Der talentierte Monsieur Jaquet
Der talentierte Monsieur Jaquet
Der talentierte Monsieur Jaquet
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unklar. Jean-Pierre <strong>Jaquet</strong> bringt keine Entschuldigung,<br />
ringt nicht um Erklärungen. <strong>Der</strong> Patron erklärt nur, wie die<br />
Dinge sind.<br />
Da waren diese «gefälschten» Uhren der Marke Franck<br />
Muller: Schachteln und Vitrinen voller solcher Stücke fanden<br />
die Ermittler in den Büros von Jean-Pierre <strong>Jaquet</strong>. Uhren<br />
ohne Seriennummern, Uhren, die in keinem Katalog<br />
verzeichnet waren, Fälschungen, die man technisch kaum<br />
von echten Uhren unterscheiden konnte. Bei dem Thema<br />
wird das Gesicht des Patrons finster. «Ich habe fünfzehn<br />
«Ich bin wie ein Viehhändler», sagt <strong>Jaquet</strong>.<br />
Es sei ja auch nie vorgesehen gewesen, dass<br />
er Uhrenindustrieller werde.<br />
Jahre mit Franck Muller gearbeitet. Das sind Uhren aus der<br />
Entwicklung, die nie zum Verkauf bestimmt waren», sagt<br />
er. Die Polizei habe ins Herz der Firmengeschichte seiner<br />
<strong>Jaquet</strong> SA gegriffen und nicht verstanden, was sie in Händen<br />
hielt: «Ich besitze Tausende von Uhren. Diese Sammlung<br />
ist mein Schatz», sagt er. Darin liege sein ganzes Knowhow,<br />
sein Stolz.<br />
Die Affäre, die ursprünglich «Ulysse 31» geheissen hatte,<br />
weil sie wegen eines Mitarbeiters der Marke Ulysse Nardin<br />
in Le Locle ihren Anfang genommen hatte, der im Verdacht<br />
stand, Golduhren im Wert von einer halben Million Franken<br />
gestohlen zu haben, trug bald den Namen «Affaire <strong>Jaquet</strong>».<br />
Sie enthielt alle Zutaten für wilde Spekulationen. «Es<br />
ist, als hätten die Kardinäle in Rom den Tresor des Vatikans<br />
geleert», sagte Nicolas Hayek. Die Medien fragten, ob es<br />
möglich sei, dass eine der wichtigsten Stützen der Luxusuhrenindustrie<br />
gleichzeitig ihr begabtester Fälscher sei.<br />
Die Frage bedurfte keiner Antwort: Jean-Pierre <strong>Jaquet</strong><br />
war alles zuzutrauen. In La Chaux-de-Fonds erzählte man<br />
sich, dass er zwielichtige Nachtclubs und Cabarets frequentierte.<br />
Dass er es in den Bars der Stadt gelegentlich krachen<br />
liess und am Ende eine Tausendernote auf den Tresen legte.<br />
Man wusste auch, dass er eines Nachts vor einem der<br />
Nachtclubs Opfer eines Angriffs geworden war. Dass man<br />
ihn verprügelt, er aber keine Anzeige erstattet hatte. Das<br />
Treiben dieses <strong>Monsieur</strong> <strong>Jaquet</strong> war der Arbeiterstadt La<br />
Chaux-de-Fonds suspekt.<br />
Niemand würde hinter den stumpfen Fassaden von La<br />
Chaux-de-Fonds eine der florierendsten Branchen der letzten<br />
Jahre vermuten. Niemand würde ahnen, dass hier in kleinen<br />
Ateliers und Privatwohnungen die begehrtesten Stücke<br />
der Schweizer Uhrenindustrie geschaffen werden, deren<br />
Preise eine Million Franken übersteigen können. Niemand<br />
würde glauben, dass hinter den Fenstern dieser abgetakelten<br />
Stadt die Haute Horlogerie blüht. Eine Branche, die es ohne<br />
Jean-Pierre <strong>Jaquet</strong> wahrscheinlich gar nicht gäbe. Es sind<br />
Kleinunternehmer wie er, die im Auftrag der grossen Marken<br />
die Uhren herstellen, die weltweit sehr teuer verkauft wer-<br />
Gold<br />
den, die man aber in den paar Uhrengeschäften von La<br />
Chaux-de-Fonds vergebens sucht. Die Marken liefern das<br />
Design – das Genie allerdings steckt in den Werken und den<br />
Komplikationen. In dieser Disziplin konnten der Firma von<br />
Jean-Pierre <strong>Jaquet</strong> nicht viele das Wasser reichen.<br />
Nur an der Geschäftsdisziplin hat es ihm immer gemangelt.<br />
Es sei ein schlechter Charakterzug von ihm, Geschäfte<br />
per Handschlag abzuschliessen, ohne Verträge und Sicherheiten.<br />
«Ich bin wie ein Viehhändler», sagt <strong>Jaquet</strong>. Es sei ja<br />
auch nie vorgesehen gewesen, dass er Uhrenindustrieller<br />
werde. Damals sei alles sehr schnell gegangen. Seine Sorge<br />
habe nur dem Funktionieren der Firmen gegolten. Da stelle<br />
man nicht für alles eine Quittung aus. Erst erledige man die<br />
Arbeit, die Buchhaltung komme später. «Wenn man auf einer<br />
Welle reitet, hält man sich nicht immer an die Normen»,<br />
sagt er. «Ich habe wohl etwas modifizierte Wertvorstellungen.»<br />
Es muss diese Nonchalance gewesen sein, die die<br />
Untersuchungsbehörden so gegen ihn aufbrachte.<br />
Da war das viele Gold: Mit mehr als einer Tonne habe er<br />
jongliert, errechneten Ermittler. <strong>Der</strong> Miranda-Chef, der der<br />
Mittäterschaft am Raub vor seinen Toren überführt wurde,<br />
sagte aus, dass er <strong>Jaquet</strong> Gold geliefert habe. Die Teile fügten<br />
sich perfekt zusammen: Jean-Pierre <strong>Jaquet</strong>, der Goldräuber,<br />
Hehler, Uhrenfälscher. Dass bei der Herstellung<br />
von Uhrenteilen zum Teil über 90 Prozent des Goldes in der<br />
Wiederaufbereitung landen, die Menge also falsch berechnet<br />
war, wussten die Polizisten da noch nicht.<br />
Er hat schon immer ein Faible für Wertsachen gehabt.<br />
<strong>Der</strong> Sohn einer Fahrenden hat nie eine Ausbildung beendet.<br />
Statt die Schulbank zu drücken, habe er Altmetall gesammelt,<br />
um es gegen Bargeld zu tauschen, erzählt <strong>Jaquet</strong>.<br />
Er sei leicht schwerhörig, weil er als kleiner Junge sonntags<br />
am Schiessstand die herunterfallenden Patronenhülsen<br />
sammelte – noch während die Schützen schossen. Später<br />
betätigte er sich als Pfandleiher, Altgold-, Antiquitätenhändler.<br />
Da erwarb er sich den zweifelhaften Ruf, der ihm<br />
noch immer anhaftet: 1980 verbüsste er eine 24-monatige<br />
Haftstrafe wegen Hehlerei. Jean-Pierre <strong>Jaquet</strong> ist einer, der<br />
von ganz unten kam und es bis ganz oben geschafft hat.<br />
Dieser <strong>Monsieur</strong> <strong>Jaquet</strong> kennt viele Neider.<br />
Und er unternahm nichts, damit sich das ändern würde.<br />
Tut es noch heute nicht. «Ich habe kein Problem, in einem<br />
Bistro eine Flasche Wein für 1000 Franken zu trinken», sagt<br />
der stolze Patron, der nach seiner Verhaftung 2003 vierzehn<br />
Monate in Untersuchungshaft sass. Auch bei seinem Prozess<br />
im November 2008 machte er keine Anstalten, die Vorwürfe<br />
durch Kooperation oder Bescheidenheit zu mildern.<br />
«Jean-Pierre <strong>Jaquet</strong> bezahlt für seine Haltung», sagte sein<br />
Anwalt. «Er ist arrogant und ein Provokateur, der nichts<br />
unternahm, die Richter zu besänftigen.»<br />
Das Urteil lautete auf viereinhalb Jahre Zuchthaus wegen<br />
Goldhehlerei und Uhrenfälschung. Das Gericht sprach<br />
von «exotischen» Rechnungen, für die der Patron keine<br />
plausiblen Erklärungen liefern konnte. <strong>Jaquet</strong> wurde noch<br />
im Gerichtssaal verhaftet und in Handschellen abgeführt.<br />
62 04/2009