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Cleversulzbach - Geigerdruck GmbH

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<strong>Cleversulzbach</strong> 1262–2012<br />

<strong>Cleversulzbach</strong><br />

1262-2012<br />

1262–2012<br />

Ein Streifzug durch 750 Jahre Geschichte<br />

Ein Streifzug durch 750 Jahre Geschichte


<strong>Cleversulzbach</strong><br />

1262–2012<br />

Ein Streifzug durch 750 Jahre Geschichte


Mit Beiträgen von:<br />

Dr. Wolfram Angerbauer (†)<br />

Robert Aubele<br />

Wilhelm Blank<br />

Michael Domay<br />

Ewald Eisele<br />

Norbert Gessner<br />

Dr. Hartmut Gräf<br />

Dr. Martin Hees<br />

Doris Heuschele<br />

Norbert Heuser<br />

Wilfried Huber<br />

Eckhard Kreeb<br />

Karl Kuhn<br />

Annegret Plenefisch<br />

Gottfried Reichert<br />

Christel Schenk<br />

Friedrich-W. Schlaghoff<br />

Petra Schön<br />

Rudolf Schwan<br />

Michael Speck<br />

Erna Ültzhöfer<br />

Werner Uhlmann<br />

Ulrich Weber<br />

Lektorat: Birgit Schäfer<br />

ISBN 978-3-86595-465-7<br />

Herausgeber und alle Rechte bei:<br />

Stadt Neuenstadt am Kocher, 2012<br />

Geiger-Verlag, 72160 Horb am Neckar<br />

www.geigerverlag.de<br />

1. Auflage 2012<br />

GD 2050 10 12 HB Bo<br />

Herstellung: <strong>Geigerdruck</strong> <strong>GmbH</strong>, 72160 Horb am Neckar<br />

Gedruckt auf 100 % chlorfrei gebleichtem Papier.


INHALT<br />

Grußwort 8<br />

Vorwort 10<br />

Aus der frühen Geschichte von <strong>Cleversulzbach</strong> –<br />

Zeugen der Vergangenheit<br />

12<br />

Die Wüstungen der Markung <strong>Cleversulzbach</strong> – Dr. Hartmut Gräf 12<br />

Archäologische Fundstellen – Dr. Martin Hees 18<br />

Marksteine, Zeugensteine und die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Grenzsteinbücher – Norbert Gessner<br />

19<br />

Die Sage vom Löff elstein 25<br />

Die Gemeinde und das Gemeindewesen in früherer Zeit 26<br />

Erste urkundliche Erwähnung von <strong>Cleversulzbach</strong> 26<br />

im Jahre 1262 – Eckhard Kreeb<br />

Zur Geschichte von <strong>Cleversulzbach</strong> im Mittelalter und in der 29<br />

frühen Neuzeit – Eckhard Kreeb<br />

Das <strong>Cleversulzbach</strong>er Dorfbuch von 1626 – Norbert Gessner 43<br />

Die erste Gemeindeordnung von <strong>Cleversulzbach</strong> – Friedrich-W. Schlagho 44<br />

Schultheißen und Bürgermeister von <strong>Cleversulzbach</strong> seit dem 51<br />

15. Jahrhundert – Norbert Gessner<br />

Ämter und Amtspersonen – Die Ämterbesetzung in 54<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> im Jahre 1872 – Karl Kuhn, Friedrich-W. Schlagho<br />

Rechnungslegung der kommunalen Verpfl ichtungen – 57<br />

Die Bürgermeisteranstandsrechnung des Johann Martin Hesser 1726/27<br />

Karl Kuhn, Friedrich-W. Schlagho<br />

Bevölkerung 62<br />

Die Bevölkerung im 15./16. Jahrhundert – Dr. Wolfram Angerbauer (†) 62<br />

Lebensgrundlagen eines <strong>Cleversulzbach</strong>er Bürgers – 66<br />

Ein Ausschnitt aus dem Dorfbuch 1626<br />

3


4<br />

Zur Bevölkerungsstatistik im 19. Jahrhundert – 67<br />

Aus den Aufzeichnungen des Totenregisters 1842 bis 1871<br />

Norbert Gessner<br />

Einwanderung und Auswanderung – Gottfried Reichert 73<br />

Wirtschaftliche Grundlagen und natürliche Ressourcen 84<br />

Landwirtschaft in <strong>Cleversulzbach</strong> – Wilhelm Blank, Werner Uhlmann 84<br />

Weinbau im Dorf: Tradition und Veränderung 102<br />

Wilhelm Blank, Werner Uhlmann<br />

Die Schäferei – Werner Uhlmann 108<br />

Das Handwerkszeug des Schäfers: Die Schäferschippe 114<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> und sein Wald – Martin Domay 115<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Eichen und ihre Geschichte 124<br />

Gipsabbau – Petra Schön 126<br />

Der Sulzbach und Fischerei – Martin Domay 128<br />

Infrastruktur 130<br />

Die Wette – Norbert Gessner, Werner Uhlmann 130<br />

Brunnen und Wasserversorgung – Norbert Gessner 134<br />

Straßen und Verkehrswege – Norbert Gessner 143<br />

Transport und Verkehr – Rudolf Schwan 154<br />

Post und Telefon – Rudolf Schwan 159<br />

Einzug der Elektrizität in <strong>Cleversulzbach</strong> – Michael Speck 169<br />

Die <strong>Cleversulzbach</strong>er Feuerwehr – Norbert Gessner 175<br />

Handwerk, Handel und Gewerbe früher und heute 185<br />

Altes Handwerk – Betriebe von heute in <strong>Cleversulzbach</strong> – Petra Schön 185<br />

Metzger, Bäcker und Kolonialwaren: Einkaufen in <strong>Cleversulzbach</strong> 197<br />

Petra Schön<br />

Gastwirtschaften – Rudolf Schwan 202


Von Banken und „Wohnzimmerfi lialen“ – Die Entwicklung des Sparwesens 213<br />

Petra Schön<br />

Gebäude und Einrichtungen in <strong>Cleversulzbach</strong> 216<br />

Das Rathaus von <strong>Cleversulzbach</strong> – Karl Kuhn, Friedrich-W. Schlagho 216<br />

Brechhaus, Flachs und Leineweberei – Gottfried Reichert 230<br />

Das <strong>Cleversulzbach</strong>er Back-, Wasch- und Armenhaus – Werner Uhlmann 236<br />

Die Waagen im Dorf und das Waaghäusle – Werner Uhlmann 248<br />

Die Milchsammelstelle – Rudolf Schwan 251<br />

Gemeindehaus – Kelter-Halle – Rudolf Schwan 254<br />

Die Keltereiche zu <strong>Cleversulzbach</strong> (1883–2004) 258<br />

Schwierige Zeiten 259<br />

Die Revolution von 1848 in <strong>Cleversulzbach</strong> 259<br />

Karl Kuhn, Friedrich W.-Schlagho<br />

Unterm Hakenkreuz – Rudolf Schwan 262<br />

Einer der Hauptscharfrichter des Deutschen Reiches 267<br />

Gottlob Bordt stammt aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Gedenken der Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege 268<br />

Rudolf Schwan<br />

Kirche und kirchliches Leben 287<br />

Die evangelische Kirchengemeinde <strong>Cleversulzbach</strong> – Ulrich Weber 287<br />

Die katholischen Christen in <strong>Cleversulzbach</strong> und ökumenisches Leben<br />

Robert Aubele, Ulrich Weber<br />

304<br />

Versorgung und Betreuung 306<br />

Die Hebammen in <strong>Cleversulzbach</strong> – Norbert Gessner 306<br />

Das Schicksal des <strong>Cleversulzbach</strong>er Knaben Christian Gottlieb Bordt 310<br />

Der <strong>Cleversulzbach</strong>er Kindergarten und seine Entstehung 311<br />

Ewald Eisele, Werner Uhlmann<br />

5


6<br />

Vom Schulwesen in <strong>Cleversulzbach</strong> 322<br />

Zur Geschichte der Schule in <strong>Cleversulzbach</strong> bis um 1800 322<br />

Dr. Wolfram Angerbauer (†)<br />

Der Werdegang des alten Schulhauses an der Kirche – Norbert Gessner 326<br />

Die Schule in <strong>Cleversulzbach</strong> und ihre Lehrer seit dem 18. Jahrhundert 333<br />

Norbert Gessner<br />

Schulunterricht anno dazumal – Norbert Gessner 339<br />

... mit gebotener Strenge – Zucht und Ordnung in Schule und<br />

Alltag im 19. Jahrhundert – Norbert Gessner<br />

343<br />

Lehrerbesoldung im 18. und 19. Jahrhundert – Norbert Gessner 348<br />

Lehrerwohnung im Schulhaus – Das Lehrerwohnhaus an der<br />

Brettacher Straße – Norbert Gessner<br />

352<br />

Einzugsbereich der Volksschule in <strong>Cleversulzbach</strong> – Norbert Gessner 355<br />

Entwicklung zum modernen Gemeinwesen 356<br />

Die Entwicklung von <strong>Cleversulzbach</strong> seit der Eingemeindung<br />

im Jahr 1972 bis heute – Norbert Heuser<br />

356<br />

Gruppen und Vereine, Kultur und Sport 363<br />

Akkordeon-Spielring 1966 <strong>Cleversulzbach</strong> e.V. – Annegret Plenefi sch 363<br />

Mörike-Chor <strong>Cleversulzbach</strong> e.V. – Doris Heuschele 364<br />

Freundeskreis Mörike-Museum <strong>Cleversulzbach</strong> e.V. – Rudolf Schwan 366<br />

Rad- und Motorsportclub <strong>Cleversulzbach</strong> 1921 e.V. – Wilfried Huber 368<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> – Dorf mit Motorsportgeschichte<br />

Norbert Gessner, Rudolf Schwan, Werner Uhlmann<br />

371<br />

Landfrauenverein Neuenstadt, <strong>Cleversulzbach</strong> und Stein e.V.<br />

Christel Schenk<br />

375<br />

Persönlichkeiten 376<br />

Eduard Mörike (1804 –1875) – Rudolf Schwan 376<br />

Schillers Mutter – Rudolf Schwan 378


Pfarrer Rabausch und der Spuk im Pfarrhaus – Rudolf Schwan 380<br />

Pfarrer Franckh und seine Frau Louise, geb. Schiller – Rudolf Schwan 382<br />

Landrat Eugen Kaiser (1879–1945) – Rudolf Schwan 384<br />

Ortsvorsteher Schultheiß Lambert Herrmann (1872–1947) 385<br />

Rudolf Schwan<br />

Bürgermeister Richard Nef (1917–1993) – Rudolf Schwan 389<br />

Erinnerungen an Mörike 391<br />

Eduard Mörike: Der alte Turmhahn 391<br />

Die Mörike-Stube und die Entstehung des Mörike-Museums 396<br />

Rudolf Schwan<br />

Der Mörike-Pfad – Rudolf Schwan 412<br />

Persönliche Erinnerungen 416<br />

Der Neuanfang im März 1946 – Erna Ültzhöfer 416<br />

Eine junge Lehrerin erinnert sich ... Aus dem Tagebuch von Frl. Freimann 419<br />

Barbara Schlegel/Norbert Gessner<br />

Bildnachweis 432<br />

7


8<br />

Grußwort<br />

Im Jahre 1262 wurde <strong>Cleversulzbach</strong> erstmals<br />

urkundlich als „Glefer Sultzbach“ erwähnt.<br />

750 Jahre sind seither vergangen,<br />

in denen die Menschen in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

ihre eigene Geschichte schrieben und somit<br />

diesen Ort prägten.<br />

Das Jubiläum wird mit einem Festwochenende<br />

im September 2012 gebührend gefeiert.<br />

Eine bleibende Erinnerung an die<br />

750-Jahr-Feier und ein beeindruckendes<br />

Zeitdokument ist unser nun erschienenes<br />

Ortsbuch: <strong>Cleversulzbach</strong>. 1262–2012. Ein<br />

Streifzug durch 750 Jahre Geschichte.<br />

Politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche<br />

Veränderungen nehmen stets<br />

Einfl uss auf die Entwicklung eines Ortes<br />

und seiner Bevölkerung.<br />

Das Ortsbuch über <strong>Cleversulzbach</strong> nimmt<br />

sich verschiedener Stationen im Zeitlauf<br />

der Jahrhunderte an und spiegelt Facetten<br />

des gemeindlichen Lebens und des Lebens<br />

der Einwohner von <strong>Cleversulzbach</strong> wider.<br />

Es beleuchtet Zeitabschnitte und Menschen<br />

in ihrem Dasein, in ihrem alltäglichen<br />

Leben so wie auch in ihrem Wirken<br />

in und für die Gemeinschaft.


Das Ortsbuch ist eine reiche Quelle an Informationen.<br />

Seine Leserinnen und Leser<br />

werden Altbekanntes wiederentdecken,<br />

aber auch viel Neues erfahren - aus ferner<br />

wie auch jüngerer Vergangenheit.<br />

„Nur wer seine Vergangenheit kennt, hat<br />

eine Zukunft“, fasste Wilhelm Humboldt<br />

seine Erfahrung über das Nachwirken von<br />

und über den Umgang mit Geschichte<br />

zusammen. Dies gilt nicht nur für die<br />

„große“ Weltgeschichte, es gilt genauso<br />

für die Geschichte eines Ortes und seiner<br />

Menschen.<br />

Wir sind sehr dankbar und stolz auf die<br />

vielen ehrenamtlichen Autoren, die die<br />

Realisierung dieses ehrgeizigen Projektes<br />

durch ihren persönlichen Einsatz ermöglicht<br />

und vielfältige und interessante Einblicke<br />

in das Ortsgeschehen in diesem beeindruckenden<br />

Buch zusammengetragen<br />

haben.<br />

Ein besonderer Dank gilt auch Frau Birgit<br />

Schäfer für das Lektorat und dem Geiger-<br />

Verlag in Horb am Neckar für die Realisierung.<br />

Unser besonderer Dank gilt auch<br />

Herrn Werner Uhlmann, der sich unermüdlich<br />

für die Entstehung des vorliegenden<br />

Bandes einsetzte.<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> trägt heute mit dem überregional<br />

bekannten Mörike-Museum maßgeblich<br />

zur kulturellen Vielfalt der Stadt<br />

Neuenstadt am Kocher bei.<br />

Mit der Idylle „Zu <strong>Cleversulzbach</strong> im Unterland<br />

…“ von Eduard Mörike, der als<br />

Pfarrer und Dichter von 1834 bis 1843 im<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Pfarrhaus lebte, hat der<br />

Ort in der deutschen Lyrik einen festen<br />

Platz inne.<br />

Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen<br />

und beim Eintauchen in die Ortsgeschichte.<br />

Norbert Heuser – Bürgermeister Günther Stahl – Ortsvorsteher<br />

9


10<br />

Vorwort<br />

Ein Geburtstag – nein sicherlich nicht,<br />

schon eher ein Jubiläum eines für <strong>Cleversulzbach</strong><br />

so denkwürdigen Datums, der<br />

ersten urkundlichen Erwähnung unseres<br />

Heimatortes am 8. Oktober 1262. Sicherlich<br />

sind „Wir“ weitaus älter als 750 Jahre.<br />

Wie sonst hätte Engelhard von Weinsberg<br />

an diesem Tag einen Hof mit Zugehör in<br />

„Glefer Sultzbach“ für 60 Pfund an das<br />

Kloster Lichtenstern verkaufen können.<br />

Was wissen wir, und was wusste oder<br />

kannte ich über die Geschichte und die<br />

Vergangenheit unseres Heimatortes?<br />

Einiges ist in der Beschreibung des Oberamtes<br />

Neckarsulm von 1881 nachzulesen.<br />

Auch waren in den vergangenen Jahren<br />

immer wieder Einzelthemen aufgegriff en,<br />

bearbeitet und in „Am Brunnen vor dem<br />

Tore“, den geschichtlichen und heimatkundlichen<br />

Beiträgen zum Amtsblatt der<br />

Stadt Neuenstadt und ihrer Teilorte, publiziert<br />

worden. Aber reichten die bisher<br />

gewonnenen Kenntnisse aus, um die 750.<br />

Wiederkehr der ersten urkundlichen Erwähnung<br />

mit einem größeren Werk über<br />

die Ortsgeschichte gebührend begehen<br />

und feiern zu können?<br />

Dies war die Frage, die sich mir schon vor<br />

einigen Jahren, noch zu meiner Amtszeit<br />

als Ortsvorsteher, stellte. Sollte man das<br />

Wagnis eines Versuchs zur Darstellung<br />

von 750 Jahren wechselvoller Geschichte,<br />

Vergangenheit, Erfahrungen, Freud und<br />

Leid sowie der Entwicklung unserer Heimatgemeinde<br />

von damals bis heute angehen?<br />

Die Antwort war Nein, das reicht<br />

nicht, und doch auch gleichzeitig Ja, das<br />

Wagnis anzugehen.


Der seinerzeitige Ortschaftsrat von <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />

Bürgermeister Norbert Heuser<br />

von Neuenstadt am Kocher sowie die Vorstandschaft<br />

vom Freundeskreis Mörike-<br />

Museum <strong>Cleversulzbach</strong> e. V. (hier ist die<br />

Aufarbeitung der Ortsgeschichte Bestandteil<br />

der Vereinssatzung) wurden über diese<br />

Idee, wohlwissend, dass dies keine leichte<br />

Aufgabe sein würde, informiert.<br />

Nachdem es keine Einwände, wohl aber<br />

fragende Gesichter gab, wie dies zu schaffen<br />

sei, sind wir die Sache angegangen. Die<br />

erste offi zielle Besprechung fand am 5. Februar<br />

2009 zusammen mit Kreisarchivarin<br />

Petra Schön, Gudrun Lohmann von der<br />

Stadtverwaltung, Bürgermeister Norbert<br />

Heuser, Pfarrer Ulrich Weber, Rudolf<br />

Schwan und mir auf dem Rathaus in Neuenstadt<br />

statt. Wichtige Punkte – zum Beispiel,<br />

wer sichert das Vorhaben fi nanziell<br />

ab oder wie sieht der zeitliche Ablaufplan<br />

aus – wurden dabei beraten und besprochen.<br />

Dank an Herrn Bürgermeister Heuser<br />

und den Gemeinderat, dass der wichtige<br />

Punkt der Finanzierung zur Sache der<br />

Stadt erklärt wurde – der Rest gehörte<br />

uns. Nun konnte es ganz offi ziell losgehen.<br />

Autoren wurden gesucht und gefunden.<br />

Alle Autoren sind mit einer gewissen Euphorie<br />

das Wagnis mutig angegangen,<br />

und die meisten haben die Strecke über<br />

die zurückliegenden Jahre hinweg durchgehalten.<br />

Allen, die mit dazu beigetragen haben,<br />

und hier ganz besonders den Autorinnen<br />

und Autoren sowie unserer Lektorin Birgit<br />

Schäfer, das Buch, das keinen Anspruch<br />

auf Vollständigkeit erhebt, was bei solchen<br />

Aufarbeitungen auch nicht möglich<br />

ist, zu dem werden zu lassen, was Sie, was<br />

wir heute in Händen halten können (so<br />

manches Mal hatte ich Zweifel, schlafl ose<br />

Nächte und mochte selbst nicht mehr daran<br />

glauben, dass es noch rechtzeitig fertig<br />

wird), möchte ich an dieser Stelle meinen<br />

herzlichsten Dank aussprechen.<br />

In unserer heutigen schnelllebigen Zeit, in<br />

der nichts mehr von längerem Bestand ist,<br />

außer der Gewissheit der ständigen Veränderung<br />

in immer kürzeren Intervallen,<br />

und dabei zunehmender Orientierungslosigkeit,<br />

welche die bisherigen traditionellen<br />

Fundamente menschlichen Daseins,<br />

welche in Glauben, Familie und Heimat<br />

wurzeln, immer mehr erschüttert und in<br />

Frage stellt, mag es für viele unserer Mitbürger<br />

von Interesse sein, sich auch anhand<br />

des vorliegenden Werkes mit der<br />

Vergangenheit, den Ursprüngen sowie der<br />

Entwicklung unseres Heimatdorfes zu befassen,<br />

sich vielleicht auch an die eigenen<br />

Vorfahren zu erinnern.<br />

Die Geschichte kennen, die Gegenwart<br />

verstehen, hilft uns, die Zukunft zu meistern.<br />

Allen an unserem Ortsbuch Interessierten<br />

wünsche ich beim Lesen viel Freude und<br />

neue interessante Einblicke in 750 Jahre<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Ortsgeschichte.<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>, im September 2012<br />

Werner Uhlmann<br />

11


12<br />

Aus der frühen Geschichte<br />

von <strong>Cleversulzbach</strong> –<br />

Zeugen der Vergangenheit<br />

Die Wüstungen der Markung <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit<br />

war unsere Gegend weitläufi ger besiedelt<br />

als heute. So werden um das Jahr 1500<br />

bei der Beschreibung der Güter und Höfe<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> häufi g bei den Häusern<br />

keine Nachbarn genannt, sondern das<br />

Grundstück stößt „an die Almend“ (Gemeindebesitz<br />

an Wiesen und Wald) oder<br />

an andere Wiesen oder auch Äcker 1 . Insgesamt<br />

können sieben Gruppen von Häusern<br />

unterschieden werden, die untereinander<br />

durch Almende oder Acker getrennt<br />

sind. Von Hof zu Hof konnten also deutliche<br />

Abstände bestehen, es gab noch viel<br />

Platz im Dorf. Bei der Größe der Markung<br />

ist es auch verständlich, dass einzelne<br />

Höfe oder Hofgruppen abseits des Dorfkerns<br />

entstanden. Auf der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Markung sind dies Eberstal, Kiefertal<br />

und vielleicht Binssig – Siedlungen, die<br />

später aufgegeben wurden und nur noch<br />

durch archivalische Notizen und/oder Bodenfunde<br />

nachzuweisen sind. Sie werden<br />

als so genannte Wüstungen erforscht.<br />

Eberstal<br />

Im Sulzbachtal, ca. 1,5 km südlich von<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>, fi nden wir den Flurnamen<br />

Eberstall. Der Ort wird mehrfach im<br />

Wimpfener Anniversar von 970 bis 1270<br />

als Ebernisdal, dann 1302 und 1350 als<br />

Eberstal und Ebertal genannt 2 . In den<br />

österreichisch/württembergischen Lagerbüchern<br />

ist er nicht erwähnt. Das Lager-<br />

buch des Klosters Schöntal von 1490<br />

nennt ein Eberstall mit einer Mühle und<br />

zwölf Häusern und Gütern, jedoch lassen<br />

sich die Namen der Inhaber nicht mit dem<br />

Amt Neuenstadt in Verbindung bringen;<br />

es handelt sich wohl um den heute noch<br />

bestehenden Weiler Eberstal, fünf Kilometer<br />

nördlich von Ingelfi ngen 3 . Dasselbe Lagerbuch<br />

belegt aber in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Schöntaler Lehen zu Eberstall, erkauft von<br />

den zu Lichtenstern, also dem dortigen<br />

Frauenkloster bei Löwenstein. Peter Zimmermann<br />

und Peter Mertz haben damals<br />

ein Lehen zu Eberstal, zu dem ein Acker<br />

am Schwabbacher Weg, ein anderer an<br />

der Diebsclingen und ein weiterer bei der<br />

Mühlwiese gehören. Hanns Walter und<br />

Contz Krettinger haben ein ebensolches<br />

Lehen mit Äckern in der clingen, im Schelmengraben<br />

und vnderm Hagbaum gelegen.<br />

Contz Krettinger hat außerdem das<br />

Manenberglehen, ebenfalls erkauff t von<br />

den zu Liechtenstern mit Äckern am<br />

Schwappacher Pfat. Adam Enderlin hat<br />

das Masselter Lehen zu Eberstatt, das aber<br />

dieselben Lageangaben wie bei Peter Zimmermann<br />

nennt und ebenfalls vom Kloster<br />

Lichtenstern gekauft wurde – es handelt<br />

sich also wohl um einen Schreibfehler<br />

4 . Somit können wir vier Lehen mit fünf<br />

Leheninhabern feststellen. Das spricht für<br />

einen ursprünglich kleinen Weiler mit<br />

Mühle. Bislang ergaben sich noch keine<br />

Funde.


Die Wüstungen des ehemaligen Amts Neuenstadt<br />

Die Flurnamen Schwabbacher Pfad und<br />

Diebsklinge sind eindeutig der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Markung zuzuordnen; die Flurnamen<br />

Schelmengraben, Mühlwiese und<br />

Hagbaum werden heute nicht mehr gebraucht.<br />

Schwieriger wird es mit den Namen<br />

der Inhaber der Lehen. Peter Mertz,<br />

Hans Walter und Adam Enderlin sind in<br />

13


14<br />

der Steuerliste von <strong>Cleversulzbach</strong> von<br />

1495 enthalten, wohnten also damals im<br />

Dorf, Hans Walter sitzt dort auch im Gericht.<br />

Peter Mertz und Adam Enderlin werden<br />

auch in der Musterungsliste 1523 geführt,<br />

aber alle drei Genannten erscheinen<br />

nicht im Lagerbuch, d. h. sie haben keine<br />

weiteren Lehen, höchstens Eigenbesitz. Peter<br />

Zimmermann erscheint nicht in <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />

wir fi nden ihn 1495 und 1523 in<br />

Neuenstadt am Kocher als Steuerzahler<br />

(51 fl , also nur ein geringes Vermögen)<br />

und in der Musterungsliste als „alt Zymerpeter“.<br />

Contz Krettinger ist weder im Amt<br />

Neuenstadt noch im Amt Weinsberg nachzuweisen,<br />

erst 1545 erscheint in Rappach<br />

ein Melhor Kröttinger, der vielleicht aus<br />

dieser Familie stammen könnte. Diese Zerstreuung<br />

der Leheninhaber von Eberstal<br />

erscheint zunächst verwirrend, könnte<br />

aber ein Hinweis sein, dass der Weiler noch<br />

nicht allzu lange zuvor wüst gefallen war.<br />

Die ehemaligen Bewohner zogen in umliegende<br />

Siedlungen, behielten die Lehen am<br />

alten Ort aber über weitere Generationen<br />

bei.<br />

Spätestens seit 1490 hält sich die Aussprache<br />

Eber-Stall. Sie ist sicher eine Verballhornung<br />

des Namens Eberstal, die<br />

Schreibweise -tall ist im 16. Jahrhundert<br />

auch bei Kiefertal oder Wimmental üblich.<br />

Die Endung -tal deutet auf eine<br />

späte Gründung. Vermutlich gehörte der<br />

Ort zum ursprünglichen Ausstattungsgut<br />

des Klosters Lichtenstern um die Mitte<br />

des 13. Jahrhunderts. Wann der Ort oder<br />

die Wüstung vom Kloster Schöntal übernommen<br />

wurde, ist nicht nachzuweisen.<br />

Er ist spätestens Mitte des 15. Jahrhunderts.<br />

abgegangen.<br />

Kiefertal<br />

Bei der Quelle des Sulzbachs fi ndet sich<br />

eine alte Wegespinne, von der aus Zugangswege<br />

aus dem Sulzbachtal zu den<br />

alten Hochstraßen Weißer Weg und Salz-<br />

weg führten. Unweit mündet auch der<br />

Reiterweg von Brettach her in den Salzweg.<br />

Der Flurname Kiefertal erstreckt sich<br />

auch auf den Walddistrikt oberhalb der<br />

Quelle bis zu den Markungsgrenzen zu<br />

Neuenstadt, Eberstadt, Hölzern, Siebeneich<br />

und Brettach und markiert den<br />

Umfang des ehemaligen Hofes.<br />

Es gibt zahlreiche archivalische Nachweise<br />

für den Hof: W. Heim führt 1416 Besitzungen<br />

der Johanniterkommende in<br />

Schwäbisch Hall u. a. in Kiff erthall an 5 . Das<br />

Lagerbuch 1545 nennt für Lehenträger<br />

aus <strong>Cleversulzbach</strong> nur zwei Wiesen von<br />

zusammen 3,5 M im Kieferthall 6 . Der<br />

ganze Rest, nämlich 21 M Wise gut vnd<br />

bös aneinander … stoßen hinab vf den<br />

Wiß weg genannt der Dinkelacker und<br />

179 M Holtz gut vnd bös aneinander zwischen<br />

Pretacher vnnd Sulzbacher [= Sülzbacher]<br />

Wald gelege stoßen oben vff deren<br />

von Holtzern Wald sind an die Presenzhern<br />

zu Weinsberg nämlich Philip<br />

Conlin vnd alt Englert Schrott ausgegeben<br />

gegen jährlich 1fl 3ß 8d und je zwei Alt-<br />

und Junghennen 7 . Im Forstlagerbuch von<br />

1556 wird Kiefertal der Markung Brettach<br />

zugeschrieben: Die Predsenzherren zu Weinsperg<br />

vnd etlich Bürger zu eberstatt haben<br />

im Prettacher Marckh 179 Morgen<br />

bruen Holtz Im Kiff erthal genannt, in<br />

ain Stuck gelegen zwischen Prettacher<br />

vnd Sultzbacher Wald gelegen, stoßen vff<br />

deren von Höltzern 8 . Kiefertal wurde<br />

demnach von mehreren Orten aus beansprucht<br />

und bewirtschaftet und wurde bei<br />

seinem Abgang wohl unter mehrere Markungen<br />

aufgeteilt.<br />

Ein Foto im Luftbildarchiv des Landesdenkmalamtes<br />

Stuttgart zeigt am Ende<br />

des Sulzbachtals Bodenverfärbungen, die<br />

als drei Hausgrundrisse gedeutet werden<br />

können. Intensive Suche und Probegrabungen<br />

einer örtlichen Gruppe unter Helmut<br />

Braun brachten aber keine Ergebnisse<br />

9 . Heute ist das Gelände um die


Quelle durch Umgestaltungen und Ablagerungen<br />

kaum noch zu erkennen.<br />

Das ganze Gebiet von über 200 Morgen<br />

(ca. 70 Hektar) war nach obiger Notiz von<br />

1545 an die Präsenzherren von Weinsberg<br />

ausgegeben, die es sicher nicht selbst bearbeiteten,<br />

sondern von <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Bauern bewirtschaften ließen. Da bisher<br />

keine Spuren der Siedlung gefunden wurden,<br />

wird sie in der Nähe der Sulzbachquelle<br />

als der natürlichen Lage vermutet.<br />

Sehr gesund ist diese sumpfi ge und schattige<br />

Lage allerdings nicht. So ist zu fragen,<br />

ob diese Stelle je dauernd bewohnt war<br />

oder nur als Lagerort für Ernten und Holz<br />

diente. Allerdings sind die vier im Lagerbuch<br />

von 1545 geforderten Hühner oft<br />

auch eine Abgabe für Herdstellen; jedoch<br />

scheinen vier Herdstellen hier sicher zu<br />

viel und die Unterscheidung zwischen Alt-<br />

und Junghühnern bezieht sich wohl auf<br />

einen andern Grund. Denkbar wäre durchaus<br />

auch eine Lage des Hofs oberhalb des<br />

Tals nahe dem Salzweg, wo ja mehrere<br />

Wege zusammen kamen, ähnlich wie beim<br />

Eberfi rst bei Eberstadt.<br />

Ungewöhnlich ist die Vergabe des Gutes<br />

an die Weinsberger Präsenzherren noch<br />

im Jahr 1545 und 1556. Obigen Einträgen<br />

können wir entnehmen, dass Kiefertal<br />

zwischen 1416 und 1545 von den Johannitern<br />

an die Herrschaft Württemberg<br />

überging, mit einiger Wahrscheinlichkeit<br />

im Rahmen der Reformation 1535. Dass es<br />

1545 noch (katholische!) Präsenzherren in<br />

Weinsberg im evangelischen Herzogtum<br />

gab, erstaunt. Diese Präsenzherren waren<br />

eine feine Gesellschaft: Sie waren als<br />

Geistliche von Abgaben, Steuern und<br />

Diensten befreit und sind deshalb in den<br />

Akten kaum nachzuweisen. So fi ndet sich<br />

in der Musterungsliste 1553 zwar ein<br />

ebenfalls steuerfreier Jakob Schrot, ansonsten<br />

ist der Name Schrot(t) um diese<br />

Zeit vor allem in Dimbach und Waldbach<br />

vertreten. Der Name Cunlin wird in Weins-<br />

berg damals nicht genannt, 1524 haben<br />

zwei Brüder Cunlin Acker und Wiese in<br />

Schwabbach, 1528 wird in Gochsen ein<br />

Cunlin genannt, der einen Weinberg in<br />

Eberstadt innehat. Die Präsenzherren Philipp<br />

Cunlin und Alt Englert Schrott haben<br />

ihre Stelle wohl in der Zeit vor der Reformation<br />

erworben und über die Umwälzungen<br />

der Zeit erhalten können, weil der<br />

ehemals geistliche Besitz auch im evangelischen<br />

Herzogtum getrennt verwaltet<br />

wurde.<br />

Deutung und Datierung: Der Name auf<br />

-tal deutet auf eine Gründung in der spätesten<br />

Ausbauphase; die Johanniter und<br />

die Präsenzherren zu Weinsberg als Inhaber<br />

können andeuten, dass der Hof nicht<br />

als Lehen ausgegeben war, sondern als<br />

Wirtschaftshof betrieben wurde. Im<br />

16. Jahrhundert war der Hof sicher abgegangen;<br />

ob er 1416 noch bestand, lässt<br />

sich nicht beurteilen.<br />

Auch in Sagen hat sich die Geschichte<br />

dieses Hofs erhalten:<br />

a) In den Waldhöhen bei <strong>Cleversulzbach</strong><br />

rumort der Häldengeist. Manchmal erscheint<br />

er auch auf den Feldern und versucht,<br />

nächtliche Wanderer mit seinem<br />

Irrlicht vom Weg abzubringen.<br />

b) Auf der Grenze zwischen Brettach und<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> steht der Löff elstein. Er soll<br />

durch einen Streit um den Wald entstanden<br />

sein. Die Brettacher wollten den Wald<br />

durch Versetzen des Grenzsteins an sich<br />

bringen. Dabei schwor ein Förster, dass er<br />

auf Brettacher Boden stehe, weil er einen<br />

Schöpfl öff el Brettacher Erde in seine<br />

Schuhe getan hatte. Zur Strafe für seinen<br />

Meineid fand er nach dem Tod keine Ruhe<br />

und irrt als Häldengeist 10 . – Beide Sagen<br />

bewahren die Erinnerung um die Aufteilung<br />

der Wüstungsmarkung.<br />

Bissing (?)<br />

Vielleicht gibt es auf der Markung <strong>Cleversulzbach</strong><br />

noch eine dritte, bisher nicht<br />

15


16<br />

beachtete Wüstung. Das Lagerbuch 1545<br />

nennt insgesamt sieben Morgen Wiesen<br />

zu Bissing oder zu Bissig 11 , die nicht genau<br />

lokalisiert werden können. Sie dürften<br />

aber nahe dem Flurnamen Binzig zu<br />

suchen sein, der im gleichen Lagerbuch<br />

mehrfach erscheint 12 . Die Präposition „zu“<br />

deutet im alten Sprachgebrauch häufi g<br />

eine Ortslage an – aber leider nicht immer.<br />

Es lässt sich deshalb auch nicht entscheiden,<br />

ob es sich dabei um eine Wüstung<br />

handelt, oder ob die Präposition<br />

„zu“ hier nur als Ersatz für „im“ oder „bei“<br />

gebraucht ist. Da es aber mehrfach und<br />

nur vor „Bissi(n)g“ benutzt wird, sollte die<br />

Möglichkeit eines Hinweises auf eine<br />

Wüstung bedacht werden. Auch der benachbarte<br />

„Binsen egarten“ kann auf ein<br />

aufgegebenes Grundstück hinweisen 13 .<br />

Die Inhaber des zu Bissing genannten<br />

Dietmars Lehen, nämlich Hans Gilg, Hieronimus<br />

Knechtlin und Hans Mertz sowie<br />

Ulrich Lump, Xaver Gilg und Georg Mertz,<br />

die Inhaber eines andern Lehens mit Gütern<br />

zu Bissing und Georg Freunds Kinder<br />

und schließlich Georg und Michel Lump,<br />

die zwei weitere Lehen mit Wiesen zu Bissig<br />

haben – sie alle sind auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

nachzuweisen. Auff allend sind<br />

hier die mehrfach genannten Familiennamen<br />

Gilg, Mertz und Lump; sie deuten<br />

darauf hin, dass ein früher größeres Lehen<br />

wohl aufgeteilt wurde. Wie bei den<br />

anderen Wüstungen auch, sollten die<br />

Landwirte, die diese Umgebung bearbeiten,<br />

auf Funde oder Bodenverfärbungen<br />

achten. Maulwurfhaufen und Tierhöhlen<br />

können interessante Beweise aus dem<br />

Untergrund zu Tage fördern.<br />

Vermutlich ist der Ortsname Bissig aus<br />

dem Flurnamen Binzig übernommen worden.<br />

Das weist auf eine späte Gründung,<br />

etwa im 13. oder gar erst 14. Jahrhundert.<br />

Das Ende der Siedlung kann wie folgend<br />

beschrieben mit den benachbarten<br />

Wüstungen im Zusammenhang mit der<br />

Verlagerung von Helmbund gesehen werden.<br />

Warum fi elen die Siedlungsplätze wüst?<br />

So ungewiss wie der Anfang ist auch der<br />

Ausklang dieser wüst gefallenen Siedlungen.<br />

Da wir keine Belege für den Abgang<br />

haben, können wir immerhin über die<br />

Gründe im Rahmen der regionalen Entwicklung<br />

spekulieren. Das ist nicht oft<br />

möglich. Natürlich kam das Ende nicht<br />

von heute auf morgen, es ist ein länger<br />

dauernder Vorgang. So lange die Stadt<br />

Helmbund nahe der Brettach bestand,<br />

hatte sie Bedarf von Zulieferung aus der<br />

näheren Umgebung und war ein gut erreichbarer<br />

Mittelpunkt für die umliegenden<br />

Dörfer und Weiler. Als um 1325 die<br />

Herren von Weinsberg die Stadt als „Newe<br />

Statt“ auf den nahen Bergrücken verlegten<br />

und nach einem Streit mit den Weinsberger<br />

Bürgern schließlich ganz nach<br />

Neuenstadt zogen, wurde für die Bauern<br />

im Sulztal der Weg ins Zentrum zwar<br />

schwieriger, aber auch wichtiger. Die Kirche<br />

blieb zwar vorläufi g im alten Helmbund,<br />

die „obern Mul zu Helmet“ wird<br />

1427 noch genannt, hat ihre Bedeutung<br />

aber an die Neuenstadter Stadtmühle abgegeben.<br />

Insgesamt geht im Sulztal durch<br />

diese Verlagerung der Stadt viel an Infrastruktur<br />

verloren. Die ummauerte Stadt<br />

auf der Höhe bietet Sicherheit und Zukunftschancen.<br />

Und Neuenstadt nimmt<br />

ständig an Bedeutung zu. 1382 ist es bereits<br />

weinsbergischer Amtssitz, 1412 bis<br />

1440 wird es pfälzisch und eine von<br />

Weinsberg getrennte Amtsstadt mit eigenem<br />

Amt 14 . Von 1525 bis 1553 wird<br />

Weinsberg wegen der Vorfälle im Bauernkrieg<br />

völlig entrechtet und die Verwaltung<br />

des ganzen Amtes Weinsberg nach Neuenstadt<br />

verlegt 15 .<br />

Wie bereits vermerkt, haben wir keine Belege<br />

für die Beweggründe, die Wohnplätze<br />

im Sulztal aufzugeben, aber die Vorgänge


in der näheren Umgebung machen die<br />

Überlegungen der Abwandernden nachvollziehbar.<br />

Wegen der guten Ausstattung<br />

der Amtstadt ist auch verständlich, dass<br />

1 Gräf, H.: Die Ämter Neuenstadt am Kocher und Weinsberg<br />

an der Wende zur Neuzeit, S. 58.<br />

2 Heim, W.: Die Ortswüstungen des Kreises Heilbronn, in:<br />

Historischer Verein Heilbronn, 22. Veröff entlichung, 1957,<br />

S. 52.<br />

3 HStA Stuttgart H233 Bd. 100, fol. 109f.<br />

4 HStA Stuttgart H233 Bd. 101, fol. 234a und b, 235v.<br />

5 Heim, W.: Ortswüstungen (1957), S. 59.<br />

6 HStA Stuttgart, H 101 Bd. 1301, fol, 452b und 457b.<br />

7 HStA Stuttgart H 101 Bd. 1301, fol. 257a, 260b und 429a<br />

u. b.<br />

8 HStA Stuttgart H 107/13 Bd. 4 fol. 63a.<br />

9 Freundliche Mitteilung vom verstorbenen Herrn Helmut<br />

Braun, Neuenstadt.<br />

10 Krapf, F.: Neckarsulmer Heimatbuch (1925), S. 252.<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> keine gute Infrastruktur<br />

entwickeln konnte und das kleinste Dorf<br />

im Amt blieb.<br />

11 HStA Stuttgart H 101 Bd. 1301, fol. 453b, 463a, 468b.<br />

Dort auch: stoßt auf Binsen, im Binsacker, im Binsach (fol.<br />

448a), am Binsenweg. Die nebenliegenden Grundstücke<br />

stoßen an die Kreuzwiese am Bach – auch das ein auff älliger<br />

Name an dieser Stelle.<br />

12 Auf die Namensähnlichkeit mit dem Flurnamen Binzig<br />

– der auch 1545 bereits benutzt wird, wies freundlicherweise<br />

Herr Werner Uhlmann hin.<br />

13 Keinath, Walther, Orts- und Flurnamen in Württemberg,<br />

S. 91.<br />

14 Beschreibung des Oberamts Neckarsulm (1881) Reprint<br />

1980, S. 558 und 568ff .<br />

15 Gräf, H.: Das Amt Weinsberg nach dem Bauernkrieg<br />

(1525 –1553), in: Württembergisch Franken, Jahrbuch 89,<br />

2005, S. 9 – 38.<br />

17


18<br />

Archäologische Fundstellen<br />

In der Datenbank des Landesamtes für<br />

Denkmalpfl ege (ADAB) fi ndet sich lediglich<br />

eine einzige sichere archäologische<br />

Fundstelle auf Gemarkung <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Diese Stelle liegt in der Flur „Kirchweg”<br />

nordwestlich des Orts, zwischen der Kreisstraße<br />

K 2007 und der Autobahn A 81, an<br />

der Gemarkungsgrenze zu Neuenstadt am<br />

Kocher. Entdeckt wurde sie von Gustav<br />

Scholl (1895–1980) aus Neckarsulm.<br />

Scholl fand auf einem Acker Scherben der<br />

Bandkeramik (ca. 5500 bis 5000 v. Chr.)<br />

und der Bronzezeit (ca. 2200 bis 800 v.<br />

Chr.).<br />

Der Verbleib dieser Funde ist unbekannt,<br />

in den entsprechenden Listen des Landesamtes<br />

für Denkmalpfl ege und der Städtischen<br />

Museen Heilbronn sind sie nicht<br />

verzeichnet.<br />

Die Fundstelle war in den 1990er Jahren<br />

auf Luftbildern noch als Gruppe dunkler<br />

Bodenverfärbungen zu erkennen, wurde<br />

aber vermutlich inzwischen durch die<br />

landwirtschaftliche Bodenbearbeitung<br />

zerstört.<br />

Bei der von Scholl entdeckten Fundstelle<br />

in Flur „Kirchweg” handelte es sich wahrscheinlich<br />

um Siedlungsreste der Bandkeramik<br />

und der späten Bronzezeit /Urnenfelderzeit.<br />

Beide Epochen sind auf den<br />

Lößböden im Landkreis Heilbronn mit<br />

zahlreichen Siedlungsfundstellen vertreten.<br />

Am 10. März 2011 wurde die Fundstelle<br />

bei einer Feldbegehung überprüft. Dabei<br />

wurden keine sichtbaren Befunde und<br />

keine vorgeschichtlichen Funde festgestellt.<br />

Die aufgesammelten Lesefunde<br />

stammen ausschließlich aus Spätmittelalter<br />

und Neuzeit.<br />

Auf allen begangenen Äckern fand sich<br />

eine diff use Streuung von Keramikscher-<br />

ben des 15. bis 20. Jahrhunderts, dazu<br />

Ziegelfragmente und Ofenschlacke. Diese<br />

Fundstreuung ist ein Resultat der bis in<br />

die 1950er Jahre üblichen Düngung der<br />

Felder mit Mist, Fäkalien und Haushaltsabfällen.<br />

Auf den begangenen Äckern sind deutliche<br />

Spuren der Erosion sichtbar. Der Bodenverlust<br />

auf den Kuppen reicht bereits<br />

bis auf den hellbraunen Löß des C-Horizonts,<br />

außerdem fanden sich Lößkonkretionen<br />

an der Oberfl äche frisch gepfl ügter<br />

Äcker.<br />

Mehrere weitere mögliche archäologische<br />

Fundstellen auf der Gemarkung von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

sind als Bodenverfärbungen<br />

auf Luftbildern erkennbar, haben aber bisher<br />

noch keine vorgeschichtlichen Funde<br />

ergeben.


Marksteine, Zeugensteine und die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Grenzsteinbücher<br />

Schon im Römischen Reich wurden die<br />

Grenzen mit besonderen Steinen gekennzeichnet,<br />

die gesalbt und dem Schwurgott<br />

Jupiter Terminalis geweiht waren. Er galt<br />

als der Hüter von Recht und Wahrheit.<br />

Auch im ehemaligen Mesopotamien stieß<br />

man auf Grenzsteine, die aus dem 3. Jahrtausend<br />

vor Christus stammen. Noch bis<br />

in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts<br />

war es vor allem im schwäbischen<br />

und im bayerischen Raum üblich, die<br />

Grenzen zwischen den einzelnen Feldeigentümern<br />

oder Besitzungen mit Hilfe<br />

von Steinen zu dokumentieren.<br />

Noch heute fi ndet man große und kleine<br />

Grenzsteine, so genannte „Hauptsteine“<br />

und dazwischen „Läufer“, die der deutlicheren<br />

Bezeichnung des Grenzverlaufes<br />

dienen. Die ältesten Steine stammen aus<br />

dem 15. Jahrhundert. Oft fi ndet man auf<br />

der Oberseite der Hauptsteine eine Kerbe,<br />

welche die Richtung des Grenzverlaufes<br />

anzeigt. Die Seitenfl ächen sind meist mit<br />

einem Großbuchstaben oder einem Wappen<br />

versehen, um so die jeweiligen Eigentümer<br />

oder die Dorfmarkung zu benennen,<br />

so z. B. bei uns: S = Sulzbach; BRE = Brettach.<br />

Die ältesten Grenzsteine, die unser<br />

Steinbuch von 1799 1 beschreibt, stammen<br />

aus dem Jahr 1579 (Nr. 40 / 63 und 44 / 67).<br />

Die ältesten noch vorhandenen Steine sind<br />

die von 1582 (Nr. 137/160).<br />

In manchen Gemeinden gab es ein so genanntes<br />

Untergangs- oder Feldgericht.<br />

Dieses Gericht setzte sich aus sieben unbescholtenen<br />

und vertrauensvollen Personen<br />

zusammen, den „Siebenern“, sie waren<br />

für die Überwachung der Grenzen und<br />

für die Schlichtung von Grenzstreitigkeiten<br />

verantwortlich. Um die Grenzsteine zu<br />

sichern, dachten sich die Untergänger<br />

eine besondere Kennzeichnung aus, die so<br />

genannten Zeugensteine, die nur ihnen<br />

bekannt war und die sie unter die Marksteine<br />

vergruben. Dafür benutzten sie bestimmte<br />

unverwesliche Materialien, anfangs<br />

z. B. Eierschalen, Glassplitter, Kiesel,<br />

Kohlestückchen oder fl ache, in zwei Stücke<br />

gebrochenen Sandstein, dann auch<br />

Mostkrugscherben, oder Täfelchen, die aus<br />

gebranntem Ton oder Löß bestanden und<br />

oft mit Buchstaben und Wappen gekennzeichnet<br />

waren, und ordneten diese stummen<br />

Zeugen nach einem ausgedachten<br />

Muster an. So konnte jede Veränderung<br />

nachgewiesen werden.<br />

Eine Verfügung der Ministerien der Justiz,<br />

des Innern und der Finanzen betreff end<br />

der Erhaltung und Fortführung der Flurkarten<br />

und Primärkataster vom 1. September<br />

1899 gibt den Zeugensteinen einen<br />

quasi amtlichen Charakter, wenn dort<br />

zu lesen ist: 2<br />

Den Gemeinden wird überlassen, geheime<br />

Zeichen (Zeugen) unter die Grenzsteine<br />

legen zu lassen, es können aber solche<br />

Unterlagen nicht gegen den durch die<br />

Meßzahlen der Landes- und ortführungsvermessung<br />

bestimmten Ort entscheiden.<br />

Wie wichtig in früherer Zeit, als die Vermessungstechnik<br />

noch mit einfachen Mitteln<br />

und nicht so genau wie heute arbeiten<br />

konnte, die Grenzsteine für die Grundstückseigentümer<br />

waren, die mit einfachem<br />

bäuerlichen Gerät dem oft kargen<br />

Boden Nahrung abringen mussten, belegen<br />

die heftigen Auseinandersetzungen<br />

zwischen den Grundstückeignern, wenn<br />

ein Grenzstein womöglich böswillig verschoben<br />

worden war. Die Behörden reagierten<br />

mit drastischen Strafen. 3<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> 31. July 1834<br />

Vor dem Gemeinderat klagt Christian<br />

Speiser gegen Martin Kayser, „lezter habe<br />

19


20<br />

die neugesezte 2 Steine in der Hölzlenswiese<br />

herausgerissen“. […] „Kayser wurde<br />

gefragt, wie er dazu komme, daß er die 2<br />

Steine herausgerissen zwischen seiner<br />

und des Christian Speisers Wiese im<br />

Hölzle.<br />

Antw. Er seye zu sehr im Zorn gewesen.<br />

Frag Er werde wissen, daß eine strenge<br />

Strafe darauf ruhe, Steine heraus zureißen.<br />

Antw.: Es seyen schon viele herausgerissen<br />

worden, sey noch niemand gestraft<br />

worden. […]<br />

Beschluss nach weiterer Befragung der<br />

Gegenseite: was das Ausreißen der Steine<br />

betri t, will man dem 2. Oberamtsgericht<br />

zu Bestrafung überlassen.“ 4<br />

Die Sache wurde dem „Criminal Senat“<br />

des königlichen Gerichtshofes zu Esslingen<br />

vorgelegt, der Martin Kaiser wegen<br />

eigenmächtiger Entfernung von zwey<br />

Gränz-Steinen, neben der Verbindlichkeit<br />

zu Bezahlung sämtlicher Untersuchungskosten<br />

und zum Ersaz des gestifteten<br />

Schadens zu einer zehntägigen Gefängniß-Strafe<br />

verurteilte. 5<br />

Anders als durch die irdischen Gerichte,<br />

büßten die Straftäter in der Geisterwelt<br />

ihre Untat über ihr irdisches Leben hinaus.<br />

Nach altem Volksglauben musste jener,<br />

der sich einer Grenzsteinverletzung schuldig<br />

gemacht hatte, nach seinem Tod als<br />

Geist umgehen, und fand nie mehr Ruhe.<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Tontäfelchen,<br />

zweiteilig. In seiner<br />

Funktion als Zeugenstein<br />

wurde es in der<br />

Mitte auseinandergebrochen<br />

und die zwei Teile<br />

nach einem geheimen,<br />

ausgedachten System<br />

vergraben.<br />

Die Sage vom Löff elstein erinnert daran:<br />

Der meineidige Brettacher Förster soll<br />

noch heute im Wald als Häldengeist des<br />

Nachts umherirren.<br />

Die genaue Lage der Marksteinzeugen<br />

kannten nur wenige Amtspersonen, die<br />

Aufzeichnungen darüber waren streng geheim.<br />

Bei Grenzstreitigkeiten waren sie<br />

wichtige „Zeugen” und mussten beim<br />

Ausgraben des Grenzsteines an der beschriebenen<br />

Stelle liegen. Manche Grenzzeugen<br />

wurden in der Mitte an einer<br />

Bruchrille durchgebrochen. Je eine Hälfte<br />

legte man in die nebeneinander liegenden<br />

Grundstücke nahe dem Grenzstein in den<br />

Boden. Wenn der Schieder die Lage des<br />

Grenzsteins überprüfte, mussten die beiden<br />

Stücke an der richtigen Stelle liegen<br />

und genau zusammenpassen. Den Grenzstein<br />

zu verrücken, war ein schlimmes<br />

Vergehen. Sowohl bei versehentlichem<br />

Herauspfl ügen als auch beim Verdacht,<br />

der Grenzstein sei absichtlich versetzt<br />

worden, musste der so genannte Schieder<br />

an den Ort der Tat geschickt werden. Dieser<br />

Felduntergänger wurde von den Herren<br />

des Gerichts (Gemeinderat) auf Geheiß<br />

der Ortsobrigkeit gewählt und unter Eid<br />

genommen. Unter der Führung des Schieders<br />

fand auch alljährlich der Feldumgang<br />

(auch Felduntergang genannt) statt. Man<br />

prüfte nach, ob vielleicht Steine umgekippt<br />

oder verschoben worden waren.


Schieder-Eyd<br />

„Ihr, die Ihr zu einem Schieder verordnet<br />

seid, sollet einen rechten Schieder-Eyd<br />

unterm Himmel erstatten, die Beleg, Gemerk<br />

oder Kennzeichen der Stein unter<br />

der Erden, welche Euch anjetzt durch<br />

die hiezu deputierten Schieder angewiesen<br />

und eröff net werden, jederzeit<br />

fl eißig zu beobachten, davon niemand,<br />

wer der auch sein möge, etwas zu veroff<br />

enbaren, sondern sollet solches als<br />

ein Geheimnuß bis in Eure Grube verschweigen,<br />

behalten, in Klag-, Schied-,<br />

und Steinsachen die Parteien gegeneinander<br />

verhören, die Gemarksteine,<br />

wanns vonnöten, eröff nen, und wo<br />

Steine verloren, mit der Parteien Verwilligung<br />

neue setzen, und also ein recht<br />

gleich Schieder-Urteil sprechen, darinnen<br />

nicht ansehen Geschenk, Mieth,<br />

Gab, Freund-, Feind-, oder Gevatterschaft<br />

oder sonst was, so lieb es Euch<br />

sein mag, den schweren Meineyd, welcher<br />

die ewige Verdammnus mit sich<br />

bringt, zu vermeiden. Alles getreulich<br />

und ohne Gefährde.” 6<br />

Über die „versteinte“ Markung führten die<br />

Gemeinden ein Steinbuch. Dorfmarksteine<br />

trennten die Dörfer voneinander. Innerhalb<br />

des Dorfes gab es die Allmende, die<br />

Gemeinmark und den Privatbesitz, die<br />

Hofmark. So genannte Triebsteine dienten<br />

zur Bestimmung der Weidegrenze; bis zu<br />

diesem Markstein durften die Weidetiere<br />

eines Dorfes getrieben werden.<br />

Die <strong>Cleversulzbach</strong>er Grenzsteinbücher<br />

Das Archiv in <strong>Cleversulzbach</strong> stellt zwei<br />

Grenzsteinbücher aus alter Zeit bereit, anhand<br />

derer sich der Markungsverlauf recht<br />

genau darstellen lässt:<br />

Feld-Markungs-Grenz-Stein-Buch (1799),<br />

Markungs-Grenz-Steinbuch (neu angelegt<br />

1834)<br />

Das Steinbuch von 1834 ist dabei von besonderem<br />

Interesse, weil es sich mit den<br />

im gleichen Jahr erstellten Flurkarten der<br />

Gemeinde deckt, die für das Auffi nden der<br />

Steine auch heute noch von unschätzbarem<br />

Wert sind.<br />

Eine Gegenüberstellung der beiden genannten<br />

Steinbücher – in einem zeitlichen<br />

Abstand von immerhin mehr als einer<br />

Bevölkerungsgeneration geschrieben<br />

– zeitigt zum Teil erstaunliche Ergebnisse:<br />

Die Anzahl der Steine des Grenzsteinbuches<br />

von 1799 (216 Stück) weicht erheblich<br />

von der Anzahl der im Grenzsteinbuch<br />

1834 aufgeführten Steine (258 Stück) ab.<br />

Da sich die Länge der Markungsgrenze<br />

nicht wesentlich verändert haben dürfte,<br />

wird der Grund für die Zunahme an Steinen<br />

um über 40 Stück in einer durchgeführten<br />

Flurbereinigung zu suchen sein.<br />

Mitunter wird die Lage eines Steines durch<br />

die Namensnennung des Grundstücksbesitzers<br />

defi niert. Man sollte annehmen,<br />

dass Ackerfl ächen – insbesondere in einer<br />

auf Ackerbau basierenden Dorfgemeinschaft<br />

– über längere Zeiträume im Besitz<br />

einer Familie bleiben und vom Vater auf<br />

den Sohn weitergegeben werden. Umso<br />

erstaunlicher ist die Tatsache, dass auch<br />

bei eindeutig identifi zierbaren Grenzsteinen<br />

die Namen der Grundstücksbesitzer in<br />

den Jahren 1799 und 1834 in kaum einem<br />

einzigen Falle deckungsgleich sind.<br />

1799 Nr. 210: auf Georg Kleinknechts<br />

Weinberg<br />

1834 Nr. 253: Konrad Bazer und Got tlieb<br />

Heßers Weinberg<br />

1799 Nr. 212 Johannes Eberle<br />

1834 Nr. 257 Martin Volp<br />

Das Steinbuch von 1834 liefert den Beleg<br />

dafür, dass Signatur und Nummerierung<br />

der Grenzsteine neu vorgenommen wurden.<br />

Entsprechende Anweisungen waren<br />

übrigens behördlicherseits gegeben wor-<br />

21


22<br />

den. Die Umsetzung dieser Anweisungen<br />

ist für <strong>Cleversulzbach</strong> allerdings nur teilweise<br />

nachzuweisen. Besonders im südlichen<br />

Teil der Markung (letzter Abschnitt<br />

des Salzwegs und entlang des Eberstallwegs)<br />

stimmt der heutige Ist-Zustand der<br />

Steine mit der Signatur überein, wie sie im<br />

Steinbuch von 1799 dargestellt ist. Die<br />

Steine wurden zwar im Steinbuch von<br />

1834 neu klassifi ziert, die entsprechende<br />

Angleichung der Steinsignatur unterblieb<br />

auf <strong>Cleversulzbach</strong>er Seite jedoch.<br />

Markstein mit der Jahreszahl 1784 und der<br />

Signatur SB (für Sulzbach) 98, wie sie im<br />

Grenzsteinbuch von 1799 aufgeführt ist.<br />

1799: Signatur SB 98<br />

Jahrzahl 1784<br />

1834: Signatur S 122<br />

ohne Jahrzahl<br />

Wie erwähnt sollten die Markungssteine<br />

bei der Neuvermessung 1834 nach Vorschrift<br />

signiert werden: S und SB (Sulzbach)<br />

oder SC (<strong>Cleversulzbach</strong>) + fortlaufende<br />

Nummer.<br />

Im Steinbuch von 1834 ist dieses Schema<br />

weitgehend durchgehalten.<br />

Ausnahmen:<br />

Nr. 01: ohne Kennzeichnung<br />

Nr. 17: CSB<br />

Nr. 39: ohne Kennzeichnung<br />

Nr. 47: CSB 47<br />

Nr. 79: CSB 79<br />

Nr. 85: CSB 85<br />

Nr. 88: CSB 88<br />

Nr. 91: CSB 91<br />

Nr. 100: CSB 100<br />

Nr. 102: Cb 102<br />

Nr. 151: CSB 151<br />

Nr. 152: CVS 152<br />

Nr. 154: CVB 154<br />

Nr. 175: CSB 175<br />

Nr. 183: CSB 183<br />

Nr. 194: CSB 194<br />

Nr. 214: CSB 214<br />

Nr. 221: CSB 221<br />

Nr. 223: SVB 223<br />

Nr. 225: CSB 225<br />

Nr. 228: SVL 228<br />

Nr. 253: SVL<br />

Nr. 254: SVL 254<br />

Die Markungssteine selbst wurden nur<br />

teilweise angepasst, d. h. sie tragen noch<br />

die alte Signatur von 1799.<br />

– Die Nummerierung der Steine erfolgte<br />

in aufsteigender Zahl jeweils entgegen


dem Uhrzeigersinn, wobei der Anfang-<br />

und Endstein in der Seligen Au/nördlicher<br />

Föhrenberg stand.<br />

– Entlang des alten Eberstädter Weges befi<br />

nden sich etliche Steine, deren Signatur<br />

vom Üblichen abweicht. Eine Nachfrage<br />

u. a. beim Landesvermessungsamt<br />

brachte keine Klärung.<br />

Markstein ohne identifi zierbare Kennzeichnung<br />

an der Eberstädter Straße<br />

– Von den 258 im Steinbuch von 1834 beschriebenen<br />

Steinen sind heute 105 eindeutig<br />

identifi zierbar (davon sind ca. 25<br />

umgefallen oder beschädigt), d. h. etwa<br />

60 Prozent des Bestandes ist abgängig.<br />

Dies mag vielerlei Gründe haben:<br />

– Durch Flurbereinigungen, bzw. Landtausch<br />

mit Nachbargemeinden, befanden<br />

sich Grenzsteine plötzlich mitten<br />

im Acker, waren dort im Wege<br />

und wurden beseitigt. Dies triff t möglicherweise<br />

für die Steine Nr. 4 und<br />

Nr. 5 zu, die sich im Gestrüpp eines<br />

naheliegenden Hanges wiederfanden.<br />

– Durch Wegebau, z. B. der Errichtung<br />

der L 2007 (<strong>Cleversulzbach</strong>–Eberstadt).<br />

Hier wurde Nr. 75 im Straßengraben<br />

abgelegt, er sank ein und konnte im<br />

April 2010 nur durch Zufall freigelegt<br />

werden.<br />

– Bau der BAB 81 (ab 1968), z. B. fand<br />

sich Nr. 19 an ganz anderer Stelle, ca.<br />

einen Kilometer entfernt vom angestammten<br />

Platz.<br />

– Rückearbeiten im Wald. Laut Aussagen<br />

des Revierförsters Weinsberg/<br />

Eberstadt kommt es immer wieder vor,<br />

dass Grenzsteine bei Forstarbeiten beschädigt<br />

oder auch abgebrochen und<br />

dann nicht mehr in einen ordentlichen<br />

Zustand versetzt werden. Ob dies<br />

allerdings der einzige Grund für den<br />

Abgang aller Grenzsteine entlang des<br />

Salzweges (ab L 2007 – kurz vor Heuberg-Hütte,<br />

Gem. Eberstadt) ist, mag<br />

bezweifelt werden.<br />

– Das Steinbuch von 1799 erwähnt mitunter,<br />

dass die Steine bei Bedarf „gemeinschaftlich”<br />

mit Vertretern der<br />

Nachbargemeinden gesetzt wurden.<br />

Davon ist im Steinbuch 1834 keine<br />

Rede mehr. Vielleicht hatte es in der<br />

Zwischenzeit tatsächlich Streitereien<br />

um den Grenzverlauf gegeben, wie<br />

uns das die Sage vom Löff elstein<br />

(Stein Nr. 210, gesetzt 1803) berichtet.<br />

Im <strong>Cleversulzbach</strong>er Grenzbesichtigungs-<br />

Protokoll vom 21. Juni 1911 7 fi ndet sich<br />

folgender Eintrag zur Ortslage:<br />

In der ganzen Ortslage fehlen eine große<br />

Zahl von Marksteinen vollständig, viele<br />

derselben sind hauptsächlich bei dem in<br />

letzter Zeit ausgeführten Wasserleitungsbau<br />

abhanden gekommen. Viele der<br />

vorhandenen Steine stehen schief oder<br />

haben ungenügende Form u. Größe. Eine<br />

durchgreifende Neuvermarkung der ganzen<br />

Ortslage mit vorschriftsmäßigen<br />

Steinen ist daher ein dringendes Bedürfnis.<br />

23


24<br />

Grenzbesichtigungsprotokoll vom 21. Juni 1911<br />

1 Grenzsteinbuch von <strong>Cleversulzbach</strong> von 1799.<br />

2 Bürgerliches Gesetzbuch von 1898.<br />

3 Ausführungen über Mark- und Grenzsteine hier und im<br />

Folgenden von und nach Herbert Schlegel: aus „Rückblicke”<br />

des Heimatgeschichtlichen Vereins Langenbrettach<br />

e.V., Nr. 69.<br />

4 CB 16 Gemeinderatsprotokoll<br />

5 CB 8 S. 117b<br />

6 H. Schlegel, Brettach (Manuskript mit freundlicher Genehmigung;<br />

geringfügige Anpassungen bei Drucklegung).<br />

7 CB 58, S. 18


Die Sage vom Löff elstein<br />

Vor langer Zeit gerieten die Brettacher und <strong>Cleversulzbach</strong>er darüber miteinander in<br />

Streit, wem ein Waldstück gehörte. Bei dem Markungsstreit behaupteten die <strong>Cleversulzbach</strong>er,<br />

ihnen sei der Wald durch Versetzen eines Grenzsteines genommen worden.<br />

Ein gottvergessener Förster habe das strittige Gebiet durch einen Schwur, das heißt<br />

durch einen Meineid, an Brettach gebracht.<br />

Der Förster schwor: „ So wahr mein Schöpfer über mir ist, stehe ich auf Brettacher Boden.“<br />

Er hatte aber unter seinen Hut, den er auf dem Kopf hatte, einen Schöpfer (Schöpflöff<br />

el) gesteckt und in seine Schuhe Brettacher Erde getan.<br />

Zur Strafe für seinen falschen Schwur fand er nach seinem Tod keine Ruhe im Grab. Er<br />

musste im Häldenwald, vor allem nachts, als Geist „gehen“, das heißt spuken; er ist der<br />

Häldengeist. Man will ihn besonders am Stephanstag in grauem Jägerrock, von einem<br />

oder auch zwölf Hunden begleitet, gesehen haben, und man hört öfter sein unheimliches<br />

Rufen: „Hau, Hau!“<br />

In letzter Zeit hat man ihn nicht mehr so oft gehört. Manche meinen deshalb, dass er<br />

endlich seine Ruhe gefunden hat. Ob es stimmt, weiß man nicht so genau. Mutige<br />

müssten einmal bei einer Nachtwanderung die Probe aufs Exempel machen.<br />

An der Stelle im Häldenwald, wo der Förster geschworen haben soll, steht auch heute<br />

noch der so genannte „Löff elstein“. Zwei Hinweisschilder, mit einem Löff el als Pfeil,<br />

zeigen am Waldeingang dem Wanderer den Weg. Auf dem viereckigen, ungefähr einen<br />

halben Meter hohen Stein ist auf der Oberseite ein Löff el abgebildet. Auf der Vorderseite<br />

des Steins sind die Buchstaben „LB“ und auf der Rückseite die Jahreszahl 1803<br />

und die Buchstaben „BR“ eingehauen. Der Schwur soll allerdings lange vor 1803 geleistet<br />

worden sein. 1<br />

Vorderseite des „Lö elstein“ mit den Buchstaben<br />

SB für Sulzbach<br />

Rückseite des „Lö elstein“ mit der Jahreszahl<br />

1803 und den Buchstaben BR für<br />

Brettach<br />

1 Nacherzählt von Herbert Schlegel nach Lehrer Luhrer, in: Ortsgebräuche von Brettach. 1900<br />

25


26<br />

Die Gemeinde und das<br />

Gemeindewesen in früherer Zeit<br />

Erste urkundliche<br />

Erwähnung von<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> im<br />

Jahre 1262<br />

Als erstes erhaltenes schriftliches Dokument,<br />

das die Existenz <strong>Cleversulzbach</strong>s beweist,<br />

ist für uns heute die Urkunde über<br />

den Verkauf eines Hofs im Dorf vom 8.<br />

Oktober 1262 von besonderer Bedeutung.<br />

Eigentlich stellt sie einen damals beinahe<br />

alltäglichen Nachweis eines gewöhnlichen<br />

Rechtsgeschäfts dar, und sicher<br />

hätte Engelhard von Weinsberg es sich<br />

damals bei der Abfassung der Urkunde<br />

nicht träumen lassen, dass sie einmal für<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> wichtig werden könnte.<br />

Aber weil sie für uns heute praktisch die<br />

Geburtsurkunde für unser Dorf darstellt,<br />

soll sie in ihrem Wortlaut wiedergegeben<br />

werden.<br />

Die Urkunde mit der ersten Erwähnung <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />

von 1262. Sie ist in einer Abschrift<br />

aus dem 16. Jahrhundert erhalten<br />

(Hauptstaatsarchiv Stuttgart).


28<br />

Engelhard von Weinsberg verkauft dem Kloster Lichtenstern einen Hof zu <strong>Cleversulzbach</strong><br />

unter Verzichtleistung auf jegliche aus demselben von Vogtei oder Precarie<br />

wegen zu erhebende Abgabe. 1<br />

1262. Oktober 8.<br />

In nomine sancte et individue trinitatis. Amen.<br />

Quoniam per prolixitatem temporis hominum<br />

elabitur memoria et negliguntur sepius iura<br />

nescientium, nisi ea, que convenit transire in<br />

posteros, scriptorum continentiis commendentur,<br />

ad notitiam siquidem tam presentium<br />

quam futurorum cupimus devenire, quod nos<br />

Engelhardus de Winspergo claustro quod dicitur<br />

Clara Stella curiam unam tantum sitam in<br />

Glefersultzbach cum omnibus pertinentiis suis<br />

agris, videlicet septem iugeribus, que pro annuali<br />

censu coluntur, exclusis omnibus proprietatibus<br />

aliis quemadmodum ibidem habemus,<br />

pro LX libris Hallensium vendidimus, interposita<br />

tali conditione in remedium anime nostre,<br />

ut nec nos nec aliquis progenitorum nostrorum<br />

nec ratione advocatie nec precaria in bonis<br />

predictis ipsum claustrum presumat gravare.<br />

Ipsi enim claustro curiam antedictam<br />

cum agris prescriptis liberaliter tradidimus perpetualiter<br />

possidendam. Ut igitur hec venditio<br />

fi rmiter observetur ab heredibus nostris, claustro<br />

predicto presentem paginam porreximus<br />

sigilli nostri munimine roboratam. Huius rei<br />

testes sunt: Engelhardus de Winsperg, Cvnradus<br />

dictus [de] Schúppach, Craff to de Haymberg<br />

et alii quam plures.<br />

Acta sunt hec anno domini M . CC . LXII., datum<br />

VIII. idus Octobris.<br />

1 Abschrift aus dem Württembergischen Urkundenbuch Online,<br />

Band VI., Nr. 1683; Stand 7. Mai 2012. Nach Regesten<br />

und Urkundenabschriften zur Geschichte des Klosters<br />

Lichtenstern von der Hand des Archivars Andreas Rüttel<br />

aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, vgl. so auch<br />

die Urkunde Nr. 1453 (WUB, Bd. V., S. 220). Statt der ae<br />

sowie statt der Formen Weinspergo und Weinsperg wur-<br />

Übersetzung 2 :<br />

Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit.<br />

Amen. Da ja durch die Dauer der Zeit<br />

das Gedächtnis der Menschen schwach wird<br />

und die Rechte der Unwissenden öfter vernachlässigt<br />

werden, wenn nicht das, was sich<br />

den Nachkommen zu überliefern gehört, den<br />

Inhalten der Schriften anvertraut wird, wollen<br />

wir zur Kenntnis sowohl der jetzt Lebenden als<br />

auch der zukünftig Lebenden bringen, dass wir<br />

Engelhard von Weinsberg dem Kloster, das<br />

Lichtenstern genannt wird, einen in Glefersultzbach<br />

gelegenen Hof, mit allem, was dazu gehört<br />

und den Feldern, nämlich 7 Joch umfassend,<br />

welche für eine jährliche Abgabe bebaut<br />

werden, ausgenommen aller anderer Güter, die<br />

wir dort besitzen, für 60 Pfund Heller verkauft<br />

haben, unter Hinzufügung der Bedingung zu<br />

meinem Seelenheil, dass weder wir noch irgendeiner<br />

unserer Nachkommen es wagt, dasselbe<br />

Kloster weder aufgrund der Vogtei 3 noch<br />

wegen der Leihe 4 bezüglich der genannten Güter<br />

zu belasten. Wir selbst nämlich übertrugen<br />

dem Kloster den vorgenannten Hof mit den<br />

genannten Äckern aus freiem Willen zum ununterbrochenen<br />

Eigentum. Damit also dieser<br />

Verkauf von unseren Erben unbedingt anerkannt<br />

wird, reichen wir vorgenanntem Kloster<br />

vorliegende Urkunde, die durch Befestigung<br />

unseres Siegels bekräftigt wird.<br />

Zeugen von diesem sind: Engelhard von<br />

Weinsberg, Cunrad, genannt von Scheppach,<br />

Cra t von Heimberg und andere mehr.<br />

Verhandelt wurde dies im Jahr des Herrn<br />

1262; gegeben am 8. Tag vor den Iden des Oktober<br />

(8. Oktober).<br />

den indessen die e und die Formen Winspergo und Winsperg<br />

des ursprünglichen Textes wiederhergestellt.<br />

2 Übersetzung und Erläuterungen von Eckhard Kreeb.<br />

3 Das Vogteirecht war das Recht, z. B. kirchliche Institutionen<br />

vor Gericht zu vertreten oder zu schützen.<br />

4 Im Original „precaria“; die Prekarie war eine Form der<br />

Leihe und als solche Bestandteil des Lehnswesens.


Zur Geschichte von <strong>Cleversulzbach</strong> im Mittelalter<br />

und in der frühen Neuzeit<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> von 1262 bis 1789: Das<br />

sind 517 Jahre Geschichte in einem kleinen<br />

Ort in der schon sehr früh besiedelten<br />

Region der Neckarnebenfl üsse Kocher,<br />

Jagst und Brettach, in denen sich sowohl<br />

die großen Linien der verschiedenen Epochen<br />

als auch die örtlichen Besonderheiten,<br />

die das Dorf von anderen unterscheidet,<br />

widerspiegeln. Beides soll hier, einerseits<br />

durch einen kurzen Gang durch die<br />

Jahrhunderte, der die Ereignisse in ihrer<br />

zeitlichen Abfolge darstellt, andererseits<br />

durch einen genaueren Blick auf einige<br />

für die Geschichte des Orts wichtige<br />

Zeugnisse, versucht werden.<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> im Mittelalter –<br />

Ursprünge, Name, Wappen, frühe<br />

Geschichte<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> wird in der schriftlichen<br />

Überlieferung zum ersten Mal in einer Urkunde<br />

vom 8. Oktober 1262 genannt, in<br />

der Engelhard IV. von Weinsberg (gestorben<br />

1279) bestätigt, dem Kloster Lichtenstern<br />

einen Hof in „Glefersultzbach“<br />

mit sieben Joch Äckern (ca. 3,5 Hektar)<br />

und der sonstigen zugehörigen Ausstattung<br />

für 60 Pfund Heller verkauft zu haben.<br />

1 Damit beginnt die belegte Geschichte<br />

des Dorfes.<br />

Sicherlich ist <strong>Cleversulzbach</strong> älter, denn<br />

die Orte mit der Namensendung „-bach“<br />

wurden meist in der jüngeren Ausbauphase<br />

gegründet, die ihren Höhepunkt<br />

ungefähr im 10. bzw. 11. Jahrhundert erreichte.<br />

2 Der Name „Sulzbach“ begegnet<br />

zwar bereits im Lorscher Kodex von 782,<br />

aber die Forschung hat diesen Eintrag in<br />

dem für die Geschichte unseres Raumes<br />

wichtigen Urkundenbuch dieses karolingischen<br />

Klosters eher mit der Gemeinde<br />

Sülzbach im Weinsberger Tal in Verbin-<br />

dung gebracht. 3 Da es gerade auch für die<br />

Eindeutigkeit von Rechtsakten wichtig<br />

war, Verwechslungen mit dem weiter südlich<br />

gelegenen heutigen Sülzbach (in den<br />

alten Urkunden oft auch Sulzbach genannt)<br />

zu vermeiden, erhielt unser Sulzbach<br />

seinen charakteristischen Namenszusatz<br />

(wie es ähnlich z. B auch für die verschiedenen<br />

Bischofsheims, wie Neckarbischofsheim<br />

und Tauberbischofsheim oder<br />

auch bei Kochersteinsfeld geschah).<br />

Als alte Bezeichnungen für <strong>Cleversulzbach</strong><br />

begegnen in den Urkunden u. a. „Glefersulzbach“<br />

„Clephartsulzbach“ oder „Glepfhartsulzbach“<br />

4 , so dass man bei dem Namenszusatz<br />

„Clever“ davon ausgeht, dass es<br />

sich um eine Zusammenziehung von zwei<br />

Begriff en handelt. Mögliche Herleitungen<br />

für die erste Silbe wären das althochdeutsche<br />

5 Wort „Kleb“ für Kleber, klebriger Stoff<br />

oder „klebar“ für klebrig, zäh bzw. „Kleibar“<br />

für Lehm, Erdpech 6 oder auch „Kleib“ für<br />

tonig-lehmigen Grund. 7 In Frage käme vielleicht<br />

auch ahd. „Clif“ für Fels, Berg. 8 Immerhin<br />

möglich wäre auch noch „Klepper“<br />

als abwertende Bezeichnung für Pferd, die<br />

ja auch heute noch im Sprachgebrauch ist. 9<br />

Die zweite Silbe „Hart“ bezeichnet wahrscheinlich<br />

das den Ort umgebende Waldgebiet.<br />

10 Der zweite Namensteil „Sulzbach“<br />

weist auf einen Bach mit salzhaltigem<br />

Wasser hin („Sulz“ für Salz). In Bezug auf<br />

den Boden steht „Sulz“ für versumpfte,<br />

salzhaltige, oft morastige Böden, die saures<br />

und bitteres Futter liefern. 11<br />

Einer Fehlinterpretation des Namenszusatzes<br />

„Clever“ soll <strong>Cleversulzbach</strong> sein Wappen<br />

verdanken: Die amtliche Beschreibung<br />

lautet: „In Gold eine blaue Traube, beiderseits<br />

begleitet von je einer pfahlweise gestellten<br />

blauen Weinberghape.“ 12 Angeblich<br />

leitete man den Namenszusatz „Clever“<br />

29


30<br />

Ruine der Helmbunder Kirche. Bis 1592<br />

Pfarrkirche <strong>Cleversulzbach</strong>s.<br />

von der Rebsorte Clevner ab, was zu dem<br />

Wappen geführt haben soll. 13 Dass der<br />

Wein im Dorf schon seit frühesten Zeiten<br />

eine Rolle spielte, ist aber unbestritten<br />

(siehe unten). Das Wappen war im Deutschen<br />

Reich mindestens seit Anfang des<br />

20. Jahrhunderts in dieser Form in Gebrauch<br />

und wurde so auch 1956 von der<br />

Landesarchivdirektion Baden-Württemberg<br />

festgelegt. 14 Tatsächlich ist es aber<br />

wesentlich älter, denn auf dem Ziff ernblatt<br />

der früheren Kirchturmuhr von 1776,<br />

das heute im Mörike-Museum in <strong>Cleversulzbach</strong>aufbewahrt<br />

wird,<br />

befi ndet sich<br />

bereits dasselbeWappen.<br />

15<br />

Eine weitere<br />

frühe schriftliche<br />

Nennung<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>s<br />

nach<br />

der Ersterwähnung erfolgte im Wimpfener<br />

Rentenverzeichnis, das auf 1295 datiert<br />

wird. Dieses Dokument führt unter den<br />

Einkünften und Besitzungen, die das Ritterstift<br />

St. Peter zu Wimpfen in der näheren<br />

Umgebung hatte u. a. auch zwei Joch<br />

(ca. ein Hektar) Weinberge in „Glefhart<br />

Sulcebach“ auf. 16<br />

Auch in einer sicher noch älteren Quelle<br />

desselben Ritterstifts, dem Nekrolog17 , in<br />

dem die Namen Verstorbener, die dem<br />

Stift zu Lebzeiten im Interesse ihres Seelenheils<br />

eine Schenkung gemacht hatten,<br />

aufgeführt sind, wird ein Ort mit dem Namen<br />

Sulzbach erwähnt: „An einem Freitag,<br />

den 29. September (Festtag des Erzengels<br />

Michael) starben Mehtilt und Nibelunc,<br />

der dem Stift zwei Marken von einem<br />

Weinberg zu Sulzebach gab.“ 18 Könnte<br />

sich dieser Eintrag auch noch auf Sülzbach<br />

im Weinsberger Tal beziehen, so ist<br />

ein anderer wohl eindeutiger: Unter dem<br />

2. November (Festtag des Heiligen Eustachius<br />

und seiner Genossen) wird der Tod<br />

einer Adelhet von Clebem und ihrer Mutter<br />

Hetdewic erwähnt. 19 Man geht davon<br />

aus, dass es sich bei dieser Herkunftsbezeichnung<br />

um <strong>Cleversulzbach</strong> handeln<br />

muss. Leider fehlen bei den Einträgen dieser<br />

Quelle die Jahreszahlen. Die Datierung<br />

ist daher unsicher. 20 Man geht jedoch davon<br />

aus, dass der Beginn der Aufzeichnungen<br />

dieses Nekrologs, der auch im 14.<br />

Jahrhundert weitergeführt wurde, noch<br />

vor dem des Rentenverzeichnisses liegt.<br />

Neben dem Ritterstift Wimpfen und dem<br />

Kloster Lichtenstern hatten zu dieser frühen<br />

Zeit (13./14. Jahrhundert) wohl auch<br />

die Grafen von Dürn, die Schenken von<br />

Limpurg, das Kloster Schöntal, 21 die Herren<br />

von Gosheim, 22 die auf der später Bürg<br />

genannten Burg ihren Sitz hatten, und<br />

vielleicht auch die Herren von Aschhausen<br />

23 Rechte; dann auch die Herren von<br />

Gemmingen 24 und der Deutsche Orden. 25<br />

Man kann aber davon ausgehen, dass das,<br />

was später wesentliche Bestandteile der<br />

landesherrlichen Gewalt für ein Gebiet<br />

ausmachte (z. B. die hohe Gerichtsbarkeit,<br />

also die Kompetenz, Recht bei schwereren<br />

Delikten zu sprechen), im Dorf schon zur<br />

Zeit der Ersterwähnung bei den Herren<br />

von Weinsberg lag, 26 und dass <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />

was die Verwaltung betriff t, auch<br />

damals schon in Zusammenhang zu Neuenstadt<br />

stand, das dieses Adelsgeschlecht<br />

vermutlich in der zweiten Hälfte des 13.


Jahrhunderts als „Neue Stadt Helmbund“<br />

gegründet und wo es schon vorher ein<br />

Schloss erbaut hatte. 27<br />

Aus der Weinsberger Zeit des Dorfes liegt<br />

uns eine wichtige Quelle vor: Das Gültbuch<br />

der Agnes von Brauneck 28 , Witwe Konrads<br />

IV. von Weinsberg (gestorben 1323), datiert<br />

um das Jahr 1325, enthält die Einkünfte,<br />

die ihr aufgrund einer Eheverschreibung<br />

zugewiesen worden waren.<br />

Aufgeführt werden darin u. a. auch ihre<br />

Korngülte (Abgaben an Getreide), das<br />

Weingeld und die Zinsen (Abgaben der<br />

Bauern) in „Glefhart Sultzebach.“ 29 Dabei<br />

werden auch heute noch bekannte Flurnamen<br />

wie Horn 30 , Loch 31 , Hohenberg,<br />

Helden 32 , Rappenloch, an dem Rut (heute<br />

wohl Röte) 33 , unter dem Verherberge,<br />

Neuenberg oder Hagenau (Hagenbach) 34<br />

erwähnt. Ausserdem wird klar, dass bereits<br />

damals der Föhrenberg bzw. der Hohenberg<br />

Weinanbaugebiete waren.<br />

Namen von Einwohnern, die damals im<br />

Dorf Abgaben zu entrichten hatten waren<br />

z. B. Heintze Hofman, Heintze Budger, der<br />

Burkartin Kint, Albrecht Gruppenbach,<br />

Bentze von Sultzebach, Bertholt Mulner,<br />

Bentze Husse oder Adelheit Kressin. 35<br />

Heintze Hofmann z. B. musste sechs Simri<br />

(ca. 108 Liter) von einem Acker am Horn,<br />

zusammen mit Herman Swartze acht Simri<br />

(ca. 144 Liter) von einem Acker im Rotrischen<br />

(vielleicht in der Röte) an Korngült<br />

entrichten. Derselbe Herman Swartze<br />

musste von einem halben Morgen (ca. 0,16<br />

Hektar) eines Weinbergs am Föhrenberg<br />

ein Drittel des Ertrags an die Herrschaft<br />

abliefern. Der Burkartin Kint schließlich<br />

musste für Wiesen und Gärten an St. Martin<br />

neun Schilling an Zins entrichten.<br />

Schon in dieser Quelle wird ein „Wingart<br />

zu Eberstettin“ erwähnt. Noch im Lagerbuch<br />

von 1523 (siehe unten und Anm. 23<br />

oben) gibt es einen Weinzehnt, der im<br />

Eberstall eingezogen wird. Handelt es sich<br />

um einen Hinweis darauf, dass es in der<br />

Flur Eberstall früher eine abgegangene<br />

Siedlung „Eberstal“ gab, wie in der Literatur<br />

behauptet wurde? 36 Ebenso schwer ist<br />

zu beurteilen, ob sich im Kiefertal eine<br />

Wüstung befi ndet. 37 (Siehe hierzu den<br />

Beitrag über die Wüstungen).<br />

Als die Weinsberger u. a. durch ihr Engagement<br />

in der Reichspolitik immer mehr<br />

in Geldnot gerieten, zuletzt vor allem der<br />

Reichserbkämmerer, Konrad IX. (gestorben<br />

1448), 38 mussten sie nach und nach dazu<br />

übergehen, Teile ihres Besitzes zu verkaufen.<br />

So schließlich auch, nach mehreren<br />

Verpfändungen in der ersten Hälfte des<br />

15. Jahrhunderts, Neuenstadt mit <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />

die sie am 24. April 1446 an das<br />

Kurfürstentum Pfalz veräußerten. 39<br />

Aus der Pfälzer Zeit liegt uns eine Vermögensstatistik<br />

für die Ämter Weinsberg,<br />

Neuenstadt und Möckmühl vom Jahr 1495<br />

vor, 40 die aufgrund einer einmaligen Steuererhebung<br />

(„Willgeld“) des Pfalzgrafen Philipp<br />

angelegt wurde, und in der die Steuerpfl<br />

ichtigen nach Steuerklassen aufgeführt<br />

sind. In <strong>Cleversulzbach</strong> gab es demnach zu<br />

dieser Zeit 32 steuernde Einwohner, die zusammen<br />

über ein Vermögen (abzüglich der<br />

Schulden) von 2.750 Gulden verfügten,<br />

wovon sie 55 Gulden an Steuern bezahlten<br />

(zum Vergleich: Gochsen hatte 65 Steuerpfl<br />

ichtige mit einem Gesamtvermögen von<br />

7.398 Gulden, die 147 Gulden Steuer zahlten).<br />

Von den 32 aufgeführten <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Steuerzahlern wurden acht als<br />

„reich“ (mit einem Vermögen abzüglich<br />

Schulden von 100 bis 575 Gulden), 12 als<br />

mittlere Vermögende (50 bis 96 Gulden)<br />

und 12 als Arme (5 bis 45 Gulden) eingestuft.<br />

Damit zahlte <strong>Cleversulzbach</strong> damals<br />

mit Abstand am wenigsten Steuern im<br />

Amt Neuenstadt, was vielleicht mit der<br />

Größe der Markung bzw. des Orts zusammenhängen<br />

mag; möglicherweise spielt<br />

auch die Bodenbeschaff enheit eine Rolle,<br />

die evtl. ihren Ausdruck im Ortsnamen gefunden<br />

haben könnte (siehe oben).<br />

31


32<br />

Von der Regentschaft Herzog Ulrichs<br />

bis zum Dreißigjährigen Krieg<br />

Schon Anfang des 16. Jahrhunderts, nach<br />

den kriegerischen Auseinandersetzungen<br />

des bayrischen Erbfolgekriegs, in dem auch<br />

Neuenstadt von Herzog Ulrich von Württemberg,<br />

einem Gegner der Pfalz, belagert<br />

und gewaltsam eingenommen wurde, und<br />

aus dem schließlich Württemberg als einer<br />

der Sieger hervorging, kam es dann erneut<br />

Herzog Ulrich von Württemberg (geb. am 8.<br />

Februar 1487 in Reichenweier, Elsass, gest.<br />

am 6. November 1550 in Tübingen)<br />

zu einem Wechsel der Obrigkeit in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

41 Die Pfalz musste u. a. das Amt<br />

Neuenstadt mit <strong>Cleversulzbach</strong> abtreten.<br />

Seit 1504 gehört es zu Württemberg und<br />

war Teil des nun württembergischen Amts<br />

Neuenstadt bis 1808, wobei es aber über einen<br />

eigenen Schultheiß (der von der Gemeinde<br />

gewählte Dorfvorsteher), ein eigenes<br />

Dorfgericht (dem der Schultheiß als<br />

Richter vorsaß) 42 und einen Rat (Vertretung<br />

der Gemeinde) verfügte. Das Gericht war im<br />

Unterschied zu heute auch eine Verwaltungsbehörde,<br />

deren Mitglieder das Amt auf<br />

Lebenszeit ausübten.<br />

Unzufriedenheit mit der Regierungskunst<br />

Ulrichs regte sich freilich schon bald beim<br />

Aufstand des Armen Konrads, der sich auch<br />

in den Ämtern Neuenstadt und Weinsberg<br />

bemerkbar machte. 43 Nachdem sich Ulrich<br />

noch weitere Fehltritte erlaubt und sich mit<br />

seinen Ständen zerstritten hatte, wurde er<br />

schließlich mit Hilfe des Schwäbischen<br />

Bundes 1519 als Landfriedensbrecher aus<br />

seinem Herzogtum vertrieben. Württemberg<br />

und somit auch <strong>Cleversulzbach</strong> wurden<br />

von 1520 bis 1534 von einer kaiserlichösterreichischen<br />

Regierung verwaltet. 44 In<br />

diese Zeit fi el nicht nur der Bauernkrieg<br />

1525, in dem auch das Amt Neuenstadt<br />

eine Rolle gespielt hat, – denn nicht umsonst<br />

war, nachdem die „Revolte“ niedergeschlagen<br />

worden war und die Obrigkeit den<br />

Aufruhr sühnte, Neuenstadt auf der Liste<br />

der „ungehorsamen Städte“, die dafür mit<br />

„Strafsteuern“ belegt wurden 45 – sondern<br />

auch eine beträchtliche Umgestaltung der<br />

Verwaltung.<br />

Es war eine Zeit, in der Wissenschaften,<br />

Künste, Handel und Gewerbe aufblühten, in<br />

der die Reformation sich ausbreitete – und<br />

auch die österreichische Regierung brachte<br />

eine gewisse Modernisierung mit sich. 46 Der<br />

zunehmende Einfl uss des Römischen Rechts<br />

und der steigende allgemeine Bildungsstand<br />

führten zu einer Intensivierung und zunehmender<br />

Verschriftlichung des Verwaltungshandelns<br />

der weltlichen Fürsten.<br />

Damals entstanden auch die frühen württembergischen<br />

Lagerbücher. Eines davon ist<br />

das Lagerbuch des Amts Neuenstadt von<br />

1523. 47 Es beschreibt die Rechte und Einnahmen,<br />

die dem Landesherrn in diesem<br />

Gebiet zustanden. Da diese auch Aufschluss<br />

über das Leben im Dorf vor 500 Jahren geben,<br />

sollen sie nun etwas näher betrachtet<br />

werden:<br />

Als Herrschaftsbefugnisse des Territorialherren,<br />

des Herzogs von Württemberg, die er<br />

als Landesherr in <strong>Cleversulzbach</strong> ausübte,<br />

werden genannt: der „Stab“ (das Recht, Ge-


ichte einzuberufen und die Gerichtsgewalt),<br />

das „Geleit“ (also das Recht, Reisende<br />

auf den damals teils recht unsicheren Straßen,<br />

gegen eine Gebühr zu beschützen) und<br />

„alle Oberkeit“; das Recht, „Gebot und Verbot“<br />

auszusprechen, die hohe Gerichtsbarkeit<br />

(auch Blutbann genannt, also das Recht<br />

über schwere Vergehen zu richten) und die<br />

niedere Gerichtsbarkeit (das Recht über<br />

leichtere Vergehen zu richten), somit auch<br />

„Frevel, Bussen“ (Geldstrafen) und Strafen<br />

zu verhängen, so weit „sein Zwing und<br />

Bann“ (etwa so viel wie die Befehls- und<br />

Strafgewalt) 48 reichte.<br />

Für die Finanzverwaltung, für die das Lagerbuch<br />

erstellt wurde, waren aber natürlich<br />

die Abgaben, die dem Herzog zustanden,<br />

das Wichtigste. Diese wurden ausführlich<br />

benannt:<br />

An Kirchweih hatte die Herrschaft das<br />

Recht des Bannweins (Vorrecht auf alleinigen<br />

Weinausschank), wobei auf diesen das<br />

sonst für Getränke übliche Umgeld (Umsatzsteuer<br />

auf ausgeschenkte Getränke)<br />

nicht erhoben wurde. Beim Unterkauf<br />

(also beim Verkauf eines herrschaftlichen<br />

Zinsguts oder Lehens) standen ihr zwei<br />

Maß (ca. drei Liter) Wein (je ein Maß vom<br />

Käufer und vom Verkäufer) zu, die dem<br />

Amtmann (dem herzoglichen Beamten,<br />

der dem Amt vorstand), der das Geschäft<br />

registrierte, zu übergeben waren.<br />

Bei kleinen und großen Freveln (Vergehen)<br />

waren jeweils Geldstrafen fällig, die in pfälzischer<br />

Währung zum größeren Teil an die<br />

Herrschaft zu entrichten waren, zum kleineren<br />

Teil an den Schultheiß und das Gericht.<br />

Frauen und Männer wurden dabei gleich<br />

behandelt.<br />

Außerdem hatte die Herrschaft das Hauptrecht,<br />

welches dem Grundherrn eine Abgabe<br />

beim Besitzwechsel des Guts nach dem Tod<br />

des Inhabers zusicherte. Die Erben mussten<br />

bei einem verstorbenen Mann das beste<br />

Stück Vieh abliefern. Falls keines da war, war<br />

die Abgabe mit dem Neuenstädter Amt-<br />

mann auszuhandeln. Bei einer verstorbenen<br />

Frau war deren bestes Oberkleid fällig.<br />

Des Weiteren musste jede leibeigene Person<br />

der Herrschaft jährlich eine Leibhenne entrichten;<br />

Eheleute wurden „gemeinsam veranlagt“<br />

und gaben zusammen nur eine<br />

Henne.<br />

Diese letzteren herrschaftlichen Steuern<br />

wurden aber den in <strong>Cleversulzbach</strong> ansässigen<br />

Untertanen (anders als z. B. in Gochsen)<br />

„von alters her“ erlassen und nur auf diejenigen<br />

angewandt, die, als gebürtige <strong>Cleversulzbach</strong>er,<br />

andernorts ihren Wohnsitz genommen<br />

hatten. 49<br />

Pfarrpfründen gab es ebenfalls keine, da es<br />

zu dieser Zeit im Ort noch keine Pfarrei gab.<br />

Dafür musste aber der große 50 und der<br />

kleine Zehnt 51 an das Kloster Schöntal, entrichtet<br />

werden.<br />

Gesondert erwähnt wird der Zehnt für die<br />

Weingärten im Eberstall, der zu zwei Dritteln<br />

an die Herrschaft, zu einem an den<br />

Deutschmeister ging (siehe oben).<br />

Für die Nutzung der Kelter, die der Herrschaft<br />

gehörte, wurde der so genannte Kelterwein<br />

fällig – damals jeder zehnte Eimer<br />

(ca. 37,5 Liter) vom Ernteertrag. Noch dazu<br />

musste dieser Wein nach Neuenstadt (als<br />

Frondienst) transportiert werden. Nicht zu<br />

vergessen die Kelterknechte, die zu verköstigen<br />

waren, während ihre Entlohnung die<br />

Herrschaft übernahm.<br />

Für ein- und ausgeführte Waren musste Zoll<br />

bezahlt werden, wobei die Einnahmen sowohl<br />

an die Stadt Neuenstadt (die damit<br />

„Weg und Steg“ unterhielt) als auch an die<br />

Herrschaft fl ossen. Immerhin musste, was in<br />

Neuenstadt bereits verzollt worden war, in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> nicht mehr verzollt werden.<br />

Ebenfalls an den Landesherrn ging die so<br />

genannte Bede (direkte landesherrliche<br />

Steuer auf den Grundbesitz). Sie betrug damals<br />

insgesamt 13 Gulden.<br />

Die Abgaben an die Herrschaft in ihrer Eigenschaft<br />

als Grundherrn 52 nehmen im Lagerbuch<br />

den größten Raum ein.<br />

33


34<br />

Beispielhaft seien hier die Grundabgaben<br />

eines der größeren Lehen 53 , die des Bastian<br />

Mertz, zusammen mit Conz Mertz und Jacob<br />

Zwaxuff (Kühnlehen), angeführt:<br />

Die unablösigen Hellerzinsen auf Häuser,<br />

Wiesen und Gärten betrugen 5,5 Schilling, 3<br />

Pfennige und zwei alte Hennen. Die so genannte<br />

Landacht, eine herrschaftliche Ertragssteuer,<br />

belief sich auf 11 Malter (ca.<br />

15,77 hl) und 3 Simri Roggen (ca. 52 l) sowie<br />

9 Malter (ca. 16,11 hl.) und 1 Simri (ca.<br />

18 l) Hafer für insgesamt 22,5 Morgen<br />

Äcker (ca. 7,5 ha) und 12,75 Morgen Wiesen<br />

(ca. 4,25 ha) auf den Fluren Hecken und<br />

Kirchweg.<br />

Das Hundslehen stellte ein spezielles Lehen<br />

dar, das off enbar noch aus pfälzischer<br />

Zeit stammte: Die Inhaber des Lehens waren<br />

verpfl ichtet, wenn ein herrschaftlicher<br />

Jäger zur Jagd kam, dessen Hunde mit<br />

Brot zu füttern, für diesen ein Pferd zu<br />

unterhalten und es ihm zur Verfügung zu<br />

stellen.<br />

Zu guter Letzt galt es auch noch Frondienste<br />

54 zu leisten. So mussten die Untertanen<br />

im ganzen Amt, also auch die <strong>Cleversulzbach</strong>er,<br />

die herrschaftlichen Gebäude in<br />

Neuenstadt, wie die Kelter, das Schloss, die<br />

Kellerei, die herrschaftliche Scheuer, das<br />

Pulverhaus, den Marstall unterhalten und<br />

gegebenenfalls bauliche Erhaltungsmaßnahmen<br />

durchführen. Außerdem mussten<br />

die herrschaftlichen Eigengüter, wie Gärten<br />

und Wiesen, geheut und geöhmdet, der Ertrag<br />

abgeliefert, sowie die der Herrschaft<br />

selbst gehörenden Äcker bestellt und geerntet<br />

werden, wobei die Herrschaft für die<br />

Verpfl egung aufkam. Für den Amtmann<br />

musste das Holz aus dem herrschaftlichen<br />

Wald gefällt und gespalten werden, während<br />

die Neuenstädter es zum Schloss führen<br />

mussten.<br />

Die Unterhaltung der Mühle in Neuenstadt<br />

oblag zwar dem Müller, doch sicherte ihm<br />

die Herrschaft auch dabei Frondienste der<br />

Untertanen zu.<br />

In ihrer Gültigkeit bestätigt wurden die Bestimmungen<br />

des Lagerbuchs durch die Renovation<br />

55 desselben vom 23. Juli 1523. Zeugen<br />

waren der <strong>Cleversulzbach</strong>er Schult heiß<br />

Jorg Freundt, die Mitglieder des Gerichts<br />

Hans Stuchs, Peter Mertz, Claus Dythmar,<br />

Hans Mertz und Jacob Zwaxuff sowie die<br />

Vertreter des Rats Contz Mertz, Jost Zwaxuff<br />

und Bastian Mertz.<br />

An Abgaben für die herzogliche Finanzverwaltung<br />

herrschte also kein Mangel. Diese<br />

hatte auch immensen Bedarf an Einnahmen.<br />

Die Zeiten waren kriegerisch und bewaff<br />

nete Auseinandersetzungen kosteten<br />

Geld. Das Land stand vor und nach der Jahrhundertwende<br />

mehr als einmal am Rand<br />

des Staatsbankrotts.<br />

Nach 14-jähriger Abwesenheit eroberte sich<br />

Herzog Ulrich 1534 sein Land mit Hilfe des<br />

Landgrafen Philipp I. von Hessen wieder zurück<br />

und trat seine zweite Regierungszeit<br />

an, in der er auch die Reformation im Land<br />

einführte – was aber nicht überall auf Beifall<br />

stieß. Es war die Zeit des verschärften<br />

Glaubensgegensatzes im Deutschen Reich.<br />

Ulrich führte sein Land bald in den evangelischen<br />

Schmalkaldener Bund. Der folgende<br />

Schmalkaldische Krieg berührte wiederum<br />

auch das Amt Neuenstadt.<br />

Ende des Jahrs 1546 lagerten hier sowohl<br />

die Evangelischen als auch das kaiserliche<br />

Heer unter dem Herzog von Alba, wobei<br />

sich besonders spanische Söldner durch<br />

Übergriff e gegenüber den Zivilisten hervorgetan<br />

haben. Bevor es aus dem Amt abzog,<br />

56 wurden jedoch Bevollmächtigte vor<br />

Ort zurückgelassen, die dafür sorgen sollten,<br />

dass ein zweites kaiserliches Heer, das in<br />

Heilbronn lag, und bei dem sich auch Kaiser<br />

Karl V. befand, mit Proviant aus unserer Gegend<br />

versorgt wurde. 57<br />

Bis 1550 hatte das Amt Neuenstadt immer<br />

wieder unter der Last durchziehender Truppenverbände<br />

zu leiden. 58 Erst nachdem im<br />

selben Jahr Herzog Ulrich gestorben war,<br />

und sein Nachfolger Herzog Christoph


Ausschnitt aus der Chorographia von Georg Gadner von 1596 (Blatt 4 Neuenstädter Forst).<br />

Bei <strong>Cleversulzbach</strong> ist bereits eine Kirche abgebildet. Beim Eberfürst befi ndet sich eine Siedlung<br />

(Hauptstaatsarchiv Stuttgart).<br />

(1515 –1568) die Regierung übernahm,<br />

wurde es für die württembergischen Untertanen<br />

besser.<br />

1552 wurde in Württemberg endgültig die<br />

Reformation eingeführt. Herzog Christoph<br />

festigte und reformierte das Land sowohl in<br />

weltlicher wie auch in kirchlicher Hinsicht.<br />

Ebenso leistete er in Neuenstadt, vor allem<br />

was seine baulichen Maßnahmen anging,<br />

„Wiederaufbauarbeit“.<br />

Unter Herzog Ludwig (1568–1593) wurde in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> 1585 eine eigene Kirche fertig<br />

gestellt. Die zugehörige eigene Pfarrei<br />

wurde 1592 eingerichtet. 59 Vorher war man<br />

noch über den Kirchweg in die Helmbunder<br />

Kirche gegangen.<br />

Die Reformation brachte es aber auch mit<br />

sich, dass es hinsichtlich der Kirchenbaulasten<br />

und anderer die Kirche betreff ender Gegenstände<br />

zwischen den Württembergern<br />

als evangelischer Obrigkeit und dem kirchlichen<br />

Zehntherrn, dem katholischen Kloster<br />

Schöntal, immer wieder zum Streit kam.<br />

Erst 1699 wurde der Schöntaler Pfl eghof<br />

von den Württembergern gekauft und ein<br />

klärender Kompromiss versucht. Dass die<br />

35


36<br />

Streitigkeiten aber auch danach noch bis<br />

ins 18. Jahrhundert hinein weitergingen,<br />

bezeugt das umfangreiche Schriftgut darüber,<br />

das die Archive füllt.<br />

Vom Dreißigjährigen Krieg bis zur<br />

Französischen Revolution<br />

Die bewaff neten Glaubensauseinandersetzungen<br />

erreichten ihren Höhepunkt im<br />

Dreißigjährigen Krieg. Als er 1618 nach dem<br />

Prager Fenstersturz ausbrach, regierte in<br />

Württemberg Herzog Johann Friedrich<br />

(1608 –1628). Unter seiner Regentschaft<br />

entstand aber auch ein für <strong>Cleversulzbach</strong><br />

wichtiges Dokument, das uns heute Einblick<br />

in den Alltag der Menschen vor ca. 400 Jahren<br />

gewährt: die Statuten des Dorfs von<br />

1626. 60<br />

Bedenkt man, dass ihre Wurzeln bis auf die<br />

pfälzische Zeit zurückreichen, muss ihre Bedeutung<br />

für die Geschichte <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />

noch höher veranschlagt werden. Für die<br />

Menschen in <strong>Cleversulzbach</strong> warf jedoch<br />

der Krieg, von dem sie unmittelbar in seiner<br />

vollen Wucht erfasst wurden, all das, was<br />

für Friedenszeiten konzipiert worden war,<br />

über den Haufen. Bevor deshalb diese<br />

Quelle für das geordnete dörfl iche Leben im<br />

Normfall des Friedens beleuchtet werden<br />

soll, – denn der war in diesen Zeiten häufi -<br />

ger Kriege gar nicht so „normal“ – muss<br />

vorher noch ein Blick auf die kriegerischen<br />

Ereignisse, die <strong>Cleversulzbach</strong> betrafen, geworfen<br />

werden:<br />

Immer wieder wurde das Amt Neuenstadt<br />

damals Schauplatz von Truppendurchmärschen,<br />

Einquartierungen, Plünderungen,<br />

Übergriff en und Gewaltakten der Soldateska<br />

beider Kriegsparteien, die darüber hinaus<br />

auch für die Verbreitung von Seuchen<br />

und Krankheiten sorgten. 61 Schon nach der<br />

Schlacht bei Wimpfen am 26. April 1622,<br />

die die evangelische Union verlor, und wieder<br />

nach der Schlacht bei Nördlingen am<br />

26. August 1634, in der die Schweden eine<br />

schwere Niederlage erlitten, rückten kaiser-<br />

lich katholische Truppen ins Land ein. Damals<br />

musste der regierende Herzog, Eberhard<br />

III. (1628 –1674) sogar das Land verlassen<br />

und konnte nicht verhindern, dass Kaiser<br />

Ferdinand II. die Ämter Weinsberg und<br />

Neuenstadt mit <strong>Cleversulzbach</strong> an seinen<br />

Rat, den Grafen Max von Trautmannsdorf,<br />

verlieh (bis 1646).<br />

Vor allem die 1630er und 1640er Jahre<br />

brachten viel Unheil für das Amt. 1643 waren<br />

die protestantischen Truppen des Herzogs<br />

von Sachsen-Weimar und die Bayern<br />

hier, 1645 die Franzosen, 1646 die Franzosen<br />

62 und die Schweden, 1647 erneut die<br />

Schweden, die damals alles, was nicht niet-<br />

und nagelfest war, plünderten, 63 1648 wieder<br />

die Franzosen, die erst nach dem Westfälischen<br />

Friedensschluss das Land wieder<br />

verließen. 64 In <strong>Cleversulzbach</strong> hielt sich noch<br />

1649 eine Kompanie Kroaten auf. Bereits<br />

1634 kam es im Dorf zu Plünderungen. Außerdem<br />

wurde die Kirche beschädigt. 65<br />

Im Amt Neuenstadt sollen zwischen 1634<br />

und 1652 von 852 Einwohnern 66 461 ums<br />

Leben gekommen sein. Von 855 Gebäuden<br />

standen noch 519. Allein in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

sind 14 von 31 Häusern abgebrannt. 67 Die<br />

bebaute Ackerfl äche im Amt nahm von<br />

6.105 Morgen auf 4.995 Morgen ab. Vielleicht<br />

hatte der Dreißigjährige Krieg im<br />

ganzen Amt Neuenstadt für die Bevölkerung<br />

schlimmere Auswirkungen als selbst<br />

der Zweite Weltkrieg und der anschließende<br />

Zusammenbruch des Deutschen Reichs, was<br />

für uns heute ja als Inbegriff der „schlechten<br />

Zeit“ gilt.<br />

Aber zurück zum Jahr 1626. Für <strong>Cleversulzbach</strong><br />

war die Lage noch nicht ganz so<br />

schlimm. Der Hauptkriegsschauplatz war<br />

damals Norddeutschland und der Herzog<br />

regierte das Land vom Stuttgarter Schloss<br />

aus, so dass man sich damals noch der Renovation<br />

der „Statuten des Fleckens <strong>Cleversulzbach</strong>“<br />

68 widmen und so das von alters<br />

her geltende Recht fi xieren konnte. Darauf<br />

soll nun näher eingegangen werden:


Statuten des Fleckens <strong>Cleversulzbach</strong> 1626<br />

Gleich zu Beginn wird der Anspruch der Dorfgemeinde auf eigene Steuern neben der<br />

Bede, die an die Herrschaft abgeführt wurde (siehe Lagerbuch), formuliert.<br />

Darüber hinaus musste der Bürger auch damals schon für so manches Gebühren zahlen:<br />

Das fi ng schon an mit dem Elementarsten, was das Leben im Dorf betraf, nämlich<br />

dem Bürgerrecht selbst: Sowohl die Aufnahme in die Bürgerschaft als auch die Entlassung<br />

kosteten Geld. Außerdem musste man ein Mindestvermögen mitbringen, um<br />

aufgenommen zu werden. Weitere Bestimmungen waren, dass das Bürgerrecht nur an<br />

einen Ortsfremden verkauft werden konnte, wenn man ein Haus besaß, und dass das<br />

Bürgerholz, das dem Einzelnen aus dem Gemeindewald zugeteilt wurde, nicht an Auswärtige<br />

verkauft werden durfte.<br />

Gab es Streitigkeiten über den Grenzverlauf von Grundstücken, bot sich die Möglichkeit,<br />

einen „Untergang“ 69 zu beantragen. Dieser kostete den Antragsteller zwei Gulden.<br />

Für einen großen Frevel (Vergehen, die in die Zuständigkeit der hohen Gerichtsbarkeit<br />

fi elen) bekam das Gericht ein Pfund.<br />

Wollte man das Gericht anrufen, war das Gerichtsgeld fällig.<br />

Wollte man das Dorfbuch einsehen, indem diese Statuten selbst niedergelegt waren,<br />

verdiente die Gemeinde wieder mit. Die „Einsichtnahme“ erfolgte durch Vorlesen, nach<br />

Zustimmung des Schultheißen.<br />

Nicht zu vergessen sind neben den Gebühren natürlich auch die Strafen, die für Vergehen<br />

vorgesehen waren, die für uns heute aufschlussreich für den Alltag damals<br />

sind: Möglicherweise ist es auf dem Rathaus nicht immer nur friedlich zugegangen,<br />

denn dafür, dass ein Glas oder ein anderer Gegenstand aus dem Fenster desselben geworfen<br />

wurde, musste eine Flasche Wein erlegt werden. 70<br />

Eine Strafe drohte ebenfalls, wenn jemand im Herbst einen Karren unter die Kelter<br />

zum Be- oder Entladen stellte.<br />

Auch für die Einhaltung der Kleiderordnung bei Gemeindeversammlungen wurde gesorgt:<br />

Wer ohne Überrock, Mütze oder Mantel kam, musste eine Flasche Wein „zahlen“.<br />

Fischen und Krebsen für eine Speise, die sich im frühneuzeitlichen Deutschland großer<br />

Beliebtheit erfreute, 71 waren nur an einem Freitag erlaubt. Zuwiderhandlungen wurden<br />

mit einer Geldstrafe belegt.<br />

Weitere Bestimmungen der Statuten waren:<br />

Die Jagdfron, die die Einwohner für den Amtmann in Neuenstadt leisten mussten, war<br />

auf drei Tage im Jahr begrenzt. Die Futter-Öhmd (der zweite Heuschnitt) musste am Bartholomäustag<br />

(24. August) beendet sein. Danach standen die Wiesen dem Vieh off en.<br />

Die Nutzung des Gemeindewalds stand jedem Bürger gleichberechtigt zu.<br />

Auf dem 26 Morgen (ca. 8,5 ha) betragenden Waldstück im Gebiet Eberstall, das den<br />

Freiherrn von Gemmingen gehörte, hatte die Gemeinde das Triebrecht (das Recht, ihr<br />

Vieh dort weiden zu lassen). Ebenso durften die Bewohner des Dorfs dort Früchte nutzen,<br />

wie auch im Gemeindewald. Dieselben Rechte standen den Bürgern auch in den<br />

weiteren Privatwäldern zu. Generell durfte „wildes“ Obst von jedem geerntet werden,<br />

auch wenn dieses auf Grundstücken wuchs, die einem anderen gehörten.<br />

Genau beschrieben werden in den Statuten – verteilt auf die drei Fluren Kirchweg,<br />

Kelter und Hecken – auch die Fuß-, Trieb- und Fahrwege, die Fußpfade, die teilweise<br />

versteint waren, sowie die Gräben, die die Bewohner zu erhalten hatten. Dabei werden<br />

37


38<br />

unter anderem auch die Fladengasse und das „Gartengäßlein“ sowie das „Gäßlin“ im<br />

Ort erwähnt. Außerdem werden die „Überfahrtrechte“ und -wege für einzelne Flurstücke<br />

zur Heuernte und Öhmd sowie für die Weinberge und zum Holztransport genau<br />

festgelegt und die Unterhaltung der Brunnen im Ort und außerhalb sowie der Zugang<br />

zu ihnen geregelt. Verboten waren außer dem Bannzaun 72 , andere Zäune um Grundstücke<br />

zu errichten, damit das Vieh ungehindert weiden konnte.<br />

Das Hundslehen wurde, wie im Lagerbuch geregelt, auch hier beschrieben, zusätzlich<br />

aber noch alle Güter aufgeführt, die dazu gehörten.<br />

Die Gültigkeit dieses Dokuments schließlich und die gleichzeitig fortbestehende Gültigkeit<br />

der im Lagerbuch niedergelegten Bestimmungen garantierten am 30. Mai 1626<br />

der Oberamtmann Graf zu Erbach und der Untervogt und Keller zu Neuenstadt Leonhardt<br />

Köpff .<br />

In der großen Politik war es 1648 zum<br />

lang ersehnten Friedensschluss von Münster<br />

und Osnabrück gekommen, den auch<br />

die Württemberger lange herbeigesehnt<br />

hatten. Das Amt und damit auch <strong>Cleversulzbach</strong><br />

wurden wieder von Stuttgart aus<br />

regiert – mit einer Neuerung: Durch den<br />

fürstbrüderlichen Vergleich von 1649 trat<br />

der wieder in sein Land zurückgekehrte<br />

Herzog Eberhard III. seinem Bruder Friedrich<br />

die Ämter Neuenstadt, Möckmühl<br />

und Weinsberg mit allen Einkünften, der<br />

niederen Gerichtsbarkeit und der Zuständigkeit<br />

für die Pfarreien ab. 73 Damit begann<br />

auch für <strong>Cleversulzbach</strong> eine neue<br />

Ära, die mit der Etablierung einer württembergischen<br />

Nebenlinie in Neuenstadt<br />

einherging und die bis 1742 dauern sollte,<br />

als der letzte männliche Vertreter der Linie,<br />

Carl Rudolf, starb.<br />

Aber auch in dieser Ära sollten die Untertanen<br />

immer wieder mit Kriegen konfrontiert<br />

werden: Aufgrund der räumlichen<br />

Nähe war es unvermeidlich, dass unsere<br />

Region und damit auch <strong>Cleversulzbach</strong><br />

unter den vom französischen König Ludwig<br />

XIV. gegen das Deutsche Reich geführten<br />

Kriegen zu leiden hatte (besonders<br />

unter dem Pfälzer Erbfolgekrieg<br />

1688 –1697). In den Jahren 1688/89 standen<br />

sowohl französische wie auch Reichs-<br />

truppen in unserer Gegend. 1693 waren<br />

bei Kochendorf umfangreiche kaiserliche<br />

Truppenverbände zur Abwehr stationiert,<br />

für die allein das Amt Neuenstadt 70.000<br />

Gulden aufbringen sollte.<br />

Im Spanischen Erbfolgekrieg mussten<br />

1701, 1704 und 1706 zahlreiche Truppeneinquartierungen,<br />

vor allem von Allianztruppen,<br />

hingenommen werden. Zusätzlich<br />

zu allen materiellen und gesundheitlichen<br />

Schäden führten kriegerische<br />

Auseinandersetzungen auch damals zu<br />

Flücht lingsströmen – auch in unserer Region.<br />

74 Aber selbst wenn man von Krankheit,<br />

Plünderung oder Gewalt verschont<br />

blieb, waren schon allein Truppeneinquartierungen<br />

für die Bevölkerung immer ein<br />

Unglück.<br />

Ein eher unprätentiöses Beispiel dafür, wie<br />

die Zivilbevölkerung von Truppenstationierungen<br />

betroff en werden konnte, das<br />

aus Friedenszeiten stammt, ist eine Quelle<br />

aus dem Jahr 1763: 75 Es handelt sich um<br />

eine Aufstellung von Vorspann- 76 und<br />

Fuhrleistungen, die Bewohner des Amts<br />

als Frondienst für ein württembergisches<br />

„Gendarmes-Regiment,“ das hier Quartier<br />

genommen hatte, leisten mussten. Der<br />

Amtmann in Neuenstadt beziff erte die erbrachten<br />

Leistungen nach der „Communordnung“<br />

mit einem bestimmten Betrag:


So musste z. B. der <strong>Cleversulzbach</strong>er Adam<br />

Lumpp am 20. November 1763 mit einem<br />

Wagen und einem Paar Ochsen Pferdefutter<br />

(Fourage) für die Truppen aus dem<br />

Neuenstädter Magazin holen. Interessant<br />

ist vielleicht, dass das Ochsengespann<br />

doppelt so hoch abgerechnet wurde wie<br />

der ebenfalls aufgeführte Wagenlenker.<br />

Nach dem herzoglichen General-Servis-<br />

Reglement, § 11, sollte das Amt Neuenstadt<br />

dann die entsprechenden Beträge<br />

vom herzoglichen Kriegsrat erstattet bekommen.<br />

Weitere Kriege folgten im Laufe des 18.<br />

Jahrhunderts, wie z. B. der Dritte Schlesische<br />

Krieg (1756 –1763), an dem auch<br />

Württemberg, auf der Seite Frankreichs,<br />

beteiligt war. Dennoch war das 18. Jahrhundert,<br />

verglichen mit den Katastrophen<br />

des 17. Jahrhunderts, eine Zeit, in der die<br />

Bevölkerung und, in bescheidenerem Maß,<br />

auch der Wohlstand zunahmen. Die Regierungen<br />

im Reich waren bemüht, ihre Länder<br />

wieder aufzubauen. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />

wurden z. B. das Pfarrhaus gebaut (1755)<br />

und der Friedhof angelegt (1764) 77 .<br />

Aber natürlich sorgte die Herrschaft immer<br />

zuerst auch dafür, dass die eigenen<br />

Kassen ausreichend gefüllt waren. Das<br />

zeigt eine Quelle, die, als ein Beispiel von<br />

vielen aus dem landwirtschaftlichen Bereich,<br />

die in den Archiven schlummern,<br />

hier selbst zu Wort kommen soll. Es handelt<br />

sich um einen Bericht 78 eines Mitglieds<br />

des Gerichts, das 1743, nachdem<br />

die Württemberg-Neuenstädter Linie mit<br />

Carl Rudolf im Mannesstamm ausgestorben<br />

war, damit beauftragt war, fürstlich<br />

Württembergisch-Neuenstädter Eigengüter<br />

möglichst gewinnbringend zu verpachten.<br />

Dabei ging es um ein Stück Wiesen von<br />

2,18 Morgen (ca. 0,7 ha) „gegen dem Kieferthal<br />

Wald gelegen, die zu verleyhen<br />

waren“, wie der Bericht einsetzt. Der Autor<br />

fährt fort:<br />

Ich ließe dergleichen Vorhaben gute Zeit<br />

vor deren durchlauchtigsten Aufsteckung<br />

(Anzeige des Beginns der Versteigerung)<br />

verkünden und endlich den 9. May anno<br />

1743 verfügte mich selbst dahin und tentirte<br />

solche Aufsteckung zu herrschaftlichem<br />

Nutzen zu vollziehen. Es wollte aber<br />

da ich auf 3 Jahr gedachte Wiesen aufsteckte<br />

vor jährlich 4 Gulden 30 Kreuzer<br />

sich niemand fi nden darauf zu schlagen.<br />

Nach etlichem Wartten kame Abraham<br />

Freund und wendete vor, die Wiesen seye<br />

schlecht, dass sie fast kein Futter gebe<br />

[…], wollte vor jährlich Zinß anbieten 3<br />

Gulden. Noch später fande sich ein Dietrich<br />

Leitz und bothe an 4 Gulden 30 Kreuzer.<br />

Und letztlich als es schon Nacht gewesen,<br />

trat herbey der dritte Aufschläger<br />

Martin Volpp. Dieser schluge weiter 15<br />

Kreuzer. Womit der Bestand jährlich aus<br />

machte 4 Gulden 45 Kreuzer. Ware ein<br />

tüchtiger Beständer und Zähler, deme<br />

schriebe auf herrschaftliche Ratifi cation<br />

den Bestand also zu. Diese also vollzogene<br />

Verhandlung obiger Verstaigerung<br />

deren Bezeugung angewohnte beede Gerichts<br />

Männer dass der Bestand nicht höher<br />

zu treiben geweßen in Craft deren aigenhändigen<br />

Subscription Dewald Martin<br />

Hesser, Jacob Flaischer.<br />

Zu allen Zeiten wurden natürlich auch in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> viele Rechtsgeschäfte, vor<br />

allem in der Landwirtschaft, aber auch in<br />

den anderen Bereichen von Wirtschaft<br />

und Gesellschaft, vollzogen. – Schließlich<br />

ist die eingangs genannte Weinsberger<br />

Urkunde, der <strong>Cleversulzbach</strong> seine Ersterwähnung<br />

verdankt, ein Dokument eines<br />

solchen Rechtsgeschäfts. –<br />

Das war auch im 18. Jahrhundert nicht<br />

anders. In vielen Bereichen zeichnete es<br />

sich durch Kontinuität im Hinblick auf<br />

frühere Zeiten aus.<br />

Wie oben erwähnt, setzte sich der Dauerstreit<br />

zwischen Württemberg und dem<br />

Kloster Schöntal über die Pfarrei Clever-<br />

39


40<br />

sulzbach betreff ende Gegenstände auch<br />

im 18. Jahrhundert weiter fort. Gleiches<br />

gilt für Jagdrechtsstreitigkeiten auf <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Markung mit den Grafen zu<br />

Hohenlohe. Erst gegen Ende des Jahrhunderts<br />

sollte es zu einer Zäsur kommen, als<br />

sich die große Politik anschickte, die europäischen<br />

Gesellschaften bald grundlegend<br />

1 Württembergisches Urkundenbuch, hrsg. vom Kgl. Staatsarchiv<br />

Stuttgart, Stuttgart 1894, Bd. VI, S. 83 f. (Nr. 1683.)<br />

2 Der Bevölkerungszuwachs im Mittelalter führte dazu,<br />

dass – nachdem bereits im 6./7. Jahrhundert in der älteren<br />

Ausbauphase von den Urdörfern aus Tochtersiedlungen auf<br />

bisher unbewohntem Gebiet gegründet worden waren<br />

– mindestens im 10. bzw. 11. Jahrhundert erneut zusätzliche<br />

Siedlungsgebiete erschlossen werden mussten.<br />

Zum älteren Ausbau siehe Jänichen, Hans, Der alemannische<br />

und fränkische Siedlungsraum in: Historischer Atlas von<br />

Baden-Württemberg, Stuttgart, 1972 –1989, IV, 1, 2.<br />

Bei Bohnenberger, Karl, Die Ortsnamen Württembergs in ihrer<br />

Bedeutung für die Siedlungsgeschichte in: Blätter des<br />

schwäbischen Albvereins, Jg. 32, Nr. 1, Stuttgart, 1920, S. 24<br />

wird bemerkt, dass solche Ortsnamen (auf „-bach“) mindestens<br />

aus dem 11. Jh. stammen, vielleicht aber auch noch<br />

älter sein können.<br />

Karl Weller führt an, dass Ortsnamen auf „-bach“ in unserer<br />

Gegend auch schon an der Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert<br />

auftreten; siehe Weller, Karl, Die Ansiedlungsgeschichte<br />

des württembergischen Frankens rechts vom Neckar,<br />

in: Württembergische Vierteljahreshefte, Stuttgart,<br />

1894, Bd. 21, S. 53.<br />

Adolf Bach hält eine zeitliche Einordnung von Ortsnamen<br />

wie denjenigen mit der Endung „-bach“ überhaupt nur für<br />

möglich, wo sie gehäuft auftreten: Siehe Bach, Adolf, Deutsche<br />

Namenkunde, Die deutschen Ortsnamen, Heidelberg,<br />

1981, Bd. II, 2, S. 126.<br />

3 Beschreibung des Oberamts Neckarsulm, hrsg. vom Kgl.<br />

Statistisch-topographischen Bureau, Stuttgart 1881, S. 325,<br />

(künftig zitiert mit OAB NSU).<br />

4 OAB NSU, S. 324<br />

5 Das Althochdeutsche war bis ins 11. Jahrhundert hinein in<br />

Gebrauch; (Abkürzung: ahd.).<br />

6 Köbler, Gerhard, Althochdeutsch-neuhochdeutschlateinisches<br />

Wörterbuch, Gießen 1991, Bd. 1, S. 545 ff.<br />

Siehe auch Buck, Oberdeutsches Flurnamenbuch, Stuttgart,<br />

1880, S. 139: „Kleb, Kleeb“: In der Regel für einen nassen<br />

Ort, sowie Keinath, Walter, Orts- und Flurnamen in Württemberg,<br />

1951, S. 53, der mhdt. „Kleeb“ für Steilhalden, deren<br />

Fuß dauernd oder zeitweise vom Wasser bespült wird,<br />

bzw. für wassertriefende Felshänge nennt.<br />

zu verändern. Diese Veränderungen, die<br />

die Französische Revolution von 1789 im<br />

Guten wie im Schlechten mit sich brachte,<br />

sollten auch ihre tief greifenden Auswirkungen<br />

auf Stadt und Land in Württemberg<br />

haben.<br />

Ob man in <strong>Cleversulzbach</strong> damals die sich<br />

abzeichnende Zeitenwende vorausahnte?<br />

7 Keinath, Walter, Orts- und Flurnamen in Württemberg,<br />

Stuttgart, 1951, S. 37 (künftig zitiert mit Keinath).<br />

8 Ernst Förstermann, Altdeutsches Namenbuch, Bd. 2, Bonn,<br />

1913, S. 1691.<br />

9 Keinath, S. 107<br />

10 Keinath, S. 103 und Fischer, Hermann, Schwäbisches Wörterbuch,<br />

Tübingen 1904 –1936, Bd. 3, Spalte 1184: mit Wald,<br />

Waldweide für „Hart“.<br />

11 Keinath, S. 45<br />

12 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong>, Bestand CA 291<br />

13 OAB NSU, S. 321<br />

14 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong>, Bestand CA 291<br />

15 Freundliche Mitteilung von Herrn Werner Uhlmann<br />

16 Roth, F. W. E., Beiträge zur Geschichte des St. Petersstiftes<br />

in Wimpfen, in: Quartalsblätter des historischen Vereins für<br />

das Großherzogtum Hessen, 1887, S. 33.<br />

Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Hs 2297,<br />

Chronik des Ritterstifts Wimpfen, fol. 14r –40r (eine Kopie<br />

befi ndet sich im Stadtarchiv Bad Wimpfen, die Herr Günther<br />

Haberhauer, Stadtarchiv Bad Wimpfen, freundlicherweise<br />

zugänglich machte).<br />

18 Nekrolog, fol. 33v., 29. September (Mehtilt obiit, Nibelunc<br />

obiit qui II marcas in vinea Sulzbach dedit).<br />

19 Nekrolog, fol. 36r., 2. November (Obiit Adelhet de Clebem et<br />

eius mater Hetdewic).<br />

20 Hans Böhmer nahm Anfang des 20. Jahrhunderts als ungefähren<br />

Beginn der Abfassungszeit Mitte des 13. Jahrhunderts<br />

an. Dies wird aber in neueren Forschungen bestritten.<br />

21 OAB NSU, S. 324<br />

22 Gemäß einer Urkunde von 1307 verkaufen Conrad und<br />

Siegfried von Gosheim mit Einwilligung des Schenken Friedrich<br />

von Limpurg und des Grafen Albert von Dürn ein Drittel<br />

des Zehnten zu „Clefort Sulzbach“ an das Kloster Schöntal.<br />

Der Vollzug des Kaufs erfolgte nach Bestätigung der Lehnsherren,<br />

Graf Albert von Dürn und Schenk Friedrich von Limpurg,<br />

1310, siehe Schönhuth, O. F. H., Chronik des Klosters<br />

Schöntal, Mergentheim, 1850, S. 58.<br />

23 Nach einer weiteren Schöntaler Urkunde von 1336 wird der<br />

Verkauf von Gütern und Gülten zu „Kleff ersulzbach“, Eberstal<br />

(siehe Anm. 35) und Erlenbach von Wilhelm von Aschhausen<br />

und dessen Sohn sowie von Heinrich von Gosheim<br />

und seiner Schwester erwähnt. Dabei wird nicht ganz klar,


welches der beiden Adelsgeschlechter in <strong>Cleversulzbach</strong> begütert<br />

war. Siehe, Schönhuth, wie oben, S. 75.<br />

24 Hauptstaatsarchiv Stuttgart (künftig zitiert HStAS) Bestand<br />

A 17a, Bü 45 und Bestand A 386, Bü 79 (siehe unten).<br />

25 1524 bzw. 1554 hatten die Ordenskommende Heilbronn<br />

bzw. das Amt Scheuerberg Einnahmen (Wein) in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

in ihren Lagerbüchern verzeichnet. Siehe Diefenbacher,<br />

Michael, Territorienbildung des Deutschen Ordens am<br />

unteren Neckar im 15. und 16. Jahrhundert, Heilbronn 1985,<br />

S. 184, 188 bzw. S. 385.<br />

Im württembergischen Lagerbuch von 1523 (siehe unten)<br />

wird vermerkt, dass dem Orden auch ein Drittel des Weinzehnten<br />

im Eberstall zusteht. In den Statuten von 1626<br />

(siehe unten) wird auch ein „Berlinger“ Hof erwähnt. Ob dies<br />

evt. als ein Hinweis auf früheren Besitz der Freiherren von<br />

Berlichingen, die ja auch andernorts in unserer Gegend begütert<br />

waren, betrachtet werden kann, oder ob die Hofbezeichnung<br />

von einem Personennamen herrührt, muss off en<br />

bleiben. Vgl. OAB NSU, S. 326.<br />

26 In der oben genannten Urkunde von 1262 wird außer dem<br />

verkauften Hof auch noch weiterer Eigenbesitz der Weinsberger<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> erwähnt.<br />

27 Siehe Roth, Carl, Geschichte der Stadt Neuenstadt an der<br />

großen Linde und des abgegangenen Ortes Helmbund, Heilbronn,<br />

1877, S. 4: Zum Bau der Neuenstädter Stadtbefestigung<br />

Ende des 14./Anfang des 15. Jahrhunderts. hatten<br />

auch die umliegenden Dörfer Gochsen, Kochersteinsfeld,<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> und Brettach beigetragen. Ihre Bürger waren<br />

somit auch berechtigt, im Bedarfsfall hinter den Mauern<br />

der Stadt Schutz zu suchen. Das würde darauf hinweisen,<br />

dass das spätere pfälzische Amt Neuenstadt auch schon<br />

in Weinsberger Zeit eine Verwaltungseinheit gebildet hatte<br />

(siehe auch Roth, S. 54). Die späteren Ämter bewahrten in<br />

ihrer Zusammensetzung oft Verwaltungseinheiten, die vorher<br />

schon vorhanden waren. Siehe Grube, Walter, Vogteien,<br />

Ämter, Landkreise in Baden-Württemberg, Stuttgart, 1975,<br />

Bd. 1, S. 3.<br />

28 Hohenlohe-Zentralarchiv Neuenstein, Bestand GA 15<br />

Schublade P Nr. 1, abgedruckt im Jahrbuch des historischen<br />

Vereins Heilbronn, 1957, Bd. 22, S. 111 ff .: Schumm, Karl: Ein<br />

Gültbuch aus „Helmbunt zu der Newenstatt“ aus der ersten<br />

Hälfte des 14. Jahrhunderts.<br />

29 Ebenda S. 122 ff .<br />

30 Bezeichnung für Bergspitze; siehe Keinath, S. 117.<br />

31 Oft Bezeichnung eines kleinen Waldes in Privatbesitz am<br />

Rand der unbebauten Flur oder am Waldrand; siehe Keinath,<br />

S. 77.<br />

32 Halde als Bezeichnung für Bergabhang; siehe Keinath, S. 53.<br />

33 Bezeichnung für gerodetes Landstück; siehe Keinath, S. 87.<br />

34 Vielleicht von „Hegnach“ als Bezeichnung für Flurstück mit<br />

Ansammlung von Büschen, Hecken oder Gestrüpp; siehe<br />

Keinath, S. 167.<br />

35 Sie zeigen, dass die Entwicklung zur Zweinamigkeit mit Vor-<br />

und Familiennamen, zu dieser Zeit weit fortgeschritten war.<br />

Zu dieser Entwicklung siehe auch Bahlow, Hans, Deutsches<br />

Namenslexikon, Bayreuth, 1967, Einführung.<br />

36 Siehe Heim, Werner, Die Ortswüstungen des Kreises Heilbronn<br />

in: Jahrbuch des hist. Vereins Heilbronn, 1957, Bd. 22,<br />

S. 52. Heim beruft sich dabei u. a. auch auf Nennungen von<br />

Eberstal im Nekrolog des Stifts St. Peter in Wimpfen. Siehe<br />

auch Gräf, Hartmut, Mittelalterliche und frühneuzeitliche<br />

Wüstungen in den ehemaligen Ämtern Möckmühl, Neuenstadt<br />

und Weinsberg in: Jahrbuch für schwäbisch-fränkische<br />

Geschichte Bd. 38, Heilbronn, 2008 (Heilbronnica 4), S.<br />

112 f. Gräf erwähnt, dass das Kloster Schöntal noch 1490 in<br />

Eberstal Einnahmen aus Lehen, die es selbst vom Kloster<br />

Lichtenstern erhalten hatte, einzog.<br />

Zum Flurnamen vgl. auch Keinath, S. 108, der den Flurna-<br />

men „Eberstall“ im Zusammenhang mit männlichen Zuchtschweinen<br />

verzeichnet. Es ist schwer zu entscheiden, ob der<br />

Name von Tal oder Stall kommt. Beides erscheint in der<br />

schriftlichen Überlieferung.<br />

Auff ällig ist auch, dass es jeweils auswärtige Herrschaften<br />

waren, die auf dem Flurstück Eberstall Rechte inne hatten<br />

(der Deutsche Orden und die Gemmingen) und dass der<br />

Weinzehnt dort im Lagerbuch beim Kirchenzehnt, getrennt<br />

von den übrigen Weingülten des Ortes, genannt wird (siehe<br />

unten).<br />

Sicher dagegen ist, dass es eine Wüstung Eberfi rst, weiter<br />

nördlich, auf der Höhe und schon auf Eberstädter Markung,<br />

gegeben hat: Siehe Heim, Ortswüstungen (wie oben), S. 51.<br />

37 Siehe Heim, Ortswüstungen, S. 59, und Gräf (wie oben) S.<br />

113 f. Da der Ort aber im Lagerbuch von 1523 getrennt von<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> aufgeführt wird, könnte dies für eine kleine<br />

Siedlung oder zumindest Gebäude sprechen.<br />

38 Schumm, Karl, Weinsberg, Auseinandersetzungen zwischen<br />

Herrschaft und Stadt, in: Jahrbuch des historischen Vereins<br />

Heilbronn, 1954, S. 220 ff .<br />

39 Verpfändet u. a. 1405 an die von Helmstadt, 1428 an die von<br />

Sickingen, siehe Dillenius, Ferdinand Ludwig Immanuel,<br />

Weinsberg, vormals freie Reichs-, jetzt württembergische<br />

Oberamtsstadt – Chronik, Stuttgart, 1860, S. 50, und OAB<br />

NSU, S. 569 f. – siehe auch Stoob, Heinz (Hrsg.), Deutsches<br />

Städtebuch, Bd. IV, 2,2, Stuttgart, 1961, S. 177. Zum Verkauf<br />

siehe Hohenlohe Zentralarchiv Neuenstein, Bestand GA 15,<br />

Schubl. L, Nr. 180/28.<br />

40 Eine Vermögensstatistik der Ämter Weinsberg, Neustadt a.<br />

K. und Möckmühl in: Jahrbuch des historischen Vereins für<br />

Württembergisch Franken, Schwäbisch-Hall, 1867, Bd. 7,<br />

Heft 3, S. 549 ff .<br />

41 Siehe Roth, Carl, Geschichte der Stadt Neuenstadt an der<br />

großen Linde und des abgegangenen Ortes Helmbund, Heilbronn,<br />

1877, S. 9 (künftig zitiert mit Roth).<br />

42 Für <strong>Cleversulzbach</strong> zuständiges Vogteigericht war das<br />

Stadtgericht von Neuenstadt. Siehe Roth, S. 66.<br />

43 Siehe Roth, S. 10<br />

44 Siehe: Das Land Baden-Württemberg, hrsg. v. d. Landesarchivdirektion<br />

Baden-Württemberg, Stuttgart, 1975 – 83, Bd.<br />

1, S. 191.<br />

45 Siehe Roth, S. 13<br />

46 Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, hrsg.<br />

v. d. Kommission f. geschichtliche Landeskunde, Stuttgart,<br />

2000, Bd. 1, Teil 2, S. 168.<br />

47 Siehe Veröff entlichungen der Kommission für geschichtliche<br />

Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe A, Quellen, Bd.<br />

28: Altwürttembergische Lagerbücher aus der Österreichischen<br />

Zeit 1520 –1534, VI, bearb. v. Thomas Schulz, Stuttgart<br />

1991, S. 512 ff . (HStAS H 101 Bd. 1298/1299/1300).<br />

48 Zwing und Bann bezieht sich auch auf das Gebiet des Amtsortes.<br />

Hier hatte der Herzog das Recht, das Zusammenleben<br />

zu regeln (siehe auch unten die Statuten) und zu richten,<br />

was man auch als Gemeindegewalt bezeichnen kann. Der<br />

Ausdruck bezog sich meist auf die Ausübung der niederen<br />

Gerichtsbarkeit.<br />

49 Überlassung des besten Stücks Vieh und des besten Gewands<br />

gemäss Hauptrechts und Zahlung der Leibhenne waren<br />

Abgaben, die aus der Leibeigenschaft einer Person resultierten.<br />

Der Leibeigene war persönlich unfrei und von<br />

seinem Leibherrn abhängig. Diese Leibherrschaft geht letztlich<br />

auf das spätantike Abhängigkeitsverhältnis zwischen<br />

dem Großgrundbesitzer und dem dessen Güter bearbeitenden<br />

halbfreien Kolonen (Bauer, Pächter) zurück. In der fränkischen<br />

Zeit wird daraus die Leibherrschaft entwickelt. Im<br />

hohen Mittelalter unterscheidet man zwischen solchen<br />

Leibeigenen, die ein Stück Land bebauen, das sie vom Leibherrn<br />

geliehen haben, und solchen, die als Gesinde am Hof<br />

41


42<br />

des Herrn wohnen und dort für allerlei Dienste herangezogen<br />

werden und vom Leibherrn komplett unterhalten werden.<br />

In der uns hier betreff enden Zeit des 16. Jahrhunderts<br />

und auch später, als sich bereits Territorien herausgebildet<br />

haben, werden alle von einem Herrn Abhängigen, also auch<br />

die Hörigen, die, an die Scholle gebunden, Land von ihrem<br />

Grundherrn bebauen, diese Stellung an ihre Kinder vererben<br />

und mit diesem Land auch veräußert werden können, als<br />

Leibeigene bezeichnet. Der Territorialherr, hier der Herzog<br />

von Württemberg, nutzt die Leibeigenschaft, um ein möglichst<br />

geschlossenes Territorium zu bilden. Dabei zahlt der<br />

Leibeigene die Abgaben gemäß Hauptrechts und die Leibhenne,<br />

auch wenn er in eine andere Grundherrschaft gewechselt<br />

ist. In unserem Fall sogar ausschließlich dann, was<br />

ein Privileg darstellt.<br />

50 Alles, was mit dem Pfl ug bebaut wurde, z. B. Dinkel, Roggen<br />

und Hafer.<br />

51 Alles, was mit der Haue und Schaufel bebaut wurde, wie<br />

Hülsenfrüchte, Kraut, Rüben oder Flachs, Hanf, Obst oder<br />

Heu.<br />

52 Die Grundherrschaft hat ihre Wurzeln in der römischen Antike<br />

und wurde nach der Völkerwanderungszeit weiter entwickelt.<br />

Alles Land gehörte demnach dem Adel mit dem<br />

Kaiser an der Spitze. Die das Land bearbeitenden abhängigen<br />

Bauern mussten dem das Land besitzenden Adligen, der<br />

daneben meist noch einen Eigenbetrieb (Fronhof oder Gut)<br />

bewirtschaftete, Abgaben zahlen. Das ausgegebene Land<br />

wurde allmählich erblich (siehe Anm. 53). Nach dem Übergang<br />

zur Geldwirtschaft (ca. 12. Jahrhundert) werden die<br />

früheren Naturalabgaben allmählich in Geldform festgelegt.<br />

Meist nahm der Grundherr auch die Funktion des Gerichtsherrn<br />

für die Bauern wahr. Diese Grundherrschaft und das<br />

Lehnswesen (siehe Anm. 53) sind beide charakteristische<br />

Bestandteile der mittelalterlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.<br />

In modifi zierter Form blieben sie auch in<br />

der frühen Neuzeit bis zum Ende des alten Reichs 1806, teilweise<br />

auch darüber hinaus, bestehen.<br />

53 Das Lehnswesen war grundlegendes Prinzip der mittelalterlichen<br />

Gesellschaft in Deutschland und bestand auch in der<br />

uns hier beschäftigenden frühen Neuzeit. Der Lehnsnehmer<br />

stand in einem Treueverhältnis zum Lehnsgeber, das wechselseitig<br />

war, ähnlich dem eines Vasallen zu seinem Herrn.<br />

Die Wurzeln dieses Prinzips reichen letztlich bis in die römische<br />

Antike zurück. Keltische und germanische Einfl üsse<br />

sind ebenfalls in ihm auszumachen. Der Lehnsnehmer war<br />

dem Lehnsgeber zu Treue, Dienst und Gehorsam verpfl ichtet;<br />

der Lehnsgeber garantierte dem Lehnsnehmer Schutz<br />

und Unterhalt, was durch den Treueeid besiegelt wurde (in<br />

der frühen Neuzeit trat an Stelle des Eids der Lehnsbrief).<br />

Den Unterhalt konnte der Lehnsnehmer durch das Lehen,<br />

ein vom Lehnsherrn geliehenes Stück Land bzw. dessen Nutzung<br />

sichern. Das Eigentum an dem Land verblieb beim<br />

Lehnsherrn. Wollte der Lehnsnehmer das Lehen weiterveräußern<br />

oder verschenken, brauchte er dazu die Erlaubnis<br />

des Lehnsgebers. Das Prinzip des Lehnswesens reicht von<br />

der Spitze der Gesellschaft (Kaiser) bis hinunter zum abhängigen<br />

Bauern. Ursprünglich fi el das Lehen nach Ableben des<br />

Lehnsnehmers wieder zurück an den Herrn. In der uns betreff<br />

enden Zeit waren die Lehen erblich und die Nachkommen<br />

des Verstorbenen mussten dem Herrn eine Abgabe entrichten<br />

(Hauptrecht, siehe Anm. 49).<br />

54 Frondienste waren alle Dienste, die in der Verrichtung körperlicher<br />

Arbeiten bestanden und vom abhängigen Bauern<br />

unentgeltlich für den Grundherrn zu leisten waren. In unserem<br />

Fall nahm der Herzog von Württemberg die Stellung<br />

des Grundherren ein, dessen Eigenbesitz im Amt, die von<br />

ihm abhängigen Bauern (Grundholden) bestellen mussten,<br />

bzw. die Amtsbewohner mussten die herrschaftlichen Gebäude<br />

(etwa einem Fronhof im Mittelalter vergleichbar) unterhalten.<br />

55 Neuanfertigung unter Beibehaltung der ursprünglichen Fassung.<br />

56 Der Aufenthalt des Heeres im Amt Neuenstadt dauerte vom<br />

18. bis 21. Dezember 1546.<br />

Siehe Martens, Karl, Geschichte der innerhalb der Grenzen<br />

Württembergs vorgefallenen kriegerischen Ereignisse,<br />

Stuttgart, 1847, S. 271 (künftig zitiert mit Martens).<br />

57 Siehe Schickhardt, Albrecht, Geschichte der Stadt Neuenstadt,<br />

Heilbronn, 1909, S. 13 (künftig zitiert mit Schickhardt).<br />

58 Ebenda S. 13<br />

59 Siehe: Braun, Helmut, Zur frühen Geschichte der Kirchengemeinde<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> in: Am Brunnen vor dem Tore, Geschichtliche<br />

und heimatkundliche Beilage des Amtsblatts<br />

der Stadt Neuenstadt, Nr. 218 u. 219, 1997 (künftig zitiert<br />

mit Braun).<br />

60 Sie sind ebenfalls im Dorfbuch aus dem gleichen Jahr niedergelegt.<br />

61 Siehe zum Folgenden Schickhardt, S. 18 ff ., und Martens, S.<br />

473<br />

62 Im August 1646 wurde Neuenstadt von den Truppen des<br />

franz. Marschalls Turenne geplündert und verheert: siehe<br />

Martens, S. 473<br />

63 Ihr General Königsmarck hatte im Neuenstädter Schloss<br />

Quartier genommen.<br />

64 Braun, Nr. 219<br />

65 Ebenda<br />

66 Die Bewohner des Amts suchten, wenn Gefahr drohte,<br />

Schutz hinter den Mauern der Amtsstadt. Siehe Schickhardt<br />

(wie oben).<br />

67 Ebenda<br />

68 HSTAS, Bestand A 386 BÜ 55<br />

69 Untergang war die amtliche Begehung und Besichtigung einer<br />

Liegenschaft oder Markung, die von den „Untergängern“,<br />

also von durch die Gemeinde bestimmten Beauftragten,<br />

durchgeführt wurde, wenn Unklarheiten oder Streitigkeiten<br />

über Eigentumsrechte zwischen Nachbarn oder über<br />

den Grenzverlauf anstoßender Grundstücke vorlagen.<br />

70 Der Friede auf dem Rathaus war ein fundamentales Gut. Das<br />

Rathaus war der Nachfolger der alten Dingstätten, wo noch<br />

unter freiem Himmel Gericht gehalten wurde und derjenige,<br />

der gegen die Friedenspfl icht verstieß, auch aus religiösen<br />

Gründen bestraft wurde. Siehe: Hinkeldey, Ch., Justiz in alter<br />

Zeit, Bd. VIc der Schriftenreihe des mittelalterlichen Kriminalmuseums<br />

Rothenburg ob der Tauber, 1989, S. 147 f.<br />

71 Siehe De Montaigne, Michel, Tagebuch einer Badereise,<br />

Stuttgart, 1963, S. 58. Montaigne bemerkte auf seiner Reise<br />

durch Deutschland bereits 1580: „Unter anderem tun sie<br />

(die Deutschen) den Krebsen große Ehre an … Das ganze<br />

Land ist reich an Krebsen, sie wollen sie täglich auf dem<br />

Tische sehen und haben ihre höchste Freude daran …“<br />

72 Bis ins 18. teilweise auch bis ins 19. Jahrhundert war die<br />

Dorfmark in Form eines Zauns oder einer Hecke eingefriedet.<br />

Bis hierher reichte der Dorfbann, also die „Verwaltungskompetenz“<br />

der Gemeinde. Siehe Keinath, S. 111, und<br />

oben Anm. 47.<br />

73 Siehe OAB, NSU S. 560<br />

74 Siehe Schickhardt, S.35 f.<br />

75 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong>, Bestand CA 246<br />

76 Derjenige, der den Frondienst leistete, musste sein eigenes<br />

Gespann und Geschirr benützen.<br />

77 OAB NSU, S. 321 f.<br />

78 HSTAS, Bestand A 386, Bü 99


Das <strong>Cleversulzbach</strong>er Dorfbuch von 1626<br />

In dieser „Bestandsaufnahme“ haben die<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Urväter aufgeschrieben,<br />

welche Gesetze („Statuta“) im Dorf gelten<br />

sollten und welche Immobilien die Bürger<br />

besaßen.<br />

Leider ist das Urbuch in den Wirren des<br />

Dreißigjährigen Krieges abhandengekommen.<br />

Dies machte eine Niederschrift,<br />

quasi aus dem Gedächtnis, erforderlich,<br />

welche die Jahrhunderte überdauerte<br />

und zu Forschungszwecken an Herrn<br />

Kress, Neuenstadt ausgeliehen wurde.<br />

Nach dem Tode des Heimatforschers<br />

blieb das Buch einige Jahre verschollen,<br />

bis der Sohn es, in einer Schachtel verpackt,<br />

im Nachlass seines Vaters wiederfand<br />

und dem damaligen Ortsvorsteher<br />

Werner Uhlmann dankenswerterweise<br />

überstellte.<br />

Da dieses Dokument für die Gemeinde<br />

eine Informationsquelle von unschätzbarem<br />

Wert darstellt, ließ die Stadt Neuenstadt<br />

am Kocher das Buch von einer Spezialfi<br />

rma aufwändig restaurieren.<br />

Einband des<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Dorfbuchs von<br />

1626 nach der<br />

Restaurierung<br />

43


44<br />

Die erste Gemeindeordnung von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Titelseite des <strong>Cleversulzbach</strong>er Dorfbuchs von 1626<br />

Clever Sültzbach<br />

Beschreibung<br />

Deß gemeinen Flekhen alda Statuta<br />

und Gerechtigkeiten, von newem u gericht<br />

im Jahr nach Christi Geburt gezalt,<br />

Ain Tausent Sechs hundert zwaintzig<br />

1 Demnach des Fleckens Clever Sultzbach,<br />

in das fürstlich Würtembergisch Ambt<br />

Neuenstadt am Kocher gehörig Dorfbuch,<br />

bey währendem Pfälzischem Kriegswesen,<br />

verloren: Alls sein desselben Statuta, Gebrauch<br />

undt Gewohnheiten, auch Gerechtigkeiten,<br />

au ihren eigenen Gütern, Allmenden,<br />

Trieb, Trab, Bronnen, Weege,<br />

Steegen, so mit der Herren Amtsleuts,<br />

und derjenigen, deren Interesse es berühret,<br />

Vorwissen undt Approbation 2 au<br />

zuvor eingeholte glaubwürdige Kundt-<br />

scha t, den dreißigsten Mai, Anno sechzehnhundert<br />

zwanzig sechse, erneuert<br />

undt beschrieben worden wie folgt:<br />

Steuer und Schatzung 3<br />

Es ist von Alters her bis dato üblich gewesen,<br />

dass ein jeder Bürger, er sei reich<br />

oder arm, von seinem Vermögen, neben<br />

der Beeth 4 , so er der Herrscha t erlegen<br />

muss, auch der Gemeindt jährlichs ein<br />

Orth 5 gibt, welches in der Bürgermeisterrechnung<br />

verrechnet undt zu gemeinen<br />

Ausgaben verwendet würdt.<br />

Bürgerrecht<br />

Ein jede Person, so zu einem Bürger angenommen<br />

würdt, gibt, so es ein Mannsperson,<br />

12 Gulden, ein Weibsperson aber<br />

6 Gulden. So dann einer aus dem Fleck-


hen zieht, soll er das Bürgerrecht wieder<br />

mit soviel Gellt, alls ers anfangs erkau t,<br />

au sagen.<br />

Ein jede Mannsperson, so zum Bürger angenommen<br />

würdt, soll so gut als einhundert<br />

Gulden in den Fleckhen bringen, ein<br />

Weibsperson aber fünfzig Gulden.<br />

Wenn einer einem Frembden sein Bürgerrecht<br />

verkau t, soll er hingegen an dessen<br />

Statt aus dem Fleckhen ziehen: undt<br />

würdt keinem sein Bürgerrecht zu verkau<br />

en verstattet, er habe dan auch ein<br />

Hauß dazu.<br />

Stra en<br />

Wann einer dem anderen au dem Rathauß,<br />

es seie wan Gericht, Rhat, undt eine<br />

Gemeindt verrichtungshalb beysammen<br />

– oder geschehe sonsten bey Zechen<br />

Lügen stra – ist er ein Fläschel voll Weines<br />

zu füllen schuldig. Welcher, wann ein<br />

Gemeindt beysammen, ohn Überrock,<br />

Mützen oder Mantel zur Versamblung gehet,<br />

soll ein Fläschchen mit Wein füllen.<br />

Trieb<br />

Es haben die Junkhern von Gemmingen<br />

eigentümliche Waldungen au <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Markung, in welcher die hiesige<br />

Gemeindt diese Gerechtigkeit von Alters<br />

her gebracht, dass sie mit dem gehörnten<br />

Vieh und Schweinen darein treiben,<br />

die Eicheln und Sperbel 6 und andere<br />

erwachßene Nahrung, allermaßen, wie in<br />

der Gemeindt eigenthümliche Waldung<br />

ohnverhindert genießen mag: zumaßen<br />

dann solliche Gerechtsame in dem Gemmingschen<br />

Lagerbuch so in Anno 1576<br />

renovirt worden, mit folgenden Worten<br />

begri en; Cleversultzbach, deren von<br />

Gemmingen eigene Güter daselbst haben<br />

ohnbesorgt von Gemmingen 26 Morgen<br />

ungefahrlich Walds im Eberstall gelegen,<br />

so mit Grundt und Boden, auch Holz, ihnen<br />

k: k: Eigenthumb sindt, jedoch hat<br />

der Fleckhen Cleversultzbach, mit seinem<br />

Rindvieh, und den Schweinen zu o enen<br />

Zeiten, den Trieb und das Eckerrich 7 darin,<br />

der fürstl. Würt. Forstordnung gemäß.<br />

Gleiche Gerechtigkeit hat eine Gemeindt<br />

auch in denjenigen Hölzern, welche Privatperßohnen<br />

in den Fleckhen mit dem<br />

Aigenthumb zustendig, das nämlich ein<br />

ganze Gemeindt die Eicheln, und Wildobst,<br />

ohne Verhinderung des Inhabers zu genießen,<br />

und solche mit dem Vieh zu besuchen<br />

hat.<br />

Des hat es auch eine Bescha enheit mit<br />

Peter Hofmanns Witib, zur Neuenstatt<br />

habenden Holtzlehen au hiesiger Markung,<br />

dass die Gemeindt solches mit dem<br />

Trieb und Trab zu genießen hat.<br />

Soviel sonsten die gemeine Weeg betri t,<br />

soll es mit dem Trieb und Waldbesuchung<br />

derselben, wie von altersher gebräuchlich<br />

und Herkommen, gehalten werden.<br />

Was von wildem Obst, wie das genannt<br />

werden mag, hin und wider au den<br />

Eckerrich anwächst, hat ein Bürger, wie<br />

der ander, zu genießen: alß das der Aigenthumbs<br />

Inhaber mehr Fug und Zuspruch<br />

zu dem au seinem Gut erwachsenden<br />

wilden Obst nicht hat zu fl ücken<br />

ein anderer, dem nichts mit dem Aigenthumb<br />

daran zuständig.<br />

Gleiche Meinung hat es auch, da einer ein<br />

Glaß oder etwas anderes zu einem Fenster<br />

aus dem Rathaus hinauswür t.<br />

Herbstzeiten soll keiner kein Karch unter<br />

die Kelter stellen, davon aus- oder einzuladen,<br />

welcher darwider handelt, solle<br />

stra ällig sein.<br />

Das Fischen und Krebsen belangendt<br />

Es soll in den Wochen an keinem anderen<br />

Tag, als am Freytag gefi scht, oder Krebse<br />

gefangen werden. In übrigen Tagen in der<br />

Wochen, so wohl auch an Sonn- und Feyertagen<br />

allerdings verbotten sein: auch<br />

kein Gumpp 8 ausgeschöp t werden, welcher<br />

darwider handelt, umb einen Gulden<br />

gestraft werden.<br />

45


46<br />

Bau- und Brennholtz betre endt<br />

Wan einem Bürger Bau- oder Brennholtz<br />

aus der Gemeindtwaldung gegeben<br />

würdt, soll er daßselbe aus dem Fleckhen<br />

zu verkau en nicht befugt sein: sondern<br />

solches einem Bürger im Fleckhen zustellen.<br />

A ter Ohmbdt 9<br />

Welcher A ter Ohmbdt machen wolte,<br />

soll die Wiesen vor Bartholomäi (24. August)<br />

mähen: nach Verscheinung Bartholomäi<br />

aber soll es niemand mehr verstattet:<br />

sondern dem Vieh zur Waidt gelassen<br />

werden.<br />

Undergang 10<br />

Wer ein Undergang führen will, muss zuvor<br />

ein halben Gulden erlegen.<br />

Jagen<br />

Wenn ein Oberamtmann zur Neuenstatt<br />

wohnt, undt sich deß Jagens gebraucht:<br />

ist ein Inwohnerscha t weither nicht, als<br />

drey Tag im Jahr zu Jagen schuldig, dawider<br />

auch einer Gemeindt bishero sommers<br />

nicht zugemutet werden.<br />

Hieronymi Knechtlins Legatum<br />

Nachdem vor vielen Jahren ein Inwohner<br />

allhir, welcher Hieronymus Knechtlin geheißen,<br />

eine Gemeindt ihres Gefallens zu<br />

genießen: Es soll auch mit Nießung derselben<br />

keinem Bürger einicher Vorteil oder<br />

Vorzug vor dem anderen gestattet: sondern<br />

zwischen Reich undt Armen billichmäßiger<br />

Gleichheit gehalten werden.<br />

Folgt, welche Weeg ohnabgängig erhalten<br />

werden sollen, wie von altershero<br />

1. Erstlichs hat es zwischen Elia Ötichs<br />

Witib und Michael Brenners Ho guts<br />

einen gemeinen versteinten Fußweeg.<br />

2. Item zwischen Hanns Lumppen und<br />

Endris Frantzen Ho guts, ist ein versteinter<br />

Fußweeg.<br />

3. Desgleichen hat es zwischen Jacob<br />

Schä ers Witib und Hans Lumppen<br />

Ho guts einen gemeinen versteinten<br />

Fahrweeg, durch die Fladengassen<br />

hindurch biß auf Claus Bauren undt<br />

Burkhardt Schwenzers Äckern.<br />

4. Von der Fladengassen hat es einen erkannten<br />

Fußpfaadt über Peter Säufers<br />

Wiesenstücklin zu den Krautgärten.<br />

5. Im Hürtengäßlin hat es einen versteinten<br />

Fahrweeg zwischen Conrad<br />

Kernes undt Jacob Schäfers Krautgärten.<br />

6. Zwischen dem Schulhauß und Hanns<br />

Lumppen Hofraiten gehet ein versteinter<br />

Fußweeg, bis au den Fluhr<br />

Zur Heken genannt.<br />

7. Was für Regenwaßer von den Äckern<br />

im Fluhr Zur Heken kombt: Solle hinter<br />

dem Dor zwischen Elia Ötichs<br />

Witibs Garten undt Acker au den<br />

Almandtweeg gewiesen undt ein<br />

Graab(en) hierzu erhalten werden.<br />

8. Im Fluhr Kürweeg bis au den Kürchberg<br />

ist ein gemeiner ohnversteinter<br />

Fuhrweeg.<br />

9. Vom gedachten Kürweeg bis auf die<br />

Mertzen Wiese zwischen Georg Guldens<br />

undt Hanns Lumppen Ho guts<br />

ist ein gemeiner ohnversteinter Fußweeg,<br />

welchem man auch im Heuet<br />

und Ohmdten Zeit fahren dar , undt<br />

gedachter Ho güter Inhaber jeden<br />

ein Wagengelais zu geben schuldig<br />

ist.<br />

10. Zu den Krummenäckern, Fluhr Zur<br />

Hekhen: zwischen Gartlin Äpfelbachs<br />

undt Elia Ötichs Wittib Äckern ist ein<br />

gemeiner Weeg zu gehen und zu fahren.<br />

11. Im Fluhr Zur Hekhen, von der gemeinen<br />

Allmandt 11 an zwischen Hans<br />

Lumppen undt jung Adam Lumppen<br />

Äckern, den Hohen Graben hinauß biß<br />

au den Hohen Berg, zwischen alt


Adam Lumppen und Caspar Lösers<br />

Äckern ist ein versteinter gemeiner<br />

Fuß- undt Fahrweeg.<br />

12. Von dem gemeinen Weidich bis au<br />

den gemeinen Waldt ist ein Fußpfaadt,<br />

der Weinsberger Weeg genannt.<br />

13. Im Fluhr Zur Keltern von der Binsenbach<br />

über den Gemeindtackern,<br />

Hanns Lumppen undt Conrad Kernes<br />

Wies, bis au die Almandt bey dem<br />

heilig Häuslin, hat es einen gemeinen<br />

Fußweeg.<br />

14. Von den Bach bis auf die Weingarten<br />

im Geräut 11 ist ein Fußpfaadt, führt er<br />

aber die Weingarten hindurch, ist ein<br />

jeder Inhaber der Weingarten sein<br />

Weeg selbsten zu tragen schuldig.<br />

15. Von dem heiligen Häuslin bis auf die<br />

Brettacher Markung ist ein Fußpfaadt,<br />

der Beutinger Weeg genannt.<br />

16. Von dem Gemeindtacker unter dem<br />

Ferrenberg an, zwischen Claus Bauren<br />

undt Hans Mertzen Wendels Sohns<br />

bis zwischen Michael Bayers Stadtschreibers<br />

undt Bonifacii Böhringers<br />

Weingarten hindurch, auf dem Ferrenberg,<br />

ist ein gemeiner Trieb und<br />

Fahrweeg.<br />

17. Von dem Kürweeg bey dem Brücklin an,<br />

wie auch unden zwischen Gartlin Äpfelbachs<br />

und Balthas Lumppen Äckern<br />

bis au den Ferrenberg ist ein versteinter<br />

Weeg zu gehen undt zu fahren.<br />

18. In der Stegwiesen von Hans Herrmanns<br />

wiesen an, biß au den Ferrenberg<br />

zwischen Peter Mertzen und<br />

Hanns Pfi sterer, ist ein Fußpfaadt.<br />

19. Von der Fladengasse an über die Wiesen<br />

biß au die Bretach gehet ein<br />

Fußpfaadt.<br />

20. Von dem heiligen Häuslin an bis zu<br />

Georg Guldens Wiesen gehet ein versteinter<br />

Weeg zu gehen undt zu fahren,<br />

undt würdt der Weeg Im Bronnen<br />

genannt.<br />

21. Zwischen den Almandtländern über<br />

die Wiesen im obern Brüel 13 biß zum<br />

Dor gehet ein Fußpfaadt, welcher zu<br />

Heue undt Ohmbdenszeiten auch zu<br />

fahren erlaubt ist.<br />

22. Von den obern Gäßlin oder dem Binsig<br />

an durch die Almandtländer über die<br />

Wiesen biß zum Erppelbrünlin gehet<br />

ein ohnversteinter Fußpfaadt.<br />

23. Was die Wiesen außerhalb der Krautländer<br />

biß zu Michel Brenners Hofwiesen<br />

anbetri t, soll man zu Heuets<br />

undt Ohmbdtszeiten au den Anwanden<br />

14 zwischen jung Michel Ötichs<br />

Wiese undt Burkhardt Schwenzer<br />

aus- undt einfahren.<br />

24. Welche Wiesen von der Hubwiesen an<br />

bis zu Hanns Benders Schultheißen<br />

Vorinhaber, sollen zu Heue und<br />

Ohmbdtszeiten, zwischen Caspar<br />

Schürlins Acker und Wendel Bischo s<br />

Wiesen aus- undt einfahren.<br />

25. Welche Wiesen inhaben von Hanns<br />

Benders Schultheißen Tor am Graben<br />

bis hinaus an den überzwerchen<br />

Weeg, die sollen im Heuet undt<br />

Ohmbdet beym Erdbeerbrünlin heraus<br />

fahren.<br />

26. Bei Hanns Zieglers Wiesen vom überzwerchen<br />

Weeg bis zum Rhain, ißt ein<br />

Weeg zu gehen undt zu fahren.<br />

27. Welche Wiesen haben von alt Philipps<br />

Mertzen Rindwiesen biß zu Micheal<br />

Mertzen Seewiesen sollen zwischen<br />

Hanns Benders, Schultheißen, und<br />

Hans Zieglers Wiesen heraus fahren.<br />

28. Zwischen Michel Lumppen und Fabian<br />

Mertzen Wiesen, im überzwerchen<br />

Weeg soll zur Heu und Ohmedtszeiten<br />

ein Ein- und Ausfahren wie von Alters<br />

her gegeben sein.<br />

29. Von alt Balthas Freunden Lehenwiesen<br />

hat man im Heuet und Ohmbdet<br />

Macht zu gehen und zu fahren, vom<br />

Kiefernthal herein, so weit die Markung<br />

gehet.<br />

47


48<br />

30. Zwischen jung Adam Lumppen undt<br />

Hans Hilckers Waldung gehet ein<br />

ohnversteinter Weeg bis zu Hans<br />

Benders, Schultheißen Weingarten<br />

undt zwischen solchen Weingarten<br />

undt alt Michel Lumppen Wiesen, biß<br />

an die Weinberge ist er versteint.<br />

31. Wan das Holtz im Gemeindtwaldt<br />

heurig ist, undt man danacher zu den<br />

Holtzgaaben in den Waldt fähret;<br />

sein Jacob und Michels Frantz über<br />

ihr Haubtmans-Wiesen neben dem<br />

Acker herein, ein Aus- undt Einfahrt<br />

zu gestatten schuldig; undt weil solche<br />

Wiesen sümpfi g, ist ihnen ihren<br />

eigenen Schaden zu verhüten oblegen,<br />

die Durchfahrt also zu versehen,<br />

dass man füglich durchkommen<br />

kann; da es aber von ihnen nicht beschehen<br />

sollte; ist ein jeder befugt, an<br />

welchen Ortt er am besten mag, über<br />

solche ihre Wiesen zu fahren.<br />

32. Zwischen dem Berlinger undt dem<br />

Brennerslehen soll durch undt durch<br />

ein Graab das Wasser Ungewitters<br />

Zeiten ohne Schaden in die Bach zuführen,<br />

erhalten werden.<br />

33. Also auch soll ein solcher Graab zwischen<br />

ermelte 15 Berlingers Lehen und<br />

dem Kürners Lehen gehalten werden.<br />

34. Zwischen Baltas Freundts Garten im<br />

Binsig und dem Berlinger Hofguth soll<br />

ein Graab biß in die Bach gehalten<br />

werden.<br />

35. In dem inneren Weydich, zwischen<br />

Hanns Holtzapfel und Caspar Schürlin,<br />

alls Inhaber deß Brenners Lehen soll<br />

solcher Lehen halber auch ein Graab<br />

biß in die Bach gehalten werden.<br />

36. Im äußeren Weydich soll zwischen Endris<br />

Frantzen und Daniel Lumppen ein<br />

Graab biß in die Bach gehalten werden.<br />

Aus dem <strong>Cleversulzbach</strong>er Dorfbuch von 1626: Regelung über die Unterhaltungspfl icht der<br />

örtlichen Brunnen


Bronnen<br />

Den Bronnen bey Elias Ötch Witibs Hauß<br />

ißt die Witib undt kün tige Inhaber denselben<br />

zu erhalten schuldig.<br />

Den Bronnen bey Ulrich Funken Hauß sollen<br />

pfl egen diejenige, so solchen von diesem<br />

pfl egen zu erhalten, auch kün tig zu<br />

erhalten schuldig sein.<br />

Desgleichen ißt es auch mit dem Bronnen<br />

bey Daniel Lumppen Hauß bescha en,<br />

das solche Behausung selbiger, ohne Gemeindt<br />

Zuthun, erhalten muss.<br />

Zu dem Bronnen in den Kirnenwiesen,<br />

welcher jetziger Zeit Hans Pfi sterer und<br />

jung Adam Lumppen zuständig, sein ermelte<br />

und kün tige Inhaber eine Einfahrt<br />

durch den Zaun, mit welchem ihre Wiese,<br />

auf denen solcher Bronnen stehet, umbfangen,<br />

so weit zu geben schuldig, das<br />

man mit einem paar Ochsen hineinfahren<br />

undt in Feuers Nöthen sich solchen Wassers<br />

ohnverhindert gebrauchen kann:<br />

Nicht weniger sein auch ernanter beede<br />

Inhaber zur Frühlings- und Herbsteszeiten,<br />

wann man das Vieh auf die Wiesen<br />

treibt, dem Vieh ein Trib über gedachte<br />

ihre umbzäunte Wies zugestatten: undt<br />

den Zaun hierzu ö nen schuldig.<br />

Die Bannzäun betre endt, soll es damit,<br />

wie von Alters Herkommen, gehalten<br />

werden. Außerhalb der Bannzäun aber<br />

solle keinem ein Guth einzuzäunen verstattet<br />

werden.<br />

Dem Vieh Frühlings- und Herbstzeiten,<br />

der Zeit unverhindert gelassen werden.<br />

Das Dorfbuch regelt die Steuereinnahmen<br />

und legt die Vorgaben fest, mit denen<br />

man das Bürgerrecht der Gemeinde erwerben<br />

kann.<br />

Der Status eines Bürgers und die damit<br />

verbundenen Bürgerrechte standen nicht<br />

immer allen Einwohnern eines Ortes zu.<br />

So war in vielen Ortsverfassungen das<br />

Bürgerrecht ein festgelegtes Privileg, das<br />

nur bestimmten Einwohnern zuteil wurde.<br />

Die Verleihung der Bürgerrechte erfolgte<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> in württembergischer<br />

Zeit zwischen 1503 und zu Beginn des 20.<br />

Jahrhunderts, durch Aufnahme in die Bürgerrolle<br />

und die Erteilung des Bürgerbriefes.<br />

Grundlage hierfür war ein Antrag auf<br />

Aufnahme, sowie der in der Ortssatzung<br />

festgelegte Nachweis bestimmter Voraussetzungen<br />

(Einkommensnachweis, Leumund,<br />

Bürgereid u. a.).<br />

Innerhalb seines Bezirks hatte der jeweilige<br />

Vogt von Neuenstadt die „hohe Gerichtsbarkeit“.<br />

Die „niedere Gerichtsbarkeit“<br />

blieb den Dorfgerichten unter dem<br />

Vorsitz des Schultheißen überlassen. Nahezu<br />

bescheiden nehmen sich daher auch<br />

die Straftatbestände aus, auf die im Dorfbuch<br />

Bezug genommen wird, aber auch<br />

die dafür vorgegebenen Strafen aus: zu<br />

ahnende Falschaussagen, üble Nachrede<br />

und Defi zite in der Kleiderordnung bei<br />

den Gemeinderats- oder Gerichtssitzungen<br />

waren in Naturalien, grundsätzlich<br />

mit einer Flasche Wein, ausgleichbar.<br />

Von existentieller Bedeutung war auch<br />

die Ordnung der Ernte des zweiten Grasschnitts<br />

und die Festlegung der Nutzung<br />

der Allmendefl ächen. Weil der Ackerbau<br />

sich im Wesentlichen darauf beschränkte,<br />

die Einwohnerschaft in erster Linie mit<br />

Getreide als Ernährungsbasis zu versorgen,<br />

war der Anbau von Futtermitteln für<br />

den Unterhalt des Nutzviehs weitgehend<br />

unüblich. Abgesehen vom getrockneten<br />

Grasschnitt wurde die Stallfütterung<br />

kaum gepfl egt. Die Viehtriften erfolgten<br />

auf die im Gemeindeeigentum befi ndlichen<br />

unangebauten Grundstücke und die<br />

Teile der Äcker, die man zur Erholung<br />

wechselweise brach liegen ließ.<br />

Für die Sicherung der Existenzgrundlagen<br />

sehr wichtig und auch gegen Nutzungseinschränkungen<br />

der von Gemmingen und<br />

der württembergischen Forstverwaltung<br />

weitgehend abgesichert wurde das Recht<br />

zur Nutznießung der Bucheckern, Eicheln<br />

49


50<br />

und des Wildobstes in hoheitlichen Waldungen<br />

als Vieh-, insbesonders als Schweinemastweide<br />

in den Dorfstatuten festgeschrieben.<br />

Obwohl auf nur einen Tag, nämlich den<br />

Freitag beschränkt, ist das Fischen und das<br />

Fangen von Krebsen im Sulzbach off enbar<br />

für jedermann erlaubt. 16 Mögliche hoheitliche<br />

Einschränkungen bleiben unerwähnt.<br />

Die Jagdausübung war dann aber doch<br />

ein Privileg des Vogts. Allerdings mussten<br />

nicht nur die bevorrechtigten Bürger, sondern<br />

die gesamte Einwohnerschaft an drei<br />

Tagen im Jahr unentgeltlich Treiberdienste<br />

leisten.<br />

1 Authentisierte Version der durch Norbert Gessner in Satzbau<br />

und Rechtschreibung angepassten Transkription.<br />

2 Genehmigung<br />

3 Der Begriff Schatzung ist mittelhochdeutschen Ursprungs<br />

und bedeutet „Abgabe, Steuer; Schätzung“; er wird verwendet<br />

als zusammenfassende Bezeichnung für den Einzug<br />

direkter Steuern im Mittelalter und in der Frühen<br />

Neuzeit.<br />

4 Die Bezeichnung „Beeth“ ist mittelhochdeutschen Ursprungs<br />

und bedeutet „Bitte, Gebet; Befehl, Gebot“; es ist<br />

im engeren Sinn eine erbetene, freiwillig geleistete Abgabe<br />

oder eine regelmäßig erhobene, meist landesherrliche<br />

Steuer.<br />

5 Sammelbegriff für „Münze“, insbesondere ¼ Gulden.<br />

6 Wildapfel<br />

7 Ortsbezeichnung für die zur Schweinemast vorgesehene<br />

Eichel- und Buchelernte.<br />

Bürgerrechtsinhabern ist die Entnahme<br />

von Bau- und Brennholz ausschließlich<br />

zur Deckung des Eigenbedarfs aus den<br />

Gemeindewaldungen erlaubt.<br />

Einen wesentlichen Raum nimmt die Festlegung<br />

der öff entlichen Verkehrsfl ächen<br />

ein. Off enbar war es nötig, die Trassen zu<br />

sichern, damit die Allgemeinnutzung nicht<br />

durch Abpfl ügen oder Einfriedigungen<br />

eingeschränkt wurde und durch die entsprechende<br />

Dokumentation in der Dorfverfassung<br />

Streitigkeiten in der Gemeinde<br />

vorgebeugt wurde.<br />

8 Tiefe Stelle in Wasserläufen und Seen; Schlammkasten.<br />

9 Heuernte des zweiten Grasschnitts im Jahr.<br />

10 Ein Untergänger wurde beauftragt, Grenzstreitigkeiten<br />

durch Überprüfung der Grenzsteine zu schlichten.<br />

11 Die Bezeichnung „Allmende“ stammt aus dem Mittelhochdeutschen<br />

und bedeutet „Gemeinfl ur“ d. h. ein im Besitz<br />

einer Dorfgemeinschaft befi ndliches Grundeigentum als<br />

Gemarkung. Dieses Grundeigentum besteht u. a. aus Wegen,<br />

Wald, Gewässern, Weideland und der Gemeindewiese,<br />

auf der jeder seine Nutztiere weiden lassen konnte.<br />

12 Rodung, Waldwiese, Lichtung.<br />

13 Die Bezeichnung „Brühl“ ist keltischen Ursprungs; gemeint<br />

ist eine eingezäunte, am Wasser gelegene Wiese.<br />

14 Ackergrenze, wo der Pfl ug gewendet wurde.<br />

15 (oben) erwähnten<br />

16 Diese Praxis wurde aufgegeben mit der Einführung einer<br />

Pacht, die in einer Versteigerung zugebilligt wurde.


Schultheißen und Bürgermeister von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

seit dem 15. Jahrhundert<br />

Im Kapitel „Geschichte <strong>Cleversulzbach</strong>s im<br />

Mittelalter und in der frühen Neuzeit“ 1<br />

wurden bereits Angaben zur Verwaltungsstruktur<br />

in Württemberger Gemeinden<br />

nach 1504 gemacht. Nach ähnlich alten<br />

Quellen 2 stand einer Gemeinde der<br />

Schultheiß vor, dessen Aufgabe vornehmlich<br />

in der Interessenvertretung der Herrschaft<br />

bestand. Diese Funktion als Vermittler<br />

wurde dadurch erweitert, dass er<br />

dem so genannten Gericht (also dem Gemeinderat)<br />

vorstand. Da er vom „Herrn”<br />

auf Lebenszeit ernannt wurde, stellte er<br />

ein wichtiges Herrschaftsinstrument für<br />

diesen dar. Nur wenn er sein Amt nicht<br />

nach Vorschrift ausübte, konnte die Herrschaft<br />

ihn absetzen. 3<br />

Unterstützt wurde der Schultheiß von<br />

zwei Bürgermeistern, die am Anfang eines<br />

jeden Jahres aus den Reihen der Gemeinderatsmitglieder<br />

neu gewählt und von der<br />

Herrschaft bestätigt (oder auch abgelehnt)<br />

wurden.<br />

„Von den beiden Bürgermeistern hatte<br />

der eine die Aufsicht über das Dorf und<br />

seine Einrichtungen. Ihm unterstand der<br />

Gemeindewald, die Allmandäcker und<br />

-wiesen, die Gemeindeweiden, die Straßen,<br />

die Brücken, das Rathaus, das Gemeindebackhaus,<br />

die öff entliche Kelter,<br />

die Brechdarre (zum Rösten von Hanf und<br />

Flachs), der Ortsarrest (in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

‚Zuchthäusle‘ genannt) u. a. Er hatte die<br />

Aufsicht über die Frondienste innerhalb<br />

der Gemeinde; daher heißt er mancherorts<br />

Fronvogt […].<br />

Sein Genosse war der rechnende Bürgermeister.<br />

Der hatte über Einnahmen und<br />

Ausgaben der Gemeinde Buch zu führen.<br />

Er zog die Steuern ein, die in Geld gegeben<br />

werden mussten; er hatte Bußen und<br />

Strafen einzukassieren. Von ihm erhielten<br />

die Gemeindeangestellten wie Büttel, Gemeindehirte,<br />

Wald- und Feldhüter ihren<br />

Lohn ausbezahlt.” 4<br />

Der Schultheiß und die beiden Bürgermeister<br />

standen dem so genannten Gericht<br />

(Gemeinderat) vor. Ein Gemeinderat<br />

musste einen tadellosen Leumund haben,<br />

straff rei sein und bei der Bürgerschaft Ansehen<br />

genießen – er übte sein Amt bis<br />

zum Tode aus und wurde dann durch eine<br />

vom Gemeinderat bestimmte jüngere Person<br />

ersetzt.<br />

Amtssiegel des Schultheißenamtes <strong>Cleversulzbach</strong><br />

(19. Jahrhundert)<br />

Die Aufgaben des Gemeinderats bestanden<br />

in erster Linie in der Regelung der Tätigkeiten<br />

und Vorhaben, die das Funktionieren<br />

einer Gemeinde erst ermöglichte:<br />

– Ausübung der niederen Gerichtsbarkeit<br />

– Schlichtung von Streitigkeiten<br />

– Gemeindeangelegenheiten, z. B. Durchführung<br />

von Projekten (Wegebau, Instandsetzungsarbeiten<br />

usw.)<br />

Es ist interessant zu sehen, welcher Aufwand<br />

getrieben wurde, um das Gemein-<br />

51


52<br />

wesen in einem kleinen Flecken wie <strong>Cleversulzbach</strong><br />

aufrecht zu erhalten. Im<br />

Rhythmus von einem Jahr wurden die Gemeindeämter<br />

neu vergeben, in der so genannten<br />

Ämterersetzung. Hierbei wurde<br />

der Amtsinhaber entweder bestätigt oder<br />

ein anderes Gemeinderatsmitglied mit der<br />

entsprechenden Aufgabe betreut. Die folgende<br />

Liste gibt einen Eindruck von der<br />

Art der verschiedenen Funktionsträger:<br />

– Waisenvogt<br />

– Gemeindeschreiber<br />

– Polizeidiener, Gemeindebüttel<br />

– Schieder oder Felduntergänger<br />

– Fronmeister<br />

– Bettelvogt<br />

– Frucht-Vorrats-Pfl eger<br />

– Eicher<br />

– Führer des Impfbuches<br />

– Hebamme und geschworene Frau<br />

– Feld-, Wald-, Wild-, und Dorfschützen<br />

– Nachtwächter<br />

– Totengräber<br />

– Waagmeister<br />

Schultheißen<br />

Amtszeit Name<br />

1495 Peter Eck 5<br />

1523 Jörg Freundt 6<br />

1545 Jung Jacob Zwaxuff 7<br />

1601 Balthas Hoff man 8<br />

1626 Hans Bender 9<br />

1654 Schultheißen von Brettach 10<br />

ca. 1815 Georg David Lumpp<br />

1832 Heinrich Lumpp<br />

o.A. Daniel Lumpp 11<br />

o.A. Johann Friedrich Ziegler 12<br />

1853 August Herrmann 13<br />

1853 Kaiser<br />

1872 Franz Lumpp<br />

1886 Gustav (Christian?) Kuttruff 14<br />

1889 Reinhold Kögel<br />

1902 Lambert Herrmann 15 , Eugen Blank 16<br />

ca. 1940 Friedrich Mayer 17<br />

– Brot- und Fleischschauer<br />

– Feuerschauer<br />

– Pferch- und Schafmeister<br />

– Schweine- und Gänshirt<br />

– Hanfdörrerin<br />

– Mausfänger<br />

Wer waren nun die Männer, die die Geschicke<br />

unseres Dorfes über die letzten<br />

Jahrhunderte in maßgeblicher Weise bestimmten?<br />

Eine durchgängige Liste der<br />

Namen der Schultheißen besteht – anders<br />

als etwa bei den Pfarrern, die lückenlos<br />

erfasst sind – nicht. Aus den oben erwähnten<br />

Ämterersetzungen (Gemeinderatsprotokolle)<br />

lassen sich die Namen der<br />

Schultheißen ableiten und mit Eintragungen<br />

aus anderen Quellen (Ortschronik von<br />

1626, Bürgerlisten von 1784 und 1886,<br />

Bürgermeister-Pfl egrechnungen usw.) ergänzen.<br />

Es ergibt sich folgendes Bild, das<br />

keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit<br />

erhebt.<br />

Fortgeführt wurden die Listen bis in unsere<br />

Gegenwart.


1945 –1978 Richard Nef 18 Bürgermeister; nach der Eingemeindung<br />

1971 Ortsvorsteher<br />

1978 Dieter Plenefi sch Ortsvorsteher<br />

1984 Werner Uhlmann Ortsvorsteher<br />

2009 Günther Stahl Ortsvorsteher<br />

Bürgermeister (= Kämmerer) 19<br />

1726 Johann Martin Hesser;<br />

alt Andreas Prötzel 20<br />

1735 Balthas Herrmann<br />

1743 Jakob (Johann Jakob)<br />

Flaischer<br />

1752 Johann Georg Schlegel<br />

1755 Abraham Freund<br />

1769 Georg Balthas Lumpp<br />

1774 Johann Georg Hesser<br />

1781 Christoph Schlegel<br />

1784 Johann Christoph Schuler<br />

1795 Christian Hörrmann<br />

1800 Franz Gottlieb Volpp<br />

1804 David Lumpp<br />

1809 Friedrich Guldi<br />

1816 Christoph Kaiser<br />

1823 Johannes Schlegel<br />

1827 Christoph Kaiser<br />

1833 Ludwig Herrmann<br />

1835 Johann Daniel Lumpp<br />

1844 Johann Christoph Herrmann<br />

1848 Martin Kaiser<br />

1 Eckhard Kreeb: Geschichte <strong>Cleversulzbach</strong>s im Mittelalter<br />

und in der frühen Neuzeit, im vorliegenden Band.<br />

2 Z. B. Dorfbuch von Olnhausen (1629).<br />

3 Die Ausführungen folgenden inhaltlich weitgehend den<br />

Angaben aus dem Neckarsulmer Heimatbuch von Friedrich<br />

Krapf (1928) und den entsprechenden Gemeinderatsprotokollen<br />

von <strong>Cleversulzbach</strong> aus der ersten Hälfte des<br />

19. Jahrhunderts (CB 11– CB 20).<br />

4 Krapf, a.a.O. S. 81<br />

5 Hauptstaatsarchiv Stuttgart (im Folgenden HStAS) A 109<br />

Bü 9<br />

6 HStAS A 44 U 3326, HStAS H 101 Bd. 1298<br />

7 HStAS A 54a Bd. 151<br />

8 HStAS A 281 Bü 976–978<br />

9 Siehe Statuten von 1626 § 24, 25, 27, 30<br />

10 <strong>Cleversulzbach</strong> war die einzige Gemeinde im Landkreis<br />

Heilbronn, die zeitweise von einem Schultheißen aus einer<br />

Nachbargemeinde verwaltet wurde. Die Schultheißen von<br />

Brettach versahen das Amt noch 1806.<br />

1850 Samuel Klein<br />

1853 Samuel Klein, Ludwig Herrmann<br />

und Gottfried Lumpp<br />

1854 Gottfried Lumpp<br />

1860 Christian Schmich<br />

1872 Franz Lumpp<br />

1873 Daniel Herrmann<br />

1882 Daniel Herrmann (Sohn des<br />

Johannes) und Daniel Herrmann<br />

(Sohn des Samuel)<br />

1883 Daniel Herrmann, Sohn des<br />

Samuel<br />

1897 Karl Lehmann<br />

1900 Christian Herrmann<br />

1906 Daniel Herrmann, Sohn des<br />

Samuel<br />

1909 Karl Nef<br />

1932 Friedrich Lumpp<br />

1945 Friedrich Birk<br />

1947 Christian Plenefi sch,Wilhelm<br />

Kuttruf<br />

11 Am 15. November 1850 entlassen.<br />

12 * 1. Oktober 1828 in Leonberg<br />

13 * 4. September 1817<br />

14 * 4. Oktober 1855<br />

15 Altbürgermeister Herrmann ab 15. Juli 1939 Stellvertreter für<br />

Friedrich Mayer. Siehe auch Beitrag von Rudolf Schwan über<br />

Lambert Herrmann im vorliegenden Band.<br />

16 Stellvertreter Herrmanns<br />

17 1942 vermisst. Über die Amtseinsetzung fehlen die entsprechenden<br />

Unterlagen im Gemeindearchiv.<br />

18 Siehe Beitrag von Rudolf Schwan über Richard Nef im vorliegenden<br />

Band.<br />

19 Die Kämmerer der Heiligenpfl ege wurden getrennt geführt.<br />

Ab Mitte des 18. Jahrhunderts wurden die Kämmerer als<br />

Rechnungsbürgermeister geführt.<br />

20 CR 1<br />

53


54<br />

Ämter und Amtspersonen – Die Ämterbesetzung<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> im Jahre 1872<br />

Neben den längerfristig bestellten Amtsinhabern<br />

wie Schulmeister Höneß 1 , Dorfschütz<br />

und Amtsdiener Friedrich Seebold,<br />

Feldschütz Baltes Bordt 2 , Ratsschreiber<br />

Schweizer aus Brettach 3 und Schultheiß<br />

Franz Lumpp 4 sowie der Gemeindepfl eger,<br />

Steuereinnehmer und Fruchtzehntrechner<br />

Christian Bordt waren die übrigen kommunalen<br />

Dienste bei Erfordernis von dem<br />

Aufgabenvolumen neu auszurichten, die<br />

Besoldung anzupassen und ggf. personell<br />

neu zu besetzen. Beispielhaft erscheint die<br />

Gemeinderatssitzung vom 29. Juni 1872,<br />

in der sich ausschließlich das in Rede stehende<br />

Thema auf der Tagesordnung befand.<br />

Dass diese Sitzung als off ensichtlich<br />

besonders wichtig galt, ist an der Anwesenheit<br />

des gesamten Gemeinderats abzulesen.<br />

Zudem machen die einzelnen Verhandlungspunkte<br />

die Vielzahl der kommunalen<br />

Aufgaben deutlich.<br />

Das Gemeinderatsprotokoll dokumentiert<br />

die folgenden Beschlüsse:<br />

Verhandelt den 29. t[en] Juni 1872<br />

Anwesend der Gemeinderath vollzählig<br />

§ 5<br />

Heute hat der Gemeinderath die<br />

Ämterbesetzung vorgenommen.<br />

1. zu einer Änderung in der Besetzung<br />

der niederen Gemeindedienste5 hat man sich nicht veranlasst<br />

gesehen, außer im Fall, wo besondere Veranlassung<br />

vorhanden war.<br />

Dem Waldschützen jedoch, welcher<br />

sich in letzter Zeit Nachlässigkeiten<br />

im Dienst zu Schulden kommen ließ<br />

und welcher abgesetzt wurde,<br />

wurde besonders eingeschärft, künftig<br />

bei Versehung seines Dienstes mehr<br />

Eifer an den Tag zu legen.<br />

2. Gemeinderath Klein ist als Frohnmeister<br />

6 & Stiftungspfl eger derart in<br />

Anspruch genommen, dass er um<br />

Enthebung von der Stelle eines<br />

Pförchmeisters7 und Fleischbeschauers<br />

nachgesucht hat.<br />

3. Es wird deshalb in Zukunft für<br />

die 3 Jahre 1872/75 als<br />

Pförchmeister bestellt<br />

L. Lumpp, Gemeinderath, welcher<br />

diese Stelle in früheren Jahren<br />

schon bekleidet hat, u. wird auf<br />

seine damalige Verpfl ichtung hingewiesen<br />

u. mit Instruktion versehen.<br />

Gez. L. Lumpp<br />

4. Ebenso wird für die kommenden 3 Jahre<br />

1872/75 als Fleischbeschauer<br />

aufgestellt u.verpfl ichtet<br />

Christian Bordt, Gemeinderath,<br />

u. desgleichen mit Instruktion versehen.<br />

Gez. Bordt<br />

5. Ferner wird die Brodschau<br />

in Folge der neuen Gerwerbe-Ordnung<br />

aufgehoben.<br />

6. Nachtwächter Joh. Lumpp kündigt<br />

den Dienst u. wird auf 1. Juli d. J. desselben<br />

entbunden.<br />

7. Johann Schupp bezog bisher aus<br />

der Gemeindekasse für die Messnereigeschäfte<br />

u. Besorgung der Schulheizung<br />

jährlich 60 Gulden.<br />

Der Gemeinderath hält diese Belohnung<br />

im Hinblick auf die leichten Geschäfte<br />

der Messnerei für zu hoch.<br />

Dem bisherigen Messner wurden<br />

hierüber Vorstellungen gemacht u.<br />

erklärt derselbe sich bereit, den<br />

Dienst künftig um jährlich 50 Gulden zu<br />

versehen.<br />

Gez: Johann Schupp


Hiermit ist der Gemeinderath einverstanden<br />

und wird ihm diese Belohnung zugesichert.<br />

8. In Folge Ablebens des Jochen Bordt,<br />

Schreiner, Mitglied der Local-Feuerschau<br />

ist ein neues Mitglied zu wählen,<br />

wozu Gemeinderath Aug. Herrmann<br />

bestellt und verpfl ichtet wird.<br />

Gez: August Herrmann<br />

9. Dem Maulwur änger Fr. Eurich<br />

wurde der Dienst gekündigt.<br />

Ein Antrag, in Hinsicht auf die<br />

Nützlichkeit der Maulwürfe für<br />

die Landwirtschaft das Fangen<br />

derselben ganz einzustellen, stieß<br />

auf bedeutenden Widerspruch, da<br />

durch das Aufwerfen von Erdhaufen<br />

das Mähen bedeutend erschwert<br />

werde. Ein Antrag mit Aussetzung einer<br />

jährlichen Belohnung soll nicht<br />

abgeschlossen werden.<br />

Da aber gerade heraus eine Überzahl<br />

von Maulwürfen sich zeigt,<br />

so solle das Fangen der Maulwürfe<br />

auf ein Jahr von J. Steinbrenner v. Dimbach<br />

nach der Stückzahl, pro Stück zu 4<br />

Kreuzer übertragen u. das Abzählen<br />

kontrolirt werden.<br />

Die Annahme<br />

Gez: Steinbrenner<br />

Da man die Maulwürfe weder planmäßig<br />

verfolgen oder gar ausrotten<br />

möchte, so soll, wie es thunlich<br />

erscheint, mit dem Fangen derselben<br />

das nächste Jahr ausgefolgt werden<br />

Zur Beurkundung:<br />

Gemeinderath<br />

Schmiech<br />

Kaiser<br />

Klein<br />

Fr. Lumpp<br />

Herrmann<br />

L. Lumpp<br />

Bordt<br />

Als besonders erwähnenswert ist die Einstellung<br />

eines Teils der Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong><br />

zum Naturschutz. Der tägliche<br />

Kampf um die Optimierung der landwirtschaftlichen<br />

Erträge und damit auch zur<br />

eigenen Existenzsicherung wie auch der<br />

Wohlstandsmehrung ließ keinerlei Beeinträchtigung<br />

dieses Ziels zu. Die Scher-<br />

oder Wühlmaus war als Pfl anzenwurzeln<br />

fressendes Nagetier mit Sicherheit in der<br />

Lage, der Landwirtschaft erhebliche<br />

Schäden zuzufügen. Dieser Schädling<br />

wird irrtümlicherweise häufi g in einem<br />

Atemzug mit dem ausschließlich Würmer<br />

und Insektenlarven fressenden Maulwurf<br />

genannt und auch bekämpft. Nicht allgemein<br />

üblich war damals die Unterscheidung<br />

dieser beiden Tierarten. Es<br />

muss hier von einer besonderen Kenntnis<br />

der Zusammenhänge in der Natur, gepaart<br />

mit einer ungewöhnlichen Weitsicht<br />

einiger <strong>Cleversulzbach</strong>er Bürger gesprochen<br />

werden, die die Nützlichkeit des<br />

Maulwurfs für die Landwirtschaft trotz<br />

der auf der Grabetätigkeit dieser Tiere<br />

vorhandenen Konfl ikte erkannt hatten<br />

und eine Eingabe zum Schutz dieser Tierart<br />

beim Gemeinderat einbrachten. Die<br />

Mehrzahl der Stimmberechtigten entschied<br />

sich allerdings für eine weitere,<br />

wenn auch eingeschränkte Bejagung des<br />

Maulwurfs.<br />

Das früher Anfang April übliche und zeitraubende<br />

Verteilen der Maulwurfshügel in<br />

den Getreide- und Wiesenfl ächen war<br />

wohl zu aufwändig und bot während der<br />

Mahd keinen Schutz vor häufi gen Kontakten<br />

mit der nachträglich aufgeworfenen<br />

Erde, die zu einem vorzeitigen Stumpfwerden<br />

der Sensen führte. Mit den damals<br />

bekannten Bekämpfungsmitteln war die<br />

befürchtete Ausrottung dieser Tierart<br />

kaum möglich. Erst die Intensivlandwirtschaft<br />

einhundert Jahre nach diesem Antrag<br />

mit ihrem massiven Einsatz von Herbiziden<br />

und Pestiziden hat diesen Nütz-<br />

55


56<br />

lingen schwer zugesetzt und durch Nahrungsentzug<br />

in ihrer Existenz bedroht. Inzwischen<br />

kann man auf Flächen mit<br />

biologischer Bewirtschaftung hin und<br />

wieder „Untergrundbewegungen“ dieser<br />

nach der Bundesartenschutzverordnung<br />

als „besonders geschützten Art“ beobachten.<br />

Im Juni 1873 standen der Gemeindeverwaltung<br />

zusammenfassend für die verschiedenen<br />

Aufgabenbereiche die folgenden<br />

bestellten Personen zur Verfügung:<br />

Schultheiß Franz Lumpp<br />

Schulmeister Höneß<br />

Lehrer Lindenberger<br />

Ortsvorsteher und<br />

Gemeindepfl eger Herrmann<br />

Ratsschreiber Schweizer<br />

Fronmeister und<br />

Fleischbeschauer Klein<br />

Waldmeister Hesser<br />

Amts- und<br />

Polizeidiener Friedrich Seebold<br />

Waldschütz Lumpp<br />

Feldschütz Baltes Bord<br />

1 Schulmeister Höneß bezog ein Jahresgehalt von 12 Scheff el<br />

Dinkel, das entsprach bei einem Wert von 9 Gulden pro<br />

Scheff el einem Gehalt von 108 Gulden.<br />

2 Der Feldschütz Baltes Bordt hatte sein Jahressalär von 25<br />

auf 40 Gulden anheben lassen.<br />

3 Aktuar Schweizer bezog ein Jahresgehalt von 60 Gulden,<br />

dazu eine Jahrespauschale von 10 Gulden für Schreibmaterial<br />

und 1 Gulden Reisekosten pro Sitzung.<br />

4 Der frisch in sein Amt eingeführte Franz Lumpp bezog ein<br />

Jahresgehalt von 180 Gulden, dazu ebenfalls eine Jahrespauschale<br />

von 10 Gulden für Schreibmaterial.<br />

Postbote<br />

Meßner und<br />

Ebert<br />

Schulheizer Johann Schupp<br />

Wegknechte Carl Bordt, Gottlieb<br />

Stahl, Gottlieb Erhard,<br />

Johann Siegle,<br />

Franz Stefan<br />

Nachtwächter Heinrich Lumpp,<br />

Johann Plenefi sch<br />

Maulwurff änger J. Steinbrenner<br />

Die beiden „Brodwäger“ Klein und<br />

Schmiech wurden ihrer Ämter entbunden,<br />

weil seit einiger Zeit kein Bäcker hier seinem<br />

Gewerbe nachging.<br />

Ein gewisses Zubrot wurde den mit Polizeifunktionen<br />

ausgestatteten Bediensteten<br />

vom Gemeinderat gewährt, nachdem<br />

die Delationsgebühren8 gesetzlich abgeschaff<br />

t worden waren. Den „Gemeinde-<br />

Offi zianten“ 9 Waldschütz Lumpp, Feldschütz<br />

Bordt und Amts- und Polizeidiener<br />

Seebold standen die Gemeinderäte für das<br />

Etatjahr 1872/73 eine Sonderzuwendung<br />

von jeweils 5 Gulden aus den entgangenen<br />

Anzeigen zu.<br />

5 Die Weinberghüter Karl Bordt, Johann Schramm, Gottlieb<br />

Mörz und Siegle erhielten während ihrer Einsatzzeit im<br />

Herbst täglich 18 Kreuzer. Das Entgeld für den Wegknecht<br />

Franz Stephan wurde mit 6 Gulden im Monat festgesetzt.<br />

6 Der Fronmeister war zuständig für die Instandsetzung und<br />

Unterhaltung der Straßen und Feldwege.<br />

7 Sachverständiger für die Gemeindeschäferei (Viehschauer).<br />

8 Prämien für zur Anzeige gebrachte Gesetzesübertreter.<br />

9 Amtsträger mit niedriger Polizeigewalt.


Rechnungslegung der kommunalen Verpfl ichtungen –<br />

Die Bürgermeisteranstandsrechnung des Johann Martin<br />

Hesser 1726/27<br />

Titelblatt der Bürgermeisteranstandsrechnung<br />

des Johann Martin Hesser 1726/27<br />

Über Jahrhunderte ernährten sich die<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er fast ausschließlich<br />

von der harten Arbeit in der Landwirtschaft.<br />

Sobald die großen Bevölkerungsverluste<br />

aus dem Dreißigjährigen<br />

Krieg aufgeholt sind, breitet<br />

sich zur Ergänzung der Nahrungsgrundlage<br />

das Handwerk in den Dörfern<br />

immer stärker aus. Im 18. Jahrhundert<br />

sind nun die Dörfer keine<br />

reinen Bauern- und Weingärtnersiedlungen<br />

mehr. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />

ist zu diesem Zeitpunkt eine Vielzahl<br />

von Leinewebern, aber auch Schneider,<br />

Stroh- und Kornfl echter, die ihre<br />

Produkte in Heilbronn vermarkten,<br />

gemeldet. Die Unterschiede im Sozial-<br />

und Wirtschaftsgefüge von<br />

Stadt und Land, seit dem Mittelalter<br />

ohnehin im Rückgang, verwischen<br />

sich zusehends. Diese Entwicklung<br />

bewirkt eine spürbare Hinwendung<br />

zu einem noch stärkeren Selbstbewusstsein<br />

der Dörfer und ihrer Bewohner.<br />

Auch in <strong>Cleversulzbach</strong> wächst die<br />

Selbstachtung der Bürger, die ihren<br />

Ausdruck ganz besonders auch in der<br />

akribisch ausgeführten Jahres-Gemeinderechnung<br />

von 1726/27 fi ndet.<br />

Hier sind explizit die Besoldungen<br />

der Erfüllungsgehilfen in der Gemeinde<br />

aufgeführt und zeugen von<br />

einem gehobenen Selbstverständnis,<br />

die Verwaltung der Gemeinde in eigener<br />

Verantwortung zu bewältigen.<br />

Aus der Transkription der Abrechnung<br />

lassen sich einige Rückschlüsse<br />

auf das Aufgabengebiet der kommunalen<br />

Verwaltung ziehen:<br />

57


58<br />

Clever-Sultzbach<br />

Bürgermeister-Anstands-<br />

Rechnung<br />

Mein<br />

Johann Martin Hessers<br />

Berichts Verwandtens und dermahligen Rechnungsführenden Bürgermeisters.<br />

Was ich gemeinen Fleckens wegen eingenommen und wiedrum ausgeben habe.<br />

Von Georgii 1 Anno 1726 biß dahin Anno 1727.<br />

Gemeiner Bürgermeister Alt Andreas Prötzel des Gerichts<br />

Ausgab Geld<br />

Extraordinari 2 Kriegs- und andere Anlagen<br />

Winteranlag<br />

Erste fernweit ergangenen hochherrschaftlichen Befehls de dato 23ten December 1726<br />

musste zur Abstattung der winterlichen militär- und anderen Extra- ordinari Prästandorum<br />

3 wie vorum Fol. 28 4 mit mehreren Beschrieben von Statt und Amt 1612 Gulden<br />

50 Kreuzer 2 Pfennig geliefert werden, woran es hiesigen Orth<br />

betro en zu 3 Fristen 145 Gulden 8 Kreuzer 1 Pfennig<br />

Summe dieser Schuldigkeit 1920 Gulden 19 Kreuzer 1 Pfennig<br />

Inhalt vorgehender Rechnung Fol. 56 und beyliegen Extractus der Statt und Amts Abrechnung<br />

ist der Flecken an dergleichen schuldig verblieben:<br />

Altes 1646 Gulden 9 Kreuzer 1 Pfennig<br />

Neues Sommeranlag<br />

Nach deswegen unterm 25ten May 1726 ergangenen hochherrschaftlich gnädigstem<br />

Befehl hat wohllöbliche Landschaft diesem Statt und Amt zu Bestreitung der sommerlichen<br />

Prästandorum zu 3 Fristen zu liefern im ganzen Jahr Steuer angesetzt, wovon es<br />

hiesigen Orth betri t 129 Gulden 1 Kreuzer 2 Pfennig<br />

An hinübstehender Schuldigkeit vermög Statt und Amts Abrechnungs Extracts folgendes<br />

geliefert worden durch Martin Hesser anno 1726<br />

Den 16ten August paar (bar) 14 Gulden<br />

Den 13ten Sept. 40 Gulden<br />

Den 25ten dito 25 Gulden<br />

Den 2ten Oktobris 12 Gulden 30 Kreuzer<br />

Den 9ten dito 60 Gulden<br />

Den 15ten Oktobris 25 Gulden<br />

Den 5ten Nov: 21 Gulden<br />

Den 6ten Febr: 1727 42 Gulden<br />

Den 5ten April 24 Gulden 52 Kreuzer<br />

Somit insgesamt 264 Gulden 22 Kreuzer 5<br />

Durch Abrechnung prastirter 6 Verpfl egung an das hochfürstlich Würtbergisches Leibregiment<br />

zu Fuß Herrn Obristen von der Stritthorsts Companie nach besonderer, bey der<br />

Statt- und Amtsbeschreibung Registratur befi ndlicher Quartiers-Abrechnung<br />

48 Gulden 40 Kreuzer<br />

Summa der Lieferung 313 Gulden 2 Kreuzer<br />

Restieren hierüber noch 1604 Gulden 17 Kreuzer 1 Pfennig<br />

Darunter alte Restanten 1499 Gulden 19 Kreuzer 1 Pfennig


Unterschied 107 Gulden 58 Kreuzer<br />

Idem (Ebenso) 1607 Gulden 17 Kreuzer 1 Pfennig<br />

Statt und Amtskosten<br />

Inhalt vorlaufender Rechnung Fol. 57 und hierbey gehendes Extracts ist der Fleck an<br />

dergleichen schuldig verblieben, wann die fremd auf damahliges laufende zuviel bezahlt<br />

und heuer alß einer Lieferung auf das neue angenommen 26 Gulden 18 Kreuzer 1 Schilling<br />

widrum dazugeschlagen worden<br />

Altes 1039 Gulden 40 Kreuzer 2 Pfennig<br />

Darzu kommt Neues, so an jenigen zu bestreiten<br />

der Statt und Amts Ausgaben von den<br />

Deputierten 7 umzulegen resolvierten<br />

(beschlossenen) 800 Gulden diesem Amts Orth<br />

zugetheilt worden 72 Gulden<br />

1111 Gulden 40 Kreuzer 2 Pfennig<br />

An hirübiger Schuldigkeit wurde vermög<br />

Lieferungs Scheins und der Statt und Amts<br />

Abrechnung geliefert,<br />

1726<br />

Den 16ten August 13 Gulden 46 Kreuzer<br />

Den 2ten Oktobris 12 Gulden 30 Kreuzer<br />

Den 4ten Dec. 7 Gulden 30 Kreuzer<br />

Den 17ten Marty 1727 13 Gulden<br />

Den 2ten May 20 Gulden<br />

Durch Abrechnung Soldaten Servis und Weiber<br />

Verpfl egung kraft besonderer Abrechnung in der<br />

Stattschreiberey befi ndlich 30 Gulden 16 Kreuzer<br />

Durch fremd an laufenden zuviel bezahltes 26 Gulden 10 Kreuzer 1 Pfennig<br />

Summa 123 Gulden 20 Kreuzer 1 Pfennig<br />

Rest 988 Gulden 20 Kreuzer 1 Pfennig<br />

Also dass am laufenden zuviel prastiert und am<br />

neu laufenden abgeschrieben<br />

51 Gulden 20 Kreuzer 1 Pfennig<br />

Mithin verbleiben muß altes das Vormahlige 1039 Gulden 40 Kreuzer 2 Pfennig<br />

Besoldungen<br />

Dem Schulmeister Johann Jacob Michael Schmieder<br />

gebühren zu einer jährlichen Besoldung 6 Gulden<br />

Von der Abendglocke zu läuten 1 Gulden<br />

Und von Schlagung der Orgel 4 Gulden<br />

Welches wir im Manual attestirt zu schon empfangen<br />

11 Gulden<br />

59


60<br />

Dem Dorfschützen Hannß Jerg Becholden gebührt zu<br />

einer Jahresbesoldung 6 Gulden<br />

Sodann vor 1 Paar Schuhe, so in vorgehender Rechnung<br />

sub rubrum in gemein Fol. 89 gelo en 1 Gulden 30 Kreuzer<br />

7 Gulden 30 Kreuzer<br />

Daran diß Jahr gewesenen Nachtwächtern gebührt jedem 8 Gulden<br />

daran in sonderheit Tobias Apfelbachen Theils<br />

durch Abrechnung erhalten 8 Gulden<br />

Andreas Borten dem anderen Nachtwächter 8 Gulden<br />

Wilhelm Becholds Wittib alß geschworener Fraue an<br />

3 Gulden von Georgii 1726 biß Lichtmeß 1727 da selbiger<br />

Verstorben auf 3 Viertel Jahr 2 Gulden 15 Kreuzer<br />

Michael Rimmelmayers Fraue, welche an der ersteren<br />

Stelle angenommen worden von Lichtmeß biß Georgii<br />

1727 3 Gulden 45 Kreuzer<br />

Dem Waldmeister undt Gemeinenbürgermeister alt Andreas Prötzel<br />

gebührt zu Besoldung, so er per Abrechnung erhalten<br />

2 Gulden<br />

Den Anwalden Michael Mörtzen und Balthas Freunden alß<br />

Fleischschätzern jedem 15 Kreuzer und miteinander 30 Kreuzer<br />

Michael Wolpperten und Andreas Lumppen alß beeden<br />

Vorraths Pfl egern miteinander 30 Kreuzer<br />

Nicht jährlich Saltz Bestand-Geld<br />

Gemeine Statt Neuenstatt hat das Privilegium das Saltz-Commercium (den Salzhandel)<br />

entweder selbsten alhier treiben zu dür en oder solches einem andern bestandsweis 8 zu<br />

überlassen.<br />

In meines Antecessoris (Vorgänger) Schlegels Zeit biß Georgii 1725 hat Schlegel selbsten<br />

den Saltzhandel bestanden, in gefolgten 2 Jahren aber musste die Commun (Gemeinde)<br />

selbigen um gewohnliche 4 Gulden Bestandgeld erhalten, welcher dieses Commercium<br />

wie supr. Fol 45b unter gleicher Rubrique zu sehen Johannes Brümmern zu Brettach vor<br />

jährliche 3 Gulden überlassen. Zum Steueramt Neuenstatt aber auf vorgehendes und<br />

dieses Rechnungsjahr vermög Scheins bezahlen ließen<br />

8 Gulden 9<br />

Der Ausschnitt aus der Abrechnung macht<br />

vor allem deutlich, dass von der Gemeinde<br />

für den Württembergischen Staat – besonders<br />

auch im Hinblick auf die hohen<br />

Militäraufwendungen – das wesentliche<br />

Steueraufkommen in die vorgesetzte Verwaltung<br />

fl oss. Auch wenn die Bürgermeisterrechnung<br />

wegen des permanenten<br />

Wechsels zwischen Aktiva und Passiva<br />

nicht immer schlüssig nachvollziehbar ist,<br />

muss festgestellt bleiben, dass diese kleine<br />

Gemeinde, gemessen an dem Jahresgehalt<br />

eines Dorfschullehrers, eine unglaubliche<br />

Steuerleistung erwirtschaftete.<br />

Als von der Gemeinde besoldete Bedienstete<br />

und somit Träger der kommunalen


Verwaltungsaufgaben sind in dieser Abrechnung<br />

aufgeführt:<br />

1. Schulmeister mit Mesnerfunktion<br />

2. der Dorfschütz (Feldschütz)<br />

3. zwei Nachtwächter<br />

4. der Arbeitsplatz für eine „geschworene<br />

Fraue“, als Geheimnisträgerin vermutlich<br />

für amtliche Botengänge und Nebentätigkeiten<br />

im Auftrag des Gemeinderats<br />

(-gerichts) eingesetzt, als<br />

mögliche Verwendung könnte hier<br />

auch das Amt einer Hebamme in Frage<br />

kommen.<br />

5. der Waldschütz, in diesem Fall in Personalunion<br />

mit dem Altbürgermeister<br />

6. zwei Teilzeitarbeitsplätze für Ortsnotare<br />

7. zwei Teilzeitarbeitsplätze für Vorratspfl<br />

eger, das sind die Verwalter eines von<br />

der Gemeinde angelegten Fruchtvorrats<br />

zur Linderung der größten Not bedürftiger<br />

Gemeindemitglieder.<br />

1 Georgii war damals die volkstümliche Bezeichnung für<br />

den Georgstag (23. April).<br />

2 Außerordentliche<br />

3 Vorstehenden Leistungen<br />

4 Folio = Blatt. Bezugnahme auf einen Beleg.<br />

5 Wegen der Wertigkeit von 60 Kreuzern, die einem Gulden<br />

entsprachen, stimmt die Addition so außerhalb des von<br />

uns gewohnten dekadischen Systems.<br />

6 Erklärter oder beschriebener<br />

7 Abgeordneten, das Deputat war eine regelmäßige Leistung<br />

in Naturalien als Teil neben den in Geldwert zu entrichtenden<br />

Abgaben.<br />

8 Für eine gewisse Zeit einem Pächter zu überlassen.<br />

Eine Besonderheit erwähnt der Haushaltsbericht<br />

noch: Es gab in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

zum damaligen Zeitpunkt eine Verwaltungseinheit<br />

des Salzmonopols.<br />

Eine erhebliche Neuordnung der Verwaltungszugehörigkeiten<br />

in ganz Württemberg<br />

ergab sich im Rahmen der Reichsdeputations-Hauptschlusses<br />

10 von 1803. Die<br />

Verwaltungs-Hierarchien wurden neu<br />

strukturiert. Wie schon bereits in der Zeit<br />

der kurpfälzischen Regentschaft war für<br />

die drei Ämter Weinsberg, Neuenstadt<br />

und Möckmühl ein gemeinschaftlicher<br />

Obervogt bestimmt worden, während jedem<br />

einzelnen Amt ein Amtmann oder<br />

Oberamtmann vorstand. Nach 1806 gehörte<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> zum Oberamt Neckarsulm.<br />

Im Jahr 1810 wird der gesamte<br />

Oberamtsbezirk der Landvogtei „am unteren<br />

Neckar“ zugewiesen. 1815 wird ein<br />

Unteramt Brettach installiert, dem <strong>Cleversulzbach</strong><br />

zugeordnet wird.<br />

9 Als Basis der Währung fungierte in Württemberg seit der<br />

ersten Regierungsperiode 1498 bis 1519 Herzog Ulrichs<br />

der Goldgulden. Ein Gulden teilt sich in 60 Kreuzer.<br />

10 Abschlussbericht des letzten bedeutenden Gesetzes des<br />

Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, auf der<br />

letzten Sitzung des „Immerwährenden Reichstags“ am 25.<br />

Februar 1803 in Regensburg verabschiedet und mit der<br />

kaiserlichen Unterzeichnung am 27. April 1803 in Kraft<br />

getreten. Dem Text lag ein im Juni 1802 zwischen Frankreich<br />

und Österreich vereinbarter Entschädigungsplan zugrunde,<br />

der auf dem 1801 geschlossenen Friedensvertrag<br />

von Luneville (Art. 7) fußte. (Wikipedia).<br />

61


62<br />

Bevölkerung<br />

Die Bevölkerung im 15./16. Jahrhundert<br />

Aus dem Jahr 1495 hat sich erstmals ein<br />

Hinweis auf alle damals steuerpfl ichtigen<br />

Bürger in <strong>Cleversulzbach</strong> erhalten. In jenem<br />

Jahr erhob Kurpfalz ein „Will- oder<br />

Hilfsgeld“, wobei die Steuerpfl ichtigen ihr<br />

Vermögen selbst deklarierten, um dann<br />

zwei Prozent ihres Vermögens an die kurpfälzische<br />

Regierung abzuführen. In dieser<br />

Steuerliste sind alle 1495 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

vorkommenden Familiennamen der<br />

damaligen Haushaltungsvorstände überliefert:<br />

Brottinger, Diethmar, Eck (2-mal),<br />

Enderlin, Franck (3-mal), Lumpp, Mertz (5mal),<br />

Mewrer oder Meurer, Müller,<br />

Schweicker, Seydenfaden (2-mal), Stelwagen,<br />

Stuchs oder Stüchs (2-mal), Thoman<br />

(2-mal), Walther, Zwaxuff (5-mal), Zymerhans<br />

und Zymerman. Genannt werden<br />

insgesamt 33 Steuerpfl ichtige 1 , darunter<br />

fünf Frauen, von denen zwei als Witwen<br />

bezeichnet werden. Ein Priester wird damals<br />

noch nicht genannt. <strong>Cleversulzbach</strong><br />

hatte 1495 somit 33 Haushaltungen. Multipliziert<br />

man diese Zahl mit vier bis fünf,<br />

so darf man auf eine ungefähre Einwohnerzahl<br />

von 150 schließen 2 .<br />

Die häufi gsten Familiennamen waren<br />

Mertz und Zwaxuff (je 5-mal), gefolgt von<br />

Franck (3-mal) sowie Eck (diese Familie<br />

stellte mit Peter Eck den Schultheißen),<br />

Seydenfaden, Stuchs, Thoman und Zymerman<br />

(je 2-mal). Die Namensbildung war<br />

noch nicht ganz abgeschlossen, worauf<br />

ein Name wie Zymerhans hindeutet. Auf<br />

Berufsbezeichnungen deuten Namen wie<br />

Müller, Zymerman und wohl auch Mewrer.<br />

Häufi gster Vorname war Hans (11-mal),<br />

gefolgt von Wendel (4-mal) und Peter (3mal).<br />

Aufschlussreich sind 1495 auch die Hinweise<br />

auf die Vermögensverhältnisse. Von<br />

33 Haushaltungen besaß nur Walburg<br />

Frenckin kein Vermögen („mer schuldig<br />

dann sie vermage“) und musste mit der<br />

Gebetsform eines Rosenkranzes eine<br />

Steuer der besonderen Art entrichten.<br />

Sechs Haushaltungen besaßen ein sehr<br />

bescheidenes Vermögen zwischen 5 und<br />

20 Gulden. Zu den Besitzern kleinerer Vermögen<br />

von über 20 bis unter 100 Gulden<br />

zählten zwanzig und damit nahezu zwei<br />

Drittel aller damaligen Haushaltungen. Etwas<br />

wohlhabender mit über 100 bis 190<br />

Gulden waren fünf Haushaltungen. Überragt<br />

wurden alle durch den reichsten Bürger<br />

Hans Stuchs, der 575 Gulden versteuerte.<br />

Aus dem Jahr 1525 hat sich ein Verzeichnis<br />

aller Herdstätten und Häuser erhalten,<br />

das nach 1495 zum zweiten Mal alle Familiennamen<br />

bzw. Haushaltungen in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

auff ührt 3 . Genannt werden<br />

die Namen: Brummer, Damhart, Diettmar,<br />

Eck, Engelman, Farinßlaid (?), Freund, Geyger,<br />

Henß, Kulwein, Lump (3-mal), Mertz<br />

(12-mal), Munch, Obermüller, Salue oder<br />

Sal, Scheff er, Schneider (2-mal), Stelwag,<br />

Stock, Stuchs (2-mal), Weys, Winther,<br />

Wurm, Zel (von Zel), Zimerman (4-mal)<br />

und Zwaxuff (7-mal). Bei Jörg Freund<br />

handelte es sich sehr wahrscheinlich um<br />

den Schultheißen, da 1518 und 1523 dieser<br />

Name als Schultheiß urkundlich belegt<br />

ist 4 . Die Zahl der Haushaltungen hatte sich<br />

somit zwischen 1495 und 1525 in einem<br />

kurzen Zeitraum von 33 auf 50 erhöht, die<br />

Zahl der Einwohner von rund 150 auf<br />

etwa 225.


Angesichts der gestiegenen Einwohnerzahl<br />

überrascht es nicht, wenn 1525 etliche<br />

neue Familiennamen erscheinen. Von<br />

17 im Jahr 1495 genannten Familiennamen<br />

hatten sich bis 1525 aber nur noch<br />

neun erhalten. Die 1525 am häufi gsten<br />

vorkommenden Namen waren wie schon<br />

1495 Mertz (12-mal) und Zwaxuff (7mal).<br />

Der Wechsel der Familiennamen<br />

deutet, dies zeigt auch ein Blick auf andere<br />

Gemeinden im Gebiet um Heilbronn,<br />

auf eine größere Bevölkerungsbewegung<br />

um 1500. Wie 1495 war auch 1525 Hans<br />

der häufi gste Vorname (15 von 48 Männern).<br />

Nach der Herdstättenliste von 1525 hatte<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> 39 Häuser, die zumeist mit<br />

einem Geldbetrag zwischen 10 und 40<br />

Gulden bewertet wurden. Vier Häuser<br />

wurden mit 44 bis 56 Gulden veranschlagt,<br />

sechs Häuser lagen lediglich bei 6<br />

bis 9 Gulden. Zehn Haushaltungen besaßen<br />

kein eigenes Haus, konnten sich aber<br />

von ihren Äckern oder Weinbergen ernähren,<br />

so dass sie über ein Vermögen zwischen<br />

3 und 65 Gulden verfügten. Nur<br />

Hans Munch hatte weder ein Haus noch<br />

Vermögen.<br />

Bemerkenswert für die Entwicklung im<br />

Ort, aber auch für die wirtschaftlichen<br />

und sozialen Verhältnisse, ist die „Türkensteuerliste“<br />

von 1545 5 . Nachdem die deutschen<br />

Fürsten im Frühjahr 1544 Kaiser<br />

Karl V. Hilfe für einen geplanten Feldzug<br />

gegen die Türken zugesagt hatten, schrieb<br />

Württemberg im November 1544 eine zusätzliche<br />

Steuer (Türkensteuer) aus mit einer<br />

Vermögensabgabe von einem halben<br />

Gulden von 100 Gulden (1 Gulden zu 60<br />

Kreuzer gerechnet). Wer ein geringeres<br />

Vermögen hatte, sollte von 20 Gulden jeweils<br />

6 Kreuzer bezahlen, wer über ein<br />

noch geringeres Vermögen verfügte,<br />

zahlte 4 Kreuzer oder entsprechend weniger.<br />

Veranschlagt wurde daraufhin auch in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> der gesamte Besitz an be-<br />

weglichem und unbeweglichem Gut, der<br />

Besitz an Grund und Boden wurde zum<br />

Kaufpreis bewertet.<br />

Die Zahl der Haushaltungen war bis<br />

1545 auf nunmehr 67 gestiegen, darunter<br />

zwei Witwen, eine weitere Frau und<br />

sechs Pfl egschaften für Kinder. Dies entsprach<br />

einer ungefähren Einwohnerzahl<br />

von 280, wiederum eine Steigerung gegenüber<br />

1525. Lässt man Knechte und<br />

Mägde – sechs Haushaltungen hatten je<br />

einen Knecht, zwei Haushaltungen je eine<br />

Magd – außer Acht, die kein Vermögen<br />

besaßen, so umfasst bei einer Einteilung<br />

in fünf Steuergruppen die niedrigste alle<br />

Vermögen unter 20 Gulden. Zu ihr gehörten<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> vier Vermögenslose.<br />

Mit 4 von 67 oder rund sechs Prozent der<br />

Steuerpfl ichtigen lag dieser Anteil 1545<br />

wesentlich niedriger als im Herzogtum<br />

Württemberg (durchschnittlicher Anteil in<br />

Dörfern 13,5 %). Sie zahlten lediglich eine<br />

„Kopfsteuer“ von 4 Kreuzern. Dafür war<br />

der Anteil der Haushaltungen mit nur<br />

kleineren Vermögen von 20 bis unter 100<br />

Gulden (34 von 67) größer als im Landesdurchschnitt<br />

mit 37,4 Prozent. Zur<br />

Gruppe des „Mittelstandes“ mit Vermögen<br />

von 100 bis unter 500 Gulden zählten 28<br />

von 67 Haushaltungen. Ein noch höheres<br />

Vermögen besaß nur Wendel Zwaxuff der<br />

Junge mit 600 Gulden. Insgesamt gesehen<br />

waren die Vermögensverhältnisse bescheiden.<br />

Mit einem durchschnittlichen<br />

Vermögen von 114 Gulden lag <strong>Cleversulzbach</strong><br />

im damaligen Amt Neuenstadt an<br />

letzter Stelle.<br />

Interessant ist auch ein Blick auf die Familiennamen<br />

1545: Bader, Baumann, Bender<br />

(2-mal), Bischoff , Butner, Eck, Engelman,<br />

Feuer (Fewer), Franck, Freundt, Frey,<br />

Gilg, Hense, Kallenberger, Knechtlin,<br />

Kolblin, Kreußlin, Lump (6-mal), Mertz<br />

(12-mal), Müller oder Muller, Nauer (Nawer),<br />

Roser, Roßler, Salue, Schantzenbach,<br />

Schlegel, Schmidlin, Schneyder, Spitzhut,<br />

63


64<br />

Stuchs (2-mal), Weber, Weys, Winter (4mal),<br />

Wunst (2-mal), Wurm (2-mal), Zimermann<br />

und Zwaxuff (6-mal). Bei dem<br />

genannten Hans Kolblin dürfte es sich um<br />

einen weiteren Angehörigen der Familie<br />

Zwaxuff gehandelt haben, da in einem Lagerbuch<br />

von 1523 ein „Hans Zwaxuff genannt<br />

Kolblin“ erscheint 6 . Die Familien<br />

Lump (Lumpp), Mertz und Zwaxuff traten<br />

weiterhin beherrschend in Erscheinung,<br />

letztere stellte 1545 mit Jung Jakob Zwaxuff<br />

den Schultheißen. 1545 sind zumindest<br />

15 der 1525 bezeugten Familiennamen<br />

noch vertreten, etwa 21 sind neu,<br />

wodurch wie schon 1525 eine starke Bevölkerungsbewegung<br />

in der ersten Hälfte<br />

des 16. Jahrhunderts dokumentiert wird.<br />

Bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts stieg<br />

die Einwohnerzahl weiter an. Anlässlich<br />

einer Zählung aller „Burger und Innwohner“<br />

in Württemberg 1598 betrug die Zahl<br />

der Bürger (in früherer Zeit stets im Sinne<br />

von Haushaltungsvorständen) 77, was<br />

etwa 350 bis 380 Einwohnern entsprach.<br />

Da kurz zuvor Württemberg um 1594 von<br />

einer schweren Seuche heimgesucht worden<br />

war, könnte die tatsächliche Zahl um<br />

1590 noch höher gewesen sein.<br />

Kurz nach 1600 sind erstmals Zahlen anlässlich<br />

von Kirchenvisitationen überliefert<br />

7 . 1605 gab es 208 Kommunikanten<br />

(Erwachsene und Jugendliche ab dem 14.<br />

Lebensjahr) und 185 Katechumeni (im Katechismus<br />

unterrichtete Kinder bis zu 14<br />

Jahren), so dass mindestens 393 Einwohner,<br />

möglicherweise noch etwas mehr im<br />

Ort lebten, da 1605 die kleinen Kinder<br />

noch nicht wie seit der zweiten Hälfte des<br />

17. Jahrhunderts gesondert ausgewiesen<br />

wurden. Nur wenig später führten die Er-<br />

eignisse im Dreißigjährigen Krieg (1618–<br />

1648) zum größten Bevölkerungsverlust in<br />

der Geschichte von <strong>Cleversulzbach</strong>. Gab es<br />

um 1630 noch 80 bis 83 Bürger (wiederum<br />

im Sinne von Haushaltungsvorständen)<br />

und damit nahezu 400 Einwohner, so<br />

halbierte sich die Einwohnerzahl in nur<br />

wenigen Jahren nach 1634, als infolge der<br />

Kriegsereignisse nach der Niederlage der<br />

Schweden in der Schlacht bei Nördlingen<br />

über das mit ihnen verbündete Württemberg<br />

eine Zeit größter Not mit Seuchen<br />

und Hungersnöten hereinbrach. Die anlässlich<br />

der Kirchenvisitation von 1654<br />

überlieferte „Seelenzahl“ des Ortes war<br />

auf 200 gesunken.<br />

Nur sehr allmählich stiegen die Einwohnerzahlen<br />

in der zweiten Hälfte des 17.<br />

Jahrhunderts wieder an auf 212 (1661),<br />

266 (1676) und 302 im Jahre 1684. Um<br />

1690 kam es noch einmal zu einem leichten<br />

Rückgang durch die Ereignisse im<br />

Pfälzer Erbfolgekrieg (1688 –1697), als<br />

größere französische Truppenverbände<br />

1688 und 1693 auch die Gegend um Heilbronn<br />

verunsicherten. 1692 wurden 276,<br />

1703 297 und 1706 wieder 303 Einwohner<br />

gezählt. Im Laufe des 18. Jahrhunderts<br />

erhöhte sich die Bevölkerungszahl nahezu<br />

kontinuierlich über 337 (1726), 347<br />

(1740), 362 (1768), 383 (1779) auf 415 im<br />

Jahr 1783 und hatte erst jetzt den Stand<br />

aus der Zeit vor 1634 wieder erreicht.<br />

Nach einem kurzzeitigen Rückgang um<br />

1790 auf 377 stieg die Zahl der Einwohner<br />

um 1800 wiederum merklich an auf<br />

etwa 480 im Jahr 1806. Nunmehr hatte<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> die Zahlen aus der Zeit vor<br />

dem Dreißigjährigen Krieg sogar deutlich<br />

übertroff en.


1 HStAS ( = Hauptstaatsarchiv Stuttgart) A 109 Bü 9. In der<br />

Literatur, so auch in der 2010 erschienenen Kreisbeschreibung<br />

Heilbronn wird, mit Ausnahme von Gräf (siehe Anm.<br />

5), stets die Zahl 32 genannt. Die richtige Zahl lautet 33.<br />

2 Die Zahl 4,5 wurde auch in der Kreisbeschreibung Heilbronn<br />

von 2010 zugrunde gelegt.<br />

3 HStAS A 54 a Bd. 42<br />

4 HStAS A 44 U 3326 und Thomas Schulz: Altwürttembergische<br />

Lagerbücher aus der österreichischen Zeit 1520–<br />

1534, Stuttgart 1991, S. 512.<br />

5 HStAS A 54 a Bd. 151. Hierzu und zu der noch angeführten<br />

Bürgerzählung von 1598 Wolfgang von Hippel (Hg.):<br />

Türkensteuer und Bürgerzählung. Statistische Materialien<br />

zu Bevölkerung und Wirtschaft des Herzogtums Württemberg<br />

im 16. Jahrhundert, Stuttgart 2009. Vgl. für 1495<br />

und 1545 auch die Hinweise bei Hartmut Gräf: Die Ämter<br />

Neuenstadt am Kocher und Weinsberg an der Wende zur<br />

Neuzeit, Ostfi ldern 2004, insbes. S. 56 ff .<br />

6 Vgl. Schulz (wie Anm. 4) S. 516.<br />

7 Die Zahlen nach 1600 anlässlich von Kirchenvisitationen<br />

HStAS Bestand A 281, für die Zeit um 1630 nach Wolfgang<br />

von Hippel: Das Herzogtum Württemberg zur Zeit<br />

des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 2009.<br />

65


66<br />

Lebensgrundlagen eines <strong>Cleversulzbach</strong>er Bürgers –<br />

Ein Ausschnitt aus dem Dorfbuch 1626<br />

Wer waren die Bürger in <strong>Cleversulzbach</strong>?<br />

Wie lebten sie? Wo wohnten sie?<br />

Ein Beispiel aus dem Dorfbuch – der Bürger<br />

Hanns Röger – mag uns jene Zeit näher<br />

bringen. Hier steht anschaulich nachzulesen,<br />

wie die damaligen Lebensverhält-<br />

Der <strong>Cleversulzbach</strong>er Bürger Hanns Röger und<br />

sein Besitz – Ausschnitt aus dem Dorfbuch<br />

(Blatt 273)<br />

nisse aussahen und welche Bedingungen<br />

den Alltag prägten.<br />

Die Aufstellung über Hanns Rögers Besitz<br />

umfasst insgesamt über neun Seiten, von<br />

denen hier nur die erste abgedruckt und<br />

transkribiert wurde.<br />

Hanns Röger<br />

Behaußung<br />

1 Behaußung, 1 Scheuren undt<br />

ein Gärtlein oben im Dorff<br />

zwischen Michel Lumpp undt<br />

alt Balthas Freundt, zinßt<br />

dem Hailgen zur Newenstatt<br />

jährlich 14 d 80 fl<br />

den 4 Theil Scheuren unden<br />

im Dorff zwischen den gemeinen<br />

weeg und Hanß Wägelein,<br />

ist g[nädiger] Herrschaft gültbar 8 fl 30 x<br />

Ein Keller oben ihm Dorff zwischen<br />

Jörg Bentzen und Jacob Beuren<br />

Anschlag 4 fl<br />

den 4 Theil an einer Scheuer unden<br />

ihm Dorff zwischen Hanß Wägelein<br />

und ihnen …(?) selbsten zinß<br />

g[nädiger] Herrschaft jährlich 2 heller<br />

Anschlag 12 ½ fl<br />

Noch ein Behaußung, Scheuren und Hoff raidung<br />

samb ein Stück Graß und Baumgarten oben<br />

ihm Dorff zwischen Jörg Bentzen und dem<br />

gemeinen weeg gelegen güld der Herschaff t<br />

jarlich ein Fasnachtshuhn, dem Appt von<br />

Schönthal an Geld<br />

…(?) dem hailgen zur Neuwenstad 18 d1<br />

und dem hailgen alhie 4 d<br />

Anschlag 7 d<br />

275 fl<br />

1 d = Denar<br />

Norbert Gessner


Zur Bevölkerungsstatistik im 19. Jahrhundert – Aus<br />

den Aufzeichnungen des Totenregisters 1842 bis 1871<br />

Kurz vor dem Auszug von Eduard Mörike<br />

wurde für <strong>Cleversulzbach</strong> ein neues Leichenschau-Register<br />

angelegt, das lückenlos<br />

über eine ganze Generation weitergeführt<br />

wurde. Der erste Eintrag fi ndet sich<br />

am 4. Januar 1842, und die Aufzeichnungen<br />

enden mit der Beglaubigung am 25.<br />

Juni 1872. Dieses Buch ist insofern für uns<br />

interessant, als wir u. a. Einblick erhalten<br />

in die Altersstruktur der Gemeinde, in<br />

Krankheiten, die zum Tode führten, in die<br />

Kindersterblichkeit usw. Aber auch Fragen,<br />

die besondere Unglücksfälle oder skurrile<br />

Vorkommnisse betreff en, lassen sich mit<br />

Hilfe der Aufzeichnungen beantworten.<br />

Eintragungen im Leichenschauregister<br />

Der Bericht über einen Sterbefall enthielt<br />

im Allgemeinen Angaben über Todestag,<br />

Namen und Familienzugehörigkeit des<br />

Verstorbenen, sein genaues Alter; des Weiteren<br />

die Stunde des Ablebens, die Todesart,<br />

bzw. Verweise auf vorangegangene<br />

Leiden und den behandelnden Arzt; darüber<br />

hinaus den Termin des Begräbnisses.<br />

Der Leichenschauer musste die Leiche<br />

Auszug aus dem Leichenregister 1842<br />

zweimal in Augenschein nehmen, um den<br />

Tod zweifelsfrei feststellen zu können. Nur<br />

in besonderen Fällen konnte er es bei nur<br />

einer Überprüfung bewenden lassen. Dies<br />

wurde unter der Rubrik „Bemerkungen“<br />

– zusammen mit anderen evtl. anfallenden<br />

Besonderheiten – aufgeführt. Unterließ<br />

der Leichenschauer diese Eintragungen,<br />

so kam es zu Nachfragen, Untersuchungen<br />

und Rügen (z. B. am 23. Juni<br />

1859 oder am 24.–26. Dezember 1869<br />

und in besonders scharfer Form am 29.<br />

Dezember 1869: „… der Leichenschauer<br />

hat sich hierüber zu verantworten“), die<br />

ggf. gesondert protokolliert wurden. Parallel<br />

zu diesen Revisionen wurde die Übereinstimmung<br />

der Angaben mit dem pfarramtlichen<br />

Totenregister durch den Pfarrer<br />

der Gemeinde bestätigt. Verantwortlich<br />

war der Leichenschauer dem Oberamtsphysikus<br />

Michel in Neckarsulm.<br />

In der Rubrik „Bemerkungen“ fi ndet sich<br />

insbesonders für die Sommermonate (Juni<br />

bis September) immer wieder der Hinweis<br />

auf schnelle Verwesung. Dies verwundert<br />

nicht, waren doch die Kühlmöglichkeiten<br />

67


68<br />

zur damaligen Zeit außerordentlich beschränkt.<br />

So konnte die Beerdigung auf<br />

Wunsch der Angehörigen z. B. wegen starker<br />

Verwesung und des einsetzenden Geruchs<br />

vorverlegt werden. „Die Verwesung<br />

ging so schnell, daß man die gesetzliche<br />

Zeit nicht aufwenden kann.“ Dasselbe galt<br />

für Fälle, in denen der „wahre Todt“ unzweifelhaft<br />

feststand, u. a. bei einem Säugling,<br />

der sich bereits bei der Geburt in einem<br />

mumienartigen Zustand befand.<br />

Auch unsachgemäße Lagerung machte<br />

eine vorzeitige Beerdigung notwendig: Der<br />

Leichnam, welcher 16 Stunden am geheizten<br />

Ofen im Bett lag, ging rasch in Verwesung<br />

über u. konnte schon vor gesezlicher<br />

Zeit beerdigt werden. (19. Februar 1869)<br />

In der Regel fand die Beerdigung zwei<br />

Tage nach dem Eintritt des Todes statt.<br />

Um für eventuelle Fälle von Scheintod<br />

Vorsorge zu treff en, wurden die Särge oft<br />

mit Alarmvorrichtungen versehen. Darüber<br />

erfahren wir allerdings im <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Leichenschau-Register nichts.<br />

Leichenschauer<br />

Der erste Leichenschauer, der im Buch Erwähnung<br />

fi ndet, hatte sein Amt in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

ab 1842 inne. Es war Johann Plenefi<br />

sch, der im Jahr 1854 die Geschäfte an<br />

Leichenschauer Kuntzmann übergab, welcher<br />

ebenfalls 12 Jahre sein Amt ausübte<br />

und 1866 an Braun weiterleitete, der ab<br />

1868 an Johann Christof Plenefi sch, und<br />

dieser wiederum ein Jahr später an Leichenschauer<br />

Hanss übergab.<br />

Die behandelnden Ärzte für den in Frage<br />

kommenden Zeitraum waren vor allem<br />

Dr. Ellsaesser<br />

Oberamtsarzt Mesmer<br />

Dr. Adae (ab 1853)<br />

Dr. Lang aus Neuenstadt (1854)<br />

Gelegentlich fi ndet sich der Eintrag von<br />

Chirurg Braun aus Brettach, der auch als<br />

Geburtshelfer fungierte und in Einzelfällen<br />

das Amt der Hebamme übernahm.<br />

Die Übereinstimmung der Berichte mit<br />

den Kirchenakten wurde von Pfarrseite<br />

bestätigt, eine Vorgehensweise, die besonders<br />

durch einen entsprechenden Eintrag<br />

vom 12. Juli 1843 Gewicht erhält, den<br />

Pfarrer Eduard Mörike handschriftlich tätigte<br />

und unterschrieb. Dies war für die<br />

Jahre 1842 und 1843 Mörikes einziger<br />

Eintrag und kann als Hinweis darauf gelten,<br />

dass der Pfarrer ihm lästige Amtsgeschäfte<br />

lieber seinem „Vicar Sattler“ überließ.<br />

Die endgültige Entlastung des Leichenschauers<br />

erfolgte ursprünglich durch den<br />

Ortsarzt, bzw. Pfarrer, ab 1852 in regelmäßigen<br />

Abständen durch die Verwaltungsinstanz<br />

in Neckarsulm, und zwar in<br />

Person des königlichen Oberamtsphysikus<br />

Michel. Für die Jahre ab 1866 fi nden<br />

sich in der Funktion des Revisors weitere<br />

Namen: Bruckmaier, Ludwig und Kielmayer.<br />

Todesursachen<br />

Die Auszählung der Jahre 1842 bis 1843<br />

erbrachte als häufi gste Todesursachen,<br />

bzw. Krankheiten, die zum Tode führten:<br />

28 x Formen des Gichter 1 (Schlag-,<br />

Krampf-, Zehrgichter)<br />

11 x Wassersucht<br />

9 x Fieber (Schleim-, /Zehrfi eber)<br />

7 x Auszehrung<br />

4 x Schlagfl uss<br />

Lungenentzündung und Lungenschwindsucht<br />

Ruhr und Brechruhr<br />

Altersschwäche<br />

Weitere Krankheiten mit Todesfolge waren:<br />

Unterleibsentzündung, Luftröhrentzündung,<br />

Rotlauffi eber, Steckfl uss, Gallenfi eber,<br />

Wechselfi eber, hitziges Nervenfi eber,<br />

Brustentzündung, Krampf- und Zehrhusten.<br />

Darüber hinaus werden oft Früh-<br />

oder Totgeburten angeführt.


Diagnose- und Therapiemöglichkeiten eines<br />

Landarztes scheinen zur damaligen<br />

Zeit noch nicht weit entwickelt gewesen<br />

zu sein. Anders lässt sich kaum erklären,<br />

dass zu Krankheiten keine spezifi schen<br />

Angaben gemacht werden. So werden<br />

z. B. Gelbsucht und „Diphteritis“ erstmals<br />

1867 im Register angeführt.<br />

Unglücksfälle mit Todesfolge<br />

Natürlich gab es auch in einem kleinen<br />

Flecken wie <strong>Cleversulzbach</strong> immer wieder<br />

Fälle, wo Einwohner aus anderen als medizinischen<br />

Gründen zu Tode kamen.<br />

Einige Beispiele, die hier in der originalen<br />

Schreibweise abgedruckt werden, sollen<br />

dies illustrieren:<br />

Durch den Windsturm erstikt gefunden<br />

am Weg zwischen Langenbeutingen und<br />

Clever sulzbach am 12. Januar Mittag 12<br />

Uhr<br />

Johanna Regina<br />

(getrennte) Ehefrau<br />

des Johann Friedrich<br />

Widmann, Baumgärtner<br />

… ist durch Friedrich Kuttru<br />

ledig mit einem Kutschen<br />

pferd Sprung zu boten geworfen<br />

worden und tödlich verwundet<br />

worden<br />

diß Kind ist in der Kelder<br />

herum gelofen und sich denen<br />

woin der Kelder waren<br />

auf kleine Zeit entfernt<br />

und im Zittrich2 (Cidre/Apfelmost) am<br />

Bith (Bütte)<br />

ertrunken<br />

(3. Nov. 1847) Sohn des Schultheißen<br />

Lumpp<br />

durch einen Fall verschrenkte<br />

er den Rücken<br />

und Halsader<br />

u. lebte nur 6 Tage.<br />

Als besonders interessante Bemerkungen<br />

seien noch folgende Einträge angeführt:<br />

Michael Andreas Bay Bäker Meister<br />

und Löwenwirth dahier 26 J. 9 M. 18 T.<br />

(starb) „durch einen Schlag am Hirn“<br />

14. April 1869 Nummer 13 und 14<br />

(Zwillinge)<br />

Anonymus<br />

Söhnl(ein) des Joh. Schlegel<br />

Alter 1 Minute (todtgeboren)<br />

Bemerkung:<br />

„der Leichenschauer erfuhr erst nach dem<br />

3t Tag den Tod dieser Zwillinge, die<br />

künstlich zur Welt befördert worden seyn,<br />

daher, nur eine Leichenschau.“<br />

Zusatz:<br />

„Nach dem Tagebuche der Hebamme<br />

Siegle totgeboren. Ein oder zwei Minuten<br />

sind immer = todtgeboren.“<br />

Off enbar spielte es eine große Rolle, ob<br />

ein Neugeborenes „an der Mutter Brust<br />

trank“, wenigstens mehr als einige<br />

Minuten lebte, „eine ohnzeidige Geburdt“<br />

war oder „dodt gebohren“.<br />

Kindersterblichkeit<br />

Kindersterblichkeit war insgesamt im dokumentierten<br />

Zeitraum sehr verbreitet.<br />

Nach den Angaben im Leichenschau-Register<br />

verlief sie wellenartig und scheint<br />

besonders in den Jahren 1848/49,<br />

1857/58 und später in der ganzen Dekade<br />

nach 1861 auff ällig hoch gewesen<br />

zu sein.<br />

Ein Blick auf die Häufi gkeit von Kindstod<br />

(im ersten Jahr) mag dies, beispielhaft für<br />

den Zeitraum 1857/58, verdeutlichen:<br />

69


70<br />

Totgeburten (1857/58)<br />

24. Abrill 1857 ohne Nahmen, Sönlein der Juliane Chatrine Bremmer Unehlich<br />

gebohren dessen Vatter Mardin Bremmer<br />

8. Dez. 1857 ohne Nahmen, Mägdlein der Machdalene Siegle Unehlich gebohren<br />

dessen Vatter Daniel Siegle Bürcher (Bürger)<br />

5. Aug. 1858 ohne Nahmen, todtgebohrenes Megtlein des Christian Stahl,<br />

Bürcher u. Schneider hier u. dessen Efrau eine gebohr. Stefan<br />

26. Dez. 1858 ohne Nahmen, Todt gebohrenes Megtlein der Lowise (Luise)<br />

Wavenschmidt, ledig, ist Unehlich gebohren3 Die Statistik zeigt vier Totgeburten (davon<br />

drei von ledigen Müttern) und 20<br />

Todesfälle von Kindern im ersten Lebensjahr<br />

(vgl. Tabelle unten). Verteilt man die<br />

Zahlen gleichmäßig auf den genannten<br />

Zeitraum, so starb alle vier bis fünf Wochen<br />

ein Kind im Alter von unter einem<br />

Jahr.<br />

Kindstod im ersten Lebensjahr (1857/58)<br />

2. Februar 1857 1 Tag ohne Nahmen, Knäblein der Pauline Gohl<br />

Unehlich gebohren dessen Vatter Christian Gohl<br />

26. Merz 1857 15 Tage Christianne Christine Mägtlein des Gottfried<br />

Lumpp Bürcher u Bauer Gemeinderath hier<br />

27. März 1857 16 Tage Loise Hellene Mägtlein des Gottfried Lumpp<br />

Bürcher u Bauer Gemeinderath hier<br />

3. May 1857 7 M. 12 T. Friederike Karoline Mägtlein der Friederike<br />

Stegele Unehlich gebohren<br />

9. Juli 1857 4 Monate Friedrich Gottlob Sönlein des Franz Lumpp<br />

Bürcher u Bauer allhie<br />

9. Juli 1857 5 Tage Gottlob August Sönlein des Heinrich Lumpp<br />

Bürcher u wewer hier<br />

18. August 1857 1 M. 3 T. Karl Friedrich Sönlein des Gottlieb Schukraft<br />

Bürcher und Schumacher hier<br />

1. September 1857 8 Tage Johanna Willhelmine Kind des Gottlob Lumpp<br />

Bürcher u. Bauer hier<br />

25. September 1857 14 Tage Carl Willhelm Sönlein des Franz Kuttruf<br />

Bürcher u Bauer hier<br />

2. Februar 1858 3 M. 27 T. Karll August Sönlein des Gottlieb Schuler<br />

Bürcher u Bauer hier<br />

3. Abrill 1858 9 M. 4 T. Christine Magdalene Mägtlein des Gottlob<br />

Herrmann Bürcher u Bauer hier<br />

28. Juni 1858 4 M. 13 T. Christiane Machdalene Kindt des Johann Bordt<br />

Bürcher und Bauer hier<br />

7. October 1858 12 T. Johann Gottlob Kindt des David Volpp,<br />

Bürcher und Bauer hier


25. October 1858 1 M. 27 T. Gottlieb Christoph Kindt der Caroline Schwenser<br />

von Brettach; beyde unehlich gebohren<br />

das Kindt ist hier bey der Wiedmann ihn der Kost<br />

7. November 1858 7 M. 27 T. Rosina Caroline Kindt des Christoph Bazer<br />

Bürcher u Wenger hier<br />

13. November 1858 2 M. 18 T. Karll Gottfried Sönlein des Gottfried Bordt<br />

[…] Bürcher und Bauer hier<br />

16. Nov. 1858 21 T. Karoline Augustine Kind der ledigen Karoline<br />

Keller von hier unehlich gebohren<br />

6. Dez. 1858 3 M. 7 T. Christian Friedrich Kindt der Karoline Schwenser<br />

von Brettach beide unehlich gebohren Kostkind<br />

der Widtib Wiedmann<br />

13. Dez. 1858 7 M. 24 T. Christian Jacob, Sönlein des Philipp Rausch von<br />

Brettach Kost Kind der Widib Wiedmann von hier<br />

29. Dez. 1858 1 Tag Ohne Namen Megdlein der ledigen Lowise<br />

Wavenschmidt von hier ist unehlich gebohren<br />

Wie hoch die Sterblichkeitsrate bei Kindern<br />

im Verhältnis zur erwachsenen Dorfbevölkerung<br />

tatsächlich war, zeigt die ge-<br />

Jahr 0 unter<br />

1 Jahr<br />

1–20<br />

J.<br />

21–40<br />

J.<br />

41–60<br />

J.<br />

nauere Betrachtung der entsprechenden<br />

Daten (1842–1871) aus dem Leichenschau-Register:<br />

61–80<br />

J.<br />

über<br />

80 J.<br />

gesamt unter<br />

21 J.<br />

voll-<br />

jährig<br />

1842 0 5 1 2 2 6 0 16 6 10<br />

1843 0 13 7 0 4 3 0 27 20 7<br />

1844 2 5 0 1 4 4 0 16 7 9<br />

1845 2 13 3 2 4 3 0 27 17 9<br />

1846 3 10 2 0 4 2 1 22 15 7<br />

1847 1 8 2 3 5 5 0 24 11 13<br />

1848 1 14 7 1 3 5 0 31 22 9<br />

1849 2 8 10 3 3 2 0 28 20 8<br />

1850 2 13 2 2 3 2 1 25 17 8<br />

1851 1 5 1 1 1 4 1 14 7 7<br />

1852 1 5 5 2 3 10 0 26 11 15<br />

1853 2 6 10 0 2 2 0 22 18 4<br />

1854 5 10 6 1 3 6 0 31 21 10<br />

1855 2 4 3 1 7 9 0 26 9 17<br />

1856 1 6 4 0 4 4 0 19 11 8<br />

1857 3 9 3 1 3 1 1 21 15 6<br />

1858 2 12 5 3 2 3 2 29 19 10<br />

71


72<br />

Jahr 0 unter<br />

1 Jahr<br />

1–20<br />

J.<br />

21–40<br />

J.<br />

41–60<br />

J.<br />

61–80<br />

J.<br />

über<br />

80 J.<br />

gesamt unter<br />

21 J.<br />

voll-<br />

jährig<br />

1859 2 3 2 5 5 3 0 20 7 13<br />

1860 0 6 3 2 4 1 0 16 9 7<br />

1861 1 14 6 2 2 1 1 27 21 6<br />

1862 1 11 18 15 3 6 0 54 30 24<br />

1863 0 14 8 1 1 7 0 31 22 9<br />

1864 0 7 2 5 5 4 0 23 9 14<br />

1865 2 13 4 0 3 3 0 25 19 6<br />

1866 2 14 5 0 7 3 0 31 21 10<br />

1867 2 15 5 3 2 5 0 32 22 10<br />

1868 1 13 7 6 1 4 1 33 21 12<br />

1869 5 10 4 2 2 9 0 32 19 13<br />

1870 0 14 2 1 5 5 1 28 16 12<br />

1871 0 10 7 4 2 2 0 25 17 8<br />

Jahre mit signifi kant hohen Todesraten<br />

(vgl. in der Spalte „gesamt“ die fett gedruckten<br />

Zahlen) sind immer auch Jahre,<br />

in denen überproportional viele Kinder<br />

und Jugendliche starben.<br />

Bemerkenswert ist auch, dass in den 30<br />

Jahren des Untersuchungszeitraumes le-<br />

1 Gichter (alemannisch für Krampf; in der Fachliteratur Eklampsie<br />

genannt, s.u. Fraisen, Kopfkrämpfe, Zahnkrämpfe),<br />

verschiedene meist krampfhafte Krankheitserscheinungen<br />

bei Kindern, deren Ursachen sehr verschieden sein können.<br />

Pierer‘s Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859.<br />

Eklampsie (griech.), eine Krankheit des Nervensystems,<br />

äußert sich durch Krampfanfälle, die mit Bewusstlosigkeit<br />

verbunden sind. Die E. der Kinder (Eclampsia infantum) ist<br />

eine meist auf einer erblichen Disposition des Nervensystems<br />

beruhende häufi ge Erscheinung, stellt indessen kein<br />

diglich neun <strong>Cleversulzbach</strong>er Einwohner<br />

über 80 Jahre alt wurden. Älteste Seniorin<br />

war Christina Chatrina Keiser, die am<br />

2. Januar 1857 im gesegneten Alter von<br />

87 Jahren verschied.<br />

in sich geschlossenes Krankheitsbild dar, sondern ist meist<br />

die Folge anderweitiger krankhafter Zustände. […]<br />

Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig<br />

1906.<br />

2 Zittrich (auch Zitter), abgeleitet von (fr. cidre; engl. cider)<br />

Obstmost, meist aus Äpfeln hergestellt.<br />

3 Dieser Eintrag fi ndet sich am 29. Dezember 1858 nochmals,<br />

dort wird als Alter jedoch 1 Tag angegeben. Unter<br />

der Rubrik „Bemerkungen“ wird dies allerdings relativiert:<br />

das Kindt wahr so Schwach, daß Man kaum ein Leben<br />

Bemerkte. Es wahr nur 6 Minuten alt.


Einwanderung und Auswanderung<br />

Zuzug und Wegzug –<br />

Ausnahme oder Normalfall?<br />

Die Einwohner eines Dorfes galten früher<br />

als verschworene Gemeinschaft, die gegen<br />

fremde Zuwanderer Argwohn hegte und<br />

Wegziehende insgeheim vielleicht beneidete,<br />

aber doch auch für treulos hielt.<br />

Eine geschichtliche Betrachtung über die<br />

Jahrhunderte zeigt jedoch, dass Zu- und<br />

Abwanderung mal mehr mal weniger zur<br />

Lebenswirklichkeit gehörte – auch in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Die große Mobilität der letzten Jahrzehnte<br />

hat unseren Blick auf Bevölkerungsbewegungen<br />

jedoch völlig verändert: Zuzug<br />

und Wegzug sind nicht mehr die Ausnahme,<br />

sondern eher die Regel. Von den<br />

knapp zwei Dutzend Kindern des <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Kindergartens im Sommer<br />

2010 hatten nur etwa die Hälfte wenigstens<br />

ein <strong>Cleversulzbach</strong>er Großelternteil,<br />

vier waren Ausländer, alle übrigen waren<br />

Kinder von Zugewanderten. Und wir ahnen,<br />

dass von den zwei Dutzend Kindern<br />

wohl nur eine Handvoll – wenn überhaupt<br />

– ihr Erwachsenenleben ganz oder wenigstens<br />

teilweise in <strong>Cleversulzbach</strong> verbringen<br />

wird.<br />

Jahrhundertelanges Kommen und<br />

Gehen:<br />

Gesinde und Handwerksburschen<br />

Die Bevölkerungsbewegungen bis zum Beginn<br />

des 19. Jahrhunderts sind an anderer<br />

Stelle dieser Jubiläumsschrift beschrieben.<br />

Der folgende Beitrag beschränkt sich auf<br />

die Veränderungen seit dem Ende der Napoleonischen<br />

Kriege (1815) – wohl wissend,<br />

dass der häufi ge Wechsel von<br />

Knechten und Mägden, die oft nur für ein<br />

oder zwei Jahre am Ort blieben, oder der<br />

nur Tage oder Wochen dauernde Aufenthalt<br />

von Handwerksgesellen auf der Walz<br />

natürlich von diesen weltgeschichtlichen<br />

Ereignissen kaum beeinfl usst wurden. Die<br />

Auswanderung von alteingesessenen <strong>Cleversulzbach</strong>ern<br />

nach Russland, später aber<br />

vor allem nach Amerika, in die Kapkolonie<br />

und nach Australien, wurde als etwas völlig<br />

Neues wahrgenommen.<br />

Anfänge der Auswanderung nach<br />

Amerika:<br />

Klagen über Abgaben und Frondienste<br />

Am 6. Mai 1817 machten sich acht auswanderungswillige<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er auf<br />

den Weg nach Neckarsulm, um im dortigen<br />

Oberamt ihre Beweggründe zu Protokoll<br />

zu geben. Am Ortsausgang schrien ihnen<br />

die Dorfbewohner noch nach, sie sollten<br />

mit ihren Beschwerden nicht hinter<br />

dem Berg halten. Der Sprecher der Gruppe,<br />

Christian Hörrmann (Herrmann), fand<br />

deutliche Worte: Steuern, Abgaben und<br />

Frondienste seien eine drückende Last und<br />

die Willkür der Magistratspersonen wie<br />

Schultheiß, Bürgermeister und Schreiber<br />

sei kaum zu ertragen. Auswanderung sei<br />

der einzige Ausweg. Der junge Beamte,<br />

der ihre Aussagen protokollierte, war der<br />

aus Stuttgart angereiste Rechnungsrat<br />

Friedrich List. Er sollte im Auftrag des Ministeriums<br />

des Inneren die Motive für das<br />

Auswanderungsfi eber erforschen, das im<br />

Frühjahr 1817 Tausende erfasst hatte. Waren<br />

1815 im ganzen Königreich nur drei<br />

Württemberger als Auswanderer registriert<br />

worden, schwoll der Strom der Auswanderungswilligen<br />

nach einer schlimmen<br />

Missernte im Jahr 1816 unter chaotischen<br />

Begleiterscheinungen an. Allein im Heilbronner<br />

Hafen lagerten Anfang Mai 700<br />

Menschen, um auf dem Schiff sweg zu einem<br />

niederländischen Hafen und weiter<br />

nach Amerika zu kommen. Die Regierung<br />

wollte zunächst die Auswanderung unter-<br />

73


74<br />

binden, dann in geordnete Bahnen lenken.<br />

Friedrich List sollte hierfür die Grundlagen<br />

erforschen. Die Motive, die List bei seiner<br />

Befragung von über zweihundert Auswanderungswilligen<br />

aus den Oberämtern<br />

Weinsberg, Heilbronn und Neckarsulm<br />

protokollierte, galten eigentlich trotz einiger<br />

politischer Reformen bis 1914: vor allem<br />

wirtschaftliche Not, aber auch mangelnde<br />

politische Freiheit.<br />

Von den acht <strong>Cleversulzbach</strong>er Auswanderungswilligen<br />

von 1817 sind vermutlich<br />

nur zwei oder drei tatsächlich nach Amerika<br />

gekommen. In Amsterdam und anderen<br />

Kanalhäfen stauten sich die verzweifelten<br />

Massen, denn nur gegen Barzahlung<br />

(ca. 170 Gulden für Erwachsene und<br />

85 Gulden pro Kind) konnte man die sieben-<br />

bis zehnwöchige Segelschiff sreise<br />

antreten. Das so genannte Redemptioner-<br />

System, nach dem die Kapitäne die<br />

Schiff spassage vorfi nanzierten, war unter<br />

dem Massenansturm zusammengebrochen.<br />

Die Kapitäne fanden keine Dienstherren<br />

mehr, die ihnen die Auswanderer<br />

„abkauften“, um sie dann mehrere Jahre<br />

lang die Schiff spassage abarbeiten zu lassen.<br />

Die Niederlande ließen deswegen ab<br />

Sommer nur noch Auswanderer einreisen,<br />

die genügend Geld für die Überfahrt<br />

nachweisen konnten. Enttäuschte Rückkehrer,<br />

die vor ihrer Abreise Hab und Gut<br />

verkauft hatten, begegneten auf Rhein<br />

und Neckar hoff nungsvollen Auswanderern.<br />

Um das Unglück voll zu machen, fi el<br />

auch 1817 die Ernte bösen Unwettern<br />

zum Opfer.<br />

Immerhin gelang Johann Christian Stahl,<br />

ein Sohn des von List befragten, damals<br />

schon 60-jährigen Johann Martin Stahl,<br />

die Auswanderung. In einem Brief vom 6.<br />

März 1819 aus der Kleinstadt Oley in<br />

Pennsylvania berichtet er seinem Bruder<br />

von der geglückten siebenwöchigen Seereise.<br />

Jetzt lebe er wie ein Beamter in<br />

Deutschland der große Besoldung hat. […]<br />

Wer in diesem Amerika arbeiten will, der<br />

kann leben als wie ein Edelmann. Nur eines<br />

stimmt ihn traurig: Ich denke wir werden<br />

einander nimmermehr sehen. 1<br />

Frühes 19. Jahrhundert:<br />

Russland lockt mit Privilegien<br />

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />

war auch Russland, das ohne lästige Ozeanüberquerung<br />

zu erreichen war, Auswanderungsziel.<br />

Aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />

machten sich 1834 der Maurer und Steinhauer<br />

Martin Stahl mit Frau und Kind und<br />

Weber 2 Johann Christoph Plenefi sch mit<br />

Ehefrau, Mutter und einem Kind nach<br />

Russisch Polen bey Warschau 3 auf den<br />

Weg. Die Ansiedlung dort war kein Erfolg<br />

und die meisten dieser „Warschauer Kolonisten“<br />

zogen weiter nach Bessarabien, wo<br />

seit 1814 – mit Privilegien des Zaren ausgestattet<br />

– Deutsche in geschlossenen<br />

Siedlungsgebieten bis zu ihrer Umsiedlung<br />

1940 lebten. Johann Christoph Plenefi sch<br />

(1799–1868) kehrte allerdings mit seiner<br />

Familie in die alte Heimat zurück und<br />

schlug sich recht und schlecht als Weber<br />

durch. Gemeinde und Oberamt bestanden<br />

zunächst darauf, dass er wieder nach Polen<br />

zurükkehren muß, wohin er gehört 4 ,<br />

doch zeigte sich der Gemeinderat am<br />

11. Dezember 1837 gnädig und nahm ihn<br />

nach hinlänglicher Berathung 5 gegen<br />

eine Gebühr von 25 Gulden wieder in die<br />

Bürgerschaft auf.<br />

So gut war es seinem jüngeren Bruder drei<br />

Jahre zuvor nicht ergangen. Der ledige<br />

Schneider Christian Plenefi sch (* 1804) war<br />

1831 mit seiner Schwester Sabina Magdalena<br />

(* 1802) gleich nach Bessarabien ausgewandert<br />

6 , von dort aber 1834 zurückgekommen.<br />

Ihn wollte man jedoch keinesfalls<br />

wieder im Dorf haben. Der Gemeinderat<br />

bewilligte Schuhmacher Abraham<br />

Freundt, der ihn 21 Tage verköstigt hatte,<br />

zwei Gulden und sechs Kreuzer Kostgeld<br />

und bezahlte auch die für die Reise durch


Bayern und Österreich angefertigten<br />

Schuhe. Sie kosteten zwei Gulden und<br />

zwölf Kreuzer. 7 Christian Plenefi sch erklärte<br />

am 16. August 1834 dem Gemeinderat,<br />

er seye […] entschlossen, wieder<br />

nach Russland bey Bessarabie Collonie<br />

Gnadenthal zu Reisen und sich dort häuslich<br />

niederzulassen und bat, man möchte<br />

ihm verwilligen, aus der Gemeindekasse<br />

[…] ein Reißegeld von 10 f. Er versprach,<br />

dass er von der hiesigen Comun niemals<br />

mehr etwas verlangen werde, indem er<br />

Deutschland nicht wieder besuchen wolle. 8<br />

Der Gemeinderat ließ ihn gerne ziehen und<br />

bezahlte auch die Gebühr von 48 Kreuzern<br />

für den Reisepass an das Oberamt. 9<br />

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert:<br />

Magneten – Neue Welt und Industrie<br />

Die Bevölkerungsentwicklung im 19. und<br />

frühen 20. Jahrhundert legt nahe, dass<br />

eine kontinuierliche Abwanderung aus<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> stattfand. Kinderreichtum<br />

und verbesserte medizinische Versorgung,<br />

beispielsweise die seit 1817 auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

durchgeführten Pockenimpfungen<br />

10 , hätten eigentlich zu einem kräftigen<br />

Einwohnerwachstum führen müssen.<br />

Die Zahlen der Ortseinwohner zeigen<br />

jedoch nur einen bescheidenen Anstieg,<br />

ab ca. 1880 sogar einen Rückgang. Die Industrialisierung<br />

zog Menschen aus dem<br />

ländlichen <strong>Cleversulzbach</strong> ab. Das örtliche<br />

Handwerk litt unter der Konkurrenz der<br />

Industrie und die fortschreitende Mechanisierung<br />

in der Landwirtschaft bot immer<br />

weniger Menschen Arbeit und Brot. Außerdem<br />

unterstützte die Gemeinde die<br />

Auswanderung von Ortsarmen – manchmal<br />

mit beträchtlichen Zuschüssen, um<br />

die Armenkasse zu entlasten. Und schließlich<br />

sahen manche in der Auswanderung<br />

den einzigen Ausweg aus ganz persönlichen<br />

Problemen.<br />

Neben der Abwanderung in Industriezentren<br />

in Württemberg und darüber hinaus,<br />

spielte die Auswanderung nach Übersee,<br />

vor allem nach Nordamerika, eine wichtige<br />

Rolle. Die dafür vorgeschriebene Prozedur<br />

verlangte von den „Auswanderungslustigen“<br />

– so die amtliche Bezeichnung<br />

– einen vor dem Gemeinderat abgegebenen<br />

Bürgerrechtsverzicht. Er sollte sicherstellen,<br />

dass keine mittellosen<br />

Rückwanderer der Gemeinde als Ortsarme<br />

zur Last fi elen. Außerdem mussten Männer<br />

versprechen, „innerhalb Jahresfrist gegen<br />

seine Majestät den König von Württemberg<br />

nicht zu dienen“. Die öff entliche<br />

Bekanntgabe der Auswanderungsabsicht<br />

und die Nennung eines Bürgen sollten<br />

verhindern, dass sich Schuldner ihren<br />

Gläubigern entzogen.<br />

Oft verlief diese Prozedur problemlos. Der<br />

39-jährige Schäfer Gabriel Kollmar und<br />

seine 33-jährige Ehefrau Christine, geb.<br />

Hofmann, machten sich mit ihren drei<br />

Kindern 1864 auf den Weg über den Atlantik.<br />

Ein kleines Vermögen von ca. 1.200<br />

Gulden reichte für Überfahrt und Neubeginn<br />

– eine Grundlage für Reichtümer in<br />

der alten Heimat war es nicht.<br />

Manchmal musste sich der Gemeinderat<br />

jedoch über längere Zeit hinweg mit einem<br />

Auswanderungsfall befassen. Im Revolutionsjahr<br />

1848 setzte sich der Schmied<br />

Georg Salm (* 1803) nach Amerika ab. Frau<br />

und Kinder ließ er zurück, ohne sich um<br />

sie zu kümmern. So verwundert es, dass<br />

die unterbrochene eheliche Gemeinschaft<br />

bei seiner Rückkehr nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />

im Jahr 1853 wieder aufgenommen<br />

wurde. Beim Tod seiner Frau 1859 erstellte<br />

der Gemeinderat eine so genannte „Eventual<br />

= Theilung“, die dem Witwer abzüglich<br />

der Ansprüche der Kinder einen Vermögensrest<br />

von etwa 600 Gulden zusprach.<br />

Davon war das meiste der Hausanteil,<br />

das wenigste Bargeld, wie das Gemeinderatsprotokoll<br />

vom 23. April 1860<br />

vermerkt. Schmidt Salm welcher schon<br />

früher in dem Rufe eines unordentlichen<br />

75


76<br />

Haushälters stand […] hat namentlich<br />

seit dem Tode seiner Ehefrau seinen unordentlichen<br />

Lebenswandel fortgesezt, u. ist<br />

auf dem besten Wege durch Vernachlässigung<br />

seines Geschäftes u. durch das Herumziehen<br />

in den Wirtshäusern seinen Vermögensrest<br />

vollends zu verschleudern […<br />

so dass …] der Gemeinde die Gefahr droht,<br />

i[h]n später noch in Unterhalt zu bekommen.<br />

11 Salm versprach dem Gemeinderat,<br />

seinem Geschäft künftig fl eißig nachzugehen<br />

[,] u. die Wirtshäuser womöglich zu<br />

vermeiden. Das schien ihm jedoch nicht<br />

gelungen zu sein. Nach seiner zweiten<br />

Heirat mit der 46-jährigen Sophie, geb.<br />

Korb, die zwei uneheliche Kinder, Johanna<br />

(zwanzig Jahre) und Louisa (fünf Jahre),<br />

mit in die Ehe brachte, entschloss er sich,<br />

erneut auszuwandern, dieses Mal nach<br />

Australien. Er verzichtete am 4. März 1862<br />

auf sein Bürgerrecht. Einen Bürgen konnte<br />

er nicht stellen. Die Gemeinde schloss mit<br />

den Eheleuten Salm eine detaillierte Vereinbarung,<br />

um sich abzusichern. Schulden<br />

bei Neuenstadter Geschäftsleuten wurden<br />

ebenso genau aufgeführt wie der Erlös aus<br />

Haus- und Scheunenverkauf, wovon der<br />

Anteil für die Kinder aus erster Ehe abgezogen<br />

werden musste. Kaufmann Fecht<br />

aus Pfedelbach bereitete als Auswanderungsagent<br />

für 671 Gulden und 24 Kreuzer<br />

die Fahrt über Mannheim und Liverpool<br />

nach Melbourne vor. Die Gemeinde<br />

übernahm für die Kinder einen Fahrtkostenzuschuss<br />

von 250 Gulden. Johanna, die<br />

nicht auswandern wollte, hatte sich bei<br />

den Zimmermeistersleuten Hammer in Michelbach<br />

(bei Waldenburg) verdingt und<br />

musste mit Gewalt nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />

geholt werden. In den Akten blieb eine<br />

Rechnung der Gemeinde an Stiefvater<br />

Salm erhalten: Amtsdiener Lumpp ist<br />

nach Michelbach geschickt worden um<br />

die Johanna Korb zu holen 1 f. 24 x. Bis<br />

zuletzt blieb gegenseitiges Misstrauen.<br />

Eine Abmachung sah vor, dass 75 Gulden<br />

bei der Gemeinde deponiert und erst nach<br />

Melbourne nachgeschickt werden sollten,<br />

sobald ein Zeugniß vom Hafenbuch Liverpool<br />

eingelaufen ist, daß die Tochter der<br />

Salm´schen Ehefrau [,] Johanna Korb [,]<br />

dort eingeschi t worden sey. Findet die<br />

Einschi ung nicht Statt, so bleiben diese<br />

75 f der Gemeindepfl ege auch hat diese<br />

das Recht, die Überfahrtskosten, welche<br />

für diese Tochter bezahlt worden sind, für<br />

sich zu reklamieren. 12 Der Schmied, vor<br />

dessen Werkstatt Mörike 1840 den ausgedienten<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Turmhahn gefunden<br />

hatte, scheint sich in Australien<br />

besser als in Amerika eingelebt zu haben,<br />

denn der 19-jährige Wagner Carl Heinrich<br />

Salm und der 27-jährige Bauer Johann<br />

Christian Salm wanderten ein Jahr später<br />

ebenfalls nach Australien aus.<br />

Dass manche in der Auswanderung die<br />

Lösung ganz persönlicher Probleme sahen,<br />

belegen auch die folgenden Beispiele. Im<br />

Frühjahr 1867 betrieb Philippine Hofmann,<br />

geb. Schuler, mit ihrem gerade mal<br />

halbjährigen Töchterchen Caroline ihre<br />

Auswanderung. Ihr Mann war im Oberamtsgefängnis<br />

in Neckarsulm in Haft und<br />

willigte in die Auswanderung ein. Für<br />

beide Teile vielleicht die beste Lösung ihrer<br />

Probleme. 13 Zur gleichen Zeit will die<br />

ledige 24-jährige Sofi e Haaf mit ihrem<br />

drei Monate alten Töchterchen Christiane<br />

auswandern. Ob dies ein freiwilliger Entschluss<br />

war, wissen wir nicht.<br />

Der 40-jährige Löwenwirt Christian Bordt<br />

hat am 22. August 1883 seine Frau verlassen<br />

u. sich nach Amerika begeben 14 . So<br />

der Vermerk in der Bürgerliste, aus der er<br />

nach seiner vermutlich ungenehmigten<br />

Auswanderung gestrichen wurde.<br />

„… von der Gemeinde … ein Reisegeld …“<br />

„damit die Gemeinde diese Last und<br />

Person los wird …“<br />

Die Abschiebung von Ortsarmen durch die<br />

Gemeinde ist durch das Geschwisterpaar


Johann und Catharina Bazer belegt. Am<br />

17. Januar 1849 schrieb Johann Bazer aus<br />

der Militärstrafanstalt in Stuttgart an den<br />

„Wohllöblichen Gemeinderath“ in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

und bat, dass ihm von Seite der<br />

Gemeinde die zur Übersiedlung nach<br />

Amerika nöthigen Gelder angescha t<br />

werden. Gemeinderat und Bürgerausschuss<br />

wandten sich an den König: Der<br />

hiesige Ort ist mit vielen ledigen aber armen<br />

Leuten versehen, die der hiesigen<br />

Gemeinde schon viele Kosten verursacht<br />

haben. Zwey solcher Individuen nemlich<br />

Catharina Bazer und Johann Bazer haben<br />

die Absicht erklärt: daß falls ihnen von<br />

der Gemeinde oder der königlichen<br />

Staats = kasse ein Reisegeld, welches zur<br />

Überschi ung nach Nord = Amerika hinlänglich<br />

seyn, gegeben werde, sie dahin<br />

reisen und auf ihr württembergisches<br />

Staats- und Gemeinde = Bürgerrecht dahier<br />

Verzicht leisten. Der König hat das<br />

Schreiben natürlich nie zu Gesicht bekommen.<br />

Die ablehnende Antwort kam<br />

vom Oberamt Neckarsulm und wir wissen<br />

nicht, was aus Johann Bazer geworden ist.<br />

Ende 1858 taucht die inzwischen 43-jährige<br />

Catharina wieder in den Akten auf.<br />

Sie verhandelte mit dem Auswanderungsagenten<br />

Schröfel aus Weinsberg über einen<br />

Vertrag: Für ein Fahrgeld von 30 Gulden<br />

(zuzüglich zehn Gulden Taschengeld)<br />

könnte sie in die Kapkolonie „expediert“<br />

werden. Der Gemeinderat beschloss darauf,<br />

unter Vorbehalt oberamtlicher Genehmigung<br />

die Kosten zu übernehmen.<br />

Das Oberamt lehnte jedoch das Auswanderungsgesuch<br />

ab, da die Kostenrechnung<br />

zu niedrig zu sein schien. Catharina<br />

schloss nun sofort einen förmlichen Vertrag<br />

mit Schröfel ab. Am 12. November<br />

1858 wandte sich Schultheiß Herrmann<br />

noch einmal an das Oberamt und bat um<br />

rasche Erledigung, damit die Gemeinde<br />

diese Last und Person los wird, was dann<br />

auch geschah. 15<br />

Eher die Ausnahme: Verbindung der<br />

Auswanderer zur alten Heimat<br />

Dass „abgeschobene“ Auswanderer wenig<br />

Interesse an der alten Heimat hatten, ist<br />

nur allzu verständlich. Aber auch die aus<br />

freien Stücken Ausgewanderten wollten<br />

in der neuen Heimat möglichst schnell<br />

heimisch werden und pfl egten oft wenig<br />

oder gar keinen Kontakt. Es gab jedoch<br />

Ausnahmen, wie manche <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Familie nach dem Zweiten Weltkrieg als<br />

Empfänger eines CARE- oder „Fresspakets“<br />

dankbar feststellte.<br />

Aus dem Ersten Weltkrieg ist im Ortsarchiv<br />

ein mehrseitiges Heft des Schwabenvereins<br />

Chicago von 1915 erhalten: Herzliche<br />

Weihnachts = Grüße und kleine Liebengaben<br />

senden wir an unsere tapferen<br />

Soldatenbrüder, in treuer Anhänglichkeit<br />

ans deutsche Vaterland. 16 Unter den über<br />

tausend Württemberger Auswanderern ist<br />

Christian Volpp aus <strong>Cleversulzbach</strong> erwähnt,<br />

der damals in Elgin (Illinois) lebte.<br />

Am 6. April 1917 erklärten die USA dem<br />

Deutschen Reich den Krieg. Grüße und<br />

Liebesgaben aus Amerika waren zur letzten<br />

Kriegsweihnacht nicht mehr möglich.<br />

In Jahren eines starken Bevölkerungsrückgangs:<br />

„Verzeichnis der neu anziehenden<br />

Personen“<br />

Für die Zeit vom 13. Dezember 1873 bis<br />

27. November 1931 liegt ein „Verzeichnis<br />

der neu anziehenden Personen“ 17 vor –<br />

ironischerweise gerade für einen Zeitabschnitt,<br />

in dem die Bevölkerung des Orts<br />

um ein Drittel zurückging. Die Gründe für<br />

diesen Rückgang wurden oben schon genannt:<br />

Mechanisierung in der Landwirtschaft,<br />

bessere Chancen in der Industrie,<br />

Verlockungen der „Neuen Welt“. Von den<br />

ca. 200 Personen, die das Verzeichnis<br />

nennt, ist fast die Hälfte wieder weggezogen,<br />

darunter die sechs Pfarrer und Pfarrverweser<br />

und die dreißig Lehrgehilfen,<br />

Unterlehrer, Hauptlehrer und Schulmeis-<br />

77


78<br />

terverweser nach ihrer Dienstzeit. Sie waren<br />

in vielen Fällen eh nur wenige Wochen<br />

hier gewesen. Auch von den „Taglöhnern“<br />

– oft Knechte und Mägde in der<br />

Landwirtschaft – blieben nur die wenigsten.<br />

Handwerker wie Schäfer (Süpple)<br />

oder Schuhmacher, die mit ihren Familien<br />

hier blieben, sind seltene Ausnahmen. Fast<br />

alle Zuziehenden hatten die württembergische<br />

Staatsangehörigkeit, ein Dutzend<br />

waren Badener, eine Handvoll Bayern, einer<br />

Preuße und drei „Reichsländer“, d. h.<br />

Leute aus dem „Reichsland“ Elsass-Lothringen.<br />

Wirtschaftliche Not der<br />

Zwischenkriegszeit: „Hier herrscht zur<br />

Zeit eine wahre Wanderlust“<br />

Für die Zwischenkriegszeit liegt ein gefühlvoll<br />

abgefasster Zeitungsartikel vom<br />

März 1927 über <strong>Cleversulzbach</strong> vor. Es<br />

heißt dort: Hier herrscht zur Zeit eine<br />

wahre Wanderlust. In den nächsten Tagen<br />

verlassen uns zwei über die hiesigen<br />

Grenzpfähle hinaus bekannte Persönlichkeiten.<br />

Es ist dies der Gemeinde- und<br />

Ortsschulrat (gemeint ist hier: Mitglied<br />

des Gemeinderatsausschusses für örtliche<br />

Schulangelegenheiten) sowie Vertrauensmann<br />

des württemb. Weingärtner- und<br />

Bauernbundes Gottlob Hesser und Ortsschulrat<br />

und Löwenwirt Christian Bauer,<br />

um ihre kleinbäuerlichen Betriebe hier<br />

aufzugeben. Ersterer hat ein größeres<br />

Pachtgut in Amlishagen bei Gerabronn,<br />

letzterer ein solches in Niederbayern an<br />

der österreichischen Grenze käufl ich erworben,<br />

in welche Gegend erst kurz vor<br />

Weihnachten vor. Js. der Landwirt Karl<br />

Herrmann übergesiedelt ist.<br />

Der Krieger-, Gesangverein und gemischte<br />

Chor brachten den Scheidenden heute ein<br />

Ständchen als Abschiedsgruß. Wir wünschen<br />

ihnen in ihrem neuen Heim alles<br />

Gute und sagen ihnen ein herzliches Lebewohl.<br />

Im nächsten Monat wird Hebamme Dietrich,<br />

die 23 Jahre lang ihren Dienst treu<br />

und gewissenhaft versehen hat, nach Argentinien<br />

auswandern, um dort ihren Beruf<br />

auszuüben. Auch Weitere sollen noch<br />

wanderlustig sein. 18<br />

Heimatfront im Zweiten Weltkrieg:<br />

Kriegsgefangene, Ostarbeiter,<br />

Evakuierte<br />

Als in den Kriegsjahren 1939 –1945 immer<br />

mehr wehrfähige Männer eingezogen<br />

wurden und viele an der Front standen,<br />

wurden ihre Lücken so gut es ging durch<br />

eine unfreiwillige Zuwanderung von<br />

Kriegsgefangenen und zwangsverpfl ichteten<br />

Arbeitern aus dem Osten gefüllt. Im<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Gemeindearchiv liegen<br />

penibel geführte Listen 19 dieser „Zwangscleversulzbacher“,<br />

deren Namen und Alter,<br />

zum Teil auch ihre Berufe, genannt sind.<br />

Zuerst kamen im Frühjahr 1940 drei Polen.<br />

Ihre Zahl nahm im Verlauf des Krieges zu<br />

und erreichte 1943 mit elf Männern und<br />

vier Frauen einen Höchststand. Nach den<br />

Polen-Erlassen vom März 1940 sollten sie<br />

einen geringeren Lohn als Deutsche erhalten,<br />

keine Verkehrsmittel – auch keine<br />

Fahrräder – benützen dürfen, nicht am<br />

Tisch mit der deutschen Familie mitessen<br />

und möglichst in Stall oder Scheune untergebracht<br />

werden. Auf der rechten<br />

Brustseite ihrer Oberbekleidung mussten<br />

sie einen quadratischen Aufnäher mit einem<br />

„P“ tragen. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen<br />

– vor allem in der Landwirtschaft<br />

– waren damals ohnehin hart. Andererseits<br />

waren die Zwangsarbeiter nur<br />

dann eine wirkliche Hilfe, wenn sie bei der<br />

Arbeit mitdachten und man anständig mit<br />

ihnen umging. So war ihre Behandlung<br />

meist besser, als die Polen-Erlasse vorschrieben.<br />

Da polnische Wanderarbeiter<br />

seit Generationen als Erntehelfer nach<br />

Deutschland gekommen waren, fi el es<br />

manchen von den mit mehr oder weniger


Gruppe französischer Kriegsgefangener<br />

Zwang angeworbenen Polen nach der Niederlage<br />

ihres Heimatlandes schwer, mit<br />

der neuen Situation zurechtzukommen. In<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> wurden zwei von ihnen<br />

kurz nach ihrer Ankunft 1940 mit einem,<br />

bzw. zwei Tagen Arrest bestraft. Der eine<br />

hatte sich vom Arbeitsort entfernt und die<br />

„P“-Kennzeichnung von seinem Kittel abgetrennt,<br />

der andere hatte kurz vor der<br />

Mittagspause keine neue Arbeit anfangen<br />

wollen und war dafür angeblich geschlagen<br />

worden, was die Polen-Erlasse durchaus<br />

erlaubten. Diese beiden Vorfälle scheinen<br />

jedoch Ausnahmen geblieben zu sein.<br />

Nach der Niederlage Frankreichs im Juni<br />

1940 kam Anfang August eine Gruppe<br />

französischer Kriegsgefangener nach <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Sie wurden im Saal im Obergeschoss<br />

der Gastwirtschaft „Löwen“ untergebracht.<br />

Die Fenster waren vergittert,<br />

die Tür mit Schloss und Riegel versehen,<br />

was zwei Gefangene jedoch nicht daran<br />

hinderte, über das Klofenster zu fl iehen.<br />

Die 18 Verbliebenen fanden sich mit ihrer<br />

Situation ab. Ein frontuntauglicher Wehr-<br />

machtsangehöriger sperrte die Gefangenen<br />

über Nacht ein. Ansonsten achtete er<br />

darauf, dass sie an ihren Arbeitsplätzen<br />

ordentlich arbeiteten und auch ordentlich<br />

versorgt wurden. Als Kriegsgefangene hatten<br />

sie einen anderen Status als die polnischen<br />

Fremdarbeiter. Sie wurden zwar in<br />

ihrer Sammelunterkunft bewacht, hatten<br />

aber einen – wenn auch streng kontrollierten<br />

– Kontakt zu ihren Familien und<br />

erhielten Pakete, auch von französischen<br />

Hilfsorganisationen. Ihre fremden Essgewohnheiten<br />

und ihre sich nur allmählich<br />

verbessernden Deutschkenntnisse waren<br />

für viele <strong>Cleversulzbach</strong>er Kinder erstaunliche<br />

Erfahrungen. Die meisten Franzosen<br />

fanden in ihren Familien so etwas wie Familienanschluss,<br />

und je mehr Gefallenen-<br />

und Vermisstenmeldungen das Dorf erschütterten,<br />

umso mehr konnten sie ihrer<br />

Gefangenschaft trotz allem Heimweh<br />

auch etwas Gutes abgewinnen. Die Löwenwirtin<br />

Anna Stecher versorgte sie hin<br />

und wieder mit einem Krug Wein, den<br />

Töchterchen Inge vom Keller nach oben<br />

79


80<br />

brachte. Löwenwirt Adolf Stecher war seit<br />

1942 in Russland vermisst. Der Gastwirtschaftsbetrieb<br />

wurde stillgelegt, aber das<br />

Gefangenenlager blieb bestehen.<br />

Die letzte Gruppe von Fremden waren<br />

sechs Russen und eine Russin, die 1943<br />

nach <strong>Cleversulzbach</strong> kamen. Diese Fremdarbeiter<br />

mussten einen Aufnäher „OST“ tragen<br />

und hatten es vermutlich am schwersten.<br />

Die Kämpfe an der Ostfront waren verlustreich,<br />

was das Verhältnis zur deutschen<br />

Bevölkerung belastete. Die Propaganda<br />

verunglimpfte die „OST“-Arbeiter zudem<br />

als Untermenschen. Im letzten Kriegwinter<br />

wurden sie für Waldarbeit der Forstverwaltung<br />

unterstellt. Doch war ihr Los immer<br />

noch besser als das der in Lagern gehaltenen<br />

und in der Industrie ausgebeuteten<br />

russischen Kriegsgefangenen und der dort<br />

eingesetzten „OST“-Arbeiter.<br />

Während die Franzosen am 17. April 1945 –<br />

vier Tage nach dem Einmarsch der Amerikaner<br />

– den Fußmarsch zurück in die Heimat<br />

antraten, war die Repatriierung der Polen<br />

und Russen schwieriger. Da sie in ihrer Heimat<br />

als angeworbene Fremdarbeiter galten,<br />

mussten sie mit Schikanen rechnen und<br />

viele wehrten sich deshalb gegen ihre Rückführung.<br />

Als „displaced persons“ (verschleppte<br />

Personen) wurden die Polen in<br />

Weinsberg, die Russen in Heilbronn in Lagern<br />

untergebracht. Die meisten wurden<br />

während der nächsten zwei Jahre in ihre<br />

Herkunftsländer zurückgeführt, was für die<br />

Russen meist wiederum die Einweisung in<br />

ein Arbeitslager bedeutete.<br />

Manche Polen schikanierten nach dem<br />

„Umsturz“ die deutsche Bevölkerung. Es<br />

kam zu Übergriff en und Plünderungen.<br />

Noch bis 1947 musste man in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

mit nächtlichen Streifzügen aus dem<br />

Lager Weinsberg rechnen. Eier und Eingemachtes<br />

wurden gestohlen und manches<br />

Schwein geschlachtet.<br />

Und noch eine kriegsbedingte Zuwanderung<br />

muss erwähnt werden: mit der mas-<br />

siven Bombardierung der deutschen<br />

Städte seit 1942 wurde <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Zufl uchtsort für Verwandte oder Freunde,<br />

aber auch für zwangsweise „Evakuierte“<br />

aus den luftkriegsgefährdeten Gebieten –<br />

alles in allem ein knappes Hundert. Nach<br />

dem Angriff auf Heilbronn am 4. Dezember<br />

1944 fanden hier „ausgebombte“ Heilbronner<br />

ein Unterkommen. Um diese Zeit<br />

hatte der Krieg im Westen die deutsche<br />

Grenze schon überschritten, was zur Einquartierung<br />

von Saarländern führte. Diese<br />

Zuwanderung war als zeitlich begrenzte<br />

Maßnahme gedacht und tatsächlich verließen<br />

bald nach Kriegsende die allermeisten<br />

den Ort wieder.<br />

Folgen des Zweiten Weltkriegs:<br />

Flüchtlinge und Vertriebene<br />

Mit Ende des Krieges wurde <strong>Cleversulzbach</strong><br />

von einer ganz anderen Zuwanderungswelle<br />

erfasst, die die Zusammensetzung<br />

der Ortsbevölkerung innerhalb weniger<br />

Jahre nicht nur vorübergehend, sondern<br />

nachhaltig verändern sollte.<br />

Im Juli 1945 meldete der von den Amerikanern<br />

eingesetzte Bürgermeister Richard<br />

Nef 63 Evakuierte sowie acht Flüchtlinge<br />

und Heimatvertriebene an das Landratsamt<br />

Heilbronn. 20 Drei Jahre später hatte<br />

sich das Verhältnis umgekehrt. Eine Aufstellung<br />

vom 7. September 1948 zählt die<br />

„Neubürger“ nach Herkunftsländern auf:<br />

ČSR / Sudeten 30; Ungarn 13; Rumänien /<br />

Bessarabien 29; Polen / östlich Oder 11. 21<br />

Diese 83 Personen machten fast ein Fünftel<br />

der Gesamteinwohnerschaft aus. Das<br />

Flüchtlingskommissariat, das in einer Baracke<br />

beim zerstörten Heilbronner Bahnhof<br />

untergebracht war, wies die Ostfl üchtlinge<br />

vor allem solchen ländlichen Gemeinden<br />

zu, die unbeschadet den Krieg<br />

überstanden hatten. Auch glaubte man,<br />

dass in der Landwirtschaft am ehesten Arbeit<br />

zu fi nden sei. Die Flüchtlinge kamen


einzeln und familienweise, oft in vollbesetzten<br />

Bussen. So stiegen am Vormittag<br />

des 2. April 1946 zwei Dutzend übernächtigte<br />

Flüchtlinge, unter ihnen die Familien<br />

Arlt und Humm, mit Koff ern, Pappkartons<br />

und Rucksäcken beladen, vor dem Pfarrhaus<br />

aus dem Bus. Auf ihren Einweisungsscheinen<br />

war vermerkt, dass sie ärztlich<br />

untersucht und entlaust seien und in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

untergebracht werden sollten.<br />

Sie standen etwas verloren da, denn sie<br />

konnten erst am Abend auf die Höfe verteilt<br />

werden, die Bürgermeister Nef und<br />

seine Wohnungskommission für sie ausgesucht<br />

hatten und wo sie als Knechte und<br />

Mägde arbeiten sollten. So blieb noch Zeit<br />

für erste Erkundungsgänge ins Dorf und<br />

Gespräche mit den Ortsansässigen, deren<br />

Mundart sie nur mit Mühe verstanden.<br />

Dass die Unterbringung in der ersten Zeit<br />

oft schlecht, ja geradezu „menschenunwürdig“<br />

war, belegt ein Bittschreiben vom<br />

22. Dezember 1947 von Bürgermeister<br />

Nef: Nachdem nun die meisten Neubürger<br />

ihre Strohsäcke bereits schon 2 Jahre in<br />

Benützung haben u. zum größten Teil<br />

nicht mehr brauchbar sind, bitte ich das<br />

Kreiskommissariat für Neubürger u. Ausgewiesene<br />

unserer Gemeinde dringend 50<br />

Stück Strohsäcke mit Kopfkeil zuzuweisen.<br />

22<br />

Die Aufnahme der Heimatvertriebenen<br />

und Flüchtlinge war in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

ähnlich wie überall im Lande zunächst alles<br />

andere als herzlich. Die dürftige Informations-<br />

und Nachrichtenlage förderte<br />

Unkenntnis und Unverständnis für Flucht<br />

und Vertreibung als Folge des verlorenen<br />

Krieges. Auch glaubte man mit der eigenen<br />

Not genug belastet zu sein. Ohne<br />

massiven Druck der amerikanischen Militärregierung<br />

und der deutschen Verwaltungsstellen<br />

wie z. B. des Staatsbeauftragten<br />

für das Flüchtlingswesen bei der Landesregierung<br />

von Württemberg-Baden 23<br />

und des Flüchtlingskommissars in Heil-<br />

bronn wäre die Unterbringung oft gar<br />

nicht möglich gewesen.<br />

Natürlich gab es auch Hilfsbereitschaft.<br />

Und immer mehr respektierte man Fleiß<br />

und berufl iche Fähigkeiten vieler „Neubürger“.<br />

Bei der Gemeinderatswahl von<br />

1951, der zweiten nach dem Krieg, wurde<br />

mit Josef Wenesch der erste Neubürger<br />

gewählt. Als er zwei Jahre später wegzog,<br />

rückte für ihn der Bessarabiendeutsche<br />

Gotthilf Arlt nach und wurde bei allen<br />

folgenden Gemeinderatswahlen der selbständigen<br />

Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong> wieder<br />

gewählt. Zudem war er von 1965 bis<br />

zum Ende der Selbständigkeit <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />

am 31. Dezember 1971 stellvertretender<br />

Bürgermeister.<br />

Hilfreich bei der Integration der Neubürger<br />

waren auch „Respektspersonen“ unter<br />

den Heimatvertriebenen und Flüchtlingen<br />

wie Pfarrer und Lehrer. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />

war von 1949 bis 1956 Hermann Grawunder<br />

aus Ostpreußen Pfarrer und von 1951<br />

bis 1957 Edith Käfer (seit 1953 verh. Grawunder)<br />

– seine Schwiegertochter aus einem<br />

deutschen Siedlungsgebiet in der<br />

Südukraine – Lehrerin an der örtlichen<br />

Volksschule. Neubürger waren also nicht<br />

immer nur Mägde und Knechte oder Hilfs-<br />

und Gelegenheitsarbeiter.<br />

Auch die örtlichen Vereine spielten bei der<br />

Integration eine wichtige Rolle. Beispielhaft<br />

sei hier Werner Hübener genannt, der<br />

schon vor Ende des Krieges nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />

kam. In einem Lazarett im Elsass<br />

hatte er die Rotkreuzschwester Hedwig<br />

Kress aus <strong>Cleversulzbach</strong> kennen gelernt<br />

und sie ein Jahr vor Kriegsende geheiratet.<br />

Obwohl in Magdeburg geboren, war er<br />

also kein Flüchtling, aber doch kriegsbedingt<br />

ein „Neubürger“. Er trat 1946 dem<br />

Arbeiter-, Rad- und Kraftfahrerverein bei,<br />

dessen Vorsitzender er 1969 wurde und<br />

dessen Weiterentwicklung zum Rad- und<br />

Motorsportclub er wesentlich mitbestimmte.<br />

81


82<br />

Dass <strong>Cleversulzbach</strong> für die Neubürger<br />

wirklich zur neuen Heimat werden sollte,<br />

wurde bei der Aufstellung der Gedenktafel<br />

in der neuen Aussegnungshalle 1969<br />

für die Opfer der beiden Weltkriege deutlich.<br />

Dort sind nicht nur Namen von Angehörigen<br />

der Alteingesessenen, sondern<br />

auch von Neubürgern verzeichnet.<br />

Die Währungsreform (1948) mit dem folgenden<br />

Wirtschaftsaufschwung und die<br />

Gründung der Bundesrepublik Deutschland<br />

(1949) wirkten sich günstig auf die<br />

Eingliederung der Neubürger aus. Ihre<br />

Umverteilung aus den ländlichen Gegenden<br />

in Schleswig-Holstein und Niedersachsen<br />

in Industriebezirke in anderen<br />

Bundesländern brachte auch dem 1952<br />

neu gebildeten Land Baden-Württemberg<br />

noch einmal einen großen Zuzug, doch<br />

kamen diese Neubürger zumeist in den inzwischen<br />

im Wiederaufbau befi ndlichen<br />

Städten unter und fanden dort auch Arbeit.<br />

In die in den 1950er Jahren errichtete<br />

„Bundesmustersiedlung“ Amorbach<br />

mit den nahe gelegenen Industriezentren<br />

Neckarsulm und Heilbronn zogen mehrheitlich<br />

Neubürger, auch aus <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />

das von dieser zweiten Flüchtlingswelle<br />

fast nicht mehr betroff en war. Durch<br />

diesen Wegzug in die Industriestädte gab<br />

es das einzige Mal nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg in den 1950er Jahren eine<br />

„Delle“ in der sonst nach oben gerichteten<br />

Bevölkerungskurve <strong>Cleversulzbach</strong>s.<br />

Das Lastenausgleichsgesetz von 1952 regelte<br />

eine Umverteilung von ca. 115 Milliarden<br />

DM in den folgenden dreißig Jahren.<br />

Wer sein Vermögen durch den Krieg<br />

gerettet hatte, musste Abgaben leisten,<br />

mit denen Flüchtlinge und Heimatvertriebene,<br />

aber auch Luftkriegsbetroff ene entschädigt<br />

wurden. Die „Ausgleichsämter“<br />

hatten bei der Wertermittlung naturgemäß<br />

große Schwierigkeiten. Es gab Missgunst,<br />

Neid und Enttäuschungen – in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

wohl weniger als in den Or-<br />

ten, in denen Luftkriegsopfer argwöhnisch<br />

auf die Neubürger blickten. Der Lastenausgleich<br />

– auch wenn er die verlorene<br />

Heimat nicht ersetzen konnte – war eine<br />

große Leistung.<br />

Bei der Volkszählung von 1961 lag <strong>Cleversulzbach</strong><br />

(505 Einwohner) mit seinen<br />

Zahlen (68 Neubürger = 13,5 %) zwar unter<br />

dem Landesdurchschnitt (1,6 Mill. =<br />

20,9 %). Es nahm unter den fünf Gemeinden,<br />

die sich ein Jahrzehnt später<br />

zur neuen Stadt Neuenstadt zusammenschlossen,<br />

den Mittelplatz ein. Mit 26 Katholiken<br />

erreichte diese Konfession in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> zum ersten Mal seit der<br />

Reformation die Zweistelligkeit, denn auf<br />

konfessionelle Zuordnung konnte man in<br />

der Notlage der ersten Nachkriegsjahre<br />

wenig Rücksicht nehmen. Ein statistisches<br />

Problem stellten bei dieser Volkszählung<br />

die Kinder aus den vielen<br />

„Mischehen“ zwischen Alt- und Neubürgern<br />

dar. Sie wurden grundsätzlich den<br />

Vätern zugerechnet.<br />

Jüngste Entwicklungen: Bauwillige,<br />

Gastarbeiter und Spätaussiedler<br />

Seine doch eher abgeschiedene Lage und<br />

die topografi schen Verhältnisse haben<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> bei der Zuwanderung von<br />

so genannten Gastarbeitern seit den<br />

1950er Jahren und Spätaussiedlern seit<br />

den 1980erJahren ein unorganisches Bevölkerungswachstum<br />

mit Ghettobildung<br />

erspart. Aber die Bevölkerungszunahme<br />

war dennoch die größte in der Ortsgeschichte<br />

innerhalb von zwei Generationen.<br />

Diese Zunahme beruht auf einer<br />

umsichtigen Baulanderschließung. Mit<br />

dem eigenen Auto oder öff entlichen Verkehrsmitteln<br />

ist der Wirtschaftsraum<br />

Heilbronn / Neckarsulm und erst recht<br />

Neuenstadt heute leicht zu erreichen,<br />

was viele Bauwillige anzog – auch solche,<br />

die sich <strong>Cleversulzbach</strong> als Alterssitz erkoren<br />

haben.


Entwicklung der Bevölkerungszahlen<br />

1812 1855 1881 1910 1933 1946 1961 1989 2009 2012<br />

543 621 671 512 434 543 505 700 809 820<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Besonderheiten:<br />

Engländer und Mörike<br />

Eine Besonderheit beim Zuzug nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />

sind die angelsächsischen<br />

Farbtupfer. John und Edith Birchall und in<br />

ihrem Gefolge Shirley Lawes haben mit<br />

ihren Antiquitätengeschäften seit 1977<br />

das Ortsbild einfühlsam und geschmackvoll<br />

mitgeprägt.<br />

1 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CR 882<br />

2 Weber Johann Christoph Plenefi sch gehörte zu den „Revolutionären“,<br />

die am 8. Mai 1848 auf dem Rathaus erschienen<br />

und gegen die „Lebenslänglichkeit“ von Schultheiß<br />

und Gemeinderäten protestierten.<br />

3 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 16, Seite 31 (Gemeinderatsprotokoll).<br />

4 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 8, Seite 121 (Anweisung des<br />

Oberamts Neckarsulm vom 21. Mai 1836 im so genannten<br />

„Befehlsbuch“).<br />

5 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 16, Seite 198 b (Gemeinderatsprotokoll<br />

vom 11. Dezember 1837).<br />

6 Das <strong>Cleversulzbach</strong>er Kirchenbuch vermerkt bei den beiden<br />

Geschwistern: „sind im J. 1831 nach Russland gezogen,<br />

jedoch mit Vorbehalt der Staats- und Gemeindebürgerschaft<br />

auf 6 Jahre“. Christian wurde dennoch weggeschickt.<br />

7 Siehe: Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CR 218, Nro. 160 („Kosten<br />

Zetel“ des Abraham Freundt).<br />

8 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 16, Seite 51 b (Gemeinderatsprotokoll<br />

vom 16. August 1834).<br />

9 Siehe: Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CR 218, Nro 162 („gehorsamst<br />

übersendet: 48 x“).<br />

10 Erhalten geblieben ist im Ortsarchiv CB 162 das „im May<br />

1817“ begonnene Impfbuch.<br />

11 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 22<br />

12 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CA 206<br />

13 Siehe Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CA 206<br />

14 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 159<br />

15 Siehe Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CA 206<br />

16 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CA 263<br />

17 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 161<br />

Abschließend sei ein Zuwanderungsmotiv<br />

genannt, das nur ganz allein für <strong>Cleversulzbach</strong><br />

gilt. Zahlen lassen sich zwar<br />

nicht nennen und oft ist dieses Motiv nur<br />

eines unter anderen. Aber man weiß von<br />

einigen Zugezogenen, dass Eduard Mörike<br />

und seine Idylle vom alten Turmhahn bei<br />

der Wahl ihres Wohnorts eine Rolle gespielt<br />

haben.<br />

18 Neuenstädter Tageszeitung 17. März 1927<br />

19 Siehe Stadtarchiv Neuenstadt CA 269<br />

20 Siehe Liste vom Juli 1945 für das Landratsamt Heilbronn<br />

(Stadtarchiv Neuenstadt CA 650).<br />

21 Siehe Liste vom 7. September 1948 für das Landratsamt<br />

Heilbronn (Stadtarchiv Neuenstadt CA 650).<br />

22 Antrag von Bürgermeister Nef vom 22. Dezember 1947<br />

(Stadtarchiv Neuenstadt CA 650).<br />

In einem weiteren Schreiben vom 2. November 1948 bat<br />

Bürgermeister Nef den Heilbronner Flüchtlingskommissar,<br />

von weiteren Zuweisungen abzusehen, „indem noch<br />

Flüchtlingsfamilien in hiesiger Gemeinde … menschenunwürdig<br />

untergebracht sind.“ (Stadtarchiv Neuenstadt CA<br />

650).<br />

23 Staatsbeauftragter der Landesregierung von Württemberg-Baden<br />

für das Flüchtlingswesen war von November<br />

1946 bis November 1949 Willy Bettinger (1891–1973), ein<br />

gebürtiger Neuenstädter. Er war in der Zwischenkriegszeit<br />

ein prominentes Mitglied der Kommunistischen Partei in<br />

Württemberg. Seine Amtsführung als Staatsbeauftragter<br />

für das Flüchtlingswesen wurde allgemein – auch von den<br />

Vertretern der Heimatvertriebenen und Flüchtlingen – anerkannt.<br />

Nachdem die Kommunisten infolge des beginnenden<br />

Kalten Krieges aus der Landesregierung gedrängt<br />

wurden, verlor auch Bettinger als letzter Kommunist in<br />

einem Spitzenamt der Landesverwaltung sein Amt. Bettingers<br />

Eltern hatten gegenüber vom Gasthaus Rößle in<br />

Neuenstadt ein Gemischtwarengeschäft betrieben, das<br />

1910 Friedrich Schock, dann Hermann Feeser übernahm<br />

(heute Paula´s Boutique und die Parkplätze an der Einmündung<br />

der Helmbundstraße).<br />

83


84<br />

Wirtschaftliche Grundlagen und<br />

natürliche Ressourcen<br />

Landwirtschaft in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Landwirtschaft und Bodennutzung in<br />

früheren Zeiten<br />

Landwirtschaft in <strong>Cleversulzbach</strong> in früheren<br />

Zeiten – Anbau von einigen wenigen<br />

Körnerfrüchten und Rüben und Kohl<br />

– diente überwiegend der Ernährung und<br />

Versorgung der eigenen Familie. Auch die<br />

Aufzucht und Haltung von Nutztieren bildete<br />

eine wichtige Versorgungsgrundlage.<br />

Wurden aus den meist spärlich geernteten<br />

Körnern oder Rüben und Kohl einfache<br />

Speisen für die tägliche karge Nahrung<br />

zubereitet, so dienten die gehaltenen Tiere<br />

nicht nur der sehr wichtigen Nahrungsergänzung<br />

in Form von Milch, Butter und<br />

Fetten, Käse und Fleisch, sondern durch<br />

die Bearbeitung von Tierhäuten und Fellen<br />

und der Schur der Schafe auch zur Herstellung<br />

von Kleidung, Decken, Wäsche,<br />

Schuhwerk oder auch Werkzeugen.<br />

Missernten traten recht häufi g auf. Hervorgerufen<br />

wurden sie durch Witterungseinfl<br />

üsse wie Hagelschlag, starke Fröste,<br />

Dürre, Starkregen oder Überschwemmungen,<br />

oder durch Schädlinge und Pilzbefall,<br />

aber auch durch unzureichende Kenntnisse<br />

über die Zucht, Behandlung und<br />

Düngung von Pfl anzen und die Aufzucht<br />

und Haltung von Tieren. Dies alles führte<br />

wiederum zu Hungersnöten, welche Mangel-<br />

oder Unterernährung, und in deren<br />

Folge eine erhöhte Sterberate nach sich<br />

zogen. Eine Vorratshaltung über das Jahr<br />

hinaus war aufgrund der überwiegend geringen<br />

Ernten nur selten möglich, und<br />

wenn, so machten sich oft Ratten und<br />

Mäuse sowie anderes zahlreich vorhandenes<br />

Ungeziefer daran zu schaff en. Wenn<br />

die Not besonders groß war, wurde nicht<br />

selten selbst das dringend notwendige<br />

Saatgut für das kommende Jahr aufgezehrt.<br />

Unterstützung bei der Bewältigung dieser<br />

Krisen und Nöte kam dabei von den Klöstern.<br />

Dort gab es durch Versuche und Forschung<br />

der Mönche und Gelehrten neue<br />

und weitreichendere Erkenntnisse über<br />

„erfolgreicheren“ Feldbau, Pfl anzen- und<br />

Tierzucht, welche, sofern sie in die Praxis<br />

umgesetzt wurden, die Not einzudämmen<br />

in der Lage sein sollten. Eine einfache<br />

Möglichkeit, welche wiederum von den<br />

Klöstern ausging, die Erträge beim Feldbau<br />

zu steigern, war die Umstellung auf<br />

die Dreifelderwirtschaft, welche bis ins 19.<br />

Jahrhundert angewendet wurde. Erst<br />

konnte diese neue Form des Feldbaus jeder<br />

auf seinen Feldern in eigener Verantwortung<br />

durchführen, was aber häufi g<br />

nicht wie angedacht oder vorgesehen<br />

funktionierte. Deshalb wurde die Dreifelderwirtschaft<br />

zwangsweise von der Obrigkeit<br />

schon im Mittelalter per Gesetz eingeführt.<br />

Die Anbauweise der Dreifelderwirtschaft<br />

bedeutete, dass auf der einen<br />

Flur Wintergetreide, auf der nächsten<br />

Sommergetreide und Hackfrüchte angebaut<br />

wurden, die dritte Flur blieb unbewirtschaftete<br />

Brachfl äche, damit der Boden<br />

sich erholen konnte. Diese Brachfl ächen<br />

wurden zusätzlich als Weideland genutzt.<br />

Durch den Anbau von Klee, Kartof-


feln, Rüben und Hülsenfrüchten auf der<br />

Brache ab dem 18. Jahrhundert wurde die<br />

Bodenstruktur durch zusätzlichen Stickstoff<br />

eintrag (über Hülsenfrüchte und Klee)<br />

weiter verbessert und die Erträge dadurch<br />

gesteigert.<br />

In <strong>Cleversulzbach</strong> waren drei Fluren festgelegt,<br />

welche im ersten Dorfbuch (entstanden<br />

um etwa 1570 1 ) genannt werden.<br />

Bezeichnet waren sie wie folgt: nördlich<br />

des Dorfes Im Flur Kürweg (heute Kirchweg);<br />

westlich und südwestlich des Dorfes<br />

Im Fluhr Zur Heken, sowie östlich und<br />

südöstlich des Dorfes Im Fluhr Zur Keltern.<br />

Selbstverständlich gab es nicht nur diese<br />

drei „übergeordneten“ Fluren auf <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Gemarkung.<br />

In der Flur zum Kürweg gab es u. a. den<br />

Verrenberg, die Mertzenwiesen, die Brücklinäcker,<br />

Stadtschreiber, Röth.<br />

In der Flur Zur Keltern gab es Binsenbach,<br />

Erbelbunnen auch Erdbeerbronnen, Katzenbergäcker,<br />

Häldenäcker, Langenäcker.<br />

Und in der Flur Zur Heken gab es die Rutsche,<br />

die Wanne, den Weinsbergerweg, Ob<br />

dem Brechhaus, Dahenfelderweg, Haseläcker,<br />

Lerchenberg, um einige zu nennen.<br />

Im 19. Jahrhundert wurde die Dreifelderwirtschaft<br />

durch die Fruchtwechselwirtschaft<br />

abgelöst.<br />

Neben der Bewirtschaftung der Felder, der<br />

Wiesen und Weiden, welche im Besitz der<br />

Bauern waren, gab es noch die gemeinschaftliche<br />

Nutzung der Allmenden, welche,<br />

wie auch der überwiegende Teil des<br />

Waldes, zum Gemeinbesitz der Kommune<br />

gehörten.<br />

Aufgrund der Realteilung waren immer<br />

mehr kleine und kleinste Nutzfl ächen entstanden,<br />

die es möglichst ganz auszunutzen<br />

galt. Fahrwege und Flächen für das<br />

Überfahrtsrecht waren bei der Dreifelderwirtschaft<br />

deshalb selten, da sie die ohnehin<br />

kleinen Äcker noch mehr beschnitten<br />

hätten. Auf diesen kleinen Flächen war es<br />

auch oftmals schwierg war, mit dem Gespann<br />

oder Fuhrwerk zu wenden. Zwangsläufi<br />

g war ein geregeltes Miteinander der<br />

Bauern untereinander notwendig. So<br />

mus ste bei der Aussaat oder Bestellung<br />

der Felder, um Flurschäden zu vermeiden,<br />

der „Hinterste“ zuerst beginnen, bei der<br />

Ernte war es umgekehrt, dabei begann der<br />

„Vorderste“ zuerst. Und dies, man kann es<br />

Situationsplan über die Anlegung eines neuen Feldweges im Gewann „Erbelbrunnen“, 1863<br />

85


86<br />

kaum glauben funktionierte über Jahrhunderte<br />

bis ins 19. Jahrhundert. Dennoch<br />

blieb eine sinnvolle Feldwegeregulierung<br />

mit dem dazugehörigen Wege- und Brückenbau<br />

sowie einer Wasserabführung<br />

unausweichlich, denn die Ablösung der<br />

Dreifelderwirtschaft und der Anbau neuer<br />

Kulturarten wie z. B. Luzerne, Futter- und<br />

Zuckerrüben verlangte für jeden Bauer individuelle<br />

Bearbeitungsmöglichkeiten mit<br />

direktem Zugang. Angegangen wurde dies<br />

von der Kommune 1863, und konnte noch<br />

im selben Jahrzehnt, trotz langwieriger<br />

Grundstücksverhandlungen und einiger<br />

Brückenbauwerke, z. B. beim „Erbelbrunnen“,<br />

beendet werden.<br />

Plan zum Brückenbau über den „Lochgraben“<br />

beim „Erbelbrunnen“, 1863<br />

Da die Hof- oder Betriebsgrößen der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Bauern nie besonders üppig<br />

waren und oft nicht eine Familie ernähren<br />

konnten, war es für den überwiegenden<br />

Teil der Bauern üblich, sich nach einer zusätzlichen<br />

Verdienstmöglichkeit umzuse-<br />

hen. Dies musste wegen der Wegezeiten<br />

(geeignete Transportmittel fehlten) nach<br />

Möglichkeit im Ort geschehen, sei es als<br />

Taglöhner bei einem Handwerker, bei der<br />

Kommune, als Fron- oder Akkordarbeiter<br />

im Wald oder Steinbruch. Viele hatten<br />

sich auch einen Webstuhl in die Wohnung<br />

oder Kammer gestellt, wobei hier dann die<br />

ganze Familie mit eingespannt war. Über<br />

den eigenen Bedarf hinaus vorhandene<br />

Erzeugnisse wie Butter, Eier, Obst und Gemüse,<br />

Wolle, Leinen und auch Wein versuchte<br />

man auf den Märkten in Neckarsulm<br />

oder Heilbronn zu veräußern.<br />

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts,<br />

als die Industrialisierung in den nahen<br />

Städten schon in vollem Gange war,<br />

hat sich an den örtlichen Gegebenheiten,<br />

wie aus der Beschreibung des Oberamtes<br />

von 1881 hervorgeht, nichts wesentlich<br />

geändert. Der Bericht, was die Landwirtschaft<br />

und das ländliche Leben betriff t,<br />

lautet wie folgt:<br />

Die Einwohner leben vom Feldbau, von<br />

Viehzucht, etwas Weinbau und Obstzucht.<br />

Die Vermögensverhältnisse sind nur mittelmäßig.<br />

Der vermöglichste Einwohner<br />

hat 70 Morgen Grundbesitz, der Mittelmann<br />

ca. 25 Morgen, die ärmere Klasse<br />

½ –1 Morgen.<br />

Vom Kleinhandwerk sind besonders die<br />

Leineweber vertreten; 2 Krämer und eine<br />

Schildwirtschaft sind im Ort. Manche verdienen<br />

sich auch Unterhalt durch Stroh-<br />

und Korbfl echtereien, die nach Heilbronn<br />

abgesetzt werden.<br />

Die Preise eines Morgens Acker bewegen<br />

sich zwischen 800 und 200 fl .<br />

Der Wiesenbau ist ziemlich ausgedehnt,<br />

liefert aber zum Theil saures Futter. Die<br />

Wiesen kosten zwischen 600 und 200 fl .<br />

Der Weinbau ist nicht bedeutend. Die<br />

Preise eines Morgens Weinberg stehen<br />

zwischen 1000 und 300 fl .<br />

Die Obstzucht ist im Zunehmen begri en;<br />

in günstigen Jahrgängen können bis zu


1000 Sri. über den eigenen Bedarf nach<br />

außen verkauft werden. Die Gemeinde hat<br />

eine Baumschule und es ist ein Baumwart<br />

angestellt.<br />

An Waldungen besitzt die Gemeinde 600<br />

Morgen Laubwald, welche 150 Klafter<br />

und ca. 10000 Wellen ertragen. Die Bürger<br />

erhalten als Holzgabe je 50 Wellen.<br />

Das übrige wird verkauft und der Erlös<br />

fl ießt in die Gemeindekasse.<br />

Die Weide wird von dem Pachtschäfer mit<br />

200 bis 300 Stück Bastardschafen befahren,<br />

wofür die Gemeinde, die das Weiderecht<br />

hat, jährlich 500 M. erhält; der<br />

Pferch trägt 350 M. Eigene Güterstücke,<br />

welche die Gemeinde besitzt, sind um 500<br />

M. jährlich verpachtet.<br />

Der Zustand der Rindviehzucht ist ein guter<br />

zu nennen; es fi ndet nur Stallfütterung<br />

statt. - Ferkel werden auch nach außen<br />

abgesetzt.<br />

Obstanbau<br />

Wie in der Oberamtsbeschreibung von<br />

1881 erwähnt, war die Obstzucht im Ort<br />

im Zunehmen begriff en. Dies zeigt auch<br />

eine Statistik über die Anzahl der Obstbäume<br />

von 1900:<br />

Apfelbäume: 5.172; davon im Ertrag:<br />

1.350; Ertrag im Jahr 1900: 250 dz; Preis;<br />

5 M./dz<br />

Birnbäume: 719; davon im Ertrag: 250; Ertrag<br />

im Jahr 1900: 50 dz; Preis 5 M./dz<br />

Pfl aumen- und Zwetschgenbäume: 683;<br />

davon im Ertrag: 339; Ertrag im Jahr<br />

1900; 40 dz; Preis 2,50 M./dz<br />

Kirschbäume: 6; davon im Ertrag: 6; Ertrag<br />

im Jahr 1900: 0<br />

Die Gesamtzahl der o.g. Bäume betrug<br />

6.580.<br />

Zu bemerken ist, dass im Jahr 1900 eine<br />

große Anzahl von Kern- und Steinobstbäumen<br />

neu angepfl anzt wurde.<br />

Im Vergleich dazu die Anzahl der Bäume<br />

im Jahr 1965:<br />

Apfelbäume: 2.802; davon im Ertrag: 2.088<br />

Birnbäume: 261; davon im Ertrag: 226<br />

Pfl aumen- und Zwetschgenbäume: 468;<br />

davon im Ertrag: 392<br />

Kirschbäume: 237; davon im Ertrag: 177<br />

Die Gesamtzahl der Obstbäume im Jahr<br />

1965 betrug 3.768, und war somit um ca.<br />

43 Prozent geringer als im Jahr 1900.<br />

Missernten und Hilfsmaßnahmen<br />

Immer wieder gab es Missernten, für welche<br />

es die verschiedensten Ursachen gab.<br />

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts muss es<br />

schlimm gewesen sein, im Jahre 1892 und<br />

ganz besonders im Jahr 1893. Aufgrund<br />

von Auswinterung des Klees und des Wintergetreides,<br />

der großen Trockenheit im<br />

Winter sowie Frühjahr und Sommer 1893<br />

gab es kaum Erträge auf den Feldern. Weder<br />

Grünfutter noch Heu und Getreide gab<br />

es in ausreichender Menge zu ernten.<br />

Die Ertragssituation in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

stellte sich folgendermaßen dar (Bewertungsmaßstab:<br />

Angaben in Prozenten:<br />

ohne Ertrag 0 %; sehr schlechter Ertrag<br />

10 %; schlecht 20 %; gering 40 %; mittel<br />

60 %; gut 80 %; sehr gut 100 %):<br />

Rot- und Stoppelklee - ohne Ertrag; Wiesenheu<br />

und Öhmd - gering; Luzerneheu<br />

– sehr schlecht; Gerste, Hafer und<br />

Fut terrüben – gering; Dinkel, Weizen und<br />

Kartoff eln – mittel; einzig der Roggen war<br />

mit „gut“ eingestuft worden.<br />

Die Notstands-Kommission der Königlichen<br />

Zentralstelle für die Landwirtschaft<br />

bot Hilfe an. Um den Viehbestand halten<br />

zu können wurden größere Mengen an<br />

Futtermitteln, teilweise auch im Ausland,<br />

eingekauft. Den Bedarf an Futtermitteln<br />

konnten die Bauern auf dem Bürgermeisteramt<br />

bestellen. Von dort ging die Bestellung<br />

zum Königlichen Oberamt Neckarsulm.<br />

Die <strong>Cleversulzbach</strong>er Bestellung für<br />

Futter und künstliche Düngemittel sah für<br />

1893 wie folgt aus: 100 Ztr. Mais; 200 Ztr.<br />

Erdnusskuchen; 100 Ztr. Mohnkuchen;<br />

200 Ztr. Thomasmehl; 100 Ztr. Kainit; 4<br />

87


88<br />

Ztr. roter Kleesamen; 2 Ztr. blauer Kleesamen.<br />

Durch den Zukauf von Futtermitteln<br />

für das Vieh fehlte natürlich das dringend<br />

notwendige Geld für die Weiterentwicklung<br />

der kleinbäuerlichen Betriebe.<br />

Über Jahrhunderte hinweg war es üblich<br />

gewesen, dass der Wald in solchen Notsituationen<br />

zur Viehversorgung genutzt<br />

wurde. Da gab es das Streurechen, die<br />

Heidenutzung, das Eichelsammeln, die<br />

Waldweide und Schweinemast. Vor allem<br />

in trockenen Jahren, in denen es wenig<br />

Heu und Öhmd oder auch Stroh gab,<br />

brauchte die Landwirtschaft Laub aus dem<br />

Wald zum Einstreuen im Stall. Auch als<br />

Dung auf den Feldern wurde das Stroh<br />

oder ersatzweise das Laub dringend benötigt,<br />

weil sonst die Erträge zwangsweise<br />

zurückgegangen wären. Ohne harte Auseinandersetzungen<br />

mit den Förstern gab<br />

es aber diese Genehmigungen nie. Übrigens,<br />

der letzte Antrag der Gemeinde auf<br />

Streunutzung kam 1952 – und wurde<br />

vom Forstamt abgelehnt 2 .<br />

Nicht ohne Grund waren Ende des 19.<br />

Jahrhunderts einige fortschrittliche Bauern<br />

im Dorf dem regionalen Karlsverein beigetreten,<br />

benannt nach Kronprinz Karl (1823–<br />

1891), dem späteren König Karl I. von<br />

Württemberg. Ein erster Schriftverkehr ist<br />

hierzu aus dem Jahr 1894 vorhanden. Gegründet<br />

wurde der Verein am 6. März 1839<br />

in Neckarsulm. Ziel und Aufgabe des Vereins<br />

bis zu seiner Aufl ösung 1932 war „Die<br />

Beförderung und Vervollkommnung der<br />

Landwirtschaft in ihrem ganzen Umfange<br />

im Oberamtsbezirk Neckarsulm“.<br />

Mit anderen Worten, der Verein hatte es<br />

sich zur Aufgabe gemacht, die Landwirte<br />

durch Vorträge und Fachliteratur zu sensibilisieren<br />

und zu ermutigen, neue Wege in<br />

der Bodenbearbeitung, in der Düngung, in<br />

der Anwendung von Saat- und Pfl anzgut<br />

und in der Tierzucht zu gehen. Bei der Beschaff<br />

ung von künstlichen Düngemitteln,<br />

Pfl anz- und Saatgut war der Verein be-<br />

hilfl ich. Alle diese Maßnahmen sollten<br />

helfen, Ertragsausfälle zu minimieren, Erträge<br />

zu steigern, dadurch wiederum höhere<br />

Einkommen zu generieren und somit<br />

die Zukunft der bäuerlichen Betriebe zu<br />

sichern.<br />

Entwicklung der Landwirtschaft in der<br />

ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />

Noch vor dem Ersten Weltkrieg hielten<br />

auch in <strong>Cleversulzbach</strong> technische Neuerungen,<br />

welche auch im landwirtschaftlichen<br />

Bereich starke Veränderungen im<br />

täglichen Arbeitsablauf brachten, Einzug.<br />

Die öff entliche, an ein Rohrleitungssystem<br />

gebundene Wasserversorgung kam 1911,<br />

und mit der Elektrifi zierung des Ortes,<br />

dass die ersten Lampen brennen und die<br />

ersten Elektromotoren summen konnten,<br />

war man 1913 fertig geworden.<br />

Mit Schreiben vom 15. Februar 1910 hatte<br />

das Königliche Oberamt Neckarsulm noch<br />

für die Einführung von elektrischem<br />

Strom in den Gemeinden geworben. Infolge<br />

der Leutenot auf dem Lande sollte<br />

menschliche Arbeit ersparende elektrische<br />

Energie […] Beleuchtung, besonders von<br />

Ställen, Kellern, Futterräumen, Scheuern<br />

eingesetzt werden. Mit der Elektrifi zierung<br />

verbunden war eine erhebliche Arbeitserleichterung<br />

und Beschleunigung verschiedener<br />

Arbeitsprozesse.<br />

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges begann<br />

die Einberufung der wehrfähigen Männer<br />

- kurz vor der Getreideernte - und die Requirierung<br />

der Pferde. Als Zugtiere wurden<br />

danach verstärkt die Kühe genutzt,<br />

aber auch Zugochsen kamen zum Einsatz.<br />

Durch den Wegfall der Männer als Arbeitskraft<br />

am Hof waren die verbliebenen<br />

Familienmitglieder, Kinder, Alte und ganz<br />

besonders die Frauen, stärker gefordert. Es<br />

blieb den Frauen weniger Zeit für die Kinder,<br />

und allen für die angenehmeren und<br />

lieb gewonnenen Dinge des Lebens.<br />

Im warmen, feuchten Frühsommer des


Bei der Karto elernte, im Hintergrund ist der Föhrenberg zu sehen (in den 1920er Jahren)<br />

Jahres 1916 trat zum ersten Mal die<br />

Krautfäule der Kartoff el bereits vor der<br />

Blüte im Reichsgebiet verheerend auf. Die<br />

grünen Triebe fi elen total zusammen und<br />

verfaulten. Zum Nachanbau auf den leeren<br />

Kartoff elfeldern kam als Ersatz die<br />

wässrige, nährstoff arme Steckrübe, deren<br />

Verzehr im Winter 1916/17 zum berüchtigten<br />

„Steckrübenwinter“ mit zahlreichen<br />

Todesopfern bei Kindern und älteren Menschen<br />

wegen Mangelernährung führte. Im<br />

Dorf selbst trat die Krautfäule auch auf,<br />

allerdings nicht so stark wie in anderen<br />

Teilen des Landes.<br />

Eine erste Feldregulierung gab es Mitte<br />

der 1920er Jahre. Diese war zwingend<br />

notwendig geworden, um etwas größere<br />

Bewirtschaftungseinheiten zu erreichen,<br />

denn an den Grundstücksgrößen hatte<br />

sich ja mit der Feldwegregulierung nichts<br />

geändert, es sei denn durch Zukauf eines<br />

Nachbargrundstückes, durch freiwilligen<br />

Tausch, Erbe oder Zugewinn durch Heirat.<br />

Auch der Ausbau der Feldwege (siehe<br />

Flurkarte) wurde dabei, wo notwendig,<br />

weiter ergänzt.<br />

Anbau und landwirtschaftliche Erzeugnisse in <strong>Cleversulzbach</strong> in den Jahren 1914<br />

und 1922<br />

1914 1922<br />

Acker- und Gartenländereien 193,62 ha 214,98 ha<br />

Wiesen, einschl. Baumwiesen 60,17 ha 60,17 ha<br />

Weiden und Hutungen 6,35 ha 0<br />

Weinberge 29,61 ha 14,60 ha<br />

(1914 im Ertrag stehend 19,41 ha; nicht im Ertrag stehend 10,20 ha)<br />

(1922 im Ertrag stehend 13,70 ha; nicht im Ertrag stehend 0,90 ha, Rest Brache/Oede)<br />

Landwirtschaftliche Anbaufl äche zu Anfang Juni 1914<br />

bzw.1922<br />

289,75 ha 289,75 ha<br />

89


90<br />

Auf den Acker- und Gartenländereien waren folgende Früchten angebaut:<br />

Getreide und Hülsenfrüchte:<br />

Winterweizen 25,79 ha 20,15 ha<br />

Sommerweizen 0 1,00 ha<br />

Winterroggen (kein Futterroggen) 10,20 ha 3,50 ha<br />

Wintergerste 17,30 ha 0<br />

Sommergerste 0 6,20 ha<br />

Hafer (Winter- und Sommerhafer) 5,42 ha 22,60 ha<br />

Erbsen (nur für den Körnergewinn) 0 0,30 ha<br />

Linsen (nur für den Körnergewinn)<br />

Bohnen<br />

0 0,20 ha<br />

(Acker-, Sau- und Pferdebohnen; nur für den Körnergewinn)<br />

Hackfrüchte:<br />

0 0,15 ha<br />

Kartoff eln 30,00 ha 20,55 ha<br />

Runkelrüben/Angersen (als Futterrüben) 13,20 ha 25,10 ha<br />

Gurken 0 1,50 ha<br />

Zwiebeln 0 0,30 ha<br />

Johannis- und Stachelbeeren<br />

Handelsgewächse:<br />

0 0,20 ha<br />

Mohn 0 5,40 ha<br />

Flachs (Lein) 0 0,30 ha<br />

Hanf 0 1,50 ha<br />

Zuckerrüben (zur Zuckerfabrikation) 10,30 ha 13,20 ha<br />

Zichorien 5,10 ha 3,10 ha<br />

Korbweiden<br />

Futterpfl anzen:<br />

0 0,30 ha<br />

Klee (insbesondere roter Klee) 7,30 ha 40,20 ha<br />

Luzerne (so genannter blauer oder ewiger Klee) 1,10 ha 12,27 ha<br />

Mais (zum Grünfuttergewinn) 10,20 ha 12,20 ha<br />

Wicken (zu Grünfutter) 7,40 ha 6,90 ha<br />

Esparsette (Süßklee, Hülsenfrüchtler) 0,60 ha 5,00 ha<br />

Sonstige Grassaat aller Art:<br />

Hausgärten mit Obst- und Gemüsebau, sowie private<br />

Parkanlagen und nicht im Forstbetrieb benützte<br />

0 3,65 ha<br />

Baumschulen und Pfl anzgärten 9,71 ha 9,21 ha<br />

Ergibt zusammen Acker- und Gartenländereien: 193,62 ha 214,98 ha<br />

Es ist schon beeindruckend, wie sich in<br />

acht Jahren, zwischen 1914 und 1922, das<br />

Anbauverhalten der Landwirte verändert<br />

hat. Sie mussten sich wie stets, wie auch<br />

in Zukunft, den Anforderungen anpassen,<br />

um überleben zu können.<br />

Tabak und Mohnanbau<br />

Beides waren für die Bauern Nischenprodukte.<br />

Sie wurden von den meisten Betrieben<br />

aber nur in geringen Mengen angebaut,<br />

brachten aber, wenn die Witterung<br />

es zuließ und der Markt die Ware zu


ordentlichen Preisen abnahm, ein schönes<br />

Zusatzeinkommen. Tabak und Mohn sind<br />

beide für <strong>Cleversulzbach</strong> Anfang des 20.<br />

Jahrhunderts erwähnt und haben sich bis<br />

Ende der 1950er Jahre, wenn auch nur<br />

noch vereinzelt am Ort, im Anbau gehalten.<br />

Besonders der Tabak war sehr pilzempfi<br />

ndlich, und die Pfl ege wie die Ernte<br />

waren recht arbeitsintensiv.<br />

Imkerei<br />

Seit den 1920er Jahren wird auch immer<br />

wieder das Vorhandensein von Bienenstöcken,<br />

welche sich bis Ende der 1960er gehalten<br />

wurden, erwähnt. Ein kleines Kuriosum:<br />

beide der damaligen Imker hießen<br />

Friederich Lumpp. Der Ältere mit acht bis<br />

zwölf Bienenstöcken war Landwirt und<br />

über lange Jahre hinweg Gemeindepfl eger,<br />

auch war er an der <strong>Cleversulzbach</strong>er Jagd<br />

beteiligt. Gewohnt hat er mit seiner Frau<br />

in der Unteren Straße, späteres Anwesen<br />

Emil Lumpp, heute teilweise D. Steinacker.<br />

Der Jüngere, mit 14 bis 18 Stöcken, war<br />

Posthalter und Briefträger, auch betrieb er<br />

mit seiner Frau noch eine kleine Landwirtschaft.<br />

Gewohnt hat das Ehepaar in der<br />

Hauptstraße, heute Brettacher Straße.<br />

Seit etwa Anfang der 1980er Jahre gibt es<br />

wieder Bienen und Imkerei im Ort. Derzeit<br />

sind dies R. Baier, der erst vor einigen Jahren<br />

damit begonnen hat, A. Plenefi sch, sie<br />

betreibt die Imkerei in größerem Stil, sowie<br />

K. Wölk, der sich schon etliche Jahre<br />

mit der Imkerei beschäftigte; inzwischen<br />

hat er aber seine Bienenvölker abgegeben.<br />

Viehzählung zum 1. Dezember 1920<br />

I. Pferde<br />

Unter 3 Jahre alte Pferde und Fohlen: 1<br />

3 bis 5 Jahre alte Pferde: 7<br />

Alle sonstigen Pferde: 7<br />

Gesamtzahl der Pferde: 15<br />

II. Rindvieh<br />

Kälber bis 3 Monate: 19<br />

Jungvieh bis 2 Jahre: 169<br />

Farren, Stiere und Ochsen: 33<br />

Kühe, Färsen und Kalbinnen: 162<br />

Gesamtzahl des Rindviehs: 383<br />

III. Schafe<br />

Unter einem Jahr alte Schafe und<br />

Schafl ämmer: 150<br />

1 Jahr alte und ältere Schafe: 23<br />

Gesamtzahl der Schafe: 173<br />

davon entfi elen auf den örtlichen<br />

Schäfer (Schafe und Lämmer): 152<br />

IV. Schweine<br />

Ferkel unter 8 Wochen alt: 13<br />

8 Wochen bis ½ Jahr alte Schweine: 110<br />

Zuchteber: 2<br />

Zuchtsauen: 3<br />

Gesamtzahl der Schweine: 128<br />

V. Ziegen<br />

Unter 1 Jahr alte Ziegen und Ziegenlämmer<br />

12 (davon 1 männliches)<br />

1 Jahr alte und ältere Ziegen: 29<br />

( 1 männliche)<br />

Gesamtzahl der Ziegen: 41<br />

VI. Federvieh<br />

Gänse: 169<br />

Enten: 59<br />

Hühner: 694<br />

Gesamtzahl des Federviehs: 922<br />

Die Gesamtzahl der Viehhalter belief<br />

sich auf insgesamt 110, wobei nicht<br />

von allen Tierhaltern auch alle Tierarten<br />

gehalten wurden.<br />

links: Imker Roland Baier bei der Arbeit mit<br />

seinen Bienen, 2012<br />

91


92<br />

Bis zum Beginn des Zweiten<br />

Weltkrieges<br />

Landwirtschaft unter<br />

nationalsozialistischen Vorzeichen<br />

Nach dem Ende der Infl ation suchte man<br />

Mittel und Wege für einen Maßstab zur<br />

fi nanziellen Bewertung des Vermögens eines<br />

landwirtschaftlichen Betriebes. Die<br />

Bewertung hing ab von der Art, Qualität<br />

und Größe der betriebseigenen Nutzfl ächen<br />

und der Höhe des Viehbesatzes sowie<br />

sonstigen Besitzes (Wald, Kiesgrube).<br />

Das dazu nötige Gesetz zur Reichsbodenschätzung,<br />

das Reichsbewertungsgesetz,<br />

wurde jedoch erst 1934 erlassen. Die<br />

Durchführung der Bodenschätzung in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

erfolgte Mitte/Ende der<br />

1930er Jahre. Mit dieser Schätzung und<br />

der Berücksichtigung anderer Leistungen<br />

ergab sich für jeden Betrieb der Einheitswert,<br />

eine noch heute gültige monetäre<br />

Bewertung des Vermögens der landwirtschaftlichen<br />

Betriebe. Nach und nach<br />

konnte die Erzeugung von Nahrungsgütern<br />

gesteigert werden, was auch im Sinne<br />

der Autarkie politisch angestrebt war:<br />

mögliche Selbstversorgung der Bevölkerung<br />

aus eigener Scholle, so genannte<br />

Blut- und Bodenideologie nach NS-Jargon.<br />

Das Jahr 1933 und die darauf folgenden<br />

Jahre brachten mit der Planung von Autobahnen<br />

fi nanzielle Impulse für die Industrie,<br />

das Gewerbe und auch für die Landwirtschaft.<br />

Sehr langsam ging es wieder<br />

aufwärts mit der Kaufkraft der Städter,<br />

was auch zu höheren Preisen für Nahrungsmittel<br />

führte. Ganz allgemein strebte<br />

man eine Verbesserung der Marktordnung<br />

und Marktorientierung an. Dies waren die<br />

ersten Ziele des „Reichsnährstandes“, der<br />

ständischen Organisation der Agrarwirtschaft,<br />

die sich um landwirtschaftliche<br />

Produktion, Absatz und Preisgestaltung<br />

kümmerte. Es gab jetzt in den Zeitungen<br />

vermehrt allgemeine Marktberichte mit<br />

Angabe von Preiserwartungen. Denn der<br />

bisherige Warenabsatz im Dorf erfolgte in<br />

der Regel als Direktgeschäft mit dem<br />

Metzger, Viehhändler, Müller, Weinhändler<br />

oder dem Gastwirt. Mal funktionierte es<br />

besser, bei Kenntnissen des Marktpreises,<br />

mal funktionierte es schlechter, und der<br />

Bauer war der Dumme. Der gegenseitige<br />

Handschlag war Zeichen des Abschlusses<br />

eines Verkaufs.<br />

Seidenraupenzucht<br />

Die Synthetikfaser hatte ihren Siegeszug<br />

noch nicht angetreten. Um trotzdem feine<br />

Textilfasern, für die militärische Nutzung<br />

wie z. B. Fallschirme, aber auch für den zivilen<br />

Bereich, zur Verfügung zu haben,<br />

bedurfte es noch der Seidenfaser. So<br />

wurde in den 1930er Jahren auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

pfl ichtgemäß eine bescheidene<br />

Zucht der Seidenraupe begonnen.<br />

Die Raupen waren wohl recht gefräßig; als<br />

Futter dienten die Blätter der Maulbeerbäume.<br />

Die Gemeinde war verpfl ichtet, einen<br />

Maulbeergarten als Futterquelle für<br />

die Raupen anzulegen. Dies geschah südöstlich<br />

des Dorfes auf der Allmendfl äche<br />

unterhalb des Katzenbergs. (Der Autor W.<br />

Uhlmann kann sich noch recht gut an<br />

diese Maulbeerbäume erinnern, deren<br />

süße Früchte genascht wurden. Leider sind<br />

die letzten Sträucher in den 1980er Jahren<br />

abgestorben.)<br />

Maul- und Klauenseuche<br />

Mitte der 1930er (und noch einmal Anfang<br />

der 1950er) Jahre trat eine im Dorf<br />

bisher unbekannte Tierkrankheit auf, die<br />

Maul- und Klauenseuche, an der besonders<br />

Kühe und das Jungvieh erkrankten.<br />

Wegen Entzündung der Schleimhaut des<br />

Maules und der Zungen ging sofort die<br />

Fresslust zurück. Auch das Stehen der<br />

Tiere war wegen Entzündungen der<br />

Klauen für die Tiere schmerzhaft. Zusammen<br />

mit starkem Fieber verendeten einige


Kühe und wurden anschließend in ausgebeuteten<br />

Kies- und Lehmgruben des Dorfes<br />

vergraben. Die einzige Gegenmaßnahme<br />

bestand damals im Anbringen von<br />

Sägemehlmatten, versetzt mit Desinfektionsmitteln,<br />

zur Vermeidung der Ausbreitung<br />

dieser Krankheit. Wegen der Seuchengefahr<br />

wurde auch für einige Monate<br />

die damalige Milchsammelstelle im Rathaus<br />

geschlossen. Die Milch wurde vom<br />

Milchkutscher direkt an den Hofstellen<br />

abgeholt.<br />

Im Zweiten Weltkrieg<br />

Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges<br />

erfolgte am 7. September durch die<br />

Ernährungsverwaltung summarisch die<br />

Beschlagnahme der wichtigsten landwirtschaftlichen<br />

Produkte. Die Landwirte<br />

und deren Familienmitglieder erhielten<br />

einen genau festgelegten Anteil als Eigenbedarf<br />

zugestanden. Der übrige Teil<br />

musste abgeliefert werden. Die Aufrechterhaltung<br />

der landwirtschaftlichen Pro-<br />

Beim Abholen der Milch an den Hofstellen<br />

(Anfang der 1950er Jahre)<br />

duktion während des Krieges war nur<br />

möglich durch den Einsatz „nichtdeutscher<br />

Zwangsarbeiter“ (ca.1,5 Mio. Personen<br />

und ca. 700.000 Kriegsgefangene).<br />

Zwangsarbeiter wie Kriegsgefangene<br />

wurden im Ort in die Bauernfamilien eingegliedert:<br />

Schlafstelle im Haus (ausgenommen<br />

die Kriegsgefangenen), gemeinsames<br />

Essen, Mitarbeit auf dem Feld.<br />

Diese häusliche Integration war die Vor-<br />

Getreideernte mit Haberrechen und Sichel,<br />

W. Lumpp mit den Töchtern Luise und Lina,<br />

im Sommer 1943.<br />

aussetzung zu gedeihlicher Zusammenarbeit<br />

ohne große Störungen 3 .<br />

Mit Kriegsende hörte diese Art der Beschäftigung<br />

schlagartig auf. Der Abzug<br />

der Zwangsarbeiter wurde durch die hungernden<br />

und oft auch arbeitslosen Soldaten<br />

und Jugendlichen auf der Suche nach<br />

einem Beruf ersetzt. Vertriebene und<br />

Flüchtlinge kamen in die Dörfer und<br />

mussten eingegliedert werden - eine<br />

schier unlösbare Aufgabe für die Kommunen.<br />

Im September 1948 wohnten im Dorf<br />

83 Flüchtlinge. 4<br />

In diesem Zuge kam 1949 auch der aus<br />

Bessarabien stammende Wilhelm Speck<br />

nach <strong>Cleversulzbach</strong>. Er ist damals im<br />

Hause Nef als Knecht mit Kost und Logis<br />

93


94<br />

Beim Futterholen im „Rappenloch“ – Anna<br />

Klarenbach, geb. Bordt (links im Bild) mit<br />

Emil Bordt und dem französischen Kriegsgefangenen<br />

Pierre Larot (Bildmitte), um 1943<br />

untergekommen. Ein anderes Beispiel; Familie<br />

Kaldun kam mit Wagen und zwei<br />

schneidigen Trakehnern über Schleswig-<br />

Holstein ins Dorf und ist in der Hohl bei<br />

Hermann Hesser eingezogen. Später<br />

konnte die Familie Kaldun die Hofstelle<br />

von Daniel Schuler, heute Untere Straße 6,<br />

übernehmen.<br />

Beim Ährenzusammenrechen<br />

(Ende der 1940er Jahre)<br />

Landwirtschaftliche Entwicklung in der<br />

Nachkriegszeit und Mechanisierung<br />

Die Erträge an Feldfrüchten 1945 waren<br />

bescheiden, ebenso die Milchleistung.<br />

Doch die relativ hohen Produktpreise stimulierten<br />

die Erzeugung. Für Weizen wurden<br />

40 bis 45 DM pro Doppelzentner bezahlt,<br />

es ging aufwärts.<br />

Familie Sinn bei<br />

der Kohlernte<br />

um 1950


Vater und Sohn<br />

Albrecht beim<br />

Pfl ügen mit<br />

Kuhgespannen<br />

(Anfang der<br />

1950er Jahre)<br />

Das Ausdreschen des Getreides geschah<br />

noch bis in die Zeit um den Ersten Weltkrieg<br />

mittels des altbekannten Dreschfl egels.<br />

In den 1920er Jahren boten die ersten<br />

Lohnunternehmer ihre Dienste zum<br />

mechanischen Dreschen des Getreides auf<br />

den Höfen der Landwirte an. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />

war dies Lohnunternehmer Hediger<br />

aus Möckmühl. Die damaligen Dreschkolonnen<br />

bestanden aus einem Loko-<br />

Dreschen bei der Löwenscheuer in <strong>Cleversulzbach</strong>, 1922<br />

mobil. Dies war eine mobile Dampfmaschine<br />

mit einer Dreschmaschine, für den<br />

Antrieb durch einen langen Ledertreibriemen<br />

miteinander verbunden. In den<br />

1930er Jahren wurde Hediger durch den<br />

Brettacher Unternehmer Ehmann in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

abgelöst. Ehmann hat mit seiner<br />

Dreschkolonne im Dorf bis zur Anschaff<br />

ung der großen Dechentreiter<br />

Dreschmaschine durch die Spar- und Dar-<br />

95


96<br />

lehenskasse 1950 gedroschen. Im Zuge der<br />

Anschaff ung der Dreschmaschine errichtete<br />

die Spar- und Darlehenskasse eine<br />

Dreschhalle an der Brettacher Straße beim<br />

Sulzbach. Betreut wurde die neue Maschine<br />

zuerst durch Gustav Stephan, und<br />

danach, bis zur Einstellung des Druschbetriebes,<br />

durch Erwin Plenefi sch. Einige<br />

Landwirte hatten sich damals kleinere<br />

Dreschmaschinen selbst, teilweise auch<br />

gemeinschaftlich angeschaff t, mit denen<br />

sie noch bis in die 1950er Jahre ihr Getreide<br />

selbst gedroschen haben.<br />

Noch während des Krieges, 1944, erwarb<br />

die Spar- und Darlehenskasse einen Schlepper,<br />

damals noch mit Holzvergaser sowie<br />

einen Getreidemähbinder. Der Schlepper<br />

wurde überbetrieblich im Lohn bei Landwirten<br />

und auch bei Privaten, meistens für<br />

Transportarbeiten wie z. B. Beischaff ung<br />

von Baumaterialien, eingesetzt. Der Getreidemähbinder<br />

kam hingegen nur bei den<br />

getreideanbauenden Landwirten zum Einsatz.<br />

Der erste „Traktorist“ (Schlepperfahrer)<br />

war A. Bordt, danach folgte W. Pfeff er, in<br />

dessen Eigentum der Schlepper, nachdem<br />

die Landwirte selbst über Schlepperfahrzeuge<br />

verfügten, überging. Den ersten privaten<br />

Schlepper, einen wassergekühlten<br />

11-PS-Deutz mit 4-Gang-Getriebe schaff te<br />

sich 1948 Wilhelm Kuttruf aus der Eberstädter<br />

Straße an. In den 1950er Jahren<br />

kam dann die große Welle der Kleinschlepper<br />

mit einer Stärke von 11 bis 25 PS. Überwiegend<br />

wurde allerdings immer noch, was<br />

nicht wirtschaftlich war, mit den alten herkömmlichen<br />

Gespannpfl ügen und Eggen<br />

gearbeitet. Als das Geld erwirtschaftet war,<br />

wurden diese durch zeitgemäße Geräte ersetzt.<br />

Mit den Traktoren kamen auch einige<br />

Getreidemähbinder in den Ort und die<br />

„Gummiwagen“ hielten Einzug.<br />

Den ersten Mähdrescher im Dorf bekam O.<br />

Schlegel 1958, ein Jahr später bildete sich<br />

mit W. Bürger, W. Kollmar, E. Lumpp und H.<br />

Uhlmann eine Mähdreschergemeinschaft,<br />

Eugen und Kurt Blank beim Pfl ügen mit ihrem<br />

17-PS-Fahr-Schlepper, 1953<br />

die nahezu 25 Jahre Bestand hatte. Die<br />

Mähdrescher wurden überbetrieblich eingesetzt,<br />

da die Flächen des eigenen Betriebes<br />

nicht ausgereicht hätten, um mit den<br />

teuren Maschinen rentabel arbeiten zu<br />

können. Heumaschinen, Gebläsehäcksler,<br />

Kartoff elroder oder auch die erfolgreich<br />

Einzug haltende Melkmaschine erleichterten<br />

die Arbeit der Bauern, und ganz besonders<br />

der Bäuerinnen. Auch die Produktivität<br />

der Betriebe konnte durch den sinnvollen<br />

Einsatz der Maschinen gesteigert werden.<br />

Vater und Sohn Schlegel mit dem ersten<br />

Mähdrescher im Dorf, 1958


Diese erste Technisierungsstufe setzte bei<br />

der Stall- und Feldarbeit Arbeitskräfte<br />

frei, die ihrerseits in der Industrie bei<br />

besseren Lohn- und Arbeitsbedingungen<br />

den landwirtschaftlichen Beruf als<br />

Haupt erwerb aufgaben. Dies war dann<br />

auch die Zeit der ersten Betriebsaufgaben,<br />

mit der Folge, dass andere Betriebe<br />

wachsen und sich vergrößern konnten.<br />

Da es aber in der Enge des Dorfes meist<br />

keine Möglichkeit einer räumlichen Ausweitung<br />

für die Tier- und Milchproduktion<br />

gab und die Arbeitsabläufe auf den<br />

engen Hofstellen nicht zeitgemäß angepasst<br />

werden konnten, wurden Aussiedlerhöfe<br />

gebaut, um den Fortbestand der<br />

Betriebe zu sichern. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />

traf dies zu auf die Familien Blank,<br />

Eckert, Schlegel und Kollmar.<br />

Mit der weiter zunehmenden Abwanderung<br />

von Arbeitskräften in das produzierende<br />

Gewerbe in den 1960er Jahren wurden<br />

nun Techniken für gesamte Arbeitsverfahren<br />

zur Ersetzung menschlicher Arbeitskraft<br />

benötigt. Eine zweite Welle der<br />

Mechanisierung überrollte die Landwirte.<br />

Das waren im Dorf größere Schlepper (bis<br />

60 PS), Zweitschlepper, neue Saatechniken<br />

für Rüben, Kartoff ellegemaschinen, Feldspritzen,<br />

Ladewagen, Kreiselmähwerke,<br />

Heu maschinen, Dungstreuer, moderne<br />

Pfl üge und Bodenbearbeitungsgeräte, Vollernter<br />

für Zuckerrüben, um nur einige zu<br />

nennen.<br />

Oft hörte man die Landwirte damals stöhnen:<br />

„Wir arbeiten nur noch für die Maschinen.“<br />

Es waren nicht alle in der Lage,<br />

sich die Maschinen selbst anzuschaff en,<br />

oftmals wurde dies in Gemeinschaft getan.<br />

Eine gewisse fi nanzielle Entlastung<br />

des Einzelbetriebes brachten die Lohnunternehmer<br />

mit den erforderlichen modernen<br />

landwirtschaftlichen Geräten, wie sie<br />

z. B. von den <strong>Cleversulzbach</strong>ern Dietrich,<br />

Pfeff er, Schlegel und Uhlmann bereitgestellt<br />

wurden.<br />

Landwirtschaftliche Betriebsstruktur in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> 1960<br />

Den Erhebungen des Statistischen Landesamtes5<br />

zufolge gab es 1960 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

nachfolgende Betriebsstrukturen in<br />

den überwiegend kleinbäuerlichen Betrieben.<br />

Insgesamt waren 112 Betriebe mit<br />

583 Hektar Betriebsfl äche von der Statistik<br />

erfasst, worunter der gemeindeeigene<br />

Forstbetrieb mit 189 Hektar beinhaltet<br />

war. Die Waldfl äche auf der Gemarkung<br />

belief sich 1960 auf 200 Hektar.<br />

Die 380 Hektar umfassende landwirtschaftliche<br />

Nutzfl äche war nicht nur wie<br />

bereits erwähnt auf 111 Betriebe, sondern<br />

auch noch auf 1.847 Flurstücke oder Parzellen<br />

verteilt, was sich nachteilig auf die<br />

Rentabilität auswirkte. Eine Flurbereinigung<br />

war dringend geboten. Schlepper<br />

oder Traktoren waren 1960 im Ort 50 vorhanden.<br />

Anzahl der Betriebe und ihre Betriebsgröße<br />

bzw. deren insgesamt bewirtschaftete<br />

Fläche:<br />

0,01–2 ha: 48 Betriebe insges. 52 ha<br />

2–5 ha: 31 Betriebe insges. 106 ha<br />

5–7,5 ha: 25 Betriebe insges. 151 ha<br />

7,5–10 ha: 5 Betriebe insges. 43 ha<br />

10–20 ha: 2 Betriebe insges. 28 ha<br />

Laut der Bodennutzungserhebung wurden<br />

auf den 266 ha Ackerland angebaut:<br />

Getreide – 151 ha; Hackfrüchte – 61 ha;<br />

Futterpfl anzen – 37 ha; Sonderkulturen<br />

(Rebland, Obstanlagen, Beeren, Baumschulen,<br />

usw.) – 17 ha.<br />

Das Grünland belief sich auf 114 ha.<br />

Viehbestand:<br />

Pferde (als Zugtiere genutzt): 11; Rindvieh:<br />

364; davon 148 Milch- und auch Arbeitskühe<br />

(nicht jeder hatte einen Traktor);<br />

Mastschweine: 259.<br />

Andere Tierarten wurden bei dieser Erhebung<br />

nicht ermittelt.<br />

Arbeitskräfte in den landwirtschaftlichen<br />

Betrieben in <strong>Cleversulzbach</strong>:<br />

97


98<br />

151 Vollarbeitskräfte, der Frauenanteil betrug<br />

61,6 Prozent (im Landkreis Heilbronn<br />

lag dieser Anteil zwischen 47 % und 78 %).<br />

Der hohe Frauenanteil in der landwirtschaftlichen<br />

Arbeit war eine Folge der Abwanderung<br />

männlicher Arbeitskräfte in<br />

die Industrie mit höheren Löhnen, ausgelöst<br />

durch das unzureichende Einkommen<br />

der kleinen landwirtschaftlichen Betriebe.<br />

Familienfremde waren in den Betrieben<br />

nicht beschäftigt.<br />

Flurbereinigung in den 1970er Jahren<br />

Eine der großen wertvollen Maßnahmen<br />

für die Landwirtschaft überhaupt war die<br />

Flurbereinigung. Auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

wurde darüber diskutiert, weil man die<br />

positiven Ergebnisse in bereits „bereinigten“<br />

Dörfern sah. Jedoch, man scheute<br />

sich vor den fi nanziellen Kosten, die mit<br />

1.500 bis 2.000 DM / ha bei Ackerland und<br />

bis 3.000 (5.000) DM / ha bei Weinberglagen<br />

angedeutet waren.<br />

Mit dem Ausbau der A 81 Weinsberg–<br />

Neuenstadt am Kocher in den 1970er<br />

Jahren war zwangsläufi g die zweite Flurbereinigung<br />

(zuvor Mitte der 1920er) für<br />

den überwiegenden Teil der Markungsfl äche<br />

des Dorfes notwendig geworden. Weil<br />

jetzt die Straßenbauabteilung fi nanziell<br />

involviert war, sanken automatisch auch<br />

die Kosten für die Teilnehmer. Eine typische<br />

Rebfl urbereinigung im Dorf fand bei<br />

dieser Gelegenheit jedoch nicht statt.<br />

Mancher Wengerter hat selbst die nötigen<br />

Maßnahmen für eine zukünftige Entwicklung<br />

durchgeführt.<br />

Im Mai 1970 erfolgte die Information<br />

über die Bodeneinstufung der Parzellen<br />

der Teilnehmer an der Flurbereinigung<br />

– eine als schwierig durchführbar<br />

empfundene Bewertung, weil jeder Eigentümer<br />

seine Flächen gerne höher eingestuft<br />

sehen wollte. Auff ällig war die<br />

Vielzahl der Parzellen bei einer Betriebsgröße<br />

von 7,59 Hektar. Eine Folge der<br />

jahr hundertelang üblichen Realteilung?<br />

Das Ergebnis der Zusammenlegung: nur<br />

noch acht Parzellen (zuvor waren es etwa<br />

vier bis fünf Mal so viele) bei einer ungefähr<br />

gleichen Betriebsgröße von 7,25 Hektar.<br />

Gemäß der Wegenetzplanung der Flurbereinigung<br />

wurden die landwirtschaftlichen<br />

Wege den neuen Gegebenheiten angepasst<br />

und größtenteils befestigt.<br />

Landwirtschaftliche Betriebsstruktur in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> 2001<br />

Landwirtschaftliche Betriebe gab es 2001<br />

noch 18 in <strong>Cleversulzbach</strong>. Die nachfolgenden<br />

Angaben wurden vom Statistischen<br />

Landesamt Baden-Württemberg erhoben6<br />

.<br />

Flächengröße/Betriebszahl:<br />

Unter 2 ha 6 Betriebe; 2 –10 ha 4 Betriebe;<br />

10 –20 ha 2 Betriebe; 20 –50 ha 5 Betriebe;<br />

50 ha und mehr 1 Betrieb.<br />

Bodennutzung:<br />

Landwirtschaftlich genutzte Fläche der<br />

Betriebe insgesamt: 313 ha<br />

davon Ackerland 231 ha; Dauergrünland<br />

68 ha; Rebland 14 ha (von der Erhebung<br />

waren nicht alle betroff en)<br />

Viehhaltung:<br />

Tierhaltung hatten von diesen 18 Betrieben<br />

lediglich 10 Betriebe mit 175 Großvieheinheiten,<br />

mit insgesamt 213 Rindern,<br />

81 davon waren Milchkühe. Mastschweine<br />

waren 10 und Gefl ügel 100 Stück registriert<br />

worden. Pferde und Schafe wurden<br />

von den Betrieben keine gehalten.<br />

Inzwischen, bzw. 2012, gibt es noch einen<br />

Betrieb mit ca. 40 Milchkühen sowie Nachzucht<br />

und Mast.<br />

Angaben zur Gemarkungsfl äche von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

2001:<br />

Gemarkungsfl äche: 528 ha, davon Siedlungs-<br />

und Verkehrsfl äche: 85 ha, davon:<br />

Gebäude- und Freifl äche: 26 ha, Er holungs<br />

fl äche: 1 ha, Verkehrsfl äche: 59 ha;


Landwirtschaftsfl äche: 232 ha (mit Ackerland:<br />

146 ha, Grünland: 68 ha, Gartenland:<br />

3 ha, Weinbergen: 16 ha, Wald: 207 ha,<br />

Wasserfl äche: 3 ha sowie Flächen anderer<br />

Nutzung: 1 ha).<br />

Martin Simpfendörfer beim Heupressen,<br />

2001<br />

Die landwirtschaftliche Betriebsfl äche ist<br />

größer als die Gemarkungsfl äche, da Teile<br />

davon auf der Neuenstadter bzw. Bret -<br />

tacher Gemarkung liegen.<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>, Ansicht von Osten, 2012<br />

Perspektiven! Wie geht es weiter?<br />

Wer heute mit off enen Augen durch die<br />

Markung des Dorfes geht, sieht große, gepfl<br />

egte Ackerstücke mit Kulturen in hervorragender<br />

Entwicklung statt der früher<br />

vorherrschenden Kleinstruktur. Oft fallen<br />

die Ackerfl ächen heute größer aus als unmittelbar<br />

nach der Flurbereinigung. Das<br />

ist eine Folge von Betriebsaufgaben und<br />

der dadurch gegebenen Möglichkeit der<br />

Zupacht, teilweise auch freiwilliger<br />

Grundstückstausch untereinander.<br />

Auf den Feldern im Ort werden heute bei<br />

Getreide überwiegend ertragreiche Winterweizensorten,<br />

etwas Dinkel, Hafer sowie<br />

Brau- und Wintergerste angebaut.<br />

Raps für die Ernährungsindustrie, aber<br />

auch für Kraftstoff e, sowie Kartoff eln,<br />

Futter- und Körnermais sind genauso im<br />

Anbau, wie die für unsere Landwirte<br />

wichtige Zuckerrübe. Die Anbaufl ächen<br />

richten sich nach den Anforderungen des<br />

Marktes, es wird dem Bedarf entsprechend<br />

produziert. Mit Gemüse hat man<br />

sich in den 1960er und 1970er Jahren<br />

auch versucht, es brachte aber nicht das<br />

99


100<br />

Gerstenfelder im Gewann Hagenach/Wolfsäcker, rechts dahinter der Föhrenberg,<br />

zu dessen Fuß der Aussiedlerhof Kollmar<br />

erhoff te kontinuierliche Einkommen für<br />

die Landwirte, da die Böden teilweise zu<br />

schwer sind, und es zum anderen keine<br />

Möglichkeit der Beregnung gibt. Erfolgreicher<br />

Gemüseanbau ist eben stark von<br />

ausreichender Feuchtigkeitsversorgung<br />

abhängig.<br />

Das Gesicht unseres Dorfes hat sich zweifellos<br />

verändert. Aus dem ehemaligen beschaulichen<br />

Bauerndorf <strong>Cleversulzbach</strong><br />

ist eine Pendlerwohngemeinde geworden.<br />

Es gibt noch einen einzigen Vollerwerbsbetrieb<br />

mit Milchviehhaltung und Nachzucht.<br />

Die überwiegende Restfl äche des<br />

Dorfes und die Weinberge werden im Nebenerwerb<br />

bewirtschaftet, eine Entwicklung<br />

wie in vielen anderen Nachbargemeinden<br />

des Unterlandes auch.<br />

Erinnerungen an die gute, alte Zeit<br />

Gänsehirten<br />

Zur Versorgung der Mädchen für ihre Heirat<br />

hielt sich fast jede Familie Gänse, denn<br />

diese lieferten die besten Daunen für das<br />

Bettzeug. Damit das Federkleid gut gepfl<br />

egt blieb, brauchte man einen Gänsegarten<br />

an einem Teich oder am Bach. In<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> lag der Gänsegarten in den<br />

1940er Jahren oberhalb des Dorfes an<br />

dem Binsenbach, beim heutigen Anwesen<br />

Birk. Die morgendliche Abholung der<br />

Gänse, 1945 wurden im Dorf noch 52<br />

Gänse gezählt, erfolgte zentral durch den<br />

Gänsehirten zu einer bestimmten Stunde.<br />

Durch Hornsignal begann die Abholung,<br />

das Zeichen zum Abmarsch, freudig mit<br />

Schnattern begrüßt. Die Rückkehr erfolgte<br />

stets zur gleichen Zeit am späten Nachmittag:<br />

Wie ein wildes Heer fl atterten die<br />

Gänse durch die Straßen und Gassen in<br />

Richtung zum heimatlichen Stall an den<br />

gefüllten Futternapf.<br />

Nach Aufl ösung des Gänsegartens bei<br />

dem Binsenbach wurde ein Ersatz in der<br />

Ortsmitte beim Transformatorenhaus und<br />

dem heutigen Verbindungsweg zum Neu-


augebiet angelegt. Mit Wasser gespeist<br />

wurde er aus den Überläufen der Brunnen<br />

aus der damaligen Hauptstraße. Da die<br />

Anzahl der Gänse bereits in den 1950er<br />

Jahren stark rückläufi g war, wurde dieser<br />

Anfang/Mitte der 1960er Jahre wieder<br />

aufgegeben.<br />

Lichtstuben<br />

Bis in die Mitte der 1920er Jahre traf sich<br />

die weibliche Dorfjugend in den Wintermonaten<br />

in so genannten Lichtstuben<br />

zum Stricken, Nähen und auf ein<br />

Schwätzle.<br />

Kärwe (Kirchweih): Im Spätherbst Ende<br />

Oktober gefeiert bei Kaff ee und Kuchen<br />

mit Nachbarn und Tagelöhnern. Freudenfest<br />

für die Kinder: leckere Kuchen (Apfel-,<br />

Käse-, Trauben-, Zwetschgen-, und<br />

Zwiebelkuchen) wurden gebacken.<br />

Wochenmärkte<br />

Laut Erzählungen älterer Bewohner sind in<br />

der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg Frauen<br />

1 Zur Nennung von Flurnamen in <strong>Cleversulzbach</strong> siehe auch<br />

Eckhard Kreeb: Zur Geschichte <strong>Cleversulzbach</strong>s im Mittelalter<br />

und in der frühen Neuzeit, und Karl Kuhn/Friedrich<br />

Schlaghoff : Die erste Gemeindeordnung von <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

2 Zur Waldnutzung siehe auch Michael Domay: <strong>Cleversulzbach</strong><br />

und sein Wald.<br />

3 Kriegsgefangene, Ostarbeiter und Evakuierte, siehe Beitrag<br />

Gottfried Reichert: Einwanderung und Auswanderung.<br />

des Dorfes mit frischen Eiern, selbst gemachter<br />

Butter und selbst gemachtem<br />

Quark, frischem Obst usw. auf den Wochenmarkt<br />

nach Neckarsulm und Heilbronn<br />

gelaufen, Gehzeit drei bis vier Stunden.<br />

Die Ware wurde direkt auf dem Kopf<br />

getragen oder über dem „Bäuschle“, das<br />

war ein gestrickter runder Wulst.<br />

Winterarbeit<br />

Strohseile fl echten zu Garbenbändern (aus<br />

Roggenstroh), Besen binden aus Birkenreisig<br />

oder Ginster, Weiden für den Weinberg<br />

oder für Korbfl echtarbeiten putzen, Hanf<br />

verarbeiten für den Webstuhl. Die Tücher<br />

vom Webstuhl wurden danach auf der<br />

Bleichwiese ausgelegt (Sonne bleicht die<br />

gräuliche Farbe der Tücher).<br />

Ordnungshüter in Wald und Flur<br />

Feldschütz, Waldschütz und im Herbst der<br />

Weinbergschütz - stets geachtete Personen<br />

neben dem Bürgermeister, Lehrer und<br />

Pfarrer.<br />

4 Nach Gottfried Reichert im Amtsblatt von Neuenstadt<br />

(Nr. 367).<br />

5 Das Regelwerk zur statistischen Erhebung durch das Statistische<br />

Landesamt Baden-Württemberg erfasste Betriebe<br />

und ihre landwirtschaftliche Ausrichtung, Flächennutzung,<br />

Tierhaltung u. a. nach vorgegebenen betrieblichen<br />

Kennzeichen, so dass in den vorliegenden Angaben<br />

nicht alle Betriebe vor Ort erfasst sind.<br />

6 Siehe Anmerkung oben.<br />

101


102<br />

Weinbau im Dorf: Tradition und Veränderung<br />

„Kein Hügel in dir wächst ohne den Rebstock“,<br />

so hat Hölderlin die Weinberglandschaften des Unterlandes charakterisiert.<br />

Der „Hintere Berg“, südöstlich von <strong>Cleversulzbach</strong> gelegen (Herbst 2011)<br />

Etwa 80 Prozent der Rebfl ächen befi nden<br />

sich am „Hinteren Berg“, südöstlich des<br />

Dorfes. Der Rest des Anbaus befindet sich<br />

am Südhang des Föhrenberg (bis zur Flur-<br />

bereinigung in den 1970er „Verrenberg“).<br />

Bis in die 1950er Jahre gab es noch Weinbergfl<br />

ächen, wenn auch geringe, auf den<br />

Fluren „Braunen“, „Wärmle“, „Katzenberg“,<br />

Traubenlese<br />

anno dazumal<br />

(1920)


„Klinge“ und „Greut“. Nach einer lokalen<br />

Veröff entlichung aus dem Jahr 1949 betrug<br />

die damalige Rebfl äche in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

25 Hektar.<br />

Der typische Boden der Weinberge ist,<br />

ähnlich wie bei vielen anderen Weinbergen<br />

in Württemberg, schwerer, verwitterter<br />

Keuper – bei Trockenheit schwer zu<br />

bearbeiten und bei Nässe am Schuh klebend.<br />

Auf den Weinbergen in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

werden je nach Jahr gute Durchschnittsweine,<br />

aber auch die ein oder andere<br />

Spitzenqualität geerntet.<br />

Gefährdet ist der Rebanbau besonders am<br />

Hangfuß durch die Spätfröste im Frühjahr,<br />

meist zu den Eisheiligen, teilweise<br />

auch schon etwas früher machten und<br />

machen sie den <strong>Cleversulzbach</strong>er Wengertern<br />

im etwas kühleren (im Vergleich<br />

zum Neckartal) Sulzbachtal immer wieder<br />

das Leben schwer, letztmalig 2011 vom 3.<br />

auf den 4. Mai. In den unteren und mittleren<br />

Lagen gab es nahezu Totalausfall<br />

des Ertrages durch Erfrieren der schon<br />

gut entwickelten Triebe bei vier bis sechs<br />

Grad unter Null.<br />

Ebenso gefürchtet sind Frühfröste im<br />

Herbst vor der Ausreife der Trauben mit<br />

totalem Abfall der Qualität wie 1972 geschehen.<br />

Die niedrigsten Oechslegrade lagen<br />

damals bei 45 bis 50 Punkten. In un-<br />

Traubenlese im<br />

„Hinteren Berg“<br />

in den 1970er<br />

Jahren<br />

günstigen Wintern schädigen tiefe Temperaturen<br />

auch das Rebenholz.<br />

Eine besonders lange und schwierige Situation<br />

bezüglich des Rebenerfrierens gab<br />

es besonders in den 1950er bis in die<br />

1960er Jahre hinein. Dies war auch mit<br />

ursächlich, dass in dieser Zeit ein Großteil<br />

der Rebfl ächen nicht bepfl anzt war und<br />

der Weinbau im Ort stark zurück ging.<br />

Dies änderte sich aber noch in den<br />

1960ern. In den darauff olgenden Jahren<br />

konnten überwiegend gute und zufriedenstellende<br />

Herbste eingebracht werden.<br />

Traubensorten des <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Anbaugebiets<br />

Die vorherrschenden Sorten waren früher<br />

fast nur weiße Sorten wie Riesling, Gutedel<br />

und Silvaner. Dazwischen gab es einige<br />

kleinere Flächen mit Schwarzriesling<br />

und Trollinger. Früher ist auch die relativ<br />

frostharte Sorte Elbling im Anbau gewesen,<br />

deren Ertrag und Qualität befriedigten<br />

aber nicht.<br />

1959 gab es im <strong>Cleversulzbach</strong>er Anbaugebiet<br />

folgende Haupttraubensorten:<br />

Silvaner 30 Prozent, Trollinger 30 Prozent,<br />

Riesling 15 Prozent, Schwarzriesling<br />

10 Prozent, sonstige Sorten 15 Prozent.<br />

Die Gesamtweinbaufl äche betrug damals<br />

18 Hektar; im Ertrag stehende Rebfl äche:<br />

103


104<br />

12 Hektar, mit zehn Betrieben über 0,25<br />

Hektar.<br />

In den 1960er Jahren begann eine Nachfrageveränderung<br />

hin zu guten Rotweinen.<br />

Dies führte auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

zwangsweise dazu, sich diesen Anforderungen<br />

anzupassen. Bisher in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

nicht vorhandene Sorten wie Lemberger,<br />

Samtrot, Spätburgunder und Portugieser,<br />

aber auch Rebenneuzüchtungen<br />

wie die Heroldrebe, Helfensteiner, später<br />

der Dornfelder, wurden den Forderungen<br />

des Marktes und der Kundenwünsche entsprechend<br />

angebaut. Bei den weißen Sorten<br />

kam überwiegend der Riesling, weniger<br />

der Silvaner, Müller-Thurgau und Ruhländer,<br />

zum Anbau. Nicht zu vergessen ist<br />

eine andere Neuzüchtung: die weiße Rebsorte<br />

Kerner (ein Abkömmling einer Liaison<br />

zwischen dem roten Trollinger und<br />

dem weißen Riesling), welche Ende der<br />

1960er Jahre zusätzlich verstärkt angepfl<br />

anzt wurde.<br />

Pfahlschaft im „Bräunle“ am „Hinteren Berg“ (Foto 1960er Jahre)<br />

Auf der Heimfahrt von der Traubenlese<br />

(Foto 1960er Jahre)<br />

Mit den Neuanpfl anzungen erfolgte auch<br />

eine arbeitsvereinfachende Pfl anzmethode.<br />

In der neueren Zeit sind noch einige,<br />

teils schon von alters her bekannte,<br />

aber auch etliche erfolgreiche Neuzüchtungen<br />

in geringerem Umfang als Nischenprodukte<br />

(wobei es auch bleiben


sollte) im Anbau. Es sind dies u. a., um nur<br />

einige zu nennen, bei Weiß der Traminer,<br />

Muskateller, Weißburgunder, Grauburgunder,<br />

und bei Rot der Acolon, Muskattrollinger,<br />

Regent sowie die Sorten Cabernet<br />

Dorsa, Dorio oder Mitos.<br />

Die Rebenaufzucht am Pfahl als Hangquerpfl<br />

anzung (bis zu 2.500 Arbeitsstunden<br />

im Jahr/Hektar) verschwand zugunsten<br />

des Zeilenanbaus bergwärts am Drahtrahmen<br />

(1.000 bis 1.200 Arbeitsstunden<br />

im Jahr/Hektar). Heute ist ein Zeitaufwand<br />

(allerdings in <strong>Cleversulzbach</strong> wegen der<br />

Gegebenheiten nicht möglich) in fl acheren<br />

Lagen, mit entsprechender Rebenziehung<br />

und Mechanisierung im unteren<br />

dreistelligen Stundenbereich üblich.<br />

Die Sortenumstellung erfolgte im Zeitabschnitt<br />

von etwa 1960 bis 1975. Mit der<br />

Längszeile am Drahtrahmen und den breiteren<br />

Zeilenabständen war eine Mechanisierung<br />

vieler Arbeiten möglich. Damit<br />

kam der Weinbergschlepper mit den dazu<br />

Früherer, aus Sandstein „trocken“ gemauerter<br />

Unterstand im Weinberg<br />

nötigen Anbaugeräten zum Einsatz. Das<br />

große Problem der Erosion zwischen den<br />

breiteren Zeilen löste man durch Graseinsaat<br />

und die dabei notwendige Off enhaltung<br />

des Bodens am Rebenfuß durch<br />

Verwendung von Herbiziden.<br />

Übrigens sind jetzt die meisten „Weinberghäusle“,<br />

die früher zum Schutz vor<br />

extremer Witterung, auch zum Sammeln<br />

von Regenwasser und Anmachen der<br />

Spritz brühe benötigt wurden, ver schwunden.<br />

Mit der neuen Spritztechnik braucht<br />

man nur noch ca. ein Fünftel der<br />

bisherigen Wassermenge.<br />

Absatz und Vermarktung<br />

Früher kelterte jeder Wengerter seine<br />

Trauben, lagerte den Most und baute ihn<br />

selbst aus. Ebenso erfolgte die Vermarktung<br />

nach abgeschlossener Gärung des<br />

Mostes als Fasswein. Dieser wurde einem<br />

Gastwirt oder Weinhändler angedient.<br />

Der Verkaufspreis, abhängig von der Qualität<br />

des Weines, war Verhandlungsgeschick.<br />

Wegen des erschwerten Absatzes<br />

von Fasswein nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

gründeten die Wengerter des Dorfes<br />

1952 eine Weingärtnergenossenschaft<br />

mit dem Ziel des Anschlusses an die damalige<br />

WZG Württembergische Weingärtner-Zentral-Genossenschaft<br />

e G in Möglingen.<br />

Diese holten den Traubensaft unmittelbar<br />

nach dem Keltern zur Ausreife<br />

in die eigenen Tanks und zum weiteren<br />

Verkauf ab. Die Gründungsmitglieder der<br />

Weingärtnergenossenschaft <strong>Cleversulzbach</strong><br />

e<strong>GmbH</strong>, 1952, waren:<br />

Vorstandsvorsitzender: Eugen Blank; Vertreter:<br />

Richard Herrmann; weitere Mitglieder<br />

des Vorstandes: Richard Hermann,<br />

Albert Kleber; Aufsichtsratsvorsitzender:<br />

Richard Nef; weitere Mitglieder des Aufsichtsrates:<br />

Bauer, Bordt, Kuttruf, Weber,<br />

Lumpp; Geschäftsführer: Bräuninger;<br />

Mitglieder: 24. Anbaufl äche: 3,5 Hektar,<br />

davon 3 Hektar Weißwein, 0,5 Hektar<br />

105


106<br />

Rotwein. Angeschlossen waren die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Wein gärtner der Landeszentralgenossenschaft<br />

Württembergischer Weingärtnergenossenschaften<br />

e<strong>GmbH</strong> Stuttgart-<br />

Untertürkheim.<br />

Mit dem steten Verfall der Auszahlungspreise<br />

durch die WZG im Verhältnis zu<br />

den Aufwendungen für die Erzeugung der<br />

Trauben im Weinberg war der Weinbau im<br />

Ort an seine Grenzen gestoßen, er war<br />

nicht mehr rentabel. Dies war für einige<br />

Weingärtner der Grund, mit der Weingärtnergenossenschaft<br />

im benachbarten<br />

Wein dorf Eberstadt in Verhandlungen<br />

zwecks Aufnahme in die dortige erfolgreich<br />

tätige Genossenschaft zu treten. Mit<br />

der Vertragsunterzeichnung am 19. Juli<br />

1977 erfolgte die Aufnahme und der Anschluss<br />

an die WG in Eberstadt. Durch den<br />

Anschluss an die WG Eberstadt war es den<br />

Mitgliedern möglich, ihre Trauben dem<br />

Reifefortschritt entsprechend zu ernten<br />

und sortenrein abzuliefern. Der Ausbau<br />

erfolgte gemeinsam mit den Eberstädter<br />

Trauben. Durch den Verkauf von sortenreinen<br />

Weinen stieg auch der Erzeugerpreis.<br />

Nichts ist so sicher wie die Veränderung:<br />

Aufgrund der immer schwieriger werdenden<br />

Situation auf dem Weinmarkt, und<br />

des damit einhergehenden Preisverfalls<br />

für die Erzeuger, sah sich unsere WG gezwungen,<br />

nach neuen Wegen und Lösungen<br />

zu suchen, die dem entgegenwirken.<br />

2011 ist man nach langen und zähen Verhandlungen<br />

mit drei weiteren Weingärtnergenossenschaften<br />

aus dem Weinsberger<br />

Tal, die sich in ähnlicher Situation befanden,<br />

eine Fusion eingegangen. Kreiert<br />

wurden dabei der neue Betrieb Winzer<br />

vom Weinberger Tal eG, Löwenstein. Beteiligt<br />

daran sind die Weingärtner aus<br />

Eberstadt (mit <strong>Cleversulzbach</strong>), Eschenau,<br />

Löwenstein und Willsbach. Teilweise mussten<br />

dabei durch die Wengerter schmerzliche<br />

Einschnitte hingenommen werden.<br />

Hoff en wir, dass die gesteckten Ziele<br />

kurzfristig zu verwirklichen sind, und dadurch<br />

der Weinbau wieder rentabler wird,<br />

und für die Zukunft auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

gesichert ist und erhalten bleibt.<br />

Unter den <strong>Cleversulzbach</strong>er Weingärtnern<br />

gibt es mit Herbert Uhlmann noch einen<br />

Selbstvermarkter. Er bietet seinen Wein<br />

zum Kauf im eigenen Haus an.<br />

Sicherung der Weinqualität<br />

Jeder Wengerter ist das Jahr über um die<br />

Reben und heranwachsenden Trauben bemüht.<br />

Jährliche Begehungen der Rebfl ächen<br />

unter sachkundiger Führung weisen<br />

auf Probleme hin. Zur Qualitätssteigerung<br />

gibt es seit den 1990er Jahren die Ausdünnung<br />

(grüne Lese) in den Weinbergen.<br />

Zum einen soll damit die Qualität der<br />

Trauben und dadurch auch des Weines erhöht<br />

werden, zum anderen wird dadurch<br />

auch die Weinmenge (was gewollt ist) im<br />

Durchschnitt auf 100 Hektoliter / Hektar<br />

be grenzt.<br />

Schutz der Reben<br />

Ohne sachgemäßen Pfl anzenschutz gehen<br />

Ertrag und Qualität der Trauben zurück.


Die schlimmsten Jahre mit Mindererträgen<br />

und teilweisem Totalausfall wurden verursacht<br />

durch Peronospora und die Reblaus<br />

in den Jahren ab 1850. Diese schlimmen<br />

Schädigungen erfolgten durch Einschleppung<br />

aus Amerika. Die Reblaus konnte<br />

durch anderes Pfl anzgut, die so genannten<br />

Pfropfrebe, ausgerottet werden. Als<br />

Unterlage für die Pfropfrebe dient eine<br />

reblausresistente Rebe mit guter Wurzelbildung.<br />

Dieser wird die Edelrebe, Trollinger,<br />

Lemberger, Riesling usw., aufgesetzt.<br />

Durch eine Gallertbildung verwachsen die<br />

beiden unterschiedlichen Reben zu dem<br />

gewünschten Pfl anzgut.<br />

Durch Spritzbehandlung des Laubwerks<br />

mit Kupfermitteln und Schwefel (früher<br />

Schwefelstäubung) bekam man diese<br />

Schädigungen langsam in den Griff . Leider<br />

entwickelt sich der Peronosporapilz bei<br />

den Sommertemperaturen in den Weinbergen<br />

bei starken Taunässen oder Regen<br />

neu. Damit beginnt das Wachstum des Pilzes<br />

wieder, ein ewiger Kreislauf.<br />

Der Föhrenberg von Südwesten aus gesehen, im Sommer 2012<br />

In neuerer Zeit gibt es weitere pilzliche<br />

oder bakterielle Erkrankungen wie Stillähme,<br />

Oidium und Botrytis. Diese drei<br />

empfi ndlichen Schäden treten in den einzelnen<br />

Jahren unterschiedlich stark auf.<br />

Mit den heutigen Spritzmitteln und deren<br />

fachgerechter Anwendung sind all diese<br />

Erkrankungen in den Griff zu bekommen.<br />

Durch die gesetzlich vorgegebenen langen<br />

Wartezeiten, vom letzten Einsatz der Mittel<br />

bis zur Traubenernte, wie auch aufgrund<br />

der regelmäßigen Spritzkontrollen<br />

bis kurz vor der Traubenernte im Weinberg<br />

sowie bei der Anlieferung der Trauben<br />

in der Kelter, sind Geschmacksbeeinträchtigung<br />

oder gar gesundheitsschädliche<br />

Rückstände im Wein ausgeschlossen.<br />

Somit können sich Frau oder Mann ohne<br />

Bedenken die guten Weine aus den <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Weinbergen munden lassen.<br />

Prosit und „Wohl bekomm‘s“.<br />

107


108<br />

Die Schäferei<br />

Wie früher landauf, landab üblich, hatte<br />

auch die Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong> eine<br />

eigene Schäferei mit Schafhaus und<br />

Schafstall. Die Schäfereien hatten bis<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts eine wichtigere<br />

und weit aus höhere Bedeutung in<br />

der Versorgung der Bevölkerung als in<br />

späteren Jahrzehnten. Neben der Wolle,<br />

die für die Herstellung von Bekleidung<br />

unverzichtbar war, wurden damals ebenso<br />

dringend das Fleisch und die Milch benötigt.<br />

Kleinere Schaf- oder auch Ziegenherden<br />

hielten sich deshalb besonders in<br />

den ländlichen Gebieten, dort wo es möglich<br />

war, vor allem arme, kinderreiche Familien<br />

für den Eigenbedarf. Ihnen fehlte<br />

oftmals das Geld für den Zukauf von<br />

Fleisch, Milch oder auch Wolle. Während<br />

für diese Familien die Schafhaltung existenzielle<br />

Bedeutung hatte, bildete die<br />

ortseigene Schäferei mit dem daraus erhaltenen<br />

Pachtgeld eine wichtige Einnahmequelle<br />

für die Gemeindekasse.<br />

Die ersten nachweislichen Aufzeichnungen<br />

zur gemeindeeigenen Schäferei in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> gehen<br />

auf das Jahr<br />

1789 zurück und<br />

fi nden sich in einem<br />

Eintrag des<br />

Brandkatasters 1 ,<br />

der „ein Schafhaus,<br />

Scheuren<br />

und Stallung unter<br />

einem Dach, außen<br />

im Dorf“ belegt<br />

Eine Schäferdynastie<br />

gab es mit der<br />

Familie Kollmar. In<br />

der Verwandtschaft<br />

wurden an verschiedenen<br />

Orten<br />

Schäfereien betrieben,<br />

so auch in<br />

Neuenstadt am Kocher<br />

und <strong>Cleversulzbach</strong>. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />

betrieben die Kollmars jahrzehntelang das<br />

Handwerk der Schäferei weiter. So wurde<br />

1875 vermerkt, dass Schäfer Kollmar eine<br />

oben: Ausschreibung<br />

der<br />

Schafweideverpachtung<br />

1891<br />

Auszug aus<br />

dem Brandkataster<br />

von<br />

1789 über ein<br />

Schafhaus,<br />

Scheuer und<br />

Stallung unter<br />

einem Dach,<br />

außen im Dorf


Belehrung über Schafräude erhielt, und<br />

ein Eintrag über einen Erlass bzgl. der<br />

Schäfereipacht machte Kollmar noch im<br />

Jahr 1884 aktenkundig 2 . Ebenfalls über<br />

viele Jahre hinweg trat die Familie Süpple<br />

als Schäfer auf. Die Ära Süpple endete mit<br />

Adolf Süpple, welcher, zwar nicht eigenständiger<br />

Pächter der hiesigen Schäferei,<br />

noch bis in die 1960er Jahre im Auftrag<br />

gehütet hatte.<br />

Zur gemeindeeigenen Schäferei gehörten<br />

nicht nur eine Schafweide und das Schaf-<br />

haus. 1891 preist die Ausschreibung der<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Schafweideverpachtung<br />

z. B. folgende Zugehörigkeiten an: Schafhaus<br />

mit Wohnung, Scheuer mit Vieh-<br />

und Schafstallung, Gemüsegarten und<br />

Kraut land mit 5 a 38 qm, sowie 1 h 76 a<br />

30 qm Allmendplätze.<br />

Dass im Schafhaus, wie der Name<br />

schon besagt (im schwäbisch-fränkischen<br />

Sprach ge brauch steht Haus für Wohnung)<br />

auch die Wohnung für den Schäfer und<br />

seine Familie untergebracht war, veran-<br />

Plan zum Einbau eines<br />

Farrenstalls in<br />

das Schafhaus 1912.<br />

Gelb eingezeichnet<br />

sind die Fenster und<br />

Türen der bis dahin<br />

genutzten Schäferwohnung;<br />

rot eingezeichnet<br />

sind die Änderungen<br />

zur Umnutzung<br />

als Farrenstall.<br />

Danach gab es<br />

nur noch eine Stube<br />

für den Schäfer<br />

(obere Fenster Bildmitte).<br />

Das Gebäude<br />

fi el Ende der 1970er Jahre Sanierungsmaßnahmen im Ort zum Opfer, heute befi nden sich an<br />

Stelle des alten Schafhauses Parkplätze und die Grünanlage der Kelter-Halle.<br />

Grundriss des Obergeschosses.<br />

In Gelb eingezeichnet<br />

die bisherige<br />

Schäferwohnung, nach<br />

dem Umbau Heu- und<br />

Strohlager für den<br />

Farrenstall. Übrig blieb<br />

für den Schäfer eine<br />

Kammer.<br />

109


110<br />

schaulichen die erhalten gebliebenen<br />

Baupläne wie z. B. der Plan von 1912 zum<br />

Einbau eines Farrenstalls.<br />

Wie wichtig der Wohnraum im Schafstall<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

war, bezeugt ein Eintrag im Gemeinderatsprotokoll<br />

3 am 4. März 1862:<br />

Die Collegien beschließen, dem Schullehrer<br />

bei nächster Schäfereiverpachtung<br />

den für ihn nöthigen Raum in der Schafscheuer<br />

vorzubehalten u. einzuräumen.<br />

Um welchen Raum es sich dabei gehandelt<br />

hat, ist nicht näher beschrieben. Nehmen<br />

wir an, dass sich Schullehrer und<br />

Schäfer gut vertragen haben. Welch inhaltsreiche<br />

Gespräche und tolle Philosophien<br />

sind dabei wohl entstanden?<br />

Mit der Zunahme der Bevölkerung und<br />

damit einhergehend dem erhöhten Bedarf<br />

an hochwertigen Lebensmitteln, insbesondere<br />

tierischem Eiweiß, gewann auch die<br />

Tierzucht eine größere Bedeutung. Die<br />

Gemeinden mussten, um bessere Zuchterfolge,<br />

welche sich in der Fleisch- und<br />

Milchproduktion durch die Viehbestände<br />

der Bauern niederschlagen sollten, bessere<br />

Bedingungen schaff en. Zuchttiere konnten<br />

sich die Landwirte, die meistens nur<br />

über kleinere Betriebe verfügten, nicht<br />

leisten. Dies war die allgemeine Aufgabe<br />

der Kommunen, die Farrenställe für die<br />

Unterbringung der Vatertiere für die Rinder-,<br />

Schweine- und Ziegenzucht zu<br />

bauen, zu unterhalten und auch die<br />

Zuchttiere zu beschaff en hatten. Und<br />

nachdem die Baumwolle auch in unseren<br />

Breitengraden schon ihren Siegeszug angetreten<br />

hatte und die Schäferei bereits<br />

zurückging, fand man für den neu zu errichtenden<br />

Farrenstall Platz im Schafhaus.<br />

Nachdem der <strong>Cleversulzbach</strong>er Gemeinderat<br />

bereits am 30. Dezember 1911 den<br />

Baubeschluss gefasst hatte, waren die Planunterlagen<br />

durch das Bauamt des Oberamtes<br />

Neckars ulm gefertigt und von<br />

Oberamtsbaumeister Zweig am 16. März<br />

1912 unterzeichnet worden. Dies bedeutete<br />

gleichtzeitig, dass von nun an die<br />

Schäfer von <strong>Cleversulzbach</strong> für ihre eigene<br />

Wohnung oder Unterkunft zu sorgen<br />

hatten.<br />

Die Schäferei mit Stall sowie der dazugehörigen<br />

sich im Gemeindeeigentum befi<br />

ndlichen Weidefl ächen und der Allmende<br />

wurden, sofern es keine Beanstandungen<br />

oder besondere Vorkommnisse gab, in regelmäßigen<br />

Abständen an Schäfer, meist<br />

aus dem Ort, auf drei Jahre verpachtet.<br />

Der Pferch wurde wegen des Schafdungs<br />

meist auf den privaten Grundstücken der<br />

Landwirte errichtet. Das Pferchgeld stand<br />

der Gemeinde zu, weshalb auch der Pferch<br />

bei der Gemeinde angemeldet und beantragt<br />

werden musste. Zu manchen Zeiten,<br />

bei starker Nachfrage, wurde der Pferch<br />

auch versteigert. Die Gemeinden konnten<br />

dabei höhere Einnahmen erzielen. Die<br />

Schäferei umfasste die Behütung der Weiden,<br />

Beschaff ung und Vorratshaltung von<br />

Futter für die Monate, in denen in der Natur<br />

nicht genügend vorzufi nden war, oder<br />

nicht beweidet werden konnte, des Weiteren<br />

die Zucht, Versorgung und Betreuung<br />

der Tiere. Während die Allmenden, sofern<br />

die Flächen nicht für die Erzeugung von<br />

Heu benötigt wurden, ganzjährig beweidet<br />

werden konnten, war dies auf den privaten<br />

Flächen der Landwirte nur auf abgeernteten<br />

Ackerfl ächen sowie den Wiesen,<br />

aber nur zu gesetzlich vorgegebenen<br />

Zeiten, möglich. Wurde der Schäfer mit<br />

seiner Herde außerhalb dieser Zeiten auf<br />

Äckern, Wiesen oder Weiden beim „Stehlen“<br />

erwischt, so gab es meist Ärger. Anzeigen<br />

diesbezüglich gab es immer wieder,<br />

aber keine gerichtlichen Auseinandersetzungen.<br />

Im Regelfall wurde dies dann<br />

gütlich und in gegenseitigem Einvernehmen<br />

mit einem Lamm oder einem Hammelbraten<br />

erledigt, und beide, Kläger und<br />

Beschuldigter, waren zufrieden. Der Schäfer<br />

versprach Besserung – bis zum nächs-


Storchenbotschaft<br />

Des Schaefers sein Haus und das steht auf zwei Rad,<br />

Steht hoch auf der Heiden, so fruehe, wie spat;<br />

Und wenn nur ein mancher so’n Nachtquartier haett!<br />

Ein Schaefer tauscht nicht dem Koenig sein Bett.<br />

Und kaem ihm die Nacht auch was Seltsames vor,<br />

Er betet sein Spruechel und legt sich aufs Ohr;<br />

Ein Geistlein, ein Hexlein, so lustige Wicht,<br />

Sie klopfen ihm wohl, doch er antwortet nicht.<br />

Einmal doch, da ward es ihm wirklich zu bunt:<br />

Es knopert am Laden, es winselt der Hund;<br />

Nun ziehet mein Schaefer den Riegel – ei schau!<br />

Da stehen zwei Stoerche, der Mann und die Frau.<br />

Das Paerchen, es machet ein schoen Kompliment,<br />

Es moechte gern reden, ach, wenn es nur koennt!<br />

Was will mir das Ziefer? – ist so was erhoert?<br />

Doch ist mir wohl froehliche Botschaft beschert.<br />

Ihr seid wohl dahinten zu Hause am Rhein?<br />

Ihr habt wohl mein Maedel gebissen ins Bein?<br />

Nun weinet das Kind und die Mutter noch mehr,<br />

Sie wuenschet den Herzallerliebsten sich her?<br />

Und wünschet daneben die Taufe bestellt:<br />

Ein Lämmlein, ein WÜrstlein, ein Beutelein Geld?<br />

So sagt nur, ich käm in zwei Tag' oder drei,<br />

und grüßt mir mein Bübel und rührt ihm den brei!<br />

Doch halt! warum stellt ihr zu zweien euch ein?<br />

Es werden doch, hoff‘ ich, nicht Zwillinge sein? –<br />

Da klappern die Stoerche im lustigsten Ton,<br />

Sie nicken und knicksen und fliegen davon.<br />

(Eduard Mörike, „Die Storchenbotschaft“, entstanden in <strong>Cleversulzbach</strong> bis<br />

19. Juni 1837)<br />

111


112<br />

ten „Erwischtwerden“, wie aus den Akten<br />

ersichtlich ist. Dass die Schäfer aber auch<br />

ansonsten nicht immer „lammfromm“ waren,<br />

wie man hätte annehmen dürfen,<br />

denn der tägliche Umgang mit den Schafen<br />

hätte doch eher beruhigend und mäßigend<br />

wirken sollen, bezeugt ein Eintrag<br />

im Gerichts- und Bürgermeister-Protokollbuch1882<br />

4 :<br />

Am 25. Juli 1882 wurde laut Anlage bestraft<br />

wegen Ruhestörung und Unfug.[...]<br />

Schäfer Haaf mit 2 Tag Haft. Unterzeichnet:<br />

Schultheisamt Kuttruf<br />

Für den wirtschaftlichen Erfolg der Schäferei<br />

war die Verwertung und Vermarktung<br />

von Schafen, deren Wolle, Fleisch<br />

und Milch von Bedeutung, und meist<br />

nicht zufriedenstellend. Zu besonderem<br />

Wohlstand haben es die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Schäfer nicht gebracht. Dies lag zum einen<br />

an widrigen Vermarktungsmöglichkeiten<br />

ihrer Erzeugnisse, aber auch an der<br />

Größe der örtlichen Gemarkung und der<br />

damit zur Verfügung stehenden Weidefl äche.<br />

Je nach Vorgaben und Richtlinien der<br />

Obrigkeit lag der Bestand der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Schäferei bei hundert bis zweihundert<br />

Großtieren. Erst als die ganzjährige<br />

Schäferei zu Martini 1960 aufgegeben<br />

wurde, waren für die Winterbeweidung<br />

generell zweihundert Schafe (Großtiere)<br />

zugelassen. Die in <strong>Cleversulzbach</strong> ansässigen<br />

Schäfer waren aus diesen Gründen<br />

immer gezwungen, sich um Zusatzeinnahmen<br />

zu bemühen. Deshalb hatten die<br />

Schäfer nicht ohne Grund Gärten, mitunter<br />

kleinere Felder zur Bewirtschaftung,<br />

um die Grundnahrungsmittel selbst zu erzeugen<br />

und einen eventuellen Überschuss<br />

verkaufen zu können. Des Weiteren hat<br />

sich der Schäfer oder seine Frau, sofern<br />

möglich, als Tagelöhner verdungen, um<br />

auf diese Weise besser über die Runden zu<br />

kommen. Wie aus Schäfereipachtverträgen<br />

und den Vorgaben zur Verpachtung<br />

Schafweideverpachtung an Otto Lindenschmid<br />

1951<br />

ersichtlich, hatten allerdings auch die<br />

Kommunen nur enge und begrenzte Möglichkeiten,<br />

die Pachtverträgen zu ändern<br />

bzw. zu ergänzen. Rechte und Pfl ichte der<br />

Schäfer waren stets genau defi niert und<br />

in sehr engem Rahmen gehalten.<br />

Schäfer Wilhelm Schmid, vielen <strong>Cleversulzbach</strong>ern<br />

noch als solcher bekannt,<br />

Margarete Bordt auf der Heimfahrt von der<br />

Heuernte, im Hintergrund rechts der Schaf-<br />

und Farrenstall (Foto Anfang der 1950er<br />

Jahre)


kam mit Beginn der Winterweide zu Martini<br />

1930 ins Dorf. Gewohnt hat er mit<br />

seiner Familie im heutigen Haus Eberstädter<br />

Straße Nr. 18, unmittelbar gegenüber<br />

vom Schafstall gelegen. Mit Ablauf der<br />

Pacht zu Martini 1951 gab Schäfer Schmid<br />

seine Schäferei aus Altersgründen auf.<br />

Sein Nachfolger wurde Schäfer Lindenschmid<br />

aus Ummenhofen, Landkreis<br />

Schwäbisch Hall, vermutlich ein Verwandter<br />

von Schäfer Schmid, da dieser als<br />

Bürge und Selbstschuldner im Pachtvertrag<br />

vom 23. November 1951 auftrat.<br />

Wie aus dem Vertrag vom 23. November<br />

1951 ersichtlich, wurden die Möglichkeiten<br />

der Schäfer immer mehr eingeschränkt.<br />

Eine wirtschaftlich sinnvolle<br />

Schäferei in <strong>Cleversulzbach</strong> schien nicht<br />

mehr gegeben. Dies zeigte sich auch<br />

schon im sehr spärlichen Eingang von Bewerbungen<br />

bei der letzten Verpachtung.<br />

Das Einhalten der Pachtbedingungen für<br />

die ganzjährige Schäferei im Ort wurde<br />

immer schwieriger. Dies war wohl auch<br />

der Grund, weshalb sich Otto Lindenschmid<br />

nicht ein zweites Mal um die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Schafweide bewarb. Er gab<br />

seinen Betrieb zu Martini 1954 auf. Nach<br />

ihm hatten noch folgende Schäfer die<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Schafweide in Pacht: Ab<br />

Martini 1954 hatte der Schafhalter Hans<br />

Claß aus Hopfenburg bei Münsingen für<br />

drei Jahre den Zuschlag erhalten. Da er<br />

aber seinen vereinbarten Verpfl ichtungen<br />

nicht nachkam, übernahm die Schafhalterin<br />

Maria Hässler aus Eningen unter<br />

Achalm die Beweidung der Fläche bis November<br />

1957. Bei der Neuverpachtung<br />

bekam Schäfer Emil Eppel aus Eberbach<br />

am Neckar für drei Jahre den Zuschlag,<br />

der Pachtzins betrug jährlich 700 DM. Da<br />

auch er den vertraglich festgelegten Bedingungen<br />

nicht nachkam, wurde der Vertrag<br />

vorzeitig beendet. Erneut trat Maria<br />

Hässler in den Vertrag ein. Nachdem ihr<br />

Mann verstorben war, gab es auch hier<br />

Probleme mit der Erfüllung des Vertrages.<br />

Letztendlich kam es zu einem Vergleich.<br />

Der Pachtvertrag wurde auch aus Altersgründen<br />

nach Ablauf der im Vertrag festgelegten<br />

Zeit beendet. Danach wurde die<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Schafweide nur noch als<br />

Winterweide, von Martini, dem 11. November,<br />

bis 25. März verpachtet.<br />

Die Schäferei in <strong>Cleversulzbach</strong> wurde mit<br />

dem letzten Schäfer Georg Wied aus<br />

Buchbrunn, Landkreis Kitzingen, mit der<br />

Winterschafweide beendet. Er hatte die<br />

Schäferei in <strong>Cleversulzbach</strong> ab der Winterweide<br />

1960/61 gepachtet. Obwohl<br />

Schäfer Wied gebeten hatte, ihm die<br />

Weide bis Ende der Winterweide 1965 zu<br />

Der Schäfer Karl Hilligardt aus Brettach<br />

beim Beweiden von Privatgrundstücken in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>, 1984<br />

überlassen, da er dann nach Erreichen des<br />

Rentenalters seinen Betrieb aufgeben<br />

würde, wurde die Schafweide von der Gemeinde<br />

immer nur auf ein Jahr verpachtet.<br />

Auch der Pachtzins wurde jährlich neu<br />

verhandelt und an die Gegebenheiten, wie<br />

Futterbestand und die aktuelle wirtschaftliche<br />

Situation der Schäfer, angepasst. Der<br />

Pachtpreis betrug im Jahr 1960/61 noch<br />

455 DM, danach bis zum Ende 1964/65<br />

113


114<br />

waren es 350 DM. Das Ende der „Ära“<br />

Wied war gleichzeitig auch das Ende der<br />

Schäferei in <strong>Cleversulzbach</strong>. Die Schafweide<br />

wurde, wohl auch auf Grund ihrer<br />

Größe sowie der teilweise aufgetreten<br />

Probleme mit den Pächtern, nicht wieder<br />

im Ganzen, sondern nur noch sporadisch<br />

und in Teilen an Schäfer Hilligardt verpachtet.<br />

Gemessen an den Einnahmen<br />

zum Aufwand, ließ sich dies für die Kommune<br />

nicht mehr wirtschaftlich rechnen.<br />

Ein traditionelles, wichtiges und multifunktionales<br />

Werkzeug war die Schäferschippe,<br />

die neben einem Hufmesser zur<br />

Klauenpfl ege und einem kleinen Dolch<br />

für die Notschlachtung eines<br />

Tieres zur unabdingbaren<br />

Ausrüstung des Schafhirten<br />

gehörte. Die Schippe<br />

hatte einen hölzernen Stiel,<br />

meist aus Schwarz- oder Weißdorn,<br />

mit einer Länge von etwa<br />

120 bis 150 Zentimetern, abhängig<br />

von der Größe des<br />

Schafhirten. Die Schippe hatte<br />

mehrere Funktionen: Mit dem Haken<br />

daran konnten die Tiere eingefangen<br />

und gehalten werden, als Grabwerkzeug<br />

diente sie zum Entfernen von Kräutern<br />

und Sträuchern, welche den Schafen<br />

nicht schmeckten oder zur Überwu-<br />

1 CB 143<br />

2 CB 5<br />

3 CB 23, 1861 bis 1864<br />

4 CB 5, S. 146<br />

Schäferschippe<br />

Zuvor waren über Jahrzehnte, ja über<br />

Jahrhunderte hinweg, speziell für die kleineren<br />

Kommunen die Einnahmen aus der<br />

Schafweideverpachtung feste Größen und<br />

sichere Einnahmen im Haushaltsplan, die<br />

zur Erfüllung der vielfältigen kommunalen<br />

Aufgaben dringend benötigt wurden. Eine<br />

über Jahrhunderte alte Tradition hatte so<br />

mit dem 25. März 1965 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

ein zuvor schon absehbares Ende gefunden.<br />

cherung der Weide neigten, ferner als<br />

Wurfgerät, wobei die mit der Schippe<br />

aufgenommene Erde nach den Tieren<br />

geworfen wurde, um sie wieder in die<br />

richtige „Spur“ (Laufrichtung) zu<br />

bekommen, ohne sie dabei zu verletzen.<br />

Die vierte und vielleicht<br />

wichtigste Funktion war die<br />

Stütze. Solange die Schafe weideten,<br />

bewegten sie sich kaum<br />

von der Stelle, der Hirte somit<br />

auch nicht. Um etwas ausruhen<br />

zu können, stützt e er sich mit<br />

beiden Händen auf dem Stiel der<br />

Schippe (weshalb die Schippen am<br />

Stielende auch eine kleine Polsterung<br />

besaßen) ab, beim Gehen oder Weiterziehen<br />

mit der Herde diente dem Schafhirten<br />

die Schippe als Wanderstock.<br />

Werner Uhlmann


<strong>Cleversulzbach</strong> und sein Wald<br />

Wahrscheinlich trägt <strong>Cleversulzbach</strong> seinen<br />

Bezug zum Wald schon im Namen:<br />

„Clephart Sultzbach“ liest man in einem<br />

Kaufvertrag zwischen Konrad von Gosheim<br />

und dem Kloster Schöntal vom Jahr<br />

1310: dem Ort Sulzbach, der an einem<br />

feuchten Klebwald liegt.<br />

Längst ist dieser namengebende Wald<br />

entlang des Sulzbaches verschwunden,<br />

gleichwohl ist <strong>Cleversulzbach</strong> gegen Süden<br />

von den waldbewachsenen Höhen der<br />

Bergebene, den Keuperhügeln der Ausläufer<br />

der Löwensteiner Berge umrahmt. Der<br />

Sulzbach hat mit dem Kiefertal im Lauf<br />

der Jahrtausende einen tiefen Einschnitt<br />

ausgeräumt.<br />

Wenn man über den <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Wald berichtet, fällt zunächst auf, dass<br />

der nächstgelegene Wald, an den das Dorf<br />

mittlerweile bis auf wenige hundert Meter<br />

herangewachsen ist, der Gemeindewald<br />

von Langenbrettach ist. Könnte es also<br />

doch sein, dass die alte Sage vom Löff elstein<br />

Recht hat? Nach ihr soll in einem<br />

frühen Markungsstreit ein „gottvergessener“<br />

Förster einen Fehlschwur abgelegt<br />

und damit den <strong>Cleversulzbach</strong>ern diesen<br />

nahegelegenen Wald genommen haben.<br />

Wir wissen es nicht, entsprechende Sagen<br />

gibt es mancherorts. Auf keinen Fall soll<br />

alter Streit geschürt werden.<br />

Auch wenn in den Archiven nur wenige<br />

Zeugnisse über den Gemeindewald zu fi nden<br />

sind, war dieser doch zu allen Zeiten<br />

von großer Bedeutung für die Gemeinde<br />

und ihre Bürger.<br />

Vieles aus der jahrhundertealten Geschichte<br />

bleibt geheimnisvoll im Dunkel des Waldes<br />

verborgen, manches lässt sich an Spuren im<br />

Gelände, aber auch an manchen alten,<br />

mehrere Menschengenerationen überdauernden<br />

Waldbeständen ablesen.<br />

Durch die ganz überwiegenden Hanglagen<br />

sind innerhalb der heutigen Grenzen des<br />

Gemeindewaldes keine so genannten<br />

Wüstungen bekannt. Das sind vom 8. bis<br />

12. Jahrhundert entstandene, und meist<br />

im 14. und 15. Jahrhundert wieder aufgegebene<br />

Siedlungsansätze, überwiegend<br />

Einzelgehöfte. Sie waren zwangsläufi g immer<br />

mit Rodungen des Waldes verbunden.<br />

Bekannt, aber wenig erforscht ist die Wüstung<br />

Kiefertal, die fast am Ende des Tales,<br />

also dicht am Wald gelegen war. Weiter<br />

talabwärts lag die Wüstung Eberstal, in<br />

der der Sulzbach off enbar eine Mühle antrieb,<br />

wie sich aus dem Flurnamen Mühlwiese<br />

ablesen lässt.<br />

Mittelalterliche Wegführungen bevorzugten<br />

Höhenrücken, wie dies auch beim<br />

Salzweg auf der Hölzernen Ebene ist.<br />

Nach verschiedenen Funden geht der<br />

Salzweg auf vorrömische Zeit zurück. Seinen<br />

Namen hat er aber wohl erst von der<br />

1663 in Neckarsulm gegründeten Salzniederlassung,<br />

die Heilbronn als Handelspartner<br />

der Schwäbisch Haller Salzsieder ablöst.<br />

Der Zugang zum Salzweg und zum<br />

Weinsberger Tal musste erhebliche Höhenunterschiede<br />

überwinden und erfolgte<br />

meist in direkter und steiler Steigung. Solche<br />

Steigungsstrecken sind als Reste oft<br />

mehrspuriger Hohlwegsysteme auch im<br />

Gemeindewald erhalten (Lochwald, Eberstädter<br />

Ebene, Hölzerne Hohl).<br />

Im Lagerbuch von <strong>Cleversulzbach</strong> aus dem<br />

Jahre 1545 wird neben Informationen<br />

über den Ortsetter, die Flur und die Infrastruktur<br />

auch der „gemein Wald“, der mit<br />

dem später genannten Gemeindswald<br />

identisch sein dürfte, genannt. Erste genauere<br />

Hinweise zum Gemeindewald fi nden<br />

sich in der Waldbeschreibung von<br />

1853.<br />

Die Waldnamen fi nden sich teilweise bis<br />

heute in den Abteilungsbezeichnungen:<br />

Herrschaftswald, Distrikt I<br />

Hölzerne Ebene, Distrikt II<br />

115


116<br />

Hölzerner Rain, Distrikt III<br />

Eberstädter Ebene, Distrikt IV<br />

Sulzrain, Distrikt V<br />

Sommerrain, Distrikt VI<br />

Im kleinen Seele, Distrikt VII<br />

Seeschlag, DistriktVIII<br />

Lochwald, Distrikt IX<br />

Die Gesamtfl äche betrug 627 Morgen, das<br />

sind 198 Hektar.<br />

Diese Fläche blieb nicht unverändert,<br />

glücklicherweise sind jedoch große Eingriff<br />

e in den Gemeindewald nicht erfolgt.<br />

Am einschneidendsten war der Bau der<br />

Autobahn A 81 um 1970, der mit dem<br />

Aufhieb für Ersatzwege einen Waldverlust<br />

von rund acht Hektar verlangte. Durch<br />

den tiefen Einschnitt bei der Zufahrt zum<br />

Tunnel wurden zusätzlich in den Randzonen<br />

die Wasserhaushaltsverhältnisse beeinträchtigt<br />

(Unterbrechung des Hangwasserzuges).<br />

Eine längere Auseinandersetzung mit den<br />

Behörden gab es um einen Ausstockungsantrag<br />

von 1855, den die Gemeinde für<br />

12 Hektar Gemeindewald und der Bauer<br />

Christian Ehrhard für sich und 12 andere<br />

Eigentümer für fünf Hektar Privatwald<br />

gestellt hatten. Mehrfach musste nachgefragt<br />

werden, „ob der so genannte Hölzleswald<br />

(talaufwärts der „Hauptmannswiesen“<br />

gelegen) nicht ausgereutet und<br />

in Ackerland umgeschaff t werden könnte“.<br />

Schließlich wurde der Antrag in der gewünschten<br />

Form abgelehnt, „wegen<br />

nachteiliger Unterbrechung des Waldschlusses<br />

und seiner Abgrenzung“. Über<br />

einen reduzierten Antrag befand dann<br />

eine beigezogene Kommission mit dem<br />

Rentamtmann Binder aus Assumstadt,<br />

dem Schultheiß Vogt aus Degmarn und<br />

dem Schultheiß Mezger aus Gochsen,<br />

dass es sich um einen sanften Hang, tiefgründig,<br />

ohne Steine, leicht zu bearbeiten<br />

und ohne große Entfernung zum Ort<br />

handle, also geeignet zum Ackerbau.<br />

1858 wurden nach erfolgter Genehmi-<br />

gung 7,5 Hektar, also knapp die Hälfte<br />

der ursprünglich gewünschten Fläche, gerodet.<br />

Heute stehen auf Gemarkung <strong>Cleversulzbach</strong><br />

215 Hektar Wald, das sind 41 Prozent<br />

der Markungsfl äche, deutlich mehr<br />

als in der Gesamtstadt Neuenstadt mit<br />

24 Prozent oder auch dem Land Baden-<br />

Württemberg mit 36 Prozent.<br />

Davon sind:<br />

Gemeindewald 188 Hektar<br />

Kleinprivatwald 14 Hektar<br />

Staatswald 13 Hektar<br />

Die Waldungen unterstanden seit 1504<br />

der württembergischen Forstverwaltung,<br />

zunächst dem „Neustatter Vorst“, später<br />

dem Forstamt Neuenstadt. Seit 2005 ist<br />

das Kreisforstamt des Landratsamtes Heilbronn<br />

mit seiner Außenstelle Neuenstadt<br />

zuständig.<br />

Unmittelbarer mit dem Gemeindewald<br />

verbunden war der jeweilige örtliche Revierleiter.<br />

Bis 1968 waren dies Waldschützen,<br />

die von der Gemeinde bestimmt wurden.<br />

Eine forstliche Ausbildung war nicht<br />

erforderlich, es genügte, ein ortsansässiger<br />

und unbescholtener Bürger zu sein. Das<br />

Amt des Waldschützen war über lange<br />

Zeit ein nicht sehr begehrtes Amt, weil es<br />

schlecht bezahlt war und zu viel Ärger<br />

und Streit mit den Mitbürgern führen<br />

konnte.<br />

Waldschützen waren:<br />

vor dem Zweiten Weltkrieg: Christian Seebold<br />

ihm nachfolgend bis November 1945: Karl<br />

Wetterauer<br />

und dann bis 1. Juni 1968: Ludwig Vollmann<br />

Danach schloss die Gemeinde einen Beförsterungsvertrag<br />

mit der Landesforstverwaltung.<br />

Seither wird der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Wald von forstlich ausgebildeten<br />

Revierleitern im Verbund mit den Waldungen<br />

von Neuenstadt, Kochertürn,<br />

Stein, und heute auch Langenbrettach,


etreut. Revierleiter seither waren Karl<br />

Waff enschmidt, Otto Bort, Albert Vogt,<br />

Rolf Neubauer, Martin Auracher, und seit<br />

1. Oktober 1998 Eckart Staudt.<br />

Nutzungen im <strong>Cleversulzbach</strong>er Wald<br />

Die Wertschätzung des Waldes war über<br />

viele Jahrhunderte sicher nicht immer<br />

gleich groß. Es besteht jedoch überhaupt<br />

kein Zweifel, dass der Wald über lange<br />

Zeit für die Gemeinde, vor allem aber für<br />

die Bürger, denen er ja als ursprüngliches<br />

Gesamteigentum gehörte, ganz wichtig, ja<br />

lebensnotwendig war, und das in einer<br />

Weise – vor allem auch in Kriegs- und anderen<br />

Notzeiten –, wie wir uns das heute<br />

nicht mehr vorstellen können. Dies ist in<br />

den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

nochmals deutlich geworden.<br />

Seitdem ist durch sinkende Holzerlöse und<br />

steigende Kosten die wirtschaftliche Bedeutung<br />

für den Gemeindehaushalt und<br />

durch erschwingliche Ersatzmöglichkeiten<br />

für Brennholz diese Bedeutung verloren<br />

gegangen. Dies auch deshalb, weil die um-<br />

Beim Setzen von Jungbäumen<br />

fangreichen und wichtigen Schutz- und<br />

Erholungsfunktionen des Gemeindewaldes<br />

ohne Geldwert erbracht werden und damit<br />

für viele „wertlos“ sind.<br />

Holznutzung<br />

Über viele Jahrhunderte erfolgten die<br />

Holznutzungen weitgehend ungeregelt.<br />

Holz war zunächst genügend vorhanden<br />

und wurde vorwiegend als Brennholz, in<br />

geringerem Umfang auch als Bauholz benötigt.<br />

Mit wachsender Bevölkerung und<br />

beginnender gewerblicher Nutzung änderte<br />

sich dies: der Wald wurde übernutzt<br />

und oft ausgehauen.<br />

Der erste Forsteinrichter im <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Wald macht 1853 darauf aufmerksam,<br />

„wie notwendig die Anstellung eines<br />

Technikers für den Wald wäre, der Kosten<br />

wegen etwa gemeinschaftlich mit Brettach.<br />

Mit Bereinigung der Tabellen ist der<br />

Wald noch lange nicht in Ordnung, die<br />

Hauptsache sind die Arbeiten im Wald<br />

selbst. Und wenn diese nicht technisch<br />

geleitet, so nimmt der Holzbestand immer<br />

117


118<br />

mehr ab und die Nutzung wird geschmälert“.<br />

Erstmals werden so Gedanken der Nachhaltigkeit<br />

spürbar. Es darf nicht mehr Holz<br />

geschlagen werden, als nachwächst.<br />

Mit Forstordnungen versuchte die württembergische<br />

Herrschaft die Nutzung in<br />

geordnete Bahnen zu lenken, sie bestimmten<br />

die Höhe der Nutzungen und kontrollierten<br />

auch stärker. Der Wald wurde in einen<br />

Flächenbetrieb zur Brennholz- und<br />

Nutzholzversorgung nach den Bedürfnissen<br />

der Bürger eingeteilt. Alle 25 bis 30<br />

Jahre wurde eine festgelegte Waldfl äche<br />

im Unterholz, das aus Stockausschlägen<br />

erwachsen war, bis auf wenige Jungwüchse<br />

kahlgeschlagen als Brennholz. Im<br />

recht weitständigen und starken, 50- bis<br />

bis 250-jährigem Oberholz wurden einzelne<br />

Bäume als Bauholz entnommen. Dabei<br />

mussten auf alle Fälle genügend<br />

Bäume zur Besamung des Waldbodens<br />

stehen bleiben.<br />

Dieses Raster von verschieden alten Schlägen<br />

nebeneinander wurde Mittelwald genannt.<br />

Man konnte so die Holzzuteilungen<br />

mengenmäßig regeln. Allerdings ergaben<br />

Kontrollen im <strong>Cleversulzbach</strong>er Wald, dass<br />

die einzelnen Schläge sehr unsystematisch<br />

behandelt und oft zu licht gestellt wurden<br />

und dadurch vergrasten. Die notwendigen<br />

Nachbesserungen wurden nur zu einem<br />

geringen Teil durchgeführt.<br />

Im Dorfbuch von 1626 ist zur Holznutzung<br />

festgelegt:<br />

„Bau- und Brennholz betreff end: Wann<br />

einem Bürger Bau- oder Brennholz aus<br />

der Gemeindewaldung gegeben wird, soll<br />

er dasselbe aus den Flächen zu verkaufen<br />

nicht befugt sein, sondern soll solches einem<br />

Bürger im Flecken zustellen.“<br />

Daraus wird ganz deutlich, dass der Wald<br />

Holz nur für den Eigenbedarf der Gemeinde<br />

und ihrer Bürger liefern sollte.<br />

Die Gemeinde bekam vorab für die Schule<br />

und als Besoldungsholz 12 Klafter, unge-<br />

fähr 45 Raummeter. Jeder Bürger (1853<br />

waren dies 151) erhielt als Holzgabe 50<br />

Wellen; im Vergleich zu anderen Gemeinden<br />

war dies relativ wenig.<br />

Das Gab- und Besoldungsholz wurde<br />

durch Holzhauer gehauen, alles andere<br />

Holz durch die Empfänger selbst. Sie mussten<br />

es zuvor in einer alljährlichen Versteigerung<br />

erwerben. Dies galt auch für den<br />

Pfarrer, der aber 1868 befand, dass es für<br />

einen Geistlichen unangenehm sei, sein<br />

Holz persönlich steigern zu müssen. Wahrscheinlich<br />

ging es bei diesen Versteigerungen<br />

gelegentlich schon deftig zur Sache.<br />

Der Pfarrer bat stattdessen die Gemeinde<br />

um jährliche gütige Überlassung von vier<br />

Klafter rein buchenes Prügelholz (oder<br />

auch etwas Birken) und 200 Wellen an gutem<br />

Abfuhrweg. Den Holzhauerlohn für<br />

dieses Holz wollte er bezahlen und auf<br />

sein Gabholzrecht verzichten.<br />

Für die Gemeindekasse blieb als Gesamterlös<br />

ein jährlicher Betrag von 1.000 bis<br />

2.000 Gulden.<br />

Die Angst vor Brennholznot war noch<br />

lange groß und hatte direkten Einfl uss auf<br />

die Waldwirtschaft. Die Gemeinde widersetzte<br />

sich wiederholt Planungen zu höheren<br />

Umtriebszeiten, zum Übergang zu<br />

einer Hochwaldbewirtschaftung zur Nutzholzerzeugung<br />

oder auch zur Pfl anzung<br />

größerer Nadelbaummengen, weil diese ja<br />

auch kein Brennholz erwarten ließen.<br />

Trotzdem gewann die Nutzholzgewinnung<br />

zunehmend Bedeutung, weil die Gemeinde<br />

auf höhere Einnahmen aus ihrem<br />

Waldvermögen angewiesen war. Die Erlöse<br />

aus planmäßigen Nutzungen und auch<br />

gelegentlich außerordentlichen Nutzungen<br />

hatten über Jahrzehnte einen beträchtlichen<br />

Anteil am Gemeindehaushalt.<br />

Der Wert des Holzes als einzig großtechnisch<br />

verfügbarer und nachwachsender<br />

Rohstoff wird längerfristig steigen und<br />

dann auch wieder mehr zum Haushalt<br />

beitragen können.


Preisliste zur Nebennutzung im Forstverband Heilbronn 1929<br />

Streunutzung<br />

Das Streurechen war zu allen Zeiten der<br />

größte Zankapfel zwischen Gemeinde und<br />

den Förstern. Vor allem in trockenen Jahren,<br />

in denen es wenig Heu und Öhmd<br />

gab, brauchte die Landwirtschaft Laub aus<br />

dem Wald zum Einstreuen im Stall, weil<br />

das sonst dazu verwendete Stroh als Futter<br />

gebraucht wurde und damit auch als<br />

Mist zum Düngen ausfi el. So gab es<br />

manchmal fast alljährlich Anträge auf<br />

Streunutzung und deren Ausweitung, z. B.<br />

auch auf Heidenutzung auf der „Hölzernen<br />

Ebene“ oder auf Laubrechen in Gräben<br />

entlang der Waldwege.<br />

Die Entnahme der Streu entzog dem<br />

Waldboden aber wichtige Nährstoff e und<br />

schädigte gleichzeitig die Naturverjüngung.<br />

Andererseits trug sie aber zum Erhalt<br />

vor allem kleiner bäuerlicher Betriebe<br />

bei. Die Streunutzung sollte, wenn sie genehmigt<br />

wurde, ordnungsgemäß über einen<br />

Plan oder über Mengenregelungen<br />

erfolgen (z. B. für einen Kuhbauer ein Wagen<br />

Streu, für einen Geißenbauer ein halber<br />

Wagen). Nachdem die Streunutzung<br />

jedoch trotzdem als rücksichtslos und<br />

waldschädigend beschrieben wurde, mussten<br />

genaue Regeln aufgestellt werden:<br />

1. die drei nächsten Mittelwaldschläge<br />

sind stets zu schonen<br />

2. die 12 jüngsten Schläge desgleichen<br />

3. der Rest ist je fünf Jahre zu schonen<br />

und fünf Jahre zu berechen.<br />

Der letzte Antrag der Gemeinde auf<br />

Streunutzung kam 1952, wurde vom<br />

Forstamt aber abgelehnt, weil der Waldboden<br />

bereits herabgewirtschaftet sei. Ersatzweise<br />

wurde angeboten, zehn Festmeter<br />

Holz einzuschlagen und mit dem Erlös<br />

die Hälfte der Kosten für einen Waggon<br />

mit 100 Ballen Streutorf zu begleichen.<br />

Waldweide und Schweinemast<br />

Für das Vieh und die Schweine musste der<br />

Wald auch immer wieder als Futterquelle<br />

dienen. Während die Schweine vor allem<br />

in Mastjahren reichlich Eicheln als Futter<br />

fanden, richtete das Vieh durch Trittschäden<br />

und Abfressen junger Triebe ortsweise<br />

großen Schaden an. Durch die Umstellung<br />

auf Stallfütterung wurde die Waldweide<br />

1873 durch Gesetz verboten.<br />

Ganz verzichten wollte man in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

jedoch nicht, weshalb es 1875 ein<br />

anberaumtes Eichelnsammeln gab.<br />

Gewinnen von Gerbrinde<br />

Rinde von Eichen wurde für die Lohe zum<br />

Gerben von Leder benötigt. Wurde die<br />

Rinde von stehenden Eichen abgeschält,<br />

schädigte dies die Bäume. Entweder muss-<br />

119


120<br />

ten deshalb Eichen im Saft geschlagen<br />

werden, um das Schälen zu erleichtern,<br />

oder musste ein Waldstück als Eichenschälwald<br />

bestimmt werden. Dies geschah<br />

auf einer Fläche von gut einem Hektar im<br />

„Seeschlag“, wo die Eichen in einem<br />

18-jährigen Umtrieb nur zur Gerbrindegewinnung<br />

genutzt wurden.<br />

Sonstige Nutzungen<br />

Die sonstigen Nutzungen betrafen das<br />

Brechen von Steinen im Gemeindewaldsteinbruch<br />

oder das Sammeln von Bucheln<br />

(in großem Umfang nochmals 1946<br />

und 1947 zum Auspressen von Öl). Auch<br />

hierfür gab es zeitweise Vorschriften, um<br />

Missbrauch zu verhindern: Es durfte nur<br />

ohne Rechen und Sieb gesammelt werden<br />

und in den letzten Jahren vor einem Holzhieb<br />

gar nicht.<br />

Auch auf die Suche nach Beeren, Pilzen<br />

oder auch Honig machte sich mancher<br />

Bürger - aus Not, oder einfach weil es gut<br />

schmeckte.<br />

Dass es bei so vielen Einschränkungen und<br />

Verboten, die wegen der ständigen Übernutzung<br />

von Walderzeugnissen einfach<br />

notwendig waren, immer wieder zu Verstößen<br />

kam, weisen die Rugprotokolle<br />

über „Waldfrevel“ und „Waldexcesse“ aus:<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts gab es jährlich<br />

rd. 30 Anzeigen, weil Holz unberechtigt<br />

geschlagen, Holz gestohlen, unerlaubt<br />

Laub gerecht, mit dem Fuhrwerk über den<br />

Schlag gefahren wurde usw. Die Strafen<br />

waren für arme Bürger dabei relativ hoch.<br />

Die Jagd<br />

Zur Lebensgemeinschaft Wald gehört natürlich<br />

auch das Wild und damit die Jagd.<br />

Rehe, Füchse und Hasen, seltener Dachs<br />

und Marder, gehörten über Jahrhunderte<br />

zum Wildbestand im <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Wald. Wildschweine waren als Wechselwild<br />

und sowieso stark schwankenden Beständen<br />

weniger regelmäßig: einem er-<br />

Beim Jagdhaus von Jagdpächter Philipp<br />

Wesp (Bildmitte) im Kiefertal (1970er Jahre)<br />

höhten Vorkommen konnten Jahrzehnte<br />

nahezu ohne Sau folgen.<br />

Wann der Wolf letztmals seine Spur im<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Wald zog, ist unbekannt.<br />

Im benachbarten Stadtwald Neuenstadt<br />

gibt es immerhin eine Abteilung „Wolfsgarten“.<br />

In der weiteren Umgebung wurde<br />

der letzte Wolf 1865 bei Reichertshausen<br />

erlegt.<br />

Die Bürger standen der Jagd immer wieder<br />

kritisch gegenüber. Zum einen mussten<br />

Jagdfrondienste geleistet werden (wobei<br />

der Gemeinderat eine Ablösung der<br />

Dienste 1838 ablehnte, weil dafür 100<br />

Gulden bezahlt werden sollten), zum andern<br />

gab es auf der Feldfl ur auch immer<br />

wieder Wildschaden. So wurden um 1900<br />

Schäden in den Weinbergen beklagt, nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg waren es vor allem<br />

Wildsauschäden auf den Feldern. Gerade<br />

auch in den vergangenen 20 Jahren war<br />

der Schwarzwildbestand teilweise zu<br />

hoch. Für den Wald war das 19. Jahrhundert<br />

mit sehr geringem Wildstand günstig.<br />

Im 20. Jahrhundert und bis heute sind die<br />

Verbissschäden durch Rehwild an manchen<br />

Waldorten erheblich. Die Gemeindejagd<br />

ist mit 207 Hektar Wald und 310<br />

Hektar Feld verpachtet. Geschossen werden<br />

heute auf der Gemeindejagd jedes


Blick auf das Kiefertal mit dem von Bäumen umsäumten Sulzbach<br />

Jahr etwa 26 Rehe und, stark schwankend,<br />

bis zu 30 Wildsauen.<br />

Wie sieht der <strong>Cleversulzbach</strong>er Wald<br />

heute aus ?<br />

Insgesamt hat der Wald gute Bedingungen<br />

und Voraussetzungen für Gedeihen<br />

und Wachstum, vor allem auf der Ebene<br />

und in den Klingen. Charakteristisch sind<br />

wechselnde Bodenverhältnisse. Der Wald<br />

liegt in einer Höhenlage von 220 bis 320<br />

Metern über Meereshöhe. Der Distrikt<br />

zieht sich mit 2,5 Kilometern Länge von<br />

Nordwest nach Südost entlang des Schilfsandsteinstufenrandes.<br />

Geologisch bestimmen<br />

am Oberhang der Schilfsandstein,<br />

sonst ein Gipskeuperuntergrund die<br />

Bodenbildung. An den Hängen ist der<br />

Gipskeuper meist von steinig-sandigem<br />

Schilfsandstein, Hangschutt oder von<br />

Schluffl ehm überdeckt. Lehmüberdeckung<br />

fi ndet sich auch im Bereich der Schilfsandsteinverebnung.<br />

Die Entwässerung erfolgt<br />

über mehrere Klingen und kleine<br />

Seitenbäche nach Osten und Nordosten<br />

zum Sulzbach hin.<br />

Wachstumsfreundlich ist auch das ausgeglichene,<br />

milde Klima mit ganz seltenen<br />

Spätfrösten, in manchen Jahren allerdings<br />

zu geringen Niederschlägen. Dies schwächt<br />

dann einzelne Bäume oder ganze Bestände<br />

und führt zu erhöhter Schädlingsgefährdung.<br />

Die sich abzeichnende Klimaveränderung<br />

mit höheren Temperaturen und<br />

weniger gleichmäßigen Niederschlägen<br />

werden die Standortbedingungen für Nadelholz<br />

sicher verschlechtern und auch für<br />

das Laubholz unsicherer machen. Umso<br />

wichtiger ist es, zur natürlichen Regionalwaldgesellschaft<br />

eines eichenreichen Laubwaldes<br />

zurückzukommen. Regionalwald ist<br />

die Waldgesellschaft, die vorherrschte, bevor<br />

der Mensch eingegriff en hat.<br />

In der Waldbeschreibung von 1853 lässt<br />

sich aus dem Oberholzvorrat eine Baumartenverteilung<br />

von 51 Prozent Eiche, 42<br />

Prozent Buche, 4 Prozent Birke und 3 Prozent<br />

Aspe (Zitterpappel) errechnen. Im<br />

Unterholz dominieren Buche und Hainbuche<br />

neben Birke, Aspe, Erle, Esche, Ahorn,<br />

Linde, Hasel und Salweide. An Nadelholz<br />

wird seinerzeit nur von einigen Fichten-<br />

121


122<br />

horsten im „Dornschlägle“ (Teil des Sommerrains)<br />

berichtet. Off ensichtlich ist wegen<br />

der Dornen die Naturverjüngung untergegangen<br />

und die Fehlstellen wurden<br />

mit Fichten ausgepfl anzt.<br />

Dies war die Zeit der ersten Forsteinrichtung<br />

für den damaligen Gemeindewald<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>. Sie wurde seither alle zehn<br />

Jahre wiederholt. Dabei wird der Zustand<br />

des Waldes durch Beschreibung der einzelnen<br />

Bestände festgehalten und durch umfangreiche<br />

Datenerhebung dokumentiert.<br />

Außerdem wird der Vollzug aller Betriebsarbeiten<br />

im zurückliegenden Jahrzehnt<br />

kontrolliert und bewertet und schließlich<br />

eine Planung für das kommende Jahrzehnt<br />

aufgestellt: wo wird wie viel Holz gemacht,<br />

wo müssen junge Bestände gepfl egt werden,<br />

wo soll Naturverjüngung kommen<br />

und wie kann sie gefördert werden.<br />

Die nachstehenden Zahlen sind dem Forsteinrichtungswerk<br />

2002 bis 2011 entnommen,<br />

weil die Arbeiten am neuen Einrichtungswerk<br />

noch nicht abgeschlossen sind.<br />

Auf einer Gesamtfl äche von 188 Hektar<br />

stehen folgende Baumarten:<br />

Buche 50 % Fichte 20 %<br />

Eiche 10 % Lärche 4 %<br />

Esche 4 % Kiefer 2 %<br />

Ahorn 3 % Douglasie 1 %<br />

Sonstige 6 %<br />

Laubbäume: 73 % Nadelbäume: 27 %<br />

Das Laubholz dominiert also ganz deutlich,<br />

sein Anteil wird in den nächsten<br />

Jahrzehnten durch Naturverjüngung noch<br />

weiter zunehmen. Zu den sonstigen Laubbäumen<br />

zählen Hainbuche, Linde, Kirsche,<br />

Elsbeere, Feldahorn, Salweide, Aspe.<br />

Der Nadelholzanteil hatte sich vor allem<br />

in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

deutlich erhöht. Die Kriegs- und Nachkriegszeit<br />

hatten den Holzbedarf steigen<br />

lassen mit der Forderung vor allem nach<br />

Bauholz und rasch wachsenden Baumarten.<br />

So wurden im <strong>Cleversulzbach</strong>er Wald<br />

1956 bis 1965 117.000 Fichten, 4.300 Kiefern<br />

und 1.300 Lärchen, das sind insgesamt<br />

122.600 Nadelbäume gegenüber nur<br />

1.300 Laubbäumen, gepfl anzt.<br />

Die heutige Waldwirtschaft setzt – wo immer<br />

es erfolgversprechend geht – auf die<br />

Naturverjüngung, und diese läuft standortbedingt<br />

fast ganz in Richtung Laubholz.<br />

So wurde bei der Forsteinrichtung<br />

2002 ein Naturverjüngungsvorrat von 26<br />

Hektar aufgenommen mit 39 Prozent Buche,<br />

4 Prozent Eiche, 26 Prozent Esche, 8<br />

Prozent Ahorn, 22 Prozent sonstige Laubbäume<br />

gegenüber nur 1 Prozent Fichte.<br />

Wenn man die Waldfl ächen nach dem Alter<br />

der verschiedenen Bestände zusammenstellt,<br />

zeigt sich, dass es einen deutlichen<br />

Überhang an Altholz gibt: 39 Prozent<br />

des Waldes sind über 100 Jahre alt,<br />

21 Prozent sogar über 160 Jahre. Dafür<br />

fehlt es an Beständen im Alter zwischen<br />

40 und 100 Jahren.<br />

Im vergangenen Jahrzehnt ist der Holzvorrat<br />

um fast 10 Prozent auf 322 Festmeter<br />

je Hektar gestiegen, gute Voraussetzungen<br />

für einen höheren Einschlag,<br />

der allerdings im Wert durch die geringere<br />

Qualität vieler Altbestände, die ihren Ursprung<br />

noch in der wenig pfl egeintensiven<br />

Mittelwaldwirtschaft hat, geschmälert<br />

wird.<br />

Der Beitrag des <strong>Cleversulzbach</strong>er Walddistrikts<br />

zum jährlichen Gesamteinschlag des<br />

Stadtwaldes beträgt 1.070 Festmeter, das<br />

sind 23 Prozent. Der geplante Einschlag von<br />

5,8 Festmeter je Jahr und Hektar liegt unter<br />

dem laufenden Zuwachs, so dass die Holznutzung<br />

in Zukunft in die Höhe gehen wird.<br />

Neben der Nutzfunktion spielen auch die<br />

Schutzfunktionen eine gewichtige Rolle:<br />

Der ganze Wald ist als FFH – Flora-Fauna-<br />

Habitat, als Waldlebensraumtyp Hainsimsen-Buchen-Wald<br />

ausgewiesen. Neben<br />

110 Hektar Wasserschutzwald spielt auch<br />

der Bodenschutz an den Hängen eine<br />

wichtige Rolle.


Der Lochwald<br />

Ausgewiesene Waldbiotope sind:<br />

– das alte Steinbrüchle an der Eberstädter<br />

Straße<br />

– ein Elsbeervorkommen im Sommerrain<br />

– vernässende Flächen in der Eberstädter<br />

Ebene<br />

– die Klingen im Hangschlag und in der<br />

Weinsteige<br />

Oberstes Ziel der Waldbewirtschaftung ist<br />

heute die Erhaltung und Förderung eines<br />

standortgerechten und nachhaltigen Waldökosystems,<br />

das den Ansprüchen der Bürger<br />

an alle Waldfunktionen – also Nutz-, Schutz-<br />

und Erholungsfunktion – am besten zu erfüllen<br />

vermag. Die naturnahe Waldwirtschaft<br />

soll mit dem Ziel eines artenreichen,<br />

klimastabilen und ertragreichen Mischwaldes<br />

noch weiter ausgebaut werden:<br />

– weg vom Kahlschlag und weitgehender<br />

Verzicht auf Nadelholzanbau<br />

– natürliche Verjüngung aller standortgerechten<br />

Baumarten wie Buche, Eiche,<br />

Esche, Ahorn<br />

– angepasste Wildstände, die die natürliche<br />

Verjüngung nicht behindern und<br />

ein gesichertes Heranwachsen der Wälder<br />

ohne Schutz ermöglichen<br />

– Ernte von Einzelbäumen durch stetige<br />

Waldpfl ege<br />

– Feinerschließung der Bestände zur Vermeidung<br />

von Bodenschäden<br />

– extensives Bewirtschaften von Waldbiotopen<br />

und Steilhängen<br />

Es ist wohl gut verständlich, dass für<br />

diese qualifi zierte, stetige und vielseitige<br />

Arbeit im Wald Fachkräfte notwendig<br />

sind. Für den Stadtwald wurde dies<br />

rechtzeitig erkannt und in Zusammenarbeit<br />

mit der Gemeinde Langenbrettach<br />

durch ständig angestellte Forstwirte auch<br />

gewährleistet.<br />

Die Einhaltung der Wirtschaftsziele wird<br />

außer von der Forsteinrichtung auch extern<br />

durch Zertifi zierungsinstitute überprüft.<br />

Bisher wurde die gute Arbeit im<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Wald jeweils anerkannt<br />

und ein entsprechendes Zertifi kat ausgestellt.<br />

Und alle Bürger werden in den naturnahen,<br />

standortgerechten und stufi g aufgebauten<br />

Laubmischwäldern die Schutzfunktionen<br />

des Waldes - vom Boden- über<br />

den Klima- bis zum Wasserschutz - gut<br />

gesichert sehen und jederzeit die sicher<br />

wichtiger werdende Erholung vom Alltagsstress<br />

in ihrem heimischen Wald fi nden<br />

können.<br />

123


124<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Eichen und ihre Geschichte<br />

Eichen können ein hohes Alter erreichen,<br />

sichtbar an ihrem stattlichen Wuchs, der<br />

sich über lange Jahre, mehr noch Jahrhunderte,<br />

entwickelt - wenn nicht äußere<br />

Einfl üsse ihrem Leben ein Ende setzen.<br />

Eichen zählen zu jenen Baumarten,<br />

deren Erscheinung und Alter oftmals eine<br />

besondere Aufmerksamkeit erregen.<br />

Über die <strong>Cleversulzbach</strong>er Keltereiche hinaus<br />

– über sie wird im Zusammenhang<br />

mit der Kelter-Halle berichtet – fi nden<br />

sich weitere erwähnenswerte Eichen bzw.<br />

Geschichten über Eichen.<br />

Am Ende des Kiefertales, und der abgegangenen<br />

Siedlung Kiefertal, unweit<br />

vom Ursprung des Sulzbaches, nahe am<br />

Weg zum „Steinernen Tisch“ gelegen,<br />

Die beiden Zwillingseichen um 1988/89,<br />

1990 wurde eine der beiden Eichen vom<br />

Orkan Wiebke gefällt<br />

Am Zwillingseichenweg<br />

gab es bis vor wenigen Jahren die stattlichen,<br />

weithin bekannten „Zwillingseichen“<br />

zu bestaunen. Diese 1830 gepfl<br />

anzten Bäume waren rund<br />

30 Meter hoch. Der Stammumfang<br />

der beiden Eichen<br />

betrug je gut fünf Meter, die<br />

Kronen hatten jeweils einen<br />

Durchmesser von 20 Metern<br />

– bis „Wiebke“, jener starke<br />

Orkan im Jahr 1990, eine der<br />

beiden Eichen bersten ließ<br />

und zu Fall brachte. Den<br />

Stumpf hat man, als Zeugnis<br />

für für die Nachwelt und um<br />

die ehemals stattlichen Ausmaße<br />

erkennen zu lassen,<br />

erfreulicherweise nicht entfernt.<br />

Eine andere Eiche, deren<br />

Pfl anzung, wie wir heute<br />

wissen, in eine eher unrühmliche<br />

Zeit unseres Vaterlandes<br />

fi el und wohl auch nur<br />

noch wenigen Menschen am<br />

Ort bekannt sein dürfte, ist die so genannte<br />

„Hitler-Eiche“. Gepfl anzt wur de<br />

sie nach dem Wahlsieg der NSDAP und


der Ernennung von Adolf Hitler zum<br />

Reichskanzler 1933 im <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Wald, Abteilung Seeschlag an der Straße<br />

nach Eberstadt, links an der mittleren<br />

der „Dreier-Kurven-Kombination“, kurz<br />

hinter der Querung der „Alten Straße“.<br />

Vermutlich haben die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

deshalb die Eiche so weit außerhalb des<br />

Ortes gepfl anzt, um nicht so häufi g Ehrenbezeugungen<br />

oder den „Hitlergruß“<br />

an der Eiche ausführen zu müssen, und<br />

auch nicht ständig an den Führer erinnert<br />

zu werden. Dieser Eiche war verständlicherweise<br />

kein langes Leben beschert,<br />

da sie unmittelbar nach Kriegsende,<br />

mit dem Fall des „Dritten Reiches“<br />

entfernt wurde.<br />

Ein Wald- und Wanderparkplatz sowie<br />

ein Flurname zeugen von „ihr“, niemand<br />

von uns hat sie gesehen, die Sprache ist<br />

von der „Abgebrannten Eiche“. Ihren<br />

früheren Platz fi nden wir an der Straße<br />

nach Eberstadt, rechts, nach Erreichen<br />

der Anhöhe, unmittelbar vor der ehemaligen<br />

Grenze zwischen den früheren<br />

Oberämtern Neckarsulm und Weinsberg.<br />

Diese Eiche muss wohl ein stattlicher<br />

Baum und auch von einer gewissen Be-<br />

deutung gewesen sein, anders hätte es<br />

„ihr“ sicherlich nicht zu einem Flurnamen<br />

gereicht, der sich über die Jahrhunderte<br />

hinweg gehalten hat. Wo kommt nun<br />

dieser Name her? Wir können nur spekulieren,<br />

denn in den Akten oder Unterlagen<br />

ist darüber nichts nachzulesen. Vermutlich<br />

kam diese Eiche durch einen Blitzschlag<br />

zu Fall und ist dabei ausgebrannt.<br />

Oder, was wir nicht annehmen wollen, es<br />

haben Unholde Feuer gelegt und den<br />

Baum dadurch zu Fall gebracht und damit<br />

schändlichen Baumfrevel betrieben.<br />

Alljährlich fi ndet zu Himmelfahrt auf<br />

dem Waldparkplatz bei der „Abgebrannten<br />

Eiche“ das gerne und vielbesuchte<br />

traditionelle Waldfest statt, welches vom<br />

Rad- und Motorsportclub <strong>Cleversulzbach</strong><br />

veranstaltet wird.<br />

In jüngster Vergangenheit ist eher negativ<br />

über den Wanderparkplatz bei der<br />

„Abgebrannten Eiche“ berichtet worden<br />

– und zwar durch ein bis heute unaufgeklärtes<br />

Verbrechen vom 25. Januar 2009<br />

mit einem Toten neben einem brennenden<br />

Auto. Für die Ermittlungsgruppe der<br />

Heilbronner Polizei namens „Eiche“ ist<br />

der Fall bis heute nicht geklärt.<br />

Werner Uhlmann<br />

Am Waldparkplatz<br />

„Abgebrannte Eiche“<br />

125


126<br />

Gipsabbau<br />

Heute steht dort ein Wochenendhäuschen<br />

und nur wenig erinnert an die vormalige<br />

Nutzung: Im „Steinbeißer“ nahe dem<br />

Brettacher Wald wurde früher Gips abgebaut<br />

wie an zahlreichen anderen Orten im<br />

Land entsprechend den weit verbreiteten<br />

Keuperformationen. Erstmals scheinen die<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Gipsvorkommen im letzten<br />

Drittel des 18. Jahrhunderts ausgebeutet<br />

worden zu sein. Als Maurermeister<br />

Martin Stahl 1804 den „Weinbergplatz“<br />

kaufte, um dort eine Gipsgrube zu betreiben,<br />

soll dort schon mindestens 30 bis 40<br />

Jahre zuvor nach Gips gegraben worden<br />

sein. 1 1815 erhielt er die Genehmigung,<br />

eine Gipsmühle zu errichten. Diese wollte<br />

er mit einem Pferd betreiben. 1834 ist<br />

Friedrich Gross aus Neuenstadt als Eigentümer<br />

des Flurstücks genannt, 2 gut ein<br />

Jahrzehnt später bauten Jochen Gottfried<br />

Landauer aus Neuenstadt und Müller<br />

Weiß aus Langenbeutingen dort Gips ab. 3<br />

1861 muss es zu einem Unfall gekommen<br />

sein, bei dem ein Bergmann den ganzen<br />

Tag über verschüttet gewesen sein soll,<br />

nachdem ein älterer Stollen eingestürzt<br />

war. Aus den vom Schultheißen veranlass-<br />

Markung<br />

<strong>Cleversulzbach</strong><br />

Hügelscher<br />

Abbau<br />

1948<br />

Steinbeißer<br />

Josef-St.<br />

1947<br />

Bohrstelle<br />

ten Untersuchungen des Vorfalls geht<br />

hervor, dass es zu dem Zeitpunkt zwei<br />

Gipsbrüche auf <strong>Cleversulzbach</strong>er Markung<br />

gab, die aneinander angrenzten. Beide bestanden<br />

aus Haupt- und Nebenstollen,<br />

von denen einer sich auch auf die Markung<br />

Brettach erstreckte. Später war<br />

Christian Waff enschmidt, Ölmüller aus<br />

Neuenstadt, Eigentümer des Grundstücks.<br />

Zusammen mit Heinrich Hügel betrieb er<br />

eine Öl-, Gips- und Sägemühle mit Hanfreibe,<br />

die 1882 in die Hände von Hügel<br />

überging. Dorthin muss also der in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

im Untertagebetrieb abgebaute<br />

Gips zum Mahlen transportiert worden<br />

sein. 4 Auf <strong>Cleversulzbach</strong>er Markung<br />

scheinen die Gipsvorkommen schon bald<br />

danach erschöpft gewesen sein.<br />

Neben der Verwendung als Baustoff wurde<br />

Gips seit der Mitte des 18. Jahrhunderts<br />

auch in der Landwirtschaft eingesetzt.<br />

Durch die mineralische Düngung mit zermahlenem<br />

Gipsstein sollte die landwirtschaftliche<br />

Produktivität gesteigert werden<br />

– eine Methode, die besonders von<br />

dem Kupferzeller Pfarrer Johann Friedrich<br />

Mayer (1745 –1798) propagiert wurde.<br />

Gemeindewald<br />

Brettach<br />

Die zwei Gipsbrüche:<br />

der frühere Gipsbruch<br />

im „Steinbeißer“ und<br />

der 1948 erö nete<br />

Gipsbruch mit dem<br />

ehemaligen Josef-<br />

Stollen.


Dem „Bauernaufklärer“ und „Gipsapostel“<br />

war es ein Anliegen, die Ernährungsgrundlage<br />

seiner Gemeindemitglieder<br />

durch die Steigerung der landwirtschaftlichen<br />

Erträge zu heben. Zu diesem Zweck<br />

stellte er Versuche zur Verbesserung der<br />

Böden an und veröff entlichte seine Ergebnisse<br />

1768 in der Schrift „Die Lehre vom<br />

Gyps als einem vorzüglich guten Dung zu<br />

allen Erd-Gewächsen auf Äckern und Wiesen,<br />

Hopfen- und Weinbergen“. Gips blieb<br />

bis ins ausgehende 19. Jahrhundert neben<br />

Kompost als wichtiges Düngemittel in Gebrauch;<br />

danach setzten sich zunehmend<br />

Kunstdünger durch. 5<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte der<br />

Gipsabbau wieder aufgenommen werden.<br />

Die Idee hatten Peter Weber, Ingenieur<br />

aus Bergisch-Gladbach, und sein Sohn<br />

Egon, die nach dem Krieg nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />

gekommen waren. Peter Webers<br />

Schwiegertochter war nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />

evakuiert worden, wohin ihr ihr<br />

Mann Egon folgte, der gerade aus der Gefangenschaft<br />

zurück war. Vater und Sohn,<br />

Ingenieur bzw. Mechanikermeister, wurden<br />

auf die Gipsvorkommen im Grenzbereich<br />

zu Brettach aufmerksam und wollten<br />

dort ein Gipswerk aufbauen. Ihr Vorhaben<br />

wurde befürwortet, da Baugips zu<br />

den größten Mangelwaren gehörte und<br />

dringend für den Wiederaufbau der<br />

kriegszerstörten Städte und Gemeinden<br />

benötigt wurde. Auch Düngegips sollte<br />

hergestellt werden, fehlte es doch in der<br />

Nachkriegszeit an Kunstdünger. Mit einigen<br />

Verzögerungen erhielt Peter Weber,<br />

der 1946 bei der Gemeinde Brettach bereits<br />

den Antrag auf eine Schürfbohrung<br />

gestellt hatte, im Februar 1948 schließlich<br />

die Genehmigung zur Errichtung des Gips-<br />

1 StA Ludwigsburg D 37 I Bü. 2324<br />

2 LRA Heilbronn/Vermessungsamt: Messregister.<br />

3 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 19<br />

4 Georg Dittmann, Gipswerk <strong>Cleversulzbach</strong>. In: Am Brunnen<br />

vor dem Tore, Nr. 77 vom 15.11.1984.<br />

Logo des Gipswerkes von Peter und Egon<br />

Weber<br />

werkes durch das Wirtschaftsministerium<br />

Württemberg-Baden. 6 Der auf den Markungen<br />

von <strong>Cleversulzbach</strong> und Brettach<br />

liegende „Josef-Stollen“ war bald aus der<br />

Taufe gehoben und es wurde mit den Aufschlussarbeiten<br />

begonnen. Mehrere Probebohrungen<br />

waren erforderlich, um ein<br />

abbauwürdiges Gipslager zu fi nden. Dafür<br />

musste in Handarbeit ein Stollen gegraben<br />

werden. Im Frühjahr 1948 soll der abbau-<br />

und verarbeitungsfähige Gips fast<br />

erreicht worden sein. Bereits im August<br />

war das Gipswerk jedoch zahlungsunfähig,<br />

die Arbeiten mussten bald eingestellt werden.<br />

1952 wurde die Zwangsversteigerung<br />

angeordnet und die bereits aufgestellten<br />

Maschinen, u. a. eine Verladerampe mit<br />

Rollgleisen, verschwanden. Die Wiederbelebung<br />

des Gipsabbaus in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

sollte Episode bleiben. Heute sind nur<br />

noch die Mundlöcher der Stollen und<br />

Reste der in die Stollen führenden Schienen<br />

erkennbar.<br />

Reste der in den Josef-Stollen von Peter und<br />

Egon Weber führenden Schienen (Foto 1983)<br />

5 StA Ludwigsburg E 258 VI Bü. 2779<br />

6 Georg Dittmann, Gipswerk <strong>Cleversulzbach</strong>. In: Am Brunnen<br />

vor dem Tore, Nr. 78 vom 29.11.1984. – KA Heilbronn<br />

Nr. 6615.<br />

127


128<br />

Der Sulzbach und Fischerei<br />

Der Sulzbach ist das dominierende Gewässer<br />

auf der Gemarkung und war für<br />

das Dorf auch namengebend. Er entspringt<br />

ganz unscheinbar im hintersten<br />

Kiefertal im Staatswald, früher Herrschaftswald.<br />

Das Kameralamt Neuenstadt<br />

beschreibt ihn 1834:<br />

Im sogenannten Sulzbächlen, welches<br />

vom Kieferthal herab bei <strong>Cleversulzbach</strong><br />

und unter dem Verrenberg zwischen<br />

Wiesen vorbei läuft und endlich unten in<br />

den Brettachbach fällt, in der Länge ungefähr<br />

eine Stunde hat und wenige Forellen,<br />

Grundaale und Krabben führt,<br />

steht die Fischer-Gerechtigkeit allergnädigster<br />

Herrschaft zur Hälfte, zur anderen<br />

Hälfte aber der Gemeinde zu.<br />

Lange davor war das Fischen wohl eher<br />

eine freie, allgemeine Sache. Deshalb ist<br />

im Dorfbuch von 1626 zu lesen:<br />

Das Fischen und Krebsen belangendt<br />

Es soll in den Wochen an keinem anderen<br />

Tag, als am Freytag, gefi scht oder Krebse<br />

gefangen werden, in übrigen Tagen in der<br />

Wochen, sowohl auch an Son- und Feyertagen<br />

allerdings verbotten sein, auch kein<br />

Gumpp ausgeschöpft werden. Welcher<br />

darwider handelt umb ain Gulden gestra<br />

t werden.<br />

Ältere <strong>Cleversulzbach</strong>er erinnern sich noch<br />

gerne an erfolgreiches Fischen und<br />

Krebsen, ein Kinder- und Jugenderlebnis,<br />

wie es in den letzten Jahrzehnten so leider<br />

nicht mehr möglich war.<br />

Ecke Brettacher Straße/Fladenstraße. Hier befand sich ursprünglich eine große Scheuer, die<br />

regelmäßig unter Wasser stand, wenn der nahe Sulzbach Hochwasser führte (Foto Anfang<br />

der 1930er Jahre)


Durch verschiedene Ausbau- und Begradigungsmaßnahmen<br />

verlor der Sulzbach an<br />

landschaftlichem Reiz und ökologischem<br />

Wert. Erste Ausbaumaßnahmen werden<br />

1934 genannt. Gravierender war dann<br />

1953 ein erster Ausbauabschnitt in der<br />

Ortslage und auf 1.000 Meter gegen Süden.<br />

In einem zweiten Abschnitt ging es<br />

dann auf 1.450 Meter Länge nochmals<br />

gegen Süden weiter. Im Zuge der Flurbereinigung<br />

wurden größere Sulzbachabschnitte<br />

mit Sohlschalen befestigt. Weil<br />

die Begradigung den Wasserabfl uss deutlich<br />

beschleunigt hatte, war es zu Uferabbrüchen<br />

gegkommen.<br />

Als Ausgleich für den Wasserfl ächenverlust<br />

und die ökologischen Nachteile der<br />

Begradigung sollte im Gewann Hauptmannswiese<br />

in einem Seitentälchen des<br />

Sulzbaches ein Fischteich gebaut werden.<br />

Nachdem sich die geplante Nutzung zerschlug,<br />

entstand ein größeres Feuchtbiotop,<br />

das durch die Autobahn zwar vom eigentlichen<br />

Tal abgeschnitten ist, zwischenzeitlich<br />

aber doch den Status eines<br />

Naturdenkmals hat. Weiter aufwärts im<br />

Kiefertal entstand um 1975 die kleine<br />

Fischteichanlage Maysenhölder.<br />

Verpachtet war das Fischereirecht bis nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg an den Fabrikanten<br />

Emil Frank und seine Frau Luise für<br />

100 Reichsmark. Jedes Jahr mussten 2.000<br />

bis 3.000 Stück Bachforellenbrut eingesetzt<br />

werden. Als Jagdpächternachfolger<br />

wurde Philipp Wesp später auch Fischwasserpächter.<br />

Während 1834 das Pachtinteresse<br />

noch groß war, gelang eine Verpachtung<br />

nach Direktor Wesp nur noch mühsam.<br />

Die Fischereigemeinschaft nahm sich<br />

schließlich des Sulzbaches an. Die Gemeinde<br />

hatte übrigens ihr halbes Fischereirecht<br />

im April 1971 an das Land Baden-<br />

Württemberg, Staatsforstverwaltung, für<br />

2.000 DM verkauft.<br />

Nur am Rande sei bemerkt, dass es auf Gemarkung<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> eine Reihe von<br />

Der Sulzbach unterhalb der Bachbrücke<br />

zum Föhrenberg im Sommer 2012 – nach<br />

längerer Regenpause mit niedrigem Wasserstand<br />

Quellen unterschiedlicher Ergiebigkeit gibt.<br />

Erschlossen ist im Kiefertal der Erbelbrunnen.<br />

Bis ins 20. Jahrhundert gab es im Ort<br />

einen laufenden und drei Ziehbrunnen.<br />

Anzunehmen ist, dass es im feuchten Wiesengrund<br />

Hagenach am südlichen Fuß des<br />

Föhrenberges früher einen See gab.<br />

Nur eine Episode blieb der angedache Bau<br />

eines Freibades in den 30er Jahren des<br />

letzten Jahrhunderts.<br />

129


130<br />

Infrastruktur<br />

Die Wette<br />

Die „Wette” 1 taucht in den Annalen unseres<br />

Dorfes zum ersten Male in den Gemeinderatsprotokollen<br />

von 1767 auf:<br />

20. Juli 1767<br />

Ein Wettin Mauer unten im Dorf, welche<br />

sich schadhaft befi ndet, deßgleich<br />

der plaz um die bronnen Rohr, solle<br />

erforderlichermaßen reparirt, des gleichen<br />

die Eych bei der ober Mauer, wo<br />

der Fluß heraus kommt, hingestellt, u.<br />

ein Tächlen darüber gemacht werden.<br />

Aus dem obigen Zitat geht hervor, dass<br />

die hiesige Wette in der Mitte des 18.<br />

Jahrhunderts schon lange in Benutzung<br />

gewesen sein muss. Wo lag nun die Wette<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong>? Ganz exakt geht ihre<br />

damalige Lage aus der Urkarte von 1834<br />

hervor: am unteren Ende des späteren<br />

Ortsweges No. 5, dort wo seit 1838/39 das<br />

Backhaus steht und der heutige Backhausvorplatz<br />

liegt.<br />

Ihr Abfl uss erfolgte über den off enen Graben<br />

No. 1 entlang der heutigen Seestraße,<br />

welcher oberhalb der Bachbrücke in den<br />

Sulzbach mündete. Gespeist wurde die<br />

Wette überwiegend durch die Zuläufe aus<br />

den Brunnen in der Hauptstraße, zum einen<br />

dem Brunnen in unmittelbarer Nähe<br />

zur Wette, dem späteren „Rohrbrunnen“,<br />

und zum anderen durch den Brunnen am<br />

Kirchplatz. Selbstverständlich wurde das<br />

Regen- oder Oberfl ächenwasser ebenfalls<br />

in die Wette geleitet.<br />

Bei der Wette muss es sich um einen für<br />

das Gemeindeleben bedeutsamen Ort gehandelt<br />

haben, denn sie wird immer wieder<br />

erwähnt, sie wurde gepfl egt und<br />

spielte, wie wir noch sehen werden, auch<br />

bei einem Verbrechen eine gewisse Rolle.<br />

Etliche Protokolle zeugen davon, dass es<br />

sich der Gemeinderat angelegen sein ließ,<br />

Die Wette. Der Ausschnitt aus der Karte von<br />

1834 zeigt die Wette in ihrer ursprünglichen<br />

Größe; 1838 wurde sie zwecks des Baus des<br />

Back-, Wasch- und Armenhauses, das einen<br />

Teil der westlichen Fläche einnahm, verkleinert.


die Wette in gutem Zustand zu halten.<br />

Dies war Aufgabe von Einwohnern, die<br />

über ein Versteigerungsverfahren den<br />

Auftrag erhielten, die Wette gegen ein gewisses<br />

Entgeld zu säubern und ggf. auszubessern.<br />

Über die Gemeindepfl egrechnung 2 aus<br />

dem Monat Juni 1833 erhalten wir genauere<br />

Informationen über Herstellung<br />

und Maße der Wette:<br />

Danach erhält der Akkordant Christoph<br />

Rausch für ein „Draufgeld” von 5 Gulden<br />

24 Kreuzer den Auftrag zur „Herstellung<br />

der in Abgang gegangenen Mauer an der<br />

Wette, von etwa 70’ Länge, und 5’ Höhe<br />

dem Schu nach” (d. h. etwa 23 m Länge,<br />

1,5 m Höhe). Kurz darauf, am 22. Juli<br />

1833, präzisiert der Gemeinderat den Auftrag:<br />

Das Fundament der Mauer müsse<br />

2 ½ Fuß dick, alles oberhalb aber 2 Fuß<br />

dick werden. Die Fundamentsteine müssen<br />

aus „3–4 Fuß langen und wenigstens 1<br />

Fuß diken gespigten Quater gut meistermäßig<br />

hergestellt werden.” Außerdem<br />

„dürfen nur Rothe veste und gesunde<br />

Quater dazu genommen werde.” Besonderen<br />

Wert legt der Gemeinderat auf die<br />

Feststellung, dass bei Verwendung von alten,<br />

gebrauchten Fundamentsteinen diese<br />

nicht in die Herstellungskosten aufgenommen<br />

werden dürften.<br />

Bereits ein Jahr nach Fertigstellung werden<br />

Pfl egearbeiten an der Wette nötig,<br />

für deren Übernahme sich überraschend<br />

viele Interessierte („Liebhaber”) melden:<br />

Verhandelt den 2 ten Sept. 1834 3<br />

Es wurde nach vorheriger Bekanntmachung<br />

das Ausputzen der Wette<br />

im Abstreich verakkordirt, und sind<br />

als Liebhaber erschienen,<br />

Christian Bordt Schneider, Baltas Bordt<br />

Weber, Martin Erhart, Christoph Bazer,<br />

ChristianHermann Christoph S., Christoph<br />

Dietrich, David Vögele,<br />

Christoph Bazer Weber fordert 5 f<br />

Baltas Bordt fordert 4 f<br />

es hat im lezten Streich<br />

als der wenigstnehmende erhalten<br />

Christian Seebold für 3 f<br />

Die Arbeiten an der Wette waren damit<br />

nicht abgeschlossen, denn am 8. Dezember<br />

1834 stellte J. Georg Stahl der Gemeinde<br />

4 Gulden 12 Kreuzer in Rechnung,<br />

und zwar hat er 1 Tag in dem Au uß an<br />

der Wette gemauert. Schon vorher, am 13.<br />

Oktober 1834, hat Christian Reniger auf<br />

beyden Seiten gemauert […] von dem alten<br />

Wettstein im Taglohn 1 Gulden 4 .<br />

Etwas kurios mutet der folgende Eintrag an.<br />

Am 3. Januar 1835 5 bietet die Gemeinde<br />

den aus der Wette geschöpften Schleim an<br />

den Meistbietenden zum Verkauf an. Vermutlich<br />

hat Abraham Freundt, der mit 2<br />

Gulden 42 Kreuzer als Sieger aus der Versteigerung<br />

hervorging, den Schleim als<br />

Dünger auf seinen Acker ausgebracht.<br />

Durch den Bau des Back-, Wasch- und Armenhauses<br />

1838/39 mussten schließlich,<br />

um genügend Platz für das neue Gebäude<br />

zu haben, an der Wette Änderungen vorgenommen<br />

werden. Sie wurde um ein gutes<br />

Stück gekürzt. Mit dieser Maßnahme<br />

wurde auch der „Rohrbrunnen“, welcher<br />

zu dieser Zeit etwa in der Mitte des Platzes<br />

oder des Fahrweges lag, an die Ecke des<br />

Backhauses an der Einmündung des Ortsweges<br />

No. 7, heute Untere Straße, verlegt.<br />

Wie sehr die Gemeinde um die Pfl ege der<br />

Wette besorgt war, zeigen verschiedene<br />

Gemeinderatsprotokolle aus den Jahren<br />

1840 und 1841:<br />

11. Juni 1840 6<br />

Jung David Siegle erhält den Auftrag, für 5<br />

Gulden die Wette nebst dem Abwasserbächle,<br />

so weit als notwendig, auszuputzen.<br />

8. Mai 1841 7<br />

Für die Herstellung einer Wasserrinne „neben<br />

der Wette” werden 6–7 Clftr. 8 Steine<br />

vom hiesigen Bruch beigeführt, wobei<br />

„4 starke Fuhren zu 1 Clftr. gerechnet”<br />

werden. Pro Fuhre werden 26 bis 28 Kreuzer<br />

Lohn veranschlagt.<br />

131


132<br />

Ein Beschluss des Gemeinderats vom 4.<br />

April 1850 beweist, dass die Wette bis in<br />

die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />

ihre Bedeutung für das Dorf behalten hat,<br />

denn es „wurde beschlossen, daß zum Ablauf<br />

des Abwassers ein Tholen vom Zugbronnen<br />

an bis zur Wette geführt werden<br />

solle.” 9<br />

Erwähnung verdient die Wette auch für<br />

ihre Bedeutung bei der Aufklärungsarbeit<br />

in einem Mordfall, der sich im Jahre 1850<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> ereignet haben soll:<br />

Verhandelt den 10 t Octbr. 1850<br />

Heute wurde die Wette<br />

auf die Angabe des led:<br />

Christian Merz von da<br />

welcher das Meßer<br />

oder Dolch, womit er<br />

den Karl Speisser ledig<br />

tödtlich gestochen, oder<br />

verwundet hat, in die Wette<br />

geworfen haben wolle,<br />

zum ausputzen<br />

o entlich verabstreicht,<br />

um das Messer fi nden<br />

zu können. 10<br />

Leider erfahren wir nicht, ob die Suche<br />

nach dem Tatwerkzeug von Erfolg gekrönt<br />

war, und aus den verfügbaren Akten wird<br />

auch nicht ersichtlich, zu welchem Urteil<br />

es in diesem Mordfall letzten Endes kam.<br />

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts,<br />

mit der zunehmenden Verdichtung<br />

der Bebauung im Unterdorf sowie der Erschließung<br />

und Bebauung des Kieshofs,<br />

war die Zeit zur Verlegung der Wette gekommen.<br />

Ein neuer Platz, der den Anforderungen,<br />

wie zentrale Lage und dass ausreichend<br />

Wasser speziell im Brandfalle zur<br />

Verfügung stand, musste gefunden werden.<br />

Man entschloss sich seinerzeit, auf<br />

den Sulzbach zurückzugreifen, welcher<br />

unmittelbar nach der Brücke in Richtung<br />

Brettach fl oss. Die Bachufer wurden durch<br />

Sandsteinmauern befestigt, eine Stellfalle<br />

wurde am östlichen Ende, bevor der Bach<br />

seine Fließrichtung wieder nach Norden<br />

änderte, angebracht. Zur Sicherheit war<br />

auf den Sandsteinmauern ein Geländer<br />

gegen unbeabsichtigtes Hineinfallen angebracht<br />

worden. Die Wette oder der<br />

Sulzbachstau hat sich an dieser Stelle bis<br />

zur ersten Sulzbachregulierung Mitte der<br />

1930er Jahre befunden. Mit der Sulzbachregulierung<br />

fand diese Einrichtung wiederum<br />

eine neue Heimat, an welcher sie sich<br />

bis heute befi ndet.


Mit der Schaff ung der an ein Leitungssystem<br />

gebundenen Wasserversorgung verlor<br />

die Wette ihre Bedeutung für das Dorfl eben.<br />

Die Wette als Feuerlöschteich, oder<br />

wie in unserem Fall das Stauwehr, wird<br />

nur noch in Sonderfällen, wie bei Großbränden,<br />

sofern das Wasser der öff entli-<br />

Stellfalle am Sulzbach, nördlich der Brettacher Straße, 2012<br />

1 Die genaue Bedeutung des Begriff s „Wette” blieb zunächst<br />

im Dunkeln, hatten doch auch Fachleute Schwierigkeiten,<br />

ad hoc eine Defi nition des Begriff es zu geben.<br />

Genauere Nachforschungen bestätigten allerdings die Annahme,<br />

es müsse sich um einen Wasserplatz (vgl. engl.<br />

‚wet’ = nass; vgl. auch dt. ‚waten’) gehandelt haben. Das<br />

„Schwäbische Wörterbuch” schlägt etwa folgende Synonyme<br />

vor: Tümpel, stehendes Gewässer, Pferdeschwemme.<br />

Es wird sich wohl um eine Art Dorfweiher gehandelt haben.<br />

In Frage kommt die Funktion der Wette als Löschteich.<br />

Löschweiher stammen aus einer Zeit, in der noch<br />

nicht in allen Orten eine zentrale Wasserversorgung üblich<br />

war. Sie dienten als Löschwasserreserve und wurden<br />

in den Orten meist zentral angelegt, damit man zuerst mit<br />

chen Versorgung nicht ausreichen sollte,<br />

genutzt. Heute, da die Einrichtung ihre<br />

früher so wichtige Bedeutung verloren<br />

hat, ist sie aus dem Bewusstsein der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Bevölkerung nahezu verschwunden.<br />

einer Eimerkette, später mit Pumpen das Wasser relativ<br />

einfach zu jeden Punkt im Ort bringen konnte. Die Teiche<br />

hatten meist keine eigene Quelle, sondern mussten befüllt<br />

werden. Auch Regenwasser wurde hineingeleitet.<br />

2 CR 280<br />

3 CR 281<br />

4 CR 281<br />

5 CR 281<br />

6 CB 17<br />

7 CB 17<br />

8 Klafter<br />

9 CB 20<br />

10 CB 20<br />

133


134<br />

Brunnen und<br />

Wassversorgung<br />

Von Bronnen und Cisternen graben und<br />

haben au eines eigenen Grund<br />

Welcher auf seinem eigenen Grund ein<br />

Bronnen, oder Cistern graben will, oder<br />

der einen hievor graben und gebauen<br />

hätte, der soll in allweg fürsehen, daß<br />

dardurch dem gemeinen Nutz, und seinem<br />

Nachbauren, ob, und unter der Erden, kein<br />

Schad entstehen, und widerfahren möge.<br />

Bauordnung vom 2. Januar 1655 1<br />

Gleiches wird auch für die öff entlichen<br />

Brunnen gegolten haben, von denen <strong>Cleversulzbach</strong><br />

mindestens sechs besaß. Diese<br />

speisten sich größtenteils aus der westlich<br />

hinter der Kirche gelegenen Höhenlage<br />

und führten Trinkwasser, das allen Bewohnern<br />

des Dorfes zur Verfügung stand.<br />

Sechs öff entliche Brunnen<br />

1. Brunnen vor der alten Kelter<br />

Vor der alten Kelter versorgte ein Brunnen<br />

das Oberdorf, und zwar zusammen mit<br />

dem Brunnen vor der Kirche.<br />

2. Brunnen vor der Kirche<br />

Dieser Brunnen vor der Kirche befand sich<br />

unterhalb der Kirchhofmauer. Im Jahre<br />

1810 waren die Zimmerleute Christoph<br />

Wiedmann und Valentin Zeyer mit der<br />

Herstellung eines neuen „Bronnentrogs”<br />

beauftragt worden, welcher zu dem Kirchbronnen<br />

erforderlich und der länge nach<br />

16 Schuh zum Viehtrinken halten muß,<br />

inbegri s eines neuen Tröglens, zum WasserAusguß.<br />

Ihnen wurde dafür der „Akkord“<br />

von 7 f 30 x bewilligt. Der Brunnen<br />

an der Kirche fungierte demnach als Viehtränke,<br />

wurde allerdings aufgegeben, weil<br />

das Wasser durch die Nähe zu den Gräbern<br />

auf dem Friedhof kontaminiert sei<br />

und den Pferden nicht gut bekomme.<br />

Der Brunnen vor der Kirche<br />

3. Brunnen an der Ecke Brettacher<br />

Straße/Mittlere Straße<br />

Dieser Brunnen stand an der Ecke Brettacher<br />

Straße/Mittlere Straße (vor der ehemaligen<br />

Wagnerwerkstatt Rüber, der heutigen Bäckereifi<br />

liale Discher; die Mittlere Straße hieß<br />

früher Obere Gasse). Auf alten Fotos erkennt<br />

man ihn als einen Pumpbrunnen, der<br />

auf einem steinernen Sockel steht. Es wird<br />

berichtet, dass in der Sammelwanne unterhalb<br />

dieses Brunnens ein unbeaufsichtigtes<br />

Mädchen ertrunken sei.<br />

Der Brunnen vor der ehemaligen Wagnerwerkstatt<br />

Rüber Ecke Brettacher Straße/<br />

Mittlere Straße


Da er seit Jahren nicht mehr benutzt<br />

wurde und beim Bau des Gehweges störte,<br />

wurde der Brunnen nach dem Gemeinderatsbeschluss<br />

vom 17. Juni 1966 2 kurzerhand<br />

entsorgt. Der Brunnenschacht wurde<br />

abgedeckt, um eventuell eine spätere, erneute<br />

Inbetriebnahme zu ermöglichen.<br />

Heute ist an seinem Standort noch ein<br />

großer Kanaldeckel sichtbar. Über seine<br />

Entstehung lässt sich Folgendes aus den<br />

entsprechenden Einträgen in die Gemeindeprotokolle<br />

entnehmen:<br />

30. März 1835<br />

Wegen Wassermangels beschließen Gemeinderat<br />

und Bürgerausschuss, einen<br />

weiteren Brunnen herstellen zu lassen.<br />

Dem Brunnenmacher Kayser aus Kochendorf<br />

werden 88 Gulden für seine Errichtung3<br />

in Aussicht gestellt:<br />

– Schachtarbeiten von 20 Fuß x 6 Fuß<br />

– Ausmauern des Brunnens auf „4 Schu<br />

im Licht”<br />

– Installation des „Pumpper nebst Teichel<br />

nebst Zubehör […] und zwar mit einem<br />

kupfernen Stiefel, 5 Pfund schwer, einen<br />

eisernen Schwängel […] im Gewicht auf<br />

70 Pfund […]”<br />

Es wird vereinbart, dass die Gemeinde für<br />

den Transport des Materials von Kochendorf<br />

Sorge tragen wird. Außerdem stellt<br />

die Gemeinde die benötigten Steine und<br />

zwei Handfrohner zur Verfügung.<br />

Als absehbar wird, dass „hinlänglich Wasser”<br />

aus dem fertiggestellten Brunnen<br />

läuft, beschließt man „eine zweite bumppen<br />

in besagten Brunnen sezen zu lassen.”<br />

Hierfür werden Meister Kayser weitere 38<br />

Gulden zugesagt. In einer Abstreichverhandlung<br />

erhält Christian Hermann den<br />

Auftrag, sämtliches Material gegen einen<br />

Lohn von 2 f 42 x aus Kochendorf heranzufahren.<br />

4. Brunnen beim Gasthaus<br />

„Brunnen stüble”<br />

Dieser Brunnen stand einige Meter unterhalb<br />

auf der Gegenseite, in etwa an der<br />

Der Brunnen beim heutigen Gasthaus<br />

„Brunnenstüble“ (links vorne im Bild erkennbar<br />

ein Teil des Rohrbrunnens)<br />

Stelle, wo sich heute eine Replik des Brunnens<br />

befi ndet, der dem Gasthaus seinen<br />

Namen gab. In einer Sitzung am 19. November<br />

1982 sprach sich der Gemeinderat<br />

für die Herstellung des Brunnens, und<br />

zwar in der Rundbrunnenvariante, aus.<br />

Die Installation sollte auf einem ca. 60 cm<br />

hohen Sockel erfolgen. Auf dem alten<br />

Foto ist der ehemalige Brunnen vor der<br />

großen Scheuer rechts zu erkennen; links<br />

im Vordergrund erkennbar die Brüstungsmauer<br />

des Rohrbrunnens beim Backhaus.<br />

An Stelle der alten Scheuer steht heute<br />

die Lagerhalle des Restaurants „Brunnenstüble”.<br />

Davor der neue Brunnen.<br />

Der neue Brunnen vor dem Gasthaus „Brunnenstüble“<br />

135


136<br />

Der Rohrbrunnen (links im Bild) vor dem Back-, Wasch- und Armenhaus auf einer<br />

alten Postkartenansicht<br />

5. Rohrbrunnen beim Backhaus<br />

Dieser Brunnen war als 3-strahliger Rohrbrunnen<br />

ausgeführt und ständig in Betrieb,<br />

stand er doch direkt vor dem Backhaus.<br />

Er besaß eine Einfassung mit einem<br />

Abgang. Um aus dem Brunnen zu schöpfen,<br />

musste man nämlich Stufen nach unten<br />

steigen.<br />

Die Arbeiten zu diesem Bauwerk waren in<br />

einer Akkordierung im Jahre 1827 öff entlich<br />

vergeben worden, den Zuschlag erhielten<br />

damals Michael und Leonhard<br />

Stahl. Ihr Auftrag war es, den untern<br />

Bronnen wieder ganz neu zu machen [und<br />

zwar die] Ruhebank 5 Schu lang u. 4 Schu<br />

breit ² mit 2 Sta eln und einer ‘Schildmauer<br />

samt der Brüstung’ (Auszug aus<br />

dem Gemeinderatsprotokoll vom 13. August<br />

1827): 4<br />

Ein Eintrag ins Gemeinderatsprotokoll<br />

vom 19. Mai 1841 lässt aufhorchen:<br />

Da die Brüstungssteine, bey der am<br />

Rohrbrunnen befi ndlichen Mauer in Ab-<br />

gang gekommen, so wurde gemeinderathl.<br />

beschlossen dieselbe zu ergänzen<br />

[…]<br />

Die Spuren dieses Diebstahls waren bis<br />

Anfang August 1841 getilgt:<br />

Endlich wurden die zum Rohrbrunnen<br />

erforderliche Brüstungs Steine<br />

verabstreicht und nach gefertigter<br />

Arbeit der Länge nach gemessen<br />

Gefordert wurde pr. Schu 6 x<br />

und hat als wenigstnehmender erhalten<br />

August Hermann pr. Schu für 3 x<br />

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges diente<br />

der Rohrbrunnen der Trinkwasserversorgung<br />

der Bevölkerung, außerdem wurden<br />

z. B. Milchkannen vor Ort gereinigt. Bedenken<br />

bezüglich der Hygiene kamen<br />

nicht auf, hatte doch eine Analyse von<br />

Wasserproben (4. Mai 1946) beruhigende<br />

Ergebnisse erbracht: „Das Wasser der im<br />

Ortsetter gefassten Quelle ist hart (21,67°<br />

DH), […] sein Nitrat- und Chloridgehalt ist<br />

etwas hoch; […] es ist für den menschli-


chen Genuss als einwandfrei zu bezeichnen.”<br />

Bis 1957 gab es keine Beanstandungen<br />

der Wasserqualität des Rohrbrunnens,<br />

erste Verunreinigungen traten im Folgejahr<br />

auf, die man aber in den Griff bekam.<br />

Die Trinkwasseruntersuchung des Jahres<br />

1959 erbrachte lediglich eine geringe Verunreinigung,<br />

die zu vernachlässigen war,<br />

zumal ein neu angebrachtes Schild davon<br />

kündete, dass es sich nicht um Trinkwasser<br />

handelte. Damit konnte man in der Folgezeit<br />

gut auskommen. Probleme traten erst<br />

mit der Trinkwasseruntersuchung des<br />

Staatlichen Gesundheitsamtes Heilbronn<br />

im Jahre 1965 auf; die Analyse erbrachte<br />

starke Verunreinigungen, die gründliche<br />

Reinigung und Desinfektion des Brunnens<br />

wurde angeordnet. 5 Auch im nächsten<br />

Jahr wurde eine Chlorung durchgeführt.<br />

Am 6. Juli 1963 wurde der Gemeinderat<br />

davon in Kenntnis gesetzt, dass die Schüttung<br />

des Brunnens durch die Kanalisation<br />

der Hauptstraße völlig unterbrochen worden<br />

war. Ein Wünschelrutengänger aus<br />

Neckarsulm stellte daraufhin fest, dass der<br />

Rohrbrunnen aus der Quellader im Pfarrgarten<br />

gespeist worden war. Auf Wunsch<br />

der Bevölkerung sollte der Brunnen am<br />

Backhaus auch weiterhin Bestand haben.<br />

Das Wasserwirtschaftsamt schlug daraufhin<br />

vor, einen Zulauf oberhalb des Rathauses<br />

zu erschließen und die stetige<br />

Schüttung durch den Einbau einer Unterwasserpumpe<br />

zu gewährleisten. Dies gelang<br />

auf Dauer jedoch nicht, der Brunnen<br />

„schüttete“ immer weniger Wasser, so dass<br />

man im September 1972 vorschlug, ihn<br />

außer Betrieb zu setzen und aufzufüllen,<br />

um keinen Müllablagerungsplatz entstehen<br />

zu lassen.<br />

6. Brunnen in der Kieshofstraße<br />

Der Brunnen befand sich außerhalb des<br />

Dorfes in der heutigen Kieshofstraße. Ursprünglich<br />

stand er auf freiem Feld; mit<br />

Brunnen in der heutigen Kieshofstraße<br />

der Errichtung von Gebäuden kauften die<br />

Anlieger von der Gemeinde einen Streifen<br />

vor dem Haus, und so gelangte der Brunnen<br />

in ihren Besitz. Heute steht der Brunnen<br />

im Vorgarten Kieshofstraße Nr. 7.<br />

Die Wartung der Brunnen oblag einem Akkordanten,<br />

dem die Arbeiten in einer öffentlichen<br />

Versteigerung auf jeweils sechs<br />

Jahre gegen ein festgelegtes Entgeld übertragen<br />

wurden. Hierbei musste er sich verpfl<br />

ichten, alle schadhaften Materialien auf<br />

eigene Kosten zu ersetzen, einen Schaden<br />

binnen 24 Stunden zu beheben und auch<br />

die entstehenden Kosten für andere Fachleute,<br />

wie z. B. den Schmied, aus eigener<br />

Tasche zu bezahlen. In einer Abstreichverhandlung<br />

(11. Mai 1855) sicherte sich der<br />

hiesige Zimmermann Johannes Däuble gegen<br />

einen Konkurrenten aus Neuenstadt<br />

den Auftrag für 21 Gulden pro Jahr. 6<br />

Privatbrunnen<br />

Bereits in unserer Dorfchronik (1626) lesen<br />

wir von mindestens vier Brunnen, die<br />

sich in Privathand befanden, und von de-<br />

137


138<br />

nen einer als Wasserspender für Feuereinsätze<br />

diente. Die Richtung Kiefertal gelegene<br />

Flur „Erbelbrunnen” dürfte ihren<br />

Namen von der dort gelegenen Quelle erhalten<br />

haben. Die Chronik berichtet weiter<br />

davon, dass namentlich genannte<br />

Grundstückseigentümer verpfl ichtet waren,<br />

ihre Wasserstellen instand zu halten.<br />

Auch sollte Oberfl ächenwasser, das gelegentlich<br />

bei Starkregen auftrat, durch die<br />

Herstellung von Gräben vom Oberdorf<br />

ferngehalten werden.<br />

oben: Der Pfarrgarten in früherer Zeit, direkt<br />

vor dem Pfarrhaus, hinter einer Hecke<br />

versteckt, der Brunnen<br />

unten: Der Brunnen vor dem Pfarrhaus in<br />

heutiger Zeit<br />

Die Gemeinderatsprotolle aus dem 19.<br />

Jahrhundert erwähnen mitunter nachbarschaftliche<br />

Streitigkeiten wegen der Wasserentnahme<br />

in den Hinterhöfen; wir können<br />

also davon ausgehen, dass zumindest<br />

einige Einwohner eine eigene Wasserversorgung<br />

hatten, u. a. der Pfarrer, E. Birk, E.<br />

Mayer. Natürlich war das Pumpen und<br />

Herbeischaff en von Trink- und Brauchwasser<br />

für die Haushalte beschwerlich,<br />

und so wird ihre Versorgung per Druckleitung<br />

besonders der damaligen Hausfrau<br />

als Segen vorgekommen sein.<br />

Wasserversorgung nach 1910<br />

Im Februar 1911 werden Pläne veröff entlicht,<br />

durch einen Kooperationsvertrag 7<br />

mit der Nachbargemeinde Brettach die<br />

Versorgung von <strong>Cleversulzbach</strong> mit Wasser<br />

auf Dauer sicherzustellen. Brettach hatte<br />

im Spätjahr 1910 „eine zentrale Wasserversorgung<br />

unter Heranziehung der etwa<br />

3 km östlich vom Ort im Gewand ‘Luzenbrunnen’<br />

entspringenden Quellen zur Ausführung<br />

gebracht.” Das Wasser fl oss so<br />

reichlich, dass neben der 1.150 zählenden<br />

Brettacher Bevölkerung auch die 550 <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

8 versorgt werden konnten.<br />

Darüber hinaus sollten in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

„für Feuerlöschzwecke 19 Hydranten vorgesehen”<br />

werden. Der Vertrag sah vor, dass<br />

alle notwendigen Aufwendungen für den<br />

Anschluss an die bereits bestehende Anlage<br />

in Brettach von <strong>Cleversulzbach</strong> zu<br />

tragen waren. Die entsprechenden Arbeiten<br />

(Behälterbau, Rohrlegungen, Hausanschlüsse<br />

usw.) im Gesamtvolumen von<br />

32.260 Mark wurden an die Firma Wilhelm<br />

Alber in Feuerbach vergeben.<br />

Der Lageplan verdeutlicht den Verlauf der<br />

Rohrleitungen vom Hochbehälter auf dem<br />

Föhrenberg ins Dorf. Auch die Hydranten<br />

sind eingezeichnet.<br />

Die Bauzeichnung des Hochbehälters enthält<br />

auch Angaben über das Gesamtvolumen<br />

des Wasserspeichers.


Plan über den Verlauf der Rohrleitungen vom Hochbehälter auf dem Föhrenberg ins Dorf<br />

Plan vom Hochbehälter<br />

139


140<br />

Die Wasserversorgung in der zweiten<br />

Hälfte des 20. Jahrhunderts –<br />

Alternativen mit Nachteilen<br />

Die Wasserversorgung der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Haushalte war nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg nicht mehr gewährleistet, „da<br />

die Gemeinde von Brettach her kein Wasser<br />

mehr bekam.” 9 Waren es Lieferengpässe,<br />

die extreme Trockenheit im Sommer<br />

1947 oder Folgeschäden am Leitungssystem<br />

durch Kriegseinwirkung – die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

sahen sich trotz des am 3. April<br />

1911 mit Brettach geschlossenen Vertrags<br />

mit dem Problem konfrontiert, dass sie<br />

nicht mehr ausreichend mit Trinkwasser<br />

versorgt wurden.<br />

Im Jahre 1948 wurde deshalb in den Wiesen<br />

im Hagenach unterhalb des „Föhrenbergs”<br />

eine Quelle erschlossen, deren Wasser<br />

– wie sich zum Leidwesen aller Ortsansässigen<br />

herausstellen sollte – mit einem<br />

Härtegrad von 86 DG 10 auf Dauer nicht zumutbar<br />

war. Die Wasseranalysewerte, die<br />

von der Firma Cillichemie, Heilbronn, für<br />

Proben aus der Pumpstation und Haus Nr.<br />

5 (Eberstadter Straße) vorgelegt wurden,<br />

waren wenig vertrauenerweckend:<br />

Der Ergebnisbericht konstatierte leicht aggressive<br />

Eigenschaften des Wassers, das<br />

möglicherweise Eisen aus den Röhren lösen<br />

könne. Eine Entsäuerung des Wassers<br />

kam wegen der hohen Härtegrade nicht in<br />

Frage. Das Wasser schmeckte in abgekochtem<br />

Zustand bitter. Eine Anfrage bei<br />

der Chemischen Untersuchungsanstalt<br />

Heil bronn bezüglich dieses Umstandes<br />

hatte bereits 1949 erbracht, dass der außerordentlich<br />

hohe Härtegrad des Wassers<br />

auf den ungewöhnlichen Gehalt an Gips<br />

und Magnesiumsulfat zurückzuführen sei.<br />

Durch Abkochen könnten lediglich 20<br />

Prozent der Härtebildner entfernt werden.<br />

Immerhin war die Bevölkerung durch den<br />

Zusatz einigermaßen beruhigt, dass das<br />

Wasser den Charakter eines Mineralwassers<br />

habe und abführend wirke 11 .<br />

Das Thema Wasserversorgung hatte sich<br />

zu einem vorrangigen Problem entwickelt,<br />

zumal das Förderpotential der<br />

Pumpstation mit 60–70 cbm Wasser bei<br />

einem Bedarf der Gemeinde von 60 cbm<br />

quasi ausgereizt war. Auf Empfehlung<br />

des staatlichen Gesundheitsamtes wurde<br />

die Vedewa 12 1967 beauftragt, im Gewann<br />

„Stadtschreiber“ „eine Bohrung auf<br />

etwa 20 Meter in den dort anstehenden<br />

Lettenkeuper abteufen zu lassen.” Gegen<br />

diese projektierte Bohrung zur Erschließung<br />

von Trinkwasser erhob Neuenstadt<br />

Einwendungen (Bürgermeister Keppler,<br />

26. Januar 1967), da erst zwei Jahre zuvor<br />

in geringem Abstand von der projektierten<br />

Bohrstelle ein Brunnen angelegt<br />

worden war und man nun einen Rückgang<br />

der Schüttung befürchtete. Trotz<br />

dieser Bedenken betrieb <strong>Cleversulzbach</strong><br />

die Bohrung im „Stadtschreiber“.<br />

Zu einer Auseinandersetzung mit Neuenstadt<br />

kam es allerdings nicht, da die Bohrproben<br />

der Firma Mennig, Heilbronn, nicht<br />

das erhoff te Ergebnis zeitigten. Die Schüttung<br />

der Quelle war zu gering, und so<br />

wurde das Bohrloch wieder eingefüllt. 13<br />

Daraufhin wurde eine zweite Bohrung –<br />

diesmal im Sulzbachtal – ins Auge gefasst.<br />

Auf Parzelle 1739 („Untere Gärten“,<br />

Grundstück H. Schön) wurde man bei 35<br />

Meter fündig, Wasserdurchfl uss (0,5 Sek./<br />

Liter) und -qualität (40,9 Härtegrad und<br />

0,8 Eisen) ließen jedoch zu wünschen übrig.<br />

Deshalb nahm Bürgermeister Nef erneut<br />

Kontakt zur Vedewa auf, indem er<br />

noch einmal auf die Dringlichkeit von<br />

weiteren Maßnahmen verwies, weil die<br />

Wasserqualität der zwei bestehenden<br />

Quel len im Nordosten <strong>Cleversulzbach</strong>s äußerst<br />

schlecht war („dem Verbraucher zum<br />

Trinken, Kochen und Waschen nicht mehr<br />

zuzumuten”).<br />

Im Zuge der Drainierung des Sulzbachtals<br />

richtete sich das Augenmerk nunmehr auf<br />

die Gewanne „Kirschenbaumwiesen“ und


„Erbelbrunnen“ in südlicher Ortslage<br />

(12.12.1969 Bl. 395). Im Gewann „Erbelbrunnen“<br />

konnte man auf das Vorhandensein<br />

einer Quelle mit kontinuierlicher<br />

Schüttung zurückgreifen, die den Feld-<br />

und Waldarbeitern schon über Jahrhunderte<br />

hinweg gute Dienste geleistet<br />

hatte 14 .<br />

Lange Jahre nach der ursprünglichen Fassung<br />

der Quelle sollte nun mit<br />

der Erstellung der Abschlusswerke TBW<br />

„Erbelbrunnen I + II” die Versorgung <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />

mit Trinkwasser endgültig<br />

gesichert werden. 15<br />

Plan für die Quellfassungen im „Erbelbrunnen“, Anfang der 1970er Jahre<br />

141


142<br />

Um den entsprechenden Druck auf die<br />

angeschlossenen Wasserleitungen der<br />

Haushalte zu erreichen, sollte ein neuer<br />

Hochbehälter auf dem Föhrenberg gebaut<br />

werden. Betroff en von dieser Maßnahme<br />

waren die Eigentümer der Parzellen 5007–<br />

5009, sowie evtl. 1584, 1585/1 und<br />

1585/2. Alle Eigentümer verweigerten ihr<br />

Einverständnis zur Errichtung des Hoch-<br />

1 Aus: Dienstanweisung für Straßenwärter 1881 (CA 181).<br />

2 Vgl. hierzu wie auch für die folgenden Brunnen die entsprechenden<br />

Gemeinderatsprotokolle der Jahre (1972–<br />

1985).<br />

3 Größe und Art der Schachtarbeiten lassen vermuten, dass<br />

es sich um den Brunnen Nr. 3 handelt.<br />

4 CR 278<br />

5 CA 368<br />

6 CB 21 S. 137<br />

7 CB 32, 17. März 1911<br />

8 Nach dem Staatshandbuch von 1907<br />

9 Gemeinderatsprotokoll (Bl. 181) vom 22. März 1967<br />

behälters auf ihren Grundstücken. Heute<br />

ist die Wasserversorgung im Verbund mit<br />

Neuenstadt gesichert. Der sich auf Neuenstadter<br />

Gemarkung im Gewann „Schänzle“<br />

befi ndende Hochbehälter, welcher zum<br />

Teil auch aus dem „Erbelbrunnen“ gespeist<br />

und mit Bodenseewasser angereichert<br />

wird, sorgt für ausreichenden Druck.<br />

10 Vor allem zurückzuführen auf den hohen Gehalt an ausgewaschenem<br />

Calciumsulfat (= Gips).<br />

11 Zu ähnlichen Bewertungen kamen diverse Analyselabore<br />

in den Jahren 1946 und 1948: „Wasser sehr hart, hygienisch<br />

jedoch einwandfrei; nicht zu beanstanden.“<br />

12 Vereinigung der Wasserversorgungsverbände und Gemeinden<br />

mit Wasserwerken e.V. Stuttgart.<br />

13 1. Okober 1969<br />

14 Dem Wasser des alten Erbelbrunnens war am 4. Mai 1968<br />

vom Mittelbadischen Wasserlabor bescheinigt worden, es<br />

sei „in hygienischer Hinsicht … als Trinkwasser nicht zu<br />

beanstanden.“<br />

15 Baugesuch vom 29. November 1971


Straßen und Verkehrswege<br />

Von alters her wurden Wege und Straßen<br />

in Kategorien eingeteilt: So unterschied<br />

man zunächst zwischen Feldwegen, Etterstraßen<br />

1 , Vicinalstraßen 2 . Mit Zunahme<br />

des Verkehrs und Ausbau des Verkehrsnetzes<br />

kamen später Kreisstraßen, Landstraßen,<br />

Bundesstraßen und Autobahnen<br />

hinzu. Bereits in unserer Dorfchronik von<br />

1626 werden Straßen benannt:<br />

[…] hat es zwischen Jacob Schä ers /<br />

Wittwe und Hans Lumppen Hofgut einen /<br />

gemeinen versteinten Fahrweg, durch die /<br />

Fladengassen hindurch bis auf Claus Bauren<br />

/ und Burkhardt Schwenzers Äckern.<br />

[…] Im Hirtengäßlin 3 hat es einen versteinten<br />

Fahrweg / zwischen Conrad Kerns<br />

und Jacob Schäfers Krautgärten.<br />

Weitere Straßennamen erfahren wir an<br />

dieser Stelle nicht, ein Umstand, der die<br />

Fladengasse (heute: Fladenstraße) zur ältesten<br />

namentlich genannten Ortsstraße<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>s macht.<br />

Es tauchen in der Chronik weitere Wegenamen<br />

auf – Beutinger Weg, Im Bronnen,<br />

Weinsbergweg – doch dies sind keine Etterstraßen,<br />

sondern Feldwege. Insgesamt<br />

wurden die Wege off enbar nach ihrer Art<br />

(Fuhr- und Fahrweg, versteinter Weg,<br />

Trieb- und Fahrweg) und den jeweiligen<br />

Anliegern gekennzeichnet (s.o.). Ein Blick<br />

auf die so genannte Urkarte – angelegt<br />

1834 von dem Geometer Klaus – eröff net<br />

uns erstmals amtlich gesicherte Informationen<br />

über Verlauf und Benennung der<br />

Straßen in unserer Gemeinde. Natürlich<br />

sind nach 1834 weitere amtliche Karten 4<br />

unseres Gemeindegebietes angefertigt<br />

worden; im Zuge der zahlreichen Flurbereinigungen,<br />

Angleichungen und Gebietstausch<br />

mit Nachbargemeinden war dies<br />

dringend geboten. Es bleibt jedoch festzustellen,<br />

dass bis in die Neuzeit jede<br />

weitere Karte auf den Daten der Urkarte<br />

basierte.<br />

Ortsstraßen<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> war ein kleiner Flecken,<br />

das Lagerbuch von 1545 nennt 20 Häuser.<br />

Ein im Nachlass von Helmut Braun gefundenes<br />

Manuskript spricht für die Zeit des<br />

Dreißigjährigen Krieges davon, dass „14<br />

der 31 Häuser abbrennen, die Kirche stark<br />

beschädigt, alles geplündert [ist].“ 5 Anfang<br />

des 19. Jahrhunderts dürfen wir mit insgesamt<br />

etwa 100 Gebäuden (Scheuern<br />

usw. mitgezählt) rechnen. Folglich fi ndet<br />

sich auf der Ortskarte (1834) kaum ein<br />

Dutzend Straßen. Leicht zu merken waren<br />

ihre offi ziellen Namen: Ortsweg 1–11,<br />

hinzu kam noch der so genannte „Graben“,<br />

die heutige Seestraße. Bemerkenswert<br />

ist der Verlauf der Straße Richtung<br />

Brettach, die nicht wie heute beim Backhaus<br />

nach links abknickt, sondern weiterlief<br />

und erst dann nach links in den „Graben“<br />

abbog. An der Brücke endete die Bebauung.<br />

Auch der Ortsweg Nr. 1 (Neuenstadter<br />

Straße) war kurz, er endete nach<br />

dem Pfarrhaus. Nicht anders sah es Richtung<br />

Eberstadt aus. Beim Schafhaus (südliches<br />

Nachbarschaftsgebäude der Kelter)<br />

war der Ortsausgang, das Brechhaus mit<br />

den beiden Darren (heute etwa auf Höhe<br />

Familie Bürger) befand sich bereits außerhalb<br />

der Dorfgrenzen.<br />

Wie muss man sich nun die Beschaff enheit<br />

der Straßen im Ort vorstellen? Entgegen<br />

der landläufi gen Meinung, die Straßen<br />

seien naturbelassene, bestenfalls mit<br />

Kandeln eingefasste Wege gewesen, legt<br />

eine so genannte Akkordverhandlung vom<br />

11. April 1807 einen anderen Sachverhalt<br />

nahe: Vor dem Stabamt gibt der Amtmann<br />

zu Protokoll, dass man das „sehr<br />

schadhafte und löcherigte Pfl aster in hiesigem<br />

Dorff vor 2 Jahren an einem Stük<br />

zu repariren angefangen“, dass aber „das<br />

noch übrige verdorbene Pfl aster gegen<br />

der Kelter hinaus vollends aufzubrechen<br />

143


144<br />

und durch einen tüchtigen Pfl astermeister<br />

wieder versehen“ werden müsse. Einen<br />

solchen Experten fand man im Verlauf einer<br />

Abstreichverhandlung in Meister Kächele<br />

von Weinsberg, der sich gegen einen<br />

Lohn von 4 Gulden pro Rute erbot, „solche<br />

Pfl asterarbeit biß nächst Johannis vor der<br />

Heuet zu vollenden […], wogegen dem<br />

Pfl asterer tägl. die benöthigte Handfrohner<br />

zugegeben werden.“ Bei diesen Pfl asterarbeiten<br />

wird es sich wohl um die Reparatur<br />

der so genannten Rollierung 6 gehandelt<br />

haben, denn ein Kopfsteinpfl aster<br />

gab es im Ort nicht.<br />

25 Jahre später musste derselbe Abschnitt<br />

erneut ausgebessert werden, nämlich von<br />

„der oberen Gasse vom Zugbronnen bis<br />

zum Schafhaus, accordirt mit Carl Bauer<br />

Pfl asterer von Nekarsulm, und wurde<br />

demselben für die 10 schühige Ruthe versprochen<br />

per Rth. à 2 f 24 x auch taglich<br />

einen Handfrohner dazu zu geben“.<br />

Auf „mehrseitige Klagen über schlechte<br />

Wege in den unteren Gassen“ (also von<br />

der Wette herauf bis zum Pfl aster, das<br />

schon hergestellt worden war), aber auch<br />

in der Fladengasse, beschließt<br />

der Gemeinderat am 25. November<br />

1839, diese „12 Ruten<br />

16 Fuß lang und 12 Fuß breit<br />

u. 1 Fuß hoch mit Sandstein<br />

geschlagen herzustellen.“<br />

Auch von der Chaussee gegen<br />

Brettach – „zunächst dem Ort,<br />

zwischen den beiden brüklen“, also am<br />

Ortsende – ist noch ein Distrikt von 9 ½<br />

Ruten, 16 Fuß breit mit Sandsteinen und 1<br />

Beschläg von blauen Steinen herzustellen.<br />

Aus späteren Protokollen ist weiterhin zu<br />

entnehmen, dass das Straßenpfl aster immer<br />

wieder mit Schotter abgedeckt wurde (z. B.<br />

Reparaturversuche durch Pfl astermeister<br />

Schilling von Neuenstadt April 1850).<br />

Ab 1882 wurde die Visitation der Etterstraßen<br />

jährlich durchgeführt, und zwar<br />

mit Aufl istung aller Beanstandungen und<br />

der Auff orderung unter Strafandrohung<br />

an die betroff enen Gebäudeinhaber, eventuelle<br />

Missstände umgehend abzustellen.<br />

Hier ergab z. B. die Beurteilung der Ortsstraße<br />

Richtung Eberstadt dringenden<br />

Handlungsbedarf in Form einer „vollständigen<br />

Überkiesung“, die unbedingt durchzuführen<br />

sei. Mit Ausnahme der Visitation<br />

1892 fand Oberstraßenmeister Sihler aus<br />

Neuenstadt den Zustand der Straßen jedoch<br />

gut bis befriedigend. Sorge bereiteten<br />

ihm allerdings immer wieder die Straßenkandel,<br />

die nur allzu oft verstopft waren,<br />

so dass der Ablauf von Oberfl ächenwasser<br />

bei Starkregen nicht gewährleistet<br />

war. Gelegentlich rügte Sihler den Umstand,<br />

dass Anwohner die Kandel mit Holz<br />

u. Ä. belegten, was dazu führte, dass Polizeidiener<br />

Lumpp angewiesen wurde, umgehend<br />

für Abhilfe zu sorgen.<br />

Sihler bemängelte in Einzelfällen, machte<br />

aber auch Verbesserungsvorschläge wie im<br />

Falle der „Grabenüberbrückung zu dem<br />

Garten des Gottlieb Müller,“ die so hoch<br />

gelegt wird, „daß das Grabenwasser regelrecht<br />

abfl ießen kann.“<br />

Vorschlag einer Grabenüberbrückung durch<br />

Oberstraßenmeister Siehler<br />

Bei der oben erwähnten Visitation vom 8.<br />

Juli 1892 wurde auch festgestellt, dass das<br />

Beschotterungsmaterial auf der Etterstraße<br />

so weit abgetragen sei, dass an verschiedenen<br />

cbm [Kubikmeter?] Schotter<br />

auf die Hauptstraßen aufzubringen. Außerdem<br />

sollten folgende Maßnahmen bis<br />

zum 15. August 1892 durchgeführt werden:


1. der Überfahrtskandel beim Kirchbrunnen<br />

2. die Neuanlage eines Straßenkandels bei<br />

der Restauration von Jung 10 m lang<br />

bei Johann Walter 7 m lang<br />

3. die Reparatur des Straßenkandels<br />

von Karl Gebhard 33 m lang<br />

bis zum Kirchbrunnen<br />

von Kaufmann Erhardt 20 m lang<br />

bis zum Rathaus<br />

von Gottlob Herrmann bis 30 m lang<br />

zum Backhausbronnen<br />

4. verschiedene kleinere Reparaturen von<br />

versunkenen Straßen- und Überfahrtskandeln<br />

Namensliste mit 20 Einwohnern von <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />

die Mängel vor ihren Häusern zu<br />

beseitigen hatten.<br />

Für Aufregung unter den betroff enen Bürgern<br />

dürfte die folgende Liste gesorgt haben:<br />

Zwanzig Anwohner mussten durch<br />

ihre Unterschrift attestieren, dass sie die<br />

festgestellten Mängel vor ihrem Haus sofort<br />

abzustellen bereit waren. Dies betraf<br />

u. a. die Beseitigung von Unrat, die Abdeckung<br />

von Wasserlöchern bis hin zur ordnungsgemäßen<br />

Herstellung der „Dunglege“.<br />

Schultheiß Kögel unterstrich mit<br />

seiner Unterschrift die Dringlichkeit der<br />

Anordnung, während Gemeinderat G.<br />

Lumpp später die Abstellung der Defekte<br />

meldete.<br />

Genaue Vorschriften gab es auch für die<br />

ordnungsgemäße Anlage einer Dunggrube<br />

neben der Straße. Dabei war off enbar die<br />

Abgrenzung zum Kandel besonders wich-<br />

Konstruktionszeichnung zur ordnungsgemäßen<br />

Anlage einer Dunggrube<br />

145


146<br />

tig. Hier musste zunächst eine Betonfassung<br />

von mindestens 40 cm Höhe ausgeführt<br />

werden, die einer Verbretterung von<br />

weiteren 60 cm Höhe als Fundament<br />

diente.<br />

Tieferlegung der Straße vor dem<br />

Pfarrhaus (1861) 7<br />

Im März 1861 wird dem <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Gemeinderat ein Kostenvoranschlag für<br />

die projektierte Verbesserung der Ortsstraße<br />

Richtung Neuenstadt (ca. 560 Fuß)<br />

in Gesamthöhe von 324 Gulden 6 Kreuzer<br />

vorgelegt. Das Projekt war zwischen Gemeinde<br />

einerseits und Kameralamt, Pfarrei<br />

und Königlichem Oberamt strittig, weshalb<br />

es zu ständigen Verzögerungen bei<br />

der Umsetzung kam. Aus einem Brief, den<br />

Oberamtswegmeister Eberle am 27. Dezember<br />

1864 an das Königliche Oberamt<br />

Neckarsulm schreibt, geht hervor, dass die<br />

Straße nach Neuenstadt zwischen Pfarrscheune<br />

und Hohle unbedingt tiefer gelegt<br />

werden müsse. Zwar sei die Straße<br />

durch Beseitigung einer Hecke, die bis zu<br />

zwei Meter in den Fahrweg hineingewachsen<br />

sei, erheblich verbreitert worden,<br />

jedoch werde der gewonnene Platz für die<br />

Ablagerung von Holz benutzt. Diesem<br />

Missstand sei nur zu begegnen, wenn man<br />

einen Kandel bei gleichzeitiger Tieferlegung<br />

der Straße einrichte.<br />

Das Oberamt hat zwar gegen den Bau eines<br />

Kandels nichts einzuwenden, verbietet<br />

aber vehement die Tieferlegung der Neuenstädter<br />

Straße 8 . An anderer Stelle erfahren<br />

wir den Grund für diese ablehnende<br />

Haltung: Schon im Vorfeld der Auseinandersetzung<br />

hatte das Kameralamt<br />

Neuenstadt darauf hingewiesen 9 , dass „die<br />

an dem Pfarrhause daselbst vorüberziehende<br />

Etterstraße, welche schon vor einigen<br />

Jahren dort so sehr abgehoben<br />

wurde“, nicht noch einmal um 1½ bis 2<br />

Fuß abgesenkt werden könne, da sonst die<br />

Einfahrt in den Pfarrhof und die Pfarr-<br />

scheuer – zur Zeit ohnehin schon äußerst<br />

erschwert – unmöglich gemacht würde.<br />

Außerdem sei die Steigung der Straße<br />

ganz unbedeutend.<br />

Wie der langjährige Streit ausging, lässt<br />

sich aus den entsprechenden Gemeinderatsprotokollen<br />

nicht herauslesen. Wir gehen<br />

jedoch davon aus, dass der von Eberle<br />

angeforderte „höhere Techniker“, Baurat<br />

Dünger aus Heilbronn, das Projekt abschlägig<br />

beschieden hat. Jedenfalls ist von<br />

einem äußerst aufwändigen „Unterfangen<br />

der Fundamentmauern“ der Pfarrscheuer,<br />

wie dies ein weiteres Absenken der Straße<br />

erfordert hätte, nie die Rede gewesen. Unsere<br />

Annahme wird auch dadurch gestützt,<br />

dass das Bürgermeisteramt im Oktober<br />

1966 – also über 100 Jahre nach der<br />

oben erwähnten Planung – die Evangelische<br />

Kirchengemeinde <strong>Cleversulzbach</strong><br />

auff ordert, das durch die nunmehr durchgeführte<br />

Tieferlegung der Neuenstädter<br />

Straße in einen baufälligen Zustand geratene<br />

Scheunengebäude entweder zu sanieren<br />

oder abzureißen. 10<br />

Die Eberstädter Straße Mitte der 1950er<br />

Jahre; der Zustand von Kandel und Straße<br />

ist deutlich zu erkennen.


Modernisierung der Ortsstraßen<br />

1966 war das Jahr, das für <strong>Cleversulzbach</strong><br />

den Ausbau der Ortsdurchfahrt mit sich<br />

brachte. In einem Schreiben an das Landratsamt<br />

Heilbronn legt der Neuenstädter<br />

Verwaltungsaktuar nochmals den Zustand<br />

der Verkehrsstraßen im Ort dar:<br />

Die Ortsdurchfahrt <strong>Cleversulzbach</strong> hatte<br />

in ihrem alten Zustand eine durchschnittliche<br />

Breite von rd. 5 m. Sie war beidseitig<br />

mit Kandeln versehen. Im Abstand zwischen<br />

1–2 m neben den Kandeln standen<br />

die Häuser. Die Flächen zwischen Kandel<br />

und Hauswand wurden seit alters her als<br />

Gehweg benutzt und seitens der Gemeinde<br />

beschottert. 11<br />

Auch der Heilbronner Stimme war im Vorfeld<br />

der Planungsarbeiten der schlechte<br />

Zustand der Ortsdurchfahrt eine Notiz<br />

wert:<br />

Weitere Straßenbauarbeiten ausgeschrieben<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> (HSt). Vielleicht wird es<br />

doch noch wahr, daß einer der größten<br />

Wünsche der <strong>Cleversulzbach</strong>er Bürger<br />

und vieler Durchfahrender bald erfüllt<br />

wird, nämlich der Ausbau der Ortsdurchfahrt<br />

im Zuge der Kreisstraßen<br />

360/362 auf einer Länge von 1,345 Kilometern.<br />

Das Straßenbauamt Heilbronn<br />

hat für den Landkreis Heilbronn<br />

diese Arbeiten jetzt ö entlich ausgeschrieben.<br />

[…] 12<br />

Durch die Arbeiten – ab 22. November<br />

1965 geplant, dann auf Januar 1966 verschoben<br />

– mussten diverse „verkehrspolizeiliche<br />

Anordnungen getroff en“ werden,<br />

u. a. die Sperrung der Straßen für den<br />

Durchgangsverkehr auf fast ein halbes<br />

Jahr. 13<br />

Im Anschluss an die Teerung der stärker<br />

frequentierten Straßen ging man 1966 an<br />

den Ausbau von Nebenstraßen im Ort. Die<br />

Kieshofstraße, Langenäckerstraße 14 und<br />

Kirchstraße (heute: Turmhahnstraße) sollten<br />

einen Asphaltbelag erhalten, auf den<br />

Ausbau der entsprechenden Gehwege allerdings<br />

sollte aus Kostengründen verzichtet<br />

werden 15 , Gehwege auf Höhe Bauernhof<br />

Bürger (Eberstädter Straße) und Friedhof<br />

waren jedoch unverzichtbar und wurden<br />

eingeplant. Der Auftrag ging an die<br />

Firma Rudolf Krebs, Kochersteinsfeld 16 .<br />

Der Ausbau der Ortsstraßen konnte Mitte<br />

1969 von Arbeitern der Firma Ellwanger<br />

zum Abschluss gebracht werden. Diese erhielten<br />

wegen tadelloser Ausführung ihres<br />

Auftrages aus der Gemeindekasse jeweils<br />

DM 8,— als Anerkennung! 17<br />

Landstraßen<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> war durch seine abgeschiedene<br />

Lage schon immer in besonderem<br />

Maße auf seine Verbindungswege zu<br />

den Nachbargemeinden angewiesen. Die<br />

so genannten Vicinalwege (Nr. 1 nach<br />

Neuenstadt, Nr. 2 nach Brettach und Nr. 6<br />

nach Eberstadt, wobei letzterer ursprünglich<br />

einen ganz anderen Verlauf hatte als<br />

die heutige K 2007), unterstanden dem<br />

Straßenwegemeisteramt in Neuenstadt,<br />

für ihre Unterhaltung hatte allerdings die<br />

Gemeinde zu sorgen.<br />

Der Vicinalweg Nr. 1 war als Chaussee<br />

ausgeführt, z. T. von Fruchtbäumen gesäumt<br />

18 – kurz nach Ortsausgang soll sich<br />

lange Zeit eine erhöhte Bank befunden<br />

haben, auf der ankommende Bauern ausruhen<br />

oder ihre Tragegestelle zurechtrücken<br />

konnten –, und er dürfte einen ähnlichen<br />

Verlauf genommen haben wie die<br />

heutige K 2007. Wer zu Fuß nach Neuenstadt<br />

wollte, z. B. zum sonntäglichen Besuch<br />

der Helmbundkirche, wird wohl die<br />

Abkürzung genommen haben, den Feldweg<br />

Nr. 2, der folglich auch unter der Bezeichnung<br />

„Kirrweg“ bekannt wurde und<br />

einem Gewann, durch das er lief, seinen<br />

Namen gab.<br />

147


148<br />

Der Vicinalweg nach Brettach<br />

Schon im Jahr 1841 waren für die Vicinalstraße<br />

nach Brettach 250 Roßlasten Steine<br />

angefahren und teilweise verarbeitet worden.<br />

Die Gemeinde versuchte, im Folgejahr<br />

weiteren Aufl agen des Königlichen Wegemeisters<br />

nachzukommen. Aus einem Eintrag<br />

ins Wegmeisterbuch (30. März 1842)<br />

erfahren wir, dass Wegmeister Hertrich bei<br />

einer Visitation die Planie nach Brettach<br />

zwar in weitgehend intaktem Zustand<br />

vorgefunden hatte. Allerdings bemängelte<br />

er die erwähnten, noch unverarbeiteten<br />

Steine vor Ort, und am Beginn der<br />

Brettacher Markung sei die rechte Straßenseite<br />

abgesunken. Deshalb wurden<br />

Ausbesserungsarbeiten durch Straßenerhöhung<br />

binnen 30 Tagen („Mathäus Feiertag“)<br />

anbefohlen; gleichzeitig sollte die<br />

Straße um 6 Zoll auf insgesamt 16 Fuß erweitert<br />

und die vorhandenen „Tholen“<br />

ausgesäubert werden. „Außerdem muß die<br />

Straße 14 Zoll hoch von Sandstein sodenn<br />

mit blauen Steinen überworfen werden,<br />

so daß keine Sandsteine zu sehen sind.“<br />

Im Abstreichverfahren wurden die Arbeiten<br />

an Teilstücken von jeweils 5 Ruthen<br />

von interessierten Bietern ersteigert. Der<br />

zu erwartende Arbeitsaufwand war auch<br />

diesmal erheblich: Transport der Steine<br />

vom hiesigen Steinbruch; Legen, Schlagen,<br />

Gräben ziehen und Herstellung von<br />

Nebenwegen. Zudem arbeitete man unter<br />

Zeitdruck: der Transport der Steine durfte<br />

keineswegs unterbrochen werden („die<br />

Steinbrecher dürfen das Führen der Steine<br />

nicht mangeln lassen“). 19<br />

Die Straße nach Eberstadt<br />

Die verkehrstechnische Anbindung <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />

in südlicher Richtung war wegen<br />

des Höhenzugs zwischen unserem<br />

Dorf und Eberstadt von alters her außerordentlich<br />

dürftig. Der Weg nach Heilbronn<br />

führte einen Wanderer einen knappen Kilometer<br />

südlich aus dem Dorf, bei der heu-<br />

tigen BAB-Unterführung bog er leicht<br />

nach links bis zum Waldrand, und dann<br />

führte er oberhalb der heutigen K 2007<br />

ziemlich geradeaus, vorbei am alten Steinbruch<br />

bis zur „Abgebrannten Eiche“, wobei<br />

durchgängig über 16 Prozent Steigung zu<br />

meistern waren. Es leuchtet ein, dass ein<br />

beladenes Fuhrwerk ohne Vorspann – besonders<br />

bei matschigem Untergrund – diesen<br />

Anstieg nicht leisten konnte 20 . So wird<br />

es schon zu Mörikes Zeiten ein Herzenswunsch<br />

der <strong>Cleversulzbach</strong>er gewesen<br />

sein, durch eine neue Straße den Weg in<br />

südlicher Richtung etwas weniger anstrengend<br />

und gefahrvoll zu gestalten.<br />

Mitte 1889 hatte der Gemeinderat eine<br />

Geländebegehung vorgenommen und<br />

Oberamtsstraßenmeister Sihler um ein<br />

entsprechendes Gutachten gebeten. Etwas<br />

blauäugig sah man in <strong>Cleversulzbach</strong> dem<br />

baldigen Beginn der Bauarbeiten an der<br />

neuen Trasse entgegen, auch weil auf „hiesiger<br />

Markung der Erwerb von fremdem<br />

Eigentum nicht notwendig“ sei 21 . Sihler<br />

erwartete auf der Länge der „Correction“<br />

von 2000 Metern keine baulichen Schwierigkeiten.<br />

Auch die Baukosten – so der<br />

Fachmann – seien mit 9 Mk pro laufenden<br />

Meter überschaubar, zumal der Staat in<br />

der Regel ein Drittel der Kosten übernahm,<br />

wenn das Maximalgefälle nicht größer war<br />

als sechs Prozent. Wie Sihler diese Steigung<br />

auf einer Länge von nur zwei Kilomentern<br />

einhalten wollte, blieb sein Geheimnis<br />

– heute jedenfalls hat die Trasse<br />

etwa zehn Prozent Steigung. Bei einer Gestehungssumme<br />

von insgesamt 18.000 Mk<br />

rechnete man mit einem Kostenvolumen<br />

für die Gemeinde von 8.800 Mk. 22<br />

Über diese Vorbereitungen informierte<br />

man den Ortschaftsrat in Eberstadt in einem<br />

Schreiben (24. August 1889), um die<br />

baldige Übernahme der Anschlussarbeiten<br />

auf Eberstädter Markung durch die Gremien<br />

der Nachbargemeinde anzuregen.<br />

Eberstadt signalisierte zunächst Bereit-


Streckenführung der alten und der neuen Straße nach Eberstadt, 1898<br />

Beim Brechen<br />

der für den<br />

Unterhalt der<br />

Feldwege<br />

benötigten Steine. Aufgenommen wurde das Bild Mitte der 1950er Jahre im oberen Steinbruch,<br />

direkt bei der projektierten Strecke, kurz vor der „Abgebrannten Eiche“.<br />

149


150<br />

schaft zur Kooperation, jedoch formierte<br />

sich in der Folgezeit laut Schultheiß Klenk<br />

erheblicher Widerstand gegen das Projekt,<br />

und der dortige Gemeinderat nahm über<br />

Jahre hinweg eine äußerst hinhaltende<br />

Position ein, die weder eine Intervention<br />

durch Pfarrer Harr 23 noch die dringende<br />

Empfehlung des Oberamts Neckarsulm<br />

aufweichen konnten. So schrieb Klenk am<br />

30. August 1897 an das Königliche Oberamt<br />

Weinsberg, er sehe keine Aussicht<br />

„nach der Stimmung hier auf Durchbringung<br />

des Straßenprojektes <strong>Cleversulzbach</strong><br />

– Eberstadt“.<br />

Zwischen den Oberämtern Weinsberg,<br />

Neckarsulm und den betroff enen Gemeinden<br />

kochte in der Folgezeit ein regelrechter<br />

Streit hoch. Auch der Hinweis<br />

auf die sich bietende Gelegenheit, der<br />

„verhagelten Bevölkerung“ 24 Arbeitsmöglichkeiten<br />

durch die „Correction des StraßenzugsHeilbronn–Weinsberg–Eberstadt–<strong>Cleversulzbach</strong>“<br />

zu bieten, fruchtete<br />

nicht – Eberstadt blieb hart. Man<br />

scheute die Kosten und bezweifelte den<br />

Nutzen einer ausgebauten Verbindungsstraße<br />

zum nördlichen Nachbarn 25 .<br />

So dauerte es neun Jahre, bis 1898 ein Lageplan<br />

und Längsprofi l der projektierten<br />

„Straßencorrection“ erstellt werden<br />

konnte und der Baubeginn in greifbare<br />

Nähe rückte. Der im Folgenden dargestellte<br />

Plan verdeutlicht den unteren Teil<br />

der Streckenführung der alten und der<br />

neuen Straße nach Eberstadt.<br />

Straßenbeschilderung und<br />

Gebäudenummerierung<br />

Die Urkarte von <strong>Cleversulzbach</strong> (1834) differenziert<br />

die Straßen nicht nach Namen,<br />

sondern zählt die Ortswege kurzerhand<br />

durch (Ortsweg 1–11); lediglich die heutige<br />

Seestraße wird „Graben“ genannt. Natürlich<br />

werden die einzelnen Dorfstraßen im<br />

täglichen Sprachgebrauch der Ortsansässigen<br />

mit Namen bezeichnet worden sein.<br />

Dies lässt auch die Dorfchronik (1626) vermuten,<br />

die einzelne Straßennamen aufführt<br />

(vgl. hierzu das Kapitel „Straßen in<br />

der Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong>“).<br />

Im Frühjahr 1808 wurden auf königlichen<br />

Befehl alle Gebäude im Ort besichtigt und<br />

eingeschätzt. Für dieses „beschwerliche<br />

Geschäft“ erhielten „die hierzu aufgestellte<br />

und beaidigte Bauschauer und Taxatoren“<br />

jeweils 2 Gulden und 45 Kreuzer:<br />

Bürgermeister David Lumpp, Mauerer<br />

Martin Stahl, Zimmermann Zeyer und Gebäudeschätzer<br />

Vögele hatten insgesamt<br />

vier Tage damit zugebracht. Die Aufnahme<br />

und Anzeichnung der Nummerierung<br />

wurde von Amtsaktuar Pfeilstiker (3 f) und<br />

Maurermstr. Stahl nebst seinem Sohn (2 f<br />

45 x) durchgeführt. 26<br />

Der folgende Auszug aus den Gemeinderatsprotokollen<br />

von 1810 27 zeigt, dass<br />

nunmehr auch Wegweiser im Ort aufgestellt<br />

wurden, die Ortsfremden die Richtung<br />

nach den Nachbargemeinden anzeigen<br />

sollten.<br />

Vor Gericht 12. Dez. 1810<br />

Da zu folge allerhöchster Verordnung,<br />

auf der hiesigen Markung 4 Wegweiser<br />

aufzuführen sind, so wurde mit<br />

den Zimmerleuthen Christoph Wiedmann<br />

und Valentin Zeier der Akkord<br />

dahin getro en daß selbige gegen Erhaltung<br />

des hiezu benötigten Holzes<br />

von der Commun, diese 4 Wegweiser<br />

mit tüchtigen Stöken versehen, ferttigen<br />

und eingraben überhaupt tüchtig<br />

und dauerhaft herstellen.<br />

Ende des Jahres 1834 forderte der Maurer<br />

Ch. M. Stahl von der Gemeinde für geleistete<br />

Arbeiten 4 f 12 x. Er hatte „vor die<br />

Common die Nummro an den Häusern angenagelt,<br />

ferner die Thäfelein angestrichen<br />

u. die Nummro darauf geschrieben.“<br />

Arbeitszeit, Material („Bleyweiß, Frankfurter<br />

Schwarz“) und Stemmarbeiten an der


Kelter brachten seine Forderung auf 3 f<br />

32 x, Maurerarbeiten „in dem Auffl uß an<br />

der Wette“ erhöhten den Betrag um 40<br />

x 28. . Einen Monat später reichte Friedrich<br />

Elsässer aus Neuenstadt eine Rechnung<br />

für gelieferte Nummerntafeln ein 29 :<br />

Neuenstadt den 17. Januar 1835<br />

Rechnung von Friedrich Elsaesser<br />

Sattler und Tapezier<br />

für Wohllöbliche Gemeinde-Pfl ege Cl.<br />

Sulzbach<br />

13. Oct. 1834<br />

Neunzig Stük blecherne gelblakirte<br />

Hauß-Nummern a 6 x<br />

300 Stük verzinnte<br />

9 f<br />

¾ zöllige Nägel 14 x 42<br />

Summe<br />

Den Empfang bescheint<br />

mit höfl ichstem Dank<br />

J.F. Ellsaesser<br />

9 f 42<br />

Decredirt zu 9 f 42<br />

Aus den Gemeinderatsprotokollen um das<br />

Jahr 1893 30 lässt sich folgender Bestand<br />

an Ortsstraßen ablesen:<br />

Brettacher Straße<br />

Seegasse<br />

Haupstraße<br />

Untere Gasse<br />

Mittlere Gasse<br />

Anordnung<br />

zur Herstellung<br />

von<br />

Wegweisertafeln<br />

Eberstädter Straße<br />

Neuenstädter Straße<br />

Hintere Gasse<br />

Im Jahre 1909 fi ndet sich der Eintrag31 ,<br />

dass bei der Abzweigung der Nachbarschaftsstraßen<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> bei der<br />

Kirche jede Wegbezeichnung [fehlt]. Eine<br />

solche ist unbedingt erforderlich u. es<br />

können die Wegweisertafeln von Eichenholz<br />

an dem bei der Straßenabzweigung<br />

stehenden Laternenstock angeschraubt<br />

werden.<br />

Die Entfernungen betragen für<br />

Neuenstadt 3,7 km<br />

Eberstadt 6,4 km<br />

Brettach 2,8 km<br />

Schon in den Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts<br />

hatte es strikte Anweisungen<br />

durch die Oberämter gegeben, wie die<br />

Stöcke und Hinweistafeln beschaff en sein<br />

sollten und welche Materialien zu verwenden<br />

waren:<br />

[Es] sollte nur feinstes Bleiweiß oder<br />

Kremmnitzweiß in altem gereinigtem<br />

Mohnöl abgerieben verwendet u. bei der<br />

rothen Farbe zum grundiren Mennig ohne<br />

Bleimischung von Englischroth oder<br />

Hausroth genommen werden. […] Die<br />

Schrift ist die einfache lateinische in der<br />

seither vorgeschriebenen Form u. Größe,<br />

151


152<br />

jedoch mit Weglaßung aller überfl üssigen<br />

Schnörkel. […] Im Übrigen bleibt es bei<br />

der dißfälligen Vorschrift der Verordnung,<br />

vom 9. Sept. 1825, wornach das nächste<br />

Dorf u. der nächste bedeutende Ort anzuschreiben<br />

sind. 32<br />

Im Jahre 1961 wurde vom Landesvermessungsamt<br />

die Ortsvermessung zur Herstel-<br />

lung der durch Kriegseinwirkung vernichteten<br />

Vermessungsakten durchgeführt. Im<br />

Zuge dieser Arbeiten konnte auch die Umbenennung<br />

der Ortsstraßennamen und<br />

Nummerierung der Gebäude kostenneutral<br />

vorgenommen werden. Die vom Gemeinderat<br />

genehmigte Liste der neuen<br />

Straßennamen 33 liest sich wie folgt:<br />

Neue Bezeichnung Lokalisierung<br />

Hauptstraße O.W.5 vom Haus Nr. 25 und 92<br />

bis<br />

Haus Nr. 53 und Flst. 79 einschließlich O.W.4<br />

Eberstädter Straße O.W.1 von der Kirche<br />

bis<br />

Ortsende<br />

Neuenstädter Straße Vic.W.1 von der Kirche<br />

bis<br />

Ortsende<br />

Kirchstraße O.W.2 von der Kirche<br />

bis<br />

Ortsende<br />

Hohlstraße O.W.3 Beginn von Vic.W.1<br />

bis<br />

O.W.4<br />

Brettacher Straße O.W.4 bei Gebäude 37<br />

bis<br />

Flst. 1381 (Teile von O.W.3 und Vic.W.2)<br />

Fladenstraße F.W.11 von der Brettacher Straße<br />

bis<br />

Ortsende<br />

Mittlere Straße O.W.6 von der Hauptstraße<br />

bis<br />

F.W.17<br />

Untere Straße O.W.7 von der Hauptstraße<br />

bis<br />

F.W.17<br />

Seestraße O.W.9 und Teil vom O.W.5<br />

bis<br />

Ortsende Geb. 60<br />

Kelterweg F.W.17 von der Eberstädter Straße<br />

bis<br />

Ortsende<br />

Kieshofstraße F.W.14 von der Brettacher Straße<br />

bis<br />

Ortsende


Bei der Eingemeindung wurden einige<br />

Straßen in <strong>Cleversulzbach</strong> umbenannt, um<br />

Dubletten mit anderen Teilorten zu vermeiden.<br />

So wurde aus der „Hauptstraße“<br />

die „Brettacher Straße“, aus der „Kirchstraße“<br />

die „Turmhahnstraße“ und aus der<br />

„Schillerstraße“ die „Hartlaubstraße“.<br />

Im Zuge der dreistufi gen Erschließung eines<br />

Neubaugebietes im östlichen Teil des<br />

Dorfes (Flur „Nebenweg“) kam es zwangsweise<br />

zur Neuanlage von Straßen. Man<br />

entschied sich im Wesentlichen für die<br />

Namen herausragender Persönlichkeiten. 34<br />

1 Etter (auch Öder): urspr. Zaun, Süddt. für umzäuntes<br />

Dorfgebiet.<br />

2 Vicinalstraße: Nachbarschaftsstraße, also Verbindung<br />

zwischen zwei Nachbardörfern.<br />

3 Heute: Turmhahnstraße<br />

4 Ab 1818 wurde Württemberg nach neuesten wissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen vermessen; diese Arbeit wurde<br />

von so genannten Geometern ausgeführt und war sehr<br />

zeit- und kostenaufwendig.<br />

5 Dieses unveröff entlichte Manuskript wurde anlässlich des<br />

400-jährigen Bestehens der evangelischen Kirchengemeinde<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> erstellt von Herrn Helmut Braun<br />

(1992).<br />

6 Eine Art kapillarbrechender Unterbau, aufgebaut aus Lagen<br />

verschiedener Lehm- und Gesteinssorten. Zu den Seiten<br />

hin war die Fahrbahndecke abgerundet, so dass das<br />

Oberfl ächenwasser schnell in die seitlichen Regenrinnen<br />

abfl ießen konnte. Funktion der Konstruktion war es, die<br />

Straße stabil und wetterfest zu halten.<br />

7 CA 181<br />

8 29. Dezember 1864<br />

9 9. Dezember 1864<br />

10 Auch das Landratsamt Heilbronn weist in einem Schreiben<br />

(24. Oktober 1966 – CA 430) auf die Dringlichkeit einer<br />

Entscheidung hin: „Die Unterkante des Gebäudefundamentes<br />

liegt durch die Tieferlegung der Strasse ca. 50 cm<br />

höher als die Gehwegoberkante. [Es] besteht die Gefahr,<br />

daß Setzungen auftreten und Teile des Gebäudes einstürzen.“<br />

11 CA 461 (Datierung unleserlich, vermutlich 24. September<br />

1968).<br />

12 Heilbronner Stimme, 2. September 1965<br />

13 CA 461 – Landratsamt Heilbronn Nr. VI/3705<br />

14 Diese Straße wurde auf Antrag der Anwohner umbenannt<br />

in Schillerstraße.<br />

15 CB 33, Bl. 131<br />

16 CB 33, Bl. 138<br />

17 CB 33, Bl. 362, 10. Juli 1969<br />

Dass übrigens auch im alten Ortskern einmal<br />

eine neue Straße geplant war, dürfte<br />

sich auch alteingesessenen Bewohnern als<br />

bislang unbekanntes Kuriosum darstellen:<br />

So war eine Verbindungsstraße zwischen<br />

dem oberen Ende der Hohlstraße und der<br />

Fladenstraße, welche die Bezeichnung<br />

Herrmannstraße erhalten sollte, vorgesehen<br />

(1935) – wohl zu Ehren von Bürgermeister<br />

Herrmann, der damals schon auf<br />

eine langjährige Dienstzeit zurückblicken<br />

konnte. Zu einer Umsetzung des Planes<br />

kam es bekanntlicherweise nicht.<br />

18 Eine Vorschrift regelte genau die lichte Höhe eines Baumes<br />

über der Fahrbahn (4 Meter) und über dem Gehweg<br />

(2,3 Meter). Vgl. Schreiben der Königlichen Straßenbauinspektion<br />

Heilbronn an die Schultheißenämter vom 2. Januar<br />

1911.<br />

19 CB 18, S. 2 und 31b<br />

20 Vgl. dazu den Situationsplan auf den nächsten Seiten.<br />

21 CB 28, 26. September 1889. Es sollte sich später herausstellen,<br />

dass die Gemeinde „im Loch“ einen Privatacker<br />

(Parzelle 2669/1) des Christian Seebold für die Streckenführung<br />

hinzukaufen musste (CA 183 Auszug aus dem<br />

Kaufbuch Bd. XVIII vom 16. Februar 1898).<br />

22 Laut Statut war die Amtskörperschaft zur Zahlung von 1<br />

M 60 pro laufenden Meter Baulänge verpfl ichtet, also<br />

3.200 Mk.<br />

23 17. August 1897!<br />

24 Möglicherweise nimmt diese Bemerkung Bezug auf das<br />

Hagelunwetter vom 16. Juli 1882, dessen fi nanzielle Auswirkungen<br />

den umliegenden Gemeinden noch Jahre zu<br />

schaff en machten. Am 1. Juli 1897 kam es übrigens zu<br />

einem Hagelschlag, wie es ihn seit Beginn der statistischen<br />

Aufzeichnungen noch nicht gegeben hatte. <strong>Cleversulzbach</strong><br />

war hiervon besonders betroff en.<br />

25 Auszüge aus den Protokollen des Eberstädter Gemeinderats<br />

(1889/1892/1897) zeugen von der ablehnenden Haltung<br />

der Nachbargemeinde.<br />

26 CB 11 S. 268<br />

27 CB 12<br />

28 CR 281 Bl. 192<br />

29 CR 281 Bl. 191<br />

30 CB 158<br />

31 CB 170, S. 43<br />

32 CB 9 S. 50b<br />

33 CB 38, S. 42 ff .<br />

34 Eine ausführliche Darstellung dieser Thematik fi ndet sich<br />

in: Gessner/Schwan: <strong>Cleversulzbach</strong> und seine Straßen.<br />

2010.<br />

153


154<br />

Transport und Verkehr<br />

Das Reisen und Transportieren von Waren<br />

war bis weit in das 19. Jahrhundert ein<br />

beschwerliches Unternehmen. Pferdekutschen,<br />

Ochsenkarren und Handwagen waren<br />

lange Zeit die einzigen Transportmöglichkeiten.<br />

Wer es sich leisten konnte, besaß privat<br />

eine Pferdekutsche. So hatte der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Pfarrer Johann Gottlieb<br />

Franckh (Amtszeit 1799 bis 1805) eine<br />

Chaise genannte Kutsche, mit der seine<br />

Frau Louise, eine Schwester Friedrich<br />

Schillers, mehrmals ihre Mutter zu Besuchen<br />

von Leonberg nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />

abholte; zuletzt im Februar 1802, als die<br />

Mutter schon sehr krank war und schließlich<br />

am 29. April 1802 starb und in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

beerdigt wurde.<br />

Einspännige zweisitzige Kutsche (Chaise),<br />

wie sie wohl Pfarrer Franckh besessen hat<br />

Knapp 40 Jahre später unternahm Pfarrer<br />

Eduard Mörike (Amtszeit 1834 bis 1843)<br />

mit seinem Bruder Ludwig eine vierwöchige<br />

Reise in die Schweiz. Der Bruder<br />

hatte dafür extra ein einspänniges Gefährt<br />

samt Pferd gekauft, mit dem sie im<br />

September 1840 eine erlebnisreiche Reise<br />

über Ulm, Lindau, Bregenz, Konstanz bis<br />

nach Schaff hausen unternahmen. Diese<br />

Kutsche dürfte wohl etwas bequemer als<br />

die von Pfarrer Franckh gewesen sein,<br />

vielleicht sogar vierrädrig.<br />

Von Eduard Mörike stammt auch die Novelle<br />

„Mozart auf der Reise nach Prag“, in<br />

der ausführlich über die Freuden, aber<br />

auch Leiden einer längeren Kutschfahrt<br />

berichtet wird, die Wolfgang Amadeus<br />

Mozart mit seiner Frau Constanze 1787<br />

zur Urauff ührung seiner Oper „Don Giovanni“<br />

von Wien nach Prag unternommen<br />

hatte.<br />

„Mozart auf der Reise nach Prag“, Scherenschnitt<br />

von Hedwig Goller<br />

Postkutschen<br />

Die Zeit der Postkutschen wird heute oft<br />

romantisch verklärt gesehen; immerhin<br />

haben sie fast 300 Jahre für den Reise-<br />

und Postverkehr gesorgt, und wenn auch<br />

anfangs noch sehr beschwerlich und<br />

mühsam, wurden die Postkutschen mit<br />

der Zeit durch Federung und gepolsterte<br />

Sitze immer bequemer und mit zunehmendem<br />

Straßenbau, den Chausseen, das<br />

Reisen mit ihnen ständig komfortabler.<br />

Die Postkutschen wurden meistens von<br />

zwei, vier oder auch sechs Pferden gezogen,<br />

die nach bestimmten Wegstrecken in<br />

der Posthalterei gewechselt wurden. Der<br />

Postillon signalisierte mit dem Posthorn<br />

bereits im Voraus mit festgelegten Signalen<br />

die Zahl der Pferde und Wägen.<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> als kleines Dorf, lag außerhalb<br />

der damaligen Postrouten, doch das<br />

Nachbarstädtchen Neuenstadt war durch<br />

Verbindungen über Heilbronn nach Stutt-


gart, über Öhringen nach Schwäbisch Hall<br />

und über Mergentheim nach Würzburg<br />

verkehrstechnisch gut erschlossen. Die<br />

Posthalterei befand sich zunächst im<br />

Gasthaus „Stern“. Hier konnten die Fahrgäste<br />

während des Pferdewechsels speisen<br />

und, wenn nötig, auch übernachten. Später<br />

wurde die Post und damit auch die<br />

Poststation in das Gebäude des Kameralamtes<br />

(Türnizbau) verlegt.<br />

Wer von <strong>Cleversulzbach</strong> aus verreisen<br />

Postwagen vor dem Kameralamtsgebäude in Neuenstadt (um 1912)<br />

wollte oder musste, dem stand von Neuenstadt<br />

aus also sozusagen die Welt offen.<br />

Den Weg dorthin musste man dafür<br />

in Kauf nehmen.<br />

Daneben gab es noch die Möglichkeit,<br />

mit Mietdroschken kürzere Strecken zu<br />

fahren (unseren heutigen Taxis entsprechend).<br />

Doch waren diese eher in größeren<br />

Städten anzutreff en, z. B. die bekannten<br />

Fiaker in Wien. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />

musste man dafür wohl den einen oder<br />

anderen Bauern fragen, der ein Pferde-<br />

oder Ochsengespann hatte.<br />

Kraftpost<br />

Ab 1905 löste die Kraftpost die traditionsreichen<br />

Postkutschen ab. Mit der Kraftpost<br />

setzte die Post den bewährten kombinierten<br />

Personen- und Posttransport fort; jetzt<br />

aber mit motorisch angetriebenen Postbussen,<br />

die alle gelb gestrichen waren.<br />

(Ausnahme während des Nationalsozialismus,<br />

als sie von 1934 bis 1945 rot waren).<br />

Schon bald gab es Pläne für eine Kraftpostverbindung<br />

zwischen Neuenstadt am<br />

Kocher und Öhringen, in die später auch<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> und Brettach eingebunden<br />

werden sollten. Für <strong>Cleversulzbach</strong> bewarb<br />

sich der Gemeinderat<br />

mit einer<br />

Bitte vom<br />

September 1920<br />

an die Post, den<br />

Ort an eine der<br />

Kraftpostlinen anzuschließen,<br />

und<br />

führte mehrere<br />

Gründe dafür an:<br />

Schon längst ist<br />

der Wunsch der<br />

hiesigen Bevölkerung<br />

und ein dringendes<br />

Bedürfnis,<br />

den hiesigen Ort<br />

mit einer fahrenden<br />

Post zu verbinden.<br />

Einesteils<br />

spricht der Paketverkehr dafür, da alle Pakete<br />

oft tagelang auf dem Postamt in<br />

Neuenstadt lagern, wenn sich keine Gelegenheit<br />

zum Abholen bietet, oder wenn<br />

sie nicht durch einen Extraboten, was in<br />

der gegenwärtigen Zeit sehr hoch zu stehen<br />

kommt, abgeholt werden. Andernfalls<br />

wird der hiesige historische Platz sehr viel<br />

besucht, insbesondere in neuester Zeit<br />

durch die Gründung des Schiller- und<br />

Mörikevereins, so dass diesen Besuchern<br />

eine Fahrgelegenheit von und zu der<br />

Bahnstation gescha en werden könnte. 1<br />

Doch die Umsetzung der Pläne sollte noch<br />

etliche Jahre dauern. So mussten die Straßen<br />

zwischen Neuenstadt und Cleversulz-<br />

155


156<br />

bach sowie von dort nach Brettach verbreitert<br />

und instand gesetzt werden. Am<br />

Endpunkt Neuenstadt musste eine Unterkunftshalle<br />

für den Postkraftwagen unentgeltlich<br />

zur Verfügung gestellt und für<br />

eine Wohnung des Kraftwagenführers gesorgt<br />

werden. Am Endpunkt Öhringen<br />

mussten zwei zusätzliche Wagenstände an<br />

den Kraftwagenschuppen angebaut sowie<br />

ein gesicherter Treiböllagerraum eingerichtet<br />

werden. Nachdem diese erforderlichen<br />

Maßnahmen Ende 1925/Anfang<br />

1926 abgeschlossen waren, teilte die<br />

Oberpostdirektion Stuttgart den beteiligten<br />

Oberämtern mit, dass die Kraftpostlinie<br />

Neuenstadt–Öhringen am 1. Mai 1926<br />

eröff net wird.<br />

An den für das Oberamt Öhringen entstandenen<br />

Kosten für Schuppen und Benzinlagerraum<br />

von 8.600 M musste sich das<br />

Oberamt Neckarsulm vertraglich mit 40<br />

Prozent, das entspricht 3.440 M, beteiligen.<br />

Die Hälfte davon wiederum wurde den drei<br />

Gemeinden auferlegt, wobei Neuenstadt<br />

und <strong>Cleversulzbach</strong> je 344 M und Brettach<br />

1.032 M zu zahlen hatten.<br />

Die Kraftpost, später Postomnibus oder<br />

kurz Bus genannt, bediente <strong>Cleversulzbach</strong><br />

über lange Zeit zweimal am Tag,<br />

morgens und abends. Im Kriegsjahr 1941<br />

wurden die Abendfahrten montags und<br />

samstags wegen Dieselknappheit eingestellt.<br />

Kurze Zeit darauf wurde auch das<br />

Flüssiggas knapp, und deswegen wurde im<br />

Dezember 1941 der Betrieb der Kraftpost<br />

an Sonn- und Feiertagen stillgelegt. Nach<br />

dem Krieg wurde die Omnibuslinie Öhringen–Neuenstadt<br />

über Brettach und <strong>Cleversulzbach</strong><br />

wieder durch die Post aufgenommen.<br />

Daneben wurden auch private<br />

Omnibuslinien, so genannte Kraftdroschken,<br />

zugelassen, die Personen gegen Entgelt<br />

befördern durften, aber außerhalb<br />

des Fahrplans der Kraftpost.<br />

Auf vielfachen Wunsch der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Bevölkerung wurde Anfang der<br />

1950er Jahre mittwochs und samstags zusätzlich<br />

ein Mittagsbus eingesetzt, damit<br />

die Hausfrauen Gelegenheit hatten, in<br />

Neuenstadt einzukaufen. Diese Möglichkeit<br />

wurde off enbar nicht ausreichend genutzt;<br />

denn im November 1952 wurde<br />

dieser Mittagsbus wieder eingestellt.<br />

oben: Kraftpost 1925; unten: Kraftpost 1955<br />

In den späteren Jahren wurden die Fahrpläne<br />

immer besser abgestimmt, so dass<br />

der Berufs- und insbesondere auch der<br />

Schülerverkehr von und nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />

geregelt war. Im Jahre 1985 stellte<br />

die Deutsche Bundespost den Betrieb der<br />

Postbusse ein. Von den Kommunen geförderte<br />

Unternehmen übernahmen die Linien<br />

und sorgten für eine Fortsetzung der<br />

nötigen Verkehrsanbindungen.


Eisenbahn<br />

Als im Dezember 1835 in Deutschland die<br />

erste Eisenbahnstrecke von Nürnberg nach<br />

Fürth (6 km) eingeweiht wurde, und der<br />

Zug mit neun Wagen und der Lokomotive<br />

„Adler“ mit der damals unglaublichen Geschwindigkeit<br />

von über 20km / Stunde die<br />

Strecke entlang fuhr, warnten noch manche<br />

Ärzte vor solchen Geschwindigkeiten,<br />

weil der Körper dafür nicht geeignet sei.<br />

Doch wie wir alle wissen, trat das Gegenteil<br />

ein. Sehr bald wurden in Deutschland<br />

weitere Eisenbahnstrecken eröff net, so<br />

zwischen Leipzig und Dresden (1837), Berlin<br />

und Potsdam (1838), München und<br />

Augsburg (1839).<br />

In Württemberg begann das Eisenbahnzeitalter<br />

1845 mit der Strecke Bruchsal –<br />

Friedrichshafen über Stuttgart und Ulm.<br />

Im Jahre 1846 folgte die Anbindung von<br />

Ludwigsburg und Esslingen an Stuttgart.<br />

Für Neuenstadt am Kocher gab es um<br />

1860 Hoff nungen, an das Netz der geplanten<br />

Kocherbahn Heilbronn – Hall angeschlossen<br />

zu werden. Doch gelang es<br />

damals den Orten im Weinsberger Tal und<br />

der Stadt Heilbronn, eine südlichere<br />

Route über Weinsberg unter Umgehung<br />

von Neckarsulm und Neuenstadt durchzusetzen.<br />

Dafür wurde der aufwändige<br />

Bau des Weinsberger Tunnels in Kauf genommen.<br />

Die Strecke wurde 1869 eröff -<br />

net und führte von Heilbronn über Weinsberg,<br />

Öhringen, Schwäbisch Hall bis<br />

Crailsheim.<br />

Neue Hoff nung gab es für Neuenstadt, als<br />

in den 1890er Jahren private Unternehmen<br />

die Konzessionen zum Bau von Eisenbahnen<br />

erhielten. Die in dieser Zeit entstandene<br />

Württembergische Eisenbahn-<br />

Gesellschaft (WEG) übernahm die Planung<br />

einer Stichbahn von Jagstfeld über Kochendorf,<br />

Oedheim, Degmarn und Kochertürn<br />

nach Neuenstadt am Kocher. Die betroff<br />

enen Gemeinden mussten sich an den<br />

Kosten beteiligen. Auch <strong>Cleversulzbach</strong><br />

wurde um einen angemessenen Beitrag<br />

gebeten. In der Gemeinderatssitzung vom<br />

15. Januar 1901 wurde beschlossen, einen<br />

einmaligen Beitrag von 2.000 Mark zu bewilligen,<br />

weil der Eisenbahnbau doch in<br />

absehbarer Zeit einen großen Nutzen für<br />

die hiesige Gemeinde bringe und die dargebotene<br />

Gelegenheit nicht von der Hand<br />

zu weisen sei.<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> wäre auch zu einer weiteren<br />

Zahlung von 500 Mark bereit gewesen,<br />

wenn, wie es in einem Antrag vom<br />

Februar 1906 hieß, der Bahnhof in Neuenstadt<br />

auf der südlichen Seite vom sogenannten<br />

Heilbronner Gäßle (Mühläcker)<br />

erstellt würde und bei der Fortsetzung der<br />

Bahn, sei es im Kocher- oder Brettachtal<br />

die Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong> derart berücksichtigt<br />

würde, dass etwa bei der sogenannten<br />

Helmbundkirche eine Haltestelle<br />

für die Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong> errichtet<br />

würde.<br />

Dieser Wunsch wurde aber nicht erfüllt.<br />

Stattdessen wurde der Bahnhof etwas<br />

weiter nördlich gebaut, wohl aber wurde<br />

an der von <strong>Cleversulzbach</strong> angesprochen<br />

Stelle für den Bahnhof ein zusätzlicher<br />

Haltepunkt errichtet.<br />

Nach neunjähriger Planungs- und Bauzeit<br />

konnte die Nebenbahn Jagstfeld–Neuenstadt<br />

am Kocher am 15. September 1907<br />

feierlich eröff net werden. Schon bei Baubeginn<br />

hatten sich die Gemeinden Gochsen,<br />

Kochersteinsfeld, Möglingen und<br />

Ohrnberg für eine Verlängerung der Strecke<br />

erfolgreich beworben und erreicht,<br />

dass nach zweijähriger Bauzeit am 1. August<br />

1913 die Gesamtstrecke eröff net<br />

werden konnte.<br />

Die Bahnstrecke verhalf den anliegenden<br />

Gemeinden zu einem bedeutenden wirtschaftlichen<br />

Aufschwung. Auch die Bürger<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>s nutzten zunehmend diese<br />

neue Transportmöglichkeit und nahmen<br />

den Marsch oder die Fahrt zum Bahnhof<br />

nach Neuenstadt in Kauf.<br />

157


158<br />

Erö nung der Kochertalbahn am 15. September 1907. Bahnhof Neuenstadt mit Lokschuppen<br />

Die anfangs mit Dampfl okomotiven betriebene<br />

Bahn wurde ab 1956 auf wirtschaftlichere<br />

Dieseltriebwagen umgestellt.<br />

Große Bedeutung gewann die Kochertalbahn<br />

durch den abgewickelten Schülerverkehr<br />

zu den neuen Mittelpunktschulen<br />

in Neuenstadt und Jagstfeld. Im Güterverkehr<br />

sorgte vor allem der Zuckerrübentransport<br />

zu den Werken von Südzucker<br />

für einen Grundumsatz. Doch ab den<br />

1980er Jahren sank die Auslastung sowohl<br />

im Güter- als auch Personenverkehr so<br />

stark, dass die WEG um Entbindung aus<br />

der Beförderungspfl icht zum Jahresende<br />

1992 bat.<br />

1 Bei der Sache mit dem Schiller- und Mörikeverein hat der<br />

Gemeinderat wohl etwas hoch gegriff en, denn einen solchen<br />

Verein hat es nie gegeben. Wohl ist kurz davor (1918)<br />

die Mörike-Stube im Gasthof „Adler“ gegründet worden,<br />

Die Bahn wurde schließlich Ende 1993<br />

stillgelegt. Teile der Trasse wurden in einen<br />

Radweg umgebaut. Die Stadt Neuenstadt<br />

nutzte die günstig gelegene Bahntrasse<br />

für eine Ortsumgehung. Der Personenverkehr<br />

wurde durch Buslinien ersetzt,<br />

wobei <strong>Cleversulzbach</strong> durch den HNV<br />

(Heilbronner Hohenloher Haller Nahverkehr)<br />

in die Strecke Neuenstadt–<strong>Cleversulzbach</strong>–Brettach–Langenbeutingen–Neudeck–Öhringen<br />

eingebunden wurde. Darüberhinaus<br />

sind von Neuenstadt aus in<br />

abgestimmten Fahrplänen Städte und Gemeinden<br />

der Region wie Neckarsulm, Bad<br />

Friedrichshall und Heilbronn zu erreichen.<br />

und die Grabstätte von Schillers und Mörikes Mutter<br />

wurde damals schon oft besucht; das hat wohl zu der Vereinsgründung<br />

geführt.


Post und Telefon<br />

Für beide Kommunikationsmittel war bis<br />

zu ihrer Privatisierung 1995 die „Post“ zuständig,<br />

ein Staatsunternehmen, das 1872,<br />

ein Jahr nach der Reichsgründung, als<br />

Deutsche Reichspost gegründet worden<br />

war - zunächst noch ohne die bayerische<br />

und württembergische Postverwaltung,<br />

die erst nach Ende des Ersten Weltkrieges<br />

in der Weimarer Republik in die Deutsche<br />

Reichspost eingegliedert wurden. Nach<br />

Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die<br />

Post neu konstituiert und bekam unter<br />

dem Namen Deutsche Bundespost die<br />

Aufgabenbereiche Postdienst, Postbank<br />

und Fernsprechwesen zugewiesen. Heute<br />

sind diese Aufgabenbereiche in separaten<br />

Aktiengesellschaften untergebracht, der<br />

Postdienst wurde dabei in Deutsche Post<br />

AG umbenannt und das Fernsprechwesen<br />

erhielt den Namen Deutsche Telekom AG.<br />

Da für die vorliegende Geschichte von<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> in erster Linie die Zeit bis<br />

zur Privatisierung 1995 von Bedeutung<br />

ist, wird auch nur dieser Zeitraum im Besonderen<br />

betrachtet.<br />

Post<br />

In der Frühzeit waren es nur Brief- und<br />

kleinere Warensendungen, die von der<br />

Post befördert wurden. Für <strong>Cleversulzbach</strong><br />

war das Postamt in Neuenstadt am Kocher<br />

zuständig, als Teil der 1808 gegründeten<br />

Württembergischen Staatspost. Briefe von<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> mussten in Neuenstadt<br />

aufgegeben, Briefe nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />

hingegen im Postamt abgeholt werden,<br />

später konnte man sie gegen ein geringes<br />

Entgelt durch einen Boten ins Haus bringen<br />

lassen. Im April 1852 wurde der bisherige<br />

Dorfschütz Plenefi sch zum Amtsboten<br />

ernannt, der täglich einmal zum<br />

Königlichen Postamt nach Neuenstadt<br />

ging, um Briefe, Pakete und Gelder in<br />

Empfang zu nehmen. Er erhielt dafür eine<br />

„Trägerlohngebühr“ von 1 Kreuzer pro Privatbrief.<br />

In den Akten der 1890er Jahre<br />

werden als weitere Postboten die Namen<br />

Carl Ebert und Gottlob Korb genannt.<br />

Der Briefverkehr dürfte sich jedoch im 18.<br />

und auch noch im 19. Jahrhundert in<br />

Grenzen gehalten haben. Es waren hauptsächlich<br />

amtliche Mitteilungen und Anweisungen,<br />

die zwischen Behörden, Rathäusern<br />

und Kirchengemeinden gewechselt<br />

wurden. Die private Post war eher die<br />

Ausnahme, auch weil ein Großteil der Bevölkerung<br />

damals des Lesens und Schreibens<br />

noch unkundig war, aber auch weil<br />

die Gebühren reichlich hoch ausfallen<br />

konnten.<br />

Eduard Mörike, von 1834 bis 1843 Pfarrer<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong>, war in dieser Hinsicht sicher<br />

eine Ausnahme, denn er war ein fl eißiger<br />

Briefschreiber. In den neun Jahren seiner<br />

Amtszeit hat er nachweislich über 350<br />

Briefe an Freunde und Bekannte geschrieben<br />

- allein 112 Briefe an seinen Freund<br />

Wilhelm Hartlaub und dessen Familie in<br />

Wermutshausen, und nicht zuletzt auch 24<br />

Schreiben an den württembergischen König<br />

Wilhelm I., aber auch an das Dekanat und<br />

das Kameralamt in Neuenstadt.<br />

Die erste deutsche Briefmarke, der legendäre<br />

„Schwarze Einser“, wurde 1849 vom<br />

Königreich Bayern herausgegeben. Es<br />

folgten schnell die anderen deutschen<br />

Länder. In Württemberg wurden die ersten<br />

Briefmarken 1851 in Kreuzerwährung verausgabt.<br />

Nach der Umstellung auf die<br />

Deutsche Mark zu 100 Pfennigen (1872)<br />

waren auch Mischfrankaturen zulässig. Im<br />

April 1902 verzichtete man in Württemberg<br />

auf die Ausgabe eigener Briefmarken<br />

und benutzte die des Deutschen Reiches.<br />

Am 1. Januar 1903 wurden die württembergischen<br />

Postwertzeichen ungültig.<br />

Das Briefporto betrug nach Ende des Ersten<br />

Weltkrieges 15 Pf., stieg aber in den<br />

159


160<br />

Infl ationsjahren 1921 auf 60 Pf., 1922 auf<br />

6,00 Mark und im Laufe des Hyperinfl ationsjahres<br />

1923 von 50,00 Mark in immer<br />

schnelleren Schritten auf zuletzt 10 Milliarden<br />

Mark (12. November 1923). Dieser<br />

schrecklichen Geldentwertung wurde<br />

schließlich mit der am 15. November 1923<br />

erfolgten Währungsreform ein Ende bereitet.<br />

Die alte Mark wurde durch die neue<br />

Rentenmark abgelöst, und zwar abgewertet<br />

im Verhältnis 10 Milliarden Mark = 1<br />

Rentenpfennig. Ab 1. Dezember 1923 betrug<br />

das Briefporto 10 Rentenpfennig<br />

(RPf.).<br />

Telefon<br />

Die Erfi ndung des Telefons hat mehrere<br />

Väter. In Deutschland wird Philipp Reis, in<br />

den USA Alexander Graham Bell als Vorreiter<br />

dieser neuen Kommunikationstechnik<br />

gefeiert, die in Deutschland ab 1880<br />

praktische Bedeutung erhielt; zunächst in<br />

Berlin, doch bald gefolgt von vielen anderen<br />

Städten.<br />

Gut 30 Jahre später brach auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

die Zeit des Telefons an, als das<br />

Königliche Oberamt Neckarsulm in dem<br />

Erlass vom 27. Dezember 1906 der Gemeinde<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> die Errichtung eines<br />

Telephons empfahl und um Äußerung<br />

der Gemeinde dazu bat. Die Empfehlung<br />

wurde am 18. Februar 1907 im Gemeinderat<br />

beraten, wobei auch der Ortsvorsteher<br />

die Errichtung als eine der notwendigsten<br />

Bedürfnisse bezeichnete und der Gemeinderat<br />

den Beschluss fasste:<br />

1.) Mit den hiesigen Geschäftsleuten wegen<br />

der Errichtung und wegen eines Beitrags<br />

hierzu in Unterhandlung zu treten.<br />

2.) Dem Kgl. Oberamt mittels Protoko llauszug<br />

darüber Mitteilung zu machen.<br />

Was die Kosten der Einrichtung eines Telefons<br />

betraf, so teilte das Oberamt mit Erlass<br />

vom 20. Januar 1907 mit, dass aus der<br />

Amtskasse ein Beitrag von 50 M. gewährt<br />

würde. Das wurde am 9. März 1907 vom<br />

Ortsvorsteher dem Gemeinderat mitgeteilt,<br />

auch dass er mit den hiesigen Gewerbetreibenden<br />

wegen einer Beitragsleistung<br />

gesprochen habe und Georg Hägele<br />

(damals Gemischtwarenhändler und<br />

Gastwirt „Zur Traube“) sich mit 50 M. beteiligen<br />

würde, unter der Voraussetzung,<br />

dass das Telefon in seinem Hause eingerichtet<br />

würde. Gemeinderatmitglied<br />

Lumpp stellte daraufhin den Antrag, mit<br />

dieser Einrichtung noch ein paar Jahre<br />

wegen der in Aussicht genommenen Straßenbauten<br />

zu warten. Dem wurde einstimmig<br />

zugestimmt.<br />

Doch statt noch ein paar Jahre zu warten,<br />

kam der Gemeinderat am 18. Oktober<br />

1907 zu der Erkenntnis: die Einrichtung<br />

eines Telefons wird wiederholt dringend<br />

empfohlen und beschloss:<br />

1.) Im Etatjahr 1908/09 die Mittel zur Errichtung<br />

hierzu vorzusehen.<br />

2.) Ein Gesuch an die Kgl. Generaldirektion<br />

für Posten und Telegraphen um Einrichtung<br />

auf 1. April 1908 ergehen zu lassen.<br />

Diesem Gesuch wurde entsprochen und<br />

mit Erlass vom 4. März 1908 die Errichtung<br />

einer öff entlichen Sprechstelle genehmigt.<br />

Kosten: 350 M. Am 19. März<br />

1908 traf der Gemeinderat zwei wichtige<br />

Entscheidungen:<br />

1.) Der Betrag von 350 M. wird aus der<br />

Gemeindekasse bezahlt.<br />

2.) Den Löwenwirt Christian Bauer, der<br />

sich um die Geschäfte der „Telegraphenhilfsstelle“<br />

samt Unfallmeldedienst auf<br />

die Dauer von 2 Jahren zur unentgeltlichen<br />

Besorgung gemeldet hatte, für diesen<br />

Dienst vorzuschlagen.<br />

Doch bis zur Verwirklichung sollte es<br />

noch ein gutes Jahr dauern. Die Königliche<br />

Telegrapheninspektion Heilbronn<br />

wollte noch im Jahre 1908 die Telefonleitung<br />

von Neuenstadt über <strong>Cleversulzbach</strong><br />

nach Brettach verlegen und musste dazu<br />

einen Telefonmast auf <strong>Cleversulzbach</strong>er


Gemeindeeigentum errichten, was vom<br />

Gemeinderat am 16. August 1908 genehmigt<br />

wurde.<br />

Am 1. März 1909 war es dann so weit: Im<br />

Gasthof „Löwen“ wurde eine Telegraphenhilfsstelle<br />

(wie es damals hieß) mit öff entlicher<br />

Sprechstelle eingerichtet, nachdem<br />

Christian Bauer zwei Tage vorher auf den<br />

Dienst eines Telegraphenhilfsstellenvorstehers<br />

durch den Postverwalter Freitag in<br />

Neuenstadt vereidigt worden war. Eigentlich<br />

hätte die Vereidigung beim zuständi-<br />

gen Königlichen Postamt Öhringen stattfi<br />

nden müssen, aber die Königliche Generaldirektion<br />

der Posten und Telegraphen in<br />

Stuttgart beschied mit Schreiben vom 17.<br />

Februar 1909 an das Königliche Postamt<br />

Öhringen: Um dem Bauer den Weg nach<br />

Öhringen zu ersparen, kann das K. Postamt<br />

wegen der Unterweisung desselben<br />

in den Vorschriften, wegen der Verpfl ichtung,<br />

wegen des Vertragsabschlusses<br />

usw. auch das Postamt Neuenstadt (Kocher)<br />

angehen.<br />

Dienstvertrag vom 27.<br />

Februar 1909 zwischen<br />

der Königlichen Generaldirektion<br />

der Posten<br />

und Telegraphen und<br />

dem Löwenwirt Christian<br />

Bauer in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

betre end die<br />

Besorgung des Dienstes<br />

bei der Telegraphenhilfsstelle<br />

161


162<br />

Am 6. März 1909 wurde Bauers Ehefrau<br />

Katharina als Privatgehilfi n verpfl ichtet,<br />

wozu auch sie einen Diensteid in Neuenstadt<br />

ablegen musste.<br />

Die Hauptausstattungsgegenstände der<br />

Königlich Württembergischen Telegraphenhilfsstelle<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> waren lt.<br />

Liste vom 22. Februar 1909:<br />

– ein Stehpult aus Tannenholz mit verschließbarer<br />

Lade<br />

– ein Wertzeichenbuch<br />

– eine Wanduhr mit poliertem Rahmen<br />

vom Uhrmacher Erb aus Ravensburg<br />

– ein schwarzes Holzschild mit dem<br />

Schriftzug „Telegraph“ in goldenen<br />

Buchstaben<br />

Dass ein Wertzeichenbuch, also ein Buch<br />

mit Briefmarken, zur Hauptausstattung<br />

gehörte, lässt darauf schließen, dass in der<br />

Telegraphenhilfsstelle auch zusätzlich<br />

Postdienste abgefertigt wurden.<br />

Die Verantwortungsbereiche waren anfangs<br />

etwas kompliziert gegliedert. Die<br />

Vermittlung des Telegrammverkehrs hatte<br />

das Postamt Künzelsau zu besorgen. Diesem<br />

oblag auch, der Hilfsstelle täglich die<br />

Zeit und im Sommerhalbjahr die Witterungsvorhersagen<br />

mitzuteilen. Die Vermittlung<br />

des Fernsprechverkehrs sowie die<br />

Besorgung der Verwaltungsgeschäfte der<br />

Hilfsstelle (Schriftwechsel, Statistik usw.)<br />

hatte dagegen durch das Königliche Postamt<br />

Öhringen zu geschehen.<br />

Die Hilfsstelle selbst fi el in den Ortsbereich<br />

der Fernsprechanstalt Neuenstadt<br />

(Kocher). Nach zwei Jahren unentgeltlicher<br />

Tätigkeit erhielt Christian Bauer ab 1.<br />

März 1911 für seinen Dienst als Telegraphenhilfsdienstvorsteher<br />

eine Belohnung<br />

von 24 Mark im Jahr, dazu kam eine Entschädigung<br />

von 20 Mark jährlich aus der<br />

Gemeindekasse.<br />

Das öff entliche Telefon wurde off enbar<br />

gut angenommen, dies führte bald – vielleicht<br />

auch wegen der langsamen Verbindungstechnik<br />

– zu längeren Wartezeiten.<br />

In der Gemeinderatssitzung vom 9. September<br />

1917 beantragte daher der Vorsitzende,<br />

das Rathaus an das Telefonnetz anschließen<br />

zu lassen, weil es ihm in der gegenwärtigen<br />

arbeitsreichen Zeit nicht<br />

mehr möglich wäre, an die ö entliche<br />

Sprechstelle zu laufen, und wie es öfters<br />

der Fall ist, stundenweise herumwarten<br />

zu müssen. Die Dienststunden waren damals<br />

wochentags von 9 bis 12 und von 14<br />

bis 19 Uhr, sonntags von 11 bis 12.30 Uhr.<br />

Dem Antrag des Schultheißen Herrmann<br />

wurde zugestimmt; das Rathaus in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

erhielt nach längerer Wartezeit<br />

einen eigenen Telefonanschluss mit der<br />

Nummer 1.<br />

Im Juni 1918 richtete ein Telegrammempfänger<br />

eine Beschwerde an das Königliche<br />

Postamt Öhringen, weil auf einem für ihn<br />

bestimmten Telegramm das Datum vom 8.<br />

auf den 10. geändert war und das Telegramm<br />

von Schulkindern aufgenommen<br />

war.<br />

Die Hilfsstellengehilfi n Katharina Bauer:<br />

Hierzu habe ich zu erwidern, daß von Seiten<br />

der Telegraphenhilfsstelle die ersichtliche<br />

Änderung nicht vorgenommen<br />

wurde. Richtig ist wohl, daß nicht ich selber,<br />

sondern meine 17-jährige Tochter das<br />

Telegramm abgenommen und dem Vater<br />

des Adressaten selber abgegeben hat,<br />

und das K. Postamt, das wohl zugeben<br />

wird, dass ich in der eben notwendigen<br />

Zeit, nicht stets selber den ganzen Tag<br />

wegen dem Telephon zu Hause bleiben<br />

kann, da mein Mann auch bereits 2 Jahre<br />

fort ist und über 1 Jahr in Frankreich ist,<br />

und ich auch selber neben Wirtschaft u.<br />

Telegraphenhilfsstelle ziemlich Landwirtschaft<br />

besitze.<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>, den 23.6.18 Telegraphenhilfsstelle<br />

Bauer<br />

Ihr Mann war während des Ersten Weltkrieges<br />

zwei Jahre beim Landsturmbataillon<br />

XIII in Leonberg eingezogen und<br />

wurde von dort für über ein Jahr nach


Stenay in Nordfrankreich verpfl ichtet, wo<br />

er als Bäcker im Kriegslazarett Dienst tat.<br />

Nach seiner Rückkehr kündigte Christian<br />

Bauer am 1. Januar 1919 seine Stelle als<br />

Telegraphenhilfsstellenvorsteher zum 1.<br />

Februar 1919, ohne Angabe von Gründen.<br />

Gleichzeitig bewarb sich der frühere Hilfsbote<br />

Gottlob Korb um diese Stelle. In seinem<br />

Bewerbungsschreiben vom Januar<br />

1919 bittet er zu berücksichtigen, dass<br />

sein Vater den Landbotendienst elf Jahre<br />

lang versehen habe und er selbst als dessen<br />

Hilfsbote diesen Dienst bereits ein<br />

Jahr vollständig versehen habe. Während<br />

des Krieges stand ich 39 Monate lang ununterbrochen<br />

im Felde. Voraussichtlich<br />

wird der Landpostbotendienst, welcher<br />

während des Krieges durch einen Hilfsdienstpostboten<br />

versehen wurde, neu erstellt<br />

werden, um<br />

dessen Besetzung<br />

ich mich wieder bewerben<br />

werde. Ich<br />

ersuche deshalb<br />

höfl ichst mir diese<br />

Telefonstelle nebenbei<br />

übertragen zu<br />

wollen, wobei ich<br />

noch bemerken<br />

darf, dass meine<br />

Wohnung inmitten<br />

des Orts gelegen<br />

sehr geeignet für<br />

diesen Posten ist.<br />

Doch mit diesem<br />

Posten wurde es<br />

nichts, denn schon<br />

drei Wochen nach<br />

seiner Kündigung<br />

nahm Christian<br />

Bauer diese wieder<br />

zurück und führte den Dienst weiter.<br />

Mit beginnender Infl ation wurde die jährliche<br />

Entschädigung der Gemeinde ab 1.<br />

April 1920 auf 30 M. und ab 25. November<br />

1920 auf 100 M. erhöht. Dazu kam<br />

von der Postkasse ab August 1922 eine Erhöhung<br />

der Belohnung von 24 M. auf 180<br />

M. jährlich. Doch die schwierigen wirtschaftlichen<br />

Verhältnisse der damaligen<br />

Zeit zwangen Christian Bauer, die Wirtschaft<br />

„Zum Löwen“ 1922 zu schließen,<br />

und das nannte er auch als Grund für<br />

seine diesmal endgültige Kündigung der<br />

Telegraphenhilfsstelle im August 1922.<br />

Sein Nachfolger wurde mit Dienstvertrag<br />

vom 12. Oktober 1922 der Landpostbote<br />

Friedrich Lumpp, der aber den Dienst zunächst<br />

unentgeltlich durchführen musste.<br />

Wohl erhielt er eine Vergütung von 100<br />

Mark im Jahr für das Zimmer, das er für<br />

die Dienstgeschäfte zur Verfügung stellte,<br />

sowie für die Bedienung der Fernsprechvermittlungsstelle<br />

eine besondere Vergütung<br />

von jährlich 200 Mark für jeden Teil-<br />

Kündigungsschreiben von Christian Bauer<br />

vom 1. Januar 1919.<br />

Darunter: Bestätigung des Öhringer Postamtes<br />

und Hinweis auf die Bewerbung von<br />

Gottlob Korb<br />

163


164<br />

nehmeranschluss. Außerdem erhielt der<br />

Telegraphenhilfsstellenvorsteher für die<br />

Bestellung von Telegrammen und das<br />

Herbeirufen von Personen zu der ö entlichen<br />

Sprechstelle sowie für die Übermittlung<br />

am Fernsprecher entgegengenommener<br />

Nachricht im Ortsbestellbezirk sowie<br />

innerhalb des 1 km-Umkreises der Telegraphenhilfsstelle<br />

einen Stücklohn von<br />

150 Pf., bei größeren Entfernungen für<br />

das Kilometer 140 Pf. 1928 wurde ein<br />

Emailleschild „Öff entlicher Fernsprecher“<br />

angebracht und das alte Schild „Telegraph“<br />

zwei Jahre später entfernt. Der<br />

1895 geborene Friedrich Lumpp war im<br />

Juni 1915 zum Kriegsdienst eingezogen<br />

worden, wo er beim Infanterieregiment<br />

122 seinen Dienst tat. Beim Frankreich-<br />

Feldzug wurde Lumpp 1916 in Ypern<br />

schwer verwundet. Nach seiner Entlassung<br />

im März 1919 versah er wieder seinen<br />

Dienst als Landpostbote.<br />

Poststelle<br />

Schon bald hatte sich die Telegraphenhilfsstelle<br />

zu einer kleinen Poststelle entwickelt,<br />

die Friedrich Lumpp im Erdgeschoss<br />

seines Wohnhauses hatte einrichten<br />

lassen. In den oberen Räumen wohnte<br />

er mit seiner Familie. Das Haus an der Biegung<br />

der Brettacher Straße, schräg gegenüber<br />

vom Back- und Schlachthaus,<br />

existiert heute nicht mehr. Es wurde 2007<br />

abgerissen, nachdem es länger nicht mehr<br />

bewohnt gewesen war. Das Gelände wurde<br />

eingeebnet und mit Gras eingesät.<br />

Das Abholen und Austragen der Post war<br />

für den kriegsversehrten Mann ein mühsames<br />

Geschäft, wie seine Nachkommen<br />

berichten. Er fuhr bei Wind und Wetter<br />

mit dem Fahrrad nach Neuenstadt, um die<br />

Post und Zeitungen abzuholen, die zweimal<br />

täglich, vormittags und abends, auszutragen<br />

waren, wozu er oft Stunden unterwegs<br />

war. Seine Frau führte in einem<br />

Nebenzimmer einen kleinen Laden, um<br />

das Einkommen etwas aufzubessern. Es<br />

gab in der Hauptsache Nudeln und Tabakwaren.<br />

Die Zuständigkeiten für die Verwaltungsgeschäfte<br />

der Hilfsstelle <strong>Cleversulzbach</strong><br />

änderten sich im Laufe der Jahre. Ab 1.<br />

November 1931 wurden sie vom Postamt<br />

Öhringen dem Postamt Neuenstadt zugewiesen,<br />

ab 1. Januar 1933 gingen sie an<br />

das Postamt Heilbronn. Im Oktober 1934<br />

wurde dann erneut das Postamt Neuenstadt<br />

für <strong>Cleversulzbach</strong> zuständig.<br />

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten<br />

im Jahr 1933 wurden neben<br />

der Poststelle zwei Fahnenstangen<br />

aufgerichtet und zwei Flaggen hinterlegt,<br />

eine Flagge Schwarz-Weiß-Rot, die andere<br />

mit Hakenkreuz. Dazu auch noch zwei<br />

Trauerfl ore. Die Flaggen mussten nach Anweisung<br />

bei besonderen Anlässen gehisst<br />

werden. Während der Zeit des Nationalsozialismus<br />

wurde Friedrich Lumpp nach<br />

Aussagen von Zeitzeugen mehrfach gedrängt,<br />

der NSDAP beizutreten. Doch der<br />

überzeugte Sozialdemokrat Lumpp lehnte<br />

jedes Mal ab, was ihn schließlich seinen<br />

Posten kostete. Er wurde in den letzten<br />

Kriegsjahren vom Amt des Posthalters suspendiert.<br />

Lumpps jüngere Schwester Marie<br />

übernahm die Stelle und führte sie bis<br />

zum Kriegsende. Die Post wurde damals<br />

aus Öhringen in einem Jutesack angeliefert,<br />

in der Poststelle von Marie Lumpp<br />

sortiert und dann von ihr ausgetragen.<br />

Da in der ersten Zeit nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg Post und Bahn noch nicht tätig<br />

waren, richtete der damalige Landrat des<br />

Großkreises Heilbronn Emil Beutinger im<br />

Mai 1945 einen Kurierdienst für die Beförderung<br />

von Landrats- und Gemeindepost<br />

ein. Der Landkreis wurde in zehn Kurierzentren<br />

eingeteilt mit jeweils einem<br />

Kurierort. Für <strong>Cleversulzbach</strong> war Neuenstadt<br />

zuständig, von wo aus auch andere<br />

umliegende Gemeinden versorgt werden<br />

mussten. Die von den Kurieren aus Heil-


Telegraphenhilfsstelle an der Ecke Brettacher<br />

Straße/Seestraße (Foto um 1935).<br />

Über der Tür das Schild „Telegraph“, rechts<br />

an der Wand ein Werbeschild für die Reederei<br />

„Lloyd Bremen“<br />

bronn gebrachte Post musste von den<br />

Bürgermeistern der Kurierorte durch Boten<br />

an die anderen Orte zugestellt werden.<br />

Post nach Heilbronn lief den umgekehrten<br />

Weg. Die Kurierfahrten fanden jeweils<br />

dienstags, donnerstags und samstags<br />

statt. Doch schon Ende 1945 musste dieser<br />

Kurierdienst wegen Benzinknappheit<br />

eingestellt werden. Der neue Landrat Hermann<br />

Sihler hatte aber bei der Militärre-<br />

gierung erreichen können,<br />

dass die Amtspost mit der<br />

inzwischen wieder tätigen<br />

Post an die Kurierorte befördert<br />

wurde. An der<br />

Weiterverteilung durch<br />

Boten hatte sich aber<br />

nichts geändert.<br />

Ein anderes Problem ergab<br />

sich durch die Papierknappheit<br />

nach dem<br />

Kriege, die zum Verbrauch<br />

der noch vorhandenen<br />

Formulare aus der<br />

Zeit des Nationalsozialismus<br />

führten. Hierzu erließ<br />

das Stuttgarter Innenministerium<br />

am 16.<br />

September 1946 folgende<br />

Anweisung:<br />

Betr.: Hakenkreuzzeichen<br />

auf Briefpapier und Briefumschlägen.<br />

Es besteht Veranlassung,<br />

darauf hinzuweisen, dass<br />

Restbestände an Briefpapier<br />

und Briefumschlägen,<br />

die mit dem Hakenkreuz,<br />

dem Hoheitszeichen<br />

der NSDAP, u. ä. versehen<br />

sind, nur dann aufgebraucht werden<br />

dürfen, wenn diese Zeichen durch<br />

Ausschneiden entfernt oder überklebt<br />

werden. Durchstreichen oder Überstempeln<br />

genügt nicht.<br />

Schon bald lief der Postverkehr nach dem<br />

Krieg wieder in geordneten Bahnen und<br />

die Poststelle in <strong>Cleversulzbach</strong> wurde auf<br />

Anweisung der Oberpostdirektion Stuttgart<br />

vom 1. März 1947 an wieder dem früheren<br />

Posthalter Friedrich Lumpp übertragen,<br />

was für ihn auch eine Rehabilitation bedeutete.<br />

Seine langjährige Dienstzeit wurde<br />

im Juni 1960 in der Mörike-Stube des<br />

Gasthauses „Zum alten Turmhahn“ gefeiert.<br />

Hierzu waren vom Postamt Heilbronn fünf<br />

165


166<br />

Herren erschienen, die dieses Ereignis auch<br />

mit einem Eintrag im Gästebuch festhielten<br />

und als Anlass sein 45-jähriges Dienstjubiläum<br />

angaben. (Für die Berechnung hat<br />

man off enbar auch seine Zeit vor der Anstellung<br />

als Posthalter berücksichtigt). Als<br />

Friedrich Lumpp nach seiner langen Dienstzeit<br />

mit 65 Jahren Ende 1960 pensioniert<br />

wurde, hat man seine Tochter Gertraud als<br />

Nachfolgerin vorgeschlagen. Sie hatte zwar<br />

zu der Zeit eine gute Stelle als Pelznäherin<br />

bei der Pelzmodenfi rma Lumpp in Neuenstadt,<br />

war dann aber doch bereit, diese<br />

Stelle zu übernehmen. Am 1. Januar 1961<br />

wurde sie als Poststellenleiterin angestellt.<br />

Neben dem Brief- und Paketdienst fi elen<br />

noch zahlreiche andere Arbeiten an. Dazu<br />

gehörte die Bedienung des öff entlichen<br />

Fernsprechers und die Ermittlung und Ab-<br />

rechnung der Telefongebühren in einer separaten<br />

Liste, das Aufnehmen von Telegrammen,<br />

die vom Telegrafenamt in Heilbronn<br />

telefonisch durchgegeben und von<br />

Hand in ein Telegrammblatt eingetragen<br />

und in einem Umschlag dem Empfänger<br />

zugestellt werden mussten. Umgekehrt<br />

musste ein vom Versender schriftlich aufgesetzter<br />

Text dem Telegrafenamt telefonisch<br />

durchgegeben werden, von wo es<br />

dann auf den Weg gebracht wurde. Bei ankommenden<br />

Telefongesprächen wurde entweder<br />

die Nachricht aufgenommen und<br />

dem Empfänger zugestellt oder der Angerufene<br />

wurde, wenn es eilig war, ans Telefon<br />

gerufen. Weitere Aufgaben waren damals<br />

das Auszahlen von Renten in bar und<br />

das Abkassieren von Rundfunk- und Zeitungsabonnementgebühren;<br />

dies war ein<br />

Die ehemalige Poststelle an der Ecke Brettacher Straße. Sie wurde 1974 geschlossen und das<br />

baufällige Gebäude 2007 abgerissen. Die freie Fläche wurde eingeebnet und mit Rasen eingesät.


mühsames Geschäft, denn oft musste der<br />

Weg mehrmals gemacht werden, weil die<br />

Leute entweder nicht zu Hause waren oder<br />

gerade kein Geld hatten.<br />

Schon bald wurde rechts neben der Eingangstür<br />

ein Briefkasten angebracht, in<br />

den Briefe außerhalb der Dienstzeit eingeworfen<br />

werden konnten. Dieser wurde<br />

dann jeden Morgen von der Poststellenleiterin<br />

geleert. Sie hieß inzwischen Gertraud<br />

Heiß, nachdem sie im September 1961<br />

Ewald Heiß geheiratet hatte. Auf vielfachen<br />

Wunsch der Bevölkerung stellte Frau<br />

Heiß Anfang 1969 bei Bürgermeister Nef<br />

den Antrag, ein Telefonhäuschen im Ort<br />

aufzustellen. Diesen Wunsch trug er dem<br />

Fernmeldeamt Heilbronn vor, worauf kurze<br />

Zeit später auch ein Telefonhäuschen aufgestellt<br />

wurde. Ursprünglich sollte es seinen<br />

Standort vor der Kirche beim Telefonverteilerkasten<br />

erhalten. Aber auf Einspruch<br />

von Frau Heiß (sie hätte die Münzkassette<br />

jeden Tag von dort abholen müssen)<br />

wurde es an der Ecke neben der<br />

Poststelle aufgestellt.<br />

Nach der durch die Gemeindereform bedingten<br />

Eingliederung von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

nach Neuenstadt am Kocher im Januar<br />

1971 war abzusehen, dass auch die Poststelle<br />

bald ihre Selbständigkeit verlieren<br />

würde. Das war 1974 der Fall: Die Poststelle<br />

wurde geschlossen und die Aktivitäten<br />

nach Neuenstadt verlegt. Das Telefonhäuschen<br />

wurde zunächst stehen gelassen,<br />

aber als mit zunehmender Telefondichte im<br />

Ort der Bedarf an dieser Möglichkeit praktisch<br />

auf null zurückging, wurde auch dieses<br />

lange das Ortsbild prägende Häuschen<br />

abgebaut. Was bis heute vom Postbetrieb<br />

blieb, ist der Briefkasten, der jetzt die Stelle<br />

des Telefonhäuschens eingenommen hat.<br />

Das Gebäude wurde 2007 abgerissen, die<br />

freie Fläche eingeebnet und mit Rasen eingesät.<br />

Die Poststellenleiterin Gertraud Heiß<br />

wurde im Postamt Neuenstadt übernom-<br />

men, wo sie weiterhin die Postsachen für<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> erledigte. In ihrem dortigen<br />

Arbeitsraum wurde von ihr die Post<br />

sortiert und anschließend in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

ausgetragen – anfangs mit ihrem<br />

Privatauto, später stand ihr ein Dienstauto,<br />

ein gelber VW-Käfer, zur Verfügung.<br />

Ihre Dienste hat sie 1998 mit ihrer Pensionierung<br />

beendet.<br />

Das Telefon entwickelt sich<br />

Der Fortschritt beim Telefonieren war<br />

nicht aufzuhalten, doch <strong>Cleversulzbach</strong><br />

blieb lange Zeit unterversorgt. 1933 gab<br />

es nur drei Anschlüsse: die öff entliche<br />

Sprechstelle, das Bürgermeisteramt mit<br />

der Nummer 22 und die Gaststätte „Zum<br />

Löwen“ mit Gemischtwarenladen (Nummer<br />

41). Der neue Inhaber Adolf Stecher<br />

hatte es wohl verstanden, den Anschluss<br />

der ehemaligen Telegrafenhilfsstelle neu<br />

geschaltet zu bekommen. Sechs Jahre<br />

später erhielt auch die Gaststätte „Adler“<br />

einen Anschluss, Nummer 36. Während<br />

des Krieges war das Telefonieren off enbar<br />

sehr eingeschränkt. Im Telefonbuch von<br />

1943 steht kein einziger Eintrag für <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Auch nach dem Krieg blieb<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> lange ein telefonisches<br />

Randgebiet. 1954 erhielt das Rathaus eine<br />

neue so genannten Nebenstellenanlage,<br />

bestehend aus dem Hauptanschluss mit<br />

der Nummer 103 und einem Nebenanschluss<br />

mit einem selbsttätigen Zwischenschalter.<br />

Die Telefongebühren betrugen zu der Zeit<br />

(Stand 1. Juli 1954):<br />

Monatliche Grundgebühr 8,00 DM<br />

Ortsgespräch 0,16 DM<br />

Ferngespräch bis 10 km, 3 Min. 0,32 DM<br />

Ferngespräch bis 50 km, 3 Min. 0,96 DM<br />

Ferngespräch bis 300 km, 3 Min. 2,88 DM<br />

In den 1960er und 1970er Jahren hat die<br />

Deutsche Bundespost über das Fernmeldeamt<br />

Heilbronn endlich Schritt für Schritt<br />

167


168<br />

das Fernmeldenetz in <strong>Cleversulzbach</strong> erweitert.<br />

1961 wurden Kabel in der Neuenstädter<br />

Straße verlegt, 1964 folgten die<br />

Eberstädter Straße, die (damalige) Hauptstraße<br />

sowie die Brettacher Straße bis zur<br />

Einmündung der Kieshofstraße. Etwa zehn<br />

Jahre später, nämlich 1973 und 1975,<br />

wurden auch die Neubaugebiete und die<br />

Ortsränder an das Telefonnetz angeschlossen.<br />

Und bereits 1969 wurde, wie schon<br />

an anderer Stelle berichtet, ein Telefonhäuschen<br />

aufgestellt. So kam es, dass aus<br />

den lediglich sechs Anschlüssen von 1960<br />

zehn Jahre später schon 23 geworden waren.<br />

Es waren in erster Linie Geschäftsleute,<br />

die sich nun auch hier der modernen<br />

Kommunikationsmöglichkeit bedienen<br />

konnten. Rein private Anschlüsse waren<br />

da noch selten, was sich aber in den<br />

Jahren danach rasch änderte.<br />

In den 1990er Jahren führte die Deutsche<br />

Telekom mit ISDN zusätzlich zum analogen<br />

Netz ein digitales Netz ein, das die<br />

Übertragungsrate zum Internet, das auch<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> zunehmend genutzt<br />

wurde, gegenüber dem analogen Telefonmodem<br />

deutlich beschleunigte. Viele <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

stellten auf dieses digitale<br />

Netz um.<br />

Für den nächsten Sprung im Wettlauf der<br />

Übertragungsraten, nämlich der Einfüh-<br />

rung von DSL im Jahre 2001, musste <strong>Cleversulzbach</strong><br />

noch etwas warten. Anfang<br />

2006 war es so weit: Einige Leitungen<br />

standen für DSL 1000 (mehr war noch<br />

nicht möglich) zur Verfügung und waren<br />

schnell vergeben. Für die wenigen Nutzer<br />

war es eine enorme Bereicherung, denn<br />

selbst mit nur DSL 1000 war die Übertragungsrate<br />

jetzt 10-mal schneller als mit<br />

ISDN. Kein Wunder, dass der Wunsch<br />

nach dieser neuen digitalen Verbindung<br />

besonders von Geschäftsleuten, die zunehmend<br />

das Internet zur Werbung und<br />

Kaufabschlüssen nutzten, immer größer<br />

wurde. Der Wunsch wurde stark von der<br />

Stadtverwaltung Neuenstadt a. K. unterstützt.<br />

Nach langjährigen Verhandlungen<br />

mit der Deutschen Telekom konnte erreicht<br />

werden, dass die nötigen Glasfaserkabel<br />

2011 installiert wurden. Im Jahr<br />

davor waren auf Kosten der Gemeinde<br />

bereits die Leerrohre dafür verlegt worden,<br />

was ein Zugeständnis gegenüber der<br />

Telekom war.<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>, das zwar schon ab 1909<br />

an das Telefonnetz angeschlossen war,<br />

dann aber über 50 Jahre die Entwicklung<br />

der Telefonverbindungen nur am Rande<br />

erleben durfte, war endlich voll in der digitalen<br />

Breitbandversorgung eingebunden.


Einzug der Elektrizität in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Gesetzmäßigkeiten<br />

der Elektrizität durch Pioniere<br />

wie Alessandro Volta, André-Marie<br />

Ampère, Charles Augustin de Coulomb,<br />

Georg Simon Ohm, Michael Faraday und<br />

James Clerk Maxwell erforscht. Durch die<br />

Nutzungsmöglichkeiten des elektrischen<br />

Stroms wurde bald absehbar, dass Strom<br />

in größerer Menge benötigt werden<br />

würde. Gerade auch auf dem Land, wo<br />

durch Maschinenkraft und elektrisches<br />

Licht in der Land-, Vieh- und Forstwirtschaft<br />

enormes Potential steckte, war eine<br />

unerwartete sowie schnell und stark ansteigende<br />

Nachfrage schon nach kürzester<br />

Zeit gegeben. Das erste öff entliche Elektrizitätswerk,<br />

ein Wasserkraftwerk am Fluss<br />

Wey, ging 1881 in Godalming, Großbritannien,<br />

ans Netz, gebaut von Thomas<br />

Alva Edison. Es lieferte Gleichstrom, zunächst<br />

für die Straßenbeleuchtung des<br />

Ortes.<br />

Bis 1900 wurden entlang der Flüsse, vor<br />

allem Kocher, Jagst und Neckar, viele<br />

Mühlen zu Gleichstrom-Elektrizitätswerken<br />

umgebaut, die jeweils nahe gelegene<br />

Ortschaften mit Strom versorgen konnten.<br />

Allerdings war es nicht möglich,<br />

Gleichstrom effi zient über längere Leitungsstrecken<br />

zu übertragen, womit der<br />

Wirkungsradius dieser Gleichstrom-<br />

Elektri zitätswerke nur sehr klein sein<br />

konnte. Abhilfe versprach hier der Drehstrom,<br />

dessen effi zientere Übertragungsmöglichkeit<br />

1891 durch den Stromtransfer<br />

von in Lauff en am Neckar produziertem<br />

Strom zur ca. 175 km entfernten Internationalen<br />

Elek tro technischen Ausstellung<br />

in Frankfurt am Main demonstriert<br />

wurde. Die Generatoren dafür wurden<br />

später für die Stromerzeugung für die<br />

Stadt Heilbronn genutzt.<br />

Im Jahr 1900 beschloss der Mühlenbesitzer<br />

Leonhard Endreß aus Gochsen, den<br />

Mühlenbetrieb einzustellen und seine<br />

Mühle zur Gewinnung von Drehstrom<br />

umzubauen. Dazu verhandelte er mit der<br />

„Mitteldeutsche Elektrizitätswerke, Aktiengesellschaft<br />

in Dresden“ (M.E.A.), das<br />

„Elektricitätswerk Kocherthal“ zu bauen.<br />

Die Verhandlungen scheiterten jedoch,<br />

weil Endreß vermutlich bald erkannte,<br />

dass er mit einem unabhängigen Elektrizitätswerk<br />

wesentlich höhere Gewinne erzielen<br />

konnte. Endreß baute sein Werk alleine<br />

und versorgte unter anderem die<br />

Gemeinde Brettach ab 1906 mit Strom.<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> versäumte diese Chance;<br />

es hatte bereits 1902 den schon 1901 unterzeichneten<br />

Vertrag platzen lassen.<br />

1910 scheiterte der Versuch, die Gemeinden<br />

des neu gegründeten Gemeindeverbandes<br />

Überlandwerk Hohenlohe-Öhringen<br />

mit Strom der Enzgauwerke <strong>GmbH</strong><br />

aus Bissingen per Fernleitung zu versorgen.<br />

Eine dazu notwendige Fernversorgungsleitung<br />

wurde durch das Elektrizitätswerk<br />

Beihingen-Pleidelsheim, durch<br />

dessen Gebiet die Leitung hätte verlegt<br />

werden müssen, verhindert. Als provisorische<br />

Lösung wurde daher am 31. Oktober<br />

1911 von Bitzfeld aus mit Hilfe eines Lokomobile,<br />

einer mobilen Dampfmaschine<br />

mit angeschlossenem Generator, mit 200<br />

PS für rund 140 kW die Stromversorgung<br />

im Gemeindeverband begonnen.<br />

Es zeigte sich schnell, dass diese Leistung<br />

bei weitem nicht ausreichte. Insbesondere<br />

durch die konzentrierten Maschineneinsätze<br />

in der Landwirtschaft nach<br />

der Ernte wurden Lastspitzen erzeugt,<br />

die nicht wirtschaftlich abfangbar waren<br />

1 . Beschränkungen des Einsatzes von<br />

elektrischen Dresch- und Futterschneidmaschinen<br />

durch Drusch-Pläne, rollierend<br />

auf bestimmte Tage der Monate Juli<br />

bis Januar, brachten keine spürbare Besserung<br />

der Lage, da sich viele Stromab-<br />

169


170<br />

nehmer nicht an die Abnahmeverbote<br />

hielten.<br />

Mitte 1912 wurde daher im neu erworbenen<br />

Elektrizitätswerk des Ingenieurs Wahlström<br />

in Öhringen durch zwei Dieselmotoren<br />

mit 400 und 200 PS Leistung die Leistungsfähigkeit<br />

um 420 kW erhöht. Im September<br />

1912 wurde mit der Elektrizitätswerk<br />

Beihingen-Pleidelsheim AG ein<br />

Stromlieferungsvertrag für nochmal<br />

300 kW abgeschlossen. Kopplung der Netze<br />

und Fremdbezug, großenteils gegenseitig<br />

verankert, wurden damit schon recht früh<br />

konzeptionell eingebunden.<br />

In den Jahren 1913 bis 1921 konnte die<br />

Elektrizitätserzeugung im Gemeindeverband<br />

Hohenlohe-Öhringen durch andauernden<br />

Kohlemangel und niederen Wasserstand<br />

nicht sichergestellt werden. Nach<br />

dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914<br />

verdreifachte sich die Stromabnahme bis<br />

1918. Ausfälle der Stromversorgung waren<br />

an der Tagesordnung, ein unhaltbarer, teils<br />

lebensgefährlicher Zustand, da bei ausgefallenem<br />

Licht oder plötzlich wieder anlaufenden<br />

Motoren viele Unfälle passierten.<br />

Da 1913 aus den 80 Gründungsgemeinden<br />

bereits 123 Mitglieder geworden waren,<br />

wurde in Öhringen ein weiterer Generator<br />

mit 600 PS installiert. Damit schien die<br />

Versorgung der angeschlossenen Gemeinden<br />

gesichert. Durch den Ausfall des<br />

600-PS-Generators 1920 in Verbindung<br />

mit dem lange aufgeschobenen Bau des<br />

Wasserkraftwerks in Ohrnberg übertraf<br />

der Fremdbezug die Eigenerzeugung bald.<br />

Der Bau des Kraftwerks wurde nun entgegen<br />

aller Widrigkeiten vorangetrieben. So<br />

konnte 1922 im Ausgleichswerk Möglingen<br />

eine Francis-Turbine mit 150 PS Leistung<br />

ans Netz gehen, und 1923 wurde<br />

endlich auch das Kraftwerk in Ohrnberg<br />

fertiggestellt. Dadurch entspannte sich<br />

endlich die Versorgungssituation, denn<br />

das Kraftwerk lieferte über zwei Turbinen<br />

mit je 720 PS Leistungsvermögen ca.<br />

1.500 kW. Es ist übrigens bis zum heutigen<br />

Tag nahezu unverändert in Betrieb.<br />

Parallel zum Bau in Ohrnberg gründete<br />

der Gemeindeverband die Großkraftwerk<br />

Württemberg AG (GROWAG), die 1923 mit<br />

zwei Dampfturbinen im Kohlekraftwerk<br />

Heilbronn und im Wasserkraftwerk in Kochendorf<br />

nochmals je 5.000 kW lieferte.<br />

Der Strom für die ersten Fernleitungen<br />

wurde in Umspannwerken am Erzeugungsort<br />

zum Transport auf 15.000 Volt transformiert<br />

und in Ortsnetzstationen, landläufi g<br />

Trafohäuschen genannt, wieder auf die gebräuchliche<br />

Nutzspannung von 127/220<br />

Volt heruntertransformiert. In den Haushalten<br />

sollte aus Sicherheitsgründen die<br />

Spannung 130 Volt nicht überschreiten.<br />

Die Leistungsfähigkeit der 15-kV-Leitungen<br />

(Mittelspannung) war noch sehr verlustbehaftet,<br />

weshalb 1926 nach dem Bau<br />

des Umspannwerkes Kupferzell die Übertragungsspannung<br />

auf den vorhandenen<br />

Leitungen auf 60 kV (Hochspannung) erhöht<br />

wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

setzte sich die heute noch gebräuchliche<br />

220/380-Volt-Nutzspannung in ganz Europa<br />

rasch durch, da sich vorgenannte Sicherheitsgründe<br />

als haltlos erwiesen hatten<br />

und sie weit leistungsfähiger war als<br />

die bisherige 130-Volt-Nutzspannung.<br />

Im August 1954 wurde die Genehmigung<br />

der Gemeinden für den Bau einer neuen<br />

Hochspannungs-Doppelleitung mit 110 kV<br />

als Ersatz für die alte 60-kV-Einfachleitung<br />

eingeholt. Die heute noch bestehende<br />

Trasse führte von Neckarsulm über<br />

Öhringen nach Kupferzell und wurde im<br />

Oktober 1955 in Betrieb genommen.<br />

Im gleichen Zeitraum wurden die Leitungen<br />

der Ortsnetze von an den Straßen<br />

entlanggeführten Stromleitungen mit<br />

Stichleitungen zu den Häusern auf heute<br />

noch das Ortsbild prägende Dachständer<br />

auf den Hausdächern umgebaut. Durch<br />

diese beiden Veränderungen, die eff ektiv<br />

mehr als eine Verdopplung der vorhande-


nen Leitungen bedeutete, wurde die Übertragungsfähigkeit<br />

des Leitungsnetzes um<br />

das Fünf- bis Achtfache gesteigert. Diese<br />

Leistungssteigerung trug den enormen<br />

Anforderungen durch das Nachkriegs-<br />

Wirtschaftswunder Rechnung.<br />

Schließlich wurde das Stromnetz 1979 mit<br />

der Errichtung einer zusätzlichen 380-kV-<br />

Einspeisung (Höchstspannung) in Kupferzell<br />

für die vorhandene Leitungstrasse auf<br />

den aktuellen heutigen Stand gebracht.<br />

Erste Anläufe in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

In <strong>Cleversulzbach</strong> scheint man schon früh<br />

elektrischem Strom gegenüber aufgeschlossen<br />

gewesen zu sein. Dies zeigt sich<br />

an einem Vertrag mit der „Mitteldeutsche<br />

Elektrizitätswerke, Aktiengesellschaft in<br />

Dresden“ (M.E.A.) zur Einrichtung der<br />

Stromversorgung, der bereits 1901 unterzeichnet<br />

wurde. Die M.E.A. hatte zuvor mit<br />

dem Elektrizitätswerkbesitzer Leonhard<br />

Endreß in Gochsen über den Bau des „Elektricitätswerks<br />

Kocherthal“ verhandelt.<br />

Laut Vertrag versprach die M.E.A., „nach<br />

längstens 7 Monaten“ mit dem Bau der notwendigen<br />

Anlagen zu beginnen. Dafür verlangte<br />

sie von den Gemeinden, „auf die<br />

Dauer von fünfzig Jahren vom Tage der Inbetriebsetzung<br />

an gerechnet mit der ausdrücklichen<br />

Verpfl ichtung während der Vertragsdauer<br />

ein anderes Unternehmen für Beleuchtung<br />

oder Kraftübertragung nicht zu<br />

konzessionieren noch selbst zu betreiben“.<br />

Nach Streitigkeiten zwischen der M.E.A.<br />

und Leonhard Endreß, welche den Baubeginn<br />

nachhaltig verzögerten, ließ <strong>Cleversulzbach</strong><br />

den Vertrag 1902 platzen. Als<br />

Endreß 1909 sein Werk verkaufen will,<br />

schlägt das Königliche Oberamt Neckarsulm<br />

den umliegenden Gemeinden vor, einen<br />

Gemeindeverband zu bilden und das<br />

Werk zu kaufen. Dieser Vorschlag wird vom<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Gemeinderat am 30. Juni<br />

1909 unter „Rücksicht auf die hiesigen<br />

ökonomischen Verhältnisse“ abgelehnt.<br />

Die Elektrifi zierung in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Mit Schreiben vom 15. Februar 1910 wirbt<br />

das Königliche Oberamt Neckarsulm für<br />

die Einführung von elektrischem Strom in<br />

den Gemeinden. Infolge der „Leutenot auf<br />

dem Lande“ sollte „menschliche Arbeit ersparende<br />

elektrische Energie […], Beleuchtung,<br />

besonders von Ställen, Kellern, Futterräumen,<br />

Scheuern“, eingesetzt werden.<br />

Mit hehren Vorstellungen wurde die Frage<br />

der Stromgewinnung und –lieferung angegangen:<br />

Entscheidend für diese Frage ist, welcher<br />

Anschluß den Gemeinden die<br />

Elektrizität am billigsten und auf die<br />

Dauer, nicht nur für 25 oder 50 Jahre<br />

liefert. Es ist neuerdings nicht mehr<br />

umstritten, dass da, wo die Bildung<br />

eines großen Gemeindeverbands irgend<br />

möglich ist, ein anderer Weg<br />

nicht eingeschlagen werden kann. Ein<br />

solcher Gemeindeverband, bei dem<br />

die Gemeinden die Eigentümerinnen<br />

des Werks sind, verwaltet das Werk<br />

nach gemeinnützigen Grundsätzen,<br />

will keinen Unternehmergewinn erzielen,<br />

liefert die Elektrizität zu den<br />

Selbstkosten & ist in keiner Weise bestrebt,<br />

sich auf Kosten der Stromabnehmer<br />

zu bereichern.<br />

Am 18. Februar 1910 kommen die Gemeindevertreter<br />

des Oberamtsbezirks Neckarsulm<br />

in Neckarsulm zu einer Tagung bezüglich<br />

des Beitritts zum Öhringer Gemeindeverband<br />

zusammen. Zitat aus dem Protokoll:<br />

Die Abstimmung [über den Beitritt zum<br />

Öhringer Verband] ergab, dass die Gemeindevertreter<br />

der Sache freundlich gegenüberstehen,<br />

zunächst aber bis zur<br />

weiteren Klärung eine zuwartende Stellung<br />

einnehmen wollen, abgesehen von<br />

den Vertretern der Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />

welche den sofortigen Anschluß<br />

wünscht.<br />

171


172<br />

Monteure feiern die Fertigstellung des Stromanschlusses in <strong>Cleversulzbach</strong> 1913


Am 9. März 1910 beschließt der Gemeinderat<br />

den Beitritt zum Gemeindeverband<br />

Überlandwerk Hohenlohe-Öhringen, der<br />

am 25. April 1910 erfolgt.<br />

Mit Schreiben vom 10. Dezember 1910<br />

kündigt das Königliche Oberamt Neckarsulm<br />

an, dass mit dem Bau der Fernleitungen,<br />

Transformatorenstationen und Ortsnetze<br />

Anfang 1911 unter dem bauleitenden<br />

Ingenieur Julius Heinrichsen, Esslingen,<br />

begonnen wird. Die Schultheißen<br />

werden aufgefordert, möglichst viele verbindliche<br />

Anmeldungen für Abnehmer zu<br />

bekommen. Gleichzeitig informiert das<br />

Oberamt, dass der Bau des Wasserkraftwerks<br />

in Ohrnberg lange dauern wird, somit<br />

zunächst Strom von den Enzgauwerken<br />

bezogen werden soll.<br />

In <strong>Cleversulzbach</strong> sollte es allerdings Mitte<br />

1913 werden, ehe die ersten Masten auf-<br />

Die alte Trafostation oberhalb des Friedhofs<br />

(Foto Ende 1930er Jahre)<br />

Die neue Trafostation von 1957 am Verbindungsweg<br />

vom alten zum neuen Ortsteil.<br />

halb des Friedhofs<br />

gestellt wurden. Mit Beschluss vom 31. Januar<br />

1913 ersuchte der Gemeinderat den<br />

Gemeindeverband dringend, die Zuleitung<br />

des elektrischen Stroms in aller Bälde in<br />

die Wege leiten zu wollen, damit wenigstens<br />

bis 1. März d. J. die hiesige Gemeinde<br />

mit elektrischem Strom versorgt, u. die<br />

Zufriedenheit in der Gemeinde wieder<br />

hergestellt wird.<br />

Der Gemeindeverband kam der Auff orderung<br />

nun doch rasch nach, so dass noch<br />

1913 die ersten elektrischen Lichter und<br />

173


174<br />

Maschinen in Betrieb gehen konnten.<br />

Elektrisches Licht, Dresch- und Futterschneidmaschinen<br />

gehörten von nun an<br />

zum Alltag und sind seither kaum mehr<br />

wegzudenken.<br />

In <strong>Cleversulzbach</strong> wurde die Trafostation<br />

1957 für den Anschluss an die neu gebaute<br />

110-kV-Leitung umgebaut. Sie<br />

Quellen:<br />

Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong>: CA 373, CA 374, CA 471, CB 31,<br />

CB 32<br />

EVS Betriebsverwaltung Öhringen: 75 Jahre Stromversorgung.<br />

EVS<br />

W. Leiner: Geschichte der Elektrizitätswirtschaft in Württemberg.<br />

Band 2,1<br />

H. Geiger: Jahrbuch 1999. Historischer Verein für Württembergisch<br />

Franken.<br />

prägt heute, noch in vollem Betrieb, aber<br />

inzwischen im Ortszentrum, das Ortsbild.<br />

Im Anschluss daran wurde das Ortsnetz<br />

1958 auf 220/380 Volt umgestellt, wobei<br />

die alten Holzmasten des 110-Volt-Ortsnetzes<br />

an den Straßen verschwanden und<br />

die heute noch auf vielen Häusern sichtbaren<br />

Dachständer aufgebaut wurden.<br />

1 Parallelen dazu fi nden sich beim Ausstieg aus der Kernenergie:<br />

Zum Abfangen von Lastspitzen müssen beispielsweise<br />

Gaskraftwerke vorgehalten werden, die bei Bedarf<br />

schnell angefahren werden können. Meist sind sie jedoch<br />

nicht in Betrieb. Diese Kraftwerke kosten den Betreiber<br />

eff ektiv mehr Geld als sie aus sich heraus erwirtschaften.


Die <strong>Cleversulzbach</strong>er Feuerwehr<br />

Eine erste Erwähnung eines Feuerlöschwesens<br />

in den Annalen unseres Dorfes fi ndet<br />

sich im Jahr 1830, als sich ein Feuerspritzen-Fabrikant<br />

am 31. März auf Gemeindekosten<br />

bewirten lässt. Geladen sind außer<br />

Schultheiß und Bürgermeister auch 30<br />

Gemeindemitglieder, gefeiert wird in großem<br />

Stil die Lieferung und Erprobung einer<br />

nagelneuen Feuerspritze. 1 Löwenwirt<br />

Schuler verweist in Anbetracht der nicht<br />

unerheblichen Rechnungshöhe für Wein<br />

und Brot (insgesamt 6 Gulden 30 Kreuzer)<br />

darauf, dass der Fabrikant nach eigener<br />

Aussage schon immer „kostenfrey gehalten<br />

worden seye“.<br />

Eine Quittung über den Abschlag von 700<br />

Gulden und zwei Kronentaler in bar iden-<br />

tifi ziert den Lieferanten – wie zu erwarten<br />

– als Adam Bachert, Metallgießer aus<br />

Kochendorf. Ein Zusatz unter dem Dokument<br />

vom 8. April 1830 zeigt zudem, dass<br />

das Gesamtvolumen der Lieferung 805 f<br />

24 x betrug, wobei Zahlungsaufschub für<br />

die „abstehende Summe“ auf später vereinbart<br />

wurde. 2<br />

Wie eifrig mit dem Spritzenwagen „prowirt”<br />

wurde, erkennen wir bei der Lektüre<br />

von Blatt 139 der Gemeindepfl egrechnungen<br />

3 (7. Februar 1835): Laut Gerichtsprotokoll<br />

erhielten die Mitglieder<br />

von Gemeinderat und Bürgerausschuss<br />

eine Belohnung, wenn sie bei der „Feuer<br />

Sprizen Probung” 1834 / 35 teilgenommen<br />

hatten. Insgesamt quittierten 28<br />

Die Feuerwehrabteilung Anfang der 1880er Jahre mit der Feuerspritze vor dem Schulhaus.<br />

Die Ausrüstung bestand damals aus einer so genannten Saug- und Druckpumpe, ab 1911<br />

zusätzlich aus zwei Hydrantenwagen, 1925 kam eine Zweirad-Leiter dazu. Die damalige<br />

Dienstkleidung wurde vom örtlichen Schneider Maß genommen und angefertigt.<br />

175


176<br />

Bürger den Empfang von jeweils 12<br />

Kreuzern.<br />

Damit unsere wackeren Feuerwehrmänner<br />

auch von Firsthöhe zum Einsatz gelangen<br />

konnten, stellte Wagner Johann David<br />

Lumpp eine Feuerleiter von 40 Schu (ca.<br />

13 m) mit 4 Schwingen und 40 Sprossen<br />

her. Außerdem fertigte er eine 12 Meter<br />

lange Stange an, die als Feuerhaken dienen<br />

sollte. Für beide Gewerke legte er am<br />

6. August 1835 eine Rechnung über 3 f 56<br />

x beim Schultheißen vor. Wir dürfen annehmen,<br />

dass der Meister bei der Gestaltung<br />

und Ausführung der Leiter noch<br />

recht frei war; knapp 50 Jahre später<br />

würde sein Nachfolger jedenfalls die genauen<br />

Vorgaben der Gebäudebrandversicherungsanstalt<br />

bei der Herstellung einer<br />

Feuerleiter einhalten müssen! „Die Leiterholmen<br />

und Stützen müssen aus astlosem<br />

Weißtannen- oder Fichtenholz, die Sprossen<br />

aus splintfreiem Eichenholz gefertigt,<br />

die Holmen oval, und die Sprossen kantig<br />

bearbeitet sein, letztere ganz durch die<br />

Holmen gehen, nach außen verjüngt, verkeilt<br />

und innen mit einem 5 mm in die<br />

Holmen eingetriebenen Ansatz versehen<br />

sein.” 4<br />

Ein paar Jahre später stand die Anfertigung<br />

von Ausrüstungsgegenständen<br />

durch Handwerker vor Ort überhaupt<br />

nicht mehr zur Debatte, denn die Gründung<br />

der Pfl ichtfeuerwehr im Lande<br />

machte die allgemeine Standardisierung<br />

des Materials unabdingbar – die Industrie<br />

hatte quasi einen neuen Absatzmarkt erschlossen.<br />

Wie heiß umworben die Feuerwehrkommandanten<br />

als Abnehmer neuer Technologien<br />

im beginnenden 20. Jahrhundert<br />

waren, zeigt ein Blick auf die Korrespondenz<br />

der damaligen Hersteller von Feuerwehrausrüstungen.<br />

So macht die Firma Wilhelm Barth, Fellbach,<br />

am 11. Juli 1922 dem <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Gemeinderat eine Off erte über Stei-<br />

gergurte, Karabiner und Armbinden.<br />

Die Schlauchfabrik Gollmer und Hummel<br />

preist ihre Feuerwehr-Schläuche an, während<br />

die Konkurrenz vor Produkten billiger<br />

Qualität eindringlich warnt.<br />

In der Meldung des Oberamtes Neckarsulm<br />

an das Königreich Württemberg aus<br />

dem Jahre 1905 wird die Feuerwehr <strong>Cleversulzbach</strong><br />

wie folgt erwähnt: Es besteht<br />

eine Pfl ichtfeuerwehr, eingeteilt in fünf<br />

Züge mit zusammen 80 Mann. Gründungsjahr:<br />

1886.<br />

In der Statistik des Württembergischen<br />

Feuerwehrkalenders von 1915 erscheinen<br />

diese Daten: Pfl ichtfeuerwehr mit 70<br />

Mann. Kommandant: Julius Erhardt, Bauer.<br />

Gründungsdatum: 1887 (Württembergischer<br />

Feuerwehrkalender 1915). 5<br />

oben: Meldung des Oberamtes Neckarsulm<br />

mit Gründungsdatum 1886<br />

unten: Württembergischer Feuerwehrkalender<br />

mit Gründungsdatum 1887


Damit gibt es zwei unterschiedliche<br />

Gründungsdaten für die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Feuerwehr in ihrer Eigenschaft als<br />

Pfl ichtfeuerwehr. Im so genannten Befehlbuch<br />

(1843 –1890) der Gemeinde<br />

fi ndet sich im Übrigen eine Anweisung<br />

des Oberamts Neckarsulm, wonach u. a.<br />

bestimmt wird, dass die Gemeinderäte<br />

„die Wahl des Kommandanten der Feuerwehr<br />

und seines Stellvertreters (Art. 17)<br />

zur Bestätigung anzuzeigen” haben und<br />

„spätestens bis zum 2. Januar 1887 der<br />

Nachweis zu liefern [ist], daß das ganze<br />

Feuerlöschwesen in der Gemeinde den<br />

Funktionsausübung Kommandant Stellvertreter<br />

1886 –1919 Julius Erhardt u. a. Daniel Hermann<br />

1919 Herrmann Schön Wilhelm Seebold<br />

1924 Gottlob Lumpp Karl Hesser<br />

1928 Gottlob Lumpp Karl Hesser<br />

1932 Gottlob Lumpp Karl Hesser<br />

1933 Gottlob Lumpp Eugen Herrmann<br />

1937 Gottlob Lumpp Albert Schlegel<br />

1939 Wilhelm Albrecht Otto Schlegel<br />

1946 Robert Lumpp Hermann Schön (lehnt Wahl ab)<br />

Fritz Weber, Erwin Lumpp<br />

195–1969 Erwin Lumpp Wilhelm Kollmar<br />

1969–1982 Horst Stephan Kurt Eckert<br />

1982–1992 Günter Leichtle Peter Stephan<br />

1992–1994 Peter Stephan Martin Simpfendörfer<br />

1994–2007 Martin Simpfendörfer Jürgen Heiß<br />

seit 2007 Jürgen Heiß Timo Enchelmaier<br />

Wirklich aussagekräftige Dokumente zur<br />

Freiwilligen Feuerwehr <strong>Cleversulzbach</strong><br />

sind für die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg<br />

im Archiv eher spärlich vorhanden.<br />

Im Zuge der Gleichschaltung wurde natürlich<br />

auch für die <strong>Cleversulzbach</strong>er Feu-<br />

bestehenden Anordnungen entspreche.”<br />

Die Anordnung ist datiert auf den 14.<br />

November 1886. 6<br />

Nachfolgend die Namen der Feuerwehrkommandanten<br />

und ihrer Stellvertreter,<br />

wie sie sich aus den diversen noch erhaltenen<br />

Wahlunterlagen darstellen. Der<br />

Zeitraum der Funktionsausübung war seit<br />

jeher auf fünf Jahre beschränkt, die Wahlperioden<br />

wurden allerdings nicht immer<br />

genau eingehalten; so machte das Gleichschaltungsgesetz<br />

im Jahre 1933 nach nur<br />

einem Jahr der Amtsausübung eine Neuwahl<br />

des Kommandanten erforderlich 7 .<br />

erwehr eine neue Satzung mit Wirkung<br />

vom 17. April 1933 erstellt. 8<br />

Ein Fragebogen „Schlagkraft der Feuerwehren”<br />

gibt ansatzweise Aufschluss über<br />

die personelle Zusammensetzung der Feuerwehr<br />

im Kriegsjahr 1943:<br />

177


178<br />

Fragebogen zur Schlagkraft der Feuerwehren, 1943<br />

Die Frage f) belegt, dass man den kriegsbedingten<br />

Schwund an einsatzfähigen<br />

Feuerwehrmännern aufzufangen versuchte,<br />

indem man Frauen für den Dienst<br />

zu aktivieren versuchte. Die vorgelegte<br />

Zahl lässt zwar vermuten, dass dieser Versuch<br />

zum Scheitern verurteilt war, dennoch<br />

belegen einige Fotos aus Privatbesitz,<br />

dass die Abteilung der weiblichen<br />

Feuerwehrkräfte durchaus nicht über Zulauf<br />

zu klagen hatte.<br />

Die einheitliche Einkleidung der Damen<br />

ging übrigens auf eine Initiative von Adolf<br />

Stecher aus <strong>Cleversulzbach</strong> zurück, dem<br />

Führer des Reichsluftschutzbundes der<br />

Ortsgruppe Neckarsulm, welcher feststellte<br />

9 , dass nach den bestehenden Bestimmungen<br />

Übungen mit Damenbekleidung<br />

nicht stattfi nden durften. Deshalb<br />

entschloss sich der Gemeinderat zur Anschaff<br />

ung von 15 Trainingsanzügen im<br />

Gesamtwert von 80 – 90 RM.


Weibliche Feuerwehr <strong>Cleversulzbach</strong> in der<br />

Zeit des Zweiten Weltkrieges<br />

Aus einer handschriftlichen Aufstellung<br />

vom 10. März 1946 gehen Umfang und<br />

Struktur der nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

neu aufgestellten Feuerwehr <strong>Cleversulzbach</strong><br />

hervor:<br />

Stab<br />

1 Kommandant<br />

1 Stellvertreter (Adjutant)<br />

1 Kassier, Schriftführer und Geräteverwalter<br />

2 Hornisten, davon 1 Feuerwehrdiener<br />

1. Zug<br />

1 Zugführer<br />

12 Steiger und Retter<br />

2 Elektriker<br />

2. Zug<br />

1 Zugführer<br />

2 Gruppenführer<br />

14 Mann<br />

3. Zug (Spritzenmannschaft)<br />

1 Zugführer<br />

1 Spritzenmeister<br />

10 Mann<br />

4. Zug (Flüchtlingsmannschaft)<br />

1 Zugführer<br />

6 Mann<br />

Feuerwehrmänner in <strong>Cleversulzbach</strong> kurz<br />

vor dem Zweiten Weltkrieg<br />

Erste Reihe (sitzend und stehend): Hermann<br />

Schön, Alfred Stephan, August Dietrich,<br />

Ludwig Vollmann<br />

Zweite Reihe (auf der Spritze sitzend): Hermann<br />

Uhlmann (ohne Helm), Unbekannt<br />

(untere Gesichtshälfte verdeckt), Unbekannt<br />

(mit Blick nach hinten)<br />

Aus der Chronik der Feuerwehr<br />

<strong>Cleversulzbach</strong><br />

Aus den Tagen vor Einrichtung des Telefondienstes<br />

stammen die nachfolgend abgebildeten<br />

Brandmeldekarten, mit deren<br />

Hilfe der Schultheiß im Brandfalle Unterstützung<br />

von der Nachbargemeinde anfordern<br />

konnte. Die Karten lagen immer<br />

griff bereit – mit Gemeindesiegel und -namen<br />

versehen – und mussten vom Feuermelder<br />

auf schnellstem Wege übermittelt<br />

werden. „Der Name der Gemeinde ist im<br />

voraus einzuschreiben und der Ortsstempel<br />

zum voraus aufzudrücken, damit der<br />

Ortsvorsteher (Anwalt) oder sein Stellvertreter<br />

im Falle eines Brandes die Karten<br />

nur an die Feuerboten auszuteilen hat<br />

und nichts mehr schreiben muß.”<br />

Die Karten sind leider undatiert, sie waren<br />

wohl über einen längeren Zeitraum in Gebrauch<br />

und dürften – Orthografi e und<br />

179


180<br />

Brandmeldekarte (Vor- und Rückseite)<br />

Druckbild lassen dies vermuten – aus der<br />

Gründungszeit unserer Feuerwehr stammen.<br />

12. Januar 1923<br />

Die Gemeinden westlich von Öhringen haben<br />

bei größeren Bränden die neue Kraftfahrspritze<br />

in Öhringen anzufordern.<br />

Am 28. Oktober 1946<br />

werden die Ortschaften Neuenstadt, Ödheim,<br />

Degmarn, Kochertürn, Bürg, Gochsen,<br />

Brettach, <strong>Cleversulzbach</strong>, Dahenfeld,<br />

Lampoldshausen und Kochersteinsfeld in<br />

der Feuerlöschgemeinschaft XVI zusammengeschlossen<br />

und zur gegenseitigen<br />

Hilfeleistung verpfl ichtet.<br />

Die TS 8<br />

Im Jahre 1946 lieferte die Firma Bachert,<br />

Kochendorf, die so genannte TS<br />

8 10 an unsere Feuerwehr aus, die über<br />

lange Jahre hinweg im Einsatz bleiben<br />

sollte.<br />

Die notwendigen Wartungsarbeiten<br />

und technischen Anpassungen wurden<br />

jeweils von der Herstellerfi rma<br />

vorgenommen, und so lesen sich die<br />

TÜV-Berichte der 1950er Jahre durchaus<br />

positiv.<br />

Am 16. März 1961 lobt der Prüfer den<br />

guten Pfl egezustand – Beanstandungen<br />

keine.<br />

Zwei Jahre später (24. April 1963)<br />

weist der Bericht darauf hin, dass das<br />

Gerät ein Kriegsbaumuster und damit<br />

veraltet sei, die Anschaff ung einer<br />

neuen TS wird empfohlen. In einem<br />

Schreiben an das Landratsamt (19.<br />

August 1963) nimmt der Gemeinderat<br />

hierzu Stellung, indem er einräumt,<br />

dass die Neuanschaff ung einer TS 8<br />

angedacht, wegen fi nanzieller Engpässe<br />

in diesem Jahr jedoch nicht<br />

möglich ist.<br />

An der fi nanziellen Lage der Gemeinde<br />

kann sich auch in den Folgejahren<br />

wenig gebessert haben, denn<br />

der TÜV-Bericht vom 24. Juni 1965<br />

(man beachte die Überschreitung der<br />

Fristen!) bemängelt für TS 8 (Baujahr<br />

1946) mit behelfsmäßigem TSA 11 , dass<br />

die Pumpenleistung gegenüber dem<br />

vorherigen Bericht weiter zurückgegangen<br />

ist. Die Leistung von Motor,<br />

Zündanlage, Gasstrahler usw. werden<br />

zwar als noch befriedigend eingestuft,<br />

allerdings „wie schon früher angeführt,<br />

würde sich an diesem veralteten<br />

Gerät eine komplette Instandsetzung<br />

nicht mehr lohnen. Eine Neuanschaff<br />

ung muss ins Auge gefaßt werden.”


Eine Bestandsaufnahme vom 1. Januar<br />

1969 belegt, dass TS 8 (Baujahr<br />

1946) mitsamt dem Anhänger auch<br />

weiterhin noch treu und unverwüstlich<br />

ihren Dienst versah:<br />

• 2 Löschkarren, bzw. Hydr. Wagen<br />

• 1 TS 8 (1946)<br />

• 1 Anhänger TSA<br />

• 1 Zweiradleiter<br />

• 6 Schläuche, z. T. ungummiert<br />

• 1 Feueralarmsirene<br />

Zweiradleiter der Freiwilligen Feuerwehr<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> (Aufstellung im Museum<br />

Schafstall in Neuenstadt am Kocher<br />

2011 anlässlich des 150-jährigen<br />

Bestehens der Feuerwehr Neuenstadt).<br />

1. Juni 1950<br />

Laut Kreisbrandinspektor Rebmann ist<br />

eine geordnete Brandbekämpfung oftmals<br />

nicht gewährleistet, da viele Feuerwehrmänner<br />

mangels Uniform nicht als solche<br />

erkennbar sind. Empfehlung: Anschaff ung<br />

eines roten Armbandes, auf welches ein<br />

Abzeichen zu nähen ist.<br />

17. März 1960<br />

§ 2 Erlassung einer Feuerwehrabgabesatzung<br />

1. Die Feuerwehrabgabe für das Rechnungsjahr<br />

1959 wird aus verwaltungstechnischen<br />

Gründen nicht erhoben.<br />

2. Die Satzung, die die Erhebung einer<br />

Feuerwehrabgabe in der nachstehend<br />

ersichtlichen Fassung zu erlassen zum<br />

Gegenstand hat, wird beschlossen. Sie<br />

ist sofort öff entlich bekannt zu machen,<br />

damit sie am 1. April 1960 in<br />

Kraft tritt.<br />

3. Eine Fertigung der Satzung ist der Aufsichtsbehörde<br />

vorzulegen. 12<br />

22. Juli 1962<br />

Teilnahme der Freiwilligen Feuerwehr <strong>Cleversulzbach</strong><br />

bei der Waldbrandübung im<br />

„Vorderwäldle“ in Neuenstadt<br />

Am 1. Januar 1972<br />

kam <strong>Cleversulzbach</strong> im Zuge der Gemeindereform<br />

zur Stadt Neuenstadt. Die erste<br />

Variante der neuen Feuerwehrsatzung trat<br />

am 23. Februar 1972 in Kraft. Am 11. März<br />

1972 fand die erste gemeinsame Generalversammlung<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> statt. Am<br />

22. März 1972 wurde eine Maschinistenausbildung<br />

in Neckarsulm durchgeführt.<br />

Den Kreisfeuerwehrtag in Eppingen besuchte<br />

man am 8. Juli 1972, und eine<br />

erste gemeinsame Wanderung mit den<br />

Neuenstädtern führte ins „Grüne Häusle“.<br />

Die Hauptübung fand bei der Firma Neu-<br />

181


182<br />

meister statt. Für beide Abteilungen<br />

wurde ein Unterricht mit Lichtbildvortrag<br />

über den Tankwagenunfall in Albershausen<br />

abgehalten.<br />

1976 wurden 110 Helme in nachleuchtender<br />

Farbe, 5 B- und 26 C-Schläuche angeschaff<br />

t.<br />

27. Februar 1982<br />

Günter Leichtle löst Horst Stephan als Leiter<br />

der Abteilung <strong>Cleversulzbach</strong> ab.<br />

24. bis 26. Mai 1986<br />

Neuenstadt und die angegliederten Abteilungen<br />

aus den Teilorten feiern das<br />

125-jährige Bestehen der FFW Neuenstadt.<br />

Die technische und personelle Ausstattung<br />

der Abteilung <strong>Cleversulzbach</strong> be-<br />

stand zu diesem Zeitpunkt aus dem Abteilungskommandanten<br />

Günter Leichtle, 30<br />

FW-Männern und 1 TSF 13 (Baujahr 1971).<br />

Am 30. Dezember<br />

1987 endete das Jahr mit einem Einsatz<br />

beim Brand einer Feldscheune in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

1989<br />

Verbesserte Unterbringung der Abteilung<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> in der Kelter-Halle.<br />

31. Dezember 1990<br />

Übernahme des Ressorts Öff entlichkeitsarbeit<br />

für den Bereich <strong>Cleversulzbach</strong> durch<br />

Helmut Nef.<br />

1991<br />

Anschaff ung eines Wassersaugers.<br />

Aufnahme aus dem Jahr 1994<br />

stehend v. l.: Gerd Zimmermann, Roland Baier, Mathias Hofmann, Bernd Plenefi sch, Thomas<br />

Plenefi sch, Martin Weber, Rene Speckmaier, Werner Dietrich, Harald Kuttruf, Thomas Bauer,<br />

Klaus Schlegel, Jürgen Korb, Andreas Stahl, Jürgen Uhlmann, Sven Leichtle, Martin Simpfendörfer<br />

sitzend v. l.: Martin Kollmar, Jürgen Heiß, Patrick Nef, Helmut Nef, Rüdiger Bauer, Kurt Eckert,<br />

Klaus Stephan, Dieter Plenefi sch, Günther Leichtle


1996<br />

Anschaff ung von Melde-Empfängern.<br />

November 2000<br />

Bei einer Klausurtagung des Gemeinderates<br />

wird ein Papier vorgestellt, das den Erhalt<br />

der Abteilung <strong>Cleversulzbach</strong> regelt,<br />

falls es gelingt, die Tagespräsenz zu erhöhen.<br />

Umsetzung des TSF-W14 nach <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Sommer 2006<br />

Der Neuenstädter Gemeinderat triff t die<br />

Entscheidung, dass die Abteilung <strong>Cleversulzbach</strong><br />

als eigenständige Abteilung bestehen<br />

bleibt.<br />

Ablösung von Martin Simpfendörfer durch<br />

Jürgen Heiß als Abteilungskommandant.<br />

9. Mai 2007<br />

Das 37 Jahre alte TSF wird ausgemustert<br />

und durch das TSF-W (Baujahr 1993) ersetzt.<br />

Das TSF-W, Baujahr 1993<br />

8. März 2008<br />

Übergabe des neu gestalteten Feuerwehrhauses<br />

mit Schulungsraum.<br />

Mit dem Neubau der Kelterhalle (Einweihung<br />

1956) bezog die Abteilung ihre<br />

neuen Räumlichkeiten, die bis heute bereits<br />

zweimal erweitert wurden (1987 und<br />

2007). 1971 erhielt die Abteilung ihr erstes<br />

motorisiertes Fahrzeug, das Tragkraftspritzenfahrzeug<br />

Ford Transit (TSF) von der<br />

Firma Bachert.<br />

Nach der Amtszeit von Erwin Lumpp und<br />

der Eingemeindung nach Neuenstadt kam<br />

die Feuerwehr <strong>Cleversulzbach</strong> als Abteilung<br />

2 als erste zur Gesamtfeuerwehr<br />

(1. Januar 1972).<br />

Kommandant war zu diesem Zeitpunkt<br />

Horst Stephan (Stellvertreter: Kurt Eckert).<br />

Er war somit auch der erste Abteilungskommandant<br />

der neuen Abteilung 2 bis<br />

zu seinem Umzug nach Neuenstadt. Mit<br />

der Eingemeindung schlossen sich die beiden<br />

Abteilungen auf kameradschaftlicher<br />

Ebene zusammen. Seither gibt es eine gemeinsame<br />

Kasse, den Abteilungs– und Gesamtausschuss,<br />

die Altersabteilung ist<br />

ebenfalls in einer Gruppe organisiert.<br />

Die Abteilung <strong>Cleversulzbach</strong> besteht derzeit<br />

aus 26 Feuerwehrkameraden:<br />

Abteilungs- Jürgen Heiß<br />

kommandant<br />

Stv. Abteilungs- Timo Enchelmaier<br />

kommandant<br />

Gerätewart Harald Kuttruf<br />

Kassier Dieter Schenk,<br />

Jürgen Heiß<br />

Leiter Altersabteilung<br />

Rudolf Schuster<br />

(Ehrenkommandant)<br />

Zugführer Jürgen Heiß,<br />

Günter Leichtle<br />

Gruppenführer Timo Enchelmaier,<br />

Martin Simpfendörfer,<br />

Thorsten Soukup,<br />

Jürgen Uhlmann<br />

183


184<br />

Abteilung <strong>Cleversulzbach</strong> 2011<br />

Obere Reihe von links: Günter Leichtle, Helmut Nef, Mario Stephan, Gerd Zimmermann,<br />

Sven Leichtle, Bernd Plenefi sch<br />

Untere Reihe von links: Dieter Plenefi sch, Thomas Bauer, Klaus Schlegel, Harald Kuttruf,<br />

Marc Nef, Klaus Stephan, Joachim Mall, Rüdiger Bauer, Markus Göltenboth, Jürgen Korb,<br />

Daniel Göltenboth, Philipp Simpfendörfer, Martin Simpfendörfer, Matthias Hofmann,<br />

Kai Schneider, Jürgen Uhlmann, Martin Kollmar, Jürgen Heiß<br />

Auf dem Bild fehlen: Andreas Jojade, Marcel Enchelmaier, Timo Enchelmaier,<br />

Torsten Soukup<br />

1 CR 278 S. 113<br />

2 CR 278 S. 115<br />

3 CR 281 Bl. 139<br />

4 CB 9 No. 268 Bekanntmachungen (4. November 1886).<br />

5 Im Jahre 2011 feierte die Feuerwehr Neuenstadt am Kocher<br />

ihr 150-jähriges Bestehen. Bei den Nachforschungen<br />

zu der projektierten Festschrift stieß man auf die Angaben<br />

zum Gründungsdatum der <strong>Cleversulzbach</strong>er Feuerwehr.<br />

Weitere Auszüge aus der Festschrift im vorliegenden Beitrag;<br />

zusammengestellt von Jürgen Heiß und Klaus Gussmann,<br />

erweitert von Norbert Gessmann.<br />

6 CB 9 No. 268 Feuerlöschwesen<br />

7 Weitere Angaben, z. B. über das genaue Datum der Stabswahlen,<br />

den jeweiligen Mannschaftsstand oder die Zugführer,<br />

lassen sich aus den entsprechenden Feuerwehrakten<br />

im <strong>Cleversulzbach</strong>er Archiv ablesen. Besonders die<br />

Faszikel<br />

Führer der Feuerwehr (1900 –1925) CA 437<br />

Mannschaftsstand (1919 –1954) CA 438<br />

Kommandanten (1925 –1969) CA 439<br />

halten interessante Details für den interessierten Leser<br />

bereit. An dieser Stelle seien lediglich noch zwei Einträge<br />

erwähnt: Am 5. Juni 1919 wurde die vollständige Rückkehr<br />

der Heeresangehörigen konstatiert, was eine Bestandsaufnahme<br />

der Pfl ichtfeuerwehr <strong>Cleversulzbach</strong> erforderlich<br />

machte. In der Periode 1938 wird Herrmann<br />

Schön als Alterskommandant (über 45 Jahre) und Wilhelm<br />

Seebold als sein Stellvertreter erwähnt.<br />

8 CA 436<br />

9 CB 36 S. 329 (29. Januar 1936)<br />

10 Tragkraftspritze<br />

11 Tragkraftspritzenanhänger<br />

12 CA 38 S. 32<br />

13 Tragkraftspritzenfahrzeug<br />

14 Tragkraftspritzenfahrzeug mit Wagen


Handwerk, Handel und Gewerbe<br />

früher und heute<br />

Altes Handwerk – Betriebe von heute in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Über Jahrhunderte hinweg prägten<br />

Ackerbau, Viehzucht und Weinbau das<br />

Leben in der Gemeinde. Noch Ende des 19.<br />

Jahrhunderts waren mehr als drei Viertel<br />

der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft<br />

beschäftigt. Dafür wurde gut die Hälfte<br />

der damals 527 Hektar umfassenden<br />

Markungsfläche genutzt. Die Vermögensverhältnisse<br />

der <strong>Cleversulzbach</strong>er waren<br />

nur mittelmäßig, wie die Oberamtsbeschreibung<br />

1881 feststellte. Das<br />

Spektrum der von einem Hof bewirtschafteten<br />

Fläche reichte von 70 Morgen<br />

Grundbesitz, die dem vermögendsten<br />

Bauer zur Verfügung standen, bis zu 0,5<br />

bis 1 Morgen am unteren Ende. 1895<br />

bewirtschafteten 42 Betriebe eine Fläche<br />

zwischen 2 und 5 Hektar, die vier größten<br />

Betriebe hatten zusammen 43 Hektar. Im<br />

Schnitt standen einem landwirtschaftlichen<br />

Hof in <strong>Cleversulzbach</strong> 2,7 Hektar<br />

zur Verfügung. Damit lag die Gemeinde<br />

deutlich unter dem Durchschnittswert für<br />

das Oberamt Neckarsulm, der zum gleichen<br />

Zeitpunkt etwa 3,3 Hektar betrug. 1<br />

Die überwiegend landwirtschaftliche<br />

Struktur war auch für das Handwerk und<br />

Gewerbe am Ort bestimmend. Die Arbeit<br />

der Handwerker diente dem örtlichen Bedarf<br />

und umfasste vor allem Reparaturen<br />

und Neuanfertigungen von Geräten und<br />

Geschirr für die Landwirtschaft und den<br />

Weinbau. Schmiede, Wagner und Küfer<br />

zählten zu den wichtigsten Berufen. Hinzu<br />

kamen Maurer, Zimmerleute und Schreiner,<br />

die sich um die Instandsetzung der<br />

Häuser und landwirtschaftlichen Gebäude<br />

und die wenigen neu entstehenden Ge-<br />

bäude kümmerten. Schon früh ist auch<br />

eine Anzahl von Schneidern und Schuhmachern<br />

in den schriftlichen Quellen genannt.<br />

Die Bewohner ließen dort über das<br />

Jahr hinweg Schuhe und diejenigen Kleidungsstücke<br />

anfertigen bzw. reparieren,<br />

die sie nicht selbst herstellen konnten.<br />

Ebenfalls früh sind in <strong>Cleversulzbach</strong> Leineweber<br />

nachgewiesen, die im 19. Jahrhundert<br />

besonders stark vertreten waren,<br />

ehe sie nach dem Ersten Weltkrieg endgültig<br />

aus dem Ortsbild verschwanden. Sie<br />

produzierten Leinwand hauptsächlich für<br />

den eigenen Bedarf, vermutlich aber auch<br />

auf Bestellung. Im 19. Jahrhundert sind<br />

zudem einige <strong>Cleversulzbach</strong>er als Korbmacher<br />

tätig. Zum Teil verkauften sie ihre<br />

Körbe auch im „Umherziehen“, also als<br />

Hausierer. Als Beispiel dafür ist in den<br />

Quellen Carl Bordt genannt. 2<br />

Schmiede<br />

Einer der wichtigsten Handwerker im Dorf<br />

war der Schmied. Er musste die Pferde beschlagen<br />

oder die Radreifen aufziehen<br />

und war damit für die ländliche Bevölkerung<br />

unentbehrlich. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />

sind Schmiede seit dem 18. Jahrhundert<br />

namentlich bekannt. Martin Kuttruff ist<br />

1733/38 als Schmied erwähnt, 3 Georg Michael<br />

Schäfer 1760 und 1762, 4 Michel<br />

Merz 1779 mit einer neu erbauten<br />

Schmiedewerkstatt. 5 Auch „Jung Michael<br />

Mörz“ (1785) scheint die Tradition fortgeführt<br />

zu haben. 6 1807 erhielt auch Friedrich<br />

Nieth die Genehmigung zur Errichtung<br />

einer neuen Schmiedewerkstatt. Sie<br />

befand sich in einem Haus, das er Johan-<br />

185


186<br />

nes Simpfendörfer abgekauft hatte. Wie<br />

viele andere Handwerker besaß er auch<br />

„etwas Güterstücke“, so dass er glaubte,<br />

sich in der Kombination aus seinem<br />

Handwerk und der Bewirtschaftung seiner<br />

Felder gut ernähren zu können. Nieth<br />

beschäftigte zeitweise einen Gehilfen. 7<br />

Besonders bekannt wurde die Salm'sche<br />

Schmiede, die zwischen Kirche und Pfarrhaus<br />

stand. Dort fand Eduard Mörike<br />

beim alten Eisen den von der St.-Jost-<br />

Kirche stammenden ausrangierten Turmhahn,<br />

nahm ihn an sich und begann noch<br />

in seiner <strong>Cleversulzbach</strong>er Zeit (1840),<br />

ihn in seinem Gedicht<br />

vom alten<br />

Turmhahn zu verewigen.<br />

Zu dieser<br />

Zeit führte Johann<br />

Georg Salm den Betrieb.<br />

Dessen Vater<br />

war Bauer Georg Jeremias<br />

Salm. Diesen<br />

verklagte Mörike<br />

1836/37 vor dem<br />

Oberamtsgericht<br />

Neckarsulm und erreichte<br />

in einem<br />

Vergleich, dass der<br />

jeweilige Pfarrer<br />

von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

für den Kirchgang<br />

den Weg über Salms<br />

Grundstück benutzen<br />

dürfe. 8 Johann<br />

Georg wanderte<br />

1862 mit Frau und<br />

deren zwei unehelichen<br />

Kindern nach<br />

Australien aus; die<br />

Schmiedewerkstatt<br />

ging danach wohl<br />

an seinen 1838 geborenen<br />

Sohn August<br />

über, der am<br />

Ort verblieben war.<br />

Das Gebäude wurde inzwischen abgerissen,<br />

um dem neuen Gemeindehaus Platz<br />

zu machen.<br />

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts sind<br />

weitere Schmiede nachgewiesen. Der aus<br />

Sittenhardt stammende Bernhard Kolb,<br />

der 1843 das <strong>Cleversulzbach</strong>er Bürgerrecht<br />

erworben hatte, arbeitete zumindest<br />

zeitweilig als Schmied am Ort, verzog<br />

dann aber nach Schwäbisch Hall. Außerdem<br />

betrieb Gottlieb Ludwig Euerle<br />

(1822–1885), der in Großaspach geboren<br />

war und 1850 das Bürgerrecht erhalten<br />

hatte, das Schmiedhandwerk. 9 Sein Sohn<br />

Die alte Salm'sche Schmiede – beim Reifenaufbrennen


Karl Christian führte den Betrieb weiter.<br />

Hinzu kamen der aus Brettach stammende<br />

Johann Christian Blanck sowie<br />

Karl Schwarz und August Spahmann. Zu<br />

Beginn des 20. Jahrhunderts reduzierte<br />

sich die Anzahl auf zwei: Friedrich Birk,<br />

der seit 1928 seine Schmiede in der Eberstädter<br />

Straße 5 hatte, und August Spahmann<br />

in der Mittleren Gasse, der mit<br />

Kriegsbeginn eingezogen, 1941 zur NSU<br />

dienstverpfl ichtet wurde und seinen Betrieb<br />

nicht wiedereröff nen konnte, da er<br />

1944 an den Folgen eines Betriebsunfalls<br />

starb. 10 Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

blieb Birk der einzige Schmied am Ort.<br />

Wie andere Handwerker musste sich der<br />

Schmied den neuen Gegebenheiten anpassen.<br />

Anfang der 1950er Jahre wurde<br />

vor der Werkstatt eine Fasstankstelle errichtet,<br />

die vor allem dem Bedarf der<br />

Landwirte am Ort diente. Benzin und<br />

Diesel der Marke AVIA mussten mit einer<br />

Handpumpe aus dem Fass gezapft werden.<br />

Nach dem Tod von Friedrich Birk<br />

(1968) führte die Witwe Lina den Betrieb<br />

im Kleinen weiter, bis sie ihn 1975 alters-<br />

und krankheitshalber endgültig abmeldete.<br />

Tankstelle in der Eberstädter Straße, links im Bild das Dieselfass (Foto Anfang 1960er Jahre)<br />

187


188<br />

Küfer<br />

Der Küfer gehörte in Weinbaugebieten zu<br />

den häufi gsten und wichtigsten Berufen.<br />

Im Oberamt Neckarsulm waren 1881 73<br />

Küfermeister und 12 -gehilfen tätig. Das<br />

Handwerk war etwa so stark vertreten<br />

wie die Leineweber, Wagner oder Bäcker,<br />

wurde aber von den Schustern (181),<br />

Maurern / Steinhauern (174) und Schneidern<br />

(107) deutlich übertroff en. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />

wurde zu diesem Zeitpunkt etwa<br />

auf einem Sechstel der Markung Wein angebaut;<br />

dem Weinbau kam nur eine mittelgroße<br />

Bedeutung zu. Der erste namentlich<br />

bekannte Küfer ist Hans Kern; er wird<br />

1638 in den Kirchenbüchern erwähnt. Um<br />

die Mitte des 18. Jahrhunderts sind zwei<br />

Küfer genannt: Hans Michel Borth (1743)<br />

und Johann Martin Batzer (1746). 11 Auch<br />

im 19. Jahrhundert waren es meist mehrere<br />

Küfer, die den Ort versorgten. Im Gewerbekataster<br />

von 1823 sind Georg Stefan,<br />

der 1828 das Handwerk aufgegeben<br />

hat, Paul Stephan und Martin Bayer aufgeführt.<br />

12 Hinzu kamen Carl Bordt (geb.<br />

1806) und der aus Mainhardt stammende<br />

Christian Bauer (geb. 1849), der sein Haus<br />

mit Stall in der Seegasse hatte. 13 Auch Georg<br />

Balthas Lumpp war als Küfer tätig;<br />

seine Werkstätte war in einem Remisenbau<br />

neben seinem Haus in der Hauptstraße<br />

(Nr. 31). Dort war auch „ein kupferner<br />

Branntweinhafen“ (Destillationskessel)<br />

eingemauert. Lumpp hat also wohl auch<br />

Schnaps gebrannt. 14 In der Familie Bordt<br />

scheint über mehrere Jahrhunderte das<br />

Küferhandwerk ausgeübt worden zu sein:<br />

Ludwig besaß ein Wohnhaus am Hohlweg<br />

(Nr. 18), Karl gehörte zu den ersten Genossen<br />

des neu gegründeten Darlehenskassenvereins,<br />

und der 1899 geborene August<br />

Bordt war der einzige Küfer am Ort<br />

bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.<br />

Zugleich hatte er begonnen, seinen<br />

Betrieb zu diversifi zieren und betrieb zugleich<br />

eine Autovermietung. 15<br />

Entwicklung im Handwerk und in der<br />

Wirtschaft seit dem 19. Jahrhundert<br />

– Betriebsgründungen<br />

Größere Handwerksbetriebe hat es kaum<br />

gegeben. Noch im 19. Jahrhundert hatten<br />

die meisten Handwerker maximal einen<br />

Gehilfen und dies auch nur zeitweise. Die<br />

Bauern reparierten und stellten ihre Gerätschaften<br />

zum Teil selber her, und umgekehrt<br />

besaßen die Handwerker in der<br />

Regel landwirtschaftliche Güter, die sie<br />

bewirtschafteten. Handwerk und Landwirtschaft<br />

waren eng miteinander verbunden.<br />

Immerhin aber bot das Handwerk<br />

ein zusätzliches Einkommen, das besonders<br />

dort von Bedeutung war, wo die<br />

Landwirtschaft keine ausreichende Ernährungsgrundlage<br />

(mehr) bot.<br />

Erst in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts<br />

zeichneten sich ein allmählicher<br />

Wandel und eine Umstrukturierung ab.<br />

Die zunehmende Industrialisierung des<br />

Neckartals um Heilbronn bot auch den<br />

Menschen in <strong>Cleversulzbach</strong> neue Erwerbsmöglichkeiten.<br />

1895 waren zwar<br />

noch mehr als drei Viertel der Erwerbstätigen<br />

der Gemeinde in der Landwirtschaft<br />

beschäftigt, beinahe 20 Prozent aber bereits<br />

in der Industrie. Die Bürgerliste führt<br />

neben den zahlreichen Bauern und den<br />

Vertretern der Handwerksberufe eine<br />

Reihe von (Fabrik)arbeitern auf. Von den<br />

zwischen 1865 und v.a. zwischen 1882<br />

und 1910 Geborenen waren 21 (Fabrik)arbeiter,<br />

inkl. einem Telegraphenarbeiter. 16<br />

Diese pendelten nach Heilbronn, Neckarsulm<br />

und seit den 1920er Jahren auch<br />

nach Neuenstadt, wo die Nährmittelfabrik<br />

als erster größerer Arbeitgeber entstanden<br />

war. Für einen Teil der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

waren damit erstmals Wohn- und Arbeitsort<br />

örtlich getrennt. Einige unter ihnen<br />

verließen mit der Zeit ihre Heimat und zogen<br />

an den Arbeitsort.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die<br />

bestehenden Handwerks- und Handelsbe-


triebe um den Fortbestand ihres Geschäftes<br />

nachsuchen. Auch einige neue Unternehmen<br />

entstanden. Zum 1. Oktober 1947<br />

gab es im Dorf elf Handwerks- und einen<br />

einzigen Handelsbetrieb, nämlich den Gemischtwarenladen<br />

von Gottlob Korb, der<br />

seit 1910 bestand. 17 Vom Handwerk waren<br />

zwei Schuhmacher, Wilhelm Apfelbach<br />

und Emil Heiß, vertreten. Eine Zeitlang<br />

gab es sogar eine dritte Werkstatt. Obwohl<br />

streitig war, ob in der kleinen Gemeinde<br />

mit damals 558 Einwohnern tatsächlich<br />

Bedarf vorhanden war, erhielt der<br />

aus Bessarabien stammende, bei einem<br />

Schuhmacher in Brettach angestellte<br />

Christian Arlt im Juli 1948 eine Gewerbeerlaubnis.<br />

Die Gemeinde und der Verband<br />

deutscher Umsiedler aus Bessarabien und<br />

der Dobrudscha befürworteten seinen Antrag.<br />

Das Angebot ergänzten die Schmiede<br />

von Friedrich Birk in der Eberstädter<br />

Straße, die Anfang der 1950er Jahre eine<br />

Tankstelle eröff nete, die zwei nach dem<br />

Ersten Weltkrieg gegründeten Wagnereien<br />

von Ludwig Spahmann in der Unteren<br />

Gasse und von Wilhelm Rüber in der<br />

Brettacher Straße (hier steht heute die<br />

Bäckerei Discher) und die Küferei von August<br />

Bordt, der die Werkstatt von seinem<br />

Vater Karl übernommen hatte. Er hatte<br />

zugleich eine Autovermietung, besaß ein<br />

Auto und einen Lkw und übernahm die<br />

Milchtransporte. Die Zahl der neu gegründeten<br />

Fuhr unter neh mungen war nach<br />

Kriegsende im Landkreis Heilbronn<br />

sprunghaft angestiegen. Im April 1947<br />

waren 175 Pferde- und etwa<br />

175 Autofuhrunternehmungen zugelassen,<br />

wäh rend es im Jahr 1936 gerade einmal<br />

60 bis 80 im gesamten Stadt- und<br />

Landkreis Heilbronn waren. 18 In der Trümmerbeseitigung<br />

und im Wiederaufbau gab<br />

es neue Aufgabenbereiche, die so vor dem<br />

Krieg nicht bestanden hatten, und den<br />

Einsatz in der Landwirtschaft sowie die<br />

herkömmlichen Waren- und Personen-<br />

transporte ergänzten. Ein ähnliches Bild<br />

zeichnete sich in <strong>Cleversulzbach</strong> ab. Im<br />

April 1947 wollte Landwirt Wilhelm Pfeffer<br />

ein eigenes Unternehmen eröff nen. Er<br />

war bis dahin im Auftrag der Spar- und<br />

Darlehenskasse tätig und hatte mit deren<br />

Holzgastraktor Lohnfuhren gemacht. In<br />

der Landwirtschaft fand auch Wilhelm<br />

Kaldun hauptsächlich seine Kundschaft.<br />

Seine Familie stammte ursprünglich aus<br />

Bessarabien, musste fl üchten und war<br />

über Umwege im Frühjahr 1946 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

gelandet. Das Pferdefuhrwerk<br />

gehörte zu dem wenigen, was die Familie<br />

von ihrem Hab und Gut retten konnte.<br />

Damit gründete er ein Lohnfuhrunternehmen<br />

und half den Bauern beim Bestellen<br />

ihrer Felder. Als zunehmend der technische<br />

Fortschritt auch in der Landwirtschaft<br />

einzog und ein Traktor nach dem<br />

anderen ins Dorf kam, wurden Kalduns<br />

Pferdestärken nicht mehr gebraucht. Er<br />

verkaufte seine Pferde und arbeitete<br />

fortan bei der Stadt Neuenstadt. Später<br />

betrieb auch der in der Hohlgasse lebende<br />

Erich Herrmann ein Fuhrunternehmen<br />

und brachte die Milch von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

zur Molkerei in Neuenstadt.<br />

Die Gemeinde befürwortete in den meisten<br />

Fällen neue Betriebe, denn die im Ort<br />

lebenden Neubürger – Vertriebene und<br />

Flüchtlinge, Evakuierte etc. –, sollten rasch<br />

in Brot und Arbeit gebracht und die Wirtschaft<br />

wieder aufgebaut werden. Als problematisch<br />

erwiesen sich aber die Bedingungen<br />

für die Zulassung als selbständiger<br />

Handwerksbetrieb. So scheiterte die<br />

dauerhafte Betriebsgenehmigung oftmals<br />

an der fehlenden Meisterprüfung. Durch<br />

die in den Nachkriegsjahren neu entstandenen<br />

Betriebe verbreiterte sich das Waren-<br />

und Dienstleistungsangebot für die<br />

Dorfbevölkerung. Mit Christian Lumpp<br />

gab es wieder einen eigenen Schneider am<br />

Ort. Er stammte aus <strong>Cleversulzbach</strong>, hatte<br />

in Brettach eine Schneiderlehre absolviert<br />

189


190<br />

und zuletzt bis zum Kriegsausbruch als<br />

Geselle in Marburg und Mannheim gearbeitet.<br />

Mit Kriegsende kam er in die Heimat<br />

zurück und machte sich als Herrenschneider<br />

selbständig. Aus dem ausgebombten<br />

Mannheim war auch Lina Neumann<br />

nach <strong>Cleversulzbach</strong> gekommen, wo<br />

sie eine Damenschneiderei aufmachte.<br />

Gerade Schneider- und Schuhhandwerk<br />

waren diejenigen Handwerke, in denen<br />

sich viele Neubürger nach dem Krieg eine<br />

neue Existenz aufzubauen versuchten.<br />

Denn hier musste relativ wenig investiert<br />

werden, während etwa eine Bäckerei oder<br />

ein Industriebetrieb ein hohes Einstiegskapital<br />

erforderten. Erstmals gab es nun<br />

auch ein Maler- und Tapeziergeschäft, das<br />

von dem Neubürger Herbert Zühlsdorf,<br />

der aus Stargard in Pommern stammte,<br />

eröff net wurde. 1949 begann Johann<br />

Huss, Maurer- und Gipserarbeiten nach<br />

Feierabend zu erledigen, und im darauffolgenden<br />

Jahr machte Karl Schäfer, der<br />

im Krieg in Stuttgart-Botnang ausgebombt<br />

worden war, eine Gärtnerei auf.<br />

Wie seine Tochter Anneliese Keller erzählt,<br />

kam er nach <strong>Cleversulzbach</strong>, weil seine<br />

Tante als Köchin im Pfarrhaus beschäftigt<br />

war. Karl Schäfer begann damit, sein<br />

selbst angebautes Gemüse auf dem Markt<br />

in Heilbronn zu verkaufen, dann auch die<br />

dortigen Lebensmittelgeschäfte zu beliefern.<br />

Später hatte er einen kleinen Laden<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> (hinter dem heutigen<br />

Laden der Bäckerei Discher). Dieser bestand<br />

bis 1990; die Gebäude wurden inzwischen<br />

abgerissen. Die Tochter Anneliese<br />

Keller führt in der Seestraße 7 den<br />

Betrieb im Kleinen weiter.<br />

Dies alles waren kleine Betriebe, in denen<br />

allenfalls die Familienmitglieder mithalfen.<br />

Nennenswerte Arbeitsplätze gab es<br />

am Ort nicht. Viele fuhren täglich nach<br />

auswärts zur Arbeit. Anfang Oktober 1948<br />

waren es 46 Männer und Frauen aus <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />

die zu ihrem Arbeitsplatz<br />

auspendelten, darunter 31 nach Neuenstadt,<br />

sechs nach Neckarsulm und vier<br />

nach Heilbronn. Andere pendelten nach<br />

Eberstadt, Jagstfeld, Kochertürn oder<br />

Haßmersheim. Die wichtigsten Arbeitgeber<br />

für die <strong>Cleversulzbach</strong>er waren die<br />

Nährmittelwerke in Neuenstadt, wo<br />

hauptsächlich Frauen Arbeit fanden, und<br />

die NSU-Werke in Neckarsulm. Aber auch<br />

andere Neuenstädter Betriebe, wie die<br />

Kürschnerei Lumpp, die Fa. Holzwaren<br />

Maier und die Stadtverwaltung, boten einigen<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>ern einen Arbeitsplatz.<br />

19<br />

Pendler <strong>Cleversulzbach</strong>, Oktober 1948<br />

Heilbronn 4<br />

Neckarsulm 6<br />

Neuenstadt 31<br />

Eberstadt 1<br />

Kochertürn 1<br />

Jagstfeld 2<br />

Haßmersheim 1<br />

Das „Pendlerproblem“ war für den Heilbronner<br />

Landrat Eduard Hirsch eines der<br />

drängendsten zu Beginn der 1950er Jahre.<br />

Ihm war sehr daran gelegen, „den Menschen<br />

zu seinem Arbeitsplatz zu bringen“.<br />

20 Die Situation war dadurch ziemlich<br />

angespannt, dass die dem Landkreis zugewiesenen<br />

Heimatvertriebenen in erster Linie<br />

nach Wohngesichtspunkten auf die<br />

Gemeinden verteilt worden waren. Besonders<br />

viele waren in den unzerstörten,<br />

meist ländlich strukturierten Gemeinden<br />

untergekommen, die außer in der Landwirtschaft<br />

keine Arbeitsplätze bieten<br />

konnten. Sie waren zum Pendeln gezwungen,<br />

wenn sie eine Arbeit in Gewerbe oder<br />

Industrie gefunden hatten. Besonders<br />

viele strömten nach Neckarsulm, das sehr<br />

stark steigende Einpendlerzahlen aufzuweisen<br />

hatte. Eine Lösung des Problems<br />

fand man dort durch den Bau der neuen


Siedlung im „Amorbacher Feld“. Wie im<br />

Kreisgebiet hatte sich auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

die Zahl der Pendler erhöht. Im September<br />

1950 wurden bereits 70 Auspendler<br />

gezählt – dies war mehr als ein Fünftel<br />

der Erwerbstätigen –, während nur ein<br />

einziger zur Arbeit in die Gemeinde einpendelte.<br />

Ein weiterer Ansatz, die Pendlerströme<br />

einzudämmen, war, die Niederlassung<br />

ansiedlungswilliger Unternehmen zu<br />

fördern. 21 Die Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong><br />

selbst wurde zwar nicht als vorrangiger<br />

Raum für eine Gewerbe- oder Industrieansiedlung<br />

angesehen 22 , trotzdem ließen<br />

sich auch hier in den Nachkriegsjahren<br />

neue Firmen nieder. Manchmal blieb es<br />

aber auch beim Versuch.<br />

Die Familie Weber etwa war kriegsbedingt<br />

aus dem Bergischen Land ins Dorf<br />

gekommen. Vater und Sohn, Ingenieur<br />

bzw. Mechanikermeister, wurden auf die<br />

Gipsvorkommen im Grenzbereich zu<br />

Brettach aufmerksam und begannen, dort<br />

ein Gipswerk aufzubauen. 23 Noch bevor<br />

der erste Gips gefördert werden konnte,<br />

nahte das Ende des Unternehmens: 1952<br />

kam es zur Zwangsversteigerung. Aus den<br />

großen Plänen der Webers wurde leider<br />

nichts. Auch Alois Czechowski, ein so genannter<br />

Ostzonenfl üchtling, kam über die<br />

Anfänge nicht hinaus. Er plante einen<br />

größeren Betrieb am Ort und wollte bis<br />

zu 50 Arbeitsplätze schaff en. 24 Czechowski<br />

soll in Potsdam-Babelsberg eine Bekleidungs-<br />

und Polsterwarenfabrik besessen<br />

haben, die enteignet worden sein soll.<br />

In <strong>Cleversulzbach</strong> wollte er einen Neuanfang<br />

wagen und mit seinem Know-how<br />

und seinen Erfahrungen eine Polsterwarenfabrik<br />

neu aufbauen. Er war in Kontakt<br />

mit dem Polsterer Werner Hübener,<br />

der in der Eberstädter Straße 129 eine<br />

Werkstatt betrieb. Czechowski wollte das<br />

Geschäft übernehmen und beabsichtigte,<br />

eine neue Werkhalle auf dem Grundstück<br />

zu bauen. Im Sommer 1952 war die Pro-<br />

duktion in <strong>Cleversulzbach</strong> in kleinerem<br />

Rahmen bereits aufgenommen, im November<br />

versuchte er, seinen Betrieb in<br />

Möckmühl („Unterländer Polsterwerkstätten“)<br />

zu erweitern, aber bereits 1955 war<br />

das Konkursverfahren gegen ihn im<br />

Gange. Beim Versuch blieb es auch im<br />

Falle von dem in Hagen in Westfalen geborenen<br />

August Burgmann, der im Januar<br />

1948 die Eröff nung einer mechanischen<br />

Werkstätte am Ort geplant hatte. Dort<br />

wollte er seine langjährigen Erfahrungen<br />

einbringen, die er bei verschiedenen im<br />

Maschinen- und Fahrzeugbau tätigen Firmen<br />

sowie in seinem eigenen Entwicklungsbüro<br />

gesammelt hatte. 25<br />

In dem Maße, wie die Technisierung und<br />

Motorisierung der Landwirtschaft fortschritt,<br />

verschwanden die alten Handwerksberufe.<br />

Seit Mitte der 1950er Jahre<br />

waren von diesem Prozess betroff en: Wagner,<br />

Küfer, Schmied oder Sattler, die immer<br />

weniger benötigt wurden, wenn sie<br />

sich nicht rechtzeitig den neuen Gegebenheiten<br />

angepasst und sich neuen Berufszweigen<br />

zugewandt hatten. Aus dem<br />

Schmied wurde etwa ein Schlosser, Kfz-<br />

oder Landmaschinenmechaniker. So auch<br />

im Fall des Schmiedebetriebs Birk, der<br />

nach dem Tod des Inhabers zwar von seiner<br />

Frau noch eine Zeitlang im Kleinen<br />

weitergeführt wurde. Die Söhne jedoch,<br />

die noch das Schmiedehandwerk im väterlichen<br />

Betrieb erlernt hatten, passten<br />

sich den veränderten Rahmenbedingungen<br />

an und wandten sich Automobil- und<br />

Maschinenbau zu.<br />

Seit Beginn der 1960er sorgte ein Thema<br />

für große Aufregung in unserem Raum:<br />

die geplante Einrichtung einer Ölraffi nerie<br />

im Lohwald zwischen Kochertürn und<br />

Oedheim. Die baden-württembergische<br />

Landesregierung, die das Ziel verfolgte, im<br />

nördlichen Landesteil einen derartigen Betrieb<br />

anzusiedeln, hatte den Standort ins<br />

Spiel gebracht. Die Menschen lehnten das<br />

191


192<br />

Vorhaben vehement ab. Wenn damit auch<br />

der eine oder andere Arbeitsplatz neu<br />

hätte geschaff en werden können, war die<br />

Angst vor gesundheitlichen Gefährdungen<br />

der Menschen und schädlichen Auswirkungen<br />

auf die Umwelt groß. Die „Interessengemeinschaft<br />

der Raffi neriegefährdeten<br />

im Kochertal und Umgebung“ vertrat<br />

die Gegner, und erst zum Jahresende 1974<br />

war das Projekt schließlich endgültig vom<br />

Tisch. Gegen den Widerstand der beiden<br />

hauptsächlich betroff enen Gemeinden<br />

war es nicht zu realisieren. Wenig später<br />

erschütterte die Audi-Krise die gesamte<br />

Region, als Mitte der 1970er Jahre die<br />

Konzernmutter Volkswagen verkündete,<br />

die drei Audi-NSU-Werke in Neckarsulm,<br />

Neuenstein und Heilbronn schließen zu<br />

wollen. Die Mitarbeiter demonstrierten,<br />

und schließlich konnte zumindest der<br />

Standort Neckarsulm mit über 6.000 Beschäftigten<br />

gerettet werden. Der Arbeitsplatz<br />

einiger <strong>Cleversulzbach</strong>er war damit<br />

gerettet.<br />

Betriebe in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Heute ist <strong>Cleversulzbach</strong> ein beliebter<br />

Wohnort, nur die wenigsten haben allerdings<br />

hier ihren Arbeitsplatz. Der Ort weist<br />

einige wenige Unternehmen aus dem produzierenden<br />

Sektor und dem Handels-<br />

und Dienstleistungsbereich auf. Vertreten<br />

sind Maschinenbau, Autoreparatur- und<br />

Reifenservicebetriebe, Gartenbaubetriebe<br />

und ein in Neuenstadt angesiedelter<br />

Akten vernichtungsbetrieb, der die alte<br />

Dresch halle nutzt. Die Volksbank Möckmühl-Neuenstadt<br />

ist die einzige Bank, die<br />

vor Ort noch eine Zweigstelle unterhält.<br />

Wenn auch der Handel – wie heutzutage<br />

in einem kleinen Dorf üblich – nur wenig<br />

ausgeprägt ist, hat sich <strong>Cleversulzbach</strong> mit<br />

einigen Besonderheiten einen Namen gemacht:<br />

Antiquitäten, Flügel und Klaviere<br />

und neuerdings Glas kann man im Dorf<br />

kaufen. Eine Reihe von Unternehmen ist<br />

im Dienstleistungsbereich tätig: der Buchführungs-<br />

und Wirtschaftsberatungsbetrieb<br />

Last, mehrere Betriebe im Bereich<br />

Vermittlung von Immobilien und Versicherungen.<br />

Oftmals werden letztere als Nebenbeschäftigung<br />

betrieben. Werfen wir<br />

einen Blick auf einige dieser Betriebe:<br />

Birk Maschinenbau, Firmeninserat 1996<br />

Birk Maschinenbau <strong>GmbH</strong> & Co. KG<br />

Der Betrieb, der erste im <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Gewerbegebiet, ist der größte Arbeitgeber<br />

am Ort mit derzeit elf Mitarbeitern. Er<br />

wurde 1958 von Erich Birk gegründet, der<br />

bei seinem Vater das Schmiedehandwerk<br />

erlernt hatte und danach bei der Maschinenbaufabrik<br />

Paul Böhringer in Oedheim<br />

tätig war, die sich auf Steinbe- und -verarbeitung,<br />

später auch Recyclingtechnik,<br />

spezialisiert hatte. Kaum den Meisterbrief<br />

in der Tasche (1956), machte sich Erich<br />

Birk selbständig und gründete sein Maschinenbauunternehmen,<br />

das zunächst<br />

vier Mitarbeiter beschäftigte. Damit<br />

wurde auch die Trennung vom väterlichen<br />

Betrieb vollzogen, wo zuvor schon kleine<br />

Förderbänder und Geräte für die Landwirtschaft<br />

hergestellt worden waren. In<br />

einer neuen Werkhalle im „Gänsegarten“<br />

begann er mit der Produktion von Förderbandanlagen<br />

für Steinbrüche und wurde<br />

bis Anfang der 1980er Jahre zu einem<br />

wichtigen Lieferanten der damals international<br />

ausgerichteten Firma Böhringer.<br />

Heute liegt der Betrieb in den Händen der<br />

Söhne Helmar und Hartmut Birk, die 1982<br />

bzw. 1986 in das Unternehmen eintraten<br />

und es bis zum Tod des Vaters (2003) gemeinsam<br />

führten. 2004 erfolgte die Umwandlung<br />

in eine Kommanditgesellschaft;


Geschäftsführer sind Hartmut und Helmar<br />

Birk. Bis heute liegt der Schwerpunkt auf<br />

der Herstellung von Förderbandanlagen<br />

und Becherwerken für die Steine- und Erdenindustrie,<br />

für Recyclinganlagen und<br />

Erntemaschinen.<br />

Lorenz Mechanische Werkstatt <strong>GmbH</strong><br />

In der Katzenbergstraße 19 ist die 1977<br />

gegründete Mechanische Werkstatt Lorenz<br />

angesiedelt. Inhaber sind Günther<br />

und Gerlinde Lorenz (geb. Birk). Die Wurzeln<br />

liegen im Betrieb des Vaters Friedrich<br />

Birk (jun.), der seine Ausbildung in der väterlichen<br />

Schmiedewerkstatt gemacht<br />

hatte, ein paar Jahre bei NSU beschäftigt<br />

war und sich schließlich mit einem Schlossereibetrieb<br />

selbständig machte. 1952 begann<br />

er in einer Scheune in der Mittleren<br />

Straße mit der Produktion von Kfz-Zubehörteilen<br />

– zunächst nur nach Feierabend.<br />

Als der Platz dort nicht mehr ausreichte,<br />

erwarb er die alte Dreschhalle am Ortsausgang<br />

(1972). 26 Gefertigt wurden verschiedene<br />

Schweißteile, u. a. Gepäckträger<br />

für NSU-Motorräder. Die Firma, die auch<br />

Stanzarbeiten erledigte und im Behälterbau<br />

tätig war, entwickelte sich zu einem<br />

Zulieferer nicht nur der Automobilindustrie<br />

und beschäftigte ca. 10 Mitarbeiter.<br />

Als Friedrich Birk in Rente ging, übernahm<br />

seine Tochter Gerlinde mit ihrem Mann,<br />

der einen selbständigen Betrieb für Reparatur-<br />

und Montagearbeiten hatte, den<br />

Betrieb, den sie in den 1990ern in einen<br />

Neubau im Gewerbegebiet verlegten.<br />

Heute fi ndet dort keine Produktion mehr<br />

statt, die Firma handelt mit Gitterboxen,<br />

Europaletten und verschiedenen Ge-<br />

brauchtmaschinen, und verleiht Hebe-<br />

und Arbeitsbühnen. Der Großteil der<br />

Räume ist an verschiedene Firmen überwiegend<br />

zu Lagerzwecken vermietet.<br />

Schweikert Automation<br />

Schweikert Automation <strong>GmbH</strong><br />

Der Betrieb wurde im Jahr 2000 gegründet.<br />

Der aus dem Weinsberger Tal stammende<br />

Ralf Schweikert hat sich auf den<br />

Handel mit Gebrauchtrobotern und Automatisierungslösungen<br />

spezialisiert mit einem<br />

großen Lagerbestand in der Katzenbergstraße<br />

19. Sein Kundenkreis besteht<br />

hauptsächlich aus kleinen und mittleren<br />

Firmen. In den angemieteten Räumlichkeiten<br />

sind derzeit vier Mitarbeiter beschäftigt.<br />

Seit Februar 2010 ist <strong>Cleversulzbach</strong><br />

zudem Produktionsstandort für Puffer-<br />

und Wärmespeicher der STG <strong>GmbH</strong><br />

(Speichertechnik) in Werbach. In diesem<br />

Bereich sind aktuell fünf Mitarbeiter tätig.<br />

Friseursalon Ana Bräuninger<br />

Als Ana Bräuninger nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />

kam, gab es keinen Friseursalon am Ort.<br />

Seit Beginn der 1950er Jahre hatten zwar<br />

Friseure ein Gewerbe angemeldet, diese<br />

waren jedoch nur nebenberufl ich nach<br />

Feierabend für ihre Kunden da und gaben<br />

bald ihren Betrieb wieder auf. Dazu zählten<br />

Kurt Bordt und Irma Herrmann in der<br />

Mittleren Gasse bzw. Unteren Straße. Ana<br />

Bräuninger stammt aus Kroatien und hat<br />

193


194<br />

Friseursalon Ana Bräuninger<br />

dort ihre Ausbildung absolviert. Sie hat<br />

nach <strong>Cleversulzbach</strong> geheiratet und 1980<br />

vor der Handwerkskammer Heilbronn ihre<br />

Meisterprüfung abgelegt. Danach machte<br />

sie sich selbständig und eröff nete einen<br />

Friseursalon unten im eigenen Haus in der<br />

Schubartstraße 3, wo sie seit nunmehr gut<br />

30 Jahren tätig ist. Derzeit beschäftigt sie<br />

eine Mitarbeiterin.<br />

Die Reitanlage Cleve-Rich-Ranch<br />

Cleve-Rich-Ranch<br />

Aus dem Aussiedlerhof Haselhof wurde<br />

die Cleve-Rich-Ranch. Jürgen Fischer, selber<br />

kein „Clevericher“, sondern Neckarsulmer,<br />

erwarb den Hof 1995 und verwandelte<br />

ihn in eine Reitanlage mit Reiterstüble,<br />

die 1997 noch um eine Reithalle<br />

erweitert wurde. Die Anlage spricht vor<br />

allem Westernreiter an und bietet haupt-<br />

sächlich eine Pferdepension. Außer der<br />

Möglichkeit für Reiter, ihr Pferd unterzustellen,<br />

werden auch Reitbeteiligungen<br />

vermittelt, und seit kurzem wird auch so<br />

genanntes Rindertraining angeboten:<br />

Pferd und Reiter üben sich in der Arbeit<br />

mit Rinderherden. Ein weiteres Standbein<br />

ist das Wanderreiten: Die Cleve-Rich-<br />

Ranch bietet Wanderreitern eine Unterkunft<br />

und organisiert auch selbst Touren.<br />

Bei verschiedenen USA-Reisen ist Fischer<br />

auf den Geschmack gekommen und hat<br />

mit dem Haselhof sein Hobby zum Beruf<br />

gemacht. Als Nebenbeschäftigung übernimmt<br />

Fischer, der gelernter Zimmermann<br />

ist, aber auch noch kleinere Aufträge im<br />

Holzbau.<br />

Das Antiquitätengeschäft Birchall<br />

Antik <strong>Cleversulzbach</strong><br />

1975 erwarb der aus Stockton-on-Tees im<br />

Nordosten Englands stammende John<br />

Birchall das ziemlich heruntergekommene<br />

Haus in der Eberstädter Straße 4. Der gelernte<br />

Schreiner und Hobbymusiker war<br />

auf der Suche nach einem alten Haus auf<br />

dem Land, das er renovieren konnte, und<br />

wollte eigentlich einen Schallplattenversandhandel<br />

aufmachen. Noch während


der Renovierungsarbeiten begann er aber<br />

mit dem Handel mit „Antiquitäten und<br />

Kuriositäten“, so die Formulierung in seiner<br />

Gewerbeanmeldung. Er und seine Frau<br />

Edda sanierten mit viel Aufwand das<br />

Fachwerkhaus, das seitdem wieder in<br />

neuem Glanz erstrahlt, und erwarben im<br />

Lauf der Zeit weitere Häuser nebenan bzw.<br />

gegenüber, die sie ebenfalls renovierten.<br />

Die notwendigen Restaurierungsarbeiten<br />

an den zum Verkauf kommenden Möbeln<br />

nahm Birchall selbst in der eigenen Werkstatt<br />

vor. Außer allerhand Möbeln wie Tischen,<br />

Stühlen, Kommoden oder Sekretären<br />

wurde eine große Auswahl an Silberwaren,<br />

Stand-, Wand- und Kaminuhren<br />

angeboten. Bald wurde das beschauliche<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> zu einem Zentrum für Antiquitäten,<br />

das zahlreiche Kunden und Besucher<br />

aus einem weiten Umkreis anzog.<br />

Heute präsentiert sich das Geschäft in drei<br />

großen Häusern mit 1500 m² Verkaufsfl äche.<br />

Neben Antiquitäten sind inzwischen<br />

auch so genannte Boknäs-Regalsysteme<br />

erhältlich, die in Finnland nach traditionellem<br />

Handwerksverfahren aus Birkenholz<br />

hergestellt werden.<br />

Shirley's Antiquitäten<br />

Shirley’s Antiquitäten<br />

Dass <strong>Cleversulzbach</strong> sich nicht nur einen<br />

Namen als Mörike-Dorf, sondern auch als<br />

Antiquitätenzentrum gemacht hat, dazu<br />

trug und trägt auch die Britin Shirley<br />

Anne Lawes bei, die sich zusammen mit<br />

ihrem Mann Edward Norman Lawes<br />

(„Ted“) 1977 im Dorf niederließ. Die beiden<br />

eröff neten 1979 einen „Einzelhandel<br />

mit Antiquitäten und Kuriositäten“, nachdem<br />

sie zunächst wenige Monate lang<br />

eine Einkaufspartnerschaft mit John<br />

Birchall hatten. Unter dem Namen<br />

„Shirley's Antiquitäten“ wurde ein eigenes<br />

Geschäft eröff net, dessen Ausstellungs-<br />

und Verkaufsräume ganz zentral im pachtweise<br />

überlassenen Schulhaus neben der<br />

St.- Jost-Kirche lagen, das bis 1974 noch<br />

schulischen Zwecken gedient hatte. Die<br />

Geschäfte liefen so gut, dass bereits Ende<br />

1985 ein weiteres Gebäude in der Eberstädter<br />

Straße 3 bezogen wurde. Heute<br />

lebt und arbeitet Shirley, wie sie alle im<br />

Dorf nur nennen, eher etwas versteckt in<br />

der Kieshofstraße 16. Hier wurde ein ehemaliges<br />

landwirtschaftliches Anwesen renoviert<br />

und umgebaut und in Wohn- und<br />

Geschäftsräume umgewandelt. Zum Sortiment<br />

gehören vor allem Möbel, Leuchter,<br />

Silberwaren und Porzellan – nicht nur aus<br />

England. Über die Jahre hinweg hat sich<br />

das Geschäft einen weitreichenden Kundenkreis<br />

aufgebaut, der Shirley's Aktivitäten<br />

zu schätzen gelernt hat. Was nur für<br />

die Wochenenden sein sollte, währt nun<br />

seit gut drei Jahrzehnten und hat das Dorf<br />

maßgeblich geprägt.<br />

Glashaus<br />

Nachdem der „Alte Turmhahn“ über Jahre<br />

leer gestanden hatte, fand das stattliche<br />

Gebäude an der Kreuzung der Neuenstädter<br />

und Brettacher Straße im Dezember<br />

2010 endlich einen Käufer. Es wird inzwischen<br />

von einem jungen portugiesisch-<br />

195


196<br />

mexikanischen Ehepaar, das aus Bad Friedrichshall<br />

zugezogen ist, als Wohn- und Geschäftshaus<br />

genutzt. Im Erdgeschoss, wo<br />

früher Margarete Seebold ihre Gäste bewirtete,<br />

wurden eine kleine Werkstatt und<br />

ein Laden eingerichtet und im April 2011<br />

der Betrieb eröff net. Die Inhaberin, die aus<br />

Mexiko stammende Juana Martinez, hat<br />

ihr Hobby zum Beruf gemacht und stellt<br />

hier selber Glasperlen her, die sie zu<br />

Schmuck- und Dekorationsartikeln weiterverarbeitet.<br />

Die dafür benötigten Farbglasstäbe<br />

bezieht sie von der italienischen<br />

Glasinsel Murano und der Farbglashütte<br />

Lauscha in Thüringen. Nebenan im Laden<br />

werden nicht nur die selbst gefertigten<br />

Produkte (Ohrringe, Armbänder, Ketten<br />

etc.) verkauft, sondern auch eine Reihe<br />

von dekorativen Glasartikeln, z. B. Schalen,<br />

Vasen oder Rosenkugeln. Für das Geschäft<br />

ist die Lage an der stark befahrenen<br />

Durchgangsstraße ideal – schon von weitem<br />

machen die bunten Rosenkugeln auf<br />

den Laden aufmerksam.<br />

Piano-Studio Albrecht Kuttruf<br />

Der Betrieb von Albrecht Kuttruf befi ndet<br />

sich im elterlichen landwirtschaftlichen<br />

Anwesen in der Kieshofstraße 6. Wo früher<br />

der Stall war, sind heute Ausstellungsraum<br />

und Werkstatt. Der Klavierbaumeister<br />

hatte zunächst eine Ausbildung zum Feinblechner<br />

absolviert und auch kurze Zeit in<br />

1 Württembergische Gemeindestatistik 1895<br />

2 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 59<br />

3 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CA 146<br />

4 LKA Stuttgart MF 2146<br />

5 Lagerbuch HStAS H 101/45 Bd. 1348<br />

6 Lagerbuch HStAS H 101/45 Bd. 1346<br />

7 StA Ludwigsburg E 17 Bü. 65, GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 125<br />

Gewerbekataster 1823.<br />

8 Eduard Mörike. Werke und Briefe. Bd. 12: Briefe 1833–<br />

1838. Stuttgart 1986, S. 264 f.<br />

9 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 159<br />

10 KA Heilbronn Nr. 6615; StA Ludwigsburg EL 902/12 Bü.<br />

2559.<br />

11 HStAS H 101/45 Bd. 1315 (1747), Bl. 346 v.<br />

12 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 125<br />

13 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 160 Bürgerliste<br />

14 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 149 Schätzungsprotokoll Brandversicherung<br />

1853<br />

diesem Beruf gearbeitet. Dann machte er<br />

seine Neigung zum Beruf – er spielte aushilfsweise<br />

Orgel in der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Kirche – und begann eine zweite Ausbildung<br />

zum Klavierbauer in einem Betrieb in<br />

Schorndorf. Nachdem er 1983 die Meisterprüfung<br />

abgelegt hatte, eröff nete er im<br />

darauff olgenden Jahr seinen eigenen Betrieb<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong>. Die Tätigkeit des<br />

Piano-Studios besteht hauptsächlich in<br />

Reparaturarbeiten an Klavieren und Flügeln,<br />

die von kleineren Instandsetzungen<br />

bis zu großen Generalüberholungen reichen,<br />

und in Stimmarbeiten, die Kuttruf in<br />

der ganzen Region durchführt. Bei Albrecht<br />

Kuttruf kann man aber auch gebrauchte<br />

oder neue Instrumente erwerben.<br />

15 KA Heilbronn Nr. 6615<br />

16 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 160 Bürgerliste<br />

17 KA Heilbronn Nr. 6728<br />

18 Monika Kolb, Flüchtling, Neubürger, Unterländer. Aufnahme<br />

und Eingliederung der Vertriebenen im Landkreis<br />

Heilbronn zwischen 1945 und 1953. Heilbronn 1990, S.<br />

218 f.<br />

19 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CA 358<br />

20 Monika Kolb, Flüchtling, Neubürger, Unterländer. Aufnahme<br />

und Eingliederung der Vertriebenen im Lkr. Heilbronn<br />

zwischen 1945 und 1953. Heilbronn 1990, S. 244.<br />

21 KA Heilbronn Nr. 6977<br />

22 KA Heilbronn Nr. 4578<br />

23 KA Heilbronn Nr. 4926<br />

24 KA Heilbronn Nr. 5116<br />

25 KA Heilbronn Nr. 6615<br />

26 Volksbank Möckmühl-Neuenstadt eG: Inventarverzeichnis<br />

Spar- und Darlehenskasse <strong>Cleversulzbach</strong>.


Metzger, Bäcker und Kolonialwaren:<br />

Einkaufen in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Die bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />

nahezu vollständig bäuerlich geprägte<br />

Dorfbevölkerung war im Wesentlichen<br />

Selbstversorger und stellte die meisten<br />

Dinge des täglichen Bedarfs selbst her.<br />

Nur bei wenigen Artikeln, wie zum Beispiel<br />

Salz, Gewürzen, Petroleum, Kerzen<br />

oder Geschirr, war man auf Krämer, Hausierhändler<br />

oder Ladengeschäfte angewiesen.<br />

Eine Reihe von Waren konnte man<br />

aber auch auf den Jahrmärkten in Neuenstadt<br />

und Brettach kaufen.<br />

Anfang des 19. Jahrhunderts war es um<br />

die Versorgungssituation in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

nicht allzu gut bestellt. Es gab einen<br />

Kramladen, der wohl schon länger bestand,<br />

dem aber wegen der fehlenden fi -<br />

nanziellen Mittel der Inhaber die Aufgabe<br />

drohte. In dieser Situation beabsichtigte<br />

1807 Johann Christoph Hörmann eine<br />

„Krämerei im Kleinen“ zu eröff nen, um<br />

den Bürgern die „nothwendigsten Specerey-Artikel“<br />

wie Gewürze, Tabak, Öl, Seife<br />

oder Salz anbieten zu können. Die Gemeinde<br />

befürwortete dies, damit man zumindest<br />

die alltäglichsten Dinge am Ort<br />

besorgen konnte und nicht für jede Kleinigkeit<br />

nach auswärts gehen musste. 1 Wenige<br />

Jahrzehnte später gab es eine Reihe<br />

von Klein- oder Hausierhändlern. 1823<br />

sind Jakob Keller und Georg Salzer genannt;<br />

2 letzterer handelte auch mit Tabak.<br />

3 Die aus Untereisesheim stammende<br />

Witwe des Christof Kuttruff , die 1831 das<br />

Bürgerrecht erhalten hatte, trieb Kramhandel<br />

ebenso wie Gottlieb Schick, der<br />

1813 in Hölzern geboren worden war und<br />

1840 das Bürgerrecht erworben hatte. Er<br />

war blind und stand „im öff entlichen Almosen“,<br />

er konnte also seinen Lebensunterhalt<br />

nicht selbst bestreiten und musste<br />

von der Gemeinde unterstützt werden.<br />

Sein Sohn Ludwig setzte die Tradition fort.<br />

Meistens wurde das Gewerbe im Nebenerwerb<br />

betrieben und war eine zusätzliche<br />

Einkommensquelle. Auch Schneider Johann<br />

Wiedmann scheint noch mit Bierhefe,<br />

Butter, Eiern, Seife, Zichorien und<br />

Reis gehandelt zu haben. Wegen seiner<br />

Krankheit wurden die Geschäfte 1851 auf<br />

seine Frau Catherina übertragen, die diesen<br />

Handel als Hausiererin betrieb. Sie war<br />

eine von vielen, die bis in die Zeit nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg mit allerlei Waren<br />

auf Reisen ging, um ihren Unterhalt oder<br />

zumindest einen Zuverdienst durch den<br />

Hausierhandel zu verdienen. Nachdem ihr<br />

Mann gestorben war und sie sich wieder<br />

verheiratet hatte, wurde ihr Gesuch um<br />

weitere Ausübung der Hausiererei allerdings<br />

nicht genehmigt, denn ihr neuer<br />

Mann sei ausreichend in der Lage, die Familie<br />

zu ernähren. 4<br />

Ein zentraler Ort für Erledigungen aller<br />

Art war Neuenstadt. Als Amts- und Residenzstadt<br />

verfügte es über ein größeres<br />

Warenangebot. Dort fanden die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

ausreichende Einkaufsmöglichkeiten,<br />

vor allem für nichtalltägliche Erledigungen<br />

und Einkäufe ging man nach<br />

Neuenstadt – zum Beispiel der Besuch<br />

beim Arzt, in der Apotheke des Dr. Moericke<br />

oder auch Besorgungen für besondere<br />

Anlässe wie z. B. Beerdigungen. Unter den<br />

verschiedenen Läden mit einem zum Teil<br />

spezialisierteren Angebot ragte das traditionsreiche<br />

Kaufhaus Hochstetter heraus,<br />

das seit 1849 von der Familie Payer geführt<br />

wurde. Von dem Unternehmen haben<br />

sich vier Geschäftsinventare aus der<br />

Zeit von 1778 bis 1824 erhalten, die von<br />

einer großen Warenvielfalt zeugen: Verschiedene<br />

Stoff e – allerdings nur verhältnismäßig<br />

wenig Leinwand, da diese ver-<br />

197


198<br />

mutlich meist selbst hergestellt wurde,<br />

Krämerartikel wie Strümpfe, Handschuhe,<br />

Hals- und Schnupftücher, Körperpfl egeartikel<br />

wie zum Beispiel Seife oder Kämme,<br />

Eisenwaren, Werkzeuge für Haus und Hof;<br />

Geschirr konnten dort ebenso erworben<br />

werden wie Lebensmittel (z. B. Zucker,<br />

Käse, Reis, Schokolade, Gewürze) – wenn<br />

man es sich denn leisten konnte. Da die<br />

Neuenstädter Geschäfte die Bedürfnisse<br />

der Hofhaltung und der Neuenstädter Beamtenschaft<br />

ebenso wie die der einfacheren<br />

Kunden aus der Stadt und der Umgebung<br />

zu befriedigen hatten, war das Sortiment<br />

sehr breit gefächert. Die dort feilgebotenen<br />

Waren stammten aus regionaler<br />

und überregionaler Produktion und<br />

umfassten auch damals noch als Luxusgüter<br />

anzusehende Produkte wie Kaff ee, Kakao<br />

oder Zucker, die sich nur ein kleiner<br />

Teil der Bevölkerung leisten konnte. 5<br />

Angesichts dieser Versorgungslage und<br />

des minimalen Bedarfs entstanden in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

erst recht spät die ersten Ladengeschäfte<br />

im heutigen Sinn. Mit der<br />

Industrialisierung begann sich aber die<br />

über Jahrhunderte gleichgebliebene Situation<br />

auch im Dorf zu verändern. Neuartige<br />

Beschäftigungsverhältnisse entstanden:<br />

die ersten Fabrikarbeiter oder Bürger,<br />

die im Dienstleistungssektor tätig waren,<br />

z. B. bei der Post, bei der Ortskrankenkasse<br />

oder als Chauff eur, Kellner oder Portier,<br />

deren Haushalte ihren Bedarf nicht mehr<br />

in Gänze selber produzieren konnten und<br />

auf eine Einkaufsquelle mit breiterem Angebot<br />

angewiesen waren. 6 Diese Funktion<br />

erfüllten in <strong>Cleversulzbach</strong> zunächst die<br />

Gasthäuser. In der von Georg Hägele betriebenen<br />

„Traube“ in der Neuenstädter<br />

Straße am Ortsausgang wurde eine Spezereihandlung<br />

eingerichtet. Auch im „Löwen“<br />

gab es Einkaufsmöglichkeiten, schon<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dort<br />

Brot gebacken und verkauft. 1951 holte<br />

Anna Stecher zudem die Genehmigung<br />

für den Verkauf von Kolonialwaren ein. 7<br />

Die Waren wurden von Kaufmann Emil Ermold<br />

geliefert, der in Neuenstadt sein<br />

Hauptgeschäft hatte. 1964 wurde der Laden<br />

geschlossen, wie Frau Stephan erzählt.<br />

Und auch im „Adler“, später „Zum<br />

alten Turmhahn“, konnte man nicht nur<br />

einkehren, sondern auch einkaufen. Links<br />

vom Eingangsbereich war eine Theke, wo<br />

die Geschwister Seebold Fleisch- und<br />

Wurstwaren verkauften, die sie von der<br />

Metzgerei Leix in Stein bezogen.<br />

Rechnung von Chr. Hesser, Kaufmann in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong><br />

Bei Erscheinen der Oberamtsbeschreibung<br />

1881 hatte es zwei Krämer am Ort gegeben,<br />

nämlich Christian Hesser, der 1883<br />

aus <strong>Cleversulzbach</strong> wegzog, und die Kaufmannsfamilie<br />

Herrmann, die zu Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts den Laden geschlossen<br />

zu haben scheint. Die dadurch entstandene<br />

Lücke füllten Karoline Ernst, die<br />

einen kleinen „Handel mit Wecken, Viktu-


Das Kolonialwarengeschäft des Gottlob Korb in der Brettacher Straße Nr. 27 zu Beginn des<br />

20. Jahrhunderts auf einer Postkarte<br />

alien und Zucker“ aufzog, der aber bereits<br />

1916 wieder eingestellt war, und Magdalene<br />

Jung, die bis 1911 mit Spezerei- und<br />

Zuckerwaren sowie Flaschenbier handelte.<br />

Wesentlich größer dürfte das Sortiment in<br />

der Spezerei- und Kurzwarenhandlung<br />

von Gottlob Korb gewesen sein. Er eröff -<br />

nete 1910 einen neuen Laden in der<br />

Brettacher Straße. Außer ihm selbst half<br />

noch seine Frau Emma mit, die den Laden<br />

nach dem Tod Gottlob Korbs bis 1964<br />

weiterführte. Seine Waren kaufte er bei<br />

der Heilbronner Lebensmittelgroßhandlung<br />

Lidl + Schwarz ein. Mit dem Fahrrad<br />

fuhr er über Jahre hinweg nach Heilbronn;<br />

ausgeliefert wurde zunächst mit dem<br />

Dreirad des Schwiegersohns, der ein Transportunternehmen<br />

betrieb, später mit dem<br />

Lkw. Das Geschäft blieb in Familienhand<br />

– zuletzt Waltraud Seebold (1980–<br />

1986).<br />

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in<br />

den 1950er Jahren veränderten sich die<br />

Ernährungs- und Konsumgewohnheiten.<br />

Das an Stelle des früheren Kolonialwarengeschäftes<br />

Korb errichtete Wohn- und Geschäftshaus<br />

der Familie Seebold; als Besonderheit<br />

zeigt die Ostseite ein großdimensioniertes<br />

Abbild des ursprünglichen Anwesens.<br />

199


200<br />

Auch bei den Getränken war dies zu sehen<br />

– Mineralwasser wurde mehr und mehr<br />

zum Volksgetränk und anstelle des Fassbieres<br />

erfreute sich Flaschenbier zunehmender<br />

Beliebtheit. Dieser Trend setzte<br />

sich auch in <strong>Cleversulzbach</strong> durch. Eine<br />

Reihe von Getränkehandlungen schoss aus<br />

dem Boden und verkaufte Flaschenbier,<br />

Wein, Mineralwasser und Limonade.<br />

Gleichzeitig bestand der Seebold'sche Laden<br />

weiter, wo man Lebensmittel, Obst<br />

und Gemüse, Backwaren usw. kaufen<br />

konnte, also „alles, was man auf dem Land<br />

gebraucht hat“ oder „von jedem etwas“,<br />

wie es Roland Seebold formulierte. Das<br />

größere Angebot der aufkommenden Supermärkte<br />

und die zunehmende Mobilität<br />

der Menschen ließen jedoch die Umsätze<br />

schrumpfen und bedeuteten letztendlich<br />

das Ende der Tante-Emma-Läden in den<br />

Dörfern. Oft wurde dort nur noch das gekauft,<br />

was man beim Großeinkauf vergessen<br />

hatte. In dieser Situation entschloss<br />

sich 1986 auch die Familie Seebold zur<br />

Aufgabe ihres Ladens in der Brettacher<br />

Straße. Ihre Einkäufe erledigen die Bewohner<br />

heute im Wesentlichen entweder<br />

auf dem Weg zur Arbeit oder in Neuenstadt,<br />

das als Unterzentrum über fünf Supermärkte<br />

und Discounter sowie eine Anzahl<br />

von Einzelhandelsgeschäften und<br />

Dienstleistungsbetrieben verfügt.<br />

Brot wurde früher vielfach selbst gebacken.<br />

In zahlreichen <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Haushalten gab es einen Backofen, teils<br />

im Haus, teils als Anbau an das Haus; 8 man<br />

konnte es aber auch auswärts kaufen.<br />

1838 wurde mit dem Bau des Gemeindebackhauses<br />

begonnen, um die von den<br />

Hausbacköfen ausgehende Feuersgefahr<br />

zu bannen. Eine königlich württembergische<br />

Generalverordnung (1808) und ein<br />

Erlass zur Einrichtung von Gemeindebacköfen<br />

(1835) hatten dies angeordnet. 9 Die<br />

ersten Bäcker, die für <strong>Cleversulzbach</strong> aus<br />

den schriftlichen Quellen bekannt sind,<br />

sind Michel Leis (1637), Jörg Wendel<br />

(1638), Johannes Haug (1742, 1744, 1747)<br />

und Johann Martin Hesser (1766). Im Gewerbekataster<br />

von 1823 sind drei Brotbäcker<br />

aufgeführt: Franz Schuler, der auch<br />

Löwenwirt war, Samuel Kuttruff und<br />

Gottlieb Hesser. Letzterer soll bereits 1824<br />

das Handwerk, 1825 auch das Meisterrecht<br />

aufgegeben haben. Außer Schuler<br />

betätigten sich weitere Wirte auch als Bäcker:<br />

Der aus Gellmersbach stammende<br />

Eberhardt Lohmann (Lehmann?) erhielt<br />

1852 das <strong>Cleversulzbach</strong>er Bürgerrecht<br />

und „treibt Bäckerei und Wirthschaft“. 10<br />

Auch der in Jagsthausen geborene Christian<br />

Bauer war Bäckermeister (Bürgerrecht<br />

1899) und führte zugleich den „Löwen“.<br />

11 Weitere Bäcker um die Jahrhundertwende<br />

waren August Heinrich Lumpp<br />

(geb. 1876), Wilhelm Apfelbach (geb.<br />

1877), Gustav Hesser (geb. 1882), Albert<br />

Herrmann (geb. 1882), Heinrich August<br />

Bordt (geb. 1883), Karl Hesser (geb. 1884)<br />

und Wilhelm Lumpp (geb. 1884). Nachdem<br />

der „Löwen“ sein Ladengeschäft aufgegeben<br />

hatte, gab es keine eigene Bäckerei<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> mehr. Brot und<br />

Backwaren konnte man aber bis 1986 im<br />

Lebensmittelladen der Seebolds kaufen.<br />

Acht Jahre später eröff nete Andreas Discher<br />

aus Brettach direkt gegenüber eine<br />

Verkaufsstelle im ehemaligen Gebäude der<br />

Volksbank; die Öff nungszeiten sind allerdings<br />

eingeschränkt. Zudem verkehrt ein<br />

„Bäckerauto“, das sein Stammpublikum<br />

am Ort hat.<br />

Auch ein „Metzgerauto“ versorgt heute<br />

den Ort, ein eigenes Metzgergeschäft hat<br />

es am Ort nie gegeben, wenn man von der<br />

Verkaufsstelle im „Alten Turmhahn“ absieht.<br />

Die bereits seit dem 18. Jahrhundert<br />

genannten Metzger Johann Georg Herrmann<br />

(1759, 1762, 1763), der Bauer und<br />

Metzger war, und Michael Niedt (1761)<br />

nahmen wohl die Hausschlachtungen<br />

vor. 12 Im Gewerbekataster von 1823 sind


„Schlachtfest" – beim Blutrühren<br />

Alt Baltas Herrmann und Reinhard Hesser<br />

erwähnt; 13 der 1840 geborene Christian<br />

Hesser dürfte ebenso wie Gottlieb Hesser<br />

derselben Familie angehört haben. 14 Mit<br />

der Metzgerfamilie Herrmann, deren Haus<br />

gegenüber dem Rathaus stand (heute<br />

Parkplatz), hatte Eduard Mörike engen<br />

Kontakt. Die Familie, von der einige Mitglieder<br />

zeitweise Dienst für ihn taten, war<br />

1 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 11 Bl. 182<br />

2 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 125 Gewerbekataster<br />

3 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 8 Bl. 23<br />

4 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CA 212<br />

5 Claudia Selheim, Die Inventare eines süddeutschen Warenlagers<br />

1778–1824. Beiträge zur Aufarbeitung einer Realienquelle.<br />

Würzburg 1994. Dies., Das textile Angebot<br />

eines ländlichen Warenlagers in Süddeutschland 1778–<br />

1824 mit Anhang: Edition der Textilinventare aus Neuenstadt<br />

am Kocher. Würzburg 1994.<br />

6 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 160<br />

im Pfarrhaus gern gesehen. Mit dem Gedicht<br />

„Dem lieben Altvater Georg Balthasar<br />

Herrmann zu seinem 74. Geburtstag“<br />

setzte er ihr 1842 ein Denkmal. Um die<br />

Jahrhundertwende schließlich sind Carl<br />

Seebold (geb. 1871), Emil Herrmann (geb.<br />

1892) und Löwenwirt Adolf Stecher als<br />

Metzger tätig. 15<br />

7 KA Heilbronn Nr. 6716<br />

8 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 148 (1853)<br />

9 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 17 Bl. 6<br />

10 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 159<br />

11 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 160 und CB 30<br />

12 LKA Stuttgart Kirchenbücher: (MF 2146) – GA <strong>Cleversulzbach</strong><br />

CB 17 Bl. 6.<br />

13 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 125<br />

14 GA <strong>Cleversulzbach</strong> Bürgerliste CB 159 und CB 154 Feuerversicherungsbuch,<br />

angelegt 1869.<br />

15 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 160<br />

201


202<br />

Gastwirtschaften<br />

In <strong>Cleversulzbach</strong> gab es über die Jahre<br />

sechs Gastwirtschaften, von denen aber<br />

zum heutigen Zeitpunkt (2012) nur noch<br />

eine besteht, das 1986 eröff nete Restaurant<br />

„Brunnenstüble“. Die anderen fünf<br />

Gastwirtschaften hatten eine – zum Teil<br />

nur kurze – mehr oder weniger wechselvolle<br />

Geschichte. Außerdem gab es in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

über viele Jahre hinweg auch<br />

eine Reihe von so genannten Besenwirtschaften,<br />

über die am Ende des Kapitels<br />

berichtet wird.<br />

„Löwen“<br />

Der „Löwen“ ist zweifellos die älteste<br />

Gastwirtschaft <strong>Cleversulzbach</strong>s gewesen.<br />

Zwar lässt sich das ihm nachgesagte Alter<br />

von rd. 500 Jahren aktenmäßig nicht<br />

nachweisen, aber immerhin datiert die<br />

erste Erwähnung eines Besitzers aus dem<br />

Jahr 1784; es war ein Baltas(ar) Majer. Ab<br />

1789 war Johann Georg März Löwenwirt.<br />

Es folgte ihm 1824 Georg März und ab<br />

1827 Franz Schuler, der auch Bäcker war<br />

und einen Backofen in der unteren Küche<br />

betrieb. Belegt aus dieser Zeit sind auch<br />

die Besuche von Schillers Mutter 1800<br />

und 1801 während ihres Aufenthalts bei<br />

ihrer Tochter Louise, die mit Pfarrer Gottlieb<br />

Franckh hier verheiratet war.<br />

Das nächste belegbare Datum war die Investitur<br />

Eduard Mörikes am 3. August<br />

1834, bei der im Anschluss daran für die<br />

anwesenden Honoratioren ein Essen im<br />

„Löwen“ gegeben wurde, u.a. die legendäre<br />

Flusskrebssuppe, die inzwischen, da schon<br />

mehrmals zu besonderen Mörike-Anlässen<br />

nachgekocht, eine überörtliche Bekanntheit<br />

erlangt hat. Die Wirtschaft befand<br />

sich immer noch im Besitz von Franz Schuler.<br />

Danach hat Mörike den „Löwen“ wahrscheinlich<br />

noch ab und zu besucht. Über<br />

einen Besuch im Sommer 1837 berichtete<br />

er an seinen Freund Hermann Kurz:<br />

Vorigen Sommer war ich einmal mit Mutter<br />

& Schwester im Löwen dahier auf einen<br />

Ka ee zu Besuch. In langer Weile besah<br />

ich die Bilder umher an den Wänden,<br />

was Alles wüster Plunder war. Auf einmal<br />

aber mache ich, mit einem angenehmen<br />

Schrecken, die allerunerwarteste Entdeckung.<br />

Denn ein Gesicht von jovialischer<br />

Herrlichkeit guckte mir aus dem trüben<br />

Glas entgegen. Der Schauspieler Koch und<br />

von Bause gestochen! 1<br />

Und wie Mörike weiter schreibt, hat er<br />

dieses Bild des Schauspielers Koch sofort<br />

haben wollen und den Wirtsleuten abgeschwatzt,<br />

die anfangs nicht so recht wollten,<br />

weil der Mann dem D r Luther gar so<br />

ähnlich sehe. Schließlich konnte er sie<br />

überzeugen und ließ das Bild am nächsten<br />

Tag abholen und schickte ihnen dafür einen<br />

Holgen unter Glas ins Haus. 2<br />

„Löwenwirt“ war zu dem Zeitpunkt Christian<br />

Jakob Kühner zusammen mit seiner<br />

zweiten Frau Christine Katharine, geb.<br />

Lehr. Der bisherige Wirt Franz Schuler<br />

hatte den „Löwen“ kurz zuvor – wahrscheinlich<br />

aus Altersgründen – aufgegeben.<br />

Von einem anderen Ereignis im „Löwen“<br />

berichtete Eduard Mörike seinem<br />

Freund Wilhelm Hartmann im März 1842.<br />

Da erschien ein Marionettenspieler bei<br />

ihm, ein älterer, reinlich gekleideter Mann,<br />

mit der Bitte, eine Marionetten-Theaterauff<br />

ührung geben zu dürfen, und zwar im<br />

„Löwen“. Das Stück, ein Trauerspiel, hieß<br />

„Genovefa, Falzgräfi n von Brabant“ und<br />

wurde in zwei Teilen aufgeführt, ein Teil<br />

pro Abend. Mörike selbst ging nicht hin,<br />

aber seine Schwester Klara und ein Gastkind,<br />

die beide voll begeistert von der Vorstellung<br />

berichteten.<br />

Christian Jakob Kühner hat den „Löwen“<br />

fünf Jahre geführt, es folgte ihm 1842<br />

Gabriel Schlegel und 1844 Johann Christian<br />

Haug. Ab 1848 taucht als neuer Lö-


wenwirt der Name J. Christian Krautter<br />

auf. Schon kurz darauf muss der Bäckermeister<br />

Michael Andreas Bay, aus Büschelberg<br />

stammend, den „Löwen“ übernommen<br />

haben, doch konnte er sich nicht<br />

lange daran erfreuen, denn er starb, erst<br />

26-jährig, am 6. Februar 1849 durch einen<br />

Schlag am Hirn.<br />

Danach hat der „Löwen“ des Öfteren seinen<br />

Besitzer gewechselt. In den Unterlagen<br />

fi ndet man die Namen Jakob Küfner<br />

(ca. 1840), Johann Michael Haug (ca.<br />

1845), Christof Friedrich Müller (ca. 1850),<br />

Christian Knobloch (1855–1859), Ludwig<br />

Schlegel (ca. 1860), Gottlob Kaiser (ca.<br />

1865), Johann und Christian Bordt (ca.<br />

1870), Metzger Carl Link (ca. 1875), Christian<br />

Kaiser (ca. 1880) sowie Friedrich und<br />

Christian Blatt (1885–1900).<br />

Zwei Namen aus dieser Liste tauchen auch<br />

in den Kirchenkonventsprotokollen auf;<br />

dort allerdings aus weniger erfreulichen<br />

Gründen. Frau Bordt hatte sich beim<br />

Geistlichen beschwert, dass ihr Mann sie<br />

thätlich mißhandle und sich an ihr vergri<br />

en habe, weshalb der gewesene Löwenwirt<br />

am 26. Januar 1882 vor den Kirchenkonvent<br />

geladen worden ist. Er sagte<br />

aus, seine Frau gebe Anlass zu Streitigkeiten<br />

durch ihre Feindschaft gegen seine ledige<br />

Schwester und seine Tante, die gegenwärtig<br />

krank in seinem Hause liegt.<br />

Christian Bordt wurde ermahnt mit mehr<br />

Sanftmuth und Liebe gegen seine Frau zu<br />

handeln und nicht durch Mißhandlung<br />

und Drohungen ihre Zwistigkeiten zu vermehren,<br />

wogegen er alle Schuld auf das<br />

leidenschaftliche Wesen seiner Frau<br />

schiebt, so dass es ihm nicht möglich sei,<br />

sich der Gewaltthätigkeiten zu enthalten.<br />

So wurde darauf hin gewiesen, dass bisher<br />

mit Gewalt nichts gebessert worden<br />

sei und dass er es nun einmal mit Nachgiebigkeit<br />

und Liebe versuchen sollte,<br />

dann werde es besser werden. Viel genützt<br />

hat dieser Verhaltenshinweis off en-<br />

bar nicht, denn schon acht Monate später,<br />

am 4. Oktober 1882, steht Christian Bordt<br />

erneut vor dem Kirchenkonvent. Diesmal<br />

wird er von seiner Ehefrau nicht nur wegen<br />

Misshandlung sondern auch wegen<br />

Verschwendung angeklagt und sie verlangt<br />

seine Entmündigung deswegen. Und<br />

es heißt weiter im Protokoll: Er hat 3<br />

Stück Vieh verkauft u. ging mit dem Erlös<br />

fort u. kam nach einigen Tagen zurück<br />

ohne anzugeben, wo dasselbe nun ist,<br />

wenigstens ist die Summe von ca. 300 M.<br />

nach Abzug mancherlei Zahlungen, die er<br />

leistet, noch übrig, und wird von ihm über<br />

den Verbleib dieser Summe nichts ausgesagt.<br />

Christian Bordt verzichtet daraufhin vor<br />

dem Notariat in Neuenstadt in einem Absonderungsvertrag<br />

auf alle Ansprüche auf<br />

das Vermögen seiner Frau. Knapp ein Jahr<br />

später verließ er seine Frau endgültig und<br />

wanderte 1883 nach Amerika aus.<br />

Aus einem anderen Grund wurde der Löwenwirt<br />

Blatt am 4. Juni 1886 vor den<br />

Kirchenkonvent geladen. Seine bei ihm<br />

beschäftigte Dienstmagd Pauline Kleiner<br />

hatte zweimal im Mai die Sonntagskinderlehre<br />

versäumt, weil nach deren Aussage<br />

ihre Dienstherrenschaft sie vom Besuch<br />

derselben abhält. Löwenwirt Blatt<br />

wurde ernstlich ans Herz gelegt, daß er<br />

als evangel. Christ verpfl ichtet sei, auch<br />

seine Dienstmagd zum Besuch der sonntägl.<br />

Christenlehre mit Fleiß anzuhalten u.<br />

seine häuslichen Geschäfte so einzurichten,<br />

daß seine Magd diesen für die Jugend<br />

so nötigen und heilsamen Gottesdienst<br />

besuchen kann. Er erklärte daraufhin,<br />

daß er so oft es sein Geschäft erlaube,<br />

seine Magd zur Kirche schicken<br />

wolle. Aber die Geschäfte gingen wohl zu<br />

gut, denn schon im Oktober danach versäumte<br />

seine Magd Christine Christ mehrmals<br />

die Sonntagsschule, weil sie durch<br />

häusliche Geschäfte stets abgehalten sei,<br />

zu erscheinen. Sie wurde gebeten, ihrem<br />

203


204<br />

Dienstherrn Löwenwirt Blatt gegenüber<br />

ihr Recht auf den Besuch des Gottesdienstes<br />

u. überh. auf ungestörte Sonntagsfeier<br />

geltend zu machen.<br />

Wirt Christian Bauer (1900–1927)<br />

Ab 1900 wurde der „Löwen“ vom 1874<br />

geborenen Christian Bauer geführt, dem<br />

am 1. März 1909 auch der Dienst des „Telegraphenhilfsstellenvorstehers“übertragen<br />

worden ist. Man hatte jetzt im Ort die<br />

Möglichkeit, am aufblühenden Telefonverkehr<br />

teilzunehmen. Während des Ersten<br />

Weltkrieges war Christian Bauer zwei<br />

Jahre beim Landsturm-Infanterie-Bataillon<br />

XIII/7 in Leonberg eingezogen und<br />

wurde von dort für über ein Jahr nach<br />

Stenay, südlich von Sedan in Nordfrankreich,<br />

verpfl ichtet, wo er als Bäcker, seinem<br />

erlernten Beruf, im Kriegslazarett<br />

Dienst tat. In dieser Zeit führte seine Frau<br />

Katharina die Wirtschaft und die Telegraphenhilfsstelle<br />

allein, aber mit tatkräftiger<br />

Hilfe ihrer 17-jährigen Tochter.<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg führten die<br />

Bauers den „Löwen“ weiter, der aber in<br />

den Infl ationsjahren ab 1920 wohl nicht<br />

mehr so gut lief, denn Christian Bauer<br />

kündigte im August 1922 seine Stelle als<br />

Telegraphenhilfsstellenvorsteher und gab<br />

als Grund an, dass er die Wirtschaft geschlossen<br />

habe und nur wegen des Telefons<br />

nicht ständig eine Person im Hause<br />

lassen könne (siehe dazu auch das Kapitel<br />

„Postwesen“).<br />

Wirt Georg Hägele (1927–1933)<br />

Fünf Jahre später, am 4. Mai 1927, verkaufte<br />

schließlich Christian Bauer den<br />

Gasthof „Löwen“ an Georg Hägele (siehe<br />

auch unter „Traube“). Hägele eröff nete<br />

den aus der „Traube“ übernommenen Gemischtwarenladen<br />

im hinteren Teil des<br />

Gebäudes mit separatem Eingang. Hier<br />

gab es so gut wie alles zu kaufen. Haushaltswaren,<br />

Kurzwaren, Wasch- und Putz-<br />

zeug, auch Lebensmittel und dgl. In diesen<br />

Räumen befand sich früher, um 1800 herum,<br />

die Bäckerei, die Schillers Mutter so<br />

gern besucht hat.<br />

Georg Hägele verstand es, den „Löwen“<br />

über <strong>Cleversulzbach</strong>s Grenzen hinaus bekannt<br />

zu machen. Immer wieder arrangierte<br />

er Tanzveranstaltungen, so auch an<br />

einem Sonntag im August 1930 einen<br />

Ernte-Tanz mit Hammelbraten, wozu er in<br />

der Neuenstädter Tageszeitung vom 8.<br />

August 1930 eine größere Anzeige geschaltet<br />

hatte.<br />

Anzeige aus der Neuenstädter Tageszeitung<br />

vom 8. August 1930<br />

Seit Hägeles Übernahme blieb der „Löwen“<br />

im Familienbesitz. Seine Tochter<br />

Anna heiratete am 30. April 1932 den<br />

Metzger Adolf Stecher.<br />

Wirt Adolf Stecher (1933–1943)<br />

Am 14. Februar 1933 kaufte Adolf Stecher<br />

die Gastwirtschaft seinem Schwiegervater<br />

für 15.000 RM ab und erhielt am 22. März<br />

darauf die Erlaubnisurkunde, sie weiter zu<br />

betreiben. Adolf Stecher brachte den „Löwen“<br />

zu gutem Erfolg, bis er nach Ausbruch<br />

des Zweiten Weltkriegs zur Wehrmacht<br />

eingezogen wurde.<br />

Wirtin Anna Stecher (1940–1963)<br />

Seine Frau Anna führte die Gastwirtschaft<br />

zwar zunächst weiter, bat dann aber mit


Gasthaus „Löwen“. Links hinten der Eingang<br />

zum Kolonialwarenladen (um 1940)<br />

Schreiben vom 7. April 1942 an das Bürgermeisteramt<br />

um Genehmigung, die<br />

Gastwirtschaft und den Kolonialwarenladen<br />

zum 15. April 1942 schließen zu dürfen,<br />

da mein Mann zur Wehrmacht einberufen<br />

ist und ich meine seitherige Arbeitskraft<br />

nicht erhalten konnte, was zu<br />

verstehen war, denn sie hatte auch noch<br />

zwei kleine Kinder zu erziehen, einen<br />

Weinberg und großen Garten zu versorgen.<br />

Dem Antrag hat der Landrat von<br />

Heilbronn zugestimmt, mit der Maßgabe,<br />

dass ein von der Ortspolizei abgestempelter<br />

Aushang über die behördlich genehmigte<br />

Schließung anzubringen sei. Ein<br />

knappes Jahr später traf im „Löwen“ die<br />

traurige Nachricht ein, dass Adolf Stecher<br />

in Russland bei Leningrad mit Datum vom<br />

3. Januar 1943 als vermisst gemeldet worden<br />

war.<br />

Durch den Krieg betroff en wurde der „Löwen“<br />

auch noch auf andere Weise. In der<br />

Gastwirtschaft wurden französische Kriegsgefangene<br />

zwangsweise untergebracht, die<br />

tagsüber in der Landwirtschaft eingesetzt<br />

und nachts im dafür hergerichteten oberen<br />

Saal wieder eingesperrt wurden.<br />

Nach Kriegsende bat Anna Stecher um Erlaubnis,<br />

den „Löwen“ wieder weiter zu<br />

führen, was ihr vom Heilbronner Landrat<br />

am 31. Mai 1946 genehmigt wurde. Neben<br />

der Gastwirtschaft wurde nach der<br />

Währungsreform (1948) auch der Gemischtwarenladen<br />

wieder eröff net. Wenn<br />

er auch anfangs noch einigermaßen lief<br />

(Brot und Backwaren lieferte die Bäckerei<br />

Härthner aus Neckarsulm), gingen die<br />

Umsätze nach dem Erscheinen der Supermärkte<br />

zunehmend zurück, und so entschloss<br />

sich Anna Stecher, auch aus Altersgründen,<br />

den lang geführten Laden<br />

1964 zu schließen.<br />

Nach dem Krieg wurden zahlreiche Renovierungen<br />

und Umbauten durchgeführt,<br />

um den „Löwen“ an die gestiegenen Ansprüche<br />

anzupassen. Ein Schicksalsschlag<br />

traf die Familie, als der hoff nungsvolle<br />

Sohn, der eine Ausbildung als Koch absolviert<br />

hatte und die Nachfolge im „Löwen“<br />

hätte antreten können, im Jahre 1954,<br />

22-jährig, an einer nicht erkannten Blinddarmentzündung<br />

starb.<br />

Wirtsleute Ingeborg und Klaus Stephan<br />

(1964–2008)<br />

Nun entschloss sich die Tochter Ingeborg,<br />

die Gastwirtschaft weiter zu führen, und<br />

übernahm am 31. Januar 1964 den „Löwen“<br />

von ihrer Mutter, auch wenn ihr<br />

Mann Klaus Stephan, den sie 1958 geheiratet<br />

hatte, kein Gastwirt war, sondern bei<br />

NSU (später AUDI) in der Konstruktion<br />

und im Versuch arbeitete. Die Gastwirtschaft<br />

wurde sein zweiter Beruf. Viele<br />

Jahre blieb der „Löwen“ ein beliebter Anlaufort<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> für Stammtische,<br />

Vereinsfeiern und fröhliche Abende.<br />

Doch mit zunehmendem Alter hinterließen<br />

die täglichen Belastungen eines Gasthausbetriebes<br />

bei dem Wirtspaar Ingeborg<br />

und Klaus Stephan zunehmend ihre Spuren,<br />

und da keines der beiden Kinder interessiert<br />

war, das mühevolle Geschäft zu<br />

übernehmen, wurde zunächst der Wirtsbetrieb<br />

auf die Abendstunden reduziert<br />

und später der tägliche Schankbetrieb<br />

205


206<br />

Wirtschaft „Zur Traube“ mit Gemischtwarenladen. Außen Reklametafeln für Kathreiner<br />

Malzka ee, Persil, Rosenau Brauerei Heilbronn, Maggi Würze und Genossenschaftsbier (um<br />

1920)<br />

ganz eingestellt und die Gastwirtschaft<br />

nur noch für besondere Anlässe wie Hochzeiten,<br />

Konfi rmationen und andere Feiern<br />

geöff net. Ende 2008 hat Ingeborg Stephan,<br />

die letzte „Löwenwirtin“, die Gastwirtskonzession<br />

aus Alters- und Gesundheitsgründen<br />

abgegeben, was das Ende<br />

der langjährigen Geschichte des „Löwen“<br />

bedeutete.<br />

„Traube“<br />

Vorgeschichte<br />

Das Haus der späteren Gastwirtschaft befand<br />

sich in der Neuenstädter Straße 101<br />

(heute Nr.12) neben dem Schulgarten,<br />

schräg gegenüber vom Friedhof, und war<br />

zunächst im Besitz des Kaufmanns Christian<br />

Schmich, der es 1872 samt der zum<br />

Haus gehörenden Ladeneinrichtung mit<br />

Einschluß von Maas und Gewicht an den<br />

Bauern und Metzger Christian Hesser verkaufte.<br />

Inwieweit dieser den Laden weitergeführt<br />

hat, war nicht herauszufi nden.<br />

Später ist das Gebäude mit Laden an den<br />

Krämer Johann Jung übergegangen, denn<br />

im Schätzungsprotokoll für die Gebäude-<br />

Brandversicherung von 1893 ist er als Besitzer<br />

eingetragen. Dem Protokoll folgend<br />

war es ein ca. 40 Jahre altes freistehendes<br />

zweistöckiges Wohnhaus von gemischter<br />

Bauart unter Giebeldach von mittelmäßiger<br />

Unterhaltung. Neben dem Haus be-


fanden sich eine große Scheuer und daneben<br />

noch ein Schuppen. Hinter dem Haus<br />

gab es ein 1 ½-stockiges Stallgebäude mit<br />

drei Schweineställen und einem Abort.<br />

Im Erdgeschoss des Wohnhauses betrieb<br />

Johann Jung weiterhin einen Krämerladen,<br />

der laut dem zitierten Schätzungsprotokoll<br />

mit einem eichenen Ladentisch<br />

mit Schubladen 1,85 m x 0,80 m und<br />

0,80 m hoch ausgestattet war, sowie mit<br />

einem Fach- und Schubladengestell von<br />

3 m Länge und 1,90 m Höhe. Daneben<br />

noch ein kleineres Fachgestell 1,40 m lang<br />

und 1,80 m hoch.<br />

„Traube“<br />

Nach dem Tod von Johann Jung hat die<br />

Witwe Magdalena Jung im September<br />

1906 das gesamte Anwesen an den 1877<br />

geborenen Georg Hägele verkauft. Er war<br />

ein vielgereister wohlhabender Mann und<br />

sprach mehrere Sprachen. Der Legende<br />

nach hat er bar in Goldmark bezahlt.<br />

Am 7. April 1907 heiratete er die zehn<br />

Jahre jüngere Rosa Klaiber. Zusammen mit<br />

ihr errichtete er die Gastwirtschaft „Zur<br />

Traube“, die im Obergeschoss betrieben<br />

wurde, und baute im Erdgeschoss den früheren<br />

Krämerladen zu einem gut sortierten<br />

Gemischtwarenladen aus. Im Ersten<br />

Weltkrieg wurde er am 5. Dezember 1916<br />

zum Dienst beim Reserve-Infanterieregiment<br />

121 eingezogen und nach Frankreich<br />

versetzt. Dort geriet er am 16. August<br />

1918 bei Roye (Somme) in französische<br />

Kriegsgefangenschaft. Erst im März<br />

1920 wurde er entlassen und führte dann<br />

voller Geschäftigkeit mit seiner Frau die<br />

„Traube“ weiter. Sieben Jahre später<br />

(1927) verkaufte Georg Hägele das ganze<br />

Besitztum an Gottlob Euerle, der aber weder<br />

die Gastwirtschaft noch den Gemischtwarenladen<br />

weiterführte. Es wird<br />

angenommen, dass dies eine Bedingung<br />

von Hägele war, denn er hatte danach die<br />

Gastwirtschaft „Löwen“ erworben (siehe<br />

dort) und wollte off ensichtlich keine Konkurrenz.<br />

Den Gemischtwarenladen in der<br />

„Traube“ hat er geschlossen und im „Löwen“<br />

neu eröff net.<br />

„Adler“ (später „Zum alten Turmhahn“)<br />

Vorgeschichte<br />

Eine Wirtschaft mit dem Namen „Adler“<br />

muss es schon um 1817/20 gegeben haben.<br />

Der Wirt hieß damals Ludwig Herrmann.<br />

Im Brandversicherungsbuch von<br />

1808 wird er unter dem Jahr 1817 als Besitzer<br />

des Hauses Nr. 22 (24) und als „Adlerwirth“<br />

aufgeführt. Das Haus wurde<br />

aber im Frühjahr 1819 abgerissen. Im<br />

gleichen Buch taucht sein Name wiederum<br />

auf und mit dem Hinweis „Adlerwirth“<br />

als Besitzer des Hauses Nr. 26 (28),<br />

einer 2-stöckigen Behausung beim Rathaus.<br />

Im Impfbuch wird mit Eintrag vom<br />

9. Oktober 1820 ein „Johann Ludwig Hörman,<br />

Adlerwirth“ genannt. Die Wirtschaft<br />

muss sich somit in der Nähe des Rathauses<br />

befunden haben, ob es aber das Gebäude<br />

war oder zumindest die Stelle, in<br />

dem rd. 100 Jahre später (1912) der erstmals<br />

dokumentierte „Adler“ eröff net worden<br />

ist, bleibt ungeklärt.<br />

Die erste Erwähnung einer Wirtschaft,<br />

aber noch ohne einen Namen, jedoch an<br />

der Stelle der späteren Gastwirtschaft<br />

„Adler“, ist mit der Schankerlaubnis für<br />

Ludwig Schlegel zu fi nden. Er erhielt vom<br />

Oberamt Neckarsulm am 21. Dezember<br />

1872 die Erlaubnis zum Führen einer<br />

Schankwirtschaft für Wein, Bier und<br />

Obstmost in seinem zweistöckigen Wohnhaus<br />

in der Hauptstraße Nr. 25. (heute<br />

Brettacher Straße). Die ebenfalls beantragte<br />

Erlaubnis für Branntweinausschank<br />

wurde vom Gemeinderat in einer davor<br />

abgehaltenen Sitzung abgelehnt, da bereits<br />

drei Wirte am Ort die Konzession dafür<br />

ausübten. Ludwig Schlegel betrieb die<br />

Wirtschaft mit seiner am 11. November<br />

1866 geheirateten Frau Magdalene.<br />

207


208<br />

Nach dem Tod von Ludwig Schlegel im<br />

März 1875 führte seine Witwe die Gastwirtschaft<br />

zunächst allein weiter, um am<br />

5. August 1879 erneut zu heiraten, und<br />

zwar den aus dem hohenlohischen Steinbrück<br />

stammenden elf Jahre jüngeren<br />

Hermann Schön, dem sie auch im selben<br />

Monat die Schankrechte übertrug. Die geschlossene<br />

Ehe war jedoch nicht glücklich.<br />

Ein Jahr nach der Geburt des ebenfalls<br />

Hermann genannten Sohnes trennte sich<br />

der Wirt Hermann Schön nicht nur von<br />

seiner Frau, sondern enterbte sie auch wegen<br />

ihrer gegen mich an den Tag gelegten<br />

gehässigen Gesinnung und setzte in seinem<br />

Testament vom 20. April 1881, aus<br />

dem das vorherige Zitat stammt, seinen<br />

am 27. April 1880 geborenen Sohn als Alleinerben<br />

ein.<br />

Als Hermann Schön neun Jahre später<br />

starb, ging der Besitz des Hauses auf seine<br />

Frau über. (Ob es seine enterbte und getrennt<br />

lebende Frau war oder eine neu geheiratete,<br />

konnte den Unterlagen nicht<br />

entnommen werden. Fest steht, dass in<br />

den Brandversicherungs-Protokollen von<br />

1889 und 1893 als Eigentümerin „Hermann<br />

Schöns Witwe“ eingetragen ist.) Die<br />

Schankwirtschaft wurde off enbar weiter<br />

betrieben, allerdings muss das Gebäude<br />

ziemlich heruntergekommen und dem Bericht<br />

eines Dorfbewohners zufolge um die<br />

Jahrhundertwende abgebrannt sein, was<br />

aber in den Akten nicht belegt ist; wohl<br />

ist der Vermerk zu fi nden „Abgebrochen,<br />

daher exkatastiert“ 3 .<br />

Der inzwischen 30-jährige Sohn Hermann<br />

Schön jr. ließ 1911 an derselben Stelle und<br />

auf den Grundmauern des erhalten gebliebenen<br />

Gewölbekellers ein neues stattliches<br />

Gebäude mit Erker im ersten Stock<br />

erstellen, in dem bereits „9 elektrische<br />

Glühkörper samt Leitung und 1 Wasserleitung<br />

nebst Hahnen“ installiert war. Auf<br />

seinen Antrag hin erhielt er am 28. September<br />

1911 die Erlaubnis, den Ausschank<br />

von Wein und Bier wie bisher in einem<br />

Zimmer im Erdgeschoss (6,4 m x 4,7 m) sowie<br />

in einem Zimmer im ersten Stock und<br />

einem Saal (6 bzw. 10 m lang und 6,4 m<br />

breit) durchzuführen.<br />

„Adler“<br />

Ein Jahr später, am 15. Juli 1912, verkaufte<br />

er die Schankwirtschaft an die<br />

Wirtsfamilie Seebold, die aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />

stammte, zwischenzeitlich aber in<br />

Frankfurt/Main gelebt hatte und jetzt<br />

wieder in den Heimatort zurückkehrte.<br />

Seit diesem Zeitpunkt blieb die Wirtschaft<br />

im Besitz dieser Familie. Der Betrieb der<br />

Gastwirtschaft wurde dem Wirt Ludwig<br />

Seebold am 29. Dezember 1913 noch mit<br />

der Möglichkeit erweitert, die beiden Zim-<br />

Wirtschaft „Zum Adler“, 1918


mer des ersten Stocks zur Beherbergung<br />

von Fremden nutzen zu können.<br />

Die Familie Seebold hat ihrer Gastwirtschaft<br />

den Namen „Adler“ gegeben, der in<br />

großen Buchstaben an der Wand zur Neuenstädter<br />

Straße angebracht wurde. An<br />

der Eckwand zeigte ein schönes Wirtshausschild<br />

von beiden Straßenseiten sichtbar<br />

den „Adler“, der im Versicherungsprotokoll<br />

von 1913 wie folgt beschrieben ist:<br />

1 geschmiedetes Wirtsschild, reich verziert,<br />

mit Ölfarbe gestrichen und teilweise<br />

vergoldet.<br />

Nach dem Verkauf hat sich das Ehepaar<br />

Schön das stattliche Haus am Dorfrand<br />

gebaut (heute Neuenstädter Straße 20),<br />

über dessen Hauseingang noch heute eingraviert<br />

steht Erbaut von Hermann und<br />

Emma Schön 1912.<br />

Eine besondere Bedeutung erlangte die<br />

Gastwirtschaft „Adler“ durch die Einrichtung<br />

einer „Mörike-Stube“, deren Existenz<br />

ab 1918 belegt ist. In der Zeit wurde ein<br />

Gästebuch angelegt, in das sich der<br />

Mörike-Freund Dr. Thomas Hoenes, Lehrer<br />

an der Cecilienschule in Saarbrücken, am<br />

8. September als Erster eintrug. Die neue<br />

Mörike-Erinnerungsstätte sprach sich<br />

schnell herum. Es kamen bald Besucher<br />

aus ganz Deutschland und zunehmend<br />

auch aus dem Ausland.<br />

Nach dem Tod des Vaters 1921 und der<br />

Mutter 1940 führten die Töchter die Gastwirtschaft<br />

weiter und betreuten liebevoll<br />

die Mörike-Stube. Im Jahre 1956 wurde<br />

auf Anregung des Heilbronner Landrates<br />

das Gasthaus umgebaut und renoviert, um<br />

der angewachsenen Sammlung mehr<br />

Raum zu geben. Bei dieser Gelegenheit erhielt<br />

das Gasthaus auch den neuen Namen<br />

„Zum alten Turmhahn“.<br />

Als die Schwester Hilde 1964 starb, führte<br />

Margarete Seebold die Gastwirtschaft mit<br />

Mörike-Stube allein weiter. Hinzu gekommen<br />

war auch eine kleine Agentur der<br />

Handelsbank Heilbronn, die zu gewissen<br />

Stunden geöff net war und in der man<br />

Ein- und Auszahlungsgeschäfte tätigen<br />

konnte. Die Wirtin war die Agenturbetreiberin.<br />

Doch ab 1984 wurde Margarete<br />

Seebold immer häufi ger von Krankheiten<br />

geplagt und war schließlich 1991 gezwungen,<br />

die Gastwirtschaft und damit auch<br />

die Mörike-Stube endgültig zu schließen.<br />

Drei Jahre später, am 28. Juli 1994, ist<br />

Margarete Seebold gestorben. (Ausführliches<br />

zur Geschichte der Mörike-Stube<br />

und dem danach gegründeten Mörike-<br />

Museum ist in dem Kapitel „Die Mörike-<br />

Stube und die Entstehung des Mörike-<br />

Museums“ niedergeschrieben).<br />

„Zum grünen Baum“<br />

Das Haus dieser relativ jungen Gastwirtschaft<br />

stand und steht noch in der Eber-<br />

Gastwirtschaft „Zum alten Turmhahn“ ,1985<br />

209


210<br />

städter Straße (damals Nr. 3, heute Nr. 16)<br />

und wurde Anfang der 1950er Jahre von<br />

Karl und Luise Kleber bewohnt. Sie hatte<br />

nach Jahren wieder geheiratet, nachdem<br />

ihr erster Mann Erwin Wölk, von dem sie<br />

zwei Kinder hatte, im Krieg 1944 als vermisst<br />

gemeldet worden war und nicht<br />

mehr zurückkam.<br />

Luise Kleber war eine umtriebige Frau, war<br />

geschickt bei landwirtschaftlichen Arbeiten<br />

und kochte gut und gern, und so war<br />

es nicht zu verwunderlich, dass sie sich eines<br />

Tages mit dem Gedanken trug, in ihrem<br />

Wohnhaus eine Gaststätte einzurichten.<br />

Dafür stellte sie am 30. Oktober 1958<br />

beim Landratsamt Heilbronn den Antrag.<br />

Nachdem sie die geforderten Aufl agen erfüllt<br />

hatte, insbesondere was die Wirtschaftsküche<br />

und die Toilettenanlagen betraf<br />

und dies mit einer Planskizze belegt<br />

hatte, erhielt Luise Kleber daraufhin am<br />

13. November 1958 die Erlaubnisurkunde<br />

zum Führen einer Schankwirtschaft. Auf<br />

Anregung einer Bekannten wählte sie dafür<br />

den hoff nungsvollen Namen „Zum<br />

grünen Baum“.<br />

Die Wirtschaft erreichte einen hohen Bekanntheitsgrad<br />

in der Zeit, als die Durchgangsstraßen<br />

von Neuenstadt nach Eberstadt<br />

und Brettach ausgebaut wurden und<br />

die nahe gelegene Autobahn A 81 im Bau<br />

war; also in den späteren 1960er und frühen<br />

1970er Jahren. Die Gaststube war ein<br />

beliebter Treff punkt für die Bauarbeiter,<br />

aber auch für viele <strong>Cleversulzbach</strong>er, weil,<br />

wie es hieß, dort eine besondere Stimmung<br />

herrschte. Wenn für größere Feiern<br />

der doch relativ kleine Schankraum nicht<br />

ausreichte, mietete die Wirtin den Gemeindesaal<br />

in der gegenüberliegenden<br />

Kelter und übernahm dort die Bewirtung.<br />

So auch im April 1967, als wieder ein<br />

ADAC-Bergrennen auf der Strecke <strong>Cleversulzbach</strong>–Eberstadt<br />

stattfand, das dritte<br />

nach 1965 und 1966, und Luise Kleber für<br />

die Siegerehrung im Saal die Bewirtschaf-<br />

tung übernommen hatte. Die Saalmiete<br />

betrug damals 50,00 DM.<br />

Später hat sie die Gastwirtschaft an ihre<br />

Tochter Monika verpachtet, die sie mit ihrem<br />

Mann Eberhard Engstler noch einige<br />

Jahre weiterführte. Aus familiären Gründen<br />

hat Monika Engstler die Konzession<br />

zum 31. Dezember 1976 wieder abgemeldet.<br />

Ihre Mutter verzichtete auf eine Weiterführung<br />

der Gastwirtschaft. Damit war<br />

nach 18 Jahren der „Grüne Baum“ schon<br />

wieder Geschichte. Das Ehepaar Engstler<br />

Ehemalige Gastwirtschaft „Zum grünen<br />

Baum“, 2012<br />

startete in Neuenstadt mit dem Landgasthof<br />

„Linde“ eine neue Gastwirtslaufbahn.<br />

Zur Abrundung wäre noch zu erwähnen,<br />

dass einer mündlichen Überlieferung zufolge<br />

das englische Königspaar, das sich<br />

auf einem Deutschlandbesuch befand,<br />

auch einen Abstecher nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />

gemacht haben soll, um die Mörike-Stube<br />

aufzusuchen. Da diese aber an dem Tag<br />

gerade geschlossen war, ist man im „Grünen<br />

Baum“ zu einer kurzen Rast eingekehrt.<br />

Außer diesem Bericht einer Zeitzeugin<br />

gibt es aber keine weiteren Beweisstücke<br />

über einen solchen Besuch. Königin<br />

Elisabeth II. und ihr Ehegatte Prinz Philip<br />

haben zwar zu der Zeit, nämlich im Mai<br />

1965, einen 11-tägigen Deutschlandbesuch<br />

absolviert und weilten als Teil des


Programms am Spätnachmittag des 24.<br />

Mai im Schloss Langenburg, um Prinz Philips<br />

Verwandtschaft zu besuchen. Von dort<br />

ist man aber um 23.00 Uhr mit einem<br />

Sonderzug über Blaufelden nach Köln<br />

zum nächsten Besuchsort weitergereist.<br />

Ein Abstecher nach <strong>Cleversulzbach</strong> dürfte<br />

allein zeitlich, geschweige denn wegen<br />

des strengen Protokolls, kaum möglich gewesen<br />

sein. Wer weiß, wie diese Legende<br />

entstanden ist!<br />

„Brunnenstüble“<br />

Da, wo heute an der Brettacher Straße<br />

Nr. 13 das schmucke Restaurant „Brunnenstüble“<br />

steht, standen bis 1985 noch<br />

mehrere alte Häuser, darunter auch der<br />

Bauernhof der Familie Seebold. Als in den<br />

1980er Jahren der Bedarf nach zusätzlicher<br />

Einkehrmöglichkeit in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

fühlbar wurde, fassten die Eheleute Hildegard<br />

und Gerhard Seebold den Beschluss,<br />

ein Restaurant zu eröff nen. Der elterliche<br />

Bauernhof und angrenzende Häuser wurden<br />

abgerissen und an deren Stelle 1986<br />

das Restaurant „Brunnenstüble“ gebaut,<br />

benannt nach dem bis heute noch ein<br />

paar Meter weiter stehenden Brunnen.<br />

Es war ein wagemutiges Unternehmen,<br />

denn Gerhard Seebold war Bäcker von Beruf<br />

und sowohl er als auch seine Frau hatten<br />

anfangs nicht die geringste Ahnung<br />

von Gastronomie. Ihr Sohn Christian<br />

wurde 1974 geboren und wollte ursprünglich<br />

wie sein Vater Bäcker werden. Doch<br />

als die Eltern das Brunnenstüble eröff net<br />

hatten, war für ihn klar, dass er irgendwann<br />

in das elterliche Geschäft einsteigen<br />

würde. Er lernte Koch im ehemaligen Heilbronner<br />

Restaurant „Stöber“, praktizierte<br />

in Hotelgaststätten in der Eifel und auf<br />

Sylt und kehrte 1997 in den elterlichen<br />

Betrieb zurück. 2003 legte er die Prüfung<br />

zum Küchenmeister ab. Sein Vater zog<br />

sich aus Alters- und Krankheitsgründen<br />

aus dem Alltagsgeschäft zurück. Christian<br />

Seebold pachtete schließlich 2005 das<br />

„Brunnenstüble“ und führt es seitdem zusammen<br />

mit seiner Mutter. Es ist inzwischen<br />

mit seiner gehoben-bürgerlichen<br />

Küche weit über die Grenzen des Heilbronner<br />

Landkreises hinaus bekannt geworden.<br />

Waren es früher in starkem Maße<br />

Kunden und Interessenten der zwei am<br />

Ort ansässigen Antiquitätengeschäfte, die<br />

das „Brunnenstüble“ aufsuchten, so sind<br />

es heute insbesondere Besucher und<br />

Gruppen, die an der mit Schiller und<br />

Mörike behafteten Geschichte <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />

interessiert sind. Darüber hinaus ist<br />

es ein beliebtes Ziel für alle Arten von Familien-,<br />

Vereins- und Firmenfeierlichkeiten<br />

geworden.<br />

Restaurant „Brunnenstüble“<br />

„Hirsch“<br />

Über diese Gastwirtschaft wurde nur ein<br />

einziger Eintrag gefunden. Es war eine so<br />

genannte Schildwirtschaft und als Wirt<br />

war 1824 Samuel Kuttruff eingetragen.<br />

Wo sie sich im Ort befunden hat, war<br />

nicht zu ermitteln. Auch wurde die Wirtschaft<br />

„Hirsch“ nirgendwo erneut erwähnt.<br />

211


212<br />

Besenwirtschaften<br />

Wie in vielen anderen Weinbaugebieten<br />

wurden auch in <strong>Cleversulzbach</strong> über viele<br />

Jahre so genannte Besenwirtschaften (in<br />

anderen Gebieten Straußenwirtschaften<br />

genannt) betrieben. In diesen Wirtschaften,<br />

die keiner Gaststättenkonzession bedürfen,<br />

kann der Winzer seinen selbsterzeugten<br />

Wein ausschenken und einfache<br />

Speisen anbieten. Die Sitzplatzzahl ist mit<br />

max. 40 festgelegt und der „Besen“ darf<br />

auch nur in begrenzten Zeiträumen geöff -<br />

net werden. Trotzdem erfreuen sich Besenwirtschaften<br />

großer Beliebtheit, weil,<br />

anders als in Gastwirtschaften, die Besucher<br />

eng zusammenrücken und sehr<br />

schnell ein nachbarlicher Kontakt entsteht.<br />

Bekannte Besenwirte in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

waren Gottlob Euerle, Gustav Herrmann,<br />

Hermann Schlegel, Fritz Weber und<br />

Wilhelm Weiß.<br />

Nach langen Jahren ohne einen „Besen“ in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> eröff nete im Februar 1985<br />

die Familie Herbert Uhlmann im Erdgeschoss<br />

ihres Hauses in der Eberstädter<br />

Straße 32/1 wieder eine Besenwirtschaft.<br />

Die eigene Vermarktung der erzeugten<br />

Weine war der auslösende Faktor gewesen,<br />

nachdem die Zusammenarbeit mit der<br />

Weingärtnergenossenschaft nicht so zufriedenstellend<br />

gelaufen war. Der urig<br />

ausgestattete „Besen“ sprach sich schnell<br />

herum. Eine reichhaltige Weinkarte und<br />

geschmackvolle einfache Gerichte aus der<br />

Region sorgten für einen großen Zulauf,<br />

sodass sich Herbert Uhlmann 1998 entschloss,<br />

den „Besen“ zu vergrößern und<br />

das Speisenangebot zu erweitern, was allerdings<br />

eine Gaststättenkonzession erforderlich<br />

machte. Das Unternehmen nannte<br />

1 Siegfried Gotthelf Eckardt, Künstlername Koch<br />

(1754 –1831), war ein bedeutender Charakterdarsteller,<br />

zuletzt am Burgtheater Wien; Johann Friedrich Bause<br />

(1738 –1814), deutscher Kupferstecher, bester Porträtstecher<br />

seiner Zeit.<br />

sich fortan „Weinstube Uhlmann“. Nach<br />

weiteren zehn erfolgreichen Jahren beschloss<br />

aber die Familie Ende 2009 eine<br />

„Auszeit“ zu nehmen. Die Bewirtschaftung<br />

wurde für eine ungewisse Zeit eingestellt,<br />

der Weinverkauf jedoch weiter geführt.<br />

Weinstube Uhlmann, 2010<br />

Branntweinschänken<br />

Zu erwähnen wäre noch, dass neben den<br />

genannten Gast- und Besenwirtschaften<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> auch eine Reihe von so<br />

genannten Branntweinschänken betrieben<br />

worden sind. Es handelte sich um Schänken,<br />

bei denen nur (meist selbst gebrannter)<br />

Branntwein und andere alkoholische<br />

Getränke ausgeschenkt, aber keine Speisen<br />

serviert wurden. In den Unterlagen<br />

werden besonders in den Jahren zwischen<br />

1820 und 1860 viele Namen von Branntweinbrennern<br />

und Branntweinschankwirten<br />

genannt, so die Wirte Thomas Au, Jakob<br />

Gessmann, Jakob Herrmann, Gottlieb<br />

Korb, Paul Mezger und Jakob Siller.<br />

2 Holgen, auch Holge, Helge ist im Schwäbischen Jahrmarktsware,<br />

vor allem Papier, bedruckt mit der Darstellung<br />

eines Heiligen.<br />

3 Aus dem Kataster entfernt.


Von Banken und „Wohnzimmerfi lialen“ –<br />

Die Entwicklung des Sparwesens<br />

Vom Darlehenskassenverein zur<br />

Volksbank<br />

Das älteste und einzige bis heute mit einer<br />

Filiale in <strong>Cleversulzbach</strong> vertretene Bankinstitut<br />

ist die Volksbank. Sie wurde am<br />

11. Juni 1899 als Darlehenskassenverein<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> gegründet. Dieser war<br />

dem Genossenschaftsgedanken verpfl ichtet<br />

und verfolgte den Zweck, „seinen Mitgliedern<br />

die zu ihrem Geschäfts- und<br />

Wirtschaftsbetriebe nötigen Geldmittel in<br />

verzinslichen Darlehen zu beschaff en sowie<br />

Gelegenheit zu geben, müßig liegende<br />

Gelder verzinslich anzulegen.“ Die ersten<br />

Genossen, die sich am 20. Juni in das Genossenschaftsregister<br />

eintrugen, waren<br />

Schultheiß Reinhold Kögel, Pfarrer Paul<br />

Harr und 23 Landwirte und Handwerker. 1<br />

Der erste Vorstand setzte sich aus dem<br />

Landwirt Gottfried Hesser als Vorsteher,<br />

Gemeinderat Samuel Kuttruf als Stellvertreter,<br />

Landwirt August Kuttruf, Schreiner<br />

August Müller und Landwirt Gottlob Herrmann<br />

sen. zusammen. Die genossenschaftliche<br />

Idee der Selbsthilfe kam vor<br />

allem darin zum Ausdruck, dass der Verein<br />

seinen Mitgliedern auch „den gemeinschaftlichen<br />

Ankauf landwirtschaftlicher<br />

Bedarfsgegenstände sowie den gemeinschaftlichen<br />

Verkauf landwirtschaftlicher<br />

Erzeugnisse vermitteln“ konnte. Von Anfang<br />

an wurden gemeinschaftlich Kunstdünger,<br />

Futtermittel und Sämereien beschaff<br />

t. 2 Auch eine Sämaschine sollte bald<br />

angeschaff t werden; für den vom Oberamt<br />

empfohlenen Trieur, ein Trenngerät,<br />

um gutes, gesundes Saatgut zu gewinnen,<br />

fand sich allerdings zunächst kein Platz.<br />

Der Darlehenskassenverein besaß nämlich<br />

keine eigenen Räumlichkeiten und war<br />

auf das Wohlwollen der Gemeinde angewiesen,<br />

die anfangs Teile der Remise beim<br />

Rathaus und das Vorzimmer des Rathauses<br />

als Lager zur Verfügung stellte. 3 Erst<br />

1950/51 errichtete die Bank die Dreschhalle<br />

am Ortsausgang. Dort wurden fortan<br />

die Maschinen untergestellt – etwa ein<br />

Holzgasschlepper, der 1944 angeschaff t<br />

worden war, Mähwerk, Pritschenwagen<br />

oder Garbenbinder. Auch der Warenhandel<br />

mit Saatgut, Kunstdünger etc. wurde<br />

dort abgewickelt. Diese Aktivitäten wanderten<br />

aber schon bald zum Lagerhaus<br />

(BAG) Neuenstadt ab; die 1964 noch erweiterte<br />

und umgebaute Dreschhalle<br />

wurde verkauft.<br />

Der Darlehenskassenverein fi rmierte seit<br />

1935 als Spar- und Darlehenskasse <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />

deren Sitz 1968 nach Neuenstadt<br />

a. K. verlegt wurde und dadurch sozusagen<br />

zur Mutter der Volksbank Neuenstadt<br />

wurde. Der kriegsversehrte Landwirt<br />

Karl Bräuninger, der ab 1946 zunächst<br />

Rechner, dann Geschäftsstellenleiter war,<br />

wirkte 40 Jahre lang (bis 1986) für die Genossen.<br />

Die Bankfi liale war in seinem<br />

Wohnhaus untergebracht – anfangs in der<br />

Brettacher Straße, dann in seinem neu erbauten<br />

Haus in der Fladenstraße. Hier gab<br />

es wenigstens ein eigenes Zimmer für die<br />

Bankgeschäfte. 1973 schließlich bezog die<br />

Bank erstmals ein eigenes Gebäude: In der<br />

Brettacher Straße war der Neubau zum<br />

Jahresende fertiggestellt worden. Seit<br />

1994 residiert die Geschäftsstelle im Gebäude<br />

gegenüber; das ehemalige Bankgebäude<br />

wird als Verkaufsstelle der Bäckerei<br />

Discher genutzt.<br />

Württembergische Sparkasse<br />

1818 war von Königin Katharina die Württembergische<br />

Sparkasse in Stuttgart gegründet<br />

worden. Sie war eine Einrichtung<br />

der Armenfürsorge und Wohltätigkeit und<br />

213


214<br />

Sparbuch Württembergische<br />

Landessparkasse,<br />

die Nachfolgerin<br />

der 1818 gegründetenWürttembergischen<br />

Sparkasse<br />

sollte es vor allem den ärmeren Bevölkerungsschichten<br />

ermöglichen, ihre Ersparnisse<br />

zinsbringend anzulegen. Auch in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> richtete sie auf die Initiative<br />

von Pfarrer Wiesner 4 1904 eine so genannte<br />

Agentur ein, die ihm selbst übertragen<br />

wurde. Wie Pfarrer Harr 1902 berichtete,<br />

existierte zu diesem Zeitpunkt<br />

auch bereits eine Schülersparkasse. Bereits<br />

die Kinder sollten also möglichst frühzeitig<br />

zum Sparen angehalten werden. 5 Fleiß<br />

und Betriebsamkeit zählten zwar zu den<br />

Eigenschaften der <strong>Cleversulzbach</strong>er, wenn<br />

man den Erhebungen für die 1881 erschienene<br />

Neckarsulmer Oberamtsbeschreibung<br />

Glauben schenken mag, zugleich<br />

aber auch mangelnde Sparsamkeit<br />

und ein „Hang zum Branntweintrinken“,<br />

der sich „sittlich und ökonomisch zerrüttend“<br />

auswirke. Angesichts der recht großen<br />

Zahl der Armen in der Gemeinde blieb<br />

allerdings auch nicht viel Spielraum, um<br />

Ersparnisse anzulegen. Die Hoff nung des<br />

Pfarrers, „dass in seiner Gemeinde jung<br />

und alt mehr zum Sparen angehalten<br />

werde“, erfüllte sich zunächst nicht. 6 1906<br />

schrieb er: „Für viele Familien ging es<br />

rückwärts, es gab mehrere Konkurse in<br />

den letzten Jahren“ … „die Sparkasse,<br />

Agentur der Württembergischen Sparkasse,<br />

führt ein ziemlich kümmerliches<br />

Dasein“. Erst danach verbesserten sich allmählich<br />

die wirtschaftlichen Verhältnisse.<br />

Die Agentur dieser Bank, ab 1977 Landesgirokasse<br />

und seit 1999 Landesbank Baden-Württemberg,<br />

existierte noch lange<br />

am Ort und wurde zuletzt von Wilhelm<br />

Kuttruf, der unter Bürgermeister Nef Gemeindepfl<br />

eger war, in seinem Haus in der<br />

Eberstädter Straße betrieben.<br />

Oberamtssparkasse Neckarsulm bzw.<br />

Kreissparkasse Heilbronn<br />

Demselben Gedanken war die 1847 gegründete<br />

Neckarsulmer Oberamtssparkasse<br />

verpfl ichtet: Sie wollte den Bürgern<br />

im Oberamtsbezirk eine sichere Anlage ihrer<br />

Ersparnisse und günstige Darlehensmöglichkeiten<br />

bieten. 1910 stellte sie fest,<br />

dass in <strong>Cleversulzbach</strong> noch kein „Sparpfl<br />

eger“ vorhanden sei; als geeignete Persönlichkeit<br />

wurde daraufhin Pfarrer Wiesner<br />

vorgeschlagen. 7 Auch Minibeträge unter<br />

1 Mark konnten angespart werden.<br />

Dazu diente die mit der Sparkasse verbundene<br />

Pfennigsparkasse, die den Sparern<br />

Sparmarken ausgab, bis 1 Mark erreicht<br />

war und das Angesparte auf das Sparbuch<br />

überführt werden konnte.<br />

Erst spät erhielt die Sparkasse, die seit<br />

1938 zur Heilbronner Kreissparkasse gehörte,<br />

eigene Räumlichkeiten. Solange sie<br />

Agentur war, befand sie sich im Privathaus<br />

des jeweiligen Inhabers. Landwirt<br />

Wilhelm Kreß führte die Agentur bis 1976,<br />

danach ging sie in die Hände von Brigitte<br />

Euerle, die im Wohnhaus ihrer Schwiegereltern<br />

in der Neuenstädter Straße 12 die<br />

Bankgeschäfte erledigte. Es war eine typische<br />

„Wohnzimmerfi liale“: ein Schreibtisch,<br />

verschiedene Bankformulare, Kasse<br />

und Rechenmaschine. Die Kunden kamen,<br />

wann sie Zeit hatten – auch am Sonntag<br />

–, um Bargeld zu holen, Überweisungen<br />

aufzugeben oder ihr Erspartes anzulegen.<br />

Frau Euerle führte bald feste Geschäftszeiten<br />

ein, was bei den <strong>Cleversulzbach</strong>ern<br />

zunächst nicht gut ankam. Als<br />

1978 die Agentur zur Filiale erhoben


Hinweisschild an der Ecke Neustädter<br />

Straße/Hohlstraße zur Filiale der Kreissparkasse<br />

Heilbronn im Privathaus von Wilhelm<br />

Kreß in der Hohlstraße 8<br />

wurde, wurde sie deren erste Leiterin.<br />

Gleichzeitig bezog die Sparkasse erstmals<br />

eigene Räume im Erdgeschoss des Rathauses.<br />

Ab 1980 war dort Bernd Ohrnberger<br />

Filialleiter; ihm folgte 1982 die aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />

stammende Hildegard Nagel<br />

(geb. Nef). Zum 30. September 2000<br />

wurde die Filiale geschlossen; seitdem gehen<br />

die Kunden nach Neuenstadt.<br />

Handels- und Gewerbebank Heilbronn<br />

bzw. Baden-Württembergische Bank<br />

Auch die 1902 in Heilbronn gegründete<br />

Handels- und Gewerbebank, seit 1977 Baden-Württembergische<br />

Bank, war am Ort<br />

vertreten. Die Bank hatte über den ganzen<br />

Landkreis ein dichtes Netz an Filialen und<br />

Agenturen gespannt. Oftmals waren die<br />

örtlichen Einzelhändler Inhaber der Agenturen.<br />

In <strong>Cleversulzbach</strong> arbeitete die Bank<br />

ebenfalls auf Agenturbasis. Die Agentur lag<br />

1 StAL FL 300 /14 II Bü. 195 Genossenschaftsregister.<br />

2 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 30 Gemeinderatsprotokoll 12.08.1899.<br />

3 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 31 Gemeinderatsprotokoll<br />

30.09.1902. CB 32 Gemeinderatsprotokoll 11.07.1910. CB<br />

32 Gemeinderatsprotokoll 02.12.1910 und 13.11.1911.<br />

4 Fritz Wiesner, Pfarrer in <strong>Cleversulzbach</strong> von 1903–1931.<br />

in den Händen der Geschwister Seebold im<br />

„Adler“, seit den 1960er Jahren fast 30<br />

Jahre lang in denjenigen von Landwirt Kurt<br />

Eckert, der zunächst im Dorf seinen Hof<br />

hatte, später aussiedelte (Haselhof) und nebenbei<br />

die Agentur betrieb. Auch dies war<br />

eine typische „Wohnzimmeragentur“, ausgestattet<br />

lediglich mit den wichtigsten<br />

Utensilien für den Bankbetrieb. Wie Frau<br />

Eckert erzählt, gab es zweimal in der Woche<br />

Sprechzeiten. 1994 schloss die Baden-<br />

Württembergische Bank ihre letzten Agenturen,<br />

die inzwischen als nicht mehr zeitgemäß<br />

angesehen wurden.<br />

Volksbank Öhringen bzw. Volksbank<br />

Hohenlohe<br />

Die fünfte Bank, die in <strong>Cleversulzbach</strong> Fuß<br />

zu fassen versuchte, war die Volksbank<br />

Öhringen, heute Volksbank Hohenlohe. Sie<br />

beschränkte ihre Aktivitäten nicht auf den<br />

damaligen Landkreis Öhringen, sondern<br />

eröff nete auch Zweigstellen im angrenzenden<br />

Kreis Heilbronn, z. B. Gochsen, Kochersteinsfeld<br />

oder Lampoldshausen. In<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> wurde eine nebenamtliche<br />

Zahlstelle eingerichtet, die bis 1971 Paula<br />

Rüber, dann bis 1973 Paula Drautz und<br />

zuletzt von 1973 bis 1983 Wilhelm Göltenboth<br />

innehatten. 8 Auch seine Frau Else<br />

half bei den Bankgeschäften mit, erzählt<br />

Herbert Göltenboth. Die wichtigsten Utensilien<br />

waren die Kasse und das Kassenbuch,<br />

in dem die Ein- und Auszahlungen festgehalten<br />

wurden. Alle paar Wochen musste<br />

mit der Hauptstelle in Öhringen abgerechnet<br />

werden. 1983 wurde die Zahlstelle<br />

aufgegeben. Im 20. Jahrhundert profi tierte<br />

der Ort also von einer außerordentlichen<br />

Bankenvielfalt, von der man heute in einem<br />

kleinen Dorf nur träumen kann.<br />

5 LKA Stuttgart Pfarrbericht 1902<br />

6 StAL E 193 Bü. 588<br />

7 GA <strong>Cleversulzbach</strong> CB 32, 22.02.1910<br />

8 Festschrift 125 Jahre Volksbank Öhringen eG, 1968. –<br />

Freundliche Auskunft der Volksbank Hohenlohe, August<br />

2011.<br />

215


216<br />

Gebäude und Einrichtungen in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong><br />

Das Rathaus von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

„Das neue Rathhaus, das im Erdgeschoß<br />

das Spritzenlokal enthält, ist 1874 gebaut<br />

worden“, berichtet die Oberamtsbeschreibung<br />

über <strong>Cleversulzbach</strong>. Die Oberamtsbeschreibung<br />

Neckarsulm ist 1881 erstellt<br />

worden. Die Erhebungen zu den einzelnen<br />

Ortsdossiers sind somit bereits davor zu<br />

datieren und das in der Oberamtsbeschreibung<br />

erwähnte Gebäude dürfte zum Zeitpunkt<br />

der Berichterstattung erst kurz davor<br />

bezogen worden sein.<br />

Das Rathaus 1833<br />

Dass es jedoch bereits einen Vorgängerbau<br />

gegeben hat, ist ebenfalls den Gemeinde-<br />

ratsprotokollen bzw. der Gemeindepfl egerrechnung<br />

zu entnehmen. So sieht sich<br />

der Gemeinderat 1833 veranlasst, das bestehende<br />

Rathaus aktuellen Erfordernissen<br />

anzupassen: Neben der Vergrößerung des<br />

Unterrichtsraums im Erdgeschoss soll auch<br />

eine Arrestzelle im Obergeschoss eingebaut<br />

werden. Baumeister Grotz aus Neuenstadt<br />

war beauftragt, einen Kostenanschlag<br />

für diese Umbaumaßnahme zu erstellen.<br />

Das Rechenwerk, aus dem im Folgenden<br />

Auszüge wiedergegeben werden,<br />

wurde dem Gemeinderat und dem Bürgerausschuss<br />

am 24. Juni 1833 zur Zustimmung<br />

vorgelegt:<br />

Bauüberschlag<br />

über eine beabsichtigte Vergrößerung des Schulzimmers im unteren Stock des Rathhauses<br />

und einiger Abänderungen im oberen Stock namentlich Anfertigung eines bürgerlichen<br />

Arrests.<br />

Randbemerkung: Lauter Duodezimalmeß 1<br />

Bey der Berechnung ist die Hinwegscha ung des Schuttes, so wie die Beyfuhr der Materialien<br />

weggelaßen worden, weil dieses in der Frohn geschehen solle, alle übrigen Handarbeiten<br />

sind von den Akkordanten zu besorgen, das erforderliche eichen Holz wird von der<br />

Gemeinde dazu gegeben, aber das Schneiden des Holzes hat der Zimmermann zu übernehmen,<br />

und ebenso auch das Beschlagen; die Abfälle etc. gehören dem Zimmermann.<br />

Die Art und Weise, wie die Vergrößerung des Schulzimmers vorgenommen werden solle,<br />

ebenso die Veränderung im oberen Stock wegen Errichtung eines bürgerlichen Arrestes<br />

geht aus den angeschloßenen Zeichnungen deutlich hervor, allwo das roth schrafi rte die<br />

neue Wandungen und Abänderungen anzeigt.<br />

Zimmerarbeit<br />

Ausbruch und Absprießarbeiten<br />

Die Wandungen welche im Grundriß von der alten Einrichtung<br />

mit A, B, C und D bezeichnet sind hat der Zimmermann<br />

behutsam auszubrechen, vorher aber ganz gut und<br />

zwar mit Hebgeschirr abzusprießen.<br />

Der Ofen und das schlechte Cloak 2 auszubrechen, und


ebenso die alte Stiege, wann nemlich die neue soweit<br />

fertig ist daß sie gleich aufgeschlagen werden kann. An<br />

aller dieser Arbeit wird samt Hebgeschirr verdint nemlich<br />

in beeden Stockwerken 8 Gulden<br />

[...]<br />

zu den 2 Cloakwändle wird leichtes 4 und 5“ [= 10 und 14 cm]<br />

starkes Holz verarbeitet 78 pro Schu samt schneiden und<br />

verarbeiten 3 Kreuzer thut 3 Gulden 54 Kreuzer<br />

Zu dem Hauptdurchzug der durch das Schulzimmer gezogen<br />

wird, und der mittelst Hebegeschirr ganz solid einzuziehen<br />

ist, werden verarbeitet 31 Schu tannen 10 und 12“<br />

[30 und 32 cm] starkes Holz pro Schu für alles 15 Kreuzer 7 Gulden 45 Kreuzer<br />

Tragpfosten lang 7 Fuß rund geschaff t wird verdint 1 Gulden 12 Kreuzer<br />

Die Treppe welche von dem ersten auf den 2ten Stock<br />

niederführt bekommt ohne den Stiegen Antritt, aber samt<br />

Austritt 15 Tritte. Diese Treppe wird von eichen Dielen gemacht<br />

jeder Lau 3 ½` [= 1,00 m] weit; die Tritte, werden 2“<br />

[= 5,5 cm] dick und 13“ [= 37,2 cm] breit, die Zargen 3 3“<br />

[= 8,5 cm] dick und 12“ [= 34,3 cm] breit, der erste Lauf bekommt<br />

11 Tritte, weil der Ruhbank 4 ganz durchlaufen muß,<br />

und man unter demselben aufrecht und bequem in den<br />

Abtritt muß gehen können.<br />

36 Gulden<br />

[...]<br />

Fürs Auswechseln der Camine wird ausgesetzt Arbeitslohn 1 Gulden 12 Kreuzer<br />

Summa Zimmerarbeit 39 Gulden 36 Kreuzer<br />

Maurer Arbeit samt Mat.<br />

[...]<br />

Die Türwandungen sind entweder von Tuf 5 - oder Backenstein<br />

zu machen, und betragen ein Meß 2 ¼ Quadratruten<br />

[= 18,4 m²] pro Ruthen gleich dem obigen Riegelgemäuer<br />

herzustellen a 5 Gulden 30 Kreuzer 13 Gulden 15 Kreuzer<br />

Das Camin von der neu zu errichtenden Schulstube ist neu<br />

von rothen Klinker im Fürst des Daches hinauszuführen auf<br />

1` 9“ [= 54 cm] Licht weite und innen aus Putzen zu bestehen,<br />

und 2 ½´ [= 71,5 cm] hoch über dem Fürst draußen mit einer<br />

steinernen Platte zu bedecken es mißt dieses Camin ohne das<br />

Vorkamin 28´ [= 8,00 m] laufend, pro Schu für alles ohne<br />

Fuhrlohn 48 36 weil 1/3 tel vollkommen von dem alten ge- 22 Gulden 24 Kreuzer<br />

braucht werden kann thut 16 Gulden 4 Kreuzer<br />

[...]<br />

zu projektierten Canonen Öfen 2 Ofensteine zu fertigen<br />

a 1 Gulden thut 2 Gulden<br />

217


218<br />

den unteren und oberen Orhen 6 , so wie das Schulzimmer des<br />

Arrest und überhaupt alles in beeden Stockwerken zu weißen<br />

samt Mat. und samt bestechen der neuen Fach mit 2 ½ 18 Gulden<br />

Summa Maurer Arbeit 38 Gulden 54 Kreuzer<br />

Schreiner Arbeit samt Holz Leim und Nägel<br />

Den Fußboden in der Schulstube, um das, was diese vergrößert<br />

wird, mit verleimten Brettertafeln zu belegen mit 270 Quadratschu<br />

[= 22,1 m²] pro Schu von alt Holz Ripp ins Bley zu legen<br />

und den Boden überhaupt von unästigen Brettern herzustellen<br />

4 ½ Kreuzer 20 Gulden 15 Kreuzer<br />

60 laufende Schu neue Subretlin 7 zu fertigen, wobey die Kopfstücke<br />

jedes mal von 1 ¼ ´ [= 4,3 cm] starkem Holz sägen<br />

müssen, pro laufende Schu samt befestigen gut gearbeitet<br />

a 24 Kreuzer 24 Gulden<br />

das bürgerliche Arrest Zimmer mit neu gefügten Bretter zu belegen<br />

mit 86 Quadratschu [= 7 m²] a 3 Kreuzer 4 Gulden 18 Kreuzer<br />

[...]<br />

die Thüre von dem Raths Zimmer an das Arrest Zimmer zu<br />

richten und was fehlt ergänzen 30 Kreuzer<br />

[...]<br />

3 Cloakenthüren, hiervon ist eine alt, jede 6´4“ hoch 2´3“ weit<br />

[= 1,83 m x 0,66 m] zu machen glatt mit Einschiebleisten pro<br />

Stk in einander a 1 Gulden 12 Kreuzer 3 Gulden 36 Kreuzer<br />

[...]<br />

Die Siz und Deckel zu den 3 Cloaken ganz gut zu fertigen und<br />

die vordere Seite gut zu vertäfern, 2 davon sind mit Wasserrinnen<br />

zu versehen und überhaupt nach allen Theilen gut herzustellen,<br />

wird zusammen für alles gerechnet 5 Gulden<br />

Summa 70 Gulden 31 Kreuzer<br />

Schlosser Arbeit<br />

[...]<br />

die Thüre an das Rathszimmer mt einem französischem<br />

Schloss Schippenband und Stützenkloben, Knopf und aller<br />

Zubehör anzuschlagen 5 Gulden 30 Kreuzer<br />

[...]<br />

Die Thüre an das Arrestzimmer mit dem alten Beschläg wieder<br />

anzuschlagen, und was fehlt zu ergänzen, auch besonders<br />

das Schloss ganz gut herzurichten 1 Gulden 20 Kreuzer<br />

An die 2 Canonenöfen Vorschläge mit Thürle zu machen im<br />

Gewicht 20 Pfund a 20 Kreuzer 6 Gulden 40 Kreuzer<br />

[...]<br />

8 Flügel Fenster anzuschlagen mit aller Zubehör 30 Kreuzer 4 Gulden<br />

Summa 26 Gulden 40 Kreuzer


Glaßer Arbeit<br />

2 neue Fenster jedes hoch 4´ 5“ weit 3´ 3“ [1,28 m x 0,94 m]<br />

Die Rahmen von sauberm gestaltenen Holz mit Sprossen in Kitt<br />

gefertigt, mit 4 Flügel in 4 Stüchk getheilt, so dass 3 Scheiben<br />

auf den unteren und 1 Scheibe auf den oberen Flügel kommen,<br />

mit weißem Glaß verglast und 3 mal weis Ölfarb angestrichen<br />

pro Schu 22 Kreuzer thut auf 30 [Quadratschu = 0,08 m²]<br />

Zu jedes Cloak ein Fensterle allweeg 1 Schu groß zu machen<br />

mit Schieberle und ein Fenster in das Arrest Zimmer allweeg 2´<br />

gros mit einem Schieberle, zusammen also 7 Fenster von ordinärem<br />

Glaß roth angestrichen 2 mal, pro Schu 15 Kreuzer<br />

11 Gulden<br />

thut<br />

[...]<br />

1 Fenster in den oberen Orhen hoch 3´ 8“ weit 3“ [1,09 m x<br />

0,86 m] von weisem Glaß zu machen wie die unteren, aber nur<br />

1 Gulden 45 Kreuzer<br />

mit Schieber, pro Schu samt Anstrich a 18 Kreuzer thut 1 Gulden 48 Kreuzer<br />

Summa 14 Gulden 35 Kreuzer<br />

Schmidt Arbeit samt Anschrauben<br />

Die Schrauben und Hängband zu dem Sprengwerk und was<br />

sonsten Eisen zu Klammern erforderlich ist wird wiegen 86<br />

Pfund samt Eisen und Arbeitslohn 14 Kreuzer20 Gulden 4 Kreuzer<br />

Die 2 kleinen Öfen kostet einer a 14 Gulden 28 Gulden<br />

Die 2 großen jeder 30 Gulden 60 Gulden<br />

Zusammen 88 Gulden<br />

Der Ankauf der 4 Öfen samt Setzen derselben wird kosten<br />

Zusammen 88 Gulden<br />

Hingegen kam der Erlös der 2 alten Öfen a 14 Center zu 3 Gul-<br />

Den 24 Kreuzer betragen 48 Gulden 26 Kreuzer mithin kommt<br />

in Auswurf 39 Gulden 24 Kreuzer<br />

Summa Summarum der ganzen Kosten von Herstellung der Schulstube und des Rathhaus-Gelaßes<br />

322 Gulden 26 Kreuzer<br />

Berechnet im Juny 1833 Werkmeister Grotz<br />

Dem Kostenanschlag beigefügt sind die<br />

Grundrisspläne der geplanten Baumaßnahme:<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>. Grund-Riße von<br />

dem dortigen Rathhaus und dem Lehr-<br />

Zimmer des Schulmeisters.<br />

Änderungen in den Plänen werden nicht<br />

vorgenommen. Die dargestellten Streichungen<br />

im Kostenanschlag sind mit Sicherheit<br />

das Ergebnis der Auseinandersetzung<br />

von Gemeinderat und Bürgerausschuss<br />

mit dem Rechenwerk des Baumeis-<br />

ters Grotz. In der Genehmigungsvorlage<br />

über das Oberamt Neckarsulm an die<br />

Kreisverwaltung Heilbronn sind diese gestrichenen<br />

und geänderten Ansätze nicht<br />

mehr enthalten.<br />

Baumeister Grotz aus Neuenstadt fungierte<br />

nach heutiger Lesart als Generalübernehmer<br />

8 . Er hat die Pläne und den<br />

Kostenanschlag ausgearbeitet, der mit wenigen<br />

Nachbesserungen und Reduzierungen<br />

durch die Kollegien der Gemeinde zu<br />

219


220<br />

Plan zum Umbau des Rathauses 1833, Grundriss 1. Stock, der Plan ist bezeichnet mit:<br />

Das roth schrafi rte wird neu, Lehr-Zimmer 810 Quadrat Schu haltend,<br />

und was schwarz ist fast daher auf 1 Kind samt Gänge und alles<br />

bleibt stehen 7 quadrate Schu gerechnet, höchstens ca.<br />

125 Kinder<br />

1ter Stock<br />

Cloake Orhen Hausthüre<br />

Cloake Treppe in oberen Stock<br />

Gez: Grotz<br />

1833


Plan zum Umbau des Rathauses 1833, Grundriss 2. Stock, der Plan ist bezeichnet mit:<br />

Arbeitszimmer Rathszimmer 2ter Stock<br />

gesprengte Wand<br />

Einheiz-Bügel<br />

bürgerlicher Arrest Orhen<br />

Camin<br />

Cloak für diesen Stock<br />

221


222<br />

einem Endbetrag von 322 Gulden 26 Kreuzern<br />

akzeptiert wurde. Die Prüfung durch<br />

die Bauinspektion in Heilbronn ergab eine<br />

weitere Reduzierung der Kosten auf 316<br />

Gulden und 45 Kreuzer. Es müssen dann<br />

noch weitere und harte Verhandlungen<br />

zwischen Gemeinderat und Bürgerausschuss<br />

einerseits und dem Baumeister geführt<br />

worden sein, die ihn dann letztendlich<br />

veranlassten, auf eine Vertragssumme<br />

von 290 Gulden für die schlüsselfertige<br />

Übergabe des Bauwerks einzugehen.<br />

Nach Fertigstellung der Umbauarbeiten<br />

gehen im Januar 1834 nach und nach<br />

weitere Rechnungen von Handwerkern<br />

ein. Off enbar handelt es sich hierbei um<br />

zusätzlich erforderlich gewordene Arbeiten,<br />

die nicht Vertragsbestandteil der ursprünglich<br />

vereinbarten Gesamtleistung<br />

waren und somit separat abzurechnen<br />

waren.<br />

Das Rathaus 1874<br />

Knapp 40 Jahre später steht der Zustand<br />

des Rathauses wieder zur Debatte. Bereits<br />

im Juni 1872 hatten der Gemeinderat und<br />

der Bürgerausschuss den Etat für das<br />

kommende Geschäftsjahr in einer gemeinsamen<br />

Sitzung für notwendige „außergewöhnliche<br />

Ausgaben zum Vergypsen und<br />

Anstrich des Rathhauses“ eingestellt und<br />

beschlossen.<br />

Am 28. Juli 1873 wird über einen vom<br />

Oberamtswerkmeister Lell vorgelegten<br />

Kostenanschlag über die „bauliche Reparatur“<br />

des Rathauses beraten. Der Reparaturaufwand<br />

summierte sich auf 619 Gulden<br />

und 9 Kreuzer. Der Gemeinderat hat gegen<br />

das Rechenwerk des Baumeisters grundsätzlich<br />

nichts einzuwenden. Allerdings<br />

übersteigen die veranschlagten Kosten den<br />

für diese Maßnahme vorgesehenen Betrag<br />

um mehr als das Doppelte, so dass man<br />

auch wegen der bereits fortgeschrittenen<br />

Jahreszeit die nicht so zwingend erforderlich<br />

erachtete Reparatur in das Frühjahr<br />

1874 verschiebt. Außerdem erwägt der<br />

Gemeinderat, die Aufwände auf zwei Etatjahre<br />

zu verteilen, um sie besser schultern<br />

zu können. Es wird jedoch beschlossen, die<br />

notwendigen Arbeiten schon im kommenden<br />

Winter in einem Wettbewerb auszuschreiben<br />

und zu vergeben.<br />

Im November 1873 entschließt sich der<br />

Gemeinderat, die anstehenden Reparaturkosten<br />

dadurch zu fi nanzieren, dass man<br />

den Holzeinschlag im Gemeindewald für<br />

den kommenden Winter verdoppelt, weil<br />

man für die eingeschlagenen Eichen von<br />

einem Schweinfurter Holzhändler ein sehr<br />

günstiges Angebot erhielt. Die Kahlschlagfl<br />

ächen würde man mit der noch schnellwüchsigeren<br />

und damit ertragreicheren<br />

Forche (Kiefer) bestocken.<br />

Im Winter wächst zunehmend die Erkenntnis,<br />

dass der Umfang der „Reparaturarbeiten“<br />

am Rathaus Gedanken zur<br />

Auslagerung der Dienstgeschäfte in ein<br />

Ausweichquartier erforderlich machen.<br />

Nicht ausgeschlossen werden kann, dass<br />

sich die Mehrzahl der Entscheidungsträger<br />

jetzt schon einem notwendigen Neubau<br />

des Gebäudes nicht verschließt. In der Gemeinderatssitzung<br />

am 5. Februar 1874<br />

kommt man nach entsprechender Beratung<br />

zu der nachstehenden Entscheidung:<br />

Der bauliche Zustand des Rathhauses<br />

macht eine durchgreifende Reparatur<br />

desselben unumgänglich nöthig, was<br />

beide bürgerliche Collegien anerkennen<br />

und veranlasst hat, den Oberamtswerkmeister<br />

Lell in Neuenstadt mit der Entwerfung<br />

eines Kostenvoranschlags hierfür<br />

samt einer Disposition über die künftige<br />

neue Einrichtung des oberen Stockwerkes<br />

zu beauftragen. Diese Arbeiten sind zwar<br />

noch nicht vollendet, gleichwohl aber ist<br />

jetzt schon Vorsorge für die Bescha ung<br />

eines Interims-Lokals zu den amtlichen<br />

Verhandlungen und zur Unterbringung<br />

der Gemeinde Registratur zu tre en. Ein<br />

geeignetes Lokal besitzt der in der Nähe


des Rathhauses wohnende Bürger Gottlob<br />

Herrmann in Haus Nro 81, welcher<br />

auch geneigt ist, sein ganzes 2tes Stockwerk<br />

in demselben Hause sammt einem<br />

entsprechenden Raume zur Aufbewahrung<br />

des Holz Vorrathes der Gemeinde für<br />

die Dauer des Rathhausbaues zur Verfügung<br />

zu stellen. Heute nun wird mit ihm<br />

dieserhalb verhandelt und hierauf ein<br />

Vertrag<br />

dafür abgeschlossen, daß Herrmann der<br />

Gemeinde seinem Wohnhaus Nro 81 an<br />

der Hauptstraße auf die ganze Dauer des<br />

Rathhausbauwesens folgende Gelasse zur<br />

Verfügung stellt, im 2ten Stockwerke 2<br />

Zimmer nebst der Küche (wo man die<br />

Feuer Löschgeräthe aufbewahrt) auf der<br />

Bühne 1 Kammer, im ersten Stock das<br />

Waschhaus und den Holzstall wofür er einen<br />

Aversal9 Miethzins von 90 fl Neunzig<br />

Gulden aus der Gemeindekasse erhält<br />

welche keine Änderung erleidet die Benutzung<br />

mag länger oder kürzer dauern<br />

und welche am Tage des Auszugs baar<br />

gezahlt wird.<br />

[...]<br />

Diesem Vertrag wird von beiden bürgerlichen<br />

Collegien sofort die Genehmigung<br />

ertheilt.<br />

In der für das geplante Vorhaben maßgeblichen<br />

Gemeinderatssitzung vom 16.<br />

März 1874 liegen nun die Planungsunterlagen<br />

für die Baumaßnahme am Rathaus<br />

vor. Das Ratsprotokoll vermerkt hierzu:<br />

Verhandelt am 16. März 1874<br />

Anwesend.<br />

GemRth 6 Mitgl.<br />

Bürgeraussch. ebensoviel<br />

Rathsschreiber Schweizer aus Brettach<br />

Der vom Oberamtswerkmeister Lell in Neuenstadt<br />

gefertigte Plan über den Umbau<br />

des Rathhauses dahier wird den bürgerlichen<br />

Collegien heute behufs der Prüfung<br />

und des weiteren Beschlussfassung über<br />

die Ausführung des Bauwesens vorgelegt.<br />

Im Allgemeinen fi ndet der Entwurf die<br />

Billigung und den Beifall beider Collegien,<br />

es wird aber geltend gemacht, daß die<br />

seitherige schmale Facade des Gebäudes<br />

in Etwas erbreitert und dadurch demselben<br />

ein schöneres Ansehen gegeben werden<br />

sollte, was dadurch erreicht werden<br />

könnte, daß die östliche Nebenseite des<br />

Rathhauses abweichend von der vorliegenden<br />

Zeichnung bis zur Eigenthumsgrenze<br />

der Gemeinde herausgerückt und<br />

sodann von dem Nachbar Daniel Herrmann<br />

der zum Traufrechte erforderliche<br />

Platz (ca.1 ½ Fuß10 breit und 40 Fuß<br />

lang11 ) käufl ich erworben würde.<br />

Der Nachbar Daniel Herrmann Gemeindepfl<br />

eger wäre auch geneigt zum Preise von<br />

6 Gulden pro Quadrat Ruthe12 von seiner<br />

anstoßenden Gartenparzelle No 53 mit<br />

8,8 Rth13 Gemüsegarten an die Gemeinde<br />

abzutreten und sich zugleich für sich und<br />

seine Besitznachfolger in dinglich wirkender<br />

Weise zu verpfl ichten, niemals in die<br />

fragliche Gartenparzelle zu bauen.<br />

Vorstehende O ert14 anerkannt Unterschrift:<br />

Daniel Herrmann Gempfl .<br />

Die bürgerlichen Collegien acceptieren<br />

dieses O ert und beschließen sofort<br />

1. Zunächst den Kostenvoranschlag der<br />

Revision des Herrn Kreisbaurathes<br />

Barth in Heilbronn zu unterstellen,<br />

2. Hierauf, falls ein erheblicher Anstand<br />

von dieser Revision nicht erhoben<br />

würde, das erforderliche Gartenareal in<br />

der oben dargestellten Weise von Daniel<br />

Herrmann käufl ich zu erwerben<br />

und sofort das Bauwesen nach Maaßgabe<br />

des vorliegenden Planes mit alleiniger<br />

Ausrichtung bezüglich der Breite<br />

des neuen Gebäudes wie oben bemerkt,<br />

ausführen und zu diesem Ende die erforderlichen<br />

Arbeiten zu Submissionsakkorde<br />

ausschreiben zu lassen,<br />

3. Bezüglich der Aufbringung der Kosten<br />

die K. Kreisregierung um Genehmigung<br />

223


224<br />

dafür anzugehen, daß der Gemeinde<br />

ein Grundstocks Angri 15 bis zum Betrage<br />

von 6000 Gulden gegen Wiederersatz<br />

in 15 Jahresraten pro 1. Juli<br />

1874/89 von je 400 Gulden welche in<br />

den Etat aufgenommen würde, gestattet<br />

wird, da anderweitige Mittel nicht<br />

vorhanden sind.<br />

[...]<br />

Eodem 16 wird auf erstattetem Vortrag<br />

beschlossen<br />

die diesjährige Bürgerholzabgabe gleich<br />

vorab auf 50 St Reisichwellen zu beschränken<br />

und dafür entsprechend den Aufbereitungskosten<br />

als Holzmacherlohns Ersatz<br />

von jedem Empfänger den Betrag von 1<br />

Gulden zur Gemeinde Casse einzuziehen.<br />

Die Absicht, sich von dem alten baulichen<br />

Zentrum der kommunalen Selbstverwaltung<br />

zu trennen, wird sich möglicherweise<br />

schon eine Weile in den Köpfen der Verantwortlichen<br />

festgesetzt gehabt haben.<br />

Der Wunsch nach einem repräsentativeren<br />

Rathaus könnte aber auch aus dem gestärkten<br />

Selbstbewusstsein eines gewonnenen<br />

Krieges gegen Frankreich resultieren.<br />

Jedenfalls erschien die Planung des<br />

beauftragten Baumeisters nicht geeignet,<br />

die Herzen der Herren Ortshonoratioren<br />

zu erwärmen. Die Straßenansicht erschien<br />

den Herrschaften off enbar zu dürftig, gemessen<br />

an dem Anspruch ihrer Standesehre<br />

und dem äußeren Erscheinungsbild<br />

der Gemeindepräsenz. Eine Alternative mit<br />

entsprechender Erweiterung des Raumkonzepts<br />

nach Osten war schnell beschlossen,<br />

der Eigentümer des mit in Anspruch<br />

zu nehmenden Nachbargrundstücks<br />

wohl nicht nur zufällig anwesend<br />

und konnte so bereits die einvernehmlich<br />

vorgeschlagene Entschädigung für die zu<br />

übernehmende Baulast spontan unterschriftlich<br />

anerkennen.<br />

Überraschenderweise ist in der zum Beratungstermin<br />

des Gemeinderats vorgeleg-<br />

ten Baumassenermittlung des Amtsbaumeisters<br />

Lell nicht mehr von einer „Reparatur“<br />

wie seither die Rede, sondern im<br />

März 1874 tituliert das Rechenwerk mit<br />

„Umbau“. Noch verwunderlicher ist, dass<br />

die Massenermittlung bereits im ersten<br />

Ansatz mit dem Abbruch des „Gemäuers<br />

im Souterrain“ beginnt, also davon ausgeht,<br />

dass das vorhandene Gebäude komplett<br />

abgebrochen wird. Somit erscheint<br />

ein bereits im Vorfeld beabsichtigter Rathausneubau<br />

unter dem Vorwand notwendiger<br />

Unterhaltungsmaßnahmen gegenüber<br />

vorgesetzten Behörden und vielleicht<br />

sogar der Bürgerschaft sehr wahrscheinlich.<br />

Bereits hier kann festgestellt werden,<br />

dass man auch vor mehr als hundert Jahren<br />

die Methoden der öff entlichen Baupraxis<br />

beherrschte, eine verniedlichende<br />

Instandsetzung in die ohnehin bereits ins<br />

Auge gefasste Neubaumaßnahme umzuwandeln.<br />

Ähnlich wie heute wird dann<br />

auch das Schlucken der Kröte seitens der<br />

Bürger damals gewesen sein, angesichts<br />

stetig steigender Baukosten ein angefangenes<br />

Vorhaben nicht mehr stoppen zu<br />

wollen, um nicht noch weitere Gelder in<br />

den Sand zu setzen. Trotz der erst im Rahmen<br />

der Gemeinderatssitzung festgelegten<br />

Erweiterung nach Osten wurden die<br />

von Amtsbaumeister Lell bereits im metrischen<br />

System ermittelten Maße nicht<br />

mehr erhöht, die vom Baurat Barth geprüfte<br />

Fertigung des Kostenanschlags befasst<br />

sich lediglich mit der Korrektur unwesentlicher<br />

Rechenfehler.<br />

Die Baupläne des Meisters sind zwar nicht<br />

datiert, zeigen jedoch in der vorliegenden<br />

Ausführung keineswegs Merkmale einer<br />

Instandsetzungs- oder Umbaumaßnahme:<br />

Bei gleichbleibender Länge wird das Gebäude<br />

von ursprünglich 28,5 Schuh, also<br />

von 8,15 Metern auf 9 Meter verbreitert.<br />

Die Neckar-Zeitung Heilbronner Tagblatt<br />

vom Freitag, den 24. April 1874 veröff entlicht<br />

die Ausschreibung der wesentlichen


Querschnitt und Giebelansicht zum geplanten Rathausumbau, 1874<br />

Seitenansicht<br />

zum geplanten<br />

Rathausumbau,<br />

1874<br />

225


226<br />

Bauarbeiten auf der Basis des Kostenanschlags<br />

von Amtsbaumeister Lell.<br />

Als für derzeitige Verhältnisse ungewöhnlich<br />

erscheint der vermutlich jetzt unter<br />

Annonce in der Neckar-Zeitung Heilbronner<br />

Tagblatt vom 24. April 1874 mit Bauakkord<br />

zum geplanten Rathausumbau<br />

Zeitdruck entstandene Abgabetermin der<br />

Angebote von nur einer guten Woche sowie<br />

das Verfahren, lediglich ein Angebot<br />

in Festlegung eines Ab- oder Zuschlags<br />

zur baumeisterlichen Kostenermittlung zu<br />

fertigen.<br />

Am 11. Mai 1874 befassen sich Gemeinderat<br />

und Bürgerausschuss erneut mit der<br />

Baumaßnahme „Rathausumbau“. Das Protokoll<br />

führt dabei u. a. aus:<br />

Der Vorstand beantragt, daß in Ausführung<br />

des Beschlusses vom 16. März 1874<br />

betre s der Bescha ung der zum Rathhausbauwesens<br />

erforderlichen Mittel zunächst<br />

die vorhandenen württembergischen<br />

4 ½-% igen Staatspapiere im Betrage<br />

von 1500 Gulden veräußert und zu<br />

diesem Behufe au porteur 17 gestellt, sodann<br />

aber folgende Actien Capitalien zur<br />

Finanzierung binnen Jahresfrist gekündigt<br />

werden sollen:<br />

Christian Johann Schramm 255 Gulden<br />

Johann Zieglers Wwe. 350 Gulden<br />

Johann Bordt 200 Gulden<br />

Gottlieb Schick Wwe. 65 Gulden<br />

Jacob Krebs Wwe. 100 Gulden<br />

Balthas Lumpp Wwe. 300 Gulden<br />

Gottlieb Ott Nachf. 325 Gulden<br />

Johann Walther 150 Gulden<br />

Christian Lumpp Wwe. 45 Gulden<br />

Ludwig Euerle 675 Gulden<br />

Christian Hesser 150 Gulden<br />

August Kaiser 150 Gulden<br />

Balthes Seebold 200 Gulden<br />

Johann Volpp 260 Gulden<br />

Rosine Bordt 330 Gulden<br />

Joh. Dietrich Baumwart 330 Gulden<br />

Joh. Rupert 250 Gulden<br />

August Salm 400 Gulden<br />

4535 Gulden<br />

Dieser Antrag wurde sofort zum Beschluss<br />

erhoben und das Königliche Oberamt um<br />

dessen Genehmigung ersucht; die Finanzierungsgrundlage<br />

der Baumaßnahme war<br />

gesichert.<br />

Off ensichtlich recht fl ott gehen die Bauarbeiten<br />

voran, sodass man sich schon Anfang<br />

August über die Ausrichtung eines<br />

Richtfestes unterhalten kann. Der zügige<br />

Baufortschritt und die gute Stimmung<br />

zwischen Bauherrn, Bauleitung und Bauarbeitern<br />

schlagen sich dann auch in der<br />

Bewilligung einer reich ausgestatteten<br />

Sonderzahlung des Gemeinderats aus.<br />

Verhandelt den 6ten August 1874:<br />

Die Accordanten der Maurer und Zimmerleute<br />

welche das neue Rathhaus bereits<br />

bis zum Aufschlagen verfertigt, haben<br />

heute bey Oberamtswerkmeister Lell von<br />

Neuenstadt welcher die Aufsicht über das<br />

Bauwesen führt, das Gesuch gestellt, er<br />

möchte doch den hiesigen Gemeinderath


veranlassen, daß ihnen wie es überall üblich<br />

sey beym Aufschlagen des neuen<br />

Rathhauses von Seiten der Gemeinde entweder<br />

ein Essen oder an Geld etwas bewilligt<br />

werde. Oberamtswerkmeister Lell<br />

hat sodann dem Gemeinderath Bericht<br />

erstattet, seine Zufriedenheit in jeder Beziehung<br />

über die betre enden Meister<br />

ausgesprochen und das Gesuch befürwortet.<br />

Da von Seiten der Gemeinde bis<br />

jetzt das gleiche bezeugt werden kann so<br />

wird in berathender Sitzung<br />

beschlossen<br />

das Gesuch von Abreichung eines Essens<br />

von Seiten der Gemeinde wegen Weitläufi<br />

gkeiten abzulehnen. Dagegen zum Aufschlagen<br />

des Rathhauses den beiden Accordanten<br />

den Maurern und Zimmerleute<br />

jedem 15 Gulden aus der Gemeindekasse<br />

zu bewilligen.<br />

Im November 1874 sind die Bauarbeiten<br />

soweit abgeschlossen, dass man sich bereits<br />

über die ergänzende Innenausstattung<br />

Gedanken machen kann. Das Protokoll<br />

vom 5. November befasst sich mit der<br />

Beschaff ung eines Rathaustisches:<br />

Auf das neu erbaute Rathhaus ist ein großer<br />

Tisch oder eine Tafel erforderlich, da<br />

die vorhandene Tafel in das Nebenzimmer<br />

verwendet werden soll. Nach einem Vorschlag<br />

des Oberamtswerkmeister Lell von<br />

Neuenstadt soll ein Tisch aus 2 Theilen<br />

nachher zusammen 4,30 m lang 1,15 m<br />

breit, und jedes Theil mit 4 harthölzernen<br />

Füßen von trockenem schönen eichenen<br />

Holz mit einer Schublade mit Schlösschen<br />

zum Aufschließen versehen, die Zargen<br />

von Brettern von sauberen trockenen Tannenholz<br />

sauber und dauerhaft angefertigt<br />

und die Blätter mit starken mohngarnartig<br />

lackirtem Wachstuch das vor der Verwendung<br />

behufs seiner Brauchbarkeit<br />

vorgereinigt werden muß zu überziehen<br />

und solcher ringsum mit einem kirsch-<br />

oder birnbaumenen Stäbchen, das an der<br />

oberen äußeren Kante abgerundet ist, und<br />

oberhalbs über das Wachstuch nicht vorstehen<br />

darf zu befestigen, der Vorstand<br />

gibt nun Bericht ob die vorstehende Arbeit<br />

dem hiesigen Schreinermeister Dietz um<br />

die Accordsumme überlassen werden soll.<br />

Nach beratender Sitzung<br />

beschlossen<br />

die fragliche Arbeit dem Schreinermeister<br />

Dietz so wie der Überschlag lautet, jedoch<br />

um die Summe von 20 Gulden zu überlassen,<br />

falls sich aber Dietz mit diesem Angebot<br />

nicht begnügt, die fragliche Arbeit in<br />

den ö entlichen Blättern auszuschreiben.<br />

Mit diesem Eintrag enden die Gemeinderatsprotokolle<br />

über den Neubau des Rathauses.<br />

Off enbar konnte der vorgesehene<br />

Finanzierungsrahmen trotz der erkennbaren<br />

Defi zite in der Kostenzusammenstellung<br />

eingehalten werden. Möglich sind jedoch<br />

auch günstige Angebote der ausführenden<br />

Handwerksmeister auf die Einzelposten<br />

im Kostenvoranschlag. Da auch<br />

Planungs- und Bauleitungskosten nicht<br />

angesprochen wurden, kann davon ausgegangen<br />

werden, dass der Aufwand des<br />

Oberamtsbaumeisters Lell durch die an die<br />

Stadt Neuenstadt zu entrichtende Amtspauschale<br />

abgedeckt war.<br />

Ansicht vom Rathaus (zweites Gebäude von<br />

links) in den 1930er Jahren<br />

227


228<br />

Das Rathaus 1968<br />

Mit Sicherheit sind auch jeweils nach den<br />

beiden Weltkriegen Instandhaltungs- und<br />

Umbaumaßnahmen größeren Umfangs<br />

durchgeführt worden. Aktenkundig ist dabei<br />

der Rathausumbau, beschlossen am<br />

29. April 1968 von allen acht Gemeinderäten<br />

mit Bürgermeister Nef.<br />

Man wurde sich in der Haushaltsberatung<br />

darüber einig, verschiedene Maßnahmen<br />

zur neuen Gestaltung der Räume durchzuführen.<br />

Architekt Rüdele sollte nach<br />

Entschluss des Gemeinderats beauftragt<br />

werden, zunächst eine Planskizze anzufertigen,<br />

um ihn dann auch anschließend mit<br />

dem Ausschreiben der Bauarbeiten, der<br />

Einholung von Angeboten sowie der Bauleitung<br />

zu beauftragen. Der Gemeinderat<br />

behält sich vor, den Bieterkreis festzulegen<br />

und über die Vergabe der Bauarbeiten<br />

zu entscheiden.<br />

Bereits am 4. Juni liegen die Angebote<br />

dem Gemeinderat zur Entscheidung vor.<br />

Grundsätzlich entscheidet sich das Gremium<br />

für den preisgünstigsten Bieter:<br />

Kunststeinarbeiten Füge, Öhringen 4.525,62 DM<br />

Gipserarbeiten Götz, Neuenstadt 2.897,15 DM<br />

obwohl ein örtlicher Handwerker ebenfalls ein Angebot abgab<br />

Malerarbeiten Rascher, Neuenstadt 3.742,86 DM<br />

Bodenbelag Schneck, Neuenstadt 1.744,32 DM<br />

Schlosserarbeiten Birk, <strong>Cleversulzbach</strong> 1.154,30 DM<br />

Glaserarbeiten Grundbrecher, <strong>Cleversulzbach</strong> 4.997,30 DM,<br />

obwohl ein Brettacher Handwerker um ca. 80 DM günstiger anbot<br />

Elektroarbeiten Engelhardt, Brettach 1.494,90 DM,<br />

obwohl ein Neuenstädter Handwerker um ca. 100 DM günstiger anbot.<br />

Die Schreinerarbeiten wurden von drei Handwerkern nahezu in<br />

gleicher Gesamthöhe angeboten, sodass sich der Gemeinderat<br />

entschloss, die Arbeiten in drei Lose aufzuteilen und alle Bieter<br />

mit Teilleistungsverträgen zu beauftragen, Architekt Rüdele war<br />

in dieser Angelegenheit gebeten, die Einzelleistungen aufzuteilen<br />

an die Brettacher Bieter Mack, Ehmann, und Gebhard mit<br />

insgesamt 17.864,50 DM<br />

Bei der Heizung entschied man sich bei den weiteren<br />

Alternativangeboten für die verschiedenen Energieträger Strom,<br />

Kachelofen-Festbrennstoff für den Einbau einer ölbefeuerten<br />

Warmwasserzentralheizung, die als teuerste Investition angeboten<br />

wurde von der Firma Mezger, Neuenstadt 6.133,22 DM<br />

Damit stellt sich die Gesamtmaßnahme auf insgesamt 44.554,17 DM<br />

Die Entscheidung für die Beheizung mit<br />

Flüssigbrennstoff machte dann doch noch<br />

die Erstellung der Genehmigungsvorlage<br />

beim Landratsamt Heilbronn erforderlich.<br />

Die Planung datiert vom 8. August 1968,<br />

wurde vom Gemeinderat am 2. September<br />

anerkannt und anschließend vom Landratsamt<br />

auch so genehmigt.<br />

Das Rathaus 1988 und seit 2003<br />

Als letzte Baumaßnahme größeren Umfangs<br />

ist der Umbau durch die Kreissparkasse<br />

Heilbronn zur Nutzung des Erdgeschosses<br />

als Zweigstelle zu nennen (November<br />

1988).<br />

Die Zweigstelle wurde in der so geplanten<br />

Ausführung über einen längeren Zeitraum


genutzt. Seit der Einstellung des Zweigstellenbetriebs<br />

2003 sind die Räume des<br />

Erdgeschosses ungenutzt, das Oberge-<br />

Das Rathausgebäude heute<br />

1 Das Duodezimalsystem (auch Zwölfersystem) verwendet<br />

die Basis 12; das bedeutet: anders als beim üblichen Dezimalsystem<br />

(mit der Basis 10) gibt es 12 Ziff ernwerte.<br />

2 Abort<br />

3 Treppenwangen<br />

4 Unterzug<br />

5 Tuff stein, Naturwerkstein aus Vulkanasche mit unterschiedlichen<br />

Korngrößen und Hohlräumen.<br />

6 Flur<br />

7 Vermutlich sind damit Fußleisten gemeint.<br />

8 Das ist in der Regel eine Managementfi rma, die sämtliche<br />

Ausführungsleistungen außer Haus gibt. Bauherr bleibt<br />

jedoch der Auftraggeber. Der Auftraggeber hat den Vorteil,<br />

dass er die gesamte Ausführung nur über einen Bauvertrag<br />

beauftragt hat. Somit entfallen bei ihm insbesondere<br />

Koordinationsaufgaben mit dem Vorteil, dass insbesondere<br />

Kosten und Termine fest vereinbart werden<br />

schoss dient derzeit noch als Gemeindearchiv<br />

und enthält auch ein Sprech- und<br />

Besprechungszimmer des Ortschaftsrats.<br />

können. Außerdem hat er im Falle der Gewährleistung nur<br />

einen Ansprechpartner.<br />

9 Duldung, dienend<br />

10 Württembergisches Längenmaß 28,6 cm<br />

11 Das entspricht einer Breite von etwa 43 cm und der gesamten<br />

Grundstück- bzw. Gebäudelänge von 11,40 m, somit<br />

einer Fläche von insgesamt 4,92 m² für die angesprochen<br />

Traufrechte.<br />

12 Württembergisches Flächenmaß 8,208 m²<br />

13 Die Erwerbsfl äche mit 8,8 Quadratruten misst hingegen<br />

72,23 m².<br />

14 Angebot<br />

15 Kapitalaufnahme<br />

16 An dieser Stelle, daraufhin<br />

17 Kurzfristig auf den Markt gebracht werden, den Wert der<br />

Papiere einzufordern.<br />

229


230<br />

Brechhaus, Flachs und Leineweberei<br />

Weberaufstand in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Am Vormittag des 8. Mai 1848, einem<br />

Montag, übergaben acht „Deputirte“ im<br />

Auftrag von angeblich 52 <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Bürgern dem im Rathaus tagenden<br />

Gemeinderat eine Resolution mit geradezu<br />

revolutionärem Inhalt: Unseren<br />

Herrn Orts Vorsteher (Schultheiß) und unseren<br />

säm(m)tlich(en) lebenslänglichen<br />

gewählten Gemeinderäthe fordern wir<br />

hiemit auf, als mit der Zeit nicht mehr<br />

passend, sogleich ihre Stellen nieder zu<br />

legen u(nd) sich einer neuen Wahl zu unterwerfen.<br />

1 Die Deputation erwartete innerhalb<br />

von 24 Stunden eine schriftliche<br />

Erklärung.<br />

Die Forderung erregte bei dem Gemeinderath<br />

großen Sturm, obwohl das Ansinnen<br />

für <strong>Cleversulzbach</strong> nur forderte, was im<br />

Königreich Württemberg und in fast allen<br />

anderen deutschen Staaten seit den so genannten<br />

Märzunruhen längst Wirklichkeit<br />

war: liberale und demokratische Reformen,<br />

die einer Revolution gleichkamen.<br />

Um Zeit zu gewinnen, vertagte sich der<br />

Gemeinderat auf den Nachmittag und<br />

lehnte nach weiterer Beratung die Forderung<br />

ab. Die angeblich 52 Bürger seien<br />

nicht bekannt gemacht worden und sie<br />

würden eh nur ein Drittel der <strong>Cleversulzbach</strong>e<br />

Bürger darstellen. Tatsächlich empfanden<br />

jedoch viele Bürger die Tatsache,<br />

dass der Schultheiß auf Lebenszeit gewählt<br />

wurde und auch die Gemeinderäte<br />

bei Wiederwahl nach sechs Jahren ebenfalls<br />

auf Lebenszeit bestellt waren, als „mit<br />

der Zeit nicht mehr passend“. Was die Gemeinderäte<br />

betraf, so wurde im Juli 1849,<br />

obwohl die Revolution gescheitert war,<br />

immerhin die Lebenslänglichkeit durch<br />

eine neue Gemeindeordnung aufgehoben.<br />

In diesem Beitrag über Brechhaus, Flachs,<br />

und Leinenherstellung ist die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

„Revolutionsgeschichte“ 2 deswegen<br />

von Bedeutung, weil vier der acht oben<br />

erwähnten Abgesandten Weber waren: Jakob<br />

Korb, Christoph Plenefi sch, Carl Winkler<br />

und Christoph Bord. Sie gehörten zu<br />

den ärmeren Bürgern. Die aufkommenden<br />

mechanisierten Spinnereien und Webereien<br />

machten ihnen das Leben schwer –<br />

eine Entwicklung, die 1844 zum großen<br />

Weberaufstand in Schlesien mit blutigem<br />

Ausgang geführt hatte, in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

jedoch ohne weitere spektakuläre Ereignisse<br />

zum allmählichen Absterben des Weberberufs<br />

führte. Im württembergischen<br />

Oberland wurden um diese Zeit die ersten<br />

mechanischen Spinnereien und Webereien<br />

gegründet. In einer längeren Übergangszeit<br />

konnten die hiesigen Bauern ihren<br />

Flachs dort zu Garn verspinnen lassen, das<br />

dann die <strong>Cleversulzbach</strong>er Weber zu Leinwand<br />

verarbeiteten. Am Ende des 19. Jahrhunderts<br />

war das <strong>Cleversulzbach</strong>er Brechhaus,<br />

wo in mühevoller Handarbeit aus<br />

Flachs Leinenfasern gewonnen wurden,<br />

überfl üssig geworden, wurde zunächst<br />

stillgelegt, dann abgebrochen.<br />

Aus dem 17. Jahrhundert sind mehrere<br />

Leineweberordnungen für das württembergische<br />

Amt Neuenstadt überliefert, die<br />

das Wirtschaften und das Verhältnis von<br />

Meister, Gesellen und Lehrjungen regelten.<br />

Aus dieser Zeit stammt auch der erste Beleg<br />

eines namentlich bekannten Webers in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>. 1636 starb nämlich die<br />

Witwe des Webers Jörg Lumpp im Alter<br />

von 42 Jahren. Weitere Weber sind aus<br />

den Kirchenbüchern bekannt: 1742 wird<br />

ein Kind des Webers Hans Michel Stahl<br />

getauft, ebenso 1745 ein Kind des Webers<br />

Johann Philipp Au und 1757 ein Kind des<br />

Webers Jacob Au. Vermutlich gab es weit<br />

mehr Leineweber, die aber wegen des Ne-


enerwerbs nicht als solche gekennzeichnet<br />

sind.<br />

„Vom Kleinhandwerk sind besonders<br />

die Leineweber vertreten“<br />

So weist die Oberamtsbeschreibung von<br />

1881 auf eine <strong>Cleversulzbach</strong>er Besonderheit<br />

hin, die auch durch eine „Bürgerliste<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>“ 3 bestätigt wird. In dem<br />

Band sind alle männlichen Einwohner mit<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Bürgerrecht von ca. 1820<br />

bis ca. 1890 aufgeführt. Oft werden sie als<br />

„Weber und Taglöhner“ oder „Weber und<br />

Bauer“ bezeichnet. Nur etwas mehr als die<br />

Hälfte von ihnen werden schlichtweg<br />

„Weber“ genannt und konnten (oder<br />

mussten? ) allein von ihrem Weberhandwerk<br />

leben. Folgende Namen sind verzeichnet<br />

und werden mit ihrer Bürgerlistennummer<br />

wiedergegeben:<br />

3. Franz Seebold (1796 –1859), Weber und Bauer<br />

12. Georg Friedrich Lumpp (1796 –1869), Weber und Taglöhner<br />

24. Johann Jakob Gottlieb Korb (1812 – 1872), Weber<br />

(Deputierter am 8. Mai 1848 vor dem Gemeinderat)<br />

31. Johann Martin Erhardt (1804 –1862), Weber und Taglöhner<br />

40. Johann Christoph Plenefi sch (1799 –1868), Weber und Taglöhner<br />

(Deputierter am 8. Mai 1848 vor dem Gemeinderat)<br />

1854 wegen ehrenkr. Bezichts (?) zu 6 Wochen<br />

Bezirksgef. verurtheilt<br />

41. Johann Friedrich Stahl (1806 –1866), Weber<br />

48. Christoph Bordt (1802 –1867) Taglöhner<br />

(wird in der „Bürgerliste“ nicht als „Weber“ bezeichnet,<br />

wie vermutlich manche andere Weber auch; Deputierter am<br />

8. Mai 1848 vor dem Gemeinderat)<br />

53. Johann Michael Stahl (1796 –?), Weber<br />

54. Johann Baltes Bordt (1807 –1878), Weber und Totengräber<br />

55. Daniel Siegle (1834 –1866), Weber und Taglöhner<br />

61. Johann Martin Schramm (1809 –?), Weber<br />

90. David Stahl (1815 –1880), Weber<br />

94. Heinrich Lumpp (1818 –?), Weber und Taglöhner<br />

100. Karl Winkler (1818 –?), Weber und Taglöhner<br />

(Deputierter am 8. Mai 1848 vor dem Gemeinderat)<br />

1856 vergant (zahlungsunfähig), 9 Mon. Kraisgefängn.<br />

Ist im Irrenhaus in Göppingen<br />

105. Karl Friedrich Bordt (1809 –1867), Weber<br />

wohnt in Brettach<br />

hat sich im Arrest in Brettach 1867 erhängt.<br />

1842 wegen Diebstahl 2jährige Zuchthausstrafe<br />

112. Gottlieb Merz (1817 –1883), Weber<br />

145. Leonhardt Stahl (1829 –?), Weber<br />

Meister seit 15. Juli 1859<br />

151. Johann Plenefi sch jr. (1832 –1883), Weber<br />

(Sohn von Nr. 40)<br />

1860 Amts- und Polizeidiener<br />

164. Johann Georg Single (1804 –?), Weber<br />

231


232<br />

171. Christian Ehrhardt (1835 –?), Weber<br />

(Sohn von Nr. 31)<br />

192. Johann Christian Stahl (1835 –?), Weber<br />

(Sohn von Nr. 41)<br />

210. Johann Erhardt (1838 –?), Weber<br />

(Sohn von Nr. 31)<br />

235. Ludwig Ehrhardt (1849 –?), Weber<br />

(Sohn von Nr. 31)<br />

Zu den hier aufgezählten 23 <strong>Cleversulzbach</strong>ern,<br />

die sich im Ortsarchiv als Weber<br />

nachweisen lassen, kommen sicher noch<br />

weitere Weber, die in der „Bürgerliste“ als<br />

Taglöhner oder Bauern bezeichnet werden<br />

oder die dort gar nicht auftauchen,<br />

weil sie nicht das Bürgerrecht hatten.<br />

Wie die verzeichneten Nummern 171,<br />

192, 210 und 235 zeigen, gab es Leineweberfamilien,<br />

in denen sich das Handwerk<br />

vererbte. Eine Mitteilung des Neuenstadter<br />

Kaufmanns Hermann Payer von<br />

1985 ist in diesem Zusammenhang von<br />

besonderem Interesse, weil sie den letzten<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Weber Erhardt erwähnt:<br />

Bis nach dem ersten Kriegsende war hier<br />

[gemeint ist in Neuenstadt] noch der<br />

Weber Wurst aktiv unter primitivsten<br />

Verhältnissen und in <strong>Cleversulzbach</strong> der<br />

Weber Erhardt. Bei letzterem liess noch<br />

mein Vater bis in die Nazizeit hinein<br />

Blautuch für Männerschürzen aus ihm<br />

zuvor angelieferten Garnen weben. 4<br />

Flachsanbau und Leinweberei sind uralt,<br />

breiteten sich aber im 18. Jahrhundert<br />

von Norddeutschland her in unserer Gegend<br />

immer mehr aus und überschritten<br />

um die Mitte des 19. Jahrhunderts ihren<br />

Höhepunkt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

kam dann das Ende. Heute – ein<br />

weiteres Jahrhundert später – ist das<br />

Wissen um Flachs und seine Verarbeitung<br />

so sehr in Vergessenheit geraten, dass<br />

dieser für <strong>Cleversulzbach</strong> einst wichtige<br />

Wirtschaftszweig hier näher beschrieben<br />

werden soll.<br />

Leineweberordnung für das Amt Neuenstadt<br />

von 1621 (Hauptstaatsarchiv Stuttgart)<br />

Säen, Rupfen, Riff eln, Taurösten<br />

Von der Aussaat des Flachses bis zum Weben<br />

des Leintuchs verging ein ganzes Jahr,<br />

wobei der Ort des Geschehens zuerst in<br />

der freien Flur lag, ab dem Spätherbst ins<br />

so genannte Brechhaus und im neuen<br />

Jahr in die Spinn- und Weberstuben<br />

wechselte. 5<br />

Im April wurde der Flachs (Linum usitalissimum)<br />

ausgesät. Da er reichlich Nährstoff<br />

e verbrauchte, eigneten sich nur gute<br />

Böden, auf denen erst nach sechs Jahren<br />

wieder Flachs angebaut werden konnte.<br />

Die Pfl anzen wurden etwa ein Meter hoch<br />

und blühten leuchtend blau. Ende Juli<br />

oder Anfang August, wenn die Fruchtkapseln<br />

fast reif waren, wurde der Flachs mit<br />

den Wurzeln „gerupft“ – nicht gemäht, da<br />

dies die Fasern verletzt hätte – und in<br />

kleinen Garben zum Nachreifen und<br />

Trocknen aufgestellt. Zum „Riff eln“<br />

brachte man den Flachs in die Scheune,<br />

wo man jeweils eine Handvoll Flachs<br />

durch einen Eisenrechen (Riff el) zog und<br />

so die Fruchtkapseln von den Stängeln<br />

entfernte. Der Leinsamen konnte teils im<br />

nächsten Jahr ausgesät oder zu Leinöl geschlagen<br />

werden. Die ausgepressten Leinkuchen<br />

dienten als Viehfutter.<br />

Die Flachsstängel legte man nun auf Wiesen<br />

zur so genannten „Tauröste“ aus, da-


mit Bakterien und Pilze den Pfl anzenleim<br />

und die Pektine in den Flachsstängel auflösen<br />

konnten. Der feuchte Morgentau<br />

setzte den dazu nötigen Verrottungsprozess<br />

in Gang und bereitete das spätere<br />

„Brechen“ vor. Manchmal legte man zu<br />

diesem Zweck den Flachs auch in Seen<br />

oder Bäche – (den Sulzbach oder die zwei<br />

Seen in den „Seewiesen“? ) – , doch konnte<br />

die Fäulnis das Wasser verderben. In solchen<br />

Fällen waren oft Verbote die Folge.<br />

Harte Arbeit in den Flachsdörren:<br />

Bleuen, Schwingen, Hecheln<br />

Die nächsten Verarbeitungsschritte führen<br />

uns zum Brechhaus, das in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

am Rand der Eberstädter Straße stand –<br />

etwa auf der Höhe der heutigen Hausnummer<br />

26. Der längs der Straße auf Gemeindegrund<br />

stehende einstöckige Bau war 17<br />

Meter lang, 4,40 Meter breit und bis zum<br />

Dachgiebel 4,20 Meter hoch. Als er zu Beginn<br />

des 19. Jahrhunderts gebaut wurde,<br />

lag er gut 100 Schritte vom letzten Wohnhaus<br />

entfernt – ein Abstand, der dem<br />

Brandschutz diente. Feuersgefahr ging von<br />

den beiden das Brechhaus fl ankierenden<br />

Flachsdörren aus. Es waren Häuschen, jeweils<br />

4,90 Meter lang, 3,80 Meter breit und<br />

bis zum Giebel 4,30 Meter hoch. Sie<br />

schützten die gemauerten runden Dörrgruben<br />

mit ihren hölzernen Rösten gegen Regen.<br />

Zu den Dörrgruben führten von außerhalb<br />

unterirdische Heizkanäle –<br />

„Füchse“ genannt – heiße Luft, die von so<br />

genannten Schierlöchern (gemauerte Öfen)<br />

kam. Die Füchse mussten lang genug sein,<br />

um Funkenfl ug zu verhindern, der den<br />

Flachs in den Dörrgruben in Brand gesetzt<br />

hätte. Die <strong>Cleversulzbach</strong>er Anlage war mit<br />

ihren zwei getrennt vom Brechhaus stehenden<br />

Flachsdörren viel aufwändiger als<br />

die in Neuenstadt: dort gab es keine getrennten<br />

Flachsdörren und die einzige<br />

Dörrgrube war im Brechhaus selbst.<br />

Leider ist für die gemeindeeigene Einrich-<br />

tung des Brechhauses keine Benutzerordnung<br />

überliefert. Aus den jährlich vom Gemeinderat<br />

festgestellten „Gemeindeämtern“<br />

geht hervor, dass die Gemeinde zwei<br />

Dörrerinnen (Darrerinnen) beschäftigte.<br />

Lange Jahre waren dies Johanna Vögelin<br />

und „die Ehefrau des David Vögele“. Bei der<br />

Bestellung der letzteren durch den Gemeinderat<br />

am 17. September 1838 vermerkt<br />

das Protokoll, dass wenn sich solche<br />

durch … Untreuheit oder sonstige Vergehung<br />

verfehlen sollte, so hat solche ihre<br />

plötzliche Entlassung zu erwarten. Als Belohnung<br />

hat dieselbe rechtlich anzusprechen<br />

täglich 10 x 6 - ein Hungerlohn für<br />

harte Arbeit, die schon kurz nach Mitternacht<br />

anfi ng. Dann machten die Dörrerinnen<br />

in den Schierlöchern Feuer und legten<br />

die ersten Packungen Flachs in die beiden<br />

Dörrgruben. Rinde und Holz der Flachsstängel<br />

wurden in der Hitze so trocken und<br />

brüchig, dass man sie im Brechhaus weiterbehandeln<br />

konnte. Die einstockige Brechhütte<br />

(17,30 m x 4,40 m) hatte mit dem<br />

zwei Meter hohen Giebeldach eine Höhe<br />

von 4,20 Metern. Hier wurde nach dem<br />

Dörren der Flachs weiterverarbeitet.<br />

Über das Brechhaus und die Flachsdörren<br />

fi ndet man in den Gemeinderatsprotokollen<br />

fast nichts. Im Herbst 1836 beschloss<br />

der Gemeinderat für die bevorstehende<br />

Saison, da eine Flachsdörre defekt war, das<br />

alte Schierloch und Darrloch heraus zu<br />

räumen 7 , neu herzustellen und einige Mauern<br />

zu erneuern. Die nächste Erwähnung<br />

des Brechhauses in einem Gemeinderatsprotokoll<br />

erfolgte erst 1895 und zeigt, dass<br />

damals diese Gemeindeeinrichtung schon<br />

nicht mehr regelmäßig in Gebrauch war. Es<br />

ist zur Kenntniß gekommen, dass die unteren<br />

Räume der Darrhütte von Privatpersonen<br />

mit Wägen etc belegt werden; es wird<br />

daher beschlossen: mit Rücksicht darauf,<br />

dass die Gemeinde den Platz für sich nötig<br />

hat, den betre enden Personen aufzugeben,<br />

ihre Gegenstände innerhalb 3 Tagen<br />

233


234<br />

zu entfernen u. zugleich die fernere Benützung<br />

für die Folge bei Vermeidung von<br />

Strafe zu untersagen. 8<br />

Munteres Treiben im Brechhaus:<br />

Bleuen, Brechen, Schwingen, Hecheln<br />

Nachdem der Flachs gedörrt war, schaff te<br />

man ihn in das Brechhaus. Bei der Weiterverarbeitung<br />

des Flachses waren dort wohl<br />

bis zu einem Dutzend Bauersfrauen und<br />

Mägde, die froh waren, nicht im heißen<br />

Rauch bei den Dörrgruben arbeiten zu<br />

müssen. Gearbeitet wurde hier auch, aber<br />

dabei konnte man singen und den neuesten<br />

Dorfklatsch austauschen. Die Gerätschaften<br />

für die im Folgenden beschriebenen<br />

Arbeiten brachten die Flachsanbauer<br />

von ihren Höfen mit. Nicht selten waren<br />

es Aussteuerstücke der Bäuerinnen.<br />

Zuerst „bleute“ man mit einem fl achen<br />

Holzhammer den auf dem Boden ausgelegten<br />

gedörrten Flachs kräftig durch. Die<br />

Leinenfasern überstanden diese Prozedur,<br />

doch Rinde und Holz wurden zerkleinert.<br />

Dem diente auch die anschließende Behandlung<br />

auf der Flachsbreche. Über ein<br />

gerilltes Brett zog man büschelweise den<br />

Flachs und klopfte mit einem ebenfalls<br />

gerillten Holzhebel die Leinenfasern weiter<br />

frei. Danach legte man die Flachsbüschel<br />

in die Ausbuchtung des hölzernen<br />

Schwingstocks und schlug mit dem ebenfalls<br />

hölzernen Schwingmesser die noch<br />

verbliebenen Holzreste heraus. Den Abschluss<br />

der arbeitsintensiven Gewinnung<br />

der Leinenfasern bildete das Hecheln. Dabei<br />

wurden die Flachsbüschel am Hechelstuhl<br />

über runde Nagelbretter gezogen,<br />

sprich: „durchgehechelt“. Das etwas gröbere<br />

Werg verarbeitete man zu Bett- und<br />

Handtüchern, den feineren Flachs zu Linnenstoff<br />

. Für diese letzten Arbeitsgänge<br />

der Leinwandgewinnung müssen wir jedoch<br />

wieder einen Ortswechsel vornehmen<br />

– diesmal in die Stuben der Bauers-<br />

und Weberfamilien.<br />

Licht- und Spinnstuben und<br />

Weberwerkstätten<br />

In den Wintermonaten des neuen Jahres<br />

wurde aus dem duchgehechelten Flachs<br />

von den Bauersfrauen und Mägden Garn<br />

gesponnen. Um Lampenöl, Kerzen und<br />

auch Heizmaterial zu sparen, kam man<br />

reihum zum „Vorsitz“ („Vorsetz“) in verschiedenen<br />

Häusern zusammen. Es konnte<br />

schon mal ein Dutzend oder mehr Frauen<br />

und Mädchen sein, die, während die<br />

Spinnräder schnurrten, die neuesten Dorfgeschichten<br />

erzählten. Manche so genannten<br />

Lichtstuben waren von den jungen<br />

Burschen gern besuchte Orte, doch<br />

hatten Pfarrer und Schultheiß ein Auge<br />

darauf, dass jugendlicher Leichtsinn und<br />

Übermut nicht überhand nahmen. Das<br />

konnte zum Ausschluss der jungen Männer<br />

durch den Kirchenkonvent führen,<br />

eine „dörfl iche Sittenpolizei“, der Pfarrer<br />

und Schultheiß vorstanden.<br />

Die Arbeit der Weber, die das gesponnene<br />

Leinengarn zu Tuch verarbeiteten,<br />

war weniger unterhaltsam als die der<br />

Spinnerinnen. Die Weber gingen ihrer<br />

körperlich durchaus schweren Arbeit alleine<br />

nach, allenfalls von der Familie umgeben,<br />

wenn der Webstuhl – wie in den<br />

meisten Fällen – in der einzigen größeren<br />

Stube stand.<br />

Frauengruppe mit Spinnrädern


Der Flachsanbau hört auf, das<br />

Brechhaus verfällt, die Webstühle<br />

verstummen<br />

Die arbeitsaufwändige Flachsverarbeitung<br />

wurde, von England ausgehend, während<br />

des 19. Jahrhunderts Schritt für Schritt<br />

mechanisiert. Spinnereien und Webereien,<br />

aber auch die Fabriken, die die Arbeitsvorgänge<br />

vom Riff eln bis zum Hecheln maschinell<br />

schneller und billiger erledigten<br />

als Mägde und Knechte, führten in einem<br />

schleichenden, aber unaufhaltsamen Prozess<br />

zum Ende der Arbeiten im Brechhaus<br />

und der Weberei. In dieser Übergangszeit<br />

spielten Neuenstadter Kaufl eute wie Müller,<br />

Spohn und Payer als Aufkäufer von<br />

Flachs oder Lieferanten von fertigem Garn<br />

eine wichtige Rolle. Vom letzten <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Leineweber Erhardt Mitte der<br />

30er Jahre des letzten Jahrhunderts war<br />

oben schon die Rede. Das Anfang des 19.<br />

Jahrhunderts gebaute <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Brechhaus mit seinen beiden Flachsdörren<br />

und Schürlöchern (Öfen) wurde etwa hundert<br />

Jahre alt. Die Urkarte von 1834 verzeichnet<br />

seine Lage und das „Schätzungsprotokoll<br />

für die Gebäudebrandversicherung<br />

von 1895“ 9 nennt genaue Maße,<br />

Bauart und Unterhaltungszustand.<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Brechhaus nicht mehr<br />

gebraucht und verfi el. Mechanisierte Spinnereien<br />

und Webereien machten Brechhäuser<br />

überfl üssig. Zudem verdrängte die<br />

Baumwolle den Flachs immer mehr. Die<br />

Flur „ob dem Brechhaus“ erinnert jedoch<br />

noch an die alte Gemeindeeinrichtung.<br />

1 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 19, Bl. 125: Gemeinderatsprotokoll<br />

vom 8. Mai 1848.<br />

2 Vgl. auch Karl Kuhn/Friedrich Schlaghoff : Die Revolution<br />

von 1848 in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

3 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 15: Bürgerliste.<br />

4 Brief von Hermann Payer vom 6. Juli 1985 an den Gemeinderat<br />

Neuenstadt, in welchem er sich u. a. zur Nr. 85<br />

der Beilage „Am Brunnen vor dem Tore“ (Die Brechhäuser<br />

in Stein, Kochertürn, Neuenstadt und <strong>Cleversulzbach</strong>) äußert<br />

und die oben zitierte Ergänzung macht.<br />

5 Eine reich illustrierte Darstellung des Flachsanbaus und<br />

der Leineweberei fi ndet sich in: Heinrich Mehl u. a., Alte<br />

Textilien im Bauernhaus, Schwäbisch Hall 1984.<br />

Beim Bearbeiten von Flachs<br />

(Foto 1920er/1930er Jahre)<br />

Auch der Hausnamen „Brechhausbauer“<br />

(Eberstädter Straße Nr. 24) ist bei der älteren<br />

Generation noch geläufi g wie auch die<br />

Flur „Bleichwiesen“, auf der die „fl achsblonde“<br />

Leinwand ausgelegt wurde, um<br />

möglichst hell zu werden.<br />

Flachsanbau und –verarbeitung haben in<br />

unserer Sprache Spuren hinterlassen, obwohl<br />

wir uns dessen oft gar nicht bewusst<br />

sind. Lausbuben werden heutzutage zwar<br />

nur noch selten „durchgebleut“, doch<br />

werden Abwesende bei Kaff eeeinladungen<br />

immer noch mit Wonne „durchgehechelt“.<br />

Dabei wird in lockerem Ton „gefl achst“,<br />

vielleicht auch „gesponnen“.<br />

Mit den nationalsozialistischen Bemühungen<br />

um wirtschaftliche Unabhängigkeit<br />

vom Ausland (Autarkie) richtete sich das<br />

Augenmerk wieder auf den heimischen<br />

Flachs. In Künzelsau baute man 1937 ein<br />

Flachswerk, aber die Kürze des „Tausendjährigen<br />

Reiches“ setzte allen Hoff nungen<br />

auf eine Wiederbelebung des Flachsanbaus<br />

ein Ende.<br />

6 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 17, Seite 18: Gemeinderatsprotokoll<br />

vom 17. September 1838.<br />

7 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 16, Seite 146b: Gemeinderatsprotokoll<br />

vom 19. Septmber 1836.<br />

8 Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 30, Seite 32: Gemeinderatsprotokoll<br />

vom 11. November 1895.<br />

9 Siehe: Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong> CB 158 Seite 194 f.<br />

(Schätzungs=Protolkoll für die Gebäudebrandversicherung):<br />

Interessanterweise werden in diesem Band die<br />

Flachsdörren als „Hanfdörren“ bezeichnet, obwohl Hanfanbau<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> nicht nachgewiesen werden<br />

konnte.<br />

235


236<br />

Das <strong>Cleversulzbach</strong>er Back-, Wasch- und Armenhaus<br />

Anfang des 19. Jahrhunderts war es eine<br />

Aufgabe der Kommunen, Back-, Wasch-,<br />

Dörr-, Armen- oder auch Badhäuser für<br />

die Einwohner zur Verfügung zu stellen.<br />

Ganz besonders war dies für die Landbevölkerung<br />

mit ihren meist sehr kinderreichen<br />

Familien, welche überwiegend in bescheidenen<br />

und ärmlichen Verhältnissen<br />

lebten, erforderlich. Die Kommunen waren<br />

deshalb aufgerufen, was zum täglichen<br />

Leben und Überleben, auch bezüglich der<br />

Hygiene, dringend von nöten war, ihren<br />

Bürgern bereitzustellen. Mit ein Grund zur<br />

Erstellung von öff entlichen Backhäusern,<br />

die aus Stein gebaut sein mussten, war<br />

das häufi ge Auftreten von Bränden in den<br />

privaten Backöfen oder -häusern, die oftmals<br />

nicht den Vorschriften entsprachen.<br />

Diese privaten Einrichtungen waren ursächlich<br />

für Brände, die mitunter Häuser,<br />

ganze Hofstellen oder auch Nach baranwesen<br />

vernichteten.<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> erhielt mit Datum 12. Dezember<br />

1820 1 den Königl. Oberamtlichen<br />

Auftrag in Betre s der Erstellung eines<br />

ö entlichen Back- Wasch- und Dörrhauses.<br />

Der Gemeinderat hat diesen Auftrag<br />

umgehend aufgegriff en und erstmalig am<br />

12. Januar 1821 ernsthaft beraten und<br />

nachfolgenden Beschluss gefasst:<br />

Daß in dem hiesigen Ort bereits 2<br />

Dörrhäuser außerhalb des Orts angelegt<br />

sind. Was die Back- und Waschhäuser<br />

anbetri t, so haben die Bürger Ihre eigenen<br />

Back- und Waschhäuser, und werden<br />

von dem Feuerschauer alljährlich 2 mal<br />

eingesehen und die schadhaften Feuerungen<br />

angesprochen. Da nun der hiesige Ort<br />

in den nächsten Jahren wegen anderer<br />

dringenden noch vom Krieg und theurer<br />

Zeit herrührenden Schulden, vieles zu bestreiten,<br />

so kann erst wann solche ein<br />

wenig getilgt, vom Verkauf von dem Co-<br />

mun Wald des Holzes, mit höherer Genehmigung<br />

auch ein Back- und Waschhaus<br />

angelegt werden. Ein solches wird mit folgenden<br />

Unterschriften bekräftigt.<br />

Schultheiß und Gemeinderath<br />

Schultheiß Lumpp<br />

Samuel Segbach<br />

Friedrich Guldi<br />

Johannes Schlegel<br />

Christoph Kayser<br />

Jacob Adam Lumpp<br />

Jakob Hörmann<br />

Ludwig Herrmann<br />

Danach wurde es für längere Zeit still um<br />

diese Pläne. Neu aufgegriff en und zu einer<br />

Entscheidung 2 geführt wurde das Thema<br />

Back-, Wasch-, Dörr- und Armenhaus im<br />

Gemeinderat während mehrerer Sitzungen<br />

und Beratungen in den Jahren 1837/38.<br />

Das Vorhaben zur Einrichtung eines Armenhaus<br />

war noch hinzugekommen, da es<br />

immer mehr Bedürftige gab, die nicht in<br />

der Lage waren, sich Wohnraum zu schaffen<br />

bzw. zu unterhalten. Nachdem Gemeinderat<br />

und Bürgermeister den Beschluss<br />

zum Bau des Hauses gefasst hatten,<br />

wurde die Planung und Erstellung<br />

des Kostenanschlags an Stadtbaumeister<br />

Grotz übertragen.<br />

Der Kostenanschlag und die Vergabe der<br />

Arbeiten sind nachfolgend auszugsweise<br />

dokumentiert:<br />

Oberamt Neckarsulm<br />

<strong>Cleversulzbach</strong><br />

Kosten-Überschlag<br />

über ein daselbst nun zu erbauendes<br />

Back-, Wasch- und Dörrhaus mit einer<br />

Armen Wohnung.<br />

Das Gebäude wird 36 ' lang und 22 ' breit,<br />

bekomt einen steinernen Stock, der fl ächenweise<br />

ein Zwischengebälck<br />

erhält, und ein hölzernes Stockwerk in


Plan für das Back-, Wasch- und Armenhaus von Stadtbaumeister Grotz, 1838<br />

welches die Wohnung für Arme eingerichtet<br />

ist.<br />

Summa des ganzen Aufwands<br />

ohne das Anfüllen der Wätte<br />

welches in der Frohn geschieht und<br />

ohne des jenigen Holzwerkes welches<br />

die Gemeinde bereits dazu<br />

bestimt hat<br />

1853 f 47 kr.<br />

Vergeben wurden die einzelnen Gewerke<br />

zum Bau des Hauses in der öff entlichen<br />

Versteigerung 3 am 12. Mai 1838. Zuvor<br />

hatte der Bauplaner einen Kostenvoranschlag<br />

für die Gewerke erstellt, welcher<br />

dann bei der Versteigerung den interessierten<br />

und anwesenden Handwerkern<br />

nochmals mitgeteilt wurde.<br />

Nachfolgend fi nden sich, stellvertretend<br />

für weitere andere Arbeiten, die Gewerke<br />

von Maurer, Zimmermann, Ziegler sowie<br />

die Beifuhr der Steine und Baumaßnahmen<br />

am Brunnen, um zu zeigen, wie diese<br />

Vergaben in der Regel abliefen.<br />

Maurerarbeiten<br />

zur Maurer Arbeit Versteigerung sind 4<br />

Meister erschienen.<br />

Anschlag im Betrag von 646 Gulden.<br />

Es hat folgender als der Wenigstfordernde<br />

unter Vorbehalt Gemeinderats<br />

Genehmigung erhalten Leonard Stahl für<br />

600 Gulden T.: Leonard Stahl<br />

237


238<br />

Aufstellung der Baukosten von Stadtbaumeister<br />

Grotz, 1838<br />

Es wurde mit folgendem Ergebnis nachverhandelt;<br />

endlich hat auf ab und ab erhalten<br />

Leonard Stahl für 575 Gulden.<br />

T.: Leonard Stahl<br />

Zimmerarbeiten<br />

bei der Versteigerung waren 7 Meister<br />

anwesend.<br />

Die Arbeit beläuft sich auf 214 Gulden 29<br />

Kreuzer.<br />

Wird dem Mindestbietenden Däuble unter<br />

Vorbehalt Gemeinderahts Genehmigung<br />

überlassen für 179 Gulden.<br />

T.: Johannes Däuble; Johann Georg Däuble<br />

Ziegler<br />

Ziegler Waare im Betrag zu 247 Gulden<br />

15 Kreuzer.<br />

Welche sämtliche hierher geliefert werden<br />

[...] wovon jedoch der Balg in der<br />

Ziegelhütte durch eine Vertrauensperson<br />

abgefaßt werden, und durch den<br />

Lieferanten beigeführt werden muß.<br />

Backsteine nach dem neuen großen Maß<br />

4000 St. per Hundert – 1 Gulden 36 Kreuzer<br />

zu den Kamin Stuben 3000 St. per Hundert<br />

von den großen nach dem Maß genau<br />

1 Gulden 12 Kreuzer<br />

Ziegel v. d. Großen 3500 St. per hundert –<br />

1 Gulden 24 Kreuzer<br />

Backofenblatten 125 Stück a.) 3 Kreuzer<br />

Kalk gebrannter 230 Ltr. – a.) 24 Kreuzer<br />

Zusammen – 247 Gulden 15 Kreuzer.<br />

Um vorstehenden […] verbinden sich vorstehende<br />

Zieglerwaaren, wie anfangs bemerkt<br />

mit Einwilligung des Gemeinderaths<br />

zu liefern, Ziegler Zieglers Wittwe<br />

von Neuenstadt, und Ziegler August<br />

Wurst von Brettach.<br />

T.: August Wurst von Brettach. Von Neuenstadt<br />

T.: Gottlieb Ziegler; Christian Kern<br />

Vorstehende Verhandlung genehmigt und<br />

beurkundet Gemeinderath;<br />

Lumpp; Bühl [?]<br />

Jakob Hörmann; Schuler<br />

D. Lumpp; Salm<br />

Da noch nicht alle Arbeiten vergeben waren,<br />

wurde damit am 19. Mai 1838 fortgefahren:<br />

Es wird auf vorherige Bekanntmachung<br />

das Beiführen der Steine usw. zum Backhaus<br />

im Abstrich verakordiert, hierbei wird<br />

bedungen, daß das beiführen schleunigst<br />

zu geschehen hat, so daß der Maurer in<br />

seinem Geschäft nicht gehindert wird,<br />

wurde solches nicht befördert werden, so<br />

hat der Akkordant des Beiführens dem<br />

Maurer sämtlichen Schaden zu ersetzen.<br />

1) Wird das Beiführen von Materialien zum<br />

unteren Stock verabstreicht, wobei weiter<br />

bedungen wird, daß sich der Gemeinderath<br />

den letzten Streich zuvor behält, und daß<br />

das Zusammenfassen der sämtlichen Bausachen<br />

nicht gestattet wird


Anwesend sind 5 Bieter; das Erstgebot<br />

beträgt – 120 Gulden.<br />

Es hat als der Wenigstbietende erhalten<br />

Jung Jakob Herrmann für – 78 Gulden.<br />

T.: Jakob Herrmann<br />

bey 2ter Versteigerung<br />

hat bei auf ab und ab den Zuschlag erhalten<br />

für – 60 Gulden.<br />

T.: Ludwig Herrmann<br />

Versteigerung der weiteren Zufuhr:<br />

Die sämtlichen Steine zum Wohnstock<br />

und den beiden Giebeln sind bei zuführen<br />

unter bisherigen Bedingungen.<br />

Es sind 5 Bieter anwesend, das Erstgebot<br />

beträgt 44 Gulden.<br />

Es hat als der Wenigstnehmende erhalten<br />

Christian Erhart für – 29 Gulden<br />

T.: Christian Erhardt<br />

Es wurde auch hier nachgeboten,<br />

auch beim 2ten Abstreich hat erhalten<br />

auf ab und ab Christian Erhart für – 26<br />

Gulden.<br />

T.: Christian Erhardt<br />

Weitere Versteigerung, nun den Brunnen<br />

betreff end (der Brunnen musste durch die<br />

Baumaßnahme verändert und versetzt werden):<br />

Den Brunnen beizuführen unter vorbemerkten<br />

Bedingungen.<br />

Das Erstgebot beträgt – 14 Gulden.<br />

Es hat als der wenigstnehmende erhalten<br />

für – 13 Gulden Georg Lumpp.<br />

T.: Georg Lumpp<br />

Hier wurde ebenfalls nachgeboten.<br />

Bei der 2ten Versteigeung erhielt<br />

nach auf ab und ab für – 11 Gulden<br />

erneut Georg Lumpp den Zuschlag.<br />

T.: Georg Lumpp<br />

Auch in den darauff olgenden Wochen<br />

4 musste immer wieder in der<br />

obigen Sache verhandelt und beraten<br />

werden, da es teilweise mit<br />

den Handwerkern zu Unstimmig-<br />

keiten kam. Da auch noch nicht alle Gewerke<br />

vergeben waren bzw. neue oder ergänzende<br />

(so musste z. B. die Wette verlegt<br />

und ein neuer Wasserabfl ussgraben<br />

zum Bach, da der vorhandene dem Gebäude<br />

weichen musste, angelegt werden)<br />

hinzukamen, war der Gemeinderat ständig<br />

gefordert.<br />

Zimmermeister 5 Däuble teilte schließlich<br />

mit, dass man ab Mittwoch, 8. August<br />

1838 mit dem Aufrichten (Aufschlagen)<br />

des Backhauses beginnen könne:<br />

Er bitte deshalb bestimmen zu wollen wie<br />

viel die Gemeinde zum Aufrichten dieses<br />

Gebäudes beizutragen gewiegt seye. Es<br />

wurde nach hinlänglicher Beratung beschlossen,<br />

zu diesem Geschäft einen Beitrag<br />

von 10 Gulden zu verwilligen, womit<br />

sich auch Zimmerer Däuble begnügte.<br />

T.: Johannes Däuble<br />

In diesem „multifunktionalen Haus“, wie<br />

wir es heute nennen würden, waren, wie<br />

der Name schon sagt, die unterschiedlichsten<br />

Einrichtungen untergebracht und wie<br />

folgt auf die einzelnen Geschosse verteilt:<br />

– im Erdgeschoss ein Backraum mit zwei<br />

Öfen für 16 und 20 Laib Brot und einer<br />

Obstdörreinrichtung 6 , ein Waschhaus mit<br />

einer gemauerten Feuerstelle für zwei<br />

Waschkessel<br />

Bauplan vom Erdgeschoss, gefertigt von<br />

Zimmermeister Johannes Däuble von<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>, 1838<br />

239


240<br />

– im Wohngeschoss gab es zwei Wohnungen,<br />

jeweils mit Kamin und Kanonenofen<br />

in der Stube, einem, aber gemeinschaftlich<br />

zu nutzenden, außen liegenden<br />

Abort.<br />

Bauplan vom Obergeschoss, gefertigt von<br />

Zimmermeister Johannes Däuble von <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />

1838<br />

Die Bewohner der Armenwohnung<br />

Am 11. Februar 1839 7 wurden nach reifer<br />

Überlegung und Beschluß des Gemeinderaths<br />

gleich zwei Einweisungen ins Armenhaus<br />

vorgenommen. Als erste Bewohner<br />

im Armenhaus konnten folgende Personen<br />

ermittelt werden:<br />

Dem Gottlieb Herrmann wurde die vordere<br />

Wohnung gegen Entrichtung einer<br />

Jahresmiete von 12 Gulden, in vierteljährlichen<br />

Raten an die Gemeindekasse<br />

zu bezahlen, vermietet. In die weitere<br />

Wohnung wurde Michael Borgers Ehefrau<br />

eingewiesen. Nachdem sie zuvor auf<br />

dem Rathaus erschienen war und mitgeteilt<br />

hatte, dass sie für den Lebensunterhalt<br />

für sich und den von ihrer Tochter<br />

hinterlassenen 10 ½ Jahre alten Schulknaben<br />

nicht mehr aufkommen könne<br />

und deshalb um einen Zuschuss aus der<br />

Gemeindekasse bitte.<br />

Der 10 ½ Jahr alte Schulknabe sollte nach<br />

reifer Überlegung des Gemeinderaths, gegen<br />

ein ermäßigtes Kostgeld, an einen<br />

Bürger jedoch im Abstreich (Versteigerung<br />

gegen Mindestgebot) zu verköstigen, welcher<br />

demselben die nöthige Kleidung anzuscha<br />

en, zur Schule, und zur Arbeit anzuhalten,<br />

auch zu einem sittlichen u. geordneten<br />

Wandel anzuhalten hat gegeben<br />

werden.<br />

Die Vergabe 8 des o.g. Waisenknaben Christian<br />

Dittmann im Abstreich gegen Mindestgebot,<br />

für das die Gemeinde aufzukommen<br />

hatte, fand nach Gemeinderäthlichem<br />

Gutachten am 9ten März 1839 statt.<br />

Derjenige, welcher bei der „Auktion“ den<br />

Zuschlag erhalten sollte, musste folgende<br />

Forderungen des Gemeinderats zu<br />

Erziehung des Jungen gewährleisten<br />

können:<br />

Er solle hiermit solcher zum Arbeiten angehalten,<br />

und ordnungsgemäßig erzogen<br />

werden, zur Erziehung in Kost und Logie<br />

gegeben. Der Kostreicher ist verbunden,<br />

denselben mit alltäglichen Kleidungsstücken<br />

zu versehen. Zur Arbeit anzuhalten<br />

und in die Schule zu schicken, auch das<br />

erforderliche waschen und fl icken, und<br />

jährlich zwei neue Hemden anscha en.<br />

Von der Gemeinde gefordert wurde<br />

40 Gulden<br />

Georg Salm bietet<br />

20 Gulden<br />

David Lumpp, Wagner bietet<br />

19 Gulden<br />

David Herrmann bietet<br />

18 Gulden 45 Kreuzer<br />

David Lumpp, Wagner bietet<br />

18 Gulden 30 Kreuzer<br />

Martin Hesser bietet<br />

18 Gulden<br />

David Lumpp, Wagner bietet<br />

17 Gulden 45 Kreuzer<br />

Martin Hesser fordert<br />

17 Gulden 30 Kreuzer<br />

Es hat solchen als der wenigstnehmende<br />

erhalten<br />

Martin Hesser für 17 Gulden 30 Kreuzer<br />

T.: Martin Heßer


Die Nachfrage nach einem Wohnplatz im<br />

Armenhaus war groß und konnte nicht<br />

immer erfüllt werden. Zeitweise wurden in<br />

die verhältnismäßig kleinen Wohnungen 9<br />

noch zusätzlich ein bis zwei Personen eingewiesen.<br />

Solches wurde den Mietern bereits<br />

bei Abschluss des Mietvertrages mitgeteilt,<br />

damit es nicht zum Streit mit der<br />

Kommune kommt, wenn dieser Fall eintritt.<br />

Es gab im Armenhaus immer wieder Mieterwechsel<br />

und Ärger mit den Bewohnern,<br />

aber auch ungebetenen Besuchern. Wie<br />

aus dem folgenden Bericht 10 vom 28. Dezember<br />

1839 ersichtlich ist, wurde einem<br />

der Ärger Verursachenden Folgendes mitgeteilt.<br />

Schneider Gottlieb Borger wurde sein<br />

leichtsinniger Lebenswandel endlich untersagt,<br />

und dringend aufgefordert sich<br />

nun eine Logie oder Quartier umzusehen,<br />

und aus dem Armenhaus zu bleiben, auch<br />

zum Sparen dringend aufgefordert, nun<br />

sich gehörige Wohnung anzuscha en.<br />

So weit die Ermahnung des Gemeinderats<br />

an Borger, ob es was geholfen hat?<br />

Die negativen Berichte über das Armenhaus<br />

und seine Bewohner reißen nicht ab.<br />

Es würde aber den Rahmen sprengen, hier<br />

auf alle, sicherlich interessanten, aber<br />

überwiegend bedauerlichen Schicksale der<br />

Betroff enen, einzugehen. Trotz allem sollte<br />

in Erinnerung bleiben, dass das Armenhaus<br />

eine segensreiche Einrichtung für die<br />

damalige Zeit war, und dies auch so bleiben<br />

sollte bis Anfang der 1960er Jahre.<br />

Die Back-, Dörr- und Waschstuben<br />

Nicht nur der Bereich Armenhaus gab für<br />

den Gemeinderat immer wieder Anlass für<br />

langwierige Beratungen und Sitzungen,<br />

auch im Bereich des Back-, Dörr- und<br />

Waschhauses gab es Probleme. Sei es mit<br />

dem Aufsichtspersonal, den Nutzern oder<br />

auch mit öfters anstehenden Reparaturen.<br />

So mussten bereits Mitte 1841, gerade<br />

mal zwei Jahre nach Inbetriebnahme, die<br />

beiden Backöfen 11 wegen Einsturzgefahr<br />

abgebrochen und neu aufgebaut werden.<br />

Ursächlich hierfür waren die beim Bau<br />

verwendeten Backsteine, welche den hohen<br />

Temperaturen im Backofen nicht<br />

standhielten.<br />

Mit der Arbeit des Abbruchs sowie des<br />

Neuaufbaus der Öfen wurde der „Backofenmacher“<br />

Bohl aus Neckarsulm beauftragt.<br />

Er sollte die Backöfen nun gut<br />

Meistermäßig herstellen.<br />

Zur Befeuerung der Backöfen war Holz erforderlich.<br />

Um nun den Benutzern aus<br />

dem Ort etwas Gutes zu tun, hat der Gemeinderat<br />

12 am 1. Juni 1840 Folgendes<br />

beraten und beschlossen:<br />

Das Holz, um die Backöfen einzuheizen,<br />

um die erforderlichen Temperaturen für<br />

das Backen zu erhalten, wird für das erste<br />

Jahr von der Gemeinde kostenlos für einmal<br />

tägliches Anfeuern zur Verfügung gestellt.<br />

Da aber schon nach kurzer Zeit festgestellt<br />

wurde, dass das Holz um weitaus<br />

mehr weniger wurde, als das im Backhaus<br />

benötigte, sah man sich gezwungen, eine<br />

Aufsichtsperson für das Back- und Waschhaus<br />

zu benennen, um diesem Einhalt zu<br />

gebieten. Die Stelle des Aufsehers wurde<br />

im Dorf öff entlich bekannt gemacht, und<br />

Christoph Apfelbach zunächst für ein Jahr<br />

übertragen. Folgendes gehörte zu seinen<br />

Aufgaben und musste von ihm beachtet<br />

bzw. getan werden:<br />

Das Holz durfte von ihm nur für einmaliges<br />

Einheizen pro Ofen und Tag abgegeben<br />

werden, musste nachgeheizt werden,<br />

so war dies Sache der Backenden. Jeder,<br />

der Brot backen will, hat sich den Tag zuvor<br />

vormittags zu melden und die Laibe<br />

nebst Gewicht anzugeben. Der Aufseher<br />

hat die Namen der Backenden in ein Verzeichnis<br />

nebst den Laiben und Gewicht<br />

einzutragen.<br />

Als Entlohnung erhält der Aufseher für<br />

seine Tätigkeit neben der Personalfrei-<br />

241


242<br />

heit 13 von den Backenden von einem Laib<br />

Brot zwei Kreuzer und hat dafür auch die<br />

Asche wegzubringen.<br />

Danach 14 sollte ein Backmeister benannt<br />

und das Back-, Dörr- und Waschhaus von<br />

der Gemeinde im Abstreich verpachtet<br />

werden. Der Meistbietende hatte eine<br />

Jahrespacht von 23 Gulden an die Kommune<br />

zu entrichten, dafür standen ihm<br />

die Einnahmen aus dem laufenden Betrieb<br />

der Einrichtung zu. Zu seinen Aufgaben<br />

zählte die Kontrolle sowie die Aufsicht<br />

über die Einrichtung. Er hatte darauf zu<br />

achten, dass Verunreinigungen, Beschädigungen<br />

oder Streit unter den Benutzern<br />

erst gar nicht auftraten, wenn doch Schäden<br />

auftraten, diese durch die Verursacher<br />

umgehend beseitigen zu lassen. Ansonsten<br />

hatte er die Pfl icht, dies unter Angabe<br />

der Geschehnisse mit Namen der Verursacher<br />

oder Beteiligten der Gemeindeverwaltung<br />

anzuzeigen. Konnten diejenigen,<br />

bei denen etwas zu Bruch ging oder beschädigt<br />

wurde, nicht ermittelt werden, so<br />

sollte der Backmeister dafür aufkommen.<br />

Als erster Pächter ist Andreas Bordt eingetragen,<br />

dies geht aus einem Protokoll 15<br />

vom 10ten July 1845 hervor. Hierbei wird<br />

verhandelt, dass der Backmeister im abgelaufenen<br />

Jahr wohl seiner Verpfl ichtung,<br />

einer gewissenhaften Kontrolle der ihm<br />

anvertrauten Einrichtung, sowie der Bezahlung<br />

des vereinbarten Pachtpreises,<br />

nicht nachgekommen ist. Es wurde festgehalten,<br />

dass es einige Dinge, wie Tische,<br />

Türen, Fenster usw. unter anderem auch<br />

eine „Bärn“ 16 , zu richten oder zu erneuern<br />

galt.<br />

Im Original lautet dies wie folgt:<br />

Unter vorstehender Bemerkung wurde begutachtet<br />

dem Backmeister Andreas<br />

Bordt, welcher die Stelle per Aufstreich<br />

erhalten, und in die Gemeindekasse 23<br />

Gulden zu liefern hatte, und dadurch, daß<br />

er von einem Backbrod nur 1 Kreuzer, und<br />

für die Benutzung des Waschhauses per<br />

Tag 2 Kreuzer zu beziehen hatte. Wodurch<br />

er im verfl ossenen Jahr nicht im Stand<br />

war sein Pachtgeld vollständig zu entrichten.<br />

So hat sich Bord dazu erklärt,<br />

daß er: wenn man ihm das Zutrauen<br />

schenken, und diese Stelle auf das Jahr,<br />

vom 1ten July 1845 / 46 überlasse, so<br />

wolle er den Rest vollständig entrichten,<br />

und für dieses Jahr zur Gemeindepfl ege<br />

bezahlen 15 Gulden.<br />

Vorstehende Verhandlung bekunden Gemeinderath<br />

Lumpp<br />

Schuler<br />

Ludwig Herrmann<br />

Klein<br />

Speiser<br />

Volpp<br />

J. D. Lumpp<br />

die Anerkennung: T.: Ludwig Bordt<br />

Am 9. März 1847 vom Bürgerausschuß<br />

nachträglich zugestimmt<br />

d. Obmann Haug<br />

Möhle<br />

Erhardt<br />

Hesser<br />

Korb<br />

Klein<br />

Heßer<br />

Der Gemeinderat hat Bordt das Back-,<br />

Dörr- und Waschhaus zu den zuvor<br />

genannten Bedingungen überlassen. Es<br />

hat sich aber an den Gegebenheiten, was<br />

die Bezahlung, dem häufi gen Auftreten<br />

von Schäden und Reparaturen angehen,<br />

weder bei ihm noch bei den häufi g wechselnden<br />

Nachfolgern über Jahrzehnte hinweg<br />

etwas zum Guten geändert. Zum Beispiel<br />

war im Oktober 1893 schon der<br />

zweite Backofenbrand 17 aufgrund unzureichender<br />

Reinigung von Backöfen, Zugschächten<br />

und Zuglöchern in diesem Jahr<br />

aufgetreten. Dies ging aus einem Gutachten<br />

des zuständigen Kaminfegers hervor.<br />

Dieser forderte auch, dass die genannten


Einrichtungen alle acht Tage zu reinigen<br />

seien. Vom Gemeinderat wurde dies am<br />

19. Oktober 1893 verhandelt und beschlossen,<br />

dies der Backmeisterin Jung<br />

umgehend mitzuteilen. Sollte sie dieser<br />

Auff orderung nicht gewissenhaft nachkommen,<br />

so habe sie mit entsprechenden<br />

Konsequenzen zu rechnen.<br />

Eine Molkerei im Waschhaus?<br />

Schullehrer Lorch kannte die Probleme der<br />

kleinstrukturierten landwirtschaftlichen<br />

Betriebe im Ort. Er wollte daher diese<br />

kleinbäuerlichen Betriebe unterstützen.<br />

Seine Idee war, die von ihnen erzeugte<br />

Milch besser und gewinnbringender zu<br />

vermarkten. Um dies zu erreichen, wollte<br />

er im Waschhaus eine Molkerei 18 einrichten.<br />

Dazu musste er den Gemeinderat von<br />

seiner Idee überzeugen, dass diese auch<br />

Aussicht auf Erfolg hat. Dieses scheint ihm<br />

gelungen zu sein. Mit Datum vom 7. März<br />

1893 wird im Gemeinderat sein Antrag<br />

auf Überlassung des Waschhauses zur<br />

Umnutzung zur Molkerei eingehend behandelt<br />

und beraten. Nach längerer Diskussion,<br />

mit allem Für und Wider fasst der<br />

Gemeinderat mit den fünf anwesenden<br />

(Normalzahl sieben) Gemeinderäten einstimmig<br />

den Beschluss, dem Antrag und<br />

somit auch dem Vorhaben des Schullehrers<br />

Lorch zuzustimmen.<br />

Es muss sich über diese Entscheidung<br />

wohl Unmut im Dorf breit gemacht haben,<br />

denn man wollte nicht auf das<br />

Waschhaus verzichten. Aus diesem Grund<br />

tritt Lorch erneut an den Gemeinderat 19<br />

heran. Diesmal geht es um die der Gemeinde<br />

gehörende freie Fläche östlich<br />

vom Back- und Waschhaus. Schullehrer<br />

Lorch stellt folgenden Antrag:<br />

Um Ersatz für den bisherigen Waschraum<br />

schaff en zu können, bittet er um Verkauf<br />

der o. g. Fläche, um dort ein neues Waschhaus<br />

zu errichten. Eine löbliche Gesinnung<br />

und Einstellung von Lorch, sollte man<br />

meinen. Dem gemeinderätlichen Sitzungsprotokoll<br />

vom 1. April 1893 entnehmen<br />

wir Folgendes:<br />

Nach längerer Debatte, welche eine Abstimmung<br />

veranlaßte wurde diese vorgenommen<br />

u. der Antrag des Schullehrer<br />

Lorch auf Kaufweise Abtretung von Gemeindeeigentum<br />

mit 6 gegen 5 Stimmen<br />

abgelehnt.<br />

Aus war es mit der Molkerei im Ort. Die<br />

Enttäuschung des Schullehrers Lorch muss<br />

recht groß gewesen sein ob der Ablehnung<br />

seines lobenswerten Vorhabens. Es<br />

fi nden sich keine weiteren Eintragungen<br />

bezüglich der Molkerei im Ort.<br />

Tabaktrocknung auf den Dachböden?<br />

Auf Gesuch 20 des Christian Hesser sollte<br />

das öff entliche Haus einer weiteren Nutzung,<br />

in Form einer Tabaktrocknung auf<br />

den Dachböden zugeführt werden. Es<br />

sollte denjenigen Tabakerzeugern, welche<br />

keine geeigneten Räumlichkeiten besaßen,<br />

hier die Möglichkeit geboten werden, ihren<br />

geernteten Tabak aufzuhängen und zu<br />

trocknen. Der Gemeinderat verhandelte<br />

über den Antrag am 24. April 1907 und<br />

wies das Gesuch ab. Beschloss jedoch, die<br />

Böden auf 1 Jahr im ö entlichen Aufstreich<br />

zu verpachten. Daraus ist vermutlich<br />

nichts geworden, denn es ließen sich<br />

diesbezüglich keine weiteren Informationen<br />

in den Akten fi nden.<br />

Nutzungsbebühren während der<br />

Infl ation 1923<br />

Durch die Folgen der Infl ation von 1923<br />

waren auch die Nutzungsgebühren vom<br />

Back- und Waschhaus anzupassen. Das<br />

folgende, im Wortlaut wiedergegebene<br />

Protokoll 21 zeigt die Geldentwertung der<br />

damaligen Zeit. Verhandelt und beschlossen<br />

am 24. November 1923:<br />

Infolge der fortgeschrittenen Geldentwertung<br />

wird der Backkreuzer mit Wirkung<br />

vom 1. Dezember d.J. auf 5 Milliarden für<br />

243


244<br />

eine Hitze u. die Benützung des Waschhauses<br />

auf 40 Milliarden für einen<br />

Tag, u. der Back- u. Waschhauspacht auf<br />

550.000.000.000 für den Monat Dezember<br />

erfolgt.<br />

Erleichterung für die Hausfrauen -<br />

durch Errichtung einer<br />

fortschrittlichen Waschanlage<br />

Bei der am 8. Oktober 1938 zu diesem<br />

Punkt abgehaltenen Gemeinderatsitzung 22<br />

waren nicht nur die Beigeordneten und<br />

die Gemeinderäte, sondern auch die Vorstände<br />

der hiesigen Spar- und Darlehenskasse<br />

eingeladen worden. Es musste ein<br />

Antrag des Ortsbauernführers Blank beraten<br />

und entschieden werden. Dieser hatte<br />

die Anschaff ung einer Gemeindewaschanlage<br />

beantragt, um die Frauen bei der<br />

schweren Wascharbeit zu entlasten. Nach<br />

eingehender Beratung erklären die Vertreter<br />

der Spar- und Darlehenskasse, dass die<br />

Kasse bereit ist, die Finanzierung zu übernehmen.<br />

So, dass die Waschanlage Eigentum<br />

der Spar- und Darlehenskasse bleibt,<br />

welche den üblichen Zuschuss vom NS-<br />

Reichnährstand erhält. Im Einverständnis<br />

mit den Gemeinderäten fasst der Bürgermeister-Amtsverweser<br />

Blank die Entschließung,<br />

die alte Gemeindewaschküche, welche<br />

sich in schlechtem Zustand verhält, zu<br />

diesem Zweck instand zu setzen. Als jährliche<br />

Miete werden von der Spar- und Darlehenskasse<br />

20 RM erhoben.<br />

Es darf durchaus erwähnt werden, dass dies<br />

in der Zeit eine fortschrittliche und in die<br />

Zukunft gerichtete Entscheidung für den<br />

Ort war. Die Einrichtung wurde von den<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Hausfrauen noch bis in<br />

die 1960er Jahre genutzt, bis in den Haushalten<br />

die nicht mehr wegzudenkenden<br />

Waschmaschinen Einzug gehalten haben.<br />

Instandsetzungen im und am Backhaus<br />

waren ständig erforderlich und belasteten<br />

den Haushalt der Gemeinde. Die Einnahmen<br />

standen in keinem Verhältnis zu den<br />

Das Back-, Wasch- und Armenhaus (im<br />

Bildhintergrund) in einer Aufnahme von einem<br />

Festumzug 1955<br />

Aufwendungen. Trotzdem war das Back-,<br />

Wasch- und Armenhaus mit seinen vielen<br />

Funktionen für die Bevölkerung im Ort zu<br />

einer guten und wichtigen Einrichtung<br />

geworden. Mit Datum vom 7. November<br />

1964 wurde der Gemeinderat mit nachfolgendem<br />

Wortlaut darüber informiert, dass<br />

es am Backhaus wiederum umfangreiche<br />

Renovierungsarbeiten durchzuführen gilt:<br />

Das Backhausgebäude wird neu verputzt<br />

durch Gipsermeister Götz Neuenstadt,<br />

und die sämtlichen Fenster herausgemacht<br />

und von Schreinermeister Mack in<br />

Brettach neue Fenster eingesetzt. Nun<br />

steht das Gebäude wieder ordentlich hergerichtet<br />

da. Die Backhausöfen müssen<br />

im Frühjahr instandgesetzt werden, denn<br />

es sind einige Ofenplatten in den Öfen<br />

auszuwechseln welche durchgebrannt<br />

sind. Es ergeht einstimmiger Beschluß:<br />

Dem Verputzen des Backhausgebäudes<br />

durch Gipsermeister Götz Neuenstadt<br />

wird zugestimmt. Ebenfalls wird genehmigt,<br />

daß Schreinermeister Mack Brettach<br />

neue Fenster im Backhausgebäude einsetzt.<br />

Entsprechende Mittel hierfür sind<br />

im Haushaltsplan 1964 eingestellt. Die alten<br />

Fenster vom Backhaus sollen ö entlich<br />

versteigert werden. Die Backöfen sind


im Frühjahr wieder durch Backofenbauer<br />

Schwilk instandsetzen zu lassen.<br />

Die Backhauspacht war auch eine Sache,<br />

mit der sich der Gemeinderat immer wieder<br />

zu beschäftigen hatte, so auch am 13.<br />

Mai 1965. Zu beraten und entscheiden war<br />

ein Antrag der Backfrau Frl. Pauline Ohr.<br />

Frl. Ohr zahlt jährlich 20.— DM Backhauspacht.<br />

Sie bittet um Erlassung des<br />

Backhauspachtes mit der Begründung,<br />

weil die Benützung der Öfen derart zurückgegangen<br />

ist. Es wird oftmals nur<br />

noch ein Ofen für zwei Tage in der Woche<br />

benützt. Der Wohlstand ist so groß, daß<br />

viele Hausfrauen sich nicht mehr die<br />

Mühe machen das Brot selbst zu backen.<br />

Beschluß: Der Backhauspacht fürs Jahr<br />

1965 wird aus den vorerwähnten Gründen<br />

die der Tatsache entsprechen auf 10.-<br />

DM herabgesetzt.<br />

Auch die Vermietung der Backhauswohnung<br />

stand durch häufi gen Mieterwechsel<br />

immer wieder an, so zum Beispiel am 12.<br />

Juni 1967. Nachdem die Wohnung im<br />

Mai/Juni 1967 renoviert wurde, u. a.<br />

musste die Abortgrube und der Abort erneuert<br />

sowie eine Wasserleitung in der<br />

Küche neu verlegt werden, konnte die<br />

Wohnung nun neu vermietet werden. Als<br />

neue Mieter hatte sich die Familie Hagmann<br />

beworben, welche auch zum monatlichen<br />

Mietpreis von 50 DM den Zuschlag<br />

erhielt.<br />

Wiederum eine Beratung über die Backhauspacht,<br />

diesmal vom 8. März 1968. Erneut<br />

kommt ein Antrag von Frl. Pauline<br />

Ohr, welche noch immer die Pächterin des<br />

Backhauses ist, auf Erlass des Pachtgeldes<br />

von 10 DM, da die weiter zurückgehende<br />

Nutzung dadurch auch zu weniger Einnahmen<br />

führt. Weiter beantragt sie, die<br />

Hitze auf 20 Dpf. zu erhöhen, da seit April<br />

1958 der Preis bei 10 Dpf. festgeschrieben<br />

war. Am 29. April 1961 hat der Gemeinderat<br />

für die Benutzung des Waschraumes<br />

für einen Tag mit Schleuder, und desglei-<br />

chen für eine Schlachtung, die darin gemacht<br />

wird, eine Gebühr von je 2 DM<br />

festgesetzt, hiervon erhält Frl. Ohr als beaufsichtigende<br />

Person 45 Dpf.<br />

Beschluss:<br />

1. Es wird anerkannt, daß die Benützung<br />

des Backhauses immer weniger wird<br />

und daher wird das Pachtgeld für das<br />

Backhaus ab 1.1.68 auf 5.- DM jährlich<br />

festgesetzt.<br />

2. Für eine Hitze haben die Benützer der<br />

Backöfen ab sofort 20 Dpf. zu bezahlen.<br />

3. Für die Benützung des Waschraums<br />

zum Waschen mit Schleuderbenutzung<br />

für 1 Tag ist die Gebühr von 2.- DM zu<br />

bezahlen. Hiervon erhält die aufsichtführende<br />

Person 1.- DM.<br />

4. Der Waschraum darf zum Schlachten<br />

ab sofort nicht mehr benutzt werden.<br />

Backhausbrand – Wiederaufbau, Ein -<br />

bau eines Schlacht- und Kühlraumes<br />

Mit dem Backhausbra nd vom 1. Oktober<br />

1970 und dem folgenden Wiederaufbau<br />

sollte auch ein Schlacht- und Kühlraum im<br />

bisherigen Waschraum und in Teilen des<br />

Backraumes auf Wunsch des Ortschaftrates<br />

vom 2. November 1972 untergebracht<br />

werden. Dies war auch erforderlich geworden,<br />

um den Forderungen und Bedingungen<br />

bezüglich der Hygiene des Veterinäramtes<br />

Heilbronn für Notschlachtungen<br />

von Großvieh, welches über den im Stadtgebiet<br />

vorhandenen Viehversicherungsverein<br />

abgewickelt wurde, wie auch für Privatschlachtungen,<br />

zu erfüllen. Mit dieser<br />

Maßnahme wurde der hintere Backofen<br />

stillgelegt und der vordere renoviert, um<br />

der Bevölkerung auch weiterhin das Backen<br />

in gewohnter Weise zu ermöglichen.<br />

Im September 1973 war das Schlacht-<br />

und Kühlhaus fertiggestellt und zur Nutzung<br />

freigegeben.<br />

Folgende Gebühren wurden festgesetzt:<br />

für 1 Schweineschlachtung 12 DM<br />

245


246<br />

Das Back-, Wasch- und Armenhaus. Ab<br />

1972 wurde das Obergeschoss wieder vermietet.<br />

für 1 Rinderschlachtung 18 DM<br />

für die Benutzung des<br />

Kühlraumes pro Tag 3 DM<br />

Wurde das Schlachthaus anfangs mit ca.<br />

60 Schlachtungen pro Jahr recht häufi g<br />

benutzt, so waren diese bereits ab den<br />

1990er Jahren rückläufi g, was sicherlich<br />

sehr stark mit dem Verbraucherverhalten<br />

zu tun hat. Im Jahr 2011 gab es noch einen<br />

Nutzer, ab 2012 wird der Schlachtbetrieb<br />

im gemeindeeigenen Schlachthaus eingestellt,<br />

somit kann der Schlachtraum einer<br />

anderen Nutzung zugeführt werden.<br />

Als Mitte der 1980er Jahre das Backhaus<br />

geschlossen werden sollte, taten sich der<br />

Ortschaftsrat, die Vereine und große Teile<br />

der Bevölkerung zusammen, um ein Backhausfest,<br />

welches unter dem Motto „Unser<br />

tägliches Brot gib uns heute“ stand,<br />

auszurichten. Mit dem Erlös daraus sollte<br />

die erneut anstehende Renovierung des<br />

Backofens unterstützt werden. Um den<br />

Backbetrieb im Ort, welchen es zu der<br />

Zeit schon nahezu 150 Jahre gab, auch in<br />

Zukunft für die Bürgerschaft und Vereine<br />

erhalten zu können. Dass dies ein Fest der<br />

Superlativen werden würde, konnte niemand<br />

erahnen, weder Beteiligte, noch<br />

Gäste und Besucher. Tatsache ist, dass aus<br />

dem Reinerlös im Ort drei städtische<br />

Maßnahmen mit je 3.000 Mark unterstützt<br />

werden konnten, an denen wir uns<br />

noch heute freuen oder auch Nutzen ziehen<br />

können. Es sind bzw. waren dies folgende<br />

Projekte:<br />

Elfriede Speck beim Backhausfest 1986<br />

das Backhaus mit der Backofenrenovierung,<br />

die Aussegnungshalle mit dem<br />

Kunstglasfenster und die Kelter-Halle mit<br />

den vier Fenstern im Treppenaufgang,<br />

ebenfalls vom Künstler gestaltet und aus-<br />

geführt mit den Motiven der „Vier Jahreszeiten“.<br />

Für alle Helfer wurde noch ein Dorfabend<br />

als kleines „Dankeschön“ in der Kelter–<br />

Halle abgehalten.<br />

2012 wird das ehemalige Back-, Wasch-


Das ehemalige Back-, Wasch- und Armenhaus nach seiner Renovierung, Juni 2012<br />

und „Armenhaus“ erneut einer grundlegenden<br />

Sanierung unterzogen. Die Wohnung<br />

aus Anfang der 1970er Jahre entspricht<br />

ebenso wenig den heutigen Standards<br />

wie die energetische Ausstattung<br />

1 CB 14 S. 35 f.<br />

2 CB 17<br />

3 CB 17 S. 1 ff .<br />

4 CB 17 S. 6 ff .<br />

5 CB 17 S. 13b<br />

6 CB 17 S. 27<br />

7 CB 17 S. 51–51b<br />

8 CB 17 S. 53–53b<br />

9 CB 17 S. 180–180b<br />

10 CB 17 S. 111b<br />

11 CB 17 S. 173<br />

12 CB 17 S. 138–138b<br />

13 Mit dem Begriff Personalfreiheit war die Befreiung von<br />

den zu der Zeit noch üblichen Frondiensten gemeint. Es<br />

konnten damit Personen, welche öff entliche Ämter innehatten,<br />

aber keine angemessene Entlohnung erhielten wie<br />

Hebammen, Brunnenmeister, Feuerschauer, Backmeister<br />

oder Ähnliche ausgestattet werden.<br />

des Hauses. Nach Abschluss der Renovierungsarbeiten<br />

wird das „Öffentliche Haus“<br />

in neuem Glanz erstrahlen, sich gut in das<br />

Ortsbild einfügen und wieder für viele<br />

Jahre genutzt werden können.<br />

14 CB 18 S. 148–148b<br />

15 CB<br />

16 Eine Bärn ist eine Trage mit zwei durchgehenden Holmen<br />

und Querleisten sowie vier Abstellfüßen aus Hartholz (Buche,<br />

Esche, Eiche) Mix gefertigt, von zwei Personen zum<br />

Tragen von schweren Lasten oder sperrigen Gütern verwendet,<br />

hier Brot, Kuchen. In abgewandelter Ausführung<br />

auch für Steine, Erde oder Stalldung oder zur Anwendung<br />

in den Weinbergen.<br />

17 CB 29 S. 215<br />

18 CB 29 S. 148<br />

19 CB 29 S. 159<br />

20 CB 31 S. 496<br />

21 CB 34 S. 193<br />

22 CB 36 S. 468<br />

247


248<br />

Die Waagen im Dorf und das Waaghäusle<br />

Wann genau die erste Waage in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

ihre Anwendung fand, lässt sich<br />

nicht genau feststellen. Ein erster Hinweis<br />

fi ndet sich, als Bürgerausschuss und Gemeinderat<br />

am 3. August 1839 über die<br />

neuen, geänderten Richtlinien zur Aufstellung<br />

der Waagen informiert wurden,<br />

und darüber verhandelt haben 1 . Übrigens<br />

war die hiesige Waage damals noch eine<br />

mobile Einrichtung, und der Transport sowie<br />

eine geeignete und zulässige Aufstellmöglichkeit<br />

zu fi nden, verursachten oft<br />

Probleme. Am 14. September 1866 steht<br />

die Anschaff ung einer Brückenwaage zur<br />

Debatte 2 :<br />

Es ist schon öfter vom Aufstellen eines<br />

verpfl ichteten Wagmeisters u. Ankauf einer<br />

Decimal-Brückenwage die Rede gewesen<br />

u. kam dieser Gegenstand heute wieder<br />

auf Anregung des Ortsvorstehers zur<br />

Sprache. Von beiden Collegien wird einstimmig<br />

beschlossen<br />

a) Vom 1. October d.J. an eine Brückenwage<br />

von etwa 8 bis 10 Ctr. Tragkraft anzuscha<br />

en;<br />

b) den Johann Lumpp, Br. Als Wagmeister<br />

aufzustellen u. vom Ortsvorsteher in<br />

Pfl icht nehmen zu lassen<br />

c) die Waggebühren auf 1 ½ Kreuzer pro<br />

Ctr. festzusetzen, welche in der Regel der<br />

Käufer zu bezahlen hat und im Streitfall<br />

auch Erkenntniß der Gebühr zu zahlen ist.<br />

Zur Beurkundung,<br />

Bürgerausschuß<br />

Lehmann<br />

Nef<br />

Herrmann<br />

Schlegel<br />

Lumpp<br />

Ch. Lumpp<br />

ad. b) sogleich geschehen<br />

T. Johann Lumpp<br />

erw. Auszug gefertigt u. der Gemeindepfl<br />

ege zugestellt<br />

In der Folgezeit fi nden sich immer wieder<br />

Einträge den Waagmeister oder die Waagen<br />

betreff end. So ist protokolliert 3 , dass<br />

Gemeinderat und Bürgerausschuss am 11.<br />

März 1872 über die Anschaff ung einer so<br />

genannten Schnellwaage verhandelt haben,<br />

nachdem die alte Waage vom Pfl ichtamt<br />

(Eichamt) für unbrauchbar zurückgewiesen<br />

und nicht gestempelt wurde. Da<br />

die 1866 angeschaff te Brückenwaage<br />

nicht schnell genug sei, und auch nicht so<br />

leicht transportiert werden kann, so wird<br />

die Anschaff ung einer solchen Waage mit<br />

3½ Zollzentner oder 175 Kilogramm Tragkraft<br />

empfohlen, und soll der Gemeindepfl<br />

eger den Auftrag erhalten, nun jene<br />

oben genannte Waage beim Mechanikus<br />

Dewald in Heilbronn, der sie um 21 Gulden<br />

zu liefern zugesagt hat, zu bestellen.<br />

Zur damaligen Zeit war es üblich, dass die<br />

Waagen zwar im Eigentum der Gemeinde<br />

waren, aber an (hoff entlich) geeignete Bewerber<br />

verpachtet wurden. Diese von den<br />

Kollegien bestellten, und durch den Ortsvorsteher<br />

eingewiesenen Waagmeister<br />

hatten das zuvor ausgehandelte Waagpachtgeld<br />

an die Gemeindekasse zu entrichten,<br />

dafür fl ossen ihnen die Waaggebühren<br />

zu. Dass die Einnahmen für den<br />

Waagmeister seinen Aufwendungen entsprechend<br />

mitunter nicht gerecht wurden,<br />

ist in folgendem Protokoll zu lesen 4 :<br />

Wagmeister Johann Lumpp bittet um Ermäßigung<br />

des Pachtgeldes für die Gemeindewage.<br />

Nach gepfl ogener Beratung<br />

wird in Betracht, daß seit der Bestellung<br />

des Wagmeisters Conkurrenz eingetreten<br />

und hierdurch der Verdienst desselben<br />

verringert ist.<br />

Beschloßen: das Pachtgeld vom 1. Juli<br />

1873 auf 3 f [Gulden] und pro 1. Juli<br />

1874/75 auf 2 f festzusetzen, respektive<br />

ermäßigen. Gemeinderaht u. Bürgerauschuß.


Auch in den nachfolgenden 1880 / 90er<br />

Jahren hatten Gemeinderat und Bürgerkollegien<br />

immer wieder über die Waagmeister,<br />

die Waagpachten oder Pachtgeldreduzierungen<br />

zu beraten. Eine gravierende<br />

Änderung bezüglich der Waagen<br />

sollte es 1903 geben, was auch den fi nanziellen<br />

Rahmen der Gemeinde überschritt.<br />

Eine Bodenbrückenwaage sollte bzw.<br />

musste angeschaff t werden, um der Erfordernis<br />

des Wiegens von Fuhrwerken mit<br />

größeren Lasten gerecht zu werden; die<br />

vorhandenen Waagen konnten dies nicht<br />

mehr erfüllen. Am 15. August 1903 wurde<br />

deshalb beschlossen 5 :<br />

1.) Es soll die notwendig gewordene Bodenbrückenwaage<br />

angescha t, und<br />

am Kelterplatz aufgestellt werden. Da<br />

die Gemeinde aber nicht in der Lage<br />

war, die Kosten von ca. 1000 M aus<br />

den laufenden Haushalten zu erbringen,<br />

sollte ein Antrag an die „Hohe Königl.<br />

Kreisregierung“ mit der Bitte um<br />

Genehmigung zu erteilen, daß die 1000<br />

M für diese Bodenbrückenwage dem<br />

Grundstock der Gemeinde entnommen<br />

werden dürfen.<br />

2.) Wegen Bescha ung der Wage fehlt die<br />

Genehmigung von der Königl. Kreisregierung<br />

somit ist eine ö entliche Ausschreibung<br />

zur Einbringung von O erten<br />

wegen Lieferung der Wage noch<br />

nicht zulässig.<br />

Die Antwort der Königlichen Kreisregierung<br />

ließ lange auf sich warten. Sicherlich<br />

hatte man dort die fi nanzielle Situation<br />

der Gemeinde eingehend geprüft und beraten.<br />

Die Entscheidung, den Grundstock<br />

anzugreifen, war mit Sicherheit keine<br />

leichte. Die Königliche Kreisregierung hat<br />

mit Datum vom 31. Dezember 1903, lt. Erlass<br />

Nr. 18914, diesem Angriff auf den<br />

Grundstock und der Entnahme von 1.000<br />

Mark zur Beschaff ung der Bodenbrückenwaage<br />

schließlich zugestimmt. Der Beschluss,<br />

die Bodenbrückenwaage nun an-<br />

zuschaff en, fi el einstimmig bei der Sitzung<br />

am 3. Februar 1904. Unter Einbeziehung<br />

des Straßenmeisters Siehler wurde nun<br />

über den geeigneten Standort diskutiert.<br />

Letztendlich wurde der Platz beim Back-,<br />

Wasch- und Armenhaus wohl als bester<br />

Standort gehalten 6 . Nach der Ausschreibung<br />

in der Neckarzeitung gingen neun<br />

Off erten bei der Gemeindeverwaltung ein.<br />

Im Januar 1905 wurde dann der Firma L.<br />

Wagner, Waagenfabrik, Heilbronn, der Zuschlag<br />

zur Lieferung der Bodenbrückenwaage<br />

mit 7.500 Kilogramm Tragkraft und<br />

mit Billetdruckapparat zum Preis von 750<br />

Mark der Zuschlag erteilt.<br />

Vertrag mit der Firma Wagner, Heilbronn,<br />

über die Lieferung einer Bodenbrückenwaage<br />

mit Billetdruckapparat, 1905<br />

249


250<br />

Die Arbeiten zum Einbau der Waage einschließlich<br />

des Waaghäuschens wurden,<br />

soweit im Ort ansässig, an die hiesigen<br />

Handwerker vergeben. Die Maurerarbeiten<br />

z. B. erhielt Maurer Stehpan um die<br />

Summe von 340 Mark. Der Vertrag sah<br />

vor, dass die Waage am 1. April 1905 einsatzbereit<br />

sein sollte. Da aber die Maurerarbeiten<br />

erst am 27. April vergeben wurden,<br />

war dies nicht möglich. Fertiggestellt<br />

und einsatzbereit war die Waage dann im<br />

Juli. Bei der Sitzung am 8. Juli 1905 7 , wobei<br />

beide Gremien vollzählig mit je sieben<br />

Mitgliedern anwesend waren, wurden die<br />

Waaggebühren festgelegt. Ein beladener<br />

Wagen bis 15 Zentner kostete 30 Pfennig,<br />

darüber 50 Pfennig, für einen leeren Wagen<br />

mussten 20 Pfennig bezahlt werden.<br />

Bei den Gebühren hatte man sich an die<br />

der Nachbargemeinde Eberstadt angepasst.<br />

Des Weiteren musste bei dieser Sitzung<br />

aus drei Bewerbern ein Waagmeister<br />

bestimmt werden. Folgende Personen hatten<br />

sich um die Stelle beworben: August<br />

Plenefi sch, Karl Euerle und Gottlieb<br />

Schick. Mehrheitlich entschied man sich<br />

für Karl Euerle als Waagmeister, und als<br />

Stellvertreter für August Plenefi sch. Des<br />

Weiteren hatte der Ortsvorsteher Lambert<br />

Herrmann die Kollegien über das dem<br />

Monteur Sinn nach Fertigstellung der<br />

Waage übergebene Trinkgeld in Höhe von<br />

fünf Mark informiert.<br />

Waagmeister Euerle hat seinen Dienst sehr<br />

lange versehen, sicherlich zur Zufriedenheit<br />

aller. Lange Zeit war es ruhig um die<br />

Waage, bis zum 3. September 1935, als<br />

sich im Gemeinderatsprotokoll 8 Folgendes<br />

fi ndet, worüber der Gemeinderat zu beraten<br />

hatte:<br />

Nach Schluß der Tagesordnung bringt ein<br />

Bürgervertreter folgendes vor:<br />

1 CB 17, S. 137<br />

2 CB 24, S. 105b § 157<br />

3 CB 24, S. 323b<br />

4 CB 25, S. 126<br />

Waaghäusle rechts neben Poststelle, 1955<br />

Den Juden soll das Wiegen von Vieh auf<br />

der Gemeindebodenwaage untersagt werden.<br />

Entschließung: der Bürgermeister hat<br />

dem Waagmeister Euerle davon Erö nung<br />

zu machen und entsprechend Weisung zu<br />

geben.<br />

Weitere Waagmeister nach Euerle bis zur<br />

Aufgabe der Waage Anfang der 1980er<br />

Jahre waren: Christian Plenefi sch, Gustav<br />

Stephan, Wilhelm Kuttruf, August Kuttruf.<br />

Das weitere Betreiben der Waage war aus<br />

den nachfolgend genannten Gründen<br />

nicht mehr gegeben. Zum einen gab es die<br />

jährlichen Unterhaltungskosten, die Wiegungen<br />

waren stark rückläufi g, sicherlich<br />

war u. a. hierfür auch die Baugröße der<br />

Waage mit nur 7,5 Tonnen Tragkraft mitverantwortlich.<br />

Eine Erneuerung der<br />

Waage auf den notwendigen technischen<br />

Stand ließ sich somit nicht rechtfertigen.<br />

Wieder ging ein Stück, das über Jahrzehnte<br />

zu den notwendigen örtlichen Einrichtungen<br />

zählte, verloren.<br />

5 CB 31, S. 210 § 5<br />

6 CB 31, S. 294<br />

7 CB 31, S. 335 ff .<br />

8 CB 33, S. 295


Die Milchsammelstelle<br />

Milch zählt auch heute noch zu den wichtigen<br />

Grundnahrungsmitteln, wenn sie<br />

auch nicht mehr die große Bedeutung wie<br />

in früheren Jahrzehnten hat. Schon sehr<br />

früh hat man in <strong>Cleversulzbach</strong>, wie auch<br />

in anderen ländlich orientierten Dörfern,<br />

Tiere zur Milcherzeugung gehalten. In der<br />

Regel Kühe, vereinzelt auch Ziegen. Schafe<br />

wurden zwar auch in großer Zahl gehalten,<br />

doch hauptsächlich der Wolle wegen.<br />

Wurden Kühe anfangs hauptsächlich zur<br />

Eigenversorgung gehaltenen, so wurde<br />

schon bald die überschüssige Milch im<br />

freien Handel verkauft. Um den Milchabsatz<br />

aber in geordnete Bahnen zu lenken,<br />

wurden in den 1920er Jahren vielerorts<br />

Molkereien gegründet, die den Bauern<br />

ihre Milch abkauften.<br />

Für die Milch der <strong>Cleversulzbach</strong>er Bauern<br />

bewarb sich die 1926 gegründete „Bezirksmolkerei<br />

Kochertal“ in Neuenstadt am<br />

Kocher. Sie richtete 1927 im Untergeschoss<br />

des Rathauses eine Milchsammelstelle<br />

ein, wo morgens und abends die<br />

Milch in Kannen angeliefert werden<br />

konnte. Sie wurde mit einem Pferdewagen<br />

abgeholt. Leiter der Sammelstelle war August<br />

Bordt.<br />

Anfang der 1930er Jahre wurde die deutsche<br />

Milchwirtschaft grundlegend umstrukturiert.<br />

Es erschien ein nationales<br />

Milchgesetz, dessen Hauptzweck es war,<br />

die leicht verderbliche Milch vor mangelnder<br />

Hygiene zu schützen. Alle mit der<br />

Milch in Berührung kommenden Personen,<br />

Gebäude (auch Milchsammelstellen)<br />

und Geräte mussten erlassenen Vorschriften<br />

genügen, deren Einhaltung regelmäßig<br />

überprüft wurde. Milchhändler wurden<br />

erst auf genehmigten Antrag zugelassen,<br />

wobei ein amtsärztliches Zeugnis vorzuliegen<br />

hatte, dass keine ansteckenden<br />

Krankheiten vorlagen.<br />

Zur Durchsetzung des Milchgesetzes<br />

wurde 1932 vom Württembergischen<br />

Wirtschaftsministerium ein „Milchwirtschaftlicher<br />

Zusammenschluss Unterland“<br />

mit Sitz in Heilbronn verordnet. Um Mitglied<br />

in diesem Zusammenschluss zu werden,<br />

war es angebracht, in den zugehörigen<br />

Gemeinden „Milcherzeugervereinigungen“<br />

zu gründen, um die Interessen<br />

der einzelnen Milchbauern besser vertreten<br />

zu können. In <strong>Cleversulzbach</strong> wurde<br />

daraufhin am 12. Februar 1933 durch 40<br />

anwesende Milcherzeuger die „Milcherzeugervereinigung<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>“ gegründet.<br />

Als Vorsitzender wurde für drei<br />

Jahre Bürgermeister Lambert Herrmann<br />

gewählt.<br />

1935 wurde die Milchsammelstelle als<br />

nicht mehr den Vorschriften genügend<br />

eingestuft und es musste nach einem anderen<br />

Raum gesucht werden. Die zunächst<br />

ins Auge gefasste Waschküche der alten<br />

Lehrerwohnung eignete sich nicht, weil sie<br />

im Winter schwer zugänglich war. Schließlich<br />

wurde von der Gemeinde die obere<br />

Rathausremise zur Verfügung gestellt, die<br />

ausgeräumt und mit einem Aufwand von<br />

600 RM als Milchsammelstelle hergerichtet<br />

wurde. Die Bezirksmolkerei Kochertal<br />

beteiligte sich an den Kosten, im Gegenzug<br />

dafür setzte sie einen neuen Mietvertrag<br />

mit einer Laufzeit von zehn Jahren<br />

durch.<br />

Während des Krieges wurde die Milch rationiert;<br />

sämtliche Milch bis auf täglich<br />

einen halben Liter pro Person des Milchbetriebes<br />

musste an die Sammelstelle abgeliefert<br />

werden. Leiterin war inzwischen<br />

Emma Bordt, unterstützt von ihrer Tochter<br />

Elli.<br />

Auch in den ersten Jahren nach dem Krieg<br />

war die Milch knapp. Die Bezirksmolkerei<br />

Kochertal verzeichnete einen drastischen<br />

251


252<br />

Rückgang der Milchanlieferung, zweifellos<br />

weil viele Milcherzeuger einen Großteil<br />

der Milch für sich zurückhielten, selbst<br />

verbutterten oder auf dem Schwarzmarkt<br />

absetzten. Der Heilbronner Landrat ermahnte<br />

daher im Dezember 1945 auch<br />

den <strong>Cleversulzbach</strong>er Bürgermeister, energisch<br />

gegen solche Gesetzesüberschreitungen<br />

vorzugehen. Kurz danach wurde<br />

vom Landrat angeordnet, dass sämtliche<br />

Buttermaschinen und Buttergläser auf<br />

dem Rathaus abzuliefern seien, und der<br />

Bürgermeister wurde aufgefordert, nachzuprüfen,<br />

ob dieser Anordnung überall<br />

nachgekommen worden war.<br />

Aber auch die Milchsammelstelle blieb<br />

weiter ein Problemkind. Bei Kontrollen<br />

wurde regelmäßig die fehlende Sauberkeit<br />

reklamiert. Die im Herbst 1950 durchgeführte<br />

Renovierung durch die Bezirksmolkerei<br />

Kochertal, bei der die verputzten<br />

Wände erneuert und bis zu einer Höhe von<br />

1,6 Metern mit einem abwaschbaren<br />

Farbanstrich versehen wurden, war der Gesundheitsbehörde<br />

nicht ausreichend; es<br />

wurde verlangt, den gesamten Raum mit<br />

Wand- und Bodenplatten zu versehen.<br />

Diese Verbesserung wurde von der Bezirksmolkerei<br />

zwar begrüßt, aber man sah sich<br />

aus fi nanziellen Gründen zu dem Zeitpunkt<br />

(1951) nicht in der Lage, die geschätzten<br />

Kosten von 2.500 DM zu tragen, zumal<br />

man mit der Wiederherstellung der durch<br />

den Krieg zerstörten Milchsammelstellen<br />

noch nicht fertig war. Aus dem gleichen<br />

Grund konnte die Errichtung einer neuen<br />

Sammelstelle in <strong>Cleversulzbach</strong> in absehbarer<br />

Zeit nicht ins Auge gefasst werden.<br />

Diese Situation wurde vom Landratsamt<br />

nicht akzeptiert und man drängte weiter<br />

auf eine baldige Verbesserung. Nach längerer<br />

Verhandlung war die Bezirksmolkerei<br />

schließlich bereit, die Kosten für den<br />

Belag mit Wand- und Bodenplatten sowie<br />

zwei Lüftern zu übernehmen, wobei sie<br />

dafür eine Mietverlängerung um 20 Jahre<br />

bis 1972 aushandelte. Zu dieser größeren<br />

Renovierung kam es dann doch nicht;<br />

denn nach einjährigem Hin und Her stellte<br />

es sich heraus, dass der an sich schon niedere<br />

Raum durch das Anbringen von Bodenplatten<br />

noch niedriger würde und die<br />

Wände vor dem Anbringen der Wandplatten<br />

mit einer 12 Zentimeter starken Vormauerung<br />

versehen werden müssten.<br />

Auch die geforderte Verbesserung der<br />

Entlüftung stieß auf große Schwierigkeiten.<br />

Die Bezirksmolkerei sah in diesem<br />

Raum als Sammelstelle keine Zukunft<br />

mehr, wollte deshalb darin nichts mehr<br />

investieren und stattdessen einen Neubau<br />

vorziehen, hatte jedoch, wie man dem<br />

Bürgermeister im Juni 1953 schrieb, noch<br />

keinen Bauplatz gefunden.<br />

Das Landratsamt ließ nicht locker und<br />

mahnte laufend die Verbesserung der hygienischen<br />

Situation an. Im Mai 1954<br />

teilte die Bezirksmolkerei dann mit, dass<br />

man in <strong>Cleversulzbach</strong> eine baufällige<br />

Scheune erworben habe. Nach Räumung<br />

und Abriss wolle man eine neue Sammelstelle<br />

bauen und sie bis Ende 1954 in Betrieb<br />

nehmen. Der Termin wurde eingehalten<br />

und seitdem konnte die Milch an eine<br />

allen Vorschriften entsprechende Sammelstelle<br />

angeliefert werden. Eine kleine<br />

Rampe mit seitlichen Stufen erleichterte<br />

die An- und Abfuhr.<br />

Auch die neue Sammelstelle hielt den<br />

schärfer werdenden Vorschriften nicht<br />

lange stand. So wurde im August 1962 beanstandet,<br />

dass die Einzelteile der Milchpumpe<br />

gängig gemacht werden müssten<br />

und die Pumpe danach täglich auseinander<br />

genommen werden soll. Im Dezember<br />

1966 wurden die ungenügende Waschgelegenheit<br />

sowie das Fehlen von Handtuch<br />

und Handbürste beanstandet. Auch sei die<br />

neue Sammlerin Pauline Ohr, die nach dem<br />

altersbedingten Ausscheiden von Emma<br />

Bordt die Sammelstelle übernommen<br />

hatte, noch nicht amtsärztlich untersucht


worden. Dies wurde mit positivem Bescheid<br />

nachgeholt und auch die kleineren<br />

Beanstandungen von der Bezirksmolkerei<br />

behoben. Eine größere Reklamation stand<br />

dagegen im Februar 1971 an. Die Türen<br />

und Fenster mussten neu gestrichen werden,<br />

ebenso der Unterbau der Milchwaage<br />

(immerhin stand das Gebäude jetzt 15<br />

Jahre). Außerdem musste ein Warmwasserbereiter<br />

angeschaff t werden, denn der bisher<br />

benutzte Tauchsieder wäre nicht ausreichend,<br />

um genügend heißes Wasser für<br />

die vorschriftsmäßige Reinigung sämtlicher<br />

Geräte und Gefäße herzustellen. Eine<br />

letzte dokumentierte Beanstandung betraf<br />

im August 1974 einen nicht mehr zulässigen<br />

Sammelbehälter, der daraufhin ausgesondert<br />

worden ist.<br />

Die Tage der Milchsammelstelle waren ohnehin<br />

gezählt. Die im Volksmund gern<br />

„Milchhäusle“ genannte Sammelstelle war<br />

über viele Jahre nicht nur der Ort, wo die<br />

zahlreichen Milchbauern (in der Blütezeit<br />

weit über 60) ihre überschüssige Milch ablieferten,<br />

sondern war auch morgens und<br />

abends ein Kommunikationstreff punkt für<br />

das Dorf. Hier traf man sich zu einem<br />

„Schwätzle“ und so manche Bekanntschaft<br />

fürs Leben wurde dort geknüpft.<br />

Dies ließ allmählich nach, zunächst langsam,<br />

dann aber immer rascher werdend,<br />

weil mehr und mehr Bauern ihre Ställe<br />

wegen Unrentabilität schlossen. In der<br />

Milchwirtschaft setzte eine große Konzentration<br />

ein. Die Bezirksmolkerei Kochertal<br />

in Neuenstadt, seit längerem eine Zweigstelle<br />

der Südmilch AG in Heilbronn (jetzt<br />

Friesland Campina) wurde Ende der<br />

1970er Jahre geschlossen, was auch das<br />

Ende der Milchsammelstelle in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

bedeutete. Die Milch wurde von da<br />

an täglich, später alle zwei Tage direkt von<br />

der Heilbronner Molkerei mit einem Tankzug<br />

abgeholt. Inzwischen (2012) nur noch<br />

bei einem Milchbauern, dem Hofgut von<br />

Manfred und Andreas Bürger an der Eberstädter<br />

Straße, die mit 40 Kühen und regelmäßigem<br />

Kälbernachwuchs die Tradition<br />

der Milchbauern in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

aufrecht erhalten. Wie lange noch? Das<br />

bleibt off en. Sohn Andreas will sich jedenfalls<br />

mit der Zucht von Angus-Rindern<br />

eine von der Milch unabhängige Zukunft<br />

aufbauen. Für ihn, der das „Milchhäusle“<br />

nur vom Hörensagen kennt, ist die Milchsammelstelle<br />

schon lange Geschichte geworden,<br />

wie auch für alle anderen jüngeren<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er.<br />

Milchsammelstelle von<br />

1955 bis 1978, das Gebäude<br />

war eine Zeit<br />

lang verpachtet, jetzt<br />

leerstehend (Foto 2012)<br />

253


254<br />

Gemeindehaus – Kelter-Halle<br />

Die heutige Kelter-Halle ist aus dem Dorfleben<br />

von <strong>Cleversulzbach</strong> nicht mehr wegzudenken.<br />

Die 1956 eingeweihte und<br />

1988 umgebaute und erweiterte Multifunktionshalle<br />

dient als Treff punkt für<br />

kulturelle, sportliche und viele andere<br />

dorfbezogene Veranstaltungen. Außerdem<br />

sind dort die Feuerwehr und – namensgebend<br />

– auch die Kelter untergebracht.<br />

Dieses Gebäude ersetzte den Bau der früheren<br />

alten Kelter, die nach verschiedenen<br />

Quellen dort seit 1529 gestanden hat.<br />

Der Bedarf für eine Mehrzweckhalle entstand<br />

in den Nachkriegsjahren, als auch in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> der Ausbau der Infrastruktur<br />

vorangetrieben wurde und das Wirtschafts-<br />

und kulturelle Leben seinen Aufschwung<br />

nahm.<br />

Eberstädter Straße. Im Hintergrund rechts<br />

die alte Kelter mit ihrem großen schrägen<br />

Dach<br />

Es begann mit der Feuerwehr, die über<br />

lange Jahre im Untergeschoss des Rathauses<br />

ihr „Spritzenlokal“ besaß, das immer enger<br />

wurde und neu angeschaff te Geräte nicht<br />

mehr aufnehmen konnte. Als erste Lösung<br />

wurde daher am 24. November 1952 im Gemeinderat<br />

beschlossen, ein neues Feuerwehr-Magazin<br />

zu bauen. Architekt Hedinger<br />

aus Kochersteinsfeld wurde mit der Pla-<br />

nung und dem Bau beauftragt, der auf dem<br />

Grundstück hinter dem Farrenstall erstellt<br />

wurde. Die daneben stehende alte Kelter-<br />

Remise war baufällig und musste abgebrochen<br />

werden, was die Ausfahrt vom Feuerwehr-Magazin<br />

begünstigte.<br />

Auch in der alten Kelter wurde der Platz<br />

eng. Die zunehmende Anzahl von Bütten<br />

und Berggölten konnte kaum noch aufgenommen<br />

werden. Nach dem Abbruch der<br />

baufälligen alten Kelterremise wurde beschlossen,<br />

eine neue Remise am Farrenstallgebäude<br />

zu bauen.<br />

Neben diesen wirtschaftlichen Erfordernissen<br />

entstand auch ein Bedürfnis nach<br />

Versammlungs- und Übungsräumen. So<br />

suchte der Musikverein nach einem geeigneten<br />

Raum und erhielt schließlich im Mai<br />

1952 die Erlaubnis, in der Kelterstube<br />

seine Übungen abzuhalten. Der Schlüssel<br />

musste jedes Mal beim Fronmeister abgeholt<br />

werden. Auch die Schule bemühte<br />

sich um zusätzliche Räume, um den gestiegenen<br />

Anforderungen zu genügen.<br />

Und so lag der Gedanke, ein Gemeindehaus<br />

zu bauen, in dem die Feuerwehr, die<br />

Kelter und Veranstaltungsräume unter einem<br />

Dach untergebracht werden konnten,<br />

seit längerem in der Luft. Doch erstaunlicherweise<br />

ist in den Gemeinderats-Protokollen<br />

kein offi zieller Beschluss zum Bau<br />

eines solchen Gebäudes zu fi nden. Der<br />

erste Hinweis darauf steht im Protokoll<br />

vom 18. Juni 1954, wo es unter § 1 heißt:<br />

Betr.: Architekt für Kelterbau<br />

Mehrere Architekten haben sich um die<br />

Planung des Kelterbaues beworben. Nach<br />

eingehender Beratung wird in geheimer<br />

Abstimmung mit 6 gegen 2 Stimmen beschlossen<br />

Architekt Alber aus Heilbronn<br />

den Planungsauftrag zum Kelterneubau<br />

zu geben.<br />

Dieses Bauprojekt – das umfangreichste<br />

bisher in der Geschichte von Cleversulz-


ach – beschäftigte den Gemeinderat danach<br />

auf vielen Sitzungen über die nächsten<br />

zweieinhalb Jahre, denn schon fünf<br />

Monate später legte Architekt Herbert Alber<br />

die Pläne für das Gemeindehaus vor,<br />

in dem neben der Kelter auch ein Feuerwehr-Gerätemagazin<br />

und ein Gemeindesaal<br />

mit Bühne vorgesehen war, der auch<br />

als Turnsaal genutzt werden konnte; daneben<br />

eine Küche mit Anrichte. Im Untergeschoss<br />

war ein großer Obstkeller geplant<br />

sowie ein Baderaum mit zwei Wannenbädern,<br />

drei Duschen und einem Brauseraum.<br />

Diesem Plan wurde zugestimmt<br />

und der Bauantrag nach Beseitigung einiger<br />

Unklarheiten im Frühjahr 1955 beim<br />

Landratsamt eingereicht. Am Ende lagen<br />

die Gesamtkosten von 240.674 DM nur<br />

unwesentlich über den anfangs geplanten<br />

215.000 DM.<br />

Die alte Kelter wurde abgerissen und<br />

gleichzeitig hinter dem Farrenstallgebäude<br />

ein Anbau erstellt, in dem die Bütten<br />

und Berggölten untergestellt werden<br />

konnten. Diese Kelterremise war Ende Juni<br />

1955 fertig, der Lagerraum wurde verpachtet.<br />

Der Bau des Gemeindehauses (in den Protokollen<br />

fast immer nur verkürzt mit „Kelterneubau“<br />

angesprochen; auch die Bauerlaubnis<br />

war nur betitelt „Bauerlaubnis<br />

für eine Kelter mit Turnhalle und Feuerwehrgerätemagazin“)<br />

schritt zügig voran.<br />

Für die Kelter wurde eine neue Presse der<br />

Firma AMOS aus Sontheim (heute Teilort<br />

von Heilbronn) beschaff t. Die Klapptische<br />

und Klappstühle für den Turn- und Gemeindesaal<br />

kamen von der Hohenloher<br />

Schulmöbel- und Turngerätefabrik aus<br />

Öhringen. Den Bühnenvorhang lieferte die<br />

Firma Staib aus Stuttgart.<br />

Im November 1956 war es dann so weit.<br />

Bürgermeister Nef lud zur Einweihung des<br />

Gemeindehauses am Sonntag, den 15. Dezember<br />

1956 nachmittags um 16 Uhr ein.<br />

Fast ganz <strong>Cleversulzbach</strong> war zugegen, als<br />

nach Ansprachen von Bürgermeister Richard<br />

Nef und Landrat Eduard Hirsch der<br />

Hausschlüssel feierlich vom Architekten<br />

Herbert Alber dem Bürgermeister übergeben<br />

wurde. Zahlreiche Ehrengäste wohnten<br />

der Einweihung bei, so MdL Lang,<br />

NSU-Direktor Wesp und Kreisbrandinspektor<br />

Rebmann. Die Einweihungsfeier wurde<br />

durch Gedicht- und Gesangsvorträge des<br />

Männerchores „Liederkranz“, des Gemischten<br />

Chores und Schüler der Volksschule<br />

umrahmt. Die Regie führte dabei der damalige<br />

Hauptlehrer Helmut Braun.<br />

In zwei Artikeln der Heilbronner Stimme<br />

wurde dieses Ereignis als denkwürdiger<br />

Die neue Kelter-Halle nach ihrer Einweihung<br />

1956<br />

Tag für <strong>Cleversulzbach</strong> hervorgehoben.<br />

Mit der Geschichte von Kelter und Gemeindehaus<br />

ist auch das Schicksal der Eiche<br />

verbunden, die ursprünglich davor gestanden<br />

hatte. Diese 1883 zum 400. Geburtstag<br />

von Martin Luther gepfl anzte so<br />

genannte Luther-Eiche wurde sehr bald<br />

im Volksmund nur noch Kelter-Eiche genannt.<br />

Lange hielt sie Wind und Wetter<br />

stand. Doch nach 100 Jahren zeigten sich<br />

starke Fäulniserscheinungen. Sie musste<br />

schließlich im Frühjahr 2004 zum Leidwe-<br />

255


256<br />

sen vieler <strong>Cleversulzbach</strong>er aus Sicherheitsgründen<br />

gefällt werden.<br />

Das Gemeindehaus – oft nur kurz Kelter<br />

genannt – wurde in den folgenden Jahren<br />

von der Bevölkerung, besonders auch den<br />

Vereinen, gut angenommen. Im Gemeindesaal<br />

fanden viele Veranstaltungen statt.<br />

Auch der Baderaum wurde anfangs regelmäßig<br />

aufgesucht, da noch viele alte Häuser<br />

ohne eigenes Badezimmer waren.<br />

Mit dem Bau neuer modern eingerichteter<br />

Häuser ging später der Besuch der Baderäume<br />

praktisch auf null zurück, so dass der<br />

Badebetrieb eingestellt wurde. Die Baderäume<br />

wurden daraufhin im November<br />

1984 dem Rad- und Motorsportclub <strong>Cleversulzbach</strong><br />

von 1921 e.V. (RMC) auf dessen<br />

Antrag zur kostenlosen Nutzung überlassen.<br />

Der RMC hat sie auf eigene Kosten umgebaut<br />

und für seine Zwecke hergerichtet.<br />

Nach etwa 25 Jahren wurden Reparaturen<br />

immer häufi ger, auch zeigte es sich, dass<br />

die Elektro-Installation, die Heizungs- und<br />

Lüftungsanlage und nicht zuletzt die Toiletten-<br />

und Waschräume nicht mehr zeitgemäß<br />

waren. Auch die Größe des Festsaales<br />

entsprach nicht mehr der gestiegenen<br />

Bevölkerungszahl. Bei vielen Vereinsveranstaltungen<br />

war die Halle jeweils übervoll<br />

und Fragen der Sicherheit bedrückten zunehmend<br />

die Veranstalter. Daher reifte<br />

schon Anfang der 1980er Jahre im Ortschaftsrat<br />

der Gedanke, das Gemeindehaus<br />

umzubauen und zu vergrößern.<br />

Architekt Werner Rüdele aus Neuenstadt<br />

erhielt den Auftrag, mehrere Varianten<br />

zum Umbau auszuarbeiten. Im März 1985<br />

trug er dem Ortschaftsrat vier Planungsvarianten<br />

vor. Die einfachste Variante lag<br />

bei geschätzten Kosten von 300.000 DM,<br />

die umfangreichste Variante 4 bei 655.000<br />

DM. Der Ortschaftsrat entschied sich für<br />

diese Variante, u. a. auch, weil sie die Vergrößerung<br />

des Saales für ca. 60 zusätzliche<br />

Personen beinhaltete. In mehreren<br />

Sitzungen der folgenden zwei Jahre wurde<br />

die Planung weiter konkretisiert, wodurch<br />

aber auch die geschätzten Kosten auf<br />

950.000 DM anstiegen. Im August 1988<br />

wurden Details der Inneneinrichtung und<br />

der Fertigstellungstermin auf Ende November<br />

1988 festgelegt. Einwände des<br />

Umweltschutzamtes zum Schutz der als<br />

Naturdenkmal stehenden Keltereiche<br />

machten Änderungen in der Fundamentierung<br />

notwendig, um den Wurzelbereich<br />

der Eiche nicht zu gefährden. Auch die<br />

Dachneigung musste wegen der Baumkrone<br />

verändert werden.<br />

Rechtzeitig vor der Einweihung wollte<br />

man der umgebauten Gemeindehalle auch<br />

einen neuen Namen geben. Im Amtsblatt<br />

wurde die Bevölkerung aufgerufen, Namensvorschläge<br />

zu machen. Von den 33<br />

eingegangenen Vorschlägen wollte die<br />

Mehrheit (55 %) im Namen einen Bezug zu<br />

Eduard Mörike sehen. Doch nach eingehender<br />

Beratung im Ortschaftsrat kam klar<br />

zum Ausdruck, dass eine Beziehung zur<br />

Kelter in den Namen einfl ießen musste.<br />

Schließlich wurde einstimmig beschlossen,<br />

das Gebäude Kelter-Halle zu nennen.<br />

Das in Kratztechnik (Sgra to) hergestellte<br />

Wandbild an der Straßenseite erstellte der<br />

bekannte Heilbronner Künstler Walter<br />

Maisak (1912–2002)


Am 26. November 1988 konnte die<br />

für rund eine Million Mark sanierte<br />

und erweiterte Kelter-Halle nach<br />

neunmonatiger Bauzeit mit einem<br />

großen Festabend eingeweiht werden.<br />

Architekt Werner Rüdele übergab<br />

den symbolischen Schlüssel an<br />

Bürgermeister Rolf Bernauer, der<br />

dann die Schlüsselgewalt an Ortsvorsteher<br />

Werner Uhlmann weiterreichte.<br />

An die 200 <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

nahmen an dem Festakt teil, der<br />

vom Mörike-Chor und dem Akkordeon-Spielring<br />

musikalisch umrahmt<br />

wurde. Kunststücke auf Fahrrädern<br />

wurden vom Rad- und Motorsportclub<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> vorgeführt.<br />

Staatssekretär Hermann<br />

Mühlbeyer vom baden-württembergischen<br />

Sozialministerium überbrachte<br />

nicht nur die Grüße seiner Amtskollegen<br />

sondern auch einen Scheck über<br />

293.000 DM aus dem Förderprogramm<br />

„Ländlicher Raum“. Insgesamt hatte das<br />

Land aus verschiedenen Töpfen knapp die<br />

Die Kelter-Halle nach dem 1988 durchgeführten<br />

Erweiterungsbau. Im Vordergrund<br />

der bei dieser Gelegenheit angelegte Dorfbrunnen<br />

Hälfte zur Finanzierung der Kosten beigesteuert.<br />

Landrat Otto Widmaier würdigte<br />

in seiner Ansprache die Tatsache, dass hier<br />

eine gute Verschmelzung des Gebäudes<br />

von 1956 und der neuen Bausubstanz gelungen<br />

sei.<br />

Dem Festabend schloss sich am Sonntag<br />

(1. Advent) ein „Tag der off enen Tür“ an,<br />

der rege zur Besichtigung der renovierten<br />

und neuen Räume genutzt wurde. Die<br />

„Heilbronner Stimme“ berichtete am Montag<br />

darauf in einem längeren Artikel mit<br />

einem Foto von der Schlüsselübergabe<br />

über dieses für <strong>Cleversulzbach</strong> so bedeutende<br />

Ereignis. Am Samstagnachmittag<br />

Neue Keltereiche, gepfl anzt anlässlich der<br />

Einweihung der neuen Kelter-Halle am 26.<br />

November 1988 (v. r.: Bürgermeister Rolf Bernauer,<br />

Roland Seebold, Thomas Schulze, Dieter<br />

Plenefi sch, Willi Korb, Otto Lumpp, Klaus<br />

Schlegel, Ortsvorsteher Werner Uhlmann)<br />

257


258<br />

hatte bereits der Ortschaftsrat zum Gedenken<br />

an diesen Tag auf dem Vorplatz<br />

eine junge Eiche gepfl anzt. (Bedauerlicherweise<br />

ist dieser Baum aber schon einige<br />

Jahre später aufgrund eines 1.-Mai-<br />

Streiches wieder eingegangen).<br />

Vom Reinerlös der Einweihungsfeier (ca.<br />

700 DM) und dem Gastscheck des Landkreises<br />

Heilbronn über 1.500 DM wurde<br />

für die Kelter-Halle ein hölzernes Ortswappen,<br />

gestaltet von der Neckarsulmer<br />

Holzbildhauerin Harst, in Auftrag gege-<br />

Die Keltereiche zu <strong>Cleversulzbach</strong> (1883 –2004)<br />

Gepfl anzt wurde die <strong>Cleversulzbach</strong>er Eiche 1883, zum 400. Geburtstag von Martin Luther<br />

als so genannte Luther-Eiche. Unsere Eiche war aufgrund ihrer stattlichen Größe<br />

ortsbildprägend. Ihre Höhe maß 1995 ca. 23 Meter, ihr Kronendurchmesser stattliche<br />

32 Meter, wobei der Stammdurchmesser in ein Meter Höhe 119 Zentimeter betrug.<br />

Die Keltereiche, links die Remise der<br />

alten Kelter, rechts der Farrenstall<br />

(Foto 1930er Jahre)<br />

ben. Aus einem weiteren Spendentopf<br />

wurden im Treppenhaus vier Bleiglasfenster<br />

fi nanziert, die die Jahreszeiten darstellen.<br />

Ein Eduard-Mörike-Fenster wurde von<br />

Ortsvorsteher Werner Uhlmann gestiftet.<br />

Seit dieser Zeit hat die Kelter-Halle viele<br />

Veranstaltungen erlebt. Traditionell werden<br />

die Jahresfeiern der örtlichen Vereine<br />

dort abgehalten und des Weiteren ist die<br />

Halle auch ein gern genutzter Ort für kulturelle<br />

Veranstaltungen und nicht zuletzt<br />

auch für größere Familienfeiern.<br />

Aufgrund von eingedrungenen Pilzen und<br />

fortgeschrittener Fäulnis im Inneren des<br />

mächtigen Stammes (an Wandstärke wurden<br />

nur noch zwischen 8 und 15 Zentimetern gemessen),<br />

war die Standsicherheit nicht mehr<br />

gewährleistet. Der Kronendurchmesser des<br />

Baumes musste auf nahezu die Hälfte seines<br />

damaligen Durchmessers zurückgeschnitten<br />

werden, was nicht nur für den Baum, sondern<br />

auch für die <strong>Cleversulzbach</strong>er sehr schmerzlich<br />

war. Noch schmerzlicher war dann das<br />

Resultat einer Baumuntersuchung im Herbst<br />

2003. Die Zersetzung im Inneren des Stammes<br />

war weiter fortgeschritten und auch durch die<br />

in den Jahren zuvor eingeleiteten Erhaltungsmaßnahmen<br />

nicht mehr aufzuhalten gewesen.<br />

Unsere Keltereiche musste zur Sicherheit<br />

der Bürger gefällt werden, da sie bei jedem<br />

stärkeren Sturm hätte zerbersten können.<br />

Im März 2004 war es so weit. Mit viel Wehmut<br />

im Herzen, aber auch im Bewusstsein um<br />

die Sicherheit der Bürger, wurden die Sägen<br />

an den Baum gesetzt. Gleichzeitig wurde in<br />

der Grünanlage vor der heutigen Kelter-Halle eine junge Eiche gepfl anzt. Zur Erinnerung<br />

an die alte, über 120 Jahre alte Keltereiche wurde eine Baumscheibe für die<br />

Nachwelt erhalten und in der neuen Kelter-Halle angebracht. Werner Uhlmann


Schwierige Zeiten<br />

Die Revolution von 1848 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

In <strong>Cleversulzbach</strong> war die Bevölkerung<br />

zwischen 1812 und 1846 innerhalb von<br />

nur 34 Jahren von 547 auf 688, also um<br />

26 Prozent erheblich angewachsen. Auch<br />

in den umliegenden Gemeinden, sogar in<br />

ganz Deutschland und Mitteleuropa war<br />

diese Einwohnerexplosion in ähnlichem<br />

Ausmaß zu verzeichnen. Die landwirtschaftlichen<br />

Nutzfl ächen, die der Grundversorgung<br />

der Menschen diente, wuchsen<br />

allerdings nicht in dem benötigten<br />

Umfang. Zudem verursachten Witterungsextreme<br />

und verregnete Sommer Missernten<br />

und damit weiter ansteigende Armut.<br />

Auch waren von der Grundherrschaft die<br />

(Wald-)Nutzungsrechte zur Schweinemast<br />

oder Laub- und Streuernte wegen hoher<br />

Kriegsfolgekosten und der Ernährung von<br />

Soldaten stark eingeschränkt, in einigen<br />

Orten ganz verboten worden. Die Folge<br />

der Unterversorgung der Bevölkerung mit<br />

dem Lebensnotwendigsten waren oftmals<br />

Waldfrevel mit Wilderei und Holzdiebstahl<br />

und daraus resultiertender Strafverfolgung<br />

mit Verurteilungen und weiterer<br />

Verarmung der Familien.<br />

Nach den Wirren der Französischen Revolution,<br />

der Napoleonischen Kriege und<br />

dem sich anschließenden Ausbau des Obrigkeitsstaats<br />

machte sich Mitteleuropa,<br />

und in diesem Verbund auch Württemberg,<br />

auf den Weg, sich politisch konservativ<br />

zu festigen und, in einer Epoche industriell<br />

rasanter Entwicklungen, sich<br />

wirtschaftlich zu orientieren. Es setzte<br />

eine Zeit voller Aufbruchstimmung ein, in<br />

der auch die Bürger nach politischer Teilnahme<br />

strebten. Vordringlicher war allerdings<br />

für die Ortsbewohner die Überwindung<br />

der wirtschaftlichen Not, die Her-<br />

auslösung aus der Fronpfl icht und der<br />

Kampf gegen Hunger. Während der Revolution<br />

1848 waren vor allen Dingen die<br />

Grundherren Ziel der Angriff e. Es kam zu<br />

Plünderungen der Rentämter, auch wurden<br />

Verwaltungsangestellte bedroht. Projektionsfl<br />

äche für aufgestaute Aggressionen<br />

boten desgleichen der Gemeinderat<br />

und der Bürgerausschuss.<br />

Es kann davon ausgegangen werden, dass<br />

auch in der Gemeindeverwaltung von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

eine gewisse Besorgnis über<br />

die sich seit einiger Zeit entwickelnde<br />

Spannung zwischen Bürgern und der<br />

Ortsobrigkeit bestand, mit der Befürchtung,<br />

dass auch der Gemeinderat von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

zur Zielscheibe bürgerlichen<br />

Unmuts werden könnte.<br />

Am 8. Mai 1848 vormittags kommt es in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> zu einer Verhandlung vor<br />

dem, wegen der Brisanz der Sache vollständig<br />

versammelten Gemeinderat: Eine<br />

Bürgerabordnung verlangt den Rücktritt<br />

aller (auf Lebenszeit) gewählten Gemeinderäte<br />

einschließlich des Ortsvorstehers,<br />

weil sie ihrer Auff assung nach dem neuen<br />

Zeitgeist nicht mehr entsprechen würden,<br />

ihren berechtigten Existenzsorgen nicht<br />

hinreichend Beachtung zollten. Als entsprechende<br />

Rückversicherung ihres Begehrens<br />

habe man bereits eine Untersuchung<br />

des vorgeworfenen Amtsmissbrauchs<br />

beim Oberamt Neckarsulm eingeleitet.<br />

Von den acht beschwerdeführenden Bürgern<br />

waren vier Weber – ein Berufsstand,<br />

der besonders unter der zunehmenden<br />

Mechanisierung litt und mehr und mehr<br />

verarmte. Bekannt ist der schlesische Weberaufstand<br />

von 1844, der die Folgen der<br />

259


260<br />

Industrialisierung und die Folgen der Einfuhr<br />

ausländischer, billig erworbener Tuche<br />

einer breiten Öff entlichkeit bewusst<br />

machte. Inwieweit sich die <strong>Cleversulzbach</strong>er,<br />

an dem Bürgerbegehren beteiligten<br />

Weber nun 1848 in <strong>Cleversulzbach</strong> als<br />

Vertreter ihrer revolutionären Zunftgenossen<br />

sahen, ließ sich nicht erschließen. Fest<br />

steht, dass mit gleich vier <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Leinewebern unter den Wortführern<br />

ein ohnehin revolutionär gestimmter Berufsstand<br />

in jener unruhigen 1848er-Revolutionszeit<br />

in diesem Ort besonders augenfällig<br />

mitwirkte 1 .<br />

Das abgefasste Gemeinderatsprotokoll zu<br />

dem Vorfall am 8. Mai 1848 liest sich folgendermaßen:<br />

Es erscheinen die hiesigen Bürger:<br />

1. Jakob Korb, Weber<br />

2. Christoph Plenefi sch, Weber<br />

3. Carl Winkler, Weber<br />

4. Christoph Stahl, Schneider<br />

5. Christoph Bord, Weber<br />

6. Gg Friedrich Eurich, B[aue]r<br />

7. Jakob Karg, B[aue]r<br />

8. Heinrich Ernst, Weingtr<br />

angeblich als Deputirte von 52 Bürger u<br />

übergeben dem Gemeinderath einen ununterschriebenen<br />

Aufsatz des Inhalts:<br />

Unserm Herrn Orts Vorsteher und unsere<br />

sämtlich lebenslänglichen gewählten Gemeinderäthe<br />

fordern wir hiemit auf, als<br />

mit der Zeit nicht mehr passend, sogleich<br />

ihre Stellen nieder zu legen u sich einer<br />

neuen Wahl zu unterwerfen; sollten sie<br />

aber darauf beharren, so müssen wir ihnen<br />

bemerken, dass wir die bereits schon<br />

beim königl Oberamt beantragte Untersuchung<br />

fortsezen werden, wo sie dan<br />

nicht rühmlich ihren Funktionen verlassen<br />

müssen; lezteres unterbleibt, wen ihr<br />

Austritt freiwillig geschieht. Diß der<br />

Wunsch zwei und fünfzig Bürger inerhalb<br />

24 Stunden erwartet man förmliche Erklärung<br />

zurük u zwar schriftlich, was dieselben<br />

gesonen sind.<br />

Der Vorwurf bleibt nicht ohne deutliche<br />

Verunsicherung der Gemeinderäte. Das<br />

Gemeinderatsprotokoll vermerkt dazu:<br />

Das Factum erregte bei dem Gemeinderath<br />

großen Sturm, weßhalb zu einer ruhigen<br />

Berathung Sitzung auf heute Nachmittag<br />

bestimt u die Deputation mit der<br />

Weisung entlassen wird, dass eine dießfällige<br />

Erklärung des Gemeinderaths<br />

nachfolgen werde.<br />

Noch am gleichen Tag beraten die Gemeinderäte<br />

über die erhobenen Vorwürfe.<br />

Das Gemeinderatsprotokoll liest sich wie<br />

eine sehr moderne und fast anmaßend abgefasste<br />

Verwaltungserklärung mit der<br />

Prüfung der Zulässigkeit und der Bagatellisierung<br />

einer solchen Eingabe, in Verbindung<br />

mit einer Beschuldigung der Antragsteller<br />

eines ehrabschneidenden Vorgehens.<br />

Mit Sicherheit waren sich alle Honoratioren<br />

darüber einig, dass man sich hier auf<br />

äußerst gefährlichem Gelände bewegte.<br />

Off enbar hat es während der Formulierung<br />

des Protokolls noch weitere Diff erenzen<br />

unter den Gemeinderäten gegeben. Auff ällig<br />

sind auch die vielen Streichungen und<br />

Änderungen in der Abfassung dieses Protokollteils.<br />

Es fasst das Ergebnis dieser Sitzung<br />

wie folgt zusammen:<br />

Dem Beschluße von diesem Morgen zu<br />

Folge hat der Gemeinderath zur Beschlußnahme<br />

in der obigen Sache sich versamelt.<br />

In Erwägung<br />

1. dass dem Gemeinderathe die angebliche<br />

52 Bürger nicht bekant gemacht worden,<br />

um die moralische Kraft derselben<br />

zu ersehen überhaupt, um den würdigen<br />

Charakter derselben zu erkenen;<br />

2. Die einzelnen Glieder der erschienenen<br />

Deputation 2 nicht geeignet erkant<br />

worden 3 die Beanstandung Pkt 1 zu<br />

beseitigen; zudem<br />

3. jene angeblich 52 Bürger blos ein Drittheil<br />

samtlicher Bürger dahier ausmachen,


4. bei der angeführten Drohung die Ehre<br />

des Gemeinderaths es erfordert, seine<br />

Handlungen gegen jeden zu verantworten,<br />

der ein Interresse nachweisen<br />

kan, u ein jeziger Austritt Furcht vor<br />

einer Untersuchung beurkunden würde<br />

u zugleich Anerkenung einer ungetreuen<br />

Verwaltung wäre,<br />

beschließt<br />

der Gemeinderath einstimig:<br />

1. Vorerst seinen Austritt aus dem Gemeinderath<br />

nicht zu erklären,<br />

2. Wegen der durch Drohung 4 erlittenen<br />

Ehrenbeleidigung eine dießfällige Klage<br />

anzustellen,<br />

3. Behufs der Erforschung der Gesinungen<br />

der Bürger auf nächsten Sontag,<br />

den 14. ten d M Nachmittags 3 Uhr<br />

eine Bürger Versamlung zu vertagen 5 ,<br />

die auf dem Rathhause stattfi nden<br />

solle u zu diesem Behufe die<br />

Bürger hiezu einzuladen.<br />

Zur Beurkundung<br />

Gemeinderath<br />

D. Lumpp<br />

F. Herrman H. Lumpp<br />

Ludwig Herrmann<br />

Volpp Speisser<br />

Vom Ausgang dieser Eingabe ist jedoch<br />

leider nichts bekannt.<br />

Off enbar sorgte die neue Entwicklung<br />

auch für ein mulmiges Gefühl beim Ge-<br />

1 Siehe auch: Gottfried Reichert, Brechhaus, Flachs und Leineweberei.<br />

2 Folgt gestrichen: „den Gemeinderath von seinem Zweifel<br />

P[un]kt 1 abzubringen“.<br />

meinderat <strong>Cleversulzbach</strong>. Die Räte wollten<br />

der Zunahme aufkommender Gewaltakte<br />

auf keinen Fall untätig ihren Lauf<br />

lassen, sondern überlegten sich, dass eine<br />

gezielte Aufrüstung möglicherweise geeignet<br />

wäre, ambitionierten und militanten<br />

Revolutionären Respekt einzufl ößen.<br />

So kam es dann im Herbst 1848 zu dem<br />

folgenden Gemeinderatsbeschluss:<br />

Verhandelt den 27. t[en] Sept[em]br[is]<br />

Nachdem heute abermahls zur Berathung<br />

gekommen ist, wie die Musketten oder<br />

Gewehre der Bürgerwehr angeschaft werden<br />

sollen, wird hierauf einstim[m]ig beschlossen,<br />

dass die Gewehre der hies[igen]<br />

Bürgerwehr vordersamst auf Kosten der<br />

Gemeindepfl ege aus der (sic!)<br />

König[lichen] Arsenal zu Ludwigsburg<br />

übernom[m]en und die Beförderung derselben<br />

durch den Gemeindepfl eger besorgt<br />

werden solle.<br />

Zur Beurkundung<br />

D. Lumpp Obman[n] Schlegel<br />

Kaiser Christian Bordt<br />

Klein Kaiser<br />

Korb Gottlieb Lumpp<br />

Apfelbach Balthas Speiser<br />

Bordt Christian Lumpp<br />

Heinrich Hesser<br />

3 Folgt gestrichen: „kön[n]en“.<br />

4 Folgt gestrichen: „sich“.<br />

5 Links am Rand nachgetragen: „fällt weg“.<br />

261


262<br />

Unterm Hakenkreuz<br />

Wie es begann<br />

Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg<br />

und der Abdankung des Kaisers gab es in<br />

Deutschland viele Bestrebungen, eine<br />

parlamentarische demokratische Republik<br />

zu bilden, die schließlich 1919 zur<br />

Bildung der Weimarer Republik führten.<br />

Doch große Erfolge stellten sich nicht<br />

ein. Eines der Hemmnisse war die Infl ation,<br />

die 1923 ihren Höhepunkt erreichte.<br />

Des Weiteren führten die ständig<br />

wechselnden Mehrheitsverhältnisse<br />

im Reichstag zu politischen Dauerquerelen,<br />

von denen zunehmend die rechtsgerichteten<br />

Gruppierungen profi tierten. Es<br />

kam 1929 die Weltwirtschaftskrise, die<br />

in Deutschland zu über sechs Millionen<br />

Arbeitslosen führte. Der damalige<br />

Reichskanzler Heinrich Brüning wurde<br />

1932 entlassen. Bei den Neuwahlen erreichte<br />

die 1920 im Münchner Hofbräuhaus<br />

gegründete Nationalsozialistische<br />

Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP)<br />

die Mehrheit und deren 1. Vorsitzender<br />

Adolf Hitler wurde daraufhin am 30. Januar<br />

1933 zum Reichskanzler ernannt.<br />

Mit harter Hand festigte Hitler seine<br />

Diktatur. Schon im März 1933 setzte er<br />

das so genannte Ermächtigungsgesetz<br />

durch, wonach seine Regierung Gesetze<br />

auch ohne Zustimmung des Reichstags<br />

erlassen konnte. Alle anderen Parteien<br />

wurden aufgelöst. Die Länderparlamente<br />

wurden gleichgeschaltet. Die Geheime<br />

Staatspolizei (Gestapo) wurde gegründet<br />

und Menschen, die sich der nationalsozialistischen<br />

Willkür widersetzten, eliminiert.<br />

Der im Parteiprogramm festgeschriebene<br />

Antisemitismus wurde grausam<br />

durchgesetzt. Die rote Parteifahne<br />

mit dem nach links versetzten schwarzen<br />

Hakenkreuz im runden weißen Feld beherrschte<br />

bald Straßen und Gebäude.<br />

Was es in <strong>Cleversulzbach</strong> bewirkte<br />

Welche Auswirkungen hatte diese Bewegung<br />

auf <strong>Cleversulzbach</strong>? Wie haben die<br />

kommunale Führung und die ländlich orientierte<br />

Bevölkerung reagiert? Um es kurz<br />

zu sagen: Man hat sich angepasst! So wie<br />

in allen anderen Städten und Gemeinden<br />

des „tausendjährigen“ Reiches auch.<br />

Lange Jahre vorher war die Partei „Württembergischer<br />

Bauern- und Weingärtnerbund“<br />

(WBWB) immer als stärkste Partei<br />

bei den Reichstagswahlen in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

gewählt worden. Zweitstärkste Partei<br />

war die SPD. Dies Bild änderte sich ab<br />

1932. Schon bei den zwei Wahlen dieses<br />

Jahres lagen der WBWB und die neu dazugekommene<br />

NSDAP nahezu Kopf an<br />

Kopf und 1933 konnte der WBWB nur<br />

noch 30 Prozent und die NSDAP dagegen<br />

52 Prozent der Stimmen erringen. Drittstärkste<br />

Partei war die SPD mit 16 Prozent,<br />

für die KPD stimmten nur noch zwei<br />

Personen (0,8 %).<br />

Es hat ein Umdenken stattgefunden, das<br />

sicherlich auch dadurch gefördert worden<br />

ist, dass sich die wirtschaftliche Lage<br />

merkbar gebessert hatte. Der Aufschwung<br />

hatte den Bauern und Arbeitern wieder<br />

neue Zuversicht gegeben. Der in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

stark vertretene Bauernstand erholte<br />

sich nach den infl ationären Jahren<br />

und konnte für seine Produkte wieder<br />

rentable Preise erzielen.<br />

Doch begleitet mit dieser positiven Entwicklung<br />

wurde die Durchsetzung des nationalsozialistischen<br />

Gedankenguts systematisch<br />

vorangetrieben, und spätestens<br />

mit der 1935 von den Nationalsozialisten<br />

durchgesetzten neuen Gemeindeordnung<br />

waren auch in <strong>Cleversulzbach</strong> Gemeinderat<br />

und Bürgermeister Teil der nationalsozialistischen<br />

Organisation. Die jugendlichen<br />

Bewohner (vielleicht nicht alle) tra-


ten in die Hitlerjugend (HJ) bzw. in den<br />

Bund Deutscher Mädel (BDM) ein. Für deren<br />

Veranstaltungen, wie Sonnenwendfeier,<br />

Sportwettbewerbe und dergleichen,<br />

wurde die Gemeinde jedes Mal auf „höheren<br />

Antrag“ zur fi nanziellen oder materiellen<br />

Unterstützung angehalten.<br />

Doch gab es auch zustimmende Reaktionen<br />

aus der Gemeinde, wie aus dem Pfarrbericht<br />

1935 des Brettacher Pfarrers Julius<br />

von Jan hervorgeht, wo er schreibt: „Die<br />

Zucht der ledigen Jugend hat durch die<br />

nationalen Organisationen entschieden<br />

gewonnen. Es wurde auch begrüßt, dass<br />

der junge Mann wieder militärischen<br />

Schliff bekommen soll“. (<strong>Cleversulzbach</strong><br />

war seit 1931 ohne eigenen Pfarrer. Pfarrer<br />

Friedrich Wiesner hatte am 13. September<br />

einen Schlaganfall erlitten und<br />

konnte von da an keinen Dienst mehr tun.<br />

Pfarrer von Jan versorgte ab dieser Zeit<br />

von Brettach aus die Gemeinde.)<br />

In der NS-Frauenschaft (NSF) wurden<br />

Näh- und Mütterschulungskurse durchgeführt.<br />

Hierzu musste eine von der Gemeinde<br />

bezahlte neue Nähmaschine angeschaff<br />

t werden. Auch diese Entwicklung<br />

wurde von der ländlichen Bevölkerung im<br />

Großen und Ganzen positiv gesehen. Man<br />

traf sich zu gemeinsamen Aktionen und<br />

geselligen Runden.<br />

Örtliche Gruppe der NS-Frauenschaft<br />

Anders dagegen erging es dem 1921 in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> gegründeten Radfahrerverein,<br />

der sich dem sozialdemokratisch<br />

orientierten Arbeiter-Radfahrerbund Solidarität<br />

angeschlossen hatte. Er wurde<br />

1933 verboten. Alle Vereinsunterlagen<br />

und das Vereinsbanner wurden beschlagnahmt<br />

und anschließend vernichtet. Der<br />

Rad- und der in den 1930er Jahren hinzugekommene<br />

Motorradsport kam zum Erliegen,<br />

denn eine Fortführung im NS-<br />

Kraftfahrkorps (NSKK) kam für die Mitglieder<br />

nicht infrage.<br />

Das Sammeln von Spenden für die unterschiedlichsten<br />

Zwecke wurde zu einem<br />

nicht enden wollenden Ritus. Für neue<br />

Uniformen der SA und SS anlässlich des<br />

Reichsparteitages in Nürnberg 1933, für<br />

Werbezettel für die „Reichsschwimmwoche“<br />

1934, für die Einrichtung einer Nachrichten-Empfangs-<br />

und Sendestation in<br />

Bad Friedrichshall, für die Festschrift anlässlich<br />

des Kreiskongresses der NSDAP in<br />

Neuenstadt und für viele andere „wohltätige“<br />

und/oder „bildende“ Zwecke.<br />

Im Mai 1936 bereiste der Reichsbauernführer<br />

und Reichsminister für Ernährung<br />

und Landwirtschaft Richard Walther Darré<br />

mit dem Reichsbauernrat die fränkischen<br />

Gebiete des Bauernkrieges von 1525. Auf<br />

seinem Weg von Würzburg nach Weinsberg<br />

war auch eine Durchfahrt von Bürg,<br />

Neuenstadt und <strong>Cleversulzbach</strong> vorgesehen.<br />

Die Bevölkerung wurde informiert<br />

und zum Schmücken der Durchfahrtsstraßen<br />

angeregt. Die Straße wurde daraufhin<br />

mit Bäumchen geschmückt und viele Hakenkreuzfahnen<br />

wurden herausgehängt.<br />

Am 15. Mai erreichte der Autokorso von<br />

Neuenstadt kommend <strong>Cleversulzbach</strong> und<br />

fuhr im Schritttempo an den jubelnden<br />

Dorfbewohnern vorbei, wie man aus dem<br />

nachstehenden Foto sehen kann. Immerhin<br />

hatte der Reichsbauernführer durch<br />

seine Agrarpolitik den Bauernstand als Bestandteil<br />

der Volkswirtschaft stark geför-<br />

263


264<br />

Reichsbauernführer R. W. Darré und Reichsstatthalter W. Murr auf der Durchfahrt in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

in Höhe des Gasthofs „Zum Adler“<br />

dert. So ist sicherlich auch aus dieser Sicht<br />

der Jubel zu sehen. Der Reichsbauernführer<br />

war begleitet vom Reichsstatthalter in<br />

Württemberg und NSDAP-Gauleiter für<br />

Württemberg-Hohenzollern Wilhelm Murr,<br />

der vorne stehend mit großem Geltungsbedürfnis<br />

den Leuten zuwinkte. Nach einigen<br />

Minuten war alles wieder vorbei.<br />

Die sich durchgesetzende antisemitische<br />

Einstellung wird durch zwei Ereignisse dokumentiert.<br />

Im September 1935 stellte ein<br />

Beigeordneter den Antrag, den Juden das<br />

Wiegen von Vieh auf der Gemeindewaage<br />

zu untersagen. Dem wurde vom Bürgermeister<br />

zugestimmt und der Waagmeister<br />

entsprechend angewiesen. Im anderen Fall<br />

berichtet ein Zeitzeuge, dass er als Schüler<br />

im Klassenzimmer saß und der damalige<br />

Lehrer nach einem Blick aus dem Fenster<br />

rief, dass unten vor dem Gasthof „Adler“<br />

wieder das Auto des jüdischen Viehhändlers<br />

stünde und er die Schüler auff orderte,<br />

herunterzurennen und die Scheiben des<br />

Autos einzuschlagen. Alle wären heruntergelaufen,<br />

aber der erzählende Zeuge hätte<br />

sich dann doch davor gedrückt, bei dieser<br />

Schandtat mitzumachen.<br />

Nach Einführung der Luftschutzpfl icht<br />

1935 mussten sich auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

weite Kreise der Bevölkerung einer vorgeschriebenen<br />

Dienstpfl icht unterziehen.<br />

Luftschutzkeller mussten eingerichtet<br />

werden und nachts mussten alle Fenster<br />

verdunkelt werden, wozu besonderes Verdunkelungspapier<br />

anzuschaff en war. Das<br />

Verhalten bei Luftangriff en wurde in regelmäßigen<br />

Luftschutzübungen geprobt.<br />

Mit dem 1938 in <strong>Cleversulzbach</strong> eingeführten<br />

„Erntekindergarten“ wurden<br />

schon frühzeitig die Kinder auf gemeinnützige,<br />

dem Volk dienende Aufgaben<br />

eingeschworen. Man machte mit, denn<br />

Widerstand war zwecklos, wie man am<br />

Beispiel des Posthalters Friedrich Lumpp<br />

sah, der nach Aussagen von Zeitzeugen<br />

mehrfach bedrängt worden war, der


Luftschutzübung der Frauen 1937<br />

NSDAP beizutreten. Doch der überzeugte<br />

Sozialdemokrat hätte jedes Mal abgelehnt,<br />

was ihn schließlich seinen Posten<br />

kostete; er wurde vom Amt des Posthalters<br />

suspendiert. Auch der langjährige<br />

Feuerwehrkommandant Gottlob Lumpp<br />

wurde immer wieder zum Eintritt in die<br />

NSDAP angehalten, was aber auch er abgelehnt<br />

hat. Seiner Suspendierung ist er<br />

schließlich zuvorgekommen, indem er<br />

1935 von seinem Amt zurücktrat.<br />

Die erste Abreibung hatte Friedrich Lumpp<br />

nach Aussagen eines Augenzeugen bereits<br />

im April 1933 bekommen, als SS-Männer<br />

in schwarzen Uniformen mit einem off enen<br />

LKW ins Dorf einfuhren und außer<br />

ihm auch noch die SPD-Kollegen Christian<br />

Heiß, Karl Kress und Gottlob Seebold sowie<br />

Wilhelm Weiß von der KPD abholten,<br />

sie dann ins Rathaus brachten und dort<br />

auf sie einprügelten, dass ihre Schreie bis<br />

auf die Straße zu hören waren. Danach<br />

wurden die fünf Männer ca. vier Wochen<br />

lang auf dem Hohenasperg eingesperrt.<br />

Unter der Aufl age, kein Wort darüber zu<br />

verlauten, was man ihnen angetan hatte,<br />

wurden sie wieder freigelassen.<br />

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges September<br />

1939 änderte sich die bislang für<br />

die Bevölkerung noch tragbare Situation.<br />

Die wehrtüchtigen jungen Männer wurden<br />

zum Kriegsdienst eingezogen und ab<br />

1941 verging kein Jahr, in dem nicht mehrere<br />

Gefallene oder Vermisste zu beklagen<br />

waren.<br />

Die Einschränkungen für den Bezug von<br />

Lebensmitteln und Konsumgütern durch<br />

Lebensmittelmarken, Kleiderkarten und Bezugsscheinen<br />

hatten für die landwirtschaftlich<br />

orientierte <strong>Cleversulzbach</strong>er Bevölkerung<br />

dagegen keine so drastische Einwirkungen<br />

wie in den größeren Städten.<br />

Die Lücken, die durch die zum Krieg eingezogenen<br />

Männer entstandenen waren,<br />

wurden im Laufe der Kriegsjahre durch<br />

Einweisung von Zwangsarbeitern aus Polen<br />

und später auch aus Russland und<br />

Kriegsgefangenen aus Frankreich so gut es<br />

ging ausgefüllt. Zeitweilig waren 15 polnische<br />

und 7 russische Fremdarbeiter im<br />

Dorf, in Scheunen und Ställen untergebracht.<br />

Die 18 französischen Kriegsgefangenen<br />

waren im oberen Saal der Gastwirtschaft<br />

„Löwen“ einquartiert und genossen<br />

einen etwas besseren Status als die Fremdarbeiter.<br />

Die meisten fanden mit der Zeit<br />

in den Bauernfamilien sogar eine Art Familienanschluss.<br />

Zum Glück blieb <strong>Cleversulzbach</strong> bis zum<br />

Kriegsende von dramatischen Kriegseinwirkungen<br />

wie Bombenangriff en und Artilleriebeschuss<br />

verschont; anders als bei<br />

den Nachbargemeinden Neuenstadt und<br />

Brettach, die in den letzten Kriegstagen<br />

im April 1945 durch amerikanische Jagdbomberangriff<br />

e zum Teil schwer zerstört<br />

worden waren. Ein Zeitzeuge berichtete<br />

lediglich von einer deutschen Pioniereinheit,<br />

die im April 1945 geräumige Scheunen<br />

zum Abstellen ihrer großen LKWs<br />

suchte. Man fragte sich, was diese Soldaten<br />

hier im Dorf wollten und was sie geladen<br />

hatten? Es zeigte sich, dass sie vollgepackt<br />

mit Sprengstoff waren, wahrscheinlich<br />

für die Sprengung der vielen Eisenbahn-<br />

und Straßenbrücken über Jagst und<br />

265


266<br />

Kocher. Diese Vorahnung wurde bald<br />

durch die Tatsache bestätigt, dass in der<br />

Nacht vom 12. auf 13. April 1945 die Kocherbrücken<br />

der näheren Umgebung<br />

durch eine SS-Pioniereinheit gesprengt<br />

worden sind, so auch die von Gochsen<br />

und Kochertürn. Die Kocherbrücke von<br />

Neuenstadt nach Bürg wurde bereits am<br />

1. April von der Wehrmacht gesprengt, zu<br />

früh, denn die nachfolgende SS musste<br />

eine Behelfsbrücke bauen.<br />

Am 13. April 1945 rückten die amerikanischen<br />

Truppen in Neuenstadt ein, was<br />

auch für <strong>Cleversulzbach</strong> das Ende des<br />

Krieges und damit auch das Ende der unseligen<br />

NS-Zeit bedeutete. Insgesamt 28<br />

Bürger hatten mit ihrem Leben für die<br />

Machtvorstellungen der nationalsozialistischen<br />

Herrschaft gezahlt, sie kehrten<br />

nicht mehr vom Kriegsdienst zurück.<br />

Die Nachkriegszeit<br />

Große Veränderungen gab es nach Kriegsende<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> nicht. Einige Monate<br />

war das Dorf quasi ohne Führung.<br />

Doch die amerikanische Militärregierung<br />

in Heilbronn sorgte bald für eine Neuord-<br />

nung. Am 2. November 1945 wurde der<br />

Landwirt Richard Nef zum kommissarischen<br />

Bürgermeister von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

ernannt. Bei der ersten Bürgermeisterwahl<br />

durch die Bevölkerung1946 wurde er mit<br />

großer Mehrheit in seinem Amt bestätigt,<br />

das er dann bis zur Eingemeindung im Januar<br />

1972 inne hatte.<br />

In den ersten Gemeinderat nach dem<br />

Krieg wurden am 7. Dezember 1947 die<br />

folgenden acht Männer gewählt: Fritz<br />

Weber, Reinhold Hesser, Richard Herrmann,<br />

Wilhelm Lumpp, Ludwig Kuttruf,<br />

Karl Lang, Karl Kress und Paul Bauer.<br />

Das bäuerlich orientierte Leben mit seinen<br />

täglichen Sorgen wurde wie gewohnt<br />

fortgeführt. Ein großes Problem hatte die<br />

Gemeinde mit der großen Anzahl von<br />

Flüchtlingen und Evakuierten zu bewältigen.<br />

Diese „Neubürger“ konnten anfangs<br />

nur in dürftigen Unterkünften untergebracht<br />

werden, fanden zunächst oft auch<br />

keine sehr freundliche Aufnahme, konnten<br />

aber später durch ihren Fleiß und ihre<br />

Integrationswilligkeit mehr und mehr Respekt<br />

gewinnen.


Einer der Hauptscharfrichter des Deutschen Reiches<br />

Gottlob Bordt stammt aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Gottlob Bordt war von 1940 bis 1945<br />

zuständiger Scharfrichter im Strafgefängnis<br />

Posen mit Wohnort in Posen. 1<br />

Ihm werden mindestens 1.000 Hinrichtungen<br />

zugeschrieben. Die Scharfrichter<br />

bildeten bei den Hinrichtungen das<br />

letzte Glied in der Kette der NS-Justiz.<br />

Das Familienbuch der Kirche <strong>Cleversulzbach</strong><br />

weist aus, dass Gottlob Bordt am<br />

24. Juni 1882 als das fünfte von insgesamt<br />

acht Geschwisterkindern geboren<br />

wurde und 1896 daselbst konfi rmiert<br />

wurde, kurz nachdem sein Vater gestorben<br />

war. Danach verliert sich die Spur<br />

der Familie in <strong>Cleversulzbach</strong>. 2<br />

Gottlob Bordt taucht 1930 in Hannover<br />

wieder auf, wo er als Kaufmann registriert<br />

ist, und seit 1937 als Gehilfe des<br />

Scharfrichters Friedrich Hehr (1879–<br />

1952) fungierte. Er bewarb sich im Dezember<br />

1939 als Scharfrichter für Posen<br />

und meldete sich zum 1. April 1940 nach<br />

dort ab 3 .<br />

1 Matthias Blazek, Scharfrichter in Preußen und im Deutschen<br />

Reich 1866–1945, Stuttgart 2010, S. 103, Ricciotti<br />

G. Lazzero, Gli schiavi di Hitler: i deportati italiani in Germania<br />

nella seconda guerra mondiale. 1996.<br />

Der vorliegende Beitrag ist eine stark gekürzte Zusammenfassung<br />

aus o.g. Veröff entlichung von Matthias Blazek.<br />

2 Mitteilung von Pfarrer Ulrich Weber, <strong>Cleversulzbach</strong>, gegenüber<br />

dem Autor vom 3. Februar 2010.<br />

Im Zuge der „Neuordnung des Scharfrichterwesens”<br />

vom 25. August 1937<br />

wurde Gottlob Bordt zum Hauptscharfrichter<br />

des Deutschen Reiches ernannt.<br />

Er wurde am 3. Mai 1940 vereidigt und<br />

vollstreckte am 2. Juli 1940 das erste Todesurteil<br />

in Posen.<br />

Insgesamt gab es 1944 für den NS-Staat<br />

10 Scharfrichter und 38 Gehilfen. Allein<br />

in Posen, der Wirkungsstätte Bordts,<br />

wurden bis zum Januar 1945 1.680 Todesurteile<br />

vollstreckt. 4<br />

Im Januar 1945 wurde das Strafgefängnis<br />

Posen wegen der herannahenden Roten<br />

Armee nach Bayreuth evakuiert.<br />

Bordts Dienstantritt wurde jedoch durch<br />

schwere Luftangriff e (5./ 8. und 11. April<br />

1945) vereitelt.<br />

Es ist nicht auszuschließen, dass Gottlob<br />

Bordt das Kriegsende überlebt und danach<br />

unbehelligt seinen Lebensabend<br />

verlebt hat.<br />

3 Angelika Ebringhaus / Karsten Linne, Kein abgeschlossenes<br />

Kapitel: Hamburg im Dritten Reich, Hamburg 1997, S. 337<br />

f.<br />

4 Vgl. Diemut Majer, United States Holocaust, „Non-Germans“<br />

under the Third Reich: The Nazi Judicial and Administrative<br />

System in Germany and Occupied Eastern Europe,<br />

with Special Regard to Occupied Poland, 1939–1945,<br />

S. 894 ff .<br />

267


268<br />

Gedenken der Gefallenen und Vermissten beider<br />

Weltkriege<br />

Erster Weltkrieg<br />

Anfang der 1920er Jahre schloss der Gemeinderat<br />

mit dem Lichtbildverlag Karl<br />

Hinsching in Ansbach einen Vertrag über<br />

die Herstellung einer künstlerisch gestalteten<br />

Ehrentafel für die im Krieg gefallenen<br />

und vermissten Soldaten aus <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Hierzu mussten von den Angehörigen<br />

Bilder, Geburts- und Todesdaten<br />

eingeschickt werden. Die Ehrentafel (in<br />

Holz gerahmt, 78 x 60 cm) fand ihren Platz<br />

in der Kirche. Viele Jahre später wurde sie<br />

in das Rathaus gebracht, wo sie noch<br />

heute im Vorraum zum Sitzungszimmer<br />

hängt.<br />

Ehrentafel für die Kriegsopfer des Ersten<br />

Weltkriegs<br />

Auch andere setzten sich für das Gedenken<br />

an die Kriegsopfer ein, so die Verlagsanstalt<br />

für Vaterländische Geschichte und<br />

Kunst in Stuttgart, die unter dem Titel<br />

„Das Eiserne Buch“ ein schweres, mit eisernen<br />

Schließen versehenes Buch herausbrachte,<br />

in das man eigenhändig die<br />

Namen der Kriegsteilnehmer eintragen<br />

konnte. Solch ein Buch wurde 1919 von<br />

der Gemeinde angeschaff t, und der damalige<br />

Hauptlehrer Friedrich Schick hat darin<br />

sorgfältig alle <strong>Cleversulzbach</strong>er Kriegsteilnehmer<br />

mit einer kurzen Beschreibung ihrer<br />

militärischen Laufbahn eingetragen<br />

und ein Vorwort verfasst. 1<br />

Das Anbringen von lediglich einer Gedenktafel<br />

in der Kirche war vielen Bürgern nicht<br />

genug. Zur Erinnerung und zum Gedenken<br />

an die Kriegstoten sollte ein würdevoller<br />

Ort geschaff en werden. Besonders die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Ortsgruppe des Reichsbundes<br />

der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer<br />

und Kriegshinterbliebenen (heute Sozialverband<br />

Deutschland e.V.) nahm sich<br />

dieses Wunsches an. Deren damaliger Vorsitzender<br />

Wilhelm Weiß brachte, unterstützt<br />

durch Unterschriften zahlreicher<br />

Bürger, in mehreren Eingaben vor, dass der<br />

Ehrung der Kriegstoten durch eine Gedenktafel<br />

in der Kirche nicht Genüge getan<br />

werde, und dass zu ihrem Gedenken ein<br />

Ehrenmal errichtet werden müsse.<br />

Als sich immer mehr Bürger der Gemeinde<br />

hinter diesen Antrag stellten, wurde<br />

schließlich am 25. Januar 1922 im Gemeinderat<br />

die Errichtung eines Kriegerdenkmals<br />

auf Kosten der Gemeinde beschlossen.<br />

Der Auftrag ging an den Bildhauer<br />

Wender in Bitzfeld, der das Denkmal<br />

entworfen und zum Preis von 12.500<br />

M. angeboten hatte.


Nach knapp einem Jahr Bauzeit war das<br />

Denkmal fertig gestellt. Es wurde im Dezember<br />

1922 von <strong>Cleversulzbach</strong>er Pferdebauern<br />

unentgeltlich zum Ortsfriedhof<br />

gefahren und dort aufgerichtet. Im Zuge<br />

der Infl ation konnte Bildhauer Wender<br />

den ursprünglichen Preis von 12.500 M.<br />

nicht mehr halten und verlangte schließlich<br />

für das Denkmal 38.000 M. plus 2 Ztr.<br />

Weizen. Der höhere Preis wurde ihm gewährt,<br />

die Lieferung des Weizens aber<br />

wurde abgelehnt.<br />

Die Inschrift auf dem Mittelpfeiler des<br />

Denkmals lautete:<br />

<strong>Cleversulzbach</strong><br />

seinen im Weltkrieg<br />

gefallenen Helden<br />

Darunter waren die Namen und Todesdaten<br />

der 19 gefallenen Bürger eingemeißelt,<br />

links und rechts davon die Namen<br />

der vier Vermissten. An beiden Seiten des<br />

Denkmals waren steinerne Sitzbänke zum<br />

stillen Gedenken angebracht.<br />

Besonders getroff en hatte es die Familie<br />

Schuler, die den Verlust ihrer drei Söhne<br />

Gustav, Wilhelm und Daniel zu beklagen<br />

hatte. Alle drei dienten im gleichen Regiment<br />

und als Gustav am 23. September<br />

1914 in einem Gefecht bei Verdun gefallen<br />

war, haben ihn seine beiden Brüder<br />

Wilhelm und Daniel dort beerdigt. Schon<br />

kurz darauf erkrankte Wilhelm an der<br />

Front und wurde ins Lazarett nach Wittenberg<br />

gebracht, wo er am 30. Dezember<br />

1914 an einer Lungenentzündung starb.<br />

Sein Leichnam wurde nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />

überführt und dort am 3. Januar 1915 begraben.<br />

Daniel, der dritte Sohn der Familie<br />

Schuler, wurde am 26. September 1916 als<br />

vermisst gemeldet. An der Grabstätte des<br />

Sohnes Wilhelm hat die Familie Schuler<br />

einen Gedenkstein errichten lassen zum<br />

Gedächtnis an alle ihre drei Söhne. Als die<br />

Witterung dem Stein immer mehr zusetzte,<br />

beschloss die Stadt, ihn an die<br />

Ehrenmal für die Kriegsopfer des Ersten<br />

Weltkriegs (errichtet Dezember 1922)<br />

überdachte Wand der Aussegnungshalle<br />

zu versetzen, wo er seit Februar 2011 seinen<br />

Platz hat. Die kaum noch lesbaren Lebensdaten<br />

wurden durch seitlich angebrachte<br />

Tafeln ersetzt.<br />

Im März 1928 bat die Bibliothek des<br />

Württembergischen Landesgewerbemuseums<br />

Stuttgart, die eine Sammlung aller<br />

Kriegsdenkmäler anlegte, um Bilder aus<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>. Ein Fotograf wurde beauftragt,<br />

und es wurden, außer dem Denkmal<br />

auf dem Friedhof, Aufnahmen vom Gedenkstein<br />

der drei Schuler-Brüder und der<br />

Gedenktafel in der Kirche angefertigt. Leider<br />

konnten diese Fotos trotz vieler Recherchen<br />

nicht mehr ausfi ndig gemacht<br />

werden. Das damalige Landesgewerbemuseum<br />

ist im Haus der Wirtschaft aufge-<br />

269


270<br />

Gedenkstein der Schuler-Brüder am jetzigen<br />

Standort an der Wand der Aussegnungshalle<br />

gangen. Alte Unterlagen gibt es dort nicht<br />

mehr.<br />

Zweiter Weltkrieg<br />

Auch dieser Krieg forderte aus den Reihen<br />

der <strong>Cleversulzbach</strong>er Männer wieder viele<br />

Opfer. Es waren 13 Soldaten gefallen, 14<br />

weitere wurden als vermisst gemeldet.<br />

Auch für diese Kriegsopfer wurde eine Ehrentafel<br />

erstellt und zunächst in der Kirche<br />

neben der Ehrentafel zum Ersten<br />

Weltkrieg angebracht. Später fand auch<br />

diese Tafel im Rathaus ihren neuen Platz.<br />

Zum Andenken an die Gefallenen wurden<br />

um 1948 auf dem Gemeindefriedhof vor<br />

dem Kriegerdenkmal des Ersten Weltkriegs<br />

für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges<br />

weiße Kreuze errichtet, auf denen<br />

Name, Dienstgrad, Geburts- und Todestag<br />

aufgeführt waren, auf einigen auch der<br />

Ehrentafel für die Kriegsopfer des Zweiten<br />

Weltkriegs<br />

Ort, wo sie gefallen waren, und auf einigen<br />

auch ein Eisernes Kreuz. Auf wessen<br />

Initiative die Kreuze erstellt wurden, war<br />

nicht mehr herauszufi nden; vermutlich<br />

veranlassten dies die Angehörigen, denn<br />

Mitte der 1950er Jahre trug sich der Gemeinderat<br />

mit dem Gedanken, die Namen<br />

der Gefallenen und Vermissten des Zweiten<br />

Weltkriegs in das Ehrenmal des Ersten<br />

Weltkriegs einzufügen und stattdessen die<br />

Kreuze zu entfernen, die sich inzwischen<br />

teilweise in einem schlechten Zustand befanden;<br />

manche Schriften waren nicht<br />

mehr deutlich lesbar. Hierzu wurden die<br />

Angehörigen befragt. Sechs betroff ene<br />

Angehörige waren jedoch mit der Entfernung<br />

zunächst nicht einverstanden.<br />

Dieses Vorhaben wurde auch deshalb immer<br />

wieder verschoben, weil man nicht so<br />

recht wusste, in welcher Weise das alte


Ehrenmal mit davor gesetzten Kreuzen für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs (Foto um 1948)<br />

Kriegerdenkmal umgestaltet werden<br />

sollte. Hinzu kam, dass ab 1968 die Pläne<br />

für den Bau einer Leichenhalle reiften,<br />

nachdem aus der Bevölkerung zunehmend<br />

der Wunsch nach einer würdigeren Bestattungsweise<br />

geäußert worden war.<br />

Im Laufe des Winters 1969/70 wurde dafür<br />

die alte Friedhofsmauer auf der Westseite<br />

abgebrochen und die dahinter stehenden<br />

Bäume gefällt, um einen Zugang<br />

für die neue Leichenhalle zu schaff en.<br />

Das im Wege stehende Kriegerdenkmal<br />

sollte zunächst an eine andere Stelle des<br />

Friedhofs versetzt werden, doch im März<br />

1970 beschloss der Gemeinderat, das alte<br />

Kriegerdenkmal abzubrechen und stattdessen<br />

in der neuen Leichenhalle Gedenktafeln<br />

für die Gefallenen und Vermissten<br />

beider Weltkriege anzubringen. Nach längerer<br />

Bauzeit wurde die Halle im Mai 1971<br />

ihrer Bestimmung übergeben. Die von<br />

Steinmetzmeister Otto Reinmann aus<br />

Brettach gestalteten Gedenktafeln wurden<br />

links und rechts eines großen Holz-<br />

kreuzes an der Nordseite der Halle angebracht,<br />

wo sie bis heute an die Opfer der<br />

beiden Weltkriege erinnern.<br />

Fremde Soldatengräber – Gefallene des<br />

Zweiten Weltkrieges<br />

Für rund 11 Jahre (von 1945 bis 1956) war<br />

für sechs ortsfremde Soldaten der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Gemeindefriedhof die letzte<br />

Ruhestätte. Warum sie dort bestattet wurden<br />

und wie und wo sie zu Tode gekommen<br />

waren, konnte trotz großer Bemühungen<br />

nicht belegbar ermittelt werden.<br />

Von zwei Zeitzeugen gibt es hierzu widersprüchliche<br />

Angaben. Nach der Erinnerung<br />

des einen hat man die Soldaten im<br />

April 1945 aufgehängt an der Kastanie<br />

vor dem Friedhof gefunden; ein anderer<br />

berichtete, dass ein deutscher Panzer vorgefahren<br />

sei und man die toten Soldaten<br />

vom Panzer auf dem Friedhof abgelegt<br />

hat. Bei den Recherchen nach den wahren<br />

Begebenheiten zeigten sich die zuständigen<br />

Behörden und Verbände wenig hilfs-<br />

271


272<br />

Aussegnungshalle, errichtet Mai 1971<br />

Gedenktafeln an der Wand der Aussegnungshalle<br />

für die Kriegsopfer der beiden<br />

Weltkriege<br />

bereit oder entschuldigten sich damit,<br />

dass es keine alten Unterlagen mehr gäbe.<br />

Fest steht, dass im Mai 1948 das Deutsche<br />

Rote Kreuz auf der Suche nach noch unbekannten<br />

gefallenen und vermissten<br />

deutschen Soldaten die Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong><br />

um Exhumierung der dort bestatteten<br />

Soldaten bat, um diese zu iden-<br />

1 Das Eiserne Buch ist im Ortsarchiv aufbewahrt (CB<br />

167)<br />

tifi zieren. Das beauftragte Unternehmen<br />

Martin Nestler aus Stuttgart-Bad Cannstatt<br />

führte die Exhumierung durch und<br />

konnte vier der sechs Toten anhand der<br />

Erkennungsmarken mit Namen, Geburtsdatum<br />

und Dienstgrad identifi zieren, zwei<br />

blieben unbekannt.<br />

Nach der Rückbestattung übernahm die<br />

Gemeinde die Pfl ege der Gräber. Diese<br />

wurden mit Grabeinfassungen versehen<br />

und es wurden Grabkreuze errichtet. Gärtner<br />

Gustav Stephan übernahm ab 1950<br />

für fünf Jahre die Pfl ege der Gräber, was<br />

auch die Bepfl anzung und den jahreszeitlich<br />

wechselnden Blumenschmuck einschloss.<br />

Er erhielt dafür pro Jahr 38,— DM<br />

aus der Gemeindekasse.<br />

Auf Veranlassung des Volksbund Deutscher<br />

Kriegsgräberfürsorge (VDK) wurde<br />

1956 eine Umbettung der toten Soldaten<br />

in die Wege geleitet. Am 16. April 1956<br />

wurden die sechs Soldaten auf den Ehrenfriedhof<br />

in Weinsberg umgebettet und<br />

fanden dort ihre letzte Ruhestätte.


Spielende Kinder vor dem Haus der<br />

Familien Wetterauer und Hesser<br />

(in den 1950er Jahren)<br />

Hochzeit von Margot und<br />

Hermann Bordt, 1947<br />

Bauarbeiten an der Ortskanalisation,<br />

Abriss des Anwesens der<br />

Familie Blank in der Brettacher<br />

Straße, Mai 1963<br />

Familie Stephan vor ihrem Haus<br />

in der Brettacher Straße (in den<br />

1920er Jahren)<br />

273


274<br />

Hermann Bordt mit seinem Pferd<br />

(Mitte der 1950er Jahre)<br />

Margot Bordt mit dem Traktor<br />

(in den 1960er Jahren)<br />

Paul Lumpp mit Entenküken in der Eberstädter<br />

Straße (Ende der 1940er Jahre)<br />

Das Haus der Familie Meier, ehemals Bordt,<br />

in der Brettacher Straße 34 (um 1962)


Hochzeit von Albert<br />

Schlegel, die<br />

Hochzeitsgesellschaft<br />

am Gasthof<br />

„Zum Löwen“,<br />

16. März 1922<br />

Die damalige Hauptstraße, heute<br />

Brettacher Straße, im Winter<br />

(Anfang der 1950er Jahre)<br />

Das Haus von Lina Brand und<br />

Gottlob Lumpp in der Unteren<br />

Straße 2, 2006<br />

Das Haus von Korbmacher Ehnle in der Neuenstädter<br />

Straße (Ende der 1950er Jahre)<br />

275


276<br />

Das Doppelhaus der Familien Süpple und<br />

Röhrlein im Hirtengässle, heute Turmhahnstraße,<br />

v.l., stehend: Herr Süpple, Frau<br />

Hofstätter, Schneider Röhrlein und Lehrer<br />

Hofstätter (Ende der 1920er Jahre)<br />

Das Haus von Fritz Weber,<br />

heute von Walter Markus,<br />

in der Brettacher Straße 48<br />

(in den 1920er Jahren)<br />

Das Haus von Hermann<br />

Volpp, Eberstädter Straße 1<br />

(Mitte der 1950er Jahre)<br />

Das Haus von Lambert<br />

Herrmann, heute von Familie<br />

Ellwanger, in der Brettacher<br />

Straße 46<br />

(in den 1950er Jahren)


Konfi rmandengruppe mit<br />

Pfarrer Grawunder, 1954<br />

Scheune von Herrmann Seebold, mit Nichte und Ne e<br />

aus Frankfurt 1939, Brettacher Straße 37<br />

Frauenabteilung der<br />

Feuerwehr während des<br />

Zweiten Weltkrieges<br />

In der Haupstraße, heute<br />

Brettacher Straße<br />

(in den 1950er Jahren)<br />

277


278<br />

Brettacher Straße, von der<br />

Bachbrücke bis zum<br />

gemeindeeigenen Lehrerwohnhaus,<br />

v.l.: Bernhard<br />

Gehres, Herbert Zimmermann,<br />

Oskar Gehres, auf<br />

ihren NSU-Motorrädern<br />

(Anfang der 1950er Jahre)<br />

Die Schulklassen 3 und 4 mit ihrer Lehrerin Frl. Käfer<br />

(verh. Grawunder) im September 1951<br />

Fritz Bauer und Ludwig Rüber<br />

vor ihren Häusern in der Seestraße<br />

(in den 1960er Jahren)


Die Dritt- und<br />

Viertklässler<br />

vor dem<br />

Schulhaus,<br />

1957<br />

Das Haus von Schmied Euerle in der<br />

damaligen Hauptstraße, heute Brettacher<br />

Straße 14 (um 1950)<br />

Unterklasse<br />

(Klassen 1–4)<br />

mit Lehrer<br />

Clement,<br />

1948<br />

In der Seestraße, mit Blick auf die<br />

Bordt‘sche Scheune in der Brettacher<br />

Straße und das Wohnhaus der Familie<br />

Bordt (Anfang der 1950er Jahre)<br />

279


280<br />

Beim Festumzug 1955 in der<br />

Brettacher Straße<br />

Hermann Seebold mit seinem Tempo-<br />

Dreirad beim Festumzug 1955, auf der<br />

Pritsche Mitglieder des Musikvereins<br />

Das Haus der Familie Kronika in der<br />

Brettacher Straße, 1952<br />

Beim Festumzug 1955 in der<br />

Brettacher Straße


Familie Nef vor ihrem Anwesen<br />

in der Brettacher Straße 2,<br />

rechts unter der Stalltüre aus<br />

Roggenstroh gefertigte<br />

Strohseile zum Binden von<br />

Getreidegarben (Ende der<br />

1920er Jahre)<br />

Das Haus von Eugen Hesser und Friedrich Eckert,<br />

Neuenstädter Straße 1 (vor dem Brand, Anfang<br />

der 1920er Jahre)<br />

Pferdefuhrwerk von Wilhelm Lumpp, mit den<br />

Söhnen Karl und Hermann und Tochter Paula, 1932<br />

Musikkapelle <strong>Cleversulzbach</strong><br />

(in den 1930er Jahren)<br />

281


282<br />

Rot-Kreuz-Kurs am 7. März 1937<br />

Das Haus der Familie Rüber in<br />

der Seestrasse (um 1930)<br />

Junge Frauen bei der Jungpfl anzenpfl ege im<br />

Wald mit Waldschütz Seebold (um 1937/38)<br />

Das Haus der Familie Stahl in der Brettacher<br />

Straße, rechts im Bild Gustav Stephan beim<br />

Holzspalten (Ende der 1950er Jahre)


Besuch bei Frau Bordt in der Haupstraße<br />

(„Eckbordt“), heute das Haus der Familie<br />

Kronika, Sommer 1943<br />

Brettacher<br />

Straße, vom<br />

Kirchplatz aus<br />

gesehen (in den<br />

1950er Jahren)<br />

Kirche, Schulhaus<br />

und Wohnhaus<br />

der Familie Eckert<br />

(in den 1950er<br />

Jahren)<br />

Winter 1954/55<br />

in der Eberstädter<br />

Straße, Paula<br />

Lorenz mit den<br />

Söhnen Günter<br />

und Hermann<br />

vor der alten<br />

Kelter<br />

283


284<br />

Auf dem Friedhof, 1979<br />

Am Katzenberg, mit Blick auf den Hohberg, 1983<br />

Pfarrhaus mit Brunnen und<br />

Garten (in den 1930er Jahren)


Das Haus der Familie Schuler<br />

in der Eberstädter Straße 8,<br />

rechts das angebaute Haus<br />

von Wilhelm Uhlmann, links<br />

daneben das Haus von<br />

Schmiedemeister Friedrich<br />

Birk (in den 1920er Jahren)<br />

Auf dem Schulhof hinter der<br />

Kirche (in den 1920er Jahren)<br />

In die Brettacher Straße, links<br />

das Doppelhaus von Karl<br />

Hesser und Wilhelm Rüber<br />

(heute Parkplätze), Sommer<br />

1943<br />

In der Eberstädter Straße, rechts im Bild<br />

eine Ecke der alten Kelter (um 1950)<br />

285


286<br />

Das Haus der Familie Plenefi sch in der<br />

Eberstädter Straße 5, v. r.: August<br />

Plenefi sch, Liese Schwarz mit Körbchen,<br />

dahinter Lina Plenefi sch mit der kleinen<br />

Erna auf dem Arm (Ende der 1920er<br />

Jahre)<br />

Im südlichen Bereich der Seestraße, im<br />

Hintergrund das Haus von Hermann<br />

Schlegel<br />

(Seestraße 4),<br />

1949 1949<br />

In der Seestraße vor dem Haus von Fritz<br />

Bauer (Anfang der 1940er Jahre)<br />

In der Eberstädter Straße vor dem Gasthaus<br />

„Zum „Löwen“ (in den 1950er Jahren)


Kirche und kirchliches Leben<br />

Die evangelische Kirchengemeinde <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Filial zu Neuenstadt oder Der lange Weg<br />

zur Eigenständigkeit<br />

Vermutlich schon vor der ersten Erwähnung<br />

im Jahr 1262 kann man davon ausgehen,<br />

dass das Dorf <strong>Cleversulzbach</strong> immer<br />

eng mit Helmbund bzw. später mit<br />

der Stadt Neuenstadt verbunden war.<br />

Diese Verbindung galt für die bürgerliche<br />

Herrschaft wie für kirchliche Belange –<br />

oft genug bei geistlichen Herrschaften sowieso<br />

eins. Die Herrschaften wechselten<br />

gerade im 13. bis 15. Jahrhundert des Öfteren.<br />

So wurde, ohne genannt zu werden,<br />

sicherlich auch <strong>Cleversulzbach</strong> im Jahr<br />

1352 auf eine Anordnung des Papstes Innocenz<br />

VI. hin, der die Kirche von Neuenstadt<br />

dem Kloster Schöntal übergab, mit<br />

zu den Besitzungen Schöntals genommen<br />

und das Dorf musste unter dessen Obhut<br />

die klösterlichen Aufl agen, wie den Zehnten<br />

zu geben, erfüllen. 1481 wurde die<br />

Pfarrkirche von Helmbund auf Erlaubnis<br />

des Würzburger Bischofs Rudolph in die<br />

neugegründete Stadt Neuenstadt verlegt<br />

und zwar in die dortige St.-Nikolaus-Kapelle.<br />

Allerdings sollte die Kirche in Helmbund<br />

erhalten bleiben, „weil <strong>Cleversulzbach</strong><br />

dahin eingepfarret war“. Auch weil<br />

die Einwohner <strong>Cleversulzbach</strong>s den „lang<br />

Kirweg“ gerne gingen, wurden der damalige<br />

Pfarrer Wendelin Oberländer und<br />

seine Nachfolger verpfl ichtet, an allen<br />

Sonn- und Feiertagen auch in Helmbund<br />

Gottesdienst zu halten. So machten sich<br />

die <strong>Cleversulzbach</strong>er also jeden Sonn- und<br />

Feiertag auf den Weg zur Helmbundkirche.<br />

Außerdem wurden die verstorbenen<br />

Gemeindeglieder auch in Helmbund begraben.<br />

Durch Krieg kam Neuenstadt 1504<br />

– und somit auch <strong>Cleversulzbach</strong> – zum<br />

Herzogtum Württemberg. Von 1520 an<br />

gehörte es 15 Jahre zu Österreich. Erste<br />

reformatorische Regungen konnten sich<br />

nicht festsetzen. Mit dem Bauernkrieg<br />

brachen im Jahre 1525 unruhige Zeiten<br />

an. In unmittelbarer Nachbarschaft in<br />

Weinsberg tobte eine große Schlacht, bei<br />

der Weinsberger Bluttat (oder Weinsberger<br />

Blut-Ostern) wurde Graf Ludwig von<br />

Helfenstein, nachdem über 6.000 Bauern<br />

Weinsberg angegriff en und erobert hatten,<br />

gefangen, dann sofort verurteilt und<br />

getötet. Der Führer der aufrührerischen<br />

Bauern Jäcklein Rohrbach wurde daraufhin<br />

gefangen genommen und zur Abschreckung<br />

langsam verbrannt und<br />

Weinsberg wurde total zerstört und seiner<br />

Stadtrechte beraubt. 1534 kamen die<br />

1504 zu Württemberg gekommenen nördlichen<br />

Gebiete nach 15 Jahren „Fremdherrschaft“<br />

wieder zu Württemberg.<br />

Schließlich wird Neuenstadt und somit<br />

auch unser Dorf 1541 evangelisch.<br />

Der Weg in die kirchliche Selbständigkeit<br />

sollte allerdings noch dauern. Ein Schritt in<br />

diese Richtung bildete sicherlich der Bau<br />

einer eigenen – wohl hölzernen – Kapelle,<br />

von der wir zum ersten Mal 1523 erfahren,<br />

die aber auch schon deutlich älter sein<br />

kann. In einem kirchlichen Bericht heißt es:<br />

„daselbst in Clepharsulzpach ist kein Pfarr<br />

noch Pfründe“, aber eine Kapelle wird erwähnt<br />

– „eine Kapelle zwischen ein Haus<br />

und des Schultheißen Besenacker gelegen,<br />

stößt hinten an den Speckacker“. Allerdings<br />

tauchen diese Flurnamen nirgends mehr<br />

auf, so dass in letzter Eindeutigkeit nicht<br />

gesagt werden kann, wo die Kapelle tatsächlich<br />

stand. Es spricht sehr vieles dafür,<br />

gerade auch die Konstanz der „heiligen<br />

287


288<br />

Orte“, dass sie dort lag, wo die spätere Kirche<br />

gebaut wurde.<br />

1531 stellte die Gemeinde ihren ersten<br />

Antrag mit der Bitte, dem Dorf einen eigenen<br />

Pfarrer „zu geben“. Allerdings blieb<br />

eine Beantwortung aus. 1534 – nach der<br />

gewonnen Schlacht bei Lauff en – wurde<br />

das Herzogtum Württemberg evangelisch,<br />

denn Herzog Ulrich verpfl ichtete sich im<br />

Vertrag von Kaden, in seinen Landen die<br />

Reformation nach dem Augsburger Bekenntnis<br />

(1530) durchzuführen. Bis dies<br />

allerdings im ganzen Land durchgeführt<br />

wurde, sind Jahre ins Land gegangen.<br />

Heilbronner Geistliche führten diesen<br />

Auftrag in den nördlichen Gebieten Württembergs<br />

(Weinsberg, Neuenstadt und<br />

Möckmühl) durch. Wie schon erwähnt,<br />

wurde unser Dorf 1541 evangelisch. Jacob<br />

Ratz, der erste evangelisch genannte Pfarrer,<br />

tritt seinen Dienst in Neuenstadt an<br />

und war somit auch für <strong>Cleversulzbach</strong><br />

zuständig.<br />

Kurz vorher muss es so etwas wie die Etablierung<br />

eines Geistlichen gegeben haben,<br />

denn 1537 in einem Schreiben an den<br />

„obersten Bischof“ an Herzog Ulrich, hieß<br />

es: „… seind schon bis ins 3. Jahr von einem<br />

Hirten verlassen, bitten fl ehentlich<br />

ein Prister verordnen, der allen Sonntag<br />

zu uns in des Fleckens Kirch ging, denn<br />

etwa 300 junger und alter Menschen bei<br />

uns seindt.“ Dieser Versuch einer ersten eigenen<br />

pfarrerlichen Versorgung scheiterte<br />

und auch ein zweiter Anlauf, einen Pfarrer<br />

zu haben, war wieder von kurzer Dauer.<br />

Kurze Zeit später hieß es: „… daß ein Prister<br />

aus Gochsen her, Michael Pfi ster, 8<br />

Wochen zu uns in des Fleckens Kirch gegangen<br />

und gepredigt hat … jetzt widerumb<br />

gekündigt.“ Parallel zum Bemühen<br />

um einen eigenen Pfarrer vergrößerten<br />

die <strong>Cleversulzbach</strong>er ihre Kapelle zu einer<br />

Kirche. Erste Hinweise darauf gab es im<br />

Jahr 1537. In dieser Zeit wurde am Rohbau<br />

gearbeitet. Auch danach versuchten<br />

die <strong>Cleversulzbach</strong>er immer wieder, einen<br />

eigenen Pfarrer zu bekommen. So lassen<br />

sich verschiedene Bittschreiben an den<br />

Herzog nachweisen, u. a. folgende Eingabe<br />

nachdem ein weiterer Geistlicher seinen<br />

Dienst aufgekündigt hatte und „… wiederumb<br />

ein Predigt am Sonntag felt.“ 1548<br />

brach das so genannte Interim an, der katholische<br />

Kaiser Karl hatte durch den<br />

Schmalkaldischen Krieg wieder die Oberhand<br />

gewonnen. Bis 1554 war in Neuenstadt<br />

Gregorius, ein Mönch aus Schöntal,<br />

als Pfarrer eingesetzt, der auch <strong>Cleversulzbach</strong><br />

mitversorgte. Mit dem Augsburger<br />

Religionsfrieden 1555 begannen ruhigere<br />

Zeiten.<br />

1584 dann ein positiver Bescheid – man<br />

teilte der Gemeinde mit, dem Anliegen<br />

„auf Errichtung einer Pfarrstelle wohlwollend“<br />

gegenüberzustehen, und es wurde<br />

zugesagt, baldigst ihrem berechtigten<br />

Wunsch zu entsprechen. Nachdruck verlieh<br />

dieser Bitte sicherlich auch der Umstand,<br />

dass die Kirche kurz vor ihrer Vollendung<br />

stand. Vermutlich 1585 wurde die<br />

Kirche geweiht – wohl auf den gleichen<br />

Namen, den schon die Kapelle innehatte:<br />

St. Jost. Die „Zusage“ von 1584 ging acht<br />

Jahre später – 1592 – in Erfüllung, als der<br />

erste Ortsgeistliche Michael Wolff in der<br />

St.-Jost-Kirche durch den damit beauftragten<br />

Pfarrer Wolfgang Denk aus Neuenstadt<br />

eingesetzt wurde. Eine Kirchenakte<br />

formuliert es so: „unter ihm ist die<br />

Pfarrei Cleff er Sulzpach, so ein Filial von<br />

Neuenstadt gewest, aufgerichtet worden“.<br />

Der Fürst, Herzog Ludwig von Württemberg,<br />

hat endlich „auf wiederholtes Anhalten<br />

zur Beförderung von Ehr Gottes<br />

und der Untertanen Seel Heil“ <strong>Cleversulzbach</strong><br />

„zu einer Pfarrei gemacht“. Aus dem<br />

„Filial von Neuenstadt“ ist endlich nach<br />

langem Ringen und Bitten eine eigenständige<br />

Gemeinde geworden. 1592 ist somit<br />

das eigentliche Geburtsdatum der evangelischen<br />

Kirchengemeinde Cleversulz-


Älteste Taufeinträge aus dem Jahr 1597<br />

bach – wenn es natürlich auch schon vorher<br />

kirchliches Leben gab. Die ersten Einträge<br />

im ältesten Kirchenbuch der Kirchengemeinde<br />

sind von Pfarrer Abraham<br />

Krämer, der mit den Taufeinträgen am 17.<br />

Februar 1597 begann.<br />

250 Jahre gemischte Zeitläufe<br />

Jetzt war die sonn- und feiertägliche Predigt<br />

in der eigenen Kirche und die<br />

Rundum-Versorgung durch einen eigenen<br />

Pfarrer Wirklichkeit geworden, allerdings<br />

sollten die kommenden Zeitabschnitte<br />

nicht nur Gutes bringen. Nur 26 Jahre<br />

nach der Einsetzung des ersten Pfarrers<br />

begann der Dreißigjährige Krieg, der viel<br />

Not mit sich brachte. Nach der Schlacht<br />

von Nördlingen (September 1634) wurden<br />

die Zeiten besonders schlecht. Die Jahre<br />

1634 bis 1637 waren für unser Dorf wohl<br />

die schlimmsten Jahre überhaupt in seiner<br />

ganzen Geschichte – wie auch für ganz<br />

Württemberg, denn die Bevölkerung nahm<br />

gerade durch die Pestzeiten, besonders im<br />

Jahr 1637, von 350.000 im Jahr 1618 auf<br />

ca. 120.000 im Jahr 1648 ab. Zunehmende<br />

Unsicherheit, Überfälle, Plünderungen und<br />

am schlimmsten die Pest – das waren die<br />

Begleitumstände dieser Zeit. So wurden<br />

im Jahr 1634 von 31 Häusern 14 abgebrannt<br />

und „im Flecken und in der Kirch<br />

alles geplündert“. Allein 45 Einwohner des<br />

Dorfes starben in diesem Jahr laut dem<br />

Totenregister, alle namentlich aufgeführt<br />

– zusätzlich fi ndet sich noch eine Notiz<br />

des Pfarrers Johann Mezger nach dem 42.<br />

Namen, dass aufgrund des ungarischen<br />

Fiebers und der Kriegsfolgen viele gestorben<br />

sind, die nicht aufgeschrieben wurden.<br />

Im Taufregister sind für dieses Jahr<br />

neun Namen aufgeführt, allerdings acht<br />

mit einem kleinen Kreuzchen gekennzeichnet,<br />

sie sind wohl bald gestorben …<br />

Und es sollte so weitergehen: 1635 sind<br />

53 Tote verzeichnet, 1636 sind es 43, und<br />

das schlimmste Jahr sollte noch kommen:<br />

1637 sind insgesamt 55 Tote im Sterberegister<br />

namentlich verzeichnet, beim Taufregister<br />

sind nur drei Namen genannt,<br />

zwei mit Kreuzchen … d. h., in diesen vier<br />

Jahren sind über 200 Einwohner unseres<br />

Dorfes – vermutlich mehr als die Hälfte<br />

der Bevölkerung – gestorben! So sind<br />

ganze Familien binnen weniger Tage aus-<br />

289


290<br />

Einträge im Totenbuch aus dem Jahr 1634<br />

gelöscht worden, ob Alt ob Jung, ob Kleinkind<br />

oder Greis, der Tod hielt reiche Ernte<br />

im Dorf <strong>Cleversulzbach</strong> …<br />

Weil so viele starben und weil der Weg nach<br />

Helmbund ohne Karren so beschwerlich war<br />

(alle Zugtiere waren wegen des Krieges requiriert<br />

bzw. geraubt worden), kam man auf<br />

die naheliegende Idee, einen Friedhof in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> anzulegen. Der „erbare Bürger<br />

Konrad Kern“ wurde gebeten, ein Stück<br />

seines Krautgartens – am Kyrchweg gelegen<br />

– für einen gebührenden Preis abzutreten.<br />

Dies sagte er auch zu. Als dann Kerns Frau<br />

Barbara – aus deren Familie der Krautgarten<br />

kam – bald darauf starb, hat er ihn „ohne<br />

entgeltnuß“, also ohne Geld dafür zu nehmen,<br />

der Kirche gespendet.<br />

Im Jahr 1634 war neben vielen Häusern<br />

des Dorfes auch das Kirchenschiff so stark<br />

beschädigt worden, dass die westliche Giebelwand<br />

einzustürzen drohte. Zunächst<br />

wurde noch Kirche darin gehalten, aber<br />

1654 heißt es, dass keine Kirche mehr darin<br />

gehalten wird. 1660 brach dann der marode<br />

Giebel der Kirche zusammen, das<br />

Dach stürzt ein, der Turm war vorher schon<br />

nass – die Kirche ist nicht mehr zu gebrauchen.<br />

Woher sollte Hilfe kommen?<br />

Auf jeden Fall konnte die dezimierte<br />

und völlig verarmte Bevölkerung<br />

einen Neubau niemals<br />

allein schaff en! Deshalb<br />

ruhten alle Hoff nungen auf<br />

Herzog Friedrich, den Begründer<br />

der Herzogslinie Württemberg-Neuenstadt<br />

und Bruder<br />

des Herzogs in Stuttgart. Seit<br />

1650 bewohnte er das Schloss<br />

in Neuenstadt. Durch diese<br />

Verbindungen und dank der<br />

von Stuttgart fl ießenden Geldmittel<br />

und auch den Anstrengungen<br />

der Kirche und der<br />

Kirchengemeinde wurde beschlossen,<br />

das ganze Kirchenschiff<br />

abzureißen und das Langhaus um<br />

13 Schuh (3,72 m) zu verlängern. Allerdings<br />

waren die Maße mehr als bescheiden:<br />

hatte vorher die Kirche praktisch die<br />

Größe von zweimal der Turmfl äche (11,80<br />

x 7,30 m), so wurde sie jetzt ungefähr bis<br />

zur Vorderkante der heutigen Empore vergrößert.<br />

Dank eines Vorschusses von 4.760<br />

fl (Gulden) wurde der Bau von 1666 bis<br />

1670 erstellt – allerdings zogen sich die<br />

letzten Wiederaufbauarbeiten bis 1740<br />

hin, denn es war festgelegt, dass nur so<br />

weit gebaut werden durfte, wie auch Mittel<br />

vorhanden waren.<br />

Schicksalsjahr 1742<br />

Dann 1742 ein Schicksalsjahr, denn die<br />

jahrzehntelange Aufbauleistung wurde<br />

binnen weniger Minuten im Spätsommer<br />

zunichte gemacht. Ein Blitzschlag zerstörte<br />

alles bisher Geleistete: „das Kirchenschiff<br />

brannte völlig aus, der Turm<br />

blieb etwas stabil.“<br />

Nun was tun? Woher sollte Hilfe kommen?<br />

Geld hatte die Gemeinde für einen Neubau<br />

gewiss nicht. Wieder musste die Hilfe von<br />

außerhalb kommen. Der 75-jährige Herzog<br />

Karl Rudolf muss angerührt worden sein<br />

von diesem Schaden, denn er engagierte


sich, war Fürsprecher und gab Hilfestellungen<br />

aller Art. Er und auch die Kirchenbehörde<br />

stellten die zum Neubau benötigten<br />

Mittel zur Verfügung. Und der Herzog versprach<br />

dazu noch, nach gelungenem Aufbau<br />

der Kirchengemeinde eine Orgel zu<br />

stiften. Allerdings erlebte er weder Neubau<br />

noch die Aufstellung seiner gestifteten Orgel,<br />

denn er starb am 17. November 1742.<br />

Bis zum Jahr 1744 wurden die schon 1742<br />

beschlossenen Änderungen umgesetzt: Das<br />

alte Kirchenschiff wurde abgerissen, das<br />

Kirchenschiff verbreitert und nochmals verlängert,<br />

und dazu wurde noch eine Empore<br />

eingebaut. So wurde nach einem großen<br />

Schaden innerhalb von zwei Jahren doch<br />

alles zum Guten gewendet! Auch hier gilt:<br />

Des HERRN Wege sind unerforschlich! Zu<br />

der Form, in der wir die Kirche heute noch<br />

sehen, kam sie im Jahr 1782. Damals wurde<br />

die Sakristei angebaut und die beiden<br />

Stützpfeiler am Turm angebracht. Die Kirche,<br />

die wir heute haben, geht also von den<br />

Maßen auf die Pläne von 1742 zurück.<br />

Danach folgten ruhigere Jahre, in denen<br />

das Leben auf dem Land seinen von der<br />

Landwirtschaft und dem Rhythmus der<br />

Natur geprägten Lauf nahm.<br />

Eng verwoben war das Ergehen der Kirchengemeinde<br />

mit dem Ergehen der Menschen.<br />

Im Auf und Ab der Zeiten war die<br />

Kirchengemeinde, die ja über Jahrhunderte<br />

fast deckungsgleich mit den Einwohnern<br />

war, wie alle anderen betroff en.<br />

Waren die Zeiten gut, so ging es zumindest<br />

äußerlich auch der Kirchengemeinde<br />

gut – waren es schlechte Zeiten, so hinterließ<br />

auch das seine Spuren in der Kirchengemeinde.<br />

So waren z. B. die beiden Weltkriege<br />

Zeiten, in denen <strong>Cleversulzbach</strong> einen<br />

hohen Blutzoll entrichten musste und<br />

viele aus der blühenden Jugend nicht das<br />

Alter sahen. Im Ersten Weltkrieg fi elen<br />

bzw. wurden 23 <strong>Cleversulzbach</strong>er vermisst,<br />

im Zweiten Weltkrieg waren es 26 Vermisste<br />

bzw. Gefallene aus dem Dorf.<br />

Die Zeit des Dritten Reiches – über die an<br />

anderer Stelle mehr zu lesen sein wird –,<br />

die harten Jahre nach dem Krieg, die Zeit<br />

des Wiederaufbaus, das waren Zeiten, die<br />

auch die Kirchengemeinde durchlebt bzw.<br />

durchlitten hat.<br />

1960 dann wieder ein für die Kirchengemeinde<br />

ganz wichtiges Jahr. Wieder hängt<br />

dieses Jahr mit dem Kirchengebäude zusammen.<br />

Wieder wird das Kirchenschiff<br />

abgerissen, da es von der Bausubstanz her<br />

so schlecht war, dass dieser Schritt unausweichlich<br />

war. An der heutigen Treppe<br />

war eine Rampe und die Bauern fuhren<br />

den Bauschutt ab – schon immer half<br />

man zusammen, wenn es um die Anliegen<br />

Abriss des Kirchenschi s im Sommer 1960<br />

des Dorfes ging! Insgesamt 13.000 DM<br />

konnte man so bei den Abbrucharbeiten<br />

sparen, die eine sich ergebende Verteuerung<br />

am Turm auff angen konnten.<br />

Der gesamte Umbau der Kirche war damals<br />

auf 200.000 DM berechnet worden.<br />

Erwähnenswert ist auch, dass durch Vermittlung<br />

des Jagdpächters Direktor Philipp<br />

Wesp über 21.000 DM von 13 verschiede-<br />

291


292<br />

nen Industriellen für die Kirchensanierung<br />

gespendet wurden. Professor Hannes<br />

Mayer aus Stuttgart-Kaltental war der<br />

ausführende Architekt, der damals die gesamte<br />

Renovierung in seinen Händen hielt.<br />

Am Morgen des Festtages, am 12. Juli<br />

1961, traf man sich an der Kelter. Nach<br />

ersten Dankesworten war man von der<br />

Kelter aus in einem geordneten Zug aufgebrochen<br />

mit den Kindern, dem Kirchengemeinderat,<br />

der Bauleitung, den Handwerkern,<br />

dem Gemeinderat, dem Gesangverein<br />

und schließlich der gesamten Gemeinde.<br />

Die Festpredigt hielt Prälat Dr. Hege.<br />

Zum großen Jubiläum der Kirchengemeinde<br />

1992 wurde die Kirche innen renoviert,<br />

die ganze Kirche wurde gewissermaßen<br />

farblich an die Orgel angeglichen,<br />

was ihr einen hellen und freundlichen<br />

Charakter gab. Der Festakt mit Festgottesdienst<br />

und Feierstunde fand am Dritten<br />

Advent, dem 13. Dezember 1992 statt; der<br />

damalige Prälat Hans Kümmel hielt die<br />

Festpredigt. Der Grund zum Feiern: 400<br />

Jahre eigenständige Evangelische Kirchengemeinde<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Ein Bauvorhaben, das die Kirchengemeinde<br />

seit 2001 beschäftigte, war das neue<br />

schöne Gemeindehaus, das schließlich im<br />

Oktober 2008 eingeweiht wurde. Es passt<br />

äußerlich harmonisch in das Ortskernensemble<br />

aus Kirche, Schule und Pfarrhaus<br />

hinein und befriedigt auch das innere Bedürfnis<br />

nach einem zentralen Ort für alle<br />

Aktivitäten der Kirchengemeinde.<br />

Noch heute – wie schon immer und auch<br />

in Zukunft – sind die Hauptaufgaben der<br />

Kirchengemeinde: Glauben zu leben und<br />

zu teilen, zu begleiten, zu trösten, für andere<br />

da zu sein, Gottesdienste zu feiern,<br />

die Menschen bei wichtigen Schritten zu<br />

begleiten wie bei Taufen, Konfi rmationen,<br />

Trauungen, Beerdigungen, Gemeinschaft<br />

zu leben, Möglichkeiten des Glaubens zu<br />

eröff nen, sich zum Wohl des Dorfes einzubringen,<br />

Gruppen und Kreise anzubieten<br />

und hinzuweisen auf Christus, der die Erfüllung<br />

aller menschlichen Sehnsüchte ist.<br />

Pfarrer – aus alter und neuerer Zeit<br />

Unter den Pfarrern sind folgende zu erwähnen,<br />

was allerdings nichts über die Bedeutung<br />

für die Menschen vor Ort heißt …<br />

Michael Wolff (1592 –1597) – der erste<br />

Pfarrer von bis dato 48 Pfarrhausbewohnern<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Johann Heinrich Schoppach (1714 –1731)<br />

– er ist genannt auf der Grabplatte für<br />

seinen ältesten Sohn, der mit 12 Jahren<br />

im Jahr 1723 starb. Die Grabplatte ist an<br />

der Außenmauer des Friedhofs angebracht.<br />

Eberhard Ludwig Rabausch (1747–1759)<br />

– er hat nicht den besten Ruf, wegen eines<br />

unsoliden Lebenswandels; so sind unter<br />

ihm (nach ihm?) ein Ehe- und Totenbuch<br />

von 1667–1735 verloren gegangen,<br />

und er ist derjenige, der im Pfarrhaus spuken<br />

soll, wovon der jetzige Amtsinhaber<br />

bislang nichts bemerkt hat … Allerdings<br />

widerspricht dem schlechten Bild über<br />

diesen Pfarrer eine Notiz im ältesten Kirchenbuch<br />

am Ende der Aufzählung der<br />

ersten Pfarrer bis zum Jahr 1735, wo es als<br />

Auskunft aus dem Pfarramt Untergruppenbach<br />

heißt: „Rabausch war hier Pfarrer<br />

von 1759 bis 1787 … er starb [im Alter<br />

von 67 Jahren] nachdem er über 28 Jahre<br />

rechtschaff en und treu gearbeitet hatte.“<br />

Johann Gottlieb Franckh (1799 –1804) –<br />

er war mit Schillers Schwester Louise verheiratet.<br />

Die Mutter Schillers war auf einem<br />

Besuch bei ihrer Tochter im Pfarrhaus,<br />

als sie 1802 in <strong>Cleversulzbach</strong> verstarb<br />

und nach damaligem Brauch sehr<br />

bald auf dem hiesigen Friedhof bestattet<br />

wurde. Pfarrer Franckh ging nach seiner<br />

Zeit hier im Dorf als Stadtpfarrer nach<br />

Möckmühl.


Eduard Mörike (1834 –1843) – er ragt unter<br />

den Pfarrern heraus. Auch wenn er<br />

mehr Dichter als Pfarrer war – der Name<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> hätte ohne ihn in keinem<br />

Fall einen solchen guten Klang, und das<br />

sogar weltweit! Nur er gehörte als Pfarrer<br />

zu den Großen von Deutschlands Dichtern<br />

und – meines Wissens nach – hatte er allein<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> einen Vikar zur<br />

Seite bzw. deren vier, denn die rund 500<br />

bis 600 Gemeindeglieder wurden normalerweise<br />

von einem Pfarrer allein betreut,<br />

nur in größeren Gemeinden wurden Vikare<br />

eingesetzt. Einer der Vikare, Jakob Wilhelm<br />

Haueisen, wurde später der Nachfolger<br />

Mörikes (1843 –1866).<br />

Fritz Wiesner (1903 –1931) – er war der<br />

Pfarrer, der am längsten von allen 48<br />

Pfarrern hier im Ort war – insgesamt 28<br />

Jahre lebte er im Pfarrhaus. Durch eine<br />

Stiftung von ihm konnte die Sakristei<br />

nach seinem Weggehen 1931 renoviert<br />

werden. Erwähnenswert bei den ihm folgenden<br />

Vertretungen ist Pfarrer Julius<br />

von Jan aus Brettach (dort von 1928 bis<br />

1935), der als einziger nach der so genannten<br />

„Reichskristallnacht“ im November<br />

1938 in der Buß- und Bettagspredigt<br />

öff entlich dazu Stellung genommen und<br />

dieses Tun verurteilt hat. Die Württembergische<br />

Landeskirche hat ihn aus dem Kirchendienst<br />

entfernt, und er musste nach<br />

Bayern gehen.<br />

Im Jahr 1935 zog Pfarrer Karl Fischer auf,<br />

der eigentlich schon im Ruhestand war,<br />

als er hierher kam, aber dann doch freiwillig<br />

den Dienst bis zu seinem Tod am 15.<br />

Juni 1945 versah. An ihn werden sich<br />

noch viele der älteren <strong>Cleversulzbach</strong>er als<br />

feinen alten Mann erinnern.<br />

Danach kamen Pfarrer und eine Pfarrerin,<br />

die – wie zu allen Zeiten – den Menschen<br />

mal mehr, mal weniger geben konnten:<br />

Otto Wüst (1946 –1949); Herrmann Grawunder<br />

(1950 –1956); Helmut Schmid<br />

(1957–1971); Hermann Pape (1971–1978);<br />

zwischenzeitliche Versorgung von<br />

Brettach (Pfarrer Podratz und Schaller)<br />

und Neuenstadt (Dekan Schubert); dann<br />

die erste Pfarrerin: Christa Lange (1983–<br />

1992); gefolgt von Ulrich Müller (1993–<br />

1999). Seit 1999 ist Pfarrer Ulrich Weber<br />

im Dienst. Mit ihm kam es zu einer ersten<br />

Auswirkung des Pfarrplans – der Anpassung<br />

oder auch Kürzung von Pfarrstellen<br />

auf lange Sicht – er versorgt <strong>Cleversulzbach</strong><br />

nicht als alleinige Pfarrstelle, wie alle<br />

anderen Pfarrer vor ihm, sondern er versorgt<br />

mit Bürg noch eine zweite, selbstständige<br />

Kirchengemeinde.<br />

Die Kirchengemeinde ist zwar klein, aber<br />

es gab und gibt vielfältige Tätigkeiten. So<br />

seien in Erinnerung gerufen: der Frauenkreis,<br />

Bastelkreis, der Singkreis, Adventsbazare,<br />

Kinderkirchfeste mit Musicalaufführungen<br />

und vieles andere, was in den<br />

Erinnerungen der <strong>Cleversulzbach</strong>er zu fi nden<br />

ist.<br />

Aktuell im Jahr 2012 gibt es neben dem<br />

sonntäglichen Gottesdienst für die „Großen“,<br />

den sonntäglichen Kindergottesdienst<br />

für die Kinder von 5 bis 12 Jahren.<br />

Für die ganz Kleinen und ihre Eltern gibt<br />

es mehrmals im Jahr den „Gottesdienst für<br />

kleine Leute“. Die ganz Kleinen treff en sich<br />

im wöchentlichen Mini-Club. Für die<br />

Jungs von 9 bis 13 Jahren ist die wöchentliche<br />

Jungschar da, die älteren Jungs ab<br />

der Konfi rmation können sich in der zweiwöchentlichen<br />

Jungenschaft treff en. Außerdem<br />

gibt es jährlich in den Herbstferien<br />

die Kinder-Bibel-Tage für alle Kinder<br />

von 5 bis 12 Jahren. Die Frauen treff en<br />

sich zum Frauenfrühstück und thematischen<br />

Abendterminen, die übers Jahr verteilt<br />

sind. Der monatliche Senioren-Nachmittag<br />

ist ein beliebter Treff punkt am<br />

Nachmittag. Der Beerdigungschor verleiht<br />

den Beerdigungen einen feierlichen Rahmen,<br />

der 2010 neu gegründete Kirchenchor<br />

„Wie im Himmel“ setzt musikalische<br />

293


294<br />

Akzente in verschiedenen Gottesdiensten.<br />

Die zweiwöchentliche Bibelstunde der<br />

APIS (Evangelischer Gemeinschaftsverband<br />

Württemberg) rundet das Angebot<br />

der Kirchengemeinde ab. Das Gemeindefest,<br />

das seit 1999 im Pfarrgarten gefeiert<br />

wird, ist ein Treff punkt der ganzen Gemeinde.<br />

Im Jahreslauf nimmt die Konfi rmation einen<br />

wichtigen Platz ein. War sie früher immer<br />

vier Wochen vor Ostern, so wird sie ab<br />

dem Jahr 2011 nach Ostern gefeiert, und<br />

der früher gewohnte Vor- und Konfi rmandenunterricht<br />

wurde umgewandelt in nur<br />

noch einen einjährigen Konfi rmandenunterricht.<br />

Auch heute noch setzt man sich<br />

mit den Grundaussagen des Glaubens auseinander,<br />

wenngleich methodisch in ganz<br />

anderer Weise als in den vorhergehenden<br />

Generationen, die ja zum Großteil den Katechismus<br />

auswendig gelernt haben.<br />

Erntedank ist ein weiteres wichtiges Fest<br />

im Jahreslauf, aber dadurch, dass es immer<br />

weniger Bauern gibt, geht das Bewusstsein<br />

für diesen Tag und auch die Erntedankgaben<br />

für den Kirchenschmuck zurück.<br />

Trotzdem ist es wichtig, sich bewusst<br />

zu machen, dass das Ernten, trotz des Vielen,<br />

das wir Menschen dazutun können, im<br />

Letzten ein Geschenk Gottes ist und mit<br />

seinem Segen zusammenhängt.<br />

Das Fest, das auch heute noch die Kirche<br />

füllt, ist Weihnachten. Viele, die unterm<br />

Jahr nicht den Weg in die Kirche fi nden,<br />

gehen gerne in diesen Gottesdienst, gehört<br />

doch der Gottesdienst an Heiligabend<br />

für viele wie selbstverständlich dazu.<br />

Lange Zeit hat das Krippenspiel im Familiengottesdienst<br />

am Abend des Vierten Advents<br />

wie selbstverständlich zum Weihnachtskreis<br />

dazugehört. Seit dem Jahr<br />

2009, nachdem das Proben für das Krippenspiel<br />

einen so großen Raum eingenommen<br />

hat und die Zahl der Mitspieler<br />

sehr schwankend war, hat die Kinderkirche<br />

etwas Neues ausprobiert: die Wald-<br />

Die Kirche St. Jost in den 1950er Jahren<br />

weihnacht. Diese Art im Wald zu feiern<br />

gewinnt immer mehr an Zuspruch.<br />

Der letzte Pfarrer in der Aufzählung weiter<br />

oben hat diesen Artikel geschrieben<br />

unter Berücksichtigung von schon zuvor<br />

Niedergeschriebenem vom geschichtlich<br />

sehr versierten, leider schon verstorbenen<br />

Rektor i.R. Helmut Braun. Der jetzige Pfarrer<br />

ist vielleicht der letzte – zumindest im<br />

Pfarrhaus in <strong>Cleversulzbach</strong> wohnende<br />

Pfarrer des Ortes – denn Kürzungen bei<br />

der Zahl der Dekanatspfarrer könnten<br />

dazu führen, dass, wenn nicht gleich, so<br />

doch in den nächsten Jahren, <strong>Cleversulzbach</strong><br />

von außerhalb versorgt werden<br />

müsste. Selbst das würde das Schiff , das<br />

sich Gemeinde nennt, nicht zum Kentern<br />

bringen, wenn die Gemeinde aufschaut<br />

auf Jesus, den Anfänger und Vollender des<br />

Glaubens! Und wenn für viele aus der nur<br />

nominellen Zugehörigkeit eine persönliche<br />

Zugehörigkeit zur Kirchengemeinde wird


Die Kirche St. Jost 2011<br />

– wenn aus der Kirchengemeinde (zu der<br />

ja zwei Drittel der Einwohner gehören)<br />

meine Kirchengemeinde wird – an deren<br />

Veranstaltungen man teilnimmt und sich<br />

selbst auch einbringt.<br />

Es folgt eine Beschreibung der Orte und<br />

Gebäude, die für die Kirchengemeinde besonders<br />

wichtig sind:<br />

Die Kirche St. Jost<br />

In der Oberamtsbeschreibung Neckarsulm<br />

aus dem Jahr 1881 wird die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Kirche als „klein und unansehnlich“<br />

beschrieben. Das mag damals auch so gewesen<br />

sein, zum Glück haben sich die Zeiten<br />

geändert!<br />

Die Kirche ist – allerdings erst seit dem<br />

Abbruch der Kelter – das älteste Gebäude<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>s. Weiter oben ist die Baugeschichte<br />

beschrieben, hier auf dem Plan<br />

kann man die verschiedenen Bauphasen<br />

ablesen:<br />

Die Bauphasen der Kirche St. Jost<br />

Die Innenrenovierung zur Jubiläumsfeier<br />

1992, die der Kirche ihren freundlichen<br />

Charakter gegeben hat, war die letzte Renovierung.<br />

Nun, nach 20 Jahren (Wände)<br />

bzw. 52 Jahren (Heizung, Beleuchtung), ist<br />

die nächste Innenrenovierung schon absehbar<br />

…<br />

An Besonderheiten in und von der Kirche<br />

sind zu nennen:<br />

Der Name<br />

Einen seltenen und eher ungewöhnlichen<br />

Namen trägt unsere St.-Jost-Kirche! Jost<br />

oder auch genannt Jodok, Jodokus, Jobst<br />

oder Josse. Um 600 wurde er als Spross eines<br />

nordwestfranzösischen keltischen<br />

Fürstengeschlechts geboren, entsagte aber<br />

um 640 dem Thron und wurde ab 665<br />

Einsiedler. Er lebte am Ort der später nach<br />

295


296<br />

ihm benannten Benediktinerabtei St.<br />

Josse-sur-Mer bei Montreuil (Pas-de-Calais).<br />

Er starb um das Jahr 669. Früh wurde<br />

er heiliggesprochen. Seine Verehrung breitete<br />

sich auch in den deutschen Raum aus<br />

(z. B. Kloster Prüm und Landshut). Es ist<br />

davon auszugehen, dass der Vorgängerbau<br />

unserer Kirche, die Kapelle, wohl schon<br />

diesem Heiligen geweiht war und man<br />

den Namen übernahm. Sonst hätte man<br />

wohl nicht gerade den Namen eines katholischen<br />

Heiligen gewählt.<br />

Die Glocken<br />

Von den im Turm hängenden drei Glocken<br />

ist nur eine richtig alt: es ist die kleinste<br />

(mit dem roten Klöppel) – sie ist aus dem<br />

Jahr 1700 und von dem bekannten Glockengießer<br />

Johann Georg Rohr aus Heilbronn<br />

gegossen. Der Spruch, der auf ihr<br />

geschrieben ist, lautet: „Joh. Georg Rohr<br />

zu Heilbronn goß mich, nacher <strong>Cleversulzbach</strong><br />

gehor ich“.<br />

Die beiden andern Glocken – die „Mörikeglocke<br />

und die Schillerglocke“ (an Eduard<br />

Mörike und Schillers Mutter erinnernd)<br />

sind aus dem Jahr 1951 und die Firma Bachert<br />

aus Bad Friedrichshall hat sie gegos-<br />

Der Glockenstuhl mit den drei Glocken; links<br />

die älteste aus dem Jahre 1700<br />

sen. Sie haben die im Zweiten Weltkrieg<br />

heruntergeholten und eingeschmolzenen<br />

Glocken ersetzt, diese wiederum waren<br />

nach dem Ersten Weltkrieg neu gegossen<br />

worden, da auch damals zwei Glocken für<br />

Kriegszwecke eingeschmolzen worden waren.<br />

Schlecht sind die Zeiten, wenn die<br />

Glocken ihre eigentliche Aufgabe nicht<br />

mehr erfüllen dürfen! Der Glockenstuhl<br />

aus Stahl und die elektrische Läuteanlage<br />

sind aus dem Jahr 1965. Heute würde man<br />

wieder einen Glockenstuhl aus Holz wählen,<br />

aber damals war das ganz modern …<br />

oben: Die Orgel von 1789<br />

Die Orgel<br />

Die Orgel ist 1789 erbaut und aufgestellt<br />

worden. 1888 wurde sie von Orgelbauer<br />

Schäfer aus Heilbronn renoviert und der<br />

fand – laut Pfarrbericht von 1905 – im Innern<br />

der Kirche einen Zettel des Erbauers.<br />

Darauf stand: „Dieses Orgelwerk wurde<br />

ganz neu verfertigt von Georg Ludwig<br />

Mezler, Bürger und Orgelmacher zu Comburg<br />

zu Gottes Ehr und Verherrlichung<br />

des Gottesdienstes. Anno Domini 1789 im<br />

Mai vollendet.“ Der Orgelbauer G. L. Mezler<br />

ist bekannt für seine hochwertigen Orgeln,<br />

so ist z. B. die Orgel in Bürg vom<br />

gleichen Orgelmacher (allerdings aus dem<br />

Jahr 1797). Sie hat noch den originalen<br />

schönen Orgelprospekt und – ungewöhn-


links: Jesus der Erlöser, Mitte: Apostel Petrus, rechts: Apostel Paulus<br />

lich für eine kleine Dorfkirche – der berühmte<br />

Albert Schweitzer hat öfters auf<br />

ihr gespielt, wenn er zu Besuch in<br />

Deutschland war.<br />

Die drei Gemälde<br />

Diese in eher einfacher bäuerlicher Malerei<br />

gemalten Bilder stellen Jesus, den Erlöser<br />

der Welt (mit dem Kelch), und die<br />

Apostel Petrus (mit dem Schlüssel) und<br />

Paulus (mit dem Schwert des Geistes) dar.<br />

Sie stammen aus dem Jahr 1836 und wurden<br />

wohl in der Zeit Mörikes in der Kirche<br />

aufgehängt.<br />

Der Taufstein<br />

Er ist kunstvoll gestaltet und stammt aus<br />

dem Jahr 1701. Oben ist die Zahl 1735<br />

rechts: Der Taufstein mit den Kerzen der<br />

Konfi rmanden<br />

297


298<br />

oben: Detailansicht vom Taufstein<br />

unten: Die im Taufstein eingeritzte Jahreszahl<br />

1735<br />

eingeritzt, wobei genauere Informationen<br />

zu dieser Jahreszahl fehlen.<br />

Der Kruzifi xus<br />

Diese Christusfi gur ist das Älteste, was wir<br />

in unserer Kirche haben – noch älter als<br />

der Turm – sie entstammt der Zeit der<br />

Spätromanik. Ohne, dass es genauere Untersuchungen<br />

gab, kann man diese Figur<br />

des Gekreuzigten wohl um 1400 datieren.<br />

Woher genau der Korpus stammt und wie<br />

oben: Kopf des Gekreuzigten<br />

unten: Der gekreuzigte Christus<br />

er nach <strong>Cleversulzbach</strong> gekommen ist –<br />

das lässt sich wohl nicht mehr genau klären.<br />

Bei der Renovierung 1961 heißt es in<br />

den Akten: „… ferner den Aufwand für die


Die 2010 eingerichtete Gebetsecke<br />

Renovierung eines auf dem Dachboden<br />

des Pfarrhauses aufgefundenen spätgotischen<br />

Kruzifi xus der in der Kirche aufgestellt<br />

werden soll…“ Aber wie kam er auf<br />

den Dachboden und woher ist er? Wird<br />

man es jemals klären können?<br />

Die Gebetsecke<br />

Sie wurde 2010 eingerichtet und besteht<br />

aus den jahrelang achtlos im Pfarrhauskeller<br />

herumliegenden Teilen des alten Altars,<br />

der vor dem jetzigen in der Kirche<br />

stand und von dem auch das eiserne<br />

Kreuz stammt, das beim Treppenaufgang<br />

an der Kirchenaußenwand zum 400-jährigen<br />

Jubiläum angebracht wurde. Gereinigt<br />

und mit einer Sandschale versehen,<br />

lädt die Gebetsecke jetzt ein, eine Kerze<br />

anzuzünden, still werden und zu beten.<br />

Der Turmhahn<br />

Weltberühmt wurde der alte <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Turmhahn durch das Mörikegedicht<br />

„Der alte Turmhahn“ aus dem Jahr 1852.<br />

Bei der Kirchturmrenovierung 1840 vom<br />

Turm herabgeholt und von Mörike auch<br />

gleich in einem ersten Gedichtentwurf be-<br />

Der originale Turmhahn …<br />

… und sein neuzeitlicher Kollege<br />

schrieben, hat er Mörike sein Leben lang<br />

begleitet. Heute ist das Original im Deutschen<br />

Literaturarchiv in Marbach, eine Kopie<br />

befi ndet sich im Museum hier vor Ort.<br />

Heute kann man sagen, dass die Clever-<br />

299


300<br />

Der Friedhofseingang mit der Hinweistafel auf die „Dichtermütter“<br />

sulzbacher eine zwar kleine, aber schmucke<br />

Kirche haben – die zudem noch täglich<br />

geöff net ist!<br />

Der Friedhof<br />

1634 aufgrund der vielen Kriegs- und Pesttoten<br />

dieses Jahres angelegt, 1764 ganz<br />

mit einer Mauer umgeben (siehe Jahreszahl<br />

auf dem Eingangstor). Dort standen –<br />

heute nicht mehr sichtbar, aber durch eine<br />

Notiz von Pfarrer Grawunder erhalten –<br />

Gedichtzeilen des schlesischen Dichters<br />

Benjamin Schmolck:<br />

Sterblicher du gehst vorbei,<br />

wo man mich hat hingelegt!<br />

Schaue hier dein Konterfei,<br />

wenn man dich zu Grabe trägt.<br />

Meine Gruft ist dein Prophet,<br />

dass es dir wie mir ergeht.<br />

1964 wurde der Friedhof erweitert, auch<br />

wurde eine Leichenhalle gebaut. 2011<br />

wurde er mit neuen Wegen versehen. Weltbekannt<br />

ist er durch eine einmalige Sache<br />

– die Dichtermüttergräber. Die nebeneinanderliegenden<br />

Gräber der Mütter von<br />

Friedrich Schiller und von Eduard Mörike,<br />

von Elisabetha Dorothea Schiller und Charlotte<br />

Mörike. Weil beide hier verstorben<br />

sind (1802 und 1841), kam diese überaus<br />

ungewöhnliche Grab-Nachbarschaft zustande.<br />

Erwähnenswert ist auch noch ein<br />

besonderer Grabstein, der jetzt außen an<br />

der Leichenhalle aufgestellt wurde, der für<br />

die drei Schuler-Brüder ist, die alle im Ersten<br />

Weltkrieg gefallen sind. Dargestellt ist,<br />

wie die beiden Brüder Wilhelm und Daniel<br />

ihren Bruder Gustav bestatten.<br />

Das Pfarrhaus und der Pfarrgarten<br />

1755 ist als Datum über der Tür zum Garten<br />

des wohl schönsten und auff älligsten<br />

der alten <strong>Cleversulzbach</strong>er Häuser eingemeißelt.


links: Historische Ansicht des Pfarrhauses aus der Zeit Mörikes, rechts: Das Pfarrhaus heute<br />

Zu diesem Zeitpunkt war der Bau wohl<br />

fertiggestellt. Der Vorgängerbau – der ja<br />

nötig war zur Aufrichtung einer selbstständigen<br />

Pfarrstelle – ist im Jahr 1592<br />

durch herzogliches Spendengeld gekauft<br />

worden um 600 Gulden. Auch der Pfarrgarten<br />

wurde im selben Jahr erworben, so<br />

dass der neue Pfarrer eine standesgemäße<br />

Unterkunft bekam. Dieser Vorgängerbau<br />

war vermutlich abgerissen worden und<br />

das neue Pfarrhaus wurde an die Stelle<br />

des alten gesetzt. Äußerlich ist es dem<br />

Umfang nach auch heute noch das gleiche,<br />

wenn sich auch im Innern vieles verändert<br />

hat, wenn auch mancher Winkel<br />

noch so ist, wie Eduard Mörike ihn schon<br />

sah.<br />

Um die Erbauungszeit herum wurde sehr<br />

viel, gerade auch in Pfarrhäuser investiert.<br />

Die Pfarrhäuser in Brettach 1740, Neuenstadt<br />

1747, <strong>Cleversulzbach</strong> 1755, Lampoldshausen<br />

1758, Gochsen 1772 stammen<br />

alle aus derselben Zeitspanne. Heute<br />

sind sie natürlich nicht mehr kalt, sondern<br />

es ist schön dort zu wohnen. Etwas Besonderes<br />

beim hiesigen Pfarrhaus ist der<br />

direkte ebenerdige Zugang zum Garten<br />

vom Wohnstock aus. Der große Garten<br />

mit seinen 14 Ar liegt ganz in der Tradi-<br />

links: Zeichnung Mörikes mit einem Detail<br />

eines Fensters im Pfarrhaus<br />

rechts: Heutige Ansicht desselben Fensters<br />

tion der württembergischen Pfarrgärten,<br />

die damals auch durch einen großen<br />

Nutzgarten zum Lebensunterhalt der<br />

Pfarrfamilien beitrugen. In der Grundfl äche<br />

ist er bis heute erhalten geblieben. Etwas<br />

Besonderes war die so genannte<br />

Mörikebuche, eine Hainbuche (nicht die,<br />

die jetzt im Pfarrgarten steht, sie ist ein<br />

Sämling der Mörikebuche), denn Eduard<br />

Mörike hatte sich dort oft im Schatten<br />

aufgehalten und mit eigener Hand Dichternamen<br />

eingeschnitzt. Am 12. Juli 1956<br />

wurde sie zum Naturdenkmal erklärt. Sie<br />

301


302<br />

musste im Jahr 1991 gefällt werden, da sie<br />

nicht mehr austrieb.<br />

Das Gemeindehaus<br />

Ein langer Weg lag hinter der Kirchengemeinde<br />

von den ersten Gedanken bis zum<br />

endgültigen Einzug im Oktober 2008!<br />

Aber der Reihe nach. Als das alte Gebäude,<br />

die so genannte Salm'sche Schmiede, die<br />

auf dem Grundstück stand, auf dem jetzt<br />

das Gemeindehaus steht, von der Stadt<br />

gekauft wurde, ergab sich die Frage, ob<br />

nicht die Kirchengemeinde das Grundstück<br />

kaufen will, um an dieser Stelle ein<br />

Blick auf das 2008 vollendete evangelische<br />

Gemeindehaus vom Kirchturm aus<br />

Gemeindehaus zu bauen. Das war natürlich<br />

eine einmalige Chance, und der damalige<br />

Kirchengemeinderat hat sich dafür<br />

ausgesprochen, alles in seinen Möglichkeiten<br />

Stehende zu tun, damit dieses Projekt<br />

verwirklicht werden konnte. Der Blick auf<br />

die Finanzen war eher ernüchternd, da die<br />

Kirchengemeinde nicht eben im Geld<br />

schwamm (Innenrenovierung zum 400jährigen<br />

Jubiläum 1992). Es galt noch im-<br />

Der Schlussstein mit der Jahreszahl 1755<br />

über der zum Pfarrgarten gelegenen Tür<br />

mer von der Kirchengemeinde, was Pfarrer<br />

Schmidt 1964 an den Kreistag in einem<br />

Bittbrief um einen Zuschuss zur Orgelrenovierung<br />

einmal so ausdrückte: eine „fi -<br />

nanzschwache Gemeinde“ sei <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />

die für eine entsprechende Hilfe<br />

sehr dankbar wäre. So wurde beschlossen,<br />

eine Gemeindeversammlung durchzuführen,<br />

um über die sich eröff nenden Möglichkeiten<br />

zu informieren. Auf die positive<br />

Resonanz der versammelten Gemeindeglieder<br />

hin wurde beschlossen, einen Brief<br />

an jeden Haushalt zu verfassen, zur Information<br />

und mit einem Einleger versehen,<br />

auf dem jeder verbindlich festlegen<br />

konnte, ob und wie viel er spenden würde,<br />

wenn es zum Gemeindehausbau käme.<br />

Vom Rücklauf dieser Aktion machte der<br />

Kirchengemeinderat die Entscheidung abhängig,<br />

ob es zu weiteren Schritten kommen<br />

würde. Käme nur wenig zusammen,<br />

so würde man keine weiteren Schritte unternehmen.<br />

Käme indes viel zusammen,<br />

dann sollte das Projekt in Angriff genommen<br />

werden. Die Spannung stieg – und<br />

dann zum festgelegten Termin – die Überraschung!<br />

Knapp 100.000 DM wurden verbindlich<br />

zugesagt – das war für den Kirchengemeinderat<br />

das deutliche und untrügliche<br />

Signal, alles in die Wege zu leiten<br />

und zu tun, dass ein Gemeindehaus<br />

gebaut würde. Dies war der Auftakt zu<br />

vielerlei Aktionen, wie z. B. Flohmärkten,<br />

Baby-Bazaren, Bücherfl ohmärkten, Festen<br />

(erwähnt sei hier nur das große Fest im


Jahr 2003, bei dem alle Vereine mitgeholfen<br />

haben und der gesamte Erlös in das<br />

Bauvorhaben Gemeindehaus fl oss) und<br />

vielen anderen „Geldbeschaff ungsmaßnahmen“<br />

wie z. B. Filmabende, Kleingeldsammlung,<br />

… Viele haben Herz und Geldbeutel<br />

geöff net und gespendet, so dass es<br />

der Kirchengemeinde gelang, die Gesamtkosten<br />

von rund 450.000 Euro zu schultern<br />

(bei einem Eigenanteil von 225.000<br />

Luftbild des Ensembles<br />

aus Kirche,<br />

Schule und<br />

Salm'scher Schmiede,<br />

dem Vorgängerbau<br />

des evangelischen<br />

Gemeindehauses<br />

(Foto um 1985)<br />

Euro). Und man höre und staune – um<br />

schon kurz nach Abschluss der Bauarbeiten<br />

schuldenfrei dazustehen! Heute ist das<br />

durch den Neuenstädter Architekten Alexander<br />

Rüdele geplante Gemeindehaus aus<br />

dem Ortsbild und vor allem aus dem Gemeindeleben<br />

nicht mehr wegzudenken!<br />

Gott sei Dank – im wahrsten Sinne des<br />

Wortes – und auch allen, die auf irgendeine<br />

Art mitgeholfen haben!!<br />

303


304<br />

Die katholischen Christen in <strong>Cleversulzbach</strong> und<br />

ökumenisches Leben<br />

Wie üblich in Orten, vor allem in sehr kleinen,<br />

die von einer Konfession geprägt<br />

wurden, gab es oftmals einige wenige Einwohner,<br />

die der „anderen“ der beiden vorherrschenden<br />

Konfessionen – katholisch,<br />

evangelisch – angehörten.<br />

Nahezu geschlossen dem evangelischen<br />

Bekenntnis zugehörig waren z. B. <strong>Cleversulzbach</strong><br />

und Neuenstadt am Kocher, wohingegen<br />

Kochertürn und Stein nahezu<br />

homogen katholisch waren, in Bürg allerdings<br />

die konfessionelle Zusammensetzung<br />

schon etwas mehr durchsetzt war.<br />

Für das Jahr 1827 ist in einem Pfarrbericht<br />

festgehalten, dass zwei katholische<br />

Christen in <strong>Cleversulzbach</strong> wohnten (bei<br />

597 Einwohnern), um 1905 (bei 548 Einwohnern)<br />

waren es ebenfalls zwei. Sie<br />

wurden von Dahenfeld aus betreut, das in<br />

seiner Tradition als Deutsch-Ordens-Gemeinde<br />

fast in seiner Gesamtheit dem katholischen<br />

Bekenntnis angehörte.<br />

Die nicht nur in Württemberg bestehende<br />

konfessionelle „Einteilung“ der zumindest<br />

kleineren, vorwiegend bäuerlich strukturierten<br />

Orte wurde verändert durch die<br />

Folgen des Zweiten Weltkrieges. Zunächst<br />

kamen Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter<br />

und Ausgebombte, schließlich mussten<br />

Millionen Menschen aus ihrer Heimat in<br />

den Ostgebieten fl iehen, und bei Kriegsende<br />

eritten viele das Schicksal, aus ihrer<br />

Heimat vertrieben zu werden. Mit ihnen<br />

veränderte sich – mal mehr, mal weniger<br />

–, die konfessionelle Zusammensetzung<br />

eines Ortes.<br />

In der ersten Zeit nach Kriegsende<br />

herrschte ein Kommen und Gehen. Die<br />

Suche nach Arbeit und die Möglichkeiten<br />

zum Verbleib beeinfl ussten das Ausmaß<br />

von Zu- und Abwanderung. Für <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />

einer landwirtschaftlich orien-<br />

tierten Gemeinde mit damals nur wenigen<br />

Gewerbebetrieben, bezeugt eine statistische<br />

Momentaufnahme zum 6. Juni 1961<br />

zur Bevölkerungszusammensetzung und<br />

zu den Konfessionen: 505 Einwohner, davon<br />

13,5 Prozent Flüchtlinge und Heimatvertriebene;<br />

insgesamt 463 evangelisch<br />

und 26 katholisch Gläubige. Im Vergleich<br />

zum 17. Mai 1939: 441 Einwohner, 433<br />

evangelisch und 3 katholisch.<br />

Damals, während und nach dem Krieg,<br />

konnte keine Rücksicht mehr auf eine irgendwie<br />

konfessionelle Prägung einer Gegend<br />

genommen werden. Das hat, auf der<br />

einen Seite – wenn die Neubürger einer<br />

anderen Konfession angehörten – zunächst<br />

nicht unbedingt zur erhöhten Akzeptanz<br />

der Flüchtlinge und Vertriebenen<br />

beigetragen, hat aber, auf der anderen<br />

Seite, das Miteinander und das Aufeinanderzuwachsen<br />

der Konfessionen ungemein<br />

gestärkt, und wirkt auch heute in unserer<br />

Zeit einer mulitkulturellen Gesellschaft.<br />

So gab es nach dem Krieg in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

eine, relativ betrachtet, deutliche Zunahme<br />

der katholischen Einwohner. Sie<br />

besuchten von 1956 bis 1968 die eigens<br />

eingerichteten Gottesdienste im Untergeschoss<br />

des Forstamtes in Neuenstadt, von<br />

Dekan Dieterich am 16. September 1956<br />

als Kapelle auf den Titel „Heiligstes Herz<br />

Jesu“ benediziert 1 , dann ab 1968 die Gottesdienste<br />

in der neu erbauten Kirche<br />

„Zum Guten Hirten“ in Neuenstadt. Offi ziell<br />

waren sie aber bis 1975 nach Dahenfeld<br />

eingepfarrt, erst dann wurden die 352 Katholiken<br />

von Brettach und <strong>Cleversulzbach</strong><br />

umgepfarrt nach Kochertürn. 1981 leben<br />

65 Katholiken in <strong>Cleversulzbach</strong>, 1998 sind<br />

es 109, im Jahr 2005 sind es 133 und im<br />

Jahr 2011 sind es 117 Personen, die der katholischen<br />

Kirche angehören.


Ökumenischer<br />

Gottesdienst<br />

anlässlich des<br />

Backhausfestes<br />

im Festzelt am<br />

5. Oktober 1986<br />

Was die Ökumene angeht, so ist das prinzipielle<br />

Verhältnis zwischen den beiden<br />

großen Kirchen ein gutes. So gibt es auf<br />

der Ebene der Gesamtgemeinde Neuenstadt<br />

im Lauf eines Jahres verschiedene<br />

ökumenische Feiern und gemeinsame<br />

Schulgottesdienste. In <strong>Cleversulzbach</strong><br />

gab es bisher zwei ökumenische Gottesdienste<br />

anlässlich der beiden großen<br />

Dorff este 1986 und 2003. Ein weiterer<br />

wird folgen anlässlich der 750-Jahrfeier<br />

im September 2012, und hoff entlich wer-<br />

1 Vgl. die Ausführungen von Karin und Gottfried Reichert:<br />

Am Brunnen vor dem Tore. Geschichtliche und heimatkundliche<br />

Beilage zum Amtsblatt der Stadt Neuenstadt<br />

und ihrer Teilorte. Nr. 53.<br />

den noch weitere folgen, wenn auch die<br />

schiere Größe des katholischen Seelsorgebereichs<br />

dieses Unterfangen nicht erleichtern<br />

wird, da <strong>Cleversulzbach</strong> eben<br />

nur ein Ort von vielen ist in der seit dem<br />

1. Januar 2001 gebildeten katholischen<br />

Seelsorgeeinheit JaKoBuS (Neuenstadt–<br />

Kochertürn und Möckmühl) – zumal,<br />

wenn es irgendwann einmal nur noch einen<br />

katholischen Pfarrer (momentan<br />

noch zwei) für dieses riesige Gebiet geben<br />

wird …<br />

305


306<br />

Versorgung und Betreuung<br />

Die Hebammen in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Informationen über die Hebammen im<br />

Dorf <strong>Cleversulzbach</strong> sind erst ab Mitte des<br />

18. Jahrhunderts vereinzelt in verschiedenen<br />

Dokumenten des Archivs zu fi nden,<br />

und in den meisten Fällen erfahren wir lediglich<br />

den Namen der betreff enden<br />

Frauen. Der Gemeinderat bestimmte, wer<br />

die Stelle der Hebamme bekommen sollte:<br />

So wurde Sabina Lumpp „nach mehreren<br />

Durchgängen gewählt”, vermerken die<br />

Beilagen zur Gemeindepfl egrechnung 1 für<br />

das Jahr 1836.<br />

Die Bezahlung für den „wohl ältesten Beruf<br />

der Welt” scheint alles andere als üppig<br />

gewesen zu sein, nicht einmal auf königliche<br />

Auff orderung (28. Oktober 1842)<br />

besserte der Gemeinderat den „Geburtslohn<br />

und das Wartgeld” auf. Lediglich den<br />

Gegenwert in „baarem Geld” für den üblichen<br />

„Leib Brod 8 Pfund”, bzw. Gemeindeholz<br />

und Reisig 2 wollte man der Hebamme<br />

zugestehen. Als Aufwandsentschädigung<br />

und für Zehrgeld konnte Magdalene Bort<br />

im Jahre 1813 immerhin 7 f 12 x – also 24<br />

Kreuzer täglich – geltend machen; sie war<br />

insgesamt 18-mal nach Neckarsulm gegangen,<br />

um beim dort niedergelassenen<br />

„Hr. Physicus und Hebarzt” eine entsprechende<br />

Ausbildung zu absolvieren.<br />

Es fällt auf, dass etwa ab 1800 im Ort jeweils<br />

zwei Hebammen ihren Dienst versahen,<br />

ein Umstand, der trotz der geringen<br />

Bevölkerungszahl wenig überrascht, war<br />

damals die Anzahl der Schwangerschaften<br />

doch wesentlich höher als das heute der<br />

Fall ist.<br />

Es wird berichtet, dass in neuerer Zeit <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Frauen auch in Neuenstadt<br />

bzw. Brettach entbinden konnten. Hierü-<br />

ber erhalten wir in einem Interview,<br />

durchgeführt von Schülern der Grundschule<br />

Langenbrettach, genauere Auskunft:<br />

Die langjährige Brettacher Hebamme<br />

Lore Ehmann hatte in ihrer Privatwohnung<br />

in der Hauptstraße 23 von<br />

„1948 bis 1970 zwei Zimmer für die<br />

Wöchnerinnen. Hier konnten die Frauen<br />

ihr Kind zur Welt bringen und wurden bei<br />

mir noch etwa eine Woche versorgt.”<br />

Der Geburtsstuhl<br />

Dass die meisten Geburten in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

von alters her Hausgeburten waren,<br />

Geburtsstuhl aus dem 19. Jahrhundert,<br />

ähn lich dem von Doktor Göring in Auftrag<br />

gegebenen Stuhl


liegt auf der Hand. Das nächstgelegene<br />

Krankenhaus befand sich in Neuenstadt<br />

und die Wöchnerinnen-Station in Brettach<br />

– wie oben erwähnt – war eher eine Privatinitiative<br />

der Hebamme L. Ehmann in<br />

der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.<br />

So ist es kaum verwunderlich, dass schon<br />

1833 in den Akten auf einen so genannten<br />

„Geburts-Stuhl“ verwiesen wird, eine<br />

Einzelanfertigung aus Kirschbaumholz<br />

und zerlegbar, also transportabel. Es handelte<br />

sich um eine Investition, die mit einem<br />

Gesamtvolumen von fast 30 Gulden<br />

ein gewaltiges Loch in den Gemeindesäckel<br />

gerissen haben dürfte. Schreinermeister<br />

Schweitzer von Neuenstadt machte<br />

der Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong> für den von<br />

„Herrn Docktor Göring“ in Auftrag gegebenen<br />

Geburtsstuhl folgende Rechnung<br />

auf:<br />

Schlosser Arbeit<br />

u. a. starkes Scharnirband, 2 starke Blatten nebst Stahls mit<br />

Schrauben, Gewinde, Handgri ; 4 Blatten zu den Fustritt<br />

[und diverse Kleinteile] 8 f 30 x<br />

Schreiner Arbeit<br />

GeburtsStuhl aus Kirschbaumholz, ganz zum zusammen<br />

legen gericht 10 f 30 x<br />

19 f<br />

Neuenstadt 20 t Dec. 1833<br />

Für den letzten Schliff (Polsterarbeiten<br />

usw.) sorgte F. Ellsässer aus Neuenstadt,<br />

der für seine Bemühungen fast 11 Gulden<br />

Rechnung von Friedrich Ellsässer<br />

Sattler und Tapizier<br />

für Wohlloebliche Gemeinde Pfl ege in Cl.Sulzbach<br />

18. Dec. 1833<br />

in Rechnung stellte und den Empfang<br />

„mit höfl ichstem Dank“ quittierte.<br />

Einen Geburts Stuhl ganz neu beschlagen<br />

wozu ich gegeben habe, Leder 2 f 36 x<br />

wergene Leinwand 44 x<br />

Gurten 16 x<br />

gelbe Naegel 40 x<br />

Sattler- und Cardetschennägel 30 x<br />

2 Pfund Roßhaare à 48 x 1 f 36 x<br />

dieselben zu zopfen 4 x<br />

4 Pfund Rehhaare 40 x<br />

Arbeits-Verdienst 3 f 48 x<br />

Summa 10 f 54 x<br />

307


308<br />

Rechnung von Friedrich Ellsässer für Polsterarbeiten am neuen Geburtsstuhl<br />

Die <strong>Cleversulzbach</strong>er Hebammen<br />

Eine lückenlose Übersicht über die Hebammen<br />

im Ort und ihre Dienstzeiten ist<br />

nicht möglich – zu bruchstückhaft sind<br />

die entsprechenden Angaben in den Gemeinderatsprotokollen.<br />

Auch die so ge-<br />

nannten „Aemterersetzungen” geben nur<br />

unvollständig Auskunft.<br />

Die folgende Aufl istung nennt die zuständigen<br />

Hebammen bis einschließlich Lore<br />

Ehmann, die in ihrer Brettacher Wohnung<br />

Wöchnerinnenzimmer unterhielt.


Zeitraum Name<br />

1742 Agnes Lümmelmajorin;<br />

Fr. Simon Schlegel Wittib3 1749 Peter Lumpp Balthasen<br />

Sohnes Frau4 1756 Andreas Borthen Frau5 um 1780 Auen Wittib 6 die Witwe des Au stirbt im April 1800<br />

1800 Christian Niethen Ehefrau 7<br />

1815 Barbara, Michael Märzen<br />

Wittib; Christian Borten<br />

Weib 8<br />

„waren es schon vorher“<br />

Barbara März stirbt Ende 1831 9<br />

1836 Sabina Lumpp 10 nach mehreren Durchgängen gewählt<br />

1842 Christian Bordts Wittwe;<br />

Sabine Siegle11 1875 Henriette Seeber<br />

Caroline Lumpp12 Georg Siegles Wittwe; wg. hohen Alters<br />

entlassen 15. Juni 1878<br />

eingewiesen 21. Juni 1875<br />

*1845 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Hebamme seit 1879, Rentengesuch 31. Okt. 13<br />

1910)<br />

1909 Karoline Dietrich14 nach 23 Jahren Dienstzeit ausgewandert;<br />

lt. vorhandenen Unterlagen15 nach 25-jähriger<br />

Tätigkeit und 4-jähriger Krankheit am 19.<br />

Sept. 1935 gestorben<br />

1927 Marie Simpfendörfer16 von Brettach; Dienstvertrag 7. März 1927<br />

vor 1935 Pauline Eckle17 Zuständigkeitsbereich Neuenstadt, Bürg,<br />

Kochertürn, <strong>Cleversulzbach</strong>;<br />

teilt sich das Wartgeld in Höhe von 60 DM<br />

ab 1955 mit Marie Ehmann<br />

vor 1935 Marie Ehmann18 von Brettach; erhält Lohn für Einsätze in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong><br />

1958 Lore Ehmann19 *1932 in Brettach; Einrichtung von Wöchnerinnenzimmern<br />

im Privathaus in Brettach<br />

1 CR 281<br />

2 CB 18<br />

3 Visitation Pastor Landerer<br />

4 CB 10<br />

5 CB 10<br />

6 CB 11 S. 4<br />

7 CB 11 S. 4<br />

8 CB 13<br />

9 CB 1 S. 206<br />

10 CR 281<br />

11 CB 12 S. 114<br />

12 CB 150 Nr. 271<br />

13 CA 682<br />

14 CR 424 Nr.149, CA 682<br />

15 CB 36 S. 306<br />

16 CA 682<br />

17 CA 682, CR 272<br />

18 CR 182 S. 643<br />

19 CA 682<br />

309


310<br />

Das Schicksal des <strong>Cleversulzbach</strong>er Knaben<br />

Christian Gottlieb Bordt<br />

Im Jahre 1865 wird Christian Gottlieb Bordt<br />

als unehelicher Sohn des Maurers Christian<br />

Tobias Bordt und der Christiane Regine Ott<br />

geboren und wächst bei der Mutter auf. Als<br />

er acht Jahre alt ist, heiratet diese den<br />

Schneider Hamann, welcher den Jungen unter<br />

der Bedingung behalten will, dass Bordt<br />

wie bisher Kostgeld bezahle. Da sich der Vater<br />

nun weigert, übergibt man das Kind dem<br />

Großvater Filipp Bordt, der seinerseits am<br />

Rande des Existenzminimums lebt. Erst als<br />

sich Vater Bordt mit Maria Margarethe Fenter<br />

verheiratet, nimmt er seinen Sohn zu sich, allerdings<br />

ohne seiner Frau etwas von dessen<br />

Existenz gesagt zu haben. Es kommt zum Eklat,<br />

und der Knabe wird, da von Natur aus<br />

recht störrisch, erneut zum mittellosen Großvater<br />

abgeschoben. Ein Antrag auf Einweisung<br />

ins Waisenhaus war erfolglos geblieben,<br />

nun drängt die Zeit, und so fi ndet man einen<br />

Platz in der Rettungsanstalt Lichtenstern –<br />

allerdings gegen ein jährliches Kostgeld von<br />

50 bis 40 Gulden, das Bordt und Hamann je<br />

zur Hälfte tragen sollen. Hamann lehnt ab,<br />

wäre aber bereit, den Knaben um 20 Gulden<br />

in sein Haus aufzunehmen.<br />

Nun wendet sich die Gemeinde an den Bezirkswohltätigkeitsverein<br />

mit der Bitte um<br />

Beteiligung an den Kosten für Lichtenstern. 1<br />

Fünf Wochen später fragt das Oberamt Neuenstadt<br />

an, inwiefern sich die Gemeinde an<br />

den ausstehenden 30 Gulden beteiligen<br />

werde. Pfarrer Meyding und Schultheiß<br />

Lumpp machen glaubhaft, dass die Gemeinde<br />

in Armenangelegenheiten an den restirenden<br />

30 fl 10 bezahle, so daß noch 20 fl jährlich zu<br />

bestreiten wären; diese sollen durch genannte<br />

Institution übernommen werden.<br />

Die nächste Gemeinderatssitzung erbringt<br />

folgende Rechnung:<br />

Der Bez. Wohltätigkeitsverein hat<br />

20 fl . bewilligt. – die Gemeinde gibt<br />

1 CB 66 S. 46 Sitzung vom 6. Juni 1873<br />

10 fl . Die Anstalt Lichtenstern will jährlich<br />

10 fl . nachlassen.<br />

40 fl . Somit bleiben noch zu leisten.<br />

10 fl . Hieran hat nach Antrag des Pfarrers<br />

Hamann 5 fl u. Bordt 5 fl . jährlich an die Gemeindecasse<br />

zu bezahlen, was beiden recht<br />

wohl zugemuthet werden kann, indem beide<br />

jung u. arbeitsfähig sind.<br />

Bordt ist abwesend, doch glaubt man – da er<br />

vorher mit 20 Gulden Beteiligung einverstanden<br />

war – ihm die 5 Gulden ohne seine ausdrückliche<br />

Einwilligung zumuten zu können;<br />

Hamann erklärt sich unterschriftlich einverstanden.<br />

Doch das Geschachere geht auf anderer<br />

Ebene weiter:<br />

Der Knabe hat mitzubringen 2 Paar<br />

Schuhe 1 doppelte Kleidung 2 Paar wollene<br />

3 Paar baumwollene Strümpfe. 4<br />

Hemden 4 Sack – 2 Halstücher Hamann<br />

versteht sich dazu alles anzuscha en –<br />

wenn Bordt ihm 5 fl gebe.<br />

Mit dem Beschluss, wenn Bordt sich hiezu<br />

nicht versteht, so hat jeder Theil die Hälfte<br />

der Montur für sich anzuscha en, endet<br />

diese unrühmliche Episode, der Knabe wird<br />

nach Lichtenstern verfrachtet und verschwindet<br />

aus dem Bewusstsein seiner Eltern<br />

und der <strong>Cleversulzbach</strong>er. Norbert Gessner


Der <strong>Cleversulzbach</strong>er Kindergarten und<br />

seine Entstehung<br />

Die Errichtung einer Kinderschule, so die<br />

frühere Bezeichnung, bzw. eines Kindergartens<br />

war schon immer eine kommunale<br />

oder kirchliche Aufgabe gewesen. Dass<br />

diese Einrichtung für die Kleinen eine immens<br />

wichtige ist und war, speziell für die<br />

frühkindliche und vorschulische Erziehung<br />

wie auch das soziale Verhalten, ist und<br />

bleibt unbestritten. Doch wie es in <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />

einem Ort, dessen fi nanzielle Ausstattung<br />

nie die beste war, mit dieser dringend<br />

notwendigen Einrichtung seinen Verlauf<br />

genommen hat, soll hier, wenn auch<br />

nur in Auszügen, geschildert werden.<br />

In <strong>Cleversulzbach</strong> fi nden sich die ersten<br />

Informationen über Beratungen betreff s<br />

einer Kleinkinderschule im Ruggerichtsprotokollbuch<br />

von 1822 bis 1879. So<br />

wurde das Thema am 21. / 22. August 1876<br />

– erneut – aufgegriff en, nämlich aufgrund<br />

einer Auff orderung des Königlichen Oberamtes<br />

Neckarsulm. Vorausgegangen war<br />

im Übrigen eine Beratung in den Kollegien<br />

vom 27. Januar 1876 - mit ablehnender<br />

Beschlussfassung.<br />

Auszug aus dem Ruggerichtsprotokoll<br />

vom 21. / 22. August 1876:<br />

Zu bedauern ist, daß die Verhandlung am<br />

27. Jan. d. J. über die Herrichtung einer<br />

Kleinkinderschule ablehnend endete u. es<br />

sollte von den Colegien diese wichtige<br />

Frage abermals in Erwägung gezogen<br />

werden.<br />

Die Errichtung einer Kleinkinderschule<br />

wurde nicht mehr in Erwägung […] da bei<br />

der Puplikation dieses Rezeses sämmtliche<br />

Mitglieder der bürgerl. Colegien erklärten,<br />

diesen Punkt vorerst abzulehnen.<br />

Die nächste Beratung über die Errichtung<br />

einer Kleinkinderschule nach Auff orderung<br />

durch das Königliche Oberamt Ne-<br />

ckarsulm fand am 6. Oktober 1885 statt.<br />

Nach den vorliegen Protokollen haben Gemeinderat<br />

und Bürgerausschuss nach eingehender<br />

Erörterung und Beratung folgende<br />

kurz gefasste Entscheidung getroff en:<br />

Von der Errichtung einer Kleinkinderschule<br />

wegen mangelnder Mittel abzusehen.<br />

Gemeinderat: Bürgerausschuß:<br />

Kuttru Obmann: Karl Lohmann<br />

Klein August Bordt<br />

Herrmann Gottlob Herrmann<br />

Nef Johann Seebold<br />

Lumpp l D. Hesser<br />

Bordt<br />

Lumpp ll<br />

Somit war die Angelegenheit mit erneuter<br />

Ablehnung fürs Erste erledigt. Es sollte<br />

aber nicht lange dauern, keine zwei Jahre<br />

später landete wieder eine Auff orderung<br />

des Königlichen Oberamtes, vom 8. Mai<br />

1888, zur Errichtung einer Kleinkinderschule<br />

u. a. mit folgendem Hinweis auf<br />

dem Ratstisch:<br />

[...] Die Erö nung einer Kleinkinderschule<br />

wozu Staatshilfe zu erwarten wäre müßte<br />

als Fortschritt anerkannt werden.<br />

Der Ortsvorsteher sah die Schaff ung der<br />

Einrichtung ebenfalls positiv und trug den<br />

bürgerlichen Kollegien am 2. Juni 1888<br />

vor:<br />

Der Ortsvorsteher beantragt die Errichtung<br />

einer Kleinkinderschule in nicht so<br />

ferner Zeit, da diese Schule auf die sittliche<br />

Grundlage der Erziehung der Kinder<br />

einen guten Einfl uß in der hiesigen Gemeinde<br />

üben würde.<br />

Von dem Collegium wird nach längerer<br />

Erörterung in Anbetracht, daß noch ein<br />

Schuldenstand von 850 Mark von der<br />

Feuerwehr herrührend erhalten ist:<br />

311


312<br />

Einstimmig beschlossen: Die Errichtung<br />

einer Kleinkinderschule abzulehnen.<br />

In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen<br />

musste immer wieder über die zu<br />

errichtende Kleinkinderschule beraten werden,<br />

und immer fanden die Kollegien einen<br />

Grund, dies wie bisher abzulehnen.<br />

Nach erneutem Drängen und Ermahnen<br />

seitens des Oberamtes in Neckarsulm<br />

musste das für die <strong>Cleversulzbach</strong>er leidige<br />

Thema Kleinkinderschule wieder verhandelt<br />

werden, und stand am 11. Juli<br />

1910 erneut auf der Tagesordnung der gemeinsamen<br />

Sitzung von Gemeinderat und<br />

Bürgerausschuss. Von Ortsvorsteher Lambert<br />

Herrmann wurde gemäß § 42 vorgetragen:<br />

Die Errichtung einer Kleinkinderschule u.<br />

die Anstellung einer Kinderschwester,<br />

welche zugleich die Kranken besuchen<br />

könnte, in die Wege zu leiten, welches bei<br />

den zahlreichen kleinen Kindern der Gemeinde,<br />

welche besonders über den Sommer<br />

aufsichtslos sich herumtreiben, als<br />

ein dringendes Bedürfnis erscheint. Die<br />

Kleinkinderschule könnte unschwer in<br />

dem schönen leerstehenden Lokal unterhalb<br />

des Rathauses untergebracht werden.<br />

Für die Errichtung der Kleinkinderschule<br />

kann bei der Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins<br />

u. bei dem Bezirkswohltätigkeitsverein<br />

um einen Beitrag nachgesucht<br />

werden.<br />

Der Ortsvorsteher beantragt die Errichtung<br />

einer Kleinkinderschule, da diese<br />

Schule auf die sittliche Grundlage der Erziehung<br />

der Kinder einen guten Einfl uß in<br />

hiesiger Gemeinde übernimmt.<br />

Von den Kollegien wird nach längerer Erörterung<br />

in Anbetracht des in Aussicht<br />

stehenden Baues einer Wasserleitung,<br />

Feldbereinigung u. Einrichtung der Elektrizität<br />

einstimmig beschlossen:<br />

Die Errichtung einer Kleinkinderschule abzulehnen.<br />

Wenige Monate später, am 5. Januar 1911,<br />

erneute Verhandlung in den Bürgerlichen<br />

Kollegien, diesmal mit etwas anderen Bedingungen.<br />

Auch der Ton seitens des<br />

Königlichen Oberamtes ist ein etwas anderer.<br />

Unter § 5 der Tagesordnung fi ndet<br />

sich Folgendes:<br />

Das Kgl. Oberamt verlangt in seinem Erlaß<br />

vom 12. vorigen Monats, daß die Errichtung<br />

einer Kleinkinderschule nochmals<br />

in Erwägung gezogen werde, u. teilt<br />

mit, daß sich damit die Errichtung einer<br />

Krankenpfl egestation zweckdienlicher<br />

Weise verbinden ließe.<br />

Heute wurde in Gegenwart des Ortsgeistlichen<br />

Herrn Pfarrer Wiesner über diesen<br />

Gegenstand beraten. Es wird zur Sprache<br />

gebracht, daß in 2 bis 3 Jahren eine Diakonissin<br />

angestellt. Da sofort die Mittel<br />

nach bestehender Forderung noch nicht<br />

ausreichen, u. auch z. Z. Mangel dieser<br />

Personen hat, u. wird hiernach beschlossen:<br />

Die Errichtung einer Kleinkinderschule insolange<br />

zu verschieben, bis eine Diakonissin<br />

hier angestellt, welche dann auch die<br />

Aufsicht der Kinder zu übernehmen hätte.<br />

Nach dieser Entscheidung wurde es erneut<br />

sehr lange ruhig um die Kleinkinderschule<br />

im Ort. Wie wir heute wissen, wurden Entscheidungen,<br />

wichtige Projekte in den<br />

Kommunen voranzubringen, wesentlich<br />

durch den Beginn des Ersten Weltkrieges,<br />

der nachfolgenden Weimarer Republik mit<br />

der Infl ation sowie der Weltwirtschaftskrise<br />

beeinfl usst oder gänzlich unmöglich<br />

gemacht, so auch in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Mitte der 1930er Jahre, zur Zeit des Nationalsozialismus,<br />

musste das Thema Kindergarten<br />

auf Anweisung der NS-Volkswohlfahrt<br />

wiederum aufgegriff en werden.<br />

Der Gemeinderat sowie die Beigeordneten<br />

wurden am 29. März 1936 über die Forderung<br />

der NS-Wohlfahrt nach einem Kindergarten<br />

informiert und mussten darüber


entscheiden. Der Antrag zur Errichtung eines<br />

Erntekindergartens sollte der Gauamtsleitung<br />

spätestens am 31. des Monats<br />

vorliegen. Aus dem Antrag sollte hervorgehen,<br />

ob und wann hier ein Kindergarten<br />

errichtet werden kann.<br />

Vorgetragen, besprochen und entschieden<br />

wurde:<br />

Heute wurde über diesen Gegenstand mit<br />

den Gemeinderäten und einem Beigeordneten<br />

darüber beraten und von Pfarrer Fischer<br />

und von Bürgermeister Herrmann<br />

diese wohltätige Einrichtung empfohlen.<br />

Vom Gemeinderat wird dagegen der Kostenpunkt<br />

(wie bisher) bei der geringen Kinderzahl<br />

– es handelt sich etwa um 20 Kinder,<br />

beanstandet, weshalb die Entschließung<br />

des Bürgermeisters dahin geht:<br />

Einen Kindergarten vom 15.<br />

Juni bzw. 1. Juli bis November<br />

des Jhr. heuer versuchsweise<br />

zu errichten, wenn das Gehalt<br />

der Kindergärtnerin von der<br />

H.S.W.-Kasse bezahlt wird, da<br />

die Gemeinde nicht in der Lage<br />

ist, neben den Einrichtungskosten<br />

(Bescha ung von Stühlen<br />

usw.), sowie der Wohnung<br />

und Kost der Kindergärtnerin,<br />

noch diese Kosten zu übernehmen.<br />

Bürgermeister: Herrmann<br />

Gemeinderat: Schlegel<br />

Rüber<br />

Beigeordneter: Blank<br />

Aus dem Erntekindergarten,<br />

welchen die Kinder, und ganz<br />

besonders ihre überlasteten<br />

Mütter, dringend gebraucht<br />

hätten, wurde wieder nichts.<br />

Auch die Auff orderungen der<br />

NS-Volkswohlfahrt in den darauff<br />

olgenden Jahren, doch<br />

endlich einen Kinder- bzw. Ernte-Kindergarten<br />

einzurichten, löste zwar jeweils<br />

Diskussionen und Beratungen aus, führte<br />

aber nie zu einem konkreten Ergebnis. Erst<br />

als die Not immer größer wurde und die<br />

Frauen die anfallende Arbeit in Haus, Hof<br />

und Feld sowie die Kinderbetreuung kaum<br />

noch alleine bewältigen konnten, da die<br />

Männer zur Wehrmacht einberufen worden<br />

waren, hat 1941 mitten im Krieg auch<br />

hier im Ort ein Umdenken in Sachen Kindergarten<br />

stattgefunden. Mit Datum vom<br />

8. Mai 1941 stellt Altbürgermeister Lambert<br />

Herrmann einen Antrag an die Kreisamtsleitung<br />

der NSV in Heilbronn zur Errichtung<br />

eines Erntekindergartens für die<br />

Zeit der Sommerernte vom 1. Juli bis 1.<br />

November mit der oben aufgeführten Begründung.<br />

Weiter führt er aus, dass ein<br />

geeigneter Raum in der alten Lehrerwoh-<br />

Vertrag vom 28. März 1942 über die Einrichtung<br />

des NSV-Erntekindergartens<br />

313


314<br />

nung (die alte Lehrerwohnung war an<br />

Ludwig Seebold vermietet, ihm konnte<br />

kurzfristig Ersatzraum zur Verfügung gestellt<br />

werden), ebenso ein Spielplatz auf<br />

dem Sportplatz vorhanden seien. Er erwähnt<br />

auch, dass die Gemeinde monatlich<br />

60 RM an Miete zur Unterbringung der<br />

Kindergärtnerin übernimmt. Sein Schlusssatz<br />

lautete:<br />

Damit bitte ich um Veranlassung des<br />

Weiteren. „Heil Hitler“, B.V. Herrmann<br />

Auch 1941 tat sich nichts in Sachen Kindergarten,<br />

1942 erneute Beratungen, Beschlüsse<br />

und Verträge, alle waren voller<br />

Hoff nung – wieder nichts.<br />

Zum 1. Mai 1943, endlich ist es so weit,<br />

eröff net die NS-Volkswohlfahrt e.V. den<br />

ersten Kindergarten in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Den Müttern wird ein Stein vom Herzen<br />

gefallen sein, und die Kinder haben sich<br />

sicherlich riesig darauf gefreut, etwas<br />

Neues und bisher gänzlich Unbekanntes<br />

zu besuchen und erkunden zu können.<br />

Die erste Kindergärtnerin, welche laut<br />

Vertrag von der NSV gestellt wurde, war<br />

Fräulein Else Söhner. Weiter war vertraglich<br />

vereinbart, dass das Personal ausschließlich<br />

der Dienstaufsicht der NSV untersteht.<br />

Kindergartengruppe mit<br />

Else Söhner vor dem<br />

Schulhaus von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

im Kriegsjahr 1943<br />

Die Gemeinde unterstützte<br />

die NSV in ihrem<br />

Bestreben, die Entwicklung<br />

der Kindertagesstätte<br />

zu fördern. Zu diesem<br />

Zweck waren die Vertreter<br />

der Gemeinde berechtigt,<br />

die Einrichtung<br />

jederzeit im Einvernehmen<br />

mit der Kreis- oder<br />

Ortsgruppenamtsleitung<br />

der NSV zu besuchen und<br />

sich von ihrem ordnungsgemäßen Zustand<br />

zu überzeugen. Anregungen und Wünsche<br />

waren der zuständigen Kreisamtsleitung<br />

der NSV vorzubringen.<br />

Die von der Gemeinde zu erbringenden<br />

Leistungen und Pfl ichten waren Folgende:<br />

kostenlos einen geeigneten Raum zur Verfügung<br />

zu stellen sowie die Spielanlage an<br />

der Schule, ferner die Wohnung für das<br />

Personal, hier bestehend aus einem möblierten<br />

Zimmer. Logiergeberin für Fräulein<br />

Söhner war laut einer Rechnung Eugenie<br />

Kuttruf. Weiter war vertraglich vereinbart:<br />

Vertragsdauer, Kündigung, die Renovierungskosten,<br />

Heizung usw.<br />

Mietrechnung von Eugenie Kuttruf an die<br />

Gemeinde für die Unterkunft der Kindergärtnerin<br />

Else Söhner, 1944


Auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges<br />

lief der Kindergarten im Ort unter gleicher<br />

Leitung weiter. Mit Datum vom 24. Oktober<br />

1945 hatte Fräulein Söhner eine Aufstellung<br />

über das im Kindergarten vorhandene<br />

Inventar gefertigt. Die Liste war<br />

schnell aufgestellt, da der Kindergarten<br />

nur mit dem Allernötigsten ausgestattet<br />

war; vorhanden waren:<br />

7 kleine Tische, 4 kleine Bänke, 35 kleine<br />

Stühle, 5 Handtücher u. 5 Waschlappen, 1<br />

Regal für und mit Spielsachen, 1 großer<br />

Tisch, 1 großer Stuhl, sowie Vorhänge für<br />

5 Fenster.<br />

Mit Schreiben vom 19. Dezember 1945<br />

richtete die Vermögensverwaltung des<br />

Stadt- und Landkreises Heilbronn einige<br />

Fragen den Kindergarten betreff end (es<br />

ging dabei um Gegenstände und Besitzverhältnisse)<br />

an die Gemeinde, und bat<br />

um deren Beantwortung. Der Württem-<br />

Inventurliste vom 24. Oktober 1945 über die<br />

Einrichtung des Kindergartens, erstellt von<br />

Else Söhner<br />

bergische Wohlfahrtsbund e. V. war an der<br />

Übernahme und Weiterführung des örtlichen<br />

Kindergartens interessiert und richtet<br />

ein entsprechendes Ersuchen an die<br />

Gemeinde. Dem Ersuchen ist man wohl<br />

nachgekommen, denn mit kurzem Schreiben<br />

vom 20. März 1946 wird Bürgermeister<br />

Nef darüber informiert, dass der Württembergische<br />

Wohlfahrtsbund Herrn Werner<br />

Hübener von hier mit der vorläufi gen<br />

Führung des Kindergartens betraut hat.<br />

Wie lange es ging mit dem Kindergarten<br />

im Ort lässt sich nicht genau ermitteln,<br />

denn über Jahre hinweg (1938–1947) sind<br />

Gemeinderatsprotokolle und Dokumente<br />

nicht oder nur spärlich vorhanden. Mit<br />

ziemlicher Sicherheit kann aber festgehalten<br />

werden, dass der Kindergarten spätestens<br />

mit der Währungsreform 1948<br />

geschlossen wurde.<br />

Neben der Freude über den Kindergarten,<br />

wenn auch nur für kurze Zeit, sollte auch<br />

Folgendes nicht unerwähnt bleiben. Die<br />

erste Kindergärtnerin im Ort, Fräulein Else<br />

Söhner, hat sicherlich unter schwierigen<br />

Bedingungen und unter dem Druck zur<br />

Zeit des Nationalsozialismus und seinen<br />

teils abartigen Ideologien ihren Dienst<br />

hier zur Zufriedenheit der Eltern versehen.<br />

Ansonsten hätte man ihr den Kindergarten<br />

nach dieser Zeit nicht mehr anvertraut.<br />

Sie muss sich hier im Ort sehr wohlgefühlt<br />

haben, hat sie doch die Zeit gefunden,<br />

sich in einen jungen Mann aus<br />

dem Ort zu verlieben und sich mit ihm zu<br />

verheiraten. Der Glückliche, den sie sich<br />

ausgesucht hatte, war Ludwig Kuttruf aus<br />

der Eberstädter Straße.<br />

Anfang der 1950er Jahre war es erneut so<br />

weit. Anlässlich einer Gemeindebesichtigung<br />

durch Herrn Landrat Hirsch im Februar<br />

1951 hatte dieser darauf gedrängt, in<br />

Sachen Kindergarten doch zu einer endgültigen<br />

Lösung zu kommen, um den Kindern<br />

aus dem Ort in der vorschulischen<br />

Erziehung und Bildung Chancengleichheit<br />

315


316<br />

mit denen aus den Nachbargemeinden,<br />

dort gab es diese Einrichtungen bereits<br />

seit längerem, zu bieten. Um der Sache etwas<br />

Nachdruck zu verleihen, hatte er auch<br />

noch darum gebeten, ihn darüber zu informieren,<br />

wie, wo und wann die Einrichtung<br />

geschaff en werden solle.<br />

Bürgermeister und Gemeinderat haben die<br />

Angelegenheit ernst genommen und sich<br />

in der Gemeinderatsitzung am 21. Februar<br />

1951 eingehend damit beschäftigt. Alle<br />

Für und Wider wurden besprochen, diskutiert<br />

und abgewogen. Beschlossen wurde<br />

letztendlich:<br />

1.) Den Kindergarten einzuführen.<br />

2.) Die Kosten werden von der Gemeinde<br />

getragen.<br />

3.) Der Kindergarten ist geö net vom<br />

1.3. bis 31.10. jeden Jahres.<br />

4.) Für das 1. und 2. Kind sind monatlich<br />

je Kind 2.— DM an die Gemeindekasse<br />

zu entrichten; für das 3. Kind 1.— DM<br />

und das 4. Kind ist frei.<br />

5.) Der untere Raum im Rathaus wird für<br />

den Religions- und Handarbeitsunterricht<br />

gerichtet (damit der Kindergarten<br />

in der alten Lehrewohnung, wo er<br />

schon einmal war, eingerichtet werden<br />

kann).<br />

6.) Über die Anstellung der Kindergärtnerin<br />

und deren Gehalt<br />

wird später beraten, wenn<br />

sich die Eltern der Kinder über<br />

die Person der Kindergärtnerin,<br />

welche sie für geeignet<br />

halten, ausgesprochen haben<br />

Nun ging es fl ott voran. Die<br />

Stelle der Kindergärtnerin wurde<br />

ausgeschrieben, und schon am<br />

21. März konnte der Gemeinderat<br />

erneut in Sachen Kindergarten<br />

beraten und beschließen. Zuvor<br />

hatte am 14. März 1951 eine Besprechung<br />

mit den Eltern stattgefunden.<br />

Sie waren sich darüber einig, dass sie ihre<br />

Kinder in den Kindergarten schicken,<br />

wenn eine ledige Kindergärtnerin in Frage<br />

käme. Das Gremium hatte fünf Bewerbungen<br />

zur Auswahl vorliegen (eine Bewerberin<br />

kam aus Ostheim v. d. Rhön),<br />

wobei nicht alle Bewerberinnen den Status<br />

ledig erfüllen konnten.<br />

Der Gemeinderat beschließt nach eingehender<br />

Beratung:<br />

1.) Marie Draxler als Kindergärtnerin anzustellen.<br />

[Vielen von uns, besonders denjenigen,<br />

welche bei ihr in den Kindergarten<br />

gingen, noch als Tante „Marie“ bekannt.]<br />

2.) Ihr einen Monatslohn von 90.— DM zu<br />

gewähren.<br />

3.) Sie zur Kranken- u. Invalidenversicherung<br />

anzumelden. Die Krankenkassen-<br />

u. Invalidenbeiträge werden von der<br />

Gemeinde bezahlt.<br />

4.) Mit ihr einen Dienstvertrag abzuschließen.<br />

5.) Beginn der Schule im Jahr 1951 nach<br />

Fertigstellung des Raumes (die Räumlichkeiten<br />

sind noch für Wohnzwecke<br />

vermietet), sonst wie im Dienstvertrag<br />

festgelegt.<br />

6.) Zur Schule gemeldet sind 23 bis 25<br />

Kinder.<br />

Kindergartengruppe mit Marie Draxler vor<br />

dem Schulhaus, 1951


Am 5. Mai wurde der Gemeinderat durch<br />

den Bürgermeister informiert, dass der<br />

Mieter Ludwig Seebold aus der alten Lehrerwohnung<br />

(Teil des heutigen Mörike-<br />

Museums) demnächst ausziehen werde.<br />

Somit konnten die für den Kindergartenbetrieb<br />

notwendigen Räume hergerichtet<br />

Die Kindergartenkinder Werner und Herbert<br />

Uhlmann, 1952<br />

Kindergartengruppe<br />

mit<br />

Frau Stephan,<br />

1952<br />

werden und die Einrichtung noch vor der<br />

Ernte 1951 in Betrieb gehen.<br />

Gerne erinnern wir uns noch an die Zeit im<br />

Kindergarten bei Tante Marie zurück. Jedoch<br />

sollte die Zeit mit ihr als Leiterin nur<br />

von kurzer Dauer sein, schon nach dem<br />

ersten Kinderschuljahr hat sie aus familiären<br />

Gründen zum 31. Dezember 1951 gekündigt.<br />

Weiter ging es dann zum März<br />

1952 mit Fräulein Erna Stephan als Leiterin.<br />

Auch sie hat nach kurzer Zeit, bereits zum<br />

1. September 1952, nachdem sie geheiratet<br />

hatte, gekündigt. Sie hat den Dienst auf<br />

Bitten der Beteiligten dann noch bis Ende<br />

des Kindergartenjahres versehen.<br />

Erneut musste eine neue Kindergärtnerin<br />

gefunden und angestellt werden. Die<br />

Stelle wurde wie üblich öff entlich bekannt<br />

gemacht, es gab zwei Bewerbungen. Die<br />

Eltern durften wieder mit entscheiden,<br />

wer angestellt wird. Von den beiden Bewerberinnen<br />

wurde Frau Pauline Ohr, die<br />

bei der letzten Vergabe leer ausgegangen<br />

war, nun zur neuen Kindergartenleiterin<br />

ab 1953 ernannt. Das Kindergartenjahr<br />

ging wie bisher vom 1. März bis 31. Oktober.<br />

An den sonstigen Bedingungen, auch<br />

an den Kindergartenbeiträgen, hatte sich<br />

ebenfalls nichts geändert.<br />

317


318<br />

Ein ruhiges Kindergartenjahr 1953? Nur<br />

scheinbar, am 30. Dezember informiert<br />

Bürgermeister Nef den Gemeinderat über<br />

eine Besichtigung des Kindergartens durch<br />

das Landratsamt-Kreisjugendamt, welche<br />

am 21. Dezember 1953 stattgefunden hat.<br />

Das Ergebnis war erschütternd, einem<br />

Fortbestand des <strong>Cleversulzbach</strong>er Kindergartens<br />

konnte unter den vorgefundenen<br />

Gegebenheiten nicht mehr zugestimmt<br />

werden. Vor allem wurden die Räumlichkeiten<br />

beanstandet; sie müssen sich in einem<br />

sehr schlechten Zustand befunden<br />

haben.<br />

Im Einzelnen wurde Folgendes beschlossen<br />

und vereinbart:<br />

Die Gemeinde beginnt im Jahr 1955 mit<br />

dem Bau eines Gemeindehauses [der heutigen<br />

Kelter-Halle]. Darin soll dann der<br />

Kindergarten einen, den Richtlinien entsprechenden<br />

Raum erhalten. Damit der<br />

Kindergarten im Frühjahr 1954 wieder erö<br />

net werden kann, werden die festgestellten<br />

Mängel so gut wie möglich behoben.<br />

Der Raum wird frisch gerichtet; die<br />

Wand ausgebessert und eine abwaschbare<br />

Wandverkleidung bis zur Höhe der<br />

Fenstersimsen angebracht. Ein Ofenschutzgitter<br />

wird vom Schmiedemeister<br />

Birk angebracht. Für das Aufhängen der<br />

Kleider werden Garderobenhaken angescha<br />

t. Der Fußboden wird mit einem Bodenöl<br />

gepfl egt. Hinter der Kirche wird für<br />

die Kinder der Garten eingezäunt und darin<br />

ein Sandkasten aufgestellt; Zugang<br />

vom Schulhof aus. Die Aborte sind im<br />

Nov. d. Jahres neu gerichtet worden, sodaß<br />

sie den geforderten Verhältnissen<br />

entsprechen. Die Kindergärtnerin wird angewiesen<br />

ein Kinderverzeichnis und Anwesenheitsblätter<br />

zu führen.<br />

Das Jugendamt wird gebeten bei Erö -<br />

nung des Kindergartens im März 1954<br />

die Erlaubnis nach § 20 des Kreisjugendwohlfahrtsgesetzes<br />

vom 9.7.1922 zu erteilen.<br />

Die Hoff nung, dass alles so läuft wie gedacht,<br />

war groß. Jedoch musste der Bürgermeister<br />

den Gemeinderat am 22. Februar<br />

1954 erneut über die Dinge informieren,<br />

die bisher noch nicht erledigt waren.<br />

Das Schreiben vom 18. Januar an das<br />

Landratsamt mit der Bitte um Zustimmung<br />

zur Eröff nung des Kindergartens<br />

zum 1. März 1954 war von dort noch<br />

nicht beantwortet worden. Und die baulichen<br />

Beanstandungen konnten infolge<br />

der kalten Witterung noch nicht behoben<br />

werden. Außerdem hatte das evangelische<br />

Pfarramt die Genehmigung zur Einzäunung<br />

des Gartens bei der Kirche zur Aufstellung<br />

eines Sandkastens bisher nicht<br />

erteilt (kam auch nie). Somit konnte der<br />

Termin der Eröff nung des Kindergartens<br />

noch nicht festgelegt werden. Nach eingehender<br />

Beratung wurde beschlossen,<br />

den Kindergarten zu eröff nen, sobald die<br />

vorgenannten Bedingungen erfüllt bzw.<br />

die off enen Dinge erledigt sind<br />

Da die nicht eingeplanten Renovierungskosten<br />

den Haushalt der Gemeinde unvorhergesehen<br />

belasteten, wurde schnell noch<br />

ein Zuschussantrag von 500 DM zur Förderung<br />

von Kindertagesstätten ans Innenministerium<br />

gestellt. Damit die Mittel aus<br />

dem Landesjugendplan des Landes fl ießen<br />

konnten, war Bedingung, dass der Elternbeitrag<br />

zum neuen Kindergartenjahr auf<br />

mindestens 3 DM monatlich angehoben<br />

wurde. Toll, zwei Fliegen mit einer Klappe.<br />

Kindergartenbeitrag um 50 Prozent erhöht,<br />

ohne Ärger mit den Eltern zu bekommen,<br />

und noch 500 DM Zuschuss erhalten.<br />

Der Kindergarten muss mit Kinderspielzeug<br />

recht sparsam ausgestattet gewesen<br />

sein, denn die Kindergärtnerin stellte folgenden<br />

Antrag, welcher am 6. März 1955<br />

vom Gemeinderat beraten wurde.<br />

Die Kindergärtnerin hat gebeten für die<br />

Kinderschule etliches Spielzeug zu kaufen.<br />

Die Kinder hätten zum Spielen sehr wenig<br />

Spielgeräte und nur diese, welche sie von


zu Hause mitbringen. Mit den wenigen<br />

Spielsachen können nicht alle Kinder<br />

spielen und streiten sich daher während<br />

des Spiels um die Spielgeräte.<br />

Nach Beratung wird beschlossen:<br />

Um den Betrag von 20.— DM Kinderspielzeug<br />

anzukaufen.<br />

Was aufgefallen ist beim Durchschauen der<br />

Sitzungsprotokolle ist, dass man sich bei<br />

den Terminen, zu welchen der Kindergarten<br />

im Frühjahr öff nete und im Herbst<br />

schloss, an der Arbeitsbelastung der Mütter<br />

orientierte und dabei sehr fl exibel war.<br />

Mit dem Kindergartenjahr 1956 wurde die<br />

Tagesstätte für die Kleinsten in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

aus nicht dokumentierten Gründen<br />

eingestellt. Eine segensreiche Einrichtung<br />

im Ort, auch für Mütter, und, besonders,<br />

was die vorschulische Erziehung und Bildung<br />

betraf, für die Kinder, sollte nicht<br />

mehr sein. Dies nahm auch die Chancengleichheit<br />

beim Start der Kinder ins Schulleben<br />

– im Vergleich zu den Nachbargemeinden,<br />

wo es Kindergärten gab. Umso<br />

bedauerlicher war es, dass es lange, ja sehr<br />

lange dauern sollte, bis es für die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Kinder wieder eine Einrichtung<br />

zur vorschulischen Erziehung und Bildung<br />

geben sollte.<br />

Im Jahr 1969 mit Stichtag 15. November<br />

galt es, den Gemeindefragebogen vom Innenministerium<br />

Baden-Württemberg, eine<br />

Erhebung über Bestand und Bedarf an<br />

Kindertagesstätten (Kindergärten, Kindergrippen,<br />

Tagheimgärten und Kinderhorte),<br />

auszufüllen und an das Kreisjugendamt<br />

einzureichen. Obwohl aus den Geburtsjahrgängen<br />

1963 bis 1968 die Anzahl von<br />

59 Kindern gemeldet war, sah man keine<br />

kurzfristige Notwendigkeit, einen Kindergarten<br />

einzurichten. Erst im Jahr 1973<br />

oder später wollte man sich der Herausforderung<br />

stellen. Als Grund, warum es in<br />

der Gemeinde nicht möglich war, die geforderten<br />

mindestens zwei Jahre vor der<br />

Einschulung einen Kindergarten zu besuchen,<br />

war angekreuzt: die Eltern sind an<br />

einem Kindergarten wenig interessiert!<br />

Wie war das mit der Hoff nung ?<br />

Endlich war es so weit, zum Oktober 1975<br />

konnte der neu erbaute Kindergarten in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> eröff net und an die Kinder<br />

übergeben werden. Mit zu verdanken ist<br />

dies der Initiative von Ewald Eisele, dem<br />

ehemaligen Schulleiter der Grundschule<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>, dem die Vorschulerziehung<br />

sehr am Herzen lag.<br />

Eisele hatte zum 1. September 1968 die<br />

Leitung der Grundschule <strong>Cleversulzbach</strong><br />

übernommen. Zu dieser Zeit gab es in Baden-Württemberg<br />

schon etliche ein- bzw.<br />

zweiklassige Grundschulen, deren Unterricht<br />

bereits mit sehr viel „innerer Diff erenzierung“,<br />

d. h. Gruppenarbeit, gehalten<br />

wurde. Für das Erlernen einer selbständigen<br />

Arbeitsweise war dies ein Vorteil. Die<br />

Förderung der mündlichen Ausdrucksfähigkeit,<br />

besonders auf Hochdeutsch, befand<br />

Eisele allerdings als ungenügend.<br />

Sein Anliegen war es deshalb, den <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Kindern schon vor Erreichen<br />

des Schulalters ein sprachliches und auch<br />

soziales Training zu ermöglichen, das Defi -<br />

zite auszugleichen in der Lage war, wie es<br />

in Kindergärten möglich ist und zum Erziehungsprogramm<br />

gehört. In den Nachbarorten<br />

Brettach und Neuenstadt gab es<br />

Kindergärten, die sich um diese Aufgaben<br />

kümmern konnten. In <strong>Cleversulzbach</strong> dagegen<br />

blieb die Vorschulerziehung lange<br />

ein Wunschbild.<br />

Ewald Eisele nahm sich nun dieser Förderidee<br />

ab dem Schuljahr 1969/70 verstärkt<br />

an. Um das Bewusstsein in der Elternschaft<br />

zur gleichberechtigten Vorschulerziehung<br />

ihrer Kinder zu schärfen und<br />

Chancengleichheit herzustellen, trat er an<br />

die Öff entlichkeit und gründete die „Aktion<br />

Kindergarten <strong>Cleversulzbach</strong>“. Interessierte,<br />

engagierte Eltern trafen sich nun<br />

einmal pro Woche im oberen Schulsaal<br />

319


320<br />

neben der <strong>Cleversulzbach</strong>er Kirche. Für<br />

die Leitung des Aktionskreises konnte die<br />

Hauswirtschaftslehrerin Frau Berta Scharpf<br />

gewonnen werden. Oster- und Weihnachtsbasare,<br />

für die der Aktionskreis Geschenke<br />

bastelte, erhöhten die Aufmerksamkeit<br />

für diese Sache, und die Erlöse aus<br />

den Verkäufen kamen dem Vorhaben zur<br />

Einrichtung eines Kindergartens zugute.<br />

Auch die ortsansässigen Vereine in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

– Mörike-Chor, Rad- u. Motorsport-Club,<br />

Akkordeon-Spielring – zeigten<br />

sich aufgeschlossen und spendeten die Erlöse<br />

gemeinsamer Veranstaltungen dem<br />

Projekt „Kindergarten <strong>Cleversulzbach</strong>“. Der<br />

erste Schritt, durch diese Aktivitäten das<br />

Bewusstsein in der Bevölkerung zu schaffen,<br />

dass ein Kindergarten für einen erfolgreichen<br />

Schulstart in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

zwingend notwendig sei, war somit erfolgreich<br />

getan, wobei am Anfang der 1970er<br />

Jahre – wieder aus fi nanziellen Gründen<br />

– an eine Verwirklichung zunächst<br />

nicht zu denken war.<br />

Unerwartete Hilfe kam von außen: Das<br />

Land Baden-Württemberg hatte eine Gemeindereform<br />

beschlossen, bei deren Umsetzung<br />

gab es Zuschüsse für Gemeinden,<br />

die einen Zusammenschluss mit Nachbargemeinden<br />

eingingen. <strong>Cleversulzbach</strong><br />

schloss sich als erste Gemeinde der Stadt<br />

Neuenstadt an und konnte somit davon<br />

profi tieren. Der Bau eines Kindergartens in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> rückte damit näher. Dennoch<br />

sollte es nach der Eingemeindung<br />

nach Neuenstadt zum 1. Januar 1972<br />

noch nahezu drei Jahre dauern, bis der<br />

langersehnte Kindergarten in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Wirklichkeit werden konnte. Wieder,<br />

wie schon zig Jahre und einige Male zuvor,<br />

hatten andere Vorhaben eine höhere<br />

Priorität.<br />

Als Übergangslösung bis zur Fertigstellung<br />

und zum Bezug des neuen Kindergartens<br />

im Wiesenweg wurde der älteste Kindergartenjahrgang<br />

mit Kleinbussen des Bus-<br />

unternehmers Nies aus Brettach täglich<br />

nach Neuenstadt und hin- und zurückbefördert.<br />

Die Kosten hierfür übernahm die<br />

Gemeinde. Somit war zumindest der Be-<br />

Der Kindergarten von <strong>Cleversulzbach</strong> im<br />

Wiesenweg Mitte der 1980er Jahre<br />

ginn für eine Chancengleichheit der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Kinder geschaff en worden.<br />

Mit der Aufnahme des Kindergartenbetriebs<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> zum Oktober<br />

1975, die erste Leiterin war Frau Gärtner<br />

aus Brettach, wurde diese Kinderbeförderung<br />

eingestellt, und die Spendengelder<br />

der „Aktion Kindergarten <strong>Cleversulzbach</strong>“<br />

Kindergartengruppe mit ihren Leiterinnen<br />

Frau Kuder und Frau Gärtner, 1975


dem Kindergarten für die Ausstattung zur<br />

Verfügung gestellt.<br />

Der Kindergarten in <strong>Cleversulzbach</strong> fand<br />

regen Zuspruch und ist zu einer Einrichtung<br />

für Kinder geworden, die ihnen die<br />

Möglichkeit bietet, soziales Miteinander<br />

einzuüben und gezielt auf die Schule in<br />

einem ersten Schritt vorbereitet zu werden.<br />

In den Jahren 2000/2001 hat man auf die<br />

hohe Zahl an Kindergartenkindern (bis zu<br />

54 Kinder auf der Anmeldeliste) vonseiten<br />

Verwaltung, Gemeinde- und Ortschaftsrat<br />

auf diese Tatsache hin reagiert, den Kindergarten<br />

erweitert und somit die Zweizügigkeit<br />

geschaff en. Ab dem Kindergartenjahr<br />

2001/2002 hatten alle Kinder ab<br />

drei Jahren die Möglichkeit, den Kindergarten<br />

zu besuchen, was auch gerne von<br />

den Eltern angenommen wurde.<br />

Erweiterungsbau des Kindergartens,<br />

fertiggestellt 2001<br />

Inzwischen ist die Kinderzahl auch bei uns<br />

stark rückläufi g. Gleichzeitig hat sich aber<br />

auch die Anforderung an die bisherige Art<br />

der Kindertagesstätten einem Wandel unterzogen.<br />

Ursächlich hierfür sind auch berufstätige<br />

Mütter oder Alleinerziehende.<br />

Gefordert werden verstärkt Kinderkrippenplätze.<br />

Diese waren, durch die nicht<br />

mehr benötigte Zweizügigkeit der Einrichtung<br />

kostengünstig zu schaff en. Somit<br />

konnten durch notwendige kleinere Umbaumaßnahmen<br />

kurzfristig und den Bedürfnissen<br />

entsprechend reagiert und gehandelt<br />

werden konnte. Seit 2011 wird<br />

diese ergänzende Einrichtung angeboten<br />

und auch rege genutzt.<br />

Kindergartengruppe im März 2012 mit den<br />

Erzieherinnen Frau Beier, Frau Schmitt und<br />

Frau Winkler (v. l.)<br />

Der Kindergarten ist auch bei uns, für<br />

unsere Kinder und Enkel zu einer Ein richtung<br />

geworden, die nicht mehr wegzudenken<br />

ist. Entstehen doch hier die ersten<br />

Freundschaften unter den Kinder, bildet<br />

und prägt sich hier das soziale Verhalten<br />

unter Gleichaltrigen aus, und beginnt<br />

schon hier das kindliche und spielerische<br />

Lernen; hier wird mit der Grundstock gebildet<br />

für eine hoff nungsvolle Zukunft.<br />

Quellen: Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong><br />

321


322<br />

Vom Schulwesen in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong><br />

Zur Geschichte der Schule in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

bis um 1800<br />

Große Verdienste um die Einführung von<br />

Volksschulen in Württemberg erwarb sich<br />

Herzog Christoph mit seiner Großen Kirchenordnung<br />

von 1559. Die Errichtung einer<br />

Volksschule in <strong>Cleversulzbach</strong> ist aber<br />

erst für das Jahr 1613 bezeugt, als Schultheiß<br />

und Gericht um die Berufung eines<br />

„deutschen Schulmeisters” (so die damalige<br />

Bezeichnung eines Lehrers an der<br />

Volksschule) baten, damit „die Kirch mitt<br />

Christlichem Gesang, die liebe Jugend<br />

aber mitt nottwendigem Underricht und<br />

disciplin etwas beßers versehen wäre” 1 .<br />

Die Gemeinde nominierte Martin Legier<br />

von „Grunaw”, der sich schon an verschiedenen<br />

Orten habe „gebrauchen lassen”<br />

und der am 2. Juli 1613 durch das Konsistorium<br />

in Stuttgart als für die Schulaufsicht<br />

zuständiges Gremium der württembergischen<br />

Landeskirchenverwaltung bestätigt<br />

wurde. Angesichts einer äußerst<br />

geringen Besoldung, die <strong>Cleversulzbach</strong><br />

aufbringen konnte, durfte Legier neben<br />

seiner Schultätigkeit ein Handwerk betreiben.<br />

Bemerkenswert ist 1613, dass die<br />

Verantwortung für den Gesang in der Kirche<br />

einen zweiten Schwerpunkt bei der<br />

Tätigkeit des Schulmeisters in früherer<br />

Zeit bildete. 1613 zeigte sich auch, dass<br />

das Nominationsrecht für einen Schulmeister<br />

bei der Gemeinde lag, das Recht<br />

der Bestätigung und damit der tatsächlichen<br />

Ernennung aber bei dem Konsistorium<br />

in Stuttgart.<br />

Martin Legier und seine ersten Nachfolger<br />

amtierten jeweils nur für kurze Zeit. Im<br />

Juni 1617 war Legiers Nachfolger Caspar<br />

Rod (Rhott) „eingewandter fahrläßigkeitt<br />

halb zur Schul untüchtig”, so dass Hans<br />

Schilling, der nunmehr wie die weiteren<br />

Nachfolger zugleich das Mesneramt an<br />

der Kirche übernahm, zum neuen Schulmeister<br />

berufen wurde. Hans Schilling war<br />

zuvor im Winter 1616/17 in „Schwapach”<br />

(wohl Schwabbach bei Bretzfeld) tätig gewesen.<br />

Mit Michael Schilling starb 1628<br />

ein weiterer „sehr fl eißiger” Schulmeister<br />

aus dieser Familie, der für „ein fein schuolwesen”<br />

gesorgt hatte 2 und erstmals auch<br />

während der Sommermonate unterrichtete<br />

(„Sommerschule”). Seine bescheidene<br />

jährliche Besoldung betrug 1628 neben<br />

einer „Behausung” nur 11 1/2 Gulden an<br />

Geld, dazu kamen 4 Scheff el Dinkel und<br />

das von den Eltern zu entrichtende Schulgeld<br />

für die damals etwa 30 bis 50 Schulkinder,<br />

das insgesamt etwa 10 Gulden erbrachte.<br />

Um Michael Schillings Nachfolge gab es<br />

1628 einen Streit zwischen der Gemeinde<br />

und dem Konsistorium. Die Gemeinde nominierte<br />

den örtlichen Schmied Niclaus<br />

Schäff er, den das Konsistorium aber „usser<br />

sondern ursachen” nicht bestätigte, vermutlich<br />

weil ihn Dekan Johann Werner<br />

aus Neuenstadt als „groben Idiot” charakterisiert<br />

hatte und Schäff er sich auch als<br />

Reif- oder Gassenwirt betätigte. Zudem


wurde befürchtet, dass Schäff er als<br />

Schmied von den Bauern auch während<br />

der Schulstunden in Anspruch genommen<br />

worden wäre. Daraufhin wurde im Sommer<br />

1628 Christian Küener aus Eberstadt<br />

ernannt.<br />

Über das Schulwesen in den schwierigsten<br />

Jahren des Dreißigjährigen Krieges<br />

nach 1630 sind keine Hinweise überliefert.<br />

1647 wurde der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Bürger Michael Lump Schulmeister und<br />

Mesner, der 1653 darüber klagte, dass er<br />

wegen seiner geringen Besoldung „das<br />

Brot nicht habe” 3 . Als Bürger mit Besitz<br />

von Feldgütern verfügte er aber über ein<br />

gewisses Vermögen, so dass ihn die Gemeinde<br />

1661 „mit glimpff und guetten<br />

wortten bei dem Schuldienst zue erhaltten”<br />

suchte, da sich ein von auswärts<br />

kommender Schulmeister nicht im Ort<br />

halten könne. Bei Kirchenvisitationen<br />

wurde Lump, der auch im Sommer wenigstens<br />

für wenige Stunden unterrichtete,<br />

als fl eißig beurteilt. 1661 galt er als<br />

„frommer, unärgerlicher Mann”, der aber<br />

auch, so hieß es 1676, während der<br />

Schulzeit „seinen Geschäften” nachging,<br />

so dass mitunter „Unfl eiß” in der Schule<br />

herrschte. Die Eltern beschwerten sich<br />

1676 zudem über das zu bezahlende<br />

Schulgeld und wollten ihre Kinder lieber<br />

daheim informieren.<br />

Während der Amtszeit von Lump, in der<br />

1655 ein Schulhausbau erwähnt wird,<br />

fallen insbesondere die Schulversäumnisse<br />

im Sommer auf, wenn die Eltern<br />

ihre Kinder zu Feldarbeiten oder zur Beaufsichtigung<br />

kleinerer Geschwister benötigten.<br />

So besuchten 1661 im Winter<br />

39 Kinder die Schule, im Sommer aber<br />

nur 12. Auch noch im Laufe des 18. Jahrhunderts<br />

wurden derartige Versäumnisse<br />

gerügt, und 1802 entschuldigten sich die<br />

Eltern mit „vielen Geschäften” und dem<br />

Hinweis, dass man in <strong>Cleversulzbach</strong> „keinen<br />

Taglöhner haben könne”.<br />

Nach Lump erscheint Johann Mertz als<br />

Schulmeister, der 1683 nach gar nicht<br />

langer Tätigkeit „wegen hohen Alters” zurück<br />

trat. Lump und Mertz entstammten<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Familien, die schon im<br />

15. Jahrhundert im Ort ansässig waren.<br />

1683 folgte der aus Speyer stammende<br />

Johann Jakob Christian Wallmann (oder<br />

Wollmann), der zuvor in Dürnau (Herrschaft<br />

Degenfeld), Essingen und Stetten<br />

am Heuchelberg tätig gewesen war. Er<br />

wurde 1684 als fl eißig beurteilt, fand bei<br />

der Bürgerschaft jedoch „weder Respect<br />

noch Liebe”, weil er in höchster Armut<br />

lebte und wie ein Bettler auf „Brandsohlen”<br />

daher komme. Wallmann ist ein gutes<br />

Beispiel dafür, dass ein nicht im Ort verbürgerter<br />

Schulmeister <strong>Cleversulzbach</strong><br />

schon bald wieder verlassen musste.<br />

Auf Wallmann folgte 1686 mit dem in Hollenbach<br />

bei Mulfi ngen geborenen Haus -<br />

metzger Georg Nieth wieder ein Bürger aus<br />

dem Ort, für den Hinweise auf das Exa men<br />

überliefert sind, dem sich der jeweilige<br />

Schulmeister vor seinem Dienstantritt<br />

durch den Stiftsprediger in Stuttgart unterziehen<br />

musste. Bei der Prüfung kam<br />

Nieth im Buchstabieren „fein zu recht”, im<br />

Lesen des Geschriebenen und Gedruckten<br />

bestand er „wohl”, im Schreiben zeigte er<br />

sich mittelmäßig, im Singen gut und im<br />

Katechismus „zur Genüge versiert”. 1692<br />

waren die Eltern mit Nieth, der in jenem<br />

Jahr im Winter 50 und im Sommer 40<br />

Kinder betreute, zufrieden, gerügt wurde<br />

aber seine Handschrift als „etwas gering”.<br />

1698 oder 1699 folgte auf Nieth der aus<br />

Wimpfen stammende Johann Philipp Gerner,<br />

der als Apotheker einen für einen<br />

Schulmeister ungewöhnlichen Beruf hatte,<br />

1702 „gut im Lesen und Schreiben informierte”,<br />

über dessen „elenden Choralgesang”<br />

aber 1709 bitter geklagt wurde, so<br />

dass viele Gottesdienstbesucher die Kirche<br />

erst dann betreten wollten, wenn der Pfarrer<br />

bereits die Kanzel zur Predigt betreten<br />

323


324<br />

hatte. Durch seine Äußerung, niemand im<br />

Dorf könne ihn „abschaff en”, zog sich<br />

Gerner, so der Dekan aus Neuenstadt,<br />

schließlich „den gemeinen Haß von jedermann”<br />

zu und wurde auf Georgii 1710 abberufen.<br />

Ersetzt wurde Gerner durch Johann<br />

Adam Brenzinger (der Name wurde<br />

in den Akten auch in der Form Brinzinger<br />

oder Preusinger geschrieben), der als erster<br />

Schulmeister Anfangskenntnisse im<br />

Rechnen besaß, das im Laufe des 18. Jahrhunderts<br />

als Schulfach eingeführt wurde.<br />

Bereits 1712 wechselte Brenzinger auf<br />

eine besser dotierte Stelle in Heilbronn.<br />

Mit Johann Jakob Schmid, dem Sohn des<br />

Schulmeisters Michael Schmid in Kochersteinsfeld,<br />

begann 1712 die lange Epoche<br />

der Schulmeister aus der Familie Schmid<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong>. Dekan Wagner in Neuenstadt<br />

hatte ihm nur „schwache qualitäten”<br />

bescheinigt, doch die Gemeinde<br />

konnte wegen großer Armut keine höhere<br />

Besoldung für einen qualifi zierteren<br />

Schulmeister aussetzen (als Jahresbesoldung<br />

wurden jetzt 15 Gulden an Geld und<br />

7 Scheff el Dinkel neben dem Schulgeld<br />

der Eltern genannt). Man müsse halt jemanden<br />

nehmen, der überhaupt zum<br />

Dienstantritt in <strong>Cleversulzbach</strong> bereit sei.<br />

Immerhin konnte auch Johann Jakob<br />

Schmid „etwas rechnen”, sang den Choral<br />

„fein”, verstand etwas von Musik, spielte<br />

Klavier und wurde dann ohne besondere<br />

Klagen der Schulmeister mit der bis dahin<br />

längsten Amtszeit im Ort. 1740 galt er als<br />

„guter, fl eißiger und frommer Schuldiener”,<br />

der seiner Tätigkeit „in einem gar zu<br />

schlechten Schulhaus” nachgehen musste,<br />

weil die zum Unterhalt verpfl ichtete Heiligenpfl<br />

ege ebenso wie die Gemeinde über<br />

kein nennenswertes Vermögen verfügte.<br />

Nach 41-jähriger Tätigkeit starb 1753 Johann<br />

Jakob Schmid, dessen Amt nun sein<br />

sich damals bei den Soldaten aufhaltender<br />

erst 19-jähriger Sohn Johann Gottlieb<br />

Schmid übernahm. Wieder hieß es, dass<br />

sich der Sohn mit vom Vater geerbten<br />

Feldgütern besser als ein Fremder in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

ernähren könne. Zur Besoldung<br />

gehörten inzwischen — hier werden<br />

weitere Aufgaben des Schulmeisters sichtbar<br />

— 4 Gulden für das Schlagen der Orgel,<br />

1 Gulden für das Läuten der Abendglocke<br />

und 2 Gulden für das Mitwirken<br />

bei Beerdigungen.<br />

Johann Gottlieb Schmid prägte die Schule<br />

während der gesamten zweiten Hälfte des<br />

18. Jahrhunderts. Bei Kirchenvisitationen<br />

wurde sie mehrfach in gutem oder gar „in<br />

ziemlich gutem Stand” befunden. Der<br />

Schulmeister wende, so hieß es 1783,<br />

seine „mittelmäßigen Schulgaben” fl eißig<br />

an. Er achtete auf gute Schulzucht, war<br />

„ehrbar und fl eißig im Wandel” und war<br />

1803 auch in hohem Alter „ein sehr<br />

brauchbarer und tätiger Mann”. 1768<br />

meinten allerdings auch einige Bauern,<br />

dass es besser wäre, wenn der Schulmeister<br />

in der Kirche „kürzer singen” würde.<br />

Das Schulhaus wurde 1762 renoviert, war<br />

1783 aber erneut in „schlechtem” Zustand<br />

mit einer sehr engen Schulstube für die<br />

damals 60 bis 70 Schulkinder.<br />

Die erhaltenen schriftlichen Quellen aus<br />

der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts<br />

erlauben erstmals nähere Hinweise auf<br />

den Schulbetrieb und den Unterricht in<br />

der Amtszeit von Johann Gottlieb<br />

Schmid. Im Winter gab es außer an<br />

Sonn- und Festtagen zunächst 4 Stunden<br />

Unterricht, ab 1783 wie damals schon<br />

seit längerem in ganz Württemberg 5<br />

Stunden (am Vormittag 3 Stunden von 8<br />

bis 11 Uhr und 2 Stunden nachmittags).<br />

Im Sommer wurden die älteren Kinder<br />

von 6 bis 8 Uhr und die jüngeren von 8<br />

bis 10 Uhr unterrichtet. Diese Regelung<br />

sollte den sommerlichen Schulversäumnissen<br />

entgegenwirken. Im Unterricht<br />

wurden die jeweiligen Predigten des<br />

Pfarrers „examiniert”, ferner „auswendig<br />

schreiben und Briefe lesen” geübt. 1779


egann man mit den älteren Kindern das<br />

Rechnen, obwohl sich einige Eltern widersetzten,<br />

weil sie ihren Kindern aus Armut<br />

weder Papier noch Rechenblätter<br />

kaufen konnten. Daher wurde eine<br />

schwarze Tafel angeschaff t, an der die<br />

Kinder auch ohne Papier üben konnten.<br />

Als Schulbücher werden 1773 das württembergische<br />

„Schatzkästlein” und Gesangbuch<br />

genannt, auch dies ein Hinweis<br />

auf den großen Einfl uss der Kirche auf<br />

die Schule in früherer Zeit. Ab 1788<br />

sollte der Schulmeister ein neu eingeführtes<br />

„abc Büchlein” benutzen. Mit den<br />

ledigen erwachsenen Söhnen und Töchtern<br />

wurde ganzjährig eine Sonntagsschule<br />

gehalten.<br />

Auch um 1790 war die Armut im Dorf<br />

durch mehrere Fehlherbste besonders groß<br />

und behinderte den Schulbetrieb. Vor al-<br />

1 Schulakte <strong>Cleversulzbach</strong> im Landeskirchlichen Archiv<br />

Stuttgart Bestand A 29 Nr. 757. Eine weitere Quelle für<br />

den vorliegenden Beitrag bilden die Kirchenvisitationsakten<br />

im Hauptstaatsarchiv Stuttgart Bestand A 281.<br />

2 In einem Verzeichnis der württembergischen Kirchen- und<br />

Schuldiener (Landeskirchliches Archiv A 12 Nr. 3) fi ndet<br />

sich für die Zeit um 1620 auch der Name Georg Schilling,<br />

lem bei armen Kindern häuften sich<br />

Schulversäumnisse, weil sie teils das Brot<br />

erbetteln mussten, teils keine Kleidung<br />

besaßen. Dennoch wurde die Schule kurz<br />

vor dem Tod von Johann Gottlieb Schmid<br />

1804 gut beurteilt. Die Kinder zeigten<br />

Fortschritte „im Lesen, Schreiben und<br />

Rechnen, im Recitiren des auswendig gelernten<br />

und besonders in fertiger Beantwortung<br />

der an sie gemachten Fragen”.<br />

Erneut folgte 1804 mit Johann Christoph<br />

Schmid, für zwei Jahre zunächst als Provisor,<br />

ein Sohn seinem Vater. Die Gemeinde<br />

wollte sich mit der Berufung des Sohnes<br />

auch dankbar gegenüber ihrem „gestorbenen<br />

so verdienten treuen Lehrer” zeigen<br />

und seiner Witwe mit nur geringem Vermögen<br />

einen Umzug aus dem Schulhaus<br />

ersparen.<br />

den die in Anm. 1 genannte Schulakte nicht anführt. Die<br />

Synodusprotokolle, die möglicherweise ein weitere Information<br />

geben könnten, waren zur Zeit der Abfassung des<br />

vorliegenden Beitrags wegen Restaurierungsarbeiten<br />

nicht zugänglich.<br />

3 Vgl. E. Schmid: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg,<br />

Stuttgart 1927, S. 117.<br />

325


326<br />

Der Werdegang des alten Schulhauses an der Kirche<br />

Unterlagen zu Planung und Bau des<br />

Schulhauses an der Kirche sowie zu seiner<br />

Finanzierung fi nden sich im Ortsarchiv<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> nur bruchstückhaft; die<br />

Angaben werden allerdings detaillierter,<br />

wo es um den Erweiterungsbau geht. Eine<br />

recht ergiebige Informationsquelle sind<br />

die Brandkataster, ab 1784 geführt, auch<br />

Einschätzungsprotokolle oder Feuerversicherungsbücher<br />

genannt. Sie ordnen allen<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Gebäuden fortlaufende<br />

Identifi kationsnummern zu – das Schulhaus<br />

war Nr. 11, der spätere Anbau Nr.<br />

11 ½ –, geben eine kurze Objektbeschreibung<br />

und den Versicherungswert an und<br />

halten Besonderheiten und Veränderungen<br />

am Gebäude fest.<br />

Eine erste Erwähnung fi ndet das Schulhaus<br />

in einer Quittung von 1752 1 . Laut<br />

Verdienstzettel konnte der Maurer Christian<br />

Friedrich Schockh aus Brettach „vor<br />

an dem <strong>Cleversulzbach</strong>er Schul Hauß Bau<br />

verrichtete Maurer Arbeit” von der Gemeinde<br />

38 fl 16 x, und vom Heiligen 37 fl<br />

24 x verlangen. Dem Zimmermann Weller<br />

zu Neuenstadt standen für geleistete Arbeit<br />

insgesamt 23 fl 40 x zu.<br />

Die Höhe der Rechnungsbeträge lassen<br />

vermuten, dass es sich allenfalls um Reparatur-<br />

bzw. Erweiterungsmaßnahmen handelte.<br />

Erst 110 Jahre später sollte die Gemeinde<br />

wieder in ein größeres Schulbauprojekt<br />

investieren.<br />

Liest man die Einträge in den Brandkatastern<br />

2 in chronologischer Reihenfolge, so<br />

lässt sich der Werdegang des Schulgebäudes<br />

an der Kirche recht gut nachvollziehen:<br />

Das Brandkataster von 1784 legt den Versicherungswert<br />

für ein Schulhaus bei der<br />

Kirche lapidar auf 200 Gulden fest. Die<br />

Feuerversicherung spricht im Jahre 1808<br />

von einem geringen Schulhausgebäude,<br />

dessen ursprünglicher Versicherungswert<br />

von 200 Gulden im Jahre 1829 zunächst<br />

auf 300 Gulden, dann auf 400 Gulden erhöht<br />

wird. Ausdrücklich ausgenommen ist<br />

der Backofen im zweiten Stock, er sei<br />

„ungesezlich Feuerwerk”. Außerdem fi ndet<br />

sich der interessante Hinweis, dass in dem<br />

dreistöckigen Rathaus seit 1809 „eine<br />

Schule”, sprich „ein Schulraum”, eingerichtet<br />

ist.<br />

Ab 1861 wurde der Versicherungswert des<br />

Schulhauses an der Kirche „wegen bedeutender<br />

baulicher Verbesserung” auf 2.000<br />

Gulden erhöht. Was war geschehen – nun<br />

erfährt man von einem 1860 neu erbauten<br />

Schulbau, „von Stein und Fachwerk,<br />

mit gewölbtem Keller”, westlich an das<br />

alte Schulgebäude angebaut, und das Einschätzungsprotokoll<br />

von 1864 nennt das<br />

Gebäude nunmehr „Volksschule” und erwähnt<br />

eine Erhöhung des Versicherungswertes<br />

von 4.720 M (die Währung in Gulden<br />

war zwischenzeitlich abgeschaff t<br />

worden) auf 6.700 M, und zwar wegen<br />

Vergrößerung (Eintrag vom 16. Dezember<br />

1880); festgehalten wurden auch die genauen<br />

Gebäudemaße:<br />

lang 14,5’<br />

breit 11’<br />

Stock hoch 7’<br />

Knie- und Dachstock 11’<br />

Bereits seit einiger Zeit waren das Raumangebot<br />

und der Bauzustand der Lehrerwohnung<br />

zum Problem geworden, und so<br />

hatte man sich entschlossen, das alte<br />

Schullehrerwohnhaus von Grund auf zu<br />

renovieren und einen hinteren Neubau zu<br />

erstellen.<br />

Der Umfang des Projekts nahm im Laufe<br />

der Planung zu, wie sich an den Erstellungsdaten<br />

der Kostenüberschläge unschwer<br />

feststellen lässt, die Oberamtswerkmeister<br />

Lell aus Neuenstadt erstellte. Und die Zunahme<br />

der tatsächlichen Kosten dürfte den<br />

Gemeinderäten und dem Schultheißen<br />

schlafl ose Nächte bereitet haben:


Aufriss vom neuen, westlich an das alte anzubauende Schulhaus, 1860<br />

Kostenüberschlag Lell (1858–1861):<br />

1. Herstellung [von] verschiedenen<br />

Bauarbeiten in der Schulmeisterwohnung,<br />

August 1858 500 fl 29 x<br />

2. Nachbauüberschlag (daselbst)<br />

October 1859 855 fl 20 x<br />

3. Herstellung eines Anbaus auf der<br />

hinteren Seite des Schulhauses zur<br />

Einrichtung von zwey Schulzimmern<br />

(mit einem Bauriss und Situationsplan),<br />

Januar 1860 3.248 fl 13 x<br />

4. „Herstellung verschiedener Bauarbeiten<br />

an dem Vorplatz und dem Zugang der<br />

Kirche sowie an diesen selbst und dem<br />

Schulhauße” (mit einer Zeichnung;<br />

nicht mehr vorhanden), April 1861<br />

574 fl 10 x<br />

Im Frühjahr 1861 war es dann so weit:<br />

Die Gewerke wurden im Heilbronner Tagblatt<br />

auf der Grundlage der von Oberamtswerkmeister<br />

Lell erstellten Anschläge<br />

ausgeschrieben. In der Folgezeit<br />

liefen die Angebote der interessierten<br />

Handwerksbetriebe ein, und zwar in Form<br />

von Abschlägen, die jeweils prozentual<br />

angegeben wurden. Zum Beispiel off erierte<br />

Schlossermeister Gottlieb Apfelbach<br />

sen. seine Dienste um „18 Procent<br />

vom 100” unter dem Anschlag (16. Mai<br />

1860). Etwas höher hatte Schlosser Ludwig<br />

Beck spekuliert, der erst zehn, dann<br />

„zwölf Prozent weniger” verlangte – und<br />

schließlich den Auftrag bekam; vielleicht<br />

spielten Bekanntheitsgrad und seine<br />

Nähe zum Objekt die ausschlaggebende<br />

Rolle. Weniger erfolgreich war die<br />

„Bauoff ert” von Carl Goepfert (17. Mai<br />

1860), Flaschnermeister aus Neuenstadt,<br />

der gegen seinen Konkurrenten Ferdinand<br />

Gmelin, ebenfalls Neuenstadt, nicht<br />

zum Zuge kam.<br />

Ob die von Lell anvisierten Obergrenzen in<br />

jedem Falle eingehalten werden konnten,<br />

mag angesichts der Flut an Rechnungen,<br />

die in der Folgezeit im Rathaus eingingen,<br />

bezweifelt werden. So trieben zum Beispiel<br />

die in den Verdienstzetteln der Arbeitskräfte<br />

ausgewiesenen Löhne die Baukosten<br />

beträchtlich in die Höhe. Die folgende<br />

Aufl istung stellt auszugsweise die<br />

beteiligten Handwerksbetriebe aus der<br />

näheren Umgebung dar; außerdem ihre<br />

(Teil-) Forderungen und das entsprechende<br />

Datum:<br />

Christian Kaiser, Ofenvertrieb, Heilbronn,<br />

22. September 1860 5 fl 24 x<br />

Johannes Däuble, Zimmermeister, <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />

3. Oktober 1860 5 fl 48 x<br />

327


328<br />

Jacob Blank, Schreinermeister, Brettach,<br />

27. Oktober 1860 100 fl<br />

Karl Betz, Kocherthürn, liefert fünf<br />

Bockgestelle, 16. Dezember 1860 5 fl<br />

Glasermeister Schöck, Neuenstadt,<br />

6. März 1861 20 fl<br />

Lud[wig] Euerle, Schmied, 11. Mai 1861<br />

24 fl 3 x<br />

Ludwig Beck, Schlosser, Neuenstadt,<br />

Mai 1861 20 fl 30 x<br />

Carl Winkler, Glasermeister von Brettach,<br />

28. Juni 1861 8 fl 36 x<br />

Ferdinand Gmelin, Flaschner, 9. Juli 1861<br />

65 fl 30 x<br />

Maurer und Steinhauer, laut „Verdienstzettel“,<br />

9. Juli 1861 1.020 fl<br />

Schmiedemeister Salm, <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />

11. Juli 1861 10 fl 10 x<br />

Dass die Arbeiten nicht immer zur vollkommenen<br />

Zufriedenheit der Auftraggeber<br />

erledigt wurden, zeigt ein erboster<br />

Brief des Schultheißen Ziegler an seinen<br />

Amtskollegen in Neuenstadt, in dem er<br />

dem Schlosser Beck eröff net, dass dieser<br />

seinen Auftrag bis zum „morgenden Tage”<br />

ausführen möge – andernfalls „solche[r]<br />

auf seine Kosten um jeden Preis durch einen<br />

anderen Meister gefertigt werde” (2.<br />

November 1860). Beck wurde aufs Neuenstädter<br />

Rathaus zitiert – jedenfalls legt<br />

seine Unterschrift unter dem oben erwähnten<br />

Brief diese Vermutung nahe –,<br />

und er scheint seinen Verpfl ichtungen<br />

umgehend nachgekommen zu sein, erhielt<br />

er doch weiterere Aufträge im darauff olgenden<br />

Frühjahr 1861, und zwar in der<br />

„Lehrers Wohnung“:<br />

Eine neue Haustüre, Zimmertüren im ersten<br />

Stock, die „Thüre in das Nebenzimmer<br />

bey der Stiege ist mit vorgeschriebenem<br />

Beschlag angeschlagen” usw. Insgesamt<br />

stellte der Schlossermeister dem <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Gemeinderat 93 fl 22 x für erbrachte<br />

Leistungen in Rechnung.<br />

Die Bauarbeiten konnten mit Begleichung<br />

der Rechnungen als abgeschlossen gelten,<br />

das neue Schulhaus der Gemeinde und die<br />

renovierte Wohnung der Schullehrerfamilie<br />

Hinderer übergeben werden. Der folgende<br />

Grundriss zeigt, wie der projektierte<br />

Anbau (rot) das bestehende Schullehrerhaus<br />

(schwarz) erweitern sollte. Bemerkenswert<br />

die Absicht, das Schulzimmer im<br />

zweiten Stock einzurichten.<br />

Für die nächsten Jahrzehnte gehen wir<br />

davon aus, dass weitere Investitionen in<br />

das Schulgebäude nur vorgenommen<br />

wurden, wenn dies zur Sicherung des Baubestandes<br />

unbedingt erforderlich war.<br />

Übrigens nennt das Feuerversicherungsbuch<br />

von 1869 erstmalig den Eigentümer<br />

des Gebäudes: Stiftungspfl ege und Gemeindepfl<br />

ege „in getheilter Gemeinschaft”.<br />

Außerdem kann der Bau nun offi -<br />

ziell als Lehrerwohnung dienen, da mit Nr.<br />

11 ½ ein 2-stöckiges Schulgebäude bei<br />

der Kirche an Nr. 11 teilweise […] angebaut<br />

worden ist.<br />

Das alte Gebäude Nr. 11 muss bereits in<br />

recht baufälligem Zustand gewesen sein,<br />

denn für das Jahr 1894 wurde aufgeführt,<br />

dass es baulich verbessert wurde. An gleicher<br />

Stelle erfährt man, welche „Zubehörden”<br />

das Schulgebäude Nr. 11 ½ hatte:<br />

im Schulsaal im Erdgeschoß<br />

20 Subsellien ohne Oelfarbanstrich<br />

zusammen 50,00 m lfd.<br />

1 Katheder samt Podium<br />

1 Bücherkasten mit Oelfarbenanstrich<br />

1 Schiefertafel in Rahmen<br />

und dazu gehörigen Gestell<br />

3 Kleiderrechen mit eisernen<br />

Haken zus. 5,00 m lfd.<br />

im Schulsaal des I. Stockes:<br />

21 Subsellien ohne Oelfarbenanstrich<br />

1 Katheder st. Podium


Grundrisse vom 1. und 2. Stock; die linke Gebäudehälfte ist der Neubau, 1860<br />

1 Harmonium<br />

1 Schiefertafel mit Rahmen<br />

u. Gestell<br />

5 Kleiderrechen<br />

weitere Zubehörden:<br />

1 elektr. Beleuchtungsanlage<br />

bestehend aus 8 Glühlampen<br />

nebst Leitung<br />

Einige Erweiterungen – ein Schuppen,<br />

südlich vom Wohnhaus und „ein freistehender<br />

einstockigter Schülerabtritt von<br />

gemischter Bauart hinten 1896 neu erbaut”<br />

– bringen den Versicherungswert<br />

auf 8.800 M. Auch Ergänzungen zu den<br />

genannten Details werden ausgewiesen.<br />

Für Gebäude Nr. 11 (Lehrerwohnung) wird<br />

eine äußere Zugangsstaff el gesondert erwähnt,<br />

zudem ist die Rede von fünf elektrischen<br />

Lichtern samt Leitungen und einer<br />

Wasserleitung mit zwei Hahnen. Im Schulhaus<br />

(erster Stock von Gebäude Nr. 11 ½)<br />

befi ndet sich zusätzlich ein Eckschrank<br />

von Holz; außerdem wurde die Elektrifi -<br />

zierung verbessert: sechs elektrische Lichter<br />

samt Leitung. Versicherungswert nunmehr<br />

10.000 M. Hier brechen die Aufzeichnungen<br />

des Brandkatasters ab und<br />

machen für die Ortsgebäude No. 1– 49 leider<br />

keine Angaben mehr.<br />

329


330<br />

Zustand des Schulhauses ab 1934<br />

Die Bestandsaufnahme, die am 6. November<br />

1934 vom Ortsschulrat vorgenommen<br />

wurde, fi el wenig vielversprechend aus,<br />

soweit es um den baulichen Zustand des<br />

Schulhauses ging: Da die Beschläge z. T.<br />

abgerostet sind, schließen die Fenster<br />

nicht, was die Heizkosten unnötig in die<br />

Höhe treibt; die hygienischen Verhältnisse<br />

in den Aborten der Knaben lassen zu wünschen<br />

übrig; auch stellt die schadhafte<br />

Umzäunung des Schulhofes eine unmittelbare<br />

Gefahr für die Schüler dar. Darüber<br />

hinaus müssten „die vor der Schule<br />

aufgestellten Fahnenstangen mit einem<br />

Anstrich versehen werden”!<br />

Schulklasse auf der Schulsta el zwischen<br />

Kirche (links) und altem Schulgebäude<br />

(rechts) am 10. November 1941<br />

Wie aus einem Bericht von 1943/44 hervorgeht,<br />

sind zwischenzeitlich zu den alten<br />

noch weitere Mängel hinzugekommen,<br />

so besteht im Schulhof akute Einsturzgefahr<br />

der Mauer an der nördlichen<br />

Einfassung. Geringere Schäden, wie die<br />

starke Schwärzung der Schulzimmerdecke<br />

oder die Beschädigung von Türpfosten,<br />

könne man – so der Bezirksschulrat – nach<br />

Kriegsende beseitigen.<br />

Schülergruppe mit Lehrer Braun am Eingang<br />

zum Schulhaus; im Hintergrund rechts die<br />

Zugangssta el zum Lehrerwohnhaus (Foto<br />

aus der zweiten Hälfte der 1950er Jah re)<br />

Auch in den Nachkriegsjahren bis weit in<br />

die Wirtschaftswunderzeit hinein tut sich<br />

off enbar wenig in Bezug auf eine grundlegende<br />

Instandsetzung des Schulhauses.<br />

So werden zehn Jahre später (1. Oktober<br />

1953) bei einer Schulhausbesichtigung<br />

durch das Staatliche Gesundheitsamt<br />

Heilbronn der allgemeine Zustand der<br />

Schulzimmer, Einrichtungsgegenstände,<br />

Abortanlage und des Bodenbelages gerügt.<br />

Als am 27. Juni 1956 festgestellt wird,<br />

dass „das untere Schullokal äußerst fußkalt”<br />

sei, kommt ein Beschluss vom 28. Ja-


nuar 1954 in Erinnerung, wonach man einen<br />

„Auftrag für die Installation eines<br />

neuen Ofens zu gegebener Zeit erteilen”<br />

werde. Immerhin holt man bis zum 10.<br />

Oktober 1956 entsprechende Angebote<br />

von drei Heizungsherstellern ein – der<br />

Winter 1956/57 steht schließlich vor der<br />

Tür!<br />

Im Schulzimmer mit Lehrerin Grawunder,<br />

1955<br />

Wir können nur vermuten, dass der Ofen<br />

nun installiert wurde. Wie anders wären<br />

die Schüler durch die folgenden zehn<br />

Jahre gekommen, denn die Unterlagen geben<br />

erst am 2. Juni 1966 wieder Auskunft<br />

über das leidige Heizungsproblem: Architekt<br />

Rüdele informiert über Möglichkeiten<br />

einer Heizungsanlage in der Volksschule.<br />

In Betracht kommen eine Warmluftheizung<br />

(Kohle- oder Ölfeuerung) oder eine<br />

Warmwasserheizung (über Fußleisten).<br />

1959/60 werden weitere dringende Reparaturen<br />

angemahnt: u.a. seien Türschlösser<br />

und Fenster defekt, im unteren Saal müsse<br />

die innere Wandverkleidung erneuert und<br />

das Ofenrohr ersetzt werden. Außerdem<br />

müsse die Schulhofummauerung nun end-<br />

lich ausgebessert werden. Besonders wird<br />

auf folgenden Umstand hingewiesen: Der<br />

Unterricht sei wegen des „Schweinestalls”<br />

mit seinen „unliebsamen Begleiterscheinungen”<br />

unzumutbar geworden. Ob damit<br />

nun ein tatsächlicher Schweinestall gemeint<br />

ist, oder ob es sich eher um eine<br />

Anspielung auf den Zustand der ehemaligen<br />

Lehrerdienstwohnung handelt, die gerade<br />

von den Mietern Baier und Lang verlassen<br />

wurde, kann hier nicht entschieden<br />

werden.<br />

Aus dem Jahr 1964 kann etwas Positives<br />

berichtet werden. Mitte des Jahres erhält<br />

das untere Schulzimmer einen neuen Parkettboden,<br />

geliefert und verlegt von einer<br />

Fachfi rma in Roigheim. Von nun an dürfen<br />

die Schüler das Zimmer nur in Hausschuhen<br />

betreten!<br />

Selbst in den prosperierenden 1970er Jahren<br />

fl ießt das Geld nur spärlich, vielleicht<br />

ist man auch nur weitsichtig und ahnt,<br />

dass sich im Zuge der Eingemeindung bzw.<br />

Auslagerung der Schule nach Neuenstadt<br />

größere Investitionen nicht mehr lohnen.<br />

Die Liste der reparaturbedürftigen „Baustellen”<br />

ist lang und betriff t vor allem den<br />

Zustand der Aborte. Ein Umbau der Toiletten<br />

in „Spülaborte” ist zwar geplant, soll<br />

aber bis nach dem Bau der Kläranlage verschoben<br />

werden und die WCs einstweilen<br />

„mit wenig Geldaufwand”, wie es ausdrücklich<br />

heißt, in den Sommerferien gerichtet<br />

werden (16. Juli 1970) 3 . Zu den allgemeinen<br />

Abnutzungserscheinungen und<br />

langjährigen Vernachlässigungen treten<br />

auch mutwillige Beschädigungen, etwa<br />

durch Brettacher Schüler. Die Instandsetzung<br />

muss durch die entsprechenden Eltern<br />

der Schüler fi nanziert werden (22.<br />

April 1975).<br />

Die weitere Bestimmung der beiden Gebäude<br />

lässt sich wie folgt zusammenfassen:<br />

Mit der Erstellung der Lehrerwohnung an<br />

der Brettacher Straße (1936) wurde Nr. 11<br />

331


332<br />

für andere Nutzung frei, u.a. sollte die Hitlerjugend<br />

einen Raum für ihre Aktivitäten<br />

bekommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

wurden ausgebombte Flüchtlinge eingewiesen.<br />

Die Eingemeindung <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />

nach Neuenstadt erfolgte 1972, zwei Jahre<br />

später wurde die Dorfschule aufgegeben.<br />

Die alte Lehrerwohnung konnte von der<br />

Gemeinde an die Firma Lawes verpachtet<br />

werden, die nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten<br />

– u.a. Sicht barmachung<br />

des Fachwerks – ihre Anti quitäten in angemessenem<br />

Ambiente präsentieren konnte.<br />

Der Pachtvertrag lief 1999 aus, Gebäude<br />

Nr. 11 wurde nochmals strukturellen Umbau-<br />

und Renovierungsarbeiten unterzogen<br />

(2004 abgeschlossen) und erweitert<br />

nunmehr das Mörike-Museum.<br />

Der obere Stock im Gebäude Nr. 11 ½<br />

diente nach der Eingemeindung der evangelischen<br />

Gemeinde als Versammlungsort,<br />

der kleine Anbau westlich (die ehemaligen<br />

Abtritte) wurde für die Jungschar ausgebaut.<br />

Laut Ortschaftsratsprotokoll vom 14.<br />

Dezember 1979 wurde der untere Schulsaal<br />

ab 1. Februar 1980 an Shirley Lawes<br />

vermietet. Davor war dieser Teil des Ge-<br />

1 CB 216<br />

2 CB 143–CB 156<br />

3 CA 600<br />

bäudes vom Mörike-Chor und dem Akkordeon-Spielring<br />

genutzt worden. Ab 1996<br />

fand im Erdgeschoss das neu eingerichtete<br />

Mörike-Museum sein Zuhause.<br />

Das alte Lehrerwohnhaus wurde 1980 an<br />

das Antiquitätengeschäft von Shirley Lawes<br />

verpachtet (bis 1999)


Die Schule in <strong>Cleversulzbach</strong> und ihre Lehrer seit<br />

dem 18. Jahrhundert<br />

Erziehung und Bildung lagen sowohl in<br />

den Händen von Kirche als auch von<br />

Staat, der die Pfl icht, im christlichen Sinne<br />

zu erziehen, durch das Konsistorium wahr<br />

nahm, eine Art Oberbehörde, die Mitte des<br />

16. Jahrhunderts eingerichtet wurde. War<br />

es ursprünglich der Pfarrer gewesen, dem<br />

die religiöse Unterweisung und die Vermittlung<br />

des weltlichen Stoff es oblag, so<br />

kam nun der Schulmeister hinzu, dem<br />

auch das Mesneramt übertragen wurde,<br />

das auf diese Weise kostenneutral geführt<br />

werden konnte. Hier ist möglicherweise<br />

auch der Grund dafür zu suchen, dass der<br />

Unterricht meistens in der Nähe der Kirche<br />

stattfand, nämlich in der Wohnstube<br />

des Mesners. Aus diesem Provisorium ging<br />

die Volksschule hervor.<br />

Es fällt nicht leicht, konkrete Bezüge auf<br />

die Anfänge der Schule unseres Dorfes zu<br />

fi nden, war doch das „Urbuch” von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

bereits in den ersten Wirren<br />

des Dreißigjährigen Krieges verloren gegangen<br />

und mit ihm möglicherweise<br />

auch Hinweise auf Schule und Lehrer. Die<br />

erhaltene Nachschrift „Chronik von <strong>Cleversulzbach</strong>”<br />

(1626) enthält jedenfalls<br />

kein verwertbares Material zum Thema<br />

„Schule“.<br />

Dem Johann Jacob Schmidt 1 wurden 1737<br />

in der Beeth, also dem Schuldenregister,<br />

die Erlassung von 50 Gulden Steuern bestätigt.<br />

Es war gängige Praxis der Schulmeister,<br />

sich einen Lehrgehilfen, Provisor<br />

genannt, zur Seite zu stellen, der ihnen<br />

beim Unterrichten half, der allerdings<br />

auch untergebracht und verköstigt werden<br />

musste. Oft zog sich ein Lehrer den<br />

eigenen Sohn für diese Arbeit heran, der<br />

dann bei entsprechender Eignung eine Familientradition<br />

weiterführte. Es verwundert<br />

nicht, dass Amtmann Anhäußer vor<br />

dem Gemeinderat am 14. August 1753 zu<br />

Protokoll gibt, dass<br />

Nachdeme Hr Pfarrer Rabausch letzhin<br />

ohne mein des Ambtmanns Vorwissen<br />

Gericht und Rath auch die Bürgerschaft<br />

auf das Rathhauß beru en laßen, und<br />

selbigen Vorgestellt, daß sie den vacanten<br />

Schuldienst deß Verstorbenen Schulmeisters<br />

Jüngsten Sohn Gottlieb Schmieden<br />

anvertrauen möchten.<br />

Hintergrund für die Bitte des im Sterben<br />

liegenden Johann Jacob Schmidt an Pfarrer<br />

Rabausch war die Sorge um „zwey etwas<br />

Simpelhafte Kinder”, für deren Unterhalt<br />

der jüngste Sohn aufkommen sollte.<br />

Obwohl sich zwei weitere Bewerber um<br />

die Stelle bemühten und trotz moralischer<br />

Bedenken – immerhin hatte der 19-jährige<br />

Johann Gottlieb Schmid „eine Zeith<br />

lang unter der Soldatesque alß querpfeiffer<br />

gestanden” – bekam dieser die Anstellung,<br />

und die Gemeinde hatte auf elegante<br />

Art und Weise das Problem der Sorgepfl<br />

icht für dessen zwei ältere Geschwister<br />

gelöst. Nach Kirchenvisitationsakten<br />

aus dem Jahr 1794 2 hielt Johann Gottlieb<br />

Schmid übrigens auf diesem Posten beständig<br />

über 50 Jahre aus, bis er, 71 Jahre<br />

alt, 1804 verstarb! Er unterrichtete im<br />

Winter 1793/94 68 Schulkinder (40 Knaben<br />

und 28 Mädchen), im Sommer besuchten<br />

36 Knaben und 23 Mädchen die<br />

Schule. Schulmeister Schmid besaß „gute<br />

Gaben” zum Unterricht, war „vorzüglich”<br />

im Rechnen und versah zugleich das Mesneramt<br />

in der Kirche. Das Rechnen mit<br />

den dazu fähigen Kindern wurde „mit<br />

Nutzen getrieben”. Buchstabieren, Lesen,<br />

Schreiben, Diktate schreiben, Briefe lesen<br />

waren in Übung. Auf Rechtschreibung, das<br />

richtige Buchstabieren und auf Lesen<br />

333


334<br />

wurde besonders geachtet, auch auf das<br />

Memorieren der vornehmsten Sprüche aus<br />

dem Katechismus und der Gesangslieder<br />

in der Kirche. Die Fassungskräfte der Kinder<br />

reichten aber nicht aus, um vorgelesene<br />

moralische Geschichten oder gute<br />

und böse Beispiele aus lehrreichen Fabeln<br />

selbst zu Papier zu bringen.<br />

Der Schulbetrieb wurde in den Folgejahren<br />

von Johann Christoph Schmid aufrecht<br />

erhalten, dann werden die Informationen<br />

über die Lehrer spärlicher. Wir dürfen<br />

aber annehmen, dass der Unterricht<br />

der Jugend zumindest teilweise von den<br />

Dorfpfarrern übernommen wurde. So wird<br />

auch Eduard Mörike in seiner aktiven Zeit<br />

als Pfarrer neben der Kirche Schule gehalten<br />

haben.<br />

Als gesichert nehmen wir an, dass der<br />

Schuldienst von den Lehrern Frieß (1859<br />

weggezogen) und Hinderer (im Frühjahr<br />

1866 nach Weilheim verzogen) weitergeführt<br />

wurde, und dass im selben Jahr<br />

Schulmeister Johannes Höneß übernahm,<br />

der allerdings am 16. März 1874 an Auszehrung<br />

verstarb.<br />

Die Überlieferung der Protokolle der Ortsschulbehörde,<br />

des Kirchenkonvents (1870)<br />

und der Bürgerliste (1886) dokumentiert<br />

in anschaulicher Weise die rasche Abfolge<br />

der Haupt- und Unterlehrer, die in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

ihren Dienst versahen:<br />

Dienstzeit in <strong>Cleversulzbach</strong> Lehrer<br />

um 1712 Johann Jacob Schmidt<br />

20. April 1754 Johann Gottlieb Schmidt<br />

1804 Johann Christoph Schmid<br />

vor 1850 Louis Häker<br />

um 1850 Hörtkorn<br />

bis 1859 Frieß<br />

1866 Hinderer<br />

bis 1866 (?) Johannes Höneß<br />

11. November 1875 –19. April Luther<br />

1882<br />

8. Juni 1882 –25. Juli 1888 Mathias Haug<br />

25. April 1889–Juni 1896 Georg Lorch (Schullehrer)<br />

22. September 1896 Münz<br />

3. März 1904 Bayer (Schullehrer)<br />

6. Dezember 1905 Emil Bauer (Unterlehrer)<br />

25. Oktober 1906 Otto Scherne (Unterlehrer)<br />

18. April 1907 Dagenbach (Hauptlehrer)<br />

27. November1907 Wilhelm Schnizler<br />

11. Januar 1909 August Rogg (Amtsverweser)<br />

1. Mai 1910 Gotthold Wurster (Unterlehrer)<br />

29. März 1911 Karl Schmieg (provisorischer Unterlehrer)<br />

28. Juni 1911 Dagenbach (Hauptlehrer)


28. Juni 1911 Fritz Belz (Unterlehrer)<br />

26. März 1912 Wilhelm Steinhilper (stellvertretender Unterlehrer)<br />

22. Oktober 1912 Robert Brinkmann (Amtsverweser)<br />

22. Mai 1915 Ernst August Zeuner (Unterlehrer)<br />

bis 1916 Geiser (Amtsverweser)<br />

1920 Hans Müller (Unterlehrer)<br />

15. Januar1921 Schick (Hauptlehrer)<br />

1. Dezember 1922 Otto Trefz (Unterlehrer)<br />

30. Januar 1926 Zipperle (Lehrer)<br />

ca. 1933 Hofstetter<br />

1. Juni 1935 Hermann Busch<br />

7. März 1946 Hedwig Beug (Schulleiterin)<br />

15. Oktober 1946 Arnold Bölkow<br />

26. Oktober1946 Werner Schenk<br />

24. Februar 1950 Irene Schmidt (apl. Lehrerin)<br />

9. März 1950 Otto Mössner<br />

24. März 1950 Wilhelm Schmid (apl. Lehrer)<br />

1. Januar 1951 Helmut Braun (apl. Amtsverweser)<br />

September 1951–Januar 1957 Edith Grawunder, geb. Käfer<br />

1961–1963 Barbara Schlegel, geb. Freimann<br />

(kommissarische Schulleiterin)<br />

um 1965 Schlumberger (Schulleiter)<br />

21. September 1967 Waltraud Boczek<br />

28. August 1968 Ewald Eisele (Hauptlehrer z. A.)<br />

1972–1975 Lydia Lohmann<br />

Unterstützt wurden die Lehrer bei ihrer<br />

gewiss nicht leichten Aufgabe (Klassenstärke<br />

in dörfl ichen Volksschulen oft 60<br />

Schüler und mehr) zunächst von einem<br />

Lehrgehilfen – dem so genannten Provisor<br />

–, den sie für diesen Dienst zu entlohnen<br />

und ihm Kost und Logis zu verschaffen<br />

hatten. Dies waren ganz junge Leute,<br />

quasi Azubis, die in ihrem zukünftigen Beruf<br />

erste Erfahrungen sammeln konnten.<br />

Behördlicherseits sah man es gerne, wenn<br />

der zuständige Lehrer seinen Gehilfen<br />

möglichst nahe um sich hatte, so konnte<br />

er diesen besser beaufsichtigen, was in<br />

dem einen oder anderen Falle in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

auch ganz angeraten schien (vgl.<br />

dazu z. B. die die nachfolgend aufgeführte<br />

Rüge des Gehilfen Wolf wegen seines Lebenswandels).<br />

Lehrgehilfe Wolf – aller Anfang ist<br />

schwer<br />

Ein Lehrgehilfe war Berufsanfänger, oftmals<br />

der Sohn des Dorfl ehrers und kaum<br />

älter als 16 bis 18 Jahre. Fast selbst noch<br />

ein Kind, sollte er dem altehrwürdigen<br />

Schulmeister zur Hand gehen, erste Geh-<br />

335


336<br />

versuche vor der Klasse machen und Erfahrung<br />

sammeln. Die Gehilfen wechselten<br />

in rascher Reihenfolge ihre Einsatzorte,<br />

Probleme tauchten im Allgemeinen<br />

selten auf, und auch in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

scheint ihr Engagement insgesamt auf<br />

Zustimmung gestoßen zu sein – bis auf<br />

den Fall Wolf!<br />

Am 9. Januar 1882 erhält nämlich der<br />

Oberschulinspektor ein anonymes<br />

Schreiben, in welchem Lehrgehilfe Wolf<br />

beschuldigt wird, „daß er schlechten Samen<br />

in die Kinder streue” (was immer<br />

das heißt). Auch wird ihm Erfolglosigkeit<br />

bei der Erziehung der Jugend angelastet.<br />

Der Inspektor mahnt den Schulmeister in<br />

der Gemeinderatssitzung (18. Januar<br />

1882) eindringlich, den Lehrgehilfen<br />

schärfer zu überwachen und namentlich<br />

Unzuchtsvergehen umgehend dem Bezirksschulinspektor<br />

zu melden. Der Fall<br />

war heiß, denn auch der übergeordneten<br />

Behörde, dem Königlichen Dekanat, war<br />

ein anonymes Schreiben zugekommen,<br />

in dem die Kompetenz des Lehrgehilfen<br />

massiv angezweifelt wurde: Er führe „ein<br />

ausschweifendes seinen bösen Lüsten u.<br />

dem Trunk ergebenes Leben” und sei<br />

„nicht nur seiner Schule sondern sogar<br />

noch den ledigen Burschen das schlechteste<br />

Vorbild u. Verleiter”.<br />

In der eiligst einberufenen Gemeinderatssitzung<br />

(26. Januar 1882) kam zu<br />

Gehör, dass Wolf bereits öfter vom Ortsschulinspektor<br />

– auch wegen seines<br />

Mangels an Sparsamkeit, Fleiß und Einsatzwillen<br />

– gerügt worden war. Allerdings<br />

müsse man ihm zugute halten,<br />

dass ein Beweis für sittliche Vergehen<br />

nicht erbracht sei und die anstehende<br />

Visitation Genaueres über die Lehrbefähigung<br />

des Gehilfen erbringen werde.<br />

Wie auch immer, Pfarrer Paulus, Schultheiß<br />

Kuttruff und Schulleiter Luther sowie<br />

die Gemeinderatsmitglieder hielten<br />

eine Versetzung des Lehrgehilfen für<br />

wünschenswert, um wieder Ruhe in Gemeinde<br />

und Schule einkehren zu lassen.<br />

Wie der folgende Originalauszug aus der<br />

Gemeinderatssitzung zeigt, konnte sich<br />

Wolf bis in den Mai 1882 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

halten.<br />

Bei dem Durchgang auf dem Rathhaus<br />

bei der gestrigen dekanatamtlichen Kirchenvisitation<br />

wurde dem Gmd.aktuar u.<br />

Bezirksschulinspektor auf seine Frage,<br />

wie man mit dem Betragen des Lehrgehilfen<br />

K. Wolf zufrieden sei, die Anzeige<br />

gemacht, daß derselbe am 2. April einer<br />

Polizeistrafe von 3 M. verfallen ist wegen<br />

ruhestörenden Lärmens in einer Wirtschaft<br />

des hiesigen Orts. So bedauerlich<br />

dieser Vorfall ist, so muß doch auf der<br />

andern Seite auch anerkannt werden,<br />

was zu Gunsten des Lehrgehilfen spricht.<br />

Derselbe hat sich in der Schule diesen<br />

Winter fl eißig bemüht, daß die Kinder im<br />

Lernen vorankommen, die auch größtentheils<br />

die Schule desselben gerne besuchen.<br />

Seit jenem Vorfall am 2. April ist<br />

nichts derart mehr vorgekommen u. es<br />

hat sich seitdem Lehrgehilfe Wolf keinerlei<br />

Klage u. Tadel in der Gemeinde zugezogen.<br />

Er ist sichtlich bemüht durch verdoppelten<br />

Eifer jenes Vergehen gut zu<br />

machen u. in Vergessenheit zu bringen.<br />

Doch glaubt die Ortsschulbehörde, daß<br />

es ihm leichter auf einer anderen Stelle<br />

neu anzufagen, da er selbst einsieht u.<br />

bedauert, daß er durch allzu kameradschaftlichen<br />

Umgang mit der ledigen Jugend<br />

seine Autorität bei dieser erschüttert<br />

(zu haben), dabei ist jedoch nicht zu<br />

verschweigen, daß er die Sonntagsschule<br />

mit Eifer hält u. in derselben keinerlei<br />

Unordnung vorgekommen ist, vielmehr<br />

die Schüler ihre Aufgaben jederzeit richtig<br />

machen u. lernen u. in der Schule<br />

selbst sich gebührend betragen. 3<br />

Angesichts der Tatsache, dass Wolf eine<br />

positive Entwicklung erkennen ließ und


auch weiterhin an sich zu arbeiten gelobte,<br />

wollte sich nun auch die Ortsschulbehörde<br />

nachsichtig zeigen und das Kö-<br />

Dienstzeit in <strong>Cleversulzbach</strong> Lehrgehilfe/Provisor<br />

3. Februar 1870 (?) Simon<br />

um 1874 Lindenberger<br />

11. November 1875 –<br />

1880 Holzapfel<br />

ab August 1880 Wolf<br />

1. Mai 1886 Lang<br />

20. Oktober 1886 Karr<br />

1. Juli 1887 Theurer<br />

5. Mai 1890 Jäkle<br />

25. Juli 1888 Kißling<br />

6. Mai 1890 Strähle<br />

18. Mai 1891 G. Böhringer<br />

12. September 1891 Hermann Gauß<br />

20. Januar 1893 Burkhardt<br />

25. Januar 1893 Lang<br />

5. Januar 1897 Georg Bender<br />

1899 Gröner<br />

2. August 1946 Gerhard Henninger<br />

Die Lehrgehilfen hielten sich besonders<br />

zur Winterszeit wohl recht gerne im<br />

Wirtshaus auf; dies lag daran, dass ihr<br />

Wohnzimmer gänzlich unbeheizt war. Am<br />

30. Dezember 1848 bringt das Oberamt<br />

sein „Wohlgefallen“ darüber zum Ausdruck,<br />

dass „manche Gemeinden schon<br />

freiwillig den bey ihnen angestellten Lehr-<br />

Gehilfen heizbare Wohnzimmer eingerichtet“<br />

haben, damit sich diese „ordnungsliebenden<br />

fl eissigen“ Lehrkräfte in ihren<br />

„Freystunden der eigenen Fortbildung und<br />

der Vorbereitung auf den Unterricht widmen,<br />

anstatt in Wirthshäussern sich aufhalten<br />

müssen.“ Anscheinend waren die<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er und Brettacher Gemein-<br />

nigliche Konsistorium bitten, dem Lehrgehilfen<br />

durch eine Versetzung noch einmal<br />

eine Chance zum Neuanfang zu geben.<br />

deräte weniger wohlgefällig gewesen,<br />

denn durch Rundbrief wurden sie nachdrücklich<br />

angewiesen, im Vorgriff auf die<br />

„bevorstehende Revission des Schulgesezes<br />

[…] das Zimmer des Provisors nicht nur<br />

heizbar machen zu lassen, sonder[n] auch<br />

demselben bey seinem geringen Gehalte,<br />

das wenige Holz anzuweissen, welches zur<br />

Heizung […] erforderlich ist.“<br />

Wer seine Ausbildungszeit ohne Beanstandung<br />

absolviert hatte, konnte irgendwo<br />

im Lande mit einer Anstellung als<br />

Unterlehrer rechnen und dort relativ selbständig<br />

arbeiten. Die jährlichen Schulvisitationen<br />

sorgten dafür, dass nichts aus<br />

dem Ruder lief. Die Übersicht zeigt für die<br />

337


338<br />

Jahre 1870 bis 1946 die <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Provisoren in chronologischer Reihenfolge,<br />

soweit dies aus den Unterlagen hervorgeht.<br />

Der Beruf des Lehrers war gemeinhin den<br />

Männern vorbehalten. Zwar kam unter<br />

Umständen gelegentlich auch die Frau des<br />

Lehrers als Gehilfi n zum Einsatz, aber eine<br />

diesbezügliche Berufsausbildung fand<br />

kaum statt.<br />

In den so genannten „Industrieschulen“<br />

kamen bei Bedarf Arbeitslehrerinnen zum<br />

Einsatz, die meistens ohne besondere pädagogische<br />

Ausbildung ihre Kenntnisse und<br />

Fähigkeiten im Stricken, Nähen, Flicken<br />

1 Siehe im Kapitel „Zur Geschichte der Schule in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

bis um 1800“.<br />

2 Hauptstaatsarchiv Stuttgart Bestand A 281<br />

3 CB 66 5. Mai 1882<br />

4 CB 66 S. 189<br />

usw. an die jungen Mädchen des Orts weitergaben.<br />

So versah ab 11. November 1875<br />

Rosine, Ehefrau des ansässigen Schuhmachers<br />

Ott, diesen Dienst; gefolgt wurde sie<br />

von Frau Erhardt (ab 1884), Friederike<br />

Korb (1889) und Christiane Schick (1896).<br />

Anders als der Dienst auf Lebenszeit, den<br />

ein Lehrer verrichtete, war der einer „Arbeitslehrerin“<br />

saisonal begrenzt und<br />

brachte z. B. der Friederike Korb in der<br />

Wintersaison 1889/90 ganze 40 Pfennig 4<br />

und in der darauf folgenden Saison 0,70<br />

M pro gehaltener Stunde ein 5 – ein wahrhaft<br />

karges Zubrot zum Verdienst des Ehemannes!<br />

6<br />

5 CB 66 S. 202<br />

6 Lt. CR 424 Beilage 289 erhält M. Bordt am 9. Juni 1921 für<br />

im Sommer und Winter gehaltenen Handarbeitsunterricht<br />

880 Mark.


Schulunterricht anno dazumal<br />

Die Mitglieder des Königlichen Evangelischen<br />

Konsistoriums waren dafür zuständig,<br />

die Einhaltung des Schulkanons, der<br />

Schulordnungen usw. in regelmäßigen Abständen<br />

zu überprüfen und die Arbeit der<br />

Lehrer und Lehrgehilfen zu bewerten. Im<br />

Regelfall übernahm der Pfarrer der Gemeinde<br />

diese Aufgabe, kannte er doch die<br />

Verhältnisse vor Ort am besten. Die<br />

schriftlich ausgearbeiteten Berichte über<br />

diese Schulbesuche wurden dem Dekanat<br />

in Neuenstadt vorgelegt, das sie weiterreichte,<br />

bzw. für die Mängelbeseitigung<br />

zuständig zeichnete.<br />

Laut der württembergischen Schulordnung<br />

von 1582 1 sollten die Pfarrer „unversehens<br />

/ doch zu gelegener Zeit sich in<br />

die Schul verfügen / sehen und acht nemen<br />

/ wie sich der Schulmeister gegen die<br />

Schuljungen / mit Lehr und Disciplin halte<br />

/ auch er selber / etliche darunter im Catechismo<br />

/ Buchstaben / Syllabieren / lesen<br />

/ auch schreiben / examinieren / damit<br />

er erkündigen mög / ob der Schulmeister<br />

fl eissig / und was er Frucht bey den Kindern<br />

schaff e”.<br />

Schul–Visitationen – Auszüge aus Visitations–Protokollen 2<br />

Am 18. April 1870 wurde unter Anwesenheit des Schullehrers Höneß die Sonntagsschule<br />

visitiert und zwar in den behandelten Fächern:<br />

Memorieren, Lesen, Religion das Zeugniß ein gutes<br />

Schönschreiben, Kopfrechnen, metrisches Rechnen das Zeugniß z. g. 3<br />

t. 4 Höneß<br />

t. Kielmeyer<br />

Am 25. und 26. April wurden die beiden Werktagsschulen visitiert und zwar<br />

Cl. I Memorieren m. 5 anwesend:<br />

Bibl. Gesch. g. Schulth. Ziegler<br />

Lesen g. Gdpfl eger Schmiech<br />

Geogr. g. Schulrath Lehmann<br />

Deutsche Spr. g. GdR. Klein<br />

Dictat z. g.<br />

Rechnen g. (metrisches Rechnen)<br />

Singen g<br />

Schönschrift z. g.<br />

Cl. II a) bibl. Gesch. g. anwesend:<br />

Memorieren m. Schultheiß Ziegler<br />

Lesen z. g. Schullehrer Höneß<br />

Ansch. Unterr.<br />

Deutsche Sprache m.<br />

Dictat m.<br />

Schönschreiben m.<br />

Rechnen schwach<br />

Singen z. g.<br />

339


340<br />

b) bibl. Gesch. m.<br />

Memorieren zg.<br />

Lesen zg.<br />

Schreiben zg.<br />

Zählen zg.<br />

Singen zg.<br />

t. Höneß 6<br />

t. Simon 7<br />

t. Kielmeyer<br />

Ein ziemlich herbes Urteil muss Pfarrer<br />

Hartmann als Vertreter der Ortsschulbehörde<br />

am 27. Oktober 1890 den Schülern<br />

der Oberklasse ausstellen, wobei er die<br />

Vertreter des Gemeinderats gleichermaßen<br />

abrügt, aber wenigstens die Lehrer halbwegs<br />

verschont:<br />

Der Ortsschulinspektor kann nicht umhin,<br />

zu constatieren, daß seit seinem Hiersein<br />

seit fünf Jahren der Stand in der OClasse<br />

in Absicht auf Kenntnisse u. Zucht noch<br />

nie ein so unerfreulicher war wie diesmal,<br />

daß aber auch dem Lehrer wie dem Geistlichen<br />

die Arbeit an den Schülern sehr erschwert<br />

wurde durch die Zuchtlosigkeit,<br />

Unachtsamkeit u. Gleichgültigkeit eines<br />

großen Teils der Schüler. – Sodann spricht<br />

der O.schulinspektor auch darüber sein<br />

Bedauern aus, daß bei dieser Visitation,<br />

wie überhaupt bei den 3 letzten pfarramtl.<br />

Schulvisitationen kein einziges<br />

weltliches Mitglied der Ortsschulbehörde<br />

anwohnte, obwohl die O.schulbehörde jedesmal<br />

einige Tage vorher eingeladen<br />

worden ist. Die Ortsschulbehörde hat<br />

über den Stand der Schule nichts zu sagen;<br />

auch will dieselbe den Lehrern nichts<br />

zur Last legen. 8<br />

Ferienverteilung anno 1870<br />

Die so genannten Vakanztage in der<br />

Volksschule wurden für das laufende<br />

Schuljahr folgendermaßen aufgeteilt, wobei<br />

die Sonn- und Feiertage nicht eingerechnet<br />

waren:<br />

für Heu Ernte 6 Tage<br />

Ernte 18 –<br />

Karto el 9 –<br />

Herbst 12 –<br />

45 Tag<br />

Die genaue Festlegung auf bestimmte<br />

Tage oder Zeiträume erfolgte spontan<br />

durch den Gemeinderat je nach erwarteter<br />

Wetterlage.<br />

Unterrichtszeiten<br />

Nachdem bereits am 1. April 1892 „die<br />

hies. öff entliche Uhr nach der mitteleuropäischen<br />

Einheitszeit” gerichtet worden<br />

ist, sieht sich auch die Ortsschulbehörde<br />

aufgerufen, „die Einteilung der täglichen<br />

Schulzeit […] auf der Grundlage der neuen<br />

Uhrzeit […] zu ordnen.” Statt aber die entsprechende<br />

Verfügung des „Königlichen<br />

Cultministeriums“ (23. Februar 1892) umzusetzen,<br />

beharrt die örtliche Schulbehörde<br />

„mit Rücksicht auf die Gewohnheiten<br />

u. Bedürfnisse des bürgerlichen Lebens”<br />

auf der Beibehaltung der gewohnten<br />

Unterrichtszeiten. Das bedeutet, dass<br />

Beginn und Ende des Unterrichts sich wie<br />

bisher nach den Jahreszeiten (Sommer/<br />

Winter) richten. 9<br />

Maschinendreschen<br />

Auszug aus dem Protokoll der Bezirksschulversammlung<br />

1908 10 :<br />

Die am 16. September in Neuenstadt<br />

tagende Bezirksschulversammlung hat<br />

beschlossen, künftig den Schülern zum<br />

Maschinendreschen keine Erlaubnis<br />

mehr zu erteilen. Die Ortsschulbehörden<br />

werden hievon ausdrücklich in<br />

Kenntnis gesetzt.<br />

Turnunterricht<br />

Im Februar 1900 gibt das Königliche Evangelische<br />

Konsistorium zu erkennen, dass<br />

die in dem Erlass vom 8. Juli 1883 (!) gegebenen<br />

Bestimmungen zur Durchführung<br />

des Turnunterrichts 11 noch immer


nicht in ausreichendem Maße an den<br />

Volksschulen umgesetzt werden. Deshalb<br />

erfolgt nochmals ein dringlicher Hinweis<br />

darauf, wie der Turnunterricht abzuhalten<br />

ist: Alle Lehrer (Ausnahmen aufgrund von<br />

Alter, Gesundheitsverhältnissen) sind verpfl<br />

ichtet, Turnunterricht ab der 4. Klasse<br />

zu geben und sich dabei an die neueste<br />

Aufl age des Standardwerkes „Anweisung<br />

zur Erteilung des Turnunterrichts” zu halten.<br />

Auf Variation der Übungen ist zu<br />

achten, besonders Lauf- und Marschübungen<br />

sind zu favorisieren. Bei „niederer<br />

Temperatur sollen Stabübungen vermieden,<br />

dagegen Marsch- u. Laufübungen<br />

u. Turnspiele vorgenommen werden.”<br />

Die Lehrer müssen ein genaues Diarium,<br />

d.h. Tagebuch, führen.<br />

Für <strong>Cleversulzbach</strong> werden spezielle Anweisungen<br />

gegeben:<br />

– Herstellung einer waagrechten Leiter<br />

– Kiesung des Turnplatzes<br />

Ein Vollzugsbericht ist bis 20. Mai 1900<br />

vorzulegen. 12<br />

Lehrspaziergänge<br />

Ab 1906 waren die Ortsschulinspektoren<br />

ermächtigt, den Lehrern „höchstens 6mal<br />

im Jahr die Erlaubnis zu erteilen, während<br />

der Schulzeit einen Lehrspaziergang auszuführen”;<br />

dieser dürfe ein bis zwei Schulstunden<br />

dauern und müsse im Diarium<br />

genauestens vermerkt werden. Ein Erfahrungsbericht<br />

solle bis 1907 vorgelegt werden.<br />

13<br />

Schulmaterialien im 19. und<br />

20. Jahrhundert<br />

Über den wichtigen Bereich der Schulmaterialien<br />

gibt das <strong>Cleversulzbach</strong>er „Mobiliar<br />

Inventar des Schulfonds“ 14 hinreichend<br />

Auskunft. Angelegt hat es der Lehrgehilfe<br />

Karr im Dezember 1883, und alle<br />

nachfolgenden Provisoren haben bis in die<br />

30er Jahre des 20. Jahrhunderts in diesem<br />

ca. 90 Seiten umfassenden Büchlein ihre<br />

Eintragungen über den Bestand an Schulmaterial<br />

vorgenommen. Überprüft wurde<br />

das Inventarium in regelmäßigen Abständen<br />

von den Schullehrern und Pfarrern.<br />

Der Lehrgehilfe verwaltete seinen eigenen<br />

kleinen Bereich an Gerätschaften: Ihm<br />

standen ein Katheder und eine Bank zur<br />

Verfügung, auch diverse Wandtafeln, je<br />

eine Rechen- und Lesemaschine, aber<br />

auch wichtige Utensilien wie ein Thermo-<br />

Schulausfl ug zur<br />

Ruine Weibertreu,<br />

Weinsberg, im<br />

Jahre 1929<br />

341


342<br />

meter oder eine Stimmgabel. Da die Berufsanfänger<br />

off enbar wenig bemittelt<br />

waren, listet das Inventarium auch Dinge<br />

auf, die eher dem persönlichen Bereich<br />

zuzuordnen sind: Kleiderkasten, Bettlade,<br />

Fenstervorhänge und zwei Handtücher. Es<br />

wurde peinlich darauf geachtet, dass diese<br />

Gegenstände dem Nachfolger weitergereicht<br />

wurden, wenn ein Provisor an eine<br />

andere Schule wechselte.<br />

Bereits der Lehrgehilfe konnte über eine<br />

umfangreiche Büchersammlung verfügen,<br />

die zum einen Teil aus pädagogischen<br />

Lehrwerken, zum anderen aus Standardwerken<br />

in Klassenstärke bestand. Auff allend<br />

ist der hohe Anteil an religiös ausgerichteter<br />

Literatur: ein Klassensatz Bibeln,<br />

30 Schnorr’sche Bibelbilder, eine Lehrerausgabe<br />

des Schulchoralbuchs usw.<br />

Wie nicht anders zu erwarten, war das Inventarium<br />

des regulären Schullehrers umfangreicher;<br />

an Gerätschaften fi nden sich<br />

zusätzlich zu den oben genannten Dingen<br />

z. B.:<br />

20 Subsellien15 mit Tintengefäßen<br />

1 Harmonium<br />

1 Ofenschirm<br />

2 Wandtafeln mit Gestellen<br />

1 Schultafel (23 Mark 45 Pf.)<br />

1 neuer Tisch (14 M. angeschaff t<br />

mit Schublade 1911)<br />

1 Zitiert nach der Ortschronik Obersulm, S. 503.<br />

2 CB 66<br />

3 z.g. = ziemlich gut<br />

4 t. = testum; durch Unterschrift bescheinigt<br />

5 m. = mäßig<br />

6 Johannes Höneß, wahrscheinlich seit 1866 angestellt,<br />

stirbt am 16. März 1874 an Auszehrung<br />

7 Simon, ab 1871 Lehrgehilfe an der Schule<br />

8 CB 66<br />

9 CB 66 2. Mai 1892<br />

10 CB 67 Schulrezessbuch<br />

11 Gegen die Einführung eines obligatorischen Turnunterrichts<br />

in der <strong>Cleversulzbach</strong>er Schule hatten folgende hie-<br />

div. Länderkarten (15 M.–22 M./1913)<br />

1 Stempel 1580 M./1922!)<br />

20 Reagenzgläser (4000 M./1923)<br />

4 Zylinder (13.260 M.)<br />

1 Mörser (2.500 M.)<br />

20 Reagenzgläser (0,88 M./1928;<br />

vgl. oben!)<br />

1 Hindenburg-Bild (10 M./1933)<br />

1 Hakenkreuzfahne (14 M. 50 Pf./1933)<br />

Die Schulbibliothek bestand aus ca. 400<br />

bis 450 verschiedenen Titeln, darunter natürlich<br />

die pädagogischen Standardwerke<br />

der Zeit (Gesang-, Lieder-, Lese-, Rechenund<br />

Sprachbücher, die Kinderlehre, das<br />

Harbacher Hilfsbüchlein für die<br />

w[eiblichen] Sonntagsschüler, 1876); auch<br />

hier fällt der umfangreiche Bestand an<br />

christlich orientiertem Lesestoff auf.<br />

Darüber hinaus verfügte die kleine Schule<br />

über eine Lesebibliothek, zu der off enbar<br />

auch die Schüler Zugang hatten. Sie umfasste<br />

etwa 255 verschiedene Bücher und<br />

wurde im Laufe der Zeit ständig an sich<br />

ändernde Geschmacksrichtungen und politische<br />

Strömungen angepasst. So fi nden<br />

sich neben Storms „Meisternovellen” (1,60<br />

M./1932) auch Krieck „Nat. pol. Erziehg.”<br />

(3,90 M./1933) und Hitlers „Mein Kampf“<br />

(5,70 M./1933).<br />

sige Büger Einspruch erhoben und sich geweigert, ihre<br />

Kinder daran teilnehmen zu lassen:<br />

Schneider Stahl, Zimmermann Däuble, Karl Lumpp, Ludwig<br />

Kleber u. Baumwart Dietrich<br />

12 Schulrezessbuch CB 67<br />

13 Schulrezessbuch CB 67<br />

14 CR 263<br />

15 Subsellium Die Schulbank mit schräger Schreibplatte kam<br />

um 1800 auf. Sie wurde oftmals vom Dorfschreiner nach<br />

Anleitung des Lehrers gebaut. Diese Bänke wurden 1964<br />

durch neues Gestühl ersetzt, das von der Hohenloher<br />

Schulmöbelfabrik für 1824 DM geliefert wurde. Die alten<br />

Bänke wurden meistbietend verkauft (CB 33 Bl. 2).


... mit gebotener Strenge – Zucht und Ordnung<br />

in Schule und Alltag im 19. Jahrhundert<br />

Spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

waren alle Heranwachsenden bis zu ihrem<br />

Eintritt in die Berufswelt schulpfl ichtig.<br />

Unentschuldigtes Fehlen im Unterricht<br />

oder bei der Sonntagslehre konnten hart<br />

geahndet werden, mitunter wurden auch<br />

die Erziehungsberechtigten zur Verantwortung<br />

gezogen. Denn diese waren es<br />

schließlich, die in der von Landwirtschaft<br />

geprägten Dorfgemeinschaft <strong>Cleversulzbach</strong><br />

besonders im Sommer und Herbst<br />

ihre Kinder immer wieder zum Ernteeinsatz<br />

heranzogen.<br />

Einige Beispiele aus der guten, alten<br />

Schulzeit zeigen, wie verschiedenartig die<br />

Beweggründe für ungesetzliche Schulversäumnisse<br />

gelagert waren, und wie die<br />

kirchlichen und weltlichen Autoritäten<br />

darauf reagierten. Im Februar 1873 wurde<br />

der Einwohnerschaft nochmals von der<br />

Kanzel herab der Konsistorialerlass zur<br />

Kenntnis gebracht, welcher das neue<br />

Reichsgesetz betreff end die Schulversäumnisse<br />

zum Gegenstand hatte. Wenn<br />

Mahnen und Warnen „wie bisher” nicht<br />

fruchte, dann müsse u. a. mit bis zu 24<br />

Stunden Arrest gestraft werden! 1<br />

In der Folgezeit wurden in fast allen Gemeinderatssitzungen<br />

als Tagespunkt 1 die<br />

Schulversäumnisse summarisch abgerügt,<br />

ohne dass es zu namentlichen Einträgen<br />

ins Protokoll kam.<br />

Eine ernstliche Mahnung traf Löwenwirt<br />

Blatt, dem untersagt wurde, seine Dienstmagd<br />

Pauline Kleiner vom Besuch der<br />

Sonntagskinderlehre abzuhalten. Blatt<br />

versprach, seine Magd so oft es sein Geschäft<br />

erlaube, „diesen für die Jugend so<br />

nötigen und heilsamen Gottesdienst” besuchen<br />

zu lassen. 2 Im Oktober desselben<br />

Jahres, 1886, wurde Christine Christ, die<br />

zweite Dienstmagd des Löwenwirts, vor-<br />

geladen. Als evangelische Christin dürfe<br />

sie sich durch ihren Dienstherrn Blatt<br />

nicht vom Besuch der Kinderlehre abhalten<br />

lassen, zumal ihr Verhalten „ein übles<br />

Vorbild gebe”.<br />

Der moralische Zeigefi nger wurde am 6.<br />

Februar 1889 gleich von zwei Seiten gegen<br />

Gottlieb Hesser erhoben, der einer<br />

Vorladung des Ortsgeistlichen nicht Folge<br />

geleistet hatte und nun vor den Ortschaftsrat<br />

zitiert wurde. Der Junge hatte<br />

in Heilbronn „die Gottesdienste der sog.<br />

‚apostolischen Gemeinde‘ (Irringianer 3 )<br />

besucht”, und Pfarrer Hartmann wollte<br />

seelsorgerlich auf ihn einwirken, sich von<br />

„Gottesdiensten einer außerhalb der<br />

evang. Landeskirche stehenden Sekte wie<br />

die Irringianer überh. fernzuhalten” und<br />

die „Christenlehrgottesdienste der evang.<br />

Landeskirche, in welcher er getauft u.<br />

confi rmiert wurde, regelmäßig zu besuchen.”<br />

Etwa ein halbes Jahr später (2. Oktober<br />

1889) machte eine Empfehlung des<br />

Königlichen Gemeindeoberamts klar, dass<br />

die „Bestrafung der Schüler der ObClasse<br />

wegen Versäumnis der Sonntagsgottesdienste<br />

mittelst Schulstrafen […] einer<br />

festen, gesetzlichen Grundlage entbehre<br />

[…] und außer Wirksamkeit zu setzen” sei.<br />

Dennoch seien die Schüler auch weiterhin<br />

zum Besuch der Veranstaltung verpfl ichtet.<br />

Schullehrer Lorch bot sich an, hierfür<br />

durch „persönliche, moralische Einwirkung<br />

auf die Kinder” Sorge zu tragen.<br />

Etwas anders als im kirchlichen Bereich,<br />

wo man eher durch eine moralische Strafpredikt<br />

eine Verhaltensänderung der Kinder<br />

erreichen wollte, nahm sich die Reaktion<br />

der Lehrer auf Schulversäumnisse<br />

aus: Strafen und vor allem die körperliche<br />

Züchtigung für Schulvergehen waren bis<br />

lange nach dem Zweiten Weltkrieg in<br />

343


344<br />

Deutschland gang und gäbe. Der Autor<br />

hat dies noch aus eigener Anschauung in<br />

Erinnerung; besonders schmerzhaft war<br />

für ihn, dass die Strafe immer coram publico<br />

– also vor versammelter Mannschaft<br />

– verabreicht wurde. Ein interessanter Aspekt<br />

kommt insofern hinzu, dass im <strong>Cleversulzbach</strong><br />

des 19. Jahrhunderts auch<br />

Übertretungen, die außerhalb der Schule<br />

begangen worden waren, im Auftrag des<br />

Gemeinderats vom Lehrer geahndet wurden.<br />

Off enbar war man sich um 1885 über<br />

die rechtliche Seite dieses Vorgehens nicht<br />

mehr ganz sicher, so dass eine diesbezügliche<br />

Anfrage an das Königliche Evangelische<br />

Konsistorium für Klarheit sorgen<br />

sollte. In einem Antwortschreiben wird die<br />

„Anwendbarkeit von Schulzuchtstrafen<br />

gegen Schüler wegen Schulversäumnisses”<br />

eindeutig bejaht, der Sachbearbeiter<br />

Schickhardt, Stuttgart, stützt sich dabei<br />

auf einen Erlass des Konsistoriums vom 4.<br />

April 1882.<br />

Stellvertretend für die vielen ähnlich gelagerten<br />

Fälle mag hier die Bestrafung von<br />

sechs <strong>Cleversulzbach</strong>er Schülern stehen:<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>, den 26. August 1886<br />

Am letzten Sonntag, dem 22. Aug. haben<br />

6 Werktagsschüler, nemlich: Karl Fingel,<br />

Ludwig Euerle, Paul Kaiser, Otto Salm,<br />

Karl Erhardt u. Hermann Schlegel die<br />

Sonntagskinderlehre versäumt, welche<br />

mit den Söhnen gehalten wurde, u. während<br />

der Zeit des Gottesdienstes das Feuerwehrfest<br />

in Neuenstadt besucht. Unter<br />

Bezug auf den Beschluß der Ortsschulbehörde<br />

vom 20. September 1884 sollen die<br />

betr. Kinder in der Schule seitens des<br />

Schullehrers mit Tatzen abgestraft werden,<br />

wie dies üb[er]h[aupt] künftig bei<br />

unerlaubten Versäumnissen der Kirche<br />

geschehen soll.<br />

Bei der Gemeinderatssitzung am 3. Februar<br />

1871 „kam die Unsitte zur Sprache,<br />

daß bei Leichenbegräbnissen die<br />

Schulkinder auf öff entlichen Straßen<br />

mit Wein bewirthet werden, so daß es<br />

oft mehr einem Hochzeitsgelage als einem<br />

Leichenbegräbnis gleicht. Es soll<br />

das abbestellt werden u. die Einwohner<br />

aufgefordert werden statt Wein lieber j.<br />

Kind Zucker zu geben. Dieser Rathschluss<br />

soll von der Kanzel mitgetheilt<br />

werden.”<br />

Verhandelt den 13. Mai 1875<br />

Der KirchenConvent versammelt sich,<br />

um Unarten abzurügen welche in dem<br />

Vormittags Gottesdienst des vergang.<br />

Sonntags (S. Exandi) & schon früher<br />

von einigen Sonntagschülern verübt<br />

worden & von Schullehrer Luther zur<br />

Anzeige gebracht sind. Karl Kuttruff<br />

hat während der ganzen Kirche durch<br />

Gestikulationen & Manipulationen<br />

die anderen lächerlich gemacht, nach<br />

ihnen mit dem Kopf gestoßen & sonst<br />

Lärm getrieben, Johann Walter u.<br />

Christian Ott haben darüber gelacht &<br />

dadurch Anlass zur Fortsetzung des<br />

Unfugs gegeben. In Anbetracht, daß<br />

der Unfug sich wiederholt hat & ein<br />

Exempel statuirt w. muß, wird beschlossen,<br />

Karl Kuttruff mit 12 Stund, Johann<br />

Walter & Christian Ott mit je 3 St. Arrest<br />

zu bestrafen, welcher am Pfi ngstmontag<br />

zu erstehen ist.<br />

Die Eröff nung unter Rekursbelehrung<br />

bezeugt<br />

T. Karl Kuttruff<br />

T. Gottlieb Ott<br />

T. Johann Walter


Der Lehrgehilfe Karr bringt am 10. Juli<br />

1884 zur Anzeige, dass die achtjährige<br />

Schülerin Nane Christiane Bordt aus seiner<br />

Speisekammer ca. 30 Eier entwendet<br />

und diese an andere Kinder verteilt<br />

habe. Hierin sieht der Gemeinderat einen<br />

besonders hohen Grad von Frechheit<br />

und Schamlosigkeit; außerdem habe<br />

der Vorfall in der ganzen Gemeinde<br />

schweres Ärgernis erregt, „auch den übrigen<br />

Kindern zum schädlichen Beispiel<br />

gereicht“, weswegen beschlossen wird,<br />

dass sowohl „die Nane Christiane Bordt,<br />

als die übrigen Kinder, welche die gestohlenen<br />

Eier angenommen haben u.<br />

welche bei der heutigen Vernehmung<br />

vor der OrtsSchulbehörde sich besonders<br />

frech u. lügenhaft benommen haben,<br />

in der Schule in Gegenwart der<br />

Classe seitens des Lehrgehilfen mit geschärfter<br />

körperlicher Züchtigung abgestraft<br />

werden, u. zwar soll Nane Christiane<br />

Bordt 6 Tage hindurch je zum Anfang<br />

u. zum Schluß 2 Schläge auf die<br />

Hand erhalten; ferner die 13 J. alte Caroline<br />

Pauline Bordt 3 Tage lang je 6<br />

Schläge zum Schluß der Schule u. 3 ff .<br />

Tage je 4 Schläge, Anna Bordt 4 Tage je 4<br />

u. Pauline Bordt 3 Tage je 2 Schläge erhalten.<br />

Zugleich sollen die Kinder in beiden<br />

Classen vor derartigen Vergehen für<br />

die Zukunft ernstlich verwarnt werden.“<br />

Verhandelt den 20. September 1884<br />

Die Schüler der oberen Schule: August<br />

Däuble u. Ludwig Seebold wurden vorigen<br />

Sonntag 14. Sept. vom Feldschützen<br />

beim Obstdiebstahl betroff en, ein Vergehen,<br />

das dadurch erschwert wird, daß<br />

dieser Frevel während des Nachmittagsgottesdienstes<br />

geschah. Um solchen<br />

Vorkommnissen für künftig vorzu-<br />

Gegen diesen Beschluss erhebt der Korbmacher<br />

Gottfried Bordt, Vater der Pauline,<br />

Einspruch, muss aber hinnehmen,<br />

dass dieser vom Königlichen Gemeindeoberamt<br />

am 18./19. des Monats als<br />

ungerechtfertigt verworfen wird. Der Fall<br />

erhält eine erneute Wendung durch das<br />

Geständnis der Nane Bordt, sie sei am<br />

20. d. M. durch ihre Schwester Pauline<br />

dazu verleitet worden, der Witwe Schlegel<br />

„4 Krägchen u. 5 Manchetten” zu<br />

stehlen. Daraufhin wird die Mutter der<br />

beiden Schwestern mit 2 Tagen Arrest<br />

„wegen Nichtabhaltung vom Diebstahl”<br />

bestraft. Pauline selbst versucht der gegen<br />

sie am 10. Juli verhängten Züchtigung<br />

durch den Lehrgehilfen dadurch zu<br />

entgehen, dass sie „unversehens aus dem<br />

Schullokal” herausspringt. In diesem Benehmen<br />

zeige sich – so der Gemeinderat<br />

– „Widerspenstigkeit, boshafter Mutwille<br />

u. zugleich Hohn gegen den die<br />

Strafe vollziehenden Lehrer wie gegen<br />

die Schulordnung”, so dass eine weitere<br />

Bestrafung der 13-Jährigen unumgänglich<br />

sei. Mit Verweis auf den entsprechenden<br />

Gesetzesparagraphen wird über<br />

Pauline Bordt strenger Schularrest von<br />

12 Stunden verhängt, abzusitzen am 9.<br />

August 1886 von 6.00 –12 Uhr und<br />

12.30 –18.30 Uhr<br />

beugen, wird beschlossen, daß alle Schüler<br />

der Oberklasse künftig regelmäßig u.<br />

streng zum Besuch des Gottesdienstes<br />

auch am Sonntag Nachmittags angehalten<br />

werden sollen, so daß dieser Besuch<br />

ihnen obligatorisch zur Pfl icht gemacht<br />

u. die Versäumnis des Gottesdienstes in<br />

der Schule strafbar sein soll, wie bei den<br />

Werktagsgottesdiensten.<br />

345


346<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>, den 22. September 1887<br />

Die Sonntagsschüler Hermann Schlegel<br />

u. August Schlegel haben am 4. September<br />

während einer Taufhandlung<br />

den Gottesdienst durch Lachen gestört.<br />

Denselben wird wegen dieses Unfugs<br />

für diesmal ein ernster Verweis erteilt<br />

mit der gleichzeitigen Bedingung,<br />

daß die künftige Wiederholung eines<br />

derartigen Unfugs, sei es daß derselbe<br />

von ihnen oder andern Sonntagschülern<br />

begangen wird, mit Arrest im Ortsgefängnis<br />

4 bestraft wird.<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>, den 5. Dezember 1887<br />

Die Winterabendschüler Hermann Schlegel<br />

u. Christian Riggert haben im Religionsunterricht<br />

in der Winterabendschule<br />

am 20. lf. M. durch ganz unmotiviertes<br />

Lachen den Unterricht gestört. Dieselben<br />

werden wegen dieses Unfugs, den sie<br />

eingestehen, heute von der Ortsschulbehörde<br />

gemäß § 10 Abs. 7 der Schulzuchtverfügung<br />

vom 22. Mai 1880 mit strengerem<br />

Schularrest im Ortsgefängnis abgestraft<br />

u. zwar Hermann Schlegel, der<br />

schon einmal in der Sitzung vom 22.<br />

Septbr. d. J. wegen desselben Unfugs mit<br />

einer Verwarnung bestraft worden ist: 8<br />

Stunden, Christian Riggert mit: 6 Stunden.<br />

Der Schularrest soll bei Hermann<br />

Schlegel vom Donnerstag, 26. Jan. morgens<br />

8 Uhr an, bei Christian Riggert am<br />

Freitag, 27. Jan. von morgens 8 Uhr an<br />

vollzogen werden u. die Eltern der beiden<br />

Kinder von dieser Verfügung in Kenntnis<br />

gesetzt werden.<br />

Christian Riggert hat den Arrest am 27.<br />

Januar v. morgens 8 bis abends 2 Uhr erstanden.<br />

Hermann Schlegel hat den Arrest am 28.<br />

Januar morgens 9 Uhr bis abends 5 Uhr<br />

erstanden.<br />

Schlegel erklärt ferner am Donnerstag<br />

Am 21. November 1887 wird „in Betreff<br />

des Schlittenfahrens seitens der Kinder”<br />

beschlossen, dass das Fahren auf<br />

dem Weg zur Kirche, dem sog. Hirtengäßle,<br />

streng verboten und dieses<br />

Verbot den Schulkindern insbesondere<br />

eingeschärft werden soll. Wird dieses<br />

Verbot dennoch von den Schülern<br />

übertreten, so sollen dieselben in der<br />

Schule streng abgestraft werden. Polizeidiener<br />

Lumpp wird mit der Umsetzung<br />

des Beschlusses beauftragt. 5<br />

den 26. Januar 1888 habe er mit seinem<br />

Vater in Wald gemußt u. habe deshalb<br />

den Arrest erst am 28. Januar antreten<br />

können.<br />

Polizeidiener Lumpp bezeugt am 5. Februar<br />

1889 die Verbüßung der Strafe der drei<br />

Schüler Johann Kleber, Gottlieb Lumpp<br />

und Christian Plenefi sch.


Am 5. Februar 1889 bezeugt Polizeidiener<br />

Lumpp im Gemeinderatsprotokoll,<br />

dass drei Delinquenten die gegen sie verhängte<br />

Strafe „ohne Klage” abgesessen<br />

hätten.<br />

Was war vorgefallen?<br />

Dem Schulinspektorat lag im Januar<br />

1889 eine Klageschrift des Schulamtsverwesers<br />

Theurer vor, worin er gegen<br />

die 3 Sonntags- bzw. Winterabendschüler<br />

Johann Kleber<br />

Gottlieb Lumpp<br />

Christian Plenefi sch<br />

die Beschwerde erhebt, dass diese Schüler<br />

unentschuldigt nicht zum Nachmittagsarrest<br />

erschienen seien, um versäumte<br />

oder schlecht angefertigte Arbeiten<br />

nachzuholen. Kleber und Lumpp<br />

hätten außerdem zwei Strafarbeiten<br />

nicht abgeliefert.<br />

Darüber hinaus bringt der Ortsgeistliche<br />

“Bezüglich des Verhaltens der Kinder<br />

spricht die Ortsschulbehörde den dringenden<br />

Wunsch aus, die Lehrer möchten<br />

darauf bedacht sein und dafür sorgen,<br />

daß die Schulkinder beim Kommen zur u.<br />

beim Heimgehen von der Schule den ärgerlichen<br />

Lärm unterlassen, auch<br />

Freunden gegenüber, welche durch den<br />

Ort gehen, sich anständiger betragen u.<br />

Fuhrwerke u. dgl. unbehelligt lassen,<br />

über welchen Unfug schon mehrfach<br />

Klage geführt wurde.” 6<br />

1 CB 66<br />

2 CB 66 4. Juni 1886<br />

3 Irringianer: katholische apostolische Sekte<br />

4 Das Ortsgefängnis (oder „Zuchthäußle“, wie es landläufi g<br />

hieß) befand sich im Rathaus.<br />

5 Polizeidiener Lumpp (und viele seiner Amtsnachfolger)<br />

werden wohl mitunter ein Auge zugedrückt haben, denn<br />

vor, Hermann Schlegel habe seine Anweisung,<br />

zur Strafe „in den freien Raum<br />

des Schulzimmers zu stehen u. die Hand<br />

nicht in die Hosentasche zu stecken<br />

nicht befolgt, sondern sich an die Säule<br />

mit in die Tasche gesteckter Hand anlehnte,<br />

daß er auch, als die Reihe des Lesens<br />

an ihn kam, nicht lesen wollte u.<br />

erst auf 2malige Auff orderung des Geistlichen<br />

hin mit Widerwillen zum Lesen<br />

sich anschickte.<br />

Nach längerer Beratung erlässt die Ortschulbehörde<br />

unter Pfarrer Hartmann<br />

und Schultheiß Kuttruff gemäß § 10 Abs.<br />

7 der Schulzuchtverfügung gegen die<br />

Schüler folgende Strafen:<br />

Strenger Schularrest, „welcher im Ortsgefängnis<br />

zu erstehen ist, und zwar<br />

Hermann Schlegel mit 12 Stunden<br />

Johann Kleber u.<br />

Gottlieb Lumpp mit je 10 Stunden<br />

Christian Plenefi sch mit 6 Stunden”<br />

Rüge der Ortsschulbehörde 1891<br />

von Zeitzeugen aus den 1950 und 1960er Jahren ist zu<br />

erfahren, dass zur Winterszeit „die ganze wilde Jagd“ das<br />

Hirtengäßle hinunter mit dem Schlitten gerast ist, dann<br />

über den Kirchplatz und die Brettacher Straße bis zur<br />

Post.<br />

6 CB 66 30. November 1891<br />

347


348<br />

Des Sonntags ist er Organist,<br />

des Montags fährt er seinen Mist,<br />

des Dienstags hütet er die Schwein,<br />

das arme Dorfschulmeisterlein.<br />

Lehrerbesoldung im 18. und 19. Jahrhundert<br />

Das weitverbreitete Spottlied beschreibt<br />

verzerrt-übertreibend den sozialen Status<br />

des Volksschullehrers bis weit ins 19. Jahrhundert<br />

hinein. Auch wenn er die Mesnerei<br />

bei Amtsantritt stillschweigend zusätzlich<br />

übernahm und derart sein Salär etwas<br />

aufbesserte, war damit sein Lebensunterhalt<br />

noch keineswegs befriedigend gesichert.<br />

Nicht selten musste der Lehrer seine<br />

Nahrungsmittel im „Krautgärtchen“ selbst<br />

anbauen, oder in den Sommermonaten<br />

Aushilfsarbeiten beim Bauern annehmen.<br />

Die fi nanzielle Lage des Volksschullehrers<br />

besserte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts,<br />

vor allem auch, weil man den nun<br />

besser ausgebildeten Lehrern eine halbwegs<br />

angemessene Besoldung nicht länger<br />

versagen konnte.<br />

Die Besoldung der Schullehrer erfolgte<br />

ursprünglich „aus dem Heiligen“. Darunter<br />

muss man sich eine Art Ortskirchenkasse<br />

vorstellen. Während diese Kirchenstiftung,<br />

auch Heiligenpfl ege oder Kirchenfabrik<br />

genannt, hauptsächlich mit<br />

der Unterhaltung der Kirchengebäude<br />

und dessen Zubehör wie Ausstattung und<br />

Friedhof, Sachbedarf für den Gottesdienst<br />

und Besoldung der Geistlichen zuständig<br />

war, wurden aus der Schulstiftung<br />

bzw. dem Schulfond die Kosten für<br />

die Volksschule bestritten. 1 Später war<br />

die Gemeindepfl ege für die Besoldung<br />

zuständig.<br />

1726<br />

Rechnungsführer Johann Martin Hesser<br />

führt laut der Bürgermeister-Anstands-<br />

Rechnung von 1726 2 11 Gulden an „Schul-<br />

meister Johann Jacob Michael Schmieder<br />

zu einer jährlichen Besoldung 6 Gulden ab:<br />

Von der Abendglocke 1 Gulden<br />

zu läuten<br />

Und von Schlagung der Orgel 4 Gulden<br />

Welches wir im Manual attestirt schon<br />

empfangen.“<br />

Der Eintrag belegt, dass der Schullehrer<br />

sein kärgliches Gehalt durch Zusatzleistungen,<br />

die auch Teil seines Arbeitsvertrages<br />

waren, zu erhöhen trachtete.<br />

1757<br />

Aus der Kopie eines „Gehaltszettels“ (30.<br />

Januar 1757) 3 geht hervor, dass der Schulmeister<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> in dieser Zeit 59<br />

Gulden und 45 Kreuzer Jahresgehalt bezog.<br />

Gehaltszettel eines Lehrers, 30. Januar 1757


1806<br />

Johann Christoph Schmid, der von Pfarrer<br />

Rabausch protegierte Sohn des verstorbenen<br />

Altlehrers Gottlieb Schmid, wird „per<br />

unan. zum Schulmstr. 4 erwählt, da sonst<br />

kein fremder Candidat sich bei der Wahl<br />

eingefunden hatte.“ 5<br />

Wahrscheinlich hatte die zu Grunde gelegte<br />

„Schulbesoldungscompetenz und die<br />

damit verbundenen Accidenzien und jura<br />

Skolae 6 “ weitere Bewerber von einer Kandidatur<br />

abgehalten. Diese Vertragsbedingungen<br />

listen die Verdienstmöglichkeiten<br />

des zukünftigen Lehrers penibel auf und<br />

sie scheinen auf den ersten Blick ein recht<br />

lukratives Angebot zu sein. Bei näherer<br />

Betrachtung stellt sich allerdings heraus,<br />

dass die über 20 Posten, aus denen sich<br />

das Gehalt zusammensetzte, in vielen Fällen<br />

abhängig waren von der Anzahl der<br />

Zusatzdienste, die der Lehrer zu verrichten<br />

hatte, und die von ihm nicht fest eingeplant<br />

werden konnten: Taufen, Hochzeiten,<br />

Beerdigungen, Waschen von Chorhemden,<br />

Innenreinigung der Kirche usw.<br />

Selbst der Erlös aus dem eigentlichen<br />

Kerngeschäft war abhängig von der Anzahl<br />

der unterrichteten Kinder. So nett<br />

sich der „Güter Genuß<br />

3 Viertel Wiesen in der Hagenach<br />

Ein Almandland zu 100 Ruten 7<br />

Ein KüchenGärdtle bei der Kirch.<br />

Dinkel Sieben Scheff el<br />

Stroh 6 Bundt“<br />

auch anhören mag, das ausgelobte Jahresgehalt<br />

für Lehrer Johann Schmid wird unter<br />

dem Strich kaum über 120 Gulden betragen<br />

haben.<br />

1827<br />

Belief sich das Einkommen eines Schulmeisters<br />

im Jahr 1827 noch auf insgesamt<br />

153 Gulden (Geldwert und Naturalien) zuzüglich<br />

einer mietfreien Wohnung, so<br />

konnte er knapp 50 Jahre später über 425<br />

Gulden jährlich verfügen (um 1870).<br />

1836<br />

Einem Auszug aus dem Kirchenkonvents-<br />

Protokollbuch 8 entnehmen wir, dass der<br />

Gemeinde- und Stiftungsrat, in Verbindung<br />

mit dem Bürgerausschuss, gewillt<br />

sei, „es solle der hiesigen Schulstätte eine<br />

bleibende Zulage von 19 f 56 x aus der<br />

Kommun Kasse angewiesen seyn, um die<br />

Besoldung [des Lehrers] auf den Normalfall<br />

von 200 f zu bringen.“<br />

1872<br />

In Folge der Teuerung ging man 1872<br />

auch in <strong>Cleversulzbach</strong> daran, die Lehrerbesoldung<br />

gemäß des Gesetzes vom 18.<br />

April 1872 anzupassen. So sollte der<br />

Schulmeister summa summarum nun 525<br />

fl erhalten, das Gehalt eines Provisors von<br />

160 fl auf 210 fl (zusätzlich des Gegenwertes<br />

für „7 ½ ltr. Dinkel und ½ Klfr. Holz“)<br />

steigen.<br />

Die Schulbeschreibung von Pfarrer<br />

Rheinwald<br />

Eine außerordentlich umfangreiche<br />

und detaillierte Bestandaufnahme der<br />

örtlichen Verhältnisse gibt Pfarrer M.<br />

Rheinwald 9 im Februar 1828 ab. In Abschnitt<br />

VI seines Berichts beschäftigt er<br />

sich eingehend mit dem Schulwesen,<br />

nachfolgend auszugsweise zusammengefasst:<br />

Es ist nur eine Schule im Ort (§ 1), deren<br />

Schulmeister 1806 (Name im Bericht<br />

nicht genannt) vom Gemeinderat<br />

bestimmt wurde (§ 2). Schulbeginn für<br />

die älteren Schüler ist 7 Uhr während<br />

der Sommerzeit, ansonsten 8 Uhr. Die<br />

Zahl der Schüler im Jahr 1827 betrug<br />

41 Knaben und 44 Mädchen, deren Eltern<br />

je 32 Kreuzer jährlich an Schulgeld<br />

entrichteten (§ 3). Das Schulhaus neben<br />

der Kirche wird mangels Pfl ege („baufälliger<br />

Zustand“) als Schulmeisterwohnung<br />

genutzt, der Unterricht fi ndet in<br />

einer Stube im unteren Stock des Rat-<br />

349


350<br />

hauses statt (§ 4)<br />

Für die Heizung des Unterrichtsraumes<br />

kommt die Gemeinde auf (veranschlagt<br />

werden 2 Klafter gemischtes Holz und<br />

100 Büschel Reisig), die Schulutensilien<br />

sind Sache der Heiligenpfl ege, während<br />

die Anschaff ung von Schulbüchern aus<br />

dem Schulfond bestritten wird (§ 5).<br />

Der Schulfond schöpft aus einer Stiftung<br />

der verstorbenen Prinzessin Charlotte<br />

zu Neuenstadt. Der Zinsertrag<br />

reicht kaum, das Nötigste anzuschaffen,<br />

folglich sind keine Prämien für<br />

hervorragende Schüler möglich (§ 6).<br />

Das Einkommen des Schullehrers besteht<br />

z. T. aus einem fi xen Betrag, z.T.<br />

aus Naturalien und Privilegien, und es<br />

beläuft sich auf 75 Gulden 45 Kreuzer.<br />

Hinzu kommt der sog. Gütergenuss, z. B.<br />

„¾ Wiesen, in einer schlechten Lage“,<br />

„ein geringes Allmandstücklein“ und<br />

eine Bürgergabe – in diesem Falle etwas<br />

Holz – insgesamt ein Einkommen<br />

von 81 fl 39 x.<br />

Bestimmte Sonderleistungen des Lehrers,<br />

etwa Abhaltung der Sonntagsschule,<br />

Weihnachtsgesang usw. vergütet<br />

„der Heilige“ mit 11 Gulden. Darüber<br />

hinaus erhält er von dieser Institution<br />

„ein kleines Küchegärtlein“ und ein<br />

Diensteinkommen von 12 Gulden.<br />

Die Emolumente 10 des Schullehrers<br />

betrugen im Jahr Georgii 1826/27<br />

von 21 Taufen 3 fl 51 x, von<br />

Bezüge des Schullehrers 1826/27<br />

8 Leichen 4 fl 30 x, von 4 Hochzeiten<br />

6 fl . Von 80 Schulkindern<br />

41 fl 36 x, von 2 Schulvisitationen<br />

30 x , zusammen 56 fl 27 x.<br />

Nach der Taxe wurden für 1 Taufe<br />

½ Maas Wein und für 2 x Brod<br />

für die Leiche einer erwachsenen Person<br />

45 x für 1 Kindsleiche 15 x für<br />

1 Hochzeit 1 fl 30 x bezahlt.<br />

An Accidenzien, d.h. freiwilligen Geschenken,<br />

durfte der Schullehrer 1 Gulden<br />

annehmen.<br />

Das gesamte Einkommen des Lehrers<br />

belief sich auf 153 Gulden und 24<br />

Kreuzer, „hinzu kommt noch freye<br />

Wohnung“ (§ 7).<br />

Paragraph 8 führt aus, dass die Sonntagsschule<br />

wechselweise für die Söhne<br />

und Töchter des Dorfes gehalten wurde,<br />

bis diese 18 Jahre alt waren. Die Mädchen<br />

wurden zu „weiblichen Arbeiten,<br />

Stricken, Nähen usw.“ angeleitet, die<br />

Knaben zu „Baumpfl anzen“ (§ 8). Der<br />

Bericht schließt mit der Feststellung,<br />

dass es im Ort keine Juden gibt (§ 9).<br />

Pfarrer M. Rheinwald bezeugt mit seiner<br />

Unterschrift die Richtigkeit der<br />

Pfarrbeschreibung.<br />

Lehrer Kißling bezieht um 1888 jährlich<br />

700 Gulden – bestimmt kein übermäßig<br />

großes Gehalt, wenn man bedenkt, dass<br />

Pfarrer Mörike 50 Jahre vorher über ein<br />

Jahreseinkommen von 600 fl verfügte, mit<br />

dem er seinen Lebensunterhalt kaum bestreiten<br />

konnte. Vor diesem Hintergrund<br />

wird verständlich, mit welchem Nachdruck<br />

Lehrer Lorch in einer Eingabe an den Gemeinderat<br />

(12. November 1895) auf die<br />

Tatsache verweist, dass der Gegenwert der<br />

so genannten Fruchtbesoldung im vorangegangenen<br />

Jahr zweimal nach unten


korrigiert wurde, was für ihn einer Verdienstrückstufung<br />

gleichkommt. Er verweist<br />

auf die gängige Praxis in Gochsen,<br />

derzufolge Preisschwankungen am Markt<br />

für die „Besoldungsfrüchte“ (also Dinkel,<br />

„Kernen“, „Haber“ usw.) nicht in willkürlicher<br />

Weise an die Lehrer weitergegeben<br />

würden. Der Schultheiß fühlte sich zwar<br />

im Recht, schrieb aber doch sofort zehn (!)<br />

umliegende Gemeinden an, um in Erfahrung<br />

zu bringen, nach welchen Verwaltungsvorschriften<br />

man die Fruchtbesoldung<br />

der Lehrer durchzuführen habe. In<br />

Roigheim wurde die Fruchtbesoldung, da<br />

„hier 1894/95 bezügl. des Preises keine Einigung<br />

erzielt werden konnte, in natura<br />

geliefert & geschieht dies auch 1895/96.“<br />

Kochendorf meldete, dass man seit Jahren<br />

keine Fruchtbesoldung mehr durchführe.<br />

Der Lehrgehilfe beziehe jedoch nach<br />

wie vor „für 1 ½ Ctr. Dinkel und 2 Rmtr.<br />

Buch[en] Holz in Geld jährl[ich] 150 M u.<br />

1 R[aum]m[e]t[e]r. gem[ischtes] Holz.“ Alle<br />

anderen Gemeinden verfahren für die<br />

„betr. Lehrer infolge des oberamtl.<br />

Con[sistorial] Erlasses v. 13. 8. 1894, [wonach<br />

man ] am 1. 9. 1894 beschloß, von da<br />

ab die für jedes Erntejahr festgestellten<br />

staatlichen Preise der Besoldungsfrüchte<br />

der Kirchen- & Schuldiener zu berechnen.<br />

(1894 / 95 Staatsanz. v. 10. 3. 1894)“.<br />

Während sich die Schullehrer in den meisten<br />

der Nachbargemeinden ins Unver-<br />

1 Matthias Schönthaler, Schriftgut des 19. und frühen 20.<br />

Jahrhunderts in württembergischen Gemeindearchiven<br />

(Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte, W.<br />

Kohlhammer Verlag Stuttgart 2007)<br />

2 CR 1<br />

3 Aus dem Nachlass von Rektor H. Braun; Fundort des Originals<br />

unbekannt<br />

4 Einstimmig zum Schulmeister<br />

meidliche fügten und klein beigaben,<br />

zeigt sich unser Mann aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />

kämpferisch, indem er die Gesetzmäßigkeit<br />

der in den anderen Gemeinden geübten<br />

Praxis anzweifelt. Des Weiteren bemängelt<br />

er die Verfahrensweise, die der<br />

Gemeinderat an den Tag gelegt habe, dadurch<br />

dass die betroff enen Lehrer zur Sache<br />

nie gehört worden seien. Unter Verweis<br />

auf ähnliche Ungerechtigkeiten, die<br />

ihm während seiner Dienstzeit in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

durch den Gemeinderat zuteil<br />

geworden seien, protestiert er ganz entschieden<br />

gegen eine derartige Behandlung<br />

und stellt in Aussicht, dass er, „sollte<br />

diese Sache nicht bis zum 7. März d.J. in<br />

der von [ihm] vorgeschlagenen Weise geregelt<br />

werden, so werde [er] sämtliche<br />

diesbezüglichen Fälle dem K. Oberamt zur<br />

Entscheidung vorlegen.“<br />

Off enbar eskalierte der Fall derart, dass<br />

sich Pfarrer Harr zu intervenieren bemüßigt<br />

fühlte. Sein Vorschlag war, „es<br />

möchte dem Herrn Lehrer pro 1894/95 der<br />

durch früheres Übereinkommen festgesetzte<br />

Preis von 7 M 80 Pf pro Centner<br />

Frucht berechnet u. fortan der Landesdurchschnittspreis<br />

zu Grunde gelegt werden.<br />

Dieses Übereinkommen dürfte für<br />

beide Teile billig sein u. wären die H. Lehrer<br />

damit einverstanden.“ Damit war der<br />

Streitfall wohl vom Tisch.<br />

5 CB 11, 3. Juli 1806<br />

6 Schulgesetze, Bestimmungen<br />

7 Längenmaß (1 Rute = ca 2,85 m)<br />

8 CR 281<br />

9 Karl Eduard Rheinwald, Amtsinhaber der 31. Pfarrstelle in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> (1825–1830)<br />

10 Emolumente: der Mahlgewinn (des Müllers); demnach: der<br />

Vorteil, Nutzen<br />

351


352<br />

Lehrerwohnung im Schulhaus – Das Lehrerwohnhaus<br />

an der Brettacher Straße<br />

Laut Gesetz hatte die Gemeindepfl ege für<br />

die ständigen Lehrer Wohnungen bereitzuhalten.<br />

In <strong>Cleversulzbach</strong> war dies zunächst<br />

eine kleine Lehrerdienstwohnung<br />

im alten Schulhaus neben der Kirche. Die<br />

Verhältnisse müssen ursprünglich äußerst<br />

beengt gewesen sein, waren auf den beiden<br />

Stockwerken doch die Lehrerfamilie<br />

und die Schulzimmer untergebracht; außerdem<br />

sollte – wie bereits an anderer<br />

Stelle ausgeführt – auch noch der Lehrgehilfe<br />

in dem Haus eine Bleibe fi nden.<br />

In den Jahren 1860/61 entstand hinter<br />

diesem Wohnhaus ein Anbau, der in der<br />

Folgezeit die zwei Unterrichtsräume der<br />

Volksschule beherbergte 1 . Dies bedeutete,<br />

dass ein Schulzimmer frei wurde, das nun<br />

der Lehrerwohnung zugeschlagen werden<br />

konnte.<br />

Natürlich war das Lehrerhaus im Laufe der<br />

Jahrzehnte arg ramponiert worden, und es<br />

hatte wohl auch Reparaturen oder den einen<br />

oder anderen Umbau über sich ergehen<br />

lassen müssen. 2 So ist es gar nicht<br />

verwunderlich, dass im Jahre 1920 massive<br />

Restaurationsarbeiten an dem altehrwürdigen<br />

Bau vorgenommen wurden. Mit<br />

einem Kostenvoranschlag für die Hauptlehrerwohnung<br />

in Höhe von 10.000 Mark<br />

bereitet Architekt Bez aus Neckarsulm den<br />

Gemeinderat auf eine Kostenlawine vor 3 ,<br />

ein Betrag, der 14 Tage später durch einen<br />

zweiten Kostenvoranschlag über 3.700<br />

Mark für die zwei Schulsäle noch einmal<br />

wesentlich erhöht wird. 4<br />

Da die Bewerbung des dringend benötigten<br />

Amtsverwesers Schick als Lehrer an<br />

die Herrichtung der Wohnung geknüpft<br />

war, blieb der Gemeinde keine andere<br />

Wahl, als den Beschluss zu der Investition<br />

von fast 14.000 Mark zu fassen – dies jedoch<br />

lediglich unter der Bedingung, dass<br />

sich Schick verpfl ichtete, mindestens auf<br />

fünf Jahre als Lehrer in <strong>Cleversulzbach</strong> zu<br />

unterrichten, und dass der Architekt den<br />

genannten Betrag auf keinen Fall überschreiten<br />

dürfe.<br />

Aufrisszeichnung vom geplanten Lehrerwohnhaus<br />

an der Brettacher Straße, 1933<br />

In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts<br />

wurde ein Wohnhaus an der Straße<br />

nach Brettach gebaut. Über diesen Neubau<br />

bringt der Oberschulrat bei einer Prüfungssitzung<br />

am 6. November. 1934 5 seine<br />

Freude zum Ausdruck und lobt die Tatsache,<br />

dass „die Dienstwohnungsfrage in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> so vorbildlich gelöst sei”.<br />

Als Einzugstermin für einen Lehrbewerber<br />

sieht er den 1. April 1935 vor. Vielleicht<br />

hätte der Schulrat etwas weniger drängen


Grundrisse vom Erdgeschoss und 1. Stock<br />

im neuen Lehrerwohnhaus<br />

sollen, denn bereits drei Jahre nach Bezug<br />

des Hauses wendet sich Schulleiter Busch<br />

an das Bürgermeisteramt mit der dringenden<br />

Bitte, folgende Mängel abzustellen:<br />

1. Ersetzung der Holztreppe durch eine<br />

Steintreppe 6<br />

2. Trockenlegung einer feuchten Wand im<br />

Erdgeschoss<br />

3. Begutachtung von Baurissen und Verputz<br />

durch den Architekten erforderlich<br />

Ob die Bitte des Schulmannes off ene Oh-<br />

Das Lehrerwohnhaus in der Brettacher<br />

Straße, nord-östliche Ansicht, 1938<br />

ren fand, mag bezweifelt werden, denn<br />

das verfügbare Geld ging spätestens im<br />

nächsten Jahr ganz andere Wege. Von<br />

dem vollmundigen Versprechen, der „neue<br />

Staat” werde „Wissen und Erziehung” mit<br />

großer Priorität behandeln – und zwar<br />

„ohne Rücksicht auf etwaige Geldfragen<br />

(6. November 1934), wird angesichts des<br />

nun folgenden Krieges wenig übrig geblieben<br />

sein. So verwundert es auch nicht,<br />

dass in einem Bericht (Bezirksschulrat II<br />

vom 4. Mai 1944) an der Dienstwohnung<br />

erhebliche, auch gesundheitsrelevante<br />

Mängel gerügt wurden. Der Bericht stellte<br />

in Aussicht, dass die Mängel „nach Kriegsende”<br />

abgestellt werden und lobte, „dass<br />

die Zimmer durch Frau Busch in Ordnung<br />

gehalten werden.”<br />

Off enbar gab es auch noch ein Dienstzimmer<br />

für Lehrer im Rathaus, das – so der<br />

Schulrat – nun für andere Zwecke Verwendung<br />

fi nden könne. Im gleichen<br />

Atemzug forderte er als unumgängliche<br />

Notwendigkeit, „auch der Hitlerjugend einen<br />

geeigneten Raum zur Verfügung zu<br />

353


354<br />

stellen. Dazu wäre der untere Wohnraum<br />

besonders günstig und gut geeignet.”<br />

Gleich nach Kriegsende verlor der oben<br />

erwähnte Schulleiter Hermann Busch im<br />

Zuge der Entnazifi zierung seinen Status<br />

als Lehrer, er verlor gleichzeitig seine Pensionsansprüche<br />

und sein Anrecht auf Nutzung<br />

des Wohnhauses. Immerhin wurde<br />

ihm ein Aufschub bis zur Räumung des<br />

Hauses gewährt, obwohl die meisten Gemeindemitglieder<br />

den Wunsch hegten,<br />

„Busch möge wegziehen” 7 . Busch selbst<br />

duldete notgedrungen, dass Teile des Lehrerwohnhauses<br />

von Vertriebenen und<br />

Ausgebombten in Anspruch genommen<br />

wurden, obwohl solch eine Zwangsmaßnahme<br />

durch die Gemeinde vom Gesetz<br />

nicht abgedeckt war.<br />

Die Stelle eines ständigen Volksschullehrers<br />

blieb nach dem Krieg zunächst vakant,<br />

z. T. auch, weil der vom Schulamt zugewiesene<br />

Lehrer Arnold Bölkow seinen<br />

1 Vgl. die weiteren Ausführungen im Kapitel „Das alte<br />

Schulhaus an der Kirche”.<br />

2 Bereits Ende 1912 war der Neubau einer Lehrerwohnung<br />

Gegenstand einer Gemeinderatssitzung gewesen, nachdem<br />

die 1907 durch Konsistorialerlass gewährte Baufrist<br />

ergebnislos abgelaufen war. Nur durch Entgegenkommen<br />

des neu verpfl ichteten Hauptlehrers Dagenbach 1909 war<br />

es der Gemeinde überhaupt möglich gewesen, eine weitere<br />

Verlängerung der Baufrist bis 1920 zu erlangen. Immerhin<br />

deutet die Bildung eines Baufonds (seit 1908<br />

jährliche Einlage 500 Mark) darauf hin, dass die Ge-<br />

Dienst nicht antreten wollte, da die Gemeinde<br />

keine Wohnmöglichkeit zur Verfügung<br />

stellte (22./29. Oktober 1946). Die<br />

Lage besserte sich, als Irene Schmidt in<br />

das Lehrerhaus einzog (24. Februar 1950),<br />

der (1. Januar 1951) Helmut Braun als<br />

Amtsverweser folgte. Aus Lehrerin<br />

Schmidt wurde bald Frau Braun, das Haus<br />

an der Brettacher Straße hatte nun bis<br />

Anfang der 1960er Jahre hinein beständige<br />

Mieter 8 . Als diese in den eigenen<br />

Neubau am östlichen Ortsrand umzogen,<br />

meldete Hauptlehrer Ewald Eisele Interesse<br />

an der Wohnung an.<br />

Das Haus wurde einer Renovierung unterzogen,<br />

so wurde z. B. im Herbst 1968 eine<br />

Kläranlage und Öllagerung installiert.<br />

Zehn Jahre später erfolgte der Beschluss,<br />

„das Lehrerwohnhaus an der Brettacher<br />

Straße zu verkaufen, da ein Vermieten<br />

dieser Wohnung nicht mehr wirtschaftlich<br />

ist.” 9<br />

Das ehemalige Lehrerwohnhaus<br />

heute<br />

meinde zumindest ansatzweise die Umsetzung des Projektes<br />

„Neubau einer Lehrerwohnung“ ins Auge fasste. Es<br />

sollte noch bis 1934 dauern, bis das Vorhaben realisiert<br />

wurde.<br />

3 CR 424 Beilage 108 4. März 1920<br />

4 CR 424 Beilage 107 17. März 1920<br />

5 CA 597<br />

6 Vgl. hierzu auch CB 36 S. 469 8. Oktober 1938<br />

7 CA 600 30. Juli 1947<br />

8 CA 337 26. Oktober 1962<br />

9 CB 33 Bl. 92 13. April 1978


Einzugsbereich der Volksschule in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

15. März 1965<br />

Der Gemeinderat beschließt, die Klassen<br />

6–8 in Neuenstadt unterrichten zu lassen,<br />

die jeweiligen Klassen 5 aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />

und Neuenstadt jedoch gemeinsam<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong>. 1<br />

22. Juni 1965<br />

Seit Beginn des Schuljahres 1965/66 werden<br />

die Schüler der fünften Volksschulklasse<br />

aus Neuenstadt im Klassenraum<br />

(Obergeschoss) unterrichtet 2 . Mit Einführung<br />

eines neuen Schulentwicklungsplanes<br />

soll zu diesem Verbund auch noch<br />

Goch sen hinzukommen. Hier sollen die<br />

neuen Klassen 8 und 9 unterrichtet werden<br />

3 . Diese Regelung wird 1967 geändert:<br />

Die Klassen 5 und 6 werden in Gochsen,<br />

die Klassen 7, 8 und 9 in Neuenstadt unterrichtet.<br />

21. März 1969<br />

Im Landkreis kommt es zu einer Neuordnung<br />

der „Beschulung” der Kinder, von<br />

denen auch die <strong>Cleversulzbach</strong>er Schüler<br />

betroff en sind:<br />

Die Gemeinden Neuenstadt, Gochsen,<br />

Lampoldshausen, Brettach und Kochersteinsfeld<br />

machen, je nach den örtlichen<br />

Gegebenheiten, Bildungsangebote, wobei<br />

ggf. ganze Klassenstufen ausgelagert werden,<br />

oder aufeinander folgende Klassenstufen<br />

wie zu Urväters Zeiten zusammen<br />

unterrichtet werden. Besonders gravierend<br />

fällt dies in <strong>Cleversulzbach</strong> aus, wo die<br />

Grundschule aus einer einzigen Klasse besteht,<br />

in der die Schuljahre 1–4 unterrichtet<br />

werden.<br />

1 CA 597 und CB 33<br />

2 CA 600 und CB 33<br />

3 CB 33 Bl.137 1. Oktober 1966<br />

4 CA 597<br />

31. Oktober 1969<br />

Die einzelnen Klassenstufen setzen sich<br />

wie folgt zusammen4 :<br />

Klasse 1 10 Schüler<br />

Klasse 2 14 Schüler<br />

Klasse 3 11 Schüler<br />

Klasse 4 7 Schüler<br />

42 Schüler<br />

Auslagerung der Klassen 5–9 nach Neuenstadt<br />

15. Oktober 1970<br />

Klasse 1 10 Schüler<br />

Klasse 2 11 Schüler<br />

Klasse 3 13 Schüler<br />

Klasse 4 12 Schüler<br />

46 Schüler<br />

Laut Beschluss des Gemeinderates vom 6.<br />

November 1970 sollen die Eltern der Klassen<br />

1–4 durch Abstimmung entscheiden,<br />

ob ihre Kinder ab Klasse 3 den Unterricht<br />

der Nachbarschaftshauptschule Neuenstadt<br />

besuchen.<br />

24. August 1971<br />

In Übereinstimmung mit den Eltern beschließt<br />

der Gemeinderat, dass künftig die<br />

Schüler der Klasse 4 in Jahrgangsklassen<br />

die Grundschule Neuenstadt besuchen<br />

sollen. D.h. Auslagerung der Klasse 4–9<br />

nach Neuenstadt<br />

16. Oktober 1972<br />

Klasse 1 8 Schüler<br />

Klasse 2 13 Schüler<br />

Klasse 3 10 Schüler<br />

31 Schüler<br />

1974 kam das Aus für die Schule in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

355


356<br />

Entwicklung zum modernen<br />

Gemeinwesen<br />

Die Entwicklung von <strong>Cleversulzbach</strong> seit der<br />

Eingemeindung im Jahr 1972 bis heute<br />

Bürg, <strong>Cleversulzbach</strong>, Kochertürn, Stein<br />

und Neuenstadt am Kocher – fünf Stadtteile<br />

mit ganz individuellem Charakter<br />

machen heute Neuenstadt am Kocher aus.<br />

Eingemeindung<br />

Und <strong>Cleversulzbach</strong> war es auch, das sich<br />

zuerst im Rahmen der Gemeindereform<br />

am 1. Januar 1972 Neuenstadt anschloss.<br />

Es folgten Kochertürn (1. September 1972),<br />

Stein am Kocher (31. Dezember 1972) und<br />

Bürg (1. Januar 1973). Ob es immer eine<br />

Liebesheirat war, sei dahin gestellt. Sicher<br />

ist aber, dass es keine Zwangsehen waren.<br />

Ende der 1960er Jahre wurde unter dem<br />

damaligen Ministerpräsidenten Hans Filbinger<br />

die große Kommunalreform vorangebracht.<br />

Sie gab dem Land, und auch<br />

dem Landkreis Heilbronn, ein neues Ge-<br />

Bürgermeister Richard Nef bei der Ansprache zur Eingemeindung von<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> nach Neuenstadt am Kocher<br />

sicht. In Baden-Württemberg verringerte<br />

sich die Zahl der Kommunen von 3.379 bis<br />

zum Jahr 1975 auf 1.111.<br />

In <strong>Cleversulzbach</strong> begleitete man die vom<br />

Landratsamt Heilbronn vorgelegte Zielplanung<br />

zur „Gemeindereform“ kritisch. Im<br />

November 1970 lautete eine Stellungnahme<br />

des <strong>Cleversulzbach</strong>er Gemeinderates,<br />

dass die Gemeinde schon immer zur<br />

sinnvollen überörtlichen Zusammenarbeit<br />

bereit war, dass sie aber ihre Dinge auch<br />

weiterhin in eigener Zuständigkeit erledigen<br />

will.<br />

Nach weiteren Gesprächen und Verhandlungen<br />

im Jahr 1971 wurde eine Eingliederungsvereinbarung<br />

ausgearbeitet und auf<br />

einer gemeinsamen Sitzung der Gemeinderäte<br />

von <strong>Cleversulzbach</strong> und Neuenstadt<br />

am Kocher im Sitzungssaal des Rathauses


Symbolischer Wechsel der Ortsschilder<br />

von <strong>Cleversulzbach</strong> beraten. Dabei konnte<br />

unter der Leitung der damaligen Bürgermeister<br />

Richard Nef und Rolf Bernauer<br />

über die noch ungeklärten Bestimmungen<br />

Einigkeit erzielt werden. So wurde die Zahl<br />

der Ortschaftsräte auf acht festgesetzt<br />

und <strong>Cleversulzbach</strong> wurden im Gemeinderat<br />

der Stadt Neuenstadt drei Sitze garan-<br />

tiert. Bei der Bürgeranhörung am 12. Dezember<br />

1971 sprach sich dann eine große<br />

Mehrheit mit 81 Prozent für eine Eingliederung<br />

nach Neuenstadt aus.<br />

Bereits zwei Tage später, am 14. Dezember<br />

1971, beschloss der Gemeinderat einstimmig,<br />

der Eingliederung zuzustimmen. Umringt<br />

von den Gemeinderäten übergab am<br />

1. Januar 1972 Bürgermeister Richard Nef<br />

seine Gemeinde zu treuen Händen an Bürgermeister<br />

Rolf Bernauer. Danach wurde<br />

mit einem Tausch der Ortsschilder die Eingliederung<br />

symbolisch besiegelt.<br />

Siedlung, Gemarkung und Entwicklung<br />

Die Gemarkung von <strong>Cleversulzbach</strong> umfasst<br />

528 Hektar. Die Einwohnerzahl ist im<br />

Vergleich zu 1946 von 543 auf 820 im<br />

Jahr 2012 gestiegen.<br />

Auch <strong>Cleversulzbach</strong> stellte sich der großen<br />

Herausforderung, unmittelbar nach<br />

Kriegsende evakuierte Flüchtlinge und Heimatvertriebene<br />

aufzunehmen. Es herrsch te<br />

eine große Wohnungsnot.<br />

Die Gemeinde nutzte die Chance, die Zusammensetzung<br />

der Ortsbevölkerung innerhalb<br />

weniger Jahre nachhaltig und positiv<br />

zu verändern. Dank der aktiven Vereine<br />

gelang eine schnelle Integration.<br />

Postkartenansicht<br />

von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

in den<br />

1960er Jahren<br />

357


358<br />

Die Zunahme der Bevölkerung beruht<br />

auch auf einer umsichtigen Baulanderschließung.<br />

Zwischen 1960 und 1996 wurden<br />

acht Baugebiete mit insgesamt 160<br />

Bauplätzen erschlossen. Im Jahr 2012 sind<br />

in diesen Baugebieten mit 450 Personen<br />

mehr als die Hälfte der derzeitigen Einwohner<br />

gemeldet.<br />

Durch die Ausweisung von neuen Baugebieten<br />

am Ortsrand bestand aber die Gefahr,<br />

dass eine Überalterung in der Ortsmitte,<br />

sowohl in der Altersstruktur der Bewohner,<br />

als auch in der Bausubstanz der<br />

Gebäude, droht. <strong>Cleversulzbach</strong> war ursprünglich<br />

stark landwirtschaftlich geprägt<br />

und zeichnet sich durch dörfl iche Strukturen<br />

mit an der Straße stehenden Wohnhäusern<br />

und teilweise direkt angebauten<br />

Scheunen aus. Die früher ortsbestimmende<br />

Landwirtschaft hat, wie in zahlreichen vergleichbaren<br />

Orten, weitestgehend an Bedeutung<br />

verloren. Die oftmals kleinteilige<br />

und verschachtelte Grundstücksgliederung<br />

trägt dazu bei, dass dieser innerörtliche<br />

Konfl ikt verstärkt wird.<br />

In <strong>Cleversulzbach</strong> hat man sich bereits<br />

früh mit den Chancen aus dem „Entwicklungsprogramm<br />

Ländlicher Raum“ beschäftigt.<br />

Mitte der 1990er Jahre hat die<br />

Stadt Neuenstadt eine Strukturuntersuchung<br />

in Auftrag gegeben. Diese kam zum<br />

Ergebnis, dass der Ortskern von Clever-<br />

sulzbach sich in den letzten Jahren kaum<br />

verändert hat. Durch die natürliche Bevölkerungsentwicklung<br />

hat sich das Verhältnis<br />

der im Ortskern wohnenden Personen<br />

gegenüber den in den Neubaugebieten<br />

wohnenden Personen prozentual<br />

drastisch verschlechtert. Dies ist darauf<br />

zurückzuführen, dass der Ortskern für<br />

Bebauungsplan Jahr Anzahl der Bauplätze Einwohnerzahl 2012<br />

Lange Äcker 1960 15 44<br />

Kleienbaum 1964 10 20<br />

Nebenweg 1965 21 56<br />

Lange Äcker II 1971 22 62<br />

Nebenweg II 1975 9 22<br />

Nebenweg III 1980 18 57<br />

Heiligenhäusle 1986 33 96<br />

Lange Äcker/Greut 1996 32 93<br />

Seestraße 2006 9 24<br />

eine Wohnnutzung als unattraktiv bezeichnet<br />

werden muss. Diese Unattraktivität<br />

begründet sich in der Hauptsache<br />

auf die Struktur des Ortskerns mit seiner<br />

sehr dichten Bebauung und der teilweise<br />

vorhandenen Nutzungskonfl ikte (Wohnen<br />

und landwirtschaftliche sowie gewerbliche<br />

Nutzung).<br />

Es wurde das Ziel vereinbart, den Ortskern<br />

zu stärken und eine erhebliche strukturelle<br />

Verbesserung der Ortsmitte zu bewirken.<br />

Dazu sollten insbesondere alte, seit<br />

Jahren nicht mehr bewohnte landwirtschaftliche<br />

Gebäude weichen, um auch<br />

Flächen für Ersatzneubauten zu schaff en.<br />

Als innerörtliches kleines Baugebiet ist<br />

dies 2006 mit der „Seestraße“ gelungen.<br />

Eine ebenfalls städtebaulich sinnvolle Abrundung<br />

wäre die Neuordnung der Kleingärten<br />

zu Wohnbaugrundstücken zwischen<br />

der Fladenstraße und der Neuenstädter<br />

Straße.<br />

Ein früh formulierter Wunsch war die<br />

Schaff ung eines Dorfplatzes. Dieser


Ortskern mit Neubaugebiet, 2012<br />

könnte dem alten Ortskern seine Funktion<br />

als Lebensmittelpunkt wiedergeben. Mit<br />

Hilfe des „Entwicklungsprogramms Ländlicher<br />

Raum“ und dank der großzügigen<br />

Förderung mit Landesmitteln konnten in<br />

den vergangenen 15 Jahren zahlreiche öffentliche<br />

und private Maßnahmen verwirklicht<br />

werden. Einige Beispiele seien<br />

besonders erwähnt.<br />

1988 wurde aus dem Förderprogramm<br />

„Ländlicher Raum“ der Umbau der im Jahr<br />

1956 eingeweihten Kelter-Halle bezuschusst.<br />

Die Kelter-Halle dient als Treff punkt für<br />

kulturelle, sportliche und zahlreiche andere<br />

dorfbezogene Veranstaltungen. Sie<br />

ist für das gesellschaftliche und aktive<br />

Vereinsleben von <strong>Cleversulzbach</strong> eine<br />

große Bereicherung. Neben dem großen<br />

Versammlungsraum sind dort mehrere<br />

Vereinsräume und eine vollfunktionstüchtige<br />

Kelter untergebracht.<br />

2006 hatte der Gemeinderat einstimmig<br />

beschlossen, die Abteilung <strong>Cleversulzbach</strong><br />

als selbstständige Abteilung der Freiwilligen<br />

Feuerwehr Neuenstadt am Kocher zu<br />

erhalten. Auf Grundlage dieses Beschlusses<br />

wurden 2008 neue Schulungs- und<br />

Umkleideräume für die Abteilung <strong>Cleversulzbach</strong><br />

in der Kelter-Halle geschaff en.<br />

2011 feierte die Freiwillige Feuerwehr in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> ihr 125-jähriges Jubiläum.<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> ist in literarischen Fachkreisen<br />

schon seit langer Zeit ein fester<br />

Begriff . 1996 wurde das aus dem 18. Jahrhundert<br />

stammende alte Schulhaus zum<br />

Mörike-Museum umgestaltet. Im Juli 2004<br />

erfolgte dann die Erweiterung. 2004 war<br />

auch das Jahr, in dem der Pfarrer und<br />

Dichter Eduard Mörike seinen 200. Geburtstag<br />

gefeiert hätte. Dank des engagierten<br />

Freundeskreises Mörike-Museum<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> e. V. sind das Museum und<br />

die vielen literarischen Veranstaltungen<br />

nicht mehr aus dem kulturellen Leben<br />

wegzudenken. Im gleichen Jahr wurden<br />

auch die Brettacher Straße und die angrenzenden<br />

Gehwege grundlegend saniert.<br />

Gerade mit wohnumfeldverbessernden<br />

Maßnahmen soll die Bereitschaft der<br />

Bevölkerung, eigene Gebäude im alten<br />

Ortskern zu sanieren, erhöht werden.<br />

359


360<br />

In diesem Zusammenhang ist auch die Sanierung<br />

des alten Backhauses an der<br />

Brettacher Straße zu sehen. Rechtzeitig<br />

zur 750-Jahrfeier im September 2012 wird<br />

das 1839 erbaute Backhaus mit der Woh-<br />

Blick von der Brettacher Straße zur<br />

Kirche und zum Mörike-Museum<br />

nung im Obergeschoss grundlegend<br />

saniert. In der künftigen<br />

Planung des zentralen<br />

Dorfplatzes wird das Backhaus<br />

eine wichtige Funktion<br />

übernehmen. Der dazu notwendige<br />

Grunderwerb ist<br />

2012 erfolgt. Somit könnte<br />

bei Gewährung des beantragten<br />

Zuschusses bereits 2013 der neue<br />

Dorfplatz verwirklicht werden. Am 1. Mai<br />

wurde im Bereich des neuen Dorfplatzes<br />

erstmals ein Zunftbaum, als Auftakt zur<br />

750-Jahr-Feier, aufgestellt.


Infrastruktur<br />

Für junge Familien gibt es in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

bedarfsgerechte Betreuungsangebote<br />

für Kinder von ein bis sechs Jahren.<br />

Die Kindertagesstätte „Wiesenweg“ wurde<br />

durch einen Anbau vergrößert. 2011<br />

wurde nach weiteren Umbaumaßnahmen<br />

eine Kinderkrippengruppe mit zehn Plätzen<br />

eröff net.<br />

Für die Zukunftsfähigkeit eines Dorfes ist<br />

es heute wichtiger denn je, dass eine gut<br />

ausgebaute Breitbandversorgung vorhanden<br />

ist. Schnelles Internet gehört zwischenzeitlich<br />

zur Daseinsvorsorge wie ein<br />

leistungsfähiger öff entlicher Personennahverkehr<br />

und eine gesicherte Wasserversorgung.<br />

Seit Dezember 2011 ist <strong>Cleversulzbach</strong><br />

an ein hochleistungsfähiges<br />

Glasfasernetz angeschlossen und somit in<br />

diesem Bereich auf die Herausforderung<br />

der Zukunft bestens vorbereitet.<br />

Zur Infrastruktur und Daseinsvorsorge gehört<br />

auch eine Abwasserbeseitigung, die<br />

den gestiegenen Anforderungen des Umweltschutzes<br />

gerecht wird. <strong>Cleversulzbach</strong><br />

ist der einzige Stadtteil, der nicht an die<br />

Kläranlage des Abwasserzweckverbandes<br />

„Unteres Kochertal“ in Stein am Kocher<br />

angeschlossen ist, sondern an die vor wenigen<br />

Jahren generalsanierte Verbandskläranlage<br />

im Brettachtal.<br />

In <strong>Cleversulzbach</strong> gibt es eine Bankfi liale<br />

der Volksbank Möckmühl-Neuenstadt und<br />

eine Verkaufsstelle der Bäckerei Discher.<br />

Örtliche Firmen und Handwerksbetriebe<br />

bieten wohnortnahe Arbeitsplätze.<br />

Das Restaurant „Brunnenstüble“ der Familie<br />

Seebold bereichert seit über 20 Jahren<br />

das gastronomische Angebot des Ortes.<br />

Seit 2009 ist das neue evangelische Gemeindehaus<br />

eine beliebte Begegnungsstätte<br />

für Jung und Alt in der Ortsmitte.<br />

Kommunalwahl<br />

Für Bürg, <strong>Cleversulzbach</strong>, Kochertürn und<br />

Stein am Kocher gilt seit der Eingemein-<br />

dung nicht nur die Unechte Teilortswahl,<br />

sondern auch die Ortschaftsverfassung.<br />

Damit fi nden alle fünf Jahre auch Wahlen<br />

zum Ortschaftsrat statt.<br />

Bei der letzten Kommunalwahl am 7. Juni<br />

2009 gab es 622 Wahlberechtigte. 361<br />

gingen zur Wahl, was einer Wahlbeteiligung<br />

von 58,04 Prozent entspricht.<br />

Dem aktuellen Ortschaftsrat gehören an:<br />

Helmar Birk<br />

Andreas Bürger<br />

Susanne Endreß<br />

Gabi Gottselig<br />

Matthias Hofmann<br />

Martin Simpfendörfer<br />

Rose Spahmann<br />

Günther Stahl<br />

Ortsvorsteher ist seit 2009 Günther Stahl.<br />

Seine Vorgänger waren Werner Uhlmann<br />

(1986–2009), Dieter Plenefi sch (1978–<br />

1986) und Richard Nef (1972–1978).<br />

Den Ehrenring der Stadt Neuenstadt für<br />

besondere Verdienste im kommunalen Eh-<br />

Zunftbaum, aufgestellt am 1. Mai 2012<br />

361


362<br />

renamt tragen in <strong>Cleversulzbach</strong> Gotthilf<br />

Arlt, Erwin Lumpp, Klaus Schlegel und<br />

Werner Uhlmann.<br />

Kulturelles Leben<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> hat sich seit der Eingemeindung<br />

seinen individuellen Charakter<br />

bewahrt. Mit seinem Gedicht „Der alte<br />

Turmhahn“ hat Eduard Mörike den Ort<br />

weithin bekannt gemacht. Vieles erinnert<br />

bis heute an diese Zeit:<br />

Das Grab der Dichtermütter von Schiller<br />

und Mörike auf dem Friedhof, das mächtige<br />

Pfarrhaus, der Pfarrgarten, die Kirche<br />

und vor allem das liebevoll gestaltete<br />

Mörike-Museum und der Mörike-Pfad.<br />

Der „Kirchweg“ von <strong>Cleversulzbach</strong> zum<br />

Helmbundkirchle, den auch Mörike oft<br />

gegangen ist, weist auf die von jeher enge<br />

Verbindung zu Neuenstadt hin.<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> ist auch der einzige Stadtteil,<br />

in dem Weinbau eine Tradition hat.<br />

Seit Mitte der 1970er Jahre ist <strong>Cleversulzbach</strong><br />

auch den Liebhabern von Antiquitäten<br />

ein Begriff . John und Edda Birchall<br />

und Shirley Lawes haben mit ihren Antiquitätengeschäften<br />

seit 1977 das Ortsbild<br />

einfühlsam mitgeprägt.<br />

Das aktive Vereinsleben wird durch den<br />

Akkordeon-Spielring, den Mörike-Chor,<br />

den Freundeskreis Mörike-Museum, den<br />

Rad- und Motorsportclub und den Landfrauenverein<br />

geprägt.<br />

Die jährlichen Vereinsfeste sind ein fester<br />

Bestandteil im kulturellen Angebot von<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>. Es ist daher eine Selbstverständlichkeit,<br />

dass das Festwochenende<br />

im September 2012 zum 750-jährigen Jubiläum<br />

von den Vereinen, der evangelischen<br />

Kirchengemeinde und dem Ortschaftsrat<br />

mitgestaltet wird.<br />

Antiquitätengeschäft in der Eberstädter Straße


Gruppen und Vereine, Kultur<br />

und Sport<br />

Akkordeon-Spielring 1966 <strong>Cleversulzbach</strong> e.V.<br />

HCC Harmonika-Club <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Bereits im Jahre 1949 radelten junge<br />

Männer und Frauen aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />

nach Neckarsulm, um dort das diatonische<br />

Handharmonikaspiel zu erlernen. Ab 1950<br />

erfolgte der Unterricht durch Herrn Römmele<br />

im Gasthaus „Zum Löwen“ in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Diese Spielschar nannte sich damals<br />

HCC (Harmonika-Club <strong>Cleversulzbach</strong>),<br />

traf sich regelmäßig und bildete<br />

auch junge Spieler aus.<br />

1966 folgte die Vereinsgründung des Akkordeon-Spielring<br />

1966 <strong>Cleversulzbach</strong><br />

e. V. unter der Leitung von Werner Beitinger.<br />

Herr Beitinger dirigierte den Verein<br />

drei Jahre lang. Im Frühjahr 1969 übernahm<br />

Ewald Eisele die musikalische Leitung<br />

des Vereins. Mit ihm gab es in den<br />

Jahren darauf regelmäßige Winterfeiern<br />

unter Mitwirkung des DRK Oberstenfeld<br />

und gemeinsame Veranstaltungen mit<br />

dem Mörike-Chor und dem Rad- und Motorsportclub<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Ende der 1970er Jahre schloss sich der<br />

Neuenstadter Akkordeon-Club unserem<br />

Spielring an und so kam auch die heutige<br />

1. Vorsitzende des Vereins, Annegret Plenefi<br />

sch (geb. Herrmann), nach <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Zum 25-jährigen Jubiläum fand im Oktober<br />

1991 eine Gemeinschaftsveranstaltung<br />

mit dem befreundeten Akkordeon-<br />

Orchester Neustadt/Holstein und dem<br />

Volkstanzkreis Neustadt/Holstein in der<br />

Kelter-Halle statt.<br />

Nach über 30 Jahren Vereinsarbeit gab<br />

Ewald Eisele im Frühjahr 2000 die musikalische<br />

Leitung an den langjährigen Spieler<br />

Willi Speck ab.<br />

Das Repertoire der Spieler reicht von<br />

volkstümlicher Musik über Musical und<br />

Operette, Rock und Pop bis zu klassischen<br />

Darbietungen.<br />

Heute dürfen wir uns über die bisherigen<br />

Erfolge und den Rückhalt unseres Spielrings<br />

in der Bevölkerung freuen. Wir bedanken<br />

uns herzlich für die bis heute erhaltene<br />

ideelle und materielle Unterstützung.<br />

Der Akkordeon-Spielring bei der Winterfeier<br />

im Februar 2012 in der Kelter-Halle<br />

363


364<br />

Mörike-Chor <strong>Cleversulzbach</strong> e.V.<br />

Im Jahr 1902 gründeten August Bordt,<br />

Wilhelm Bordt, Gottlob Korb, Ludwig Kutruff<br />

, Gottlob Stahl und namentlich nicht<br />

bekannte Sängerinnen und Sänger den<br />

„Gemischten Chor <strong>Cleversulzbach</strong>”. Neben<br />

diesem Verein gab es einen bereits bestehenden<br />

Chor, den „Liederkranz <strong>Cleversulzbach</strong>”.<br />

Es wurde neben den weltlichen Liedern<br />

auch in der Kirche und bei Beerdigungen<br />

gesungen. Der „Gemischte Chor <strong>Cleversulzbach</strong>”<br />

überstand die beiden Weltkriege,<br />

ohne auseinanderzubrechen. Als<br />

Dirigent fungierten in der Regel die Dorflehrerinnen<br />

bzw. -lehrer.<br />

Präsentation der Vereinsfahne anlässlich<br />

des 75-jährigen Bestehens 1977<br />

In den Jahren 1964 bis 1967 war Herr<br />

Schlumberger Dirigent. Nach dessen Abgang<br />

übernahm Wolfgang Herpe den<br />

Chor. Ihm folgte Waldemar Sparn von<br />

1977 bis 1981. Martin Ihle leitete den<br />

Chor in der Zeit von 1981 bis 1999. Danach<br />

folgte Harald Feix in den Jahren<br />

1999 bis 2009. Seit 2010 leitet Johanna<br />

Törner den Chor.<br />

Der Verein besteht heute aus 18 aktiven<br />

Sängerinnen und Sängern.<br />

Sopran: Helmgard Wölk, Doris Heuschele,<br />

Ruth Ellwanger, Sonnja Kotsch, Iris Mall,<br />

Edith Leichtle, Hannelore Scherer.<br />

Alt: Ruth Balbach, Gerlinde Lorenz, Meta<br />

Schlegel, Waltraud Seebold, Hannelore<br />

Stephan.<br />

Tenor: Klaus Schlegel, Achim Kotsch.<br />

Bass: Hans Mall, Hans Konrad Ellwanger,<br />

Roland Seebold, Günter Suchanek.<br />

1969 hatte der Verein eine so gute Gesangsleistung<br />

vorzuweisen, dass der Süddeutsche<br />

Rundfunk Lieder aufzeichnete.<br />

Des Öfteren sind Lieder des Chores im<br />

Wunschkonzert gesendet worden.<br />

Bis 1953 war Heinrich Kollmar Vorsitzender<br />

des „Gemischten Chores <strong>Cleversulzbach</strong>”.<br />

Er wurde abgelöst von Fritz Weber,<br />

der den Vorsitz bis 1965 innehatte. Mit<br />

dem Vorstandswechsel im Jahr 1965 an<br />

Klaus Schlegel erhielt der Verein den Namen<br />

„Mörike-Chor <strong>Cleversulzbach</strong>”. 1999<br />

wurde eine Vorstandsgruppe mit Anja<br />

Mall, Doris Heuschele und Günther Suchanek<br />

gebildet. Letzterer übernahm die Aufgabe<br />

des Sprechers und die Leitung des<br />

Vereins. Im Jahr 2000 ersetzte Achim<br />

Kotsch Anja Mahl im Vorstand, die wiederum<br />

nun als Kassiererin des Vereins fungierte.<br />

2002 wurde als Nachfolger von<br />

Achim Kotsch Waltraud Seebold ins Gremium<br />

gewählt. Achim Kotsch kehrte 2007<br />

wieder in den Vorstand zurück aufgrund<br />

des Weggangs von Günther Suchanek.<br />

Doris Heuschele übernahm nun die Aufgabe<br />

des Sprechers und die Leitung des<br />

Vereines.<br />

Im Jahresablauf von <strong>Cleversulzbach</strong> sind<br />

die Veranstaltungen und Darbietungen<br />

nicht mehr wegzudenken. Besonders zu<br />

erwähnen ist die traditionelle Winterfeier<br />

mit Gesang und die Laienspielgruppe mit<br />

Theaterauff ührungen. Das gemeinsame<br />

Singen der „Neuenstädter Chöre” wäre


Der Mörike-Chor bei der Winterfeier am 15. Januar 2011<br />

hinten (v.l.): Doris Heuschele, Helmgard Wölk, Hilde Spahmann (verdeckt), Gisela Füllemann,<br />

Klaus Schlegel, Achim Kotsch, Roland Seebold, Gerlinde Lorenz (verdeckt), Konrad Ellwanger,<br />

Erwin Spahmann, Elfriede Baier (verdeckt), Hans Mall<br />

vorn (v.l.): Dirigentin Johanna Törner, Iris Mall, Edith Leichtle, Sonnja Kotsch, Hannelore<br />

Scherer, Hannelore Stephan, Waltraut Seebold, Meta Schlegel, Ruth Balbach<br />

noch zu erwähnen und der alljährliche<br />

Wandertag im Mai, sowie die ein- und<br />

mehrtägigen Ausfl üge.<br />

Seit 1975 hat der Verein eine Abteilung<br />

Frauenturnen. Jeden Donnerstagabend fi nden<br />

Turnübungen statt. Gymnastik, Spiele<br />

und leichtes Geräteturnen dienen der körperlichen<br />

Ertüchtigung.<br />

Im Jahre 2002 konnte der Verein sein<br />

100-jähriges Bestehen feiern. Zu diesem<br />

Anlass wurde ein Umzug durch <strong>Cleversulzbach</strong><br />

veranstaltet, an dem auch andere<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Vereine und der Kindergarten<br />

teilnahmen.<br />

Theaterau ührung<br />

1999<br />

365


366<br />

Freundeskreis Mörike-Museum <strong>Cleversulzbach</strong> e.V.<br />

Die Gründung dieses noch jungen <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Vereins hängt unmittelbar mit<br />

der früheren Mörike-Stube und dem heutigen<br />

Mörike-Museum zusammen. Wie<br />

schon an anderer Stelle unter diesen<br />

Stichworten zu lesen, war der Auslöser für<br />

das 1996 errichtete Mörike-Museum der<br />

Erwerb der Sammlungen aus der Mörike-<br />

Stube und die Idee, diese in angemessener<br />

Form wieder auszustellen.<br />

Doch aus Kapazitäts- und Kostengründen<br />

konnte die Stadt Neuenstadt am Kocher<br />

als Träger dieses neuen Museums für die<br />

Betreuung keine Vollzeitkraft einplanen,<br />

wie z. B. im Neuenstädter Museum Schafstall.<br />

Es musste ehrenamtlich organisiert<br />

werden. Werner Uhlmann, damals Ortsvorsteher<br />

und engagierter Mörike-Freund,<br />

hatte den Gedanken, es ähnlich wie auch<br />

in anderen Orten durch die Mitglieder der<br />

örtlichen Vereine durchzuführen. Doch<br />

diese Idee kam aus verschiedenen Gründen<br />

nicht zum Tragen, und so reifte in<br />

Werner Uhlmann der Gedanke, einen<br />

Freundeskreis hierfür ins Leben zu rufen.<br />

Aus der Zeit der Museumsvorbereitung<br />

gab es bereits die Verbindung zu Helmut<br />

Braun, dem ehemaligen Rektor der Helmbundschule<br />

Neuenstadt und passionierten<br />

Mörike-Kenner. Andere Mörike-Freunde<br />

wurden dazu gewonnen. Dieser Freundeskreis<br />

Mörike-Museum (zunächst noch kein<br />

eingetragener Verein) sorgte jetzt dafür,<br />

dass das Museum jeden Sonn- und Feiertag<br />

von 11.00 bis 16.30 Uhr geöff net sein<br />

konnte. Genauso wichtig war, dass Führungen<br />

für größere Gruppen durchgeführt<br />

werden konnten (von Meta Merkle, Helmut<br />

Braun und Werner Uhlmann). Der<br />

Freundeskreis wuchs schließlich auf 15<br />

Mitglieder an.<br />

Vor allem auch aus steuerlichen Gründen<br />

war eine Vereinsgründung bald angeraten.<br />

Am 4. Juni 2000, dem 125. Todestag Eduard<br />

Mörikes, fand die Gründungsversammlung<br />

statt. In den Vorstand wurden<br />

gewählt:<br />

Vorsitzender: Werner Uhlmann<br />

Stellv. Barbara Simpfendörfer<br />

Vorsitzende:<br />

Schriftführer: Helmut Braun,<br />

Helga Stephan<br />

Kassierer: Roland Seebold<br />

Beisitzer: Waltraut Bund<br />

Willi Korb<br />

Hilde Maysenhölder<br />

Elisabeth Merkle<br />

Meta Merkle<br />

Inge Stephan<br />

Christel Uhlmann<br />

Beatrice Weber<br />

Ulrich Weber<br />

Harald Zipf<br />

Eine Satzung wurde erstellt und beim<br />

Amtsgericht Heilbronn die Registrierung<br />

beantragt. Der Verein wurde unter dem<br />

Namen „Freundeskreis Mörike-Museum<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> e.V.“ am 26. Februar 2001<br />

in das Vereinsregister des Amtsgerichts<br />

Heilbronn eingetragen. Die aus der Ausstellung<br />

„Eduard Mörike und sein <strong>Cleversulzbach</strong>“<br />

1989 und anderen Veranstaltungen<br />

gesammelten Einnahmen auf dem<br />

Konto „Heimatpfl ege“ konnten dem neu<br />

gegründeten Verein gutgeschrieben werden.<br />

2003 wurde die Stabsstelle „Referent für<br />

Öff entlichkeitsarbeit“ eingeführt und Rudolf<br />

Schwan übertragen. Im Jahre 2005<br />

gab es einen Wechsel im Vorstand. Die<br />

Schriftführerin Helga Stephan hatte nicht<br />

mehr kandidiert; als neuer Schriftführer<br />

wurde Michael Speck gewählt. Zum<br />

10-jährigen Bestehen des Mörike-Museums<br />

(2006) wurde im Treppenhaus eine


Der Vorstand seit 2005<br />

v.l.: Michael Speck (Schriftführer), Bärbel Simpfendörfer (2. Vorsitzende),<br />

Werner Uhlmann (1. Vorsitzender), Roland Seebold (Kassier)<br />

Fotoserie mit der Geschichte des Museums<br />

eröff net, in Anwesenheit aller damals<br />

aktiv beteiligten Personen.<br />

Das weit über <strong>Cleversulzbach</strong> hinaus bekannte<br />

Mörike-Museum wird jährlich von<br />

durchschnittlich 2.000 Gästen besucht. Im<br />

Mörike-Jahr 2004 (200. Geburtstag) kamen<br />

sogar 6.500 Besucher.<br />

Der Verein „Freundeskreis Mörike-Museum<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> e. V.“ ist stolz darauf, dass<br />

er mit seinen Mitgliedern dieses Kleinod<br />

der deutschen Literaturgeschichte bewahren<br />

kann.<br />

367


368<br />

Rad- und Motorsportclub <strong>Cleversulzbach</strong> 1921 e.V.<br />

Der RMC wurde im Jahre 1921 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

als Radfahrerverein von Herrn<br />

Wilhelm Ültzhöfer und Herrn Batzer gegründet<br />

und hat sich schon bald dem sozialdemokratisch<br />

orientierten Arbeiter-<br />

Radfahrerbund Solidarität als Dachverband<br />

angeschlossen.<br />

Schon 1922 gab es eine Bannerweihe und<br />

viele gesellige Anlässe, wie z. B. Waldfeste<br />

oder Radlertreff s mit befreundeten Vereinen.<br />

Anfang der 1930er Jahre kamen Motorräder<br />

dazu. Der Verein nannte sich nun<br />

Arbeiter-Rad- und Kraftfahrerverein Solidarität.<br />

Am 17. Mai 1933 wurde per nationalsozialistischer<br />

Verordnung der Verein<br />

als „Gefahr für Volk und Staat“ aufgrund<br />

der sozialdemokratischen Gesinnung verboten<br />

und alle Vereinsunterlagen, Ausrüstungen<br />

und das Vereinsbanner vernichtet.<br />

1946 – nach dem Zweiten Weltkrieg –<br />

versuchte man einen Neuanfang unter<br />

Frieder Bauer und Max Maisenhölder. Und<br />

1952 gab es das erste Radfahrertreff en in<br />

Frankfurt am Main. Und bereits 1954<br />

konnte mit vielen Partnervereinen ein Fest<br />

organisiert und ein neues Banner geweiht<br />

werden.<br />

Der Verein begann viele Aktivitäten neu:<br />

z. B. Reigenfahren, Auto-Meisterschaftsläufe<br />

und Motorradgeländefahrten, die<br />

bei geselligen Veranstaltungen im Ort endeten.<br />

1968 änderte der Verein seinen Namen in<br />

Rad- und Motorsportclub <strong>Cleversulzbach</strong><br />

1921 e. V. und trat dem Württembergischen<br />

Radsportverband und dem Bund<br />

Deutscher Radfahrer bei. Seither gibt es<br />

jedes Jahr ein Sommerfest mit Volksradfahren<br />

und sonstigen geselligen Veranstaltungen.<br />

Bannerweihe 1954 (auf dem Bild: L. Seebold, G. Kutru , Th. Bauer, N. Häusler, E. Baier,<br />

P. Bauer sen., H. Müller, E. Huhmann, Fr. Bauer, H. Lumpp, A. Seebold, S. Heiß, A. Bordt,<br />

G. Heiß, W. Ültzhöfer, H. Schott, E. Heiß, Ch. Heiß, M. Messer)


Radsternfahrt<br />

rund um <strong>Cleversulzbach</strong><br />

1975<br />

Seit 1970 sind die <strong>Cleversulzbach</strong>er Hallenradsportler<br />

bei vielen Meisterschaften<br />

unter ihrem Vorsitzenden Werner Hübener<br />

zu fi nden und viele Titel wurden schon<br />

nach <strong>Cleversulzbach</strong> geholt.<br />

Im 4er-Kunstradfahren konnte 1970 in<br />

Schwenningen der erste Erfolg mit der<br />

Württembergischen Vizemeisterschaft verbucht<br />

werden. Weitere Erfolge konnten<br />

Karl-Heinz Schäfer, Manfred Bürger, Wil-<br />

3. Deutscher Meister –<br />

die 4er-Mannschaft<br />

des RMC 1973<br />

(v.l.: J. Hübener,<br />

U. Kollmar,<br />

K. H. Schäfer,<br />

M. Bürger)<br />

helm Lumpp und Joachim Hübener 1973<br />

in Hannover verzeichnen. Sie wurden dort<br />

3. Deutscher Jugendmeister.<br />

Auch wenn die 4er-Mannschaft in den 13<br />

Jahren ihrer aktiven Laufbahn immer wieder<br />

neue Fahrer, wie Martin Maisenhölder<br />

und zuletzt Martin Kollmar, eintrainieren<br />

mussten, waren die Kunstradsportler in<br />

Württemberg führend. Selbst bei den<br />

Deutschen Meisterschaften 1974 in Augs-<br />

369


370<br />

burg oder 1976 in Moers kamen die Radsportler<br />

unter die zehn besten Mannschaften<br />

der Bundesrepublik.<br />

Bis 1985 wurden außerdem jedes Jahr<br />

Auto-Fuchsjagden und Auto-Orientierungsfahrten<br />

gestartet, die viele Motorsportler<br />

ins Sulzbachtal lockten.<br />

Der von den Mitgliedern in Eigenarbeit<br />

geschaff ene Clubraum konnte 1983 eingeweiht<br />

werden. Seither dient der Clubraum<br />

in der Kelter-Halle internen Sitzungen,<br />

aber auch gemütlichen Clubabenden.<br />

Unter dem neuen Vorsitzenden Günther<br />

Stahl (seit 1984) bietet der RMC auch<br />

anderen Freizeitsportlern Angebote, z. B.<br />

Die Kunstradsportler<br />

bei einer<br />

Vorführung<br />

(Ende der 1970er<br />

Jahre)<br />

Fussball-Gaudi-Turniere, und seit 1988<br />

das „Spiel ohne Grenzen“ am Sommerfest.<br />

Viele Hobbyradler wissen die Freizeitangebote<br />

des Rad- und Motorsportclubs <strong>Cleversulzbach</strong><br />

zu schätzen.<br />

Der RMC nimmt bis heute unter ihren<br />

Trainern Karl-Heinz Schäfer und Andreas<br />

Stahl erfolgreich an den vom Württembergischen<br />

Landessportbund ausgeschriebenen<br />

Meisterschaften im Kunstradfahren<br />

teil.<br />

Damit erfüllt der RMC seit seiner Gründung<br />

vor 91 Jahren eine gesellschaftspolitische<br />

Aufgabe, die in <strong>Cleversulzbach</strong> von<br />

Bedeutung ist.<br />

Beim „Spiel ohne<br />

Grenzen“ (Foto<br />

Mitte der 1980er<br />

Jahre)


<strong>Cleversulzbach</strong> – Dorf mit Motorsportgeschichte<br />

Erste größere Veranstaltungen im Bereich<br />

des Motorsports sind seit Anfang der<br />

1950er Jahre zu verzeichnen. Der Rad-<br />

und Motorsportclub <strong>Cleversulzbach</strong> 1921<br />

e. V. (RMC) war hierbei ursprünglich die<br />

treibende Kraft. Schon in den 1930er Jahren<br />

war der Sport mit Motorrädern im<br />

RMC neben dem Fahrradsport eine beliebte<br />

Freizeitbeschäftigung. Nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg erlebte der zweirädrige<br />

Motorsport eine Renaissance , und in den<br />

1960er Jahren waren es die vierrädrigen<br />

Kraftmaschinen in den Rennen um den<br />

Bergpreis, der <strong>Cleversulzbach</strong> in das Licht<br />

einer motorsportbegeisterten Öff entlichkeit<br />

rückte und den kleinen Ort in der Region<br />

bekannt machte.<br />

Motorrad-Gelände- und<br />

Geschicklichkeitsfahrten des RMC<br />

Damals, in den 1950er Jahren, begaben<br />

sich im Frühjahr, nach der alljährlichen<br />

Begrüßung durch den 1. Vorstand des<br />

RMC <strong>Cleversulzbach</strong>, Wilhelm Ültzhöfer,<br />

um die dreißig Motorradenthusiasten mit<br />

ihren geländetauglichen Maschinen unterschiedlicher<br />

Klassen auf den schwierigen<br />

Parcours. Vom damaligen Sportplatz,<br />

das war die Farrenwiese südlich des Dorfes,<br />

ging es Richtung „Kleines Seele“ hoch<br />

zur „Abgebrannten Eiche“, am Steinbruch<br />

links steil abwärts, über einen Sumpfweg<br />

zum Horn, dann quer über die Wiesen die<br />

Weinberge hinauf und zurück zum Ausgangspunkt.<br />

Insgesamt drei bis vier Kilometer,<br />

und nur die Besten kamen an! Frieder<br />

Bauer erinnert sich noch heute gerne<br />

an diese Zeit, in der die durchzugsstarken<br />

NSU-Maschinen aus heimischer Produktion<br />

dominierten. Ganz nebenbei erfahren<br />

wir von Frieder Bauer, dass er in einem<br />

dieser Rennen auf seiner NSU Max den<br />

ersten Platz gemacht hat.<br />

Der ortsansässige Ewald Heiß berichtet, er<br />

habe mit seiner 250er-DKW gegen starke<br />

Konkurrenz aus dem Profi lager in einem<br />

dieser Rennen den 12. Platz von 30 Star-<br />

Ewald Heiss mit seiner 250er-DKW 1955 im<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Wald am Horn<br />

tern belegen können. Das Foto zeigt ihn<br />

bei einer Gelände-Geschicklichkeits- Fahrt<br />

am 1. Mai 1955 im <strong>Cleversulzbach</strong>er Wald<br />

am Horn.<br />

Dass er sich dem Motorradfahren auch im<br />

Festzug 1952 (v.l.: Oskar Gehres, Heinz<br />

Lumpp, Frieder Bauer, Walter Plenefi sch,<br />

Bernhard Arlt)<br />

371


372<br />

Motorrad-Ausfl ug nach Rappach 1954 (v.l.: Willi Schott, Wilhelm Speck, Erwin Humann,<br />

Herbert Lumpp, Paul Bauer, Frieder Bauer, Walter Riegler im Beiwagen, Ewald Heiß,<br />

Siegfried Heiß, Max Maysenhölder)<br />

fortgeschrittenen Alter noch verpfl ichtet<br />

fühlt, zeigen die 1.000 Kilometer, die er<br />

jeden Sommer mit seinem 1000-ccm-Suzuki-Gespann<br />

absolviert.<br />

Der Motorsport hatte in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

viele begeisterte Anhänger. Dies beweist<br />

u. a. das Foto von einer Motorrad-Ausfahrt,<br />

die der RMC 1954 nach Rappach<br />

durchführte.<br />

Es zeigt ein knappes Dutzend <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

auf ihren Maschinen vor dem dortigen<br />

Gasthaus „Bartholomä“.<br />

Nach Querelen mit dem Waldpächter wurden<br />

die Veranstaltungen als Zuverlässigkeitsfahrten<br />

an den „Steinernen Tisch“<br />

(Gemeinde Hölzern) verlegt und schließlich<br />

ganz eingestellt.<br />

ADAC–Bergpreis in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Mit der zunehmenden Motorisierung stieg<br />

das Interesse der Bevölkerung am Motorsport,<br />

zunächst noch dominiert von Motorrädern<br />

und Motorrädern mit Beiwagen.<br />

Plakat für den 1. Heilbronner Bergpreis 1965


Streckenverlauf der Bergpreis-Rennen 1965–1967<br />

Dabei wurden die Rennen meist nicht als<br />

Straßenrennen durchgeführt, sondern<br />

führten durch oft sehr schwieriges Gelände.<br />

Als die deutsche Autoindustrie nach Ende<br />

des Zweiten Weltkrieges wieder respektable<br />

Autos produzierte, wurden immer<br />

mehr Autorennen veranstaltet. Eine beliebte<br />

Sportart waren Bergrennen, die auf<br />

kurvenreichen Bergstraßen erfolgten, die<br />

sonst ihren alltäglichen Zweck als öff entliche<br />

Land- oder Kreisstraßen erfüllten.<br />

Bergrennen waren auch deswegen so beliebt,<br />

weil sie „Motorsport zum Anfassen“<br />

waren. Auf Böschungen und an Hängen<br />

sitzend konnten die Zuschauer alles hautnah<br />

miterleben.<br />

Der Motorsportclub Heilbronn (MCH), ein<br />

Ortsclub des ADAC, war schon früh be-<br />

müht, solche Bergrennen zu organisieren.<br />

Nachdem die frühere Wartbergstrecke<br />

nicht mehr befahren werden durfte, wurde<br />

man auf der Suche nach einer Ersatzstrecke<br />

in der Nähe von Heilbronn mit der<br />

Bergstrecke <strong>Cleversulzbach</strong>–Eberstadt fündig.<br />

Der 1. Heilbronner ADAC-Bergpreis wurde<br />

am 3. /4. April 1965 auf dieser Strecke<br />

ausgetragen und war mit 130 Fahrern<br />

schon sehr gut besetzt, da er auch als<br />

„Lauf zur deutschen Bergmeisterschaft<br />

1965“ gewertet worden ist. Es wurde in<br />

unterschiedlichen Klassen, je nach Hubraumgröße<br />

gefahren. Beliebte Autos in<br />

den unteren Klassen waren NSU Prinz,<br />

DKW Junior und FORD Cortina.<br />

Das Interesse beim motorsportbegeisterten<br />

Publikum war sehr groß, konnte man<br />

Gerhard Siekmann,<br />

Gütersloh, mit einem<br />

BMW, wurde Vierter<br />

beim 1. Bergrennen<br />

1965<br />

373


374<br />

doch, wie schon anfangs erwähnt, die Autos<br />

und ihre Fahrer aus nächster Nähe erleben<br />

und später im Fahrerlager Fachgespräche<br />

führen. Geschätzte 7.000 Besucher<br />

sollen sich zu diesem ersten Rennen<br />

nach <strong>Cleversulzbach</strong> begeben haben. Die<br />

Siegerehrung fand im Gemeindesaal der<br />

Kelter-Halle statt.<br />

Auch die folgenden zwei Bergpreise 1966<br />

und 1967 wurden auf der Strecke <strong>Cleversulzbach</strong>–Eberstadt<br />

ausgetragen, wobei der<br />

3. Bergpreis am 8. / 9. April 1967 schon das<br />

letzte Rennen in <strong>Cleversulzbach</strong> sein<br />

sollte. Der Bau der Autobahn A 81 Heilbronn-Würzburg<br />

und die damit verbundene<br />

Begradigung des unteren Streckenabschnitts<br />

und der Wegfall des Fahrerlagers<br />

machten weitere Rennen auf dieser<br />

Strecke unmöglich. Der MCH wich auf<br />

1 Vgl. Frank Mentel: Festschrift zum 75-jährigen Bestehen<br />

des Motorsportclubs Heilbronn (MCH).<br />

Die Geschichte zum ADAC-Bergpreis und zur Motorsportgeschichte<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> wurde von Norbert Gessner<br />

recherchiert.<br />

eine Strecke zwischen Gronau und Prevorst<br />

zurück. 1<br />

Zwar hätte der Motorsportclub Heilbronn<br />

Mitte der 1980er Jahre den Bergpreis gern<br />

wieder auf die Strecke <strong>Cleversulzbach</strong>–<br />

Eberstadt verlegt und hatte einen entsprechenden<br />

Antrag beim Ortschaftsrat<br />

von <strong>Cleversulzbach</strong> gestellt. Doch inzwischen<br />

waren 20 Jahre vergangen und das<br />

Umweltbewusstsein gestiegen. Und so<br />

waren es hauptsächlich befürchtete Lärm-<br />

und Schadstoff belästigungen, die den<br />

Ortschaftsrat zu einer Ansage bewogen<br />

haben.<br />

Heute sind die drei ausgetragenen Bergrennen<br />

nach 45 Jahren schon wieder Geschichte<br />

und nicht mehr allzu viele <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

können sich noch daran erinnern.


Landfrauenverein Neuenstadt, <strong>Cleversulzbach</strong> und<br />

Stein e.V.<br />

Gegründet wurde unser Verein im Jahre<br />

1952 von Frau Lina Haussecker und zwölf<br />

Frauen. Christel Schenk, Neuenstadt, ist<br />

seit 1974 Schriftführerin und seit 1984<br />

Vorsitzende.<br />

2012 feiern wir nun 60-jähriges Jubiläum<br />

– mit 110 Mitgliedern.<br />

Unser Symbol ist die Biene.<br />

Unser Leitthema lautet: „Leben ist mehr<br />

wert – Unsere Nahrung wert-geschätzt?!“<br />

Die zahlreichen Bildungsveranstaltungen<br />

und Vorträge des Landfrauenvereins beinhalten<br />

die Themen Gesundheit, Körperpfl<br />

ege, Kultur, Politik, Ernährungslehre,<br />

Mode und vieles andere mehr.<br />

Darüber hinaus unternimmt der Landfrauenverein<br />

ein- und zweitägige Bildungsreisen<br />

mit Zielen in nah und fern, auch in die<br />

benachbarten Länder.<br />

Auch der Sport spielt im Vereinsleben der<br />

Landfrauen eine große Rolle. Der Verein<br />

hat einen Gymnastik-, einen Walking- und<br />

einen Kegelclub.<br />

Der Landfrauenverein lädt alle Interessierten<br />

zu den Vorträgen und Veranstaltungen<br />

herzlich ein und freut sich über rege<br />

Teilnahme und neue Mitglieder!<br />

375


376<br />

Persönlichkeiten<br />

Eduard Mörike (1804 –1875)<br />

Nach sieben Jahren Vikardienst in zehn<br />

zumeist kleineren Gemeinden in Württemberg<br />

wurde Eduard Mörike durch königliches<br />

Dekret vom 20. Mai 1834 die<br />

Pfarrstelle in <strong>Cleversulzbach</strong> zugesprochen.<br />

Am 3. Juli 1834 (er war inzwischen<br />

30 Jahre alt) konnte er seinen Aufzug in<br />

der Gemeinde, die damals 600 Einwohner<br />

zählte, halten. Als Pfarrer erhielt er neben<br />

freier Wohnung ein Jahresgehalt von 600<br />

Gulden. Seine 63-jährige Mutter und<br />

seine 18-jährige Schwester Klara zogen<br />

mit ihm ins Pfarrhaus ein. Die Haushaltskasse<br />

war ziemlich leer; das Geld für den<br />

Umzug hatte man erst borgen müssen.<br />

Das bescheidene Jahresgehalt von 600<br />

Gulden bekam er auch nur zur Hälfte in<br />

bar, der Rest setzte sich aus Naturalien<br />

zusammen.<br />

Mörikes Vorfahren stammen aus Neuenstadt<br />

am Kocher. Albrecht Ludwig Mörike<br />

(1705 –1771), zweiter Hofapotheker in<br />

Neuenstadt, ist der Urgroßvater Eduard<br />

Mörikes. Sein in Neuenstadt lebender Vetter,<br />

der zu Wohlstand gekommene Apotheker<br />

Karl Abraham Mörike (1806 –1874),<br />

verheiratet mit der gesangsbegabten Marie<br />

Seyff er, gab in seiner Wohnung über<br />

der Apotheke viele gesellschaftliche Feiern<br />

und Veranstaltungen, an denen Mörike<br />

auch gelegentlich teilnahm.<br />

Die Amtspfl ichten als Pfarrer, zu denen<br />

damals auch die Schulaufsicht, Ortsordnung,<br />

Führung von Geburts-, Heirats- und<br />

Sterberegistern zählten, waren nicht<br />

Mörikes besondere Stärke. Stattdessen gefi<br />

el es ihm, im großen Pfarrgarten zu wandeln,<br />

zu sinnieren und unter dem grünen<br />

Schirm seinen eigenen Grillen zu verfal-<br />

len. Eduard Mörike hat in seiner <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Zeit an die hundert Gedichte<br />

geschrieben. Das wohl bekannteste dürfte<br />

die Idylle „Der alte Turmhahn“ sein, deren<br />

erste Verse 1840 entstanden.<br />

Schon in seinen frühen Amtsjahren war<br />

Mörike oftmals krank. Immer öfter mussten<br />

Vikare den Pfarrdienst übernehmen.<br />

Am 26. April 1841 starb Mörikes Mutter,<br />

die er neben dem Grab von Schillers Mutter<br />

beerdigte. Deren Grab hatte er am Be-<br />

Eduard Mörike


ginn seiner Amtszeit vernachlässigt vorgefunden,<br />

es wieder hergerichtet und mit<br />

einem steinernen Kreuz versehen, in das er<br />

eigenhändig die Worte „Schillers Mutter“<br />

eingravierte.<br />

Da Mörikes gesundheitlicher Zustand trotz<br />

ärztlicher Behandlung und Kuren nicht<br />

besser wurde, bat er schließlich am 3. Juni<br />

1843 König Wilhelm I. wegen seiner andauernden<br />

Krankheitsumstände um vorzeitige<br />

Versetzung in den Ruhestand. Er<br />

war jetzt 39 Jahre alt. Dem Antrag wurde<br />

stattgegeben, und Mörike wurde mit einer<br />

Pension von 280 Gulden in den vorzeitigen<br />

Ruhestand versetzt. Am 13. August<br />

1843 übergab er sein Amt in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

an den letzten seiner Vikare, Wilhelm<br />

Haueisen, und zog mit seiner Schwester<br />

Klara zunächst zur befreundeten Familie<br />

Hartlaub nach Wermutshausen bei Bad<br />

Mergentheim. Seine weiteren Lebensstationen<br />

waren Schwäbisch Hall, Bad Mergentheim,<br />

Lorch, Nürtingen, Fellbach und<br />

Stuttgart, wo er am 4. Juni 1875 starb<br />

und auf dem dortigen Pragfriedhof beigesetzt<br />

wurde.<br />

377


378<br />

Schillers Mutter<br />

Elisabeth Dorothea Kodweiß wurde am 13.<br />

Dezember 1732 in Marbach geboren. Mit<br />

16 ½ Jahren heiratete sie in Marbach den<br />

Militärarzt Johann Caspar Schiller. Sie gebar<br />

ihm sechs Kinder, von denen aber<br />

schon zwei früh starben, und die jüngste<br />

Tochter Nanette starb mit 18 Jahren. Neben<br />

dem berühmten Sohn Friedrich erreichten<br />

lediglich die Töchter Christophine<br />

und Louise das Erwachsenenalter.<br />

Christophine heiratete 1786 den Biblio-<br />

thekar Wilhelm Reinwald aus Meiningen<br />

(Thüringen). Sohn Friedrich verehelichte<br />

sich 1790 mit Charlotte von Lengefeld in<br />

Langenjena bei Jena. Und Tochter Louise<br />

gab 1799 nach langer Verlobungszeit<br />

Pfarrer Gottlieb Franckh ihr Ja-Wort,<br />

nachdem er nach längerer Vikarzeit die<br />

Pfarrstelle in <strong>Cleversulzbach</strong> zugesprochen<br />

bekommen hatte. Schillers Mutter<br />

war zu der Zeit bereits drei Jahre Witwe<br />

und lebte im Schloss Leonberg, wo sie<br />

durch den Herzog freies<br />

Wohnrecht mit einer bescheidenen<br />

Pension von<br />

jährlich 100 Gulden erhalten<br />

hatte. Die Sommermonate<br />

1800 und 1801 verbrachte<br />

sie bei ihrer Tochter<br />

Louise und Schwiegersohn<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong>. Sie<br />

wurde im Dorf liebevoll<br />

und auch etwas ehrfürchtig<br />

die „Frau Majorin“ genannt<br />

und verkehrte öfters im<br />

Gasthof „Löwen“, denn der<br />

damalige Wirt war auch<br />

gleichzeitig Bäcker und<br />

Schillers Mutter stammte<br />

ebenfalls aus einem Bäckerhaushalt.<br />

Schillers Mutter in<br />

jungen Jahren …


Im Herbst 1801 erkrankte sie an heftigen<br />

Unterleibsschmerzen. Sie wurde zunächst<br />

von befreundeten Ärzten in Leonberg, danach<br />

in Stuttgart behandelt, ohne dass<br />

eine Besserung eintrat. Im Februar 1802<br />

holte Louise sie mit der Chaise, in ein Federbett<br />

gehüllt, nach <strong>Cleversulzbach</strong>, wo<br />

ihr der Schwiegersohn seine beheizbare<br />

Studierstube abtrat. Der hinzugezogene<br />

Neuenstädter Arzt Dr. Karl Ludwig Hehl<br />

diagnostizierte Gebärmutterkrebs. Dem<br />

Sohn berichtet die Mutter<br />

am 20. Februar in ihrem<br />

letzten Brief:<br />

Er kente Nichts thun als<br />

so viel wie möglich mir<br />

meine Schmerzen len-<br />

… und als gereifte Frau<br />

dern. Er vermuthet wie ich wohl gemergt<br />

dass es bös artig werden kente. ... Ach<br />

bester Sohn wie entbört sich alles in mir<br />

jhm nur solche Nachricht zu geben. Gott<br />

wird jhm Sein so große Liebe und sorgfald<br />

vor mich mit Tausendfachen Seegen<br />

belohnen ... jhre ihn ewig liebende und<br />

dankbare Mutter.<br />

Am 29. April 1802 starb Elisabeth Dorothea<br />

Schiller und wurde am 1. Mai auf<br />

dem <strong>Cleversulzbach</strong>er Friedhof beerdigt.<br />

379


380<br />

Pfarrer Rabausch und der Spuk im Pfarrhaus<br />

Eberhard Ludwig Rabausch war von 1747<br />

bis 1759 Pfarrer in <strong>Cleversulzbach</strong>. Sein<br />

Name wird mit mysteriösen Ereignissen im<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Pfarrhaus in Verbindung<br />

gebracht.<br />

Schon kurz nach seinem Aufzug in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

im Sommer 1834 erlebt Eduard<br />

Mörike Spukerscheinungen im Pfarrhaus.<br />

Er hält die Ereignisse in einem Tagebuch<br />

fest und berichtet darüber an den Arzt<br />

und Freund Justinus Kerner in Weinsberg,<br />

der sie in seiner Zeitschrift „Magikon“ veröff<br />

entlicht.<br />

Die Spukerscheinungen äußern sich im<br />

Wesentlichen in Geräuschen (Klopfen, Po-<br />

chen, Schlürfen, Tappen, Atmen) und<br />

Licht erscheinungen. Außerdem, aber seltener,<br />

werden Berührungen und Bewegungen<br />

registriert. So berichtet Mörike im<br />

Tagebuch vom 2. bis 6. September 1834:<br />

Die Geister-Indizien dauern fort, und zwar<br />

jetzt in verstärktem Grade. Am 2. dieses<br />

Monats nach dem Abendessen, als eben<br />

die Mutter durch den Hausöhrn ging, vernahm<br />

sie ein dumpfes starkes Pochen an<br />

der hinteren Haustür. Ihr erster Gedanke<br />

war, es verlange noch jemand herein; nur<br />

war das Klopfen von einem durchdringenden<br />

Seufzer gefolgt. Man riegelte unverzüglich<br />

auf und sah im Garten nach, ohne


irgendeine menschliche Spur zu entdecken.<br />

Auch Karl (mein ältester Bruder) sowie<br />

Klärchen (meine Schwester) und die<br />

Magd hatten das Klopfen gehört.<br />

16. Oktober 1834:<br />

Heute nacht abermals Unruhen im Haus.<br />

Ein starkes Klopfen auf dem oberen Boden.<br />

Dann war es auch einmal, als würden<br />

Ziegelplatten vom Dach in den Hof<br />

auf Bretter geworfen.<br />

Der Spuk ließ nach. Erst etwa sechs Jahre<br />

später berichtete am 29. November 1840<br />

Mörikes Vikar Friedrich Sattler:<br />

Ich war abends um 8 ½ zu Bette gegangen<br />

... Plötzlich, wie mit einem Zauberschlage<br />

ergri mich ein Gefühl der Unheimlichkeit<br />

(...). Ich sah zurück und erblickte<br />

an der Wand zwei Flämmchen, ungefähr<br />

in der Gestalt einer mittleren Hand<br />

(...). Ob sie doch wohl brennen? dachte<br />

ich, und streckte meine Hand nach ihnen<br />

aus. Allein das eine Flämmchen, das ich<br />

berührte, verschwand mir unter der Hand<br />

und brannte plötzlich daneben (...). So betrachtete<br />

ich die Flämmchen vier bis fünf<br />

Minuten lang, ohne eine Abnahme des<br />

Lichts an ihnen zu bemerken, wohl aber<br />

kleine Biegungen und Veränderungen der<br />

Gestalt.<br />

Bereits drei Pfarrer vor Mörike wussten<br />

von derlei Phänomenen zu berichten. Zum<br />

ersten Mal trat der Spuk im Pfarrhaus unter<br />

dem Pfarrer David Eberhard Leyrer<br />

(1811–1818) auf. Am lebhaftesten war er<br />

unter Pfarrer Gottlob Ludwig Hochstetter<br />

(1818 –1825), der Mörike die auff allendsten<br />

Dinge erzählt hat. Auch nachher, noch<br />

zur Zeit des Pfarrers Karl Eduard Rheinwald<br />

(1825 –1830), gab es von starken<br />

Justinus Kerners „Magikon“, hier die Bände<br />

von 1842 und 1850, aufgeschlagen der<br />

Band von 1842, worin Mörike über die<br />

Spukerscheinungen im Pfarrhaus von<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> berichtet.<br />

Spukerscheinungen zu berichten, die immer<br />

wieder dem Geist des früheren Pfarrers<br />

Rabausch zugeschrieben wurden, der<br />

angeblich einen gottlosen Lebenswandel<br />

geführt hat und bei seinem Wegzug von<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> ein Ehe- und Totenbuch<br />

der Gemeinde aus den Jahren 1667 bis<br />

1705 hat mitgehen lassen und deswegen<br />

zur Strafe spukend sein Unwesen trieb.<br />

Wer war nun dieser Pfarrer Rabausch?<br />

Eberhard Ludwig Rabausch wurde am 14.<br />

Januar 1720 in Stuttgart geboren. Sein<br />

Vater war Grenadierhauptmann und Kommandant<br />

im Schloss Hohentübingen. Rabausch<br />

studierte Theologie in Tübingen<br />

und legte am 28. August 1737 sein Magister-Examen<br />

ab. Seine erste Pfarrstelle trat<br />

er 1747 in <strong>Cleversulzbach</strong> an. Ein Jahr<br />

später, am 6. Februar 1748, heiratete er in<br />

Neuenstadt die zehn Jahre jüngere Maria<br />

Christina Reiner aus Schwaigern. Sie kam<br />

aus besserem Hause; ihr Vater war Anwalt<br />

und Richter in Schwaigern.<br />

Nach zwölf Jahren Amtszeit in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

wechselte Rabausch im Jahre 1759<br />

nach Untergruppenbach. Hier amtierte er<br />

28 Jahre bis zu seinem Tod am 28. Dezember<br />

1787. Seine Frau starb bereits am 11.<br />

Juli 1786 mit 56 Jahren. Aus den spärlichen<br />

Kirchenunterlagen geht hervor, dass<br />

das Ehepaar Rabausch eine Tochter mit<br />

Namen Reg.(ina) Wilhe.(lmina) gehabt hat,<br />

die ab 3. September 1787 in Untergruppenbach<br />

Patin war. Wann sie geboren<br />

wurde und für wen sie Patin war, ist nicht<br />

vermerkt. Auff ällig ist eine Bemerkung<br />

beim Eintrag des Sterbedatums von Pfarrer<br />

Rabausch am 28. Dezember 1787. Dahinter<br />

steht in Klammern mit einem Fragezeichen:<br />

„(? an der Hektik)“. Man war<br />

sich off enbar über die Todesursache nicht<br />

ganz klar und wahrscheinlich war er vor<br />

seinem Tod oft gereizt, ruhelos und erregt<br />

gewesen, daher der (mögliche) Gedanke,<br />

dass er an der Hektik gestorben ist.<br />

381


382<br />

Pfarrer Franckh und seine Frau Louise, geb. Schiller<br />

Am 16. Oktober 1799 begann Johann<br />

Gottlieb Franckh seine Amtszeit als Pfarrer<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong>, nachdem er viele Jahre<br />

als Vikar in verschiedenen Württemberger<br />

Gemeinden, so zuletzt in Gerlingen, Dienst<br />

getan hatte. Nur drei Tage vorher hatte er<br />

in der Stadtkirche zu Leonberg Louise<br />

Schiller geheiratet. Damit hatte die jahrelange<br />

Verlobungszeit endlich ein Ende;<br />

das erfolglose Warten auf eine eigene<br />

Pfarrstelle, die damals Voraussetzung für<br />

eine Familiengründung war, hatte immer<br />

als Grund für die Verschiebung der Hochzeit<br />

herhalten müssen.<br />

Das Ehepaar zog in das große Pfarrhaus<br />

ein, in dem damals nur ein Zimmer beheizbar<br />

war. Dieses belegte der Pfarrer als<br />

sein Studierzimmer. Die feierliche Investitur<br />

fand am Sonntag, den 15. Dezember<br />

1799 durch Dekan Geß aus Neuenstadt<br />

statt. Pfarrer Franckhs Gehalt betrug 333<br />

Gulden jährlich, ein Teil davon bestand<br />

aus Naturalien. Es wurde dem Pfarrer<br />

nachgesagt, dass er ein sehr sparsamer,<br />

wenn nicht gar geiziger Mensch war. Als<br />

Louises Mutter in den Jahren 1800 und<br />

1801 für längere Zeit zu Besuch kam, gab<br />

sie ihrer Tochter immer etwas Kostgeld<br />

und zahlte für Kerzen, Seife und andere<br />

Kleinigkeiten. Sie trug auch mit der Hälfte<br />

des Betrages (50 Gulden) zum Kauf einer<br />

einspännigen Kutsche bei, damit Tochter<br />

und Schwiegersohn beweglicher wurden.<br />

Zu dieser Zeit war <strong>Cleversulzbach</strong> auch<br />

von französischen Truppen besetzt, als<br />

Folge des zweiten Koalitionskrieges zwischen<br />

Frankreich und Österreich, Russland,<br />

Preußen und Großbritannien. Der Offi zier<br />

der Einheit kam öfters ins Pfarrhaus, weil<br />

Pfarrer Franckh etwas Französisch konnte.<br />

Die Bevölkerung versorgte die Truppen<br />

(etwa 30 Mann) mit Verpfl egung. Außerdem<br />

musste die Gemeinde im August<br />

1800 eine Kriegssteuer von 150 Gulden<br />

zahlen. Da die Gemeindekasse für eine<br />

Kontribution in dieser Höhe nicht aufkommen<br />

konnte, nahm sie beim Bürger<br />

Paul Kollmer ein entsprechendes Darlehen<br />

auf.<br />

Louise Schiller, etwa 30 Jahre alt, gemalt<br />

von ihrer Schwester Christophine<br />

Ihr erstes Kind gebar Louise am 11. August<br />

1800. Es war ein Mädchen und wurde auf<br />

die Namen Elisabetha Justina Louisa getauft.<br />

Doch es erkrankte bald an Gichter<br />

und starb schon nach 17 Tagen.<br />

Am 11. Februar 1802 holte Louise ihre<br />

todkranke Mutter vom Schloss Leonberg<br />

zu sich nach <strong>Cleversulzbach</strong> und pfl egte<br />

sie bis zu deren Tod am 29. April. Sie<br />

wurde auf dem <strong>Cleversulzbach</strong>er Friedhof<br />

beerdigt. Im selben Jahr wurde am 20. Oktober<br />

1802 Louises zweites Kind geboren.<br />

Es war zwar eine schwere Geburt, aber es<br />

kam ein gesunder Junge zur Welt, der sich<br />

gut entwickelte. Er wurde wie sein Vater<br />

Johann Gottlieb getauft. Zur Geburt des


Knaben schickte Louises Bruder Friedrich<br />

Schiller aus Weimar ein Glückwunschschreiben<br />

an seinen Schwager, Pfarrer<br />

Franckh, in dem es u. a. heißt:<br />

Weimar, 29. Oktober 1802<br />

Die glückliche Entbindung der lieben<br />

Schwester hat uns alle herzlich erfreut<br />

und mich, ich darf es jetzt wohl sagen,<br />

von einer großen Furcht befreit, dem<br />

Himmel sei Dank für den erfreulichen<br />

Ausgang. Doch will ich Sie, lieber Herr<br />

Schwager, recht inständig gebeten haben,<br />

die Wöchnerin ein wenig kurz zu<br />

halten, daß sie sich nicht zu früh herauswagt<br />

und sich überhaupt aufs äußerste<br />

in acht nimmt , weil wir gar zu<br />

viel Beispiele gehabt, daß die Wochen<br />

übel ablaufen.<br />

Zu dem lieben Sohn und Stammhalter<br />

wünsche ich herzlich Glück, ich weiß<br />

aus eigener Erfahrung, wie groß die<br />

Freude des Vaters ist, sich in einem<br />

Sohn fortleben zu sehen. (...) Ich werde<br />

als Oncle und Pate meine Pfl icht redlich<br />

an ihm erfüllen, wenn ich die Freude erlebe,<br />

ihm nützlich sein zu können.<br />

(...) Die Zeitungen haben mir den Adel<br />

von Wien aus zuerkannt, ich selbst aber<br />

habe noch nichts von dorther erhalten.<br />

Indessen mag an dem Gerüchte etwas<br />

Wahres sein, denn ich habe Ursache zu<br />

vermuten, daß mein Herzog mir damit<br />

ein Geschenk machen wollte. Herzlich,<br />

bester Schwager, umarme ich Sie. Der<br />

lieben Schwester tausend brüderliche<br />

Grüße.<br />

Ihr aufrichtig ergebener<br />

Schiller<br />

Zwei Jahre später gebar Louise am 3. Juli<br />

1804 ihr drittes Kind. Die Tochter wurde<br />

Friderike Christiane Louise getauft. Zum<br />

Ende dieses Jahres erhielt Pfarrer Franckh<br />

eine erfreuliche Promotion. Er wurde<br />

durch den Kurfürsten am 28. Dezember<br />

1804 zum Stadtpfarrer von Möckmühl ernannt.<br />

Kurz darauf bekamen sie aus<br />

Möckmühl die Nachricht, dass man sie<br />

Anfang Februar 1805 mit einer Abordnung<br />

abholen würde. Am 11. Februar 1805<br />

ist die Familie Franckh aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />

in ihr neues Zuhause nach Möckmühl gezogen,<br />

damals noch eine Oberamtsstadt.<br />

383


384<br />

Landrat Eugen Kaiser (1879 –1945)<br />

Am 28. Oktober 1879 kam Eugen Kaiser in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> zur Welt. Sein Vater war<br />

der Wirt des Gasthofs „Löwen“ Christian<br />

Kaiser. Nach dem Besuch der örtlichen<br />

Volksschule absolvierte er von 1893 bis<br />

1896 eine Gartenbaulehre in Neckarsulm.<br />

Anschließend arbeitete er bis 1906 als<br />

Gärtnergehilfe. Von 1906 bis 1910 übernahm<br />

er die Gauleitung des Allgemeinen<br />

Deutschen Gärtnervereins, einer freigewerkschaftlichen<br />

Organisation. Um 1898<br />

trat er in die Sozialdemokratische Partei<br />

Deutschlands (SPD) ein. Er heiratete im<br />

Jahre 1907. Nach dem Besuch der Gewerkschaftsschule<br />

in diesem Jahr wurde<br />

er am 1. Juni 1910 in die Position des Arbeitersekretärs<br />

in Frankfurt/M. berufen.<br />

Als Vorsitzender der SPD zu Groß-<br />

Frankfurt/M. von 1909 bis 1921 gehörte<br />

er für kurze Zeit (1919 –1921) der Stadtverordnetenfraktion<br />

an. Bei der Reichstagswahl<br />

vom Juni 1920 wurde Kaiser in<br />

den ersten Reichstag der Weimarer Republik<br />

gewählt, dem er bis zur Wahl vom<br />

Mai 1924 als Vertreter des Wahlkreises 21<br />

(Hessen-Nassau) angehörte. 1922 übernahm<br />

Eugen Kaiser die Geschäfte des<br />

Landrates und Polizeidirektors in Hanau<br />

(im heutigen Mainz-Kinzig-Kreis). Während<br />

seiner Amtszeit wurden soziale und<br />

wirtschaftliche Einrichtungen neu geschaff<br />

en und aufgebaut. Nach der Machtübernahme<br />

der NSDAP wurde er am 9.<br />

März 1933 in den einstweiligen Ruhestand<br />

versetzt. Von den Nationalsozialisten<br />

weiterhin politisch verfolgt, wurde er<br />

Landrat Eugen Kaiser, Landkreis Hanau<br />

nach dem gescheiterten Hitlerattentat<br />

vom 20. Juli 1944 am gleichen Tage von<br />

der Gestapo verhaftet und am 16. September<br />

1944 in das Konzentrationslager<br />

Dachau eingeliefert. Ende März 1945,<br />

beim Einmarsch der amerikanischen Truppen,<br />

sollten die KZ-Häftlinge in die bayerischen<br />

Berge verlegt werden. Der damals<br />

65-Jährige war den körperlichen Strapazen<br />

nicht mehr gewachsen und verstarb<br />

auf dem Marsch. Als sein Todestag gilt der<br />

4. April 1945.<br />

Heute erinnert die Eugen-Kaiser-Schule in<br />

Hanau und die Eugen-Kaiser-Straße in<br />

Nidderau an Kaisers Leben und politische<br />

Tätigkeit.


Ortsvorsteher Schultheiß Lambert Herrmann<br />

(1872 –1947)<br />

Der langjährige <strong>Cleversulzbach</strong>er Ortsvorsteher<br />

und Schultheiß Lambert Herrmann<br />

wurde am 12. Januar 1872 als Sohn des<br />

Bauern Carl August Herrmann in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

geboren und auf die Namen<br />

Christian Lambert getauft. Seine Mutter<br />

Katharina Elisabeth war eine geborene<br />

Gundelfi nger. Über seine Schul- und Jugendzeit<br />

konnte nichts in Erfahrung gebracht<br />

werden. Auch die näheren Umstände<br />

seiner Wahl zum Ortsvorsteher von<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> (Bewerbung, Wahlergebnis<br />

usw.) blieben im Dunkeln. Schultheiß<br />

Reinhold Kögel, der seit 1889 die Geschäfte<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong> geführt hatte,<br />

war am 31. März 1902 verstorben. Bis zur<br />

Neubesetzung dieser Stelle wurde der damals<br />

älteste Gemeinderat G. Lumpp mit<br />

der Stellvertretung betraut. Das Königli-<br />

che Oberamt Neckarsulm bat um Mitteilung,<br />

ob für die Neubesetzung ein Fachmann<br />

oder ein Gemeindebürger in Aussicht<br />

genommen sei. Der Gemeinderat<br />

entschied sich für einen Fachmann, für<br />

den ein Bewerbungsaufruf im Staatsanzeiger<br />

erfolgen sollte. Die Wahl wurde<br />

vom Oberamt für den 9. Mai 1902 angesetzt.<br />

Vom Gemeinderat nahm Christian<br />

Lumpp als Mitglied der Wahlkommission<br />

daran teil.<br />

Bei der Wahl entfi elen die meisten Stimmen<br />

auf den aus Reichenbach, Oberamt<br />

Waiblingen, stammenden „geprüften Verwaltungskandidaten“<br />

Johannes Schäfer,<br />

der zu diesem Zeitpunkt Stellvertreter und<br />

Grundbuchbeamter in Oedheim war. Obwohl<br />

der Gewählte bereit gewesen war,<br />

die Wahl anzunehmen, hat er dieses Amt,<br />

Veteranenverein <strong>Cleversulzbach</strong>, um 1906. Lambert Herrmann sitzend Vierter von links<br />

385


386<br />

aus welchen Gründen auch immer, letztendlich<br />

nicht angetreten. Stattdessen fand<br />

am 6. August erneut eine Wahl statt, über<br />

die aber in den Protokollen seltsamerweise<br />

nichts zu lesen ist. Erst in der Gemeinderatssitzung<br />

vom 1. September, die von Regierungsrat<br />

Haller geleitet wurde, verkündete<br />

dieser, dass bei der Wahl am 6. August<br />

1902 der Landwirt Lambert Herrmann<br />

zum Ortsvorsteher und Ratsschreiber<br />

gewählt worden war. Während dieser<br />

Sitzung wurde er in sein Amt eingesetzt<br />

und feierlich vereidigt.<br />

Es folgten nun 35 Jahre intensiver Amtszeit<br />

in zum Teil sehr bewegten Zeiten. Ein<br />

Jahr nach seiner Amtseinführung heiratete<br />

er am 17. September 1903 in Lehrensteinsfeld<br />

Karoline Amalie, geborene Hüttinger.<br />

Am 28. Januar 1904 wurde seine<br />

Tochter Hedwig Else geboren.<br />

In seine lange Amtszeit fi elen deutliche<br />

Verbesserungen der Infrastruktur des Dorfes.<br />

Für die Zwecke der Land- und Viehwirtschaft<br />

wurde 1905 von der Heilbronner<br />

Waagenfabrik L. Wagner eine Fuhrwerkswaage<br />

von 7.500 kg Tragkraft in<br />

„Laufgewichts-Construction mit Billetdruckapparat“<br />

angeschaff t, die auf einem<br />

eisernen Fundament installiert und mit einem<br />

Holzhäuschen geschützt worden ist,<br />

im Volksmund später das „Waaghäusle“<br />

genannt. Es stand an der Straßenecke, wo<br />

heute die Vereinsschaukästen hängen.<br />

Die Wasserleitung mit einem Hydrantenhochbehälter<br />

wurde 1911 erbaut. Die Anlage<br />

wurde von einem Wassermeister betreut.<br />

Ab 1910/11 erfolgte die schrittweise<br />

Elektrifi zierung des Ortes, 1909 wurde die<br />

erste Telegraphenhilfsstelle eingerichtet,<br />

womit <strong>Cleversulzbach</strong> Zugang zum Rest<br />

der Welt erhielt. Es folgte 1922 eine eigene<br />

Poststelle und Schultheiß Herrmann<br />

erhielt in seiner Wohnung einen vom Rathaus<br />

umschaltbaren Telefonanschluss. Die<br />

Mobilität der Bürger wurde ab 1907 mit<br />

der Eröff nung der Eisenbahnlinie Jagst-<br />

feld–Neuenstadt und ab 1913 mit der<br />

Verlängerung über Gochsen, Kochersteinsfeld,<br />

Möglingen bis nach Ohrnberg stark<br />

verbessert. Zwar wurde der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Antrag, bei der Helmbundkirche eine<br />

Haltestelle einzurichten – wofür man bereit<br />

gewesen wäre, 500 Mark für das Projekt<br />

zuzuzahlen – nicht berücksichtigt,<br />

und man musste den Fußmarsch zum<br />

neuen Neuenstädter Bahnhof in Kauf<br />

nehmen. Die Situation verbesserte sich, als<br />

es dem Gemeinderat 1926 nach langen<br />

Bemühungen und vorherigem Straßenausbau<br />

gelang, <strong>Cleversulzbach</strong> an die<br />

Kraftpostverbindung Neuenstadt–Öhringen<br />

anzubinden. Der Ort wurde fortan<br />

über lange Zeit zweimal am Tag, morgens<br />

und abends, bedient.<br />

In Herrmanns Amtszeit wurde auch der<br />

Schulbetrieb vorangetrieben und der Zustand<br />

des Schulgebäudes – immer wieder<br />

vom Hauptlehrer Friedrich Schick angemahnt<br />

– laufend verbessert. Mehr noch ist<br />

der Lehrer durch sein 1925 herausgegebenes<br />

Büchlein „Zu <strong>Cleversulzbach</strong> im Unterland<br />

…, Mörike und <strong>Cleversulzbach</strong>“ bekannt<br />

geworden. Die Schrift enthält viel<br />

Lesenswertes über <strong>Cleversulzbach</strong> in der<br />

damaligen Zeit und ist auch heute noch<br />

antiquarisch erhältlich.<br />

Die Pfl ichtfeuerwehr in den Anfangsjahren<br />

von Herrmanns Amtszeit bestand aus<br />

rd. 70 Mann. Zur Ausrüstung gehörte zuerst<br />

eine Saug- und Druckpumpe, 1911<br />

wurden zwei Hydrantenwagen und 1925<br />

eine Zweirad-Leiter angeschaff t.<br />

Zum Gedenken an die Gefallenen des Ersten<br />

Weltkrieges ließ der Gemeinderat Anfang<br />

1920 eine Ehrentafel anfertigen und<br />

später nach längeren Verhandlungen ein<br />

vom Bildhauer Wender aus Bitzfeld gestaltetes<br />

Kriegerdenkmal im Dezember<br />

1922 auf dem Friedhof errichten.<br />

Wegen seines Ischiasleidens trat Schultheiß<br />

Herrmann im Juni 1924 eine Kur an.<br />

Seine Vertretung übernahm für diese Zeit


Gemeinderat Friedrich Lumpp. Anfang des<br />

Jahres 1928 gab es für die Herrmanns ein<br />

familiäres Ereignis zu feiern. Tochter Else<br />

heiratete am 23. Februar Heinrich Laub,<br />

damals Schultheiß von Pfedelbach, später<br />

Bürgermeister in Langenburg.<br />

Es kam das Jahr 1933 und damit eine völlig<br />

neue politische Ausrichtung. Bereits im<br />

April 1933 musste der Gemeinderat neu<br />

gebildet werden. Die Zusammensetzung<br />

erfolgte aufgrund von Wahlvorschlägen,<br />

die in <strong>Cleversulzbach</strong> vom Württembergischen<br />

Bauern- und Weingärtnerbund<br />

(WBWB) und von der Nationalsozialistischen<br />

Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP)<br />

eingereicht worden sind. Daraufhin rückten<br />

zwei neue Mitglieder in den Gemeinderat<br />

auf; zwei andere schieden dafür aus.<br />

Der Einfl uss der nationalsozialistischen<br />

Regierung wuchs. Schon bald mussten neben<br />

den üblichen Projekten wie Pachtverträge,<br />

die Weinberghut, Schädlingsbekämpfung<br />

und anderen dorfbezogenen<br />

Aufgaben, zunehmend von der Kreisleitung<br />

oder anderen NS-Organisationen angeordnete<br />

Aktionen durchgesetzt und die<br />

Kosten dafür getragen werden.<br />

Im September 1934 wurden alle Beamten<br />

(darunter auch die Gemeinderäte) neu<br />

vereidigt. Wortlaut: „Ich schwöre: Ich<br />

werde dem Führer des Deutschen Reiches<br />

und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam<br />

sein, die Gesetze beachten und meine<br />

Amtspfl ichten gewissenhaft erfüllen, so<br />

wahr mir Gott helfe.“ Die vollzogene Vereidigung<br />

wurde von Bürgermeister Herrmann<br />

beurkundet.<br />

Schon ein Jahr später wurde durch die<br />

Nationalsozialisten eine neue Gemeindeordnung<br />

durchgesetzt. Bürgermeister<br />

Herrmann ließ dazu eine neue Satzung<br />

einführen, und basierend darauf wurde<br />

der Gemeinderat durch Wahl neu zusammengesetzt.<br />

Es gab jetzt zwei Beisitzer<br />

und vier neue Gemeinderäte; die bisherigen<br />

Mitglieder mussten ausscheiden. Es<br />

darf angenommen werden, dass von diesem<br />

Zeitpunkt an Gemeinderat und Bürgermeister<br />

Teil der nationalsozialistischen<br />

Organisation waren.<br />

Was sich in den Kriegsjahren 1939 bis1945<br />

in der Gemeinde abgespielt hat, lässt sich<br />

leider nicht belegbar nachweisen. Die<br />

meisten Dokumente aus dieser Zeit sind –<br />

wie in vielen anderen Orten auch – aus<br />

dem Ortsarchiv beseitigt worden.<br />

Belegt ist aber, dass gemäß eines neuen<br />

Erlasses des Württembergischen Innenministeriums<br />

vom 1. Dezember 1937 alle Gemeindebeamten<br />

mit Erreichen der Altersgrenze<br />

von 65 Jahren aus ihrem Amt auszuscheiden<br />

hatten. Dieser Erlass traf auch<br />

Bürgermeister Herrmann, der das 65. Lebensjahr<br />

zu diesem Zeitpunkt bereits um<br />

fast ein Jahr überschritten hatte. Sein<br />

Ausscheiden wurde auf den 23. Dezember<br />

1937 festgelegt. Die Amtsgeschäfte wurden<br />

zunächst von seinem Stellvertreter<br />

Eugen Blank übernommen. Knapp zwei<br />

Jahre später, am 13. Juni 1939, wurde der<br />

Maschinenschlosser Friedrich Mayer, seit<br />

1931 Mitglied der NSDAP, als neuer Bürgermeister<br />

eingesetzt. Dieses Amt hat er<br />

aber nur einen Monat ausgeübt, denn er<br />

wurde am 15. Juli 1939 zum Heer eingezogen,<br />

und Altbürgermeister Lambert<br />

Herrmann übernahm die Geschäfte als<br />

Stellvertreter, wie es in einem Eintrag im<br />

Rechnungsbuch der Gemeinde zu lesen<br />

ist, wo es heißt:<br />

Altbürgermeister Herrmann hat ab<br />

15. 7. 1939 infolge Einziehung des Bürgermeisters<br />

Mayer zum Heeresdienst auf<br />

Grund Anordnung des Landrats die Geschäfte<br />

wieder stellvertretungsweise übernommen.<br />

Die Aufwendungsentschädigung<br />

beträgt ab 1. 7. 1941 monatlich 100 RM.<br />

Bürgermeister Mayer, der bei der Luftwaff<br />

e diente, ist aus dem Krieg nicht mehr<br />

zurückgekehrt. Er wurde am 17. Dezember<br />

1942 als vermisst gemeldet. So ist anzunehmen,<br />

dass Lambert Herrmann die<br />

387


388<br />

Amtsgeschäfte bis zum Kriegsende fortgeführt<br />

hat.<br />

Sein Nachfolger nach dem Kriege war Richard<br />

Nef, der am 2. November 1945 zunächst<br />

als kommissarischer Bürgermeister<br />

vom damaligen Landrat Beutingen eingesetzt<br />

worden ist und danach <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />

langjähriger Bürgermeister war<br />

(sein Lebensweg ist in einem anderen Kapitel<br />

beschrieben).<br />

Lambert Herrmann starb am 19. April<br />

1947 und wurde am 22. April auf dem<br />

Friedhof von <strong>Cleversulzbach</strong> begraben.<br />

Eine Lungenentzündung hatte ihn mit 75<br />

Jahren dahingeraff t. Seine Grabstätte ist<br />

nicht mehr zu fi nden; sie wurde nach Ablauf<br />

der Ruhefrist 2008 abgeräumt.<br />

Herrmanns zwölf Jahre jüngere Witwe<br />

Amalie blieb in deren stattlichem Wohnhaus<br />

an der Brettacher Straße (jetzt Nr.<br />

46) wohnen. Sie starb am 23. Juni 1966<br />

im Alter von 82 Jahren.<br />

Porträtfoto Lambert Herrmann 1940,<br />

68-jährig


Bürgermeister Richard Nef (1917 –1993)<br />

Richard Nef wurde am 17. Mai 1917 in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> als Sohn des Landwirts<br />

Paul Nef geboren. Richards Mutter Elsa<br />

war eine geborene Herrmann. Nach ihm<br />

kamen 1920 noch seine Schwester Mina<br />

und 1922 seine Schwester Hilde zur Welt.<br />

Richard Nefs Großvater Karl war in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

ein angesehener Gemeinderat<br />

und lange Jahre auch Gemeindepfl eger.<br />

Nach der Volksschule in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

besuchte Richard Nef die Landwirtschaftliche<br />

Fachschule in Heilbronn, wohin er<br />

bei jedem Wetter mit dem Fahrrad fuhr.<br />

Der Unterricht fand damals nur in den<br />

Wintermonaten statt, da die Bauern die<br />

andere Zeit des Jahres mit der Landwirtschaft<br />

beschäftigt waren. Nach dem Abschluss<br />

der Landwirtschaftlichen Fachschule<br />

arbeitete er auf dem väterlichen<br />

Bauernhof, bis er 1939 zur Wehrmacht<br />

einberufen wurde. Er war zunächst an der<br />

Ostfront eingesetzt, wo er 1943 in Sewastopol<br />

(Krim) verwundet wurde. Nach kurzem<br />

Heimaturlaub wurde er nach Frankreich<br />

in die Normandie versetzt. Dort verlor<br />

er 1944 bei der Invasion der alliierten<br />

Truppen seinen linken Arm. Bis zum<br />

Kriegsende blieb er dann als Verwundeter<br />

in der Heimat.<br />

Am 2. November 1945 wurde er vom damaligen<br />

Landrat Beutingen zum kommissarischen<br />

Bürgermeister von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

eingesetzt, ein Jahr später vom Gemeinderat<br />

auf zwei weitere Jahre im Amt<br />

bestätigt.<br />

1948 heiratete er Klara Hilligardt aus<br />

Brettach. Aus der Ehe gingen die drei Kinder<br />

Helmut, Erhard und Hildegard hervor.<br />

Bei den weiteren Wahlen 1948, 1953 und<br />

1966 wurde er jeweils mit großer Mehrheit<br />

wiedergewählt. Nach der Eingemeindung<br />

von <strong>Cleversulzbach</strong> nach Neuenstadt<br />

am Kocher am 1. Januar 1972 wurde Ri-<br />

Stimmzettel für die Wahl des Bürgermeisters<br />

am 6. Dezember 1953<br />

chard Nef Ortsvorsteher und Verwaltungsstellenleiter<br />

von <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

In die Zeit seiner fast 33-jährigen Tätigkeit<br />

fällt eine lange Reihe von Ortsverbesserungen,<br />

so 1948 die Wasserversorgung,<br />

1950 die Bachkorrektur, 1956 der Bau des<br />

Gemeindehauses (später Kelter-Halle);<br />

dann die Renovierung der St. Jost-Kirche<br />

1960, in den Jahren 1956 und 1966 Ausbau<br />

der Durchfahrtstraßen nach Neuenstadt,<br />

Eberstadt und Brettach, die Flurbereinigung<br />

und die Begradigung des Sulzbachs<br />

im Jahr 1970 sowie die komplette<br />

Renovierung des fast 100 Jahre alten Rathauses.<br />

1971 konnten die Arbeiten an der<br />

Kanalisation abgeschlossen werden. Richard<br />

Nef ist in den Jahren seines Wirkens<br />

für seine Sparsamkeit bekannt geworden.<br />

So soll er eine Hilfskraft aus eigener Tasche<br />

bezahlt haben, um eine fi nanzielle<br />

Belastung der Gemeinde zu vermeiden.<br />

389


390<br />

Währungsreform 1948, Bürgermeister<br />

Richard Nef beim Geldtransport<br />

Nach einer langjährigen verdienstvollen<br />

Amtstätigkeit wurde Richard Nef 1978 in<br />

einer großen Feierstunde in den Ruhestand<br />

verabschiedet. Seine Nachfolger als<br />

Ortsvorsteher waren Dieter Plenefi sch<br />

(von 1978 –1986), Werner Uhlmann (von<br />

1986 –2009) und seit 2009 Günther<br />

Stahl.<br />

Als Pensionär leitete Richard Nef weiterhin<br />

bis Mai 1982 die Verwaltungsstelle<br />

auf dem Rathaus und erstellte über viele<br />

Jahre hinweg für das Statistische Landesamt<br />

Baden-Württemberg landwirtschaft-<br />

Zur Verabschiedung in den Ruhestand<br />

überreicht Neuenstadts Bürgermeister Rolf<br />

Bernauer Richard Nef ein Abschiedsgeschenk,<br />

1978<br />

liche statistische Werte. Darüber hinaus<br />

widmete er sich den Diensten des evangelischen<br />

Kirchengemeinderats, in dem er<br />

fast 30 Jahre Zweiter Vorsitzender war.<br />

Er litt seit seinem 50. Lebensjahr an einer<br />

Herzkrankheit. Die dafür 1992 angesetzte<br />

Operation musste wegen einer Virusinfektion<br />

verschoben werden. Am 23. Dezember<br />

1993 erlitt er eine Lungenentzündung,<br />

an der er mit geschwächtem Herzen noch<br />

am selben Tag verstarb. Er wurde auf dem<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Friedhof unter großer<br />

Anteilnahme der Bevölkerung beigesetzt.


Erinnerungen an Mörike<br />

Zu <strong>Cleversulzbach</strong> im Unterland<br />

Hundertunddreizehn Jahr' ich stand,<br />

Auf dem Kirchturm ein guter Hahn,<br />

Als ein Zierat und Wetterfahn'.<br />

In Sturm und Wind und Regennacht<br />

Hab' ich allzeit das Dorf bewacht.<br />

Manch falber Blitz hat mich gestreift,<br />

Der Frost mein' roten Kamm bereift,<br />

Auch manchen lieben Sommertag,<br />

Da man gern Schatten haben mag,<br />

DER ALTE TURMHAHN<br />

Idylle<br />

Hat mir die Sonne unverwandt<br />

Auf meinen goldigen Leib gebrannt.<br />

So ward ich schwarz für Alter ganz,<br />

Und weg ist aller Glitz und Glanz.<br />

Da haben sie mich denn zuletzt<br />

Veracht ' t und schmählich abgesetzt.<br />

Meinthalb! so ist der Welt ihr Lauf,<br />

Jetzt tun sie einen andern 'nauf.<br />

Stolzier', prachtier' und dreh'' dich nur!<br />

Dir macht der Wind noch andre Cour.<br />

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392<br />

Ade, o Tal, du Berg und Tal!<br />

Rebhügel, Wälder allzumal!<br />

Herzlieber Turn und Kirchendach,<br />

Kirchhof und Steglein übern Bach!<br />

Du Brunnen, dahin spat und früh<br />

Öchslein springen, Schaf' und Küh',<br />

Hans hinterdrein kommt mit dem Stecken<br />

Und Bastes Evlein mit dem Schecken!<br />

— Ihr Störch' und Schwalben, grobe Spatzen,<br />

Euch soll ich nimmer hören schwatzen!<br />

Lieb deucht mir jedes Drecklein itzt,<br />

Damit ihr ehrlich mich beschmitzt.<br />

Ade, Hochwürden, Ihr Herr Pfarr,<br />

Schulmeister auch, du armer Narr!<br />

Aus ist, was mich gefreut so lang',<br />

Geläut ' und Orgel, Sang und Klang.<br />

Von meiner Höh' so sang ich dort<br />

Und hätt' noch lang' gesungen fort,<br />

Da kam so ein krummer Teufelshöcker,<br />

Ich schätz', es war der Schieferdecker,<br />

Packt mich, kriegt nach manch hartem Stoß<br />

Mich richtig von der Stange los.<br />

Mein alt preßhafter Leib schier brach,<br />

Da er mit mir fuhr ab dem Dach<br />

Und bei den Glocken schnurrt hinein;<br />

Die glotzten sehr verwundert drein,<br />

Regt ' ihnen doch weiter nicht den Mut,<br />

Dachten eben, wir hangen gut.<br />

Jetzt tät man mich mit altem Eisen<br />

Dem Meister Hufschmied überweisen;<br />

Der zahlt zween Batzen und meint Wunder,<br />

Wie viel es wär' für solchen Plunder.<br />

Und also ich selben Mittag<br />

Betrübt vor seiner Hütte lag.<br />

Ein Bäumlein — es war Maienzeit -<br />

Schneeweiße Blüten auf mich streut,<br />

Hühner gackeln um mich her,<br />

Unachtend, was das für ein Vetter wär'.<br />

Da geht mein Pfarrherr nun vorbei,<br />

Grüßt den Meister und lächelt: »Ei,<br />

Wär's so weit mit uns, armer Hahn?<br />

Andrees, was fangt Ihr mit ihm an?<br />

Ihr könnt ihn weder sieden noch braten,<br />

Mir aber müßt ' es schlimm geraten,<br />

Einen alten Kirchendiener gut<br />

Nicht zu nehmen in Schutz und Hut.<br />

Kommt! tragt ihn mir gleich vor ins Haus,<br />

Trinket ein kühl' Glas Wein mit aus.«<br />

Der rußig' Lümmel, schnell bedacht,<br />

Nimmt mich vom Boden auf und lacht.<br />

Es fehlt ' nicht viel, so tat ich frei<br />

Gen Himmel einen Freudenschrei.<br />

Im Pfarrhaus, ob dem fremden Gast<br />

War groß und klein erschrocken fast;<br />

Bald aber in jedem Angesicht<br />

Ging auf ein rechtes Freudenlicht.<br />

Frau, Magd und Knecht, Mägdlein und Buben,<br />

Den großen Göckel in der Stuben<br />

Mit siebenfacher Stimmen Schall<br />

Begrüßen, begucken, betasten all'.<br />

Der Gottesmann drauf mildiglich<br />

Mit eignen Händen trägt er mich<br />

Nach seinem Zimmer, Stiegen auf,<br />

Nachpolteret der ganze Hauf'.<br />

Hier wohnt der Frieden auf der Schwell'!<br />

In den geweißten Wänden hell<br />

Sogleich empfing mich sondre Luft,<br />

Bücher- und Gelahrtenduft,<br />

Gerani- und Resedaschmack,<br />

Auch ein Rüchlein Rauchtabak.<br />

(Dies war mir all' noch unbekannt.)<br />

Ein alter Ofen aber stand<br />

In der Ecke linkerhand.<br />

Recht als ein Turn tät er sich strecken<br />

Mit seinem Gipfel bis zur Decken,<br />

Mit Säulwerk, Blumwerk, kraus und spitz —<br />

O anmutsvoller Ruhesitz!<br />

Zuöberst auf dem kleinen Kranz<br />

Der Schmied mich auf ein Stänglein pflanzt '.<br />

Betrachtet mir das Werk genau!<br />

Mir deucht 's ein ganzer Münsterbau;<br />

Mit Schildereien wohl geziert,<br />

Mit Reimen christlich ausstaffiert.<br />

Davon vernahm ich manches Wort,<br />

Dieweil der Ofen ein guter Hort<br />

Für Kind und Kegel und alte Leut ',<br />

Zu plaudern, wann es wind' t und schneit.


Hier seht ihr seitwärts auf der Platten<br />

Eines Bischofs Krieg mit Mäus' und Ratten,<br />

Mitten im Rheinstrom sein Kastell.<br />

Das Ziefer kommt geschwommen schnell,<br />

Die Knecht ' nichts richten mit Waffen und Wehr,<br />

Der Schwänze werden immer mehr.<br />

Viel tausend gleich in dicken Haufen<br />

Frech an der Mauer auf sie laufen,<br />

Fallen dem Pfaffen in sein Gemach;<br />

Sterben muß er mit Weh und Ach,<br />

Von den Tieren aufgefressen,<br />

Denn er mit Meineid sich vermessen.<br />

Sodann König Belsazers seinen Schmaus,<br />

Weiber und Spielleut ', Saus und Braus;<br />

Zu großem Schrecken an der Wand<br />

Rätsel schreibt eines Geistes Hand.<br />

— Zuletzt da vorne stellt sich für<br />

Sara lauschend an der Tür,<br />

Als der Herr mit Abraham<br />

Vor seiner Hütte zu reden kam<br />

Und ihme einen Sohn versprach.<br />

Sara sich Lachens nicht entbrach,<br />

Weil beide schon sehr hoch betaget.<br />

Der Herr vernimmt es wohl und fraget:<br />

»Wie, lachet Sara? glaubt sie nicht,<br />

Was der Herr will, leicht geschicht? «<br />

Das Weib hinwieder Flausen machet,<br />

Spricht: »Ich habe nicht gelachet.«<br />

Das war nun wohl gelogen fast,<br />

Der Herr es doch passieren laßt,<br />

Weil sie nicht leugt aus arger List,<br />

Auch eine Patriarchin ist.<br />

Seit daß ich hier bin, dünket mir<br />

Die Winterszeit die schönste schier.<br />

Wie sanft ist aller Tage Fluß<br />

Bis zum geliebten Wochenschluß!<br />

— Freitag zu Nacht, noch um die Neune,<br />

Bei seiner Lampen Trost alleine,<br />

Mein Herr fangt an sein Predigtlein<br />

Studieren; anderst mag's nicht sein;<br />

Eine Weil' am Ofen brütend steht,<br />

Unruhig hin und dannen geht:<br />

Sein Text ihm schon die Adern reget;<br />

Drauf er sein Werk zu Faden schläget.<br />

Inmittelst einmal auch etwan<br />

Hat er ein Fenster aufgetan -<br />

Ah, Sternenlüfteschwall wie rein<br />

Mit Haufen dringet zu mir ein!<br />

Den Verrenberg ich schimmern seh',<br />

Den Schäferbühel dick mit Schnee!<br />

Zu schreiben endlich er sich setzet,<br />

Ein Blättlein nimmt, die Feder netzet,<br />

Zeichnet sein Alpha und sein 0<br />

Über dem Exordio.<br />

Und ich von meinem Postament<br />

Kein Aug' ab meinem Herrlein wend';<br />

Seh', wie er, mit Blicken steif ins Licht,<br />

Sinnt, prüfet jedes Worts Gewicht,<br />

Einmal sacht eine Prise greifet,<br />

Vom Docht den roten Butzen streifet;<br />

Auch dann und wann zieht er vor sich<br />

Ein Sprüchlein an vernehmentlich,<br />

So ich mit vorgerecktem Kopf<br />

Begierlich bringe gleich zu Kropf.<br />

Gemachsam kämen wir also<br />

Bis Anfang Applicatio.<br />

Indes der Wächter Elfe schreit.<br />

Mein Herr denkt: es ist Schlafenszeit;<br />

Ruckt seinen Stuhl und nimmt das Licht;<br />

»Gut ' Nacht, Herr Pfarr!« — Er hört es nicht.<br />

Im Finstern wär' ich denn allein.<br />

Das ist mir eben keine Pein.<br />

Ich hör' in der Registratur<br />

Erst eine Weil' die Totenuhr,<br />

Lache den Marder heimlich aus,<br />

Der scharrt sich müd' am Hühnerhaus;<br />

Windweben um das Dächlein stieben;<br />

Ich höre, wie im Wald da drüben -<br />

Man heißet es im Vogeltrost -<br />

Der grimmig' Winter sich erbost,<br />

Ein Eichlein spalt ' t jähling mit Knallen,<br />

Eine Buche, daß die Täler schallen.<br />

— Du meine Güt ', da lobt man sich<br />

So frommen Ofen dankbarlich!<br />

Er wärmelt halt die Nacht so hin,<br />

Es ist ein wahrer Segen drin.<br />

— Jetzt, denk' ich, sind wohl hie und dort<br />

Spitzbuben aus auf Raub und Mord;<br />

Denk', was eine schöne Sach' es ist,<br />

393


394<br />

Brave Schloß und Riegel zu jeder Frist!<br />

Was ich wollt ' machen herentgegen,<br />

Wenn ich eine Leiter hört ' anlegen;<br />

Und sonst was so Gedanken sind;<br />

Ein warmes Schweißlein mir entrinnt.<br />

Um zwei, gottlob, und um die drei<br />

Glänzet empor ein Hahnenschrei,<br />

Um fünfe, mit der Morgenglocken,<br />

Mein Herz sich hebet unerschrocken,<br />

Ja voller Freuden auf es springt,<br />

Als der Wächter endlich singt:<br />

»Wohlauf, im Namen Jesu Christ!<br />

Der helle Tag erschienen ist!«<br />

Ein Stündlein drauf, wenn mir die Sporen<br />

Bereits ein wenig steif gefroren,<br />

Rasselt die Lis' im Ofen, brummt,<br />

Bis's Feuer angeht, saust und summt.<br />

Dann von der Küch' 'rauf, gar nicht übel,<br />

Die Supp' ich wittre, Schmalz und Zwiebel.<br />

Endlich, gewaschen und geklärt,<br />

Mein Herr sich frisch zur Arbeit kehrt.<br />

Am Samstag muß ein Pfarrer fein<br />

Daheim in seiner Klause sein,<br />

Nicht visiteln, herumkutschieren,<br />

Seine Faß einbrennen, sonst hantieren.<br />

Meiner hat selten solch' Gelust.<br />

Einmal — ihr sagt 's nicht weiter just —<br />

Zimmert ' er den ganzen Nachmittag<br />

Dem Fritz an einem Meisenschlag,<br />

Dort an dem Tisch, und schwatzt ' und schmaucht ',<br />

Mich alten Tropf kurzweilt ' es auch.<br />

Jetzt ist der liebe Sonntag da.<br />

Es läut ' t zur Kirchen fern und nah.<br />

Man orgelt schon; mir wird dabei,<br />

Als säß' ich in der Sakristei.<br />

Es ist kein Mensch im ganzen Haus;<br />

Ein Mücklein hör' ich, eine Maus.<br />

Die Sonne sich ins Fenster schleicht,<br />

Zwischen die Kaktusstöck' hinstreicht<br />

Zum kleinen Pult von Nußbaumholz,<br />

Eines alten Schreinermeisters Stolz;<br />

Beschaut sich, was da liegt umher,<br />

Konkordanz und Kinderlehr',<br />

Oblatenschachtel, Amtssigill,<br />

Im Dintenfaß sich spiegeln will,<br />

Zuteuerst Sand und Grus besicht,<br />

Sich an dem Federmesser sticht<br />

Und gleitet übern Armstuhl frank<br />

Hinüber an den Bücherschrank.<br />

Da stehn in Pergament und Leder<br />

Vornan die frommen Schwabenväter:<br />

Andreä, Bengel, Rieger zween,<br />

Samt Oetinger sind da zu sehn.<br />

Wie sie die goldnen Namen liest,<br />

Noch goldener ihr Mund sie küßt,<br />

Wie sie rührt an Hillers Harfenspiel -<br />

Horch! klingt es nicht? so fehlt nicht viel.<br />

Inmittelst läuft ein Spinnlein zart<br />

An mir hinauf nach seiner Art<br />

Und hängt sein Netz, ohn' erst zu fragen,<br />

Mir zwischen Schnabel auf und Kragen.<br />

Ich rühr' mich nicht aus meiner Ruh',<br />

Schau' ihm eine ganze Weile zu.<br />

Darüber ist es wohl geglückt,<br />

Daß ich ein wenig eingenickt. -<br />

Nun sagt, ob es in Dorf und Stadt<br />

Ein alter Kirchhahn besser hat?<br />

Ein Wunsch im stillen dann und wann<br />

Kommt einen freilich wohl noch an.<br />

Im Sommer stünd' ich gern da draus<br />

Bisweilen auf dem Taubenhaus,<br />

Wo dicht dabei der Garten blüht,<br />

Man auch ein Stück vom Flecken sieht.<br />

Dann in der schönen Winterzeit,<br />

Als zum Exempel eben heut:<br />

Ich sag' es grad' — da haben wir<br />

Gar einen wackern Schlitten hier,<br />

Grün, gelb und schwarz; — er ward verwichen<br />

Erst wieder sauber angestrichen:<br />

Vorn auf dem Bogen brüstet sich<br />

Ein fremder Vogel hoffärtig -<br />

Wenn man mich etwas putzen wollt ',<br />

Nicht, daß es drum viel kosten sollt ',<br />

Ich stünd' so gut dort als wie der<br />

Und machet ' niemand nicht Unehr'!<br />

— Narr! denk' ich wieder, du hast dein Teil!<br />

Willt du noch jetzo werden geil?<br />

Mich wundert, ob dir nicht gefiel',


Daß man, der Welt zum Spott und Ziel,<br />

Deinen warmen Ofen gar zuletzt<br />

Mitsamt dir auf die Läufe setzt<br />

Daß auf dem G'sims da um dich säß'<br />

Mann, Weib und Kind, der ganze Käs'!<br />

In seiner <strong>Cleversulzbach</strong>er Zeit hat Eduard<br />

Mörike über hundert Gedichte geschrieben.<br />

Eines der bekanntesten Gedichte<br />

dürfte die Idylle Der alte Turmhahn sein.<br />

Nach einer Renovierung der Kirche wurde<br />

der alte Turmhahn vom Schmied Salm<br />

durch einen neuen ersetzt. Den alten<br />

Turmhahn fand Mörike beim alten Eisen<br />

des Schmieds und nahm ihn zu sich. Er inspirierte<br />

ihn zu dem Gedicht, das in seiner<br />

ersten kurzen Fassung von nur 22 Versen<br />

1840 entstand.<br />

1 Siehe Helmut Braun, Rudolf Schwan, Werner Uhlmann: Zu <strong>Cleversulzbach</strong> im Unterland.<br />

Eduard Mörikes Zeit in <strong>Cleversulzbach</strong>. Betulius Verlag Stuttgart, 2004, S. 64 ff .<br />

Du alter Scherb, schämst du dich nicht,<br />

Auf Eitelkeit zu sein erpicht?<br />

Geh in dich, nimm dein Ende wahr!<br />

Wirst nicht noch eimal hundert Jahr!<br />

Die erste Fassung des Alten Turmhahns<br />

schickte Mörike seinem Freund Hartlaub<br />

mit der Bemerkung:<br />

Hieraus erseht Ihr, was ich für eine Aquisition<br />

gemacht habe. Ihr könnt nicht<br />

glauben, wie der alte Kerl sie freut, bis er<br />

Euch den Brettacher Weg herfahren sieht.<br />

Mörike hat an diesem Gedicht lange Jahre<br />

gearbeitet, Ergänzungen und Änderungen<br />

durchgeführt, bis es 1852, lange nach seiner<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Zeit, aber getragen<br />

von der Erinnerung an diese Jahre, in seiner<br />

endgültigen Form vorlag. 1<br />

395


396<br />

Die Mörike-Stube und die Entstehung des<br />

Mörike-Museums<br />

Nur langsam leerte sich der Friedhof. Sehr<br />

viele <strong>Cleversulzbach</strong>er hatten sich am 2.<br />

August 1994 zur Beerdigung von Margarete<br />

Seebold eingefunden und sie auf ihrem<br />

letzten Erdenweg begleitet. Aber<br />

noch bedeutend mehr Auswärtige waren<br />

angereist, um an dieser Trauerfeier teilzunehmen,<br />

für eine Frau, die sie von Besuchen<br />

ihrer Mörike-Stube in lebendiger Erinnerung<br />

hatten.<br />

Pfarrer Ulrich Müller hatte ergreifende<br />

Worte gesprochen und das große Engagement<br />

von Margarete Seebold als rührige<br />

Wirtin, Betreuerin der Mörike-Stube und<br />

nicht zuletzt auch als langjährige Organistin<br />

der St.-Jost-Kirche gewürdigt; wenn<br />

auch nicht aus eigener Erinnerung, denn<br />

als er vor gut einem Jahr sein Amt als<br />

neuer Pfarrer in <strong>Cleversulzbach</strong> antrat,<br />

war Margarete Seebold, von heftiger<br />

Krankheit geplagt, schon 1991 gezwungen<br />

gewesen, die Gastwirtschaft, und damit<br />

auch die Mörike-Stube, für immer zu<br />

schließen. Bis zuletzt wohnte sie gut umsorgt<br />

im „Turmhahn“. Als aber die Kräfte<br />

der Helferinnen der Pfl ege nicht mehr gewachsen<br />

waren, kam Margarete Seebold<br />

am 18. Juli 1994 in ein Pfl egeheim. Dort<br />

ist sie zehn Tage später gestorben.<br />

Sie war sechs Jahre alt, als sie nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />

kam. Ihre Eltern, die Wirtsleute<br />

Franz Ludwig und Mathilde Seebold,<br />

wollten nach Jahren in Frankfurt wieder<br />

zurück in die Heimat und hatten im Juli<br />

1912 von Hermann Schön das von ihm ein<br />

Jahr zuvor neu erbaute Haus mit Schankwirtschaft<br />

erworben. Das stattliche Gebäude<br />

an der Ecke Neuenstädter Straße<br />

und Hauptstraße (heute Brettacher<br />

Straße), schräg gegenüber der St.-Jost-<br />

Kirche, war bereits mit elektrischem Licht<br />

und fl ießendem Wasser versehen.<br />

Die Wirtsleute nannten ihre neue Gastwirtschaft<br />

„Zum Adler“. Der Name wurde<br />

in großen Buchstaben an der Wand zur<br />

Neuenstädter Straße angebracht und an<br />

der Eckwand zeigte ein schönes Wirtshausschild<br />

von beiden Straßenseiten<br />

sichtbar einen schwarzen, teilweise vergoldeten<br />

Adler. Ein Jahr später erhielt der<br />

„Adlerwirt“ auch die Erlaubnis, zwei Zimmer<br />

des ersten Stocks zur Beherbergung<br />

von Fremden zu nutzen.<br />

Margarete Seebold wuchs mit ihrer sechs<br />

Jahre jüngeren Schwester Hildegard Karoline<br />

(in der Familie nur Hilde genannt), die<br />

noch in Frankfurt am 10. März 1912, einige<br />

Monate vor dem Umzug, geboren<br />

war, in der umtriebigen Umgebung einer<br />

Gastwirtschaft auf. Zur Schule hatte sie<br />

nicht weit. Die war praktisch auf der anderen<br />

Straßenseite. Und die Hausaufgaben<br />

wurden sicherlich an einem Nebentisch im<br />

Gastraum gemacht.<br />

Als der Erste Weltkrieg 1914 begann,<br />

brauchte ihr Vater nicht mehr zum Militär;<br />

er war da bereits 43 Jahre alt. Viele<br />

andere junge Burschen dagegen wurden<br />

eingezogen und waren überzeugt, in spätestens<br />

sechs Wochen wieder zurückzukehren.<br />

Es sollte fünf Jahre dauern, bis der<br />

letzte Überlebende (aus Kriegsgefangenschaft)<br />

wieder zurückkam. Doch für 23<br />

junge Bürger gab es keine Rückkehr; 19<br />

sind im Krieg gefallen, vier wurden als<br />

vermisst gemeldet.<br />

Für die Bevölkerung brachte der Krieg erhebliche<br />

Einschränkungen. Lebensmittel und<br />

Konsumartikel wurden rationiert, Schlachtungen<br />

mussten beantragt und der Fleischüberschuss<br />

abgegeben werden. Hierunter<br />

hatten auch die Gastwirtschaften zu leiden.<br />

Die Speisezettel wurden magerer; der Umsatz<br />

von Bier und Wein musste es bringen.


Pfarrer in dieser schwierigen Zeit war Fritz<br />

Wiesner, der schon seit 15 Jahren an der<br />

evangelischen St.-Jost-Kirche seinen Dienst<br />

tat. Gut 70 Jahre zurück hatte er einen<br />

weit über <strong>Cleversulzbach</strong>s Grenzen hinaus<br />

bekannten Amtsvorgänger, den Pfarrer und<br />

Dichter Eduard Mörike. Seine Werke wurden<br />

auch nach seinem Tod 1875 sehr verehrt.<br />

Die Erinnerung an den großen deutschen<br />

Dichter der Spätromantik war groß<br />

und so war es nicht verwunderlich, dass<br />

viele Freunde seiner schwäbischen Dichtkunst<br />

in den Jahren danach immer wieder<br />

seine Wirkungsstätte in <strong>Cleversulzbach</strong> besuchten;<br />

die St.-Jost-Kirche, das Pfarrhaus<br />

und die Grabstätten seiner Mutter und der<br />

von Schillers Mutter, seinen Lieblingshügel<br />

und andere in seinen Gedichten und Briefen<br />

beschriebene romantische Ruheorte.<br />

Sicherlich legten dann viele Besucher eine<br />

Rast im Gasthof „Adler“ ein und mit der<br />

Zeit ist bei der Gastwirtsfamilie das Interesse<br />

an dem Dichterpfarrer gewachsen und<br />

man begann, Erinnerungsstücke an Eduard<br />

Mörike zu sammeln, die man im Zimmer<br />

gleich am Eingang unterbrachte. Wer und<br />

wann dafür den Begriff Mörike-Stube geprägt<br />

hat, ließ sich nicht mehr herausfi nden.<br />

Fest steht jedoch, dass im Herbst 1918<br />

ein Mörike-Freund aus Saarbrücken mit<br />

seiner Frau im „Adler“ für einige Tage Quartier<br />

bezogen hatte und wohl von ihm die<br />

Idee stammte, ein Gästebuch anzulegen;<br />

denn der erste Eintrag vom 8. September<br />

1918 ist von ihm, einem Dr. Thomas Hoenes,<br />

der Lehrer an der Cecilienschule in<br />

Saarbrücken war. Unter das von ihm gesetzte<br />

Zitat von Mörikes Gedicht „Septembermorgen“<br />

schrieb er:<br />

Mit diesen Versen unseres Dichters grüßen<br />

wir <strong>Cleversulzbach</strong> und sein Mörike-<br />

Stübchen und die schönen Septembertage,<br />

die wir hier zugebracht haben und<br />

wünschen, daß in kommenden Friedenszeiten<br />

sich noch recht viele frohe Gäste in<br />

dieses Buch einzeichnen möchten.<br />

Die von ihm erhoff ten Friedenszeiten wurden<br />

glücklicherweise bald Wirklichkeit;<br />

das Ende des ruhmlosen Krieges zeichnete<br />

sich bereits ab. Am 11. November 1918<br />

wurde der Waff enstillstand unterschrieben,<br />

dem am 28. Juni 1919 der Friedensvertrag<br />

von Versailles folgte.<br />

Diesem ersten Gästebuch, in dem viele<br />

Einträge vom September 1918 bis Juni<br />

1938 enthalten sind folgten noch elf weitere,<br />

von denen bis auf eines alle erhalten<br />

geblieben sind (sechs befi nden sich im<br />

heutigen Mörike-Museum, vier im Privatbesitz).<br />

Wie man aus den Einträgen bereits<br />

im ersten Gästebuch entnehmen kann,<br />

sprach sich die neue Mörike-Erinnerungsstätte<br />

erstaunlich schnell herum. Neben<br />

Besuchern aus dem süddeutschen Raum,<br />

wie z. B. Heilbronn, Ludwigsburg, Karlsruhe,<br />

Würzburg, München, gab es schon<br />

bald Eintragungen im Gästebuch von<br />

Mörike-Freunden aus ganz Deutschland,<br />

aus Hamburg, Bremen, Berlin, Frankfurt,<br />

Dresden, um nur einige Städte zu nennen.<br />

Aber auch Besucher aus dem Ausland fanden<br />

zunehmend ihren Weg nach <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

So aus der Schweiz, aus Holland,<br />

Tschechien, Polen und den USA. Daneben<br />

gibt es arabische, koreanische, japanische,<br />

italienische und spanische Einträge.<br />

Aus vielen Eintragungen kommt zum Ausdruck,<br />

dass es sich um einen wiederholten<br />

Besuch handelt. Einige der frühen Eintragungen<br />

seien hier noch zitiert:<br />

Am 21. September 1918 trug sich ein Enkel<br />

Eduard Mörikes ein:<br />

Auf einem Herbstspaziergang nach hierher,<br />

rastete ich zum erstenmal im Mörike-<br />

Stüble. Mit dem Wunsche, daß sich hier<br />

noch recht vieles, was die Erinnerung an<br />

meinen Großvater aufl eben läßt, entfalten<br />

möge, ziehe ich heute weiter und<br />

rufe: „Auf Wiedersehen!“ Eduard Hildebrand<br />

Er war das jüngste der drei Kinder von<br />

Mörikes Tochter Franziska (Fanny), die<br />

397


398<br />

1882 den Uhrmachermeister Georg Hildebrand<br />

geheiratet und mit ihm später in<br />

Neu-Ulm gelebt hat. Zum Zeitpunkt seines<br />

Besuches war er 22 Jahre alt, sein Vater<br />

war elf Jahre vorher gestorben und seine<br />

Mutter verbrachte inzwischen ihren Lebensabend<br />

im Dr.-Möricke-Frauenstift im<br />

benachbarten Neuenstadt am Kocher.<br />

Wahrscheinlich hat er sie dort besucht<br />

und dann den Abstecher zur Mörike-<br />

Stube gemacht. Sie selbst machte sich im<br />

Mai 1919, jetzt 64-jährig, auf den Weg<br />

nach <strong>Cleversulzbach</strong> und schrieb ins Gästebuch:<br />

Wir freuen uns nach herrlicher Fahrt<br />

durchs grüne Wiesental, rasten zu dürfen<br />

in den traulichen Räumen des Adlers. –<br />

Du liebes Stübchen dort am Eingang bist<br />

bestimmt und gewillt, außer Speise und<br />

Trank die Wanderer zu erquicken mit vergangener<br />

beschaulicher Zeit. Darum bringen<br />

wir Dir heute zu weiterem Schmuck<br />

ein alt lieblich Bild zur Erinnerung an den<br />

großen Meister Richter, der einstens seinem<br />

Freunde Eduard Mörike Freude damit<br />

bereitete.<br />

Fanny Hildebrand geb. Mörike<br />

Um welches Bild von Ludwig Richter, dem<br />

bekannten Maler und Zeichner der Ro-<br />

mantik, es sich handelte, konnte nicht<br />

mehr in Erfahrung gebracht werden. Bekannt<br />

sind seine Zeichnungen zu Mörikes<br />

Gedicht „Der alte Turmhahn“, mit denen<br />

er dieses Gedicht bebildert hat.<br />

Am 6. Oktober 1918 besuchte der Maler<br />

und Zeichenlehrer der Gewerbe- und Realschule<br />

in Göppingen Gustav Kolb mit<br />

seinem Sohn Hans die Mörike-Stube und<br />

schrieb ins Gästebuch:<br />

Maler machen nicht in Worten. Sie drücken<br />

ihre Empfi ndungen in Formen und Farben<br />

aus. Und so habe ich heute in aller Kürze<br />

zwei Bildchen gemalt, die später an der<br />

Wand des Mörike-Zimmers hängen werden.<br />

Was uns die Familie Seebold Liebes und<br />

Gutes erwiesen, das soll unvergessen sein.<br />

Eines dieser Bilder (die St.-Jost-Kirche) ist<br />

erhalten geblieben und im Mörike-Museum<br />

aufbewahrt.<br />

Ein weiterer Freund der ersten Stunde war<br />

Dr. Rudolf Kapff , zu der Zeit Lehrer an einem<br />

Heilbronner Gymnasium, der, wie<br />

auch Dr. Hoenes, einige Sammlerstücke zu<br />

Mörike in die Mörike-Stube eingebracht<br />

hat. Er besuchte den „Adler“ zum ersten<br />

Mal an Pfi ngsten 1919, später noch mehrmals<br />

1920 und 1932.<br />

Zeichnung von<br />

Ludwig Richter


Mörike-Gedenkecke, um 1925 Mörike-Stube, um 1928<br />

Die Sammlung wurde im Laufe der Zeit<br />

durch weitere Spenden und Geschenke erweitert,<br />

u.a. durch das alte Ziff ernblatt der<br />

Kirchturmuhr, die von 1776 bis 1926 an<br />

der St.-Jost-Kirche die Stunden schlug.<br />

Nach dem frühen Tod des Vaters 1921, er<br />

wurde nur 50 Jahre alt, unterstützten die<br />

Das Zi ernblatt der alten Turmuhr von 1776.<br />

Sie wurde 1926 durch eine neue ersetzt.<br />

Töchter ihre Mutter bei der Führung der<br />

Gastwirtschaft und bei der Betreuung der<br />

zunehmenden Anzahl von Besuchern der<br />

Mörike-Stube. Nach der Machtergreifung<br />

1933 zeigte es sich, dass auch die nationalsozialistisch<br />

orientierten Gruppierungen ihr<br />

Interesse an Mörike nicht verhehlten. Es<br />

kamen Besucher vom Motorsturm, vom<br />

NSKK (Nationalsozialistische Kraftfahrkorps),<br />

vom BDM (Bund Deutscher Mädel),<br />

vom RAD (Reichsarbeitsdienst), vom zweiten<br />

Flakregiment aus Ludwigsburg, eine<br />

Gruppe vom KdF (nationalsozialistische<br />

Gemeinschaft „Kraft durch Freude“) und<br />

nach Ausbruch des Krieges 1939 zunehmend<br />

Soldaten auf Urlaub, oft begleitet<br />

von ihren Frauen. Daneben kamen weiterhin<br />

viele Mörike-Freunde, Schulklassen,<br />

Wanderer, Chöre und auch immer wieder<br />

Mitglieder der Familie Mörike.<br />

Als die Mutter 1940 starb, führten die<br />

zwei Töchter die Gastwirtschaft weiter<br />

und betreuten liebevoll die Mörike-Stube.<br />

Die ältere Schwester Margarete war jetzt<br />

34 Jahre alt und sicherlich die aktivere<br />

von beiden. Sie hatte inzwischen ihr musi-<br />

399


400<br />

kalisches Talent entdeckt und tat seit einiger<br />

Zeit als Organistin an der St.-Jost-Kirche<br />

ihren Dienst, zusätzlich zum Wirtshausbetrieb.<br />

Zu der Zeit war auch, nach<br />

vierjähriger Vakatur, die Pfarrstelle wieder<br />

besetzt; der pensionierte Pfarrer Karl Fischer<br />

hatte den Posten 1935 übernommen<br />

und bis zum Kriegsende 1945 ausgeübt.<br />

Kurz vor Kriegsende, als die Front immer<br />

näher rückte, waren zunehmend Offi ziere<br />

Damaliger Grabstein der Wirtsleute Seebold<br />

im „Adler“ einquartiert und hinterließen<br />

im Gästebuch eindrucksvolle Einträge.<br />

Fünf Tage nach Kriegsende machten drei<br />

Soldaten, ein Hauptmann und zwei Unteroffi<br />

ziere, „auf der Flucht vom Chiemsee in<br />

die Heimat“, wie sie ins Gästebuch schrieben,<br />

Rast im „Adler“ auf ihrem Weg in die<br />

Heimatorte Speyer, Maikammer und Saarbrücken.<br />

Sie waren wohl vom offi ziellen<br />

Kriegsende noch nicht ganz überzeugt.<br />

Auch in den Jahren nach dem Krieg verlor<br />

der „Adler“ mit seiner Mörike-Stube nichts<br />

von seiner Beliebtheit. Besucher kamen<br />

zunächst erst aus der näheren Umgebung,<br />

in späteren Jahren auch aus der weiteren<br />

Ferne, aus München, Berlin, Bozen, Wien,<br />

der Schweiz und den USA.<br />

Langsam wurde der Platz für die unterschiedlichsten<br />

Sammlerstücke zu eng. Auf<br />

Initiative von Dr. Hans Köpf, dem damaligen<br />

Stellvertreter des Heilbronner Landrats<br />

Eduard Hirsch, wurde 1956 mit fi nanzieller<br />

Unterstützung aus verschiedenen<br />

Quellen das Gasthaus umgebaut und renoviert.<br />

Die Sammlung wurde im seitherigen<br />

Gastraum untergebracht und unter<br />

dem Namen „Heimatstube und Gedenkstätte<br />

Eduard Mörikes“ am 1. Juni 1956<br />

unter Anwesenheit vieler Ehrengäste feierlich<br />

neu eröff net. Auf Vorschlag von Dr.<br />

Köpf erhielt das Gasthaus den neuen Namen<br />

„Zum alten Turmhahn“. Ein schönes<br />

Wirtshausschild mit einem goldenen<br />

Turmhahn wurde über dem Eingang angebracht.<br />

Die architektonische Einrichtung<br />

stammte von der Heilbronner Künstlerin<br />

Maria Fitzen-Wohnsiedler, die auch den<br />

Kachelofen mit handgemalten Kacheln<br />

mit Mörike-Motiven schuf.<br />

Kurz nach der Neueröff nung kam ein<br />

wertvolles Geschenk von Anne Maria<br />

Schleebach, geb. Mörike. Zu der alten<br />

Büste Mörikes in sitzender Position stif-<br />

Neuerö nung 1. Juni 1956


Neues Wirtshausschild „Zum alten Turmhahn“<br />

tete sie eine neue, beide stammten von<br />

dem bekannten Bildhauer Adolf Donndorf.<br />

Ein anderes wertvolles Stück war ein<br />

Originalbrief von Mörikes Mutter, den<br />

Margarete Seebold von Oberstudienrat<br />

Hans Kolb aus Schwäbisch Gmünd geschenkt<br />

bekam. Dessen Vater war 1918 einer<br />

der ersten Besucher der Mörike-Stube.<br />

1967 schenkte der Autor Manfred Koschlig<br />

der Mörike-Stube ein signiertes Exemplar<br />

seines neuesten Werkes „Unbekannte<br />

Bildnisse Eduard Mörikes und seiner<br />

Freunde“.<br />

Nach dem Tod ihrer Schwester Hilde am 6.<br />

Februar 1964 führte Margarete Seebold,<br />

jetzt 58 Jahre alt, die Wirtschaft und die<br />

Mörike-Stube allein weiter. Sie war zwar<br />

immer noch rüstig und weiterhin eine viel<br />

Margarete Seebold (re.) mit ihrer Schwester<br />

Hilde, um 1960<br />

und gern besuchte Gastgeberin – Mörike<br />

war ihr Lebensinhalt geworden – doch<br />

machten ihr zunehmende Altersbeschwerden<br />

mehr und mehr zu schaff en. In der<br />

Margarete Seebold in ihrer Gaststube, um<br />

1966<br />

401


402<br />

Gemeindeverwaltung begann man sich<br />

Sorgen zu machen, wie es auf Dauer mit<br />

der Mörike-Erinnerungsstätte weitergehen<br />

sollte. Bürgermeister Richard Nef<br />

wandte sich 1967 an Dr. Köpf, der vor rd.<br />

zehn Jahren den Ausbau der Mörike-Stube<br />

organisiert hatte und inzwischen Landrat<br />

von Tuttlingen geworden war. Dieser<br />

schaltete seinen Amtskollegen Landrat<br />

Widmaier in Heilbronn ein. Bei einem<br />

Ortsbesuch wurde aber festgestellt, dass<br />

Frau Seebold noch rüstig genug war, um<br />

die Mörike-Stube für längere Zeit weiter<br />

zu führen. Doch ab 1984 wurde Margarete<br />

Margarete Seebold liest im Gästebuch,<br />

um 1985<br />

Seebold – sie stand jetzt im 78. Lebensjahr<br />

– immer häufi ger von Krankheiten geplagt.<br />

Werner Uhlmann, seit 1. Mai 1986<br />

Ortsvorsteher von <strong>Cleversulzbach</strong> und seit<br />

jungen Jahren großer Mörike-Freund,<br />

hatte während ihrer Krankenhausaufenthalte<br />

und wenn es ihr nicht gut ging, immer<br />

wieder „Führungen“ durch die<br />

Mörike-Stube für angereiste Mörike-<br />

Freunde durchgeführt. Am 1. Januar 1988<br />

wurde für die 82-Jährige anlässlich ihres<br />

50-jährigen Jubiläums als Organistin der<br />

St.-Jost-Kirche ein Festgottesdienst von<br />

Pfarrerin Christa Lange gehalten. Danach<br />

traf man sich in der Mörike-Stube und<br />

sprach der Jubilarin Dank, Anerkennung<br />

und Gottes Segen aus. Doch drei Jahre<br />

später musste Margarete Seebold wegen<br />

ihrer Krankheit 1991 endgültig die Gastwirtschaft<br />

und damit auch die Mörike-<br />

Stube schließen.<br />

Margarete Seebold an der Orgel der<br />

St.-Jost-Kirche<br />

Drei Jahre später, am 28. Juli 1994, ist<br />

Margarete gestorben. Sie wurde, wie wir<br />

am Beginn gelesen haben, am 2. August<br />

1994 auf dem <strong>Cleversulzbach</strong>er Friedhof<br />

neben ihren Eltern und ihrer Schwester<br />

begraben. Die Mörike-Stube war damit<br />

Geschichte geworden.<br />

Einen sehr aufschlussreichen Teil des<br />

Nachlasses bilden die zehn erhalten gebliebenen<br />

Gästebücher der Mörike-Stube.<br />

Schon das erste überlieferte Buch, beginnend<br />

mit dem Eintrag von Dr. Hoenes im


50-jähriges Jubiläum als Organistin 1988<br />

September 1918 und endend nach 20 traditionsreichen<br />

Jahren mit einem Eintrag<br />

vom 17. Juli 1938, lässt erahnen, welchen<br />

kulturellen Treff punkt diese Erinnerungsstube<br />

darstellte und welches Anlaufziel es<br />

für viele Mörike-Freunde bot. Der Autor<br />

hat sich die Mühe gemacht, die Einträge<br />

der vielen Gäste zu sichten und meint,<br />

dass an der Geschichte der Mörike-Stube<br />

etwas fehlen würde, wenn nicht auch das<br />

ungeheuer breite Spektrum der Besucherkreise<br />

aufgezeigt wird.<br />

Aus der Mörike-Familie<br />

Mit zu den ersten Gästen gehörten Besucher<br />

aus der Mörikefamilie. Wie erwähnt,<br />

besuchte der jüngste Enkel, Eduard Hildebrandt,<br />

die Erinnerungsstube seines Großvaters<br />

schon sehr früh und Fanny Hilde-<br />

brandt, seine Mutter, kam im Sommer<br />

1919. Kurz danach trug sich ihr Schwiegersohn<br />

Eduard Jöckel ein, der mit seiner<br />

Frau Helene und Tochter Ada aus München<br />

angereist kam. Noch im selben Jahr<br />

besuchte Fanny Hildebrandt erneut die<br />

Mörike-Stube und brachte diesmal ihren<br />

Sohn Eduard und ihre Schwiegertochter<br />

Irmgard, verheiratet mit Fannys Sohn Max<br />

aus Nürnberg, mit. Ihr Mann Max besuchte<br />

bald darauf mit seiner Mutter die<br />

Mörike-Stube. Aus der großen Mörike-Familie<br />

fi ndet man Eintragungen von Otto<br />

Mörike aus Hamburg, Emma Mörike aus<br />

Fellbach, Dr. Otto Moerike, Oberbürgermeister<br />

von Konstanz, Dr. Dagobert Moerike<br />

aus Karlsruhe, Anna Moerike aus<br />

München, Anna Doermer-Mörike aus Opladen.<br />

Aus Fannys Umfeld<br />

Zu den bemerkenswerten Besuchern der<br />

ersten Zeit zählen auch Hanns Wolfgang<br />

Rath, Gründer und Erster Vorsitzender der<br />

Gesellschaft der Mörikefreunde e.V. zu<br />

Ludwigsburg und sein Zweiter Vorsitzender<br />

Dr. Rudolf Frank. Beide pfl egten zunächst<br />

eine gute Beziehung zu Mörikes<br />

Tochter Fanny Hildebrandt, die am Gründungstag<br />

der Gesellschaft am 24. März<br />

1920 zum Ehrenmitglied ernannt worden<br />

war, und auch zu ihrem Schwiegersohn<br />

Eduard Jöckel in München. Doch sehr bald<br />

trübte sich das Verhältnis aufgrund von<br />

der Gesellschaft herausgegebener Schriften,<br />

in denen Mörikes Eheleben in beschämender<br />

Weise dargestellt worden ist, jedenfalls<br />

aus der Sicht Fannys und ihres<br />

Schwiegersohnes. Es führte zu jahrelangem<br />

Streit, der von beiden Seiten auch in<br />

die Öff entlichkeit ausgetragen wurde,<br />

mittels Flugblättern und Zeitungsanzeigen.<br />

Dieses Zerwürfnis hat nach Raths Tod<br />

1934 sicherlich mit zur Aufl ösung der Gesellschaft<br />

der Mörikefreunde 1938 beigetragen.<br />

403


404<br />

Aus Künstlerkreisen<br />

Viel erfreulicher waren da die Besuche<br />

zahlreicher Maler, Schriftsteller, Komponisten<br />

und Sänger. Genannt sei hier der in<br />

Heilbronn-Böckingen geborene Walter<br />

Maisak (1912–2002), der sich mit Wand-<br />

und Fensterbildern sowie Gemälden einen<br />

Namen gemacht hat; der Zeichner Paul<br />

Jauch (1870–1957), vielen bekannt durch<br />

den Mörike-Gedichtband Am frisch geschnittenen<br />

Wanderstab, den er mit 120<br />

Zeichnungen ausgeschmückt hat. Dann<br />

die Schriftsteller Hermann Lenz (1913–<br />

1998), mit seinen vielen Erzählungen und<br />

Romanen (Eugen Rapp); Paul Wanner<br />

(1895–1990), der Märchen- und Kindergeschichten<br />

schrieb sowie Freilicht-Bühnenstücke<br />

(besonders für Schwäbisch<br />

Hall); Hermann Burger (1942–1989), der<br />

Schweizer Schriftsteller, der sich mit seinen<br />

Werken besonders den Außenseitern<br />

der Gesellschaft widmete; Kurt Meyer-Rotermund<br />

(1884–1977) aus Wolfenbüttel,<br />

der zunächst in der Zeitungsbranche arbeitete,<br />

später dann Anthologien und<br />

Schriften zur Lokalgeschichte herausbrachte;<br />

Heinrich Krauß aus dem bayerischen<br />

Schwabach, von dem viele Bücher<br />

zur Heimatkunde und zum heimischen<br />

Handwerk stammen; ebenso wie der Heimatkundler<br />

Dr. Erich Strohhäcker aus<br />

Möckmühl. Erwähnt seien noch der<br />

Mundartforscher und Spracherzieher Fritz<br />

Rahn (1891–1964), der als Gymnasiallehrer<br />

und Schriftsteller aktiv war. Unvergessen<br />

auch Marianne Langewiesche (1908–<br />

1979) aus München, die mit ihren Romanen,<br />

aber auch ihren Reiseberichten zu Erfolg<br />

kam (Auf den Spuren des schwäbischen<br />

Dichterkreises). Aus Eisenach kam<br />

Dr. Wilhelm Greiner, Herausgeber des<br />

Otto-Ludwig-Kalenders, der zu Ehren dieses<br />

thüringischen Schriftstellers erscheint.<br />

Einige Jahre später trug sich Adolf Wurmbach<br />

(1891–1968) ein, Schriftsteller und<br />

Heimatdichter aus Westfalen und Schrift-<br />

leiter des Siegerländer Heimatkalenders.<br />

Der zwischen Berlin und Chicago pendelnde<br />

Schauspieler Oscar Fambach<br />

schrieb nachdenkliche Worte über die<br />

unterschiedlichen Wertschätzungen diesseits<br />

und jenseits des großen Teiches ins<br />

Gästebuch und mahnte dann: Die verehrten<br />

Leser haben nicht nur die Pfl icht,<br />

sich gelegentlich ihres Mörike-Besuches<br />

ein wenig zu besinnen, sie sollen ein<br />

mehres tun: Einem Jeden sagen: „Lernt<br />

den Dichter und sein Land verstehen.“<br />

Im Juni 1958 wurde in der neu erbauten<br />

Kelter-Halle ein Mozart-Abend unter dem<br />

Titel Mozart auf der Reise nach Prag gegeben.<br />

Die drei Ausführenden Willy Rosenau<br />

(Bariton), Martin Winkler (Sprecher)<br />

und Hermann Loux (Klavier) besuchten<br />

anschließend die Mörike-Stube und<br />

schrieben, dass sie in den letzten zehn<br />

Jahren mehr als 600 Auff ührungen im In-<br />

und Ausland gestaltet haben und es ihnen<br />

heute eine besondere Freude sei, in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

zu sein, weil sie ihr Werk zur<br />

Verehrung von Mörike und Mozart ausgeschmückt<br />

haben.<br />

Im Jahre 1969 war der damals schon sehr<br />

bekannte Komponist Reinhard Schwarz-<br />

Schilling (1904–1985) aus Berlin mit seiner<br />

Frau zu Gast in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Zu erwähnen wäre noch der Besuch des<br />

Schweizer Verlegers Werner Classen aus<br />

Zürich, der für sein verlegtes Buch Schwabenland-Dichterland<br />

von Bonaventura<br />

Tecchi warb.<br />

Von der Geistlichkeit besuchten nicht nur<br />

die Pfarrer der umgebenden Gemeinden<br />

Brettach, Langenbeutingen und Schwabbach<br />

die Mörike-Stube, auch Dekan Friedrich<br />

Breining aus Neuenstadt war in seiner<br />

Amtszeit (1913–1933) zu Gast bei Familie<br />

Seebold. Von weiter weg besuchte das<br />

evangelisch-lutherische Kirchenregisteramt<br />

zu Augsburg mit einer kleinen Delegation<br />

die Mörike-Stube. Enkel und Urenkel<br />

des Vikars Sattler, der während Möri-


kes Amtszeit 1840 bei den Pfarrgeschäften<br />

aushalf, kamen, um die Wirkungsstätte<br />

ihres Groß- und Urgroßvaters zu<br />

bestaunen. Im Oktober 1957 besuchte<br />

Catharina R. Wheeler aus Seaford, England,<br />

zum zweiten Mal <strong>Cleversulzbach</strong>, wo<br />

ihr Onkel Fritz Wiesner 60 Jahre nach<br />

Mörike Pfarrer von 1903 bis 1931 gewesen<br />

war. Ein Besuch der Mörike-Stube gehörte<br />

dazu.<br />

Schulen und Universitäten<br />

Die Mörike-Stube war auch ein Anlaufpunkt<br />

für viele Schulklassen. Schon sehr<br />

früh kamen einige Male Klassen der Cecilienschule<br />

aus Saarbrücken, einmal in Begleitung<br />

von Dr. Hoenes und der Lehrerin<br />

Klara Schmitz-Hübsch. Die meisten anderen<br />

Schulklassen kamen jedoch aus der<br />

näheren Umgebung, so aus Heilbronn, Neckarsulm<br />

und Mosbach. Insbesondere<br />

auch aus Schulen mit Eduard Mörikes Namen.<br />

Dazu passte ein Besuch von Doris<br />

Klett vom Stuttgarter Schulbuch-Verlag<br />

Ernst Klett.<br />

Im November 1957 reiste vom Ludwig-<br />

Uhland-Institut für Deutsche Altertumswissenschaft,<br />

Volkskunde und Mundartenforschung<br />

der Universität Tübingen Prof.<br />

Dr. Wölker mit 30 Teilnehmern an, in der<br />

Mehrzahl Studenten, um vor Ort Volkskunde<br />

zu erfahren (heute Ludwig-Uhland-<br />

Institut für empirische Kulturwissenschaften).<br />

Vom Internationalen Studienzentrum Heidelberg<br />

kamen mehrmals Gruppen Studierender<br />

aus den unterschiedlichsten Ländern,<br />

wie Zypern, Marokko, Korea, Philippinen<br />

und Iran.<br />

Auch VHS-Gruppen aus verschiedenen<br />

Städten reisten an.<br />

Verehrer von Schiller und seiner Mutter<br />

Am 13. Dezember 1932 versammelte sich<br />

eine große Zahl von Schiller-Verehrern in<br />

der Mörike-Stube, um den 200. Geburts-<br />

tag von Schillers Mutter zu begehen. Da<br />

sie auf dem <strong>Cleversulzbach</strong>er Friedhof beerdigt<br />

ist, lag es nahe, diese Feierstunde<br />

an diesem Ort abzuhalten. Neben dem<br />

Ersten und Zweiten Vorsitzenden des<br />

Schwäbischen Schillervereins, Dr. Otto<br />

Güntter und Dr. Hieber, war auch der<br />

Marbacher Bürgermeister und Vorsitzende<br />

des Marbacher Schillervereins Wilhelm<br />

Kopf anwesend, und aus der Schillerfamilie<br />

Amalie Kießling-Krieger aus Möckmühl,<br />

Ururenkelin von Schillers Mutter.<br />

Insgesamt waren 30 Teilnehmer zusammengekommen.<br />

Viele Jahre später, 1988, kam der Vorstand<br />

des Marbacher Schillervereins erneut in<br />

die Mörike-Stube und begrüßte „liebe alte<br />

Freunde und Bekannte.“ Diesmal mit seinem<br />

Ersten Vorsitzenden, dem Marbacher<br />

Bürgermeister Heinz Georg Keppler.<br />

Bedeutende Besucher<br />

Prominente Besucher konnte die Mörike-<br />

Stube mit Albrecht Goes und seiner Frau<br />

Elisabeth am 11. Mai 1938 empfangen;<br />

mit dabei war der <strong>Cleversulzbach</strong>er Pfarrer<br />

Karl Fischer, auf dessen Einladung wahrscheinlich<br />

der Besuch stattgefunden hat.<br />

Im Oktober 1959 kam ein weitbekannter<br />

Besucher nach <strong>Cleversulzbach</strong>. Es war der<br />

– jetzt schon 84-jährige – Friedensnobelpreisträger<br />

Albert Schweitzer, Theologe,<br />

Orgelkünstler, Philosoph und Arzt, der den<br />

Eugen Salzer Verlag in Heilbronn besuchte,<br />

bei dem eine Anthologie seiner<br />

Werke erscheinen sollte. Danach fand er<br />

noch Zeit, Freunde in Brettach und mit<br />

denen <strong>Cleversulzbach</strong> zu besuchen. Dort<br />

spielte der „Urwalddoktor“ von Lambaréné<br />

auf der Kirchenorgel zu Ehren Mörikes<br />

zwei Fugen von Johann Sebastian Bach.<br />

Anschließend sucht er noch das Pfarrhaus<br />

auf; zu einem Besuch der Mörike-Stube<br />

hat es dann nicht mehr gereicht.<br />

Doch blieb diese „Wallfahrt nach <strong>Cleversulzbach</strong>“,<br />

wie er es gegenüber seinem<br />

405


406<br />

Schreiben von Albert Schweitzer „An die Organiste der Mörike-Kirche“<br />

Margarete Seebold, 1962<br />

Brettacher Freund Pfarrer Klein nannte,<br />

lange in seiner Erinnerung und bewegte<br />

ihn Ende 1962 dazu, mehrere Erinnerungsstücke<br />

nach <strong>Cleversulzbach</strong> zu schicken,<br />

und in einer Mitteilung „An die Organiste<br />

der Mörike Kirche“ schrieb er, dass<br />

es ihm leid tue, dass er das Mörike-Stüble<br />

nicht besucht habe, ihr aber dann ans<br />

Herz legte, gut über die Orgel zu wachen,<br />

denn sie müsse so erhalten bleiben, wie<br />

sie zu Mörikes Zeiten war. Margarete Seebold<br />

hat sicher diesen Wunsch so lange es<br />

ging bestens vertreten.<br />

Die Wirtstochter war bekannt dafür, dass<br />

sie zur Weihnachtszeit ausgezeichnete<br />

Springerle backen konnte. Sie verwendete<br />

dafür ein Model mit dem Mörike-Familienwappen.<br />

Vom Bundespräsidenten Theodor<br />

Heuss, dem sie zu Weihnachten so ein<br />

Mörike-Springerle zugeschickt hatte, ist<br />

überliefert, dass er in einem Dankesbrief<br />

gefragt habe, ob er es essen oder in die<br />

Vitrine stellen solle.<br />

Als jung Verlobte war’n wir da, wir kommen<br />

wieder als Ehepaar. Diesen Eintrag<br />

schrieb kein geringerer als der FDP-Politiker<br />

und spätere Außenminister Klaus Kin-<br />

kel mit seiner Verlobten Ursula Huber am<br />

1. Mai 1958.<br />

Besucht hat die Mörike-Stube auch ein<br />

gewisser Herr Pferdmenges, der damals Finanzberater<br />

und Freund Konrad Adenauers<br />

war. Auch Baden-Württembergs damaliger<br />

Finanzminister Dr. Hermann Müller<br />

kam vorbei und trug sich in das Gästebuch<br />

ein.<br />

Der Leiter der Arbeitsstelle für literarische<br />

Museen, Archive und Gedenkstätten in<br />

Baden-Württemberg in Marbach am Neckar,<br />

Prof. Dr. Thomas Scheuff elen, legte<br />

1988 Auf einer Exkursion in Dichters<br />

Lande, wie er schrieb, mit seiner Frau und<br />

drei weiteren Ehepaaren eine Rast in der<br />

Mörike-Stube ein. Nur wenige Jahre später,<br />

nach dem Tod von Margarete Seebold,<br />

setzte sich Prof. Scheuff elen für die Gründung<br />

des heutigen Mörike-Museums ein,<br />

als Aufbewahrungsstätte für den Nachlass<br />

aus der Mörike-Stube.<br />

Humor- und liebevolle Einträge<br />

Eine Besucherin aus Dresden schrieb: Leider<br />

bin ich nur aus Sachsen, wo nicht solche<br />

Dichter wachsen.


Gerhard Rost aus Bischofsstein (Ostpreußen)<br />

1935: Vom fernen Ostseestrand habe<br />

ich auf einem Fahrrad den Weg nach <strong>Cleversulzbach</strong><br />

gefunden.<br />

Zwei Besucher aus Austin, Texas machten<br />

einen der kürzesten Einträge: Love to you,<br />

Mörike.<br />

Nach der Änderung des Gasthausnamens<br />

von „Adler“ zu „Zum alten Turmhahn“<br />

schrieb der emigrierte Mörike-Forscher<br />

Siegbert Salomon Prawer, der in Oxford<br />

lehrte:<br />

Der Turmhahn hat wirklich den Adler<br />

verstoßen!<br />

So geht’s den übermütigen Großen.<br />

Wir lernen es endlich nach vielen Jahren:<br />

Am Ende siegen die Unscheinbaren.<br />

Und abschließend das Zitat eines Gästebucheintrags<br />

voller Erinnerung:<br />

12.10.63<br />

Endlich waren wir in <strong>Cleversulzbach</strong> an<br />

der Wirkungsstätte eines Großen unter<br />

den Großen. Sein ‘Gebet’: Herr, schicke<br />

was Du willt 1 ...<br />

war in der Kriegsgefangenschaft mein<br />

tägliches Gebet.<br />

Es inspirierte mich derart, dass ich es vertonte<br />

und von Peter Cahrs, Opernsänger<br />

aus Hamburg, vor sechshundert Gefangenen<br />

singen ließ. (Ich begleitete am Harmonium).<br />

Den mitleidenden und mithoffenden<br />

Kameraden standen am Ende die<br />

Tränen in den hohlen Augen.<br />

Es war ein Gottesdienst eigener Art.<br />

Mörike, der „verkannte Seelenhirte“ hatte<br />

uns näher zu Gott geführt als viele Predigten<br />

der Lagergeistlichen beider christlichen<br />

Konfessionen.<br />

Eugen Störkle, Enzberg<br />

Eugen Störkle (1907–1993) war langjähriger<br />

Gauchormeister im Enzgau und Schillergau<br />

sowie Dekanatsdirigent von Pforzheim.<br />

Er komponierte viele Chorstücke,<br />

darunter die oft aufgeführte „Schwäbische<br />

Bauern-Kantate“.<br />

Nachbetrachtung<br />

Beim Betrachten der Geschichte der<br />

Mörike-Stube stellt sich einem unweigerlich<br />

die Frage: Was hat den Reiz der<br />

Mörike-Stube in <strong>Cleversulzbach</strong> ausgemacht?<br />

Warum haben in rd. 80 Jahren<br />

immer wieder Menschen der verschiedensten<br />

Bildungsschichten, aus den unterschiedlichsten<br />

Gegenden Deutschlands<br />

und anderen Ländern diesen Ort aufgesucht?<br />

Was bewegte viele Besucher zu oft<br />

so schwärmerischen Gästebucheintragungen,<br />

wie Ein Lebenstraum ist in Erfüllung<br />

gegangen ...; Es war ein langgehegter<br />

Wunsch ...; Es zieht einen immer wieder<br />

nach Cleverslzbach ...; Wir kommen wieder!;<br />

Wir waren schon oft hier und es gefällt<br />

uns immer wieder; Wie konnten wir<br />

so lange warten, ehe uns der Weg nach<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> zu Mörike und zur Wirtin<br />

Frau Seebold führte ...<br />

Es muss off enbar eine Kombination verschiedener<br />

Momente gewesen sein, die<br />

diese Sehnsucht geweckt hat. Einmal das<br />

Werk Mörikes, seine romantischen Gedichte,<br />

seine gefühlvollen Novellen und<br />

Romane. Dann der Ort, voller Erinnerung<br />

an den Dichterpfarrer. Und schließlich die<br />

Erinnerungsstätte, und mit ihr ganz besonders<br />

die Wirtstochter Margarete Seebold,<br />

die mit ihrer Liebe und Begeisterung<br />

zu Mörike für diese Atmosphäre sorgte,<br />

die in unzähligen Einträgen von den Besuchern<br />

gelobt wurde. Das folgende Zitat<br />

möge diese Stimmung wiedergeben:<br />

Die Nachmittagssonne schien in die Vitrine<br />

mit den Andenken an Mörike. Vorher<br />

sind wir durch die Weinberge gelaufen –<br />

auch in der warmen Nachmittagssonne.<br />

Diese Stimmung, die samtene Luft – das<br />

ist die Sphäre und die Landschaft Mörikes!<br />

Gründung des Mörike-Museums<br />

Nach dem Tod von Margarete Seebold bemühten<br />

sich <strong>Cleversulzbach</strong>er Mörike-<br />

Freunde, die Sammlung zu erhalten und in<br />

407


408<br />

angemessener Form wieder auszustellen.<br />

Ihren gesamten Nachlass, einschließlich<br />

der Stücke aus der Mörike-Stube, hatte<br />

Margarete Seebold Alexander Burk aus<br />

Heilbronn, einem späten Freund des Hauses,<br />

vermacht. Er führte zu der Zeit ein<br />

Geschäft „Bäuerliches Barock“. Die Stadt<br />

Neuenstadt war bereit, die Mörike-Sammlung<br />

aufzukaufen. Die Teile wurden in das<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>er Rathaus gebracht und<br />

durch Dr. Nagel vom gleichnamigen Stuttgarter<br />

Auktionshaus mit einem Wert<br />

von 12.000 DM geschätzt. Die Sammlung<br />

wurde schließlich für 25.000 DM von der<br />

Volksbank Möckmühl-Neuenstadt für die<br />

Stadt Neuenstadt erworben.<br />

Über den Standort zur Ausstellung des<br />

Nachlasses gab es zunächst unterschiedliche<br />

Meinungen. Die Stadt Neuenstadt<br />

hätte sie gerne in der Mörike-Ecke ihres<br />

kürzlich eröff neten „Museum im Schafstall“<br />

untergebracht. Ortsvorsteher Werner<br />

Uhlmann, bestärkt durch Rektor i.R. und<br />

Mörike-Kenner Helmut Braun, war dafür,<br />

die Sammlung in <strong>Cleversulzbach</strong> zu behalten.<br />

Die Arbeitsstelle für literarische Museen,<br />

Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg<br />

beim Schiller-Nationalmuseum<br />

und Deutschen Literaturarchiv in<br />

Marbach am Neckar unterstützte den<br />

Standort <strong>Cleversulzbach</strong> und favorisierte<br />

das Pfarrhaus. Da dies aber aus organisatorischen<br />

Gründen ausschied, wurde auf Vorschlag<br />

des Ortsvorstehers die alte Schule<br />

ins Auge gefasst. Diese war zwar noch teilweise<br />

vom Antiquitätengeschäft von Shirley<br />

Lawes (Shirley’s Antiquitäten) belegt,<br />

doch der Mietvertrag mit der Stadt lief aus<br />

und wurde nicht mehr verlängert.<br />

Der hintere aus dem Jahre 1862 stammende<br />

Anbau der alten Schule, in der bis<br />

1974 noch unterrichtet worden war,<br />

wurde unter der Leitung des Stuttgarter<br />

Architekturbüros Benno Kos umfangreich<br />

restauriert. Konzipiert und eingerichtet<br />

wurde das Mörike-Museum von Thomas<br />

Scheuff elen und Albrecht Bergold von der<br />

oben genannten Arbeitsstelle, und gestaltet<br />

von Erich Hofmann, Konstanz. Die aus<br />

dem Nachlass von Margarete Seebold<br />

stammenden Dokumente wurden ergänzt<br />

durch Leihgaben und Faksimiles der Arbeitsstelle<br />

sowie des Landeskirchlichen Archivs<br />

Stuttgart, der Württembergischen<br />

Landesbibliothek Stuttgart, der Kirchengemeinde<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> und der Firma<br />

Birchall aus <strong>Cleversulzbach</strong>. Besonders engagiert<br />

hatten sich bei dem Projekt Werner<br />

Uhlmann, Ortsvorsteher von <strong>Cleversulzbach</strong>,<br />

der Bürgermeister von Neuenstadt<br />

Rolf Bernauer, Rektor i.R. Helmut<br />

Braun, <strong>Cleversulzbach</strong>, und Gottfried Reichert,<br />

Rektor des Progymnasiums Neuenstadt.<br />

Das Mörike-Museum wurde am 6. September<br />

1996 durch den damaligen Staatssekretär<br />

Dr. Christoph Palmer, Ministerium<br />

für Wissenschaft, Forschung und Kunst<br />

Baden-Württemberg, Stuttgart, im Beisein<br />

von vielen Gästen feierlich eröff net.<br />

Dr. Christoph Palmer bei seiner Erö nungsansprache


Der Museumshof war gefüllt mit vielen erwartungsvollen Gästen<br />

Im Mörike-Museum<br />

(Teilansicht)<br />

Die Betreuung des Museums übernahm<br />

der dafür gegründete Verein „Freundeskreis<br />

Mörike-Museum <strong>Cleversulzbach</strong> e. V.“<br />

(siehe dazu auch das Kapitel Vereine). Dessen<br />

Mitglieder sorgen ehrenamtlich dafür,<br />

Eingangsseite des Museums<br />

mit Wirtshausschild<br />

der früheren Gastwirtschaft<br />

„Zum alten Turmhahn“<br />

dass das Museum jeden Sonn- und Feiertag<br />

von 11.00 bis 16.30 Uhr für Besucher<br />

geöff net ist und halten auch Führungen<br />

ab für größere Gruppen, die sich inzwischen<br />

großer Beliebtheit erfreuen.<br />

409


410<br />

Rundgang durch die neuen Räume nach der<br />

Erö nung, (v.l.) Ortsvorsteher Werner Uhlmann,<br />

Staatsminister Dr. Christoph Palmer,<br />

MdL Dr. Bernhard Lasotta, Bürgermeister<br />

Norbert Heuser<br />

Nach dem Auszug des Antiquitätenhandels<br />

1999 aus dem vorderen Teil der alten<br />

Schule wurde entschieden, die Bausubstanz<br />

zu erhalten und es für eine Erweiterung<br />

des Mörike-Museums zu nutzen.<br />

Hierfür waren umfangreiche Sanierungsarbeiten<br />

des 200-jährigen Gebäudes erforderlich,<br />

die wieder vom Architekturbüro<br />

Benno Kos aus Stuttgart geplant<br />

worden sind.<br />

In den renovierten Räumen fanden Teile<br />

der bisherigen Ausstellung, so die Mörike-<br />

Stube von Margarete Seebold, eine neue<br />

Bleibe, und weitere Erinnerungsstücke an<br />

Eduard Mörike und seine Familie konnten<br />

jetzt in den neuen Vitrinen untergebracht<br />

werden. Die Konzeption und Einrichtung<br />

stammte wiederum von Thomas Scheuff elen<br />

und Albrecht Bergold von der Arbeitsstelle<br />

für literarische Museen in Marbach.<br />

In einigen Vitrinen wurde dem Freundeskreis<br />

Mörike-Museum <strong>Cleversulzbach</strong> e. V.<br />

Platz eingeräumt für die im Laufe der Zeit<br />

angesammelten Stücke einiger Mitglieder,<br />

die dem Museum als Leihgabe zur Verfügung<br />

gestellt wurden.<br />

Stele des Mörike-Museums, beleuchtet<br />

Nach zweijähriger Bauzeit konnte am 3.<br />

Juli im Mörikejahr 2004 (200. Geburtstag)<br />

die Erweiterung eingeweiht werden. Sie<br />

war eingebettet in das alljährliche Mörike-<br />

Fest und stand wieder, wie schon vor acht<br />

Jahren, unter der Schirmherrschaft von Dr.<br />

Christoph Palmer, nunmehr Staatsminister<br />

für Wissenschaft, Forschung und Kunst<br />

Baden-Württemberg, Stuttgart. Weitere<br />

Festredner waren Prof. Dr. Ulrich Ott, Leiter<br />

des Schiller-Nationalmuseums und<br />

Deutschen Literaturarchivs Marbach, sowie<br />

Albrecht Bergold von der Arbeitsstelle<br />

für literarische Museen in Marbach.<br />

Die neu gestaltete Fassade glich wieder<br />

dem ursprünglichen Zustand, denn das vor<br />

Jahren freigelegte Fachwerk war nicht als<br />

Sichtfachwerk vorgesehen und hatte deshalb<br />

auch an verschiedenen Stellen bereits<br />

Witterungsschäden. Statt eines Schrift-


Hinweisschild<br />

an der A 81<br />

zugs „Mörike-Museum“ an der Giebelfront,<br />

was nach Meinung des Leiters des<br />

Stadtbauamtes wie bei einer Gastwirtschaft<br />

ausgesehen hätte, wurde auf dem<br />

freien Platz vor dem Museum rechts von<br />

der Treppe eine ansprechende Stele aus<br />

Edelstahl errichtet, in der auf der Frontseite<br />

ein großer stilisierter Turmhahn und<br />

darunter der Name Mörike-Museum herausgeschnitten<br />

sind, die bei Dunkelheit<br />

von innen beleuchtet werden.<br />

Seit Dezember 2004 weist auch entlang<br />

der Autobahn A 81 vor den Ausfahrten<br />

Neuenstadt am Kocher eines der bekannten<br />

braunen kulturellen Hinweisschilder<br />

auf Mörike und <strong>Cleversulzbach</strong> hin. Die<br />

Initiative dafür ging vom Freundeskreises<br />

Mörike-Museum <strong>Cleversulzbach</strong> e.V. aus,<br />

aber es brauchte zwei Jahre intensiver<br />

1 „willt“ – Mörike hat in seinem so genannten „Gebet“ absichtlich<br />

statt „willst“ die Abänderung „willt“ gewählt, da<br />

sich diese Wortform auf „quillt“ reimen sollte:<br />

Überzeugungsarbeit bei Behörden und<br />

Politikern, bis die anfänglich ablehnende<br />

Haltung umgewandelt werden konnte.<br />

Weitere sechs Jahre hat es gebraucht, um<br />

zu erreichen, dass auch an den Wegweisschildern<br />

am Ende der Ausfahrten auf die<br />

Richtung zum Mörike-Museum in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

hingewiesen wird.<br />

Das Museum erfreut sich großer Beliebtheit.<br />

Die Besucher (rd. 2.000 pro Jahr)<br />

kommen, wie schon bei der Mörike-Stube<br />

von Margarete Seebold, nicht nur aus der<br />

näheren Umgebung, sondern oft von weit<br />

her, um sich die Ausstellung mit Erinnerungsstücken<br />

an den Dichterpfarrer Eduard<br />

Mörike anzusehen.<br />

Es ist für <strong>Cleversulzbach</strong> ein kulturelles<br />

Aushängeschild geworden.<br />

Herr! schicke was du willt, / Ein Liebes oder Leides! / Ich<br />

bin vergnügt, daß Beides / Aus deinen Händen quillt.<br />

411


412<br />

Der Mörike-Pfad<br />

Zeitgleich mit der Eröff nung des Mörike-<br />

Museums wurde 1996 von der Stadt Neuenstadt<br />

am Kocher mit Förderung der Arbeitsstelle<br />

für literarische Museen in Baden-Württemberg<br />

mit Sitz in Marbach am<br />

Neckar auch der Mörike-Pfad eingerichtet.<br />

Er wurde erarbeitet von Albrecht<br />

Bergold und Thomas Scheuff elen von der<br />

Arbeitsstelle unter Mithilfe von Werner<br />

Uhlmann und Helmut Braun, beides Mitglieder<br />

des Freundeskreises Mörike-Museum<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Der Mörike-Pfad ermöglicht eine Wanderung<br />

auf Mörikes Spuren in <strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Hierfür wurden einige markante<br />

Stellen ausgewählt, die durch Mörikes<br />

Briefe und Gedichte besondere Bekanntheit<br />

erhalten haben. Es sind zehn Stellen<br />

innerorts und fünf weitere außerhalb des<br />

Ortskerns. Sie sind durch Tafeln oder Stelen<br />

gekennzeichnet, auf denen hierzu passende<br />

Mörike-Zitate festgehalten sind.<br />

Stilisierter Turmhahn<br />

Für den Rundweg im Ort benötigt man ca.<br />

45 Minuten. Für die Erwanderung des<br />

kompletten Mörike-Pfades sollte man 2<br />

bis 3 Stunden einplanen. Vom Freundeskreis<br />

Mörike-Museum <strong>Cleversulzbach</strong> e.V.<br />

werden auch geführte Wanderungen angeboten,<br />

bei denen man weitere wissenswerte<br />

und auch humorvolle Einzelheiten<br />

Tafel mit Verlauf des Mörike-Pfades<br />

über Mörikes Leben in <strong>Cleversulzbach</strong> erfahren<br />

kann.<br />

Ein Muss auf dem Mörike-Pfad ist der Besuch<br />

der Grabstätte der Dichtermütter<br />

von Schiller und Mörike auf dem Dorffriedhof.<br />

Schillers Mutter lebte zuletzt bei ihrer<br />

Tochter Louise, die mit dem <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Pfarrer Gottlieb Franckh verheiratet<br />

war, und ist dort am 29. April 1802 gestorben.<br />

Ihr Grab, das Eduard Mörike kurz<br />

nach seinem Amtsantritt 1834 ziemlich<br />

verwahrlost fand, wurde durch sein Zutun


Auf einer geführten Wanderung<br />

Grabstätte der Dichtermütter von Schiller und Mörike<br />

wieder in einen etwas würdigeren Zustand<br />

versetzt. Etwas später beschaff te er ein<br />

steinernes Kreuz, in das er selbst die Inschrift<br />

„Schillers Mutter“ eingemeißelt<br />

hat. Nach dem Tod von Mörikes Mutter<br />

am 26. April 1841 hat er sie neben dem<br />

Grab von Schillers Mutter beerdigen lassen.<br />

413


414<br />

Die Grabstätte wurde 1859 dem Marbacher<br />

Schillerverein als Schenkung übergeben.<br />

Seit der Zeit wurde sie mehrmals restauriert<br />

und umgestaltet. Die letzte größere<br />

Umgestaltung fand 1989 statt. Und<br />

bei der Errichtung des Mörike-Pfades<br />

wurde 1996 neben der Grabstätte eine<br />

Stele aufgestellt, auf der ein Auszug aus<br />

Mörikes Brief an seinen Studienfreund<br />

Hermann Kurz enthalten ist, in dem er<br />

ihm berichtet, wie er das Grab von Schillers<br />

Mutter vorgefunden und wieder hergerichtet<br />

hat.<br />

Zwei Wanderpunkte existieren als Original<br />

nicht mehr, so das Haus der Metzgerfamilie<br />

Herrmann, von der einzelne Mitglieder für<br />

Mörike zeitweise Dienst taten (am ehemaligen<br />

Standort gegenüber des Rathauses<br />

weist eine Stele, Wanderpunkt 4, darauf<br />

hin) und die Salm'sche Schmiede (Wanderpunkt<br />

9) neben der alten Schule, in deren<br />

Alteisen Mörike den durch sein späteres<br />

Gedicht berühmt gewordenen alten Turmhahn<br />

fand. Nachdem die Schmiede aus<br />

wirtschaftlichen Gründen geschlossen worden<br />

war, wurde das Gebäude noch mehr-<br />

Die Salm'sche<br />

Schmiede (Foto<br />

um 1920)


Mörikes Zeichnung mit Blick vom „Eichenportal“<br />

Die Bemerkungen lauten:<br />

1.) Das Waldportal Genau nach der Natur gezeichnet<br />

2.) Straße nach Eberstadt auf der Höhe über der alten Gips-<br />

3.) Weg zur Kohlplatte grube zwischen den Weinbergen und<br />

4.) Zum grünen See der Waldecke, Montag, d. 3. Sept.<br />

Nachmittags ½ u. ¾ vor 4 Uhr.<br />

mals umgebaut, war aber zum Schluss<br />

nicht mehr bewohnt. Es wurde 2006<br />

schließlich abgerissen und an seiner Stelle<br />

das evangelische Gemeindehaus errichtet,<br />

das nach 1 ½-jähriger Bauzeit am 12. Oktober<br />

2008 eingeweiht werden konnte. Ein<br />

altes Foto zeigt den Schmied Salm mit seiner<br />

Familie vor der Schmiede.<br />

Diese Schmiede wurde auch von Paul Jauch<br />

in seinem 1956 erschienenen Buch „Am<br />

frisch geschnittenen Wanderstab“ skizziert,<br />

das mit 120 Zeichnungen einfühlsam Mörikes<br />

Lebensstationen beschreibt.<br />

Eine andere markante Stelle auf dem<br />

Mörike-Pfad ist der Wanderpunkt 3a „Ei-<br />

chenportal“, von dem man einen schönen<br />

Blick auf die gegenüber liegende Landschaft<br />

genießen kann. (Bei guter Sicht<br />

auch den Katzenbuckel, den mit 626 m<br />

höchsten Berg des Odenwaldes). Wenn<br />

man sich die (manchmal etwas laute) Autobahn<br />

wegdenkt, dann sieht man das<br />

Bild, das auch Eduard Mörike hier von dieser<br />

Stelle genossen und in seiner Zeichnung<br />

1838 festgehalten hat.<br />

Den gesamten Mörike-Pfad mit seinen 15<br />

Anlaufstellen zu beschreiben, würde den<br />

Rahmen dieser Abhandlung sprengen. Ein<br />

ausführlicher Führer ist als Faltblatt im<br />

Mörike-Museum erhältlich.<br />

415


416<br />

Persönliche Erinnerungen<br />

Der Neuanfang März 1946<br />

Aus den Erinnerungen von Erna Ültzhöfer<br />

aus <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Nach der Flucht aus Westpreußen im Januar<br />

1945 und ein Jahr Notunterkunft in<br />

Moisburg bei Hamburg, konnten wir durch<br />

Vermittlungen durch das Hilfskomitee und<br />

der Landeskirche nach Württemberg einreisen.<br />

Unser Vater Wilhelm Kaldun und mein<br />

Onkel mit Familie, insgesamt zehn Personen,<br />

haben sich für dieses Angebot entschieden.<br />

In der Osterwoche 1946 haben<br />

wir auf dem Bahnhof in Buxtehude unsere<br />

Pferde mit Wagen verladen. Meine Familie<br />

mit vier Personen und die anderen Personen<br />

sind dann auch mit dem Güterzug mitgefahren.<br />

An der Zonengrenze in Kassel hatten<br />

wir große Schwierigkeiten, von der<br />

englischen in die amerikanische Zone zu<br />

kommen. Unser Ziel war Heilbronn. Als wir<br />

dort angekommen sind, hat sich aber niemand<br />

uns angenommen. Es war nicht gut<br />

organisiert und so mussten wir dort auf<br />

dem Bahnhof drei Tage auf einem Abstellgleis<br />

verbringen. Die Stadt Heilbronn lag in<br />

Trümmern und der Bahnhof war notdürftig<br />

instand gesetzt. Das Postamt nebenan war<br />

unbeschädigt vom Bombenangriff (4. Dezember<br />

1944) geblieben. Gegenüber vom<br />

Bahnhof war schon ein Hotel (Royal) im<br />

Rohbau entstanden, die Fenster waren<br />

schon eingesetzt. Es wurden Leute zum<br />

Fensterputzen gesucht. Da meine Mutter<br />

sich gemeldet hatte, wurde sie sehr gut mit<br />

Lebensmitteln belohnt, so dass wir über die<br />

Tage kein Hunger leiden mussten. Wo aber<br />

das Wasser und Futter für die Pferde herkam,<br />

das weiß ich heute nicht mehr. Ich bin<br />

dann in der Zeit auf dem Bahnhof sehr<br />

krank geworden.<br />

Aus dem Gepäck, das wir bei uns hatten,<br />

wurde ein Krankenlager gemacht. Wir waren<br />

ja am Rande auf dem Bahnhof abgestellt,<br />

somit konnte man ein kleines Feuer<br />

machen und heißes Wasser für Tee zubereiten.<br />

Da ich ja auch sehr gefroren habe,<br />

hat man einen Ziegelstein heiß gemacht,<br />

der zum Wärmen diente.<br />

Nach drei Tagen kam ein Bescheid vom<br />

Hilfskomitee, dass die Gemeinde Gochsen<br />

uns aufnimmt. Wir machten uns auf den<br />

Weg und waren um die Mittagszeit in Gochsen.<br />

Wir haben uns dort auf dem Rathaus<br />

gemeldet. Dort lag aber keine Benachrichtigung<br />

vor, das uns Flüchtlinge<br />

aufnehmen soll, und so bekamen wir auch<br />

keine Unterkunft. Unsere Pferde hatten<br />

gleich einen Unterstellplatz. Unser Gepäck<br />

hat man zwischen Rathaus und Pfarrhaus<br />

abgestellt. Mein Gesundheitszustand war<br />

nach wie vor sehr schlecht. Meine Mutter<br />

hat wieder von dem Gepäck ein Krankenlager<br />

zurechtgemacht. Und so lag ich auf<br />

dem Gepäck am Straßenrand. Im Laufe<br />

des Nachmittags hat uns jemand ein heiße<br />

Suppe gebracht. Es war in der Osterwoche.<br />

Das Backhaus muss wohl in der Nähe<br />

gewesen sein. Die Frauen liefen den ganzen<br />

Nachmittag hin und her mit ihrem<br />

Gebäck. Es wurde bald Abend und wir<br />

hatten immer noch keine Unterkunft. Eine<br />

Frau Schramm gleich neben der Kirche hat<br />

sich erbarmt und hat uns vorübergehend<br />

über die Osterfeiertage – bis alles geregelt<br />

war – aufgenommen. So bekamen wir<br />

gleich nach Ostern vom Rathaus Bescheid,<br />

dass wir für <strong>Cleversulzbach</strong> zugeteilt waren.<br />

Wir haben dann wieder alles zusammengepackt<br />

und sind hingefahren. Von da


an hatte alles seine Richtigkeit. Wir waren<br />

für die Gemeinde <strong>Cleversulzbach</strong> bestimmt<br />

und bekamen auch gleich mit<br />

Pferd und Wagen eine Unterkunft.<br />

Eine ältere, alleinstehende Frau Hesser hat<br />

uns aufgenommen, obwohl schon drei<br />

Flüchtlinge aus dem Sudentenland in ihrem<br />

Haus waren. So hatte jede Familie ein<br />

Zimmer bekommen, Feldbetten und Bettzeug<br />

gab es vom Roten Kreuz, die Küche<br />

war gemeinsam. Inzwischen war es Frühling<br />

geworden. Ich habe beim Bürgermeister<br />

Lambert Herrmann eine Dienststelle<br />

bekommen. Dort verrichtete ich die Arbeit<br />

im Haus, Feld oder Weinberg. Hauptsache<br />

war, man war irgendwie versorgt. Der Monatslohn<br />

betrug 30 RM. Meine Schwester<br />

Alma, die sechs Jahre älter war, hatte<br />

schon einen Beruf, den der Schneiderin,<br />

gelernt. In der Nachkriegszeit hatte man<br />

nur die Möglichkeit, aus alten abgetragenen<br />

Kleider etwas Neues zu schneidern,<br />

oder man konnte sich Stoff eintauschen<br />

gegen Lebensmittel. So hatte meine<br />

Schwester vollauf zu schaff en. Von einem<br />

Arbeitslohn konnte keine Rede sein. Jeder<br />

brachte anstatt Lohn etwas an Lebensmitteln,<br />

das jeder so zur Verfügung hatte.<br />

Mein Vater war mit seinem Pferdegespann<br />

sehr gefragt. Es waren<br />

viele alleinstehende Frauen mit<br />

kleiner Landwirtschaft da, deren<br />

Männer noch in Gefangenschaft<br />

waren oder gar im Krieg gefallen<br />

sind. Die Frauen waren recht<br />

froh, dass die Äcker und Wiesen<br />

bearbeitet wurden. Es war Frühling,<br />

wir hatten wohl eine Wohnung,<br />

aber es fehlte an allem.<br />

Wir gingen zu jeder freien<br />

Stunde in den Wald. Mit der Erlaubnis<br />

vom Bürgermeister<br />

konnten wir uns so viel Brockel-<br />

holz und Tannenzapfen zum<br />

Feuermachen holen, wie wir<br />

brauchten. Als Streu für die<br />

Pferde haben wir trockene Blätter im<br />

Wald in große Säcke gefüllt, so dass immer<br />

ein Vorrat da war. Der Wald hat uns<br />

in der Not über das ganze Jahr hinweg<br />

geholfen. Der Wald war wie eine große<br />

Vorratskammer. Im Sommer gab es Pilze<br />

und Beeren und im Herbst waren reichlich<br />

Haselnüsse und Buchecker zu fi nden.<br />

Die komplette Familie ging über die<br />

Herbstzeit in den Wald, um die Buchele<br />

aufzulesen. Das Ergebnis war eine große<br />

Kanne Öl, denn in der Nähe von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

war eine Ölmühle. Für längere<br />

Zeit hatten wir doch Fett im Haus. Das Öl<br />

eignete sich zum Kochen und Braten. Die<br />

Buchecker rösteten wir mit Zucker wie gebrannte<br />

Mandeln, es war etwas ganz Besonderes.<br />

Aus getrockneten Apfelschalen<br />

wurde Tee zubereitet. Der Kaff ee wurde<br />

aus gerösteter Gerste und Roggenkörnern<br />

gemahlen und zubereitet. Im Sommer<br />

wurden auf abgeernteten Getreidefeldern<br />

die übrigen Ähren gesammelt, und wie<br />

stolz waren wir, von der Mühle ein Säckchen<br />

Mehl nach Hause zu tragen. Der<br />

erste Hefekranz, den wir von dem Mehl<br />

gebacken haben, wird für uns unvergesslich<br />

bleiben. Es war der beste aller Zeiten.<br />

Mein Vater konnte 1948 über die Landes-<br />

Familie Kaldun bei der Heuernte in den Märzenwiesen,<br />

Ende der 1940er Jahre, im Hintergrund der „Verrenberg“.<br />

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418<br />

siedlung einen kleinen Bauernhof erwerben<br />

(von Daniel Schuler) und so konnte<br />

man sich selbst versorgen.<br />

Im Stall waren eine Kuh und Schweine,<br />

auch Gefl ügel wie Hühner, Enten und<br />

Gänse wurden angeschaff t. Nebenbei hat<br />

unser Vater noch immer die fremden Äcker<br />

bearbeitet, so dass wir einigermaßen davon<br />

leben konnten. Die Zeit bleibt ja nicht<br />

stehen. Ein ganz anderes Leben hat sich<br />

entwickelt. Viele Männer, die im Krieg und<br />

in der Gefangenschaft waren, kamen Gott<br />

sei Dank zu ihren Familien zurück. Das<br />

Wirtschaftswunder hatte begonnen. In der<br />

Landwirtschaft wurde ein Trecker nach<br />

dem anderen angeschaff t. Das bedeutete<br />

für meinen Vater Arbeitslosigkeit und so<br />

musste er seine Pferde verkauften.<br />

An dem Tag, als die Pferde abgeholt wurden,<br />

ging Vater solange aus dem Haus. Er<br />

wollte sich den Abschied ersparen, denn<br />

an einem Pferd, es hieß Hans, daran hing<br />

er besonders. Als wir damals 1941 in<br />

Westpreußen angesiedelt wurden, fanden<br />

wir unter anderem ein kleines hilfl oses<br />

Fohlen vor, dessen Mutter kurz zuvor verunglückt<br />

war. Wir haben es mit der Flasche<br />

groß gezogen. Die ganze Familie<br />

wollte sich den Anblick ersparen, als der<br />

Lastwagen vorfuhr. Noch heute höre ich<br />

die Tritte der Pferde, als sie die Rampe<br />

zum Wagen raufl iefen. Der Pferdestall<br />

aber war nun leer. Als Ersatz haben zwei<br />

Ziegen den Platz eingenommen. So hatte<br />

unser Vater doch noch nach der Arbeit<br />

und am Wochenende was mit Tieren zu<br />

tun. Meine Mutter machte aus der Milch<br />

den leckersten Käse.<br />

Unser Vater hat bei der Stadt Neuenstadt<br />

Arbeit gefunden und hat dort bis zum<br />

Rentenalter gearbeitet. Die ersten Siedlungen<br />

für Flüchtlinge sind 1949 entstanden.<br />

Mein Onkel mit Familie hat in Willsbach<br />

gebaut. Das Grundstück, ein kleines<br />

Haus mit Garten, ein Stall für Gefl ügel<br />

und Hasen, auch ein Schweinestall waren<br />

mit eingeplant. Ich kann mich noch erinnern,<br />

mein Onkel war der Erste, der ein<br />

Ferkel aufgezogen und gefüttert hat. Die<br />

ganzen Anwohner der Straße haben sämtliche<br />

Abfälle, wie Kartoff elschalen, Äpfel<br />

und Sonstiges gebracht, so dass immer<br />

genügend Futter da war. Wie das<br />

Schlachtfest ausgefallen ist, daran kann<br />

ich mich leider nicht mehr erinnern – sicherlich<br />

schön. Nach langer Zeit mal wieder<br />

eigene echte bessarabische Bratwurst,<br />

Kotletten und Spezialitäten vieler Art zu<br />

genießen, war ein Glücksgefühl. So nach<br />

und nach konnte man sich das Allernötigste<br />

für den Haushalt anschaff en. Bei aller<br />

Bescheidenheit waren wir glücklich<br />

und zufrieden.<br />

Inzwischen kam auch mein Bruder Waldemar<br />

aus der französischen Gefangenschaft<br />

zurück. Nach langem Suchen hat er uns<br />

doch gefunden. Wir hatten schon lange<br />

Zeit keine Nachricht mehr von ihm und<br />

hatten schon mit dem Schlimmsten gerechnet,<br />

umso größer war unsere Freude<br />

über das Wiedersehen. Der Verlobte meiner<br />

Schwester kam auch unversehrt aus<br />

italienischer Gefangenschaft. Somit war<br />

unsere Familie wieder komplett. Für uns<br />

alle hat ein neues Leben begonnen, jeder<br />

ist einer Arbeit nachgegangen. Wir drei<br />

Geschwister blieben in <strong>Cleversulzbach</strong> und<br />

jeder von uns hat eine Familie gegründet.<br />

Unsere Eltern konnten sich noch an ihren<br />

Enkeln erfreuen und haben beide ein gesegnetes<br />

Alter erreicht.<br />

Rückblickend kann ich heute, im Alter von<br />

83 Jahren sagen, nach allen Kriegswirren,<br />

Not und Heimatlosigkeit, so wie ein<br />

schwerer Schicksalsschlag, haben wir doch<br />

noch eine friedliche schöne Zeit erlebt<br />

und ein Zuhause in <strong>Cleversulzbach</strong> gefunden<br />

– im Schwabenland, in der Urheimat<br />

unserer Vorfahren.<br />

Juli 2011<br />

Erna Ültzhöfer geb. Kaldun


Eine junge Lehrerin erinnert sich ...<br />

Aus dem Tagebuch von Frl. Freimann<br />

Fräulein Barbara Freimann meldete sich<br />

im Jahre 1961 bei ihrer ersten Dienststelle<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong>. Sie hat in einem Tagebuch<br />

ihre Gedanken, ihre Gefühle freudiger<br />

Erwartung, aber auch kleine Sorgen<br />

auf einfühlsame Weise niedergeschrieben<br />

und mit Zeichnungen versehen. Auf diese<br />

Weise entstand ein einmaliges Bild von<br />

einem Teilbereich des damaligen Dorfl ebens,<br />

und zwar aus der Sicht eines jungen<br />

Menschen, der sich fernab vom Elternhaus,<br />

nun zum ersten Mal im Berufsleben<br />

bewähren musste. Dass Fräulein Freimann<br />

diese Anforderung in besonderem<br />

Maße gemeistert hat, davon zeugen nicht<br />

nur die überaus positiven Erinnerungen<br />

ihrer ehemaligen Schüler, wie sie sich in<br />

Gesprächen mit dem Autor darstellten,<br />

sondern auch ein Fototagebuch, das ihr<br />

zwei Praktikantinnen verehrten, die sie im<br />

Februar und März 1963 in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

auszubilden hatte.<br />

Ich danke Frau B. Schlegel, geb. Freimann,<br />

aus Brettach für ihre Bereitschaft, uns<br />

alle an diesem Zeitdokument<br />

teilhaben zu lassen,<br />

das hier in Auszügen vorgelegt<br />

wird.<br />

Norbert Gessner<br />

Wenn ich einst in späten<br />

Tagen<br />

Dieses Büchlein nehm’ zur<br />

Hand,<br />

Soll’s erzählen und mir<br />

sagen –<br />

Wie’s mir ging im Lehrerstand.<br />

B. Freimann<br />

Es ist ein eigenartiges Gefühl,<br />

nun so erwachsen zu<br />

sein, daß man dazu berech-<br />

tigt ist, andere Menschen dahin zu führen,<br />

wo man selbst erst mit einem Bein steht.<br />

Wird man überhaupt für voll genommen?<br />

Hält man den kritischen Schülerblicken<br />

stand? – Nun, die Prüfung ist bestanden<br />

und der Rubel fängt an zu rollen.<br />

Ich bin apl – außerplanmäßige Hauptlehrerin<br />

und warte auf den Stellungsbefehl.<br />

Jetzt ist nicht die Frage „Komme ich<br />

durch?” sondern „Wohin?”<br />

Jeden Tag warte ich vergeblich auf Post –<br />

bis zum Herbst werde ich aber ganz sicher<br />

Nachricht bekommen.<br />

[Die Nachricht des Schulamts kommt eines<br />

Tages, und Familie Freimann aus Obrigheim<br />

sucht stundenlang nach einem<br />

Ort in Nord-Württemberg „<strong>Cleversulzbach</strong>”.<br />

Was man auf einer Autokarte<br />

schließlich fi ndet, ist wenig vielversprechend:<br />

abgelegen, keine Bahnstation, wenig<br />

Busverkehr! Weitere Recherchen<br />

bringen’s an den Tag. <strong>Cleversulzbach</strong> ist<br />

berühmt durch Mörikes Turmhahngedicht.]<br />

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420<br />

[Nach einer knappen Stunde ist Neuenstadt<br />

erreicht, und Fräulein Freimann fragt<br />

sich, vorbei an einer Kirchenruine, nach<br />

„<strong>Cleversulzbach</strong> unter den Linden” durch.<br />

Nach weiteren drei Kilometern wird das<br />

ersehnte Ortsschild sichtbar … ]<br />

Nun heißt es, den Weg zum Lehrer des<br />

Dorfschulhauses zu fi nden. Immer brennender<br />

werden die Fragen: Ist <strong>Cleversulzbach</strong>s<br />

Schule ein- oder zwei- oder mehrklassig?<br />

Wie und wer sind die anderen<br />

Lehrer? Kann ich hier eine Wohnung oder<br />

ein Zimmer bekommen?<br />

Das erste Wort, das ich nach der Fahrt<br />

hierher spreche, richte ich an einen Dorfjungen<br />

auf der Straße: „Wo geht es zum<br />

Schulhaus?” Antwort: „Ein paar Häuser<br />

weiter rechts bei der Kirche – aber eben<br />

ist keine Schule.” Im Weiterfahren kann<br />

ich gerade noch hören: „Das ist bestimmt<br />

unsere neue Lehrerin.” [Eine alte Frau<br />

weist schließlich den Weg zum Lehrerwohnhaus.]<br />

Der Weg zum Lehrerhaus, das etwas erhöht<br />

ganz am Ende des kleinen Dörfchens<br />

liegt, habe ich bald gefunden und nun<br />

stehe ich schon eine ganze Weile wartend<br />

vor der Tür und beobachte, ob sich nicht<br />

irgendwo ein Gesicht aus einem der Fenster<br />

blicken lässt. Man läßt mich ganz<br />

schön warten, wie sich das für einen Anfänger<br />

auch gehören mag. Doch nun öff -<br />

net sich laut ein Fenster über mir und eine<br />

Frau – ich erfahre bald, daß sie nur das<br />

Mädchen ist – steckt den neugierigen<br />

Kopf zu mir heraus. Bald danach wird mir<br />

geöff net und ich bin nun nicht vergeblich<br />

die knapp 40 Kilometer von Obrigheim<br />

herausgeradelt. „Lehrers sin geschtern erst<br />

spät heimkomme”, so erfahre ich von Marianne,<br />

dem Mädchen.<br />

Ich mache es mir nun bequem, schaue<br />

mich im Wohnzimmer der Lehrersleute um<br />

und bin erstaunt von den Zeichnungen<br />

und Gemälden, die die guten Leute sicher<br />

selber gefertigt haben.<br />

Eine Beschreibung der Bilder, um die Geschmacksrichtung<br />

zu zeigen:<br />

Ganz groß und fast gespensterhaft blickt<br />

eine Frauengestalt, die in einem roten<br />

Samtkleid leger am Flügel sitzt, auf mich<br />

herab. Das Gesicht ist nicht gerade anziehend<br />

– aber auch nicht hässlich. Es scheint<br />

eine Mischung aus Romantik und Kälte<br />

aus der vergangenen Zeit durch die Zusammenstellung<br />

der Farben auf das Bildnis<br />

gekommen zu sein. Auff allend sind die<br />

Hände mit den sehr langen Fingern und<br />

die Nase. Das Bild könnte alt wirken. Warum<br />

aber wählt man zu einem Bild aus der<br />

Jetztzeit – die Frau trägt auch eine Armbanduhr<br />

– diese staubigen roten Portieren<br />

als Hintergrund? Die Proportionen der<br />

Schönen sind nicht ganz geglückt. Zweifellos<br />

ist es ein gutes Stück für einen<br />

freien Lehrer.<br />

Ein anderes kleineres Bild wird jedem Mann<br />

zweifellos sofort ins Auge springen, denn<br />

es zeigt eine unbekleidete Schöne. Farben:<br />

Elfenbein mit Grau-grün. Doch mein Blick<br />

entdeckt auch an der dritten Wand ein<br />

Aktbild mit allerhand Akten. In der Mitte<br />

steht ein kraftstrotzender Jüngling als Wagenlenker<br />

auf einem Zweiradwagen und<br />

bändigt 4 verschiedenfarbige Rosse, die<br />

durch gigantische Gewitterwolken sprengen.<br />

Auch die Sonnenstrahlen bringen die<br />

anderen Regenbogenfarben ins Bild. Off enbar<br />

ist der Maler ein Liebhaber der Farben.<br />

Nun zu den vielen Akten. Frauen mit gutem<br />

Körperbau liegen herum und umjubeln<br />

den jugendlichen Helden. Auf Einzelheiten,<br />

wie auf Hände und Finger, wurde zugunsten<br />

des Ganzen verzichtet. Die Farbe wiegt<br />

vor. Das Bild hat irgend etwas mit den<br />

Kraft- und Symbolbildnern des 3. Reiches<br />

zu tun. Es gefällt mir aber trotzdem besser<br />

als die zwei zuvor beschriebenen Bilder. Sicher<br />

ist der Mann der Maler und die Frau<br />

das Modell. Musikalisch scheint die Frau<br />

auch wirklich zu sein, denn im Zimmer<br />

steht ein Cembalo.


In der Ecke hängt noch ein tolles romantisches<br />

Bild mit Klippen, die aus weißgischtigen,<br />

blauen Meereswogen herausragen.<br />

Nun höre ich Schritte im Treppenhaus.<br />

Männerschritte, der Lehrer betritt das<br />

Zimmer.<br />

Name: Braun – nicht mein Chef, sondern<br />

seine Frau wird meine Kollegin sein.<br />

Ist seine Frau jene Frau auf dem zuerst beschriebenen<br />

Gemälde? Als die Tür aufgeht,<br />

fi nde ich meine Frage mit ‘ja’ beantwortet.<br />

Allerdings wirkt die schlanke, mich um<br />

Haupteslänge überragende Frau viel hübscher<br />

mit ihren sicher blondierten Haaren<br />

als auf dem Bild. Die Nase ist auch nicht so<br />

krumm wie auf dem Bild. Also, es handelt<br />

sich nicht um eine dürerhafte Wiedergabe.<br />

Wir treten nun einen Gang durch das Dorf<br />

an, um<br />

a) die Schule zu besichtigen<br />

b) den Bürgermeister zu sprechen<br />

c) den Pfarrer zu besuchen<br />

d) ein Quartier für mich ausfi ndig zu<br />

machen.<br />

An historischer Stätte: Besuch beim<br />

Pfarrer von <strong>Cleversulzbach</strong> im Mörikegarten<br />

und im Mörike-Pfarrhaus<br />

Der Besuch beim Pfarrherrn von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

(Pfarrverweser Schmid) wird mir<br />

insofern im Gedächtnis bleiben, als<br />

ich zum erstenmal das Haus Mörikes<br />

betrete. Aber für heute soll es beim<br />

Nur-Anschauen des Hausfl ures und<br />

einiger Zimmertüren bleiben. Dafür<br />

gehen wir hinaus in den Pfarrgarten<br />

und schauen uns die alte Mörike-<br />

Buche an, die aber nicht mehr die<br />

laubenartigen Zweige hat, die ein<br />

gemütliches Gartenplätzchen einst<br />

überdacht haben, wie es auf dem<br />

Teil der Postkarte zu sehen ist. Überhaupt<br />

sind weder Lehrersfamilie<br />

noch der Herr Pfarrer sehr an das<br />

Historische dieser Stätte gebunden.<br />

Frei und off en – sogar mit einem<br />

teils erhabenen Lächeln wird von dem Romantiker<br />

nur knapp erzählt, wie er wohl in<br />

dem Pfarrgarten einhergeschritten ist und<br />

wie er an jener Stelle des Zaunes in seinem<br />

Garten verweilte, wo er an dem heute total<br />

verfallenen Törle Wundersames vernommen<br />

haben soll … davon weiß ich<br />

heute freilich noch nichts Genaues zu berichten.<br />

Im Pfarrgarten haben wir uns<br />

dann an jener Stelle zum Plaudern niedergelassen,<br />

wo auch einst der Dichter seine<br />

Gartenlaube stehen hatte. Der Pfarrer saß<br />

mir nun zum ersten Mal gegenüber und<br />

ich hatte Gelegenheit dazu, ihn zuweilen<br />

kritisch zu mustern:<br />

Ein kleinerer Mann als ich – schätzungsweise<br />

1,65 m, dünnes blondes Haar. […]<br />

Wie sein Wesen und seine Berufseinstellung<br />

ist, das kann ich noch nicht in Erfahrung<br />

bringen. Nur soviel ist mir aufgefallen:<br />

ein begeisterter Mensch in seinem<br />

Amt, ein Geistlicher mit Leib und Seele<br />

scheint er nicht unbedingt zu sein – dafür<br />

erfahre ich jetzt mehr von seinem Hobby,<br />

dem Fotografi eren.<br />

Es ist gut, nicht zu wissen, wie eine Stätte<br />

aussieht, wenn man sie verlassen hat. Die<br />

Erinnerung würde Mörike gewiß auch<br />

heute noch einen anderen Garten zeigen<br />

– einen nicht verwahrlosten!<br />

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Die Frau des Pfarrers mit ihren Kindern<br />

kann ich heute noch nicht begrüßen, da<br />

sie mit den Letzteren noch in Frankreich<br />

weilt. Ich erfahre, dass sie eine Französin<br />

ist, und später erzählen mir Brauns noch<br />

von dem nicht immer stillen und idyllischen<br />

Leben im Pfarrhaus.<br />

Das mag auch der Grund sein, weshalb<br />

man mir im Pfarrhaus kein Quartier geben<br />

kann. Damit habe ich auch gleich ein ganz<br />

bedeutendes Problem berührt: die Wohnungsfrage.<br />

Heute gelten die Besuche<br />

nicht allein der „Bekanntmachung“ der<br />

neuen Lehrerin, nein, sie haben einen viel<br />

realeren Zweck, eine Bleibe für die Arme<br />

zu fi nden.<br />

Überhaupt werde ich sehr bedauert, daß<br />

ich fast glaube, in der Vorhölle gelandet<br />

zu sein. „Auch das noch – die sind wohl<br />

nicht ganz gescheit – um Himmels willen<br />

– schicken die ein Mädle – hier soll doch<br />

endlich eimal ein Mann her!!“ Das waren<br />

die ersten Worte der Frau Braun nach unserer<br />

Begrüßung, die nun bei jedem erneuten<br />

Vorstellen, wenn auch mit etwas<br />

anderen Worten, an meine Ohren dringen.<br />

Nun, die Lehrersleute wollen mir behilfl ich<br />

sein, ein Unterkommen zu fi nden – es<br />

wird ja auch als Pfl icht angesehen. Der<br />

Bürgermeister – einen einfacheren Mann<br />

habe ich mir für dieses Amt nicht vorstellen<br />

können, zumal er nur einen rechten<br />

Arm hat und infolgedessen die Polizeigewalt<br />

nur mit der Kraft des Amtes ausüben<br />

kann – eben der Bürgermeister überlegt<br />

auch krampfhaft, wie er an eine Wohnung<br />

kommen soll. Das Pfarrhaus wird von allen<br />

erwähnt – als Möglichkeit aber bald wieder<br />

abgelehnt – aus Höfl ichkeit dem Pfarrer<br />

gegenüber. Das steigert natürlich<br />

meine Neugier auf Frau „Georgette“.<br />

Wir kehren nun den Rücken zum Bürgermeisteramt<br />

und wollen der Schule einen<br />

Besuch abstatten. Ich betrete den Klassenraum<br />

zum ersten Mal und fi nde ihn recht<br />

groß und hell durch die beiden Fensterrei-<br />

hen. Die Tische und Stühle sind fast neu,<br />

und so habe ich einen Klassenraum, in<br />

dem ich mich schon jetzt ganz zu Hause<br />

fühle. Wie mein Gefühl allerdings aussehen<br />

wird am ersten Tag, wenn ich hier vor<br />

einer vollbesetzten Klasse mit vier Schuljahren<br />

und insgesamt 37 Schülern stehe,<br />

das kann ich mir noch nicht ganz ausmalen!<br />

Auf jeden Fall ist das leere Klassenzimmer<br />

mir durchaus nicht unheimlich!<br />

Vom Schulhof aus betrachtet, sieht meine<br />

Klasse (obere Fensterreihe) so aus:<br />

Nachdem ich das ganze Schulhaus besichtigt<br />

habe, bin ich froh, wieder frische Luft<br />

atmen zu können. Tatsächlich ist mein<br />

Klassenzimmer noch der Raum des Schulhauses,<br />

in welchem man es am längsten<br />

aushalten kann. Von dem Kartenraum, in<br />

welchem der damalige Lehrer (von 1930<br />

etwa) noch sein Schlaf- oder Kinderschlafzimmer<br />

hatte, lässt sich ein Kleid<br />

machen aus den vielen Spinnwebenfäden.<br />

Die Enge des Raumes ist einfach erdrückend,<br />

und nun erkenne ich, wie wahr jenes<br />

Lied vom „armen Dorfschulmeisterlein“<br />

ist. Aber die Tür zu dem etwa 5 qm<br />

großen Raum kann ich nicht recht öff nen,<br />

da von einem halb-verschimmelten Torso<br />

Magen und Leber herausgefallen sind, die<br />

den Eintretenden an die Erdanziehungskraft<br />

erinnern, die alles zu Boden zieht.<br />

Dieser Raum ist erdrückender als ein Mu-


seum – aber eigentlich ist er ein Stück<br />

Museum der Lehrergeschichte!<br />

Zu Gast bei Lehrer Brauns – oder das<br />

erste Mahl in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Nachdem der erste Rundgang durch das<br />

Dorf beendet ist, gelangen wir wieder im<br />

Lehrerhaus an, wo das Mädchen Marianne<br />

inzwischen den Tisch gedeckt hat. Es gibt<br />

ein Brotmittagessen mit Tee. Während des<br />

Essens erfahre ich, daß unser Wasser im<br />

Dorf nicht gerade gut zum Verbrauch ist.<br />

Das Leitungswasser ist sehr kalkhaltig –<br />

etwa 46° Härte. Die Leute im Dorf ziehen<br />

es daher vor, nicht dieses Wasser zu nehmen,<br />

das eigentlich keimfrei ist, aber die<br />

gekochte Milch gerinnen lässt, sie holen<br />

ihren Wasservorrat am Dorfbrunnen, der<br />

aber Wasser aus einem Leitungsrohr ohne<br />

Hahn spendet, das schon unter dem halben<br />

Dorf hindurchgelaufen ist. Infolge<br />

dessen hat das Wasser viele Bestandteile,<br />

d.h. viel Würze aus den landwirtschaftlichen<br />

Stallungen bezogen. Das Wasser<br />

muß daher vor dem Verbrauch erst abgekocht<br />

werden. Mir hat das Essen trotz allem<br />

sehr gut geschmeckt und ich muß<br />

nun wieder an meine Heimreise denken,<br />

nachdem ich alle meine Geschäfte im Dorf<br />

erledigt habe. Ich fahre heim mit der Botschaft:<br />

Am 10. April ist mein erster Schultag in<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Die Wohnungsfrage soll inzwischen mit<br />

vereinten Lehrers- und Bürgermeisterkräften<br />

gelöst werden. Die erste Zeit fi nde ich,<br />

wenn kein Zimmer verfügbar ist, im Lehrerhaus<br />

ein Notquartier. Aus diesem Grund<br />

soll ich vorerst noch keinen Möbelwagen<br />

schicken.<br />

[Daheim wettert Papa Freimann: „Wenn<br />

du innerhalb 10 Tagen kein Zimmer bekommst<br />

in jenem Hinterweltsdorf, dann<br />

kommst du nicht dorthin; dafür werde ich<br />

sorgen!”]<br />

Mein zweiter Einzug war indessen für<br />

mich eine viel traurigere Angelegenheit,<br />

da ich mit dem Zug fahren mußte.<br />

In diesem Schwabenbähnle wurde es mir<br />

ganz übel bei dem Gedanken, eine ganze<br />

Welt zu verlassen und diese gegen eine Einsamkeit<br />

zu vertauschen. Bei jedem Pfeifen<br />

und Bimmeln des „Entenmörders” wurde<br />

mir trauriger zumute. Mit einem Auto wäre<br />

alles kein Problem und man hätte auch ein<br />

kleines, eigenes Dächlein über dem Kopfe,<br />

das doch in einer Einöde Weg und Zeit<br />

leicht zu überbrücken vermag.<br />

423


424<br />

In Neuenstadt stand ich da ohne Fahrrad<br />

(ich hatte es aufgegeben) und ohne Busanschluss.<br />

Zum Glück konnte ich mit dem<br />

Auto des Kraftfahrunternehmers Seebold<br />

mit nach <strong>Cleversulzbach</strong> fahren. So hatte<br />

ich mal wieder mehr Glück als Verstand<br />

gehabt.<br />

Ich komme im Lehrerhaus an und darf<br />

auch heute wieder warten. Ein Brief liegt<br />

auf dem Tisch, der mich trösten soll. Ich<br />

bin von Braun dazu eingeladen, es mir inzwischen<br />

bequem zu machen.<br />

Na, und dann kommen Brauns nach etwa<br />

drei Stunden an und wir machen noch ein<br />

paar Plauderstündchen miteinander, bis es<br />

Zeit wird, ins Bett zu gehen. Ich schlafe im<br />

Kinderzimmer der Tochter Myra und bekomme<br />

sogar noch ein Betthupferl – eine<br />

Tafel Tobler-Weinbrandkirschen – auf den<br />

Nachttisch gelegt. Diese erste Nacht habe<br />

ich noch gut schlafen können. Anders die<br />

zweite Nacht, diejenige zum Montag, weil<br />

da der erste Unterrichtstag bevorstand.<br />

Mein erster Unterrichtstag. Es wird<br />

ernst!<br />

Würdig schreiten wir am Montagmorgen<br />

des Jahres 1961, es ist der 10. April, so gegen<br />

10.00 Uhr die Front der <strong>Cleversulzbach</strong>er<br />

Schüler ab. Herr Braun übernimmt<br />

die dankbare Aufgabe, mich vorzustellen.<br />

Er nimmt auch noch die Umsetzung einiger<br />

Schüler vor. Dann fällt die Tür ins<br />

Schloss und ich stehe allein vor der Meute<br />

von 37 Kindern. Ein Wald von Köpfen<br />

scheint das zu sein. Aller Augen haben nur<br />

ein Objekt – MICH! Meiner ersten Worte<br />

kann ich mich nicht mehr entsinnen. Aber<br />

die ersten Stunden waren Erdkunde und<br />

Naturkunde. Noch ein paar Fragen werden<br />

gestellt, um mich stoffl ich zu orientieren –<br />

dann höre ich noch ein Getrampel auf der<br />

Treppe und die Schule ist für heute aus.<br />

Unten stehen die Kinder nochmals Spalier,<br />

um mich auch beim Treppensteigen genau<br />

aufs Korn nehmen zu können.<br />

Heute schmeckt mir das Mittagessen bei<br />

Braun gut und ich gehe am Nachmittag<br />

mit Tochter Myra auf den Friedhof, um<br />

das gemeinsame Grab von Schillers und<br />

Mörikes Mütter zu besuchen. […] Ein kleines<br />

Hinweisschild am Zaun, das von den<br />

Laubdächern großer Kastanien beschattet<br />

wird, soll auf die Ruhestätten hinweisen –<br />

doch wer achtet auf diese unscheinbaren<br />

Buchstabentäfelchen? So sind meine Gedanken<br />

beim Besuch der Gräber.<br />

Und nun fi ng die arbeitsreiche Zeit an.<br />

Und ich hatte auch nach 10 Tagen noch<br />

kein eigenes Zimmer. Ich kam mir vor wie<br />

gewollt und kaum geduldet. Die Zimmersuche<br />

wurde immer schwieriger – ich<br />

traute mich kaum nach Hause – wie würden<br />

wohl Papa und Mutti reagieren auf<br />

solch eine Botschaft?<br />

Aber alles kommt anders als man es denkt.<br />

Frau Braun läßt Myra im Gasthaus „Zum<br />

Alten Turmhahn” nach einem Zimmer für<br />

mich fragen, und zum erstemal sagt jemand<br />

‘ja’! Ich kann gleich am Samstag<br />

einziehen – nun sind meine Tage im Lehrerhaus<br />

gezählt. Und im Turmhahn gibt es<br />

Fernsehen – also bin ich auch mit der Außenwelt<br />

weiter in Verbindung.<br />

Mein Einzug im Gasthof „Zum Turmhahn“<br />

in <strong>Cleversulzbach</strong><br />

Ein wenig schüchtern war ich schon, als<br />

ich dieses Haus zum ersten Mal betrat:<br />

Wird man mich gut aufnehmen und hoffentlich<br />

ist es nicht zu laut usw. Doch ich<br />

kann diese Gedanken ruhig alle begraben.<br />

Mir gefällt mein Zimmer, das nun mein<br />

zweites eigenes ist nach dem Studienaufenthalt<br />

in Schwäbisch Gmünd. Das Zimmer<br />

ist einfach mit Blick gegen ein Bauernhaus<br />

und auf einen kleinen Hof mit<br />

Ställen und Komposthaufen. Unter mir ist<br />

die Küche.<br />

Am ersten Tag bewundere ich die Mörikestube<br />

und bringe in Erfahrung, daß die<br />

beiden Geschwister Seebold ganz ohne


Hilfe das Gasthaus bewirtschaften und<br />

auch noch die Mörike-Gedenkstube eingerichtet<br />

haben. Dies ist der einzige Ort,<br />

an dem man noch das Andenken an den<br />

großen Dichter pfl egt. Die Mörikestube ist<br />

noch nicht sehr lange in der jetzigen Form<br />

zu besichtigen. Im unteren Gastraum befi<br />

nden sich Bilder, Scherenschnitte und<br />

Handschriften des Dichters. In einem kleinen<br />

Schränkchen in dem Raum werden<br />

noch einige Gebrauchsgegenstände von<br />

Mörike aufbewahrt: eine Lichtputzschere,<br />

ein Federkiel, eine Vase und ein Stein zum<br />

Briefbeschweren. Von der Dichtertochter<br />

bewahren die Geschwister noch ein Geldtäschchen<br />

auf, in welchem sie sich eine<br />

kleine Sammlung von Münzen aus jener<br />

Zeit angelegt haben.<br />

Die Tochter, die lange Zeit nicht leben<br />

konnte, wie es ihr gebührte, hat viele<br />

Handarbeiten gefertigt. Seebolds, die die<br />

Tochter als Kinder gekannt haben, bewahren<br />

noch eine kleine handgearbeitete Decke<br />

von ihr in einem Schränkchen auf.<br />

Als ganz besonderes Utensil gilt ein kleines<br />

Rundbildchen, in dem eine Haarlocke<br />

des Dichters aufbewahrt wird. […]<br />

Schaut man sich im Mörikestübchen um,<br />

dann kann man am Kachelofen einige<br />

Zeichnungen Mörikes wiederentdecken.<br />

Unter anderem ist das Wappen zu sehen,<br />

dessen Muster heute auf den Springerles<br />

zu fi nden ist, die Seebolds noch nach altem<br />

Rezept anfertigen.<br />

In dem Raum ist es sehr gemütlich und<br />

man kann dort gut träumen, wenn man<br />

die Bilder anschaut.<br />

Auch ein Bild Ludwig Richters ist hier zu<br />

fi nden, das der Künstler Mörike gewidmet<br />

hat.<br />

Nun klemme ich mir einige Bücher unter<br />

den Arm, um in ein paar Minuten darin<br />

lesen zu können. Beim Verlassen des Gastzimmers<br />

fällt mir der Turmhahn aus Ton<br />

auf, der auf dem Kamin thront. Weshalb –<br />

nun, das erfahre ich im Turmhahngedicht.<br />

[Es folgt das berühmte Turmhahngedicht<br />

in voller Länge, in schöner Druckschrift<br />

und grafi sch besonders aufbereitet; aus<br />

Platzgründen hier allerdings nur ausschnittweise]<br />

425


426<br />

[Als der Turmhahn solchermaßen aus dem<br />

Schrott der Salm'schen Schmiede gerettet<br />

worden ist, nimmt er seinen Platz in des<br />

Pfarrers Haus ein und beobachtet nun das<br />

Treiben seines neuen Herrn und dessen<br />

Familie. Aus diesen Betrachtungen ergibt<br />

sich das idyllische Bild einer intakten, heilen<br />

Dorfgemeinschaft – <strong>Cleversulzbach</strong><br />

eben, zu des Dichters Zeiten]<br />

Schulalltag<br />

In der Schule ist nun mein ganzer Tag ausgefüllt.<br />

Morgens steht man oft unausgeschlafen<br />

vor der Klasse und ist ängstlich<br />

darauf bedacht, den Kindern auch noch<br />

etwas beizubringen, damit der Ruf, den<br />

man braucht, im Dorf nicht so schlimm ist.<br />

Überhaupt ist alles neugierig, wie ich mich<br />

entpuppe. Eines Tages höre ich, daß die<br />

Kinder stolz darauf sind, meine mir unbekannten<br />

Vorgängerinnen zum Weinen gebracht<br />

zu haben. Die Kinder scheinen nun<br />

darauf zu warten, daß ich irgendwann<br />

auch in Tränen aufgelöst vor ihnen stehe –<br />

ich will ihnen freilich den Gefallen nicht<br />

tun. Anfangs sind sie zu still – ja, noch<br />

etwa einen ganzen Monat hält diese Ebbe<br />

an, um dann eines Tages orkanartig loszu-<br />

brechen. Wie werde ich diesen Tag je vergessen<br />

können, an dem ich im off enen<br />

Kampf mit der Klasse stand. Es lag eigentlich,<br />

mir nicht zu erkennen, schon seit lan-


gem etwas in der Luft, was von den Eltern<br />

her und vielleicht auch daher kam, daß die<br />

Kinder in der Oberklasse eine starke Männerhand<br />

zu spüren gewohnt waren. Die<br />

Enttäuschung – wieder für kurze Zeit (oder<br />

länger?) eine Frau das Regiment führen zu<br />

sehen, hat die Buben um die Freude des<br />

Sports gebracht. Fußball war ja wichtiger<br />

als Unterricht. Wird nun der Geliebte zu<br />

kurz kommen?<br />

Weiter fanden die Kinder es unnötig, einem<br />

jungen Mädchen zu gehorchen, das<br />

in ihren Augen viel zu streng war. Mein<br />

erster Spitzname – geprägt von Erich<br />

Heiß, war: „die bissige Hündin.”<br />

Die Kinder beklagten sich weiterhin, daß<br />

sie zu viel tun müßten und zu wenig Singen<br />

hätten. „Beim Herrn Lehrer war das<br />

nicht so!” Bei meiner Vorgängerin, die ein<br />

halbes Jahr die Oberklasse geführt hatte,<br />

scheint dieser Ausspruch auch schon öfter<br />

gefallen zu sein.<br />

Aus der „Damenecke” kam immer wieder –<br />

gerade noch hörbar – das Gemurmel „Hier<br />

gehört halt einfach ein Mann her.”<br />

[Natürlich wußten die Schüler, daß nach<br />

<strong>Cleversulzbach</strong> kein Lehrer wollte; jeder<br />

‚Refl ektant’ auf die Stelle war nach der<br />

Besichtigung des Ortes ganz schnell gefl<br />

üchtet. Nach vielen Diskussionen haben<br />

sich die Lehrerin und ihre Schüler schließlich<br />

miteinander arrangiert] … obwohl es<br />

mich Kraft kostete und meine Stimme<br />

ziemlich erschöpft war. Die Kinder haben<br />

mich von dem Zeitpunkt an mehr und<br />

mehr für voll genommen und sogar anerkannt.<br />

Das war am besten zu erkennen<br />

auf Ausfl ügen und am Lagerfeuer. Das Lagerfeuer<br />

und noch eine Schnitzeljagd<br />

konnten endlich meine Stellung festigen.<br />

Die Mühe und das Opfer von zwei Abenden<br />

haben mehr zuwege gebracht als<br />

manche Moralpredigt, die ich ja auch gar<br />

nicht zu halten im Stande war.<br />

Zum Ausgleich gehe ich oft und gerne in<br />

den Weinberg. Dort ist es gut schaff en –<br />

ganz besonders, wenn das Wetter gut ist.<br />

Andernfalls kann man auf dem klebrigen<br />

Boden – daher der Name <strong>Cleversulzbach</strong> –<br />

rückwärts in die Tiefe abrutschen. Über<br />

den Weinbau habe ich so allerhand gelernt.<br />

Auch erinnere ich mich gern der<br />

Stunden, die ich mit den Schwestern beim<br />

Plaudern über die Menschen und deren<br />

Schwächen verbracht habe. Vor allen Dingen<br />

haben die Leute im Dorf – wie Lehrer,<br />

Bürgermeister und Pfarrer dran glauben<br />

müssen.<br />

Der Schulrat macht Visite<br />

Zum Glück war es gerade in der Klasse<br />

still, als der hohe Herr eintrat. Der erste<br />

Besuch war kurz wie die Schulvereidigung.<br />

Aber eine komische Vorliebe sollte mir an<br />

diesem Tage gleich auff allen: Gedichte<br />

müssen die Schüler so viele wie möglich<br />

auswendig aufsagen können. Ach, und<br />

wie wenige konnten da nur ein Gedicht<br />

aufsagen. Am größten war das Können<br />

von „Es war einmal ein Huhn”. Nun, auch<br />

das ging vorüber.<br />

Der Inspektionsbesuch nach den Sommerferien<br />

war dann ganz besonders klasse.<br />

[Dazu eine Vorgeschichte: Eines Morgens<br />

steht ein zunächst unbekannter, junger<br />

Mann in Fräulein Freimanns Unterrichtssaal.<br />

Es stellt sich heraus, dass er ihr Mieternachfolger<br />

aus Schwäbisch Gmünd ist,<br />

ebenfalls Lehrer. Off enbar ist er auf Arbeitssuche,<br />

und so ergibt es sich – Frau<br />

Braun ist gerade krank, und Fräulein Freimann<br />

muß 70 Schüler gleichzeitig unterrichten!<br />

– dass Herr Maier einen Teil der<br />

Großgruppe übernimmt. Um die Sache<br />

nicht auffl iegen zu lassen, muss Herr<br />

Maier ‚von dannen segeln’, als der Schulrat<br />

seine Inspektion ansagt]<br />

Es dauerte fast 2 Stunden. Ich wurde auf<br />

Leib und Seele geprüft und mußte meine<br />

Fähigkeiten zeigen – 8 Klassen mit meinen<br />

Geistesgaben versorgen. Aber ich habe<br />

mich nicht aus der Ruhe bringen lassen<br />

427


428<br />

und konnte den Schulrat in Sprachkunde,<br />

Geschichte, Gemeinschaftskunde und im<br />

Lesen zufrieden stellen. Eine Panne war es,<br />

daß meine Schüler nicht genug Gedichte<br />

hersagen konnten, was mir dann auch in<br />

der Beurteilung extra noch ans Herz gelegt<br />

wurde – nämlich diesen Teil des Unterrichts<br />

ernster zu nehmen.<br />

Nun, es war immerhin ein beruhigendes<br />

Gefühl, daß die Prüfung so zufriedenstellend<br />

für mich ausgegangen war.<br />

Das Lagerfeuer<br />

Da hatte ich mal in einer Plauderstunde<br />

mit meinen Schülern über Lagerfeuer gesprochen.<br />

Die Folge waren Zurufe und<br />

Betteleien, doch auch ein solches Feuer im<br />

Walde machen zu dürfen. Na ja, ich<br />

konnte nicht widerstehen und stimmte zu.<br />

Die Klasse war aber zu groß, zu groß waren<br />

vor allem die Altersunterschiede. Also:<br />

zwei Lagerfeuer!<br />

Das Vorrecht des ersten Feuers bekamen<br />

die 5. und 6. Klässler, die so eifrig Holz gesammelt<br />

haben, daß es ein prima Feuer<br />

für sie gegeben hätte, wenn nicht die 7.<br />

und 8. Klässler so frei gewesen wären, das<br />

Holz zu beschlagnahmen. Trotzdem ging<br />

die Sache ohne Streit aus, die Feuer<br />

brannten und alle waren zufrieden. Dann<br />

erwachte der Abenteuergeist. Die Kleinen<br />

hatten Stricke mitgebracht, um einander<br />

zu fesseln. Die Mädchen fl üchteten sich<br />

nach einigen Lassowürfen immer dichter<br />

in meine Nähe.<br />

Die ersten Zeugnisse, die ich selber<br />

schreiben durfte.<br />

Es war schon eine schwere Aufgabe, die<br />

Kinder gerecht zu beurteilen. Was sollte<br />

man die Kinder strafen, wenn sie nichts<br />

wußten, weil man selbst sich unklar ausgedrückt<br />

hatte? In einigen Fächern habe<br />

ich ein System angewendet, das ich<br />

früher bei Lehrern, die mein Zeugnis ausstellten,<br />

vermutet hatte: Die Zensur des<br />

Vorgängers wird nach kurzem oder langem<br />

Zögern einfach übernommen!<br />

Ob die Kinder es bemerkten, das wurde<br />

mir bald klar, als sie die Zeugnisse in den<br />

Händen hatten. Widerstreben war nicht<br />

berade zu bemerken – aber die Enttäuschung<br />

fi ndet bei einigen Schülern immer<br />

einen Unterschlupf!<br />

Sobald ich die Zeugnisse mit den Unterschriften<br />

wieder im Regal verstaut hatte,<br />

war die Unsicherheit eher dem Stolz gewichen<br />

– endlich auch schicksalsbestimmend<br />

zu wirken – sofern ein Herbstzeugnis<br />

in das Leben eines Menschen so tief<br />

eingreifen kann.<br />

Ich war am meisten stolz auf ganze 37<br />

Unterschriften, die ich fertiggebracht<br />

hatte, ohne mich auch nur einmal zu verschreiben.<br />

Nach den Ferien begann die herbstliche<br />

Feldarbeit und die Obsternte. Die Weinlese,<br />

„Herbsten” genannt, habe ich auch<br />

mitgemacht. Etwas enttäuscht war ich insofern,<br />

als das Ganze zu wenig gemütlich<br />

und festlich war. Es hatte eher den Charakter<br />

einer Hamsterernte. Es wurde verglichen<br />

und getratscht, statt gesungen.<br />

Die Radtour<br />

Noch im Oktober hatte ich mit den Kindern<br />

der Oberklasse eine Radtour nach<br />

Schwäbisch Hall angesetzt, die vom Schulrat<br />

sicher niemals genehmigt worden<br />

wäre.<br />

[Die Entfernung wurde durch den Umstand<br />

sehr vergrößert, daß man von <strong>Cleversulzbach</strong><br />

zunächst nach Bad Wimpfen<br />

fahren musste, um dort die bestellten Jugendherbergs-Ausweise<br />

abzuholen!]<br />

Es war ein herrlicher Spätherbsttag, und<br />

die Gruppe – darunter Frieder Hübener,<br />

Werner Schlegel und die Mädchen der 8.<br />

Klasse: Anita Schreck und Doris Stephan,<br />

sowie die zwei Siebklässlerinnen Ruth<br />

Bräuninger und Edelgard Bordt – machte<br />

zum ersten Mal in den Löwensteiner Ber-


gen Rast. Danach bekamen es dann alle<br />

recht mit der Angst zu tun, denn wir wurden<br />

Zeugen eines Unfalls. Ein Knabe von<br />

11 Jahren war wohl aus einer Nebenstraße<br />

in ein Auto gelaufen und lag nun in eine<br />

Wolldecke verpackt neben der weinenden<br />

Mutter. Mir wurde da klar, was ich für eine<br />

Verantwortung auf mich geladen hatte.<br />

Das Quartier war leer – die Jugendherberge<br />

wurde nur von uns bewohnt. So<br />

hatten wir es uns bald bequem gemacht,<br />

und wir fanden es hier in Hall so prima,<br />

daß wir nicht mehr weiter nach Rothenburg<br />

wollten – wie ursprünglich eigentlich<br />

geplant. Dann passierte etwas Ärgerliches:<br />

Edelgard Bordt bekam am 2. Tag so starke<br />

Schmerzen, daß ich es für besser hielt, die<br />

Das Schulhaus vom Hof aus gesehen, 1962<br />

Mutter anzurufen. Ich bekam wieder Angst<br />

– aber alles verlief noch zu meinen Gunsten,<br />

denn Edelgards Mutter kam und holte<br />

die Tochter ab: Diese war zuvor schon<br />

krank gewesen und hatte ihre Mutter und<br />

mich angeschwindelt, daß es ihr gut gehe.<br />

Da hab ich noch mal Glück gehabt, daß ihr<br />

Gesundheitszustand nicht Folge der Anstrengung<br />

während der Fahrt war.<br />

So haben wir die Rückfahrt ohne Edelgard<br />

antreten müssen.<br />

Die Aufzeichnungen von Fräulein Freimann<br />

über ihre Schulzeit enden mit einigen<br />

Bildern aus dem Fotobuch ihrer Praktikantinnen<br />

Monika Gebhardt und Ingrid<br />

König.<br />

429


430<br />

„Und die Jungen kamen doch zu ihrem<br />

geliebten Fußballspiel!“<br />

(Im Hintergrund das freistehende Lehrerwohnhaus<br />

am Ortsausgang Brettacher<br />

Straße)<br />

Fräulein Freimann vor ihrer Klasse<br />

Ein Theaterstück<br />

wird geprobt


Das Gasthaus „Zum Turmhahn“<br />

Die Vermieterin Margarete Seebold<br />

Traubenlese anno 1962 (im Bild rechts Frl. Freimann neben Margarete Seebold)<br />

431


432<br />

Bildnachweis<br />

Die Mehrzahl der Fotografi en, größtenteils<br />

bisher unveröff entlicht, stammt aus privaten<br />

Sammlungen, besonders von Einwohnern<br />

aus <strong>Cleversulzbach</strong>, aber auch von<br />

Privatpersonen aus Brettach, Neuenstadt<br />

und Ravensburg, die in besonderer Weise<br />

mit <strong>Cleversulzbach</strong> verbunden sind. Sie<br />

alle haben auf diese Weise zum Gelingen<br />

des Projektes „Heimatbuch“ beigetragen.<br />

Fotografi en, historische Postkarten oder<br />

Grafi ken wurden uns auch von ortsansässigen<br />

Firmen zur Verfügung gestellt, von<br />

Wolfgang Domesle (Flein), aus seiner Postkartensammlung,<br />

von Vereinen, von der<br />

Stadtverwaltung Neuenstadt am Kocher,<br />

vom Landratsamt Heilbronn/Vermessungsamt,<br />

vom Kreisarchiv Heilbronn sowie vom<br />

Landesarchiv Baden-Württemberg/Hauptstaatsarchiv<br />

Stuttgart. Ihnen allen gilt unser<br />

aufrichtiger Dank. Ebenso durften wir<br />

mit freundlicher Genehmigung Abbildungen<br />

und Fotografi en aus der Festschrift<br />

zum 75-jährigen Bestehen des Motor-<br />

sportclubs Heilbronn (MCH) 1978 von<br />

Frank Mentel, aus der Festschrift zum<br />

150-jährigen Bestehen der Feuerwehr<br />

Neuenstadt 2011, und aus „Am Brunnen<br />

vor dem Tore“, der geschichtlichen und<br />

heimatkundlichen Beilage zum Amtsblatt<br />

der Stadt Neuenstadt und ihrer Teilorte,<br />

entnehmen. Zahlreiche Abbildungen<br />

stammen aus dem Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong><br />

sowie auch aus dem Mörike-Museum<br />

<strong>Cleversulzbach</strong>.<br />

Über die Herkunft aller Abbildungen kann<br />

gerne beim Ortsarchiv <strong>Cleversulzbach</strong>, bei<br />

den beteiligten Autoren oder bei der<br />

Stadtverwaltung Neuenstadt am Kocher<br />

nachgefragt werden.<br />

Nicht zuletzt die Autoren selbst trugen<br />

vielfach mit eigenen Aufnahmen zur Bebilderung<br />

bei.<br />

Den Buchumschlag gestalteten Michael<br />

Koszt aus Neuenstadt am Kocher und Elke<br />

Pfeifer von formx-design in Schwäbisch<br />

Hall.

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