen rationalen Blickwinkeln<br />

jeweils an<strong>der</strong>s zu verstehen. Solange<br />

diese Perspektiven sich wechselseitig in<br />

friedlicher Koexistenz in Ruhe lassen und<br />

gegenseitig ihre Geltungsansprüche respektieren,<br />

mag dieses Modell seinen Nutzen<br />

entfalten. Eine friedliche Koexistenz<br />

herrscht aber in einer szientistischen Welt<br />

gerade nicht, im Gegenteil. Es gibt konkurrierende<br />

Ansprüche <strong>der</strong> Weltdeutung, die<br />

letztlich darauf hinauslaufen, dass religiöse<br />

Fragen und Antworten aus szientistischer<br />

Perspektive für irrelevant für das Verstehen<br />

<strong>der</strong> Wirklichkeit gehalten werden.


Religiöse Bildung und menschliche Selbstbestimmung 21<br />

Aus diesem Grund sollten wir einige <strong>der</strong><br />

Fragen zum wechselseitigen Verhältnis <strong>der</strong><br />

Rationalitätsformen stellen, die ich bereits<br />

genannt habe. Es liegt auf <strong>der</strong> Hand, dass<br />

wechselseitige Einflüsse und auch scharfe<br />

Konkurrenz gar nicht ausgeschlossen werden<br />

können. Nehmen wir als Beispiel die<br />

normativen Fragen in Recht, Wirtschaft<br />

und Gesellschaft. Es wäre erstaunlich,<br />

wenn religiöse und ethische Überzeugungen<br />

auf diese Fragen keinen Einfluss hätten.<br />

Die öffentlichen Debatten über<br />

Stammzellforschung, Spätabtreibungen,<br />

über Stellenabbau, über Korruption und<br />

nicht zuletzt über gerechte Löhne und die<br />

Höhe von Managergehältern zeigen, dass<br />

man die Rationalitätsbereiche, in die Religion<br />

und Ethik auf <strong>der</strong> einen und Recht,<br />

Wirtschaft und Gesellschaft auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

gehören, gar nicht voneinan<strong>der</strong> trennen<br />

kann. Wer für eine wechselseitige Unabhängigkeit<br />

<strong>der</strong> Bereiche bei <strong>der</strong> Urteilsbildung<br />

über die genannten Probleme plädieren<br />

würde, hätte die Probleme nicht<br />

verstanden. Ein solches Plädoyer würde in<br />

eine Zeit passen, in <strong>der</strong> – wie in den 20er-<br />

Jahren des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts – von <strong>der</strong><br />

Wertfreiheit <strong>der</strong> Wissenschaften die Rede<br />

war. Es dürfte heute schwer sein, gute<br />

Gründe für die Wertfreiheit <strong>der</strong> Wissenschaften<br />

zu vertreten.<br />

Ganz beson<strong>der</strong>s brisant ist vor allem in <strong>der</strong><br />

Schule nach wie vor das Verhältnis zwischen<br />

Religion und Naturwissenschaften.<br />

Denn die differenzierte Betrachtung dieses<br />

Verhältnisses ohne wechselseitige Infragestellung<br />

setzt Kenntnisse, Methodenbewusstsein<br />

und Begrifflichkeiten voraus, die<br />

erst – wenn überhaupt – im Hochschulstudium<br />

erworben werden. Es muss einem<br />

z.B. klar geworden sein, dass wissenschaftliche<br />

Erklärungen, Beweise und<br />

Wi<strong>der</strong>legungen nur innerhalb <strong>der</strong> Grenzen<br />

möglich sind, die von Naturgesetzen und<br />

von <strong>der</strong> wissenschaftlichen Axiomatik<br />

beschrieben werden. Erst dann kann man<br />

erkennen, dass Behauptungen, die über<br />

diese Grenzen hinausgehen, dem entspre-<br />

chen, was Kant – und übrigens auch Wittgenstein<br />

– als Aberglauben bezeichnet<br />

haben. Ein solcher Aberglaube bestünde<br />

z.B. in <strong>der</strong> Behauptung, dass es – aus wissenschaftlichen<br />

Gründen – keine Willensfreiheit,<br />

keinen Gott und keine Wun<strong>der</strong><br />

geben könne. Einige Naturwissenschaften<br />

haben von <strong>der</strong> klassischen Philosophie und<br />

auch von <strong>der</strong> Theologie den Anspruch<br />

übernommen, Universalwissenschaften zu<br />

sein, d.h. über die Methoden und Mittel zu<br />

verfügen, die Wirklichkeit als ganze und<br />

restlos erklären zu können. Nicht wenige<br />

Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen<br />

sind sich dieses universalwissenschaftlichen<br />

Erbes nicht bewusst und<br />

deswegen – unbewusst – Metaphysiker,<br />

dazu noch schlechte, weil sie es nicht wissen.<br />

Wer sich imstande sieht, über die<br />

Wirklichkeit im Ganzen etwa mithilfe von<br />

Naturgesetzen vollständige Erklärungen<br />

abgeben zu können, sollte sich darüber klar<br />

sein, dass er Ansprüche einer Universalwissenschaft<br />

und Metaphysik erhebt. Dass<br />

diese Ansprüche nicht mehr erhoben werden<br />

können und von kritischen Wissenschaftlern<br />

auch nicht mehr erhoben werden,<br />

sollte zumindest im Ansatz bereits in<br />

<strong>der</strong> Schule unterrichtet werden. Erst dann<br />

kann es einen für beide Seiten schadlosen<br />

Perspektivenwechsel zwischen Religion<br />

und Naturwissenschaften geben. Erst dann<br />

wären die Geltungsansprüche dieser beiden<br />

Weisen, die Wirklichkeit zu verstehen und<br />

zu deuten, so gegeneinan<strong>der</strong> abgegrenzt,<br />

dass sie sich nicht in die Quere kommen.<br />

Und nur dann erscheint Religion nicht als<br />

obskures Relikt einer mythischen Weltauffassung<br />

und die Naturwissenschaften nicht<br />

als allkompetent in Sachen Wirklichkeitserklärung.<br />

Kant war sich darüber im Klaren, dass es<br />

keine Universalwissenschaft mit absolutem<br />

Erklärungsmonopol geben kann. Deswegen<br />

hat er sich bemüht, in seiner Ersten<br />

Kritik – <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong> reinen Vernunft –<br />

die Frage zu stellen, wie reine Naturwissenschaft<br />

und wie Metaphysik überhaupt


22 Wilhelm Vossenkuhl<br />

möglich sind. Ich habe schon angedeutet,<br />

dass ich ihm kurz das Wort in Sachen<br />

Religion und Vernunft geben will, und<br />

zwar nicht, weil ich glaube, er habe Recht.<br />

Es ist vielmehr interessant, was er zum<br />

Verhältnis zwischen Vernunft und Glauben<br />

sagt, weil man dabei lernen kann, welche<br />

Probleme dieses Verhältnis enthält und wie<br />

sie zumindest in Kants Augen lösbar sind.<br />

In seinem Aufsatz "Was heißt: Sich im<br />

Denken orientieren?" aus dem Jahre 1786<br />

erläutert Kant, was er unter "Vernunftglauben"<br />

versteht. Dieser Glaube sei kein Wissen<br />

und könne niemals eines sein. Vielmehr<br />

biete die Vernunft aus einem inneren<br />

Bedürfnis im undurchschaubaren Bereich<br />

des Übersinnlichen eine praktische, moralische<br />

Orientierung an. Sie tue dies mit <strong>der</strong><br />

Annahme eines höchsten Wesens. Die<br />

Existenz dieses Wesens, Gott, lässt sich –<br />

wie Kant glaubt – nicht beweisen, aber aus<br />

einem in <strong>der</strong> Vernunft selbst enthaltenen<br />

Grund annehmen. Eben dieser in <strong>der</strong> Vernunft<br />

selbst enthaltene Grund des Glaubens<br />

an Gott bringt Kant mit dem Wort<br />

"Vernunftglaube" zum Ausdruck. Er ist,<br />

wie er sagt, ein "Postulat <strong>der</strong> Vernunft"<br />

(AA Bd. 8, 141), ein Fürwahrhalten, das<br />

kein Wissen sei, aber "dem Grade nach<br />

keinem Wissen nachsteht, ob es gleich <strong>der</strong><br />

Art nach davon völlig unterschieden ist."<br />

(a.a.O.) Kant spricht von diesem Glauben<br />

auch als Wegweiser und Kompass für den<br />

Menschen. Für unseren Zusammenhang ist<br />

es entscheidend, dass er dann diesen Glauben<br />

als Orientierung auf dem Weg zur<br />

eigentlichen Bestimmung des Menschen<br />

und gleichzeitig als Basis "je<strong>der</strong> Offenbarung"<br />

bezeichnet. (AA Bd. 8, 142)<br />

Kant hat vier Jahre später, in <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong><br />

Urteilskraft (1790), auf <strong>der</strong> Basis dieses<br />

Vernunftglaubens sogar eine Art Gottesbeweis<br />

entwickelt, den "ethikotheologischen<br />

Beweis", <strong>der</strong> vor allem dazu dient,<br />

<strong>der</strong> Moral eine feste Grundlage jenseits <strong>der</strong><br />

eigenen menschlichen Verfügbarkeit und<br />

Selbstverfügung zu geben. Wenn man dies<br />

alles auf einen Punkt bringen will, sieht es<br />

so aus, als hätte Kant all das anzubieten,<br />

was wir heute benötigen, wenn wir das<br />

Verhältnis zwischen Vernunft und Glauben<br />

verstehen wollen. In seinen Augen ist das<br />

Wissbare, die Wissenschaften, also die<br />

Rationalität <strong>der</strong> Naturwissenschaften, klar<br />

getrennt vom Bereich des Glaubens. Das<br />

eine konkurriert nicht mit dem an<strong>der</strong>en,<br />

vielmehr ergänzen sich beide Bereiche.<br />

So weit so gut. Das Problem ist nur, dass<br />

sein Vernunftglaube einen funktionalen<br />

und instrumentellen Charakter hat. Er dient<br />

<strong>der</strong> Aufgabe, die Geltungsansprüche <strong>der</strong><br />

Ethik durch die Annahme eines höchsten<br />

Moralwesens zu sichern. Kant will keinen<br />

von <strong>der</strong> Vernunft unabhängigen religiösen<br />

Glauben anerkennen. Er kennt keinen den<br />

Ansprüchen <strong>der</strong> Vernunft genügenden religiösen<br />

Glauben, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> menschlichen<br />

Vernunft unabhängige Quellen wie die<br />

Offenbarung, eine Heilige Schrift, die<br />

kirchliche Überlieferung und den Ritus<br />

hätte. Sein Vernunftglaube ist ein Produkt<br />

seines moralphilosophischen Denkens,<br />

nicht mehr und nicht weniger. Dieses Denken<br />

ist zweifellos sehr anspruchsvoll und<br />

von <strong>der</strong> richtigen Einsicht geleitet, dass das<br />

menschliche Denken seine Grenzen kennen<br />

muss, um kritisch und selbstkritisch<br />

sein zu können. Er wolle <strong>der</strong> Vernunft<br />

Grenzen setzen, um dem Glauben Platz zu<br />

schaffen, sagte er einmal.<br />

Ich sehe keinen überzeugenden Grund,<br />

Kants Position zu verteidigen. Wir müssen<br />

das Verhältnis zwischen Vernunft und<br />

religiösem Glauben heute an<strong>der</strong>s fassen<br />

und dürfen den Glauben nicht für die Ethik<br />

funktionalisieren o<strong>der</strong> instrumentalisieren.<br />

Der religiöse Glaube muss in seinen<br />

wesentlichen Ansprüchen unabhängig und<br />

autonom von Auffassungen menschlicher<br />

Vernunft o<strong>der</strong> Rationalität sein, die in den<br />

Wissenschaften gebraucht werden. Dies<br />

bedeutet auch, dass <strong>der</strong> Glaube seine eigenen<br />

Geltungsansprüche nicht vor einem<br />

ihm fremden Tribunal verteidigen muss.<br />

Der wissenschaftlichen Rationalität wird


Religiöse Bildung und menschliche Selbstbestimmung 23<br />

ihrerseits eine entsprechende Autonomie<br />

ohne Weiteres zugestanden. Wer würde<br />

erwarten, dass wissenschaftliche Überzeugungen<br />

nur dann gelten und gerechtfertigt<br />

sind, wenn es dafür religiöse Gründe gibt?<br />

Am Verhältnis des religiösen Glaubens zur<br />

Ethik will ich die eben erwähnte Autonomie<br />

erläutern. Kant hat dem Vernunftglauben<br />

die Rolle zugedacht, die Geltungsgründe<br />

<strong>der</strong> Ethik zu einem Abschluss zu<br />

bringen und kohärent zu machen. Damit<br />

hat er das Verhältnis zwischen Religion<br />

und Ethik auf den Kopf gestellt. Wenn die<br />

Religion ihre eigenen Geltungen und Ansprüche<br />

vertreten können soll, muss sie<br />

eine <strong>der</strong> Voraussetzungen <strong>der</strong> Ethik sein<br />

und ihr – zumindest in einigen wesentlichen<br />

Ansprüchen – zugrunde liegen. Dies<br />

tut sie etwa im Hinblick auf die Ansprüche<br />

<strong>der</strong> Menschenrechte, auf das Tötungsverbot,<br />

auf die Menschenwürde und auf die<br />

Gleichheit <strong>der</strong> Menschen. Die Ansprüche<br />

dieser prinzipiellen Grundlagen menschlichen<br />

Zusammenlebens teilt die Ethik mit<br />

dem Christentum und wohl auch mit einigen<br />

Traditionen des Buddhismus. Diese<br />

Abhängigkeit ethischer Grundprinzipien<br />

von religiösen Grundlagen sollte im Ethikunterricht<br />

thematisiert werden. Es gibt keine<br />

ethischen Argumente für die Geltung<br />

dieser Prinzipien; vielmehr sind sie Teil<br />

unserer sittlichen Grundüberzeugungen<br />

und gelten unabgeleitet, also ohne eigenes<br />

rationales Fundament. Sie gelten genauso<br />

wie im Christentum, denn auch dort gibt es<br />

für ihre Geltung keine unabhängigen<br />

Gründe. Wenn es nötig wäre, für solche<br />

Grundprinzipien zu argumentieren und<br />

Gründe für sie zu finden, wäre ihre Geltung<br />

von vornherein infrage gestellt. Wer<br />

z.B. nicht versteht, warum wir Menschen,<br />

die uns missliebig sind, nicht einfach töten<br />

dürfen, wird sich durch kein noch so kluges<br />

Argument vom Tötungsverbot überzeugen<br />

lassen. Es gibt auch keine hinreichenden<br />

Argumente für dieses Verbot. Es<br />

gibt nur Argumente, die sich auf dieses<br />

Verbot stützen und seine Geltung voraus-<br />

setzen. Deswegen behaupte ich auch, dass<br />

die Ethik dieses und viele an<strong>der</strong>e Prinzipien,<br />

die das Christentum entwickelt hat,<br />

voraussetzt, aber nicht selbst generiert. In<br />

eben diesem Sinn setzt die Ethik christliche<br />

Grundprinzipien voraus. Deswegen<br />

kann es auch nicht sein, dass <strong>der</strong> religiöse<br />

Glaube – wie es Kant mit seinem Vernunftglauben<br />

beabsichtigt – lediglich einem<br />

ethischen Zweck dient.<br />

Der unversöhnliche Gegensatz zwischen<br />

menschlicher Selbstbestimmung und religiösem<br />

Glauben bzw. religiöser Bildung,<br />

wie ich ihn am Anfang erwähnte, existiert<br />

nicht, wenn beides richtig verstanden wird.<br />

Das richtige Verständnis von beidem kann<br />

aber nur erreicht werden, wenn die Unabhängigkeit<br />

religiöser Grundüberzeugungen<br />

von wissenschaftlicher Rationalität eigens<br />

gelehrt, überzeugend vertreten und bereits<br />

in <strong>der</strong> Schule verstanden wird. In <strong>der</strong><br />

Schule werden die Voraussetzungen und<br />

Fähigkeiten menschlicher Selbstbestimmung<br />

vermittelt. Selbst diejenigen, die in<br />

agnostischen Familien aufwachsen, sollten<br />

im Ethikunterricht die Chance haben, zu<br />

verstehen, dass <strong>der</strong> religiöse Glaube von<br />

keiner Wissenschaft infrage gestellt werden<br />

kann. Es sollte aber auch das Umgekehrte<br />

klarwerden. Dann lernen schon die<br />

Kin<strong>der</strong>, dass die Heilige Schrift nicht gegen<br />

Darwin und die Evolutionsbiologie<br />

ausgespielt werden kann.<br />

Ich möchte noch einmal kurz auf die vier<br />

von Jürgen Baumert skizzierten Weisen<br />

des Wirklichkeitsverstehens zurückkommen.<br />

Sie können durchaus in einer Übersicht<br />

über die Aufgaben schulischer Bildung ihren<br />

Zweck erfüllen. Wenn es aber um die<br />

Frage geht, welchen Stellenwert die religiöse<br />

Bildung in <strong>der</strong> Schule hat, wird es<br />

darum gehen müssen, wie die Ansprüche<br />

des religiösen Glaubens gegen die überzogenen<br />

szientistischen Ansprüche <strong>der</strong><br />

Wirklichkeitsdeutung durch die Natur- und<br />

Sozialwissenschaften verteidigt werden<br />

können. Deswegen müssen wir die Ansprüche<br />

<strong>der</strong> unterschiedlichen Weisen, die


24 Wilhelm Vossenkuhl<br />

Welt zu verstehen, entschieden ansprechen<br />

und ihre Grenzen klären. Vor allem sollte<br />

bereits in <strong>der</strong> Schule klarwerden, dass die<br />

menschliche Selbstbestimmung gerade im<br />

Bereich <strong>der</strong> Ethik religiöse Bildung voraussetzt<br />

und nicht etwa ausschließt. Aus<br />

dieser Überzeugung heraus habe ich das<br />

Verhältnis zwischen dem Christentum und<br />

<strong>der</strong> Ethik im Einzelnen angesprochen und<br />

deutlicher herausgestellt. Es ist – zugegeben<br />

– ein schwieriges Verhältnis, das nicht<br />

im Vorbeigehen geklärt und verstanden<br />

werden kann, vor allem nicht in <strong>der</strong> Schule.<br />

Im naturwissenschaftlichen Untericht<br />

Anmerkungen<br />

1<br />

2<br />

3<br />

Baumert, Jürgen: Deutschland im internationalen<br />

Bildungsvergleich, Köln, 3. Werkstattgespräch<br />

<strong>der</strong> Initiative "McKinsey bildet".<br />

Zypries, Brigitte: 5. Berliner Rede zur Religionspolitik,<br />

Berlin, 12.12.2006.<br />

Lehmann, Karl Kardinal: Zum schiedlichfriedlichen<br />

Verhältnis von Staat und Kirche<br />

und in <strong>der</strong> Mathematik herrscht in den<br />

Schulen keine Scheu vor schweren Gehalten.<br />

Da wird den Schülerinnen und Schülern<br />

einiges zugemutet. Warum sollte bei<br />

<strong>der</strong> wirklich wichtigen Frage, welche Bedeutung<br />

<strong>der</strong> religiöse Glaube für das<br />

menschliche Selbstverständnis und das<br />

Verstehen <strong>der</strong> Wirklichkeit hat, den Schülerinnen<br />

und Schülern nicht auch etwas<br />

zugemutet werden? Religiöse Bildung<br />

sollte in <strong>der</strong> Schule nicht leichter gemacht<br />

und nicht leichter angeboten werden, als<br />

<strong>der</strong> religiöse Glaube in unserer Zeit selbst<br />

ist.<br />

4<br />

heute, Vortrag beim Karlsruher Foyer "Kirche<br />

und Recht" am 19.6.2007 im Dekanatszentrum<br />

<strong>der</strong> Erzdiözese Freiburg in Karlsruhe.<br />

Dressler, Bernhard: Performanz und Kompetenz.<br />

Thesen zu einer Didaktik des Perspektivenwechsels,<br />

in: Theo-Web. Zeitschrift für<br />

Religionspädagogik 2/2007, S.27-31, hier<br />

S.28.


Statements <strong>der</strong> Podiumsdiskussion


Wenn ich mir Gedanken über den Religionsunterricht<br />

in <strong>der</strong> offenen Gesellschaft<br />

mache, so muss ich vorausschicken, dass<br />

ich kein Theologe, auch kein Religionspädagoge<br />

bin. Mein Religionsunterricht, den<br />

ich in den fünfziger Jahren des vorigen<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts erhalten habe, würde heute<br />

auch wohl nur noch wenige von den Stühlen<br />

reißen, denn ich habe damals vor allem<br />

den Katechismus gelernt und lernen müssen.<br />

Von daher gesehen scheint es fraglich<br />

zu sein, ob es sinnvoll ist, im Kreis <strong>der</strong><br />

Fachleute, die sich über den Religionsunterricht<br />

austauschen, aufzutreten. Dennoch tue<br />

ich dies gern, denn ich bin Kunsthistoriker<br />

und "Museumsmann" und als dieser möchte<br />

ich nicht nur über, son<strong>der</strong>n vor allem für<br />

den Religionsunterricht sprechen, an dem<br />

ich gerade als Kunsthistoriker und "Museumsmann"<br />

ein genuines Interesse habe.<br />

Zunächst einmal geht es in meinem speziellen<br />

Bereich <strong>der</strong> drei Münchner Pinakotheken<br />

um die Kunst, genauer gesagt,<br />

um die abendländische Kunst, die Kunst<br />

Europas, die Kunst unserer Welt. Diese<br />

wurde seit über 1700 Jahren vom Christentum<br />

geprägt, sie ist damit eine zutiefst<br />

abendländisch-christliche Kunst. Über<br />

weite Strecken dieses großen Bogens bis<br />

hin zum Beginn des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts und<br />

darüber hinaus diente diese Kunst auch <strong>der</strong><br />

Verkündigung, war sie ein Element religiöser<br />

Empfindungsfähigkeit. Und so sind<br />

viele <strong>der</strong> Werke, die uns überliefert wurden,<br />

die wir unter unseren Händen hüten<br />

dürfen, die aufgeschlüsselt werden müssen,<br />

denen unsere Emotionen gelten, an denen<br />

unser Wissen, unsere Liebe hängt, Zeugen,<br />

denen Botschaften des Glaubens eingeschrieben<br />

sind.<br />

Statement<br />

Reinhold Baumstark<br />

für die Kunst und Kunstgeschichte<br />

Nehmen wir die Alte Pinakothek in München<br />

als Beispiel: Etwa sechshun<strong>der</strong>t<br />

Gemälde sind dort ausgestellt, davon enthalten<br />

mehr als zwei Drittel <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong><br />

christliche Inhalte. Man kann damit unsere<br />

Museen auch als "Bildungsspeicher" verstehen<br />

– dabei will ich hier gar nicht von<br />

den Kirchen sprechen, die für die christliche<br />

Kunst stets "Bildungsspeicher" waren<br />

und noch immer sind –, aber Museen<br />

kommt dies in ganz beson<strong>der</strong>em Maße zu,<br />

weil sie das Erbe einer großen Tradition<br />

angetreten haben. Und wer vor diesem<br />

Erbe steht, es annimmt und nicht zur Seite<br />

rückt, son<strong>der</strong>n es als ein wirksames,<br />

fruchtbares Vermächtnis, als einen Teil<br />

unser aller Leben akzeptiert, für den gilt es<br />

auch, dessen Botschaft zu verstehen, den<br />

Sinn zu ermessen, <strong>der</strong> sich hinter diesem<br />

Erbe auftut. Dies allerdings ist ohne das<br />

Wissen um Religion – und ich möchte zunächst<br />

einmal nur vom Wissen sprechen –<br />

keinesfalls zu leisten. Dies gilt natürlich<br />

nicht allein für das christliche Bekenntnis,<br />

son<strong>der</strong>n für alle Religionen. Islamische<br />

Kunst etwa kann nicht verstehen und<br />

wertschätzen, wer nicht über den Schlüssel,<br />

den Zugang zur Welt dieses Glaubens<br />

verfügt. Wir benötigen daher einen Wissensvorsprung,<br />

um uns Kunstwerke zu eigen<br />

zu machen, erst recht, um sie deuten<br />

zu können. Und an diesem Wissen, das<br />

muss man ganz deutlich sagen, mangelt es<br />

den heutigen Museumsbesuchern, ob jung<br />

o<strong>der</strong> alt.<br />

Das Alte Testament wird nur noch von<br />

wenigen als ein Bildungserlebnis mit sich<br />

getragen: Wer weiß schon, was Hagar und<br />

Ismael aus Abrahams Haus in die Wüste<br />

trieb, warum es eines Engels bedurfte, um


28 Reinhold Baumstark<br />

sie dort zu retten. An<strong>der</strong>e, uns sicherlich<br />

vertrautere Darstellungen, wie Judit mit<br />

dem abgetrennten Haupt des Holofernes,<br />

David an <strong>der</strong> Leiche des von ihm gefällten<br />

Goliat, Abraham bei <strong>der</strong> versuchten Opferung<br />

seines Sohnes Isaak, dürfen nicht<br />

allein aus <strong>der</strong> Bildhaftigkeit des vor Augen<br />

geführten schockierenden Geschehens verstanden<br />

werden, son<strong>der</strong>n vor allem von<br />

dem Hoffnungsglauben her, <strong>der</strong> die alttestamentarischen<br />

Berichte beseelt und damit<br />

auch in diesen Bil<strong>der</strong>n steckt. Ohne ein<br />

solches Wissen sind Kunstwerke leere<br />

Kulissen, denen es an Leben, erst recht an<br />

Überzeugungskraft mangelt. Wenn wir<br />

Kunstwerke als den Text einer weit zurückreichenden<br />

Überlieferung verstehen<br />

wollen, dann ist die Erkenntnis unabdingbar,<br />

dass es nicht genügt, die Aneinan<strong>der</strong>reihung<br />

<strong>der</strong> Buchstaben und Worte dieses<br />

Textes – wirkungsvolle Kompositionen,<br />

schöne Farben, gelungene Darstellungen –<br />

zu goutieren, son<strong>der</strong>n wir müssen dafür<br />

sorgen, dass dieser Text spricht, dass die<br />

Bil<strong>der</strong> "ihre" Texte sprechen können. Wir<br />

brauchen Schlüssel, um die Türen <strong>der</strong><br />

Kunstwerke aufzuschließen, und dafür ist<br />

Wissen unumgänglich, und dieses Wissen<br />

muss dem Kind, dem jugendlichen Menschen,<br />

dem Heranwachsenden neben Elternhaus<br />

und Kirche vor allem im Religionsunterricht<br />

vermittelt werden. Hierin<br />

liegt eine Grundfor<strong>der</strong>ung des "Museumsmannes"<br />

an das Festhalten am Religionsunterricht,<br />

das ernsthafte Bemühen um<br />

dessen wirkungsvollen Einsatz.<br />

Doch es bleibt nicht bei dieser Begründung,<br />

denn es genügt nicht – wer wollte es<br />

bestreiten –, sich <strong>der</strong> Kunst allein unter<br />

dem Blickwinkel des "Wissensspeichers"<br />

zu nähern. Es gibt dieses wun<strong>der</strong>bare Wort<br />

von den zwei fundamentalen Kräften, die<br />

im Kunstwerk angelegt sind: das docere<br />

und das movere, das Lehren und das Bewegen,<br />

das Aufrütteln. Und wir alle haben<br />

immer wie<strong>der</strong> neu erfahren, was große<br />

Kunst bewirken kann: Menschen erschüttern,<br />

bis ins Tiefste anrühren, sie aufrüt-<br />

teln. Indem Gefühle angesprochen, Emotionen<br />

wachgerufen werden, vermag <strong>der</strong><br />

Mensch im Dialog mit dem Kunstwerk zu<br />

sich selbst zu finden. Dies gilt natürlich<br />

nicht allein für die bildende Kunst, son<strong>der</strong>n<br />

ebenso für die Literatur, das Geschehen<br />

auf <strong>der</strong> Bühne, erst recht für die Musik mit<br />

ihrer im Beson<strong>der</strong>en emotional aufgeladenen<br />

Sprache.<br />

Von daher gesehen sind "Wissensschlüssel",<br />

die Kunstwerke verstehen und deuten<br />

helfen, auch Werkzeuge <strong>der</strong> Erfahrung, mit<br />

denen wir uns über unsere Emotionen verständigen<br />

können, um Grundelemente des<br />

Menschseins zu ermessen: Leben und<br />

Liebe, Angst und Verzweiflung, Tod und<br />

das Hoffen auf ein Jenseits, den Halt im<br />

Glauben. Von all diesen Dingen sprechen<br />

Kunstwerke in geradezu unglaublich beredter,<br />

ja aufrütteln<strong>der</strong> Weise. Wenn man<br />

sich auf diese Sprache einlässt, mag es<br />

leichter und annehmbarer sein, dem Tod<br />

ins Gesicht zu schauen, sich über Hoffnungen,<br />

über Abgründe, über Ängste zu<br />

verständigen. Wir werden nicht zum eigentlichen<br />

Gehalt von Werken wie dem<br />

Isenheimer Altar von Grünewald, den Bildschöpfungen<br />

eines Rembrandts, den Passionsmusiken<br />

Bachs vordringen, wenn wir<br />

nicht bereit sind, uns auf <strong>der</strong>en Sprache<br />

einzulassen, die auf das Innere des Menschen<br />

zielt. Und bei diesem Vordringen in<br />

die Sphären <strong>der</strong> Emotionen ist das Wissen<br />

um Grundfragen des Lebens, um Fundamente<br />

des Glaubens unabdingbar, denn<br />

ohne ein solches Fundament wären Kunsterfahrungen<br />

Gemütsaufwallungen ohne<br />

jeglichen Sinn. Erst im Prozess des Erkennens<br />

gewinnt das movere, <strong>der</strong> Impuls eines<br />

Kunstwerks, mit dem es den Betrachter<br />

bewegt, Raum, kann es Wirkung auf den<br />

Menschen ausüben.<br />

Dieses sind – zugegebenermaßen – Bildungserlebnisse,<br />

die sich dem Fundament<br />

unserer christlich geprägten Kultur verdanken<br />

und ohne diese Grundvoraussetzung<br />

kaum möglich wären. In Zeiten, die


Statement 29<br />

sich vehement än<strong>der</strong>n, ist an diesem Fundament<br />

festzuhalten, an ihm weiterzubauen,<br />

es als eine Kraft zu erkennen, die unsere<br />

Gesellschaft trägt. Seit <strong>der</strong> Antike, seit<br />

dem Beginn des Christentums hat sich ein<br />

Horizont eröffnet, vor dem wir agieren, <strong>der</strong><br />

in den Werken <strong>der</strong> bildenden Kunst, <strong>der</strong><br />

Musik, <strong>der</strong> Literatur feste Konturen angenommen<br />

hat. Für das Wahrnehmen und<br />

Nutzen dieses Fundaments muss Wissen<br />

gespeichert, vermittelt und immer wie<strong>der</strong><br />

neu als lebendiges Zeugnis weitergetragen<br />

werden. Der Religionsunterricht erfüllt<br />

hierbei eine unentbehrliche Funktion.<br />

Hierbei kann <strong>der</strong> Religionsunterricht allerdings<br />

nur dann Erfolge erzielen, wenn dem<br />

intensiven Studium des "Buches <strong>der</strong> Bücher"<br />

in seinen zwei Hauptschriften, dem<br />

Alten wie dem Neuen Testament, möglichst<br />

breiter Raum zugebilligt wird. Ohne<br />

ein solches Buchwissen bleibt <strong>der</strong> Zugang<br />

zu unserem christlichen Weltbild verstellt.<br />

Es muss daher gelernt werden, dieses Buch<br />

richtig zu lesen, um es zu verstehen, und es<br />

muss auch gelernt und weitergegeben werden,<br />

wie dieses "Buch <strong>der</strong> Bücher" auf<br />

seinen verschiedenen Sinnebenen zu entschlüsseln<br />

ist. Das Verständnis für Bildzeichen<br />

und Symbole, für Prophetien und<br />

Gleichnisse, die Einsicht, dass mehrere<br />

Ebenen gemeinsam lesend miteinan<strong>der</strong> zu<br />

verknüpfen sind, um so das Denken in und<br />

mit Bil<strong>der</strong>n, das Schauen komplexer Sinnbezüge<br />

als Erkenntnisprozesse zu nutzen –<br />

all dies weitet den Horizont, stärkt die<br />

Vertrautheit mit einer jahrhun<strong>der</strong>tealten<br />

Überlieferung. Zugleich nimmt es die<br />

Scheu, den Zeugnissen unserer christlichen<br />

Tradition in den Werken <strong>der</strong> Kunst zu begegnen,<br />

in sie einzudringen, <strong>der</strong>en docere<br />

zu vernehmen, <strong>der</strong>en movere zu spüren<br />

und in sich aufzunehmen.<br />

Ich möchte ein Beispiel dafür anführen,<br />

was ich hier als meine Sicht zu geben versucht<br />

habe. Eines <strong>der</strong> berühmtesten Bil<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Alten Pinakothek zeigt Dürer im Jahre<br />

1500, also genau zur Mitte des Millenni-<br />

ums, im Alter von 28 Jahren. Der Blick des<br />

Malers ist unmittelbar forschend auf den<br />

Betrachter gerichtet, dabei wird das Antlitz<br />

bei absoluter Frontalität gezeigt. Es ist dies<br />

ein ganz und gar unerhörter Vorgang, denn<br />

erstmals in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Kunst werden<br />

Christuszüge auf das Bildnis eines<br />

lebenden Menschen übertragen, malt sich<br />

Dürer im Antlitz Christi selbst. Er nutzte<br />

hierfür die Bildformel <strong>der</strong> vera icon, des<br />

"wahren Antlitzes" Christi, das auf den<br />

Glauben an Existenz und Materialität des<br />

Schweißtuchs <strong>der</strong> Veronika zurückgeht.<br />

Eigentlich müsste dieser Vorgang, mit dem<br />

ein Künstler sich die Züge Christi anmaßt,<br />

um sie auf das eigene Bildnis zu übertragen,<br />

als Sakrileg, als schockierende<br />

Grenzüberschreitung des Schicklichen, ja<br />

des Erlaubten, empfunden werden, verstünde<br />

man nicht, was Dürer im Jahr 1500<br />

tatsächlich zum Ausdruck brachte. Es ist<br />

dies <strong>der</strong> wun<strong>der</strong>bare, große Gedanke, <strong>der</strong><br />

seit dem Alten Testament nachwirkt, dass<br />

<strong>der</strong> Mensch nach dem Bilde Gottes, nach<br />

seinem Antlitz geschaffen ist. Ein Stück<br />

Gottesebenbildlichkeit ist damit allen<br />

menschlichen Zügen eingeschrieben. Dürer<br />

hat diesen Gedanken erstmals in einem<br />

Bild, seinem Bild, aufgezeigt. Darüber<br />

hinaus schwingt in dieser ganz unerhörten<br />

Übernahme des Christusbildes auf das<br />

Antlitz eines Menschen das Wissen darüber<br />

mit, dass sich im Künstlertum ein Reflex<br />

<strong>der</strong> Schöpferkraft Gottes geborgen<br />

findet. Der Künstler, <strong>der</strong> aus dem Nichts<br />

heraus sein Werk schafft, <strong>der</strong> aus dem geringen<br />

Material von Farben, Leinwand,<br />

Holz eine umfassende künstlerische Welt<br />

errichtet, er bietet ein Abbild, einen fernen<br />

Reflex <strong>der</strong> göttlichen Schöpferkraft, <strong>der</strong><br />

das Universum und darin <strong>der</strong> Mensch ihre<br />

Existenz verdanken.<br />

Dieser doppelte Hinweis, <strong>der</strong> Gedanke <strong>der</strong><br />

Gottesebenbildlichkeit und des Reflexes<br />

göttlicher Schöpferkraft, bildet den Kern<br />

dieses erstaunlichen Bildes. Nun spricht<br />

Dürers Werk allerdings eine Botschaft aus,<br />

die mehr als fünfhun<strong>der</strong>t Jahre zurückliegt.


30 Reinhold Baumstark<br />

Wir haben uns heute an an<strong>der</strong>e Botschaften<br />

zu halten, auch geht die zeitgenössische<br />

Kunst an<strong>der</strong>e Wege, vermeidet zumeist den<br />

Grundtenor eines christlichen Weltbildes.<br />

Dennoch werden wir auch für unsere Zeit<br />

die Gültigkeit einer Aussage zu prüfen haben,<br />

die vor fünfhun<strong>der</strong>t Jahren so bedeutsam<br />

war, dass Dürer sein Ebenbild danach<br />

ausrichtete.<br />

Und eine solche Prüfung wäre nicht ohne<br />

Zeitbezug, hat doch gerade erst <strong>der</strong> Bericht<br />

einer großen Tageszeitung aus dem<br />

Grundsatzprogramm <strong>der</strong> CDU des Jahres<br />

2007 ein Wort zitiert, das geradezu Dürers<br />

Selbstbildnis vor Augen ruft (Zitat): "Für<br />

uns ist <strong>der</strong> Mensch von Gott nach seinem<br />

Bilde geschaffen." Dieses alttestamentarische<br />

Wort steht tatsächlich im Programm<br />

einer – zugegeben christlichen – Partei:<br />

"Nach dem Bilde Gottes ist <strong>der</strong> Mensch<br />

geschaffen." Es ist dies eine Botschaft, die<br />

nicht nur in die politische Arbeit, in den<br />

Einsatz für soziale Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit<br />

einbezogen gehört, son<strong>der</strong>n<br />

vor allem in den Kanon <strong>der</strong> Erziehung von<br />

Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen. Hier nun ist <strong>der</strong><br />

Religionsunterricht gefor<strong>der</strong>t, und er wird<br />

dies umso wirkungsvoller und nachdrücklicher<br />

leisten, wenn er sich des geradezu<br />

essenziellen Instrumentes bedient, das<br />

Schichten tieferen Verständnisses vorzubereiten<br />

vermag: das Schauen und Betrachten,<br />

das hin zu Erkenntnis führt.<br />

Werke bilden<strong>der</strong> Kunst bieten hierfür entschiedene<br />

Blickpunkte, schauend zu entschlüsselnde<br />

Botschaften, <strong>der</strong>en Wirkung<br />

wächst, sobald sie den Betrachter in ihren<br />

Bann schlagen und innere, im besten Fall<br />

unvergessliche Bil<strong>der</strong> generieren. Ich<br />

würde mir daher wünschen, dass <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />

an deutschen Schulen –<br />

mehr als bisher – Wege findet hin zu den<br />

Museen, um dort Zeugnissen zu begegnen,<br />

denen das docere und das movere<br />

eingeschrieben ist und die von Grundwerten<br />

künden, an denen unser Leben,<br />

auch die Erziehung zu ihm, Halt zu finden<br />

vermag.


1. Solange Bildungsfragen vorrangig unter<br />

<strong>der</strong> Perspektive diskutiert werden, wie die<br />

Konkurrenzfähigkeit des "Standorts<br />

Deutschland" zu verbessern ist, werden sie<br />

bildungsfremden Zwecksetzungen ausgeliefert.<br />

Religiöse Bildung ist in dieser Perspektive<br />

grundsätzlich überflüssig, es sei<br />

denn um den Preis einer Funktionalisierung<br />

<strong>der</strong> Religion für erzieherischsozialintegrative<br />

Zwecke, also um den<br />

Preis ihrer Ideologisierung o<strong>der</strong> ihrer<br />

Moralisierung: Religion als Opium für das<br />

Volk, als sozialer Kitt. Dass <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />

in dieser Hinsicht nicht ganz<br />

immun ist, zeigt sich daran, wie häufig er<br />

in letzter Zeit <strong>der</strong> Verlockung erliegt, "gebraucht"<br />

zu werden und unter dem Etikett<br />

<strong>der</strong> "Wertefächer" einer solchen Ingebrauchnahme<br />

angedient zu werden. Hier ist<br />

von dem scheinbar paradoxen Satz nicht<br />

abzurücken, den <strong>der</strong> katholische Erziehungswissenschaftler<br />

Helmut Peukert<br />

pointiert formuliert hat: "Bildung kann nur<br />

dann funktional sein, wenn sie nicht nur<br />

funktional ist." Nur Maschinen gehen darin<br />

auf, für etwas gut zu sein. Wenn Otto<br />

Schily als Innenminister sagte, wer Musikschulen<br />

schließe, gefährde die innere<br />

Sicherheit, dann kann man eben daraus<br />

kein kausales Kalkül machen und Geld aus<br />

dem Etat für innere Sicherheit zum Zwecke<br />

<strong>der</strong> Gründung von Musikschulen umwidmen,<br />

ohne <strong>der</strong> Musik und <strong>der</strong> inneren<br />

Sicherheit Schaden anzutun. Was für die<br />

Bildung grundsätzlich gilt, gilt für den<br />

Religionsunterricht in beson<strong>der</strong>em Maße.<br />

2. Bildung – so wird es im gegenwärtigen<br />

bildungspolitischen Diskurs erwartet – soll<br />

auf Kompetenzen, also auf Verbindungen<br />

von Wissen und Können, abzielen. Welche<br />

Kompetenzen sind bei einem religiös ge-<br />

Statement<br />

Bernhard Dressler<br />

für Religion und Philosophie<br />

bildeten Menschen zu erwarten, und zwar<br />

im Wissen, dass Religion niemals in Kompetenzen<br />

aufgeht? Kompetenzen nämlich<br />

sind Handlungsdispositionen, Religion ist<br />

aber immer auch durch eine passivrezeptive<br />

Dimension charakterisiert, die<br />

sich handlungstheoretisch kaum erfassen<br />

lässt. Vor allem aber: Von Christenmenschen<br />

wird bekanntlich erwartet, dass sie<br />

werden sollen wie die Kin<strong>der</strong>, um des<br />

Himmelreiches teilhaftig zu werden. Als<br />

Christen sind wir von Jesus Christus<br />

gleichsam in seine Kindschaftsbeziehung<br />

zu Gott mit hineingenommen. Wir bringen<br />

das im Vaterunser zur Sprache. Das darin<br />

begründete Gottvertrauen als Kompetenz<br />

auszubuchstabieren, halte ich aus theologischen<br />

Gründen nicht für möglich. Es ist<br />

uns eingestiftet und kann nicht als fromme<br />

Leistung veranschlagt werden. Es ist zudem<br />

ganz passiv in Erfahrungen liebevoller<br />

Zuwendung konstituiert. Diese Erfahrungen<br />

werden, auch wenn sie uns durch an<strong>der</strong>e<br />

Menschen zuteil werden, im Horizont<br />

<strong>der</strong> Güte Gottes gedeutet. Aus solchen<br />

Erfahrungen wachsen uns zwar Motive und<br />

Fähigkeiten – wenn man so will: Kompetenzen<br />

– für das Handeln in <strong>der</strong> Welt zu.<br />

Aber die Güte Gottes erschließen wir uns<br />

nicht durch kompetentes Handeln. Ganz im<br />

Sinne Luthers, wonach gute Werke keinen<br />

frommen Menschen machen, aber ein<br />

frommer Mensch gute Werke tut. Deshalb<br />

hat religiöse Kompetenz mit dem Glauben<br />

nur mittelbar zu tun. In <strong>der</strong> Glaubenssprache<br />

formuliert: Durch religiöse Kompetenz<br />

ist kein Heil zu erlangen. Religiöse Kompetenz<br />

kann jedoch, an<strong>der</strong>s als <strong>der</strong> Glaube,<br />

ein Bildungsziel sein. Und Bildung, auch<br />

religiöse Bildung, ist ein weltliches Ding.<br />

Meine Argumentation setzt voraus, dass<br />

man sich wenigstens hypothetisch auf die


32 Bernhard Dressler<br />

Unterscheidung von Glaube und Religion<br />

einlässt. Es ist klar, dass es sich hierbei um<br />

eine analytische Unterscheidung handelt,<br />

die auch dann theoretisch wie praktisch<br />

fruchtbar ist, wenn sie in <strong>der</strong> Lebenswirklichkeit<br />

nicht trennscharf durchzuhalten<br />

ist. Während <strong>der</strong> Glaube als unmittelbar<br />

individuelles Gottvertrauen (fiducia) nicht<br />

durch Bildung zu begründen ist, ist er doch<br />

aber, um ausgedrückt, kommuniziert und<br />

reflektiert werden zu können, auf überindividuelle<br />

Artikulationsformen angewiesen.<br />

Solche Artikulationsmöglichkeiten findet<br />

er in den Sprach- und Zeichengestalten <strong>der</strong><br />

Religion. Während <strong>der</strong> Glaube (als "Glaube<br />

an" statt als "glauben, dass ...") eine<br />

nicht als Ergebnis eines intentionalen<br />

Lernprozesses zu verstehende Gewissheit<br />

ist (certitudo im Unterschied zur securitas),<br />

ist die Religion das lehr- und lernbare Medium,<br />

das kulturelle Zeichen- und Symbolsystem,<br />

in dem sich <strong>der</strong> Glaube historisch<br />

und kulturell unterschiedlich artikulieren<br />

kann. Dieses Medium ist dem Glauben<br />

freilich auch för<strong>der</strong>lich, indem er in ihm<br />

gleichsam wie in einer Art "Nährlösung"<br />

gedeihen kann, ohne deshalb als "erzeugt"<br />

gelten zu können.<br />

3. Bildungsprozesse verstehe ich im Sinne<br />

des "literacy"-Konzeptes <strong>der</strong> PISA-Studien<br />

so, dass in ihnen Welterschließung und<br />

Weltverständnis mit <strong>der</strong> Fähigkeit verbunden<br />

werden, die Welt auf unterschiedliche<br />

Weise lesen zu können. Die "Lesbarkeit"<br />

<strong>der</strong> Welt unterstellt so etwas wie Sinnhaltigkeit;<br />

jedenfalls wird von <strong>der</strong> Weltbeobachtung<br />

mehr erwartet als bloßes Rauschen.<br />

Vor allem aber: Mit den unterschiedlichen<br />

"Lesarten" <strong>der</strong> Welt sind je<br />

spezifische "Modellierungen" von Wirklichkeit<br />

verbunden. Demnach gehört es zur<br />

Bildung, dass sie unterschiedliche Weltzugänge,<br />

unterschiedliche Horizonte des<br />

Weltverstehens eröffnet, die – das ist entscheidend<br />

– nicht wechselseitig substituierbar<br />

sind und auch nicht nach Geltungshierarchien<br />

zu ordnen sind. We<strong>der</strong> kann<br />

Religion an die Stelle von Politik treten<br />

noch Naturwissenschaft an die Stelle von<br />

Kunst – und keine dieser fachlichen Perspektiven<br />

ist bedeutsamer als die an<strong>der</strong>e,<br />

son<strong>der</strong>n immer nur von an<strong>der</strong>er Bedeutung.<br />

Auch im Biologieunterricht sollten Schüler<br />

lernen können, sich z.B. die Liebe zu ihren<br />

Eltern nicht dadurch ausreden lassen zu<br />

müssen, dass sie in bestimmter Perspektive<br />

als funktionales Äquivalent für Überlebensvorteile<br />

im "survival of the fittest" erscheinen<br />

mag. O<strong>der</strong> dass die existenzielle<br />

Erlebnisqualität ihrer pubertären Abgrenzungsgefühle<br />

nicht dadurch herabgemin<strong>der</strong>t<br />

wird, dass sie als psychisches Epiphänomen<br />

hormoneller Umstellungsprozesse<br />

verstanden werden können. Sie sollen lernen<br />

können, dass für die Bewertung <strong>der</strong><br />

literarischen Qualität eines Textes im<br />

Deutschunterricht nicht schon allein dadurch<br />

Kriterien zur Verfügung stehen, dass<br />

gerade im Geschichtsunterricht seine Entstehungszeit<br />

behandelt wird. Und schließlich<br />

auch, dass <strong>der</strong> Hinweis darauf, dass<br />

religiöse Menschen gesün<strong>der</strong> leben, nicht<br />

als sachgerechte Plausibilierung von Religion<br />

verstanden werden kann. Vor allem<br />

aber: Dass im Religionsunterricht nicht das<br />

Fürwahrhalten wissenschaftlich wi<strong>der</strong>legter<br />

Tatsachen erwartet wird.<br />

4. Ein solches Bildungsverständnis, das<br />

durch unterschiedliche Welterschließungsperspektiven<br />

gekennzeichnet ist, bedeutet<br />

nun für den Religionsunterricht, dass in ihm<br />

die spezifische Perspektive eines religiösen<br />

Weltverständnisses erschlossen werden soll<br />

– im Unterschied zu an<strong>der</strong>en Fächern, in<br />

denen <strong>der</strong>en jeweils legitime, aber begrenzte<br />

Weltsicht zum Zuge kommen soll.<br />

Aus naturwissenschaftlicher Perspektive<br />

sieht die Welt an<strong>der</strong>s aus als aus ästhetischer<br />

o<strong>der</strong> religiöser Perspektive. Keine<br />

dieser Perspektiven hat einen prinzipiellen<br />

Geltungsvorrang, keine erschließt die Welt<br />

"besser" als die an<strong>der</strong>e, aber immer "an<strong>der</strong>s".<br />

Um die ästhetische Qualität eines<br />

Gemäldes zu beurteilen, werde ich nicht die


Statement 33<br />

chemische Analyse seines Farbmaterials<br />

benötigen. Es macht einen Unterschied, ob<br />

ich Pubertätsprobleme aus <strong>der</strong> Sicht des<br />

Selbsterlebnisses von Jugendlichen betrachte<br />

o<strong>der</strong> mich dabei auf empirische<br />

Kenntnisse über hormonelle Umstellungsprozesse<br />

beziehe. Nun wissen wir, so hat es<br />

einmal sinngemäß <strong>der</strong> Philosoph Ludwig<br />

Wittgenstein formuliert, dass selbst dann,<br />

wenn alle wissenschaftlich möglichen Fragen<br />

beantwortet sind, unsere Lebensprobleme<br />

noch gar nicht berührt sind. Es sind<br />

dies die Probleme, die we<strong>der</strong> nur empirisch<br />

noch nur kognitiv, auch nicht nur ästhetisch<br />

o<strong>der</strong> nur moralisch zu verhandeln sind, son<strong>der</strong>n<br />

die als "Probleme konstitutiver Rationalität"<br />

jene Fragen aufwerfen, die ganz<br />

grundlegend auf die Deutung <strong>der</strong> Welt und<br />

meines Lebens in dieser Welt hinführen. In<br />

das Feld dieser Fragen gehört die Religion,<br />

was freilich nicht heißt, dass sie dieses Feld<br />

monopolisiert.<br />

5. Das bedeutet indes für religiöse Bildung,<br />

dass sie möglichst nicht nur "über" Religion<br />

handelt, son<strong>der</strong>n die spezifische Weltsicht<br />

<strong>der</strong> Religion erschließen soll – und<br />

das kann, weil es kein religiöses Esperanto<br />

gibt, immer nur heißen: die Weltsicht einer<br />

bestimmten, exemplarischen Religion. An<strong>der</strong>s<br />

wird man gerade nicht begreifen können,<br />

wie sich die Welt in einer religiösen<br />

Perspektive darstellt. Denn "über" Religion<br />

redet man in jener neutralisierenden Distanz,<br />

in <strong>der</strong> Religion ein sozial-kulturelles<br />

Phänomen ist wie die Pubertät ein hormonelles<br />

Problem ist. Was Religion in einer<br />

Binnenperspektive bedeutet, wird man so<br />

niemals auch nur ahnen können. Das gilt ja<br />

übrigens auf jeweils bestimmte Weise auch<br />

für die an<strong>der</strong>en Fächer: Im Musikunterricht<br />

sollten nach Möglichkeit nicht nur die Frequenzen<br />

bestimmter Schwingungen berechnet,<br />

son<strong>der</strong>n sollte musiziert werden.<br />

Im Schwimmunterricht werden nicht nur<br />

physiologische Daten getestet und Bewegungsdiagramme<br />

erstellt, son<strong>der</strong>n wird<br />

auch geschwommen. Im Chemieunterricht<br />

wird experimentiert, statt Formeln aus-<br />

wendig zu lernen. Im Deutschunterricht<br />

sollen Texte nicht linguistisch ausgewertet,<br />

son<strong>der</strong>n hermeneutisch erschlossen und<br />

ästhetisch beurteilt, möglichst auch selbst<br />

produziert werden.<br />

6. Zum Bildungsanspruch gehört es nun,<br />

im Unterricht die probeweise Perspektivenübernahme<br />

einer bestimmten Weltsicht<br />

immer wie<strong>der</strong> auch in die reflexive Distanz<br />

einer Außenperspektive zu rücken. So soll<br />

im Religionsunterricht die Welt gleichsam<br />

experimentell unter <strong>der</strong> Hypothese des<br />

Gottesglaubens betrachtet werden – im<br />

Wissen darüber, dass z.B. in den naturwissenschaftlichen<br />

Fächern aus systematischen<br />

und methodischen Gründen die<br />

gegenteilige Hypothese gilt. Zu diesem<br />

experimentellen Blick <strong>der</strong> Religion gehört<br />

es dann auch, <strong>der</strong>en beson<strong>der</strong>e Sprache –<br />

also metaphorisch-symbolische Sprache<br />

und die dazu gehörenden gestischszenischen<br />

Zeichen, wie sie etwa im Gottesdienst<br />

begegnen – probeweise in<br />

Gebrauch zu nehmen. Aber religiöse Bildung<br />

an <strong>der</strong> Schule, die sich ja von <strong>der</strong> –<br />

an an<strong>der</strong>en Orten durchaus legitimen –<br />

Einübung in eine Religion zu unterscheiden<br />

hat, verlangt, dass die so erschlossene<br />

Binnenperspektive einer Religion immer<br />

wie<strong>der</strong> in eine außenperspektivische Distanz<br />

gerückt wird. An<strong>der</strong>s gesagt: Religiöse<br />

Bildung lebt vom Perspektivenwechsel<br />

zwischen religiösem Reden und Reden<br />

über Religion, zwischen Teilnahme und<br />

Beobachtung. Unterricht ist immer Weltbeobachtung<br />

aus einer bestimmten Teilnahmeperspektive<br />

und zugleich Beobachtung<br />

dieser Beobachtung, d.h. Unterricht,<br />

auch <strong>der</strong> Religionsunterricht verbindet<br />

Beobachtungen erster und zweiter Ordnung.<br />

7. Warum gehört eine so verstandene religiöse<br />

Bildung zu den Aufgaben <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Schule im weltanschaulich neutralen<br />

Staat? Kann es – ich komme auf meinen<br />

ersten Punkt zurück – um "Werteerziehung"<br />

gehen? Ich sage pointiert: Reli-


34 Bernhard Dressler<br />

gionsunterricht gehört an die Schule, nicht,<br />

weil Religion zu etwas gut ist, son<strong>der</strong>n<br />

weil es sie gibt; weil sie einen unverzichtbaren<br />

und nicht substituierbaren<br />

Modus <strong>der</strong> Welterschließung in den schulischen<br />

Fächerkanon einspielt. Art. 7.3 GG<br />

verdankt sich nicht religionsdidaktischen<br />

Gründen, son<strong>der</strong>n dem in Deutschland vor<br />

seinem konfessionsgeschichtlichen Hintergrund<br />

religionspolitisch begründeten Verständnis<br />

positiver Religionsfreiheit, die<br />

mehr bedeutet als einen privaten Schutzraum,<br />

mehr als ein Diskriminierungsverbot<br />

und mehr als das Recht auf Gedankenfreiheit.<br />

Positive Religionsfreiheit, wie sie in<br />

Art. 4 GG garantiert wird, sichert vielmehr<br />

das Recht auf eine Praxis, auf freie und öffentliche<br />

Religionsausübung. Für den einer<br />

bestimmten Religion verpflichteten Religionsunterricht<br />

an den öffentlichen Schulen<br />

eines weltanschaulich neutralen Staates<br />

kann es keinen an<strong>der</strong>en Grund geben als<br />

die Befähigung zur aktiven Inanspruchnahme<br />

eines Grundrechts in diesem Staat,<br />

nämlich des Rechts auf freie Religionsausübung.<br />

Freie Religionsausübung ist nur als<br />

eine bestimmte, nicht als eine abstraktallgemeine<br />

Religionspraxis möglich. Es<br />

gibt, wie gesagt, kein religiöses Esperanto.<br />

Deshalb teilt sich <strong>der</strong> Staat die Normierung<br />

dieses Unterrichts und die Aufsicht darüber<br />

mit den Religionsgemeinschaften. Ent-<br />

scheidend ist also, dass <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />

auf die Fähigkeit zur Partizipation an<br />

einer Praxis abzielt. Um gleich jedes Missverständnis<br />

abzuwehren: Zur Partizipationskompetenz<br />

gehört unter pluralistischen<br />

Bedingungen immer auch die Fähigkeit zur<br />

begründeten Nichtteilnahme. Partizipationskompetenz<br />

im hier gemeinten Sinne<br />

kann deshalb nie Resultat einer kirchlichen<br />

Rekrutierungsabsicht sein. Das auf katholischer<br />

Seite gebräuchliche Ziel <strong>der</strong> "Beheimatung"<br />

halte ich für problematisch.<br />

Im Kontext von Bildung ist Partizipationskompetenz<br />

als Handlungskompetenz nur<br />

darstellbar und messbar im Schutzraum<br />

schulischen Probedenkens und Probehandelns<br />

– wie kompetent sich jemand im<br />

außerschulischen Raum <strong>der</strong> Religion bewegen<br />

wird, entzieht sich dem im Unterricht<br />

möglichen und erlaubten Urteil. Allerdings:<br />

Unter <strong>der</strong> Voraussetzung, dass<br />

Religion in <strong>der</strong> Bildungsperspektive immer<br />

eine selbstgewählte Lebensform ist, hat <strong>der</strong><br />

Religionsunterricht die Voraussetzungen<br />

dafür zu schaffen, dass auch unter mo<strong>der</strong>nen<br />

Bedingungen die bewusste Wahl einer<br />

religiösen Lebensform möglich ist und<br />

nicht aus sachfremden Gründen verschlossen<br />

bleibt, seien es antiklerikale Ressentiments<br />

o<strong>der</strong> szientistisch-naturalistische<br />

Wissenschaftsbil<strong>der</strong>.


1. Quantentheorie – Bindeglied<br />

zwischen Religion und Naturwissenschaft<br />

Der Religionsunterricht in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Gesellschaft steht vor dem Problem, wie die<br />

Erfahrungen <strong>der</strong> Schülerinnen und Schüler<br />

mit einer Umwelt, die durch die Naturwissenschaften<br />

erklärt und technisch verän<strong>der</strong>t<br />

wird, auch mit religiösen Vorstellungen in<br />

Verbindung gebracht werden können.<br />

Zwar ist es heute nicht mehr so wie in meiner<br />

Jugend, als <strong>der</strong> Staat unter Berufung auf<br />

eine angeblich "wissenschaftliche Weltanschauung"<br />

religiöse Vorstellungen als<br />

Aberglauben einstufen wollte. Aber bis<br />

heute werden Vorstellungen, die aus <strong>der</strong><br />

Naturwissenschaft des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

stammen, sehr aktiv und wirkmächtig gegen<br />

religiöse Überzeugungen eingesetzt.<br />

Der notwendigen philosophisch-theologischen<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung kann man sich<br />

nicht dadurch entziehen, dass man versucht,<br />

Naturwissenschaft und Glauben als<br />

Bereiche zu erklären, die nichts miteinan<strong>der</strong><br />

zu tun haben. Vielmehr ist <strong>der</strong> Jugend<br />

zu verdeutlichen, wie in ihrer Lebenswirklichkeit<br />

diese verschiedenen Bereiche miteinan<strong>der</strong><br />

in Verbindung gebracht werden<br />

können. Dazu bedarf es meiner Meinung<br />

nach nicht nur Anstrengungen vonseiten<br />

<strong>der</strong> Naturwissenschaft, son<strong>der</strong>n auch vonseiten<br />

<strong>der</strong> Theologie.<br />

Was die Naturwissenschaft betrifft, möchte<br />

ich darlegen, in welche Richtung diese gehen<br />

könnte.<br />

Die entscheidende Umwälzung, die es ermöglicht,<br />

eine naturwissenschaftliche Welterfassung<br />

mit religiösem Glauben und<br />

Statement<br />

Thomas Görnitz<br />

für die Naturwissenschaften<br />

Erleben zusammenzudenken, wird durch<br />

die Quantentheorie bewirkt.<br />

Wir beklagen heute zu Recht ein Überhandnehmen<br />

eines materialistischen<br />

Weltverständnisses, welches den Heranwachsenden<br />

nur den Konsum als Lebenssinn<br />

vermitteln kann. Oft wird dabei ignoriert,<br />

welche unbewusst wirkende und daher<br />

entscheidende Rolle eine Weltsicht<br />

spielt, die ihre Selbstbestätigung aus einem<br />

seit langem überholten naturwissenschaftlichen<br />

Konzept bezieht.<br />

Die Quantentheorie versetzt uns in die<br />

Lage, das "Lego-Weltbild" von "kleinsten<br />

Teilchen" durch eine bessere Beschreibung<br />

<strong>der</strong> Natur zu ersetzen. Sie zeigt auf, dass in<br />

<strong>der</strong> Tiefe <strong>der</strong> Wirklichkeit eine Struktur erkennbar<br />

wird, die sehr viel enger mit dem<br />

verwandt ist, was in <strong>der</strong> Sprache <strong>der</strong> Philosophie<br />

als das Geistige bezeichnet wird.<br />

2. Worin besteht das Neue, das sich<br />

aus <strong>der</strong> Quantentheorie ergibt?<br />

Die von Max Planck, Albert Einstein und<br />

Nils Bohr angebahnte und von Werner<br />

Heisenberg begonnene Entwicklung <strong>der</strong><br />

Quantentheorie ist – laut Heisenberg – die<br />

"philosophisch bedeutsamste Entdeckung<br />

des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts". Sie ist unter an<strong>der</strong>em<br />

auch geeignet, aus einer naturwissenschaftlichen<br />

Sicht naturalistische Fehler zu<br />

korrigieren, die bis heute als sogenannte<br />

"wissenschaftliche" Argumente gegen religiöse<br />

Überzeugungen angeführt werden.<br />

Über die Quantentheorie existieren allerdings<br />

bis heute und sogar bis in die Wissenschaften<br />

hinein einige grundlegende<br />

Missverständnisse. Diese machen es prak-


36 Thomas Görnitz<br />

tisch unmöglich, den Wesensgehalt dieser<br />

Theorie zu begreifen.<br />

Der Grund dafür liegt teilweise auch bei<br />

den Physikern, denen es zumeist genügt,<br />

mit dieser Theorie extrem erfolgreich zu<br />

arbeiten und die daher oft wenig Interesse<br />

daran haben, die philosophische Bedeutung<br />

ihrer Theorien zu ergründen.<br />

Das erste Missverständnis besteht darin,<br />

dass man Quantentheorie mit "Unschärfe"<br />

in Verbindung bringt. Das macht die<br />

Erkenntnis fast unmöglich, dass die Quantentheorie<br />

die genaueste und die beste<br />

Theorie ist, die wir in den Naturwissenschaften<br />

besitzen. Diese Genauigkeit war<br />

zum ersten Male im Bereich des Kleinen,<br />

bei <strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong> Atome, zwingend<br />

geboten. Daraus ergab sich ein zweites<br />

Missverständnis über Quantentheorie.<br />

Sie wird nämlich bis heute weithin als<br />

"Mikrophysik" missverstanden. Heute<br />

kann man aber bereits experimentell<br />

Quantensysteme mit Ausdehnungen von<br />

über 100 Kilometern präparieren, da ist<br />

"Mikro" offensichtlich ein falscher<br />

Begriff.<br />

In diesem Zusammenhang sei vermerkt,<br />

dass sich etwa ein Drittel unseres Bruttosozialproduktes<br />

bereits heute aus Anwendungen<br />

<strong>der</strong> Quantentheorie ergibt, beispielsweise<br />

Solarzellen, Chips für Computer<br />

und Handys, Laser usw. Wir haben<br />

es also keineswegs mit einem nur die Spezialisten<br />

interessierenden o<strong>der</strong> gar "esoterischen"<br />

Bereich <strong>der</strong> Naturwissenschaften zu<br />

tun, son<strong>der</strong>n mit einer Theorie, von <strong>der</strong><br />

bisher keine Grenze ihrer Gültigkeit erkennbar<br />

ist.<br />

3. Die "Schichtenstruktur" <strong>der</strong><br />

beiden Bereiche <strong>der</strong> Physik<br />

Die klassische Physik kann charakterisiert<br />

werden als eine Physik <strong>der</strong> Objekte und <strong>der</strong><br />

Kräfte zwischen ihnen.<br />

Quantentheorie hingegen ist in erster Linie<br />

eine "Physik <strong>der</strong> Beziehungen". Sie ist eine<br />

mathematisch streng ausgeformte Theorie,<br />

die erstmals in <strong>der</strong> Naturwissenschaft die<br />

Tatsache berücksichtigt, dass ein Ganzes<br />

oftmals mehr ist als lediglich die Summe<br />

seiner Teile.<br />

Bei Vorträgen in Schulen merke ich, wie<br />

interessiert die jungen Menschen an dem<br />

Gedankengang sind, dass selbst die unbelebte<br />

Natur nicht verstanden werden kann,<br />

wenn sie lediglich als "beziehungsloses<br />

Nebeneinan<strong>der</strong>" angesehen wird – dass<br />

somit <strong>der</strong> Mensch in einem kosmischen<br />

Beziehungsgeflecht steht, welches unüberhörbar<br />

nach Sinn ruft, <strong>der</strong> aber schwerlich<br />

aus diesem Kosmos selbst kommen kann.<br />

Eine zweite Charakterisierung <strong>der</strong> Quantentheorie<br />

ist, sie als "Physik <strong>der</strong> Möglichkeiten"<br />

zu begreifen.<br />

Für uns Menschen ist es eine unmittelbare<br />

Erfahrung, dass unser Verhalten nicht nur<br />

durch die Tatsachen, son<strong>der</strong>n auch durch<br />

die vorhandenen bzw. durch nicht vorhandene<br />

o<strong>der</strong> eingeschränkte Möglichkeiten<br />

beeinflusst wird. Die Quantentheorie zeigt<br />

auf, dass dies bereits in <strong>der</strong> unbelebten<br />

Natur <strong>der</strong> Fall ist, dass also Möglichkeiten<br />

Wirkung entfalten können.<br />

Eine wirklich gute Beschreibung von Natur<br />

und Mensch benötigt also eine Schichtenstruktur<br />

aus klassischer und quantischer<br />

Physik, mit <strong>der</strong> sowohl das Wirken <strong>der</strong><br />

Fakten als auch das <strong>der</strong> Möglichkeiten<br />

berücksichtigt wird.<br />

4. Was sind die wesentlichen<br />

Aspekte, die aus <strong>der</strong> Quantenstruktur<br />

<strong>der</strong> Natur für den<br />

Religionsunterricht folgen?<br />

Beson<strong>der</strong>s wichtig ist aus meiner Sicht,<br />

dass durch die Quantentheorie Denkein-


Statement 37<br />

schränkungen relativiert werden, die aus<br />

<strong>der</strong> klassischen Physik in den Alltag und<br />

teilweise auch in die herkömmliche Philosophie<br />

übernommen worden sind.<br />

Die Quantentheorie zeigt, dass bei einer<br />

hinreichend genauen Untersuchung <strong>der</strong><br />

Natur Unterschiede zwischen Ausgedehntheit<br />

und Lokalisierung aufgehoben werden.<br />

In <strong>der</strong> Schule wird dies unter dem Schlagwort<br />

des "Welle-Teilchen-Dualismus" abgehandelt<br />

– nach meiner Erfahrung zumeist<br />

als eine "Absurdität <strong>der</strong> Mikrowelt"<br />

und ohne jeden Bezug zum Menschen. Dabei<br />

zeigt doch manche religiöse Erfahrung,<br />

dass die Vorstellungen des Alltags über<br />

räumliche o<strong>der</strong> zeitliche Zusammenhänge<br />

nur eine Oberflächenschicht sind, unter <strong>der</strong><br />

manchmal eine tiefere Wahrheit deutlich<br />

wird. Ich habe daher zur Erläuterung dieses<br />

Sachverhaltes in meinem Buch über<br />

Quantentheorie die Geschichte vom Propheten<br />

Jona aufgenommen.<br />

Die Bedeutung <strong>der</strong> Quantentheorie reicht<br />

aber weit über Nichtlokalitäten hinaus,<br />

denn von ihr werden auch die Unterschiede<br />

zwischen Kraft und Stoff und zwischen<br />

Materie und Bewegung relativiert. Auch<br />

die von den Mystikern aufgezeigte Nichtunterschiedenheit<br />

von Fülle und Leere hat<br />

ihre Entsprechung in <strong>der</strong> Quantentheorie.<br />

Selbst <strong>der</strong> fundamental erscheinende Unterschied<br />

zwischen Objekt und Eigenschaft<br />

relativiert sich im Lichte <strong>der</strong> Quantentheorie<br />

– und schließlich sogar <strong>der</strong> zwischen<br />

Materie bzw. Energie einerseits und an<strong>der</strong>erseits<br />

einer abstrakten, kosmologisch<br />

fundierten und bedeutungsfreien Quanteninformation.<br />

Quanteninformation – so fremd dieses<br />

Konzept auf den ersten Blick erscheinen<br />

mag – ist uns Menschen zumindest in <strong>der</strong><br />

Form bekannt, die wir als unsere bewussten<br />

Gedanken kennen.<br />

Wenn also aus <strong>der</strong> Quantentheorie eine<br />

Äquivalenz zwischen Materie, Energie und<br />

Quanteninformation hergeleitet werden<br />

kann, so bedeutet das unter an<strong>der</strong>em, dass<br />

die Gedanken in unserem Bewusstsein<br />

nicht weniger real sind als die Elementarteilchen,<br />

die man aus den Zellen unseres<br />

Gehirns isolieren könnte.<br />

Daraus folgt aus naturwissenschaftlicher<br />

Sicht, dass es unberechtigt ist, das Geistige<br />

in <strong>der</strong> Weise darzustellen, wie es teilweise<br />

in populären und damit breitenwirksamen<br />

<strong>Publikation</strong>en von Ergebnissen <strong>der</strong> Hirnforschung<br />

zu finden ist. Wie wichtig diese<br />

Korrektur für ein realistisches Menschenbild<br />

ist, welches mit unserer Selbsterfahrung<br />

übereinstimmt und das uns Menschen<br />

nicht wie determinierte und damit verantwortungslose<br />

Zombies erscheinen lässt,<br />

muss nicht extra betont werden.<br />

5. Die neue Aufgabe <strong>der</strong> Physik<br />

Eine Aufgabe, die Carl Friedrich von<br />

Weizsäcker <strong>der</strong> Physik gestellt hat, ist es,<br />

die bekannten Formen <strong>der</strong> Materie aus einer<br />

abstrakten Quanteninformation herzuleiten.<br />

Werner Heisenberg hat dazu geschrieben,<br />

dass die Durchführung dieses<br />

Programmes "ein Denken von so hoher<br />

Abstraktheit erfor<strong>der</strong>t, wie sie bisher, wenigstens<br />

in <strong>der</strong> Physik, nie vorgekommen<br />

ist." Ihm, Heisenberg, "wäre das sicher zu<br />

schwer", aber Weizsäcker solle es mit seinen<br />

Mitarbeitern unbedingt versuchen. 1<br />

Auf diesem Wege sind bedeutsame Fortschritte<br />

erzielt worden, die im Einzelnen<br />

auszuführen allerdings den Rahmen des<br />

kurzen Beitrages hier überschreiten würden.<br />

Ich will nur so viel erwähnen, dass<br />

mit diesem Konzept einer abstrakten<br />

Quanteninformation – für die wegen ihrer<br />

Bedeutungsfreiheit <strong>der</strong> neue Begriff <strong>der</strong><br />

Protyposis eingeführt worden ist – die<br />

kosmische Evolution als ein Prozess verstanden<br />

werden kann, <strong>der</strong> primär als die<br />

Entwicklung eines geistigen Prinzips zu<br />

verstehen ist. In ihm ist die Bildung mate-


38 Thomas Görnitz<br />

rieller Formen ein wichtiger, aber keineswegs<br />

<strong>der</strong> grundlegende o<strong>der</strong> gar <strong>der</strong> einzige<br />

Aspekt.<br />

Damit ergibt sich ein naturwissenschaftlicher<br />

Zugang zu einer These des Heiligen<br />

Vaters, die er noch als Prof. Ratzinger<br />

aufgestellt hatte: nämlich, dass "<strong>der</strong> Geist<br />

(= Denkfähigkeit) nicht ein Zufallsprodukt<br />

materieller Entwicklungen ist, son<strong>der</strong>n<br />

dass vielmehr die Materie ein Moment an<br />

<strong>der</strong> Geschichte des Geistes bedeutet." 2<br />

6. Naturgesetze, Kosmologie,<br />

Gleichheit<br />

Im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Evolution des<br />

Kosmos ist ein Blick auf die Bedeutung<br />

<strong>der</strong> Naturgesetze zu werfen. Gesetze sind<br />

lediglich sinnvoll für "viel des Gleichen".<br />

Die Vorstellung eines gesetzmäßigen Verhaltens<br />

ist sinnlos für einen Einzelfall. Ein<br />

Einzelfall kann definitionsgemäß nicht<br />

wie<strong>der</strong>holt werden, deshalb sind für ihn<br />

Regeln o<strong>der</strong> gar Gesetze unsinnig.<br />

Das bedeutsamste "Unikat" ist das Universum<br />

als "die eine Gesamtheit" all dessen,<br />

was <strong>der</strong> physikalischen Empirie zugänglich<br />

sein kann. Daher kann dieser eine Kosmos<br />

nicht als "Lösung von allgemeinen Gesetzen"<br />

verstanden werden. Allerdings wird<br />

seine Entwicklung nicht zu den Naturgesetzen<br />

im Wi<strong>der</strong>spruch stehen, die für die<br />

vielen gleichen Objekte in ihm gefunden<br />

werden können.<br />

"Gleiches" wird in <strong>der</strong> Natur dadurch gefunden,<br />

dass Unterschiede ignoriert werden.<br />

Je mehr ignoriert wird, desto exaktere,<br />

d.h. mathematisch schärfere Gesetze werden<br />

möglich. Die klassische Physik liefert<br />

die exaktesten Gesetze, die für die zeitliche<br />

Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Fakten einen strengen<br />

Determinismus zur Folge haben. Was aber<br />

oft vergessen wird, ist: Je mehr ignoriert<br />

wird, desto ungenauer wird auch die Modellierung.<br />

Diese Ungenauigkeit korrigie-<br />

ren zu müssen war <strong>der</strong> Grund, weshalb die<br />

Physiker <strong>der</strong> Quantentheorie nicht ausweichen<br />

konnten.<br />

7. Ein neuer Reduktionismus<br />

Eine weitere, auch für den Religionsunterricht<br />

wichtige Frage betrifft den Reduktionismus.<br />

Die durch die Quantentheorie ermöglichte<br />

Ablösung des Lego-Weltbildes<br />

hat zur Folge, dass auch <strong>der</strong> Reduktionismus<br />

in einem neuen Licht gesehen werden<br />

kann.<br />

Naturwissenschaft hat das Ziel, Erscheinungen<br />

zu erklären, um Handlungsoptionen<br />

gewinnen zu können. Erklären meint, dass<br />

Unbekanntes auf Bekanntes, dass Unverstandenes<br />

auf bereits Verstandenes und dass<br />

Komplexes auf Einfaches zurückgeführt<br />

werden soll. Dieses Zurückführen geschieht<br />

mithilfe von neuen und gut verständlichen<br />

Strukturen, d.h. in <strong>der</strong> Regel mit einsichtigen<br />

mathematischen Formen. Wegen dieses<br />

Zurückführens ist in dem Sinne Naturwissenschaft<br />

notwendig reduktionistisch.<br />

In geisteswissenschaftlichen Diskussionszusammenhängen<br />

erlebe ich oftmals eine<br />

Ablehnung reduktionistischer Konzepte.<br />

Diese Ablehnung ist aus meiner Sicht unberechtigt,<br />

wenn sie sich gegen die naturwissenschaftliche<br />

Methode richtet.<br />

Die Ablehnung ist aber in einer an<strong>der</strong>en<br />

Hinsicht berechtigt, auch wenn die Gründe<br />

dafür in <strong>der</strong> Regel gerade nicht deutlich<br />

formuliert werden.<br />

Es ist nämlich festzuhalten, dass eine<br />

Reduktion <strong>der</strong> Wirklichkeit auf die bisher<br />

überkommenen Vorstellungen von "Materie"<br />

verfehlt ist, denn im Rahmen naturwissenschaftlicher<br />

Forschung wird fast nie<br />

deutlich gemacht, dass in <strong>der</strong> bisherigen<br />

Wissenschaft <strong>der</strong> am wenigsten verstandene<br />

Begriff <strong>der</strong>jenige <strong>der</strong> Materie gewesen<br />

war. Im "Lego-Weltbild" soll Materie


Statement 39<br />

letztlich dadurch erklärt werden, dass<br />

"Materie aus kleinen Stücken von Materie<br />

besteht". Das ist alles an<strong>der</strong>e als eine<br />

Erklärung, das ist natürlich kein "Zurückführen<br />

auf Bekanntes".<br />

Wenn man es so deutlich formuliert, so<br />

wird erkennbar, dass eine "Reduktion auf<br />

kleinste Teilchen" ein Verfehlen des eigentlichen<br />

Zieles von Naturwissenschaft darstellt,<br />

nämlich Unbekanntes auf bereits<br />

Bekanntes zu reduzieren. Mit <strong>der</strong> Protyposis<br />

aber, mit abstrakter Quanteninformation,<br />

wird aus meiner Sicht eine Reduktion<br />

möglich, die auch für Theologen o<strong>der</strong><br />

Philosophen akzeptierbar ist.<br />

Weiterführende Literatur<br />

Görnitz, Thomas/Görnitz, Brigitte: Die Evolution<br />

des Geistigen. Quantenphysik – Bewusstsein –<br />

Religion, Göttingen 2008.<br />

Görnitz, Thomas: Quanten sind an<strong>der</strong>s, die verborgene<br />

Einheit <strong>der</strong> Welt, Heidelberg 1999.<br />

Görnitz, Thomas/Görnitz, Brigitte: Der kreative<br />

Kosmos – Geist und Materie aus Quanteninformation,<br />

Heidelberg 2002.<br />

Ich möchte schließen mit einem Zitat von<br />

Dietrich Bonhoeffer: "In dem, was wir<br />

erkennen, sollen wir Gott finden, nicht<br />

aber in dem, was wir nicht erkennen;<br />

nicht in den ungelösten, son<strong>der</strong>n in den<br />

gelösten Fragen will Gott von uns begriffen<br />

sein." 3<br />

Ich denke, es ist deutlich geworden, dass in<br />

<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen und offenen Gesellschaft<br />

auch ein offenes und kreatives Verhältnis<br />

von Religionsunterricht und Naturwissenschaft<br />

möglich wird und frühere Verkrampfungen<br />

überflüssig werden. Ich hoffe,<br />

dass diese Möglichkeiten im Interesse <strong>der</strong><br />

Jugend auch genutzt werden.<br />

Anmerkungen<br />

1<br />

2<br />

3<br />

Heisenberg, Werner: Der Teil und das Ganze,<br />

München 1969, S.332.<br />

Schultz, Hans Jürgen (Hrsg.): Was ist das<br />

eigentlich – Gott?, München 1969, S.240f.<br />

Bonhoeffer, Dietrich: Wi<strong>der</strong>stand und Ergebung,<br />

Briefe und Aufzeichnungen aus <strong>der</strong> Haft,<br />

Berlin 1961, S.170f.


1. Die verfassungsdogmatische und<br />

die verfassungstheoretische Sicht<br />

Als Jurist könnte ich es mir an sich einfach<br />

machen und auf die Bundesverfassung, das<br />

Grundgesetz, verweisen, welches in Art. 7<br />

Absätze 2 und insbeson<strong>der</strong>e 3 Regelungen<br />

zum Religionsunterricht trifft. Danach ist<br />

Religionsunterricht, um nur das Wichtigste<br />

zu nennen, in öffentlichen Schulen ordentliches<br />

– und das heißt: versetzungserhebliches<br />

– Lehrfach. Er wird in Übereinstimmung<br />

mit den Grundsätzen <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Religionsgemeinschaft erteilt, d.h. diese<br />

verantworten und bestimmen die Inhalte<br />

desselben. Dabei begrenzt das Grundgesetz<br />

den Kreis von Religionsgemeinschaften,<br />

denen die Erteilung des Religionsunterrichts<br />

in <strong>der</strong> öffentlichen Schule anvertraut<br />

werden darf, keineswegs nur auf die beiden<br />

christlichen "Großkirchen". Die dritte Beson<strong>der</strong>heit:<br />

Vom Religionsunterricht kann<br />

man sich, wiewohl versetzungserhebliches<br />

Fach und im Gegensatz zu allen an<strong>der</strong>en<br />

ordentlichen Lehrfächern, abmelden.<br />

Doch zöge man sich auf die Anordnungen<br />

und Verbürgungen des Grundgesetzes zurück,<br />

verfehlte man die uns umtreibende<br />

Fragestellung, die ja just nach <strong>der</strong> fortbestehenden<br />

Berechtigung <strong>der</strong> bestehenden<br />

(Rechts-)Lage fragt, nach dem Umwillen<br />

<strong>der</strong> verfassungsgesetzlichen Gewährleistung.<br />

Zugespitzt: Es geht nicht um die Frage<br />

<strong>der</strong> positivrechtlichen Geltung <strong>der</strong> im<br />

Grundgesetz enthaltenen Bestimmungen<br />

zum Religionsunterricht – diese Frage wäre<br />

schnell erledigt –, son<strong>der</strong>n es geht um<br />

die jenseits <strong>der</strong> "nackten" Positivität liegende,<br />

innere Rechtfertigung des durch das<br />

Verfassungsrecht Angeordneten und Gewährleisteten.<br />

Das aber ist, wie <strong>der</strong> Ver-<br />

Statement<br />

Matthias Jestaedt<br />

für die Rechts- und Gesellschaftswissenschaften<br />

fassungsrechtswissenschaftlerformulieren würde, keine Frage <strong>der</strong> Verfassungsdogmatik,<br />

<strong>der</strong> es um das rechtliche Sein,<br />

um die Legalität des geltenden Verfassungsrechts<br />

zu tun ist, son<strong>der</strong>n eine solche<br />

<strong>der</strong> Verfassungstheorie, die nach dem dahinter<br />

liegenden Sinn, <strong>der</strong> Legitimität des<br />

geltenden Verfassungsrechts fragt.<br />

Um nicht missverstanden zu werden: Allfällige<br />

verfassungstheoretische Zweifel<br />

daran, dass die Verbürgung des Religionsunterrichts<br />

in Art. 7 Abs. 3 GG auch heute<br />

noch ihren guten Sinn hat, würden zunächst<br />

nichts am Fortbestand <strong>der</strong> Geltung<br />

dieser Verfassungsvorschrift än<strong>der</strong>n. Der<br />

gemeinrechtliche Satz "cessante ratione<br />

legis cessat lex ipsa" – mit dem Wegfall<br />

des eigentlichen Sinnes einer Norm entfällt<br />

diese selbst – kann in das vollpositivierte<br />

Recht eines mo<strong>der</strong>nen Verfassungsstaates<br />

nicht unbesehen übernommen werden.<br />

Und doch: In dem Maße, in dem eine<br />

Rechtsbestimmung (und stehe sie auch in<br />

<strong>der</strong> Verfassung) nicht mehr den Nachweis<br />

zu führen vermag, dass die in ihr angelegte<br />

Sinnerwartung weiterhin besteht, erhöht<br />

sich <strong>der</strong> Druck auf den zuständigen Rechtsetzer<br />

– hier: den Bundesverfassungsgesetzgeber<br />

–, diese Norm anzupassen o<strong>der</strong><br />

gar gänzlich aufzuheben.<br />

2. Die religiös-weltanschauliche<br />

Neutralität und das schulische<br />

Erziehungsmandat des Staates<br />

Ausgangspunkt all unserer Überlegungen<br />

zur verfassungstheoretischen Ortsbestimmung<br />

des Religionsunterrichts ist die religiös-weltanschauliche<br />

Neutralität des Verfassungsstaates,<br />

genauer: die Neutralität in


42 Matthias Jestaedt<br />

Bezug auf das ebenfalls in <strong>der</strong> Verfassung<br />

angelegte staatliche Bildungs- und Erziehungsmandat<br />

in <strong>der</strong> Schule. Damit sind<br />

zwei Fragen – wenn auch im gegebenen<br />

Kontext nur sehr holzschnittartig – zu beantworten:<br />

Wozu dient das schulische<br />

Mandat des Staates? Und was bedeutet in<br />

diesem Kontext die staatliche Neutralität?<br />

2.1 Das Schulmandat des Staates<br />

Zunächst zum schulischen Bildungs- und<br />

Erziehungsmandat des Staates, welches<br />

aus Art. 7 Abs. 1 GG hergeleitet wird: Dieses<br />

zielt neben einer – zugespitzt formuliert<br />

– eher äußerlich-mechanistisch verstandenen<br />

Wissensvermittlung auch und<br />

gerade auf die Integration des heranwachsenden<br />

Menschen in unsere Gesellschaft<br />

mit ihren Anfor<strong>der</strong>ungen und Möglichkeiten.<br />

Das Grundgesetz, welches in puncto<br />

Pflege und Erziehung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> nach den<br />

totalitären Erfahrungen ganz konsequent<br />

nicht auf das staatliche Kollektiv, son<strong>der</strong>n<br />

zuvör<strong>der</strong>st auf die individuelle elterliche<br />

Verantwortung setzt, nimmt doch einen<br />

Bereich von dieser Vorrangentscheidung<br />

zugunsten des Individuums und zulasten<br />

des Kollektivs aus: die Schule. Hier ist es<br />

<strong>der</strong> Staat, <strong>der</strong> – selbstredend unter tunlichster<br />

Achtung <strong>der</strong> elterlichen Verantwortung<br />

– einen eigenständigen Bildungsund<br />

Erziehungsauftrag zu erfüllen hat.<br />

Dieser Auftrag ist indes nicht gleichsam<br />

ziellos und vollauf den Vorstellungen <strong>der</strong><br />

jeweils aktuellen demokratischen Mehrheit<br />

ausgeliefert. Vielmehr ist, bei aller Konkretisierungsfreiheit<br />

im Detail, d.h. bei aller<br />

politischen Gestaltungsmacht, das<br />

oberste Erziehungsziel <strong>der</strong> staatlichen<br />

Schule von <strong>der</strong> Verfassung unverrückbar<br />

vorgegeben: Es verkörpert sich im sogenannten<br />

"Menschenbild des Grundgesetzes".<br />

Die Integrationsaufgabe <strong>der</strong> Schule<br />

zielt auf das selbstbestimmte und gemeinschaftsfähige<br />

Individuum. Darin manifestiert<br />

sich zugleich die zentrale gesamtgesellschaftliche<br />

Verantwortung <strong>der</strong> Schule.<br />

2.2 Die staatliche Neutralität<br />

Eine weitere verfassungsrechtliche Bindung<br />

und Prägung des staatlichen Schulmandates:<br />

Die staatliche Schule und die in<br />

ihr Tätigen erfüllen ihren Auftrag unter <strong>der</strong><br />

Maßgabe religiös-weltanschaulicher Neutralität.<br />

Der mo<strong>der</strong>ne, religiös-weltanschaulich<br />

neutrale Verfassungsstaat markiert<br />

unsere Antwort auf die Frage, wie<br />

staatliche Gemeinschaft gelebt werden<br />

kann unter den Bedingungen, dass es nicht<br />

mehr eine Wahrheit, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong>en viele,<br />

dass es nicht mehr einen Glauben und eine<br />

Weltanschauung gibt, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong>en viele,<br />

dass – mit an<strong>der</strong>en Worten – die rechte<br />

Ordnung just nicht mehr auf die Wahrheit<br />

und den Glauben gegründet werden kann,<br />

son<strong>der</strong>n ein Grund des Gemeinwesens gesucht<br />

und gefunden werden muss, <strong>der</strong> jenseits<br />

von Glauben und Unglauben liegt.<br />

Um in einer religiös-weltanschaulich pluralen<br />

– man mag auch formulieren: religiös-weltanschaulich<br />

pluriformen und heterogenen<br />

– Gesellschaft "Heimstatt aller<br />

Bürgerinnen und Bürger", von Gläubigen<br />

und Ungläubigen, So- und An<strong>der</strong>sgläubigen<br />

sein zu können, verpflichtet sich <strong>der</strong><br />

Verfassungsstaat dem Integrationsmodell<br />

religiös-weltanschaulicher Neutralität. Das<br />

heißt: Er privatisiert die letzten Fragen<br />

nach dem Woher, Wozu und Wohin des<br />

Menschen und lässt insoweit jeden nach<br />

eigener Façon glücklich werden. Er nimmt<br />

folglich nicht Partei in dem Wettbewerb<br />

um das Seelenheil und die wahre Weltanschauung.<br />

Neutralität meint insoweit<br />

Nicht-Identifikation, Äquidistanz zu den<br />

religiös-weltanschaulichen Konkurrenten,<br />

Unparteilichkeit und Überparteilichkeit<br />

und ist die Konsequenz des Zerbrechens<br />

<strong>der</strong> Einheit von Staat und Kirche, von Politik<br />

und Religion, von Recht und Moral.<br />

Doch bedeutet Neutralität im Kontext des<br />

Grundgesetzes – entgegen einem geläufigen<br />

Missverständnis – keineswegs völlige<br />

Wertabstinenz. Wertfreiheit hieße auch<br />

hier: Wertlosigkeit. Das Grundgesetz aber


Statement 43<br />

begründet und gewährleistet eine ebenso<br />

wehrhafte wie werthafte Demokratie.<br />

Schon sein erster Satz – "Die Würde des<br />

Menschen ist unantastbar" – ist ein Wertbekenntnis<br />

par excellence. Nicht <strong>der</strong><br />

Mensch ist um des Staates willen, son<strong>der</strong>n,<br />

just umgekehrt, <strong>der</strong> Staat ist um des Menschen<br />

willen da. Den – weithin sogar jeglicher<br />

Verfassungsän<strong>der</strong>ung entzogenen –<br />

Verfassungskern bildet die freiheitlichdemokratische<br />

Grundordnung mit Menschenwürde<br />

und Menschenbild, mit<br />

Selbstbestimmung und Geschlechtergleichheit,<br />

mit Grundrechten und Rechtsstaat,<br />

mit politischer Selbstbestimmung<br />

(Demokratie), aber auch mit gemeingesellschaftlicher<br />

Solidarität (Sozialstaat) und<br />

Verantwortung gegenüber Umwelt und<br />

Nachwelt. Hier ist <strong>der</strong> Staat des Grundgesetzes<br />

keineswegs neutral, hier ist er ganz<br />

Partei.<br />

Religiös-weltanschauliche Neutralität meint<br />

denn auch, bei Lichte besehen, dass <strong>der</strong><br />

Staat erst jenseits o<strong>der</strong> auch oberhalb dieses<br />

systemtragenden verfassungsrechtlichen<br />

Sockels Unparteilichkeit zu wahren<br />

hat. Und selbst insoweit gilt: Der Staat darf<br />

– und muss – Wertentscheidungen treffen,<br />

er darf dies nur nicht tun, indem er seine<br />

Begründung auf die verbindlichen Glaubensinhalte<br />

einer Religion o<strong>der</strong> Weltanschauung<br />

stützt (Begründungs-Neutralität).<br />

3. Staatliche Erziehungsziele<br />

Für die staatliche Schule folgt daraus zunächst,<br />

dass <strong>der</strong> schulische Bildungs- und<br />

Erziehungsauftrag nicht neutral im Sinne<br />

von wert(ungs)frei-"objektiv" zu sein habe<br />

– o<strong>der</strong> auch nur sein dürfte. Das Grundgesetz<br />

wie die Landesverfassungen sind<br />

äußerst werthaltige, wertorientierte Fundamente<br />

unseres Gemeinwesens, formulieren<br />

also einen inhaltlich anspruchsvollen<br />

Integrationsauftrag. Die schulischen Erziehungsziele<br />

umschreibt denn auch Art. 1<br />

Abs. 1 des Bayerischen Erziehungs- und<br />

Unterrichtsgesetzes im Einklang mit <strong>der</strong><br />

Landesverfassung wie folgt:<br />

"(1) 1 Die Schulen haben den in <strong>der</strong> Verfassung<br />

verankerten Bildungs- und Erziehungsauftrag<br />

zu verwirklichen. 2 Sie sollen<br />

Wissen und Können vermitteln sowie<br />

Geist und Körper, Herz und Charakter bilden.<br />

3 Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht<br />

vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung,<br />

vor <strong>der</strong> Würde des Menschen und<br />

vor <strong>der</strong> Gleichberechtigung von Männern<br />

und Frauen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl<br />

und Verantwortungsfreudigkeit,<br />

Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit<br />

für alles Wahre, Gute und Schöne und<br />

Verantwortungsbewusstsein für Natur und<br />

Umwelt. 4 Die Schülerinnen und Schüler<br />

sind im Geist <strong>der</strong> Demokratie, in <strong>der</strong> Liebe<br />

zur bayerischen Heimat und zum deutschen<br />

Volk und im Sinn <strong>der</strong> Völkerversöhnung<br />

zu erziehen."<br />

Soweit die schulischen Erziehungsziele<br />

den Staat selbst in die Pflicht nehmen und<br />

ihm die Mittel zur Pflichterfüllung an die<br />

Hand gegeben sind, hat er an sich keinen<br />

Bedarf an nichtstaatlichen Wertvermittlungshelfern.<br />

Erst jenseits dessen, also jenseits<br />

dessen, was <strong>der</strong> Staat selbst, mit eigenen<br />

Lehrkräften und im Rahmen des regulären<br />

Fächerkanons bewerkstelligen kann,<br />

kommen nichtstaatliche Miterzieher in <strong>der</strong><br />

staatlichen Schule in den Blick.<br />

4. Die staatliche Inpflichtnahme<br />

<strong>der</strong> Religionsgemeinschaften<br />

Bekennt das Grundgesetz sich zu einer von<br />

<strong>der</strong> Würde des Menschen bestimmten Anschauung<br />

<strong>der</strong> Welt und ist dem Staat damit<br />

nicht jegliche Werteerziehung versagt, so<br />

stellt sich umso drängen<strong>der</strong> die Frage, wozu<br />

er sich in Gestalt des Religionsunterrichts<br />

moralisch-religiöser Zuliefererdienste<br />

<strong>der</strong> Religionsgemeinschaften bedient.<br />

Die Antwort auf diese Frage weist<br />

das berühmte Diktum Ernst-Wolfgang Bö-


44 Matthias Jestaedt<br />

ckenfördes, wonach <strong>der</strong> freiheitliche Verfassungsstaat<br />

von Voraussetzungen lebt,<br />

die er selbst – um seiner Freiheitlichkeit<br />

willen – nicht garantieren kann. Dieser<br />

Satz hat zahlreiche Dimensionen, von denen<br />

ich nur eine herausgreifen möchte: So<br />

sehr die Verfassungsordnung mit den<br />

Grundrechten und <strong>der</strong> demokratischen<br />

Herrschaftsordnung eine dezidierte Werthaltung<br />

einnimmt, so wenig bilden diese<br />

einen selbsttragenden Grund. Das lässt sich<br />

vielleicht am eindrücklichsten am Basissatz<br />

und Fundamentalwert <strong>der</strong> gesamten<br />

Verfassungsordnung, <strong>der</strong> Menschenwürde,<br />

demonstrieren. Theodor Heuß nannte sie<br />

mit Recht eine "uninterpretierte These"<br />

und meinte damit, dass sie in ihrem kategorischen<br />

Gebotscharakter ernst genommen<br />

und eine ganze säkulare staatliche<br />

Ordnung darauf gegründet werden müsse,<br />

auch wenn sie mit rein säkularen, religiösweltanschaulich<br />

neutralen Mitteln gar nicht<br />

vollauf erfasst und begründet werden könne.<br />

Wer den Grund <strong>der</strong> Verfassung zu erund<br />

zu begründen trachtet, wird früher<br />

o<strong>der</strong> später bei <strong>der</strong> Gottebenbildlichkeit<br />

des Menschen, bei <strong>der</strong> geschöpflichen<br />

Würde und Gleichheit <strong>der</strong> Menschen landen.<br />

Doch diese theologischen Wurzeln im<br />

"Untergrund" des Verfassungsstaates werden<br />

– durch den Setzungsakt <strong>der</strong> Verfassung<br />

– gleichsam abgeschnitten. Was für<br />

den Verfassungsstaat und in ihm verbindlich<br />

ist, ist allein die "Frucht" an <strong>der</strong> positivrechtlichen<br />

"Oberfläche".<br />

An<strong>der</strong>s gewendet: Der Staat verfügt als<br />

freiheitlicher Staat nur über ein begrenztes<br />

Handlungsinstrumentarium und Sinnstiftungsangebot,<br />

er steht aber für den Erhalt<br />

von Staat und Gesellschaft als Ganzer gerade.<br />

In dieser Lage bedient er sich auch<br />

nichtstaatlicher, dem Bereich <strong>der</strong> Gesellschaft,<br />

also grundrechtlicher Freiheit zugehöriger<br />

intermediärer Gewalten, in unserem<br />

Kontext: <strong>der</strong> Religionsgemeinschaften.<br />

Denn diese sind von Verfassung wegen<br />

frei, auch die letzten Dinge in den<br />

Blick zu nehmen, letztgültige Sinnstiftung<br />

und Wertvermittlung zu betreiben – und<br />

den Staat damit von unerfüllbaren Heilserwartungen<br />

zu entlasten.<br />

Für den Religionsunterricht folgt daraus<br />

eine grundlegende Positionsbestimmung:<br />

Er stellt keineswegs – wie seine Kritiker<br />

behaupten – ein Privileg <strong>der</strong> Kirchen und<br />

sonstigen Religionsgemeinschaften dar. Er<br />

zielt nicht darauf, diesen einen weiteren<br />

Wirkungs- und Einflussbereich zu erschließen.<br />

In dieser Missdeutung liefe die<br />

Gewähr des Religionsunterrichts in <strong>der</strong><br />

Staatsschule in <strong>der</strong> Tat dem Gebot religiösweltanschaulicher<br />

Neutralität zuwi<strong>der</strong>. Die<br />

Abhaltung des Religionsunterrichts mag<br />

zwar <strong>der</strong> sogenannten positiven Religionsfreiheit<br />

<strong>der</strong> betroffenen Religionsgemeinschaften,<br />

Schüler und Eltern – in Gestalt<br />

eines Rechtsreflexes – zugute kommen;<br />

allein auf diese Grundrechtsverbürgung<br />

gestützt ließe sich aber die For<strong>der</strong>ung nach<br />

Einrichtung und Abhaltung eines Religionsunterrichts<br />

in <strong>der</strong> staatlichen Schule –<br />

gar die For<strong>der</strong>ung nach dessen Versetzungserheblichkeit<br />

– nicht begründen. Dafür<br />

bedarf es <strong>der</strong> konstitutiven Anordnung<br />

in Art. 7 Abs. 3 GG. Dies wird umso plausibler,<br />

als <strong>der</strong> Staat sich im Religionsunterricht<br />

nicht von den Religionsgemeinschaften<br />

in <strong>der</strong>en Dienst stellen lässt, son<strong>der</strong>n,<br />

ganz im Gegenteil, diese in den Dienst und<br />

in die Pflicht nimmt, gemeinwohlför<strong>der</strong>liche<br />

Grundlegungsarbeit zu betreiben, auf<br />

die <strong>der</strong> Staat zwar angewiesen, die selbst<br />

auszuführen ihm indes versagt ist. Der<br />

Verfassungsstaat als <strong>der</strong> Staat, <strong>der</strong> Distanz<br />

zum Bekenntnis des Einzelnen wahrt, bindet<br />

die Bekenntnisgemeinschaften ein,<br />

damit diese ihr proprium einbringen, damit<br />

diese den Religionsunterricht als konfessionell<br />

gebundene – selbstredend in den<br />

pädagogisch-didaktischen Formen heutigen<br />

Schulunterrichts dargebotene – Glaubenslehre<br />

abhalten.<br />

Ein lediglich religionskundlicher Unterricht<br />

wie auch ein Unterricht, in dem in einem<br />

an <strong>der</strong> Oberfläche bleibenden, sich


Statement 45<br />

humanistisch nennenden Sinne für Menschenwürde,<br />

Geschlechtergleichheit, Toleranz,<br />

Gewaltfreiheit, Pluralismus und die<br />

sonstigen Werte des Grundgesetzes geworben<br />

würde, verfehlte das eigentliche<br />

Umwillen, die ratio <strong>der</strong> Gewährleistung<br />

des Religionsunterrichts, wäre – um es auf<br />

den Punkt zu bringen – kein Religionsunterricht<br />

im Sinne von Art. 7 Abs. 3 GG.<br />

Einen <strong>der</strong>artigen Wertevermittlungs-<br />

Unterricht könnte <strong>der</strong> Staat auch selbst,<br />

ohne Beteiligung <strong>der</strong> Religionsgemeinschaften,<br />

abhalten – sei es in einem spezifisch<br />

darauf ausgelegten Fach wie Gemeinschaftskunde,<br />

Ethik o<strong>der</strong> Philosophie,<br />

sei es im Rahmen jedes an<strong>der</strong>en Unterrichtsfaches<br />

von Deutsch über Geschichte<br />

bin hin zu Sport.<br />

Art. 7 Abs. 3 GG richtet folglich eine –<br />

zwar nicht sanktionierte, deswegen aber<br />

nicht irrelevante – Verfassungserwartung<br />

an die Religionsgemeinschaften, im schulischen<br />

Religionsunterricht allen Versuchungen<br />

<strong>der</strong> Selbstsäkularisierung und<br />

Selbstneutralisierung entgegenzuwirken.<br />

Der für alle und alles offene, religiös<br />

standpunktlose, überkonfessionelle "Religionsunterricht"<br />

geht am Sinn – und an <strong>der</strong><br />

Rechtfertigung – <strong>der</strong> verfassungsgesetzlichen<br />

Gewährleistung vorbei und trägt das<br />

Seine dazu bei, den Religionsunterricht zu<br />

diskreditieren und die Verfassungsgarantie<br />

von innen auszuhöhlen.<br />

Demgegenüber kann nicht prononciert genug<br />

daran erinnert werden, wie unverzichtbar<br />

<strong>der</strong> gesamtgesellschaftliche Dienst<br />

ist, den ein wohlverstandener Religionsunterricht<br />

zu erbringen imstande ist. Indem<br />

die Religionsgemeinschaften jenen Sinn-,<br />

Wert- und Begründungshorizont eröffnen,<br />

<strong>der</strong> jenen des auf die Immanenz beschränkten<br />

Verfassungsstaates übersteigt,<br />

leisten sie einen unschätzbaren Beitrag dazu,<br />

das stets labile Gleichgewicht, welches<br />

ebenso konstitutiv wie charakteristisch ist<br />

für eine freiheitlich-demokratische Ordnung,<br />

immer wie<strong>der</strong> neu zu aktualisieren<br />

und zu stabilisieren.


Der Münchner Physiker Harald Lesch hat<br />

einmal bei einer Diskussion davon gesprochen,<br />

dass <strong>der</strong> Mensch eine Jahrtausende<br />

alte Hardware sei, auf <strong>der</strong> gerade die mo<strong>der</strong>ne<br />

Software aufgespielt werde. Allerdings<br />

sei er für die Geschwindigkeit und die<br />

Kompression <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft<br />

nicht eingerichtet. Darum benötige er immer<br />

wie<strong>der</strong> Entschleunigung, Zeit, um zu<br />

sich zu kommen, Ruhepausen und Stille.<br />

Von <strong>der</strong> Kirche wünsche er sich, dass sie<br />

etwas von dieser Gelassenheit vermittle.<br />

Lesch hat da etwas ganz Richtiges beobachtet.<br />

Wir brauchen das An<strong>der</strong>e, das uns<br />

zu uns selbst als Menschen kommen lässt.<br />

Sonst leben wir nicht mehr, son<strong>der</strong>n werden<br />

gelebt. Sonst handeln wir nicht mehr,<br />

sonst funktionieren wir nur noch. Das gilt<br />

schon für die Schulkin<strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Stundenplan<br />

oft den eines Arbeitnehmers übersteigt.<br />

Religionslehrerinnen und Religionslehrer<br />

sorgen mit ihrem Unterricht<br />

immer wie<strong>der</strong> dafür, dass das Kind im<br />

Zentrum steht. Sie lassen Schülerinnen und<br />

Schüler etwas davon erfahren, dass sie –<br />

ich gebrauche ein biblisches Bild – "auf<br />

weiten Raum" (Ps 30,9) und nicht in ein<br />

enges Zeitkorsett "gestellt sind". Sie ermöglichen<br />

den Mädchen und Jungen Orte<br />

<strong>der</strong> Besinnung, <strong>der</strong> Begegnung und des<br />

vertieften Gesprächs, bei dem es lebhaft<br />

zugehen wird und kann.<br />

Wir sind davon überzeugt, dass religiöse<br />

Erziehung in <strong>der</strong> Schule für eine ganzheitliche<br />

Bildung des Menschen unverzichtbar<br />

ist und dass dies aufgrund <strong>der</strong><br />

"positiven" Religionsfreiheit auch vom<br />

Staat so gewollt ist. Die Schule braucht<br />

Angebote, die sich damit beschäftigen, wie<br />

die Pluralität <strong>der</strong> Positionen und Anschau-<br />

Statement<br />

Detlef Bierbaum<br />

für die Evangelische Kirche<br />

ungen in unserer Gesellschaft in ein gemeinsames<br />

Leben integriert werden kann.<br />

Es geht um die Ausbildung einer sprachfähigen<br />

Identität, die Verständigung sucht.<br />

Religion gehört sowohl unter individuellen,<br />

gesellschaftlichen und damit auch<br />

unter interkulturellen Gesichtspunkten zu<br />

den Grundfragen des Lebens. Sie ist eben<br />

keine Privatsache.<br />

Was sie bedeutet und bewirkt, ob sie Verständnis<br />

för<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> nicht, hat für die<br />

Gesellschaft unmittelbare Auswirkungen<br />

und geht daher auch sie etwas an. Es gibt<br />

keine Religion, die ohne Konsequenzen für<br />

die Lebensführung gelebt werden kann.<br />

Im Sinne <strong>der</strong> vier Welterschließungsmodi<br />

von Baumert dürfen wir unserer nachwachsenden<br />

Generation keinen Schlüssel<br />

zur Eröffnung <strong>der</strong> gesamten Wirklichkeit<br />

vorenthalten. Fragen nach dem immer<br />

wie<strong>der</strong> anklingenden Woher, Wohin und<br />

Wozu prägen seit Anfang an die Entwicklung<br />

menschlichen Bewusstseins. Eine wissenschaftliche<br />

Durchdringung natürlicher<br />

und gesellschaftlicher Prozesse entbindet<br />

die Menschen nicht vom Handeln. Nach<br />

wie vor müssen Konflikte entschieden, Interessen<br />

durchgesetzt und Interpretationen<br />

gefunden werden.<br />

Ich möchte es in einem Bild beschreiben:<br />

Um die Schatztruhe mit <strong>der</strong> Fülle des Lebens<br />

zu öffnen, braucht es unterschiedliche<br />

Schlüssel, die wie bei einem Tresor die<br />

verschiedenen vielleicht hinter einan<strong>der</strong><br />

liegenden Schlösser entriegeln können. Je<strong>der</strong><br />

Schlüssel hat für sich seine Berechtigung<br />

und seinen Wert. Wenn einer dieser<br />

Schlüssel, eine dieser Zahlenkombinationen<br />

fehlt, lässt sich <strong>der</strong> Deckel dieser Tru-


48 Detlef Bierbaum<br />

he einfach nicht anheben. Aber es ist die<br />

Frage: Wollen wir unseren Kin<strong>der</strong>n eine<br />

reduzierte Wirklichkeitserfassung zumuten<br />

o<strong>der</strong> ihnen die Fülle vorstellen, aus <strong>der</strong><br />

auch wir alle schöpfen können und schöpfen<br />

könnten. Welche Lebensmuster sie<br />

dann für sich selbst übernehmen, haben<br />

wir – das kennen wir möglicherweise von<br />

unseren eigenen Kin<strong>der</strong>n – natürlich nicht<br />

in <strong>der</strong> Hand. Und von <strong>der</strong> protestantischen<br />

Tradition des "allein aus Gnade", des<br />

"allein Christus", <strong>der</strong> sola gratia und des<br />

solus christus herkommend bleibt <strong>der</strong> persönliche<br />

Glaube, bleibt die glaubende<br />

Weltdeutung letztendlich unverfügbar und<br />

ich schreibe in Klammern: Das entlastet<br />

auch ganz massiv Religionslehrerinnen<br />

und -lehrer.<br />

Im konfessionellen Religionsunterricht erfahren<br />

und erleben die Schülerinnen/die<br />

Schüler durch die Lehrkraft, wie eine bestimmte<br />

Religion die Lebenseinstellung<br />

und Wirklichkeitserschließung eines Menschen<br />

prägen kann. Da dies in vielen Familien<br />

so nicht mehr spürbar ist, wird es<br />

für ein Kind immer wichtiger, den Religionsunterricht<br />

sowohl als Raum für Diskussionen<br />

über Lebensfragen zu nutzen als<br />

auch Formen religiöser Lebenspraxis ausprobieren<br />

zu können.<br />

Das geschieht – ich meine, das muss dann<br />

aber auch immer geschehen – unter dem<br />

Schild eines recht verstandenen Toleranzbegriffs.<br />

Und Toleranz muss gerade aus<br />

christlicher Perspektive in einer Glaubensgewissheit<br />

gründen, um <strong>der</strong>entwillen <strong>der</strong><br />

Mitmensch als Nächster geachtet und in<br />

seiner abweichenden Glaubensweise respektiert<br />

– und ich sage für uns Christen –<br />

auch angenommen wird.


Bei seinem denkwürdigen Besuch in<br />

Bayern vor zwei Jahren appellierte Papst<br />

Benedikt XVI. im Münchner Dom an die<br />

Eltern, Erzieher/innen und Religionslehrer/<br />

-innen: "Regt die Schüler an, nicht nur nach<br />

diesem und jenem zu fragen, son<strong>der</strong>n nach<br />

dem Woher und Wohin unseres Lebens.<br />

Helft Ihnen zu erkennen, dass alle Antworten,<br />

die nicht bis zu Gott hinkommen, zu<br />

kurz sind!"<br />

Hier ist <strong>der</strong> vierte Modus <strong>der</strong> Welterschließung<br />

und Weltbegegnung nach Professor<br />

Jürgen Baumert angesprochen, <strong>der</strong> zum<br />

Kanon mo<strong>der</strong>ner Schulbildung wesentlich<br />

dazugehört, <strong>der</strong> durch keinen an<strong>der</strong>en<br />

Modus <strong>der</strong> Welterfahrung ersetzt werden<br />

kann. Es kennzeichnet den Religionsunterricht,<br />

sich mit konstitutiven "letzten" Fragen<br />

auseinan<strong>der</strong>zusetzen: Der Frage, ob es Gott<br />

gibt o<strong>der</strong> nicht, woher Welt und Mensch<br />

kommen, wohin alles läuft, wozu ich auf<br />

<strong>der</strong> Welt bin – und vor allem: Antworten zu<br />

geben auf diese Fragen. Diese Antworten<br />

kommen bei uns im Religionsunterricht zuallererst<br />

aus <strong>der</strong> Offenbarung. Von diesen<br />

Antworten leiten sich grundlegende Werte<br />

des Lebens und konkrete Handlungsentscheidungen<br />

ab. Professor Baumstark hat es<br />

so großartig verdeutlicht am Selbstbildnis<br />

Albrecht Dürers, auf dem <strong>der</strong> Mensch nicht<br />

nur gezeigt wird als vernunftbegabtes Wesen,<br />

als Individuum und was auch immer,<br />

son<strong>der</strong>n als Gottes Geschöpf und Ebenbild.<br />

Darin liegt die tiefste Begründung <strong>der</strong> Menschenwürde.<br />

Von daher leiten sich wesentliche<br />

Werteoptionen ab.<br />

Religiöse Bildung gehört in die Schule als<br />

eigenständiger Zugang zur Wirklichkeit, zur<br />

Weltbegegnung und Weltdeutung. Ich bin<br />

absolut überzeugt: Religiöse Bildung zu<br />

Statement<br />

Erich Pfanzelt<br />

für die Katholische Kirche<br />

vernachlässigen o<strong>der</strong> gar auszublenden<br />

würde jungen Menschen in ihrer Suche<br />

nach Weltverständnis, nach Orientierung<br />

und Lebensbewältigung, nach Mensch- und<br />

Persönlichkeitswerdung wesentliche Dimensionen<br />

des Daseins vorenthalten.<br />

Das Ziel des schulischen Religionsunterrichts,<br />

wie ihn die katholische Kirche versteht<br />

und in dem Bischofspapier "Die bildende<br />

Kraft des Religionsunterrichts" schon<br />

1996 formulierte, ist ein reflexiver Zugang<br />

zur Religion, ein Dienst von Kirche und<br />

Staat gemeinsam am heranwachsenden<br />

Menschen, <strong>der</strong> ein Recht hat auf Mündigwerden<br />

in <strong>der</strong> eigenen Religion, <strong>der</strong> das<br />

Recht hat, befähigt zu werden zu verantwortlichem<br />

Denken, Urteilen und Handeln<br />

im Blick auf Religion und Glaube. Dieser<br />

reflexive Zugang legitimiert den Religionsunterricht<br />

als Fach im Fächerkanon <strong>der</strong><br />

Schule. Dabei geht es freilich "nicht nur um<br />

Bescheid wissen, son<strong>der</strong>n immer auch um<br />

die Ermöglichung von Religion und Glaube<br />

selbst" (DBK 1974, Synode). Dazu möchte<br />

ich zwei wesentliche Grundvoraussetzungen,<br />

die <strong>der</strong>zeit durchaus kontrovers diskutiert<br />

werden, noch in beson<strong>der</strong>er Weise<br />

nennen.<br />

1. Religiöse Bildung kann nur in Verbindung<br />

mit gelebter Religiosität erfolgen, d.h.<br />

als konfessioneller Religionsunterricht in<br />

Anbindung an die konkrete Religionsgemeinschaft.<br />

Unsere Schüler/innen, die den<br />

Religionsunterricht besuchen, sind zum<br />

allergrößten Teil getauft. Sie wollen nicht<br />

nur wissen, welche Religionen es gibt und<br />

worin sie sich unterscheiden; Schüler haben<br />

auch ein Anrecht darauf zu erfahren, was<br />

sie selbst glauben sollen, was wahr und<br />

richtig ist. Je<strong>der</strong> Lehrer, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Schule


50 Erich Pfanzelt<br />

Religion unterrichtet hat, weiß, dass man<br />

ständig hinterfragt wird: "Glauben Sie das<br />

auch selbst?" Die Schüler/innen wollen in<br />

die Wahrheitsfrage eintreten. Eine Religionskunde<br />

die neutral bliebe und nur wissenschaftlich<br />

beschreibt, was Religionen unterscheidet,<br />

gleicht – ich zitiere Herrn Professor<br />

Dressler – einem religiösen Esperanto,<br />

das in <strong>der</strong> Wirklichkeit nirgendwo gesprochen<br />

wird. Aber genau dies wird gegenwärtig<br />

von verschiedenen Seiten her gefor<strong>der</strong>t.<br />

Es heißt, es brauche ein gemeinsames Fach<br />

für alle, wie immer man es auch nennt, ob<br />

L-E-R, Philosophie, Ethik o<strong>der</strong> Werteunterricht.<br />

Konfessioneller Religionsunterricht –<br />

so wird argumentiert – sei heute zunehmend<br />

nicht mehr organisierbar und – wie es Frau<br />

Bundesjustizministerin Zypries in ihrer<br />

5. Rede zur Religionskritik deutlich gemacht<br />

hat – behin<strong>der</strong>e die Integration von<br />

Schülern in unserer multikulturellen und<br />

multireligiösen Gesellschaft. Aber konfessioneller<br />

Religionsunterricht redet ja nicht<br />

einem Konfessionalismus das Wort, er will<br />

seine Identität nicht nur in Abgrenzung und<br />

Distanzierung zum An<strong>der</strong>en finden, son<strong>der</strong>n<br />

er geschieht aus <strong>der</strong> Teilnehmerperspektive<br />

und will daraus den Glauben einer kirchlichen<br />

Gemeinschaft darstellen und zur Geltung<br />

bringen, nicht aus <strong>der</strong> Beobachterperspektive.<br />

Er will die christliche Tradition<br />

Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen zur Verfügung<br />

stellen, wie es die französischen Bischöfe<br />

formuliert haben: "Den Glauben anbieten".<br />

Konfessioneller Religionsunterricht will<br />

Bezüge herstellen zum gelebten Glauben,<br />

die Schüler/innen mit dem eigenen Wahrheitsanspruch<br />

konfrontieren, ihnen zu freier<br />

Entscheidung verhelfen. Niemand wird im<br />

Religionsunterricht unter Druck gesetzt<br />

o<strong>der</strong> gezwungen. Je<strong>der</strong> soll einen eigenen<br />

Standpunkt finden können in Glaubensfragen<br />

und so dialogfähig werden in <strong>der</strong> Begegnung<br />

mit an<strong>der</strong>en Konfessionen, Religionen<br />

und Weltanschauungen, mit denen sie<br />

sich im Leben auseinan<strong>der</strong>setzen müssen<br />

und denen sie sich ausgesetzt sehen – auch<br />

mit Atheismen. Ich vertrete zusammen mit<br />

Herrn OKR Bierbaum einen Religionsunterricht<br />

in ökumenischer Offenheit und Kooperation,<br />

wie ihn die evangelische und die<br />

katholische Kirche in ganz Deutschland<br />

verstehen. Er verhin<strong>der</strong>t nicht, son<strong>der</strong>n<br />

stärkt die Toleranz und die Integration <strong>der</strong><br />

Schüler/innen in unsere plurale Gesellschaft.<br />

Denn nur wer einen eigenen Standpunkt<br />

hat, wird einen An<strong>der</strong>en verstehen,<br />

<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e Überzeugung hat.<br />

2. In meinem zweiten Punkt schließe ich<br />

mich dem von mir sehr geschätzten Prof.<br />

Mendl (Passau) an – Stichwort "Performativer<br />

Religionsunterricht". Es geht darum,<br />

wie er im RPZ Heilsbronn ausgeführt hat:<br />

"Nicht nur über Religion reden, son<strong>der</strong>n<br />

Religion erleben!" Das scheint mir heute<br />

ein ganz wichtiger Aspekt zu sein. Ein<br />

Religionsunterricht, <strong>der</strong> Schülerinnen und<br />

Schülern einen verstehenden und reflektierenden<br />

Zugang zum Glauben eröffnen will,<br />

kann sich nicht mit <strong>der</strong> Vermittlung von<br />

Glaubenswissen begnügen. In den Schulfächern<br />

begnügt man sich nicht mit dem<br />

Kognitiven und mit <strong>der</strong> Theorie allein. In<br />

jedem Fach braucht es auch das praktische,<br />

erlebnishafte Tun. In <strong>der</strong> Physik gibt es z.B.<br />

Experimente, die nicht nur <strong>der</strong> Lehrer<br />

macht, son<strong>der</strong>n die auch die Schüler/innen<br />

machen dürfen. Im Sport kennt man Theorie<br />

eigentlich nur im Leistungskurs, aber<br />

ansonsten herrscht praktisches Tun vor. In<br />

<strong>der</strong> Kunst kann man sich nicht vorstellen,<br />

dass man nur über die Theorie redet und<br />

nicht selber malt. Und in <strong>der</strong> Musik ist es<br />

genauso. Und ich frage: Braucht nicht auch<br />

<strong>der</strong> Religionsunterricht das Erleben von<br />

Religion und Riten und Feiern, Gebet und<br />

Meditation, den Besuch einer Kirche (Kirchenraumpädagogik),<br />

außerschulische Erkundungen,<br />

Begegnungen in Klöstern,<br />

caritativen Einrichtungen, Sozialprojekten<br />

(Compassion-Projekte)?<br />

In alledem reflektieren und deuten die<br />

Schüler/innen selbst ihre Erlebnisse. Sie<br />

übernehmen probeweise eine solche Perspektive<br />

und prüfen, ob dies für ihr Leben


Statement 51<br />

etwas Bedeutsames ist o<strong>der</strong> nicht. Ziel<br />

eines solchen Religionsunterrichts ist ein<br />

selbstständiges und von <strong>der</strong> Vernunft her<br />

verantwortbares Urteil über Religion zu<br />

gewinnen, an Religion zu partizipieren.<br />

Mein Schlusssatz: Religion gibt es. Das ist<br />

die tiefste Begründung für den Religionsunterricht.<br />

Wir Menschen sind im Grunde<br />

unserer Seele religiöse Menschen. Und<br />

darum brauchen wir Religionsunterricht in<br />

<strong>der</strong> Schule. Er ist zwar nur ein Lernort des<br />

Glaubens, aber heutzutage ein wesentlicher.<br />

Wir haben einen eigenen, durch an<strong>der</strong>e Fächer<br />

nicht ersetzbaren Zugang zur Wirklichkeit<br />

und leisten einen unersetzlichen<br />

Beitrag zur Welterschließung und Persönlichkeitsentwicklung<br />

im Rahmen schulischer<br />

Bildung. Zugleich ist er ein Dienst <strong>der</strong><br />

Kirche an <strong>der</strong> Humanität <strong>der</strong> Schule und <strong>der</strong><br />

Gesellschaft.


Werkstattgespräch und Podiumsdiskussion<br />

Ferdinand Herget: Kann die christliche<br />

Religion allein Grundlegung <strong>der</strong> Ethik<br />

sein? Das Problem ist doch, wie wir mit<br />

Menschen sprechen können, die die Religion<br />

nicht als Horizont für ihre eigene<br />

Weltdeutung verstehen. Wie können wir<br />

dennoch zu Plausibilitäten kommen und<br />

ethische Entscheidungen begründen?<br />

Wilhelm Vossenkuhl: Natürlich wäre es<br />

falsch, wenn ich behaupten würde, die<br />

Grundlagen <strong>der</strong> Ethik seien ausschließlich<br />

aus dem Fundus des christlichen Glaubens.<br />

Es gibt viele kulturelle Leistungen <strong>der</strong><br />

Menschheit, die auch zu Grundlagen für<br />

die Ethik geworden sind: Rechtssicherheit,<br />

überhaupt Sicherheit als Bedürfnis, geboren<br />

aus dem Zusammenleben <strong>der</strong> Menschen,<br />

ist ein großer Punkt in <strong>der</strong> Ethik und<br />

wird auch dort argumentativ verwendet. Es<br />

gibt aus <strong>der</strong> Kultur, zu <strong>der</strong> ja auch die Religion<br />

gehört, sehr viel mehr Grundlagen.<br />

Aber ich muss wie<strong>der</strong>holen, die Ethik<br />

schafft ihre Grundlagen nicht selbst. Das<br />

kann sie nicht. Dafür ist sie stark im Argumentieren.<br />

Außerdem gibt es ja nicht die<br />

Ethik, son<strong>der</strong>n es gibt große Traditionen,<br />

die sich z.T. diametral gegenüberstehen.<br />

Denken Sie etwa an die Kantianer und die<br />

Utilitaristen, die sich partout nicht leiden<br />

können. Heute ist es interessant zu sehen,<br />

dass die methodischen Differenzen, die<br />

jahrzehntelang eine große Rolle gespielt<br />

haben, angesichts <strong>der</strong> konkreten Probleme<br />

relativ unwichtig sind. Man kann nach wie<br />

vor einen Utilitaristen ärgern, wenn man<br />

ihn fragt: "Kennst du ein paar gute utilitaristische<br />

Argumente, die für das Verbot <strong>der</strong><br />

Folter argumentieren?" Da ist für den Utilitarist<br />

eine Antwort schwierig. Es gibt<br />

demnach viele konkrete Probleme, die man<br />

lösen will, egal ob man von Kant herkommt<br />

o<strong>der</strong> sonstwo. Also es gibt nicht<br />

Ferdinand Herget<br />

nur die christlichen Grundlagen für die<br />

Ethik.<br />

Ferdinand Herget: Muss nicht das Plausibelmachen<br />

<strong>der</strong> Zusammenhänge zwischen<br />

Selbstbestimmung und Glaubenserfahrungen<br />

intensiv in <strong>der</strong> Lehrerbildung<br />

und auch in das Gesamtkonzept von Unterricht<br />

eingebracht werden, um von <strong>der</strong> Vorstellung<br />

abzukommen, <strong>der</strong> Mensch könne<br />

über alle Ethik beliebig bestimmen.<br />

Wilhelm Vossenkuhl: Ja, natürlich. Aber<br />

was die Vorstellung angeht, dass <strong>der</strong><br />

Mensch über alle Ethik beliebig bestimmen<br />

kann, das sollte auch thematisiert werden.<br />

Das habe ich vorhin in einigen Nebensätzen<br />

angesprochen. Es existiert eine falsch<br />

verstandene Kanttradition, eine laizistischlibertäre<br />

Kantinterpretation, die meint, dass<br />

wir Menschen Schöpfer unserer selbst<br />

sind, Schöpfer unserer Ethik, eigenmächtig,<br />

und dass wir uns quasi aus unserem<br />

Kopf heraus selbst ethisch ziehen können.<br />

Dieser Irrglaube steckt auch im Szientismus.<br />

Die Überzeugung, dass man alle<br />

Probleme <strong>der</strong> Welt, einschließlich <strong>der</strong><br />

Umwelt, wissenschaftlich lösen kann, ist<br />

auch ein Irrglaube. Man sollte diese Meinungen<br />

im Unterricht, nicht nur im Religionsunterricht,<br />

auch in <strong>der</strong> Ethik und im<br />

Deutschunterricht als Aberglauben thematisieren.<br />

Ferdinand Herget: Geht es im Religionsunterricht<br />

nur um religiöses Wissen?<br />

Wilhelm Vossenkuhl: Nein, natürlich<br />

nicht. Man kann die Ansprüche, die Geltungsansprüche<br />

des religiösen Glaubens ja<br />

nur klarmachen, wenn man Differenzen<br />

aufzeigen kann. Daher muss sehr viel kulturwissenschaftliches<br />

Wissensgut auch im


54 Ferdinand Herget<br />

Religionsunterricht thematisiert werden.<br />

Ich finde, dass kaum ein menschlicher<br />

Schaffensbereich ausgeschlossen werden<br />

darf, sonst ist ja auch die Behauptung, dass<br />

Religion Orientierung bietet, gar nicht<br />

glaubhaft. Man muss es irgendwie klarmachen<br />

können. Deshalb muss man die<br />

Welt ansprechen. Sie sehen auch hier, dass<br />

ich nicht überzeugt davon bin, dass diese<br />

Bereiche, diese Rationalitätsbereiche, die<br />

Baumert angesprochen hat, so sauber voneinan<strong>der</strong><br />

getrennt werden können. Ich sehe<br />

gerade eine Chance in <strong>der</strong> Konfrontation,<br />

nicht durch Mischung, aber Konfrontation.<br />

Ferdinand Herget: Spaemann sagt, mehr<br />

als Theologie und Philosophie ist die<br />

Kunst <strong>der</strong> ideale Partner für Religion. In<br />

einer Fassadenwelt übernimmt sie eine<br />

quasi sakrale Funktion, eine verlorene<br />

Wirklichkeit als unsichtbare zu vergegenwärtigen.<br />

Ist das nicht mehr als ein Entziffern<br />

von Bil<strong>der</strong>n aufgrund von Bibelkenntnissen?<br />

Reinhold Baumstark: Die letzte Frage<br />

kann ich sehr kurz beantworten. Natürlich<br />

ist Kunst mehr als ein Entziffern von Bibeltexten.<br />

Ihr geht es ja auch, wie ich gesagt<br />

habe, um das Movere. Aber ohne die<br />

Bibelkenntnis kommen Sie nicht sehr weit.<br />

Deshalb brauchen Sie diese Grundlage. Ob<br />

es <strong>der</strong> ideale Weg ist, ob es <strong>der</strong> beste Weg<br />

ist, da hätte ich meine Zweifel, obwohl ich<br />

wirklich für die Kunst spreche. Aber es ist<br />

ein Weg, <strong>der</strong> dringend genutzt werden soll<br />

und genutzt werden muss. Da liegt in meinen<br />

Augen etwas im Argen. Viele Ausbildende<br />

nutzen dieses ungeheure Potenzial<br />

nicht, was wir haben. Deswegen bitte ich<br />

auch in diesem Kreis, nutzen Sie diesen<br />

idealen Bereich. Aber nicht nur, um Bibeltexte<br />

zu erläutern und auszudeuten, son<strong>der</strong>n<br />

um wirklich zu den großen und wichtigen<br />

Fragen des Lebens vorzudringen.<br />

Ferdinand Herget: Kann, soll und darf<br />

Religionsunterricht im Rahmen <strong>der</strong> Schule<br />

religiöse Praxis einüben und religiöse Erfahrung<br />

ermöglichen? Gehört religiöse Praxis<br />

nicht in die Familie und Pfarrgemeinde?<br />

Ist Religionsunterricht nicht vor allen Dingen<br />

Reflexion und Fundierung gelebten<br />

Glaubens? Verletzt das probeweise Handeln<br />

nicht die Würde <strong>der</strong> Schüler?<br />

Bernhard Dressler: Den Satz, dass Religionsunterricht<br />

vor allem Reflexion und<br />

Fundierung gelebten Glaubens ist, kann ich<br />

völlig unterschreiben. Das Problem ist,<br />

wenn gelebte Religion <strong>der</strong> Mehrheit <strong>der</strong><br />

Schülerinnen und Schüler nicht mehr durch<br />

eigene Erfahrung bekannt ist, ist <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />

stricken ohne Wolle. D.h.,<br />

er hängt im Leeren. Allerdings soll das<br />

keine Pointe auf Kosten des Gewichts dieser<br />

Frage sein. Ich will sagen, dass authentische<br />

Religionspraxis im Religionsunterricht<br />

nicht möglich ist, weil die Schule<br />

schon immer ein Moratorium des Lebensernstes<br />

ist. Die Schule gibt es überhaupt<br />

nur, weil Leben und Lernen nicht mehr<br />

ungeschieden sind, son<strong>der</strong>n sich ausdifferenziert<br />

und getrennt haben. Deshalb ist die<br />

ganze Schule als Unterricht, nicht als<br />

Lebensform, als Unterricht ein Raum von<br />

Probedenken und Probehandeln. D.h., es<br />

ist gar kein Privileg des Religionsunterrichts,<br />

etwas gleichsam in <strong>der</strong> "Als-Ob-<br />

Perspektive" zu erschließen, son<strong>der</strong>n das<br />

gilt generell für alle Fächer. Seitdem es die<br />

Schule gibt, spielt sie sozusagen diese<br />

Welterschließungsmodi im Als-Ob-Modus<br />

ein. Und selbstverständlich ist es Aufgabe<br />

<strong>der</strong> Lehrerinnen und Lehrer, diesen Als-<br />

Ob-Modus so stark zu machen, dass er<br />

Überzeugungskraft gewinnt, damit man<br />

z.B. leidenschaftlicher Chemiker werden<br />

will; aber eben auch, dass man die Religion<br />

des Religionsunterrichts als eine<br />

Lebensperspektive verstehen kann, die<br />

durchträgt. Und die Einübung religiöser<br />

Praxis ist kein Bildungsprogramm, deswegen<br />

ist sozusagen dieser Ingebrauchnahme<br />

religiöser Sprachformen, religiöser Handlungsformen<br />

immer die Reflexion und das<br />

Reden über Religion an die Seite zu stel-


Werkstattgespräch und Podiumsdiskussion 55<br />

len. Nur im bloßen Reden über Religion<br />

mache ich die Religion, zumal wenn sie<br />

vorher unbekannt ist, nochmal zu einem<br />

fremden Gegenstand. Und auch das kann<br />

nicht das Ziel religiöser Bildung sein.<br />

Ferdinand Herget: Wenn <strong>der</strong> Staat zur<br />

Sicherung seines Selbstvollzugs die christliche<br />

Kultur braucht, warum bestimmt er<br />

so selbstbewusst die Grenzen für die<br />

kirchliche Dienstbarkeit, z.B. Unterrichtsausfall?<br />

Muss hier nicht einvernehmlicher<br />

mit den Kirchen gesprochen werden?<br />

Matthias Jestaedt: Ich bin hier überfragt,<br />

da ich die Praxis nicht kenne. Zunächst<br />

einmal ist <strong>der</strong> RU ein ordentliches Lehrfach.<br />

Er ist daher nicht schlechter und nicht<br />

besser zu behandeln als an<strong>der</strong>e Lehrfächer<br />

auch. Im Übrigen ist es richtig, dass es ein<br />

staatliches Schulhalten ist und <strong>der</strong> Staat die<br />

Gesamtveranstaltung zu verantworten hat.<br />

Und in diesem Rahmen hat er sich einvernehmlich<br />

mit den Kirchen abzustimmen.<br />

Es gibt keinen Grund – und es wäre auch<br />

eine rechtswidrige Praxis – den Religionsunterricht<br />

beson<strong>der</strong>s zu den ausfallträchtigen,<br />

ausfallgeneigten Fächern zu zählen.<br />

Sonst gibt es keine Beson<strong>der</strong>heiten.<br />

Josef Erhard: Zur Frage, die zuvor gestellt<br />

wurde, "Unterrichtsausfall o<strong>der</strong><br />

nicht?" und "Stellenwert des Religionsunterrichts":<br />

Es stimmt, <strong>der</strong> RU ist im Zuge<br />

<strong>der</strong> schulischen Wirklichkeit ein Fach, das<br />

gefahrgeneigt ist. Gefahrgeneigt deshalb,<br />

weil man leichter sagt: "Da kann ich kür-<br />

zen". Wir sehen das im Berufsschulbereich<br />

am deutlichsten. Ich habe erst vor kurzem<br />

mit den Kirchen darüber verhandelt, wie<br />

man hier versuchen kann, diesen Unterrichtsausfall<br />

zu minimieren.<br />

Es ist in <strong>der</strong> Öffentlichkeit das Bewusstsein<br />

dafür, dass <strong>der</strong> RU ein wichtiger Bestandteil<br />

schulischer Bildung ist, nicht immer im ausreichenden<br />

Maße vorhanden, sei es nun,<br />

weil wir in einer säkularen Welt leben o<strong>der</strong><br />

weil vielleicht auch die Religion und <strong>der</strong><br />

Religionslehrer nicht immer deutlich genug<br />

machen können, wie wichtig <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />

ist. Noch ein Beispiel: Als an das<br />

Kultusministerium das Ansinnen herangetragen<br />

worden ist, in <strong>der</strong> Grundschule das<br />

Fach Englisch, also die Fremdsprache ab<br />

<strong>der</strong> 1. Klasse einzuführen, haben wir gefragt,<br />

wo wir das noch unterbringen sollen.<br />

Die Kin<strong>der</strong> sind doch schon überfor<strong>der</strong>t. Da<br />

haben Eltern und Elternverbände massiv gefor<strong>der</strong>t:<br />

"Ja, lasst halt Religion dafür ausfallen.<br />

Englisch ist ja viel wichtiger als<br />

Religion." Selbst mein Hinweis auf das<br />

Konkordat und weitere Verträge half nicht.<br />

Vielmehr hieß es dann: "Verhandelt doch<br />

mit den Kirchen, die müssen das einsehen,<br />

was wichtig und was unwichtig ist." Also<br />

ich glaube, dass hier schon diese Tagung<br />

heute "Was ist Religionsunterricht" und<br />

"Was bedeutet Religionsunterricht in einer<br />

offenen Gesellschaft" ein wichtiges, ein<br />

überlegenswertes Thema ist und die Zahl<br />

<strong>der</strong>er, die heute gekommen ist, ist eigentlich<br />

Beweis dafür, wie wichtig uns dies sein<br />

müsste.


Die Bedeutung des Religionsunterrichts<br />

"Meditation für Neugierige und Ungeduldige",<br />

"Das Lebensrad. Eine praktische<br />

Einführung in den tantrischen Buddhismus",<br />

"Das Vier-Elemente-Programm <strong>der</strong><br />

Schamanen: Entdecken Sie das Geheimwissen<br />

<strong>der</strong> Indianer und nutzen Sie es für<br />

Glück, Gesundheit, Erfolg."<br />

Titel wie diese überschwemmen in den<br />

letzten Jahren den Buchmarkt. Und obwohl<br />

die Stimmung in <strong>der</strong> Buchbranche <strong>der</strong>zeit<br />

insgesamt eher gedämpft ist: Im Bereich<br />

Lebenshilfe/Esoterik wird weiterhin eine<br />

überdurchschnittliche Entwicklung erwartet.<br />

Was den Buchhändler freut – bei einem Kirchenvertreter<br />

o<strong>der</strong> Religionslehrer wird es<br />

gemischte Gefühle hervorrufen. Die Vielfalt<br />

<strong>der</strong> Titel ist kaum mehr überschaubar, die<br />

Qualität etlicher <strong>Publikation</strong>en zweifelhaft.<br />

Josef Erhard<br />

Dennoch: Die Fülle <strong>der</strong> Neuerscheinungen<br />

in diesem Bereich zeigt, dass viele Menschen<br />

in unserer Zeit, in unserer Gesellschaft<br />

ganz offensichtlich ein tiefes Bedürfnis<br />

nach Orientierung haben:<br />

– ein Bedürfnis nach einer verbindlichen<br />

Richtschnur für ihr eigenes Handeln;<br />

– ein Bedürfnis nach persönlicher Religiosität<br />

und nach Werten;<br />

– ein Bedürfnis nach einer Heimat im<br />

Glauben – wie auch immer dieser<br />

Glaube aussehen mag.<br />

Da hängt schon einmal ein Traumfänger<br />

über dem Bett, daneben steht eine Buddhafigur<br />

auf dem Nachtkästchen. Gleichzeitig<br />

findet immer noch das Kreuz an <strong>der</strong> Wand<br />

seinen Platz.


58 Josef Erhard<br />

Auf dem von <strong>der</strong> Jugend als absolutes<br />

Kult-Highlight gefeierten Tollwood-Festival<br />

gibt es ganze Kaufstraßen mit esoterisch-schamanistischen<br />

Gegenständen und<br />

Schmuckstücken. Das Festival wird <strong>der</strong>zeit<br />

in <strong>der</strong> Provinz allenthalten imitiert.<br />

Viele "basteln" sich heute also eine Art<br />

persönliche Religion zurecht. Glaube, Religion<br />

scheinen etwas Individuelles geworden<br />

zu sein – etwas, das sich beliebig verän<strong>der</strong>n<br />

und den persönlichen Bedürfnissen<br />

entsprechend gestalten lässt.<br />

Und noch ein letzter Befund:<br />

– Von den Katholiken besuchen kaum<br />

15% sonntags den Gottesdienst.<br />

– In den evangelischen Kirchen ist diese<br />

Zahl noch weit geringer.<br />

Und dennoch haben Umfragen im Umkreis<br />

des "Bündnisses für Erziehung" gezeigt:<br />

Mehr als achtzig Prozent <strong>der</strong> Deutschen<br />

befürworten Erziehungsziele, die sich eng<br />

an christlichen Grundwerten orientieren.<br />

Wie gehen wir mit diesen Befunden um?<br />

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus<br />

für die Schulen – und ganz speziell für den<br />

konfessionellen Religionsunterricht?<br />

Gerade wir, die wir in unterschiedlicher<br />

Weise Verantwortung für junge Menschen<br />

übernommen haben, müssen uns fragen:<br />

Wie können wir <strong>der</strong> Verantwortung gerecht<br />

werden, Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

wirkliche Orientierung zu geben? Und<br />

zwar Orientierung auch im religiösen Bereich?<br />

Wir leben heute in einer offenen Gesellschaft.<br />

Das drückt auch das Motto des<br />

Kongresses aus: "Religionsunterricht in<br />

offener Gesellschaft".<br />

Was aber ist eine "offene Gesellschaft"?<br />

Wenn man darunter nicht mehr versteht als<br />

eine weltoffene, plurale, tolerante Gesell-<br />

schaft, die die Freiheitsrechte des Einzelnen<br />

wahrt, dann können wir uns rasch darauf<br />

einigen: Das ist auch gut so!<br />

Allerdings dürfen wir dieses Konzept auch<br />

nicht überstrapazieren,<br />

– denn eine Gesellschaft, die die Freiheit<br />

des Einzelnen verabsolutiert, verliert<br />

den Zusammenhalt. Die Folgen können<br />

dann übersteigerter Individualismus,<br />

Werteverfall, Entsolidarisierung,<br />

ja Atomisierung sein.<br />

– Eine Gesellschaft muss aber mehr sein<br />

als eine Ansammlung von Individuen.<br />

Sie muss eine Gemeinschaft sein: eine<br />

kulturelle Gemeinschaft, eine Solidargemeinschaft,<br />

eine Traditionsgemeinschaft,<br />

eine Wertegemeinschaft.<br />

Ich bin überzeugt: Gerade in einer offenen<br />

Gesellschaft dürfen wir junge Menschen<br />

mit ihrem Bedürfnis nach Zugehörigkeit<br />

und Teilhabe, nach Wertorientierung, den<br />

Fragen nach dem Sinn des Lebens und<br />

nach Transzendenz nicht alleine lassen!<br />

Damit stellt sich für die Vertreter von<br />

Bildungs- und Schulpolitik natürlich die<br />

Frage, wie wir den jungen Menschen dabei<br />

zur Seite stehen können. Es geht also darum,<br />

wie wir sie bei diesem Prozess begleiten<br />

und unterstützen können, ohne sie<br />

einzuschränken und ohne in den Verdacht<br />

<strong>der</strong> Einflussnahme o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Manipulation<br />

zu geraten.<br />

Das ist eine sensible Gratwan<strong>der</strong>ung. Die<br />

Lösung dafür kann meines Erachtens nur<br />

durch authentische Orientierungsangebote<br />

gelingen. Der Staat ist zwar zu weltanschaulicher<br />

Neutralität verpflichtet. Weltanschauliche<br />

Neutralität ist aber nicht<br />

gleich Wertneutralität! Unser Staat ist zum<br />

einen eine "wehrhafte Demokratie" mit<br />

Grundrechtsgarantie. Zum an<strong>der</strong>en hat unsere<br />

Gesellschaft ihr Fundament in <strong>der</strong><br />

christlich-abendländischen Wertetradition.


Die Bedeutung des Religionsunterrichts 59<br />

Bundespräsident Horst Köhler hat dies in<br />

seiner Welt-Ethos-Rede von 2004 mit deutlichen<br />

Worten angesprochen – ich zitiere:<br />

"Ich habe manchmal den Eindruck, als sei<br />

Europa müde geworden, als sei es dabei,<br />

seine Identität zu verlieren, seine Wurzeln<br />

selber nicht mehr zu kennen. Zu diesen<br />

Wurzeln gehören ganz sicher die Aufklärung,<br />

die Menschenrechte, die verschiedenen<br />

Emanzipationsbewegungen. Aber eben<br />

auch das Christentum und die christliche<br />

Ethik."<br />

Das ist ein entscheiden<strong>der</strong> Punkt: Unsere<br />

christlich-abendländischen Werte bilden<br />

eine wichtige Grundlage für unsere Identität<br />

als Gesellschaft und Kultur.<br />

Wenn einer Gesellschaft dieses stabile<br />

Wertefundament verloren geht, dann drohen<br />

Identitätsverlust, Orientierungslosigkeit,<br />

ja im Extremfall die Anfälligkeit für<br />

menschenverachtende Ideologien.<br />

Auch die Religionsfreiheit kann sich nicht<br />

darin erschöpfen, dass <strong>der</strong> Staat sich einfach<br />

aus allem Religiösen heraushält. Religionsfreiheit<br />

bedeutet nach meinem Verständnis<br />

vielmehr, den Religionen und den<br />

Kirchen als ihren Trägern Raum zu geben,<br />

ihre eigenen Aufgaben zu entfalten.<br />

Deshalb müssen Staat, Bildungspolitik und<br />

Schule auch Sorge dafür tragen, dass junge<br />

Menschen Orientierung und Hilfestellung<br />

erhalten bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung,<br />

bei ihrer Suche nach Antworten auf<br />

die Fragen des Menschseins und bei ihrer<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit unserer Werteordnung.<br />

Wie kann das gelingen? Meiner Meinung<br />

nach durch Bildung:<br />

– Nur eine fundierte allgemeine und<br />

religiöse Bildung kann sicherstellen,<br />

dass die jungen Menschen sich selbst<br />

und an<strong>der</strong>en über die Wurzeln unse-<br />

rer Kultur im Christentum und <strong>der</strong><br />

Aufklärung Rechenschaft geben können.<br />

– Nur durch Bildung werden sie auch in<br />

Fragen <strong>der</strong> Werteorientierung und ihrer<br />

religiösen Orientierung kompetent<br />

werden.<br />

– Nur durch eine fundierte allgemeine<br />

und auch religiöse Bildung werden die<br />

jungen Menschen sich zu selbstbewussten,<br />

starken, mündigen Persönlichkeiten<br />

entwickeln.<br />

Deshalb ist es nur konsequent, wenn <strong>der</strong><br />

Staat in Wahrnehmung <strong>der</strong> positiven Religionsfreiheit<br />

und im Rahmen des Bildungsauftrags<br />

<strong>der</strong> öffentlichen Schulen mit<br />

dem konfessionellen Religionsunterricht<br />

einen Freiraum eröffnet – einen Freiraum,<br />

in dem Religionsgemeinschaften ein vielfältiges<br />

und authentisches Angebot religiöser<br />

Bildung ausgestalten können.<br />

Der Religionsunterricht in Kooperation<br />

von Staat und Kirche ist ein wichtiger<br />

Bestandteil des bayerischen Bildungskonzepts:<br />

– Er bietet den Schülerinnen und Schülern<br />

Gelegenheit und Anregung, sich<br />

mit den großen Fragen des Menschseins<br />

auseinan<strong>der</strong>zusetzen. Und er gibt<br />

<strong>der</strong> christlichen Tradition und Sinndimension<br />

bei <strong>der</strong> Beantwortung dieser<br />

Fragen Raum.<br />

– Er vermittelt ihnen Wissen, das ihnen<br />

dabei hilft, ihre Identität und Verwurzelung<br />

in einer christlich geprägten Welt<br />

zu entdecken und zu entschlüsseln.<br />

– Und er vermittelt ihnen die nötigen<br />

Kompetenzen, sich <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit an<strong>der</strong>en in einer pluralen,<br />

säkularen Welt zu stellen.<br />

Dabei ist entscheidend, dass <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />

in und durch Kooperation und<br />

Vernetzung mit an<strong>der</strong>en Fächern sein spezifisches<br />

Profil zur Geltung bringt. Denn


60 Josef Erhard<br />

dadurch begründet sich ja auch sein beson<strong>der</strong>er<br />

Beitrag zur Bildungsarbeit in <strong>der</strong><br />

Schule. Drei Aspekte sehe ich im Mittelpunkt.<br />

Erstens: Religiöse Bildung ist ein wesentlicher<br />

Bestandteil <strong>der</strong> Allgemeinbildung.<br />

Kardinal Lehmann hat einmal gesagt, es<br />

gehe im Land <strong>der</strong> Dichter und Denker, in<br />

einem Land mit jahrhun<strong>der</strong>tealten christlichen<br />

Wurzeln nicht an, dass "manche<br />

Menschen heute Colgate mit Golgatha<br />

verwechseln".<br />

Die christliche Tradition durchdringt und<br />

prägt unsere Geschichte, Kultur und Gesellschaft<br />

nachhaltig. Und <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />

trägt wesentlich dazu bei, dieses<br />

Wissen um unsere christlich geprägte<br />

Kultur von Generation zu Generation weiterzutragen<br />

und wach zu halten!<br />

Dem Religionsunterricht in einer pluralen,<br />

säkularen Gesellschaft kommt deshalb in<br />

zunehmendem Maße auch die Funktion zu,<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche mit einer <strong>der</strong> bestimmenden<br />

Traditionen unserer Kultur<br />

überhaupt erst einmal vertraut zu machen –<br />

mit <strong>der</strong> biblischen Tradition.<br />

Der Religionsunterricht führt die jungen<br />

Menschen an diese Tradition heran – und<br />

damit an ein wesentliches Fundament <strong>der</strong><br />

abendländischen Kultur. Damit eröffnet er<br />

vielen Schülerinnen und Schülern überhaupt<br />

erst die kompetente kulturelle Teilhabe<br />

an unserem Gemeinwesen.<br />

Durch die reflektierte Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit dem Christentum wird so die Betrachtung<br />

<strong>der</strong> eigenen Kultur um wichtige<br />

Aspekte bereichert. Die eigene kulturelle<br />

Identität wird vertieft. Und die Sensibilität<br />

im Umgang mit an<strong>der</strong>en Kulturen und<br />

Religionen wird geweckt.<br />

Dieses elementare Wissen ist ein wesentlicher<br />

Bestandteil des Religionsunterrichts.<br />

Dabei darf <strong>der</strong> Religionsunterricht aber<br />

nicht in <strong>der</strong> neutralen religionskundlichen<br />

Außenperspektive verbleiben. Vielmehr soll<br />

er durch seine konfessionelle Ausrichtung<br />

eine eindeutige Position beziehen.<br />

Damit leistet <strong>der</strong> Religionsunterricht gleichzeitig<br />

auch einen wichtigen Beitrag zur<br />

Persönlichkeitsbildung.<br />

Damit bin ich bei dem zweiten Aspekt,<br />

wenn es um den beson<strong>der</strong>en Beitrag des<br />

Religionsunterrichts zur Bildungsarbeit an<br />

unseren Schulen geht.<br />

Ich meine: Die reflektierte Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit den Inhalten <strong>der</strong> christlichen Religion,<br />

ihren Traditionen und Werten ist für<br />

die jungen Menschen eine große Hilfe bei<br />

<strong>der</strong> Entwicklung zu reifen Persönlichkeiten.<br />

Dabei ist die Beziehung zur jeweiligen<br />

Lehrkraft von beson<strong>der</strong>er Bedeutung. Je<strong>der</strong><br />

Unterricht lebt zwar davon, dass die Lehrkräfte<br />

mit ihrer ganzen Persönlichkeit für<br />

das stehen, was sie unterrichten. Im Falle<br />

von Religionslehrkräften ist es aber von<br />

ganz entscheiden<strong>der</strong> Bedeutung, dass diese<br />

ein authentisches Zeugnis gelebten Christentums<br />

ablegen und dass sie eine persönliche<br />

Beziehung mit den Schülern zulassen,<br />

in <strong>der</strong> sie sich als Glaubende anfragen<br />

und hinterfragen lassen können.<br />

Dabei spielt die Schule eine große Rolle.<br />

Aktuelle Studien bestätigen: Die Schule ist<br />

heute eines <strong>der</strong> prägendsten Netzwerke für<br />

die Persönlichkeitsentwicklung von Kin<strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen.<br />

Nicht selten wird <strong>der</strong> Lernraum zum Lebensraum<br />

und die Schulgemeinschaft zur<br />

Schulfamilie, weil an<strong>der</strong>e Familie nicht<br />

mehr erlebt wird.<br />

Eine solche Schulkultur braucht auch<br />

selbst Raum zur Entfaltung. Und sie<br />

braucht Angebote, die diesen Raum produktiv<br />

und verantwortungsvoll ausfüllen.


Die Bedeutung des Religionsunterrichts 61<br />

Die Religionslehrkräfte an unseren Schulen<br />

tragen maßgeblich zu einer solchen<br />

Schulkultur bei. Denn mit ihrem Wirken<br />

weit über den Unterricht hinaus tragen sie<br />

Entscheidendes dazu bei, dass die jungen<br />

Menschen gerade auch auf einer spirituellen<br />

und emotionalen Ebene ihrer Persönlichkeitsentwicklung<br />

angesprochen werden.<br />

Das Schulpastoral kann und soll hier<br />

ergänzen und helfen.<br />

Ich komme zum dritten Beitrag des Religionsunterrichts<br />

zur Bildungsarbeit an<br />

unseren Schulen – zur Erschließung <strong>der</strong><br />

religiösen Dimension im Leben <strong>der</strong> jungen<br />

Menschen.<br />

Kein Zweifel: Es ist ein Wesensmerkmal des<br />

Menschen, über sich selbst, über Welt und<br />

Zeit hinauszudenken. Die Fragen nach dem<br />

Sinn und den Grenzen menschlicher Existenz,<br />

nach dem Woher und Wohin, nicht<br />

zuletzt nach Gott – sie stellen sich jedem.<br />

Natürlich: Die Suche nach den Antworten<br />

auf diese Fragen – sie findet nicht nur im<br />

Religionsunterricht statt. Und <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />

kann sie auch kaum alleine<br />

bewältigen. Und doch ist <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />

<strong>der</strong> geeignete Ort, sich diesen<br />

Fragen zu stellen, die jungen Menschen zu<br />

eigener Überlegung zu ermutigen und <strong>der</strong><br />

christlichen Tradition und Sinndimension<br />

bei <strong>der</strong> Beantwortung dieser Fragen Raum<br />

zu geben.<br />

So bietet <strong>der</strong> Religionsunterricht weitaus<br />

mehr als nur Sachwissen. Er vermittelt eine<br />

Erfahrungsdimension, die Orientierung<br />

geben kann.<br />

"Religiöse Bildung – Persönlichkeitsbildung<br />

– Erschließung <strong>der</strong> religiösen Dimension":<br />

Dieser Dreiklang deutet wichtige<br />

Dimensionen des Religionsunterrichts an.<br />

Was dabei an Bildung entsteht, ist gerade<br />

für eine offene Gesellschaft von enormer<br />

Bedeutung.<br />

Denn in <strong>der</strong> Beschäftigung mit den Inhalten<br />

des Religionsunterrichts werden auch<br />

allgemeine Kompetenzen aufgebaut, die<br />

gerade zum Leben in einer offenen, globalisierten,<br />

pluralen Gesellschaft unabdingbar<br />

sind.<br />

Ich will auch hier drei Aspekte andeuten,<br />

die mir wichtig erscheinen.<br />

Erstens: Religionsunterricht befähigt die<br />

jungen Menschen zum echten Dialog – in<br />

<strong>der</strong> Schule, in <strong>der</strong> Klasse, <strong>der</strong> Nachbarschaft,<br />

<strong>der</strong> Familie.<br />

Bereitschaft und Fähigkeit zum Dialog<br />

sind aber wesentliche Eckpunkte von Bildung<br />

in einer offenen Gesellschaft. Sie<br />

können bewirken, dass aus einem geduldeten<br />

Nebeneinan<strong>der</strong> ein echtes Miteinan<strong>der</strong><br />

wird.<br />

Zweitens: Religionsunterricht kann die Voraussetzung<br />

dafür werden, dass Integration<br />

gelingt und als Bereicherung erfahren wird.<br />

In <strong>der</strong> Schule findet bereits die Begegnung<br />

mit jungen Leuten aus an<strong>der</strong>en Kulturkreisen<br />

statt – dazu bedarf es des Dialogs.<br />

Drittens: Dialogfähigkeit und religiöse<br />

Kompetenzen sind aber natürlich nicht nur<br />

auf nationaler Ebene wichtig. Gerade mit<br />

Blick auf die wachsende internationale Zusammenarbeit<br />

und Globalisierung haben<br />

sie eine enorme Bedeutung.<br />

In allen Teilen <strong>der</strong> Welt spielt religiöse<br />

Überzeugung und religiös motivierte Lebensgestaltung<br />

eine wichtige Rolle – zumeist<br />

eine viel wichtigere als bei uns. Wir<br />

können sicher sein: Unsere Kin<strong>der</strong> und<br />

Jugendlichen werden als Erwachsene vielfach<br />

mit Menschen zu tun haben, für die<br />

ihre Religion ihre Lebensgestaltung entscheidend<br />

prägt.<br />

In einer solchen Welt ist es unabdingbar,<br />

dass die jungen Menschen die Fähigkeit<br />

zur Empathie und zum Dialog erworben


62 Josef Erhard<br />

haben – auch wenn sie selbst <strong>der</strong> Religion<br />

vielleicht einen geringeren Stellenwert einräumen.<br />

Welche Mindestanfor<strong>der</strong>ung stelle ich –<br />

aufgrund dieser Überlegungen – an den<br />

Religionsunterricht?<br />

– Zunächst sollen die Schüler Religionen<br />

als bedeutsam und prägend für<br />

eine Gesellschaft wahrnehmen.<br />

– Sie sollen ferner die Religion als tragfähigen<br />

Faktor im Leben des Einzelnen<br />

erkennen<br />

– Und sie sollen drittens positiv mit Religion<br />

und Religiosität umgehen können.<br />

Ich bin überzeugt: Die Zukunftsfähigkeit<br />

unseres Landes hängt auch von diesen<br />

Kompetenzen ab.<br />

Vor einigen Jahren gab es einen Werbeslogan:<br />

"Wer keine eigene Meinung hat,<br />

kommt überall an – nur nicht bei sich<br />

selbst".<br />

Religion und Religionsunterricht müssen<br />

also für den jungen Menschen ganz unmittelbar<br />

und persönlich Bedeutung entfalten.<br />

Ein Rückzug in die religiöse und<br />

moralische Unverbindlichkeit sollte deshalb<br />

für uns nicht infrage kommen. Er zeugt<br />

von einem falschen Verständnis von Toleranz<br />

und er bietet jungen Menschen keine<br />

Hilfe zur Erlangung von Identität, Selbstbewusstsein<br />

und Selbstverantwortung.<br />

Das heißt: Wer Selbstverantwortlichkeit<br />

und soziale Verantwortlichkeit erreichen<br />

will, darf sich um Orientierung nicht herumdrücken.<br />

Ein mo<strong>der</strong>ner Religionsunterricht, wie wir<br />

ihn in Bayern anbieten, liefert dazu die<br />

notwendigen Grundlagen. Denn er ist konfessionell,<br />

kompetenzorientiert und offen<br />

für interreligiösen und ökumenischen Dialog<br />

und Kooperation.<br />

Ein solcher Religionsunterricht ist ein<br />

wesentlicher Akzent <strong>der</strong> ganzheitlichen<br />

Bildung in <strong>der</strong> offenen Gesellschaft.<br />

Und ich bin <strong>der</strong> festen Überzeugung: Er<br />

kann nur durch die bewährte Zusammenarbeit<br />

von Kirche und Staat getragen werden!<br />

Denn das ist eine Kooperation, in die sich<br />

beide Seiten einbringen – und die alle<br />

Beteiligten bereichert:<br />

– Der Staat nutzt dabei seine Verpflichtung<br />

zu weltanschaulicher Neutralität<br />

positiv und stellt Räume und Mittel<br />

zur Verfügung.<br />

– Die Kirche kommt ihrer gesellschaftlichen<br />

Verantwortung nach und gestaltet<br />

diese Räume inhaltlich aus.<br />

Dem Religionsunterricht kommt innerhalb<br />

des Fächerkanons an unseren Schulen<br />

zweifellos eine ganz beson<strong>der</strong>e Bedeutung<br />

zu. Entscheidend ist aber nicht allein die<br />

Tatsache, dass wir in Bayern – mit voller<br />

Überzeugung – einen konfessionellen Religionsunterricht<br />

anbieten. Entscheidend ist<br />

vielmehr die Qualität dieses Angebots. Um<br />

diese Qualität sicherzustellen, sind wir auf<br />

das Engagement <strong>der</strong> beiden großen Kirchen<br />

bei <strong>der</strong> Mitgestaltung <strong>der</strong> Lehrpläne<br />

und bei <strong>der</strong> Ausbildung <strong>der</strong> Religionslehrkräfte<br />

angewiesen, ebenso bei <strong>der</strong> Ausgestaltung<br />

<strong>der</strong> Weiterbildung.<br />

Für dieses Engagement darf ich an dieser<br />

Stelle den Dank <strong>der</strong> Bayerischen Staatsregierung<br />

aussprechen. Ebenso danke ich<br />

für die Trägerschaft bei den kirchlichen<br />

Schulen. Sie sind eine unverzichtbare<br />

Bereicherung <strong>der</strong> bayerischen Schullandschaft!<br />

Ganz beson<strong>der</strong>er Dank gebührt denjenigen,<br />

die den Religionsunterricht an unseren<br />

Schulen Tag für Tag mit großem Engagement<br />

und innerer Überzeugung tragen:<br />

den Religionslehrerinnen und Religionslehrern.


Die Bedeutung des Religionsunterrichts 63<br />

Viele Religionslehrkräfte leisten an unseren<br />

Schulen auch weit über ihren Unterricht<br />

hinaus einen unverzichtbaren Beitrag<br />

zu einem guten Schulklima – zu einem<br />

Schulklima, in dem Schüler und Lehrer<br />

respektvoll miteinan<strong>der</strong> umgehen.<br />

Ich denke hier nicht allein an adventliche<br />

Morgenmeditationen o<strong>der</strong> Schulgottesdienste<br />

vor Weihnachten und Ostern, die<br />

das Schulleben bereichern und prägen.<br />

Ich denke hier vor allem auch daran, dass<br />

sich Religionslehrerinnen und Religionslehrer<br />

gerade dann immer wie<strong>der</strong> ihrer beson<strong>der</strong>en<br />

Verantwortung stellen, wenn<br />

Schüler mit existenziellen Themen wie<br />

Krankheit o<strong>der</strong> Tod konfrontiert werden<br />

und zu individuellen Gesprächen zur Verfügung<br />

stehen. Sie sind da, wenn Jugendliche<br />

von Berichten über Gewalttaten o<strong>der</strong><br />

Naturkatastrophen schockiert sind. Sie<br />

gestalten das Gedenken an verstorbene<br />

Mitschüler o<strong>der</strong> Lehrkräfte.<br />

Wir leben in einer säkularen Welt. Aber<br />

unsere Kultur, unsere Wertvorstellungen<br />

haben ihre Wurzeln im Christentum. Die<br />

jungen Menschen in unserem Land haben<br />

ein Anrecht darauf, diese Wurzeln zu kennen<br />

und sich aktiv mit unseren christlichen<br />

Werten auseinan<strong>der</strong>zusetzen.<br />

Eltern, Schule, Kirche und Gesellschaft<br />

müssen die jungen Menschen gemeinsam<br />

auf ihrem Weg zu reifen, verantwortungsvollen<br />

Persönlichkeiten begleiten. Damit<br />

diese Begleitung auch mit authentischen<br />

und überzeugten Christen geschehen kann,<br />

brauchen wir die Unterstützung <strong>der</strong> Kirchen.<br />

Ich bin überzeugt, dass wir die großen<br />

Chancen des Religionsunterrichts auch in<br />

Zukunft aktiv nutzen müssen.


Dem Erzbischof hat man Gelegenheit gegeben,<br />

aus seiner Sicht einen Schlusspunkt in<br />

diesem Fachkongress zu setzen. Am Ende<br />

einer sehr intensiven Tagung, die auch sehr<br />

fruchtbar, konstruktiv und substanziell war,<br />

möchte ich zunächst einmal den Veranstaltern,<br />

<strong>der</strong> <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong> in Kooperation<br />

mit dem Katholischen Schulkommissariat<br />

und dem Religionspädagogischen<br />

Zentrum, meinen herzlichsten Dank sagen!<br />

Die wir hier versammelt sind, beson<strong>der</strong>s<br />

die Veranstalter und die Referenten – sind<br />

dafür, dass <strong>der</strong> Religionsunterricht in unserer<br />

Gesellschaft, in unserer Schule, in <strong>der</strong><br />

offenen Gesellschaft weiterhin seinen<br />

wichtigen Ort hat. Aber diese Veranstaltung<br />

findet eben auch statt, weil wir wissen,<br />

dass das nicht mehr selbstverständlicher<br />

Common Sense ist.<br />

Schlusswort *<br />

Reinhard Marx<br />

Deswegen besteht ein Ergebnis <strong>der</strong> Tagung<br />

auch darin: Wir müssen für unsere Einsichten,<br />

die wir mit Applaus bedacht haben,<br />

kämpfen! Ich bitte Sie herzlich um den Einsatz,<br />

dass wir dieses beson<strong>der</strong>e Fach bewahren!<br />

Wir alle wissen doch zumindest in den<br />

großen Linien, dass <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />

etwas Kostbares ist. Nicht nur für die Zukunftssicherung<br />

<strong>der</strong> Kirche, son<strong>der</strong>n auch<br />

für das kulturelle Gedächtnis, für die Zukunft<br />

einer Gesellschaft und – gerade in<br />

seiner konfessionellen Ausprägung, mit seiner<br />

Verbindung zur gelebten Religiosität –<br />

von außerordentlicher Bedeutung für alle<br />

Menschen ist. Die Diskussion darüber wird<br />

in den nächsten Jahren heftigst auf uns zukommen!<br />

Deswegen ist es notwendig und ich bin<br />

auch dankbar, dass wir unser geistiges


66 Reinhard Marx<br />

Rüstzeug präparieren, denn wir wollen<br />

eine geistige Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

Argumenten führen, die auch den überzeugen,<br />

<strong>der</strong> vielleicht zunächst <strong>der</strong> Meinung<br />

ist, Religionsunterricht sei mittlerweile<br />

überholt. Wir wollen ihn überzeugen,<br />

vor allen Dingen auch in den politischen<br />

Parteien unsere Überzeugungen<br />

wachhalten.<br />

Wir haben ja gegenwärtig eine Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

um den Religionsunterricht in<br />

Berlin, die für uns als katholische und<br />

evangelische Kirche ein beson<strong>der</strong>es Anliegen<br />

ist: Dort wird <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />

im Grunde nicht mehr in seiner Eigenart<br />

gesehen, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Staat will selber<br />

weltanschaulich unterrichtend tätig sein.<br />

Aber wir haben auch in Bayern politische<br />

Parteien, die das gerne bei uns einführen<br />

würden, und deswegen müssen wir uns auf<br />

diese Auseinan<strong>der</strong>setzung einlassen. Wie<br />

gesagt: mit geistigen Argumenten, in großer<br />

Freundlichkeit und Offenheit, aber<br />

auch mit einer kämpferischen Gesinnung!<br />

Wir meinen, dass hier tatsächlich etwas<br />

Wichtiges für die jungen Leute von uns mit<br />

eingebracht werden kann – nicht weil wir<br />

an Privilegien o<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

hängen, son<strong>der</strong>n weil wir <strong>der</strong> Überzeugung<br />

sind, dass hier etwas sehr Wesentliches<br />

auch für die Zukunft zu bewahren ist.<br />

Denn das ist ein Kernpunkt, <strong>der</strong> mir heute<br />

aufgefallen ist: In <strong>der</strong> Diskussion haben<br />

wir erlebt, dass es in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

um den Religionsunterricht nicht<br />

allein um den Religionsunterricht geht,<br />

son<strong>der</strong>n eigentlich um unsere Gesellschaft<br />

insgesamt: Was hält diese Gesellschaft zusammen,<br />

haben wir gemeinsame Werte,<br />

wollen wir sie miteinan<strong>der</strong> teilen, wie soll<br />

eine offene Gesellschaft aussehen, was ist<br />

ein weltanschaulich neutraler Staat? Auf<br />

jeden Fall kein indifferenter Staat!<br />

Es ist interessant, dass Paul Kirchhof den<br />

Satz von Böckenförde etwas verschärft,<br />

indem er – sinngemäß – gesagt hat: Der<br />

offene Staat, <strong>der</strong> weltanschaulich neutrale<br />

Staat, lebt nicht nur aus Voraussetzungen,<br />

die er selbst nicht schaffen kann, son<strong>der</strong>n<br />

er ist selbst verantwortlich für die Voraussetzungen,<br />

aus denen er lebt, die er aber<br />

nicht selbst schaffen kann.<br />

Das ist eine Verschärfung, gerade im Blick<br />

auf unsere Frage, auf den Religionsunterricht<br />

hin! Wir erleben in <strong>der</strong> Diskussion um<br />

den Religionsunterricht mehr als lediglich<br />

eine spezielle schulinterne Debatte. Wir erleben<br />

vielmehr eine Diskussion <strong>der</strong> Frage:<br />

Was ist eigentlich insgesamt in unserer Gesellschaft<br />

an Bildungsvorstellungen da, an<br />

gemeinsamer Zivilisation, gibt es das noch,<br />

eine gemeinsame Kultur?<br />

In <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung um die Einbürgerung<br />

hat sich diese Grundfrage gezeigt:<br />

Entsprechende Einbürgerungsbogen wurden<br />

verfasst – ich kenne diese nicht auswendig,<br />

aber eigentlich müsste in einem<br />

Einbürgerungsbogen in Bayern o<strong>der</strong> in<br />

Deutschland auch stehen: Kennen Sie die<br />

Zehn Gebote? Auch für einen Nichtchristen<br />

gehört dies zum Bildungskanon. Kann<br />

denn jemand gebildet sein, <strong>der</strong> nicht weiß,<br />

wer Jesus von Nazareth gewesen ist? Ich<br />

meine nicht; dann würde man genauso behaupten,<br />

jemand sei gebildet, <strong>der</strong> Mozart<br />

für den Erfin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Mozartkugeln hielte.<br />

Wir glauben nicht, dass dieser Mensch gebildet<br />

sei, wenn wir den Bildungsbegriff<br />

im umfassenden Sinne verstehen. Es geht<br />

also um mehr als nur um die Zukunft des<br />

Religionsunterrichts, es geht wirklich um<br />

unsere gesellschaftlichen Grundlagen, und<br />

deswegen ist die Debatte so wichtig und<br />

muss sich verzahnen mit den an<strong>der</strong>en gesellschaftlichen<br />

Debatten.<br />

Ich möchte bei dieser Gelegenheit nur drei<br />

Aspekte noch einmal in Erinnerung rufen.<br />

Der eine Aspekt ist <strong>der</strong> anthropologische<br />

Zugang, dass das Thema Religion im Menschen<br />

angelegt ist. Die Frage ist da, also<br />

muss sie behandelt werden. Alles, was <strong>der</strong><br />

Fall ist – Die Welt ist alles, was <strong>der</strong> Fall


Schlusswort 67<br />

ist, so Wittgenstein –, muss auch in <strong>der</strong><br />

Schule einen Bildungsraum, einen Raum<br />

haben, damit man sich auseinan<strong>der</strong>setzt.<br />

Die Erfahrungen des Menschen kommen<br />

eben ohne die religiöse Beziehung nicht<br />

aus, ohne den Bezug zu den Fragen: Gibt<br />

es so etwas wie einen Schöpfer, gibt es so<br />

etwas wie ein ewiges Leben, wo komme<br />

ich her? Dass es notwendig und auch vernünftig<br />

ist, danach zu fragen, ohne immer<br />

sofort eine Antwort zu haben, ist ein ganz<br />

wesentlicher Gesichtspunkt gerade im<br />

christlichen Glauben.<br />

Papst Johannes Paul II. hat das ja in <strong>der</strong><br />

Enzyklika Fides et ratio stark hervorgehoben,<br />

und dies ist mir ein wichtiges Anliegen,<br />

auch im Bewusstsein <strong>der</strong> Kirche. Was<br />

Ministerialdirektor Erhard im Blick auf die<br />

Kirche gesagt hat, beinhaltet auch den<br />

Auftrag an uns, deutlich zu machen:<br />

Christlicher Glaube – so hat es Kardinal<br />

Ratzinger noch vor seiner Zeit als Papst<br />

einmal in einem Vortrag an <strong>der</strong> Sorbonne<br />

formuliert – ist vernunftgeleitete Aufklärung.<br />

Vor allem müssen wir selber als Religionslehrer,<br />

als Kirchenglie<strong>der</strong>, als Theologen,<br />

also als diejenigen, die für das Beson<strong>der</strong>e<br />

des Religionsunterrichtes eintreten,<br />

verdeutlichen, dass wir nicht meinen, Religion<br />

sei ein Residuum aus einer vergangenen<br />

Welt, die eigentlich jetzt überwunden<br />

werden müsse. Vielmehr handelt es sich<br />

um ein Nachdenken, das <strong>der</strong> Vernunft<br />

nicht wi<strong>der</strong>spricht. Wir können im Glauben<br />

sogar die Vernunft weiterführen. Das<br />

war eigentlich durchgehend <strong>der</strong> Anspruch<br />

<strong>der</strong> gesamten jüdisch-christlichen Tradition.<br />

Ich sage das auch in den Gemeinden, und<br />

da sind wir bei einem Aspekt, <strong>der</strong> heute<br />

ebenfalls erwähnt worden ist: Immer weniger<br />

Menschen gehen zur Kirche, weil wir<br />

selber oft das Bewusstsein verloren haben,<br />

dass wir auch die Vorhut <strong>der</strong> Geschichte<br />

sind, und nicht nur die Nachhut; dass wir<br />

nicht nur die Bewahrer einer großen Vergangenheit<br />

sind, son<strong>der</strong>n auch diejenigen,<br />

die dem Menschen für die Zukunft etwas<br />

Wichtiges zu sagen haben. Wenn wir diese<br />

Überzeugung nicht haben, werden wir<br />

auch nicht richtig auf junge Leute zugehen<br />

können!<br />

Deswegen ist es uns aufgetragen, nicht nur<br />

isoliert auf den Religionsunterricht selbst<br />

zu schauen, son<strong>der</strong>n ihn auch im Kontext<br />

des gesamten gesellschaftlichen und kirchlichen<br />

Lebens zu sehen.<br />

Ja, wir müssen wie<strong>der</strong> evangelisieren, wir<br />

müssen uns auf den Weg machen und neu –<br />

und zwar nicht nur im Religionsunterricht<br />

– deutlich machen: Der Religionsunterricht<br />

wird seine Aufgaben nicht leisten<br />

können und wird dann immer ein Son<strong>der</strong>fall<br />

sein, wenn er alleingelassen wird und<br />

in <strong>der</strong> Kirche keine lebendige Aufbruchstimmung<br />

da ist, <strong>der</strong> lebendige Evangelisierungswille<br />

und die Bereitschaft, auch<br />

wie<strong>der</strong> wirklich vom christlichen Glauben<br />

zu überzeugen.<br />

So kommen beispielsweise die Schülerinnen<br />

und Schüler nach Hause und erleben<br />

Eltern, die sagen: Religion ist etwas für die<br />

Großeltern, das brauchen wir nicht, für uns<br />

ist das vorbei! O<strong>der</strong> in einer Pfarrei versammeln<br />

sich tatsächlich nur diejenigen,<br />

die ausschließlich von <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

erzählen.<br />

Für die Zukunftssicherung des Religionsunterrichts<br />

– staatsrechtlich können wir<br />

natürlich kämpfen – würde ich ergänzend<br />

und erweiternd uns als Kirche in die Pflicht<br />

nehmen. Wir müssen auch wie<strong>der</strong> gesellschaftlich,<br />

in unseren Pfarreien, in unseren<br />

Verbänden und in <strong>der</strong> Öffentlichkeit deutlich<br />

machen: Der christliche Glaube ist<br />

keine Sache <strong>der</strong> Vergangenheit, er ist das<br />

große Potenzial für die Zukunft. Ohne dieses<br />

Potenzial wollen wir nicht leben, und<br />

es hat etwas beizutragen zur Gestaltung <strong>der</strong><br />

Gesellschaft, es ist eine positive Zukunfts-


68 Reinhard Marx<br />

vision. Dann könnten wir auch, denke ich,<br />

den Religionsunterricht wie<strong>der</strong> mit einer<br />

an<strong>der</strong>en Dynamik versehen.<br />

Der zweite Gesichtspunkt besteht in <strong>der</strong><br />

kulturellen Dimension. Wie es Professor<br />

Baumstark heute in unübertroffener Weise<br />

ausgedrückt hat, habe ich es selbst immer<br />

wie<strong>der</strong> festgestellt: Wenn man durch ein<br />

Museum geht o<strong>der</strong> Jugendliche in einer<br />

Kirche führt – aber auch Erwachsene,<br />

schauen wir nicht nur auf die Jugend –,<br />

nimmt man ein Unwissen wahr, das wirklich<br />

manchmal erschreckend ist! Dass man<br />

Josef und Maria noch erkennt, darüber<br />

kann man erleichtert sein, aber bei den<br />

Weihnachtsbil<strong>der</strong>n, die wir im Advent<br />

wie<strong>der</strong> sehen werden, stottern einige schon<br />

bei den Hl. Drei Königen gewaltig, und<br />

an<strong>der</strong>e Figuren wie Simeon und Hannah<br />

im Tempel wären für viele äußerst schwierig<br />

zu erraten.<br />

Diese kulturelle Seite ist somit, wie ich<br />

glaube, durchaus ein starkes Argument,<br />

denn in <strong>der</strong> heutigen Zeit – das gilt auch<br />

für Bayern, rund zwei Millionen Menschen<br />

sind in den letzten 15 Jahren zugewan<strong>der</strong>t,<br />

zahlreiche Mitbürger aus Ostdeutschland –<br />

bringen eben viele mit dem christlichen<br />

Glauben keine eigene Tradition mehr in<br />

Verbindung. Dabei zeigt sich gerade, dass<br />

Integration nicht bedeuten muss – das hat<br />

Prälat Pfanzelt sehr gut formuliert und an<strong>der</strong>e<br />

haben es bestätigt –, einfach zu sagen:<br />

Machen wir eine Art Einheitsreligion –<br />

Esperanto war das Stichwort –, versuchen<br />

wir einen allgemeinen Slang zu finden, bei<br />

dem alle mitmachen können. Das dient gerade<br />

nicht <strong>der</strong> Integration, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

Desintegration, <strong>der</strong> Vergleichgültigung,<br />

mit <strong>der</strong> Folge, dass junge Menschen dann<br />

in eigene Szenen abgleiten und sich selber<br />

eine profilierte Weltanschauung basteln.<br />

Eigentlich kann gerade Bayern zeigen,<br />

dass es die Kraft <strong>der</strong> Integration hat, ohne<br />

profillos zu werden. Das ist auch in unseren<br />

Dörfern und Gemeinden die Heraus-<br />

for<strong>der</strong>ung, nicht das Profil einfach<br />

schwammig werden lassen, son<strong>der</strong>n mit<br />

einem starken Profil offen zu sein. Dann<br />

kann auch Integration erfolgen. Ähnlich<br />

gilt dies auch für den Religionsunterricht;<br />

insofern hat er eigentlich nur eine Zukunft,<br />

wenn er in <strong>der</strong> starken Verbindung mit <strong>der</strong><br />

gelebten Gläubigkeit präsent ist.<br />

Der kulturelle Aspekt geht aber über die<br />

Frage <strong>der</strong> Museen, <strong>der</strong> Kenntnis <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong><br />

o<strong>der</strong> auch <strong>der</strong> Literatur hinaus, die ohne<br />

Rückgriffe auf biblische Geschichten nicht<br />

auskommt. Raum und Zeit sind ebenfalls<br />

zu gestalten, heute ist im Blick auf den<br />

Sonntag das Wort Entschleunigung gefallen.<br />

Ich sage das auch den Politikern: Ich kämpfe<br />

gerne für das Kreuz in öffentlichen Räumen,<br />

für die öffentlichen Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Religion<br />

in unserer Gesellschaft, das ist weltanschaulich<br />

nicht verboten. Ein weltanschaulich<br />

neutraler Staat muss nicht indifferent<br />

sein, er steht zu seiner eigenen Tradition<br />

und kann sich auch unterschiedlich zu den<br />

Religionen verhalten. Er muss es aber begründen,<br />

dass das Christentum für Bayern<br />

eine an<strong>der</strong>e Tradition hat als <strong>der</strong> Buddhismus.<br />

Warum soll <strong>der</strong> Staat nicht begründen<br />

können, dass deswegen das Verhalten des<br />

Staates auf diese Religion hin noch einmal<br />

ein beson<strong>der</strong>es ist, ohne intolerant zu sein?<br />

Das ist, glaube ich, ein wichtiges staatsrechtliches<br />

Thema <strong>der</strong> nächsten Jahre!<br />

Für diese kulturelle Seite ist ein Symbol,<br />

das wir wirklich mit den Augen wahrnehmen<br />

können, wichtig, aber eben zum Beispiel<br />

auch <strong>der</strong> Sonntag. Ich habe im politischen<br />

Gespräch gesagt: Ich freue mich,<br />

wenn die Staatsregierung mit dafür sorgt,<br />

dass das Kreuz und die Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Heiligen<br />

in unserer Landschaft, auch in den Schulen,<br />

auch in den öffentlichen Schulen<br />

lebendig bleiben. Aber genauso will ich<br />

kämpfen für den Sonntag, das zeitliche<br />

Symbol des christlichen Glaubens, das einschneidet<br />

in unsere Tagesabläufe, in unsere<br />

wirtschaftliche Logik. Ich will eintreten für


Schlusswort 69<br />

die "Sabbatkultur", wie man es auch nennt.<br />

Die kürzeste Definition von Religion lautet<br />

ja, nach Johann Baptist Metz, Unterbrechung.<br />

Der Schutz des Sonntags ist etwas<br />

so Kulturprägendes, er ist so kostbar wie<br />

<strong>der</strong> Kölner Dom, nein, er ist kostbarer!<br />

Wenn wir den Sonntag verlieren als eine<br />

Errungenschaft, als einen Raum, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>s<br />

als <strong>der</strong> Alltag geprägt ist, dann verlieren<br />

wir mehr als ein paar Gemälde o<strong>der</strong> ein<br />

paar Gebäude.<br />

Ein drittes Stichwort ist Demokratietheorie:<br />

Der Religionsunterricht und seine<br />

Stellung zeigen auch etwas über die demokratietheoretische<br />

Debatte. Udo Di Fabio<br />

hat vor einigen Wochen ein Buch über<br />

Staat und Kirche herausgegeben. Ich sehe<br />

mit großer Freude, dass nicht nur im Bezug<br />

auf den Religionsunterricht, son<strong>der</strong>n insgesamt<br />

dieses Diskussionsfeld des Verhältnisses<br />

von Staat und Kirche neu in den<br />

Blick kommt. Nicht in <strong>der</strong> Perspektive:<br />

Machen wir uns die Kirche dienstbar! Ich<br />

habe beispielsweise Bürgermeistern, die<br />

sich bei einem Gemeindetag für christliche<br />

Werte ausgesprochen haben, natürlich beigepflichtet,<br />

dass wir gemeinsam dafür<br />

kämpfen müssen. Man kann aber nur für die<br />

christlichen Werte kämpfen, und nur dann<br />

bleiben sie letztlich lebendig, wenn man an<br />

Christus glaubt! Man kann "die christlichen<br />

Werte" nicht abschöpfen wie einen Rahm<br />

und <strong>der</strong> Auffassung sein, <strong>der</strong> Glaube und<br />

die Religionsausübung seien nicht so wichtig.<br />

Es ist ein falsch verstandener Kant, zu<br />

meinen: Religion nur innerhalb <strong>der</strong> Grenzen<br />

<strong>der</strong> reinen Vernunft, das Liturgische und<br />

das Dogmatische seien wegzulassen, die<br />

Ethik herauszunehmen, dann hätte man im<br />

Grunde den "Kern von Religion". Wie man<br />

weiß, ist das ein Konstrukt.<br />

Es wurde heute auch danach gefragt, ob es<br />

ethische Begründungen auch außerhalb des<br />

Christentums gebe. Natürlich gibt es das.<br />

Wir glauben daran, dass es eine gemeinsame<br />

Menschennatur gibt und je<strong>der</strong> Mensch<br />

Bild Gottes ist, nicht nur <strong>der</strong> Christ!<br />

Der revolutionärste Satz, <strong>der</strong> jemals auf<br />

dieser Erde über den Menschen gesagt<br />

wurde, so hat es meines Wissens Paul<br />

Kirchhof formuliert, ist einer <strong>der</strong> ersten<br />

Sätze <strong>der</strong> Hl. Schrift: Als Bild Gottes schuf<br />

er ihn, als Mann und Frau schuf er sie. Was<br />

will das aussagen? Der Mensch ist Gottes<br />

Ebenbild und alle Menschen sind gleich.<br />

Wir alle stammen von einem Elternpaar ab,<br />

gehören also alle zu einer Familie, sind<br />

eine Menschheitsfamilie! Die jüdischchristliche<br />

Tradition war nicht immer auf<br />

<strong>der</strong> Höhe dieser Erkenntnis. Das muss man<br />

so bekennen, aber sie hat den Satz nicht<br />

gestrichen, er steht im Gedächtnis <strong>der</strong><br />

Menschheit als <strong>der</strong> revolutionärste Satz<br />

überhaupt. Es gibt keinen vergleichbaren<br />

Satz! Das wäre im Grunde ein erneuter<br />

Hinweis darauf, sich <strong>der</strong> eigenen Schätze<br />

bewusst zu werden.<br />

Demokratietheoretisch wird man nur dann<br />

weiterdiskutieren können, wenn wir auch<br />

das Verhältnis von Staat und Kirche in guter<br />

Weise auf eine neue Grundlage stellen o<strong>der</strong><br />

jedenfalls noch einmal neu formulieren –<br />

auch angesichts <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten Bedingungen.<br />

Die Väter des Grundgesetzes haben<br />

damals nicht daran gedacht, dass wir einmal<br />

in diesen Größenordnungen mit Muslimen<br />

zusammenleben, mit Buddhisten, mit Menschen,<br />

die aus <strong>der</strong> Kirche ausgetreten sind.<br />

Das war gar nicht im damaligen Blickfeld!<br />

Jetzt leben wir in dieser Gesellschaft, und<br />

wir wollen auch darin leben! Aber das for<strong>der</strong>t<br />

uns heute heraus, dieses Verhältnis neu<br />

zu interpretieren und auf feste Grundlagen<br />

zu stellen, denn sonst hängt auch <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />

in <strong>der</strong> Luft.<br />

Ich glaube, wir haben in den letzten Jahrzehnten<br />

durch die Diskussion um den Religionsunterricht<br />

und durch die Qualitätsstandards<br />

auch wie<strong>der</strong> Schwung bekommen.<br />

Und das Gefühl, das manche zu<br />

Beginn <strong>der</strong> 70er-Jahre hatten – vielleicht<br />

als Religionslehrer, aber auch von den<br />

an<strong>der</strong>en Fachkollegen her –, Religion bedeute<br />

vor allem "Singen, Springen, Beten"


70 Reinhard Marx<br />

ist gewichen. Das möchte ich auch bei<br />

Ihnen stark machen, bei Ihnen als Religionslehrerinnen<br />

und Religionslehrern: Seien<br />

Sie sich bewusst, Sie unterrichten ein Fach,<br />

das nicht weniger wert ist als eines <strong>der</strong> sogenannten<br />

Hauptfächer, son<strong>der</strong>n ein wirklich<br />

anspruchsvolles und umfassendes<br />

Fach mit einem Bildungsprogramm, das<br />

sich beispielsweise von Textanalyse, Geschichtsunterricht<br />

bis hin zu Lebenserfahrung<br />

und <strong>der</strong>en Reflexion erstreckt. Sie<br />

wissen, was Religionsunterricht alles bedeuten<br />

kann; was auch an Theologie auf<br />

einem Niveau dargeboten wird, dass<br />

Schülerinnen und Schüler darauf einsteigen<br />

können, ist faszinierend! Sie machen<br />

eine großartige Arbeit, Religionsunterricht<br />

ist ein starkes Fach. Lassen Sie sich nicht<br />

einreden, Sie verträten irgendein unbedeutendes<br />

Fach, das irgendwann überholt und<br />

überflüssig sei! Da steht die Kirche hinter<br />

Ihnen, in diesem Kampf stehen wir gemeinsam.<br />

In Bayern ist es wirklich so, dass <strong>der</strong> Sinn<br />

dessen, was Religionsunterricht bedeutet,<br />

bei vielen Politikern und auch in den Gemeinden<br />

wach ist, das wissen Sie als Religionslehrkräfte<br />

o<strong>der</strong> als kommunale Vertreter<br />

o<strong>der</strong> Verbandsvertreter. Aber auch da<br />

gilt es zu kämpfen, auch da gibt es manche,<br />

die meinen, wenn schon Unterricht ausfällt,<br />

da ist es am besten, wenn – neben Sport und<br />

Musik – Religion davon betroffen ist, aber<br />

auf keinen Fall Englisch o<strong>der</strong> Mathematik!<br />

Als sei Bildung im Grunde genommen nur<br />

nach Funktionalitäten zu bemessen, die man<br />

leicht abrufen kann. Da steht ein Bildungsbegriff<br />

im Hintergrund, <strong>der</strong> viel zu kurz<br />

greift, aber auch das ist heute intensiv ausgeführt<br />

worden.<br />

Anmerkung<br />

*<br />

Ich erinnere mich sehr an eine großartige<br />

Erfahrung beim Weltjugendtag in Paris –<br />

da war ich gerade junger Weihbischof – als<br />

Johannes Paul II. zehn junge Erwachsene<br />

taufte. Die Zwanzig-, Zweiundzwanzigjährigen<br />

traten vor, und wie bei <strong>der</strong> Erwachsenentaufe<br />

üblich wurde dann gefragt: Was<br />

erbittest du von <strong>der</strong> Kirche Gottes? Und<br />

je<strong>der</strong> Täufling antwortete: Den Glauben!<br />

Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt, <strong>der</strong><br />

mir seitdem wie<strong>der</strong> intensiver mit auf den<br />

Lebensweg und auf die Reflexionswege<br />

gegeben ist: Es geht nicht nur um unseren<br />

persönlichen Glauben: Was kann ich verstehen,<br />

was kann ich begreifen? Son<strong>der</strong>n es<br />

geht darum, dass man im Religionsunterricht,<br />

in <strong>der</strong> Katechese und im Mitleben mit<br />

<strong>der</strong> Kirche hineinwächst in einen Glauben,<br />

in ein Zeugnis, das größer ist als ich. Vergleichbar<br />

mit einem großen Garten, in den<br />

ich eintrete und in dem ich verschiedene<br />

Pflanzen sehe. Diese Vielfalt zu entdecken<br />

und nicht nur das zu akzeptieren, was ich<br />

verstehen kann, son<strong>der</strong>n alles anzusehen<br />

und nicht sofort Einzelnes zu verwerfen.<br />

Wenn wir also gemeinsam für den Religionsunterricht<br />

eintreten, tun wir einen<br />

Dienst an den Menschen. Wir versuchen,<br />

den jungen Menschen, die ja getauft sind,<br />

deutlich zu machen, aus welcher Tradition<br />

sie kommen, aber wir eröffnen und erschließen<br />

ihnen auch die Potenziale, die<br />

Kraftquellen, die für die Zukunft ihres Lebens<br />

und für die Zukunft unserer Gesellschaft<br />

wichtig sind.<br />

Das Evangelium Jesu Christi, das Evangelium<br />

von <strong>der</strong> Frohen Botschaft, von dem<br />

Gott, <strong>der</strong> unter uns Mensch geworden ist,<br />

ist auch in tausend Jahren nicht überholt.<br />

Der Stil des mündlichen Vortrags wurde bewusst beibehalten. Es wurden nur geringfügige Än<strong>der</strong>ungen<br />

vorgenommen.


Baumstark, Reinhold, Prof. Dr.<br />

Generaldirektor a.D. <strong>der</strong> Bayerischen<br />

Staatsgemäldesammlung, München<br />

Bierbaum, Detlev<br />

Oberkirchenrat, Evangelische Landeskirche<br />

Bayern, München<br />

Bodensteiner, Paula<br />

Referentin für Schul- und Bildungspolitik,<br />

Akademie für Politik und Zeitgeschehen<br />

<strong>der</strong> <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-Stifung, München<br />

Dressler, Bernhard, Prof. Dr.<br />

Fachbereich Evangelische Theologie, Philipps-Universität<br />

Marburg<br />

Erhard, Josef<br />

MD, Amtschef im Bayerischen Staatsministerium<br />

für Unterricht und Kultus, München<br />

Görnitz, Thomas, Prof. Dr.<br />

Institut für Didaktik <strong>der</strong> Physik, Johann-<br />

Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt<br />

Herget, Ferdinand, Dr.<br />

Wissenschaftlicher Referent im Religionspädagogischen<br />

Zentrum in Bayern, München<br />

Autorenverzeichnis<br />

Jestaedt, Matthias, Prof. Dr.<br />

Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Friedrich-<br />

Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-Nürnberg<br />

Marx, Reinhard, Dr.<br />

Erzbischof von München und Freising,<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Freisinger Bischofskonferenz<br />

Pfanzelt, Erich<br />

Prälat, Domkapitular, Leiter des Katholischen<br />

Schulkommissariats in Bayern,<br />

München<br />

Vossenkuhl, Wilhelm, Prof. Dr.<br />

Lehrstuhl für Philosophie I, Ludwig-<br />

Maximilian-Universität München<br />

Weidinger, Norbert, Dr.<br />

Direktor, Wissenschaftlicher Referent am<br />

Religionspädagogischen Zentrum in Bayern,<br />

München<br />

Zehetmair, Hans, Dr. h.c. mult.<br />

Staatsminister a.D., Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong>, München


Verantwortlich:<br />

Dr. Reinhard C. Meier-Walser<br />

Leiter <strong>der</strong> Akademie für Politik und Zeitgeschehen, <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong>, München<br />

Herausgeber:<br />

Paula Bodensteiner<br />

Referentin für Bildungs- und Schulpolitik, Akademie für Politik und Zeitgeschehen,<br />

<strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong>, München<br />

Dr. Norbert Weidinger<br />

Direktor, Wissenschaftlicher Referent am Religionspädagogischen Zentrum in Bayern,<br />

München – i.A. des Katholischen Schulkommissariats in Bayern


"Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen"<br />

Die "Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen" werden ab Nr. 14 parallel zur Druckfassung<br />

auch zum Herunterladen auf <strong>der</strong> Homepage <strong>der</strong> <strong>Hanns</strong>-<strong>Seidel</strong>-<strong>Stiftung</strong> angeboten:<br />

www.hss.de. Ausgaben, die noch nicht vergriffen sind, können per Klick auf "<strong>Publikation</strong>en"<br />

o<strong>der</strong> telefonisch unter 089/1258-263 kostenfrei bestellt werden.<br />

Nr. 1 Berufsvorbereitende Programme für Studierende an deutschen Universitäten<br />

Nr. 2 Zukunft sichern: Teilhabegesellschaft durch Vermögensbildung<br />

Nr. 3 Start in die Zukunft – Das Future-Board<br />

Nr. 4 Die Bundeswehr – Grundlagen, Rollen, Aufgaben<br />

Nr. 5 "Stille Allianz"? Die deutsch-britischen Beziehungen im neuen Europa<br />

Nr. 6 Neue Herausfor<strong>der</strong>ungen für die Sicherheit Europas<br />

Nr. 7 Aspekte <strong>der</strong> Erweiterung und Vertiefung <strong>der</strong> Europäischen Union<br />

Nr. 8 Möglichkeiten und Wege <strong>der</strong> Zusammenarbeit <strong>der</strong> Museen in Mittel- und<br />

Osteuropa<br />

Nr. 9 Sicherheit in Zentral- und Südasien – Determinanten eines Krisenherdes<br />

Nr. 10 Die gestaltende Rolle <strong>der</strong> Frau im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

Nr. 11 Griechenland: Politik und Perspektiven<br />

Nr. 12 Russland und <strong>der</strong> Westen<br />

Nr. 13 Die neue Familie: Familienleitbil<strong>der</strong> – Familienrealitäten<br />

Nr. 14 Kommunistische und postkommunistische Parteien in Osteuropa –<br />

Ausgewählte Fallstudien<br />

Nr. 15 Doppelqualifikation: Berufsausbildung und Studienberechtigung –<br />

Leistungsfähige in <strong>der</strong> beruflichen Erstausbildung<br />

Nr. 16 Qualitätssteigerung im Bildungswesen: Innere Schulreform –<br />

Auftrag für Schulleitungen und Kollegien<br />

Nr. 17 Die Beziehungen <strong>der</strong> Volksrepublik China zu Westeuropa –<br />

Bilanz und Ausblick am Beginn des 21. Jahrhun<strong>der</strong>ts


Nr. 18 Auf <strong>der</strong> ewigen Suche nach dem Frieden – Neue und alte Bedingungen für die<br />

Friedenssicherung<br />

Nr. 19 Die islamischen Staaten und ihr Verhältnis zur westlichen Welt –<br />

Ausgewählte Aspekte<br />

Nr. 20 Die PDS: Zustand und Entwicklungsperspektiven<br />

Nr. 21 Deutschland und Frankreich: Gemeinsame Zukunftsfragen<br />

Nr. 22 Bessere Justiz durch dreigliedrigen Justizaufbau?<br />

Nr. 23 Konservative Parteien in <strong>der</strong> Opposition – Ausgewählte Fallbeispiele<br />

Nr. 24 Gesellschaftliche Herausfor<strong>der</strong>ungen aus westlicher und östlicher Perspektive –<br />

Ein deutsch-koreanischer Dialog<br />

Nr. 25 Chinas Rolle in <strong>der</strong> Weltpolitik<br />

Nr. 26 Lernmodelle <strong>der</strong> Zukunft am Beispiel <strong>der</strong> Medizin<br />

Nr. 27 Grundrechte – Grundpflichten: eine untrennbare Verbindung<br />

Nr. 28 Gegen Völkermord und Vertreibung – Die Überwindung des zwanzigsten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

Nr. 29 Spanien und Europa<br />

Nr. 30 Elternverantwortung und Generationenethik in einer freiheitlichen Gesellschaft<br />

Nr. 31 Die Clinton-Präsidentschaft – ein Rückblick<br />

Nr. 32 Alte und neue Deutsche? Staatsangehörigkeits- und Integrationspolitik auf dem<br />

Prüfstand<br />

Nr. 33 Perspektiven zur Regelung des Internetversandhandels von Arzneimitteln<br />

Nr. 34 Die Zukunft <strong>der</strong> NATO<br />

Nr. 35 Frankophonie – nationale und internationale Dimensionen<br />

Nr. 36 Neue Wege in <strong>der</strong> Prävention<br />

Nr. 37 Italien im Aufbruch – eine Zwischenbilanz<br />

Nr. 38 Qualifizierung und Beschäftigung<br />

Nr. 39 Moral im Kontext unternehmerischen Denkens und Handelns


Nr. 40 Terrorismus und Recht – Der wehrhafte Rechtsstaat<br />

Nr. 41 Indien heute – Brennpunkte seiner Innenpolitik<br />

Nr. 42 Deutschland und seine Partner im Osten – Gemeinsame Kulturarbeit im<br />

erweiterten Europa<br />

Nr. 43 Herausfor<strong>der</strong>ung Europa – Die Christen im Spannungsfeld von nationaler Identität,<br />

demokratischer Gesellschaft und politischer Kultur<br />

Nr. 44 Die Universalität <strong>der</strong> Menschenrechte<br />

Nr. 45 Reformfähigkeit und Reformstau – ein europäischer Vergleich<br />

Nr. 46 Aktive Bürgergesellschaft durch bundesweite Volksentscheide?<br />

Direkte Demokratie in <strong>der</strong> Diskussion<br />

Nr. 47 Die Zukunft <strong>der</strong> Demokratie – Politische Herausfor<strong>der</strong>ungen zu Beginn des<br />

21. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

Nr. 48 Nachhaltige Zukunftsstrategien für Bayern – Zum Stellenwert von Ökonomie,<br />

Ethik und Bürgerengagement<br />

Nr. 49 Globalisierung und demografischer Wandel – Fakten und Konsequenzen zweier<br />

Megatrends<br />

Nr. 50 Islamistischer Terrorismus und Massenvernichtungsmittel<br />

Nr. 51 Rumänien und Bulgarien vor den Toren <strong>der</strong> EU<br />

Nr. 52 Bürgerschaftliches Engagement im Sozialstaat<br />

Nr. 53 Kin<strong>der</strong> philosophieren<br />

Nr. 54 Perspektiven für die Agrarwirtschaft im Alpenraum<br />

Nr. 55 Brasilien – Großmacht in Lateinamerika<br />

Nr. 56 Rauschgift, Organisierte Kriminalität und Terrorismus<br />

Nr. 57 Fröhlicher Patriotismus? Eine WM-Nachlese<br />

Nr. 58 Bildung in Bestform – Welche Schule braucht Bayern?<br />

Nr. 59 "Sie werden Euch hassen ..." – Christenverfolgung weltweit<br />

Nr. 60 Vergangenheitsbewältigung im Osten – Russland, Polen, Rumänien<br />

Nr 61 Die Ukraine – Partner <strong>der</strong> EU


Nr. 62 Der Weg Pakistans – Rückblick und Ausblick<br />

Nr. 63 Von den Ideen zum Erfolg: Bildung im Wandel<br />

Nr. 64 Religionsunterricht in offener Gesellschaft

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