Lorentz - Dr. Hübners Kabinett
Lorentz - Dr. Hübners Kabinett
Lorentz - Dr. Hübners Kabinett
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Lorentz</strong>transformationen<br />
Untersuchung einiger Eigenschaften<br />
von<br />
<strong>Dr</strong>. Ralph Hübner<br />
Wesel, Oktober 2010 (Rev. September 2012)
Einleitung<br />
In dieser Abhandlung betrachten wir einige Eigenschaften von <strong>Lorentz</strong>transformationen,<br />
die meines Erachtens dem Verständnis dienlich sind und die ich an einer zentralen<br />
Stelle zusammenfassen möchte. Auf diese Weise wird unnötige Arbeit vermieden falls<br />
diese Resultate erneut benötigt werden, und ich kann sie darüberhinaus auch anderen<br />
zur Verfügung stellen. Es handelt sich nicht um eine Diskussion der physikalischen Aussage<br />
der <strong>Lorentz</strong>transformation, es geht allein um ihre algebraische Struktur und die<br />
Einbettung in einen geeigneten mathematischen Rahmen. Die sich daraus ergebenden<br />
Anforderungen sind moderat; wenn wir beispielsweise die Spinordarstellung des Weltvektors<br />
und dessen Transformation benötigen, stellen wir die Darstellungstheorie der<br />
<strong>Lorentz</strong>transformationen in einem kurzen Abriß vor. Dieser Text baut gewissermaßen<br />
auf der Abhandlung [3] über Rotationen auf, aus welcher auch die Art des mathematischen<br />
Vorgehens übernommen wurde.<br />
Der physikalische Hintergrund der Speziellen Relativitätstheorie wird als bekannt vorausgesetzt<br />
und und nicht weiter diskutiert; stattdessen liegt der Schwerpunkt auf der<br />
formalen Analyse. Ich denke, der Schlüssel für ein tiefergehendes Verständnis jedes<br />
physikalischen Phänomens liegt in der geschickten Wahl der mathematischen Begriffe,<br />
die zur Formulierung herangezogen werden. So lassen sich beispielsweise Rotationen<br />
im Raum 3 durch Quaternionen übersichtlicher beschreiben als durch die Fundamentaldarstellung<br />
der Gruppe SO(3), also den Rotationsmatrizen allein [7]. Ein weiteres<br />
praktisches Hilfsmittel ist die Theorie der Lie–Gruppen, welche neben der Einbettung<br />
kontinuierlich parametrisierbarer Symmetrieoperationen in einen Standardformalismus<br />
auch konkrete Resultate wie z.B. die Rodrigues–Rotationsformel generiert [3].<br />
Zunächst werden wir die für die nachfolgenden Themen wichtigen Eigenschaften der<br />
<strong>Lorentz</strong>transformation auflisten. Anschließend bilden die einzelnen Kapitel mehr oder<br />
weniger abgeschlossene Einheiten mit nur lockerem Zusammenhang – ein Inhaltsverzeichnis<br />
für das bequeme Heraussuchen der Themen ist daher unumgänglich. Sollte<br />
nichts interessantes zu finden sein, hilft es zumindest, den Zeitverlust durch unnötiges<br />
Lesen gering zu halten :-).<br />
i
Inhaltsverzeichnis<br />
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i<br />
1 Grundlagen der <strong>Lorentz</strong>transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />
1.1 Isometrieforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />
1.2 Polarzerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />
2 Herleitung der Speziellen <strong>Lorentz</strong>transformation . . . . . . . . . . . 4<br />
2.1 Lösung des Gleichungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />
2.2 Der Galilei– Grenzfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />
2.3 Einführung der Rapidität χ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />
3 Geschwindigkeit einer <strong>Lorentz</strong>transformation . . . . . . . . . . . . . 7<br />
4 Der allgemeine <strong>Lorentz</strong>–Boost . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
4.1 Die Paulischen Spinmatrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
4.2 <strong>Lorentz</strong>spinoren und Transformation des Weltvektors . . . . . . . . . . 11<br />
4.3 <strong>Lorentz</strong>–Boosts als Darstellung der Gruppe SL(2,C) . . . . . . . . . . . 15<br />
4.4 Additionstheorem für parallele Geschwindigkeiten . . . . . . . . . . . . 17<br />
4.5 <strong>Lorentz</strong>–Boosts als Elemente der Gruppe SO(1,3) . . . . . . . . . . . . 18<br />
4.6 <strong>Lorentz</strong>–Boosts und die Lie–Algebra so(1, 3) . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />
5 Die Thomas–Wigner Rotation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />
5.1 Gemeinsame Darstellung von Boosts und Rotationen . . . . . . . . . . 30<br />
iii
5.2 Polarzerlegung des Produktes zweier Boosts . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />
5.3 Plausibilität des Gleichungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />
5.4 Lösung des Gleichungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36<br />
5.5 Additionstheorem für nichtparallele Geschwindigkeiten . . . . . . . . . 41<br />
5.6 Diskussion des Rotationswinkels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46<br />
iv
1 Grundlagen der <strong>Lorentz</strong>transformation<br />
In diesem Kapitel stellen wir aus der Literatur zur Speziellen Relativitätstheorie einige<br />
Eigenschaften der <strong>Lorentz</strong>transformation zusammen, auf die wir im Verlauf des Textes<br />
zurückgreifen werden. Als Alternative zur Standardliteratur [5], [7] beziehen wir<br />
uns auch auf ein Vorlesungsskript zur Quantenfeldtheorie [8], welches zu Beginn die<br />
algebraischen Eigenschaften der <strong>Lorentz</strong>transformation in komprimierter Form zusammenfaßt<br />
und das an der RWTH Aachen zum Download angeboten wird:<br />
http://www.physik.rwth-aachen.de/fileadmin/<br />
user upload/www physik/Bibliothek/Skripte/Roepstorff/qft-2000.pdf<br />
1.1 Isometrieforderung<br />
In der Speziellen Relativitätstheorie erhält das Raum– Zeit– Kontinuum seine besondere<br />
Struktur durch die Minkowskimetrik<br />
⎛<br />
⎞<br />
1 0 0 0<br />
⎜<br />
gµν = ⎜0<br />
−1 0 0 ⎟<br />
⎝0<br />
0 −1 0⎠<br />
. (1.1)<br />
0 0 0 −1<br />
Diese Wahl {+ − − −} der Signatur wird als West Coast Metric“ bezeichnet, denn<br />
”<br />
sie entspricht den Konventionen der Teilchenphysik– Institute an der Westküste der<br />
USA. <strong>Lorentz</strong>transformationen sind lineare homogene Transformationen Λ ν<br />
µ , welche<br />
die Form der Minkowskimetrik unverändert lassen:<br />
gµ ′ α<br />
ν ′ = Λµ ′ Λ β<br />
ν ′ gαβ := gµν ⇒ Λ g Λ T = g. (1.2)<br />
Diese Isometrieeigenschaft der <strong>Lorentz</strong>transformation haben wir in (1.2) sowohl in<br />
Komponenten– als auch in Matrixform hingeschrieben. Aus letzterer läßt sich eine<br />
Aussage über die Determinante von Λ ableiten:<br />
det[Λ] · det[g] · det[Λ] = det[g] ⇒ det[Λ] = ±1. (1.3)<br />
Transformationen des Typs (1.2) werden je nach Signatur {p, q} der Metrik in der<br />
” Orthogonalen Gruppe“ O(p,q) bzw. der Speziellen orthogonalen Gruppe“ SO(p,q)<br />
”<br />
zusammengefaßt, je nachdem, ob man sämtliche isometrischen Transformationen zuläßt<br />
oder sich auf Transformationen mit der Determinante 1 beschränkt [1]. Die Bezeichnung<br />
” orthogonal“ ist irreführend, denn im Allgemeinen sind diese Transformationen keine<br />
orthogonalen Matrizen. Nur wenn es sich mit q = 0 oder p = 0 um die Standardmetrik<br />
handelt sind die Transformationsmatrizen tatsächlich orthogonal:<br />
ΛΛ T = 1. (1.4)<br />
1
In diesem speziellen Fall werden die Matrixgruppen vereinfacht als O(n) bzw. SO(n)<br />
bezeichnet, n = p + q ist die Dimension des betrachteten Raumes.<br />
Die orthogonale Gruppe der Minkowskimetrik (1.1) heißt ” <strong>Lorentz</strong>gruppe“, wobei wir<br />
uns auf Transformationen mit det[Λ] = 1 beschränken werden. Die Mitglieder dieser<br />
Untergruppe der <strong>Lorentz</strong>transformationen ändern weder die Richtung der Zeitachse<br />
noch die Orientierung der räumlichen Achsen und bilden die ” Eigentliche orthochrone<br />
<strong>Lorentz</strong>gruppe“ SO(1,3) [8].<br />
1.2 Polarzerlegung<br />
Komplexe Zahlen z = x+iy sind in der komplexen Zahlenebene durch Polarkoordinaten<br />
darstellbar<br />
z = e iϕ r, (1.5)<br />
wobei die positive Zahl r für den Abstand des Punktes z zum Ursprung der komplexen<br />
Zahlenebene steht und ϕ den Winkel zur rellen Achse beschreibt. Die Zahl e iϕ<br />
ist ein unimodularer Phasenfaktor, und wir können die Eigenschaften von r und e iϕ<br />
folgendermaßen zusammenfassen:<br />
e iϕ (e iϕ ) ∗ = 1 (unimodular) (1.6)<br />
r ≥ 0 (positiv). (1.7)<br />
Dieses Konzept der Polardarstellung kann einem Satz der Matrixalgebra zufolge auf<br />
invertierbare komplexe Matrizen übertragen werden. Dieses Verfahren nenn sich ” Polarzerlegung<br />
einer Matrix“ und besagt, daß jede komplexe Matrix A eindeutig als das<br />
Produkt einer unitären Matrix U und einer hermiteschen positiven Matrix H bzw. H ′<br />
geschrieben werden kann [8]:<br />
A = UH oder A = H ′ U. (1.8)<br />
Unitarität und Hermitezität drücken sich folgendermaßen aus:<br />
UU † = 1 (unitär) (1.9)<br />
H † = H bzw. H ′ † = H ′<br />
(hermitesch). (1.10)<br />
Das Symbol † faßt die komplexe Konjugation (∗) und die Transposition (T ) zu einer<br />
einzigen Operation zusammen. Der Ausdruck ” positive hermitesche Matrix“ besagt,<br />
daß die rellen Eigenwerte von H bzw. H ′ nicht negativ sind. Bei dieser Zerlegung kann<br />
die unitäre Matrix U links oder rechts stehen, wobei die so generierten hermiteschen<br />
Matrizen sich folgendermaßen ineinander umrechnen lassen:<br />
H ′ = UHU † . (1.11)<br />
2
Beschränken wir die Polarzerlegung auf relle Matrizen, wird die unitäre Matrix U zur<br />
orthogonalen Matrix R, und die positiven hermiteschen Matrizen H bzw. H ′ werden<br />
zu positiven symmetrischen Matrizen P bzw. P ′ :<br />
A = RP oder A = P ′ R. (1.12)<br />
Orthogonale bzw. symmetrische Matrizen erfüllen die folgenden Bedingungen:<br />
RR T = 1 (orthogonal) (1.13)<br />
P T = P bzw. P ′ T = P ′<br />
(symmetrisch). (1.14)<br />
In diesem Fall bedeutet der Ausdruck ” positiv“, daß die rellen Eigenwerte der symmetrischen<br />
Matrizen P bzw. P ′ nicht negativ sind. Aufgrund der Links– bzw. Rechtsstellung<br />
von R sind beide Matrizen verschieden und lassen sich folgendermaßen ineinander<br />
umrechnen:<br />
P ′ = RP R T . (1.15)<br />
Wir wenden nun die Polarzerlegung auf reelle <strong>Lorentz</strong>transformationen an und erhalten<br />
analog zu (1.12):<br />
Λ = RΛ B. (1.16)<br />
Die Matrix R beschreibt eine <strong>Dr</strong>ehung des Koordinatensystems, während Λ B die Bezeichnung<br />
für eine ” reine“ <strong>Lorentz</strong>transformation ist, welche ein Inertialsystem in ein<br />
anderes ohne zusätzliche <strong>Dr</strong>ehung überführt. Der Vektor der relativen Geschwindigkeit<br />
beider Inertialsysteme ist hierbei beliebig im Raum orientiert. Eine reine <strong>Lorentz</strong>transformation<br />
wird auch ” Boost“ genannt. Beide Anteile R und Λ B sind selbst <strong>Lorentz</strong>transformationen<br />
mit den Eigenschaften<br />
RR T = 1 (<strong>Dr</strong>ehung, orthogonal) (1.17)<br />
Λ T<br />
B = Λ B (Boost, symmetrisch). (1.18)<br />
Als <strong>Lorentz</strong>transformation muß die <strong>Dr</strong>ehmatrix R die Isometrieforderung (1.2) erfüllen,<br />
weswegen sie kein beliebiges Element der Gruppe SO(4) sein kann sondern zur Untergruppe<br />
SO(3) gehören muß. Die Gleichung (1.2) beschränkt nämlich die Operation der<br />
<strong>Dr</strong>ehmatrix über die Signatur der Minkowskimetrik auf die räumlichen Koordinaten,<br />
wodurch R in die folgende Blockstruktur zerfällt:<br />
⎛<br />
⎞<br />
1 0 0 0<br />
⎜<br />
R = ⎜0<br />
⎟<br />
⎝0<br />
R3 ⎠<br />
0<br />
, R3 ∈ SO(3). (1.19)<br />
Auch die Boosttransformation Λ B wird durch die Isometrieforderung eingeschränkt,<br />
denn sie besitzt als Element der Eigentlichen orthochronen <strong>Lorentz</strong>gruppe die Determinante<br />
det[Λ B] = 1. Ihre Eigewerte sind somit echt positiv und können nicht verschwinden.<br />
3
2 Herleitung der Speziellen <strong>Lorentz</strong>transformation<br />
Man spricht von einer ” Speziellen <strong>Lorentz</strong>transformation“ wenn die Richtung der Relativgeschwindigkeit<br />
beider Inertialsysteme auf eine der räumlichen Koordinatenachsen<br />
fällt. In diesem Kapitel wollen wir demonstrieren, daß die Isometrieforderung eine Spezielle<br />
<strong>Lorentz</strong>transformation bereits bis auf einen Parameter festlegt. Der Vergleich mit<br />
einer Galileitransformation für v/c ≪ 1 verbindet diesen Parameter mit der Geschwindigkeit<br />
v.<br />
Da eine Spezielle <strong>Lorentz</strong>transformation nur auf eine räumliche Koordinate wirkt, reduzieren<br />
wir den Minkowskiraum auf zwei Dimensionen: x0 (Zeit) und x1 (Raum). In<br />
dieser zweidimensionalen Raum– Zeit ist jede <strong>Lorentz</strong>transformation rein“, denn in<br />
”<br />
einer Raumdimension gibt es keine Rotationen. Wir bezeichnen die Matrixelemente der<br />
Speziellen <strong>Lorentz</strong>transformation ΛS mit a, b, c und d:<br />
<br />
a b<br />
ΛS = . (2.1)<br />
c d<br />
Wir wissen bereits, daß diese Matrix symmetrisch sein muß und könnten einen Parameter<br />
eliminieren. Wir wollen jedoch zeigen, daß auch die Symmetrie aus der Isometrieforderung<br />
folgt. Die Metrik dieses zweidimensionalen Raum– Zeitkontinuums lautet<br />
<br />
1 0<br />
g = . (2.2)<br />
0 −1<br />
2.1 Lösung des Gleichungssystems<br />
Wir setzen nun Ansatz (2.2) in die Isometrieforderung Λ S g Λ T S = g ein und erhalten<br />
<br />
a b 1 0 a c<br />
=<br />
c d 0 −1 b d<br />
<br />
2 2 a − b ac − bd<br />
ac − bd c2 − d2 <br />
welches einem System von drei unabhängigen Gleichungen entspricht:<br />
<br />
1 0<br />
= , (2.3)<br />
0 −1<br />
a 2 − b 2 = 1 (2.4)<br />
c 2 − d 2 = −1 (2.5)<br />
ac − bd = 0. (2.6)<br />
Dieses Gleichungssystem lösen wir mit den folgenden Rechenschritten:<br />
b = (c/d) a aus (2.6) (2.7)<br />
a 2 1 − (c/d) 2 = 1 aus (2.4) und (2.7) (2.8)<br />
a 2 = d 2<br />
b 2 = c 2<br />
aus (2.8) und (2.5) (2.9)<br />
aus (2.9) und (2.6). (2.10)<br />
4
Wir führen als Abkürzung β := c/d ein und erhalten:<br />
a 2 (1 − β 2 ) = 1 aus (2.8) (2.11)<br />
b = βa aus (2.7). (2.12)<br />
Mit Hilfe der Gleichungen (2.7) – (2.12) können wir alle Koeffizienten in dem neuen<br />
Parameter β ausdrücken:<br />
a = d =<br />
b = c =<br />
1<br />
1 − β 2<br />
β<br />
1 − β 2<br />
=: γ aus (2.11) und (2.9) (2.13)<br />
=: γβ aus (2.12), (2.13) und (2.10). (2.14)<br />
Die Wahl der positiven Wurzel beim Auflösen der Quadrate wurde getroffen, um innerhalb<br />
der Eigentlichen orthochronen <strong>Lorentz</strong>gruppe zu bleiben. Elemente dieser Matrix-<br />
gruppe besitzen eine positive Komponente Λ 0<br />
0 , wodurch die Umkehr der Zeitrichtung<br />
durch die Transfromation verhindert wird. Damit lautet die Spezielle <strong>Lorentz</strong>transfor-<br />
mation in Matrixgestalt:<br />
Λ S = γ<br />
<br />
1 β<br />
. (2.15)<br />
β 1<br />
2.2 Der Galilei– Grenzfall<br />
Um die Abhängigkeit des Parameters β von der Relativgeschwindigkeit v zu bestimmen,<br />
betrachten wir die Auswirkung der <strong>Lorentz</strong>transformation auf den Weltvektor<br />
<br />
0 x<br />
x1 <br />
ct<br />
= . (2.16)<br />
x<br />
Wir müssen allerdings beachten, daß die Spezielle <strong>Lorentz</strong>transformation (2.15) Basisvektoren<br />
transformiert und nicht Komponenten. Für die Transformation der Kompo-<br />
nenten benötigen wir die transponierte inverse Matrix<br />
˜Λ S = (Λ −1<br />
S ) T = γ<br />
1 −β<br />
−β 1<br />
<br />
. (2.17)<br />
Mit der Matrix ˜ ΛS können wir die Transformation der Komponenten durchführen:<br />
<br />
′ t<br />
x ′<br />
<br />
<br />
1 t − β/c x<br />
= . (2.18)<br />
1 − β2 x − β ct<br />
Wir betrachten nun den Grenzübergang c → ∞ und vergleichen ihn mit der zugehörigen<br />
Galileitransformation<br />
<br />
′ t<br />
x ′<br />
<br />
t<br />
= . (2.19)<br />
x − vt<br />
5
Die Durchführung des Grenzübergangs in (2.18) ergibt zunächst<br />
<br />
′ t<br />
lim<br />
c→∞ x ′<br />
<br />
<br />
1 t<br />
= . (2.20)<br />
1 − β2 x − β ct<br />
Damit der Term βc bei diesem Grenzübergang nicht divergiert, müssen wir davon ausgehen,<br />
daß β sich wie β ∼ 1/c verhält. Als Konsequenz verschwindet der Wurzelfaktor<br />
in (2.20) und wir können das Resultat direkt mit der Galileitransformation vergleichen:<br />
<br />
′ t<br />
lim<br />
c→∞ x ′<br />
<br />
t<br />
t<br />
=<br />
:= . (2.21)<br />
x − β ct x − vt<br />
Der Parameter β wird durch die x– Komponente von (2.21) festgelegt zu<br />
β = v<br />
. (2.22)<br />
c<br />
2.3 Einführung der Rapidität χ<br />
Interessanterweise kann eine Spezielle <strong>Lorentz</strong>transformation als eine Art <strong>Dr</strong>ehung um<br />
einen Quasiwinkel χ mit dem Namen ” Rapidität“ aufgefaßt werden. Die Matrix (2.15)<br />
der Transformation Λ S ist allerdings kein Element der <strong>Dr</strong>ehgruppe SO(2) sondern der<br />
<strong>Lorentz</strong>gruppe SO(1,1), und sie ist insbesondere auch nicht orthogonal. Stattdessen<br />
erfüllt Λ S eine Art Antiorthogonalitätsrelation<br />
Λ SΛ T<br />
S = 1, (2.23)<br />
in welcher Λ T<br />
S für die transponierte Matrix steht, in der zusätzlich die Nichtdiagonalelemente<br />
in ihr Negatives umgewandelt werden, vgl. (2.17). Diese Eigenschaft ist<br />
auf Spezielle <strong>Lorentz</strong>transformationen beschränkt und läßt sich nicht auf allgemeine<br />
Boosts übertragen. Als Konsequenz dieser Antiorthogonalität sind die Koeffizienten<br />
von Λ S keine trigonometrischen sondern hyperbolische Funktionen der Rapidität:<br />
cosh(χ) = γ (2.24)<br />
sinh(χ) = γβ. (2.25)<br />
Tatsächlich gilt die für die hyperbolischen Funktionen bekannte Beziehung<br />
cosh 2 (χ) − sinh 2 (χ) = γ 2 (1 − β 2 ) = 1. (2.26)<br />
Mit Hilfe der beiden Gleichungen (2.24) und (2.25) läßt sich die Rapidität berechnen:<br />
<br />
v<br />
<br />
tanh(χ) = β ⇒ χ = artanh . (2.27)<br />
c<br />
Ausgedrückt in χ lautet die Spezielle <strong>Lorentz</strong>transformation 2.15<br />
<br />
cosh(χ) sinh(χ)<br />
ΛS =<br />
, (2.28)<br />
sinh(χ) cosh(χ)<br />
worin die Analogie zur Rotationsmatrix besonders augenfällig ist.<br />
6
3 Geschwindigkeit einer <strong>Lorentz</strong>transformation<br />
In diesem Kapitel stellen wir ein einfaches Verfahren vor, mit dem sich die Geschwindigkeit<br />
bzw. der Parameter β einer gegebenen <strong>Lorentz</strong>transformation Λ berechnen läßt.<br />
Die Idee zu dieser Herleitung ist dem Vorlesungsskript [8] entnommen.<br />
In Abschnitt 1.2 haben wir die Polarzerlegung kennengelernt, durch die sich eine <strong>Lorentz</strong>transformation<br />
in das Produkt einer <strong>Dr</strong>ehung R und eines Boosts Λ B zerlegen<br />
läßt:<br />
Λ = R Λ B. (3.1)<br />
Durch die folgende Operation verschwindet der Rotationsanteil:<br />
Λ T Λ = Λ T<br />
B R T R Λ B = Λ T<br />
BΛ B, (3.2)<br />
denn R ist eine orthogonale Matrix für die R T R=1 gilt. Im nächsten Schritt suchen wir<br />
eine neue Basis, welche eine räumliche Koordinatenachse besitzt, die mit der Richtung<br />
des Geschwindigkeitsvektors der <strong>Lorentz</strong>transformation übereinstimmt. Wir entscheiden<br />
uns willkürlich für die Achse x 1 und führen auf diese Weise die reine <strong>Lorentz</strong>transformation<br />
Λ B auf eine Spezielle <strong>Lorentz</strong>transformation Λ S zurück. Die Transformation<br />
der Basis wird durch eine <strong>Dr</strong>ehung R S bewerkstelligt, die als orthogonale Matrix der<br />
Bedingung<br />
R SR T<br />
S = 1 (3.3)<br />
unterliegt. Λ B berechnet sich aus Λ S über die Transformationsgleichung<br />
Λ B = R T<br />
S Λ SR S<br />
(3.4)<br />
(Ausrichten des Koordinatensystems, Durchführung der Speziellen <strong>Lorentz</strong>transformation,<br />
Rückdrehen des Koordinatensystems). Setzen wir die Darstellung (3.4) für Λ B in<br />
(3.2) ein, erhalten wir<br />
Λ T Λ = Λ T<br />
BΛ B = R T<br />
S Λ T<br />
SR SR T<br />
S Λ SR S = R T<br />
S Λ T<br />
SΛ SR S. (3.5)<br />
Wir können Matrix R S vollständig verschwinden lassen, indem wir die Spur des Ausdrucks<br />
(3.5) bilden:<br />
Tr[Λ T Λ] = Tr[R T<br />
S Λ T<br />
SΛ SR S] = Tr[R SR T<br />
S Λ T<br />
SΛ S] = Tr[Λ T<br />
SΛ S] . (3.6)<br />
Diese Spur läßt sich mit Hilfe der expliziten Darstellung von ΛS berechnen:<br />
⎛<br />
γ<br />
⎜<br />
ΛS = ⎜γβ<br />
⎝ 0<br />
γβ<br />
γ<br />
0<br />
0<br />
0<br />
1<br />
⎞<br />
0<br />
0 ⎟<br />
0⎠<br />
. (3.7)<br />
0 0 0 1<br />
7
Damit erhalten wir<br />
Tr[Λ T ⎛<br />
γ<br />
⎜<br />
Λ] = Tr ⎜<br />
⎝<br />
2 (1 + β2 ) 2γ2 2γ<br />
β 0 0<br />
2β γ2 (1 + β2 0<br />
)<br />
0<br />
0<br />
1<br />
⎞<br />
0 ⎟<br />
0⎠<br />
0 0 0 1<br />
(3.8)<br />
= 2 γ 2 (1 + β 2 ) + 1 = 2γ 2 1 + β 2 + 1 − β 2 = 4γ 2 . (3.9)<br />
Diese Beziehung zusammen mit der Form γ 2 = 1/(1 − β 2 ) des Gammafaktors erlaubt<br />
die Berechnung der Geschwindigkeit aus oben berechneten Spur:<br />
<br />
v<br />
2 c<br />
= β 2 = 1 − 1<br />
= 1 −<br />
γ2 4<br />
Tr[ΛT . (3.10)<br />
Λ]<br />
Abschließend fassen wir noch einmal zusammen, wie sich die Parameter γ und β eines<br />
beliebigen Elementes der Eigentlichen orthochronen <strong>Lorentz</strong>gruppe bestimmen lassen:<br />
γ 2 = 1<br />
4 Tr[ΛT Λ] (3.11)<br />
β 2 = 1 −<br />
4<br />
Tr[ΛT . (3.12)<br />
Λ]<br />
8
4 Der allgemeine <strong>Lorentz</strong>–Boost<br />
Das besondere Merkmal einer Speziellen <strong>Lorentz</strong>transformation Λ S ist ihre formale<br />
Ähnlichkeit mit einer <strong>Dr</strong>ehung in zwei Raumdimensionen. Hierbei entspricht der <strong>Dr</strong>ehwinkel<br />
der Rapidität χ mit<br />
tanh(χ) = β = v<br />
, (4.1)<br />
c<br />
und in der <strong>Dr</strong>ehmatrix werden die trigonometrischen Funktionen durch hyperbolische<br />
ersetzt. Falls die Richtung der Relativgeschwindigkeit mit der x1 –Achse zusammenfällt,<br />
lautet die für die Berechnung von Komponenten zuständige Spezielle <strong>Lorentz</strong>transformation<br />
(vgl. Abschnitt 2.2)<br />
⎛<br />
⎞<br />
cosh(χ) − sinh(χ) 0 0<br />
⎜<br />
ΛS = ⎜−<br />
sinh(χ) cosh(χ) 0 0 ⎟<br />
⎝ 0 0 1 0⎠<br />
. (4.2)<br />
0 0 0 1<br />
In diesem Kapitel wollen wir untersuchen, wie sich die Speziellen <strong>Lorentz</strong>transformationen<br />
Λ S zu beliebigen Boosttransformationen Λ B erweitern lassen. Bei einer Speziellen<br />
<strong>Lorentz</strong>transformation fällt der Vektor der Geschwindigkeit mit einer Koordinatenachse<br />
zusammen, während bei einer allgemeinen Boosttransformation der Vektor der<br />
Geschwindigkeit beliebig orientiert sein kann. Dieses Programm ähnelt dem Übergang<br />
von <strong>Dr</strong>ehungen um die Koordinatenachsen zu <strong>Dr</strong>ehungen um eine beliebig orientierte<br />
Achse [3]. Die geeignete Methode zur Behandlung allgemeiner Rotationen ist die<br />
Einführung von Quaternionen, welche eine <strong>Dr</strong>ehung nicht nur elegant beschreiben sondern<br />
auch direkt zu den Rotationsformeln von Olinde Rodrigues [2] und zur allgemeinen<br />
Beschreibung von Rotationen als Fundamentaldarstellung der Gruppe SO(3) führen.<br />
Für reine <strong>Lorentz</strong>transformationen besteht der dem Quaternionenbild vergleichbare<br />
Zugang darin, den Weltvektor als Element der Matrixgruppe GL(2,C) zu interpretieren.<br />
Hierfür wird der Weltvektor in der Basis der Paulischen Spinmatrizen zerlegt und so<br />
als komplexe hermitesche 2×2– Matrix geschrieben. Der nächste Abschnitt beschäftigt<br />
sich daher zunächst mit den Eigenschaften der Paulischen Spinmatrizen.<br />
4.1 Die Paulischen Spinmatrizen<br />
In unserer Betrachtung von Rotationen [3] haben wir die Paulischen Spinmatrizen als<br />
Matrixdarstellungen der imaginären Quaternionen i, j und k eingeführt. Quaternionen<br />
lassen sich als besondere komplexe Zahlen auffassen, die statt einer imaginären Dimesion<br />
(i) deren drei (i j k) besitzen. Multipliziert man diese drei imaginären Einheiten<br />
9
miteinander, gehorchen sie den Regeln<br />
i 2 = j 2 = k 2 = ijk = −1, (4.3)<br />
woraus sich die Multiplikationstabelle<br />
ij = −ji = k<br />
jk = −kj = i (4.4)<br />
ki = −ik = j<br />
ableiten läßt. Die obenstehende Tabelle zeigt, daß die Multiplikation von Quaternionen<br />
nicht kommutativ ist. Ergänzt werden die imaginären Einheiten durch die reelle Einheit<br />
1, deren Multiplikation von links oder rechts jedes Quaternion unverändert läßt.<br />
Ein beliebiges Qaternion Q kann als Linearkombination dieser Basisquaternionen mit<br />
reellen Koeffizienten a, b, c, d dargestellt werden:<br />
Q = a 1 + b i + c j + d k. (4.5)<br />
Die Multiplikationsregeln der Basisquaternionen sind denen der Paulimatrizen σi so<br />
ähnlich, daß letztere als Darstellung der Basisquaternionen verwendet werden können:<br />
i = −iσ1 j = −iσ2 k = −iσ3 (4.6)<br />
Die Paulimatrizen sind drei komplexe 2 × 2– Matrizen<br />
<br />
0<br />
σ1 =<br />
1<br />
<br />
1<br />
0<br />
<br />
0<br />
σ2 =<br />
i<br />
<br />
−i<br />
0<br />
<br />
1<br />
σ3 =<br />
0<br />
<br />
0<br />
,<br />
−1<br />
(4.7)<br />
die, wie sich unschwer nachvollziehen läßt, hermitesch, unitär und spurfrei sind. Sie<br />
erfüllen die Gleichungen<br />
σ1 2 = σ2 2 = σ3 2 = −i σ1σ2 σ3 = (4.8)<br />
sowie die Multiplikationstabelle<br />
σ1σ2 = −σ2 σ1 = iσ3<br />
σ2 σ3 = −σ3 σ2 = iσ1<br />
σ3 σ1 = −σ1σ3 = iσ2.<br />
(4.9)<br />
Wir ergänzen diese drei Matrizen durch die Einheitsmatrix , die ebenfalls hermitesch<br />
und unitär, aber nicht spurfrei ist. Alle vier Matrizen bilden eine Basis des<br />
Raumes GL(2,C) der komplexen invertierbaren 2 × 2– Matrizen, weswegen jede Matrix<br />
S ∈ GL(2,C) geschrieben werden kann als<br />
S = a + b σ1 + c σ2 + d σ3. (4.10)<br />
Die Koeffizienten a, b, c und d sind im allgemeinen komplex. Beschränkt man sich auf<br />
reelle Zahlen, ist die Matrix S hermitesch.<br />
10
4.2 <strong>Lorentz</strong>spinoren und Transformation des Weltvektors<br />
Mit dem Begriff Spinor wird in der Physik das Verhalten eines Objektes unter <strong>Dr</strong>ehungen<br />
klassifiziert. Im Rotationstext [3] haben wir uns auf Vorgänge konzentriert, welche<br />
wie die Quantenzustände eines Spin–1/2 Teilchens ihren Ursprungszustand erst nach<br />
einer Umdrehung von 4π oder 720◦ wieder einnehmen. Darüberhinaus bezeichnet man<br />
sämtliche Objekte unter <strong>Dr</strong>ehungen als Spinoren, auch wenn ihr Rotatonsverhalten<br />
2π–periodisch ist. Spinoren sind Elemente komplexer Vektorräume, welche sich durch<br />
ihre Dimension unterscheiden. Sie werden mit einem Index gekennzeichnet, der die<br />
halbzahligen Werte j = 0, 1,<br />
1, · · · durchläuft:<br />
2<br />
S(j) : j–Spinor mit der Dimension 2j + 1 .<br />
Der Index j ist nur ein Name für die Art des Spinors, er ist kein Summationsindex<br />
oder der Index einer Tensorkomponente. Damit eine <strong>Dr</strong>ehung auf Spinoren wirken<br />
kann, benötigt sie in jedem der 2j + 1–dimensionalen Vektorräume einen Stellvertreter<br />
in Matrixform. Die Gesamtheit aller dieser (2j + 1) × (2j + 1) – Matrizen repräsentiert<br />
die Gesamtheit der Rotationen im Vektorraum der S(j) und wird als Darstellung D (j)<br />
der <strong>Dr</strong>ehgruppe bezeichnet:<br />
D (j) : Darstellung der <strong>Dr</strong>ehgruppe im Raum 2j+1 .<br />
Es gibt zwei Matrixgruppen, die als Ausgangspunkt dieser Darstellungen verwendet<br />
werden:<br />
– <strong>Dr</strong>ehungen von Punkten im dreidimensionalen Ortsvektorraum werden mit Hilfe<br />
von Rotationsmatrizen, d.h. Elementen der Gruppe SO(3) realisiert. Diese agiert<br />
selbst im Raum 3 und wird dort als Fundamentaldarstellung bezeichnet. Sie ist<br />
eine relle Version der Darstellung D (1) .<br />
– Die Normerhaltung von komplexwertigen Quantenzuständen erfordert es, daß<br />
<strong>Dr</strong>ehungen in der Quantenmechanik unitäre Operatoren sein müssen. Aus diesem<br />
Grund bietet sich für die Rotation von Quantenzuständen die Gruppe SU(2) und<br />
deren Darstellungen als Operatoren an. Die Darstellung D (1) oder spin − 1 ist<br />
dreidimensional und übernimmt hierbei die Rolle der <strong>Dr</strong>ehgruppe SO(3).<br />
Diese beiden Matrixgruppen, ihre Darstellungen und die abstrakte <strong>Dr</strong>ehgruppe sind<br />
bezüglich ihrer Gruppenverknüpfungen (Matrixmultiplikation bzw. Hintereinanderausführung)<br />
strukturerhaltend bzw. homomorph. Sowohl die Gruppe SO(3) als auch die<br />
Gruppe SU(2) kann auf einen dreidimensionalen Vektorraum wirken, im letzteren Fall<br />
über die Darstellung D (1) . Dessen ungeachtet und obwohl beide Guppen <strong>Dr</strong>ehungen<br />
beschreiben sind sie nicht isomorph. Es existiert vielemehr eine Zwei– zu– Eins– Beziehung,<br />
die jedem Element der Gruppe SO(3) die jeweils positive und negative Version<br />
eines Elementes der Gruppe SU(2) zuordnet. Man sagt, die Gruppe SU(2) überlagert<br />
11
die Gruppe SO(3) doppelt [1], [3]. Offenbar fängt die Gruppe SU(2) gewisse Aspekte<br />
von Rotationen ein, die im Vektrorraum 3 nicht zu Geltung kommen, siehe z.B. [4].<br />
Wir kehren nun zum Thema dieses Artikels zurück und wenden die für Rotationen<br />
vorgestellte gruppentheoretische Beschreibung auf <strong>Lorentz</strong>transformationen an. <strong>Lorentz</strong>transformationen<br />
unterworfene Objekte bezeichnet man als <strong>Lorentz</strong>spinoren und<br />
erweitert damit die oben beschriebene Spinoridee dergestalt, daß sie auch für <strong>Lorentz</strong>transformationen<br />
gilt. Zu diesem Zweck führen wir die zu <strong>Lorentz</strong>transformationen<br />
homomorphen Matrixgruppen ein, welche die Rolle der zu <strong>Dr</strong>ehungen homomorphen<br />
Gruppen SO(3) und SU(2) übernehmen:<br />
– Die Rotationsgruppe SO(3) wird durch die Eigentliche orthochrone <strong>Lorentz</strong>gruppe<br />
SO(1,3) ersetzt. Eventuell vorhandene Rotationsanteile lassen sich über eine<br />
Polarzerlegung abspalten (1.12), wobei die verbleibende Restmatrix symmetrisch<br />
ist. Die speziellen <strong>Lorentz</strong>transformationen der Relativitätstheorie sind Beispiele<br />
für Transformationen ohne Rotationsanteil. Reine Rotationen hingegen bilden<br />
innerhalb der 4 × 4 – Matrix einer <strong>Lorentz</strong>transformation einen 3 × 3 – Block,<br />
siehe (1.19).<br />
– Die Rolle der Gruppe SU(2) übernimmt die Gruppe SL(2,), eine überraschend<br />
unspezifische und wenig eingeschränkte Menge komplexer 2 × 2 – Matrizen. Ähnlich<br />
wie bei der <strong>Lorentz</strong>gruppe SO(1,3) können von diesen Matrizen die unitären<br />
Anteile mit Hilfe einer Polarzerlegung abgespalten werden (1.8), wobei der verbleibende<br />
Rest hermitesch ist.<br />
Im Gegensatz zur Gruppe SU(2) spielen in der Darstellungstheorie der Gruppe SL(2,)<br />
die Begriffe Dualität und Adjunktion bezüglich des komplexen Skalarproduktes quantenmechanischer<br />
Zustände eine besondere Rolle. Betrachten wir zunächst die Wirkung<br />
einer unitären Transformation U ∈ SU(2) auf jeweils einen Faktor im Skalarprodukt<br />
zweier Vektoren |α〉, |β〉 ∈ 2 :<br />
〈β | Uα〉 = Uµν β µ∗ α ν = 〈U ∗T β | α〉 =: 〈U † β | α〉 . (4.11)<br />
Durch die Schreibweise der Transformationsmatrix Uµν mit zwei untenstehenden Indizes<br />
können wir den eingängigen Riccikalkül verwenden ohne den Leser durch die<br />
Einführung des metrischen Tensors gµν = δµν für das Standardskalarprodukt zu verwirren.<br />
Die α µ und β ν sind die Entwicklungskoeffizienten der Vektoren |α〉 und |β〉 in<br />
einer Basis. Der Operator U wirkt zunächst auf |α〉 und wird anschließend formal dem<br />
Vektor |β〉 zugeteilt, wodurch seine hermitesch adjungierte Form U † entsteht. Jetzt<br />
machen wir von der Unitarität UU † = Gebrauch:<br />
〈β | Uα〉 = 〈U −1 β | α〉 . (4.12)<br />
Diese Gleichung wird zu einer Aussage über die duale Transformation U (∗) , indem man<br />
sie folgendermaßen liest [1]:<br />
〈U (∗) β | α〉 := 〈β | U −1 α〉 = 〈Uβ | α〉 . (4.13)<br />
12
Im Unterschied zu (4.12) wurde hier U ⇔ U −1 gesetzt. Im Falle einer unitären Transformation<br />
heben sich Inversion und Adjunktion auf, wodurch die Transformation mit<br />
U (∗) = U selbstdual wird. Der Sinn der Gleichung (4.13) wird offenbar, wenn man sich<br />
U als <strong>Dr</strong>ehung veranschaulicht: Der Wert des Skalarproduktes hängt von der relativen<br />
Position der Vektoren |α〉 und |β〉 ab. Es ist unerheblich ob |β〉 um U vorgedreht“ oder<br />
”<br />
|α〉 um U −1<br />
” zurückgedreht“ wird, denn das Skalarprodukt ist aufgrund der relativen<br />
Position der Vektoren nach der Transformation in beiden Fällen gleich.<br />
<strong>Lorentz</strong>transformationen sind allerdings nicht Darstellungen der Gruppe SU(2) sondern<br />
der Gruppe SL(2,), deren Elemente L nicht selbstdual sind:<br />
〈L (∗) β | α〉 := 〈β | L −1 α〉 = 〈(L −1 ) † β | α〉 . (4.14)<br />
Als direkte Folge ist das adjungierte Gruppenelement L † nicht das Inverse von L, wodurch<br />
L und L † voneinander unabhängig und nicht über die Gruppenverknüpfung mit-<br />
einander verbunden sind. Aus diesem Grund werden <strong>Lorentz</strong>spinoren mit zwei Indizes<br />
j und k gekennzeichnet, die jeweils die halbzahligen Werte 0, 1,<br />
1, · · · durchlaufen:<br />
2<br />
S(jk) : j, k–<strong>Lorentz</strong>spinor mit der Dimension (2j + 1)(2k + 1) .<br />
<strong>Lorentz</strong>spinoren haben das Transformationsverhalten von tensoriellen Produkten, deren<br />
einzelne Faktoren unterschiedliche Transformationsmatrizen verwenden: L transformiert<br />
den Faktor (j) und L ∗ = (L † ) T den Faktor (k). Bei Verwendung des Riccikalküls<br />
markiert man in Tensorkomponenten die Indizes des letzteren Typs mit einem<br />
Punkt, der Term T α ˙ β wäre ein Beispiel für diese Schreibweise. Läßt man ein Element<br />
L ∈ SL(2,) auf einen <strong>Lorentz</strong>spinor S(jk) wirken, geschieht das über die Darstellung<br />
D (jk) dieses Elements im zugehörigen Spinorraum der Dimension (2j +1)(2k +1). Zwei<br />
Darstellungen dieses Typs wirken auf den Raum 2 :<br />
1<br />
( – D 2 ,0) : Die Gruppenelemente L selbst mit den Komponenten L β<br />
α .<br />
1<br />
(0, – D 2 ) : Die komplex konjugierte Version von L mit den Komponenten L ∗ ˙ β<br />
˙α .<br />
Beide Darstellungen sind Fundamentaldarstellungen der Gruppe SL(2,).<br />
Bei der Untersuchung von Rotationen [3] hatten wir festgestellt, daß jeder Ortsvektor<br />
x ∈ 3 mit Hilfe der Paulimatrizen σi auf eine spurfreie hermitesche Matrix abgebildet<br />
werden kann:<br />
<br />
3 x<br />
x →<br />
x1− ix2 x1 + ix2 −x3 <br />
= x 1 σ1 + x 2 σ2 + x 3 σ3 . (4.15)<br />
Unterwirft man die Ortsvektormatrix x einer Ähnlichkeitstransformation mit unitären<br />
Matrizen<br />
x ′ = U x U −1<br />
U ∈ SU(2) , (4.16)<br />
ergeben sich für diese Transformation folgende Eigenschaften:<br />
13
– Das Ergebnis x ′ ist wieder eine spurlose hermitesche Matrix und bleibt somit als<br />
Ortsvektor interpretierbar.<br />
– Die Determinante det[x] = (x 1 ) 2 + (x 2 ) 2 + (x 3 ) 2 ändert sich durch diese Transformation<br />
nicht, womit die euklidische Länge von x erhalten bleibt.<br />
Damit wirkt die unitäre Matrix U auf den Vektor x wie eine Rotation. x ist ein Element<br />
des 3 und somit in seinen Transformationseigenschaften bezüglich der Gruppe SU(2)<br />
ein (1)–Spinor. Die Transformationsvorschrift (4.16) kann als Konstruktionsvorgabe für<br />
die Darstellung spin − 1 der Gruppe SU(2) verstanden werden. Da der Ortsvektor vor<br />
und nach der Transformation reell ist, ermöglicht die Ähnlichkeitstransformation (4.16)<br />
insbesondere die Berechung einer der unitären Matrix U zugeordneten <strong>Dr</strong>ehmatrix<br />
R ∈ SO(3).<br />
Vor diesem Hintergrund liegt es im Hinblick auf <strong>Lorentz</strong>transformationen nahe, die<br />
Paulimatrizen σi durch die Matrix σ0 = zu ergänzen und den Ortsvektor zum<br />
Weltvektor zu erweitern:<br />
x →<br />
<br />
0 3 x + x x1− ix2 x1 + ix2 x0− x3 <br />
= x 0 σ0 + x 1 σ1 + x 2 σ2 + x 3 σ3 = x µ σµ . (4.17)<br />
<strong>Dr</strong>ei Typen von <strong>Lorentz</strong>spinoren sind vierdimensional und kommen für die Beschreibung<br />
des Weltvektors (4.17) in Frage: (0, 3 3<br />
1 1<br />
), ( , 0) und ( , ). Die für die Transforma-<br />
2 2 2 2<br />
tion von <strong>Lorentz</strong>spinoren zuständige Gruppe SL(2,) umfaßt SU(2) als Untergruppe.<br />
1 1<br />
( , Beschränkt man sich auf unitäre Matrizen, reduziert sich nur die Darstellung D 2 2 )<br />
auf die für Rotationen bekannte Form. In dieser Darstellung wirkt L auf x wie folgt<br />
x ′ µ ˙ν = x α ˙ β L α<br />
µ L ∗ ˙ β<br />
˙ν ⇒ x ′ = L x L † , (4.18)<br />
wobei wir diese Wirkung sowohl im Riccikalkül als auch als Matrixoperation formuliert<br />
haben. Tatsächlich wird (4.18) im Spezialfall unitärer Matrizen wegen U † = U −1<br />
zur Ähnlichkeitstransformation (4.16). Die für <strong>Lorentz</strong>transformationen notwendigen<br />
Merkmale bleiben hierbei erhalten:<br />
– Die transformierte Weltvektormatrix x ′ ist wieder hermitesch und somit als Weltvektor<br />
interpretierbar:<br />
x ′ † = L †† x † L † = L x L † = x ′ . (4.19)<br />
– Mit det[L] = 1 bleibt die Determinante der transformierten Weltvektormatrix x ′<br />
erhalten:<br />
det[x ′ ] = det[L] · det[x] · det[L † ] = |det[L]| 2 · det[x] = det[x]. (4.20)<br />
14
Berechnet man sie explizit, erkennt man, daß sie die Länge des Weltvektors bzw.<br />
die invariante Eigenzeit repräsentiert:<br />
det[x] = (x 0 + x 3 )(x 0 − x 3 ) − (x 1 + ix 2 )(x 1 − ix 2 )<br />
= x 0 2 − x 1 2 − x 2 2 − x 3 2 .<br />
Damit ist die Darstellung D 2<br />
beschreibt tatsächlich eine <strong>Lorentz</strong>transformation.<br />
( 1<br />
(4.21)<br />
, 1<br />
2 ) bezüglich der Minkowskimetrik isometrisch und<br />
– Die Spur der Weltvektormatrix x lautet Tr [x] = 2x 0 und bleibt unter (4.18)<br />
nicht erhalten. Da die Zeitkomponente des Weltvektors keine <strong>Lorentz</strong>invariante<br />
ist, besteht hierfür auch keine Notwendigkeit.<br />
Damit haben wir den für Rotationen existierenden Homomorphismus zwischen den<br />
Gruppen SU(2) und SO(3) dergestalt erweitert, daß er die Gruppen SL(2,) und<br />
SO(1,3) umfaßt. Wie im Rotationsfall erhält dieser Homomorphismus zwar die Struktur<br />
der Gruppenverknüpfung, ist aber trotzdem kein Isomorphismus. Es entsteht vielmehr<br />
eine Zwei– zu– Eins– Beziehung, in der jedem Element der Gruppe SO(1,3) die jeweils<br />
positive und negative Version eines Elementes der Gruppe SL(2,) zugeordnet wird.<br />
Diese Art von Beziehung nennt man ” doppelte Überlagerung“.<br />
4.3 <strong>Lorentz</strong>–Boosts als Darstellung der Gruppe SL(2,C)<br />
Die Matrix L ist als Element der Gruppe SL(2,C) invertierbar und kann mit Hilfe einer<br />
Polarzerlegung eindeutig in einen unitären Anteil U und einen hermiteschen Anteil L B<br />
aufgespalten werden, vgl. (1.8):<br />
L = UL B<br />
(entspricht Λ ∈ SO(1, 3))<br />
UU † = 1 (entspricht R ∈ SO(3)) (4.22)<br />
L † B = L B<br />
(entspricht Λ B ∈ SO(1, 3)).<br />
Den Rotationsanteil U haben wir bereits in [3] untersucht und u.a. eine explizite Darstellung<br />
als Element der Gruppe SO(3) gefunden. Ausgangspunkt dieser Betrachtung<br />
war die Einführung von Quaternionen, mit deren Hilfe eine <strong>Dr</strong>ehung aus der Angabe<br />
von <strong>Dr</strong>ehwinkel und <strong>Dr</strong>ehachse konstruiert werden konnte. Die Quaternionenschreibweise<br />
für unitäre Matrizen entspricht der Darstellung (4.10) in der Basis von Paulimatrizen<br />
mit reellem a und imaginären b, c und d.<br />
Stellt man den Boostanteil L B ebenfalls in dieser Basis dar, müssen zur Gewährleistung<br />
der Hermitezität alle Koeffizienten reell sein. In Analogie zur Quaternionendarstellung<br />
einer Rotation lautet der <strong>Lorentz</strong>–Boost L B<br />
LB = e −(χ/2)n = cosh(χ/2) σ0 − sinh(χ/2) n<br />
n = n 1 σ1 + n 2 σ2 + n 3 . (4.23)<br />
σ3<br />
15
Ähnlich wie bei Olinde Rodrigues’ Beschreibung einer Rotation mit Hilfe des Halbwinkels<br />
[2] haben wir zur Beschreibung des <strong>Lorentz</strong>–Boosts in (4.23) die ” Halbrapidität“<br />
χ/2 eingeführt. Damit wird eine Boosttransformation durch folgende Größen parametrisiert:<br />
χ : Rapidität, entspricht dem Betrag der Boost– Geschwindigkeit<br />
n 1 : x–Komponente des Normalenvektors n der Boost– Geschwindigkeit<br />
n 2 : y–Komponente des Normalenvektors n der Boost– Geschwindigkeit<br />
n 3 : z–Komponente des Normalenvektors n der Boost– Geschwindigkeit.<br />
Die Exponentialfunktion in (4.23) ist als Potenzreihenentwicklung des Operators n zu<br />
verstehen, dessen gerade Potenzen im cosh und dessen ungerade Potenzen im sinh zusammengefaßt<br />
wurden. Auf diese Weise entsteht das Gegenstück zur Eulerschen Formel,<br />
deren Gebrauch bei der Hintereinanderausführung zweier Boosts zu empfehlen<br />
ist. Im allgemeinen kommutieren die den Normalenvektoren zugeordnenten Operatoren<br />
n nämlich nicht, weswegen die bekannten Exponentialgesetze durch die Baker–<br />
Campbell– Hausdorff– Formel ersetzt werden müssen. Aus dem Vergleich von (4.23)<br />
und (4.10) lassen sich die Koeffizienten der Transformation ablesen:<br />
a = cosh(χ/2) b = − sinh(χ/2)n 1<br />
c = − sinh(χ/2)n 2<br />
d = − sinh(χ/2)n 3 . (4.24)<br />
Das Minuszeichen entspricht dem Minuszeichen in den Koeffizienten der Speziellen<br />
<strong>Lorentz</strong>transfromation (4.2). Die Komponenten des Normalenvektors n erfüllen die<br />
Bedingung<br />
n 1 2 + n 2 2 + n 3 2 = 1 ⇒ a 2 − b 2 − c 2 − d 2 = 1. (4.25)<br />
LB besitzt als hermitesches Element der Gruppe SL(2,C) die Gestalt<br />
<br />
a + d<br />
LB =<br />
b + ic<br />
<br />
b − ic<br />
,<br />
a − d<br />
(4.26)<br />
wodurch sich (4.25) als Aussage über die Determinante auffassen läßt, welche diese wie<br />
angekündigt auf den Wert<br />
det[L B] = a 2 − b 2 − c 2 − d 2 = 1 (4.27)<br />
festlegt. Der von n abgeleitete Operator n verhält sich selbst wie ein Normalenvektor:<br />
n 2 = n 1 σ1 + n 2 σ2 + n 3 2 σ3<br />
= n 1 2 + n 2 2 + n 3 2 σ0 + · · ·<br />
· · · + i n 1 n 2 − n 2 n 1 σ3 + i n 3 n 1 − n 1 n 3 σ2 + i n 2 n 3 − n 3 n 2 σ1<br />
= .<br />
16<br />
(4.28)
Schließlich läßt sich zeigen, daß die Boosttransformation zur Rapidität −χ die inverse<br />
Transformation zu derjenigen mit der Rapidität χ ist:<br />
L B(χ)L B(−χ) = e −(χ/2)n e (χ/2)n = e −[(χ/2)−(χ/2)]n = . (4.29)<br />
Hier kommutiert der Operator n mit sich selbst, so daß die elementaren Rechenregeln<br />
der Exponentialfunktion anwendbar sind.<br />
4.4 Additionstheorem für parallele Geschwindigkeiten<br />
In der Relativitätstheorie bedeutet das Addieren von Geschwindigkeiten die Hintereinanderausführung<br />
zweier <strong>Lorentz</strong>–Boosts. Hierbei ist zu beachten, daß die Boosttransformationen<br />
innerhalb der Eigentlichen orthochronen <strong>Lorentz</strong>gruppe keine Untergruppe<br />
bilden, denn sie werden in der Gruppe SO(1,3) als symmetrische und in der Gruppe<br />
SL(2,C) als hermitesche Matrizen dargestellt. Das Produkt zweier hermitescher bzw.<br />
symmetrischer Matrizen ist nicht notwendigerweise selbst wieder hermitesch bzw. symmetrisch,<br />
denn für zwei hermitesche Matrizen A und B gilt<br />
(AB) † = B † A † = BA = AB. (4.30)<br />
Dieses Produkt ist offenbar nur dann hermitesch, wenn A und B vertauschen. Das<br />
hat zur Konsequenz, daß die Multiplikation hermitescher bzw. symmetrischer Matrizen<br />
keine abgeschlossene Verknüpfung ist und daß die Hintereinanderausführung zweier<br />
<strong>Lorentz</strong>–Boosts im allgemeinen keine reine Boosttransformation ergibt. Allerdings kann<br />
das Ergebnis mit Hilfe der Polarzerlegung (1.8) immer als das Produkt einer Boosttransformation<br />
und einer zusätzlichen <strong>Dr</strong>ehung interpretiert werden:<br />
Λ B(n 2, χ2) Λ B(n 1, χ1) = R(n R, θ) Λ B(n B, χ)<br />
L B(n 2, χ2) L B(n 1, χ1) = U(n R, θ) L B(n B, χ),<br />
(4.31)<br />
je nachdem, ob die Matrixgruppe SO(1,3) oder GL(2,) zur Darstellung der <strong>Lorentz</strong>gruppe<br />
herangezogen wird. Die Parameter in (4.31) haben folgende Bedeutung:<br />
n 1 : Normalenvektor der Geschwindigkeit des ersten Boosts<br />
n 2 : Normalenvektor der Geschwindigkeit des zweiten Boosts<br />
n B : Normalenvektor der Geschwindigkeit des resultierenden Boosts<br />
n R : Normalenvektor der Rotationsachse der zusätzlichen <strong>Dr</strong>ehung<br />
χ1 : Rapidität des ersten Boosts<br />
χ2 : Rapidität des zweiten Boosts<br />
χ : Rapidität des resultierenden Boosts<br />
θ : Rotationswinkel der zusätzlichen <strong>Dr</strong>ehung.<br />
17
Die <strong>Dr</strong>ehung R(n R, θ) bzw. U(n R, θ) heißt Thomas– Wigner Rotation“ nach Llewellyn<br />
”<br />
Thomas und Eugene Wigner [9], [10]. Von diesem Begriff ist der bekanntere Ausdruck<br />
” Thomas Präzession“ abgeleitet, welcher bei der Spindynamik eine Rolle spielt und<br />
eine kontinuierliche <strong>Dr</strong>ehung beschreibt, die durch die Aneinanderreihung differentieller<br />
<strong>Lorentz</strong>transformationen entsteht.<br />
Wir betrachten nun den Sonderfall zweier gleichgerichteter Boosts, deren Transformationsmatrizen<br />
kommutieren und deren Produkt wieder ein reiner <strong>Lorentz</strong>–Boost ist ohne<br />
zusätzliche Thomas– Wigner Rotation. Die Exponentialdarstellung aus (4.23) läßt sich<br />
hier direkt verwenden, da der dem Normalenvektor n zugeordnete Operator n naturgemäß<br />
mit sich selbst vertauscht:<br />
L B(n, χ2) L B(n, χ1) = e −(χ2/2)n e −(χ1/2)n = e −[(χ1/2)+(χ2/2)]n = LB(n, χ1+χ2). (4.32)<br />
Die Hintereinanderausführung zweier gleichgerichteter Boosts entspricht also der Addition<br />
ihrer Rapiditäten:<br />
χ = χ1 + χ2. (4.33)<br />
Dem Additionstheorem des Tangens Hyperbolicus zufolge gilt<br />
tanh(χ) = tanh(χ1 + χ2) = tanh(χ1) + tanh(χ2)<br />
, (4.34)<br />
1 + tanh(χ1) tanh(χ2)<br />
woraus sich mit Hilfe von (4.1) das aus der Speziellen Relativitätstheorie bekannte<br />
Additionstheorem des β–Faktors bzw. der Geschwindigkeit v ergibt:<br />
β = β1 + β2<br />
1 + β1β2<br />
⇒ v = v1 + v2<br />
. (4.35)<br />
1 + v1v2/c2 Während die elementare Beweismethode dieses Theorems Spezielle <strong>Lorentz</strong>transformationen<br />
verwendet [5], erweitert die in diesem Kapitel vorgestellte Herleitung diese<br />
Methode und bestätigt somit den Ansatz (4.23). Dieser erhält zwar Hermitezität und<br />
Determinante der Ortsvektormatrix, ist darüberhinaus jedoch nur durch die formale<br />
Analogie zur Behandlung von Rotationen gerechtfertigt. Daß das relativistische Additionstheorem<br />
für Geschwindigkeiten aus diesem Ansatz folgt, läßt (4.23) weiterhin<br />
plausibel erscheinen.<br />
4.5 <strong>Lorentz</strong>–Boosts als Elemente der Gruppe SO(1,3)<br />
Ein interessanter Punkt der Untersuchung von Rotationen [3] war die Konstruktion der<br />
Rotationsmatrix R ∈ SO(3) für eine beliebige <strong>Dr</strong>ehung. In diesem Abschnitt betrachten<br />
wir die analoge Fragestellung der expliziten Darstellung einer beliebigen Boosttransformation<br />
Λ B ∈ SO(1,3). Zu diesem Zweck transformieren wir die Komponenten des<br />
18
Weltvektors (4.17) mit Hilfe von L B und lesen anschließend aus dem Ergebnis die Komponenten<br />
der Matrix Λ B ab. Wir werden die Rechnungen mit der allgemein gehaltenen<br />
Form (4.26) für L B durchführen und erhalten so Λ B in einer Gestalt, die ähnlich zu<br />
derjenigen der allgemeinen Rotation in [3] ist.<br />
Als ersten Schritt berechnen wir das Produkt xL † B, wobei zu beachten ist, daß aufgrund<br />
der Hermitezität der Boosttransformation L † B = L B gilt. Für eine elegantere<br />
Schreibweise bei der Berechnung verwenden wir zunächst indizierte Koeffizienten<br />
{a µ } := {a, b, c, d}. (4.36)<br />
Griechische Indizes laufen wie üblich über die Werte {0, 1, 2, 3} und lateinische über<br />
die Werte {1, 2, 3}.<br />
xL † B = x µ µ 0<br />
σµ a σµ = x σ0 + x i 0<br />
σi a σ0 + a i <br />
σi<br />
= x 0 a 0 σ0 + x 0 a i 0<br />
σi + a x i (4.37)<br />
i<br />
σi + x σi .<br />
a i σi<br />
Die gleiche Aufspaltung in Zeit– und Ortsindizes wird bei der Berechnung von x ′ beibehalten:<br />
x ′ = L B xL † B<br />
= x 0 a 02 σ0 + x 0 a 0 a i 0<br />
σi + a 2 i 0<br />
x σi + a x i i<br />
σi a σi + · · ·<br />
· · · + x 0 a 0 a i 0<br />
σi + x a i i 0<br />
σi a σi + a a i i i<br />
σi x σi + a σi<br />
i i<br />
x σi a σi<br />
.<br />
(4.38)<br />
Wir multiplizieren nun die Klammern aus und schreiben die Summen explizit, wobei<br />
wir wieder auf die nichtindizierten Koeffizienten zurückgreifen. Die einzelnen Resultate<br />
lassen sich unschwer nachvollziehen:<br />
i i 2 2 2<br />
a σi a σi = b + c + d σ0<br />
(4.39)<br />
i i 1 2 3<br />
x σi a σi = bx + cx + dx σ0 + · · · (4.40)<br />
· · · + i x 1 c − x 2 b σ3 + i x 3 b − x 1 d σ2 + i x 2 d − x 3 c σ1<br />
i i 1 2 3<br />
a σi x σi = bx + cx + dx σ0 + · · · (4.41)<br />
· · · + i bx 2 − cx 1 σ3 + i dx 1 − bx 3 σ2 + i cx 3 − dx 2 σ1<br />
i i i 2 2 2<br />
a σi x σi a σi = b − c − d x 1 + 2bc x 2 + 2bd x 3 σ1 + · · · (4.42)<br />
· · · + c 2 − b 2 − d 2 x 2 + 2bc x 1 + 2cd x 3 σ2 + · · ·<br />
· · · + d 2 − b 2 − c 2 x 3 + 2bd x 1 + 2cd x 2 σ3.<br />
Die imaginären Anteile der Ausdrücke (4.40) und (4.41) verschwinden, da in (4.38) nur<br />
die Summe beider Ausdrücke vorkommt:<br />
i i i i 1 2 3<br />
x σi a σi + a σi x σi = 2 bx + cx + dx σ0. (4.43)<br />
19
Damit sind nach dem Zusammenfassen alle Koeffizienten von (4.38) rell:<br />
x ′ = L B xL † B = x ′ 0 σ0 + x ′ 1 σ1 + x ′ 2 σ2 + x ′ 3 σ3<br />
= a 2 + b 2 + c 2 + d 2 x 0 + 2ab x 1 + 2ac x 2 + 2ad x 3 σ0 + · · ·<br />
· · · + a 2 + b 2 − c 2 − d 2 x 1 + 2ba x 0 + 2bc x 2 + 2bd x 3 σ1 + · · ·<br />
· · · + a 2 − b 2 + c 2 − d 2 x 2 + 2ca x 0 + 2cb x 1 + 2cd x 3 σ2 + · · ·<br />
· · · + a 2 − b 2 − c 2 + d 2 x 3 + 2da x 0 + 2db x 1 + 2dc x 2 σ3.<br />
(4.44)<br />
Aus der Gleichung (4.44) können die Koeffizienten der Boosttransformation ΛB abgelesen<br />
werden:<br />
ΛB ⎛<br />
a<br />
⎜<br />
= ⎜<br />
⎝<br />
2 + b2 + c2 + d2 2ab<br />
2ab<br />
a<br />
2ac 2ad<br />
2 + b2− c2− d2 2ac 2bc<br />
2bc<br />
a<br />
2bd<br />
2− b2 + c2− d2 2cd<br />
2ad 2bd 2cd a2− b2− c2 + d2 ⎞<br />
⎟<br />
⎠ (4.45)<br />
Die Parameter a, b, c und d enthalten die Rapidität und die Richtungskomponenten<br />
des Geschwindigkeitsvektors:<br />
a = cosh(χ/2) b = − sinh(χ/2)n 1<br />
c = − sinh(χ/2)n 2<br />
d = − sinh(χ/2)n 3 . (4.46)<br />
Schließlich wollen wir noch prüfen, ob Geschwindigkeiten entlang der Koordinatenachsen<br />
die korrekten Speziellen <strong>Lorentz</strong>transformationen reproduzieren. Bei der Berechnung<br />
der Koeffizienten verwenden wir die Rechenregeln<br />
cosh 2 (χ/2) − sinh 2 (χ/2) = 1 (4.47)<br />
cosh 2 (χ/2) + sinh 2 (χ/2) = cosh(χ) (4.48)<br />
2 cosh(χ/2) sinh(χ/2) = sinh(χ) (4.49)<br />
um die Halbrapiditäten aufzulösen. Für die Spezielle <strong>Lorentz</strong>transformation entlang<br />
der räumlichen Achse i gilt<br />
n i = 1, n k = 0 (für k = i). (4.50)<br />
20
Wir bezeichnen diese Speziellen <strong>Lorentz</strong>transformationen mit Λ (i)<br />
S und erhalten:<br />
Λ (1)<br />
⎛<br />
a<br />
⎜<br />
S = ⎜<br />
⎝<br />
2 + b2 2ab<br />
2ab<br />
a<br />
0 0<br />
2 + b2 0 0<br />
0<br />
a<br />
0<br />
2− b2 0<br />
0 0 0 a2− b2 ⎞<br />
⎟<br />
⎠ =<br />
⎛<br />
cosh(χ) − sinh(χ) 0<br />
⎜<br />
⎜−<br />
sinh(χ) cosh(χ) 0<br />
⎝ 0 0 1<br />
⎞<br />
0<br />
0 ⎟<br />
0⎠<br />
0 0 0 1<br />
(4.51)<br />
Λ (2)<br />
⎛<br />
a<br />
⎜<br />
S = ⎜<br />
⎝<br />
2 + c2 0<br />
0<br />
a<br />
2ac 0<br />
2− c2 2ac 0<br />
0<br />
a<br />
0<br />
2 + c2 0<br />
0 0 0 a2− c2 ⎞<br />
⎟<br />
⎠ =<br />
⎛<br />
⎞<br />
cosh(χ) 0 − sinh(χ) 0<br />
⎜ 0 1 0 0 ⎟<br />
⎝−<br />
sinh(χ) 0 cosh(χ) 0⎠<br />
0 0 0 1<br />
(4.52)<br />
Λ (3)<br />
⎛<br />
a<br />
⎜<br />
S = ⎜<br />
⎝<br />
2 + d2 0<br />
0<br />
a<br />
0 2ad<br />
2− d2 0 0<br />
0<br />
a<br />
0<br />
2− d2 0<br />
2ad 0 0 a2 + d2 ⎞<br />
⎟<br />
⎠ =<br />
⎛<br />
⎜<br />
⎝<br />
cosh(χ) 0<br />
0 1<br />
0 0<br />
⎞<br />
0 − sinh(χ)<br />
0 0 ⎟<br />
1 0 ⎠ . (4.53)<br />
− sinh(χ) 0 0 cosh(χ)<br />
Offenbar generiert die Form (4.45) einer allgemeinen <strong>Lorentz</strong>–Boosttransformation<br />
tatsächlich die korrekten Speziellen <strong>Lorentz</strong>transformationen Λ (i)<br />
S , was als weitere Bestätigung<br />
des Ansatzes (4.23) gelten kann.<br />
4.6 <strong>Lorentz</strong>–Boosts und die Lie–Algebra so(1, 3)<br />
Studiert man die mathematisch–physikalische Literatur zu Rotationen, <strong>Lorentz</strong>transformationen<br />
und anderen Symmetrieoperationen, kommt man um eine Auseinandersetzung<br />
mit der Theorie der Lie–Gruppen nicht herum. Wir haben z.B. in der Abhandlung<br />
[3] zu Rotationen festgestellt, daß die Kenntnis der Lie–Algebra so(3) eine einfache Herleitung<br />
der Rotationsformel von Olinde Rodrigues gestattet. In diesem Abschnitt wollen<br />
wir dieses Programm für die <strong>Lorentz</strong>gruppe SO(1,3) wiederholen und herausfinden,<br />
wie das Gegenstück der Rodrigues–Rotationsformel für reine <strong>Lorentz</strong>transformationen<br />
aussieht.<br />
Wir beginnen mit der Untersuchung der Matrixeigenschaften, welche für die Mitglieder<br />
von SO(1,3) und so(1, 3) verbindlich sind. Die durch die Minkowskimetrik induzierte<br />
Isometrieforderung an die Elemente Λ der Gruppe SO(1,3) haben wir bereits in (1.2)<br />
beschrieben:<br />
Λ g Λ T = g. (4.54)<br />
Lie–Gruppe und Lie–Algebra stehen im gleichen Verhältnis wie eine Differenzierbare<br />
Mannigfaltigkeit zu einem ihrer Tangentialvektorräume. Die lokalen Eigenschaften<br />
bestimmen jeden Punkt einer Mannigfaltigkeit bzw. einer Lie–Gruppe gleichermaßen,<br />
weshalb sie sich auch in jedem Punkt wiederfinden. Insbesondere läßt sich eine Lie–<br />
Gruppe ohne Beschränkung der Allgemeinheit in der Umgebung des Einselementes<br />
21
Λ = studieren, welchem das Nullelement der Lie–Algebra zugeordnet wird. Unter<br />
diesem Gesichtspunkt betrachten wir nun in der Gruppe der <strong>Lorentz</strong>transformationen<br />
eine Kurve Λ(t) der Gestalt<br />
Λ(t) = e tM mit t ∈ . (4.55)<br />
Der Theorie der Lie–Gruppen zufolge erzeugt die Exponentialabbildung aus Elementen<br />
der Lie–Algebra Mitglieder der zugehörigen Lie–Gruppe. Umgekehrt erhält man durch<br />
das Ableiten einer Kurve von Gruppenelementen in t=0 ein Element der Lie–Algebra.<br />
Dieser Prozeß entspricht dem Erzeugen eines Tangentialvektors durch das Differenzieren<br />
einer Kurve in einer Punktmannigfaltigkeit. Wir nutzen diesen Umstand aus und<br />
differenzieren (4.54) in der Umgebung des Einselementes der <strong>Lorentz</strong>gruppe, d.h. an<br />
der Stelle t = 0. Auf diese Weise entsteht aus der Isometrieforderung an die Gruppenelemente<br />
Λ aus SO(1,3) eine Forderung an die Elemente M der Lie–Algebra so(1, 3):<br />
d<br />
dt Λ(t) g ΛT <br />
<br />
(t)<br />
t=0<br />
= d<br />
dt Λ(t) · g ΛT <br />
<br />
(t)<br />
t=0<br />
+ Λ(t) g · d<br />
dt ΛT <br />
<br />
(t)<br />
t=0<br />
= Mg + gM T = 0 (4.56)<br />
⇒ (Mg) T = − Mg. (4.57)<br />
Im Letzten Schritt haben wir von der Symmetrie g T = g des Metrischen Tensors Gebrauch<br />
gemacht. Mit (4.57) ist zwar nicht M schiefsymmetrisch, wohl aber das Produkt<br />
Mg. Diese ” erweiterte Schiefsymmetrie“ wird im Fall einer euklidischen Metrik mit<br />
g = zur echten Schiefsymmetrie wie beispielsweise im Fall der Lie Algebra so(3). Die<br />
Eigenschaften (4.54) und (4.57) passen gut zu den Mitgliedschaften von Λ ∈ SO(1,3)<br />
und M ∈ so(1, 3):<br />
– Die Matrixmultiplikation ist unter der Isometrieforderung abgeschlossen, denn es<br />
gilt<br />
Λ1Λ2 g (Λ1Λ2) T = Λ1Λ2 g Λ T<br />
2Λ T<br />
1 = Λ1 g Λ T<br />
1 = g . (4.58)<br />
Eine Linearkombination von <strong>Lorentz</strong>transformationen erfüllt die Isometrieforderung<br />
im Allgemeinen nicht und ist daher selbst keine <strong>Lorentz</strong>transformation. Letztere<br />
bilden somit bezüglich der Matrixmultiplikation eine Gruppe, aber bezüglich<br />
der Addition keinen Vektorraum.<br />
– Man kann sich leicht davon überzeugen, daß die erweiterte Schiefsymmetrie (4.57)<br />
der Matrizen M für Linearkombinationen erhalten bleibt. Das Matrixprodukt<br />
zweier Elemente M1 und M2 hingegen besitzt diese Eigenschaft nicht:<br />
(M1M2 g) T = (M1 gg −1 M2 g) T = (M2 g) T g −1 (M1 g) T<br />
= M2 gg −1 M1 g = M2M1 g = −M1M2 g .<br />
22<br />
(4.59)
Beim Übergang von der ersten zur zweiten Zeile wurden (4.57) und die Symmetrie<br />
des Metrischen Tensors ausgenutzt. Die Lie–Klammer, welche hier die Form eines<br />
Kommutators besitzt, darf als Algebraoperation von so(1, 3) nicht aus der Klasse<br />
der erweitert schiefsymmetrischen Matrizen M herausführen:<br />
<br />
[M1, M2] g T = M1M2 g T − M2M1 g T = M2M1 g − M1M2 g = − [M1, M2] g .<br />
(4.60)<br />
Bei der Berechnung der transponierten Produkte konnten wir auf (4.59) zurückgreifen.<br />
Die hier beschriebenen Eigenschaften machen die erweitert schiefsymmetrischen<br />
Matrizen zu einem Vektorraum und zu einer Algebra in Bezug auf die<br />
Lie–Klammer; bezüglich der Matrixmultiplikation bilden sie jedoch keine Gruppe.<br />
Als nächstes konstruieren wir eine Basis für die Lie–Algebra so(1, 3), indem wir als<br />
Zwischenschritt eine Basis für die schiefsymmetrischen 4×4–Matrizen Mg suchen. Der<br />
naheliegendste Ansatz hierfür lautet:<br />
⎛<br />
0<br />
⎜<br />
M1 g = ⎜1<br />
⎝0<br />
−1<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
⎞<br />
0<br />
0 ⎟<br />
0⎠<br />
⎛<br />
0<br />
⎜<br />
M4 g = ⎜0<br />
⎝0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
⎞<br />
0<br />
0 ⎟<br />
1⎠<br />
0 0 0 0<br />
0 0 −1 0<br />
⎛<br />
0<br />
⎜<br />
M2 g = ⎜0<br />
⎝1<br />
0<br />
0<br />
0<br />
−1<br />
0<br />
0<br />
⎞<br />
0<br />
0 ⎟<br />
0⎠<br />
⎛<br />
0<br />
⎜<br />
M5 g = ⎜0<br />
⎝0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
⎞<br />
0<br />
−1 ⎟<br />
0⎠<br />
(4.61)<br />
0 0 0 0<br />
0 1 0 0<br />
⎛<br />
0<br />
⎜<br />
M3 g = ⎜0<br />
⎝0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
⎞<br />
−1<br />
0 ⎟<br />
0⎠<br />
⎛<br />
0<br />
⎜<br />
M6 g = ⎜0<br />
⎝0<br />
0<br />
0<br />
−1<br />
0<br />
1<br />
0<br />
⎞<br />
0<br />
0 ⎟<br />
0⎠<br />
1 0 0 0<br />
0 0 0 0<br />
Die Basismatrizen Mi selbst erhält man durch Rechtsmultiplikation mit g −1 , wobei drei<br />
schiefsymmetrische und drei symmetrische Matrizen entstehen. Es ist an dieser Stelle<br />
23
sinnvoll, die Bezeichnung der Basismatrizen zu wechseln:<br />
⎛<br />
0<br />
⎜<br />
Px = ⎜1<br />
⎝0<br />
1<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
⎞<br />
0<br />
0 ⎟<br />
0⎠<br />
⎛<br />
0<br />
⎜<br />
Jx = ⎜0<br />
⎝0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
⎞<br />
0<br />
0 ⎟<br />
−1⎠<br />
0 0 0 0<br />
0 0 1 0<br />
⎛<br />
0<br />
⎜<br />
Py = ⎜0<br />
⎝1<br />
0<br />
0<br />
0<br />
1<br />
0<br />
0<br />
⎞<br />
0<br />
0 ⎟<br />
0⎠<br />
⎛<br />
0<br />
⎜<br />
Jy = ⎜0<br />
⎝0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
⎞<br />
0<br />
1 ⎟<br />
0⎠<br />
0 0 0 0<br />
0 −1 0 0<br />
⎛<br />
0<br />
⎜<br />
Pz = ⎜0<br />
⎝0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
⎞<br />
1<br />
0 ⎟<br />
0⎠<br />
⎛<br />
0<br />
⎜<br />
Jz = ⎜0<br />
⎝0<br />
0<br />
0<br />
1<br />
0<br />
−1<br />
0<br />
⎞<br />
0<br />
0 ⎟<br />
0⎠<br />
1 0 0 0<br />
0 0 0 0<br />
(4.62)<br />
Bei den Basismatrizen Jx, Jy und Jz handelt es sich offensichtlich um die um eine<br />
” Null–Dimension“ erweiterten Generatoren der <strong>Dr</strong>ehgruppe SO(3) [3], welche auf die<br />
hinzugefügte Dimension allerdings keine Wirkung haben. Die restlichen Basismatrizen<br />
Px, Py und Pz involvieren gerade diese neu hinzugekommene Null– oder Zeitdimension,<br />
weshalb sich ihre Interpretation als Generatoren von Speziellen <strong>Lorentz</strong>transformationen<br />
entlang der Koordinatenachsen geradezu anbietet. Alle sechs Basismatrizen entstehen<br />
durch Differentiation der entsprechenden Elemente der <strong>Lorentz</strong>– bzw. <strong>Dr</strong>ehgruppe,<br />
vergleiche hierzu (4.51)–(4.53) und [3]:<br />
Px = − d<br />
dt Λ(1)<br />
<br />
<br />
S (t) Py = −<br />
t=0<br />
d<br />
dt Λ(2)<br />
<br />
<br />
S (t) Pz = −<br />
t=0<br />
d<br />
dt Λ(3)<br />
<br />
<br />
S (t) (4.63)<br />
t=0<br />
Jx = d<br />
dt R(e <br />
<br />
x, t) Jy =<br />
t=0<br />
d<br />
dt R(e <br />
<br />
y, t) Jz =<br />
t=0<br />
d<br />
dt R(e <br />
<br />
z, t) (4.64)<br />
t=0<br />
Das Minuszeichen in (4.63) ist das Resultat der am Anfang dieses Kapitels vereinbarten<br />
Konventionen bezüglich der Basiswechselmatrix. Der Parameter t hat die physikalische<br />
Bedeutung der Rapidität χ bei <strong>Lorentz</strong>boosts bzw. des <strong>Dr</strong>ehwinkels θ bei Rotationen.<br />
Wie sich durch explizite Berechnung leicht feststellen läßt, zerfallen die Strukturkoeffizienten<br />
in mehrere Gruppen. Für die Boostgeneratoren gilt<br />
⎫<br />
[Px, Py] = Pz ⎪⎬<br />
⎧<br />
⎪⎨ 1 i j k gerade Permutation von x y z<br />
[Py, Pz] = Px<br />
[Pz, Px] = Py<br />
k<br />
⇒ Cij ⎪⎭<br />
= −1<br />
⎪⎩<br />
0<br />
i j k ungerade Permutation von x y z<br />
sonst.<br />
(4.65)<br />
Für die Rotationsgeneratoren gilt:<br />
[Jx, Jy] = Jz<br />
[Jy, Jz] = Jx<br />
[Jz, Jx] = Jy<br />
⎫<br />
⎪⎬<br />
⎪⎭<br />
⇒ C k<br />
ij<br />
=<br />
⎧<br />
⎪⎨ 1 i j k gerade Permutation von x y z<br />
−1<br />
⎪⎩<br />
0<br />
i j k ungerade Permutation von x y z<br />
sonst.<br />
24<br />
(4.66)
Kommutatoren, die beide Gruppen von Generatoren mischen, haben die Gestalt:<br />
[Px, Jy] = [Jx, Py] = Pz<br />
[Py, Jz] = [Jy, Pz] = Px<br />
[Pz, Jx] = [Jz, Px] = Py<br />
⎫<br />
⎪⎬<br />
⎪⎭<br />
⇒ C k<br />
ij<br />
=<br />
⎧<br />
⎪⎨ 1 i j k gerade Pm.(x y z)<br />
−1<br />
⎪⎩<br />
0<br />
i j k ungerade Pm.(x y z)<br />
sonst.<br />
(4.67)<br />
In Abschnitt 1.2 haben wir bereits festgestellt, daß die Rotationsgruppe SO(3) in der<br />
<strong>Lorentz</strong>gruppe SO(1,3) enthalten ist. Dieses drückt sich bei der Lie–Algebra so(1, 3)<br />
darin aus, daß deren Basis diejenige der Lie–Algebra so(3) erweitert. Im Folgenden<br />
wollen wir uns auf reine <strong>Lorentz</strong>transformationen konzentrieren und beschränken uns<br />
daher für den Rest des Abschnittes auf den von den Pi aufgespannten Unterraum der<br />
Lie–Algebra so(1, 3).<br />
Die Generatoren Px, Py und Pz der Boosts entlang der Koordinatenachsen ermöglichen<br />
eine Art Achse–Winkel Konstruktion eines allgemeinen Boosts. Hierfür wählen wir die<br />
Parametrisierung innerhalb der Lie–Algebra so(1, 3) folgendermaßen:<br />
t n := t (n x Px + n y Py + n z Pz) mit (n x ) 2 + (n y ) 2 + (n z ) 2 = 1 . (4.68)<br />
Die hier eingeführte Größe n ist die Darstellung eines Richtungsvektors n in der Lie–<br />
Algebra so(1, 3) und der Parameter t steht für die Rapidität. Aus diesen Elementen<br />
der Lie–Algebra erzeugen wir die zugehörigen <strong>Lorentz</strong>transformationen Λ(n, t) durch<br />
Anwendung der Exponentialabbildung:<br />
Λ(n, t) = e t n =<br />
∞<br />
k=0<br />
1<br />
k! (t n)k . (4.69)<br />
An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, daß die Generatoren Pi nicht<br />
kommutieren (4.65) und daß somit die elementaren Rechenregeln für die Exponentialfunktion<br />
nicht anwendbar sind. Eine Zerlegung nach dem Vorbild der Eulerschen Formel<br />
(4.23) ist ebenfalls nicht möglich, da n2 = ± in diesem Fall nicht gilt. Stattdessen<br />
müssen wir die Potenzreihenentwicklung (4.69) auswerten, über die die Exponentialfunktion<br />
definiert ist, und benötigen hierfür weitere Informationen zu den Potenzen<br />
des Richtungsvektors n. Zunächst fassen wir diesen in einer Matrix zusammen:<br />
⎛<br />
⎞<br />
0 n x n y n z<br />
⎜<br />
n = ⎜n<br />
⎝<br />
x 0 0 0 ⎟<br />
⎠ . (4.70)<br />
n y 0 0 0<br />
n z 0 0 0<br />
25
Die Potenzen von n lassen sich durch explizite Berechnung bestimmen:<br />
n 0 = (4.71)<br />
⎛<br />
⎞<br />
0 n x n y n z<br />
n 1 ⎜<br />
= ⎜n<br />
⎝<br />
x n<br />
0 0 0<br />
y 0 0 0<br />
nz ⎟<br />
⎠<br />
0 0 0<br />
n 2 ⎛<br />
1<br />
⎜<br />
= ⎜<br />
⎝<br />
0 0 0<br />
⎛<br />
0 (nx ) 2 nxny nxnz 0 nynx (ny ) 2 nynz 0 nznx nzny (nz ) 2<br />
0 n x n y n z<br />
n 3 ⎜<br />
= ⎜n<br />
⎝<br />
x 0 0 0<br />
n y 0 0 0<br />
n z 0 0 0<br />
⎞<br />
⎞<br />
⎟<br />
⎠<br />
(4.72)<br />
(4.73)<br />
⎟<br />
⎠ = n . (4.74)<br />
Bei der Berechnung wurde die Normierung (n x ) 2 + (n y ) 2 + (n z ) 2 = 1 der Richtungsvektorkomponenten<br />
ausgenutzt. Die zunächst seltsam aussehende Beziehung n 3 = n ohne<br />
daß gleichzeitig n 2 = gilt erklärt sich aus der Nichtinvertierbarkeit von n, dessen<br />
Determinante verschwindet. Mit (4.71)–(4.74) sind alle Potenzen des Richtungsvektors<br />
bekannt<br />
n 0 = <br />
n 2k+1 = n 0 ≤ k < ∞<br />
n 2k = n 2 1 ≤ k < ∞ ,<br />
und die Exponentialdarstellung (4.69) des <strong>Lorentz</strong>boosts zerfällt in drei Anteile:<br />
Λ(n, t) = +<br />
∞<br />
0<br />
t2k+1 · n +<br />
(2k + 1)!<br />
∞<br />
1<br />
(4.75)<br />
t 2k<br />
(2k)! · n2 . (4.76)<br />
Die noch verbleibenden Summen enthalten keine Generatoren mehr und können als<br />
Potenzreihendarstellungen der Hyperbolischen Funktionen zusammengefaßt werden:<br />
sinh(t) =<br />
cosh(t) =<br />
∞<br />
0<br />
∞<br />
0<br />
t 2k+1<br />
(2k + 1)!<br />
(4.77)<br />
t2k . (4.78)<br />
(2k)!<br />
Damit lautet die Darstellung (4.76) des <strong>Lorentz</strong>boosts folgendermaßen:<br />
Λ(n, t) = + sinh(t) · n + (cosh(t) − 1) · n 2 . (4.79)<br />
26
Um herauszufinden, ob diese Form der reinen <strong>Lorentz</strong>transformation mit dem früher<br />
gefundenen Ausdruck (4.45) verträglich ist, führen wir wie in Abschnitt 4.5 die Halbrapiditäten<br />
ein<br />
cosh(t) = cosh 2 (t/2) + sinh 2 (t/2)<br />
und erhalten<br />
sinh(t) = 2 sinh(t/2) cosh(t/2)<br />
(4.80)<br />
Λ(n, t) = + 2 sinh(t/2) cosh(t/2) · n + 2 sinh 2 (t/2) · n 2 . (4.81)<br />
Wir verwenden wieder die in (4.46) eingeführten Parameter:<br />
a = cosh(t/2) b = sinh(t/2) n x<br />
a 2 − b 2 − c 2 − d 2 = 1 .<br />
c = sinh(t/2) n y<br />
d = sinh(t/2) n z<br />
(4.82)<br />
Das im Vergleich mit (4.46) fehlende Minuszeichen wurde in der Definition der Boostgeneratoren<br />
(4.64) absorbiert. Die einzelnen Anteile von (4.81) sehen in diesen Parametern<br />
folgendermaßen aus:<br />
⎛<br />
0<br />
⎜<br />
sinh(t/2) cosh(t/2) · n = ⎜ad<br />
⎝ac<br />
ab<br />
0<br />
0<br />
ac<br />
0<br />
0<br />
⎞<br />
ad<br />
0 ⎟<br />
0 ⎠<br />
(4.83)<br />
ad 0 0 0<br />
sinh 2 (t/2) · n 2 ⎛<br />
b<br />
⎜<br />
= ⎜<br />
⎝<br />
2 + c2 + d2 0<br />
0<br />
b<br />
0 0<br />
2 0 cb<br />
bc<br />
c<br />
bd<br />
2 cd<br />
0 db dc d2 ⎞<br />
⎟<br />
⎠ . (4.84)<br />
In (4.84) haben wir die Normierung 1 = (n x ) 2 +(n y ) 2 +(n z ) 2 verwendet, um den Faktor<br />
sinh 2 (t/2) auch in der (0, 0)–Komponente integrieren zu können. Beim Zusammensetzen<br />
aller drei Anteile aus (4.81) drücken wir die im ersten Term auftretenden Einsen<br />
mit Hilfe von 1 = a2 −b2 −c2 −d2 ebenfalls in den neuen Parametern aus. Wir erhalten<br />
⎛<br />
a<br />
⎜<br />
Λ(n, t) = ⎜<br />
⎝<br />
2 + b2 + c2 + d2 2ab<br />
2ab<br />
a<br />
2ac 2ad<br />
2 + b2− c2− d2 2ac 2bc<br />
2bc<br />
a<br />
2bd<br />
2− b2 + c2− d2 2cd<br />
2ad 2bd 2cd a2− b2− c2 + d2 ⎞<br />
⎟<br />
⎠ (4.85)<br />
und haben somit bewiesen, daß die aus der Lie–Algebra so(1, 3) abgeleitete Beschreibung<br />
von <strong>Lorentz</strong>–Boosttransformationen das gleiche Resultat liefert wie die anfangs<br />
dieses Kapitels vorgestellte quaternionische Darstellung mit Hilfe von Matrizen der<br />
Gruppe SL(2,C).<br />
27
Abschließend wollen wir die Wirkung des <strong>Lorentz</strong>boosts (4.79) auf einen Weltvektor<br />
⎛ ⎞<br />
ct<br />
⎜<br />
x = ⎜x<br />
⎟<br />
⎝ y ⎠<br />
(4.86)<br />
z<br />
im Detail untersuchen und auf elementare Vektoroperationen zurückführen. Hierfür<br />
berechnen wir zunächst den Effekt der Potenzen des Richtungsvektors n und n2 auf x:<br />
⎛<br />
⎞<br />
n x =<br />
⎜<br />
⎝<br />
⎛<br />
n 2 ⎜<br />
x = ⎜<br />
⎝<br />
n x x + n y y + n z z<br />
ct n x<br />
ct n y<br />
ct n z<br />
ct<br />
(nxx + nyy + nzz) nx<br />
(nxx + nyy + nzz) ny<br />
(nxx + nyy + nzz) nz<br />
⎟<br />
⎠ = (n, x), ct n T<br />
⎞<br />
(4.87)<br />
⎟<br />
⎠ = ct, (n, x) n T . (4.88)<br />
Diese Ergebnisse setzen wir in (4.79) ein und erhalten in Zeit– und Ortskomponenten<br />
getrennt<br />
Λ(n, t) x (ct) = cosh(t) ct + sinh(t) (n, x)<br />
Λ(n, t) x (x) = sinh(t) ct + cosh(t) (n, x) n + x − (n, x) n .<br />
(4.89)<br />
Diese Form einer reinen <strong>Lorentz</strong>transformation ist das Gegenstück zur Rotationsformel<br />
von Olinde Rodrigues. Um die Ausdrücke besser interpretieren zu können, führen wir<br />
die parallele und die orthogonale Komponente von x in Bezug auf die Richtung n des<br />
Boosts ein:<br />
x = (n, x) n =: x n<br />
x ⊥ = x − (n, x) n .<br />
(4.90)<br />
Setzen wir diese Komponenten des Ortsvektors in (4.89) ein, erhält die Wirkung eines<br />
<strong>Lorentz</strong>boosts die Form<br />
Λ(n, t) x (ct) = cosh(t) ct + sinh(t) x <br />
(x) <br />
Λ(n, t) x = sinh(t) ct + cosh(t) x n + x ⊥ .<br />
(4.91)<br />
Man erkennt jetzt, daß jede reine <strong>Lorentz</strong>transformation eine Spezielle <strong>Lorentz</strong>transformation<br />
entlang des Richtungsvektors n ist, wobei die zu n senkrechte Komponente<br />
von x unverändert bleibt. Auch wenn diese Erkenntnis keine besondere Überraschung<br />
ist und eine allgemeine reine <strong>Lorentz</strong>transformation auch ad hoc hätte so konstruiert<br />
28
werden können, ist (4.91) zumindest eine brauchbare Kontrolle unserer Rechnungen.<br />
Die Nebeneinanderstellung dieses Ausdrucks mit der Rodrigues–Rotationsformel zeigt,<br />
wie sehr sich beide Gleichungen ähneln [3]:<br />
Λ(n, t) x (ct) = cosh(t) ct + sinh(t) x <br />
(x) <br />
Λ(n, t) x = sinh(t) ct + cosh(t) x n + x ⊥<br />
R(n, t) x = <br />
cos(t) n1 − sin(t) n2 x⊥ + x .<br />
(4.92)<br />
Die in der Rodrigues–Formel verwendeten Vektoren n 1 und n 2 sind eine orthogonale<br />
Basis innerhalb der <strong>Dr</strong>ehebene, wobei der Vektor n 1 in Richtung von x ⊥ zeigt. Natürlich<br />
besitzen die beiden Parameter n und t jeweils verschiedene physikalische Bedeutungen;<br />
n bezeichnet die Richtung des <strong>Lorentz</strong>boosts bzw. der <strong>Dr</strong>ehachse und t steht für die<br />
Rapidität bzw. den <strong>Dr</strong>ehwinkel.<br />
29
5 Die Thomas–Wigner Rotation<br />
Unsere Untersuchung der Addition von Geschwindigkeiten hat in Abschnitt 4.4 ergeben,<br />
daß die Hintereinanderausführung zweier <strong>Lorentz</strong>–Boosts im allgemeinen keine reine<br />
Boosttransformation mehr ist. Stattdessen enthält das Resultat einen als ” Thomas–<br />
Wigner Rotation“ bezeichneten unitären Anteil, der mit Hilfe einer Polarzerlegung<br />
(1.8) abgespalten werden kann und den wir in diesem Kapitel genauer untersuchen<br />
werden. Zu diesem Zweck vergleichen wir das Produkt zweier Boosts mit der Polarzerlegung<br />
einer <strong>Lorentz</strong>transformation und versuchen, Informationen über die Parameter<br />
des Rotationsanteils zu gewinnen.<br />
5.1 Gemeinsame Darstellung von Boosts und Rotationen<br />
Für die folgenden Rechnungen benötigen wir für <strong>Lorentz</strong>–Boosts und Rotationen eine<br />
einheitliche Schreibweise. <strong>Dr</strong>ei für diesen Zweck geeignete Kandidaten haben wir<br />
im letzten Kapitel kennengelernt: Quaternionische Zahlen sowie die Matrixgruppen<br />
SL(2,) und SO(1,3). Wir wählen die Gruppe SL(2,), weil uns seit Abschnitt 4.1<br />
mit den Paulimatrizen ein Werkzeug zur Verfügung steht, mit dem sich algorithmische<br />
Manipulationen an den Elementen dieser Matrixgruppe auf elegante Weise durchführen<br />
lassen. Die Gruppe SL(2,) repräsentiert die gesamte Eigentliche orthochrone <strong>Lorentz</strong>gruppe<br />
und enthält als Spezialfälle<br />
– hermitesche Matrizen: Diese stehen für <strong>Lorentz</strong>–Boosts und bilden selbst keine<br />
Gruppe.<br />
– spezielle unitäre Matrizen: Diese beschreiben Rotationen und bilden die Untergruppe<br />
SU(2).<br />
Die explizite Form eines <strong>Lorentz</strong>–Boosts erhalten wir mit Hilfe der verallgemeinerten<br />
Eulerschen Formel (4.23):<br />
LB = e −(χ/2)n = cosh(χ/2) σ0 − sinh(χ/2) n<br />
n = n 1 σ1 + n 2 σ2 + n 3 . (5.1)<br />
σ3<br />
Dieser Ausdruck ähnelt sehr der Darstellung einer Rotation als Quaternion [3]:<br />
U = e (θ/2)n = cos(θ/2) + sin(θ/2) n<br />
n = n 1 i + n 2 j + n 3 k<br />
. (5.2)<br />
Mit Hilfe der Paulimatrizen kann auch das Rotationsquaternion U als komplexe 2 × 2–<br />
Matrix geschrieben werden:<br />
= σ0 i = −iσ1 j = −iσ2 k = −iσ3 (5.3)<br />
30
Die Matrizen σµ sind die Paulimatrizen σi ergänzt durch die Einheitsmatrix σ0. Damit<br />
agieren <strong>Lorentz</strong>–Boosts und Rotationen im gleichen Darstellungsraum:<br />
L B(n B, χ) = cosh(χ/2) σ0 − sinh(χ/2) n B<br />
(5.4)<br />
U(n R, θ) = cos(θ/2) σ0 − i sin(θ/2) n R. (5.5)<br />
Hierbei ist n B (bzw. n B) der Richtungsvektor der Geschwindigkeit des <strong>Lorentz</strong>–Boosts,<br />
und n R (bzw. n R) ist der Normalenvektor der <strong>Dr</strong>ehachse der Rotation. Wie zu Beginn<br />
des Kapitels angedeutet haben die Matrizen L B(n B, χ) und U(n R, θ) trotz ihrer ähnlichen<br />
Form unterschiedliche Eigenschaften:<br />
L B(n B, χ) : Hermitesch, nur Element von SL(2,C)<br />
U(n R, θ) : Unitär, Element von SL(2,C) und von SU(2).<br />
5.2 Polarzerlegung des Produktes zweier Boosts<br />
Die Zerlegung einer allgemeinen <strong>Lorentz</strong>transformation L in ihren reinen Anteil L B<br />
und eine Rotation U kann wie in (1.8) beschrieben auf zweierlei Weise geschehen:<br />
L = ULB = L ′ BU<br />
. (5.6)<br />
L ′ B = UL BU †<br />
Bevor wir die Polarzerlegung zweier <strong>Lorentz</strong>–Boosts im Detail besprechen, sollten wir<br />
verstehen, wie sich diese beiden Zerlegungsmethoden voneinander unterscheiden. Zu<br />
diesem Zweck setzen drücken wir L B durch (5.1) aus und erhalten:<br />
L ′ B = U cosh(χ/2) σ0 − sinh(χ/2) n U †<br />
= cosh(χ/2) σ0 − sinh(χ/2) Un U †<br />
=: cosh(χ/2) σ0 − sinh(χ/2) n ′<br />
. (5.7)<br />
Die der Rotation U folgenden bzw. vorausgehenden Boosts L ′ B und L B besitzen also<br />
dieselbe Rapidität χ. Die Richtungen n ′ bzw. n der beiden Transformationen sind<br />
jedoch verschieden:<br />
n ′ = Un U † . (5.8)<br />
Dieser Ausdruck beschreibt die <strong>Dr</strong>ehung des dem Vektor n zugeordneten ( 1 1 , 2 2 )–Spinors<br />
n durch den unitären Operator U. Ist also die Zerlegung einer allgemeinen <strong>Lorentz</strong>transformation<br />
L in LB und U bekannt, läßt sich L ′ B einfach durch <strong>Dr</strong>ehung des Normalenvektors<br />
n ermitteln:<br />
L ′ B = L B(Un U † , χ). (5.9)<br />
31
Für den Rest dieses Kapitels beschränken wir uns auf den Fall<br />
L = UL B<br />
(5.10)<br />
in welchem der Boost der Rotation vorausgeht und wenden uns nun der Komposition<br />
zweier Boosttransformationen zu.<br />
Das Produkt zweier <strong>Lorentz</strong>–Boosts bestimmen wir mit Hilfe der Rechenregeln für die<br />
Paulimatrizen (4.8) und deren Multiplikationstabelle (4.9):<br />
σ1 2 = σ2 2 = σ3 2 = −i σ1σ2 σ3 = (5.11)<br />
σ1σ2 = −σ2 σ1 = iσ3<br />
σ2 σ3 = −σ3 σ2 = iσ1<br />
σ3 σ1 = −σ1σ3 = iσ2.<br />
Unter Ausnutzung dieser Beziehungen lautet das Produkt zweier Boosts<br />
(5.12)<br />
LB(n2, χ2) LB(n1, χ1) =<br />
= <br />
cosh(χ2/2) σ0 − sinh(χ2/2) n2 cosh(χ1/2) σ0 − sinh(χ1/2) n1 . (5.13)<br />
= ch1 ch2 σ0 − sh1 ch2 n1 − sh2 ch1 n2 + sh1 sh2 n2n1<br />
Um die Übersicht über die Terme in (5.13) zu behalten haben wir naheliegende Abkürzungen<br />
der Gestalt ch1 = cosh(χ1/2) usw. eingeführt. Der Ausdruck n2n1 hat die<br />
Struktur eines Clifford– Produktes, welches in die Summe eines inneren und eines<br />
äußeren Produktes zerfällt:<br />
j<br />
n<br />
n2n1 = n i 2 σi<br />
=<br />
3<br />
i=1<br />
1 σj<br />
n i 2 n i 1 σ0 + i n 1 2 n 2 1 − n 2 2 n 1 1 σ3 + · · ·<br />
· · · + i n 3 2 n 1 1 − n 1 2 n 3 1<br />
= (n 2, n 1) σ0 + i n2∧ n1<br />
<br />
σ2 + i n 2 2 n 3 1 − n 3 2 n 2 1 σ1<br />
(5.14)<br />
Das äußere Produkt n2∧ n1 faßt die Terme mit den Komponenten von n 2 × n 1 in einer<br />
kompakten Schreibweise zusammen. Setzen wir (5.14) in (5.13) ein, erhalten wir:<br />
L B(n 2, χ2) L B(n 1, χ1) = ch1 ch2 + sh1 sh2 (n 1, n 2) σ0 − · · ·<br />
· · · − sh1 ch2 n1 − sh2 ch1 n2 + i sh1 sh2 n2∧ n1<br />
. (5.15)<br />
Andererseits ergibt die Polarzerlegung der resultierenden <strong>Lorentz</strong>transformation<br />
U(n R, θ) LB(n B, χ) =<br />
= <br />
cos(θ/2) σ0 − i sin(θ/2) n R cosh(χ/2) σ0 − sinh(χ/2) n B , (5.16)<br />
= cos ch σ0 − i sin ch n R − cos sh n B + i sin sh n Rn B<br />
32
worin wir dieselbe Art von Abkürzungen eingeführt haben wie in (5.13). Das Clifford–<br />
Produkt der Achsen n R und n B lautet (vgl. (5.14)):<br />
n Rn B = (n R, n B) σ0 + i n R∧ n B. (5.17)<br />
Nach Einsetzen des Clifford– Produktes (5.17) in den Ausdruck (5.16) erhalten wir<br />
U(n R, θ) L B(n B, χ) = cos ch + i sin sh (n R, n B) σ0 − · · ·<br />
· · · − cos sh n B − sin sh n R∧ n B − i sin ch n R<br />
. (5.18)<br />
Der Polarzerlegungssatz besagt, daß man (5.18) mit der Darstellung (5.15) des Produktes<br />
zweier <strong>Lorentz</strong>–Boosts gleichsetzen kann. Beide Gleichungen enthalten einen<br />
Skalarteil (σ0) und einen Vektorteil, die jeweils beide in einen Realteil und einen Imaginärteil<br />
zerfallen. Durch den Vergleich dieser vier Anteile ergeben sich vier Gleichungen<br />
in den Größen θ, χ, n R und n B:<br />
ch1 ch2 + sh1 sh2 (n 1, n 2) = cos ch (5.19)<br />
sin sh (n R, n B) = 0 (5.20)<br />
sh1 ch2 n 1 + sh2 ch1 n 2 = cos sh n B + sin sh n R× n B (5.21)<br />
sh1 sh2 n 1× n 2 = sin ch n R. (5.22)<br />
Da die obenstehenden Gleichungen gelten komponentenweise, weswegen wir von der<br />
Darstellung in Paulimatrizen zur Vektorschreibweise übergehen konnten.<br />
5.3 Plausibilität des Gleichungssystems<br />
Es ist gewiß von Vorteil, vor den ersten Lösungsversuchen die Plausibilität des Gleichungssystems<br />
(5.19) – (5.22) zu diskutieren und zu überprüfen, ob bereits bekannte<br />
Spezialfälle durch diese Gleichungen reproduziert werden. Zunächst jedoch beschäftigen<br />
wir uns mit zwei Eigenschaften, die sofort ins Auge fallen:<br />
– Gleichung (5.20) besagt, daß wegen (n R, n B) = 0 die <strong>Dr</strong>ehachse n R senkrecht zur<br />
Geschwindigkeitsrichtung n B der resultierenden <strong>Lorentz</strong>transformation steht. In<br />
den Fällen sin(θ/2) = 0 und sinh(χ/2) = 0 bleibt das obenstehende Skalarprodukt<br />
zwar unbestimmt, allerdings ist für θ = 0 die Lage der <strong>Dr</strong>ehachse und für<br />
χ = 0 die Lage des Geschwindigkeitsvektors irrelevant.<br />
– Gleichung (5.22) besagt, daß wegen n 1× n 2 ∼ n R die <strong>Dr</strong>ehachse n R senkrecht zu<br />
den Geschwindigkeitsrichtungen n 1 und n 2 der kombinierten Boosts steht. In den<br />
Fällen sinh(χ1/2) = 0, sinh(χ2/2) = 0 und sin(θ/2) = 0 bleibt die relative Lage<br />
des Kreuzproduktes zur <strong>Dr</strong>ehachse allerdings unbestimmt. Die Frage nach der<br />
33
elativen Orientierung der <strong>Dr</strong>echachse in Bezug zu den Boostgeschwindigkeiten<br />
verliert jedoch ihren Sinn, wenn wegen χ1 = 0 bzw. χ2 = 0 jeweils ein Geschwindigkeitsvektor<br />
verschwindet oder wenn wegen θ = 0 keine <strong>Dr</strong>ehung stattfindet.<br />
Insgesamt steht also die <strong>Dr</strong>ehachse n R der Thomas–Wigner Rotation sowohl senkrecht<br />
zu den Ausgangsgeschwindigkeiten als auch senkrecht zur Endgeschwindigkeit nach<br />
der Addition, weswegen die Vektoren n 1, n 2 und n B in einer Ebene liegen müssen. Die<br />
Rotation findet ebenfalls in dieser Ebene statt, womit die hierzu senkrechte Dimension<br />
vom Prozeß der beiden <strong>Lorentz</strong>transformationen gänzlich unberührt bleibt. Das war zu<br />
erwarten, weil die Symmetrie des Vorgangs diesen auf die von n 1 und n 2 aufgespannte<br />
Ebene beschränkt.<br />
Als nächstes überprüfen wir die Gleichungen (5.19) – (5.22) anhand einiger Sonderfälle,<br />
deren Ergebnis wir bereits kennen:<br />
v1 = 0 bzw. v2 = 0:<br />
Bei verschwindendem v1 bzw. v2 trägt jeweils nur ein <strong>Lorentz</strong>–Boost zum Ergebnis bei.<br />
In Gleichung (5.22) verschwindet wegen χ1 = 0 bzw. χ2 = 0 die linke Seite und legt so<br />
den <strong>Dr</strong>ehwinkel fest:<br />
sin(θ/2) = 0 ⇒ θ = 0. (5.23)<br />
Mit θ = 0 ist Gleichung (5.20) automatisch erfüllt und liefert keine zusätzlichen Informationen.<br />
Es bleiben noch zwei Gleichungen, die wir für χ1 = 0 hinschreiben:<br />
(5.19) : cosh(χ2/2) = cosh(χ/2)<br />
(5.21) : sinh(χ2/2) n 2 = sinh(χ/2) n B<br />
. (5.24)<br />
Damit sind die Größen χ und n B ebenfalls festgelegt und wir können zusammenfassen:<br />
v1 = 0 : θ = 0, χ = χ2, n B = n2 . (5.25)<br />
v2 = 0 : θ = 0, χ = χ1, n B = n1 Das hier ebenfalls angegebene Resultat für v2 = 0 läßt sich analog zum Fall v1 = 0<br />
berechnen. Für die <strong>Lorentz</strong>transformationen selbst gilt:<br />
LB(n2, χ2) LB(n1, 0) = LB(n2, χ2)<br />
. (5.26)<br />
LB(n2, 0) LB(n1, χ1) = LB(n1, χ1)<br />
Dieses Resultat ist korrekt, denn ein <strong>Lorentz</strong>–Boost mit der Rapidität 0 wirkt wie die<br />
Identitätsoperation.<br />
34
Parallele Geschwindigkeiten:<br />
Besitzen die beiden <strong>Lorentz</strong>–Boosts L B(n 1, χ1) und L B(n 2, χ2) parallele Geschwindigkeiten,<br />
verschwindet mit n 2 = n 1 das Kreuzprodukt der beiden Richtungsvektoren. Auf<br />
diese Weise wird der <strong>Dr</strong>ehwinkel θ durch Gleichung (5.22) festgelegt:<br />
sin(θ/2) = 0 ⇒ θ = 0. (5.27)<br />
Mit θ = 0 ist Gleichung (5.20) automatisch erfüllt und liefert keine zusätzlichen Informationen.<br />
Es bleiben noch die beiden Gleichungen<br />
(5.19) : ch1 ch2 + sh1 sh2 = ch<br />
, (5.28)<br />
(5.21) : sh1 ch2 + sh2 ch1 n1 = sh n B<br />
die mit Hilfe der Additionstheoreme für hyperbolische Funktionen umgeformt werden<br />
können zu<br />
cosh(χ2/2 + χ1/2) = cosh(χ/2)<br />
<br />
sinh(χ2/2 + χ1/2) . (5.29)<br />
n1 = sinh(χ/2) n B<br />
Als Resultat ergibt sich das bereits aus Abschnitt 4.4 bekannte Additionstheorem für<br />
parallele Geschwindigkeiten:<br />
n 2 = n 1 : θ = 0, χ2 + χ1 = χ, n 1 = n B. (5.30)<br />
Für die <strong>Lorentz</strong>transformationen selbst lautet dieses Theorem<br />
L B(n 1, χ2) L B(n 1, χ1) = L B(n 1, χ2 + χ1). (5.31)<br />
Im Fall paralleler Geschwindigkeiten erhalten wir somit ebenfalls ein korrektes Resultat.<br />
Galileischer Grenzfall:<br />
In einem nichtrelativistischem Szenario sind die Geschwindigkeiten v1, v2 und v klein<br />
gegenüber der Lichtgeschwindigkeit c, wodurch die Rapiditäten sich den zugehörigen<br />
Geschwindigkeiten annähern, vgl. die Einführung der Rapidität (2.27) in Kapitel 2:<br />
v ≪ c : χ ≈ v<br />
. (5.32)<br />
c<br />
Wir werden nun die Gleichungen (5.19) – (5.22) in erster Ordnung in den Geschwindigkeiten<br />
auswerten und schreiben<br />
ch1 ≈ 1 sh1 ≈ 1 v1<br />
2 c<br />
ch2 ≈ 1 sh2 ≈ 1 v2<br />
ch ≈ 1 sh ≈ 1 v<br />
2 c .<br />
2<br />
c<br />
35<br />
(5.33)
Der Faktor 1/2 ist eine Folge der Halbrapiditäten mit denen die Funktionen ch und sh<br />
im letzten Abschnitt definiert wurden. In dieser Näherung verschwindet die linke Seite<br />
von Gleichung (5.22) und wir können schließen:<br />
θ = 0 : cos(θ/2) = 1, sin(θ/2) = 0. (5.34)<br />
Die ersten beiden Gleichungen (5.19) und (5.20) degenerieren ohne weiteren Informationsgewinn<br />
zu den trivialen Identitäten 1 = 1 und 0 = 0. Es bleibt noch die Gleichung<br />
(5.21), die in dieser Näherung die Gestalt<br />
1 v1<br />
2 c n1 + 1 v2<br />
2<br />
c n 2 = 1<br />
2<br />
v<br />
c n B<br />
(5.35)<br />
annimmt. Vereinigen wir Betrag und Richtungsvektor der Geschwindigkeiten zu vektoriellen<br />
Größen, erhalten wir mit<br />
v ≪ c : θ = 0, v 1 + v 2 = v B (5.36)<br />
die nichtrelativistische vektorielle Addition von Geschwindigkeiten. Dieses Resultat ist<br />
also ebenfalls korrekt und dient somit der weiteren Plausibilisierung des untersuchten<br />
Gleichungssystems.<br />
5.4 Lösung des Gleichungssystems<br />
Für die Berechnung der gesuchten Größen θ, χ und n B ist das System von Gleichungen<br />
aus Abschnitt 5.2 zu unhandlich, weswegen wir von den beiden Vektorgleichungen<br />
(5.21) und (5.22) einfachere skalare Gleichungen ableiten werden. Zur besseren Nachvollziehbarkeit<br />
notieren wir das Ausgangssystem (5.19) – (5.22) hier noch einmal:<br />
ch1 ch2 + sh1 sh2 (n 1, n 2) = cos ch (5.37)<br />
sin sh (n R, n B) = 0 (5.38)<br />
sh1 ch2 n1 + sh2 ch1 n2 = cos sh n B + · · ·<br />
· · · + sh1 sh2 th <br />
(n B, n1) n2 − (n B, n2) n1 (5.39)<br />
sh1 sh2 n 1× n 2 = sin ch n R. (5.40)<br />
Gleichung (5.39) entsteht aus (5.21) durch Ersetzen des Terms sin n R durch (5.40) und<br />
anschließende Anwendung der BAC − CAB Regel auf das so entstandene doppelte<br />
Kreuzprodukt. Aus diesem Gleichungssystem lassen sich die folgenden ergänzenden<br />
36
Beziehungen ableiten:<br />
sh1 ch2 + sh2 ch1 (n 1, n 2) = cos sh (n B, n 1) + · · ·<br />
· · · + sh1 sh2 th (n B, n 1)(n 1, n 2) − (n B, n 2) <br />
(5.41)<br />
sh1 ch2 (n1, n2) + sh2 ch1 = cos sh (n B, n2) + · · ·<br />
· · · + sh1 sh2 th (n B, n1) − (n B, n2)(n1, n2) <br />
(5.42)<br />
<br />
sh1 sh2 1 − (n1, n2) 2 = sin ch. (5.43)<br />
Die Gleichungen (5.41) und (5.42) entstehen durch Bildung des Skalarproduktes von<br />
(5.39) mit den Richtungsvektoren n 1 bzw. n 2. Für (5.43) wurden die Beträge der in<br />
(5.40) auftretenden Vektoren mit Hilfe der BAC − CAB Regel berechnet:<br />
(n R, n R) = 1 (5.44)<br />
(n 1× n 2)(n 1× n 2) = n 1, n 2× (n 1× n 2) = 1 − (n 1, n 2) 2 . (5.45)<br />
Das Quadrieren und anschließende Wurzelziehen erweckt den Eindruck eines möglichen<br />
Verlustes von Vorzeicheninformationen. Tatsächlich ist das nicht der Fall, da die Größen<br />
sh1, sh2 und sin ohne Beschränkung der Allgemeinheit positiv gewählt werden können:<br />
– Die Faktoren sh1 = sinh(χ1/2) und sh2 = sinh(χ2/2) sind für negative Rapiditäten<br />
bzw. Geschwindigkeiten selbst negativ. Die von uns gewählte Parametrisierung<br />
der <strong>Lorentz</strong>transfromationen mit Hilfe der Richtungsvektoren n 1 und n 2<br />
ermöglicht es uns, alle Informationen zur Orientierung der Geschwindigkeiten in<br />
den Richtungsvektoren auszudrücken. Die Rapiditäten χ1 und χ2 lassen sich auf<br />
diese Weise immer positiv wählen.<br />
– Die Faktoren sin = sin(θ/2) und cos = cos(θ/2) sind aufgrund der verwendeten<br />
Halbwinkel im Bereich 0 ≤ θ ≤ π beide nicht negativ. Jeder Winkel außerhalb<br />
dieses Bereiches kann durch Umkehr der Orientierung der <strong>Dr</strong>ehachse auf einen<br />
Winkel innerhalb dieses Bereiches zurückgeführt werden. Auch hier verhindert<br />
die geschickte Orientierung des Normalenvektors n R negative Koeffizienten.<br />
Aus dem Gleichungssystem (5.37) – (5.43) können wir nun mit<br />
dem Rotationswinkel θ der Thomas–Wigner Rotation<br />
der Rapidität χ des resultierenden <strong>Lorentz</strong>–Boosts<br />
dem Richtungsvektor n B der resultierenden Geschwindigkeit<br />
alle gewünschten Größen berechnen.<br />
37
Der Winkel der Thomas–Wigner Rotation:<br />
Im ersten Schritt dividieren wir Gleichung (5.43) durch Gleichung (5.19) und eliminieren<br />
so den Term ch = cosh(χ/2). Wir erhalten einen Ausdruck für tan(θ/2), aus<br />
dem mit Hilfe elementarer Umrechnungsformeln auch sin(θ/2) und cos(θ/2) bestimmt<br />
werden können:<br />
tan(θ/2) = sh1<br />
<br />
sh2 1 − (n1, n2) 2<br />
ch1 ch2 + sh1 sh2 (n1, n2) (5.46)<br />
sin(θ/2) =<br />
<br />
sh1 sh2 1 − (n1, n2) 2<br />
<br />
ch 2<br />
1 ch 2<br />
2 + sh 2<br />
1 sh 2<br />
2 + 2 ch1 ch2 sh1 sh2 (n1, n2) (5.47)<br />
cos(θ/2) =<br />
<br />
ch1 ch2 + sh1 sh2 (n1, n2) ch 2<br />
1 ch 2<br />
2 + sh 2<br />
1 sh 2<br />
2 + 2 ch1 ch2 sh1 sh2 (n1, n2) . (5.48)<br />
Wie sich leicht nachvollziehen läßt, verschwindet die Thomas–Wigner Rotation für die<br />
im Abschnitt 5.3 betrachteten Sonderfälle:<br />
Einzelne Boosts v1 = 0, v2 = 0 :<br />
⎫<br />
⎪⎬<br />
Parallele Boosts<br />
Galileischer Grenzfall<br />
n1 = ±n2 : θ = 0.<br />
⎪⎭<br />
v1 ≪ c, v2 ≪ c :<br />
(5.49)<br />
Rapidität des resultierenden Boosts:<br />
Da nun die Ausdrücke sin(θ/2) und cos(θ/2) bekannt sind, kann sowohl Gleichung<br />
(5.37) als auch Gleichung (5.43) zur Berechnung der Rapidität χ herangezogen werden.<br />
Wir erhalten in beiden Fällen<br />
cosh(χ/2) =<br />
<br />
ch 2<br />
1 ch 2<br />
2 + sh 2<br />
1 sh 2<br />
2 + 2 ch1 ch2 sh1 sh2 (n 1, n 2) . (5.50)<br />
Dieses Resultat reproduziert für die im letzten Abschnitt behandelten Sonderfälle die<br />
bekannten Ergebnisse:<br />
Einzelne Boosts v1 = 0, v2 = 0 : χ = χ1, χ = χ2 (5.51)<br />
Parallele Boosts n 1 = ±n 2 : χ = χ1 ± χ2 (5.52)<br />
Galileischer Grenzfall v1 ≪ c, v2 ≪ c : v = v 1 + v 2. (5.53)<br />
Während sich die ersten beiden Beziehungen problemlos aus (5.50) ablesen lassen, ist<br />
zum Galileischen Grenzfall eine Erläuterung angebracht. Gleichung (5.53) entsteht aus<br />
38
(5.50) durch Entwicklung aller Terme für kleine Rapiditäten χ ≈ v/c bis zur zweiten<br />
Ordnung:<br />
1 + 1<br />
8 χ2 <br />
≈ 1 + 1<br />
4 χ21 + 1<br />
4 χ22 + 1<br />
2 χ1χ2 (n1, n2) ≈ 1 + 1<br />
8 χ2 1 + 1<br />
8 χ2 2 + 1<br />
4 χ1χ2 (n 1, n 2)<br />
⇒ χ 2 = χ 2 1 + χ 2 2 + 2 χ1χ2 (n 1, n 2)<br />
⇒ v 2 = v 2 1 + v 2 2 + 2 v1v2 (n 1, n 2)<br />
⇒ (v, v) = (v 1, v 1) + (v 2, v 2) + 2 (v 1, v 2) = (v 1 + v 2, v 1 + v 2)<br />
⇒ v = v 1 + v 2<br />
. (5.54)<br />
Die Entwicklung des Ausdrucks (5.50) für kleine Geschwindigkeiten führt also erneut<br />
zum klassischen vektoriellen Additionsgesetz.<br />
Richtungsvektor der resultierenden Geschwindigkeit:<br />
Die zwei Komponenten des Richtungsvektors n B werden durch das System der beiden<br />
linearen Gleichungen (5.41) und (5.42) festgelegt:<br />
sh1 ch2 + sh2 ch1 (n 1, n 2) = cos sh (n B, n 1) + · · ·<br />
· · · + sh1 sh2 th (n B, n 1)(n 1, n 2) − (n B, n 2) <br />
sh1 ch2 (n 1, n 2) + sh2 ch1 = cos sh (n B, n 2) + · · ·<br />
(5.55)<br />
· · · + sh1 sh2 th (n B, n 1) − (n B, n 2)(n 1, n 2) . (5.56)<br />
Da der Vektor n B sich in der von n 1 und n 2 aufgespannten Ebene befindet, können wir<br />
letztere Vektoren als Basis verwenden und schreiben:<br />
n B = n 1 n 1 + n 2 n 2. (5.57)<br />
Diese Basis ist im allgemeinen nicht orthogonal sondern schiefwinklig, und die im<br />
obenstehenden Gleichungssystem auftretenden kovarianten Komponenten (n B, n 1) und<br />
(n B, n 1) des Vektors n B müssen nicht mit den gesuchten kontravarianten Komponenten<br />
n 1 und n 2 übereinstimmen. Zwischen beiden Typen von Komponenten vermittelt der<br />
metrische Tensor gij = (n i, n j), mit dessen Hilfe die Indizes herauf– bzw. heruntergezogen<br />
werden können:<br />
n i = g ij (n B, n j), (n B, n i) = gij n j . (5.58)<br />
39
In unserem Fall haben der metrische Tensor gij und sein Inverses gij die Gestalt<br />
<br />
1 (n1, n<br />
(gij) =<br />
2)<br />
(5.59)<br />
(n1, n2) 1<br />
(g ij <br />
<br />
1 −(n<br />
) =<br />
1, n2) 1<br />
, (5.60)<br />
−(n1, n2) 1 1 − (n1, n 2<br />
2)<br />
womit sich die Beziehung zwischen kovarianten und kontravarianten Komponenten explizit<br />
hinschreiben läßt:<br />
<br />
1 − (n1, n2) 2 n 1 = (n B, n1) + (n1, n2)(n B, n2) <br />
1 − (n1, n2) 2 n 2 (5.61)<br />
= (n B, n2) + (n1, n2)(n B, n1) (n B, n 1) = n 1 + (n 1, n 2) n 2<br />
(n B, n2) = n 2 . (5.62)<br />
1<br />
+ (n1, n2) n<br />
Eine weitere hilfreiche Relation läßt sich aus (5.48) und (5.50) ableiten:<br />
ch1 ch2 + sh1 sh2 (n 1, n 2) = cos(θ/2) cosh(χ/2). (5.63)<br />
Mit Hilfe dieser Relation läßt sich später der Rotationswinkel θ aus dem Gleichungssystem<br />
(5.55) und (5.56) eliminieren. Wir beschreiben nun die notwendigen Umformungen<br />
des Gleichungssystems in einem kurzen Abriß:<br />
– Jede der beiden Gleichungen wird zunächst mit dem Faktor (n 1, n 2) multipliziert<br />
und anschließend von der anderen abgezogen.<br />
– Die kovarianten Komponenten (n B, n j) werden mit Hilfe von (5.62) durch die<br />
kontravarianten Komponenten n i ersetzt.<br />
– In beiden Gleichungen entsteht vor jedem Term der Faktor 1−(n 1, n 2) 2 , den wir<br />
wegkürzen können. Als Folge dieser Division ist ist das Gleichungssystem nicht<br />
mehr für parallele Normalenvektoren (n 1, n 2) = ±1 gültig, da der obengenannte<br />
Faktor in diesem Fall verschwindet.<br />
Nach diesen Umformungen hat das Gleichungssystem die Gestalt<br />
ch2 sh1 = cos sh n 1 − sh1 sh2 th n 2 + (n 1, n 2) n 1<br />
(5.64)<br />
ch1 sh2 = cos sh n 2 + sh1 sh2 th n 1 + (n 1, n 2) n 2 . (5.65)<br />
Jetzt ersetzen wir den Term cos durch Gleichung (5.63) und erhalten<br />
ch2 sh1 = ch1 ch2 th n 1 − sh1 sh2 th n 2<br />
(5.66)<br />
ch1 sh2 = sh1 sh2 th n 1 + ch1 ch2 + 2 sh1 sh2 (n 1, n 2) th n 2 . (5.67)<br />
40
Dieses Gleichungssystem läßt sich folgendermaßen lösen:<br />
th n 1 = sh1<br />
<br />
1 +<br />
ch1<br />
sh22<br />
ch 2<br />
<br />
(5.68)<br />
th n 2 = ch2 sh2<br />
ch 2 . (5.69)<br />
Wir verzichten an dieser Stelle auf die Überprüfung der Lösung durch Reduktion auf<br />
bekannte Spezialfälle und zeigen stattdessen im nächsten Abschnitt, daß die obenstehenden<br />
Komponenten n 1 und n 2 zur bekannten relativistischen Addition beliebig<br />
orientierter Geschwindigkeiten äquivalent sind.<br />
5.5 Additionstheorem für nichtparallele Geschwindigkeiten<br />
Gelegentlich ist in der Literatur und in Internetforen zu lesen, die Herleitung des relativistischen<br />
Additionstheorems zweier beliebig gerichteter Geschwindigkeiten sei etwas<br />
mühsam. Unser Ansatz (5.68) und (5.69) unterstreicht diese Aussage durchaus, da er<br />
dem bekannten Resultat (vgl. z.B. [5]) nicht im mindesten ähnelt. Der Grund des unterschiedlichen<br />
Erscheinungsbildes ist die Verwendung der Halbrapiditäten χ1/2, χ2/2<br />
und χ/2, die sich nicht direkt in Geschwindigkeiten ausdrücken lassen. Für die Umwandlung<br />
von Rapiditäten in Geschwindigkeiten mit Hilfe von<br />
tanh(χ) = v<br />
c<br />
müssen wir daher hyperbolische Funktionen der vollen Rapidität generieren:<br />
(5.70)<br />
cosh(χ) = cosh 2 (χ/2) + sinh 2 (χ/2) (5.71)<br />
sinh(χ) = 2 cosh(χ/2) sinh(χ/2) (5.72)<br />
tanh(χ) =<br />
2 tanh(χ/2)<br />
1 + tanh 2 . (5.73)<br />
(χ/2)<br />
41
Für die Herleitung des Additionstheorems benötigten wir Terme, die zwischen Ausdrücken<br />
in Halbrapiditäten und Ausdrücken in vollen Rapiditäten vermitteln:<br />
tanh(χi) = 2 chi shi<br />
ch 2<br />
i + sh 2<br />
i<br />
1 + tanh 2 (χ) = ch2 + sh 2<br />
<br />
1 − tanh 2 (χ1) =<br />
ch 2<br />
1<br />
ch 2<br />
1 + sh 2<br />
1<br />
1 + tanh(χ1) tanh(χ2) (n 1, n 2) =<br />
i ∈ {1, 2} (5.74)<br />
ch 2 + sh 2<br />
(5.75)<br />
(5.76)<br />
2<br />
ch1 + sh 2<br />
2<br />
1 ch2 + sh 2.<br />
(5.77)<br />
2<br />
Diese Beziehungen lassen sich mit Hilfe der elementaren Rechenregeln für hyperbolische<br />
Funktionen sowie dem Ausdruck (5.50) für (n 1, n 2) unschwer nachvollziehen. Die<br />
benötigten Geschwindigkeiten setzen wir aus Betrag und Richtungsvekor zusammen:<br />
1<br />
v = tanh(χ) n,<br />
c<br />
1<br />
c v 1 = tanh(χ1) n 1,<br />
1<br />
c v 2 = tanh(χ2) n 2. (5.78)<br />
Wir betrachten nun die Komponenten der resultierenden Geschwindigkeit<br />
1<br />
c v = tanh(χ) n1 n 1 + tanh(χ) n 2 n 2<br />
(5.79)<br />
etwas genauer und eliminieren mit Hilfe von (5.74)–(5.77) alle Ausdrücke in Halbrapiditäten:<br />
tanh(χ) n 1 = 2 ch2 th n 1<br />
=<br />
tanh(χ) n 2 = 2 ch2 th n 2<br />
=<br />
ch 2 + sh 2 = 2 sh1(ch 2 + sh 2<br />
2)<br />
ch1(ch 2 + sh 2 )<br />
<br />
tanh(χ1) + tanh(χ2) 1 −<br />
<br />
1 − tanh 2 <br />
(χ1) (n1, n2) 1 + tanh(χ1) tanh(χ2) (n 1, n 2)<br />
ch 2 + sh 2 = 2 ch2 sh2<br />
ch 2 + sh 2<br />
(5.80)<br />
<br />
tanh(χ2) 1 − tanh 2 (χ1)<br />
. (5.81)<br />
1 + tanh(χ1) tanh(χ2) (n1, n2) Die obenstehenden Beziehungen können am einfachsten in umgekehrter Schlußrichtung<br />
überprüft werden, indem man jeweils die Terme mit vollen Rapiditäten auf den vorgegebenen<br />
Ausdruck in Halbrapiditäten zurückrechnet. Schließlich fassen wir die beiden<br />
42
Komponenten (5.80) und (5.81) gemäß (5.79) in einer Vektorgleichung zusammen, ersetzen<br />
die Rapiditäten durch Geschwindigkeiten und erhalten<br />
1<br />
1<br />
v = c<br />
c v1 + 1<br />
c v2<br />
<br />
(n1, n2) n1 + 1 − v2 1 2<br />
1/c<br />
c v2<br />
<br />
n2 − (n1, n2) n1 1 + (v1, v2)/c2 . (5.82)<br />
Offenbar tragen die zu v 1 parallel bzw. senkrecht stehenden Anteile von v 2 in verschiedener<br />
Weise zur resultierenden Geschwindigkeit bei:<br />
v2 = v2 (n1, n2) n1 (paralleler Anteil) (5.83)<br />
<br />
v2⊥= v2 n2 − (n1, n2) n1 (senkrechter Anteil). (5.84)<br />
Mit den Abkürzungen v2 und v2⊥ lautet das relativistische Additionstheorem für beliebig<br />
gerichtete Geschwindigkeiten<br />
1<br />
v =<br />
1 + (v1, v2)/c2 <br />
v1 + v2 + 1 − v2 1/c2 <br />
v2⊥ . (5.85)<br />
Diese Form des Additionstheorems findet man auch in der Standardliteratur [5], wo<br />
es auf weit einfachere Weise hergeleitet wird als hier. Damit ist Gleichung (5.85) eine<br />
weitere Bestätigung des Gleichungssystems (5.19) – (5.22) sowie der zugrundeliegenden<br />
Darstellung (4.23) von <strong>Lorentz</strong>–Boosts als hermitesche Matrizen aus der Gruppe<br />
SL(2,). Darüberhinaus ist uns in diesem Abschnitt gelungen, das Additionstheorem<br />
für beliebig orientierte Geschwindigkeiten ausgehend von allgemeinen algebraischen<br />
Eigenschaften der <strong>Lorentz</strong>transformation in einem Top– Down– Verfahren abzuleiten.<br />
5.6 Diskussion des Rotationswinkels<br />
Um ein Gefühl für die Eigenschaften des Rotationswinkels θ zu bekommen, verwenden<br />
wir Gleichung (5.46) und schreiben sie folgendermaßen um:<br />
tan(θ/2) = th1<br />
<br />
th2 1 − (n1, n2) 2<br />
1 + th1 th2 (n1, n2) = th1 th2 sin(γ)<br />
. (5.86)<br />
1 + th1 th2 cos(γ)<br />
Das Skalarprodukt (n 1, n 2) haben wir im letzten Schritt durch den Winkel γ zwischen<br />
den Geschwindigkeitsvektoren der beiden <strong>Lorentz</strong>–Boosts ausgedrückt. Die Größen th1<br />
und th2 hatten wir als Abkürzung für tanh(χ1/2) und tanh(χ2/2) eingeführt. Es sind<br />
monotone Funktionen der Rapiditäten und somit auch der Geschwindigkeiten v1 bzw.<br />
v2 mit den Randwerten<br />
thi = 0 für vi = 0<br />
thi = 1 für vi = c<br />
<br />
i ∈ {1, 2}. (5.87)<br />
43
Gemäß Gleichung (5.86) hängt die Funktion tan(θ/2) ebenfalls monoton von den beiden<br />
Variablen th1 und th2 ab, denn die partiellen Ableitungen<br />
∂ tan(θ/2)<br />
∂ (th1)<br />
= ∂ tan(θ/2)<br />
∂ (th2) =<br />
1<br />
1 + th1 th2 cos(γ) 2<br />
(5.88)<br />
sind überall positiv. Den größten Wert θ M erreicht der Rotationswinkel wenn beide<br />
Geschwindigkeiten sich mit v1 → c und v2 → c dem Wert der Lichtgeschwindigkeit<br />
nähern:<br />
tan(θ M/2) = sin(γ)<br />
1 + cos(γ) =<br />
2 cos(γ/2) sin(γ/2)<br />
1 + cos 2 (γ/2) − sin 2 (γ/2)<br />
Hieraus können wir schließen daß der maximale Winkel<br />
= tan(γ/2). (5.89)<br />
θ M = γ (5.90)<br />
lautet. In Abbildung 5.1 ist der Rotationswinkel θ in Abhängigkeit der beiden Geschwindigkeiten<br />
v1 und v2 für γ = 20 ◦ und γ = 150 ◦ dargestellt. Letztendlich können<br />
wir die Eigenschaften der Thomas–Wigner Rotation folgendermaßen in Worte fassen:<br />
Zwei aufeinanderfolgende <strong>Lorentz</strong>–Boosts lassen sich durch einen einzigen<br />
Boost beschreiben, wenn das System zusätzlich innerhalb der von den Geschwindigkeiten<br />
v 1 und v 2 aufgespannten Ebene um den Winkel θ gedreht<br />
wird. Diese <strong>Dr</strong>ehung verlegt eine Gerade entlang v 1 so, daß sie anschließend<br />
zwischen den Vektoren v 1 und v 2 verläuft. Falls beide Geschwindigkeiten<br />
die Größenordnung der Lichtgeschwindigkeit erreichen, verläuft diese Gerade<br />
nach der <strong>Dr</strong>ehung entlang v 2.<br />
44
180<br />
160<br />
140<br />
120<br />
θ 100<br />
in °<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
0<br />
180<br />
160<br />
140<br />
120<br />
θ 100<br />
in °<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
0<br />
Abbildung 5.1: Winkel der Thomas–Wigner–Rotation<br />
0.2<br />
0.2<br />
0.4<br />
v1 /c<br />
0.4<br />
v1 /c<br />
0.6<br />
0.6<br />
45<br />
0.8<br />
0.8<br />
γ = 20°<br />
γ =150°<br />
1 0 1 0<br />
1 0 1 0<br />
1<br />
0.8<br />
0.6<br />
0.4<br />
v<br />
0.2 2 /c<br />
1<br />
0.8<br />
0.6<br />
0.4<br />
v<br />
0.2 2 /c
Literaturverzeichnis<br />
[1] J.C.Baez, J.P.Muniain, Gauge Fields, Knots and Gravity, World Scientific,<br />
Singapore- New Jersey- London- Hong Kong, (1994).<br />
[2] J.Gray, Olinde Rodrigues’ Paper of 1840 on Transformation Groups, Archive of<br />
the History of Exact Sciences 21, 375, Springer, Berlin– Heidelberg (1979/80).<br />
[3] R.Hübner, Der Unterschied zwischen keiner <strong>Dr</strong>ehung und einer <strong>Dr</strong>ehung um 2π,<br />
private Aufzeichnungen, Wesel (2010).<br />
[4] J.Hicks, A Poet with a Slide Rule: Piet Hein bestrides art and science, Life Magazine,<br />
October 14, 55-66 (1966).<br />
[5] L.D.Landau, E.M.Lifschitz, Lehrbuch der Theoretischen Physik Band II: Klassische<br />
Feldtheorie, Akademie - Verlag, Berlin (1989).<br />
[6] A.Messiah, Quantenmechanik Bd. II, de Gruyter, Berlin- New York (1985).<br />
[7] C.W.Misner, K.S.Thorne, J.A.Wheeler, Gravitation, W.H.Freeman and Company,<br />
New York (1973).<br />
[8] G.Roepstorff, Einführung in die Quantenfeldtheorie, RWTH Aachen, Vorlesungsskript<br />
(2000).<br />
[9] L.H.Thomas, Motion of the spinning Electron, Nature 117, 514 (1926).<br />
[10] E.P.Wigner, On unitary representations of the inhomogeneous <strong>Lorentz</strong> group,<br />
Ann. Math. 40, 149-204 (1939).<br />
46