anmerkungen zu bach's johannespassion - ulmer-kantorei.de
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JOHANNESPASSION / THEOLOGIE / ANTIJUDAISMUS? Seite 2<br />
1. Antijudaismus in <strong>de</strong>r Johannespassion Bachs?<br />
Wenn vor allem <strong>de</strong>m Evangelisten Johannes eine antijudaistische ‚Ten<strong>de</strong>nz’<br />
vorgeworfen wer<strong>de</strong>n kann, so ergibt sich daraus natürlich die Fragestellung,<br />
ob J.S. Bach in seiner Johannespassion diese antijudaistischen ‚Ten<strong>de</strong>nz’<br />
bestätigt o<strong>de</strong>r gar verstärkt. Hier<strong>zu</strong> einige erhellen<strong>de</strong> Hinweise:<br />
1. Inwiefern J.S. Bach diese Frage reflektiert hat, ist nicht belegbar. Es ist<br />
nur möglich, aus <strong>de</strong>n Kompositionen<br />
selbst relativ ein<strong>de</strong>utige<br />
Rückschlüsse <strong>zu</strong> ziehen.<br />
2. Faktum ist, dass Bach in seinen<br />
Passionen einerseits ungekürzt<br />
und <strong>zu</strong>nächst ‚neutral’ <strong>de</strong>n biblischen<br />
Text mit all seinen antijudaistischen<br />
Ten<strong>de</strong>nzen („Die<br />
Ju<strong>de</strong>n schrien wie<strong>de</strong>r allesamt,<br />
‚Kreuzige ihn!’“ o<strong>de</strong>r „Sein Blut<br />
komme über uns und unsere<br />
Kin<strong>de</strong>r“) wie<strong>de</strong>rgibt.<br />
3. Andrerseits beantwortet er z.B. in<br />
<strong>de</strong>r Johannes-Passion die Choral-Frage „Wer hat dich so geschlagen“ mit<br />
<strong>de</strong>r 2. Choralstrophe „Ich, ich und meine Sün<strong>de</strong>n“ (Nr. 15), hält damit<br />
<strong>de</strong>m Zuhörer <strong>de</strong>n Spiegel vor und konfrontiert ihn <strong>zu</strong>sätzlich in einem<br />
Tenor-Arioso mit <strong>de</strong>r berühmte Frage: “Was willst du <strong>de</strong>ines Ortes<br />
tun?“ (Nr. 62).<br />
4. Bach hat in seinen Passionen – entgegen einer alten Tradition - auf eine<br />
typisierte Rollenverteilung verzichtet. Nirgendswo fin<strong>de</strong>t man im Notentext<br />
zB <strong>de</strong>n Hinweis Bass I (= Jesus) und Bass II (= Arien), Bass III<br />
(Petrus, Judas, Pilatus usw...); son<strong>de</strong>rn je<strong>de</strong>r Sänger muss je<strong>de</strong> Rolle<br />
singen; d.h. je<strong>de</strong>r Mensch ist <strong>zu</strong>gleich Jesus, Judas, Petrus, Pilatus<br />
usw.<br />
5. Daraus ergibt sich ein<strong>de</strong>utig, dass Bach hinter <strong>de</strong>m Pauschalbegriff<br />
„Die Ju<strong>de</strong>n“ ganz allgemein alle Menschen versteht, die sich maßgeblich<br />
an Verrat, Verurteilung, Verhöhnung und Kreuzigung Jesu beteiligen,<br />
sich in <strong>de</strong>r Masse von Drahtziehern im Hintergrund missbrauchen lassen<br />
und dabei nie<strong>de</strong>ren Instinkten ihren freien Lauf lassen können.<br />
Dies zeichnet er – vor allem in <strong>de</strong>r Johannespassion - über<strong>de</strong>utlich in<br />
dramatisch-plastischen Farben in seinen Turba-Chören. Wenn man so<br />
will, konzentriert sich Bach – getreu <strong>de</strong>r lutherischen Theologie - auf die<br />
Verantwortung <strong>de</strong>s einzelnen Menschen in <strong>de</strong>r Masse bzw <strong>de</strong>s An-<br />
führers einer Masse und thematisiert in seinen Passionen jenes unselige<br />
Phänomen, was in <strong>de</strong>r NS-Zeit in Deutschland letztlich <strong>de</strong>n 2. WK und<br />
Auschwitz errmöglicht hat..<br />
6. Bach erweist sich <strong>zu</strong><strong>de</strong>m als kenntnisreicher Theologe, wenn er die<br />
Theologie <strong>de</strong>r Johannes-Passion nicht nur im Eingangschor („Herr<br />
unser Herrscher .... <strong>de</strong>r wahre Gottessohn<br />
.... <strong>de</strong>r auch in <strong>de</strong>r größten<br />
Niedrigkeit verherrlicht wor<strong>de</strong>n ist“)<br />
sehr getreu nachzeichnet, son<strong>de</strong>rn<br />
in <strong>de</strong>n Mittelpunkt seiner Johannes-Passion<br />
<strong>de</strong>n Choral „Durch<br />
<strong>de</strong>in Gefängnis, Gottes Sohn,“<br />
(Nr. 40) stellt. Die Hohenpriester<br />
und die sie bestätigen<strong>de</strong> Masse<br />
(also wir Menschen) erweisen in ihrem<br />
letzten Wort wi<strong>de</strong>r Willen („wir<br />
haben keinen König außer <strong>de</strong>m<br />
Kaiser“ Nr. 46), dass Jesus <strong>de</strong>r<br />
Sieger ist; ihr Unglaube an ihn ist<br />
das Gericht über sie. Die Macht<br />
<strong>de</strong>r Lüge siegt und Pilatus übergibt<br />
endgültig Jesus „<strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n“ (also:<br />
<strong>de</strong>n Ungläubigen, <strong>de</strong>n Lügnern)<br />
<strong>zu</strong>r Kreuzigung. (Beachte<br />
hier<strong>zu</strong> <strong>de</strong>n 2. Teil dieser Informationten!)<br />
Benutzte Literatur<br />
Su<strong>zu</strong>ki, Masaaki, Booklet in seiner Aufnahme <strong>de</strong>r MP von J.S. Bach, BIS 1999<br />
Dürr, Alfred, Johannes-Passion von J.S. Bach, Bärenreiter, Kassel 1992<br />
Geck, Martin, Bach Johannespassion, Fink München 1991<br />
Geck, Martin, Bach – Leben und Werk, Rowohlt Hamburg 2000<br />
Schmid, Wieland, Wege <strong>zu</strong>r Musik, Stationen und Strukturen, Bachs Johannespassion,<br />
Bayr. Rundfunk München 2000<br />
Jena, Günter, Das gehet meiner Seele nah, Die MP von J.S. Bach, Her<strong>de</strong>r Freiburg<br />
2001<br />
Bultmann, R., Das Evangelium <strong>de</strong>s Johannes, Van<strong>de</strong>nhoeck & Ruprecht Göttingen<br />
1962