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Welche Lohnsteigerungsrate ist volkswirtschaftlich richtig?

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34<br />

profi Wissen Volkswirtschaft<br />

<strong>Welche</strong> <strong>Lohnsteigerungsrate</strong> <strong>ist</strong><br />

<strong>volkswirtschaftlich</strong> <strong>richtig</strong>?<br />

Die Reallöhne in Deutschland sind in den letzten zehn Jahren nicht gestiegen, die Bruttoverdienste<br />

2009 sogar um 0,4 Prozent gefallen. War die Lohnzurückhaltung in Zeiten<br />

minimalen Wirtschaftswachstums <strong>volkswirtschaftlich</strong> vernünftig, so mehren sich die Stimmen,<br />

die für die bevorstehende Wachstumsphase „kräftige“ Lohnerhöhungen fordern.<br />

Autor<br />

Jürgen Hormes<br />

Das Problem der <strong>volkswirtschaftlich</strong><br />

„<strong>richtig</strong>en“ <strong>Lohnsteigerungsrate</strong><br />

gehört zu den umstrittensten<br />

Themen in der Volkswirtschaftslehre.<br />

Das liegt an der Dualität von<br />

Löhnen. Auf der einen Seite sind<br />

sie Grundlage für die Nachfrage,<br />

auf der anderen Seite sind sie Kosten.<br />

Daraus resultieren auch die<br />

Interessenkonflikte zwischen Gewerkschaften<br />

und Arbeitgebern<br />

und ihre gegensätzlichen Argumentationen.<br />

Gibt es – zumindest<br />

theoretisch – eine Basis, in der diese<br />

gegensätzlichen Positionen ausgeglichen<br />

werden können?<br />

Die produktivitätsorientierte<br />

Lohnpolitik<br />

Grundlagen<br />

Die produktivitätsorientierte Lohnpolitik<br />

galt über viele Jahre hinweg<br />

als Grundorientierung in der deutschen<br />

Lohnpolitik. Das Konzept<br />

verfolgt zwei wesentliche Ziele:<br />

Nachfragestabilisierung und Verteilungsgerechtigkeit.Unternehmer<br />

und Beschäftigte sollen gleichermaßen<br />

an dem teilnehmen,<br />

was im Verlauf eines Jahres zusätzlich<br />

erwirtschaftet wird. Basis dieser<br />

Theorie bildet die Arbeitsproduktivität.<br />

Darunter versteht man<br />

das Produktionsergebnis je Arbeitsstunde.<br />

Die produktivitätsorientierte<br />

Lohnpolitik besagt jetzt,<br />

dass eine Lohnerhöhung im Rahmen<br />

des Produktivitätsfortschritts<br />

lohnstückkostenneutral <strong>ist</strong> und die<br />

Verteilungsverhältnisse zwischen<br />

„Arbeit“ und „Kapital“ gleich bleiben.<br />

Ein Beispiel soll dies verdeutlichen:<br />

Produktionsergebnis 6.000<br />

Arbeitsstunden 1.000<br />

Produktivität (Ergebnis:Std.) 6<br />

Stundenlohn 15 €<br />

Lohnsumme (Std. × Lohnsatz)<br />

15.000 €<br />

Lohnstückkosten<br />

(Löhne:Produktionsergebnis) 2,50 €<br />

Verkaufspreis 66 €<br />

Erlös 396.000 €<br />

Erlöse ./. Lohnsumme 381.000 €<br />

Steigt im folgenden Jahr die Produktivität<br />

um 10 Prozent – sei es<br />

dadurch, dass bei gleicher Stundenzahl<br />

10 Prozent mehr Stück<br />

produziert werden können oder<br />

die gleiche Stückzahl mit 10 Prozent<br />

weniger Arbeitsstunden – und<br />

die Löhne werden ebenfalls um 10<br />

Prozent erhöht, ergibt sich folgende<br />

Rechnung (unterstellt, die Stückzahl<br />

wird erhöht):<br />

Produktionsergebnis 6.600<br />

Arbeitsstunden 1.000<br />

Produktivität 6,6<br />

Stundenlohn (+10 %) 16,50 €<br />

Lohnsumme 16.500 €<br />

Lohnstückosten 2,50 €<br />

Verkaufspreis 66 €<br />

Erlös 435.600 €<br />

Erlöse ./. Lohnsumme (+10 %)<br />

419.100 €<br />

Das Ergebnis einer Lohnerhöhung<br />

nach dem Produktivitätsfortschritt<br />

liegt auf der Hand:<br />

die Lohnstückkosten bleiben<br />

gleich (im Beispiel 2,50 € )<br />

die relative Einkommensverteilung<br />

zwischen Arbeitnehmern<br />

und Arbeitgebern bleibt gleich.<br />

Löhne und Gewinne steigen jeweils<br />

um 10 Prozent.<br />

Probleme einer produktivitätsorientierten<br />

Lohnpolitik<br />

Berechnung der Produktivität<br />

So logisch das Konzept auch erscheint,<br />

es birgt einige wesentliche<br />

Probleme. Etwa dass in manchen<br />

Bereichen die Produktivität nur<br />

schwer oder gar nicht messbar <strong>ist</strong>,<br />

insbesondere im Dienstle<strong>ist</strong>ungsbereich,<br />

z. B. Schulen, Kreditinstitute<br />

oder Versicherungen. Man kann<br />

dann allenfalls den gesamtwirtschaftlichenProduktivitätsfortschritt<br />

zugrunde legen.<br />

Gesamtwirtschaftliche Produktivität<br />

oder branchenbezogen?<br />

Ein weiteres Problem liegt in der<br />

Frage: Nehme ich als Basis den gesamtwirtschaftlichenProduktivitätsfortschritt<br />

oder den branchenbezogenen?<br />

Orientiert man sich<br />

am gesamtwirtschaftlichen Fortschritt,<br />

dann kann die Lohnerhöhung<br />

für einige Branchen zu hoch<br />

ausfallen, für andere kommt es zu<br />

einer Umverteilung zugunsten des<br />

Kapitals, denn fallen die Lohnerhöhungen<br />

geringer aus als der Pro-<br />

geldprofi 01 | 2011


duktivitätsfortschritt, steigen die<br />

Gewinne der Unternehmen. Eine<br />

Orientierung am branchenbezogenen<br />

Fortschritt würde zu einer starken<br />

Verzerrung der Lohnverhältnisse<br />

führen.<br />

Produktivität nicht gleich Gewinn<br />

Das obige Zahlenbeispiel geht davon<br />

aus, dass das Unternehmen<br />

nur Lohnkosten hat und die „Mehrproduktion“<br />

zu gleichen Preisen<br />

verkauft werden kann. Das muss<br />

aber nicht der Fall sein. Das Unternehmen<br />

hat noch andere Kosten,<br />

die den Gewinn beeinflussen.<br />

Genauso können die Preise die Ertragslage<br />

positiv oder negativ beeinflussen.<br />

Kein Inflationsausgleich<br />

Die produktivitätsorientierte Lohnpolitik<br />

sieht prinzipiell keinen Inflationsausgleich<br />

vor. Von den<br />

Lohnstückkosten her dürfte es eigentlich<br />

auch keine Notwendigkeit<br />

einer Preiserhöhung geben. Steigen<br />

dagegen andere Kosten (z. B.<br />

Rohstoffe oder Steuern), müssen<br />

dies die Verbraucher tragen, da bei<br />

einem Inflationsausgleich über<br />

Lohnerhöhungen etwa die erhöhten<br />

Rohstoffpreise von den Unternehmen<br />

doppelt bezahlt werden<br />

müssten, einmal über den Kaufpreis<br />

der Rohstoffe und dann noch<br />

einmal über die Lohnerhöhung.<br />

Umverteilung<br />

Ein wesentlicher Aspekt der produktivitätsorientierten<br />

Lohnpolitik<br />

<strong>ist</strong> die Verteilungsgerechtigkeit.<br />

Abbildung 1:<br />

Das Abc der Lohnpolitik<br />

Sieht man die prozentuale Steigerung<br />

von Löhnen und Gewinnen,<br />

<strong>ist</strong> die Aussage sicherlich <strong>richtig</strong>. In<br />

absoluten Werten dagegen geht<br />

die Schere zwischen Löhnen und<br />

Gewinnen immer weiter auseinander.<br />

Das liegt an den unterschiedlichen<br />

Basiswerten. 10 Prozent von<br />

381.000 Euro sind eben mehr als<br />

10 Prozent von 15 Euro.<br />

Dies <strong>ist</strong> auch der Grund dafür,<br />

dass die Gewerkschaften in ihre<br />

Lohnforderungen häufig einen sogenannten<br />

„Umverteilungsbonus“<br />

einrechnen, da sie die derzeitige<br />

Einkommensverteilung für „ungerecht“<br />

halten.<br />

Folgen einer zu hohen<br />

Lohnsteigerung<br />

Wie werden Unternehmer reagieren,<br />

wenn die Löhne stärker steigen<br />

als der Produktivitätsfortschritt?<br />

Günstigstenfalls können<br />

sie die gestiegenen Lohnstückkosten<br />

durch Reduzierung anderer<br />

Kosten ausgleichen. Sie können natürlich<br />

auch versuchen, über Preiserhöhungen<br />

die Erträge zu stabilisieren.<br />

Das kann allerdings zu<br />

inflationären Tendenzen führen,<br />

was bei den Arbeitnehmern trotz<br />

Lohnerhöhungen zu einem realen<br />

Kaufkraftverlust führen kann.<br />

Sollten Kostensenkungen und/<br />

oder Preiserhöhungen nicht möglich<br />

sein, würden die Erträge sinken,<br />

was wiederum zu sinkenden<br />

Investitionen und damit zu Verlust<br />

der Wettbewerbsfähigkeit führen<br />

kann – mit negativen Auswirkun-<br />

Lohnsteigerung Produktivitätsfortschritt Kostendruck steigt<br />

höher<br />

=<br />

Mögliche<br />

Folgen<br />

geldprofi 01 | 2011<br />

Preise<br />

erhöhen<br />

Realer<br />

Kaufkraftverlust<br />

Erträge<br />

sinken<br />

Investition<br />

drosseln<br />

Arbeitslosigkeit<br />

Betriebe<br />

schließen<br />

Arbeitskräfte<br />

entlassen<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

Volkswirtschaft profi Wissen 35<br />

gen auf die Beschäftigungslage.<br />

Der Unternehmer wird natürlich<br />

versuchen, durch Rationalisierung,<br />

also durch Entlassungen, die<br />

zu hohen Lohnkosten zu senken.<br />

Sollte dies nicht möglich sein, wird<br />

er im schlimmsten Fall den Betrieb<br />

schließen müssen. Damit würde<br />

aber wiederum die Arbeitslosigkeit<br />

insgesamt zunehmen (vgl. Ab bildung<br />

1).<br />

Die kostenniveauneutrale<br />

Lohnpolitik<br />

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung<br />

der gesamtwirtschaftlichen<br />

Entwicklung hat anfangs die<br />

produktivitätsorientierte Lohnpolitik<br />

favorisiert, sie später allerdings<br />

weiterentwickelt. Seine Forderung<br />

lautet, dass die Lohnpolitik<br />

darauf zu achten hat, dass das gesamte<br />

Kostenniveau der Unternehmen<br />

gleich bleibt und sich nicht<br />

nur nach dem Produktivitätsfortschritt<br />

richten darf.<br />

Der Spielraum für die Lohnerhöhung<br />

ergibt sich aus dem durch Zu-<br />

oder Abschläge korrigierten Produktivitätsanstieg.<br />

Zuschläge gibt<br />

es, wenn Kosten wie zum Beispiel<br />

Kapitalkosten, Rohstoff- und Energiekosten<br />

sinken. Umgekehrt sind<br />

Abschläge nötig, wenn andere Kosten<br />

steigen. Der Sachverständigenrat<br />

akzeptiert aber auch, dass<br />

eine „unvermeidliche“ Preissteigerungsrate<br />

in die Lohnerhöhung<br />

eingebaut wird.<br />

Expansive Lohnpolitik<br />

„Autos kaufen keine Autos.“ Diese<br />

Aussage von Henry Ford könnte das<br />

Konzept einer expansiven Lohnpolitik<br />

sein, die die Gewerkschaften<br />

vertreten. Die Gewerkschaften fordern<br />

für die Arbeitnehmer den<br />

Produktivitätsfortschritt, einen Inflationsausgleich<br />

und einen Umverteilungsbonus.<br />

Der Kerngedanke<br />

dabei <strong>ist</strong>, dass Lohnerhöhungen<br />

über den Produktivitätsfortschritt<br />

plus Inflationsausgleich zulasten<br />

der Gewinne geht, die Einkommen<br />

der Arbeitnehmer verbessern. Da<br />

die Arbeitnehmer mit ihren Einkommen<br />

eher Produkte nachfragen<br />

als die Unternehmer, führt dies zu<br />

mehr Wachstum in der Volkswirtschaft.<br />

Zudem führt es zu einer in<br />

ihren Augen „gerechteren“ Einkommensverteilung.<br />

g

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