05.06.2013 Aufrufe

Die Superintendentur ist anders - VELKD

Die Superintendentur ist anders - VELKD

Die Superintendentur ist anders - VELKD

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Volker Weymann/Udo Hahn (Hg.)<br />

<strong>Die</strong> <strong>Superintendentur</strong> <strong>ist</strong> <strong>anders</strong>.<br />

Strukturwandel und Profil des ephoralen Amtes


Volker Weymann/Udo Hahn (Hg.)<br />

<strong>Die</strong> <strong>Superintendentur</strong> <strong>ist</strong> <strong>anders</strong>.<br />

Strukturwandel und Profil<br />

des ephoralen Amtes


Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek<br />

<strong>Die</strong> Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der<br />

Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische<br />

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.<br />

ISBN 3-9809127-6-0<br />

© Lutherisches Kirchenamt, Hannover 2005<br />

2., verb. Auflage 2006<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

Umschlaggestaltung: Reichert dtp+design, Dormagen<br />

Satz: Sabine Rüdiger-Hahn, Sehnde<br />

Druck: Breklumer Druckerei, Breklum<br />

www.velkd.de<br />

Printed in Germany


Inhaltsverzeichnis<br />

Vorwort 7<br />

Zur Geschichte des ephoralen Amtes im deutschen<br />

Luthertum vom 16. bis zum 20. Jahrhundert<br />

Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild 9<br />

Der Strukturwandel des ephoralen Amtes in praktischtheologischer<br />

Sicht. Exemplarische Debatten, Differenzierungen<br />

und Modelle<br />

Jan Hermelink 57<br />

Verantwortung für theologische Orientierung bzw. kirchliche<br />

Lehre. Eine Skizze<br />

Volker Weymann 89<br />

Überlegungen zur Profilierung des Amtes des<br />

Superintendenten/der Superintendentin<br />

Martin Schindehütte 113<br />

Zum Profil der Ephorien angesichts von Veränderungsprozessen<br />

in den letzten Jahren<br />

Volker Weymann 127<br />

Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung: eine notwendige<br />

und beziehungsvolle Unterscheidung<br />

Volker Weymann 159<br />

Herausgeber und Autoren 208<br />

5


Vorwort<br />

In den letzten Jahren haben sich in den Aufgaben und in der<br />

Gestaltung des ephoralen Amtes wie der Ephorien beträchtliche<br />

Veränderungen ergeben. <strong>Die</strong> mittlere Ebene in der evangelischen<br />

Kirche befindet sich im Umbruch – und fordert<br />

deshalb zur Klärung des veränderten wie genuinen Profils dieses<br />

Amtes heraus. Dekane, Superintendentinnen, Pröpstinnen<br />

und Kreispfarrer – als Vorgesetzte führen und leiten sie<br />

haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.<br />

Zu ihrer Verantwortung gehören notwendig Personalführung,<br />

Konzeptionsentwicklung, Managementaufgaben und ge<strong>ist</strong>liche<br />

Leitung: Wie sind diese Dimensionen sachgemäß und<br />

sinnvoll aufeinander zu beziehen? Wie hat sich das ephorale<br />

Amt seit der Reformationszeit bis heute entwickelt? Wie wirkt<br />

sich der gegenwärtige Strukturwandel aus? Welche Veränderungs-<br />

und Orientierungsprozesse sind in den Dekanaten/<br />

<strong>Superintendentur</strong>en/Ephorien zu beobachten? Welche Modelle<br />

von Führung und Leitung zeichnen sich für die Zukunft<br />

ab?<br />

<strong>Die</strong>se und andere Fragen sind in Kursen des Theologischen<br />

Studienseminars der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen<br />

Kirche Deutschlands (<strong>VELKD</strong>) in Pullach bei München mit<br />

Experten eingehend erörtert worden. Zentrale Beiträge aus<br />

dem Diskussionsprozess werden in diesem Buch dokumentiert.<br />

Hannover, im Juli 2005<br />

Volker Weymann Udo Hahn<br />

7


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

im deutschen Luthertum<br />

vom 16. bis zum 20. Jahrhundert<br />

Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild<br />

Bei unserem Thema geht es um Probleme der Kirchenverfassung<br />

und der kirchlichen Praxis: um die „Aufsicht“ eines<br />

Vorgesetzten über Untergebene, um den Ephorus, Inspektor,<br />

Superintendenten, Episkopen. <strong>Die</strong> Vielfalt der Begriffe spiegelt<br />

die Mannigfaltigkeit der geschichtlichen Entwicklung<br />

wider. Der Begriff „ephorales Amt“ <strong>ist</strong> im 19. Jahrhundert<br />

aufgekommen, verbreitet wohl in Sachsen und hauptsächlich<br />

in Preußen zur Bezeichnung des Superintendentenamtes. Er<br />

eignete sich als Zusammenfassung für die entsprechenden,<br />

jedoch unterschiedlich benannten Ämter in fast allen<br />

Landeskirchen (neben Superintendenten: Pröpste, Dekane,<br />

Kreispfarrer o.ä.). Allerdings hat er sich nur teilweise im 20.<br />

Jahrhundert eingebürgert, um die ge<strong>ist</strong>liche Leitungsfunktion<br />

auf der so genannten mittleren Ebene zwischen Gemeinde<br />

und Landeskirche terminologisch zu markieren . Der wichtigste<br />

Sinn dieser Begriffsbildung dürfte in der Unterscheidung<br />

vom „episkopalen Amt“ (samt der Kompetenzen) liegen. Das<br />

war im 19. Jahrhundert gleichsam politisch wichtig, weil der<br />

Bischofstitel in erheblichem Maße mit dem Summepiskopat<br />

der evangelischen Staatsoberhäupter verbunden war.<br />

Im 20. Jahrhundert sollte damit die funktionale und statusmäßige<br />

Differenz zum neuen, nunmehr rein kirchlichen Amt des<br />

Bischofs, Landesbischofs, Kirchenpräsidenten o.ä. zum Ausdruck<br />

gebracht werden, die freilich sowohl theologisch als<br />

auch praktisch nur selten stringent begründet wurde. <strong>Die</strong><br />

Wurzeln dieser Unklarheit lagen im deutschen Luthertum der<br />

Reformationszeit, welches einerseits das römisch-katholische<br />

Bischofsamt ablehnte, andererseits mit dem Superintendenten<br />

ein spezifisch evangelisches Bischofsamt schuf.<br />

9


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

Im Blick auf künftige Praxisveränderungen muss die methodische<br />

Frage zumindest gestellt werden, welche Relevanz die<br />

h<strong>ist</strong>orische Betrachtung für die heutige kirchenpolitische Diskussion<br />

um Strukturreformen besitzen soll oder kann. Das<br />

verbindet sich mit der Frage, ob hier theologische Elemente<br />

begegnen (oder biblische Sachverhalte von grundsätzlicher<br />

Bedeutung), die heute als Normen zur Beurteilung der Praxis<br />

gelten können bzw. die normative Aspekte erkennen lassen,<br />

welche bei möglichen Änderungen unbedingt oder eingeschränkt<br />

oder modifiziert berücksichtigt werden müssen.<br />

I. Das Grundproblem: Divergenz von Prinzip und Praxis<br />

Wenn wir die Eigenart des ephoralen Amtes verstehen wollen,<br />

müssen wir dessen Entstehung in der Reformationszeit<br />

berücksichtigen – die praktischen Notwendigkeiten und die<br />

theologischen Prinzipien. So hat die Tatsache Gewicht, dass in<br />

Deutschland das Superintendentenamt in Verbindung mit<br />

dem Pfarramt zur Kirchenstruktur wesenhaft gehörte. Das ergab<br />

sich aus dem evangelischen Ansatz, wonach Kirche durch<br />

das Wort Gottes konstituiert wird 4. Es gab für die lutherische<br />

Reformation nur ein Amt, dasjenige der Verkündigung und<br />

Sakramentsverwaltung, und dieses musste vorhanden sein in<br />

jeder Stadt und in den größeren Dörfern. Ihm wurde zugeordnet<br />

die wesentliche Funktion, über die Reinheit der evangelischen<br />

Lehre zu wachen. So realisierte sich faktisch das eine<br />

Predigtamt in zwei Ämtern: dem des Pfarrers/Pastors/<br />

Predigers und dem des Superintendenten/Inspektors/<br />

Dekans. Doch aufgrund der politischen Rahmenbedingungen<br />

kam bei der Formierung der evangelischen Kirche ein nichttheologisches<br />

Amt hinzu, der Summepiskopat des Landesherren<br />

(des Fürsten bzw. des Rates in den freien Städten).<br />

Somit ex<strong>ist</strong>ierte die evangelische Kirche seit dem 16.<br />

Jahrhundert auf drei Ebenen, denen drei Ämter entsprachen:<br />

Gemeinde und Pfarrer – Region und Superintendent –<br />

Landeskirche und staatlicher Summus episcopus. Was bedeutet<br />

das für die Frage nach den normativen Grundlagen?<br />

10


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

<strong>Die</strong> Fragestellung hinsichtlich der Normativität h<strong>ist</strong>orischer<br />

Fakten <strong>ist</strong> hinreichend erprobt bei der allgemeinen Diskussion<br />

um das kirchliche Amt (auch und gerade in ökumenischer<br />

Perspektive). Deswegen lässt sich vorab konstatieren: Gemäß<br />

dem evangelischen Ansatz kann kein geschichtlicher Tatbestand<br />

als solcher – d.h. als verbindliches Ergebnis einer h<strong>ist</strong>orischen<br />

Entwicklung und insofern als „Tradition“ im<br />

dogmatischen Sinne – normative Geltung beanspruchen. Als<br />

Beispiel dafür nenne ich die ökumenische Diskussion um das<br />

seit dem 2./3. Jahrhundert fixierte dreifache Amt (Bischof,<br />

Presbyter, Diakon), welches als normatives Verfassungselement<br />

in der gesamten Kirche bis hin zur Frühen Neuzeit bzw.<br />

zur Reformation gültig war 5. Hier gibt es für die heutige<br />

Diskussion Differenzen, die nicht grundsätzlich lösbar sind,<br />

wie sich an der Divergenz hinsichtlich der Tradition und der<br />

durch das Ius divinum gesetzten Ordnung zeigt.<br />

Das sei im Blick auf unser Spezialproblem der Amtsfrage nur<br />

deshalb erwähnt, weil hier klar geworden <strong>ist</strong>, dass nach evangelisch-lutherischer<br />

Auffassung Dreierlei beachtet werden<br />

muss: 1. Biblische Verfassungsmodelle können nicht direkt als<br />

normativ genommen werden; 2. vielmehr kommt der geschichtlichen<br />

Entwicklung eine erhebliche Bedeutung zu,<br />

sofern und insoweit dabei konstitutive theologische Aspekte<br />

impliziert sind; 3. mit vernünftiger Umsicht können die beiden<br />

Grundbegriffe „Tradition“ und „Ius divinum“ trotz der kontroverstheologischen<br />

Belastung zur Klärung des Normenproblems<br />

auch bei unserem Thema herangezogen werden.<br />

Den grundsätzlichen Prolegomena füge ich eine Bemerkung<br />

zur Terminologie hinzu. Der Begriff „ephorales Amt“<br />

erscheint mir in mancher Hinsicht als problematisch. Weder<br />

hat er eine klare h<strong>ist</strong>orische Kontur, noch <strong>ist</strong> der bezeichnete<br />

Gegenstand eindeutig. Insbesondere <strong>ist</strong> das Verhältnis zum<br />

„episkopalen Amt“ sowohl theologisch als auch praktisch<br />

immer noch klärungsbedürftig 6. Der Sachverhalt wird ohne<br />

weiteres deutlich, wenn man in die heute gültigen Kirchenverfassungen<br />

schaut. <strong>Die</strong> Unklarheit und die Mannigfaltigkeit lie-<br />

11


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

gen begründet in der eigentümlichen Geschichte der evangelischen<br />

Kirche in Deutschland. Sie konnte sich praktisch seit<br />

dem 16. Jahrhundert nur in Gestalt autonomer – und demgemäß<br />

unterschiedlich geordneter – Territorialkirchen organisieren.<br />

Sie hat von ihrer Ausgangssituation her – nämlich mit<br />

dem konstitutiven Protest gegen eine Verfremdung der religiösen<br />

Lebensdimension durch deren Vermischung mit rechtlichen,<br />

ökonomischen und politischen Elementen – Probleme<br />

mit der sachgerechten Beziehung zwischen Theologie und<br />

Realität, Prinzip und Praxis bekommen. Anders formuliert:<br />

In vielen Fragen der äußerlichen Ordnung vermag sie kaum<br />

angemessen deren innerlich-ge<strong>ist</strong>liche Dimension zu berücksichtigen.<br />

Klarheit der Prinzipien gibt es hinsichtlich unseres Themas<br />

durchaus, wenn man sich an die lutherischen Bekenntnisschriften<br />

hält. Doch die Komplexität der Praxis führt nicht<br />

immer zu adäquater Realisierung. Das sei durch einen kurzen<br />

Vergleich mit der römisch-katholischen Kirche verdeutlicht 7.<br />

Deren Praxis samt dahinter stehender Theorie war im 16.<br />

Jahrhundert so komplex, dass die prinzipielle Klarheit der<br />

Grundstruktur verdeckt wurde. <strong>Die</strong>se besagte (vereinfacht<br />

formuliert), dass Kirchenleitung wesenhaft mit dem Bischofsamt<br />

zusammenhinge. <strong>Die</strong> seit dem Mittelalter gesteigerte<br />

funktionale Differenzierung dieses Amtes (nicht zuletzt auch<br />

dessen – sein Wesen verfremdende – Verbindung mit dem<br />

weltlichen Fürstenstand in Deutschland) schuf einerseits<br />

beträchtliche Unklarheiten sowie Mängel der Praxis; die konkurrierend-konfliktreiche<br />

Zuordnung zum Papstamt institutionalisierte<br />

andererseits die Unmöglichkeit einer theologisch<br />

stringent begründeten Konsensbildung. Der Kampf zwischen<br />

Konziliarismus und Papalismus zeigte das im 15. Jahrhundert<br />

ebenso wie im 20. Jahrhundert die Ausgleichsversuche des<br />

Zweiten Vatikanischen Konzils. In dogmatischer Hinsicht<br />

hängt da alles ab von der Tatsache, dass es in sakramentaler<br />

und damit in soteriologischer Hinsicht nur ein einziges kirchliches<br />

Amt gibt, nämlich einziges Sakrament des Ordo, dasjenige<br />

des „Priesters“ (das „sacerdotium“), wobei der Begriff<br />

12


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

„sacerdos“ sowohl den Pfarrer als auch den Bischof einschließt<br />

8. Selbst der Papst <strong>ist</strong> insofern nichts anderes. Es gibt<br />

nur ein Sakrament der Priesterweihe, nicht aber – vergebliche<br />

scholastische Versuche haben das bestätigt – ein Sakrament<br />

der Bischofsweihe oder gar der Papstweihe. Alle dogmatischen<br />

Differenzierungen dieser Ämter (einschließlich der<br />

Metropoliten, der Erzbischöfe) dienen meines Erachtens nur<br />

dazu, den wesentlichen Sachverhalt zu verschleiern bzw. lehrmäßig<br />

zu erläutern: dass Machtfragen auch in der Kirche eine<br />

konstitutive Bedeutung besitzen. Denn aus frühchr<strong>ist</strong>licher<br />

Perspektive geurteilt geht es um die Autorität, d.h. den Zusammenhang<br />

von Ge<strong>ist</strong> und Recht. Das bedeutet etwas präziser,<br />

aber immer noch recht erklärungsbedürftig: Es geht um<br />

die apostolische Sukzession. Aus der Sendung Jesu Chr<strong>ist</strong>i hat<br />

sich h<strong>ist</strong>orisch im Grunde nur ein einziges Amt ergeben, dasjenige<br />

der Apostel, der Wahrheitszeugen des Evangeliums,<br />

denen der dauerhafte Be<strong>ist</strong>and des Heiligen Ge<strong>ist</strong>es, des<br />

Ge<strong>ist</strong>es Jesu Chr<strong>ist</strong>i, verheißen <strong>ist</strong> 9. <strong>Die</strong>sen Ansatz hat nach<br />

meinem Urteil die Alte Kirche bis zur so genannten Konstantinischen<br />

Wende im Wesentlichen sachgemäß in einer kirchlichen<br />

Ordnung konkretisiert. Und die war episkopal<br />

konstituiert, wobei das Amt undenkbar war ohne den Bezug<br />

zur Gemeinde. Mit den Verfassungsänderungen während des<br />

4. bis 13. Jahrhunderts wurde diese Struktur weitgehend verdeckt.<br />

<strong>Die</strong> Reformversuche im späten Mittelalter, namentlich<br />

des so genannten Konziliarismus im 15. Jahrhundert, scheiterten<br />

daran, dass die Macht der Päpste größer war als diejenige<br />

der anderen Stände innerhalb der Chr<strong>ist</strong>enheit 10.<br />

Demgegenüber besaß die evangelische Kirche in der Zeit nach<br />

1520 die Möglichkeit, durch Rekurs auf eine biblisch begründete<br />

Neuorientierung des altkirchlichen Bischofsamtes eine<br />

bessere Struktur von Kirchenleitung zu schaffen. Doch diese<br />

Chance konnte in Deutschland aus reichsrechtlichen und politischen<br />

Gründen nicht realisiert werden. Das kündigte sich<br />

schon mit der berühmten Schrift Luthers „An den chr<strong>ist</strong>lichen<br />

Adel“ an, wobei hier das theologische Gemeindeprinzip praktisch<br />

in einen nichttheologischen Machtfaktor umschlug 11.<br />

13


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

Statt einer biblisch begründeten Neuorientierung des altkirchlichen<br />

Bischofsamtes kam es in der Folgezeit bald zur Schaffung<br />

des landesherrlichen Summepiskopats und damit des<br />

Superintendentenamtes, dessen unklarer „ephoraler“ Charakter<br />

auch in der variablen Nomenklatur von Superintendent,<br />

Dekan, Propst, Oberpfarrer u.a. zutage trat. Hier gab es theologische<br />

und jur<strong>ist</strong>ische Unklarheiten, die ungefähr denjenigen<br />

der römischen Kirche entsprachen, wenn wir die Perspektive<br />

auf unser Thema beschränken: auf das Verhältnis von Gesamtkirche,<br />

Metropolitankirche, Diözesankirche und Ortskirche<br />

einerseits, auf das Verhältnis von Landeskirche, Kirchenkreis<br />

(o.ä.) und Kirchengemeinde/Parochie andererseits.<br />

Relativ klar geordnet war in der evangelischen Kirche des 16.<br />

Jahrhunderts das ge<strong>ist</strong>liche Amt des Ortspfarrers. Da es bis<br />

heute – jedenfalls in der theologischen Begründung – die<br />

Basis aller darüber stehenden ge<strong>ist</strong>lichen Leitungsämter<br />

abgibt, muss der h<strong>ist</strong>orische Überblick die reformatorische<br />

Position auch zu diesem Punkt streifen. Denn es soll ja nicht<br />

um bloßes Reg<strong>ist</strong>rieren von Koinzidenzen und Varianten in<br />

den regionalen Ordnungen gehen, sondern primär um grundsätzliche<br />

Aspekte. Dazu gehört auch eine kurze Orientierung<br />

über das Problem des episkopalen Amtes in der Reformation,<br />

weil der Begriff „Superintendent“ schon für das 16.<br />

Jahrhundert zeigt, dass in der Praxis die episkopalen und die<br />

ephoralen Elemente etwas verworren begegneten.<br />

II. Der reformatorische Ansatz: Wortverkündigung und<br />

Lehraufsicht<br />

Luthers Reformation implizierte von Anfang an den schärfsten<br />

Kampf gegen die religiösen Ansprüche der traditionellen<br />

Hierarchie. Das traf zuvörderst den Papst und sein kirchliches<br />

System, das Luther seit 1519/20 deshalb als Institution des<br />

Antichr<strong>ist</strong>en entlarvte, weil seine Herrschaft innerhalb der<br />

Kirche das Wort Gottes bzw. das Evangelium Chr<strong>ist</strong>i unterdrückt;<br />

das traf auch das herkömmliche Bischofsamt hinsicht-<br />

14


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

lich seiner theologischen Grundlage und rechtlichen<br />

Struktur 12. Hier zeigte sich jedoch nur die eine Seite des<br />

Themas.<br />

1. Wie die Kritik am Messopfer und an Theorie und Praxis des<br />

Priesteramtes auf eine Neukonstituierung von Messe und<br />

ge<strong>ist</strong>lichem Amt zielte (die seit etwa 1522/23 erste Konturen<br />

gewann), so entwarf Luther schon früh ein Konzept neuartiger<br />

Kirchenleitung. Für die Gesamtkirche sollte das Konzil<br />

zuständig sein, für die Ortskirche die Gemeinde. Bei beiden<br />

verschränkte sich – insbesondere bei der personalen Repräsentanz<br />

– das ge<strong>ist</strong>liche mit dem weltlichen Element, konkret<br />

die Chr<strong>ist</strong>en- und die Bürgergemeinde bzw. die kirchliche und<br />

politische Obrigkeit. Der wesenhafte, daher unlösbare Zusammenhang<br />

von Amt und Gemeinde und damit von Gottes<br />

ge<strong>ist</strong>lichem und Gottes weltlichem Regiment prägte seit den<br />

Anfängen die Reformation also die evangelische Erneuerung<br />

der katholischen Kirche, und das nicht nur bei Luther, sondern<br />

überall. Theoretisch wie praktisch wirkte ein Prinzip,<br />

welches für unser Thema nicht nur im Blick auf das 16. Jahrhundert<br />

belangvoll <strong>ist</strong>: Das ge<strong>ist</strong>liche Leitungsamt war ohne<br />

Beteiligung der Gemeinde nicht sachgemäß zu ordnen. Ein<br />

kritischer Aspekt <strong>ist</strong> jedoch sogleich impliziert: <strong>Die</strong> generelle<br />

Verwirklichung in dauerhaften Strukturen benötigte einen längeren<br />

Zeitraum (etwa bis 1580) und sie erfolgte im deutschen<br />

Luthertum nicht einheitlich, erst recht nicht in den weiteren<br />

reformatorischen Kirchen Europas. <strong>Die</strong> sachgemäße Beteiligung<br />

der Gemeinde kam erst sehr viel später hinzu seit der<br />

Einführung einer presbyterial-synodalen Kirchenordnung<br />

1835 (dazu s. Abschnitt IV), also zunächst nicht aufgrund der<br />

lutherischen Verfassungsentwicklung.<br />

<strong>Die</strong> Grundzüge einer Erneuerung des ge<strong>ist</strong>lichen Amtes als<br />

Teil einer Gesamtreform der Kirche begegneten 1520 in der<br />

bereits zitierten „Adelsschrift“. Danach <strong>ist</strong> das gegenwärtige<br />

Bischofsamt nicht biblisch begründet bzw. von Gott eingesetzt;<br />

ein wahrer Bischof <strong>ist</strong> für Luther identisch mit einem<br />

Ortspfarrer 13. Schon hier klingt der fortan wichtige Rekurs an<br />

15


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

einerseits auf die Pastoralbriefe (1. Timotheus 3 und Titus 1),<br />

andererseits auf Hieronymus, der in Auslegung dieser<br />

Bibeltexte wie im h<strong>ist</strong>orischen Rückblick auf die ersten<br />

Jahrhunderte eine Kongruenz von Episcopus und Presbyterus<br />

konstatiert hat 14. Luther definierte also das Pfarramt als ein<br />

lokales Bischofsamt. Das zeigten exemplarisch im Jahre 1523<br />

seine Schrift über die Vollmacht der „Chr<strong>ist</strong>liche(n) versamlung<br />

odder gemeyne ...“, Prediger einzusetzen, und seine<br />

Widmung der „Formula missae“ an den Stadtpfarrer Nikolaus<br />

Hausmann als Episcopus der Kirche von Zwickau 15. Auch der<br />

1523 zum Pfarrer von Wittenberg durch den Rat der Stadt gewählte<br />

Johannes Bugenhagen, den Luther im Gottesdienst<br />

installiert bzw. „confirmiert“ hat (beides unter Bruch des herkömmlichen<br />

Rechts), wurde als Episcopus bezeichnet und hat<br />

sich später selber als bischöflicher Amtsträger verstanden 16.<br />

2. Für unser Thema geben diese Texte und Sachverhalte allerdings<br />

nicht viel her. Das dafür entscheidende Problem <strong>ist</strong><br />

doch, ob und inwiefern Luther neben dem Pfarrer als<br />

Ortsbischof auch ein regionales Bischofsamt theoretisch<br />

begründet hat. Das <strong>ist</strong> von einigen Forschern behauptet worden,<br />

wobei vor allem Luthers Reformprogramm für die<br />

Böhmischen Brüder herangezogen worden <strong>ist</strong>, der lateinische<br />

Traktat „De instituendis min<strong>ist</strong>ris ecclesiae/Über die Einsetzung<br />

von Kirchendienern“ vom November 1523 (der in<br />

der deutschen Übersetzung von Paul Speratus viel stärker gewirkt<br />

hat) 17. Hier empfiehlt Luther die Berufung und<br />

Ordination von evangelischen Priestern durch die utraqu<strong>ist</strong>ischen<br />

Gemeinden in Böhmen, weil die zuständigen römischkatholischen<br />

Bischöfe den „Häretikern“ diesen <strong>Die</strong>nst<br />

verweigern. Er entwickelt keineswegs das evangelische Modell<br />

eines regionalen Bischofsamtes, sondern er propagiert zwei<br />

sachlich problematische Notlösungen. <strong>Die</strong> utraqu<strong>ist</strong>ischen<br />

Böhmen sollen über die Ordinations- und Introduktionsfunktion<br />

ihrer Gemeinden hinaus ein regionales Besuchsamt<br />

schaffen, bei welchem die entscheidenden Funktionen „min<strong>ist</strong>rare“<br />

und „visitare“ hinsichtlich konkreter Praxis und<br />

Rechtsform völlig unklar bleiben 18. Luther hat hier das regio-<br />

16


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

nale Bischofsamt (im Unterschied zum lokalen, dem Pfarramt)<br />

nur marginal und defizitär angesprochen. <strong>Die</strong>se theoretische<br />

Improvisation hat er etwas später allerdings in eine<br />

langfr<strong>ist</strong>ig wirksame Praxis überführt, in das Superintendentenamt<br />

Sachsens.<br />

3. Zusammen mit der Behauptung einiger Forscher, Luther<br />

habe ein regionales Bischofsamt seit 1523 propagiert, <strong>ist</strong> nicht<br />

selten auf den h<strong>ist</strong>orisch bedeutsamen Sachverhalt hingewiesen<br />

worden, dass einige wenige altgläubige Bischöfe sich der<br />

Reformation anschlossen. Hier wäre womöglich eine h<strong>ist</strong>orische<br />

und dogmatische Kontinuität im Episkopat und damit im<br />

Postulat einer apostolischen Sukzession gegeben. Der<br />

Sachverhalt <strong>ist</strong> im ökumenischen Gespräch gelegentlich betont<br />

worden, doch er muss in seiner ekklesialen Bedeutung<br />

h<strong>ist</strong>orisch relativiert werden.<br />

Eher unerheblich sind die von evangelischer Fürstenmacht<br />

durchgesetzten Bischofsinstallationen in den traditionellen<br />

Diözesen Naumburg-Zeitz (Nikolaus von Amsdorf 1542-<br />

1547) und Merseburg (Georg von Anhalt 1544-1550) 19. Es sei<br />

beiläufig bemerkt, dass die dauerhafte Installation eines evangelischen<br />

Bischofs im Fürstb<strong>ist</strong>um Lübeck (der späteren<br />

Landeskirche Eutin) seit 1561 mit Eberhard von Holle viel<br />

stärkere Folgen für die Verbindung von Reformation und traditionellem<br />

Episkopat besaß; aber das <strong>ist</strong> in der Forschung<br />

kaum beachtet worden 20. Immer wieder betont hingewiesen<br />

hat man dagegen auf die Vorgänge in Preußen, Brandenburg<br />

und Pommern. In dem neuen Herzogtum Preußen förderten<br />

die zuständigen Bischöfe von Pomesanien und Samland –<br />

Erhard von Queiß und Georg von Polentz – seit 1524 mit<br />

ihrer ordnungsgemäßen Jurisdiktionsgewalt die Einführung<br />

der Reformation; allerdings wurde nach 1587 dieser Ansatz<br />

einer evangelischen Episkopalverfassung rigide abgelöst durch<br />

das landesherrliche Kirchenregiment des Herzogs 21. Weniger<br />

folgenreich war im Kurfürstentum Brandenburg 1540 die<br />

Beteiligung des Brandenburger Bischofs Matthias von Jagow<br />

an der Einführung von evangelischem Gottesdienst (Abend-<br />

17


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

mahl) und evangelischer Kirchenordnung; auch hier siegte der<br />

fürstliche Summepiskopat 22.<br />

<strong>Die</strong> genannten Beispiele weisen darauf hin, dass die evangelische<br />

Kirche in Deutschland wenigstens partiell eine Bischofsstruktur<br />

mit apostolischer Sukzession in Fortsetzung der<br />

traditionellen Rechtsverhältnisse hätte aufbauen können. Sie<br />

hätte sich dann vielleicht Schweden und England stärker angenähert.<br />

Für unser Thema, das ephorale Amt, hat die Diskussion<br />

um jenen h<strong>ist</strong>orischen Sachverhalt jedoch keine<br />

grundsätzliche Bedeutung. Zwar haben Luther und<br />

Melanchthon in späterer Zeit gelegentlich darauf hingewiesen,<br />

dass es eine bessere Alternative zum bischöflichen Kirchenregiment<br />

der Landesherren geben könnte. Aber die<br />

Realität war längst über solche dogmatisch-frommen<br />

Wünsche hinweggegangen. Das ephorale Amt wurde in den<br />

Neubau des Staates nur zu gern und passend integriert, weil es<br />

dazu besser passte als ein episkopales Amt, bei welchem die<br />

traditionelle Prägung trotz aller reformatorischen Änderungen<br />

nachwirkte<br />

4. Neben dem preußischen Modell in Pomesanien (Riesenburg)<br />

und Samland (Königsberg) entwickelte sich seit 1525 in<br />

einigen Städten Norddeutschlands unter dem Einfluss<br />

Johannes Bugenhagens ein anderes, h<strong>ist</strong>orisch wirkungsvolleres<br />

Modell. Bugenhagen befasste sich seit 1523/24 mit dem<br />

Problem, die biblischen Aussagen über das evangelische Verkündigungsamt<br />

in praktikable Strukturen zu überführen 23.<br />

Sein Schüler Johannes Äpinus, Schulrektor in Stralsund, verfasste<br />

1525 für diese vom pommerschen Herzog relativ unabhängige<br />

Hansestadt eine Kirchenordnung, die allgemein in der<br />

Forschung große Beachtung hinsichtlich der Anfänge des<br />

evangelischen Superintendentenamtes gefunden hat. Äpinus<br />

wollte die von Luther und Bugenhagen theoretisch-publiz<strong>ist</strong>isch<br />

erörterte Lösung in die Praxis überführen.<br />

Demgemäß erließen Stralsunds Rat und Bürgervertretung<br />

(also insofern die Gemeinde) im November 1525 eine Ord-<br />

18


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

nung für das Predigtamt, das Schulwesen und die kirchliche<br />

Finanzverwaltung. Der kurze Text enthält einige für unser<br />

Thema wichtige Formulierungen 24. Er beginnt mit der<br />

Maxime, „dat gades wort lutter rein und klar geprediget werde<br />

ahne alle tosettinge“. Dann folgt eine kurze Anweisung zur<br />

Korrektur des Gottesdienstes, die unmittelbar verbunden<br />

wird mit der Bestimmung, „de äverste prediger“ solle mit<br />

Gottes Wort „solchen utwendigen gadesdenst regiren ordentlicken“.<br />

<strong>Die</strong>ser Oberprediger soll also die Gottesdienstreform<br />

leiten und damit ein bischöfliches Recht, das ius liturgicum,<br />

wahrnehmen. Er muss daher „in der hiligen schrift wohl<br />

erfahren“ sein und er amtiert als „der anderen prediger hövet“<br />

(also Haupt/caput im Sinne eines Leiters); die Prediger müssen<br />

ihm gehorsam sein bzw. auf ihn hören, „dat een jederman<br />

nicht fahre na sinem egenen kopp, un chr<strong>ist</strong>licke einigheit<br />

werde upgehaven untotrennet“. Ausdrücklich wird ihm also<br />

im Blick auf die Einheitlichkeit von Predigtinhalten und<br />

Gottesdienstform das „regiment äver de anderen prediger“<br />

übertragen, allerdings nicht weiter, als die Bibel mit sich bringe.<br />

Demgemäß dürfen die Prediger ohne seine Zustimmung<br />

generell keine Praxisveränderung vornehmen, d.h. er soll die<br />

Einheitlichkeit der Reformen gewährle<strong>ist</strong>en, allerdings aufgrund<br />

der Beratung mit den Predigern. Gleichsam als<br />

Quintessenz der skizzierten Bestimmungen heißt es, dass der<br />

oberste Prediger die Aufsicht über rechte Lehre und Lebenswandel<br />

der anderen führe. Hinzu kommt die Aufsicht über die<br />

Lehrinhalte der Lateinschule, während für ihn bei der ausführlich<br />

geregelten Finanzverwaltung keinerlei Funktion vorgesehen<br />

<strong>ist</strong>.<br />

Wir haben hier erstmals das Amt des Stadtsuperintendenten<br />

(ohne diesen Begriff), welches sich seit 1528 in Norddeutschland<br />

durchsetzte vor allem durch Bugenhagens Ordnungen<br />

für Braunschweig, Hamburg und Lübeck sowie durch entsprechende<br />

Regelungen anderer Städte (z.B. Bremen, Minden,<br />

Soest) 25. Allerdings sind in diesen Kirchenordnungen die episkopalen<br />

und die ephoralen Funktionen auffallend unklar geregelt<br />

und kaum abgegrenzt einerseits gegenüber den ge<strong>ist</strong>-<br />

19


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

lichen Kompetenzen aller Pfarrer, andererseits gegenüber der<br />

Beteiligung der Gemeinde im bürgerlichen Sinne, konkret des<br />

städtischen Rates und der Bürgervertretungen. Gleichwohl<br />

kann man konstatieren, dass das ephorale Amt in etlichen<br />

Städten Norddeutschlands ein spezifisches, ekklesial orientiertes<br />

Gepräge gewonnen und bis zum 20. Jahrhundert behauptet<br />

hat. Hier wurde ge<strong>ist</strong>liche Leitung der Kirche in erheblichem<br />

Maße praktiziert, oft im Widerstand gegen den summepiskopalen<br />

Anspruch der weltlichen Obrigkeit.<br />

5. Zusammen mit Bugenhagens Strukturmodell für Stadtkirchen<br />

<strong>ist</strong> dasjenige für Territorialkirchen von allen Wittenberger<br />

Reformatoren gemeinsam entwickelt worden. Es hat<br />

die größte h<strong>ist</strong>orische Wirkung entfaltet. Erstmals begegnet es<br />

in den beiden Texten, welche 1527 und 1528 die grundlegende<br />

Visitationsarbeit in Kursachsen regeln: in Kurfürst Johanns<br />

„Instruction“ und – einem offiziellen Zusatzdokument – in<br />

Melanchthons „Unterricht“ für die Visitatoren 26. <strong>Die</strong>se amtlichen<br />

Texte (insbesondere Luthers Vorrede zum „Unterricht“)<br />

sind im 19. und 20. Jahrhundert intensiv unter der<br />

Fragestellung bearbeitet worden, ob das dort fundierte landesherrliche<br />

Kirchenregiment mit Luthers eigentlicher Konzeption<br />

vereinbar war 27. So relevant das vor 1918 sein mochte<br />

im Zusammenhang mit Kirchenreformbestrebungen, <strong>ist</strong> es<br />

für unser Thema deswegen belanglos, weil Luther später ohne<br />

effektiv wirksame Einwände dies Modell und die entsprechend<br />

funktionierende Praxis akzeptiert hat. Es mag sein, dass<br />

er – und Philipp Melanchthon, dieser vielleicht noch öfter und<br />

deutlicher – gelegentlich Kritik daran geübt hat und ein erneuertes,<br />

evangelisch verändertes Bischofsamt für dem Wesen der<br />

Kirche angemessener gehalten hat 28. <strong>Die</strong> normative Gewalt<br />

des Faktischen war stärker, d.h. das politische Interesse der<br />

Obrigkeiten, Kirchenwesen in den noch instabilen frühneuzeitlichen<br />

Staat zu integrieren.<br />

Zunächst für die erstmalige, grundlegende Visitation der Jahre<br />

1527-29, aber daraufhin dauerhaft geschaffen wurde das Amt<br />

der „Superintendenten und Aufseher“ 29. <strong>Die</strong>se waren Stadt-<br />

20


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

pfarrer in etlichen „furnembsten stetten“ und zuständig für<br />

„die umbliegende kreisse“ (bzw. – wie es an anderer Stelle<br />

heißt – für die Ämter oder Reviere, also für die regionalen<br />

staatlichen Verwaltungseinheiten) 30. Der Begriff „superintendent“<br />

(bei Melanchthon: „superattendens“) war offenkundig<br />

anfangs noch kein Titel, sondern eine Funktionsbeschreibung<br />

für die „superintendenz“, die Aufsicht des „superintentierend<br />

pfarner“ 31. Nach der kurfürstlichen Instruktion sollten die<br />

Superintendenten den Lebenswandel und die kirchliche<br />

Amtsführung der ihnen unterstellten Pfarrer und Prediger (in<br />

den kleinen Städten und Dörfern) beobachten und dieselben<br />

bei eventuellen Missständen vermahnen.<br />

Melanchthons „Unterricht“ betonte als primären Inhalt der<br />

Aufsicht, dass überall in den Pfarreien „recht und chr<strong>ist</strong>lich<br />

geleret, und das wort gottes, und das heilige evangelion rein<br />

und treulich geprediget, und die leute mit den heiligen sacramenten,<br />

nach aussatzung Chr<strong>ist</strong>i seliglich versehen werden“.<br />

Der korrekte Lebenswandel der Pfarrer stand an zweiter<br />

Stelle; er war als Vorbild wichtig, „damit sich das gemeine volk<br />

bessere und kein ergernis empfahe“ 32.<br />

<strong>Die</strong> Lehraufsicht war also für Melanchthon entscheidend, wie<br />

aus seiner nachträglichen Bemerkung hervorgeht, damit nicht<br />

gegen Gottes Wort gelehrt oder nicht solches gepredigt<br />

würde, was zum Aufruhr gegen die Obrigkeit dienen könnte 33.<br />

Das entsprach einerseits der Anfangssituation der Reformation<br />

mit dem Wildwuchs beim Pfarrerstand, andererseits der<br />

politischen Bedeutung, die falsche Lehre im 16. Jahrhundert<br />

nach genereller Auffassung für den Bestand des Gemeinwesens<br />

besaß. Demgemäß sah die Ordnung vor, dass der<br />

Superintendent einen von ihm vergeblich ermahnten Falsch-<br />

Prediger beim zuständigen Amtmann anzeigen sollte, welcher<br />

die Sache an den Kurfürsten weitergeben sollte 34. Damit trat<br />

eine staatskirchliche Komponente im Superintendentenamt<br />

zutage, ebenso bei einer anderen Materie, den „ehesachen“,<br />

d.h. eherechtlichen Fragen, für die bislang der Bischof bzw.<br />

dessen Archidiakon oder Offizial zuständig war.<br />

21


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

Über die hier referierten Aufgaben hinaus begegnet in den<br />

Dokumenten von 1527/28 nichts, insbesondere nichts über<br />

die wichtige Frage, wer die Superintendenten in ihr Amt einsetzen<br />

sollte. <strong>Die</strong> „Instruction“ deutet an, dass dies durch die<br />

kurfürstlichen Visitatoren erfolgte; das galt aber nur für den<br />

Beginn der Neuordnung, war jedoch ein bezeichnendes<br />

Präjudiz: <strong>Die</strong> Superintendenten arbeiteten im Auftrag des<br />

Landesherrn. So blieb es bis 1918 gültig.<br />

III. Das ephorale Amt als Teil der Kirchenverwaltung seit<br />

Mitte des 16. Jahrhunderts<br />

<strong>Die</strong> Einsetzung bzw. Berufung durch die weltliche Obrigkeit<br />

war für die Konstruktion des neuen Amtes seit ca. 1530 in<br />

allen evangelischen Territorien ein konstitutives Merkmal. Der<br />

Superintendent wurde ein Glied der Kirchenverwaltung, welche<br />

in enger Verbindung mit der Staatsverwaltung stand 35.<br />

1. Das kam in zwei Sachverhalten zum Ausdruck: a) Sein Sitz,<br />

die „Ephoralstadt“ (wie man im 19. Jahrhundert sagte) 36, war<br />

dort, wo der kurfürstliche Amtmann oder Schosser saß, und<br />

mit diesem musste er eng kooperieren, was sich unter anderem<br />

seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vielerorts in<br />

der Bildung der so genannten Kircheninspektionen auswirkte<br />

(oder ähnlicher gemischter Behörden, in denen seit dem 17.<br />

Jahrhundert Theologen und Jur<strong>ist</strong>en zusammenarbeiteten) 37.<br />

b) Der Superintendent wurde gleichzeitig einer neuartigen<br />

Oberbehörde unterstellt bzw. eingeordnet, die sich logisch aus<br />

dem ursprünglichen Ansatz ergab (der Beauftragung obrigkeitlicher<br />

Visitationskommissionen): dem Kons<strong>ist</strong>orium 38.<br />

Auch hier bot Kursachsen das Modell, nach dem sich die<br />

me<strong>ist</strong>en evangelischen Territorien richteten, weil es auch dort<br />

von der Sache her geboten war. Aus den Anfängen 1539 in<br />

Wittenberg entwickelte sich – ursprünglich ansetzend bei<br />

Problemen der Ehegerichtsbarkeit – das Kons<strong>ist</strong>orium während<br />

des 16. Jahrhunderts zum Organ des landesherrlichen<br />

Kirchenregiments, zuständig für alle Materien, die in vorre-<br />

22


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

formatorischer Zeit zur „iurisdictio ecclesiastica“ gehörten 39.<br />

<strong>Die</strong> Entwicklung der Kons<strong>ist</strong>orien verlief – wie diejenige des<br />

Superintendentenamtes – im Einzelnen etwas verwickelt,<br />

doch in den Grundlinien klar und einheitlich. Sie entsprach<br />

der seit 1527 angebahnten Tendenz, die kirchlichen Institutionen<br />

in den Staatskörper zu integrieren.<br />

Reichsrechtlich begründet wurde das nach Auffassung der<br />

Protestanten durch die Suspension der bisher den Bischöfen<br />

zustehenden „iurisdictio ecclesiastica“ im Passauer Vertrag<br />

1552 bzw. im Augsburger Religionsfrieden 1555. Aus dieser<br />

Verfassungsgrundlage leiteten evangelische Jur<strong>ist</strong>en bald darauf<br />

den Anspruch ab, die gesamten „iura episcopalia“ wären<br />

seit 1552/1555 auf die protestantischen Landesherren im<br />

Sinne einer rechtmäßigen Translation übergegangen. <strong>Die</strong> bis<br />

1918 geltende Rechtsfigur des landesherrlichen Summepiskopats,<br />

die als Folge der föderal<strong>ist</strong>ischen Struktur des Reichs<br />

überall galt, spielte eine fundamentale Rolle in der Geschichte<br />

des ephoralen Amtes in all seinen verschiedenen Ausprägungen.<br />

Oberster „Ephorus“ im Sinne eines Landesbischofs<br />

war der Fürst (oder in den Reichsstädten Rat und<br />

Bürgerme<strong>ist</strong>er). Er erledigte die entsprechenden Aufgaben<br />

mit Hilfe seiner allgemeinen (Hof-)Kanzlei. Er behielt mit der<br />

kirchlichen Jurisdiktion ein wesentliches Element des vorreformatorischen<br />

Bischofsamtes, was sich noch im 19.<br />

Jahrhundert fatal bekundete bei den Bemühungen um eine<br />

Reform der Kirchenverfassung oder z.B. in Preußen beim so<br />

genannten Agendenstreit 1821ff hinsichtlich des „ius liturgicum“<br />

40. In der Struktur unserer Landeskirchen wirkt sich dieses<br />

ephorale Element des Summepiskopats bis heute dort<br />

besonders aus, wo der Landessynode (o.ä.) das alleinige Recht<br />

der kirchlichen Gesetzgebung zusteht 41.<br />

Es empfiehlt sich bei der h<strong>ist</strong>orischen Betrachtung, von dieser<br />

obersten Stufe das Superintendentenamt als untere Stufe und<br />

die diesem übergeordneten Instanzen als mittlere Stufe des<br />

ephoralen Amtes zu unterscheiden. (Wenn man jedoch in der<br />

evangelischen Kirche – wie allgemein geläufig – drei „Ebe-<br />

23


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

nen“ unterscheidet, dann gehören der Superintendent und<br />

dessen Vorgesetzter, der Generalsuperintendent o.ä., zur<br />

Mittelebene, und bildet die Gemeinde die untere Ebene.) Ein<br />

kurzer Überblick möge den Sachverhalt verdeutlichen.<br />

2. Im ernestinischen bzw. albertinischen Kursachsen wurde<br />

bis zur großen Kirchenordnung von 1580 das ephorale<br />

System ausgebaut 42. <strong>Die</strong> Superintendenten (deren Zahl sich<br />

vor 1580 und erst recht danach veränderte entsprechend den<br />

Zuwächsen des staatlichen Territoriums) unterstanden dem<br />

Kons<strong>ist</strong>orium in Leipzig oder Wittenberg oder Meißen. In<br />

Dresden entstand 1580 durch Verlagerung von Meißen her ein<br />

Oberkons<strong>ist</strong>orium, das – mit kurzer Unterbrechung 1588ff –<br />

bis 1835 als „landeskirchliche Zentralbehörde“ bestand 43.<br />

Den Kons<strong>ist</strong>orien zugeordnet war eine wachsende Zahl von<br />

Generalsuperintendenten, beginnend 1533 mit dem Kurkreis<br />

Wittenberg, wo Johannes Bugenhagen diese Funktion einer<br />

„Obersuperattendenz“ über 7-8 Superintendenten ausübte 44.<br />

Deutlich war, dass das Kons<strong>ist</strong>orium keine weltlich-staatliche<br />

Behörde war, sondern eine Instanz des obrigkeitlichen<br />

Summepiskopats mit erheblicher ge<strong>ist</strong>licher Beteiligung.<br />

Klarer als in Sachsen war die Regelung im Herzogtum<br />

Württemberg, die der kursächsischen Ordnung von 1580 als<br />

Vorbild diente. <strong>Die</strong> württembergische Kirchenordnung von<br />

1559 fasste die vorangegangenen Ordnungen zusammen, welche<br />

das ephorale Amt seit 1547 entwickelt hatten 45. <strong>Die</strong><br />

Landeskirche war eingeteilt einerseits in 23 Bezirke oder<br />

Kapitel, wo Spezial-Superintendenten (vor 1559 „Dekane“<br />

genannt) die Aufsicht über die Gemeinden führten, andererseits<br />

in die vier Bereiche der General-Superintendenten, welche<br />

die Arbeit der Spezial-Superintendenten kontrollierten.<br />

<strong>Die</strong>se bildeten eine obere Mittelinstanz unter dem herzoglichen<br />

„Kirchenrat“, einer für alle kirchlichen Angelegenheiten<br />

zuständigen Zentralbehörde in Stuttgart, aus<br />

jur<strong>ist</strong>ischen und theologischen Mitgliedern zusammengesetzt,<br />

mit dem Propst und dem Landhofme<strong>ist</strong>er als Direktorium.<br />

Das württembergische Modell wirkte grundsätzlich auch auf<br />

24


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

weitere Territorialordnungen, z.B. diejenige im Herzogtum<br />

Pommern 1563, im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel<br />

1569, im Herzogtum Mecklenburg 1571, im Kurfürstentum<br />

Brandenburg 1573 46. <strong>Die</strong> Zweiteilung der mittleren Ebene<br />

trug zu einer gravierenden Funktionsminderung des Superintendentenamtes<br />

bei. Sie prägte die kirchliche Neuordnung<br />

seit dem 19. Jahrhundert (dazu s.u.).<br />

<strong>Die</strong> Amtsbezeichnungen differierten teilweise, auch die einzelnen<br />

Zuständigkeiten, und beides veränderte sich im Laufe<br />

des 17. und 18. Jahrhunderts. Generell lässt sich zweierlei konstatieren:<br />

a) <strong>Die</strong> ge<strong>ist</strong>lichen Funktionen des unteren und des<br />

mittleren Ephoralamtes waren in den wesentlichen Inhalten<br />

gleich. b) Überall hatte sich bis zum Ende des 16. Jahrhunderts<br />

das Superintendentenamt als spezifische Teilgestalt<br />

evangelischer Kirchenleitung durchgesetzt.<br />

3. Der wichtigste Aspekt der h<strong>ist</strong>orischen Betrachtung <strong>ist</strong> meines<br />

Erachtens die Frage nach den Funktionen des ephoralen<br />

Amtes. Trotz etlicher Unterschiede in den Einzelregelungen<br />

lässt sich als verallgemeinerndes Schema folgendes konstatieren:<br />

Schwerpunkt war überall die Visitation der Pfarrer und<br />

Gemeinden 47. Vielerorts gehörte zu den wesentlichen Aufgaben<br />

der Superintendenten die Einberufung regelmäßiger<br />

Konferenzen ihrer Pfarrer (Synoden, Konvente, Kapitel oder<br />

ähnlich genannt, in den Städten me<strong>ist</strong> „Ge<strong>ist</strong>liche<br />

Min<strong>ist</strong>erien“); dabei ging es um die gemeinsame Beratung von<br />

theologischen und praktischen Problemen sowie um theologische<br />

Fortbildung. Häufig kam hinzu die Examinierung von<br />

Kandidaten des Predigtamts (oder von auswärtigen Bewerbern<br />

für eine Pfarrstelle), verbunden damit deren Ordination<br />

und Installation/Introduktion. Ebenfalls häufig übten<br />

die Superintendenten die Schulaufsicht in ihrem Kreis oder<br />

Bezirk aus. Sie waren manchmal beteiligt an der Katechismusunterweisung,<br />

an der Ehegerichtsbarkeit und an der Aufsicht<br />

über das Kirchenvermögen der Pfarreien. In etlichen Städten<br />

übten sie die Zensur theologischer und religiöser Druckveröffentlichungen<br />

aus.<br />

25


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

Betrachtet man Visitation, Pfarrkonvente und Examinierung<br />

(samt Ordination und Introduktion) als die drei Schwerpunkte<br />

der spezifisch ge<strong>ist</strong>lichen Tätigkeit, so zeigen die<br />

Quellen im 16. und 17. Jahrhundert übereinstimmend, dass<br />

die Lehraufsicht – die Kontrolle der Bindung an Bibel und<br />

Bekenntnisschriften – das systematische Zentrum des ephoralen<br />

Amtes war. Insofern hat sich der reformatorische Ansatz<br />

der Begründung dieses Amtes mindestens zwei Jahrhunderte<br />

lang durchgehalten. Man wird überlegen müssen, ob hier ein<br />

normativer Sachverhalt vorliegt.<br />

Was sich seit dem 19. Jahrhundert verändert hat, <strong>ist</strong> das Folgende.<br />

Von den reformatorischen Anfängen her lag die praktische<br />

Durchsetzung der Lehraufsicht gegenüber dissentierenden<br />

oder gar häretischen Predigern nur im ersten Stadium<br />

beim Superintendenten, danach aber zwecks gewaltsamer<br />

Durchsetzung bei der weltlichen Obrigkeit 48. Das galt generell<br />

im evangelischen Deutschland etwa bis zum 18. Jahrhundert.<br />

Gewaltanwendung bei der Lehraufsicht wird für heutige Problemlösungen<br />

kaum ohne weiteres als ein in der Geschichte<br />

normativer Sachverhalt gewertet werden können 49<br />

IV. Mittelglied zwischen Gemeinde und Obrigkeit im<br />

19. Jahrhundert<br />

Der nachhaltige Wandel im Wesen des ephoralen Amtes, den<br />

die intensiven Reformbemühungen des 19. Jahrhunderts<br />

brachten, ergab sich aus der Verbindung mit der Institution<br />

der Synode 50. Dabei wirkte sich der Einfluss der reformiertcalvin<strong>ist</strong>ischen<br />

Verfassungstradition auch im Luthertum aus.<br />

Jenes Strukturelement verstärkte sich nach 1918 und blieb bis<br />

heute gültig. Doch im 19. Jahrhundert dominierte noch die<br />

Anbindung an das Kons<strong>ist</strong>orium, weil grundsätzlich die Abhängigkeit<br />

vom obrigkeitlichen Summepiskopat fortbestand 51.<br />

1. Im Unterschied zum alten lutherischen Typ der Synode als<br />

Pfarrkonvent eines Kreises ging es jetzt um ein Organ, in dem<br />

26


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

die Vertretung der Ortsgemeinden durch so genannte Laien<br />

wie durch Pfarrer zum Ausdruck kam. Dabei wirkten verschiedene<br />

Einflüsse zusammen, z.B. die rational<strong>ist</strong>isch-kirchenrechtliche<br />

Theorie des so genannte Kollegialismus<br />

(wonach Kirche sich aus dem Zusammenschluss der einzelnen<br />

Gläubigen bildet), die politisch-demokratischen Ideen des<br />

Liberalismus, die neue Aktivierung der Gemeinden durch<br />

Erweckungsbewegung und Innere Mission, der Rekurs auf die<br />

orientierende Kraft der reformatorischen Lehren, insbesondere<br />

hinsichtlich der Zuordnung von Amt und Gemeinde. Ein<br />

realgeschichtliches Element diktierte gleichsam den Rahmen,<br />

nämlich die völlige Neuformation der me<strong>ist</strong>en Landeskirchen<br />

aufgrund der Auflösung des Reiches und der Neugliederung<br />

seiner Territorien im Deutschen Bund seit 1815. <strong>Die</strong> zahlenmäßig<br />

stark reduzierten Landeskirchen umfassten nun jeweils<br />

ein viel größeres Territorium 52. (<strong>Die</strong> damals gesteckten Grenzen<br />

der Länder, Regierungsbezirke und Landkreise wirken<br />

sich weithin noch heute in der kirchlichen Landschaft aus.)<br />

Nicht nur durch die Schaffung von Synoden veränderte sich<br />

das Wesen des ephoralen Amtes, sondern auch durch die<br />

Neustrukturierung der größer gewordenen Landeskirchen, die<br />

zume<strong>ist</strong> – von den kleineren abgesehen – einen dre<strong>ist</strong>ufigen<br />

Aufbau der Leitungsorgane erhielten: für die Gemeinden, für<br />

die Kirchenkreise (manchmal mit einer oberen Mittelebene,<br />

der Provinz o.ä.), für die Landeskirche. <strong>Die</strong> Zweiteilung der<br />

mittleren Leitungsebene war zwar kein neues, doch ein für das<br />

19. und 20. Jahrhundert wesentliches Element der Veränderung<br />

im Superintendentenamt. In Preußen war es besonders<br />

deutlich ausgestaltet mit dem Nebeneinander von<br />

Superintendenten (zuständig für die Kirchenkreise) und<br />

Generalsuperintendenten (zuständig für die acht bzw. neun<br />

Provinzen der Landeskirche; dazu s.u.).<br />

Lutherische Landeskirchen mit doppelter Mittelebene waren<br />

die folgenden: 53 Bayern (mit Dekanen und Kreisdekanen; so<br />

die Bezeichnung der Kirchenverfassung von 1920); Württemberg<br />

(seit alters mit Dekanen und Prälaten); Hannover (mit<br />

27


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

Superintendenten und Generalsuperintendenten; so die<br />

Bezeichnung in der Verfassung von 1922/24, seit 1936 mit<br />

Landessuperintendenten) 54; Braunschweig (mit Superintendenten<br />

und Generalsuperintendenten; seit 1922 ohne Zweiteilung<br />

nur mit Kirchenräten für die Kirchenkreise, seit der<br />

Neugliederung 1935 nur mit Pröpsten) 55; Mecklenburg-<br />

Schwerin (mit Pröpsten und Landessuperintendenten, so seit<br />

dem 16./17. Jahrhundert, fixiert in der Kirchenverfassung<br />

1921) 56. Thüringen hatte seit der Verfassung von 1924 nur<br />

eine einheitliche Mittelstufe, den Kirchenkreis mit Oberpfarrer,<br />

darüber einen „Landesoberpfarrer“; seit der Verfassung<br />

von 1951 gab es zwischen den Superintendenten und<br />

dem Landesbischof eine obere Mittelstufe durch den Zusammenschluss<br />

der <strong>Superintendentur</strong>en zu drei Kirchenkreisen<br />

unter Leitung eines Verwaltungsbeamten bei unklarer<br />

Zuordnung von „Visitatoren“, die zwischen Superintendent<br />

und Landesbischof stehen sollten 57. Schleswig-Holstein bildete<br />

einen Sonderfall; je nach Betrachtungsweise bekam es eine<br />

einheitliche oder eine doppelte Mittelebene (mit Pröpsten und<br />

zwei Generalsuperintendenten seit 1867, die seit der Verfassung<br />

von 1922 definitiv Bischöfe hießen; das Herzogtum<br />

Lauenburg seit 1867 mit einem Landessuperintendenten ohne<br />

Pröpste; die Nordelbische Kirche seit 1977 mit Pröpsten und<br />

drei Bischöfen) 58.<br />

Ein weiteres neues Element wirkte sich in einigen lutherischen<br />

Gebieten auch auf das ephorale Amt aus: die Einführung von<br />

Unionen seit 1817/1821 (in Nassau, Preußen, Baden, Pfalz,<br />

Waldeck, Pyrmont u.a.) 59. Speziell das Superintendentenamt<br />

war davon deswegen betroffen, weil es bisher mit Lehraufsicht<br />

und Ordination solche bischöflichen Funktionen umfasste,<br />

die eine konfessionelle Selbständigkeit und Bekenntnisbindung<br />

implizierten.<br />

2. Für die geschichtliche Entwicklung kam der entscheidende<br />

Impuls durch die Veränderungen in Preußen, speziell durch<br />

die Einführung einer geradezu revolutionären Kirchenverfassung<br />

in den beiden Westprovinzen. <strong>Die</strong>se war das Resultat<br />

28


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

einerseits der spezifischen Prägung der dortigen Kirchentümer<br />

(in den ehemaligen Fürstentümern Jülich-Berg, Kleve-<br />

Mark, Ravensberg, Minden, Tecklenburg, Siegen u.a. mit<br />

einem insgesamt starken Anteil von reformiert-calvin<strong>ist</strong>ischen<br />

Gemeinden). Andererseits wirkte sich der verwickelte, kaum<br />

lösbare Konflikt um die Etablierung einer einheitlichen<br />

preußischen Landeskirche, konkret um Union und Agende, in<br />

dem Kompromiss aus, dass nach langem Ringen König<br />

Friedrich Wilhelm III. im Jahre 1835 die „Kirchenordnung für<br />

die evangelischen Gemeinden der Provinz Westphalen und<br />

der Rheinprovinz“, die so genannte Rheinisch-Westfälische<br />

Kirchenordnung, genehmigte 60. Das war ein wichtiger Schritt<br />

zum Abbau bzw. zur Modifikation des landesherrlichen Kirchenregiments,<br />

jedoch nur ein regional begrenzter Anfang,<br />

weil die sechs östlichen Provinzen die alte Struktur bis 1873<br />

behalten mussten (Brandenburg, Sachsen, Pommern, Posen,<br />

Preußen und Schlesien – überwiegend lutherische Gebiete). 61<br />

<strong>Die</strong> Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung mit der Etablierung<br />

von Presbyterien und Synoden (Kreis- und Provinzialsynoden)<br />

diente den Reformkräften im 19. Jahrhundert als<br />

ideales Modell; sie <strong>ist</strong> jedoch nirgendwo exakt nachgebildet<br />

worden. Das galt auch für das ephorale Amt.<br />

Herkömmlich unterstanden die Superintendenten in Preußen<br />

– wie in den me<strong>ist</strong>en Landeskirchen – dem jeweiligen<br />

Kons<strong>ist</strong>orium; sie wurden von diesem in ihr Amt berufen. So<br />

fixierte es 1794 das Allgemeine Landrecht für die preußischen<br />

Staaten; über die Funktion der Superintendenten sagte es mit<br />

dürren Worten: „Ihr Amt besteht eigentlich nur in der Aufsicht<br />

über die zu ihrem Kreise geschlagenen Kirchen und<br />

Ge<strong>ist</strong>lichen“. <strong>Die</strong>ses Visitationsamt bezog sich auf „Amtsführung,<br />

Lehre und Wandel“ der Pfarrer, war aber hierin recht<br />

äußerlich-formal<strong>ist</strong>isch verstanden, was sich daran zeigte, dass<br />

die Aufsicht über die Verwaltung des Kirchenvermögens und<br />

der kirchlichen Gebäude in den Parochien als besonders wichtig<br />

hervorgehoben wurde und dass das Entscheidende an der<br />

Visitation der Bericht war, den der Superintendent seinem<br />

Kons<strong>ist</strong>orium einreichen musste 62.<br />

29


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

Demgegenüber brachte die Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung<br />

von 1835 wesentliche Änderungen 63. <strong>Die</strong> wichtigste<br />

bestand darin, dass das Superintendentenamt hinfort einen<br />

Doppelcharakter besaß. Einerseits war es ein kons<strong>ist</strong>orialobrigkeitliches,<br />

andererseits ein synodal-genossenschaftliches<br />

Amt 64. Letzteres Element trat signifikant darin zutage, dass<br />

die Superintendenten in den beiden Westprovinzen von der<br />

jeweiligen Kreissynode gewählt wurden, und zwar mit zeitlicher<br />

Begrenzung auf sechs Jahre (mit möglicher Wiederwahl,<br />

auch einer mehrfachen). Darin wirkte sich die Tradition des<br />

Inspektorenamtes der staatsfreien reformierten Gemeinden<br />

am Niederrhein und in der Grafschaft Mark aus. Allerdings<br />

bedurfte die Superintendentenwahl der Bestätigung durch das<br />

königliche „Min<strong>ist</strong>erium der ge<strong>ist</strong>lichen Angelegenheiten“;<br />

darin trat das obrigkeitliche Element hervor. Das synodalgenossenschaftliche<br />

Element bekundete sich ferner u.a. darin,<br />

dass der Superintendent die Kreissynode einberief und leitete<br />

und deren Geschäfte zwischen den Sitzungen führte (in<br />

Abkehr von der bisherigen Tradition eines „Praeses synodi“,<br />

die hinfort nur für die rheinische bzw. westfälische<br />

Provinzialsynode galt) 65. Jenes Element bekundete sich auch<br />

darin, dass der Kreissynode die Aufsicht über die Pfarrer und<br />

Kandidaten, die Ortspresbyterien und das Gemeindevermögen<br />

zustand, wobei im konkreten Einzelfall der Superintendent<br />

alle diese Aufsichtsfunktionen praktizierte 66.<br />

Insofern verbanden sich hier jene beiden Elemente, und das<br />

kons<strong>ist</strong>orial-obrigkeitliche Element wirkte sich darin aus, dass<br />

der Superintendent die „Verordnungen der Behörden in Ausführung<br />

zu bringen“ hatte 67 und dass er dem Kons<strong>ist</strong>orium<br />

ausführliche Berichte über das kirchliche Leben (einschließlich<br />

der Tätigkeit der Ge<strong>ist</strong>lichen u.a.) erstatten musste 68. Allerdings<br />

musste er auch der Kreissynode berichten.<br />

Mit der detailliert geregelten, in jeder Gemeinde alle zwei<br />

Jahre durchzuführenden Visitation wurde die Kernfunktion<br />

des traditionellen Superintendentenamtes beibehalten. Der<br />

pastorale Aspekt galt insofern neben dem obrigkeitlichen, als<br />

der Superintendent bei „Misshelligkeiten“ innerhalb der Ge-<br />

30


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

meinden oder zwischen den Predigern „zu vermitteln und<br />

auszugleichen“ suchen sollte 69. Bezeichnenderweise fand die<br />

Lehraufsicht keine besondere Erwähnung, auch nicht bei der<br />

Ordination, die er ebenso wie die Amtseinführung („Introduktion“)<br />

durchführte zusammen mit den beiden anderen<br />

Mitgliedern des Direktoriums der Kreissynode, dem Assessor<br />

und dem Skriba (zwei Pfarrern), wobei der Assessor als<br />

„Substitut des Superintendenten“ in Notfällen diesen vertreten<br />

sollte und insofern auch ephorale Funktionen ausüben<br />

konnte 70. <strong>Die</strong> Masse der Aufgaben war gewaltig, zumal der<br />

Superintendent wie aus anderen Stellen der Kirchenordnung<br />

hervorging – zusätzlich ein normales Gemeindepfarramt<br />

bekleidete 71. <strong>Die</strong> Verwaltungsaufgaben drängten sich zunehmend<br />

in den Vordergrund; für die ge<strong>ist</strong>lich-ephoralen<br />

Funktionen blieb in der Praxis wenig Raum. Der Superintendent<br />

war im Grunde permanent überfordert. (Er war ja auch<br />

noch geborenes Mitglied der Provinzialsynode, außerdem in<br />

verschiedenen Gremien der wachsenden „Vereinskirche“<br />

tätig.) So zeigte sich schon in der Frühzeit nach 1835 ein bis<br />

heute relevantes Grundproblem der Neukonstituierung dieses<br />

Amtes.<br />

3. <strong>Die</strong> Verhältnisse in den übrigen sechs Kirchenprovinzen<br />

Preußens (die sämtlich im Wesentlichen lutherisch waren)<br />

wurden durch die „Kirchen-Gemeinde-und Synodal-Ordnung<br />

für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen,<br />

Schlesien und Sachsen“ von 1873 angepasst 72. Jetzt erhielt das<br />

Superintendentenamt auch hier grundsätzlich jenen<br />

Doppelcharakter mit der Verbindung von obrigkeitlich-kons<strong>ist</strong>orialem<br />

und genossenschaftlich-synodalem Element. Allerdings<br />

war letzteres deutlich schwächer ausgeprägt. Das zeigte<br />

sich u.a. daran, dass der Superintendent hier nicht von der<br />

Kreissynode gewählt, sondern wie früher vom König als<br />

Summus episcopus auf Lebenszeit ernannt wurde 73. Über<br />

seine ephoralen Funktionen wurde in der neuen Ordnung<br />

nichts ausgesagt, so dass insofern die oben zitierte Regelung<br />

von 1794 gültig blieb 74. Im Übrigen waren diese generell –<br />

auch in den beiden Westprovinzen – dadurch tangiert, dass<br />

31


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

König Friedrich Wilhelm III. 1829 durch eine spezielle<br />

Instruktion das Amt der Generalsuperintendenten in allen<br />

Provinzen etablierte. Es war einerseits stärker als das Superintendentenamt<br />

in die königliche Kirchenverwaltung integriert,<br />

denn die Generalsuperintendenten waren Mitglieder<br />

des jeweiligen Provinzialkons<strong>ist</strong>oriums. Andererseits galten sie<br />

aber zugleich „als Organe der ge<strong>ist</strong>lichen Oberen“, d.h. sie<br />

sollten eine bischöflich-pastorale Aufsicht über die Superintendenten<br />

und die Gemeinden üben 75. Das blieb generell<br />

ebenso unklar wie die Abklärung spezieller Kompetenzen z.B.<br />

bei der Ordination, die in den östlichen Provinzen grundsätzlich<br />

dem Generalsuperintendenten zustand.<br />

Da in allen deutschen Staaten nach 1815 (wie schon vorher)<br />

das ephorale Amt in spezifischer Weise mit dem landesherrlichen<br />

Summepiskopat verbunden war, musste sich die konstitutionelle<br />

Begrenzung der Monarchie durch Kirchenverfassungen<br />

grundsätzlich auch in dieser Hinsicht auswirken.<br />

Das wurde jedoch praktisch-konkret in den ca. 40 Landeskirchen<br />

unterschiedlich spezifiziert. Nur kurze Hinweise auf<br />

ausgewählte Beispiele können das hier illustrieren. Generell<br />

kann man zumindest für die größeren Landeskirchen – aber<br />

auch für viele kleinere – konstatieren, dass der Summepiskopat<br />

des Königs oder Fürsten in der Praxis eine entscheidende<br />

Modifikation erfuhr durch die Schaffung oberster<br />

Kirchenbehörden (mit unterschiedlicher Bezeichnung:<br />

„Oberkirchenrat“, „Landeskons<strong>ist</strong>orium“, „Oberkons<strong>ist</strong>orium“<br />

oder ähnlich) 76. <strong>Die</strong> dort tätigen Theologen und<br />

Jur<strong>ist</strong>en übten faktisch das Kirchenregiment aus, also ein oberstes<br />

ephorales Amt, und zwar in kollegialer Form unter<br />

Leitung eines Präsidenten. <strong>Die</strong> Superintendenten, Dekane,<br />

Pröpste etc. unterstanden der Oberbehörde und vollzogen<br />

deren Anordnungen, sorgten also für Durchsetzung bis hinunter<br />

zur Gemeindeebene. Das Gesetzgebungsrecht als höchster<br />

Teil der alten Episkopalrechte wurde in der Regel<br />

gemeinsam von der Landessynode und dem landesherrlichen<br />

Kirchenregiment ausgeübt: so z.B. seit 1853 in Oldenburg<br />

von der Landessynode gemeinsam mit dem Großherzog und<br />

32


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

den von diesem ernannten Mitgliedern des Oberkirchenrates;<br />

in Alt-Preußen seit 1876 von der Generalsynode mit Genehmigung<br />

durch Kultusmin<strong>ist</strong>erium und König 77.<br />

4. Beim mittleren Ephoralamt stimmten wichtige Elemente<br />

überall überein. Seine kons<strong>ist</strong>orial-obrigkeitliche Aufsichtsbefugnis<br />

wurde mit synodalen Aspekten verbunden; beide waren<br />

allerdings in den Landeskirchen unterschiedlich ausgeformt.<br />

In Württemberg, wo die traditionellen Formen im wesentlichen<br />

weiterbestanden, dominierte die Anbindung des<br />

Dekans an das Kons<strong>ist</strong>orium als eine staatliche Behörde,<br />

wurde allerdings 1854 ergänzt durch die Einrichtung der<br />

Diözesansynoden für die Dekanatsbezirke (die „Diözesen“);<br />

deren Vorsitz lag beim Dekan, und deren Aufgaben entsprachen<br />

weithin der Ephoralfunktion (z.B. „Wahrnehmung des<br />

kirchlichen und sittlichen Zustands der Diözese ...“; „Aufsicht<br />

über die Ge<strong>ist</strong>lichen ...“) 78. Der Dekan führte weiterhin die<br />

Visitationen in den ihm unterstellten Gemeinden durch, dazu<br />

in kürzeren Abständen so genannte Inspektionsbesuche, bei<br />

denen ebenso wie bei jenen die ge<strong>ist</strong>lich-ephoralen Funktionen<br />

zurücktraten hinter der Kontrolle äußerlicher Tatsachen.<br />

Im Unterschied zu Württemberg erhielt die evangelische<br />

Kirche in Bayern erst nach 1806 bzw. 1815 eine landeskirchliche<br />

Organisation 79. Der D<strong>ist</strong>rikts- oder Spezial-Dekan, der<br />

vom katholischen König ernannt wurde, hatte hier ähnliche<br />

Aufgaben (Visitation, Installation u.a.); er bekam ebenfalls ein<br />

synodales Pendant (seit 1851) 80. Allerdings erhielt hier die<br />

Diözesan-Synode keinerlei Befugnisse im Blick auf „alle den<br />

ge<strong>ist</strong>lichen Stand allein berührenden Interessen“. Charakter<strong>ist</strong>isch<br />

für Bayern war, dass hier seit 1809 noch stärker als in<br />

Württemberg wesentliche ephorale Funktionen zentralisiert<br />

wurden durch die umfassenden Kompetenzen des Generalkons<strong>ist</strong>oriums<br />

(seit 1818 „Oberkons<strong>ist</strong>oriums“) in München,<br />

in welchem die ge<strong>ist</strong>lichen Räte stark dominierten. (Auch der<br />

Präsident war übrigens hier – <strong>anders</strong> als in den me<strong>ist</strong>en<br />

Landeskirchen – ein Theologe.) 81 Dem Oberkons<strong>ist</strong>orium<br />

oblag die oberste Aufsicht über alle Pfarrer und Gemeinden,<br />

33


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

welche es durch die Mittelorgane ausübte: die 73 D<strong>ist</strong>rikts-<br />

Dekane und die 2 General-Dekane bzw. Kreis-Kirchenräte,<br />

die den Kons<strong>ist</strong>orien in Ansbach und Bayreuth (also den beiden<br />

seit dem 16. Jahrhundert bestehenden Leitungsbehörden)<br />

zugeordnet waren 82. Das Münchner Oberkons<strong>ist</strong>orium führte<br />

die theologischen Examina durch (die Aufnahme- und die<br />

Anstellungsprüfung der Kandidaten); es erteilte die „Bewilligung<br />

ihrer Ordination“, die ein Kreiskirchenrat nach der<br />

ersten Prüfung „mit Zuziehung der Stadtge<strong>ist</strong>lichen seines<br />

Wohnortes“ – also ohne irgendeine Beteiligung der D<strong>ist</strong>riktsdekane<br />

– zu erteilen hatte 83. Ein bayerisches Spezifikum war<br />

die intensiv geregelte Lehraufsicht über die Pfarrer, an der der<br />

D<strong>ist</strong>riktsdekan nicht substantiell beteiligt war. Das Münchner<br />

Oberkons<strong>ist</strong>orium führte „die oberste Aufsicht über die<br />

Lehre“, und zwar in der Praxis dergestalt, dass sämtliche<br />

Pfarrer einmal jährlich eine ihrer Predigten einreichen sowie<br />

„eine wissenschaftliche und eine praktische Frage“ bearbeiten<br />

mussten, die der zuständige Kreiskirchenrat stellte und deren<br />

Bearbeitung er beurteilte. <strong>Die</strong> D<strong>ist</strong>riktsdekane hatten dabei<br />

lediglich die Funktion, den Pfarrern die Zensuren zu übermitteln<br />

84. <strong>Die</strong> soeben skizzierte Kontrollpraxis hielt sich übrigens<br />

bis ins 20. Jahrhundert.<br />

V. Das Problem der „ge<strong>ist</strong>lichen Leitung“ im 20. Jahrhundert<br />

1. Der Verfassungsumbruch nach 1918 brachte für die evangelischen<br />

Kirchenstrukturen allgemein und für das ephorale<br />

bzw. episkopale Amt speziell kaum wesentliche Neuerungen,<br />

jedoch mit zwei Ausnahmen. Bedeutsam war der Kompetenzzuwachs<br />

für die Landessynoden (Landeskirchentage o.ä.);<br />

noch tiefgreifender war die Änderung, die sich in den lutherischen<br />

Kirchen mit dem neuen Amt eines Landesbischofs<br />

ergab (bzw. eines Kirchenpräsidenten, so z.B. in Bayern und<br />

Württemberg). Nicht selten verband sich letzteres in der<br />

Folgezeit mit dem viel diskutierten Postulat, dass der Kirche<br />

eine „ge<strong>ist</strong>liche Leitung“ bzw. „ge<strong>ist</strong>liche Führung“ Not<br />

täte 85. Das war aber mancherorts schon in der neuen Ver-<br />

34


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

fassung verankert, z.B. in Hannover 1922/24 („<strong>Die</strong> Ge<strong>ist</strong>liche<br />

Führung in der Landeskirche hat der Landesbischof“), wogegen<br />

dort für die Generalsuperintendenten und die Superintendenten<br />

entsprechende Bemerkungen fehlten 86. <strong>Die</strong> hannoversche<br />

Verfassung von 1965 änderte das teilweise: „Der Landessuperintendent<br />

hat die ge<strong>ist</strong>liche Leitung und Aufsicht in<br />

einem Sprengel“, der Landesbischof entsprechend in der<br />

Landeskirche – doch der Superintendent hat nur „die Aufsicht<br />

über die Kirchengemeinden, die Pfarrämter“ etc. 87 <strong>Die</strong> Verfassung<br />

Sachsens von 1922 – nur mit einer einstufigen Mittelebene<br />

– sagte dagegen: „<strong>Die</strong> Superintendenten sind die führenden<br />

Ge<strong>ist</strong>lichen ihres Bezirks“. Das entsprach der Grundbestimmung<br />

des landesbischöflichen Amtes: „Der Landesbischof<br />

<strong>ist</strong> der führende Ge<strong>ist</strong>liche der Landeskirche“. <strong>Die</strong>se<br />

Formulierung wurde in der neuen Verfassung 1950 wörtlich<br />

übernommen, ebenso diejenige über die Superintendenten. 88<br />

Was die ge<strong>ist</strong>liche Leitung inhaltlich spezifiziert bedeutete,<br />

lässt sich aus den Verfassungstexten nur ungefähr erschließen.<br />

In Sachsen wurde 1922 etwas unklar formuliert, was 1950 präzise<br />

so hieß: „<strong>Die</strong> Superintendenten sind die führenden<br />

Ge<strong>ist</strong>lichen ihres Kirchenbezirks. Ihr Amt <strong>ist</strong> der <strong>Die</strong>nst der<br />

Visitation. Sie sind zur Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung<br />

im ganzen Kirchenkreis berechtigt“; es folgten<br />

dann Spezifikationen zur Visitation und als wichtige Ergänzung<br />

die „Ordination und Einführung der Ge<strong>ist</strong>lichen“ 89.<br />

<strong>Die</strong> Ordination stand nach Hannovers Verfassung von 1922<br />

und 1965 den Superintendenten nicht zu, vielmehr den<br />

General- bzw. Landessuperintendenten und dem Landesbischof<br />

(freilich nicht in systematisch klarer Abgrenzung) 90.<br />

Auch Schleswig-Holsteins Verfassung von 1922/24 – mit einstufiger<br />

Mittelebene wie Sachsen – billigte den Pröpsten die<br />

Ordination nicht zu, desgleichen nicht die ge<strong>ist</strong>liche Leitung<br />

ihrer Propstei (während die Ordination für die beiden<br />

Bischöfe und den Landessuperintendenten von Lauenburg<br />

reserviert war, welchen dementsprechend „die ge<strong>ist</strong>liche<br />

Leitung der Landeskirche in ihren Sprengeln“ obliegen sollte)<br />

91. <strong>Die</strong> Nordelbische Kirchenverfassung von 1976/77 über-<br />

35


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

nahm das sinngemäß für die drei Bischöfe, wies den Pröpsten<br />

immerhin den „leitende(n) ge<strong>ist</strong>liche(n) <strong>Die</strong>nst in ihrem<br />

Kirchenkreis“ zu, nicht jedoch die Ordination 92.<br />

Im Rückblick auf die Geschichte seit dem 16. Jahrhundert <strong>ist</strong><br />

dieser kurze Hinweis auf die Verfassungssituation im 20. Jahrhundert<br />

aufschlussreich: <strong>Die</strong> Ordination war ein wesentlicher<br />

Teil der vorreformatorischen „iura episcopalia“, das evangelische<br />

Superintendentenamt war eigentlich als ein Bischofsamt<br />

konzipiert, doch ihm wurde die Ordination schon vor dem 20.<br />

Jahrhundert zume<strong>ist</strong> nicht zugestanden.<br />

2. Eine zusammenfassende Betrachtung der ephoralen<br />

Funktionen in den nach 1918 verabschiedeten Verfassungen<br />

kann für die lutherischen Landeskirchen die festgestellte,<br />

grundsätzlich wichtige Divergenz bestätigen. Wenn Bayern<br />

dem Dekan schon im 19. Jahrhundert wenig Kompetenzen<br />

zubilligte, dann setzte sich diese Linie bei der Verfassung von<br />

1920 fort. Er galt als untergeordnete Verwaltungsinstanz ohne<br />

ge<strong>ist</strong>liches Subjekt-Sein: „Durch ihn übt die Kirchenleitung<br />

die Aufsicht über die Ge<strong>ist</strong>lichen und Gemeinden aus“ 93. 1971<br />

wurden ihm immerhin Leitung und Aufsicht im Dekanatsbezirk<br />

zugebilligt, doch die ge<strong>ist</strong>liche Kompetenz blieb<br />

gering 94. (Bei den Kreis-Dekanen und dem Landesbischof lag<br />

z.B. die Ordination und die Lehraufsicht sowie die brüderliche<br />

Beratung, Tröstung und Mahnung, also die „cura animarum“<br />

des „pastor pastorum“). Ähnlich sah es in Hannover aus, was<br />

auch dort mit der Stärke des oberkons<strong>ist</strong>orialen Prinzips und<br />

der oberen Mittelinstanz der Generalsuperintendenten<br />

(Landessuperintendenten) zusammenhing. Immerhin kam<br />

hier 1922/24 zu der Aufsicht über Gemeinde und Pfarrer die<br />

brüderliche Beratung hinzu; jedoch nicht die Visitation, und<br />

auch die Installation der Pfarrer fehlte als Aufgabe des<br />

Superintendenten (nicht dagegen in Bayern); seit 1965 war sie<br />

auch in der hannoverschen Verfassung verankert zusammen<br />

mit der Visitation und der theologischen Fortbildung durch<br />

Abhaltung von Pastorenkonventen (wie Bayern 1971). 95 Vergleichbar<br />

lag es in Schleswig-Holstein 1922/24, wo schon da-<br />

36


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

mals Visitation und Installation zu den Aufgaben der Pröpste<br />

gehörten 96. Sachsens Verfassung von 1922 und 1950 bot den<br />

umfassendsten Funktionskatalog, d.h. außer der o.g. Ordination<br />

im Jahre 1922 auch die „Aufsicht über Lehre und Kultus“,<br />

die allerdings 1950 gestrichen wurde und auch nicht dem<br />

Landesbischof zugewiesen wurde, bei dem sie schon 1922<br />

fehlte 97.<br />

Repräsentationsaufgaben wuchsen schon im 19. Jahrhundert<br />

dem ephoralen Amt auf der entsprechenden regionalen<br />

Ebene als Novum faktisch zu; sie verstärkten sich nach 1918,<br />

erst recht nach 1945. Sie verfassungsrechtlich zu bestimmen,<br />

war naturgemäß kaum möglich. Fand sich nach 1918 fast nur<br />

hinsichtlich der Bischöfe, dass sie die Vertretung nach außen<br />

wahrnehmen sollten (was unter anderem wohl auch die<br />

öffentliche Repräsentation einschloss), so erweiterten sich<br />

nach 1945 derartige Hinweise, allerdings nicht überall. Nach<br />

der hannoverschen Verfassung 1965 sollte der Landessuperintendent<br />

„die Landeskirche im kirchlichen und öffentlichen<br />

Leben seines Sprengels“ vertreten; der Superintendent sollte<br />

seinen „Kirchenkreis in der Öffentlichkeit“ vertreten 98. Da<br />

das in der Grundbestimmung des jeweiligen Amtes erschien<br />

und da das entsprechend für den Landesbischof galt (nicht<br />

aber für den Pastor in der Ortsgemeinde!), kann man überlegen,<br />

ob hier nicht eine spezifisch episkopale Funktion auf das<br />

ephorale Amt übertragen worden <strong>ist</strong>. Entsprechendes würde<br />

dann für die mancherlei Einweihungshandlungen gelten, die<br />

in den verschiedenen Kirchenverfassungen schon nach 1918<br />

begegneten (z.B. in Hannover für die Generalsuperintendenten<br />

und den Landesbischof hinsichtlich der Einweihung<br />

kirchlicher Gebäude, nicht jedoch für die<br />

Superintendenten, die hier auch 1965 jedenfalls der Verfassung<br />

nach leer ausgingen, was aber über die tatsächliche<br />

Praxis wohl wenig besagte) 99. Völlig eindeutig war die Weihe<br />

einer Kirche in vorreformatorischer Zeit ein wichtiger Teil der<br />

„iura episcopalia“, und dem entsprachen Verfassungen wie<br />

diejenige Hannovers 1965, die spezifiziert die Einweihung von<br />

„Kirchen und Kapellen“ (nicht mehr allgemein von kirch-<br />

37


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

lichen Gebäuden) dem Amt des Landesbischofs und der<br />

Landessuperintendenten reservierte 100.<br />

3. <strong>Die</strong> skizzierten Divergenzen bei der Aufgabenbestimmung<br />

des ephoralen Amtes erwuchsen einerseits aus der h<strong>ist</strong>orisch<br />

gewachsenen Praxis, andererseits aus Unklarheiten hinsichtlich<br />

des Wesens des ge<strong>ist</strong>lichen Amtes (des pastoralen wie des<br />

ephoralen wie des episkopalen). Aus den lutherischen Bekenntnisschriften,<br />

insbesondere der Confessio Augustana, <strong>ist</strong><br />

meines Erachtens ganz klar zweierlei zu folgern: a) die grundsätzliche<br />

Unabhängigkeit des Amtes von der Gemeinde (im<br />

Unterschied zur reformierten Lehre); b) die wesensmäßige<br />

Zugehörigkeit eines ephoralen bzw. episkopalen Amtes zum<br />

Amt der Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung<br />

101.<br />

Hinsichtlich des letzteren Elements hat die oben referierte<br />

Übersicht die in mancher Hinsicht unklare Situation dargestellt.<br />

Obwohl die Reform- und Verfassungsväter des 19. und<br />

des 20. Jahrhunderts Beachtliches publiziert haben und<br />

obwohl darüber hinaus im Zusammenhang des so genannten<br />

Kirchenkampfes der NS-Zeit das Problem der ge<strong>ist</strong>lichen<br />

Leitung intensiver bedacht worden <strong>ist</strong>, haben die lutherischen<br />

Landeskirchen im 20. Jahrhundert keine kons<strong>ist</strong>ente Konzeption<br />

gemeinsam entwickelt. (Das <strong>ist</strong> betrüblich und verwunderlich,<br />

weil sie mit der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen<br />

Kirche Deutschlands seit 1948 bzw. mit dem „Lutherrat“ seit<br />

1936/37 dafür eine Koordinationsinstanz besaßen, vielleicht<br />

sogar eine gemeinsame Innovationsagentur hätten beanspruchen<br />

können.)<br />

Hinsichtlich des ersten Elements – der theologischen Zuordnung<br />

von Amt und Gemeinde und der entsprechenden praktischen<br />

Konsequenz – hat im 20. Jahrhundert die Maxime der<br />

Demokratisierung einen höchst wirksamen, aber nicht immer<br />

theologisch reflektierten Maßstab eingeführt. Das bedeutete<br />

für das ephorale Amt Folgendes. <strong>Die</strong> seit 1835 beginnende<br />

Verbindung mit dem synodalen Element von Kirchenleitung<br />

38


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

hat im großen Ganzen dazu geführt, dass diese genossenschaftliche<br />

Struktur (theologisch gesprochen: diese Hervorhebung<br />

des Gemeindeprinzips) auch die Praxis des ephoralen<br />

Amtes veränderte. Das bekundeten im 20. Jahrhundert zwei<br />

Veränderungen gegenüber dem 19. Jahrhundert. Einerseits<br />

verselbständigte sich die kirchenleitende Kompetenz der<br />

Synode, andererseits verstärkte sich die Abhängigkeit des<br />

ephoralen Amtes von jener. Das sei kurz erläutert.<br />

a) Das Modell der Rheinisch-Westfälischen Kirchenordnung<br />

von 1835 sah den Superintendenten als Vorsitzenden der<br />

Synode mit entsprechenden genossenschaftlich orientierten<br />

Funktionen, die seinen ohnehin vorhandenen, obrigkeitlichkons<strong>ist</strong>orial<br />

begründeten Einfluss erhöhten 102.<br />

<strong>Die</strong> Verfassungen der lutherischen Landeskirchen im 19.<br />

Jahrhundert folgten dem insofern, als nach ihrer Tradition<br />

ohnehin das ge<strong>ist</strong>liche Amt eine grundsätzliche Prädominanz<br />

besaß. Im 20. Jahrhundert löste sich jedoch diese Verbindung<br />

in erheblichem Maße. Der Superintendent/Propst/Dekan war<br />

nicht mehr wesensmäßig in der Leitung der Synode verankert<br />

oder gar deren geborener Vorsitzender. Freilich muss beachtet<br />

werden, dass im Einzelnen die Machtverhältnisse unterschiedlich<br />

geregelt wurden durch die Stellung der Kreissynodalvorstände<br />

bzw. -ausschüsse. Ich beschränke mich auf ein Beispiel.<br />

<strong>Die</strong> Schleswig-Holsteinische Verfassung 1922/24 machte den<br />

Propst zum Vorsitzenden sowohl der Propsteisynode als auch<br />

des Synodalausschusses, gab ihm also großen Einfluss auf die<br />

laufenden Geschäfte 103. Dagegen bestimmte die Nordelbische<br />

Verfassung 1976/77, dass die Pröpste nicht Mitglieder der<br />

Kirchenkreissynode sein könnten und dass der Vorsitz bei<br />

einem sog. Laien liegen müsste, dass zwar die Pröpste dem<br />

Kirchenkreisvorstand angehören (welcher „den Kirchenkreis<br />

in allen Angelegenheiten“ vertritt), dass sie aber nicht dessen<br />

Vorsitzende sein könnten 104. Das bedeutet in theologischer<br />

Hinsicht eine Vorordnung der Gemeinde gegenüber dem<br />

ge<strong>ist</strong>lichen Amt, die kaum mit den lutherischen Bekenntnisschriften<br />

im Einklang stehen dürfte.<br />

39


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

b) <strong>Die</strong>se Dominanz wurde dadurch verstärkt, dass die Wahl<br />

der Superintendenten bzw. Pröpste durch die Kreissynode<br />

(und damit die zeitliche Begrenzung des Amtes) in einigen<br />

lutherischen Landeskirchen gegenüber dem früheren Verfassungsrecht<br />

eingeführt wurde: so z.B. in Braunschweig gemäß<br />

der Verfassung von 1922 der Kirchenrat und demgemäß<br />

der Propst in der Verfassung von 1970, so in Mecklenburg<br />

der Propst seit 1969, so auch in Nordelbien 1976/77<br />

(nicht dagegen in Schleswig-Holstein 1922) 105. <strong>Die</strong> anderen<br />

Landeskirchen sind bei der Ernennung durch kirchenleitende<br />

Organe geblieben, haben aber eine unterschiedlich geregelte<br />

Beteiligung der Kreissynode eingeführt: so z.B. Hannover<br />

1922/24 (Ernennung durch das Landeskirchenamt „im Einverständnis<br />

mit dem Kirchenkreisvorstande“), jedoch erheblich<br />

geändert 1965 (Ernennung auf Vorschlag des Landeskirchenamtes<br />

durch den Landesbischof bei bloßer vorheriger<br />

Anhörung des Kirchenkreisvorstandes) 106. Lediglich eine<br />

Anhörung sah auch Bayern 1920 bei der Ernennung durch<br />

den Landeskirchenrat vor, verstärkte das dann 1971 aber –<br />

gegenläufig zu Hannovers Abschwächung – zu einem „Einvernehmen“<br />

107. In Sachsen blieb es 1950 wie schon 1922 bei<br />

der Ernennung durch die Kirchenleitung auf Vorschlag des<br />

Landeskirchenamtes (früher allerdings durch das Landeskons<strong>ist</strong>orium)<br />

„nach Gehör des Bezirkskirchenausschusses“<br />

bzw. des „Kirchenbezirksvorstandes“ 108. Solche Regelungen<br />

dürften meines Erachtens die Unabhängigkeit des Amtes von<br />

der Gemeinde besser ausdrücken und damit dem Ansatz der<br />

lutherischen Bekenntnisschriften eher entsprechen.<br />

Schlussbemerkung<br />

<strong>Die</strong> h<strong>ist</strong>orische Betrachtung kann heutiger Praxisgestaltung<br />

nur eingeschränkt dienen. Im Überblick überwiegt die verwirrende<br />

Vielfalt der Funktionen und Statusrechte des ephoralen<br />

Amtes. Allerdings zeigen sich einige Grundstrukturen, insbesondere<br />

die Aufsicht über die theologische Lehre und das<br />

kirchliche Leben auf Kreis- bzw. Bezirksebene, zugespitzt in<br />

der Visitation.<br />

40


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

1. Vom reformatorischen Ansatz her handelt es sich beim so<br />

genannten ephoralen Amt um ein evangelisches Bischofsamt.<br />

Doch seine Kompetenzen waren schon in den Anfängen nicht<br />

einheitlich ausgeformt (spürbar vor allem hinsichtlich der<br />

Ordination, die lange Zeit im 16. Jahrhundert theoretisch wie<br />

praktisch unklar blieb). Im Blick auf heute lässt sich eine fundamentale<br />

Norm erkennen: Das Amt der Aufsicht (Ephorie,<br />

Superintendenz, Präpositur, Episkope) <strong>ist</strong> in einer an das<br />

Evangelium gebundenen Kirche wesensnotwendig und muss<br />

zeitgemäße Formen der Lehraufsicht praktizieren 109. Es muss<br />

eine intensive Begegnung mit den ihm unterstellten Amtsträgern/Amtsträgerinnen<br />

(z.B. durch regelmäßigen informellen<br />

Besuch von deren Gottesdiensten) personale Begegnung<br />

ermöglichen, weshalb der Amtskreis geographisch begrenzt<br />

und die Amtspflichten inhaltlich auf die ge<strong>ist</strong>lichen Aspekte<br />

konzentriert sein müssen.<br />

2. Das Amt muss eine klare Struktur haben und in seinen<br />

elementaren Funktionen unabhängig sein nach oben wie nach<br />

unten hin. <strong>Die</strong> Unabhängigkeit hat aber seit dem 16. Jahrhundert<br />

erheblich gelitten durch Anbindung an den obrigkeitlichen<br />

Summepiskopat; diese <strong>ist</strong> im 19. und 20. Jahrhundert<br />

nur modifiziert worden durch die Abhängigkeit einerseits von<br />

der landeskirchlichen Oberbehörde, andererseits von der<br />

regionalen Synode. <strong>Die</strong> einst klare ge<strong>ist</strong>lich-theologische<br />

Struktur der Aufsichtsfunktion <strong>ist</strong> verdunkelt worden durch<br />

die Hypertrophie der Verwaltungsaufgaben (die freilich seit<br />

dem 16. Jahrhundert begründet waren in der Aufsicht über die<br />

kirchliche Ordnung in den Gemeinden). Wenn die h<strong>ist</strong>orische<br />

Besinnung etwas beitragen soll zur gegenwärtigen Gestaltung<br />

des ephoralen Amtes, dann kann sie nur eine Tendenz zum<br />

Gegensteuern favorisieren: Reduktion der Managementfunktionen<br />

zugunsten der ge<strong>ist</strong>lichen Konzentration <strong>ist</strong> ungemein<br />

wichtig.<br />

3. Heute völlig unzeitgemäß, aber womöglich sachlich richtig<br />

wäre die Beachtung dessen, dass das ephorale Amt primär zur<br />

Wahrnehmung der Lehraufsicht entstanden <strong>ist</strong>, um durch<br />

41


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

ge<strong>ist</strong>lich-kluge Aufsicht die Verbreitung falscher Lehre zu<br />

verhindern. Es sollte also einst der Verkündigung des Evangeliums<br />

dienen in einer einheitlichen, die ge<strong>ist</strong>liche Gemeinschaft<br />

einer größeren Anzahl von Gemeinden stabilisierenden<br />

Organisationsform. Und es sollte das ge<strong>ist</strong>liche Verderben<br />

(den Verlust der ewigen Seligkeit) durch Klärung der Heilsfrage<br />

abwehren. Das klingt heute, als würde es aus einer anderen<br />

Welt stammen. Doch es bleibt bedenkenswert und muss<br />

heute in zeitgemäßen Formen der Information, der Kommunikation<br />

und der Sanktion realisiert werden. Wenn unsere<br />

evangelische Kirche ihr religiöses Proprium als Zentrum all<br />

ihrer Aktivitäten nicht deutlich herausstellt, dann wird sie auf<br />

dem Jahrmarkt verwirrender vielfältiger Angebote in einer<br />

multikulturellen Welt weiterhin schrumpfen und verkümmern.<br />

Das ephorale Amt hat in einer verfassungsrechtlich diffusen<br />

Situation nach 1525/27 zur Schärfung des evangelischen<br />

Profils Wesentliches beigetragen. Sollte das heute nicht in entsprechender<br />

Veränderung auch möglich sein?<br />

Anmerkungen<br />

1 Vgl. dazu z.B. das praktisch-jur<strong>ist</strong>ische Handbuch des Breslauer<br />

Kons<strong>ist</strong>orialrats Friedrich Gebser: <strong>Die</strong> Verwaltung des Ephoralamtes<br />

in den sieben östlichen Provinzen der preußischen Monarchie, Berlin<br />

1913, welches ausschließlich das Superintendentenamt behandelt.<br />

<strong>Die</strong> bis heute umfassendste rechts-h<strong>ist</strong>orische Untersuchung zum<br />

Thema trägt einen bezeichnenden Titel: Axel Streiter: Das Superintendentamt.<br />

Ursprung, geschichtliche Entwicklung und heutige<br />

Rechtsgestalt des mittleren Ephoralamtes [Hervorhebung W.-D. H.] in<br />

den deutschen evangelischen Landeskirchen, Diss. iur. Köln 1973.<br />

2 Aufschlussreich <strong>ist</strong>, dass jener Begriff bzw. der Begriff „Ephorus“<br />

im Artikelbestand der großen protestantischen Nachschlagewerke<br />

von RE 3 bis TRE, von RGG 1 bis RGG 4 fehlt. Vgl. dagegen den kurzen<br />

Artikel „Ephorus“ von Albert Stein in EKL 3 1 (1986), 1054, der<br />

darunter „manche Vorsteher kirch[licher] Institute und Beauftragte<br />

insbesondere im Bereich der Pfarrerausbildung“ versteht und<br />

bezeichnenderweise abschließt: „Als Ephoralzulage wird teilweise die<br />

42


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

Gehaltsaufbesserung bezeichnet, welche nach dt. ev. Kirchenrecht<br />

Dekane und vergleichbare Amtsträger erhalten“. Der Begriff fehlt<br />

übrigens auch im neuen Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht,<br />

hg. v. Axel von Campenhausen u.a., Bd. 1, Paderborn 2000.<br />

Vgl. aber Johannes Martetschläger: Ephorus, LThK 3 3 (1995), 707:<br />

„In der ref[ormierten] Kirche Amts-Bez[eichnung] für den Superintendenten“.<br />

3 Dazu vgl. z.B. Werner Elert: Der bischöfliche Charakter der<br />

<strong>Superintendentur</strong>-Verfassung. In: Ders.: Ein Lehrer der Kirche,<br />

Berlin-Hamburg 1967, 128-138; Ders.: Das Visitationsamt in der<br />

kirchlichen Neuordnung, ebd. 139-150; Peter Brunner: Vom Amt des<br />

Bischofs. In: Schriften des Theologischen Konvents Augsburgischen<br />

Bekenntnisses 9, Berlin 1955, 5-77; abgedruckt in: Ders.: Pro<br />

Ecclesia. Gesammelte Aufsätze, Berlin-Hamburg 1962, 235-292;<br />

Georg Kretschmar: Das Bischofsamt als ge<strong>ist</strong>licher <strong>Die</strong>nst in der<br />

Kirche anhand der altkirchlichen und reformatorischen Weihegebete,<br />

in: Ders.: Das bischöfliche Amt, Göttingen 1999, 234-276.<br />

4 Bei der Berufung auf die Confessio Augustana als lutherisches<br />

Grundbekenntnis müssen die Aussagen über das bischöfliche Amt in<br />

Art. 28 verbunden werden mit Art. 5 und 7 (in ihrer systematischen<br />

Verschränkung mit der Rechtfertigungslehre von Art. 4 und 6); s.u.<br />

Anm. 101.<br />

5 Dazu s. z.B. Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Amt V. Kirchengeschichtlich,<br />

RGG 4 1 (1998), 426f; Ders.: Tradition, V. Mittelalter bis Neuzeit,<br />

TRE 33 (2002), 708-718.<br />

6 In der klassischen Gräzität <strong>ist</strong> „ephoros“ der Aufseher, Verwalter<br />

oder Vorgesetzter z.B. im Heer oder in der Landesverwaltung; vgl.<br />

Franz Passow: Handwörterbuch der Griechischen Sprache Bd. 1/2,<br />

5. Aufl., Leipzig 1847, 1289. Im Neuen Testament begegnen weder<br />

das Substantiv noch das Verb „ephor?n“. Selten wird in der Alten<br />

Kirche damit der Bischof bezeichnet; s. Geoffrey W. H. Lampe (Hg.):<br />

A Patr<strong>ist</strong>ic Greek Lexicon, Oxford 1968, 588. In der lateinischen<br />

Kirche des Mittelalters war es Bezeichnung für einen Leiter der ge<strong>ist</strong>lichen<br />

Ausbildung, in der byzantinischen Kirche für den weltlichen<br />

Kurator eines Klosters; s. LThK 3 3, 707 (wie Anm. 2).<br />

7 Vgl. z.B. Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Bischof II. Kirchengeschichtlich,<br />

RGG 4 1 (1998), 1615-1618; Gerhard Fahrnberger: Bischofsamt und<br />

Priestertum in den Diskussionen des Konzils von Trient, Wien 1970.<br />

43


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

8 Vgl. z.B. Ludwig Ott: Das Weihesakrament, HDG IV/5, Freiburg<br />

1969, 80-91. 119-127. Zu dem Trienter Dekret über das Ordo-<br />

Sakrament s. Text und Übersetzung bei Heinrich Denzinger/Peter<br />

Hünermann (Hg.): Enchiridion symbolorum.../Kompendium der<br />

Glaubensbekenntnisse..., 37. Aufl., Freiburg 1991, 568-572.<br />

9 Das zeigt die Einleitung des tridentinischen Dekrets über Schrift<br />

und Tradition; DH ebd. (wie Anm. 8) 496.<br />

10 Vgl. dazu z.B. Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Lehrbuch der Kirchen- und<br />

Dogmengeschichte Bd. 1, 2. Aufl., Gütersloh 2000, 481-486.<br />

11 Nach der theologischen Kritik an den Prärogativen des Papstes<br />

(u.a. mit Rekurs auf das Priestertum aller Getauften; WA 6, 404-415)<br />

richteten sich Luthers konkrete Vorschläge, die das „schendlich teuffelisch<br />

regiment der Romer“ beseitigen sollten (WA 6, 415,15), an die<br />

Fürsten und Obrigkeiten der deutschen Nation als diejenigen, denen<br />

das Volk anbefohlen sei „in leyplichen vnnd ge<strong>ist</strong>lichen guttern zuregiren<br />

vnnd schutzen“ (419,10f). Das spätere landesherrliche Kirchenregiment<br />

der chr<strong>ist</strong>lichen Obrigkeit wurde eigentlich hier schon<br />

begründet; vgl. den Schlusssatz: „Got geb uns allen einen<br />

Chr<strong>ist</strong>lichen vorstand, vnd ßonderlich dem Chr<strong>ist</strong>lichen Adel deutscher<br />

Nation einenn rechtenn geystlichen mut, der armen kirchen das<br />

beste zuthun“ (469, 15-17).<br />

12 Zu beidem vgl. z.B. nur die „Adelsschrift“ WA 6,453,10f („das der<br />

Bapst der recht Endchr<strong>ist</strong> sey“) und 441,22f („Bapst, Bischoff, stifft<br />

pfaffen vnnd munch, die got nit eingesetzt hat“).<br />

13 Hierzu und zum folgenden s. WA 6,440, 21-29.<br />

14 Vgl. dazu z.B. Heinz-Meinolf Stamm: Luthers Berufung auf die<br />

Vorstellungen des Hieronymus vom Bischofsamt. In: Martin Brecht<br />

(Hg.): Martin Luther und das Bischofsamt, Stuttgart 1990, 15-26.<br />

15 Erstere Schrift polemisierte durchgängig gegen das verkehrte Amt<br />

der seinerzeit so bezeichneten „Bischoffen“, die sich gegen Gottes<br />

Wort setzten (WA 11,408-416), und stellte ihm das Amt der Prediger<br />

entgegen, dem Luther nur beiläufig mit Tit. 1 und 1. Tim. 3 den<br />

Begriff „Bischoff“ zuordnete (vgl. 414, 18; 416,4: „das unßer itzige<br />

Bischoff ... nicht Bischoffe sind“). Letztere Schrift war programmatisch<br />

adressiert „An den in Chr<strong>ist</strong>us ehrbaren Doktor Nicolaus<br />

Hausmann, den Bischof der Kirche von Zwickau (episcopo Cygneae<br />

ecclesiae)“; WA 12,205,3f.<br />

16 Dazu s. Hans-Günter Leder: <strong>Die</strong> Berufung Johannes Bugenhagens<br />

44


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

in das Wittenberger Stadtpfarramt, ThLZ 114 (1989) 481-504, dort<br />

495f; ferner Lübecker Kirchenordnung von Johannes Bugenhagen<br />

1531, hg. v. Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild, Lübeck 1981, 9 (wo Bugenhagen<br />

seine Legitimation darin sah, dass er ein „erwelet Ordinarius“, also<br />

der zuständige Bischof, wäre).<br />

17 So vor allem von Peter Brunner: Vom Amt des Bischofs (wie<br />

Anm. 3), 6-15. Anhand einer anderen Lutherschrift wurde das<br />

Postulat eines „reformierten B<strong>ist</strong>umsbischofsamts“, also eines evangelischen<br />

Regionalbischofsamtes, eruiert von Gottfried Krodel:<br />

Luther und das Bischofsamt nach seinem Buch „Wider den falsch<br />

genannten ge<strong>ist</strong>lichen Stand des Papstes und der Bischöfe“. In:<br />

Martin Brecht (Hg.): Martin Luther und das Bischofsamt, Stuttgart<br />

1990, 27-65.<br />

18 Das ergibt eine genaue Analyse des ausführlichen Textes in WA<br />

12,169-196, die an anderer Stelle vorgetragen werden müsste.<br />

19 Vgl. dazu z.B. Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof<br />

von Naumburg (SVRG 179), Gütersloh 1961; Peter Gabriel: Fürst<br />

Georg III. von Anhalt als evangelischer Bischof von Merseburg und<br />

Thüringen 1544-1548/50 (EHS.T 597), Frankfurt/Main u.a. 1997.<br />

20 Vgl. dazu z.B. Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Kirchengeschichte Lübecks,<br />

Lübeck 1981, 255f.<br />

21 Vgl. dazu allgemein Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Lehrbuch der Kirchen-<br />

und Dogmengeschichte Bd. 2, 2. Aufl., Gütersloh 2001, 248f.<br />

22 Ebd. 131f.<br />

23 Einzelheiten dazu bei Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Biblische Theologie<br />

und kirchliche Praxis. In: Karlheinz Stoll (Hg.): Kirchenreform als<br />

Gottesdienst. Der Reformator Johannes Bugenhagen 1485-1558,<br />

Hannover 1985, 44-91.<br />

24 Abdruck bei Emil Sehling (Hg.): <strong>Die</strong> Evangelischen Kirchenordnungen<br />

des XVI. Jahrhunderts [= EKO] Bd. 4, Leipzig 1902,<br />

542-545; danach die folgenden Zitate.<br />

25 Zu den Texten vgl. Anneliese Sprengler-Ruppenthal: Kirchenordnungen<br />

II/1, TRE 18 (1989), 670-703.<br />

26 Texte in: Emil Sehling (Hg.): <strong>Die</strong> Evangelischen Kirchenordnungen<br />

des XVI. Jahrhunderts [EKO] Bd. 1/1, Leipzig 1902,<br />

142-149 „Instruction und befelch dorauf die visitatores abgefertiget<br />

sein. Vom 16. Juni 1527“ und ebd. 149-174 „Unterricht der visitatoren<br />

an die pfarrherrn im kurfürstenthum zu Sachsen. 1528“.<br />

45


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

27 Exemplarische, h<strong>ist</strong>orisch herausragende Beispiele boten Karl<br />

Müller: Kirche, Gemeinde und Obrigkeit nach Luther, Tübingen<br />

1910, 12-84 und Karl Holl: Luther und das landesherrliche Kirchenregiment,<br />

ZThK 21, 1911; abgedruckt in Ders.: Gesammelte Aufsätze<br />

zur Kirchengeschichte Bd. 1, 4. Aufl., Tübingen 1927, 326-389.<br />

28 Das hat z.B. Peter Brunner: Vom Amt (wie Anm. 2), 43-59 anhand<br />

etlicher Quellen betont.<br />

29 Vgl. die „Instruction“ (wie Anm. 26), 146.<br />

30 Vgl. den „Unterricht“ (wie Anm. 26), 171.<br />

31 Vgl. die „Instruction“ (wie Anm. 26), 146. <strong>Die</strong>ser Begriff entstand<br />

aufgrund eines zweifachen Anknüpfungspunktes. a) <strong>Die</strong> Reformatoren<br />

orientierten sich programmatisch nicht nur an der Bibel, sondern<br />

auch an den Kirchenvätern als sachkundigen Schriftauslegern;<br />

deshalb war es ihnen wichtig, dass Augustinus den griechischen<br />

Begriff „episkopein“ in 1. Tim. 3,2 mit „superintendere“ übersetzte<br />

(De civitate Dei XIX, 19; CChr. SL 48, 686, 25-28) und dass das<br />

mittelalterliche Kirchenrecht diese Übersetzung tradierte. Vgl. dazu<br />

Helmar Junghans: Superintendent, TRE 32 (2001), 463-467, dort<br />

463. - b) „Superattendent“ war schon in vorreformatorischer Zeit<br />

eine geläufige Bezeichnung für einen Oberbeamten der landesherrlichen<br />

Verwaltung für bestimmte Bereiche, z.B. für das Druckwesen,<br />

die Universitäten oder die Steuereinkünfte. Vgl. dazu Deutsches<br />

Wörterbuch. Begr. v. Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 10/6 (1942),<br />

1195f.<br />

32 Zu den Zitaten vgl. EKO 1/1 (wie Anm. 26), 171.<br />

33 Ebd. 171.<br />

34 Ebd. 171.<br />

35 Vgl. die ausführliche Darstellung von Heinrich Nobbe: Das<br />

Superintendentenamt, seine Stellung und Aufgabe nach den evangel.<br />

Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, ZKG 14 (1894), 404-429;<br />

15 (1895), 44-93.<br />

36 So z.B. Nobbe 46f.52.<br />

37 Vgl. Hans Kuno Zimmermann: <strong>Die</strong> Entwickelung der Kircheninspektionen.<br />

In: Beiträge zur Sächsischen Kirchengeschichte 16<br />

(1902), 120-205.<br />

38 Kurze Übersicht bei Emil Sehling: Kons<strong>ist</strong>orien, Kons<strong>ist</strong>orialverfassung,<br />

RE3 10 (1901), 752-757; Karl Rieker: <strong>Die</strong> rechtliche<br />

Stellung der evangelischen Kirche Deutschlands in ihrer geschicht-<br />

46


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

lichen Entwicklung bis zur Gegenwart, Leipzig 1893, 146-187.<br />

39 Vgl. dazu Hartwig <strong>Die</strong>terich: Das protestantische Eherecht in<br />

Deutschland bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts (JusEcc 10),<br />

München 1970, 88-93. 118f. 175-180. 257-264.<br />

40 Dazu s. Wilhelm H. Neuser: Agende, Agendenstreit und Provinzialagende.<br />

In: <strong>Die</strong> Geschichte der Evangelischen Kirche der<br />

Union Bd. 1, hg. v. J.F.G. Goeters/R. Mau, Leipzig 1992, 134-159.<br />

41 So z.B. die Verfassungen von Bayern (Art. 43,2,1) und Nordelbien<br />

(Art. 67,1). Texte bei <strong>Die</strong>ter Kraus (Hg.): Evangelische Kirchenverfassungen<br />

in Deutschland, Berlin 2001, 171 und 459.<br />

42 Text in EKO Bd. 1/1 (wie Anm. 26), 359-457.<br />

43 Dazu s. Ralf Thomas: Wirkungen der Reformation auf die<br />

Kirchenverfassung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche<br />

Sachsens, Herbergen der Chr<strong>ist</strong>enheit 18 (1991/92), 33-47, dort 41.<br />

44 Zitat aus dem Visitationsprotokoll 1533 bei Ralf Thomas: Aufbau<br />

und Umgestaltung des Superintendentialsystems in der sächsischen<br />

Landeskirche bis 1815, Herbergen der Chr<strong>ist</strong>enheit 10 (1975/76), 99-<br />

144, dort 113.<br />

45 Zum folgenden s. Nobbe: Superintendentenamt (wie Anm. 35),<br />

422f und Martin Brecht/Hermann Ehmer: Südwestdeutsche<br />

Reformationsgeschichte, Stuttgart 1984, 264f. 317-323.<br />

46 Dazu s. z.B. Nobbe: Superintendentenamt (wie Anm. 35), 425-428.<br />

47 Hierzu und zum folgenden sei anstelle von Belegen aus den zahlreichen<br />

Kirchenordnungen auf die Sekundärliteratur verwiesen:<br />

Nobbe: Superintendentenamt (wie Anm. 35); Thomas: Aufbau (wie<br />

Anm. 44); Streiter: Superintendentenamt (wie Anm. 1), 28-61; Emil<br />

Sehling: Superintendent, RE 3 19 (1907), 167-172.<br />

48 Vgl. Melanchthons „Unterricht ...“ (s.o. Anm. 34). Bei den me<strong>ist</strong>en<br />

Lehrstreitigkeiten seit 1548 griff die Obrigkeit mit Zwangsmaßnahmen<br />

ein (me<strong>ist</strong> Amtsenthebung und Ausweisung); vgl. dazu<br />

z.B. Hauschild: Lehrbuch Bd. 2 (wie Anm. 21), 413-420.<br />

49 Vgl. die Sammlung theologischer und kirchenrechtlicher Dokumente<br />

zum 16.-20. Jahrhundert bei: Wilfried Härle/Heinrich Leipold<br />

(Hg.): Lehrfreiheit und Lehrbeanstandung, 2 Bde., Gütersloh 1985;<br />

ferner Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Schrift und Bekenntnis. Der Fall Paul<br />

Schulz, KJ 105 (1978), 52-70.<br />

50 Knappe Übersicht z.B. bei Thomas Barth: Elemente und Typen<br />

landeskirchlicher Leitung (JusEcc 53), Tübingen 1995, 22f; Wilhelm<br />

47


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

Maurer: Typen und Formen aus der Geschichte der Synode. In:<br />

Ders.: <strong>Die</strong> Kirche und ihr Recht (JusEcc 23), Tübingen 1976, 76-98.<br />

51 Vgl. dazu z.B. Streiter: Superintendentenamt (wie Anm. 1), 129-<br />

246.<br />

52 Vgl. z.B. Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Deutschland II.1, RGG4 2 (1999),<br />

717-751, dort 741f.<br />

53 Grundlage der folgenden Angaben sind zunächst die nach 1919<br />

erstellten Verfassungen. Texte in: Friedrich Giese/ Johannes<br />

Hosemann (Hg.): <strong>Die</strong> Verfassungen der Deutschen Evangelischen<br />

Landeskirchen, 2 Bde., Berlin 1927.<br />

54 Zur Umwandlung der vier Generalsuperintendenturen in neun<br />

Landessuperintendenturen s. z.B. Ernst Rolffs: Evangelische<br />

Kirchenkunde Niedersachsens, 2. Aufl., Göttingen 1938, 55f; Inge<br />

Mager: Hannover I., TRE 14 (1985), 428-438, dort 434f.<br />

55 Zur Neugliederung in 15 Propsteien s. z.B. Horst Reller: Braunschweig,<br />

RGG3 1 (1957), 1390-1393, dort 1393.<br />

56 Zur geschichtlichen Entwicklung seit dem 16. Jahrhundert s.<br />

Niklot Beste: Kirchenkreise und Propsteien in der Evangelisch-<br />

Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs, Herbergen der Chr<strong>ist</strong>enheit<br />

10 (1975/76), 93-97.<br />

57 Zur Verfassung von 1951 s. § 55-59 (<strong>Superintendentur</strong>, Superintendent),<br />

§ 61,1 und § 83,3 (Visitatoren) sowie § 64-67 (drei<br />

Kirchenkreise mit je einem Kirchenkreisamt). Text in: Kraus (Hg.):<br />

Kirchenverfassungen (wie Anm. 41), 821-828.833.<br />

58 Vgl. z.B. Johannes Schilling: Schleswig-Holstein, TRE 30 (1999),<br />

201-214, dort 208-210; Eberhard Schwarz: <strong>Die</strong> schleswig-holsteinische<br />

Landeskirche in der preußischen Provinz. In: Schleswig-<br />

Holsteinische Kirchengeschichte Bd. 5, Neumünster 1989, 163-252;<br />

Klaus Blaschke: <strong>Die</strong> Zeit des Übergangs 1918-1922 sowie die<br />

Kirchenverfassung von 1922. In: Ebd. Bd. 6/1, Neumünster 1998,<br />

11-35.<br />

59 Dazu s. z.B. Hauschild: Lehrbuch Bd. 2 (wie Anm. 21), 757f.<br />

60 Vgl. dazu z.B. Wilhelm H. Neuser: <strong>Die</strong> Entstehung der Rheinisch-<br />

Westfälischen Kirchenordnung. In: Geschichte Bd. 1 (wie Anm. 40),<br />

241-256; Walter Göbell: <strong>Die</strong> Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung<br />

vom 5. März 1835, Bd. 1, Duisburg 1948.<br />

61 Text der Kirchen-Gemeinde- und Synodalordnung für die Provinzen<br />

Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und<br />

48


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

Sachsen in: Emil Friedberg (Hg.): <strong>Die</strong> geltenden Verfassungs-<br />

Gesetze der evangelischen deutschen Landeskirchen, Freiburg 1885,<br />

51-73.<br />

62 Zitate und weitere Angaben nach Streiter: Superintendentenamt<br />

(wie Anm. 1), 89f.<br />

63 Text der Kirchenordnung für die evangelischen Gemeinden der<br />

Provinz Westphalen und der Rheinprovinz vom 5. März 1835 in:<br />

Friedberg (Hg.): Verfassungs-Gesetze (wie Anm. 61), 21-50 (mit den<br />

Ergänzungen von 1853). <strong>Die</strong> Bestimmungen für das Superintendentenamt<br />

finden sich innerhalb des Abschnitts „Von der Kreis-<br />

Gemeinde und der Kreis-Synode“ (§ 34-43) in § 38; ebd. 31f.<br />

Eingehende Auswertung bei Streiter: Superintendentenamt (wie<br />

Anm. 1), 129-180.<br />

64 <strong>Die</strong>se Differenzierung wurde systematisch stringent herausgearbeitet<br />

von Günther Holstein: <strong>Die</strong> Grundlagen des evangelischen<br />

Kirchenrechts, Tübingen 1928, 311-321.<br />

65 Kirchenordnung (wie Anm. 63) § 38, Ziffer 6; Friedberg 31.<br />

66 Kirchenordnung § 37, Ziffer b; Friedberg 31.<br />

67 Kirchenordnung § 38, Ziffer 7; Friedberg 31.<br />

68 Kirchenordnung § 38, Ziffer 3; Friedberg 31. Vgl. dazu die ausführliche<br />

Erörterung bei Streiter: Superintendentenamt (wie Anm.<br />

1), 160-162.<br />

69 Kirchenordnung § 38, Ziffer 2 mit ausführlicher Ergänzung „Von<br />

der Kirchen-Visitation“ in § 144-146; Friedberg 48f.<br />

70 Kirchenordnung § 38; Ziffer 5 und § 36; zur Ordination s. auch §<br />

113; Friedberg 44.<br />

71 Dazu s. Streiter: Superintendentenamt (wie Anm. 1), 174.<br />

72 Zum Text s.o. Anm. 61.<br />

73 Vgl. dazu Streiter: Superintendentenamt (wie Anm. 1), 184f. Unter<br />

den veränderten Verfassungsbedingungen vollzog sich die königliche<br />

Ernennung allerdings indirekt in der Bestallung durch den<br />

Evangelischen Oberkirchenrat im Einvernehmen mit dem Min<strong>ist</strong>er<br />

der ge<strong>ist</strong>lichen Angelegenheiten; ausführlich dazu s. Gebser:<br />

Verwaltung (wie Anm. 1), 3-7.<br />

74 Der Kreissynode wurde eine „Mitaufsicht über die Gemeinden,<br />

Ge<strong>ist</strong>lichen, Kandidaten und alle in kirchlichen Berufsämtern stehenden<br />

Personen ihres Kreises“ zugestanden; Kirchenordnung § 53,<br />

Ziffer 3; Friedberg 63.<br />

49


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

75 Vgl. dazu Martin Schian: Generalsuperintendent, RGG1 2 (1910),<br />

1281-1283.<br />

76 Einige Hinweise: In Württemberg bestand das Kons<strong>ist</strong>orium (seit<br />

1553 als Kirchenrat gegründet) als ge<strong>ist</strong>lich-weltliche Leitungsbehörde<br />

fort, erst seit 1867/69 gab es eine Landessynode; vgl.<br />

Hermann Ehmer: Württemberg, TRE 36 (2004), 343-369, dort<br />

350f.355. – Zu Bayern s.u. bei Anm. 79-83. – Für die preußische<br />

Landeskirche wurde 1850 der Evangelische Oberkirchenrat in Berlin<br />

etabliert; vgl. dazu Martin Schian: Oberkirchenrat, RGG1 4 (1913),<br />

854-857. – Im Königreich Sachsen war das Landeskons<strong>ist</strong>orium nach<br />

1835 völlig in die Staatsverwaltung eingegliedert, was sich erst<br />

1873/74 „mit der Errichtung des Evangelisch-Lutherischen<br />

Landeskons<strong>ist</strong>oriums in Dresden als oberster Leitung der Landeskirche“<br />

änderte; vgl. Günther Wartenberg: Sachsen II., TRE 29<br />

(1998), 558-580, dort 572. - Das für die Landeskirche Hannovers<br />

1866 gebildete Landeskons<strong>ist</strong>orium gewährle<strong>ist</strong>ete - zusammen mit<br />

der seit 1864 eingerichteten Landessynode - eine erhebliche kirchliche<br />

Selbständigkeit; vgl. Inge Mager: Hannover I., TRE 14 (1985),<br />

428-438, dort 433f. <strong>Die</strong> entsprechenden Gesetzestexte für die<br />

genannten Landeskirchen s. bei Friedberg (Hg.): Verfassungs-<br />

Gesetze (wie Anm. 61) 425ff.313ff.377ff.165ff.<br />

77 <strong>Die</strong> im Großherzogtum Oldenburg mit dem Kirchenverfassungsgesetz<br />

von 1849 eingeführte kirchliche Autonomie wurde durch die<br />

Revision von 1853 stark eingeschränkt; vgl. den Text bei Friedberg<br />

(Hg.): Verfassungs-Gesetze (wie Anm. 61), 560-580 und dazu Rolf<br />

Schäfer (Hg.): Oldenburgische Kirchengeschichte, Oldenburg 1999,<br />

412-421. Text der preußischen „General-Synodalordnung für die<br />

evangelische Landeskirche der acht älteren Provinzen der Monarchie“<br />

von 1876 bei Friedberg 89-99, dort 90f zum Gesetzgebungsrecht.<br />

78 Vgl. dazu Streiter: Superintendentenamt (wie Anm. 1), 228f;<br />

Heinrich Hermelink: Geschichte der evangelischen Kirche in<br />

Württemberg von der Reformation bis zur Gegenwart, Stuttgart-<br />

Tübingen 1949, 391-395. Zitate aus der Verordnung betr. Einführung<br />

von Diözesan-Synoden 1854 nach Friedberg 423f.<br />

79 1803/06 fielen umfangreiche evangelische Territorien an das bis<br />

dahin fast geschlossen katholische Bayern. <strong>Die</strong> Organisation einer<br />

50


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

evangelischen Landeskirche begann 1809 mit der „Kons<strong>ist</strong>orialordnung“<br />

(Text bei Friedberg 300-313), welche ein „General-Kons<strong>ist</strong>orium<br />

der protestantischen Gesammtgemeinde des Königreichs<br />

Bayern“, drei General-Kreiskommissariate in Ansbach, Bayreuth und<br />

Speyer mit Kons<strong>ist</strong>orien (ab 1817 „General-Dekanate“ genannt) und<br />

73 D<strong>ist</strong>rikts-Dekane etablierte. Vgl. die Darstellung von Hartmut<br />

Böttcher: <strong>Die</strong> Entstehung der evangelischen Landeskirche und die<br />

Entwicklung ihrer Verfassung (1806-1918). In: Handbuch der Geschichte<br />

der evangelischen Kirche in Bayern Bd. 2, hg. v. Gerhard<br />

Müller u.a., St. Ottilien 2000, 1-29. Der linksrheinische Teil der<br />

neuen Landeskirche unter dem Speyerer Kons<strong>ist</strong>orium verselbständigte<br />

sich – beginnend mit der Pfälzer Union 1818ff – ab 1848 weithin.<br />

80 So seit der „Diözesan-Synodalordnung“ von 1851; Text bei<br />

Friedberg 327-329, das folgende Zitat dort 328.<br />

81 Vgl. das königliche „Edikt über die inneren Angelegenheiten der<br />

protestantischen Gesammtgemeinde ...“ bei Friedberg 313-318.<br />

82 Das war seit der Kons<strong>ist</strong>orialordnung 1809 fixiert; vgl. Friedberg<br />

305-307.<br />

83 Zitate nach dem Text ebd. 311; zum Examen s. ebd. 301.<br />

84 Zitate nach dem Text ebd. 306.<br />

85 Vgl. Holstein: Grundlagen (wie Anm. 64), 326f zum preußischen<br />

Generalsuperintendenten. Wilhelm Maurer: Das synodale evangelische<br />

Bischofsamt seit 1918. In: Ders.: <strong>Die</strong> Kirche und ihr Recht<br />

(JusEcc 23), Tübingen 1976, 388-448, dort 410-422. Maurers<br />

Aufsatz „Ge<strong>ist</strong>liche Leitung der Kirche“ ebd. 99-134 enthält nichts<br />

zur Zeit 1918-32.<br />

86 <strong>Die</strong> „Verfassung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers“<br />

wurde zwar am 20. Dezember 1922 verabschiedet, aber trat<br />

erst 1924 mit dem „Staatsgesetz betreffend die Kirchenverfassungen<br />

der evangelischen Landeskirchen“ (d.h. aller sieben in Preußen) in<br />

Kraft. Text in: Friedrich Giese/Johannes Hosemann (Hg.): <strong>Die</strong><br />

Verfassungen der Deutschen Evangelischen Landeskirchen, 2 Bde.,<br />

Berlin 1927, dort Bd. 1, 129-154. Zitat ebd. 151 (Art. 99,1); zu den<br />

Generalsuperintendenten und Superintendenten vgl. ebd. 149 (Artt.<br />

90-94) und 135 (Art. 31).<br />

87 Verfassung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers<br />

vom 11. Februar 1965 (mit Änderungen 1971-1999) in: <strong>Die</strong>ter Kraus<br />

51


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

(Hg.): Evangelische Kirchenverfassungen in Deutschland, Berlin<br />

2001, 279-315; Zitate dort 296 (Art. 68) und 292 (Art. 53,1).<br />

88 Zitate nach den Texten in: Giese/Hosemann (Hg.): Verfassungen<br />

(wie Anm. 86) Bd. 1, 411 (Art. 34,1) und 405 (Art. 28,1); vgl. den<br />

Text von 1950 (zuletzt geändert 1998) in: Kraus (Hg.): Verfassungen<br />

(wie Anm. 87), 734 (§ 15,1) und 739 (§ 28,1).<br />

89 Text bei Kraus 734 (Art. 15,1 und 15,2, Ziffer 4).<br />

90 Vgl. den Text bei Giese/Hosemann Bd. 1, 152 (Art. 102,2): „Der<br />

Landesbischof hat das Recht, Ge<strong>ist</strong>liche zu ordinieren ...“, und zwar<br />

ohne Einschränkung (vgl. Art. 63,2 bei Kraus 294: „Der Landesbischof<br />

hat das Recht, zu ordinieren ...“) mit dem Text ebd. 149 (Art.<br />

90,2): „Sie [sc. die Generalsuperintendenten] haben das Recht,<br />

Ge<strong>ist</strong>liche zu ordinieren ..., soweit der Landesbischof die Ausübung<br />

... nicht für sich in Anspruch nimmt“ (Art. 69,1 bei Kraus 296: „Der<br />

Landessuperintendent hat das Recht, zu ordinieren ..., soweit nicht<br />

der Landesbischof die Ordination ... in Anspruch nimmt“). Der<br />

Unterschied zu den Superintendenten lässt sich aus der Verfassungssystematik<br />

erschließen. Denn die Ordination galt als eine<br />

gesamtkirchliche Funktion, die deshalb der Leitung der Landeskirche<br />

(und als deren Organen dem Landesbischof und den Generalsuperintendenten)<br />

reserviert war. <strong>Die</strong> Funktionen des Superintendenten<br />

dagegen waren auf die „Aufsichtsbezirke“ (d.h. den jeweiligen<br />

„Kreiskirchenverband“) der Kirchengemeinden bezogen, also letztlich<br />

parochial fundiert.<br />

91 „Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche<br />

Schleswig-Holsteins“ vom 30. September 1922 in: Giese/Hosemann<br />

Bd. 1 (wie Anm. 86), 223-266. Zur Datierung vgl. die Bemerkung in<br />

Anm. 86. Zitat nach § 136,1 (mit Entsprechung für Lauenburg in §<br />

142,2); ebd. 258f. „Zu den amtlichen Obliegenheiten der Bischöfe“<br />

gehörte nach § 138,3 „die Ordination der Ge<strong>ist</strong>lichen“ (entsprechend<br />

§ 142,2).<br />

92 „Verfassung der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche“<br />

vom 12. Juni 1976, in Kraft getreten am 1. Januar 1977; Text in:<br />

Kraus (Hg.): Kirchenverfassungen 436-476 (nach dem Stand vom<br />

5.2.2000), dort 466f zum „leitenden ge<strong>ist</strong>lichen <strong>Die</strong>nst in der<br />

Nordelbischen Kirche“ und zum Ordinationsrecht (Art. 89,1 und<br />

91, Ziffer b), 451 zum „leitenden ge<strong>ist</strong>lichen <strong>Die</strong>nst“ der Pröpste „in<br />

ihrem Kirchenkreis“ (Art. 40,1-5). Das Ephorale Amt <strong>ist</strong> hier nicht<br />

52


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

grundsätzlich vom episkopalen Amt unterschieden, vielmehr gelten<br />

beide als besondere Funktionen des Pfarramts (Art. 40,1: „<strong>Die</strong><br />

Pröpstinnen und Pröpste sind Pastorinnen und Pastoren, denen ...“;<br />

Art. 88,1: „<strong>Die</strong> Bischöfinnen und Bischöfe sind Pastorinnen und<br />

Pastoren, denen ...“). Vgl. den Kommentar von Horst Göldner/<br />

Klaus Blaschke: Verfassung der Nordelbischen Evangelisch-<br />

Lutherischen Kirche, Kiel 1978, 174: „<strong>Die</strong> Aufgaben der Beratung und<br />

Visitation sind Funktionen, die den leitenden ge<strong>ist</strong>lichen <strong>Die</strong>nst des<br />

Propstes beschreiben“; ebd. 268 zum Bischof: „<strong>Die</strong> Visitation gehört<br />

zu den klassischen Funktionen des lutherischen Bischofsamtes ... Mit<br />

der Ordination der Pastoren fällt dem Bischof eine bedeutsame<br />

Funktion zu, die einen unlösbaren Bestandteil seines <strong>Die</strong>nstes darstellt<br />

und nur im Ausnahmefall delegierbar <strong>ist</strong>“.<br />

93 Text bei Giese/Hosemann (Hg.): Verfassungen Bd. 2 (wie Anm.<br />

86), 516 (Art. 13 IV).<br />

94 Text bei Kraus: Verfassungen (wie Anm. 87), 168f: „Der Dekan<br />

bzw. die Dekanin leitet den Dekanatsbezirk im Zusammenwirken mit<br />

der Dekanatssynode und dem Dekanatsausschuß“. <strong>Die</strong> „Aufsicht<br />

über die kirchliche Arbeit im Dekanatsbezirk“ <strong>ist</strong> nicht unmittelbar<br />

mit der Aussage über die „Visitation“ verbunden, welche vielmehr<br />

zusammen mit „Beratung“ als Förderung der pfarramtlichen Arbeit<br />

verstanden wird (Art. 32,2-3). Zu den Kreisdekanen/Oberkirchenräten<br />

in den Kirchenkreisen s. ebd. 178.<br />

95 Vgl. die Texte bei Giese/Hosemann Bd. 1,135 (Art. 31 betr.<br />

Superintendenten: Bei der „Aufsicht über die Gemeinden und die<br />

Ge<strong>ist</strong>lichen“ fehlt die Visitation, die anscheinend ebenso wenig zum<br />

Aufgabenbereich des Superintendenten wie des Generalsuperintendenten<br />

gehört, vgl. 149). <strong>Die</strong> Visitation <strong>ist</strong> in dieser Verfassung<br />

schwach bestimmt, nur in folgender Weise: „Der Landesbischof <strong>ist</strong><br />

befugt, ... die vom Landeskirchenamte angeordneten außerordentlichen<br />

Kirchenvisitationen vorzunehmen“ (152; Art. 102,1, Ziffer 3 –<br />

über ordentliche Visitationen findet sich nichts). Anders regelt es die<br />

Verfassung von 1965 i.d.F. von 1999: Der Superintendent hat<br />

„Visitationen vorzunehmen“; der Landesbischof „hat das Recht, ...<br />

Visitationen vorzunehmen und ... außerordentliche Visitationen<br />

anzuordnen“; vgl. die Texte bei Kraus: Verfassung 292.294.<br />

96 Vgl. Giese/Hosemann Bd. 1,250 (§ 100,1, Ziffer 3 und 6).<br />

97 Verfassung der evangelisch-lutherischen Landeskirche des Frei-<br />

53


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

staats Sachsen vom 29. Mai 1922, ebd. 411 (§ 34,2, Ziffer 1-3): Den<br />

Superintendenten oblag „die Aufsicht über Lehre und Kultus in den<br />

Kirchengemeinden, die Abhaltung von Kirchenvisitationen, die<br />

Ordination und Einführung der Ge<strong>ist</strong>lichen“. Damit galt der<br />

Kernbestand der Aufgaben eines evangelischen Bischofsamtes (seit<br />

dem 16. Jahrhundert des Superintendentenamtes) für die Superintendenten.<br />

Vgl. dagegen den Text von 1950 bei Kraus 734. 739f.<br />

98 Vgl. den Text bei Kraus 296 und 292 (Art. 68 und 53,1).<br />

99 Vgl. den Text bei Giese/Hosemann Bd. 1,149 und 152 (Art. 90,2<br />

und 102,2).<br />

100 Vgl. den Text bei Kraus 294 und 296 (Art. 63,2 und 69,1).<br />

101 <strong>Die</strong> soteriologische Notwendigkeit des von Gott eingesetzten<br />

Amtes (min<strong>ist</strong>erium) der Evangeliumsverkündigung und Sakramentenspendung<br />

ergibt sich nach CA 5 aus der Rechtfertigungslehre mit<br />

ihrem Axiom, dass der Glaube aus dem Hören auf Gottes Wort entsteht<br />

(CA 4-6): Ohne die Verkündigung kommt der Glaube und<br />

damit die chr<strong>ist</strong>liche Ex<strong>ist</strong>enz nicht zustande. Sie konstituiert nach<br />

CA 7 die Gemeinde bzw. die Kirche (als „creatura evangelii“, so<br />

Luther), und deren Einheit besteht im consentire de doctrina evangelii<br />

(CA 7,2). <strong>Die</strong>ser Konsensus muss praktisch hergestellt oder<br />

bewahrt werden; dazu ex<strong>ist</strong>iert gemäß CA 28,20-22 nach göttlichem<br />

Recht (de iure divino) das Bischofsamt, welches „die Lehre, so dem<br />

Evangelio entgegen, verwerfen“ muss. Vgl. zum Ganzen BSLK<br />

56,5f; 58,2-8; 61,3-9; 123,22-124,9.<br />

102 Vgl. die oben in Anm. 63-68 genannten Textbeispiele.<br />

103 Text in: Giese/Hosemann (Hg.): Verfassungen Bd. 1 (wie Anm.<br />

86), 247 (§ 91) und 249 (§ 99,1).<br />

104 Text in Kraus: Verfassungen (wie Anm. 87), 447: „<strong>Die</strong><br />

Pröpstinnen und Pröpste sind nicht Mitglieder der Kirchenkreissynode“,<br />

nehmen aber mit beratender Stimme teil (Art. 31,5); 451: sie<br />

sind Mitglied des Kirchenkreisvorstands, dessen Vorsitz nicht „leitende<br />

Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter des Kirchenkreises“ führen<br />

dürfen (Art. 39,1a und 4).<br />

105 Vgl. zu Nordelbien ebd. 446 (Art. 30,1a: „<strong>Die</strong> Kirchenkreissynode<br />

... wählt ... die Pröpstin bzw. den Propst“); s. dagegen<br />

Giese/Hosemann Bd. 1,250 (§ 101,1: „Der Propst wird auf<br />

Vorschlag des Bischofs von der Kirchenregierung ernannt“). Vgl. zu<br />

Braunschweig ebd. Bd. 2,758 (§ 16: „Der Kirchenrat und sein Stell-<br />

54


Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />

vertreter werden von dem Kirchenkre<strong>ist</strong>age auf Zeit gewählt“);<br />

Kraus 252 (Art. 51,1: „Der Propst wird von der Propsteisynode ... für<br />

eine Amtsdauer von 12 Jahren gewählt“). Zur Mecklenburger<br />

Propsteiordnung von 1969 s. Beste: Kirchenkreise (wie Anm. 56), 96.<br />

106 Vgl. Giese/Hosemann Bd. 1,411 (§ 34,4) und Kraus 292 (Art.<br />

55,1).<br />

107 Vgl. Giese/Hosemann Bd. 2,516 (Art. 13 II) und die Verfassung<br />

der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (Kirchliches Amtsblatt<br />

1971, 287ff), Art. 31,1: „<strong>Die</strong> Dekansfunktion wird ihm vom<br />

Landeskirchenrat im Einvernehmen mit dem Dekanatsausschuß<br />

übertragen“. Vgl. die spätere Änderung bei Kraus 168 (Art. 32.1).<br />

108 Vgl. Giese/Hosemann Bd. 1, 411 (§ 34,4) und Kraus 734 (§ 15,6).<br />

55


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

in praktisch-theologischer Sicht.<br />

Exemplarische Debatten, Differenzierungen<br />

und Modelle<br />

Jan Hermelink<br />

Im Folgenden seien einige praktisch-theologische Überlegungen<br />

zu den Veränderungen präsentiert, die sich gegenwärtig<br />

in der Struktur des ephoralen Amtes beobachten lassen.<br />

Als Quelle solcher Beobachtungen dienen mir – neben den<br />

seinerzeit in Pullach vorgelegten Kurzberichten aus verschiedenen<br />

lutherischen Landeskirchen 1 – vor allem einige<br />

Materialien aus der Evangelisch-lutherischen Landeskirche<br />

Hannovers. Es sind dies die so genannten Celler Reformpapiere<br />

von 1997 2 , die Synodalprotokolle zur kirchengesetzlichen<br />

Einführung der Wahl des Superintendenten (2001) 3 ,<br />

zwei Berichte des synodalen Gemeindeausschusses über die<br />

„Formulierung des <strong>Die</strong>nstauftrags der Superintendenten und<br />

Superintendentinnen“ (2001 und 2003) 4 sowie schließlich die<br />

jüngste einschlägige Äußerung des Ge<strong>ist</strong>lichen Vizepräsidenten<br />

Martin Schindehütte 5 . Außerdem kann ich zurückgreifen<br />

auf die Arbeit einer praktisch-theologischen Visitationsgruppe,<br />

die in den Jahren 2002/2003 strukturelle Reformprozesse<br />

in fünf hannoverschen Kirchenkreisen durch Besuche wahrgenommen,<br />

reflektiert und ihre Einsichten vor kurzem publiziert<br />

hat 6 .<br />

In diesen Dokumenten, die ganz unterschiedliche Gattungen<br />

kirchlichen Quellenmaterials repräsentieren, werden durchgehend<br />

bestimmte, weitgehend strukturell bedingte Veränderungen<br />

der ephoralen Berufspraxis erkennbar. <strong>Die</strong>s soll zunächst<br />

durch den Blick auf zwei einschlägige, exemplarische<br />

Debatten illustriert werden (I); sodann sind die Veränderungen<br />

der ephoralen Praxis anhand einer gängigen kirchenrecht-<br />

57


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

lichen Typologie von Leitungsformen darzustellen (II). In<br />

einen weiteren Horizont wird jener Strukturwandel gestellt,<br />

wenn er als Ausdruck sozialer, spezifisch kirchlicher und nicht<br />

zuletzt ge<strong>ist</strong>licher Differenzierungsprozesse erscheint (III).<br />

Schließlich werden verschiedene Modelle des ephoralen<br />

Amtes diskutiert, die die Breite gegenwärtiger Interpretation<br />

dieses Amtes idealtypisch illustrieren (IV).<br />

I. Zwei exemplarische Debatten zum Profil des ephoralen<br />

Amtes<br />

1. Stellvertretung im Amt der Superintendentin 7<br />

<strong>Die</strong> zunehmende Arbeitsbelastung im Amt des Superintendenten<br />

kommt u.a. darin zum Ausdruck, dass in der<br />

Praxis immer mehr Aufgaben bzw. Arbeitsbereiche an Stellvertreterinnen<br />

und -vertreter delegiert werden. Häufig wird<br />

die ephorale Aufsichtstätigkeit territorial oder funktional segmentiert:<br />

<strong>Die</strong> Stellvertreterinnen sind für einzelne Regionen<br />

des Kirchenkreises zuständig oder für bestimmte Arbeitsbereiche,<br />

etwa die Diakonie oder die Jugendarbeit. Auch die visitatorischen<br />

Aufgaben des Superintendenten werden nicht<br />

selten mit Stellvertretenden geteilt. So können die Jahresgespräche<br />

im Kirchenkreis von zwei oder drei Personen durchgeführt<br />

werden; auch mit Gemeindevisitationen wird<br />

gelegentlich der für die Region zuständige Stellvertreter betraut.<br />

Der Sinn dieser Aufwertung der stellvertretenden Superintendentin<br />

<strong>ist</strong> deutlich: Auf die vermehrten Anforderungen wird<br />

mit Vermehrung der personellen Ressourcen reagiert; dabei<br />

können zudem spezifische fachliche Kompetenzen oder die<br />

Vertrautheit mit regionalen Besonderheiten genutzt werden.<br />

Als weiterer Vorteil wird gelegentlich genannt, dass die Delegation<br />

von Aufgaben an Stellvertreter eine präzisere Umschreibung<br />

jener Aufgaben erfordert – auf diese Weise wird<br />

die Struktur des ephoralen <strong>Die</strong>nstes insgesamt durchsichtiger.<br />

58


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

<strong>Die</strong> vermehrte Inanspruchnahme eines Amtes stellvertretender<br />

Superintendenten wirft jedoch in der Praxis auch eine<br />

Reihe von Problemen auf. Dazu gehört die schwer wägbare<br />

Balance zwischen notwendiger Selbständigkeit der Stellvertreterinnen<br />

und deren – kirchenrechtlich sehr strikter – Abhängigkeit<br />

vom eigentlichen Ephorus 8 . Dazu gehören aber<br />

auch sehr handfeste Fragen, etwa nach der Gratifikation der<br />

Vertretenden – durch Gehaltszulagen, durch zusätzliche<br />

Stellenanteile für die entsprechende Region, oder dadurch,<br />

dass auch die Stellvertreter bestimmte pastorale Aufgaben an<br />

andere delegieren 9 ? Alle Varianten sind mit erheblichen praktischen<br />

Problemen belastet.<br />

In hohem Maße problemanzeigend <strong>ist</strong> auch die hannoversche<br />

Regelung, dass Stellvertreterinnen im Aufsichtsamt vom<br />

Pastorenkonvent gewählt werden. Damit gibt es faktisch<br />

„zwei Wege, in die Leitungsfunktion und Vorgesetztenrolle zu<br />

gelangen“ 10 : <strong>Die</strong> Superintendentin wird – seit Neuestem –<br />

durch den Kirchenkre<strong>ist</strong>ag, ihr Stellvertreter jedoch allein<br />

durch die Amtsgeschw<strong>ist</strong>er im Kirchenkreis bestimmt. Dahinter<br />

steht die bislang nicht befriedigend geklärte Frage, welche<br />

Instanz(en) die kirchliche Leitung beauftragen. In<br />

welchem Verhältnis stehen – keineswegs nur auf der Ebene<br />

des Kirchenkreises – die Wahl durch synodale Gremien, die<br />

Ernennung durch eine obere, kons<strong>ist</strong>oriale Behörde oder eine<br />

bischöfliche Person, und die Beauftragung (nur) durch den<br />

Kreis der Ordinierten? Dahinter steht auch die Frage, wem<br />

ephorale Leitung sich im Vollzug zu verantworten, wem die<br />

Superintendentin also regelmäßig Rede und Antwort zu stehen<br />

hat.<br />

Wird die Stellvertretung im Amt der Superintendentin zu<br />

einer dauernden, mehr oder weniger fest umschriebenen Aufgabe,<br />

dann stellen sich weitere Grundfragen: Wie weit kann<br />

personale Leitungsverantwortung in der Kirche geteilt werden?<br />

Ist die Durchführung der Visitation, oder auch der hochsensiblen<br />

Jahresgespräche, ohne Weiteres von einer Person auf<br />

eine andere zu übertragen? Und wie kann der klassische Auf-<br />

59


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

trag der ephoralen Leitung, die Einheit der Kirche nach innen<br />

und außen zu repräsentieren, unter diesen Umständen erfüllt<br />

werden?<br />

2. <strong>Die</strong> Bedeutung des pastoralen <strong>Die</strong>nstes in einer Kirchengemeinde<br />

für das ephorale Amt<br />

In fast allen Landeskirchen <strong>ist</strong> das ephorale Amt mit einem<br />

parochialen <strong>Die</strong>nst verbunden – an dieser Koppelung halten<br />

auch die neuesten Reformvorschläge geradezu empathisch<br />

fest: „Von besonderer Bedeutung für die Ausformung der<br />

ge<strong>ist</strong>lichen Dimension [des Amtes der Superintendentin]<br />

bleibt die Verankerung in der Supturgemeinde.“ Nur so könne<br />

dem Anliegen „der ge<strong>ist</strong>lichen Rückbindung an den Verkündigungsauftrag“<br />

der ganzen Kirche Rechnung getragen<br />

werden 11 .<br />

Näherhin begründet wird die Forderung, auch der Superintendent<br />

habe regelmäßig in einer Kirchengemeinde <strong>Die</strong>nst<br />

zu tun, im Blick auf den Amtsträger selbst: Seine berufliche<br />

Arbeit, aber auch seine ge<strong>ist</strong>liche Gewissheit <strong>ist</strong> auf eine konkrete<br />

soziale Basis angewiesen. Sodann bedarf, so meint man,<br />

auch seine ephorale Autorität gegenüber anderen Pastorinnen<br />

dem permanenten Ausweis eigener Praxiserfahrung. Hier<br />

zeigt sich im Übrigen ein typisches Leitungsproblem aller<br />

sozialer Organisationen – O. Neuberger beschreibt es als irreduzible<br />

Spannung zwischen fachlich-spezieller und leitendgeneral<strong>ist</strong>ischer<br />

Kompetenz 12 : Leitung setzt einen<br />

„generalisierenden“ Überblick voraus, muss aber zugleich die<br />

fachlichen Le<strong>ist</strong>ungen der Mitarbeiter beurteilen – und daher<br />

selbst fachliche Kompetenzen pflegen.<br />

Spezifisch kirchlich <strong>ist</strong> eine weitere Begründung für den parochialen<br />

<strong>Die</strong>nst der Ephoren: Zum allgemeinen Priestertum,<br />

das in der evangelischen Kirche alle besonderen Ämter fundiert,<br />

gehört wesentlich die Beurteilung der Lehre der<br />

Amtsträger durch alle Chr<strong>ist</strong>en. Auch und gerade die Lehre,<br />

das öffentliche Wort der Superintendentin bedarf insofern<br />

60


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

einer ge<strong>ist</strong>lichen Beurteilung – und dies kann auf Dauer und<br />

verlässlich nur durch eine konkrete Predigt- und Seelsorgegemeinde<br />

geschehen.<br />

Eher verhalten, aber doch beständig sind jedoch auch Einwände<br />

gegen diese Hochschätzung eines parochialen <strong>Die</strong>nstes<br />

zu vernehmen. So wird auf die faktische Überlastung vieler<br />

Superintendenten hingewiesen, die vor allem zu Lasten des<br />

Gemeindeamtes geht, und auf diese Weise die betroffenen<br />

Gemeindeglieder sowie nicht zuletzt die pastoralen Kolleginnen<br />

permanent frustriert. Dazu kommen grundsätzlichere<br />

Zweifel, ob ein – notwendig sehr reduzierter – <strong>Die</strong>nst in einer<br />

Ortsgemeinde, angesichts deren wachsender Differenziertheit<br />

und Diffusität, überhaupt ein angemessenes, die ephorale<br />

Amtsführung fundierendes und orientierendes Bild von<br />

„Gemeinde“ vermitteln kann. Erst recht erscheint es fraglich,<br />

ob pastorale <strong>Die</strong>nste in einem „Seelsorgebezirk“, in einzelnen<br />

Projekten oder gar nur als Predigtauftrag die soziale und ge<strong>ist</strong>liche<br />

Basis für das ephorale Amt bilden können.<br />

Auch die hier skizzierten Argumente und Gegenargumente<br />

verweisen auf strukturelle Grundprobleme des ephoralen<br />

<strong>Die</strong>nstes, wohl nicht erst in der Gegenwart. Sie betreffen im<br />

Kern die Frage, worauf die Autorität einer Superintendentin<br />

gegenüber „ihren“ Pastorinnen und Pastoren, aber auch in der<br />

Öffentlichkeit eines Kirchenkreises beruht. In welchem<br />

Verhältnis stehen kirchenrechtliche, fachliche und ge<strong>ist</strong>liche<br />

Dimensionen der Leitungsrolle?<br />

Sodann <strong>ist</strong> zu fragen, wo die pastorale Praxis eines Superintendenten<br />

oder einer Superintendentin ihren spezifischen<br />

Ort, ihren genuinen Wirkungsbereich hat. Kann der Ort einer<br />

solchen Praxis nur eine Parochie sein – oder lässt sich auch der<br />

Kirchenkreis selbst als Wirkungsfeld eines eigentümlichen<br />

pastoralen <strong>Die</strong>nstes begreifen? <strong>Die</strong> pastoraltheologische<br />

Klärung des ephoralen Amtes führt dann unmittelbar zur<br />

Reflexion einer spezifischen ekklesiologischen Qualität der<br />

Ephorie 13 .<br />

61


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

II. Typologische Verschiebungen in der Struktur ephoraler<br />

Leitung<br />

In der Reflexion des kirchlichen Verfassungsrechtes hat sich<br />

eine Typologie landeskirchlicher Leitungsstrukturen bewährt,<br />

die auch zur Beschreibung des ephoralen Amtes in der<br />

Gegenwart herangezogen werden kann. <strong>Die</strong> Typen einer kons<strong>ist</strong>orialen,<br />

einer episkopalen und einer synodalen Leitung der<br />

Kirche 14 finden sich, je deutlicher der Kirchenkreis als eigene<br />

Körperschaft akzentuiert <strong>ist</strong>, auch auf dieser Ebene. Weil die<br />

Entstehung einer solchen Körperschaft eigenen Rechts bekanntlich<br />

auf die Ausgestaltung des ephoralen Amtes zurückgeht,<br />

<strong>ist</strong> es nicht verwunderlich, dass auch die veränderten<br />

Verhältnisse in und zwischen den verschiedenen Leitungsformen<br />

im Kirchenkreis unmittelbare Auswirkungen auf<br />

jenes Amt zeitigen.<br />

1. <strong>Die</strong> kons<strong>ist</strong>oriale Dimension ephoraler Leitung<br />

Zu den klassischen ephoralen Aufgaben gehört zunächst „die<br />

Aufsicht über die Kirchengemeinden, die Pfarrämter und diejenigen,<br />

die kirchliche Amts- und <strong>Die</strong>nststellungen innehaben,<br />

soweit sie im Amt der Verkündigung tätig sind“ 15 . <strong>Die</strong> Beaufsichtigung<br />

von Gemeinden und Pfarrern, von deren Lehre,<br />

ihrer Amtsführung und auch ihrem Lebenswandel stand am<br />

Beginn einer behördlichen, kons<strong>ist</strong>orialen Ausgestaltung des<br />

Superintendentenamtes. Seitdem haben sich die Aufgaben<br />

fachlicher wie dienstlicher Beobachtung, Korrektur und Begleitung<br />

des pastoralen <strong>Die</strong>nstes auf der Ebene des Kirchenkreises<br />

erheblich ausgeweitet und differenziert, auch in den<br />

Strukturen ihres konkreten Vollzugs. Zwei Tendenzen sind zu<br />

beobachten.<br />

Auf der einen Seite <strong>ist</strong> die Aufsichtstätigkeit auch auf der<br />

Ebene der Kirchenkreise zunehmend durch admin<strong>ist</strong>rative<br />

Formalisierung gekennzeichnet. Pastorale Amts- und Geschäftsführung,<br />

auch die Geschäfte der Gemeinden, werden<br />

durch kirchliche Verwaltungsämter begleitet und auf diese<br />

62


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

Weise auch beaufsichtigt. <strong>Die</strong> Formalisierung der <strong>Die</strong>nstaufsicht<br />

entspricht einer zunehmenden rechtlichen Regelungsdichte.<br />

Gleichwohl sind die Klagen endemisch, im Blick auf<br />

die <strong>Die</strong>nstaufsicht stünden der Superintendentin im Konfliktfall<br />

doch nur ungenügende rechtliche Mittel, gleichsam<br />

„Pappschwerter“ zur Verfügung 16 .<br />

Auf der anderen Seite <strong>ist</strong>, in fachlicher Hinsicht, eine fortschreitende<br />

Personalisierung der Aufsichtsfunktionen zu<br />

beobachten. <strong>Die</strong> fachliche Begleitung der kirchlichen Mitarbeiter<br />

war bislang vor allem auf landeskirchlicher Ebene angesiedelt;<br />

sie vollzog sich durch eine – kons<strong>ist</strong>orial nur locker<br />

beaufsichtigte – Ausbildung sowie eine (seitens der Pastorinnen<br />

weitgehend freiwillige) Fortbildung und Beratung durch<br />

einzelne Fachstellen. <strong>Die</strong> Einführung von Personalentwicklungsgesprächen<br />

für Pastoren signalisiert hier, gerade auf<br />

der Dekanatsebene, einen bedeutsamen Paradigmenwechsel 17 .<br />

Nun wird die inhaltliche Amtsführung der Pastorinnen und<br />

der anderen Hauptamtlichen auch auf dieser Ebene zum<br />

Dauerthema: <strong>Die</strong> Superintendentin wird zur Fortbildungsbeauftragten.<br />

Nur in seltenen Fällen etabliert sie jedoch eigene<br />

Fortbildungsstrukturen oder gar -ämter; me<strong>ist</strong>ens übt sie ihr<br />

Aufsichtsamt (weiterhin) als Person aus. Und dies geschieht<br />

weniger in Form von <strong>Die</strong>nstanweisungen, sondern immer<br />

mehr in der Form individueller Beratung und formaler<br />

Zielvereinbarungen auf Augenhöhe. Auch die ephorale Fachaufsicht<br />

erfährt also gegenwärtig durchaus eine Formalisierung<br />

– aber eben nicht in einer behördlich-kons<strong>ist</strong>orialen<br />

Form, sondern in Form individuellen Engagements, durch<br />

den Einsatz je spezifischer personaler Kompetenzen.<br />

2. <strong>Die</strong> synodale Dimension ephoraler Leitung<br />

Eine zweite Tradition, eine zweite Quelle der Ausgestaltung<br />

des ephoralen Amtes besteht in seiner Aufgabe, kirchenleitende<br />

Zusammenkünfte, also Synoden zu organisieren und zu leiten.<br />

Das waren und sind einerseits Synoden der pastoralen<br />

Amtsgeschw<strong>ist</strong>er, andererseits repräsentative Leitungsgremien<br />

63


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

mit Laienbeteiligung, wie sie sich seit dem 19. Jahrhundert in<br />

den evangelischen Landeskirchen verbreiten.<br />

<strong>Die</strong> Aufgabe, den Kirchenkre<strong>ist</strong>ag oder die Kreissynode selbst<br />

zu leiten, <strong>ist</strong> nur in der reformierten Tradition beim Superintendenten<br />

verblieben 18 . Gleichwohl kommt ihm in der synodalen<br />

Leitungsdimension des Kirchenkreises weithin eine sehr<br />

starke Stellung zu, indem er den Kreissynodal- bzw. den<br />

Kirchenkreisvorstand leitet, in zahlreiche weitere Leitungsgremien<br />

eingebunden <strong>ist</strong> und auf diese Weise, durch das<br />

Management von Informationen, die Themen und Abläufe<br />

der verschiedenen Gremien wesentlich bestimmt. Auch in dieser<br />

– synodalen – Hinsicht hat das ephorale Amt erheblich an<br />

Komplexität zugenommen.<br />

Erst recht bedeutsam sind synodale Leitungsformen für das<br />

ephorale Amt gegenüber den Pastorinnen und Pastoren. Unbeschadet<br />

einer gelegentlichen Entlastung durch einen Vorstand<br />

oder eine inhaltliche Vorbereitungsgruppe des<br />

Pfarrkonventes <strong>ist</strong> die Superintendentin hier doch in zentraler<br />

Verantwortung: Sie verteilt und akzentuiert Informationen,<br />

setzt Themen und steuert die Aufmerksamkeit des pastoralen<br />

Kollegiums; sie schlägt Einzelne für Aufgaben und Ämter vor<br />

und prägt durch ihren Leitungsstil die pastorale Wahrnehmung<br />

des Kirchenkreises in erheblichem Maße.<br />

3. <strong>Die</strong> episkopale Dimension ephoraler Leitung<br />

Einen neuen Zuschnitt hat auch die individuelle, im engeren<br />

Sinne personbezogene, also episkopale Dimension der<br />

Leitung des Kirchenkreises bekommen, und zwar nach innen<br />

wie nach außen. Unvertretbar als Person gefordert war die<br />

Superintendentin zunächst schon immer im Blick auf die Begleitung<br />

der Pastoren – das wird dort auch nach außen deutlich,<br />

wo sie eine neue Pastorin in ihr Amt einführt. <strong>Die</strong>se<br />

Begleitung der Amtsgeschw<strong>ist</strong>er hat sich, wie oben (1.) schon<br />

angeklungen, in letzter Zeit nicht nur erheblich intensiviert,<br />

sondern z.T. formalisiert: Eine regelmäßige Beratung der Pas-<br />

64


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

toren im Blick auf ihre Amtsführung <strong>ist</strong>, in Form der<br />

Jahresgespräche, nun obligatorisch geworden.<br />

Für den Zuschnitt des ephoralen Amtes bedeutsam <strong>ist</strong> weiterhin<br />

die Kodifikation, der Superintendent solle „das kirchliche<br />

Leben im Kirchenkreis anregen und fördern [...] sowie<br />

Missständen und Gefahren entgegenwirken“ 19 . <strong>Die</strong>s konkretisiert<br />

sich in letzter Zeit in der Erwartung, der Superintendent<br />

habe spezifische Zielvorstellungen für den Kirchenkreis zu<br />

entwickeln und zur Diskussion zu stellen, oder gar in der Vorstellung,<br />

zu seinem Amt gehöre eine – möglichst überzeugende<br />

– Formulierung von Visionen hinsichtlich des kirchlichen<br />

Lebens in der Region. Es wäre dann der Episkopos des Kirchenkreises,<br />

dessen Visionen die Arbeit in den einzelnen Gemeinden<br />

und Arbeitsstellen anzuregen und die<br />

Mitarbeiterinnen zu motivieren vermögen. Auf diese Weise<br />

wird die reformatorische Erwartung konkretisiert, die<br />

(bischöfliche) Leitung in der Kirche vollziehe sich – in ihrem<br />

ge<strong>ist</strong>lichen Kern – „sine vi humana sed verbo“ (CA XXVIII).<br />

Mit solchen Hinweisen kommt auch die episkopale Aufgabe<br />

nach außen in den Blick, nämlich „den Kirchenkreis in der<br />

Öffentlichkeit zu vertreten“ (§ 56 (2) 1. KKO Hannover).<br />

Auch diese – nicht delegierbar personale – Aufgabe hat sich in<br />

der letzten Zeit erheblich ausgeweitet, nicht nur durch die<br />

Vergrößerung von Kirchenkreisen, sondern auch durch eine<br />

Umstrukturierung der öffentlichen Aufmerksamkeit, die<br />

immer stärker nach repräsentativen Personen fragt. Und auch<br />

diese Form personaler Leitung vollzieht sich – zumindest in<br />

der Kirche – wesentlich sprachlich: durch Gespräch und<br />

Diskussion, nicht zum Wenigsten aber durch das öffentliche<br />

Wort zu weltlichen Anlässen unterschiedlichster Art. Hier zwischen<br />

dem situativen Kontext, der kirchlichen Überlieferung<br />

und der eigenen Person zu vermitteln, wird zu einer zentralen<br />

Leitungsaufgabe – auch auf der Ebene des Kirchenkreises.<br />

Das episkopale Element des Superintendenten-Amtes<br />

gewinnt auch in dieser Hinsicht gegenwärtig weiter an<br />

Gewicht.<br />

65


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

4. Eine neue, „koronale“ Dimension ephoraler Leitung<br />

Bei einer Visite struktureller Reformprozesse in der hannoverschen<br />

Landeskirche, an der ich vor zwei Jahren beteiligt<br />

war, fiel uns eine weitere, bisher wenig reflektierte Form ephoraler<br />

Leitung auf. Auf die Vermehrung und Differenzierung<br />

der Leitungsaufgaben haben die von uns beobachteten Kirchenkreise<br />

durchgehend mit einer Konzentration auf kleine,<br />

höchst kohärente Gruppen von Leitenden reagiert. <strong>Die</strong>s kann<br />

der Kirchenkreisvorstand sein; me<strong>ist</strong>ens sind es aber Gruppen,<br />

die in der Kirchenverfassung gar nicht vorgesehen sind:<br />

„Hier sind zunächst die kleinen, relativ häufig tagenden<br />

Leitungsteams zu nennen, die regelmäßig aus Superintendentin,<br />

den Stellvertretenden [...], oft dem Verwaltungsleiter, mitunter<br />

auch der Kirchenkre<strong>ist</strong>ags-Vorsitzenden, dem<br />

Geschäftsführer großer Einrichtungen u.ä. bestehen. <strong>Die</strong>se<br />

kleine Leitungsgruppe umfasst me<strong>ist</strong> vier bis sieben Personen;<br />

sie trifft sich im Wochenrhythmus. Oft werden ‚gute<br />

Atmosphäre’ und ‚Effektivität’ gerade in diesen Leitungsteams<br />

gelobt.“ Eine andere Variante sind „die diversen Steuerungsgruppen,<br />

Planungsgruppen, Stellen- oder Strukturplanungsausschüsse.<br />

Solche – zunächst aufgabenbezogen ad-hoc<br />

gebildete – Gruppen sind oft von Insidern besetzt, die an vielen<br />

Stellen Erfahrungen sammeln, mitgestalten und koordinieren.“<br />

20<br />

Eine solche Gruppe, nicht selten auf Initiative des Superintendenten<br />

gebildet, stellt so etwas wie seine „Korona“ dar,<br />

sein „Küchenkabinett“ oder doch einen recht eingespielten<br />

Zirkel, einen „Klub“ Eingeweihter und lange miteinander Vertrauter.<br />

Ähnlich wie bei der Stärkung des Stellvertreter-Amtes<br />

liegt der Sinn auch dieser „koronalen“ Struktur in einer Unterstützung<br />

der Superintendentin, genauer in einer kommunikativen<br />

Konzentration und Intensivierung der Leitungstätigkeit<br />

durch wechselseitige Information, Beratung und strategische<br />

Absprachen. Unübersehbar sind freilich auch die Probleme,<br />

die eine solche „koronale“ Leitungsstruktur impliziert:<br />

66


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

„<strong>Die</strong> skizzierte Leitungsform privilegiert hauptamtliche, vornehmlich<br />

mit Leitungsaufgaben befasste Personen. Damit<br />

werden latente Konflikte zwischen Hauptamtlichen und<br />

Ehrenamtlichen befördert.<br />

In den kleinen Leitungsgruppen bekommen Verwaltungsleiterinnen<br />

ein großes Gewicht [...]. Zu beobachten <strong>ist</strong> in vielen<br />

Kirchenkreisen, dass Verwaltungsleiterinnen zu wichtigen<br />

Promotoren innovativer Prozesse geworden sind. Umgekehrt<br />

werden dadurch – durchaus ungewollt – andere innovative,<br />

quer denkende Personen entmutigt; so geraten viele<br />

Innovationsimpulse in den Hintergrund.<br />

Umgekehrt geraten ehrenamtlich Leitende nun unter erheblichen<br />

Zeit- und Le<strong>ist</strong>ungsdruck. Strukturell werden sie –<br />

gegen Buchstabe und Intention der Kirchenordnung – ohnmächtiger<br />

[...]. Wollen sie weiter mitgestalten, so müssen sie<br />

sehr viel Zeit aufwenden und sich erheblich professionalisieren.<br />

Auf der landeskirchlichen Ebene werden dazu inzwischen<br />

unterstützende Programme angeboten; vor Ort scheint<br />

man sich des Problems aber bislang noch zu wenig bewusst zu<br />

sein. Damit wird das Milieu potenzieller ehrenamtlich<br />

Leitender stark eingeengt: Nur bestimmte Personen (vor allem<br />

akademisch gebildete Teilzeitbeschäftigte oder Ruheständler)<br />

können die inhaltlichen und zeitlichen Anforderungen erfüllen.<br />

Immer größere Bevölkerungs- und Altersgruppen sind<br />

auf diese Weise in den ‚höheren‘ kirchlichen Leitungsebenen<br />

nicht mehr vertreten.<br />

Eine Machtverschiebung lässt sich auch im Blick auf die<br />

Gremien konstatieren, die verfassungsmäßig an der Leitung<br />

beteiligt sind: Der Kirchenkre<strong>ist</strong>ag, die Mitarbeitervertretung,<br />

aber auch die Pfarrkonferenz sind selten in der Lage, das dichte,<br />

schnelle und routinierte Leiten der kleinen Gruppen kritisch-kundig<br />

zu begleiten. [...] Von außen fehlt es gegenüber<br />

den dichten Leitungsgruppen an Transparenz. So entsteht<br />

rasch Misstrauen; man fühlt sich zu wenig informiert und<br />

beteiligt.<br />

67


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

Eine andere Reaktion besteht in wachsendem Desinteresse:<br />

‚<strong>Die</strong> wissen doch ohnehin alles besser’. Auf diese Weise drohen<br />

Initiativen zu mehr Partizipation, selbst wenn sie von der<br />

Leitungsgruppe selbst angestoßen werden, ins Leere zu laufen.“<br />

21<br />

In dieser Entwicklung kommt offenbar eine wachsende<br />

Spannung zwischen zwei Grundprinzipien kirchlicher Leitung<br />

zum Ausdruck: Auf der einen Seite sollen und wollen viele<br />

Gruppen an den Entscheidungsprozessen beteiligt sein; auf<br />

der anderen Seite müssen die Entscheidungen immer rascher<br />

und durchsetzungsfähiger getroffen werden.<br />

Typisch erscheint im Übrigen auch hier das Gewicht personaler,<br />

strukturell wenig geklärter Leitungsdimensionen: <strong>Die</strong><br />

Funktionsfähigkeit des ephoralen „Küchenkabinetts“ hängt<br />

auf der einen Seite in hohem Maße davon ab, dass die<br />

Beteiligten „miteinander können“ – was diejenigen, die nicht<br />

beteiligt sind, mit nochmals erhöhter Wirksamkeit ausschließt.<br />

Andererseits <strong>ist</strong> dieses personale Element jedoch nur sekundär<br />

legitimiert:<br />

<strong>Die</strong> Mitgliedschaft im ephoralen Küchenkabinett setzt eine<br />

Leitungsfunktion in anderen Zusammenhängen, etwa im Verwaltungsamt<br />

oder im Pfarrkonvent, immer schon voraus. Der<br />

„koronalen“ Leitungsstruktur eignet ein höchst ambivalentes,<br />

geradezu parasitäres Verhältnis zur innerkirchlichen Repräsentationskultur:<br />

Sie setzt bei dieser Repräsentation an, um sie<br />

dann doch an entscheidender Stelle außer Kraft zu setzen.<br />

III. Veränderungen im ephoralen Amt als Ausdruck sozialer<br />

und ge<strong>ist</strong>licher Differenzierung<br />

Ein wenig durchsichtiger wird der skizzierte Strukturwandel<br />

im ephoralen Amt, wenn man ihn als Ausdruck gegenwärtig<br />

rasch zunehmender Differenzierung in verschiedenen Dimensionen<br />

begreift.<br />

68


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

1. Das ephorale Amt auf der Ebene des Kirchenkreises bzw.<br />

des Dekanats <strong>ist</strong> als mediale Instanz zweier elementarer<br />

Sozialformen kirchlichen Lebens entstanden. Seit jeher hat die<br />

Superintendentin zu vermitteln zwischen der landeskirchlichen<br />

Leitung und Verwaltung einerseits und der Parochie,<br />

der Ortsgemeinde andererseits. Je komplexer beiderseits die<br />

organisatorischen und positionalen Verhältnisse werden, je<br />

pluraler, auch inhaltlich pluraler sich das kirchliche Leben darstellt,<br />

desto mehr steigen die Ansprüche an diese gleichsam<br />

vertikal vermittelnde Instanz.<br />

Dabei können näherhin spezifisch kirchliche und allgemein<br />

gesellschaftliche Aspekte dieser Ebenendifferenzierung unterschieden<br />

werden. In kirchlicher Hinsicht <strong>ist</strong> wahrzunehmen,<br />

dass die zunehmende Komplexität der Verhältnisse zu einer<br />

Schwächung der zentralen Verwaltungsbehörde geführt hat:<br />

Viele Entscheidungen stellenplanerischer und auch finanzieller<br />

Natur sind auf die Ebene der Kirchenkreise verlagert worden.<br />

<strong>Die</strong> Folge beschreibt der hannoversche Landessuperintendent<br />

Arend de Vries: „Wenn ich einige Jahre zurückschaue, dann<br />

[war] das Landeskirchenamt [...] Zielscheibe vielfacher Kritik.<br />

[...] Jetzt – das <strong>ist</strong> meine Wahrnehmung – <strong>ist</strong> kaum noch Kritik<br />

am Landeskirchenamt in Gemeinden wahrnehmbar, aber<br />

massivste Kritik an Superintendenten und Superintendentinnen.“<br />

22 Allerdings sind auch die Ortsgemeinden oft weder<br />

personell noch strukturell in der Lage, eigene Entscheidungszentren<br />

darzustellen – auch damit erhöht sich der Problemdruck<br />

am Ort der Vermittlung.<br />

In gesellschaftstheoretischer Perspektive erscheint diese<br />

Entwicklung typisch für moderne sozialstrukturelle Entwicklungen,<br />

wie sie Niklas Luhmann beschrieben hat. <strong>Die</strong> funktionale<br />

Differenzierung der modernen Gesellschaft insgesamt<br />

hat, Luhmann zufolge, den Systemtyp der Organisation stark<br />

gemacht, der eine zielorientierte Selbststeuerung sozialer<br />

Prozesse jenseits der face-to-face-Kommunikation allererst<br />

69


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

ermöglicht. In analoger Weise <strong>ist</strong> innerhalb großer Organisationen<br />

das Einziehen von Zwischenebenen zu beobachten,<br />

die ihrerseits Zielsteuerung jenseits der sozialen Basisvollzüge<br />

ermöglichen, und zugleich die Gesamtorganisation dort entlasten,<br />

wo keine zentrale Steuerung mehr sinnvoll erscheint.<br />

Eine solche Zwischenebene scheint auch der Kirchenkreis<br />

darzustellen, der darum nicht zufällig an strukturellem, auch<br />

admin<strong>ist</strong>rativem Gewicht in der Kirche gewonnen hat (s.o.<br />

II.1.) – mit den skizzierten Folgen für die mediatorischen<br />

Aufgaben der Ephorin selbst.<br />

2. Gesellschaftsstrukturelle Differenzierungsprozesse lassen<br />

sich auch gleichsam horizontal wahrnehmen. Das betrifft<br />

nationalstaatliche Zusammenhänge, die sich immer mehr in<br />

regionale Unterscheidungen hinein relativieren; umgekehrt<br />

werden auch die kommunalen Strukturen vor Ort durch die<br />

Stärkung von Regionen relativiert oder doch massiv affiziert.<br />

Wird schon auf diese Weise die regionale Ebene kirchlicher<br />

Organisation, also eben der Kirchenkreis, aufgewertet, so<br />

geschieht das erst recht durch die moderngesellschaftliche<br />

Differenzierung individueller Lebensweisen, also die zunehmende<br />

geographische, soziale, berufliche und auch weltanschauliche<br />

Mobilität der Einzelnen.<br />

Auch diese Entwicklung differenziert nicht nur, sondern steigert<br />

auch die Erwartungen der Einzelnen an das kirchliche<br />

Handeln, das nun nicht allein auf örtlicher, sondern auch auf<br />

regionaler Ebene erkennbar – und wiedererkennbar sein muss.<br />

Es <strong>ist</strong> wiederum vor allem der Kirchenkreis, auf dem übergemeindliche<br />

<strong>Die</strong>nste der Bildung, der Diakonie und auch der<br />

Mission zume<strong>ist</strong> angesiedelt sind, und es <strong>ist</strong> wiederum die<br />

Superintendentin, die diese <strong>Die</strong>nste zu koordinieren und<br />

anzuleiten hat.<br />

Dazu kommt, dass die horizontale Differenzierung der<br />

Lebensverhältnisse, ihre Verflüssigung und Individualisierung<br />

auch die Kirche selbst betrifft. Auch und gerade Pastorinnen<br />

und andere kirchliche Mitarbeiter leben und arbeiten in immer<br />

70


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

unterschiedlicheren Lebensverhältnissen; und dies gilt ebenso<br />

für die einzelnen Ortsgemeinden, die regionale Tradition und<br />

aktuelle Situation ganz unterschiedlich verbinden. Auch hier<br />

<strong>ist</strong> es vornehmlich die regionale Mittelinstanz der Ephorien,<br />

auf der diese sozialen und inhaltlichen Differenzen zum<br />

Austrag – und eben auch zur Vermittlung kommen müssen.<br />

3. Auch ein dritter Differenzierungsprozess, der das ephorale<br />

Amt betrifft, <strong>ist</strong> durch soziologische Reflexion erkennbar.<br />

Erscheint die moderne Gesellschaft insgesamt durch funktionale<br />

Differenzierung gekennzeichnet, also durch das<br />

Auseinandertreten verschiedener Le<strong>ist</strong>ungszusammenhänge<br />

mit je unterschiedlichen Kommunikationsmustern und Leitmedien,<br />

so gehört dazu auch das Auseinandertreten von<br />

kirchlicher Welt und anderen gesellschaftlichen Vollzügen –<br />

das <strong>ist</strong> in den letzten Jahrzehnten mannigfach beschrieben<br />

worden. Für die Ebene des Kirchenkreises <strong>ist</strong> nun bedeutsam,<br />

dass das Funktionssystem der Religion in der modernen<br />

Gesellschaft eine eigentümlich doppelte Orientierung besitzt.<br />

Auf der einen Seite bildet auch die Religion zunehmend einen<br />

eigenen Sektor sozialen Lebens, mit eigenen, eben den kirchlichen<br />

Organisations- und den ihnen eigenen Kommunikationsformen.<br />

Auf der anderen Seite muss die Religion<br />

jedoch, und zwar aus inhaltlichen Gründen, auch weiterhin<br />

einen gesamtgesellschaftlichen Kommunikationsradius beanspruchen<br />

– geht es doch in der (jüdisch-chr<strong>ist</strong>lichen) Religion<br />

stets auch um das Ganze der sozialen Welt.<br />

Auf der Zwischenebene des Kirchenkreises erscheinen auch<br />

diese beiden Aspekte verbunden. Auf der einen Seite repräsentiert<br />

der Kirchenkreis die eigentümlich kirchliche Welt –<br />

und zwar eben nicht nur vor Ort, sondern in einer größeren,<br />

überlokalen Öffentlichkeit. Auch jenseits der Ortsgemeinde<br />

erscheinen spezifisch kirchliche Kommunikationszusammenhänge<br />

dadurch zugänglich für Einzelne, für Gruppen wie für<br />

andere soziale Organisationen. – Auf der anderen Seite will<br />

Kirche in die allgemeine, die öffentliche Kommunikation hinein<br />

wirken – und diese organisations- oder auch milieuüber-<br />

71


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

schreitende Wirksamkeit wird von der (deutschen) Gesellschaft<br />

auch nach wie vor erwartet und nachgefragt. So gerät<br />

die Superintendentin immer wieder in die Lage, einerseits<br />

Kirche als eigene Welt darstellen und zusammenhalten zu sollen<br />

– und andererseits diese kirchliche Welt dezidiert zu überschreiten,<br />

um die Anliegen der chr<strong>ist</strong>lichen Religion in einer<br />

regionalen Öffentlichkeit darzustellen. <strong>Die</strong>se doppelte<br />

Kommunikationsaufgabe hat in der Gegenwart jede Pastorin<br />

und jeder Pastor zu bestehen – auf der Ebene der Region, auf<br />

der die soziale Umwelt der Ortsgemeinde die Ge<strong>ist</strong>lichen<br />

kaum mehr abzustützen vermag, erscheint diese Aufgabe aber<br />

besonders prekär.<br />

4. In soziologischer Sicht, so lässt sich resümieren, erscheint<br />

der Kirchenkreis als eine besonders moderne kirchliche<br />

Organisationsform: <strong>Die</strong> vieldimensionalen Differenzierungsprozesse<br />

der gegenwärtigen Gesellschaft werden hier, in ihren<br />

Auswirkungen auf die Kirche, besonders deutlich sichtbar.<br />

Und in einer vor allem mittels Personen handelnden Kirche<br />

kommt der Superintendentin dabei eine besonders hervorgehobene<br />

und auch besonders belastende mediale Funktion zu.<br />

Zu diesen gesellschaftlich induzierten Aspekten treten nun<br />

zwei spezifisch kirchliche Differenzierungsprozesse. Hier <strong>ist</strong><br />

zunächst das Beieinander zweier Kohäsionsmedien zu nennen,<br />

die kirchliche Organisation seit ihrem Beginn prägen:<br />

Kirche <strong>ist</strong> zum Einen immer ge<strong>ist</strong>liche Gemeinschaft, und<br />

darum eine Gemeinschaft, die auf personaler Kommunikation<br />

beruht. Auf der anderen Seite <strong>ist</strong> sie eine weltliche<br />

Organisation, die – jedenfalls in ihrer großkirchlichen Form –<br />

durch das Medium des Rechts und andere überpersönliche<br />

Kommunikationsformen zusammengehalten wird.<br />

Auf der Ebene des Kirchenkreises, in der Person der Superintendentin,<br />

kommt diese Spannung gegenwärtig mindestens<br />

an zwei Stellen zum Austrag. Einmal überschneiden sich im<br />

ephoralen Amt, stärker noch als bei der Ortspastorin, ge<strong>ist</strong>liche<br />

und weltliche Leitungsformen. <strong>Die</strong>se Spannung wird<br />

innerkirchlich diskutiert unter dem Rubrum „Seelsorge vs.<br />

72


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

<strong>Die</strong>nstaufsicht“. Gerade die Rolle des Superintendenten <strong>ist</strong><br />

dadurch gekennzeichnet, dass er sowohl „pastor pastorum“<br />

sein soll als auch faktisch <strong>Die</strong>nstvorgesetzter <strong>ist</strong>, bei dem<br />

Urlaub und Fortbildung anzumelden und mit dem auch<br />

dienstliche Konflikte zu besprechen sind.<br />

Zum Anderen wird die Spannung von ge<strong>ist</strong>licher und weltlicher<br />

Leitung sichtbar in den Personengruppen, die die<br />

Superintendentin zu leiten hat. Während die Pastoren, allen<br />

Kirchenverfassungen zufolge, im Kern ihrer Amtsführung<br />

unabhängig und daher dienstrechtlicher Anordnung nur sehr<br />

begrenzt unterworfen sind, gilt dies für die anderen Mitarbeiterinnen<br />

in Gemeinde und Kirchenkreis nicht. Damit ergibt<br />

sich ein Ineinander zweier Formen ephoraler Personalführung,<br />

das im Einzelfall oft ausgesprochen schwer zu klären <strong>ist</strong>.<br />

– Gerade hier scheint es – auch im Sinne einer Seelsorge an<br />

den Ephoren selbst – wichtig, sich klarzumachen, dass diese<br />

Spannungen struktureller Art sind, und mehr noch: dass sie<br />

mit der ge<strong>ist</strong>lich geprägten Grundverfassung der kirchlichen<br />

Organisation zusammenhängen.<br />

5. Gegenwärtig wird schließlich auch eine weitere Polarität<br />

kirchlicher Leitung intensiv diskutiert, vor allem im Blick auf<br />

die immer wieder eingeforderte „ge<strong>ist</strong>liche Leitung“. Bei diesem<br />

– vor allem Klärungsbedarf anzeigenden – Begriff sind<br />

wiederum personale und synodale Aspekte zu unterscheiden,<br />

und wiederum <strong>ist</strong> es die Superintendentin, in deren Rolle sich<br />

diese Aspekte in besonderem Maße konzentrieren und überlagern.<br />

„Ge<strong>ist</strong>liche Leitung“ wird als Aufgabe vor allem Personen<br />

zugeschrieben, eben den Pastoren auf allen Ebenen kirchlicher<br />

Organisation. An wen aber richtet sich diese Leitung?<br />

Sind es wiederum nur Personen, die „ge<strong>ist</strong>lich“ zu begleiten,<br />

zu beraten, zu orientieren sind? Gerade die Superintendentin<br />

<strong>ist</strong> doch mit der Erwartung konfrontiert, auch über das persönliche<br />

Gespräch hinaus „ge<strong>ist</strong>lich zu leiten“ – in der Leitung<br />

von Gremien und Synoden, und nicht zuletzt in den öffent-<br />

73


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

lichen Worten und Auftritten, die zu ihrem Amt gehören. Wie<br />

sich personale, synodale und öffentliche Aspekte „ge<strong>ist</strong>licher<br />

Leitung“ verhalten, bedarf aber noch allerhand weiterer<br />

Klärung.<br />

Dazu kommt, dass nach lutherischer Auffassung nicht nur<br />

Einzelnen, sondern wesentlich auch der Gemeinde die<br />

Aufgabe ge<strong>ist</strong>licher Leitung zukommt: <strong>Die</strong> Beurteilung der<br />

Lehre <strong>ist</strong> hier zu nennen, und dazu die Praxis von Synoden,<br />

ihrerseits „ge<strong>ist</strong>liche Worte“ an die (kirchliche und nichtkirchliche)<br />

Öffentlichkeit zu richten. Auch und gerade die synodale<br />

Wahl kirchenleitender Personen kann als Ausübung<br />

„ge<strong>ist</strong>licher Leitung“ verstanden werden – das <strong>ist</strong> hinsichtlich<br />

der Bischöfin inzwischen selbstverständlich, im Blick auf das<br />

Amt des Superintendenten allerdings noch im Fluss. <strong>Die</strong><br />

hannoversche Synodaldebatte zu einem Wahlgesetz für jenes<br />

Amt hat eine Fülle pragmatischer Argumente für und wider<br />

die synodale Wahl versammelt – sie hat aber auch gezeigt, wie<br />

sehr hier wiederum ge<strong>ist</strong>liche Fragen berührt sind: Woher<br />

empfängt die Superintendentin ihre öffentliche Autorität und<br />

ihre persönliche Gewissheit für dieses Amt?<br />

IV. Modellvorstellungen des ephoralen Amtes<br />

Der Strukturwandel des ephoralen Amtes, so lässt sich zusammenfassen,<br />

kann als Ausdruck allgemein gesellschaftlicher<br />

Differenzierung und der – davon angestoßenen – kirchlichorganisatorischen<br />

Entwicklung gesehen werden. Zugleich<br />

wird die prekäre Stellung der Ephoren, als medialer Instanzen,<br />

jedoch durch eigentümliche, ge<strong>ist</strong>lich-theologisch zu beschreibende<br />

Prozesse verstärkt: Weil die Sache der Kirche sich<br />

wesentlich durch Personen vermittelt, darum <strong>ist</strong> vor allem das<br />

ephorale Amt von den Differenzierungsprozessen außer- und<br />

innerhalb der Kirche betroffen. <strong>Die</strong> Modernisierung der<br />

kirchlichen Organisation vollzieht sich weniger über strukturelle,<br />

admin<strong>ist</strong>rative Veränderungen, sondern durch die Veränderung<br />

von Personen: durch ihre Professionalisierung 23 . In<br />

74


einem letzten Abschnitt sollen daher nun verschiedene<br />

Modelle des ephoralen Amtes vorgestellt und diskutiert werden,<br />

die dessen professionelle (Selbst-)Reflexion angesichts<br />

des Strukturwandels in letzter Zeit geprägt haben – oder prägen<br />

könnten.<br />

Dabei spreche ich ausdrücklich von Modellen des Amtes:<br />

Modelle reduzieren die komplexe Realität, sie vergröbern und<br />

überzeichnen sie, um bestimmte Aspekte deutlicher zu<br />

machen, genauer: um die Wahrnehmung – und dann auch das<br />

Handeln der Verantwortlichen – zu orientieren. Daher frage<br />

ich bei jedem Modell auch danach, welche der oben skizzierten<br />

Differenzen (III) besonders im Blick sind, und welche<br />

Leitungsmedien oder -formen (s.o. II) jeweils akzentuiert werden.<br />

Auf diese Weise ergibt sich jeweils ein – grob skizziertes,<br />

aber vielleicht doch anregendes – Bild der pastoralen Praxis einer<br />

Superintendentin.<br />

1. „Regionalbischof“<br />

Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

Klassisch <strong>ist</strong> zunächst ein dezidiert episkopales Verständnis<br />

des Amtes der Superintendentin. Sie repräsentiert, nach innen<br />

wie nach außen, das – institutionelle wie ge<strong>ist</strong>liche – Ganze<br />

der Kirche in einer Region und für eine Region. Das gilt für<br />

die öffentliche Präsenz der Kirche, die dann in den regionalen<br />

Medien wie gegenüber den verschiedenen Gruppen und Institutionen<br />

wesentlich durch den Superintendenten wahrgenommen<br />

wird. Und diese Repräsentation des kirchlichen Ganzen<br />

vollzieht der Ephorus auch nach innen: <strong>Die</strong> Visitation vollzieht<br />

sich dann vor allem als ein Pastoralbesuch der Gemeinde, mit<br />

der sie eine öffentliche, genauer: eine gesamtkirchliche Würdigung<br />

ihres Daseins und ihrer Arbeit erhält. Ähnlich <strong>ist</strong> die<br />

Aufgabe des kreiskirchlichen „Regionalbischofs“ gegenüber<br />

seinen Pastorinnen zu beschreiben: Er übernimmt die Aufgabe<br />

des „pastor pastorum“; und anlässlich der Amtseinführung<br />

aktualisiert er die Ordination der Einzelnen, agiert ihnen<br />

gegenüber also wiederum als Repräsentant der Gesamtkirche.<br />

Wenn das ephorale Amt derartig episkopal, also mit Blick auf<br />

75


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

die Differenzen von Ganzem und Einzelnem, und von Kirche<br />

und Gesellschaft verstanden wird, welche Medien der Leitung<br />

treten dann in den Vordergrund? Akzentuiert wird zunächst<br />

das Medium des (ge<strong>ist</strong>lichen) Wortes, mit dem der Superintendent<br />

das Ganze der Kirche öffentlich repräsentiert. In<br />

diesem Sinne erscheint er als Pfarrer, als ge<strong>ist</strong>licher Leiter der<br />

Kirche in der Region. Eine eigene Ortsgemeinde <strong>ist</strong> für seine<br />

Funktion demnach nicht konstitutiv, denn sein Gegenüber <strong>ist</strong><br />

eben die Gesamtheit der kirchlichen wie der weltlichen<br />

Öffentlichkeit dieser Region.<br />

<strong>Die</strong> Analogie zum Bischof tritt auch dort zutage, wo dem<br />

Superintendenten eine relativ starke kirchliche Behörde an die<br />

Seite gestellt wird. Er <strong>ist</strong> darum zunächst weniger mit dem<br />

Tagesgeschäft der Verwaltung und der <strong>Die</strong>nstaufsicht befasst,<br />

sondern kann sich auf das episkopale Medium des Wortes<br />

konzentrieren. Gleichwohl – oder gerade darum – <strong>ist</strong> die<br />

Autorität des „Regionalbischofs“ keineswegs eine rein ge<strong>ist</strong>liche.<br />

Im Unterschied etwa zum Propst oder zum Landessuperintendenten,<br />

aber auch zur Bischöfin, repräsentiert er –<br />

gegenüber den Gemeinden wie den Pastorinnen – eben auch<br />

die institutionelle Macht der Kirche im Ganzen; seine<br />

Autorität <strong>ist</strong> durchaus auch eine admin<strong>ist</strong>rative. In dieser<br />

Verbindung von ge<strong>ist</strong>licher und weltlicher Macht liegt die<br />

eigentümliche Stärke, aber auch die Gefahr einer dezidiert<br />

episkopalen Auffassung des ephoralen Amtes.<br />

2. „Kirchenkreis-Manager“<br />

Ein ganz anderes Bild des Amtes zeichnen die Reformpapiere<br />

aus dem Kirchenkreis Celle, die – in einer Überarbeitung von<br />

1997 – in der hannoverschen Landeskirche kirchenamtlich<br />

verbreitet worden sind 24 . Sie zielen darauf, die „Kontaktmöglichkeiten“<br />

der Superintendentin im Kirchenkreis „zu<br />

intensivieren [und] auf diese Weise Aktivitäten, Akzente und<br />

Strömungen in den Kirchengemeinden und Einrichtungen, in<br />

den Kirchenvorständen, in der Pfarrerschaft und in der Mitarbeiterschaft<br />

wahrzunehmen, sie gegebenenfalls aufzu-<br />

76


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

nehmen und in geeigneter Weise zu bearbeiten. Voraussetzung<br />

dafür <strong>ist</strong> die Fähigkeit zur Delegation, zur Kooperation und<br />

zur [...] Integration von Partikularinteressen in ein Gesamtprofil<br />

des Kirchenkreises.“ (a.a.O. 36).<br />

Im Einzelnen empfiehlt die Celler Gruppe jährliche Besuche<br />

des Superintendenten bei allen Pastorinnen und Pastoren des<br />

Kirchenkreises – bei Kandidatinnen des Predigtamtes oder<br />

neu Eingeführten sogar zweimal jährlich. Bei diesen Besuchen<br />

soll sich nicht nur „Kontaktpflege“, sondern auch „kollegiale<br />

Beratung“ und eine „Erörterung der Jahresplanung“ (36f)<br />

vollziehen – das Verfahren der Jahresgespräche wird hier vorweg<br />

genommen. Auch die Kirchenvorstände sollen regelmäßig<br />

besucht werden, in Sitzungen wie auch als Personen.<br />

Dem Superintendenten sind darüber hinaus „die von den jeweiligen<br />

Kirchenvorständen jährlich ausgearbeiteten Jahresplanungen<br />

samt Zielvorgaben zur Kenntnisnahme vorzulegen“.<br />

Er soll diese Planungen vergleichen und versuchen, „daraus<br />

Zielvorgaben für die Arbeit des Kirchenkreises zu entwickeln“<br />

(37). Im Blick auf die Aufgabe, „das kirchliche Leben<br />

anzuregen und zu fördern“ (KKO), wird festgestellt:<br />

„Auf Grund seiner regelmäßigen Kontaktgespräche mit den<br />

Pastoren und Pastorinnen der Gemeinden <strong>ist</strong> der Superintendent<br />

[...] sensibilisiert für [...] Entwicklungen und Problemstellungen,<br />

die zur Zeit ,dran’ sind. <strong>Die</strong>se Informationen<br />

setzt er bzw. sie um, indem er bzw. sie Impulse gibt [...]“ (38).<br />

Was bei diesen Vorschlägen auffällt, <strong>ist</strong> der hohe Grad an<br />

Formalisierung und vor allem Rhythmisierung der ephoralen<br />

Arbeit. Auf diese Weise soll nicht nur ein dichtes Kommunikationsnetz<br />

im Kirchenkreis geschaffen werden, sondern dieses<br />

Netz dient einem ausgesprochen planmäßigen, ja mehr<br />

noch: zielorientierten Handeln der Superintendentin. Ihre<br />

Aufgabe <strong>ist</strong> es, die Arbeit der Pastorinnen und der Gemeinden,<br />

auch der funktionalen <strong>Die</strong>nste des Kirchenkreises<br />

so zu vernetzen, dass eine gemeinsame „Zielvorgabe“ möglich<br />

wird.<br />

77


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

<strong>Die</strong>se Beschreibung des ephoralen Amtes erinnert, bis in einzelne<br />

sprachliche Züge hinein, an gängige Beschreibungen der<br />

Tätigkeit eines Unternehmers, oder genauer: eines leitenden<br />

Angestellten in einem Betrieb, also eines Managers 25 . Seine<br />

Aufgabe besteht, allgemein gesprochen, in der zielorientierten<br />

Führung eines Betriebes, und zwar dadurch, dass er einzelne<br />

Arbeitsabläufe sowohl differenziert, also Spezialisierung voran<br />

treibt als auch – eben zielorientiert – koordiniert. <strong>Die</strong>se Zielorientierung<br />

wird klassisch mit dem Fünfschritt „Information<br />

– Planung – Entscheidung – Durchführung (durch Delegation)<br />

– Controlling“ beschrieben – ein ähnliches Vorstellungsschema<br />

lässt sich unschwer in den Celler Formulierungen<br />

erkennen.<br />

<strong>Die</strong> Arbeit eines Managers kann auch durch die Differenzierung<br />

seiner Rollen beschrieben werden, wie das – wiederum<br />

klassisch – Harold Mintzberg getan hat 26 . Auch hier gibt<br />

es verblüffende Parallelen zu der Celler Skizze des ephoralen<br />

Amtes, wenn Mintzberg interpersonale Rollen (hier geht es<br />

um Kontakte innerhalb und außerhalb der Organisation),<br />

informationelle Rollen (Beobachtung, Sammlung und Verteilung<br />

von Information) und Entscheidungsrollen (darunter<br />

Zuordnung von Ressourcen, Bearbeitung von Störungen,<br />

Initiierung von Innovation) unterscheidet und – im Einzelnen<br />

höchst aufschlussreich – beschreibt. Auch die Kontaktpflege<br />

zu Institutionen außerhalb der Kirche, oder die hohe Relevanz<br />

der Aufgabe, Konflikte zu regeln, lassen den Superintendenten<br />

des Celler Zuschnitts als einen Manager des Kirchenkreises<br />

erscheinen.<br />

Hier tritt der ephorale Bezug auf ein institutionell übergeordnetes,<br />

gesamtkirchliches Ganzes zurück hinter der Frage, wie<br />

die Arbeit im Kirchenkreis zu vernetzen und zu koordinieren,<br />

auch sinnvoll zu delegieren <strong>ist</strong>. <strong>Die</strong> strukturellen Differenzen,<br />

auf die sich die Aufgabe des Superintendenten vornehmlich<br />

bezieht, sind demnach die zwischen verschiedenen Einheiten<br />

(Gemeinden) und Ebenen der kirchlichen Organisation. Das<br />

Medium ephoraler Leitung <strong>ist</strong> dann weniger das öffentliche,<br />

78


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

ge<strong>ist</strong>liche Wort als vielmehr das planende Gespräch, die anregende<br />

Initiative in einer Gruppe, die systematische Vernetzung<br />

von Kommunikationszusammenhängen. Der Superintendent<br />

verkündigt nicht und er gibt auch weniger ge<strong>ist</strong>lichen<br />

Rat, sondern er bildet einprägsame Muster, Konstellationen,<br />

er prägt einen bestimmten Stil kollegialer und<br />

ephoraler Kommunikation. <strong>Die</strong>ser Stil der Vernetzung <strong>ist</strong>,<br />

auch dies gehört zum Management des Kirchenkreises, orientiert<br />

an der Erarbeitung und Erreichung gemeinsamer Ziele.<br />

Auch in dieser Sicht <strong>ist</strong> die Superintendentin demnach durchaus<br />

zuständig für ein übergeordnetes kirchliches Ganzes. Aber<br />

dieses Ganze liegt der ephoralen Arbeit nicht immer schon<br />

voraus, und es <strong>ist</strong> auch nicht institutionell, landeskirchlich zu<br />

verorten, sondern – wenn es denn um gemeinsames Planen<br />

geht – dieses kirchliche Ganze steht immer noch aus: Es<br />

besteht in einer Kirche, in einem Kirchenkreis der Zukunft.<br />

3. „Ephoraltheologin“<br />

Ein weiteres, nochmals recht andere Akzente setzendes<br />

Modell finde ich in einigen Passagen der einschlägigen Ausarbeitung<br />

des hannoverschen ge<strong>ist</strong>lichen Vizepräsidenten<br />

Martin Schindehütte von 2004 27 . Schindehütte versteht das<br />

Amt der Superintendentin als ein „besonderes Pfarramt“: Der<br />

jedem Pfarramt eigene Auftrag der Verkündigung, der<br />

Seelsorge und auch der Admin<strong>ist</strong>ration wird hier vor allem als<br />

„Aufsicht“ über die Gemeinden und Pastorinnen eines<br />

Kirchenkreises wahrgenommen (a.a.O. 1). „Aufsicht“ wird im<br />

Folgenden nicht zuletzt als – vornehmlich theologische und<br />

„ge<strong>ist</strong>liche“ – Begleitung der im Kirchenkreis arbeitenden<br />

Personen verstanden (vgl. a.a.O. 1, 4):<br />

„Das Amt <strong>ist</strong> ja gerade darauf angelegt, die Mitarbeitenden<br />

auch auf der Ebene des Kirchenkreises durch Verkündigung<br />

des Evangeliums, Seelsorge, theologische Arbeit und geschw<strong>ist</strong>erlichen<br />

fachlichen (und damit auch theologischen) Rat<br />

ge<strong>ist</strong>lich zu begleiten. <strong>Die</strong>se ge<strong>ist</strong>liche Leitung geschieht in<br />

Gottesdienst, Gebet, Arbeit mit der Bibel [...]. Ge<strong>ist</strong>liche<br />

79


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

Leitung <strong>ist</strong> aber auch eine Dimension in den alltäglichen<br />

Arbeitsbeziehungen, in den nicht selten konflikthaften<br />

Beratungen und in den Dilemmata, in die auch kirchliche<br />

Arbeit immer wieder gerät [...]. <strong>Die</strong> spirituelle Dimension auf<br />

den verschiedenen Ebenen und Dimensionen kirchlichen<br />

Handelns und in seinen Alltagsbezügen im Kirchenkreis zu<br />

erinnern, zu wecken [...] und zu gestalten <strong>ist</strong> eine, wenn nicht<br />

die zentrale pastorale Aufgabe des Superintendenten und der<br />

Superintendentin.“ (a.a.O. 4f).<br />

<strong>Die</strong> „pastorale Aufgabe“, und damit die konstitutive<br />

Dimension des ephoralen Amtes, wird von Schindehütte energisch<br />

auf der Ebene des Kirchenkreises – und nur sekundär in<br />

einer eigenen „Supturgemeinde“ (a.a.O. 3f) – verortet; darin<br />

sehe ich eine bedeutsame Pointe seiner Ausarbeitung. <strong>Die</strong>se<br />

Pointe trifft sich mit dem Versuch der Projektgruppe<br />

„Lernende Organisation Kirche“, den Kirchenkreis selbst als<br />

Gemeinde zu verstehen – und zwar ausgehend von den<br />

Erfahrungen der Menschen, deren kirchliche Bindung sich<br />

vor allem auf dieser organisatorischen Ebene konkretisiert 28 .<br />

Dabei standen uns die Beteiligten an diakonischen oder<br />

erwachsenenbildnerischen Programmen der Kirchenkreise<br />

vor Augen, vor allem jedoch – ähnlich wie Schindehütte – die<br />

auf dieser Ebene Mitarbeitenden. Das sind die in den diakonischen<br />

und anderen Werken des Kirchenkreises Beschäftigten;<br />

es sind die Mitarbeiterinnen in Verwaltungsämtern und<br />

anderen Stabstellen der ephoralen Leitung; es sind aber nicht<br />

zuletzt auch die Ehrenamtlichen, die in Kirchenkre<strong>ist</strong>agen,<br />

Synodalvorständen u.ä. – oft sehr zeitraubende – Leitungstätigkeiten<br />

übernehmen. Nicht selten wurde von diesen<br />

Menschen formuliert, ihr Kontakt zur Kirche vollziehe sich<br />

kaum noch über die örtliche Gemeinde, sondern eben über<br />

ihre Arbeit, ihr Engagement in der Region, im Kirchenkreis.<br />

<strong>Die</strong> Projektgruppe resümierte: „Der Kirchenkreis <strong>ist</strong> Gemeinde<br />

im Sinne eines Bestätigungs- und Vergewisserungsrahmens<br />

für die Pfarr- oder Kirchenkreiskonferenzen, für Mitarbeite-<br />

80


innen und Ehrenamtliche. Das vollzieht sich u. a. durch die<br />

Visitationen, durch gemeinschaftliche Gottesdienste, Jahresgespräche,<br />

im kollegialen Gespräch und auf Fortbildungen.“ 29<br />

Für diese Gemeinde nimmt offenbar vor allem der Superintendent<br />

eine pastorale Rolle wahr; er <strong>ist</strong> ihre primäre Bezugsperson.<br />

Insofern erscheint der Superintendent in diesem<br />

Modell als Pastor des Kirchenkreises, der seinen Auftrag eben<br />

hier durch „Verkündigung des Evangeliums, Seelsorge, theologische<br />

Arbeit und geschw<strong>ist</strong>erlichen fachlichen (und damit<br />

auch theologischen) Rat“ ausübt (Schindehütte). Dabei hebt<br />

der Vizepräsident zu Recht das eigentümliche Medium dieses<br />

regionalpastoralen <strong>Die</strong>nstes hervor: Neben Gottesdienst und<br />

Predigt in der Öffentlichkeit des Kirchenkreises, neben<br />

Seelsorge für Pastorinnen und andere Mitarbeiter <strong>ist</strong> es die<br />

theologische Arbeit, in der sich ephorale Leitung vollzieht.<br />

<strong>Die</strong>se theologische Arbeit besteht nicht zum Wenigsten darin,<br />

die ge<strong>ist</strong>liche, die spirituelle Dimension in den Alltagsbezügen<br />

der Arbeit im Kirchenkreis freizulegen, sie zu formulieren und<br />

zu stärken. Wo dies gelingt, da vollzieht sich ein wesentliches<br />

Stück Praktischer Theologie, nämlich die Analyse der kirchlichen<br />

Organisationsverhältnisse auf ihre ge<strong>ist</strong>liche Bedeutung.<br />

Und wo eine Superintendentin diese praktischtheologische<br />

– und zugleich ge<strong>ist</strong>liche – Aufgabe erfüllt, da<br />

wird sie zur Theologin des Kirchenkreises in einem spezifischen,<br />

im reflexiven Sinn – sie wird zu Ephoraltheologin.<br />

4. „Grenzmarkierer“<br />

Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

Alle bisher diskutierten Modelle des ephoralen Amtes zielen<br />

auf Integration: auf die Repräsentation, die Planung oder die<br />

theologische Freilegung eines kirchlichen bzw. ge<strong>ist</strong>lichen<br />

Ganzen im Blick auf den Kirchenkreis. Nachdem ich mich<br />

lange mit systemischer Theorie beschäftigt habe 30 , reizt es<br />

mich, hier ein Alternativmodell zu skizzieren, das die ephorale<br />

Position nicht als Amt der Integration, sondern als Amt der<br />

Unterscheidung begreift. Denn ein System, auch ein soziales<br />

81


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

System, und darum auch das soziale System „Kirche“ entsteht<br />

in der Perspektive dieser Theorie durch das (beobachtende)<br />

Treffen von Unterscheidungen, durch ein – möglichst prägnantes<br />

– Grenzenziehen.<br />

Prägnante Grenzen markiert der Superintendent etwa in der<br />

vertikalen Dimension kirchlicher Organisation: Indem er<br />

kommunikativ zwischen Landeskirche und Ortsgemeinden<br />

vermittelt, hält er diese Ebenen zugleich auf Abstand, ja er<br />

schützt sie geradezu vor zuviel Interaktion: <strong>Die</strong> Gemeinden<br />

werden durch die ephorale Grenzziehung vor dem unvermittelten<br />

(!) Durchgriff der zentralen, mitunter zentral<strong>ist</strong>ischen<br />

kons<strong>ist</strong>orialen Behörde abgeschirmt – und umgekehrt<br />

wird die Landeskirche durch die strukturelle Grenze des Kirchenkreises<br />

vor einem Übermaß an parochialer Komplexität<br />

bewahrt, auch vor einem ungebremsten Kongregationalismus,<br />

wenn bereits auf der Ebene des Kirchenkreises Koordination<br />

– und eben auch Abgrenzung geschieht.<br />

Auch in der horizontalen Dimension hebt das Modell der<br />

ephoralen Grenzmarkierung bedeutsame Aspekte hervor.<br />

Markiert die Superintendentin die Unterschiede zwischen den<br />

Gemeinden – und den Arbeitsbereichen – des Kirchenkreises,<br />

so vermag sie das je eigene Profil einer Gemeinde zu stärken;<br />

sie kann eigentümliche Arbeitsformen, personale Konstellationen,<br />

auch h<strong>ist</strong>orische Konturen schützen, anstatt sie zu<br />

rasch in regionalen Kooperationen einzuebnen. <strong>Die</strong> Superintendentin<br />

wird dann zur Anwältin prägnanter Vielfalt; sie<br />

erhöht die praktischen, auch die ge<strong>ist</strong>lichen Möglichkeiten<br />

einer kirchlichen Region durch Markierung der ihr wesentlichen<br />

Differenzen. Sie eröffnet neue Perspektiven auf die<br />

Besonderheiten einzelner Orte, aber auch des Kirchenkreises<br />

im Ganzen – immer indem sie Grenzen zieht, Unterscheidungen<br />

festhält.<br />

Das ephorale Amt der Grenzziehung hat darüber hinaus auch<br />

ge<strong>ist</strong>liche Dimensionen. Gegenüber den Vorstellungen parochialer<br />

Alleinzuständigkeit und pastoraler Allmacht kann die<br />

82


Theologin auf der Ebene des Kirchenkreises die Grenze aller<br />

ge<strong>ist</strong>lichen Machtansprüche nicht nur inhaltlich, sondern auch<br />

institutionell markieren: <strong>Die</strong> Superintendentin steht als<br />

Amtsperson – gegenüber ihren Amtsgeschw<strong>ist</strong>ern, aber auch<br />

gegenüber den Ortsgemeinden – dafür ein, dass die Arbeit<br />

eines Pastors zu begrenzen <strong>ist</strong>: durch Fortbildungspflichten,<br />

durch den Anspruch auf Urlaub, im Grenzfall (!) auch durch<br />

Versetzung. Und sie steht hinsichtlich der Gemeinden dafür<br />

ein, dass es immer noch andere Realisierungen des Glaubens<br />

gibt als in dieser oder jener und als überhaupt in einer<br />

Ortsgemeinde.<br />

Man wird diese Aufgabe der Grenzziehung gerade im Bereich<br />

der Seelsorge an Seelsorgerinnen und Seelsorgern nicht überschätzen<br />

können. Es gehört zu den zentralen Aspekten der<br />

ephoralen „Aufsicht“, die ihr anvertrauten Pastorinnen an die<br />

elementaren Unterscheidungen zwischen Ge<strong>ist</strong> und –<br />

anspruchsvollem – Leib, zwischen Werk und Person, zwischen<br />

Pflicht und Freiheit des Glaubens zu erinnern, und nicht<br />

zuletzt an die Grunddifferenz zwischen rechtlicher und ge<strong>ist</strong>licher<br />

Verbindlichkeit, der Verbindlichkeit der (ihrerseits endlichen)<br />

Freiheit.<br />

<strong>Die</strong> Medien, in denen sich diese Grenzmarkierung vollzieht,<br />

sind keine anderen als die bisher bedachten: Auch die<br />

Unterscheidung vollzieht sich im ge<strong>ist</strong>lichen Wort, sei es in der<br />

Öffentlichkeit, sei es in der Situation des Gesprächs; und sie<br />

vollzieht sich – darin und darunter – im Medium der theologischen<br />

Reflexion. Auch und gerade als Grenzmarkierer wird<br />

der Superintendent ein guter Theologe sein müssen.<br />

5. „Zirkusdirektorin“<br />

Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

Am Schluss des Durchgangs durch verschiedene, modellhafte<br />

Perspektiven auf das ephorale Amt der Gegenwart mag ein<br />

Versuch stehen, diese Aufgabe etwas spielerischer, und vielleicht<br />

gerade dadurch auch ernsthaft anregend zu beschreiben.<br />

<strong>Die</strong> Nähe des Pfarrberufs zum Clown einerseits, zum Schau-<br />

83


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

spieler andererseits <strong>ist</strong> in den letzten Jahrzehnten immer wieder<br />

markiert worden. Besteht die Aufgabe der Superintendentin<br />

nicht zum wenigsten darin, den ihr anvertrauten<br />

Pastoren zu einer fruchtbaren Gemeinschaft der pastoralen<br />

Arbeit zu verhelfen, dann könnte man die Superintendentin<br />

als Regisseurin der pastoralen Akteure, oder als Intendantin<br />

des kirchlichen Schauspieltheaters begreifen: als Inhaberin<br />

derjenigen Rolle, die die einzelnen Schauspieler zu einem<br />

Ensemble zusammenführt und die dabei doch deren je eigenständige,<br />

künstlerische Fähigkeiten bewahrt und stärkt. Dass<br />

hier unterschiedliche Szenen, Bühnenbilder, überhaupt Stücke<br />

zu inszenieren sind, kann auf die ephorale Arbeit ohne Mühe<br />

übertragen werden. Auch die Nötigung, die einzelnen (pastoralen,<br />

aber auch andere berufstätige wie ehrenamtliche) Akteure<br />

auf die verschiedenen, auch spannungsvollen<br />

Erwartungen unterschiedlicher Gruppen im Publikum hinzuweisen,<br />

verbindet weltlichen Regisseur und kirchliche<br />

Ephoren.<br />

<strong>Die</strong> Zirkusdirektorin unterscheidet sich von der Regisseurin in<br />

mindestens dreierlei Hinsichten, die für die Analogie zur<br />

Superintendentin bedeutsam sind. Zum Einen agiert sie auch<br />

selbst auf der Bühne; sie <strong>ist</strong> während der Zirkusvorstellung<br />

sichtbar und präsent. Sie lenkt hier die Aufmerksamkeit auf<br />

bestimmte Personen und Szenen, akzentuiert Übergänge<br />

(Einführungen!), arbeitet eigentümliche Muster heraus. Auch<br />

verbindet sie hier, im Zirkus, durch ihre Person sehr unterschiedliche<br />

Art<strong>ist</strong>engruppen: Clowns und Dompteure, Hochseilart<strong>ist</strong>en<br />

und Dressurspezial<strong>ist</strong>en. Nicht immer <strong>ist</strong> die<br />

entsprechende Konstellationsarbeit der Superintendentin für<br />

die Beteiligten in den Gemeinden, auch für ihr Publikum so<br />

deutlich sichtbar, aber auf die Dauer vermag die Superintendentin<br />

den einzelnen Amtsträgern durchaus eine Bühne zu<br />

verschaffen – oder sie im Dunkeln zu lassen.<br />

Eine zweite, ephoral bedeutsame Differenz der Zirkusdirektorin<br />

zur Regisseurin betrifft ihre Aufgaben hinter der<br />

Bühne. In der Superintendentin verbinden sich, wie im Zirkus,<br />

84


Regie und Intendanz: Sie <strong>ist</strong> für die Technik der Aufführung<br />

ebenso zuständig wie für deren inhaltliche Güte; sie muss sich<br />

auch um die Einnahmen sorgen, um die Unterhaltung der<br />

Gebäude, die Einhaltung rechtlicher Vorschriften und vieles<br />

Andere. Mit anderen Worten: <strong>Die</strong> komplexen Manageraufgaben,<br />

die zu jedem Pfarramt gehören, prägen auch das Amt<br />

der Superintendentin – heute gewiss nicht weniger als früher.<br />

Darum sei es ihr gegönnt, gelegentlich auch die Macht einer<br />

Zirkusdirektorin zu genießen: die Macht etwa, einzelne<br />

Akteure auch materiell, durch gezielte Ausrüstung (Fortbildung!)<br />

oder eine bessere Behausung zu fördern.<br />

Versteht sich die Superintendentin als Direktorin eines kirchlichen<br />

„Regionalzirkus“, dann wird schließlich dessen unterhaltende<br />

Qualität akzentuiert. Harald Schroeter-Wittke hat die<br />

verschiedenen Bedeutungsschichten von „Unterhaltung“ entfaltet<br />

31 : Unterhalten zu werden, heißt genährt, versorgt zu<br />

werden – Unterhaltung, auch kirchliche Unterhaltung <strong>ist</strong><br />

nutritiv. Sodann hat Unterhaltung eine kommunikative<br />

Dimension: Man unterhält sich miteinander – hoffentlich<br />

auch im kirchlichen Raum, und dann mit Unterstützung der<br />

regionalen theologischen Intendanz. Und schließlich hat<br />

Unterhaltung eine entspannende, amüsante Dimension – sie<br />

realisiert das, was theologisch dem Evangelium zugeschrieben<br />

wird: die Freiheit von Anspruch und eherner Festlegung.<br />

<strong>Die</strong>se unterhaltsame Freiheit der Chr<strong>ist</strong>en, auch die freie<br />

Unterhaltung der Pastorinnen zu befördern, das scheint mir<br />

eine gute Orientierung für den aktuellen Strukturwandel des<br />

ephoralen Amtes.<br />

Anmerkungen<br />

Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

1 Mir lagen Berichte vor aus der hannoverschen, der schaumburg-lippischen<br />

und der österreichischen Kirche (AB); dazu thematische<br />

Notizen von Dekan Dr. Breitenbach (Bayern) und OKR Dr.<br />

Mikosch (Thüringen).<br />

85


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

2 Strukturen nutzen. <strong>Die</strong> Strukturpapiere aus dem Kirchenkreis<br />

Celle, überarb. und hg. v. Ronald Habermann, Chr<strong>ist</strong>oph Künkel und<br />

Sigrid Peters, Typoskript (zu beziehen über das Landeskirchenamt)<br />

Hannover 1997.<br />

3 Protokolle der 22. Landessynode der Ev.-luth. Landeskirche<br />

Hannovers, XII. Tagung 16.-19. Mai 2001, 5-9 (83. Sitzung), 116-137<br />

(86. Sitzung), 185-191 (88. Sitzung); dazu Aktenstück 72i (a.a.O. 371-<br />

393).<br />

4 Zwischenbericht des Gemeindeausschusses betr. Formulierung des<br />

<strong>Die</strong>nstauftrags der Superintendenten und Superintendentinnen:<br />

Aktenstück 72M der 22. Landessynode der Ev.-luth. Landeskirche<br />

Hannovers (Bramsche, 16.11.2001); Zwischenbericht des Gemeindeausschusses<br />

betr. Formulierung des <strong>Die</strong>nstauftrags der Superintendenten<br />

[...]: Aktenstück 68 der 23. Landessynode der Ev.-luth.<br />

Landeskirche Hannovers (Gifhorn, 30.10.2003).<br />

5 Martin Schindehütte, Überlegungen zur Profilierung des Amtes des<br />

Superintendenten/der Superintendentin, Hannover, August 2004 –<br />

im vorliegenden Band S. 113-125<br />

6 Lernende Organisation Kirche. Erkundungen zu Kirchenkreisreformen,<br />

hg. von der Projektgruppe „Lernende Organisation Kirche“<br />

(H. Asselmeyer, H. Behrmann, J. Hermelink, B. Klostermeier u.a.),<br />

Leipzig 2004.<br />

7 Bei der Bezeichnung für die ephorale Amtsperson erscheinen<br />

Formulierungen, die beide Geschlechter berücksichtigen, besonders<br />

umständlich. Ich wechsele im Folgenden daher in der Regel zwischen<br />

weiblichen und männlichen Bezeichnungen – unter der Maßgabe,<br />

dass in jedem Fall beide Geschlechter gemeint sind.<br />

8 Vgl. etwa in der Kirchenkreisordnung der Ev.-luth. Landeskirche<br />

Hannovers (KKO) die Regelungen in § 56, Abs. 3 und 4.<br />

9 Vgl. die L<strong>ist</strong>e im Zwischenbericht des Gemeindeausschusses vom<br />

Oktober 2003 (Anm. 4), 3.<br />

10 Ebd.<br />

11 Schindehütte, Überlegungen zur Profilierung, 3 und 4.<br />

12 Oswald Neuberger, Führen und führen lassen, Stuttgart 62002, 342ff.<br />

13 Vgl. dazu Lernende Organisation Kirche (Anm. 6), 62f.<br />

14 Vgl. zuletzt Thomas Barth, Elemente und Typen landeskirchlicher<br />

Leitung, Tübingen 1995 (Ius Eccl 53). Aus der Sicht einer systemi-<br />

86


Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />

schen Kybernetik finden sich wertvolle Einsichten zu diesen Typen<br />

bei Günter Breitenbach, Gemeinde leiten, Stuttgart 1994, 313ff.<br />

15 § 56 (2), 2. Absatz KKO der hannoverschen Landeskirche.<br />

16 Vgl. etwa Schindehütte (Anm. 5), 3.<br />

17 Vgl. dazu Herbert Lindner, Kontinuität und Systematik. Auf dem<br />

Weg zur Personalentwicklung in evangelischen Kirchen; in: PrTh 37<br />

(2002), 253-264.<br />

18 Vgl. z.B. die Kirchenordung der Evangelischen Kirche im<br />

Rheinland.<br />

19 § 56 (1) KKO der hannoverschen Landeskirche.<br />

20 Lernende Organisation Kirche (Anm. 6), 53.<br />

21 A.a.O. 54.<br />

22 Beitrag in der Debatte um das Superintendentenwahlgesetz im Mai<br />

2001, in: Protokolle der Landessynode, a.a.O. (Anm. 3) 134.<br />

23 Das schließt nicht aus, dass auch diese Professionalisierung durchaus<br />

strukturelle Aspekte enthält, etwa in der Formalisierung von Jahresgesprächen<br />

oder Fortbildungsangeboten.<br />

24 Strukturen nutzen (Anm. 2) – mit einem Geleitwort des<br />

Präsidenten des Landeskirchenamtes. <strong>Die</strong> folgenden Zitate aus dieser<br />

Broschüre, Bereich VI: Der Superintendent/<strong>Die</strong> Superintendentin<br />

(S. 35-41).<br />

25 Vgl. zum Folgenden Jan Hermelink, Pfarrer als Manager? Gewinn<br />

und Grenzen einer betriebswirtschaftlichen Perspektive auf das<br />

Pfarramt; in: ZThK 95 (1998), 536-564.<br />

26 Harold Mintzberg, The Nature of Managerial Work, New York<br />

1973, zusammengefasst bei O. Neuberger, Führen und führen lassen<br />

(Anm. 12), 328.<br />

27 Vgl. in diesem Band S. 113-125<br />

28 Vgl. „Lernende Organisation Kirche“ (Anm. 6), 62f.<br />

29 A.a.O. 63.<br />

30 Vgl. als Einführungen etwa: König, Eckard/Volmer, Gerda:<br />

Systemische Organisationsberatung. Grundlagen und Methoden,<br />

Weinheim 1993, 41996; Schlippe, Ar<strong>ist</strong> v./Schweitzer, Jochen:<br />

Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung, Göttingen<br />

61999; Willke, Helmut: Systemtheorie. Eine Einführung in die<br />

Grundprobleme sozialer Systeme, Stuttgart/New York 1982, 41993. 31 Vielleicht eher: Zum einen agiert sie selbst auch auf der Bühne.<br />

87


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

Verantwortung für theologische<br />

Orientierung bzw. kirchliche Lehre.<br />

Eine Skizze 1<br />

Volker Weymann<br />

1. Gründe, weshalb diese Verantwortung akut <strong>ist</strong><br />

Als evangelische Kirche leben wir in plural<strong>ist</strong>ischer Gesellschaft.<br />

Dabei <strong>ist</strong> gerade auch weltanschaulicher wie religiöser<br />

Pluralismus grundlegend gewährle<strong>ist</strong>et und vielfältig wirksam.<br />

So leben wir unter Menschen mit geprägter Frömmigkeit,<br />

nicht wenigen auf religiöser Suche, andern mit selbst gebasteltem<br />

Glauben, insgesamt in einer verbreiteten Atmosphäre<br />

von Glauben mit weniger chr<strong>ist</strong>lichen Konturen, dabei auch<br />

mit Menschen, deren Leben von einem Gewohnheitsatheismus<br />

geprägt <strong>ist</strong>, und ebenso mit Angehörigen anderer<br />

Religionen. Begegnung mit Menschen solch unterschiedlicher<br />

Prägung und das Gespräch mit ihnen über Fragen, die mit<br />

dem Leben und dem chr<strong>ist</strong>lichen Glauben auf dem Spiel stehen,<br />

braucht bewegliche Offenheit und klare Orientierung.<br />

Religiöser Pluralismus begegnet wie außerhalb so auch innerhalb<br />

der Kirche. Aufgrund eigener Beobachtungen wie nach<br />

empirischen Untersuchungen besteht zwischen Zugehörigkeit<br />

zur Kirche und Interesse an verschiedenen Varianten von<br />

Religiosität eine engere Verbindung als weithin angenommen<br />

wird. 2 Dem entspricht bei Pfarrerinnen, Pfarrern gelegentlich<br />

der Versuch, Glauben und Theologie so zu rekonstruieren,<br />

wie dies die Adressaten vermutlich plausibel und relevant finden<br />

würden. Doch bleibt die Frage, ob damit nicht der Sicht,<br />

Religion sei Privatsache, allzu fraglos Vorschub gele<strong>ist</strong>et wird,<br />

ohne klare Rechenschaft über die Botschaft des Evangeliums<br />

im Gespräch mit Zeitgenossen zu suchen. Zudem <strong>ist</strong> nicht zu<br />

übersehen: die Auffassung von Religion als Privatsache bleibt<br />

als ambivalentes Erbe der Aufklärung zweideutig. Privatheit<br />

89


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

der Religion als Freiheit von staatlichem Zwang <strong>ist</strong> unverzichtbar<br />

und als Gewinn zu betrachten. Doch als privat galt<br />

Religion bald auch im Sinn von unfähig zu öffentlicher<br />

Rechenschaft. Damit allerdings wird Religion dem Gespräch<br />

untereinander und der öffentlichen Ausein<strong>anders</strong>etzung entzogen.<br />

Chr<strong>ist</strong>licher Glaube <strong>ist</strong> freilich nicht nur subjektives<br />

Erleben oder freie Verknüpfung, gar Erfindung religiöser<br />

Ansichten. Vielmehr <strong>ist</strong> chr<strong>ist</strong>licher Glaube bestimmt und<br />

getragen von seinem Grund in Weg und Botschaft Jesu<br />

Chr<strong>ist</strong>i. Für ein Leben aufgrund der Barmherzigkeit und<br />

Treue Gottes, seiner Gnade und Wahrheit <strong>ist</strong> der Glaube auf<br />

das Zeugnis von Jesus Chr<strong>ist</strong>us angewiesen und deshalb mit<br />

guten Gründen, darum auch öffentlich zu verantworten.<br />

Als Kirche haben wir heutzutage (wenn auch in unterschiedlicher<br />

Zuspitzung) mit vielschichtigen Krisenphänomenen zu<br />

schaffen: etwa mit Aspekten einer Mitgliederkrise, mit finanziellen<br />

Problemen, mit Stellenreduktionen, mit strukturellen<br />

Veränderungen. Sind wir aber in der unausweichlichen<br />

Ausein<strong>anders</strong>etzung mit diesen Krisenphänomenen schon<br />

beim Kern der Krise? In dieser Hinsicht gibt zu denken, was<br />

Wolfgang Huber vermerkt: „<strong>Die</strong> gegenwärtige Krise der<br />

Kirche <strong>ist</strong> im Kern eine Orientierungskrise... Der Ansatzpunkt<br />

für die Erneuerung der Kirche liegt darin, daß sie ihre eigene<br />

Botschaft ernst nimmt. Das geschieht, wenn sie die Wahrheit<br />

Gottes feiert, wenn sie hilft, den Menschen als Ebenbild<br />

Gottes zu entdecken, und wenn sie zu mündigem Glauben<br />

ermutigt.“ 3<br />

Als Kirche die eigene Botschaft ernst zu nehmen – als Quelle<br />

wie Kompass theologischer Orientierung bzw. kirchlicher<br />

Lehre – bringt mit der notwendigen Pluralismusfähigkeit den<br />

universalen Wahrheitsanspruch, vielmehr Wahrheitszuspruch<br />

des Evangeliums in den Blick. 4 Freilich stößt die Wahrheitsfrage<br />

mit der Postmoderne im Kontext von Pluralisierung und<br />

Individualisierung auf Vorbehalte oder gerät gar unter den<br />

Verdacht eines dogmat<strong>ist</strong>ischen Anspruchs. Umso mehr stellt<br />

sich für die Kirche die notwendig doppelte selbstkritische<br />

90


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

Frage: Wieweit le<strong>ist</strong>en wir dem Verdacht auf einen dogmat<strong>ist</strong>ischen<br />

Wahrheitsanspruch, der wenn dann nur für Kommunikation<br />

unter Insidern plausibel erscheinen kann, Vorschub?<br />

Und umgekehrt: wieweit kommt es uns primär auf Effekte<br />

und möglichst breite Akzeptanz an oder auf die Effizienz der<br />

Wahrheit des Evangeliums: darauf, dass die befreiende Wahrheit,<br />

auf die Verlass <strong>ist</strong>, Menschen zugänglich wird und in<br />

ihrem Leben zur Wirkung kommt?<br />

Wir bleiben deshalb herausgefordert, für uns wie mit andern<br />

dessen gewahr zu werden, wie unumgänglich und lebensnotwendig<br />

die Wahrheitsfrage <strong>ist</strong>. Gibt es doch ein elementares<br />

Verlangen nach Verlässlichkeit, das recht besehen identisch <strong>ist</strong><br />

mit menschlichem Verlangen nach Wahrheit. Wie sollten nicht<br />

Grundzüge des biblischen Wahrheitsverständnisses helfen,<br />

dies im Blick zu behalten und ins Gespräch zu bringen? Vom<br />

Alten Testament her kommt (mit dem Wortfeld „ämät“ und<br />

„häämin“) Wahrheit als Gottes Treue in den Blick, worauf<br />

Menschen sich durch alles hindurch verlassen können. Damit<br />

verbindet sich im Neuen Testament (mit „alétheia“) die<br />

Bedeutung und Wirkung befreiender Wahrheit, die von Trug<br />

und Selbstbetrug befreit, zudem unserer Unfreiheit an die<br />

Wurzel geht. Beides trifft darin zusammen, dass die verlässliche<br />

und befreiende Wahrheit in Jesus Chr<strong>ist</strong>us Person geworden<br />

<strong>ist</strong> (vgl. Johannes 14,6). <strong>Die</strong>se Person gewordene<br />

Wahrheit befreit von dogmat<strong>ist</strong>ischen Ansprüchen in den<br />

Varianten von Selbstlegitimation wie Druck gegenüber anderen.<br />

Entsprechend kam Paulus angesichts eines Konflikts, der<br />

theologische Orientierung betraf (jenem Konflikt mit Petrus<br />

in Antiochia), als aufschlussreiche Metapher in den Sinn: es<br />

komme darauf an, „Kurs zu halten auf die Wahrheit des<br />

Evangeliums“ (Galater 2,14). Von daher lässt sich die Wahrheit<br />

des Evangeliums nicht als Position besetzen und gegen<br />

andere ins Feld führen, liegt vielmehr den Kontrahenten im<br />

Streit um die Wahrheit voraus als Kompass der Orientierung.<br />

Von daher wird heutzutage immer wieder die Frage akut, wieweit<br />

die erforderliche Pluralismus-Fähigkeit der Kirche und<br />

91


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

der universale Wahrheitszuspruch des Evangeliums einander<br />

widersprechen, sich gar gegenseitig ausschließen sollten – bzw.<br />

inwiefern sie einander entsprechen könnten. Zur Entsprechung<br />

kommen beide dadurch, dass die Bezeugung des Evangeliums<br />

zumal in der Bitte ihre elementare Gestalt findet, wie<br />

Paulus pointiert: „So bitten wir an Chr<strong>ist</strong>i Statt: Laßt euch versöhnen<br />

mit Gott“ (2. Korinther 5,20). <strong>Die</strong> Bitte als Grundgestus<br />

der Bezeugung des Evangeliums widerspricht allen<br />

Versuchen, Druck auszuüben, gar Gewalt und ebenso dem<br />

vermeintlichen Anspruch, selbst im Besitz der Wahrheit zu<br />

sein. <strong>Die</strong> Bitte gewährt vielmehr Zeit und setzt auf Evidenz;<br />

sie <strong>ist</strong> auf freie Zustimmung bedacht und auf Einverständnis,<br />

das aus Einsicht entsteht. Menschen in der Haltung der Bitte<br />

anzusprechen hält ihnen offen, dass die Wahrheit des<br />

Evangeliums, die als fremd und überraschend begegnet, ihnen<br />

aufgeht und einleuchtet, sie trifft und bewegt – und sich als<br />

lebenserhellend, befreiend, verlässlich erwe<strong>ist</strong>.<br />

2. <strong>Die</strong>se Verantwortung als Aufgabe im Pfarramt wie der<br />

Gemeinde<br />

Durch die Ordination sind Theologinnen, Theologen zum<br />

öffentlichen Verkündigungsdienst berufen und dazu (nicht etwa<br />

befähigt oder bevollmächtigt, vielmehr) beauftragt. <strong>Die</strong>se<br />

Berufung zum öffentlichen <strong>Die</strong>nst der Kirche führt im Kern<br />

zu öffentlicher Verkündigung des Evangeliums in Wort und<br />

Sakrament. Damit <strong>ist</strong> grundlegend die Verantwortung für<br />

theologische Orientierung wie kirchliche Lehre verbunden.<br />

Interessant bleibt, dass vom reformatorischen Sprachgebrauch<br />

her „Lehren“ vor allem in der Verkündigung geschieht,<br />

zugleich aber der Reflexion auf bzw. der Rechenschaft über<br />

die orientierende Kraft des Evangeliums als Mitte der Schrift<br />

in wichtige Dimensionen menschlichen Lebens wie chr<strong>ist</strong>lichen<br />

Glaubens hinein bedarf. So wird in CA XIV „publice<br />

docere“ in der deutschen Fassung mit „öffentlich lehren oder<br />

predigen“ wiedergegeben. Wichtig bleibt: die Ordination <strong>ist</strong><br />

nicht Verleihung einer besonderen ge<strong>ist</strong>lichen Fähigkeit, die<br />

92


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

über die aller Chr<strong>ist</strong>enmenschen aufgrund ihrer Taufe hinaus<br />

ginge. Vielmehr folgt das ordinationsgebundene Amt aus der<br />

öffentlichen Dimension des der Kirche als ganzer, somit allen<br />

Chr<strong>ist</strong>en gegebenen Grundamtes der Verkündigung des Evangeliums<br />

(vgl. CA XIV im Verhältnis zu CA V). Entsprechend<br />

bleibt unverzichtbar: Versteht man Theologie als Rechenschaft<br />

über elementare Aussagen des Glaubens, so <strong>ist</strong> jede<br />

Chr<strong>ist</strong>in, jeder Chr<strong>ist</strong> (jedenfalls der Möglichkeit nach) letztlich<br />

Theologe und in ihrer, seiner Weise für theologische<br />

Orientierung verantwortlich. Dass und warum Urteilsfähigkeit<br />

wie Verantwortung für theologische Orientierung und kirchliche<br />

Lehre nicht zuletzt bei der Gemeinde liegt, wurde von<br />

Luther in der kleinen Schrift von 1523 nach Leisnig dargelegt:<br />

„Daß eine chr<strong>ist</strong>liche Versammlung oder Gemeinde Recht<br />

und Macht habe, alle Lehre zu beurteilen ..., Grund und Ursache<br />

aus der Schrift.“<br />

Theologische Urteils- und Gesprächsfähigkeit bedarf freilich<br />

der Förderung und Vertiefung auch immer wieder zwischen<br />

Theologinnen, Theologen von Beruf und Chr<strong>ist</strong>enmenschen<br />

mit Verantwortung in ihrer Lebenswelt bzw. ihrem Beruf.<br />

Dafür sind heute verstärkt qualifizierte und anspruchsvolle<br />

Angebote von „Theologie mit Nichttheologen“ notwendig<br />

(von der Aufgabe her wohl am ehesten auf regionaler bzw.<br />

ephoraler Ebene). <strong>Die</strong>s gäbe kritischen Zeitgenossen Gelegenheit,<br />

die „Sache mit Gott“ in Betracht zu ziehen; böte<br />

Chr<strong>ist</strong>enmenschen die Möglichkeit, begründet und vertieft<br />

theologische Sachkenntnis zu gewinnen; könnte Chr<strong>ist</strong>en mit<br />

unterschiedlich geprägter Frömmigkeit zusammenführen mit<br />

Menschen, für die dies vielleicht ein erster oder letzter Versuch<br />

mit Kirche wäre; würde nicht allein auf kirchliche Mitarbeit<br />

ausgerichtet, sondern ebenso auf anfragbares Chr<strong>ist</strong>sein<br />

im Alltag; ließe Theologinnen und Theologen stärker als sonst<br />

erleben, dass sie als solche gefragt sind, – und würde deutlich<br />

mündigem Chr<strong>ist</strong>sein und missionarischer Ex<strong>ist</strong>enz dienen.<br />

Gerade auch in diesem Zusammenhang bedarf die Auffassung,<br />

die gelegentlich anzutreffen <strong>ist</strong>, wonach das durch<br />

93


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

Ordination übertragene Amt der Gemeinde gegenüber stehe,<br />

der Korrektur. Denn im Unterschied zu jener Auffassung <strong>ist</strong><br />

es Aufgabe des öffentlichen kirchlichen Amtes, das Evangelium<br />

als Gegenüber nicht nur zur Welt, sondern auch zur Gemeinde<br />

zur Geltung zu bringen. <strong>Die</strong>se reformatorische<br />

Einsicht findet Gestalt in dem Altarbild von Lukas Cranach<br />

d.Ä. in der Stadtkirche zu Wittenberg. <strong>Die</strong>s Bild rückt in den<br />

Blick: „Der Prediger steht nur insofern der Gemeinde gegenüber,<br />

als es seine Aufgabe <strong>ist</strong>, auf den ihr und ihm gleichermaßen<br />

gegenüberstehenden Chr<strong>ist</strong>us am Kreuz zu weisen.“ 5<br />

Folglich <strong>ist</strong> nicht das Amt, sondern Jesus Chr<strong>ist</strong>us als Wort<br />

Gottes, Bruder der Menschen, Herr der Welt Gegenüber der<br />

Gemeinde.<br />

Nicht zuletzt <strong>ist</strong> mit der Verantwortung für theologische<br />

Orientierung und kirchliche Lehre eine Grundaufgabe des<br />

ephoralen Amtes gegeben. Mit dem reformatorischen Verständnis<br />

von Kirche als „creatura verbi“ 6, die mit der Verkündigung<br />

des Evangeliums in Wort und Sakrament konstituiert<br />

wird – und darum mit dem Gottesdienst in den Grund ihres<br />

Daseins einkehrt, wurde die Lehraufsicht zum systematischen,<br />

wenn auch geschichtlich gesehen zeitweilig vernachlässigten<br />

Zentrum des ephoralen Amtes. Im Blick auf die Lehraufsicht<br />

stellt sich analog wie mit der Visitation die Frage: welcher<br />

Autorität <strong>ist</strong> solch ephoraler <strong>Die</strong>nst verpflichtet? Ge<strong>ist</strong>liche<br />

und theologische Autorität kann sich in der Kirche nicht etwa<br />

schon aus der Vorgesetztenfunktion ergeben. Biblisch macht<br />

in dieser Hinsicht nachdenklich, dass Paulus Autorität nicht<br />

für seine Person oder Funktion in Anspruch nimmt, sondern<br />

für Chr<strong>ist</strong>us und das Evangelium. Solcher Autorität entspricht<br />

die Bitte (vgl. 2. Korinther 5,20), die freie Einsicht und Zustimmung<br />

der Adressaten im Sinn hat und deshalb auf theologische<br />

Begründung, Einsichtigkeit und Nachvollziehbarkeit<br />

bedacht <strong>ist</strong>. Anregungen und Anstöße, die sich aus wahrgenommener<br />

Lehraufsicht ergeben, müssen einsichtig werden –<br />

und, was in akuter Situation bzw. zu kontroversen Fragen an<br />

Klärung und neuer Orientierung gewonnen wurde, muss aus<br />

Einsicht zur Wirkung kommen können. Das heißt nicht, dass<br />

94


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

dies notwendig erfolgt. Notwendig bleibt aber, dass erforderliche<br />

Schritte als vom Auftrag der Kirche her geboten eingesehen<br />

werden können. Nur so kann ihre Befolgung vereinbart<br />

und gefordert werden.<br />

3. Wie nehmen die Bekenntnisse der Reformation Verantwortung<br />

für kirchliche Lehre wahr?<br />

Im Blick auf gegenwärtige Verantwortung für kirchliche<br />

Lehre <strong>ist</strong> es, um sachlich Klarheit zu gewinnen und nicht geschichtsvergessen<br />

vorzugehen, wichtig, darauf zu achten, wie<br />

solche Verantwortung von den Bekenntnissen der lutherischen<br />

Reformation wahrgenommen wurde. <strong>Die</strong> CA als systematisches<br />

Zentrum des Korpus der Bekenntnisschriften ließe<br />

sich in bestimmter Hinsicht als aktuelles Bekenntnis in kontroverser<br />

Situation verstehen. So hat Luther von der Veste<br />

Coburg aus die „Confessores“ vor Kaiser und Reich in Augsburg<br />

ermutigt und ihren Bekennermut gepriesen. 7 Doch erweisen<br />

sich die Bekenntnisschriften samt der CA nicht als<br />

strikt situationsbezogenes Bekenntnis bzw. als unmittelbarer<br />

Ausdruck des Glaubens. Vielmehr haben sie ihre Funktion als<br />

Lehrbekenntnisse: zur Klärung, Orientierung und somit als<br />

Richtlinie für die Lehre und Verkündigung der Kirche.<br />

<strong>Die</strong> Verfasser der Konkordienformel von 1577 bemerken<br />

grundlegend, dass die „prophetischen und apostolischen<br />

Schriften Altes und Neues Testaments ... alleine die einige<br />

wahrhaftige Richtschnur <strong>ist</strong>, nach der alle Lehrer und Lehre zu<br />

richten und zu urteiln sein“ 8. Zugleich wird hier die Schrift als<br />

„Brunnen“ bezeichnet, d.h. als Quelle und zwar des Evangeliums.<br />

So wird aufgrund des ursprünglichen und von Luther<br />

wieder entdeckten Evangeliums 9 die Schrift auf das Evangelium<br />

von Jesus Chr<strong>ist</strong>us fokussiert, auf den in dieser Person<br />

ergehenden Zuspruch an den Menschen. Somit sind diese<br />

Lehrbekenntnisse nicht als Sammlung von Lehren zu verstehen,<br />

die aus der Schrift abgeleitet wären, vielmehr als Anleitung<br />

und Schlüssel zum Verständnis der Schrift, womit<br />

95


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

diese sich von ihrem Zentrum, dem Evangelium her erschließt.<br />

10 Mit diesem Bezug auf die Heilige Schrift und so auf<br />

die ihnen vorgegebene und überlegene Selbstmitteilung<br />

Gottes im Zeugnis der Schrift, wodurch Evidenz geschaffen<br />

und Glauben geweckt wird, sind diese Lehrbekenntnisse beides<br />

zugleich: wahrheitsfähig und kritikbedürftig.<br />

<strong>Die</strong>sem hermeneutischen Grundzug der Bekenntnisse der<br />

lutherischen Reformation entspricht das Verständnis dessen,<br />

was nach CA VII die Grundkennzeichen von Kirche sind bzw.<br />

wodurch Kirche als Kirche Jesu Chr<strong>ist</strong>i konstituiert wird: als<br />

„die Versammlung aller Glaubigen, bei welchen das Evangelium<br />

rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des<br />

Evangelii gereicht werden“. 11 Denn als konstitutiv für die eine<br />

heilige chr<strong>ist</strong>liche Kirche wird hier nicht eine bestimmte Verfasstheit<br />

erklärt oder etwa die Rechtgläubigkeit bzw. Rechtschaffenheit<br />

ihrer Glieder, vielmehr der Lebensvollzug, worin<br />

in ihr das Evangelium von Jesus Chr<strong>ist</strong>us im Wort laut und im<br />

Sakrament ausgeteilt wird. Entsprechend <strong>ist</strong> es die Aufgabe<br />

der Bekenntnisse, die Kommunikation des Evangeliums zu<br />

bewahren, wodurch Glaube entsteht und wovon Kirche lebt.<br />

<strong>Die</strong> Bekenntnisse der Reformation wollen dazu anleiten, dass<br />

die Schrift sich von ihrer Mitte: dem Evangelium her erschließt,<br />

und sie setzen sich selbst diesem Maßstab, dieser<br />

„unica regula et norma“ 12 aus. Damit verpflichten sie „die<br />

öffentliche Verkündigung der Kirche darauf, die Schrift so<br />

auszulegen, dass es zur Kommunikation des Evangeliums<br />

kommen kann.“ <strong>Die</strong>s heißt freilich zugleich: die Ex<strong>ist</strong>enz der<br />

Bekenntnisse <strong>ist</strong> in der Erfahrung und dem Wissen begründet,<br />

„dass die Einsicht in die Mitte der Schrift und ihr Verständnis<br />

als Evangelium nichts Selbstverständliches <strong>ist</strong>, sondern die<br />

Verkündigung der Kirche des beständig orientierenden Hinweises<br />

auf dies Zentrum bedarf.“ 13<br />

Dem entspricht es, dass diese Bekenntnisse geradezu seelsorgerliche<br />

Bedeutung gewinnen können. Als Einführung in<br />

das Evangelium als Mitte der Schrift sind sie bisweilen zu-<br />

96


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

gleich eine Anleitung zu dessen Anwendung auf die Situation<br />

der Anfechtung des Sünders vor Gott. So führt etwa die Konkordienformel<br />

im Zusammenhang mit der Frage nach dem<br />

würdigen Empfang des Abendmahls aus, dass ein vertrauenerweckender<br />

Empfang des Sakraments nur dann möglich<br />

wird, wenn der Empfänger nicht auf seinen inneren Zustand<br />

blickt, vielmehr dessen gewiss sein kann, dass ihm die Selbsthingabe<br />

Jesu Chr<strong>ist</strong>i zuteil wird. 14<br />

So setzen die Bekenntnisse mit ihrer hermeneutischen Perspektive<br />

der Selbsterschließung des Evangeliums als unverfügbarem<br />

Ereignis die Erfahrung voraus, dass, wo die Schrift zu<br />

sprechen beginnt, das Evangelium laut wird und Glauben findet.<br />

Dem entspricht zugleich die Anleitung zum ex<strong>ist</strong>entiellen<br />

Vollzug der Lehre, wie dies vor allem mit Luthers Katechismen<br />

angebahnt wird und Sprache findet. Dazu denke man nur<br />

an seine Auslegung des Glaubensbekenntnisses im Kleinen<br />

Katechismus – etwa zum ersten Artikel: „Ich glaube, dass<br />

mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen...“ Oder zum<br />

zweiten Artikel: „Ich glaube, dass Jesus Chr<strong>ist</strong>us ... sei mein<br />

Herr, der mich ... erlöset hat ..., damit ich sein eigen sei...“ Da<br />

in unserer Zeit die Binde-, Prägungs- und Orientierungskraft<br />

des Glaubens abnimmt, bleibt Konfessionalität (im Widerspruch<br />

zu konfessional<strong>ist</strong>ischen Tendenzen) als Bezeugungsgestalt<br />

der Wahrheit des Evangeliums in ihrer Orientierungskraft<br />

unverzichtbar. – Damit bleibt freilich (angeregt und<br />

offen gehalten durch die Bekenntnisse der Reformation) die<br />

Frage akut, was bedrängtem Leben als lebensnotwendige<br />

Lehre zur Hilfe kommt, ja als lebenspendende Lehre im<br />

widersprüchlichen und bisweilen verworrenen Leben Freiheit<br />

aus Glauben zuspricht und wahres Leben eröffnet.<br />

4. Einige Beispiele dessen, wo Verantwortung für theologische<br />

Orientierung akut wird<br />

Bei einem Trauergottesdienst eines Sommers in München<br />

suchte der Pfarrer in der bunten, zudem erstaunlich jungen<br />

97


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

und vermutlich weithin säkularen Trauergemeinde sichtlich<br />

nach Sprache, wie für diese Menschen die Hoffnung auf Auferstehung<br />

der Toten zugänglich werden könnte. Dazu nahm er<br />

das antike und auch heute verbreitete (etwa von Elisabeth<br />

Kübler-Ross favorisierte) Bild auf von der Verpuppung einer<br />

Raupe, der ein Schmetterling entschlüpfen wird. Unbeabsichtigte<br />

Komik bzw. irritierende Ironisierung gewann dies<br />

Bild allerdings dadurch, dass hernach auf dem Friedhof einige<br />

der jungen Leute auf Schmetterlingsjagd gingen... – Auf<br />

die Frage hin, wie die Toten auferstehen werden, nahm Paulus<br />

das Bild vom Samen auf. Doch wird dies bei ihm entgegen der<br />

natürlichen Logik des Bildes (z.B. aus einem Weizenkorn wird,<br />

wenn alles gut geht, ein Halm mit einer Weizenähre entstehen)<br />

zu einem „gebrochenen“ Bild: „Was du säst, wird nicht lebendig<br />

gemacht, wenn es nicht stirbt“ (1. Korinther 15,36). –<br />

Welche Sicht gewinnt mit diesen Bildern Hoffnung angesichts<br />

des Todes – und worin gründet nach dieser bzw. jener Aussage<br />

Hoffnung auf die Auferstehung der Toten?<br />

Längere Zeit begegnete, bisweilen auch heute noch in Predigten<br />

beim Versuch, die Rechtfertigungsbotschaft zugänglich<br />

und verständlich werden zu lassen, das Wortfeld der „Annahme“.<br />

Dabei spielt bisweilen mehr oder weniger fraglos die<br />

Semantik dieses Wortfelds mit, wie sie mit der beachtlichen<br />

Lebensweisheit begegnet: es gelte, mich selbst anzunehmen,<br />

wie ich bin, bzw. den andern, wie er <strong>ist</strong>. – Biblisch begegnet<br />

das Wortfeld „Annahme“ („déchomai“/„doché“/„dektós“)<br />

vor allem im Lukas-Evangelium – und der Sache nach im<br />

Gleichnis von den beiden Söhnen. Doch wird die Selbsteinschätzung<br />

des jüngeren Sohnes: „Ich bin hinfort nicht mehr<br />

wert, daß ich dein Sohn heiße“ (Lukas 15,19.21) durch den<br />

Vater im Gleichnis mit seinem Ruf zum Fest außer Kraft<br />

gesetzt: „<strong>Die</strong>ser mein Sohn (bzw. dieser dein Bruder) war tot<br />

und <strong>ist</strong> wieder lebendig geworden; er war verloren und <strong>ist</strong><br />

gefunden worden“ (15,24.32). Zugleich <strong>ist</strong> der verlorene Sohn<br />

mit Gewand, Ring an den Finger, Schuhen an die Füße erneut<br />

in sein Recht und die Würde als Sohn eingesetzt. So folgt dies<br />

Gleichnis nicht jener Lebensweisheit. Vielmehr wird der jün-<br />

98


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

gere Sohn als der angenommen, der er von sich aus betrachtet<br />

gerade nicht <strong>ist</strong>. – Unter uns Menschen bedeutet es schon<br />

viel, wenn es gelingt, den andern anzunehmen, wie er <strong>ist</strong>.<br />

Doch welch überraschende Freiheit entsteht auch gegenseitig,<br />

wenn wir uns entdecken als trotz allem von Gott geliebte Kinder,<br />

die von Gott angenommen werden als die, die wir unserer<br />

Selbst- wie Fremdeinschätzung nach gerade nicht sind!<br />

Der Volkstrauertag <strong>ist</strong> anscheinend nach wie vor ein sensibler<br />

Tag des Gedenkens. Statt sich mit der Geschichte auch des<br />

eigenen Volkes d<strong>ist</strong>anzierend beschuldigend oder zwanghaft<br />

entschuldigend auseinanderzusetzen, fordert zumal dieser Tag<br />

zu differenzierter Wahrnehmung nachwirkender Trauer und<br />

offener wie befreiender Ausein<strong>anders</strong>etzung mit Schuld heraus.<br />

– Nach dem Gottesdienst am Volkstrauertag 1999<br />

schrieb mir ein Gemeindeglied: „Ihre Predigt am Volkstrauertag<br />

habe ich ... mit großem Unbehagen gehört... Sie erwähnten<br />

mehrfach Verbrechen der deutschen Wehrmacht und<br />

sprachen vom Zweiten Weltkrieg, der vom deutschen Boden<br />

ausgegangen sei, wobei Sie auf die (eindeutig diskreditierte)<br />

Wehrmachtsausstellung zu sprechen kamen. Dagegen stellten<br />

Sie die Versöhnungsbereitschaft in verschiedenen Ländern<br />

Europas, die von Deutschland im Krieg besetzt gewesen<br />

waren...“ – Demgegenüber konnte hellhörig machen, wie einige<br />

Jahre zuvor der Volkstrauertag in Pullach kommunal und<br />

ökumenisch begangen wurde. <strong>Die</strong> Partnerschaften dieser Gemeinde<br />

mit Pauillac in Frankreich wie mit Baryschiwka in der<br />

Ukraine kamen durch den Bürgerme<strong>ist</strong>er (stärker als durch die<br />

Pfarrer) in den Blick – und es wurde bewusst Musik eines<br />

französischen – wie eines russischen Kompon<strong>ist</strong>en musiziert.<br />

Eine Sprache, die wohlmeinend zumal bei festlichem Anlass<br />

Reibungsflächen unseres Lebens, unserer Welt beiseite lässt,<br />

mag zu einem „Singen im höheren Chor“ führen, wird aber<br />

kaum zum Lied der Befreiten anstiften. So wurde in einem<br />

Taufgottesdienst vom Herbst 2004 der aaronitische Segen<br />

aufgenommen. In der Ansprache dazu ging es (kurz nach dem<br />

mörderischen Überfall auf die Schule in Beslan/Nord-<br />

99


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

ossetien) ganz um gelingendes Leben und um elterliche<br />

Segens-Gesten an den Kindern. Danach sprach eine junge<br />

Frau darauf an: dies sei ihr im Blick auf die Situation von<br />

Kindern in unserer Welt zu harmlos gewesen. Mit wachem<br />

Sinn für Lebenswege von Kindern und die Zeitsituation hätte<br />

es wahrlich nahe gelegen, nicht von präsenten und immer wieder<br />

akuten Reibungsflächen scheinbar freundlich abzusehen.<br />

<strong>Die</strong>s wäre für den Prediger wie die Gemeinde aber auch<br />

dadurch in Betracht gekommen, wäre die Entstehungssituation<br />

der Priesterschrift, worin der aaronitische Segen (4.<br />

Mose 6,24-26) seine prägnante Gestalt gewonnen hat, erinnert<br />

worden. War doch das Volk Israel in der Erfahrung des Exils<br />

mit der Verborgenheit Gottes konfrontiert. Wie überraschend<br />

vermag dann dieser Segen zu sprechen, wenn solche<br />

Erfahrungen geschichtlich wie gegenwärtig präsent sind: als<br />

Bitte und Zusage, dass der Herr durch Erfahrungen seiner<br />

Verborgenheit hindurch sein Angesicht leuchten lasse.<br />

<strong>Die</strong> Frage: „Warum lässt Gott das zu...?“ scheint heute für<br />

viele Menschen eine letzte Erinnerung an die Gottesfrage zu<br />

sein. Freilich lässt sie sich nicht erklärend beantworten:<br />

„Gerade weil derlei Fragen weder beantwortbar sind noch unbeantwortet<br />

bleiben dürfen, üben sie die Funktion eines<br />

Stachels aus: Sie treiben uns tiefer ins Nachdenken über das<br />

Leid und ins Handeln an den Leidenden hinein.“ 15 Freilich<br />

kann die Theodizeefrage zum skeptischen Atheismus führen<br />

– gemäß der Wendung in Georg Büchners „Dantons Tod“:<br />

„warum ich leide? Das <strong>ist</strong> der Fels des Atheismus.“ 16 Doch<br />

gibt es ebenso eine fromme Variante des Atheismus, sofern<br />

Frömmigkeit nahe legte, an den fraglos lieben Gott zu glauben.<br />

<strong>Die</strong>s Postulat <strong>ist</strong> mit der Welt- und Lebenserfahrung vieler<br />

Menschen sichtlich unvereinbar. Eine Frömmigkeit oder<br />

Theologie aber, die Gott nicht zur Welt kommen ließe, wäre<br />

eine fromme Variante des Atheismus, nämlich nur die Kehrseite<br />

des skeptischen Atheismus. Zudem <strong>ist</strong> heute ein religiöser<br />

Atheismus zu beobachten, der angesichts der schlimmen<br />

Welt nach heilenden Kräften suchen lässt. Denn darin begegnet<br />

Religion als ebenso verständlicher wie fragwürdiger<br />

100


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

Wunsch, über die widersprüchliche Realität der eigenen Ex<strong>ist</strong>enz<br />

wie der Welt hinweg zu kommen. – Es <strong>ist</strong> heutzutage ein<br />

entscheidendes Kriterium chr<strong>ist</strong>licher und kirchlicher Sprache,<br />

ob sie der (biblisch eindringlichen und bleibend eröffneten)<br />

Klage gegen Gott zu Gott Raum gibt oder sie faktisch unterdrückt.<br />

Ein Reden von Gott, das nicht vom Leiden unter<br />

Gottes Verborgenheit gezeichnet <strong>ist</strong>, führt zur Verharmlosung<br />

Gottes und zur Beschönigung wie Vergiftung des Lebens. <strong>Die</strong><br />

skeptische Variante des Atheismus, wonach Gottes Verborgenheit<br />

Anlass zu seiner Negation gibt, wie die fromme<br />

Variante, wonach mit Gottes Offenbarung seine Verborgenheit<br />

abgeblendet werden soll, treffen sich darin, dass das Ineinander<br />

von Verborgenheit und Offenbarung Gottes weder<br />

wünschbar noch denkbar erscheint. – Gerade deshalb muss<br />

weiter Luthers doppelte Verhältnisbestimmung von verborgenem<br />

und offenbarem Gott zu denken geben. Weil unheimliche<br />

Wirklichkeitserfahrung und befreiende Offenbarungserfahrung<br />

in der Tat einander widersprechen, <strong>ist</strong> von dem<br />

Gegensatz zwischen verborgenem und offenbarem Gott nicht<br />

abzusehen. Weil aber Gott im Kreuz Jesu Chr<strong>ist</strong>i den Widerspruch<br />

des Menschen auf sich nimmt und so uns seine Liebe<br />

erwe<strong>ist</strong>, gewinnt hier die Spannung zwischen Verborgenheit<br />

und Offenbarung Gottes ihre Zuspitzung und Eindeutigkeit:<br />

Am Kreuz offenbart er sich als der, der sich unter dem Gegensatz<br />

dessen, was Menschen als göttlich einleuchtet, verbirgt.<br />

Indem er auf sich nimmt, womit Menschen sich selbst<br />

und einander das Leben vergiften, <strong>ist</strong> er alles andere denn ein<br />

harmloser –, vielmehr der lebendige Gott, der seine Liebe in<br />

unsere Welt konfliktbereit hinein lebt.<br />

Manchmal sind wir sehenden Auges blind und hörend taub.<br />

Darauf spricht nicht umsonst im Markusevangelium Jesus<br />

seine Jünger an: „Augen habt ihr und seht doch nicht, Ohren<br />

und hört doch nicht“ (Markus 8,18). Nachdem die Heilung<br />

eines Taubstummen vorangegangen <strong>ist</strong> (7,31-37), folgt auf<br />

jene Bemerkung im Markusevangelium als Abschluss des<br />

ersten erzählerischen Bogens die erste Blindenheilung (8,22-<br />

26) – und nach der Abwehr auch des dritten Leidenshinweises<br />

101


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

durch die Jünger (10,32-34 und 35-45) zum Schluss des dritten<br />

Bogens die zweite Blindenheilung in diesem Evangelium<br />

(10,46-52). Es bedarf also eines Glaubens mit geöffneten<br />

Augen, der zugleich hellhörig werden lässt. – Dazu nur eine<br />

Situation: Etliche Jahre vor 1989 in der DDR kam zu einem<br />

Pfarrer an der Elbe eine Parteigenossin mit ihrem chr<strong>ist</strong>lichen<br />

Mann, um sich trauen zu lassen. <strong>Die</strong> gotische Hallenkirche<br />

dort war im Winter freilich nicht heizbar. So bot der Pfarrer<br />

als Ort für die Trauung den Gemeindesaal an, wo winters<br />

ohnehin die Gottesdienste stattfänden. Doch lehnte die Frau<br />

dies Angebot ab. Darauf schlug der Pfarrer die Sakr<strong>ist</strong>ei vor:<br />

die sei heizbar – und, sofern erwünscht, könne seine Frau<br />

beim Einzug die Orgel spielen. Darauf die Frau: „Wir möchten<br />

in der Kirche getraut werden. Verstehen Sie nicht: wir<br />

brauchen für unsere Ehe einen weiten Raum!?“<br />

<strong>Die</strong> Unterscheidung zwischen Letztem und Vorletztem gehört<br />

genuin zum chr<strong>ist</strong>lichen Glauben – und macht menschliches<br />

Leben zwar nicht unbedingt einfacher, jedoch wahrer und<br />

freier. Dazu <strong>Die</strong>trich Bonhoeffer: „Chr<strong>ist</strong>liches Leben <strong>ist</strong> der<br />

Anbruch des Letzten in mir, das Leben Jesu Chr<strong>ist</strong>i in mir. Es<br />

<strong>ist</strong> aber immer auch Leben im Vorletzten, das auf das Letzte<br />

wartet. Der Ernst des chr<strong>ist</strong>lichen Lebens liegt allein im<br />

Letzten, aber auch das Vorletzte hat seinen Ernst, der freilich<br />

gerade darin besteht, das Vorletzte niemals mit dem Letzten<br />

zu verwechseln, das Vorletzte gegenüber dem Letzten für<br />

Scherz zu halten, damit das Letzte – und das Vorletzte – seinen<br />

Ernst behält.“ 17 So wird mit dieser befreienden Unterscheidung<br />

entgegen der Tendenz, ein Problem oder uns selbst<br />

unendlich ernst und deshalb allzu wichtig zu nehmen, auch<br />

dem Humor und also Gelegenheiten, über mich selbst zu<br />

lachen, eine Chance gegeben. – Dazu nur eine Situation: In<br />

München hatte ein Fachmann aus der Versicherungswirtschaft<br />

einen Vortrag gehalten. Beim Hinausgehen traf ein dem<br />

Chr<strong>ist</strong>entum gegenüber kritischer Zeitgenosse auf den Theologen.<br />

<strong>Die</strong>s reizte ihn zu der gewitzt gemeinten Bemerkung:<br />

als Chr<strong>ist</strong> sei man doch wohl auf solche Sicherheiten nicht angewiesen.<br />

Darauf gab ich zurück: vom Lateinischen her kenne<br />

102


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

er wohl die Unterscheidung zwischen securitas und certitudo,<br />

also zwischen Sicherheit und Gewissheit. <strong>Die</strong>se habe übrigens<br />

Luther für lebensnotwendig gehalten. Je weniger wir beides zu<br />

unterscheiden wüssten, je mehr wir Lebensgewissheit in äußeren<br />

Sicherheiten suchten, desto mehr könne die Versicherungs-Branche<br />

sich freuen. Darauf lüftete er seinen Hut:<br />

„Ich danke für die heutige Belehrung.“ So verabschiedeten wir<br />

uns augenzwinkernd.<br />

5. Grundzüge der Verantwortung für theologische Orientierung<br />

und kirchliche Lehre<br />

Theologische Aufmerksamkeit gilt dem, was bleibend wichtig<br />

<strong>ist</strong>, und zugleich dem, was an der Zeit, wenn auch oft genug<br />

umstritten <strong>ist</strong>. So bleibt Theologie dem Verstehen des chr<strong>ist</strong>lichen<br />

Glaubens auf der Spur in Ausein<strong>anders</strong>etzung mit dem<br />

Wahrheitsbewusstsein der Gegenwart. Verantwortung für<br />

theologische Orientierung und kirchliche Lehre bedarf beides:<br />

der Aufmerksamkeit für das, was an der Zeit und dabei oft<br />

kontrovers <strong>ist</strong>, und ebenso der Aufmerksamkeit für die Sache,<br />

die damit auf dem Spiel steht, und so für den Auftrag der Kirche.<br />

Deshalb seien hier zwei Gefahren markiert, mit denen so<br />

oder so Fähigkeit zu und Klarheit theologischer Orientierung<br />

verfehlt wird: einerseits durch „drohende Verfehlung der Zeitgemäßheit<br />

des Auftrages der Kirche“ und <strong>anders</strong>eits durch drohende<br />

Verfehlung der Sachgemäßheit des Auftrages der Kirche“ 18.<br />

Der Gegenwartsbezug und also die Zeitgemäßheit des kirchlichen<br />

und chr<strong>ist</strong>lichen Auftrags würde verfehlt, wenn aus dem<br />

Wort Gottes, das gerade in seiner Ewigkeit immer konkret<br />

und zeitbezogen <strong>ist</strong>, eine zeitlose Wahrheit würde. So würde<br />

das Wort der Schrift, statt zum mündlichen, anredenden<br />

Lebenswort zu werden, zum Buchstaben und Gesetz, dessen<br />

Fessel ge<strong>ist</strong>ige und ge<strong>ist</strong>liche Beweglichkeit verhindern würde.<br />

<strong>Die</strong> Sachgemäßheit des kirchlichen und chr<strong>ist</strong>lichen Auftrags<br />

würde verfehlt, sollte das Evangelium uns in unsern<br />

Meinungen und Einstellungen, Befürchtungen und Wünschen<br />

schlichtweg bestätigen. Als bloße Bestätigung wäre das Evan-<br />

103


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

gelium überflüssig, weil nicht mehr das fremde Wort, das<br />

überraschend und befreiend die Situation trifft und verwandelt;<br />

vielmehr würde es sich statt an die Zeit nach der Zeit<br />

richten.<br />

Es wäre merkwürdig, wenn die Suche nach theologischer<br />

Orientierung nicht durch die gesellschaftliche wie kulturelle<br />

Lage, mit der Kirche und Chr<strong>ist</strong>sein gegenwärtig konfrontiert<br />

sind, provoziert würde. Dabei fordert nicht zuletzt der<br />

Kontaktverlust vieler Menschen zu Glaube und Kirche heraus:<br />

mit verschiedenen Varianten des religiösen Pluralismus,<br />

auch mit vagabundierender Religiosität, ebenso aber mit religiösem<br />

Analphabetismus. Eine Theologie, die sich diesem<br />

gesellschaftlichen und ge<strong>ist</strong>igen Klima nicht stellt, kann keine<br />

Orientierungskraft gewinnen. Denn sie „entzieht sich der<br />

Frage, was die Rede von Gott unter den Bedingungen der<br />

Gegenwart bedeutet; sie nimmt nicht teil an der Aufgabe, das<br />

Evangelium unter die Menschen zu bringen; sie stellt sich in<br />

D<strong>ist</strong>anz zur gelebten Wirklichkeit des Glaubens.“ 19<br />

Das Gespräch mit Zeitgenossen über Fragen des Lebens und<br />

deshalb des Glaubens <strong>ist</strong> nicht möglich bei Vorbehalten oder<br />

D<strong>ist</strong>anzierung ihnen gegenüber, ebenso wenig aber über<br />

Anpassungsstrategien. Vielmehr <strong>ist</strong> für solch ein Gespräch die<br />

Doppelbewegung von Anknüpfung und Widerspruch 20 angezeigt.<br />

Denn einmal bietet das Gespräch mit Zeitgenossen –<br />

zumal solchen, denen chr<strong>ist</strong>licher Glaube nicht selbstverständlich<br />

<strong>ist</strong> – die Chance, sich auf Fragen einzulassen, die<br />

einen auch im Blick auf den Glauben neue Sichtweisen entdecken<br />

lassen. Und zum andern bestätigt das Evangelium uns<br />

nicht in dem, was wir meinen, wünschen oder befürchten, öffnet<br />

uns vielmehr die Augen für wahres Leben inmitten des<br />

wirklichen Lebens.<br />

Zum Dialog mit Zeitgenossen in der Doppelbewegung von<br />

Anknüpfung und Widerspruch zwei Andeutungen: Für viele<br />

Menschen scheint plausibel, dass Glaube und Zweifel einander<br />

ausschließen – bis hin zum Eindruck, angesichts von<br />

104


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

Zweifeln bleibe einem der Glaube unerschwinglich. Angesichts<br />

dessen kann freilich folgende Bemerkung von Friedrich<br />

Dürrenmatt hellhörig machen: „gibt es doch nichts Zweifelhafteres<br />

als einen Glauben, der den Zweifel unterdrückt.“ 21<br />

Deshalb <strong>ist</strong> es einzig sachgemäß, Fragen, Zweifel, Suchprozesse<br />

produktiv in das Gespräch über den Glauben<br />

einzubeziehen. Wie sollte dem widersprechen, dass der<br />

Glaube Lebensgewissheit eröffnet? Fällt doch an biblischer<br />

Sprache, die Gewissheit bezeugt, auf, dass damit nicht übergangen,<br />

vielmehr ansprechbar wird, was der Gewissheit<br />

widerstreitet, – wie etwa in Römer 8,38f: „Ich bin gewiß, daß<br />

weder Tod noch Leben ... uns scheiden kann von der Liebe<br />

Gottes, die in Chr<strong>ist</strong>us Jesus <strong>ist</strong>, unserm Herrn.“ Offensichtlich<br />

gewinnt Gottesgewissheit gerade im Feld dem widerstreitender<br />

Erfahrungen Sprache und Wirkung – und findet<br />

im Feld von Gegenstimmen und Dissonanzen der „cantus firmus“<br />

der Lebens- und Glaubensgewissheit überraschend<br />

Resonanz.<br />

Auch der Gewohnheitsatheismus kann sich durchaus human<strong>ist</strong>isch<br />

gerieren. Deshalb erscheint oft als Angebot zur<br />

Verständigung, wenn nicht als der Weisheit letzter Schluss:<br />

„Wir glauben doch alle an das Gute im Menschen.“ <strong>Die</strong>se<br />

Parole bot auf einem Forum beim Deutschen Evangelischen<br />

Kirchentag 2001 in Frankfurt am Main Gregor Gysi Landesbischöfin<br />

Margot Käßmann als Basis zur Verständigung<br />

an. Doch wies sie darauf hin, dies könne angesichts menschlicher<br />

Verrücktheiten kaum eine tragfähige Basis sein; nicht<br />

umsonst gehöre zur Bibel mit den Urgeschichten sehr bald die<br />

von Kain und Abel... – Anscheinend <strong>ist</strong> Menschlichkeit nicht<br />

hinreichend im Glauben an das Gute im Menschen begründet.<br />

Hinreichende Begründung findet die Menschlichkeit<br />

von uns Menschen vielmehr in der Schöpfergüte Gottes<br />

(Matthäus 5,45 – als Grund der Feindesliebe) und seiner vergebenden<br />

Güte (Lukas 23,34). Somit würde Verlust oder<br />

Verweigerung von Sprache für den Horizont, den Chr<strong>ist</strong>en<br />

Gott nennen, auch die Menschlichkeit von Gewohnheitsathe<strong>ist</strong>en<br />

tangieren.<br />

105


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

Wie sollte das Evangelium sich nicht als fremde und überraschende<br />

Botschaft erweisen – und zwar für glaubende und<br />

suchende, für nicht glaubende wie für religiöse Menschen? Mit<br />

Versuchen der Anpassung an Trends und Selbstverständlichkeiten,<br />

an gängige Meinungen, Wünsche, Lebenseinstellungen<br />

würden wir die Botschaft des Evangeliums überflüssig<br />

machen. Denn nur, was uns als fremd und überraschend<br />

begegnet, lässt hellhörig werden, öffnet die Augen, lässt uns<br />

die Welt und unser Leben neu wahrnehmen. Zur Beziehung<br />

und Differenz, vielmehr zur erhellenden Fremdheit des<br />

Evangeliums gegenüber gängiger Lebensweisheit nur ein<br />

Beispiel. Nicht erst in unserer Zeit leuchtet die Parole und<br />

Lebensweisheit ein: „rette sich, wer kann“. Denn, wie sollte<br />

nicht jeder, wenn es darauf ankommt, sich selbst zu retten<br />

suchen? Doch was wird mit Menschen, auf deren Kosten sich<br />

andere zu retten suchen, die sich aber darum immer weniger<br />

zu retten vermögen? So zeigt die scheinbar natürliche<br />

Lebensweisheit „rette sich, wer kann“ oft genug ihre fragwürdige,<br />

ja zynische Kehrseite. Wie entscheidend bleibt deshalb,<br />

dass der Mann am Kreuz sich nicht zu retten sucht. Wohl sind<br />

wir Menschen nur so zu retten, dass dieser eine sich nicht rettet.<br />

Wird damit nicht jener Spott unter dem Kreuz: „Andere<br />

hat er gerettet und kann sich selber nicht retten“ (Markus<br />

15,31) wider Willen der Spötter und in Wahrheit zum höchsten<br />

Lob? Denn wir Menschen sind anscheinend nicht <strong>anders</strong><br />

zu retten, als dass dieser eine sich nicht rettet, vielmehr sich<br />

hingibt für andere, für alle.<br />

Für theologisch aufmerksame Argumentation in der Öffentlichkeit<br />

wie für Mitverantwortung der Kirche in der Gesellschaft<br />

müsste differente Präsenz kennzeichnend sein. Dabei<br />

ergeben sich hier anscheinend immer wieder zwei Versuchungen:<br />

entweder die Präsenz durch Vorbehalte, Rückzug<br />

und Verweigerung zu dementieren oder die Differenz durch<br />

Anpassung zu leugnen. Chr<strong>ist</strong>liche Präsenz und Differenz<br />

wird nur in der jeweiligen sozialen, politischen, kulturellen<br />

Lebenswelt gelebt – und zwar in Zuwendung zu besonderen<br />

Herausforderungen dieser Lebenswelt – und <strong>ist</strong> doch nicht<br />

106


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

aus dieser Welt zu gewinnen. – Dazu ein geschichtliches Beispiel:<br />

Als im Zweiten Weltkrieg die Kathedrale von Coventry<br />

durch deutsche Bomber zerstört worden war, trafen sich<br />

Glieder dieser Gemeinde in der ausgebrannten Kathedrale. In<br />

großen Lettern schrieben sie mit verkohlten Balken in den<br />

Chor der Kathedrale: „Father forgive“. Und aus Zimmermanns-Nägeln,<br />

die aus dem Dachstuhl im Schutt am Boden<br />

zu finden waren, wurden später Nagelkreuze geschmiedet.<br />

<strong>Die</strong>se wurden nach dem Krieg von der Gemeinde in Coventry<br />

als Zeichen der Versöhnung an Gemeinden in Deutschland<br />

weitergegeben, deren Städte und Kirchen inzwischen von<br />

englischen Bombern zerstört waren: etwa an die Marienkirche<br />

in Lübeck und an das Diakonissenhaus in Dresden. Entgegen<br />

der Logik militärischer Vergeltung wie der verständlichen<br />

Tendenz zu politischer D<strong>ist</strong>anzierung fanden so Chr<strong>ist</strong>en zu<br />

Sprache und Zeichen der Versöhnung. – Es bleibt grundlegend<br />

und überraschend, wenn chr<strong>ist</strong>licher Gemeinde in ihrer<br />

Weltverantwortung durch Jesus Chr<strong>ist</strong>us aufgeht, was es heißt,<br />

ganz in der Welt, für die Welt, nicht aus der Welt zu leben.<br />

<strong>Die</strong>se ge<strong>ist</strong>liche Perspektive gewinnt Weltverantwortung von<br />

Chr<strong>ist</strong>en dadurch, dass Chr<strong>ist</strong>us für alle Menschen dahingegeben<br />

und für alle da <strong>ist</strong>. So kommt es zu Wahrnehmung und<br />

Gestaltung differenter Präsenz von Chr<strong>ist</strong>en in ihrer Lebenswelt.<br />

Zu theologischer Orientierung gehört elementar die Unterscheidung<br />

zwischen den Grundrelationen, in denen Menschen<br />

leben: vor andern Menschen und mir selbst, vor der Welt, vor<br />

Gott. Dabei geht es nicht zuletzt um Unterscheidungen, die<br />

Gottes Verhältnis zum Menschen in dessen Verhältnis zur<br />

Welt und zu sich selbst schafft. Damit kommt wie ein Grundzug<br />

theologischer Orientierung so auch der Grundzug ge<strong>ist</strong>lichen<br />

Lebens in den Blick. Was gegenüber der Unmittelbarkeit<br />

des Erlebens samt dem Verwickeltsein in Widersprüche<br />

Abstand und Freiheit gewährt und damit ein neues Verhältnis<br />

mir selbst wie der Welt gegenüber eröffnet, <strong>ist</strong> eine Frage<br />

ge<strong>ist</strong>licher Wahrnehmung und Ex<strong>ist</strong>enz: also des Lebens in<br />

der Welt vor Gott. So sehr ge<strong>ist</strong>liches Leben Zeit und Gestal-<br />

107


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

tung braucht, etwa im Horchen auf die Botschaft der Bibel<br />

und im Beten, hat es nicht primär mit gesonderten Lebensvollzügen<br />

zu tun, vielmehr mit dem Ineinander und Widereinander<br />

von Glauben und Leben – und erwe<strong>ist</strong> sich als Vorgang,<br />

der das ganze Leben verändernd durchdringt. <strong>Die</strong>s entspricht<br />

dem Ge<strong>ist</strong> Jesu, der sich ganz auf das Leben der Menschen,<br />

auf unsere Welt einlässt und darin neues Leben schafft.<br />

Damit kommt es zur Eröffnung ge<strong>ist</strong>esgegenwärtigen Lebens:<br />

dazu, entgegen häufigen Versuchen, abzublenden und auszuweichen,<br />

aufmerksam zu leben, anfechtbar und zuversichtlich,<br />

einsatzbereit und verletzbar zu sein. <strong>Die</strong>s hat mit der Gegenwart<br />

des Ge<strong>ist</strong>es zu tun, der davon befreit, dass ich mich von<br />

der jeweiligen Situation völlig bestimmen lasse oder ihr davon<br />

laufe, weil er zur Präsenz in weitem Horizont befreit.<br />

Von daher kommt als Grundzug und Gehalt ge<strong>ist</strong>lichen<br />

Lebens zur Wirkung: Differenzerfahrung im Zusammentreffen<br />

zwischen eigener Lebenserfahrung und dem Widerfahrnis<br />

des Lebens, das von Jesus Chr<strong>ist</strong>us ausgeht. Als prägnante<br />

Wahrnehmungshilfe solcher Differenzerfahrung, vielmehr<br />

befreiender Erfahrung mit der Erfahrung erwe<strong>ist</strong> sich, was<br />

Paulus zur Ex<strong>ist</strong>enz als Apostel und damit zu chr<strong>ist</strong>licher<br />

Ex<strong>ist</strong>enz schreibt: „Als die Unbekannten, und doch bekannt;<br />

als die Sterbenden, und siehe wir leben; ... als die Traurigen,<br />

aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich<br />

machen“ (2. Korinther 6,9f). Zumal in paradoxen Wendungen<br />

lassen sich manch weitere Wahrnehmungshilfen ge<strong>ist</strong>lichen<br />

Lebens finden. Auch in Kirchenliedern wie etwa mit der<br />

Wendung aus Paul Gerhardts Adventslied: „Als mir das Reich<br />

genommen, da Fried und Freude lacht, da b<strong>ist</strong> du, mein Heil,<br />

kommen und hast mich froh gemacht“ (EG 11,3). Anderen<br />

Menschen und sich selbst die Möglichkeit zu gewähren, für<br />

solche Differenzerfahrung wahrnehmungsfähig zu werden,<br />

führt in einer Vielfalt von Konkretionen dazu, dass das Evangelium<br />

in seiner befreienden Lebensrelevanz aufleuchtet.<br />

Überraschend bleibt, wie viele Menschen im Blick auf solch<br />

befreiende Erfahrung mit ihrer Lebenserfahrung einen Sinn<br />

dafür haben: „Wer unterscheidet, hat mehr vom Leben.“ 22<br />

108


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

Für theologische Argumentationsfähigkeit in der Öffentlichkeit,<br />

wie diese zumal mit dem ephoralen Amt immer wieder<br />

akut wird, braucht es Freiheit, Klarsicht und Mut – knapp gesagt:<br />

Freimut. Dafür bleibt es wegweisend, sich zu vergegenwärtigen,<br />

worin nach Apostelgeschichte 4 und 5 parrhesía<br />

Grund und Quelle findet, nämlich in der Entdeckung: „Man<br />

muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (5,29). Gott<br />

mehr gehorchen als andern Menschen: als den Trends und<br />

Erwartungen, von denen sie sich leiten lassen, wie gegenüber<br />

Ansprüchen, Druck, Verboten, die dabei wirksam werden, –<br />

aber ebenso Gott mehr gehorchen als mir selbst: als meinen<br />

Befürchtungen, Wünschen, Sorgen. Wo Freimut gewonnen<br />

wird, stellt sich zugleich wacher Sinn für differente Präsenz<br />

des Chr<strong>ist</strong>lichen in der Gesellschaft und der jeweiligen<br />

Lebenswelt ein.<br />

Für theologische Urteilsfähigkeit und Orientierung bleibt es<br />

unverzichtbar, wie Luther sagt, „yn die Biblien zulauffen“, um<br />

„alda gericht und urteil“ zu holen 23. „In die Bibel laufen“ –<br />

diese Wendung stellt klar, dass die Kirche die Bibel niemals<br />

nur hinter sich hat (etwa wie ein Prinzip, woraus Folgerungen<br />

zu ziehen wären), vielmehr ständig vor sich hat als Wegweiser<br />

und Kompass. Dabei bleibt es im Hören auf die, wie im aufmerksamen<br />

Auslegen der Schrift entscheidend, darauf zu warten,<br />

zu achten, wie durch ihre Botschaft unser Leben ausgelegt<br />

wird.<br />

Und schließlich als letzte kurze Bemerkung: in aller notwendigen<br />

Bemühung um theologische Orientierung und klarmachende<br />

Lehre liegt es letztlich nicht bei uns, dass dadurch<br />

Menschen zu einleuchtender und befreiender Klarheit kommen.<br />

Hier <strong>ist</strong> zu unterscheiden zwischen notwendiger und<br />

hinreichender Bedingung. <strong>Die</strong> Bemühung um theologische<br />

Orientierung bleibt unausweichlich und eine notwendige<br />

Voraussetzung dafür, dass Menschen merken, was mit der<br />

Botschaft der Bibel und dem chr<strong>ist</strong>lichen Glauben in ihrem<br />

Leben, unserer Welt auf dem Spiel stehen könnte. Doch dass<br />

dies Menschen trifft, ihnen befreiend aufgeht, sie in den wei-<br />

109


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

ten Horizont der Verheißung Gottes führt: die hinreichende<br />

Bedingung dafür verdanken wir (wie dies in CA V oder in<br />

Luthers Auslegung des 3. Artikels im Kleinen Katechismus<br />

angesprochen <strong>ist</strong>) zu unserer Entlastung dem Wirken des<br />

Heiligen Ge<strong>ist</strong>es.<br />

Anmerkungen<br />

1 <strong>Die</strong>se Skizze geht zurück auf einen Beitrag im Studienkurs mit<br />

Ephoren zur Zwischenbilanz in ihrem Amt November 2004 im<br />

Theologischen Studienseminar der Vereinigten Evangelisch-<br />

Lutherischen Kirche Deutschlands (<strong>VELKD</strong>) – und diente dabei der<br />

Rechenschaft über Verantwortung für theologische Orientierung und<br />

kirchliche Lehre anhand verschiedener Situationen, mit denen dies<br />

akut wird, als einer Grundaufgabe im ephoralen Amt.<br />

2 Nach Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Evangelischen<br />

München-Programm von 1996 zeichnete sich ab, dass von den<br />

Mitgliedern der evangelisch-lutherischen Kirche in München ca. 43%<br />

der Gruppe „Kirchenfremde mit selbstdefiniertem Glauben“ zuzurechnen<br />

sind.<br />

3 Wolfgang Huber, Kirche in der Zeitenwende. Gesellschaftlicher<br />

Wandel und Erneuerung der Kirche, 2. Aufl. 1999, 13.<br />

4 Dafür, dass der Wahrheitszuspruch des Evangeliums allen<br />

Menschen gilt, somit universale Bedeutung gewinnt, lassen biblische<br />

Grundmotive hellhörig werden und Klarheit gewinnen: Nach der<br />

Weihnachtsgeschichte <strong>ist</strong> das Evangelium Proklamation „großer<br />

Freude, die allem Volk widerfahren soll“ (Lukas 2,10). – Eine merkwürdige<br />

Korrespondenz entsteht zwischen unserer Sprache, wonach<br />

ein Kind, das geboren wird, „das Licht der Welt erblickt“ und dem<br />

Prolog des Johannes-Evangeliums, worin es vom Wort, das Fleisch<br />

ward, heißt: „Es war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet,<br />

die in diese Welt kommen“ (Johannes 1,9). – Weiter besagt das Wort<br />

vom Kreuz nach Paulus, dass „Gott in Chr<strong>ist</strong>us die Welt (also die<br />

ganze Menschenwelt) mit sich versöhnt hat“ (2. Korinther 5,19). –<br />

Und zur Botschaft des Alten und Neuen Testaments gehört die überraschende<br />

Verheißung Gottes: „Ich ließ mich suchen von denen, die<br />

nicht nach mir fragten, ich ließ mich finden von denen, die mich<br />

110


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

nicht suchten“ (Jesaja 65,1 und Römer 10,20). – Gemäß dem universalen<br />

Wahrheitszuspruch und -anspruch des Evangeliums bestimmt<br />

die 6. Barmer These den „Auftrag der Kirche“ dahin, dass sie „an<br />

Chr<strong>ist</strong>i Statt und also im <strong>Die</strong>nst seines eigenen Wortes und Werkes<br />

durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade<br />

Gottes auszurichten (hat) an alles Volk.“<br />

5 Vgl. Allgemeines Priestertum, Ordination und Beauftragung nach<br />

evangelischem Verständnis (aus dem Theologischen Ausschuss der<br />

<strong>VELKD</strong>). Eine Empfehlung der Bischofskonferenz der <strong>VELKD</strong>:<br />

„Texte aus der <strong>VELKD</strong>“ 130/2004, 17 Anm.47.<br />

6 Martin Luther: „Ecclesia enim est creatura Euangelii, ... ait ...<br />

Paulus: per Euangelium ego vos genui“ – in den Resolutiones zur<br />

Leipziger Disputation von 1519: WA 2;430,6-8.<br />

7 So Luther in seinem Brief an Konrad Cordatus vom 6.7.1530 –<br />

WAB 5;442,12-14: „Mihi vehementer placet vixisse in hanc horam,<br />

qua Chr<strong>ist</strong>us per suos tantos confessores in tanto consessu publice<br />

est praedicatus confessione plane pulcherrima.“ („Ich bin aufs stärkste<br />

davon befriedigt, bis zu dieser Stunde gelebt zu haben, in der<br />

Chr<strong>ist</strong>us durch seine so starken Bekenner in so hoher Versammlung<br />

öffentlich verkündigt worden <strong>ist</strong> durch ein Bekenntnis von schlichtweg<br />

höchster Vortrefflichkeit.“) – Daran schließt sich in diesem Brief<br />

an – 442,14-16: „Et impletur illud: ,Loquebar de testimoniis tuis in<br />

conspectu regum’, implebitur et id, quod sequitur: ,Et non confudebar’.“<br />

(„Da erfüllt sich jenes Wort: ´Ich redete von deinen Zeugnissen<br />

vor Königen`, so wird sich auch das erfüllen, was folgt: ,und wurde<br />

nicht zuschanden’.“ <strong>Die</strong>s aus Psalm 119,46.) Von daher könnte die<br />

Zitation von Psalm 119,46 auf dem Titelblatt der Ed. Princ. der CA<br />

auf Luther zurückgehen.<br />

8 BSLK 834,16-22.<br />

9 Vgl. a.a.O.,834,41-835,2.<br />

10 Vgl. Notger Slenczka, <strong>Die</strong> Bedeutung des Bekenntnisses für das<br />

Verständnis der Kirche und die Konstitution der Kirche in lutherischer<br />

Sicht in: Klaus Grünwaldt und Udo Hahn (Hg.), Profil –<br />

Bekenntnis – Identität. Was lutherische Kirchen prägt, 2003, 17.<br />

11 BSLK 61,4-7.<br />

12 BSLK 767,2.<br />

13 Notger Slenczka (Anm.10), 23.<br />

14 Vgl. BSLK 996,25-997,13.<br />

111


Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />

15 Heinz Zahrnt, Warum ich glaube. Meine Sache mit Gott, 1977,<br />

336.<br />

16 Georg Büchner, Werke und Briefe. Gesamtausgabe, 1967, 55.<br />

17 <strong>Die</strong>trich Bonhoeffer, Ethik, in: <strong>Die</strong>trich Bonhoeffer, Werke 6.<br />

Band, 1992, 160.<br />

18 Eberhard Jüngel, Was <strong>ist</strong> die theologische Aufgabe evangelischer<br />

Kirchenleitung? In: ZThK 91/1994, 201.<br />

19 Wolfgang Huber, Gute Theologie in: Ders. (Hg.), Was <strong>ist</strong> gute<br />

Theologie?, 2004, 44.<br />

20 Vgl. Rudolf Bultmann, Anknüpfung und Widerspruch in: Ders.,<br />

Glauben und Verstehen 2.Band, 1961, 117ff.<br />

21 Friedrich Dürrenmatt, Zusammenhänge. Essay über Israel in:<br />

Friedrich Dürrenmatt, Werkausgabe Bd.29, 1980, 15.<br />

22 Eberhard Jüngel in: Ders., Unterwegs zur Sache. Theologische<br />

Bemerkungen, 1972, 101.<br />

23 Martin Luther, Grund und Ursach aller Artikel D. Martin Luthers,<br />

so durch römische Bulle unrechtlich verdammt sind (1521) – WA<br />

7;317,5-8: „der halbenn uns die not dringt mit aller lerer schrifft yn<br />

die Biblien zulauffen und alda gericht und urteil uber sie zu holen,<br />

den sie <strong>ist</strong> allein der recht lehenherr und me<strong>ist</strong>er uber alle schrifft<br />

unnd lere auff erden.“<br />

112


Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />

Überlegungen zur Profilierung des Amtes des<br />

Superintendenten/der Superintendentin<br />

Martin Schindehütte<br />

I. Das besondere ordinierte Pfarramt<br />

Superintendentinnen oder Superintendenten nehmen als<br />

Ordinierte ein besonderes Pfarramt wahr. Sie sind, wie alle<br />

Pastorinnen und Pastoren, zur Verkündigung des Evangeliums<br />

und zur Darreichung der Sakramente beauftragt. Sie<br />

nehmen in ihrer Verantwortung für den Auftrag der ganzen<br />

Kirche, vergleichbar mit denen eines Pastors oder einer<br />

Pastorin auf der Ebene der Gemeinde, Aufgaben der ge<strong>ist</strong>lichen<br />

Leitung und admin<strong>ist</strong>rativen Führung auf der Ebene<br />

des Kirchenkreises wahr.<br />

<strong>Die</strong>ser pastoralen Grundorientierung entsprechen die geltenden<br />

rechtlichen Bestimmungen. Das Amt des Superintendenten<br />

oder der Superintendentin <strong>ist</strong> in der Evangelisch-lutherischen<br />

Landeskirche Hannovers nach Artikel 53ff KVerf und<br />

§ 55 KKO als Amt der „Aufsicht über die Kirchengemeinden,<br />

die Pfarrämter und die Inhaber kirchlicher Amts- und <strong>Die</strong>nststellungen,<br />

soweit sie im Amt der Verkündigung tätig sind“<br />

definiert. <strong>Die</strong>se Aufsicht geschieht durch Pastorenkonvente<br />

und -konferenzen, durch Visitationen und die Begleitung, Beratung<br />

und Förderung der Fortbildung der im Verkündigungsdienst<br />

stehenden Menschen. Der Superintendent oder die<br />

Superintendentin berichtet darüber dem Kirchenkre<strong>ist</strong>ag. Der<br />

Kirchenkreisvorstand kann im Einvernehmen mit dem Superintendenten<br />

oder der Superintendentin Aufsichtsbefugnisse<br />

an Pastoren oder Pastorinnen oder andere Mitarbeiter übertragen.<br />

Der Superintendent oder die Superintendentin bleibt<br />

gegenüber den Beauftragten weisungsbefugt und kann die<br />

Aufsicht in Einzelfällen persönlich ausüben. Nach § 30 Abs. 1<br />

führt der Superintendent oder die Superintendentin den Vor-<br />

113


Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />

sitz im Kirchenkreisvorstand. Artikel 54 KVerf bzw. § 57<br />

KKO bestimmen, dass das Amt mit einer bestimmten Pfarrstelle<br />

in einer Gemeinde verbunden <strong>ist</strong>.<br />

<strong>Die</strong> KVerf und die KKO gehen durch die Beschreibung der<br />

Aufgaben der „Aufsicht“ offenkundig davon aus, dass Aufsicht<br />

integraler Bestandteil eines Amtes <strong>ist</strong>, das zugleich als<br />

ge<strong>ist</strong>liches Amt verstanden wird, als ein Amt der Verkündigung,<br />

der seelsorgerlichen Begleitung und der theologischen<br />

und pastoralen Qualifizierung der mit der Verkündigung beauftragten<br />

oder sich darauf vorbereitenden Mitarbeitenden.<br />

<strong>Die</strong> Berichtspflicht gegenüber dem Kirchenkre<strong>ist</strong>ag bezieht<br />

sich auf diese Aufgabe. <strong>Die</strong> Wahrnehmung pfarramtlichen<br />

<strong>Die</strong>nstes in einer Gemeinde unterstreicht den Charakter dieses<br />

ge<strong>ist</strong>lichen Amtes. Durch den Vorsitz des Superintendenten<br />

oder der Superintendentin im Kirchenkreisvorstand wird<br />

deutlich, dass die Wahrnehmung rechtlicher und admin<strong>ist</strong>rativer<br />

Funktionen zu dem einen Amt hinzugehört. Es <strong>ist</strong> zu<br />

beachten, das die Bestimmung in ihrer letzten Überarbeitung<br />

aus der Zeit Anfang der siebziger Jahre stammt.<br />

II. Strukturelle Veränderungen<br />

<strong>Die</strong> Entwicklung der letzten mehr als drei Jahrzehnte seit In-<br />

Kraft-Treten der KVerf in der vorliegenden Form hat zu einer<br />

sehr weitgehenden Ausweitung und Ausdifferenzierung der<br />

kirchlichen Arbeit in den Gemeinden, besonders aber auch<br />

auf der Ebene des Kirchenkreises geführt. Viele gemeindliche<br />

Aufgaben, etwa die Jugendarbeit, die Bildungsarbeit und die<br />

diakonische Arbeit sind ohne Koordinierung, Kooperation<br />

und Durchführung auf der Ebene des Kirchenkreises nicht<br />

mehr möglich.<br />

Den Kirchenkreisen sind in den letzten Jahren mit weitreichender<br />

Budget- und Personalplanungsverantwortung zu<br />

Recht und völlig sachgemäß zusätzliche Aufgaben mit großem<br />

Konfliktpotential zugewachsen, die allen für die Leitung eines<br />

114


Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />

Kirchenkreises Verantwortlichen ein erhöhtes Maß von Bereitschaft<br />

zur Übernahme und tatsächlichen Ausübung von<br />

Leitungsverantwortung und zur Austragung von Konflikten<br />

abfordern. <strong>Die</strong> ökonomische Krise der Kirche und der diakonischen<br />

Einrichtungen erfordert erhebliche weitere Leitungsund<br />

Gestaltungsaufgaben.<br />

III. Veränderte Aufgaben im Amt<br />

<strong>Die</strong>se Entwicklung hat das Amt des Superintendenten oder<br />

der Superintendentin in starkem Maße verändert. Zu der Aufgabe<br />

der „ge<strong>ist</strong>lichen Aufsicht“ sind in erheblichem Maße<br />

„Aufgaben der admin<strong>ist</strong>rativen Führung“ mit weitreichender<br />

konzeptioneller, wirtschaftlicher und (arbeits-)rechtlicher Verantwortung<br />

in unselbständigen Einrichtungen, aber auch<br />

rechtlich selbständigen Unternehmen getreten. <strong>Die</strong>s <strong>ist</strong> ein bereits<br />

eingetretenes Faktum und scheint unumkehrbar zu sein.<br />

<strong>Die</strong> Aufgabe von „ge<strong>ist</strong>licher Begleitung“, die auf der Überzeugungskraft<br />

des Wortes und der geschw<strong>ist</strong>erlichen Zugewandtheit<br />

beruhen, und die Vorgesetztenfunktion, in der auch<br />

(rechts-)verbindliche Weisungen unter Umständen auch gegen<br />

den Willen Betroffener gegeben werden müssen, stehen in<br />

einer nicht hinreichend geklärten und gestalteten Spannung<br />

zueinander.<br />

IV. Zum Verhältnis von „ge<strong>ist</strong>licher Leitung“ und „admin<strong>ist</strong>rativer<br />

Führung“<br />

Es gilt darum, die nach wie vor zentrale ge<strong>ist</strong>liche Dimension<br />

des Amtes mit den Aufgaben des „Managements“ in ein<br />

ekklesiologisch verantwortetes Verhältnis zu setzen. Beide<br />

Aufgaben sind kein grundsätzlicher Widerspruch. Sie stehen<br />

auch nicht beziehungslos nebeneinander. Sie sind Teil des<br />

einen Auftrages der Kirche nach CA V, CA VII und CA XIV.<br />

Es <strong>ist</strong> gerade die theologische Herausforderung, die unbedingte<br />

Grundorientierung allen kirchlichen Handelns am<br />

115


Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />

Wort Gottes unter den Bedingungen und Grenzen der gegebenen<br />

Möglichkeiten in vorläufiger und fehlsamer Gestalt<br />

erkennbar und glaubwürdig zum Ausdruck zu bringen.<br />

Gleichwohl muss in dem einen Amt das „kommunikative<br />

Handeln“ in der ge<strong>ist</strong>lichen Leitung vom „disponierenden<br />

Handeln“ der admin<strong>ist</strong>rativen Führung unterschieden werden.<br />

In Fragen der Verkündigung und Seelsorge, in der Praxis gemeinsamen<br />

ge<strong>ist</strong>lichen Lebens kann und darf es auch in Zukunft<br />

keine Direktionsrechte geben. Hier gilt es, allein auf die<br />

geschw<strong>ist</strong>erliche Verständigung und verbindliche Vereinbarung<br />

zu setzen. Zugleich jedoch <strong>ist</strong> der Superintendent oder<br />

die Superintendentin auch <strong>Die</strong>nstvorgesetzter der Pastoren<br />

und Pastorinnen und hat auf die ordnungsgemäße Führung<br />

der Amtsgeschäfte und eine hinreichende Kooperation des<br />

Pastors und der Pastorin mit Mitarbeitenden in der Gemeinde<br />

und für die Belange des Kirchenkreises zu achten. <strong>Die</strong> Jahresgespräche<br />

sind hier ein wichtiges Instrument im Schnittpunkt<br />

und in der Balance von kommunikativem und disponierendem<br />

Handeln. Denn die Teilnahme an Jahresgesprächen <strong>ist</strong><br />

zwar verbindlich, die zu treffenden Zielvereinbarungen werden<br />

aber von dem Gedanken des vertraglichen Konsenses und<br />

nicht der Anweisung bestimmt.<br />

Zugleich machen die Jahresgespräche deutlich, dass den Superintendenten<br />

und Superintendentinnen über ihre herkömmlichen<br />

Aufgaben hinaus zunehmend Aufgaben der Begleitung<br />

des pfarramtlichen <strong>Die</strong>nstes zukommen, die weniger als<br />

<strong>Die</strong>nstaufsicht zu qualifizieren sind, sondern eher in der Tradition<br />

der Visitation stehen. Ziel dieser Begleitung <strong>ist</strong>, an den<br />

mit der Ordination verbundenen gesamtkirchlichen Auftrag zu<br />

erinnern, Wertschätzung zu vermitteln und die Gaben des einzelnen<br />

Pastors und der einzelnen Pastorin zu fördern und zu<br />

entwickeln. Zu prüfen <strong>ist</strong>, ob der Superintendent oder die<br />

Superintendentin für die wirksame Wahrnehmung der Aufgaben<br />

im Bereich der <strong>Die</strong>nstaufsicht hin- reichende rechtliche<br />

Möglichkeiten hat und ob die Aufgaben der Begleitung des<br />

pfarramtlichen <strong>Die</strong>nstes hinreichend klar umschrieben sind.<br />

116


Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />

In der Funktion des <strong>Die</strong>nstvorgesetzten jedoch kann der<br />

Superintendent oder die Superintendentin nicht zugleich<br />

Seelsorger oder Seelsorgerin sein. Aber auch hier gibt es, nicht<br />

nur in Konfliktfällen, selbstverständlich eine seelsorgerliche<br />

Verantwortung. Der Superintendent oder die Superintendentin<br />

muss erforderlichenfalls dafür sorgen, dass ein Pastor<br />

oder eine Pastorin eine andere Person als Seelsorger oder Seelsorgerin<br />

in Anspruch nehmen kann.<br />

<strong>Die</strong> Rolle des oder der <strong>Die</strong>nstvorgesetzten von Pastorinnen<br />

und Pastoren im ordinierten Amt <strong>ist</strong> von der Rolle als <strong>Die</strong>nstvorgesetzte<br />

oder <strong>Die</strong>nstvorgesetzter in privatrechtlichen<br />

<strong>Die</strong>nstverhältnissen zu unterscheiden. Im Verhältnis zu privatrechtlich<br />

beschäftigten Mitarbeitenden des Kirchenkreises<br />

nehmen die Superintendenten und Superintendentinnen im<br />

Namen des Kirchenkreisvorstandes ein Direktionsrecht wahr.<br />

Eine besondere Aufgabe <strong>ist</strong> es, sich als Superintendent oder<br />

Superintendentin der verschiedenen Rollen in ge<strong>ist</strong>licher<br />

Leitung und admin<strong>ist</strong>rativer Führung bewusst zu sein und sie<br />

in den Beziehungen zu den Mitarbeitenden offen zu legen.<br />

<strong>Die</strong> in den verschiedenen Rollen angelegte Spannung <strong>ist</strong> unauflöslich<br />

und Teil der Gestaltungsaufgabe.<br />

V. Zur Bedeutung der <strong>Superintendentur</strong>gemeinde für die<br />

ge<strong>ist</strong>liche Dimension des Amtes<br />

Von besonderer Bedeutung für die Ausformung der ge<strong>ist</strong>lichen<br />

Dimension bleibt die Verankerung in der <strong>Superintendentur</strong>gemeinde.<br />

<strong>Die</strong> Gewichtung zwischen den Aufgaben in<br />

der <strong>Superintendentur</strong>gemeinde und den Aufgaben im<br />

Kirchenkreis <strong>ist</strong> strittig geworden. Nicht selten stehen die Erwartungen<br />

in der <strong>Superintendentur</strong>gemeinde und im Kirchenkreis<br />

unvermittelt nebeneinander und gehen dann in ihrer<br />

Summe über das Maß des zu Le<strong>ist</strong>enden hinaus. Auch im<br />

Blick auf die Bewertung des Gemeindeanteils des Superintendenten<br />

oder der Superintendentin in der Stellenplanung<br />

117


Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />

gibt es Konflikte. Seitens vieler Superintendenten und Superintendentinnen<br />

wird diese Spannung als nicht hinreichend<br />

geklärt und darum als belastend empfunden. <strong>Die</strong> Fülle der<br />

Aufgaben macht es für viele zunehmend schwer, wenn nicht<br />

unmöglich, insbesondere die Aufgaben des pfarramtlichen<br />

<strong>Die</strong>nstes im Rahmen der umfassenden Aufgaben einer anteiligen<br />

Pfarrstelle in einer Gemeinde hinreichend wahrzunehmen.<br />

<strong>Die</strong>s gilt weniger für die Aufgaben des Gottesdienstes<br />

oder die Wahrnehmung einer thematisch oder problemorientierten<br />

Projektarbeit. Hier gibt es hinreichende zeitliche Dispositionsmöglichkeiten.<br />

Es gilt um so mehr bezogen auf den<br />

Gemeindebezirk im Bereich der Seelsorge, der Amtshandlungen,<br />

der Besuche und des Unterrichts. Hier <strong>ist</strong> in vielen<br />

Kirchenkreisen die hinreichende zeitliche Verfügbarkeit des<br />

Superintendenten oder der Superintendentin nicht mehr gegeben.<br />

<strong>Die</strong>s führt häufig zu zusätzlichen und nicht gewichteten<br />

Belastungen des anderen Pastors oder der Pastorin der <strong>Superintendentur</strong>gemeinde.<br />

Es bedeutet vor allem aber Enttäuschungen<br />

der Gemeindeglieder des Gemeindebezirkes der<br />

Superintendentin oder des Superintendenten, die zu oft dann<br />

nicht präsent sein können, wenn es der Anlass verlangt. Es<br />

wird daher gefragt, ob die rechtliche Verpflichtung zu pfarramtlichem<br />

<strong>Die</strong>nst im vollen inhaltlichen Umfang eines Gemeindebezirkes<br />

in jedem Fall aufrecht erhalten werden sollte.<br />

VI. Pfarramtlicher <strong>Die</strong>nst in der Gemeinde<br />

Das Grundanliegen der strengen Verknüpfung der Aufgaben<br />

der Superintendentin oder des Superintendenten mit gemeindlichem<br />

pfarramtlichem <strong>Die</strong>nst liegt in der ge<strong>ist</strong>lichen<br />

Rückbindung an den Verkündigungsauftrag, der Verortung in<br />

einer konkreten Gemeinde und der Verankerung der Aufsichtsaufgaben<br />

in eigenen und unmittelbaren und fortdauernden<br />

Praxiserfahrungen. <strong>Die</strong>ses Grundanliegen bleibt von<br />

wesentlicher Bedeutung. Daher sollte dort, wo die Größe und<br />

Struktur des Kirchenkreises und die daraus folgenden Aufgaben<br />

des Superintendenten oder der Superintendentin dem<br />

118


Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />

nicht entgegenstehen, die Verknüpfung mit einem Seelsorgebezirk<br />

auch in Zukunft aufrechterhalten bleiben. Sie sollte jedoch<br />

in begründeten Fällen aufgehoben werden können. Hier<br />

kann der Superintendent oder die Superintendentin über die<br />

Beteiligung am gottesdienstlichen Geschehen und durch<br />

Projekte und Aufgaben in die Gemeinde eingebunden bleiben,<br />

die sich mit der Zeitstruktur der Aufgaben auf der Ebene<br />

des Kirchenkreises vertragen.<br />

VII. <strong>Die</strong> pastorale Aufgabe im Kirchenkreis<br />

<strong>Die</strong> Verbindung mit pfarramtlichem <strong>Die</strong>nst in der <strong>Superintendentur</strong>gemeinde<br />

<strong>ist</strong> jedoch nicht die einzige Möglichkeit<br />

und das einzige Handlungsfeld, in dem die ge<strong>ist</strong>liche<br />

Dimension des Amtes sich ausdrückt. Das Amt <strong>ist</strong> ja gerade<br />

darauf angelegt, die Mitarbeitenden auch auf der Ebene des<br />

Kirchenkreises durch Verkündigung des Evangeliums, Seelsorge,<br />

theologische Arbeit und geschw<strong>ist</strong>erlichen fachlichen<br />

(und damit auch theologischen) Rat ge<strong>ist</strong>lich zu begleiten.<br />

<strong>Die</strong>se ge<strong>ist</strong>liche Leitung geschieht in Gottesdienst, Gebet, Arbeit<br />

mit der Bibel, theologischem Gespräch zu besonderen<br />

Zeiten und an besonderen Orten. Ge<strong>ist</strong>liche Leitung <strong>ist</strong> aber<br />

auch eine Dimension in den alltäglichen Arbeitsbeziehungen,<br />

in den nicht selten konflikthaften Beratungen und in den<br />

Dilemmata, in die auch kirchliche Arbeit immer wieder gerät,<br />

etwa in der Spannung von Mitarbeiterinteresse und Gemeindebedürfnis,<br />

von persönlicher Neigung und gestelltem<br />

Auftrag. Hier gilt es, die notwendigen sachlichen und rechtlichen<br />

Aufgaben der Leitung als Vorgesetzter im admin<strong>ist</strong>rativen<br />

Sinne theologisch zu reflektieren und zu verantworten.<br />

<strong>Die</strong> spirituelle Dimension auf den verschiedenen Ebenen und<br />

Dimensionen kirchlichen Handelns und in seinen Alltagsbezügen<br />

im Kirchenkreis zu erinnern, zu wecken, zu fördern<br />

und zu gestalten <strong>ist</strong> eine, wenn nicht die zentrale pastorale<br />

Aufgabe des Superintendenten und der Superintendentin. In<br />

der Abwägung des Ressourceneinsatzes kann es hier ange-<br />

119


Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />

messen und sachgerecht sein, zugunsten dieser Aufgabe auf<br />

die Wahrnehmung der vollen pastoralen Aufgabe in einem gemeindlichen<br />

Gemeindebezirk zu verzichten. Eine solche Entscheidung<br />

kann nur im Einvernehmen aller Beteiligten<br />

(Superintendent oder Superintendentin, Kirchenvorstand der<br />

<strong>Superintendentur</strong>gemeinde, Kirchenkreisvorstand, Landeskirchenamt)<br />

getroffen werden.<br />

VIII. <strong>Die</strong> Führungsaufgabe im Kirchenkreis<br />

Der Superintendent oder die Superintendentin muss über seine<br />

ge<strong>ist</strong>liche Leitungsaufgabe auch in die strategischen und<br />

konzeptionellen Führungsaufgaben des Kirchenkreises eingebunden<br />

bleiben. <strong>Die</strong>s gebietet die Notwendigkeit der theologischen<br />

Reflexion und Verantwortung für struktureller<br />

Entscheidungen wirtschaftlicher, rechtlicher und personeller<br />

Art.<br />

Zu fragen <strong>ist</strong> jedoch, wie der Superintendent oder die Superintendentin<br />

von Aufgaben entlastet werden kann, die andere<br />

haupt- aber auch ehrenamtlich Mitarbeitende besser wahrnehmen<br />

können. <strong>Die</strong>s gilt vor allem für Aufgaben wirtschaftlicher<br />

und admin<strong>ist</strong>rativer Art. Dafür müssen die Qualifikationsanforderungen<br />

und die Aufgaben des Kirchenkreisamtes und<br />

insbesondere des Leiters oder der Leiterin des Kirchenkreisamts<br />

genau definiert und ihr Verhältnis zum Amt des Superintendenten<br />

oder der Superintendentin präzise bestimmt sein.<br />

Eine Verschiebung von Entscheidungskompetenzen und<br />

Macht zugunsten des Kirchenkreisamtes <strong>ist</strong> damit nicht notwendig<br />

verbunden. <strong>Die</strong> <strong>Die</strong>nstle<strong>ist</strong>ungsfunktion des Kirchenkreisamtes<br />

für die Organe des Kirchenkreises und den<br />

Superintendenten oder die Superintendentin kann vielmehr<br />

sogar besser pointiert und qualifiziert werden.<br />

Besonderes Augenmerk sollte auf die besonderen Kompetenzen<br />

der ehrenamtlich Mitarbeitenden gerichtet sein. Hier gilt<br />

es, Menschen mit geeigneten beruflichen Qualifikationen zu<br />

120


Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />

gewinnen, die tatsächlich eigenständig Verantwortung im<br />

Rahmen der Kirchenkreisordnung, insbesondere auch im<br />

Kirchenkreisvorstand im Sinne einer Geschäftsverteilung zu<br />

übernehmen in der Lage sind. Zu denken <strong>ist</strong> besonders an<br />

Menschen mit Qualifikationen im Bereich der Pädagogik, der<br />

Ökonomie und des Finanzwesens, des Rechts, der Organisationsentwicklung<br />

und Unternehmensführung.<br />

Für die Entlastung und Konzentration des Amtes der Superintendentin<br />

oder des Superintendenten sollte aber auch verstärkt<br />

von den Möglichkeiten der Delegation von Aufgaben,<br />

wie sie in § 56 Abs. 3 und 4 KKO vorgesehen sind, im Sinne<br />

einer geschw<strong>ist</strong>erlichen und gabenorientierten Arbeitsteilung<br />

Gebrauch gemacht werden. So kann Zeit und Kraft für die<br />

ge<strong>ist</strong>lichen und konzeptionellen Kernaufgaben gewonnen<br />

werden. Eine Aufgabenteilung in der <strong>Superintendentur</strong> geht<br />

freilich mit einer Bereitschaft zur Selbstbegrenzung und dem<br />

vertrauensvollen Teilen von Befugnissen und Macht einher.<br />

Außerdem wirft sie die Frage auf, ob eine Wahl der Stellvertreter<br />

und Stellvertreterinnen im Amt des Superintendenten<br />

oder der Superintendentin allein durch den Pfarrkonvent auf<br />

Dauer eine ausreichende Legitimation für die Wahrnehmung<br />

des Amtes darstellt.<br />

IX. Begleitung im Amt<br />

In den komplexen Aufgaben bedarf der Superintendent oder<br />

die Superintendentin der fachlichen und seelsorgerlichen Begleitung.<br />

Nicht nur für die Pastorinnen und Pastoren sondern<br />

in besonderer Weise für die Superintendenten und Superintendentinnen<br />

liegen hier wesentliche Aufgaben des Landessuperintendenten<br />

oder der Landessuperintendentin. <strong>Die</strong>s <strong>ist</strong><br />

auch in besonderer Weise möglich, da sie nicht unmittelbar in<br />

das Verwaltungshandeln und die Entscheidungsprozesse des<br />

Kirchenkreises eingebunden sind. Sie können theologische<br />

und konzeptionelle Arbeit anregen und zum gottesdienstlichen<br />

und ge<strong>ist</strong>lichen Leben beitragen. Darüber hinaus kön-<br />

121


Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />

nen der Landessuperintendent oder die Landessuperintendentin<br />

als „intermediäre Instanz“ Aktivitäten und Projekte<br />

miteinander verknüpfen und vor allem in Konflikten im<br />

Kirchenkreis vermitteln. <strong>Die</strong>s wird besonders dann wichtig,<br />

wenn der Superintendent oder die Superintendentin mit seiner<br />

oder ihrer Vermittlungsaufgabe an Grenzen stößt oder selber<br />

Teil des Konfliktes <strong>ist</strong>.<br />

Darüber hinaus gibt es weitere Instrumente der Begleitung für<br />

Superintendenten oder Superintendentinnen, etwa Balintgruppen<br />

oder den jährlichen Ephorenkonvent.<br />

X. Vorbereitende Qualifizierung für das Amt des Superintendenten<br />

oder der Superintendentin<br />

Es bleibt dringend geboten, für diese Leitungsaufgabe sorgfältig<br />

zu qualifizieren. <strong>Die</strong> vorhandenen einführenden und begleitenden<br />

Angebote zu Beginn und während des Amtes sind<br />

bewährt und können fortentwickelt werden.<br />

Es bedarf jedoch einer vorgeschalteten Weiterbildung von<br />

Pastorinnen und Pastoren, denen das Amt von ihren<br />

Schlüsselqualifikationen her zugetraut werden kann. <strong>Die</strong>s<br />

wäre ein wesentliches Instrument mittelfr<strong>ist</strong>iger Personalplanung,<br />

um einen Pool von Kandidaten für Leitungsämter in<br />

Kirche und Diakonie aufzubauen.<br />

Das Amt eines Superintendenten oder einer Superintendentin<br />

hat eine große gemeinsame Schnittmenge mit Leitungsaufgaben<br />

in der Diakonie.<br />

Von daher bietet sich ein berufsbegleitender Weiterbildungsstudiengang<br />

für Pastorinnen und Pastoren an. Ein entsprechendes<br />

Angebot sollte als Kooperation geeigneter Träger von der<br />

Landeskirche initiiert werden. Darüber hinaus sollte geprüft werden,<br />

ob und inwieweit ein solches Angebot in Zusammenarbeit<br />

mit anderen Landeskirchen durchgeführt werden kann.<br />

122


XI. Struktur einer <strong>Die</strong>nstordnung für den Superintendenten/<br />

die Superintendentin<br />

Pfarrerschaft<br />

Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />

Förderung des ge<strong>ist</strong>lichen Lebens, der pastoralen und theologischen<br />

Kompetenz<br />

Pfarrkonvente<br />

Einkehrtage<br />

Theologische und pastorale Arbeitskreise<br />

Personalführung und Begleitung<br />

Einführung/Kontaktpflege/Verabschiedung<br />

Visitieren<br />

Personalentwicklung/Fortbildung<br />

Jahresgespräche<br />

Beratung mit Landessuperintendent/Landessuperintendentin<br />

Aufsicht<br />

Kirchengemeinden<br />

Förderung des kirchlichen Lebens<br />

Impulse für das ge<strong>ist</strong>liche Leben (Gottesdienste und Besuche)<br />

Impulse zur Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden<br />

(Parochiale Veränderungen/Regionalisierung)<br />

Impulse für die Arbeit der Gemeinden auf Kirchenkreisebene<br />

Unterstützung in Planungs- und Entscheidungsprozessen<br />

Begleitung und Beratung in der Stellenplanung<br />

Unterstützung bei Besetzung von Pfarrstellen<br />

Aufsicht<br />

Visitation<br />

Bearbeitung von Konflikten<br />

<strong>Superintendentur</strong>gemeinde<br />

Wahrnehmung von pfarramtlichem <strong>Die</strong>nst (im Rahmen einer<br />

Pfarrstelle mit Gemeindebezirk) oder Teilhabe am Ver-<br />

123


Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />

kündigungsdienst und ge<strong>ist</strong>lichen Leben einer Gemeinde<br />

(ohne Gemeindebezirk)<br />

Kirchenkreis<br />

Förderung des kirchlichen Lebens<br />

Impulse für das ge<strong>ist</strong>liche Leben<br />

Begleitung der diakonischen Arbeit<br />

Anregung missionarischer Projekte<br />

Verknüpfung von Schule/Bildung und Kirche<br />

Wahrnehmung ökumenischer Kontakte<br />

Vertretung in der Öffentlichkeit<br />

Kontakte zu kommunalen, politischen und sozialen Körperschaften<br />

Kontakte zu Vertretern des öffentlichen Lebens aus Gesellschaft,<br />

Politik, Kunst und Kultur<br />

Öffentlichkeitsarbeit<br />

Leitung und Verwaltung (Kirchenkreisverwaltung/Kirchenkre<strong>ist</strong>ag)<br />

Beteiligung an der Erfüllung der Aufgaben nach §§ 38,39,42<br />

KKO<br />

Regelung der Übertragung von Befugnissen und Organisation<br />

der Zusammenarbeit (Delegations- und Vertretungsregelungen,<br />

<strong>Die</strong>nstbesprechungen)<br />

Zusammenarbeit mit dem KKA (über dessen Leiter, der präzisierte<br />

Kompetenzen der operativen Zuarbeit hat)<br />

Beschwerde-Instanz im Kirchenkreis (auch Mitarbeitervertretung)<br />

Bericht vor dem Kirchenkre<strong>ist</strong>ag<br />

Mitwirkung an Einrichtungen des Kirchenkreise<br />

Wahrnehmung von Pflichtaufgaben in anderen Einrichtungen<br />

und dienstbezogenen Ehren- und Wahlämtern<br />

124


Sprengel<br />

Ephorenkonferenz<br />

Generalkonvent<br />

Projekte auf Sprengelebene<br />

Landeskirche<br />

Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />

Ephorenkonvent<br />

Zusammenarbeit mit dem Landeskirchenamt<br />

125


126


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

Zum Profil der Ephorien angesichts von<br />

Veränderungsprozessen in den letzten Jahren 1<br />

Volker Weymann<br />

1. Anstöße zur Frage nach dem Profil von Ephorien<br />

Mit der so genannten Verstärkung der mittleren Ebene sind<br />

seit den neunziger Jahren in den Landeskirchen auf die<br />

Ephorien, ihre leitenden Organe und Personen, eine Reihe<br />

neuer Aufgaben zugekommen: wie Verantwortung für Einsparungen,<br />

für Stellen- und Personalplanung, für strukturelle<br />

Reform- bzw. Anpassungs- und damit zugleich konzeptionelle<br />

Klärungsprozesse.<br />

<strong>Die</strong>s verbindet sich in den Ephorien notwendig mit Wahrnehmung<br />

und Verständigung zu Situation und Weg der Gemeinden,<br />

zu Grundaufgaben der Kirche wie zu spezifischen<br />

Herausforderungen in der jeweiligen Lebenswelt, zur Zusammenarbeit<br />

zwischen den Gemeinden und zu regional bzw.<br />

ephoral notwendig gemeinsamer Verantwortung. <strong>Die</strong>se Veränderungen<br />

und damit gewichtige, wie nicht selten zugleich<br />

konfliktträchtige neue Aufgaben provozieren offensichtlich<br />

die Frage nach einem „Wir-Gefühl“ oder auch nach einem<br />

Leitbild, nach spezifischen Kennzeichen bzw. nach dem Profil<br />

in der jeweiligen Ephorie. 2<br />

So sollen hier zunächst aufgrund einer Umfrage Veränderungen<br />

und Suchprozesse in verschiedenen Ephorien in den Blick<br />

kommen (2.). Angesichts dessen wird im Gespräch mit den<br />

gewonnenen Einblicken das Profil der Ephorien von drei<br />

Dimensionen her umrissen: Ephorien als Feld gemeinsamer<br />

Aufgaben (3.), – als Aufsichtsbezirk (4.), – als Gestalt von Kirche<br />

(5.). Dabei geht es nicht um Segmente, vielmehr um<br />

Dimensionen, die sich in Profilbildung bzw. Profil von Ephorien<br />

notwendig gegenseitig herausfordern und überschneiden.<br />

127


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

2. Blick auf Veränderungen und Suchprozesse<br />

Aus einer Umfrage:<br />

Mit einer Anfrage bei 22 Ephorien in sechs Gliedkirchen der<br />

Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands<br />

(außer Mecklenburg und Schaumburg-Lippe) wurde der<br />

Fragebogen zu Kennzeichen von Ephorien angesichts von<br />

Veränderungen in den letzten Jahren aus 13 Ephorien beantwortet.<br />

3 Aufgrund dieser begrenzten empirischen Basis sollen<br />

hier zunächst einige Auskünfte im Überblick akzentuiert werden<br />

und hernach wichtige Aspekte Anstöße geben für Überlegungen<br />

zum Profil von Ephorien.<br />

Zur Größe der Ephorien nach Gemeindegliederzahl und Anzahl<br />

Gemeinden zeigt sich eine beträchtliche Spannweite. So<br />

in westlichen Kirchen: Weißenburg mit 22.400 Gemeindegliedern<br />

in dreißig, Walsrode mit 44.800 in 14, Neumünster<br />

mit 120.000 in 29 Gemeinden. <strong>Die</strong> Zusammenlegung von<br />

Kirchengemeinden und Pfarrbezirken (über Schwesterkirch-<br />

Verhältnisse, Kirchspiele bis hin zu Regionalgemeinden) <strong>ist</strong> in<br />

den östlichen Kirchen deutlich akut: Rudolstadt-Saalfeld mit<br />

41.600 Gemeindegliedern in noch 128 Gemeinden, Altenburg<br />

mit 22.000 in noch 80 Gemeinden, Borna mit 16.000 in 34<br />

Gemeinden, die gegenwärtig auf dem Weg zu 13 Regionalgemeinden<br />

sind. – Dabei <strong>ist</strong> freilich der prozentuale Anteil von<br />

evangelischen Kirchengliedern an der Bevölkerung in der jeweiligen<br />

Ephorie in Betracht zu ziehen: im Osten von Gera<br />

mit ca. 12% über Borna mit ca. 16% bis Rudolstadt-Saalfeld<br />

mit ca. 32%; im Westen von Blankenese mit ca. 40% über<br />

Weißenburg mit ca. 60% (dabei aber 95% in einer Kirche) bis<br />

Kappeln mit 77% (79% in einer Kirche). – Schon damit steht<br />

zu vermuten: Überlegungen zum Profil müssen ebenso<br />

Grundzügen und elementaren Aufgaben einer Ephorie gelten<br />

wie ihrer spezifischen Situation etwa in demographischer<br />

Hinsicht samt geringerer oder stärkerer Minorisierung von<br />

Zugehörigkeit zur Kirche, angesichts besonderer Herausforderungen<br />

von außen wie innen und in Korrespondenz mit<br />

dem sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen Kontext.<br />

128


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

Wieweit sind die Ephorien durch Zusammenlegung mehrerer<br />

früherer entstanden? Von sechs der befragten Ephorien in<br />

westlichen Gliedkirchen sind zwei durch Zusammenlegung<br />

von früher zwei allerdings schon vor über dreißig Jahren, entstanden:<br />

Weißenburg (1969 mit sehr kleinem Nachbar-Dekanat<br />

Thalmässing) und Kappeln (1971 im Zuge der politischen<br />

Kreis- und Gemeindereform). Freilich <strong>ist</strong> dies (abgesehen von<br />

Bayern) für Ephorien in westlichen Gliedkirchen nicht<br />

typisch. Denn: in Hannover sind in den letzten Jahren eine<br />

Reihe von Ephorien zusammengelegt und vergrößert worden<br />

– und in Nordelbien steht eine beträchtliche Verringerung der<br />

Propsteien und so deren Vergrößerung an: so sollen bis 2008<br />

etwa mit Blankenese drei weitere Kirchenkreise verbunden<br />

werden. – Von den sechs befragten Ephorien in östlichen<br />

Gliedkirchen sind in den letzten fünf bis zehn Jahren vier<br />

durch Zusammenlegung entstanden: Altenburg und Rudolstadt-Saalfeld<br />

aus drei, Gera und Löbau-Zittau aus zwei früheren<br />

Ephorien. Gründe dafür sind hier durchwegs:<br />

Sparmaßnahmen, Stellenreduktion, Strukturanpassung. – Zumal<br />

da, wo sich evangelische Kirche in zugespitzter<br />

Minoritäts-Situation befindet, wirkt sich die Entstehung der<br />

Ephorie aus mehreren früheren auch dahin aus, dass Entwicklung<br />

eines Kirchenkreisbewusstseins bzw. eines Verständnisses<br />

von auch übergemeindlicher Kirche (etwa in Gera<br />

und Löbau-Zittau) als entscheidende ephorale Aufgabe angesehen<br />

wird.<br />

Mit Vergrößerung von Kirchenkreisen wie mit der so genannte<br />

Verstärkung der mittleren Ebene wurde schon wegen der<br />

Arbeitskapazität die Frage akut, wieweit (auch bei Installation<br />

stellvertretender Ephoren) das ephorale Amt mit einem<br />

begrenzten Gemeindepfarramt verbunden bleiben kann.<br />

Dabei zeichnet sich gegenwärtig folgende Bandbreite ab:<br />

Borna 50:50, Weißenburg 58:42, Walsrode 60:40, Thüringer<br />

Ephorien im Übergang zu 75:25 ab 2008, in Nordelbien ohne<br />

bestimmtes Gemeindepfarramt, jedoch mit Predigtstätte in<br />

einer Kirchengemeinde und Zuordnung zu deren Kirchenvorstand.<br />

– Damit entsteht die Frage, welche Gestalt das (nach<br />

129


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

CA XXVIII) gerade auch ephorale Grundamt finden bzw. wie<br />

sich dies auf Verständnis wie Gestaltung der Ephorie auch als<br />

einer Gestalt von Kirche auswirken wird.<br />

<strong>Die</strong> Reduktion von Stellen im Verkündigungsdienst verändert<br />

einschneidend die Konstellation von Kirchengemeinden,<br />

erfordert verstärkt Kooperation im Kirchenkreis und stellt<br />

insgesamt eine besondere konzeptionelle wie menschliche<br />

Herausforderung der Ephoren wie der zuständigen Gremien<br />

in der Ephorie (vor allem Kirchenkreissynode wie –Vorstand<br />

und Strukturausschuss) dar. Hier steigt in den westlichen<br />

Gliedkirchen die Dramatik von Süden nach Norden. In<br />

Weißenburg musste um eine Pfarrstelle auf 18,5 Stellen reduziert<br />

werden – bei Erhöhung einer Stelle für Religionspädagogik<br />

von 0,5 auf eine; so sehr dies bei zeitweilig fünf<br />

Vakanzen „mörderisch auch für den Dekan“ wurde, war dort<br />

ab Herbst 2004 „Land in Sicht“. <strong>Die</strong> Stellenreduktion in<br />

Walsrode auf 16,75 Pfarrstellen (bei doppelt soviel<br />

Gemeindegliedern und halb soviel Gemeinden wie in Weißenburg)<br />

erwies sich als „dramatisch“. In Nordelbien stehen<br />

Stellenreduktionen „auf allen Ebenen in einschneidender<br />

Weise an“. In Sachsen und Thüringen bedeutet einschneidende<br />

Reduktion: in der Ephorie Altenburg von jetzt 36,5 Pfarrstellen<br />

bis 2008 auf 32,5 und bis Ende 2012 auf 25<br />

Pfarrstellen, in Borna von 28,5 Stellen 1998 auf jetzt 17,75<br />

„VzÄ“ (Vollzeit-Äquivalente), in Pirna von 40 Pfarrstellen bis<br />

1997 auf jetzt 25, bis 2005 mit weiterer Reduktion um 1,5<br />

Pfarr-, 1,7 Gemeindepädagogen- und 1,5 Kantoren-Stellen.<br />

Nicht nur in den östlichen Gliedkirchen, sondern etwa auch in<br />

Nordelbien sind Stellenreduktionen in der Kirchenmusik heftig<br />

im Gang. – Mit solchen Reduktionen stellt sich die Frage,<br />

wie mit merklich weniger Kräften in unausweichlich missionarischer<br />

Situation das Evangelium unter die Menschen<br />

gebracht werden kann. Zudem steigt die Beanspruchung der<br />

ephoral Verantwortlichen durch finanzielle, strukturelle,<br />

menschliche Herausforderungen samt unvermeidlicher<br />

„Trauerarbeit“ und verschärft sich die Aufgabe, mit geringer<br />

werdenden Mitteln prospektive Wege zu bahnen. – Von daher<br />

130


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

einige Auskünfte, worin angesichts dessen entscheidende<br />

ephorale bzw. regionale Aufgaben gesehen werden:<br />

– Gera: ephoral – „Öffentlichkeitswirksamkeit der Gemeinden“<br />

und „Verständnis der Kirche als auch übergemeindlich“,<br />

regional – „Profil finden und stärken“ und „Mut zur Lücke“.<br />

– Neumünster: ephoral – „gerade auch hier ge<strong>ist</strong>liche<br />

Leitung!“, „Themen und Herausforderungen außerhalb des<br />

Strukturprozesses im Blick und wach halten, thematisieren“,<br />

regional – „an einem Bewusstsein für das Ganze der Kirche<br />

arbeiten“.<br />

– Walsrode: „ge<strong>ist</strong>liche Leitung“, „MitarbeiterInnenleitung“,<br />

„Interne Kommunikation stärken“, „Bearbeitung von Konflikten“<br />

und „Interessenausgleich“.<br />

– Löbau-Zittau: ephoral – „Gewinnung Ehrenamtlicher für<br />

Gemeinden und Ephorie“, „Sortieren der Arbeit nach lohnenden<br />

Neuansätzen und auslaufenden Bereichen ohne weitere<br />

Investition“, regional – „Finden der regionalen Schwerpunkte“.<br />

Verbunden mit der Verringerung hauptamtlicher wie teilzeitlicher<br />

Kapazitäten in Kirchengemeinden wie mit der Vergrößerung<br />

von Kirchenkreisen und Minorisierungsprozessen<br />

der Kirchenzugehörigkeit wird Kooperation auf der Ebene<br />

von Regionen wie des Kirchenkreises verstärkt notwendig.<br />

Dazu gehören nicht erst neuerdings in allen befragten<br />

Ephorien diakonische Aufgaben (teils auch mit Nachbarkirchenkreisen)<br />

samt Krankenhaus-, Altersheim- und Notfallseelsorge.<br />

Was die Angaben aus westlichen Gliedkirchen<br />

betrifft, kommt in Nordelbien dazu verstärkt die Regionalisierung<br />

von Mitarbeitenden-Stellen auch in der Kirchenmusik,<br />

um qualifizierte Arbeitsplätze zu ermöglichen. In den östlichen<br />

Gliedkirchen werden darüber hinaus auch Aufgaben,<br />

die bisher ihren Ort primär in Ortsgemeinden hatten, zunehmend<br />

regional wahrgenommen: so Kinder-, Konfirmandenund<br />

Jugendarbeit, aber auch Gottesdienste, missionarische<br />

Projekte, Freizeiten und Rüstzeiten mit Kirchenvorständen<br />

oder Öffentlichkeitsarbeit über regionale Gemeindebriefe.<br />

131


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

2.1. Einschneidende Veränderungen – prospektiv aufgenommen:<br />

in der Ephorie Borna<br />

Bei der Umfrage zeigte sich, dass die Ephorie Borna mit besonders<br />

einschneidenden Veränderungen zu schaffen hat,<br />

diese aber zugleich erstaunlich prospektiv aufzunehmen sucht.<br />

Dazu soll hier aufgrund von zwei Dokumenten berichtet werden:<br />

„Gegebenheiten sehen – ohne Furcht handeln im Kirchenbezirk<br />

Borna: Wegmarkierung ins Jahr 2020. Konzeption“<br />

– beschlossen durch die Kirchenbezirkssynode<br />

Borna mit 4/5 Mehrheit im Juni 2004 (A.); der Weg dahin<br />

wurde eröffnet durch eine „Konzeptionelle Visitation im Kirchenbezirk<br />

Borna 1999 bis 2001“ (B.). Damit liegt eine<br />

Grundsatzentscheidung zu einem neuen Kirchenbezirks-Modell<br />

vor, das für die ganze Landeskirche in Sachsen Erprobungscharakter<br />

trägt (so A., S. 5).<br />

<strong>Die</strong> prospektive Ausrichtung <strong>ist</strong> schon mit dem biblischen<br />

Leitwort signalisiert: „Gott will, dass allen Menschen geholfen<br />

werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1.<br />

Timotheus 2,4), – und dem daraus folgenden Leitmotiv: „In<br />

der Nachfolge unseres Herrn Jesus Chr<strong>ist</strong>us sehen wir in dieser<br />

Aussage das Leitmotiv für unser Handeln im Kirchenbezirk<br />

Borna. Unser Auftrag richtet sich an alle Menschen, nicht<br />

nur an unsere Kirchgemeindeglieder. Wir sehen den Sinn<br />

unserer Ex<strong>ist</strong>enz darin, allen Menschen in Wort und Werk die<br />

frohe Botschaft Gottes zu vermitteln.“ (A., S. 1)<br />

Zu den herausfordernden Gegebenheiten dort gehören folgende<br />

Zahlen und Relationen: Für 23.000 Gemeindeglieder<br />

waren 1998 in 54 Gemeinden noch 28 Pfarrer zuständig, ab<br />

1999 zunächst in 13 Regionen nur noch 17,75 Pfarrer, zuzüglich<br />

Superintendent. Nach genauer Zählung hatte sich im Jahr<br />

2003 die Gemeindegliederzahl auf 15.700 verringert. Dabei<br />

gehören 16,26% (mit örtlichen Unterschieden von acht bis<br />

42%, in der Stadt Borna mit 10,52%) zur evangelischen – und<br />

insgesamt 22% zu einer Kirche. Dass die Zahl evangelischer<br />

Kirchenglieder über vier Jahre um 7.300 abgenommen hat,<br />

132


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

ergab sich (neben ungenauen Ausgangszahlen 1998) aus folgenden<br />

Gründen: durch Abwanderung (seit 1990 haben zwischen<br />

30 und 35% der Bevölkerung den Leipziger Landkreis<br />

verlassen, davon etwa die Hälfte im Alter zwischen 18 und 30<br />

Jahren), durch Überalterung und fehlende wirtschaftliche<br />

Perspektiven in der Region.<br />

Angesichts dieser demographischen, wirtschaftlichen, sozialen<br />

Entwicklungen samt ihrer Auswirkung auf Anzahl und Alter<br />

der Gemeindeglieder wie angesichts der Stellenreduktionen:<br />

im Pfarramt noch 17,75, in der Berufsgruppe der Gemeindepädagogen<br />

ebenso gravierend mit noch 7,25 VzÄ (Vollzeit-<br />

Äquivalenten) sowie in der Kirchenmusik bei 1,7 VzÄ B- und<br />

3,89 C-Stellen kann eine weitere Verringerung keinen Sinn<br />

mehr haben. Denn für die Mitarbeitenden heißt dies: „Schon<br />

jetzt <strong>ist</strong> bei den me<strong>ist</strong>en Pfarrern und den andern Mitarbeitern<br />

im Verkündigungsdienst eine psychische Überlastung festzustellen.<br />

<strong>Die</strong> Differenz zwischen dem von anderen und sich<br />

selbst gesetzten Berufsanspruch und den tatsächlichen Umsetzungsmöglichkeiten<br />

<strong>ist</strong> auf die Dauer unerträglich groß.“<br />

Damit wurde zugleich als elementarer Impuls für die<br />

Neugestaltung des Kirchenbezirks deutlich: „Auch wenn eine<br />

Personalreduzierung in der Landeskirche ökonomisch geboten<br />

<strong>ist</strong> ..., <strong>ist</strong> sinnvolle Arbeit in den herkömmlichen Strukturen<br />

im Kirchenbezirk Borna weder zu erwarten noch zu<br />

verantworten.“ (A., S. 3)<br />

Damit hat sich als Zielrichtung ergeben: „Der Kirchenbezirk<br />

entwickelt ein Konzentrationsmodell und bleibt als regionale<br />

kirchliche Bezugsgröße erhalten. Er muss dabei jedoch zunehmend<br />

bisherige Parochialaufgaben übernehmen.“ (A., S.3) So<br />

sind gegenüber 54 Kirchgemeinden bis 1998 zunächst durch<br />

Schwesterkirchverhältnisse und Kirchspiele 34 Gemeinden<br />

entstanden, die in 13 Regionen (nun im weiteren „Gemeinden“<br />

genannt) einander neu zugeordnet wurden. Jede der 13<br />

Regionalgemeinden erhält 1 Pfarrer bzw. 1 Pfarramt (nach<br />

eigener Finanzierungsmöglichkeit mit teilzeitlicher Pfarramtssekretärin).<br />

– <strong>Die</strong>s führt letztlich zur Auflösung des bisherigen<br />

133


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

Parochialsystems und zu dessen Überleitung in den neu gestalteten<br />

Kirchenbezirk mit seinen 13 Gemeinden. Dazu wird<br />

vermerkt: „<strong>Die</strong> bisherigen kirchlichen Organisationsformen<br />

(z.B. das Parochialsystem) sind h<strong>ist</strong>orisch gewachsen, aber für<br />

die Ex<strong>ist</strong>enz der Kirche (vgl. CA VII) nach lutherischem Verständnis<br />

nicht zwingend erforderlich.“ (A., S. 2)<br />

Dabei <strong>ist</strong> die Intention leitend, Perspektiven zu gewinnen und<br />

zu gestalten: „Eine Aufgabenkonzentrierung im Kirchenbezirk<br />

Borna entsprechend den Gegebenheiten <strong>ist</strong> nicht als<br />

resigniertes Zurückziehen und Zusammenlegen misszuverstehen.<br />

Sie besagt vielmehr ... ein verantwortliches Reagieren<br />

unter veränderten Rahmenbedingungen. Bei der vorauszusetzenden<br />

Überzeugung vom „eigenen Produkt“ gilt es zunächst,<br />

dem Bedarf gerecht zu werden, dann die Mitarbeiter zu motivieren<br />

und sie dabei nicht zu überlasten. Mit den Ressourcen<br />

<strong>ist</strong> verantwortlich umzugehen.“ (A., S. 4)<br />

Folgende Veränderungen werden rechtlich wirksam:<br />

– Das Personalzuweisungsrecht für die Pfarrstellen geht an<br />

den Kirchenbezirk und somit an dessen Synode.<br />

– Gemeindegliederzahlen werden zwischen den 13 Gemeinden<br />

des Kirchenbezirks nicht mehr gegeneinander ausgespielt.<br />

– <strong>Die</strong> landeskirchliche Sachkostenzuweisung geht weiterhin<br />

gemeindegliederbezogen an die Gemeinden. Gemeinsam entstehende<br />

Sachkosten haben die Gemeinden im Umlageverfahren<br />

zu tragen.<br />

– <strong>Die</strong> Bildung von Ortsausschüssen, welche die Beratungen<br />

des Kirchenvorstands der (Regional-)Gemeinde vorbereiten,<br />

wird empfohlen.<br />

– Zwischen notwendig gemeindenaher und sinnvoll zentralisierbarer<br />

Verwaltung wird unterschieden.<br />

– Der Organisations-, Sitzungs- und Verwaltungsaufwand<br />

innerhalb der 13 Gemeinden <strong>ist</strong> zugunsten der inhaltlichen<br />

Gemeindearbeit drastisch zu reduzieren. Deshalb sind<br />

Schwesterkirchverhältnisse bis Ende 2005 in Vereinigungen<br />

oder Kirchspiele zu überführen. Bis dahin treten die Gemeinden<br />

spätestens dem Kirchgemeindeverband Borna bei.<br />

134


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

Inzwischen sind zusätzlich zu den 13 Gemeindepfarrstellen<br />

und dem Superintendenten zwei Ephoralpfarrer vorgesehen:<br />

damit Vakanzen, Urlaubs- und Krankheitsvertretungen, Veranstaltungskonzentrationen<br />

ausgeglichen und Spezialaufgaben<br />

(z.B. Krankenhausseelsorge, Jugendpfarrer) überhaupt noch<br />

wahrgenommen werden können. Zudem müssen Gemeindepfarrer<br />

neben ihrer Gemeindearbeit (Pflicht) die Möglichkeit<br />

haben, gemäß Neigung und Begabung Spezialaufgaben (Kür)<br />

für den gesamten Kirchenbezirk zu übernehmen (z.B.<br />

Qualifizierung der Lektoren). Übernahme einer Spezialaufgabe<br />

wird mit fest vereinbarter Entlastung durch einen Ephoralpfarrer<br />

im Bereich der Gemeindeaufgaben abgegolten.<br />

Obgleich die Gemeindepfarrer künftig 4 bis 5 Kirchen in<br />

ihrem Verantwortungsbereich haben, findet „in jeder Gemeinde<br />

grundsätzlich an jedem Sonntag und an jedem kirchlichen<br />

Feiertag wenigstens ein Gottesdienst statt“ (A., S. 5). Der<br />

Schwerpunkt wird auf liebevoll vorbereitete, eher regionale<br />

Gottesdienste gelegt. In jeder Kirche findet wenigstens einmal<br />

im Monat ein Gottesdienst statt. Dabei stellen unterschiedliche,<br />

auch kleinere Gottesdienstformen eine Bereicherung dar.<br />

Für den agendarischen Gottesdienst wird im Kirchenbezirk<br />

ein gemeinsames Modell entwickelt. <strong>Die</strong> Lektorenarbeit <strong>ist</strong><br />

mit entsprechender Qualifizierung weiter zu fördern.<br />

Als Gemeinschaftsaufgaben sind im Kirchenbezirk zu gestalten:<br />

die Kinder- und Jugendarbeit mit qualifizierten Gemeindepädagogen<br />

(auch für Erwachsenen- und Seniorenarbeit<br />

zuständig); die Kirchenmusik mit „Kirchenbezirksblick“ samt<br />

ehrenamtlichen „Eckpersonen“, damit Orgeln und Gesang an<br />

den vielen Orten nicht verstummen; missionarische Schwerpunkte,<br />

die aber die notwendige missionarische Arbeit vor Ort<br />

nicht ersetzen können; Öffentlichkeitsarbeit mit Entwicklung<br />

eines Kirchenbezirksbewusstseins nach innen und außen –<br />

und dem Ziel einer gemeinsamen Kirchenbezirkszeitung (evt.<br />

mit regionaler Einlage). Neu eingeführt, qualifiziert und mit<br />

öffentlicher Anerkennung versehen wird das Ehrenamt des<br />

Kurators. <strong>Die</strong>ser <strong>ist</strong> (evt. als Mitglied des Kirchenvorstands)<br />

135


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

verantwortlich für die jeweilige Kirche vor Ort als ge<strong>ist</strong>lichem<br />

Ausstrahlungszentrum. Der Kurator wohnt in Nähe der<br />

Kirche, erhält eine Aufwandsentschädigung und wird im<br />

Kirchenbezirk regelmäßig weitergebildet.<br />

<strong>Die</strong> Zusammenarbeit mit Partnern, dabei auch eigenen<br />

„Kraftzentren“ im Kirchenbezirk <strong>ist</strong> unerlässlich: so mit dem<br />

Diakonischen Werk Borna, der Evang. Heimvolkshochschule<br />

Kohren-Sahlis, der Evang. Fachschule für Sozialwesen in Bad<br />

Lausick, den kirchlichen Fördervereinen, auch der Musikschule<br />

etc.<br />

Um Wege zu konzeptionellem, theologisch bedachtem Handeln<br />

in den neuen Regionen bzw. Gemeinden vorzubereiten<br />

und anzubahnen, wurde in diesen von 1999 bis 2001 eine<br />

„konzeptionelle Visitation“ durchgeführt. Dabei wurde der<br />

Blick auf missionarische, seelsorgerliche, kommunikative,<br />

ge<strong>ist</strong>lich-theologische, diakonische Merkmale gerichtet und<br />

auf rechtliche wie finanzielle Verantwortung.<br />

Bei alledem gilt in der Ephorie Borna „Mitarbeiterpflege als<br />

Kerninvestition“ (A., S. 8): mit Qualifizierung und Wertschätzung<br />

von Ehrenamtlichen, Mitarbeiterjahresgesprächen<br />

mit allen hauptamtlichen <strong>Die</strong>nstgruppen, mit „Auszeiten“ zur<br />

Fortbildung und Qualifizierungsverpflichtung, mit Einbeziehung<br />

und Wertschätzung der Ruheständler.<br />

3. <strong>Die</strong> Ephorie als Feld gemeinsamer Aufgaben<br />

Ephorien finden eine Dimension ihres Profils als Feld<br />

gemeinsamer Aufgaben und deshalb notwendiger Kooperation<br />

(zwischen Gemeinden, in der Region, in der Ephorie).<br />

<strong>Die</strong>s <strong>ist</strong> keineswegs erst neuerdings akut, vielmehr schon in<br />

den Rechtssammlungen bzw. den Verfassungen der Kirchen 4<br />

umschrieben. So heißt es in der Verfassung der Nordelbischen<br />

Kirche I-100, Art. 25: „(2) Der Kirchenkreis nimmt die Aufgaben<br />

wahr, die den örtlichen Bereich der Kirchengemeinden<br />

136


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

überschreiten. (3) Der Kirchenkreis unterstützt und ergänzt<br />

die kirchliche Arbeit in den Kirchengemeinden. Er fördert das<br />

Zusammenwirken in den Arbeitsbereichen und sorgt für<br />

einen Ausgleich der Kräfte und Lasten.“ Oder in der<br />

Verfassung der Landeskirche Hannovers Art. 50: „(1) Der<br />

Kirchenkreis <strong>ist</strong> der Zusammenschluß der Kirchengemeinden<br />

seines Bereiches... (2) Als selbständige kirchliche Körperschaft<br />

soll der Kirchenkreis die Arbeit der Kirchengemeinden fördern<br />

und die gemeinsame Erfüllung besonderer kirchlicher<br />

Aufgaben anregen.“ Oder in der Verfassung der Kirche in<br />

Bayern Art. 27: „(1) Der Dekanatsbezirk dient der Zusammenarbeit<br />

der ihm zugehörigen Kirchengemeinden und<br />

der kirchlichen Einrichtungen und <strong>Die</strong>nste sowie der Erfüllung<br />

gemeinsamer, auch den örtlichen Bereich überschreitender<br />

Aufgaben.“ – Gewisse Unterschiede zeigen sich darin,<br />

ob der Kirchenkreis bzw. der Dekanatsbezirk primär die Arbeit<br />

der Kirchengemeinden fördern soll (so in Hannover) oder<br />

primär ihrer Zusammenarbeit dient (so in Bayern) oder primär<br />

übergemeindliche Aufgaben wahrnimmt (so in Nordelbien).<br />

<strong>Die</strong>se unterschiedlichen Akzentuierungen nach der jeweiligen<br />

Verfassung prägen nach meiner Beobachtung weithin auch<br />

faktisch Prioritäten wie Perspektiven in der Wahrnehmung der<br />

Aufgaben auf ephoraler Ebene. Doch geht es in den Ephorien<br />

jeder Kirche sowohl um Anregung, Förderung, Unterstützung<br />

der Arbeit in den Kirchgemeinden wie um<br />

gemeinsame Erfüllung von Aufgaben, die den örtlichen Bereich<br />

überschreiten, und so um notwendige Zusammenarbeit<br />

mit – wie zwischen – den Gemeinden und an besonderen<br />

kirchlichen Aufgaben. Dabei kommen neben den Gemeinden<br />

auch weitere kirchliche Einrichtungen und funktionale<br />

<strong>Die</strong>nste in den Blick.<br />

Wichtige rechtliche und strukturelle Voraussetzungen für die<br />

Kooperation in der Ephorie sind mit den zuständigen Gremien<br />

gegeben, in denen die Kirchengemeinden notwendig vertreten<br />

sind: mit der Kirchenkreis-Synode (hier liegt in 16<br />

EKD-Kirchen der Vorsitz bei den Ephoren), dem Kirchenkreis-Vorstand<br />

(hier ephoraler Vorsitz in 18 der EKD-Kir-<br />

137


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

chen) 5 und in entsprechenden Ausschüssen. Mit der so<br />

genannten „Verstärkung der mittleren Ebene“ bzw. durch die<br />

Verknappung der Mittel liegen bei diesen Gremien verstärkt<br />

Aufgaben der Finanz- und Stellenplanung, der Strukturanpassung<br />

und nicht zuletzt damit auch Fragen konzeptioneller<br />

Planung, diese gelegentlich verbunden mit Leitbild-Prozessen.<br />

Nicht umsonst wird mit der zunehmenden Beanspruchung<br />

durch Aufgaben admin<strong>ist</strong>rativer Führung und struktureller<br />

Gestaltung zugleich die Frage nach „ge<strong>ist</strong>licher Leitung“<br />

akut. 6 Daher erwe<strong>ist</strong> sich – wie für die Ephoren so für alle<br />

Verantwortlichen in den gewählten Gremien und in den Ausschüssen<br />

– die Verantwortung als unausweichlich, in allem<br />

notwendigen „Management“ ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung zu<br />

praktizieren, also zu führen und zu leiten. 7<br />

Aus der erwähnten Umfrage <strong>ist</strong> – wie angedeutet (s.o. 2.1 und<br />

2.2) – zu ersehen: Je größer die Ephorien werden (sei es im<br />

Blick auf die Zahl der Gemeindeglieder und Gemeinden, sei<br />

es im Minorisierungsprozess mit Ausdehnung in der Fläche),<br />

desto wichtiger wird um sach- und situationsgemäßer Kommunikation<br />

wie Kooperation willen eine Regionalisierung der<br />

Ephorie. Je minoritärer die Zugehörigkeit zur Kirche wird,<br />

desto unausweichlicher wird es zudem, Kirchengemeinden zusammenzulegen<br />

bis hin zu Regionalgemeinden wie in der<br />

Ephorie Borna. Damit sind dann auch manche bisher parochiale<br />

Aufgaben auf regionaler bzw. ephoraler Ebene wahrzunehmen.<br />

Um Gesichtspunkte für die Regionalisierung in einer westlichen<br />

Ephorie zu erwähnen, die durch Zusammenlegung aus<br />

2 Kirchenkreisen entstanden <strong>ist</strong>, aus dem entsprechenden<br />

„Projektbericht“ des Kirchenkreises Hildesheim-Sarstedt vom<br />

Herbst 2002, wo die Regionalisierung statt auf die Varianten<br />

Dachverband oder Großgemeinde auf einen „Gemeindeverbund“<br />

hinaus läuft: „<strong>Die</strong> Region führt kein Eigenleben. Sie<br />

ex<strong>ist</strong>iert nur in, für und mit den daran beteiligten Gemeinden.<br />

Sie hat das Potential, Aufgaben zu übernehmen, mit denen<br />

vor allem kleinere Gemeinden heute schon überfordert sind.<br />

138


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

Insofern <strong>ist</strong> die Region ein Werkzeug, das Profil der einzelnen<br />

Gemeinden zu schärfen.“ Und: „Kirche <strong>ist</strong> mehr als Gemeinde.<br />

Verschiedene Gemeinden können ihre Stärken in die Region<br />

einbringen und in einem solidarischen Miteinander leichter<br />

ein le<strong>ist</strong>ungs- und zukunftsfähiges Leitbild entwickeln.“ 8 Damit<br />

stellt sich die Aufgabe, die signalisierte Spannung: Region<br />

im <strong>Die</strong>nst der Gemeinden/Gemeinden im <strong>Die</strong>nst der Region<br />

zu einem gegenseitig produktiven Verhältnis zu gestalten.<br />

Nach Auskünften aufgrund der Umfrage (s.o. 2.1) wird<br />

Kooperation in der Ephorie einerseits notgedrungen gefördert<br />

durch Stellenreduktion und finanziellen Druck, <strong>anders</strong>eits<br />

prospektiv durch Visitation (bis hin zur „konzeptionellen<br />

Visitation“ wie in der Ephorie Borna: s.o. 2.2), ebenso durch<br />

Gemeindeberatung, aber auch (so etwa in der Ephorie Gera<br />

mit besonders scharfer Minoritätssituation) gelegentlich durch<br />

den Mitarbeiter- und Pfarrkonvent. 9 – Was die Bedeutung des<br />

Konvents für Kooperation in der Ephorie bzw. Region betrifft,<br />

kann hier ein durchaus pragmatischer Grund wirksam<br />

werden: Geht es doch mit Stellenabbau und Vergrößerung der<br />

Gemeinden nicht mehr allein um Kanzeltausch und Vakanzvertretung,<br />

vielmehr sinnvoller Weise mit Berücksichtigung<br />

unterschiedlicher Gaben um wechselseitige Schwerpunktbildung,<br />

von daher bei vielen Aufgaben um Zusammenarbeit<br />

und gegenseitige Aushilfe. Dabei kann und muss deutlicher als<br />

oft bisher Klarheit und gegenseitige Ermutigung entstehen:<br />

wir sind mit unterschiedlichen Gaben an derselben Sache. Was<br />

gemeinsame Aufgaben in der Ephorie (bzw. in der Region)<br />

betrifft, wurde aufgrund jener Umfrage schon einiges erwähnt<br />

(s.o. 2.1: f.), was hier erinnert und fortgeführt werden soll:<br />

Kirchenmusik, Kinder- und Jugendarbeit, Erwachsenenbildung;<br />

Beziehung zwischen unverzichtbar gemeindenaher<br />

und stärker professionalisierter Diakonie, weiter funktionale<br />

<strong>Die</strong>nste der Seelsorge und Beratung; Öffentlichkeitsarbeit<br />

nach innen und außen; Fortbildung mit Lektoren, Prädikanten,<br />

Kirchenvorständen; gemeinsame Projekte in missionarischer,<br />

sozialdiakonischer, kirchenmusikalischer, erwachsenenbildnerischer<br />

Hinsicht; und manche Feste.<br />

139


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

Eine wichtige Aufgabe, die sinnvoll nur auf regionaler oder<br />

ephoraler Ebene wahrzunehmen <strong>ist</strong>, sei eigens hervorgehoben,<br />

weil sie nach meiner Beobachtung bisher selten im Blick<br />

und doch aus verschiedenen Gründen (neben Glaubensgesprächen,<br />

Projekten des Gemeindekollegs Celle etc. und<br />

den soeben erwähnten Fortbildungen für bestimmte <strong>Die</strong>nste)<br />

dringend erforderlich <strong>ist</strong>: ein qualifiziertes und anspruchsvolles<br />

Angebot von „Theologie mit Nichttheologen“ 10. <strong>Die</strong>s<br />

gäbe kritischen Zeitgenossen Gelegenheit, die „Sache mit<br />

Gott“ in Betracht zu ziehen; böte Chr<strong>ist</strong>enmenschen Gelegenheit,<br />

begründet und vertieft theologische Sachkenntnis<br />

und Urteilsfähigkeit, ebenso differenzierte Sprach- wie Gesprächsfähigkeit<br />

zu gewinnen; könnte Chr<strong>ist</strong>en mit unterschiedlich<br />

geprägter Frömmigkeit zusammen führen mit<br />

Menschen, für die dies ein erster oder der letzte Versuch mit<br />

Kirche <strong>ist</strong>; dürfte nicht allein auf kirchliche Mitarbeit, sondern<br />

müsste ebenso auf anfragbares Chr<strong>ist</strong>sein im Alltag ausgerichtet<br />

sein; ließe stärker als sonst Theologinnen und Theologen<br />

erleben, dass sie als solche gefragt sind; würde deutlich<br />

mündigem Chr<strong>ist</strong>sein und missionarischer Ex<strong>ist</strong>enz dienen.<br />

4. <strong>Die</strong> Ephorie als Aufsichtsbezirk<br />

<strong>Die</strong> Dimension der Ephorie als Aufsichtsbezirk wird ihr auch<br />

in den Kirchenverfassungen grundlegend zugeschrieben. Dazu<br />

sagt die Verfassung der Kirche in Bayern knapp – Art. 27<br />

(2): „Der Dekanatsbezirk <strong>ist</strong> auch Aufsichts- und Verwaltungsbezirk.“<br />

Entsprechend heißt es etwas ausführlicher in<br />

der Verfassung der Landeskirche Hannovers – Art. 50 (3):<br />

„Als Gliederung und Verwaltungsbezirk der Landeskirche<br />

nimmt der Kirchenkreis Aufgaben wahr, die ihm die kirchliche<br />

Ordnung überlässt oder überträgt; insbesondere wirkt er an<br />

der allgemeinen kirchlichen Verwaltung und an der Aufsicht<br />

über die Kirchengemeinden und die kirchlichen Amtsträger<br />

seines Bereiches mit.“ Dabei werden drei Formen von Aufsicht<br />

unterschieden: die <strong>Die</strong>nstaufsicht, die Lehraufsicht und<br />

die Visitation. 11<br />

140


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

So sehr zur Aufsicht auf ephoraler Ebene auch Mitwirkung<br />

bei der Besetzung von Pfarrstellen gehört und möglicherweise<br />

Anstellung von Gemeindepädagogen wie Kirchenmusikern,<br />

zudem Personal-Beurteilung, Klärung in Konfliktfällen, freilich<br />

auch Aufsicht über Verwaltung und regelrechten Umgang<br />

mit Finanzen, bildet nach Verfassung und Ordnung in allen<br />

Kirchen die Visitation eine entscheidende Grundaufgabe in<br />

der Ephorie als Aufsichtsbezirk. <strong>Die</strong>ser Aufgabe soll deshalb<br />

hier besondere Beachtung gelten. 12 Dabei <strong>ist</strong> die der Visitation<br />

eigene Spannung zwischen ge<strong>ist</strong>lichem Besuchsdienst und<br />

rechtlich geregelter Aufsicht nicht zu umgehen. Sie stellt eine<br />

Aufgabe der Ephorien, nicht nur der Ephoren dar, was darin<br />

Gestalt findet, dass inzwischen in allen Gliedkirchen der EKD<br />

Visitations-Kommissionen auch mit Mitgliedern etwa des<br />

Kirchenkreis-Vorstands und möglicherweise speziell dafür berufenen<br />

Fachleuten zuständig sind.<br />

Einige elementare Hinsichten, die für die Visitation leitend<br />

sind, können einem durch folgende Passagen aus Luthers Vorrede<br />

zu Melanchthons Unterricht der Visitatoren (von 1528) 13<br />

in Erinnerung gerufen werden: „Ein wie göttliches, heilsames<br />

Werk es <strong>ist</strong>, die Pfarreien und chr<strong>ist</strong>lichen Gemeinden durch<br />

verständige, geeignete Leute zu besuchen, zeigen uns das<br />

Neue und das Alte Testament an.“ (S. 84) Es geht hier also um<br />

einen ge<strong>ist</strong>lichen Besuchsdienst, der wie dem Leben der Gemeinde<br />

so auch der Pfarramtsführung gilt. Und wenn Luther<br />

für neutestamentliche Orientierung dazu sich vor allem auf<br />

Paulus und seine Briefe bezieht, kommt damit zweierlei in den<br />

Blick: Zum einen geht es um situationsgemäße Wahrnehmung<br />

der Charismen, aber auch der Konflikte, der Gründe zum<br />

Danken wie der Suchrichtungen einer Gemeinde in ihrer jeweiligen<br />

Lebenswelt. Zum andern <strong>ist</strong> hiermit angedeutet: die<br />

Visitation <strong>ist</strong> nicht der Autorität des Amtes, vielmehr der des<br />

Auftrags Jesu Chr<strong>ist</strong>i verpflichtet, weshalb es um Entdeckungen<br />

wie Fragen zur Übereinstimmung der Lehre wie des<br />

Lebens der Gemeinde mit der Wahrheit des Evangeliums<br />

geht. – Weiter ergibt sich für Luther mit der sprachlichen Entsprechung<br />

zwischen „episképtomai“ und „visitare“ bzw.<br />

141


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

„episkopos“ und „visitator“ folgende Bemerkung: „Denn<br />

eigentlich heißt ein Bischof ein Aufseher oder Visitator ...<br />

Denn ein jeglicher Pfarrer soll seine Pfarrkinder besuchen, auf<br />

sie acht haben und darauf sehen, wie man da lehrt und lebt“<br />

(a.a.O.). So <strong>ist</strong> Visitation mindestens mit dem Spektrum eines<br />

Besuches von außen, von Achtsamkeit gegenüber dem Leben<br />

der Gemeinde und von aufmerksamer, soweit nötig kritischer<br />

Wahrnehmung dessen verbunden, was mit der Lehre dieser<br />

Gemeinde Klarheit und Orientierung gibt und in ihrem Leben<br />

Entsprechung findet, also chr<strong>ist</strong>licher wie darum menschlicher<br />

Ex<strong>ist</strong>enz förderlich <strong>ist</strong>. – Schließlich läuft Luthers Vorrede<br />

auf die Bitte hinaus: „Darum laßt uns wachen und<br />

sorgsam sein, die ge<strong>ist</strong>liche Einigkeit, wie Paulus lehrt, zu halten<br />

im Band der Liebe und des Friedens (Eph. 4,3)“ (S. 89).<br />

Insofern <strong>ist</strong> die Visitation ein unverzichtbarer <strong>Die</strong>nst an gemeinsamer<br />

ge<strong>ist</strong>licher Orientierung wie an der Einheit der<br />

Kirche.<br />

Auch in den befragten Ephorien wird (außer in Bayern) die<br />

Visitation der Gemeinden regelmäßig alle sechs bis zehn Jahre<br />

durchgeführt. Sie erwe<strong>ist</strong> sich dabei zunehmend als <strong>Die</strong>nst<br />

auch an der Verbundenheit der Gemeinden vor allem in ihrer<br />

missionarischen, diakonischen, ökumenischen, öffentlichen,<br />

finanziellen und ge<strong>ist</strong>lichen wie darum menschlichen Verantwortung.<br />

Dabei erwe<strong>ist</strong> sich das Finden begründeter Offenheit<br />

und klarer Orientierung im (auch innerkirchlichen)<br />

Pluralismus als besondere Herausforderung wie für die<br />

Gemeinden so auch für die Visitations-Kommissionen. Und<br />

zunehmend gewinnen die Visitationen prospektive Ausrichtung<br />

samt Elementen einer anschließenden „visitatio continua“<br />

– bis hin zur „konzeptionellen Visitation“ auf dem<br />

Weg zu einem neuen Kirchenbezirks-Modell in der Ephorie<br />

Borna.<br />

Schon im Blick auf Zeitaufwand und Arbeitskapazität <strong>ist</strong><br />

gegenwärtig vor allem für die Ephoren, damit aber auch für<br />

die Ephorien die Frage akut: in welchem Verhältnis sollen<br />

Visitationen und Mitarbeitenden-Jahresgespräche stehen? <strong>Die</strong><br />

142


damit gegebene Spannung lässt sich aber nicht zugunsten der<br />

neuen und wichtigen Aufgabe auflösen: würde doch sonst die<br />

Tendenz zu einer Mitarbeitenden-Kirche gefördert. Deshalb<br />

wird diese Spannung aufgrund des Pilotprojektes zu Jahresgesprächen<br />

in der hannoverschen Landeskirche eingehend bearbeitet<br />

und in der Nordelbischen Kirche schon länger<br />

durchgehalten. Und angesichts einschneidender Veränderungen<br />

in der Ephorie Borna erwe<strong>ist</strong> sich dort die Visitation<br />

als unverzichtbar, so sehr die „Mitarbeiterpflege als Kerninvestition“<br />

entschieden im Blick <strong>ist</strong>.<br />

Wenn eine besondere Aufgabe der Ephoren wie der Ephorien<br />

darin besteht, das kirchliche Leben anzuregen und zu fördern<br />

14, so bleibt zumal von der Visitation her fragwürdig, ob<br />

„die Aufsichtsfunktion ... sekundär gegenüber ,Anregung und<br />

Förderung kirchlichen Lebens’“ 15 geworden sei. Wird doch<br />

gerade durch die Visitation, zumal mit ihrer zunehmend prospektiven<br />

Ausrichtung, das Leben der Kirchengemeinden wie<br />

das kirchliche Leben in der Ephorie angeregt und gefördert.<br />

5. <strong>Die</strong> Ephorie als Gestalt von Kirche<br />

Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

<strong>Die</strong> Verfassungen der Kirchen sind in ihren Aussagen zur<br />

Ephorie als Gestalt von Kirche von klar und entschieden bis<br />

differenziert und zurückhaltend. So heißt es in der Verfassung<br />

der Nordelbischen Kirche – Art. 25 (1): „Der Kirchenkreis <strong>ist</strong><br />

eine eigenständige Einheit kirchlichen Lebens.“ Zwar nicht in<br />

dieser Klarheit, aber der Sache nach nicht sehr fern davon<br />

heißt es nun allerdings nicht vom Dekanatsbezirk, sondern<br />

von der Dekanatssynode in der Verfassung der Kirche in<br />

Bayern – Art. 30: „<strong>Die</strong> Dekanatssynode soll ein Gesamtbild<br />

der für den Auftrag der Kirche und die kirchliche Arbeit in<br />

ihrem Bereich wichtigen Vorgänge gewinnen ... Sie soll sich<br />

mit Fragen der Lehre und des Lebens der Kirche befassen und<br />

dabei den Blick auf das Ganze der Kirche und ihren <strong>Die</strong>nst in<br />

der Öffentlichkeit richten.“ So sehr nach der Verfassung der<br />

Landeskirche Hannovers der Kirchenkreis „als Gliederung<br />

143


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

und Verwaltungsbezirk der Landeskirche wirkt“ (Art. 50 (3))<br />

geht es in Art. 1 (1) um die Verantwortung der Landeskirche<br />

und der Kirchengemeinden, aber nicht explizit auch der<br />

Kirchenkreise: „Für die Erhaltung und Förderung der rechten<br />

Verkündigung des Wortes Gottes und der stiftungsgemäßen<br />

Darreichung der Sakramente sind die Landeskirche und die<br />

Kirchengemeinden mit all ihren Gliedern, Amtsträgern und<br />

Organen zuständig.“<br />

In allen Kirchen <strong>ist</strong> das ephorale Amt wie in Hannover (Verfassung<br />

Art. 54) „mit einer bestimmten Pfarrstelle verbunden“<br />

oder wie in der Nordelbischen Kirche (Verfassung Art.<br />

40 (3)) „mit einer pfarramtlichen Tätigkeit“. <strong>Die</strong> Verknüpfung<br />

der vielfältigen ephoralen Aufgaben mit dem Auftrag der<br />

Verkündigung des Evangeliums in Wort und Sakrament bleibt<br />

für das ephorale Amt grundlegend. 16 Angesichts der beträchtlichen<br />

Fülle von Aufgaben, die neuerdings auf das ephorale<br />

Amt zugekommen sind, bedarf die Frage der Klärung, in welchem<br />

Maße die Verbindung mit einer bestimmten Pfarrstelle<br />

beizubehalten oder in begründeten Fällen aufzuheben <strong>ist</strong> –<br />

dann allerdings gerade, um das pastorale Grundamt der<br />

Ephoren in anderer Gestalt zur Wirkung kommen zu lassen.<br />

Damit stellt sich die Frage, ob nicht Ephoren (mit zugewiesener<br />

ständiger Predigtstätte) das Kanzelrecht in ihrer Ephorie<br />

auch ausdrücklich erhalten sollten. Faktisch wird dies, freilich<br />

jeweils bedingt durch den gegebenen Kasus bzw. auf Bitte<br />

oder Einladung, schon wahrgenommen: bei Einführungen<br />

bzw. Einsetzungen von Pfarrerinnen, Pfarrern in der Gemeinde,<br />

bei der Visitation, bei Jubiläen von Kirchen oder<br />

Kirchengemeinden, öffentlichen Anlässen und bei manchen<br />

Festgottesdiensten.<br />

Weiter spielt beim Verständnis der Ephorie als Kirche das Verhältnis<br />

von Einzelgemeinde und Kirche mit. Sehr treffend<br />

heißt es im Zusammenhang mit dem ephoralen Amt der Visitation<br />

in den Richtlinien der <strong>VELKD</strong> für die Visitation von<br />

1963: „Der Visitator besucht die einzelne Gemeinde. Sie soll<br />

neu erkennen, daß sie zwar ganz Kirche, aber nicht die ganze<br />

144


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

Kirche <strong>ist</strong> und daß sie ihren Ort in der Gesamtkirche hat.“<br />

Freilich gibt es verschiedene Dimensionen der „Gesamtkirche“:<br />

warum sollte als eine Dimension nicht auch die<br />

Ephorie in Betracht kommen neben der gelebten Ökumene in<br />

der Region, freilich weiter der Landeskirche, ebenso etwa der<br />

<strong>VELKD</strong> und der weltweiten lutherischen Konfessionsfamilie,<br />

vor allem aber der weltweiten Kirche Jesu Chr<strong>ist</strong>i samt ihren<br />

konfessionellen wie regionalen Bezeugungsgestalten? Und<br />

dass die einzelne Gemeinde „zwar ganz Kirche, aber nicht die<br />

ganze Kirche <strong>ist</strong>“ entspricht durchaus dem paulinischen Verständnis<br />

von „ekklesía“ – und muss heute ihre Auswirkungen<br />

haben auch im Verhältnis von Gemeinden und Ephorie als<br />

verschiedenen Gestalten von Kirche. 17<br />

Gemäß der Umfrage 18 wird die Frage, ob Ephorie als Gestalt<br />

von Kirche gegeben und begründet sei, durchwegs bejaht. Dazu<br />

wird aus Neumünster auf die Verfassung der nordelbischen<br />

Kirche hingewiesen und ebenso darauf: „Als<br />

Zusammenschluss der Gemeinden, <strong>Die</strong>nste & Werke sammelt<br />

man sich um Wort und Sakrament.“ Aus Löbau-Zittau wird<br />

hier hervorgehoben: „Angesichts fortgeschrittener Säkularisierung<br />

<strong>ist</strong> es wichtig, Kirche auf allen Ebenen sichtbar zu<br />

gestalten; jedes sichtbare Zeichen von Kirche <strong>ist</strong> missionarische<br />

Wahrnehmung unserer Chancen und unseres Auftrags.“<br />

Aus Altenburg wird zweierlei angesprochen: „<strong>Die</strong> <strong>Superintendentur</strong><br />

<strong>ist</strong> für Gemeinden und Mitarbeitende ... Ebene, auf der<br />

Kirche über Gemeindegrenzen hinaus als größere Gemeinschaft<br />

erlebt wird mit guter Tradition ... (Doch ebenso:) Mir<br />

wird deutlich, dass Kirche und Glauben für die me<strong>ist</strong>en<br />

Menschen über ein nahes Zentrum und die Menschen dort<br />

erfahrbar wird“.<br />

Freilich <strong>ist</strong> es zur Beurteilung dessen, was eine Gestalt von<br />

Kirche <strong>ist</strong>, notwendig zu beachten, an welchen Kennzeichen<br />

Kirche öffentlich erkennbar wird. <strong>Die</strong>se Frage wurde nicht<br />

umsonst mit der Reformation akut und prägnant bedacht. So<br />

sind nach CA VII die reine Verkündigung des Evangeliums<br />

und die dem Evangelium gemäße Darreichung der Sakra-<br />

145


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

mente die beiden Grundkennzeichen von Kirche. Dadurch<br />

wird Kirche als Kirche Jesu Chr<strong>ist</strong>i konstituiert und erkennbar.<br />

Somit <strong>ist</strong> die Verkündigung des Evangeliums in Wort und<br />

Sakrament, also der Gottesdienst, mit dem die Kirche in den<br />

Grund ihres Daseins einkehrt, grundlegend Lebensvollzug<br />

und Kennzeichen von Kirche. Was Kirche zur Kirche Jesu<br />

Chr<strong>ist</strong>i macht, <strong>ist</strong> hiernach weder eine bestimmte Verfasstheit<br />

von Kirche (so die römisch-katholische Variante) noch eine<br />

bestimmte Frömmigkeit oder Rechtschaffenheit ihrer Glieder<br />

(so bisweilen eine protestantische Variante), vielmehr der<br />

Lebensvollzug von Kirche, wodurch ihr das Leben und also<br />

„die Gnade und Wahrheit“ Jesu Chr<strong>ist</strong>i (Johannes 1,17) zukommt.<br />

– So entspricht CA VII durchaus dem, was mit der<br />

paulinischen Metapher vom Leib Chr<strong>ist</strong>i an dreifachem Kommunikationsgeschehen<br />

19 erschlossen <strong>ist</strong>. Einmal zwischen<br />

Chr<strong>ist</strong>us und der Gemeinde bzw. der Kirche: <strong>Die</strong> Glieder des<br />

Leibes leben von ihm. Sodann zwischen den Gliedern untereinander:<br />

Sie sind aufeinander angewiesen, hier geht es um<br />

Kommunikation der Gaben und Lasten, der Leiden und Freuden.<br />

Und nicht zuletzt zwischen der Gemeinde bzw. Kirche<br />

und der Welt, in der sie lebt: Denn Chr<strong>ist</strong>us <strong>ist</strong> für alle dahingegeben<br />

und für alle da.<br />

Von daher bleibt bedenkenswert, so sehr dies im Blick auf primäre<br />

und sekundäre Kennzeichen von Kirche zu prüfen wie<br />

zu gestalten bleibt, was jene Umfrage erbracht hat. Danach<br />

gewinnt die Ephorie durchwegs in gottesdienstlicher, diakonischer,<br />

missionarischer, ökumenischer Hinsicht samt Partnerschaften<br />

zu Kirchen in andern Regionen der Welt die Gestalt<br />

von Kirche.<br />

Ephorie als Gestalt von Kirche kommt auch mit der „Gemeinschaft<br />

der Ordinierten“ als entscheidender ephoraler<br />

Aufgabe zur Wirkung. 20 <strong>Die</strong>se zu pflegen <strong>ist</strong> heute freilich mit<br />

etlichen Problemen verbunden. So sehr zwischen Pfarrerinnen,<br />

Pfarrern Kollegialität und relative Nähe gesucht wird,<br />

wächst doch ein Bedürfnis nach D<strong>ist</strong>anz. Gesteigert wird dies<br />

durch quantitativ wie qualitativ gestiegene Berufsansprüche,<br />

146


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

ebenso durch menschliche, theologische, kirchenpolitische<br />

Unterschiede (gemäß dem Pluralismus verstärkt durch Trends<br />

zur Individualisierung) und auch durch erhöhte familiäre Anforderungen.<br />

Doch kann für die „Gemeinschaft der Ordinierten“<br />

ebenso wenig wie für die Gemeinde gegenseitige<br />

Sympathie grundlegend sein, vielmehr die immer wieder zu<br />

erreichende Klarheit: wir sind an derselben Sache – und Jesus<br />

Chr<strong>ist</strong>us <strong>ist</strong> wie für mich für den andern da, auch durch den<br />

andern für mich. Zudem bleibt ekklesiologisch wichtig: den<br />

zum Pfarramt Ordinierten bleibt in besonderem Maße „das<br />

Amt der Einheit anvertraut... Sie sind ... mit der Verantwortung<br />

gesegnet und belastet, für die Einheit im Ge<strong>ist</strong> des<br />

gegenseitigen Aufbaus zu sorgen“. 21 Das ordinierte Amt hat<br />

als Amt der Einheit seine Bedeutung für die Ortsgemeinde,<br />

gerade indem es über diese hinaus geht. Denn: „Niemand von<br />

uns <strong>ist</strong> Pfarrerin oder Pfarrer allein dieser konkreten Gemeinde;<br />

wir sind auch Pfarrerinnen und Pfarrer des größeren<br />

Ganzen: des Kirchenbezirks, dieser Landeskirche, der Kirche<br />

Jesu Chr<strong>ist</strong>i.“ Im Blick auf die Notwendigkeit und Förderung<br />

der Gemeinschaft der Ordinierten entsteht fast unvermeidlich<br />

immer wieder die Frage, wieviel man davon brauche. <strong>Die</strong>s<br />

lässt sich sachgemäß prüfen etwa anhand folgender Auskunft:<br />

„Man braucht soviel, um (pragmatisch) zur Kooperation befähigt<br />

zu werden, soviel (ekklesiologisch), um Teil, aber auch<br />

Gegenüber der Gemeinde zu werden, soviel, um (pastoraltheologisch)<br />

Pfarrerin oder Pfarrer für das größere Ganze zu<br />

sein, schließlich (spirituell) soviel, dass sich die Integration von<br />

Beruf und Person vollziehen kann.“ 22<br />

Nicht zuletzt <strong>ist</strong> mit der Ephorie Öffentlichkeitsarbeit nach<br />

außen wie nach innen notwendig verbunden. In der weiteren<br />

Öffentlichkeit stehen zumal die Ephoren, aber auch weitere<br />

ephoral Verantwortliche wie Pfarrerinnen und Pfarrer für die<br />

Kirche. So kommt es hier auf theologische und deshalb situationsgemäß<br />

aufmerksame Gesprächs- und Argumentationsfähigkeit<br />

an, wodurch auch andere Chr<strong>ist</strong>enmenschen an<br />

ihrem Ort dazu ermutigt werden. Dem entsprechen weder<br />

(me<strong>ist</strong> wohlmeinende) Anpas-sungsstrategien noch d<strong>ist</strong>anzie-<br />

147


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

render Rückzug aus öffentlicher Verantwortung, sondern aufgrund<br />

dessen, dass chr<strong>ist</strong>liche Gemeinde ganz in der Welt, für<br />

die Welt und doch nicht aus der Welt lebt, öffentliche Verantwortung<br />

im Zeichen differenter Präsenz.<br />

Zwischen Gemeinde als Gestalt von Kirche und Ephorie als<br />

Gestalt von Kirche bleibt eine notwendige Spannung. Gemäß<br />

jener Umfrage 23 werden folgende Aufgaben am besten auf<br />

gemeindlicher Ebene wahrgenommen: regelmäßiger Gottesdienst,<br />

Amtshandlungen, Direktkontakte zu Menschen und<br />

Seelsorge, Arbeit mit kleinen Kindern, nachbarschaftliche<br />

Diakonie. In der Tat: die Ortsgemeinde dient „insgesamt der<br />

Präsenz des chr<strong>ist</strong>lichen Glaubens in der Lebenswelt und damit<br />

auch der Überlieferung des Chr<strong>ist</strong>usglaubens in den<br />

lebensweltlichen Zusammenhängen. <strong>Die</strong> Kirche insgesamt<br />

lebt wiederum davon, daß das chr<strong>ist</strong>liche Leben und die<br />

chr<strong>ist</strong>liche Überlieferung auf dieser Ebene der Lebenswelt, auf<br />

der Ebene der Ortsgemeinde, kräftig und lebendig <strong>ist</strong>.“ 24 Deshalb<br />

bliebe es gerade auch bei notwendiger Vereinigung von<br />

Gemeinden bis hin zu Regionalgemeinden ein fehlleitendes<br />

Missverständnis, die Gemeinden nur als Filialen einer größeren<br />

kirchlichen Organisation anzusehen. Dagegen steht auch,<br />

dass die Ephorie (bis auf wenige rechtlich geregelte Ausnahmen)<br />

kein verbindliches Weisungsrecht für die Gestaltung<br />

des Gemeindelebens hat. Zugleich wird sich hier auswirken,<br />

dass zum kirchlichen <strong>Die</strong>nst Aufgabenorientierung gehört<br />

verbunden mit der Freiheit des <strong>Die</strong>nstes. Dabei <strong>ist</strong> die Freiheit<br />

des <strong>Die</strong>nstes nicht einfach Sache persönlicher Wahl und<br />

Option, sondern gründet (auch gemäß dem Ordinationsgelübde)<br />

in der Erfahrung, die durch das Wort des johanneischen<br />

Chr<strong>ist</strong>us eröffnet <strong>ist</strong>: „<strong>Die</strong> Wahrheit wird euch frei<br />

machen“ (Johannes 8,32). Deshalb geht es bei ephoral vereinbarter<br />

Aufgabenorientierung um Steuerungsprozesse, die<br />

der Förderung von Selbst-Steuerung im kirchlichen <strong>Die</strong>nst<br />

wie in den Gemeinden dienen.<br />

Zwischen Gemeinde und Ephorie besteht eine notwendige<br />

Komplementarität. Versuche, diese aufzulösen, führen zu<br />

148


me<strong>ist</strong> unproduktiven Konflikten und beschädigen das Leben<br />

der Kirche Jesu Chr<strong>ist</strong>i: so der Versuch, chr<strong>ist</strong>liche Gemeinde<br />

am Ort zur Filiale einer größeren kirchlichen Organisation zu<br />

degradieren, wie der Versuch, mit einem exklusiven Gemeindebegriff<br />

die Gesamtkirche als lästige Institution zu disqualifizieren.<br />

Stattdessen kommt es darauf an, mit der<br />

notwendigen Komplementarität von Gemeinde am Ort und<br />

Ephorie offen und achtsam umzugehen, um sie gegenseitig<br />

produktiv werden zu lassen und situationsgemäß wie kreativ<br />

zu gestalten. 25<br />

6. Einige vorläufige Pointen<br />

Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

Es <strong>ist</strong> unverkennbar, dass die Frage nach dem Profil von<br />

Ephorien durch eine Fülle neuer Aufgaben unter dem zwiespältigen<br />

Motto der „Verstärkung der mittleren Ebene“ und<br />

durch nicht selten konfliktträchtige Herausforderungen akut<br />

geworden <strong>ist</strong>. 26 Beachtlich bleibt, wenn Konfrontation mit –<br />

wie Gestaltung von unausweichlichen Veränderungsprozessen<br />

Phantasie und konzeptionelle Überlegungen freisetzt. Um<br />

sich durch Herausforderungen nicht fixieren zu lassen, ihnen<br />

vielmehr theologisch und deshalb menschlich offen, umsichtig,<br />

gar mutig zu begegnen, braucht es befreienden Abstand. 27<br />

Und solche Freiheit wird Bedrängten nicht zuletzt aus Quellen<br />

ge<strong>ist</strong>lichen Lebens gewährt, womit Humor als eine Gestalt der<br />

Freiheit aus Glauben nicht fern liegen müsste. In diese<br />

Richtung wies die augenzwinkernde Bemerkung eines<br />

Superintendenten: „Wir stehen mit dem Rücken so an der<br />

Wand, dass wir schon konzeptionell zu denken beginnen...“ 28<br />

Überlegungen zum Profil werden beides in den Blick bringen:<br />

grundlegende Dimensionen und elementare Aufgaben, die für<br />

Ephorien kennzeichnend sind, und die jeweils spezifische<br />

Situation dieser Ephorie: etwa in demographischer Hinsicht<br />

samt geringerer oder stärkerer Minorisierung der Zugehörigkeit<br />

zur Kirche, angesichts besonderer Herausforderungen<br />

von außen wie von innen und in Korrespondenz mit dem<br />

149


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen Kontext. Bezogen auf<br />

die spezifische Situation sind, wie angezeigt, drei Grunddimensionen<br />

zu berücksichtigen: die Ephorie als Feld gemeinsamer<br />

Aufgaben, als Aufsichtsbezirk und als Gestalt von<br />

Kirche. Ein unverzichtbares Instrument zur Profilbildung der<br />

Ephorie bleibt die Visitation: ergeben sich damit doch ebenso<br />

Erkundungen zur spezifischen Situation der Gemeinden wie<br />

der Kirche und konzeptionelle Ansätze auch zur Gestaltung<br />

jener drei Grunddimensionen der Ephorie.<br />

Mit notwendigen Einsparungen, Stellenreduktionen, Strukturanpassungen<br />

wird zumal angesichts deutlicher Minorisierungsprozesse<br />

von Kirche in Ephorien die Frage der Größe,<br />

Kooperation und Zusammenlegung von Gemeinden akut.<br />

Gemeinde lebt davon, dass Gottes Zuwendung zu den Menschen<br />

mit der Verkündigung des Evangeliums in Wort und<br />

Sakrament Gestalt gewinnt, – und so Menschen ihr Leben im<br />

Horizont des Evangeliums neu wahrzunehmen vermögen und<br />

für die Situation vor Gott geöffnet werden. Dabei können<br />

Gemeinden unterschiedliche organisatorische Gestalt gewinnen:<br />

ob als Ortsgemeinde, als Teil im Ensemble eines Kirchspiels<br />

oder etwa als Regionalgemeinde. Gesichtspunkte für<br />

Größe, Gestalt und Zusammenspiel von Gemeinden ergeben<br />

sich damit, ob Gottesdienste in sinnvoller Regelmäßigkeit,<br />

Erreichbarkeit und Vielfalt gefeiert werden können; wieweit<br />

chr<strong>ist</strong>licher Glaube für Menschen in ihrer Lebenswelt zugänglich<br />

und präsent werden kann; wieweit Bildungsverantwortung,<br />

Diakonie und Ökumene Gestalt gewinnen können.<br />

Manche dieser Lebensdimensionen von Kirche führen<br />

Gemeinden notwendig zu regionaler bzw. ephoraler Zusammenarbeit.<br />

– Für Paulus <strong>ist</strong> die Metapher: „Wir haben diesen<br />

Schatz in irdenen Gefäßen“ nicht auf den Ton der<br />

Resignation oder des Selbstmitleids gestimmt, als wenn dies<br />

bedauerlicherweise so wäre. Vielmehr erscheint dies einzig<br />

angemessen: „damit die überschwengliche Kraft von Gott sei<br />

und nicht von uns“ (2. Korinther 4,7). Sonst haben Schätze<br />

ihren Ort in einem Safe oder Tresor. Doch dieser Schatz: die<br />

Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes, seines Lichtes, das alle<br />

150


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

Finsternis durchdringt, seiner klarmachenden Klarheit auf<br />

dem Angesicht Jesu Chr<strong>ist</strong>i des Gekreuzigten (4,6) – und daher<br />

das von Jesus Chr<strong>ist</strong>us ausgehende wahre, verlässliche,<br />

ewige Leben (4,8-11) findet seinen einzig angemessenen Ort<br />

in zerbrechlichem Tonzeug. Wie sollte dieser Schatz sonst<br />

zum Leuchten kommen, seinen Glanz entfalten und sich mitteilen?<br />

Von daher bleibt auch im Verhältnis zwischen dem,<br />

wovon chr<strong>ist</strong>liche Gemeinde lebt, und ihrer organisatorischen<br />

Gestalt die Perspektive heilsamer Brechungen offen gehalten.<br />

In den letzten Jahren entstanden zunehmend durch Zusammenlegung<br />

aus zwei bis drei früheren größere Ephorien. Angesichts<br />

traditionell kleiner bzw. durch Minorisierungsprozesse<br />

von Kirche verkleinerter Ephorien werden weiter gewichtige,<br />

jedenfalls erwägenswerte Gründe für diesen Weg<br />

sprechen. So sehr geschichtliche Prägung von Zusammenhängen<br />

und Zugehörigkeiten kirchlich nicht zu unterschätzen<br />

<strong>ist</strong>, wäre auch hier struktureller Fundamentalismus verfehlt,<br />

bleibt vielmehr zu erkunden, was an Veränderungen der<br />

Perspektive heilsamer Brechungen entsprechen könnte. Ein<br />

elementares Kriterium für den Weg zu einer größeren Ephorie<br />

bleibt, wieweit dadurch das Zusammenspiel ihrer drei<br />

Dimensionen als gemeinsames Aufgabenfeld, als Aufsichtsbezirk,<br />

als Gestalt von Kirche gestaltet und gefördert wird.<br />

Sonst besteht einmal die Gefahr, dass die Ephorie primär als<br />

Verwaltungseinheit gesehen wird, verbunden mit dem (auch<br />

betriebswirtschaftlichen) Trugschluss, dass größere Einheiten<br />

in jeder Hinsicht effizienter arbeiten. Und zum andern wird<br />

die Vergrößerung von Ephorien nicht selten mit Erwartungen<br />

verbunden bzw. damit vermeintlich legitimiert, die etwa finanziellen<br />

Einsparungen und der Lösung von Strukturproblemen<br />

gelten, sich aber, wie erste Erfahrungen zeigen, me<strong>ist</strong> als illusorisch<br />

erweisen. 29<br />

<strong>Die</strong> Frage nach der Effizienz kirchlichen Handelns <strong>ist</strong> wahrlich<br />

nicht zu vernachlässigen. Doch kann die Frage nach<br />

Steigerung von Effizienz derart die Aufmerksamkeit beanspruchen,<br />

dass die Frage nach der wirksamen Wahrheit und<br />

151


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

also Treue Gottes, auf die Menschen sich im Leben und<br />

Sterben verlassen können, demgegenüber sekundär wird. Dagegen<br />

geht es bei der Suche nach Effizienz kirchlichen<br />

Handelns primär um die Frage, was zu tun und zu gestalten<br />

<strong>ist</strong>, damit die befreiende Wahrheit des Evangeliums für<br />

Menschen in ihrem Leben zur Wirkung kommt. 30<br />

<strong>Die</strong> Gestaltung einer Ephorie angesichts jeweils spezifischer<br />

Herausforderungen, wie im Zusammenspiel ihrer Grunddimensionen<br />

und damit die Unterstützung und Förderung des<br />

kirchlichen Lebens in den Gemeinden, braucht nicht unbeträchtlichen<br />

Einsatz der dafür Verantwortlichen: wache<br />

Wahrnehmung situativer Herausforderungen und theologische<br />

Orientierung, Fähigkeit zum Management wie Sinn für<br />

ge<strong>ist</strong>liche Leitung, klärende Kommunikationsprozesse und<br />

Blick für die gemeinsame Aufgabe, Bildung von Schwerpunkten<br />

und Entwicklung von Konzeptionen, Risikobereitschaft<br />

und Mut zu Veränderungen ... Solche und weitere<br />

menschliche Aktivitäten sind notwendige und doch nicht hinreichende<br />

Voraussetzung für den weiteren Weg der Kirche.<br />

Wie wichtig deshalb, sich in allem Einsatz von der Verheißung<br />

leiten zu lassen, dass Gott selber die Kirche erhalten will, und<br />

wie befreiend, in diesem weiten Horizont der Verheißung den<br />

Weg der Kirche mitzugestalten! <strong>Die</strong>ser Horizont wird offen<br />

gehalten auch durch jene Bemerkung von Luther, die einen<br />

gelegentlich überraschen wird und doch entgegen aller angestrengten<br />

Kurzatmigkeit ins Weite führt: „Denn wir sind es<br />

doch nicht, die da kündten die Kirche erhalten, unser Vorfarn<br />

sind es auch nicht gewesen, Unser nachkomen werdens auch<br />

nicht sein, Sondern der <strong>ist</strong>s gewest, Ists noch, wirds sein, der<br />

da spricht: Ich bin bey euch bis zur welt ende (Mt 28,20), wie<br />

Ebre. am 13. stehet: Jhesus Chr<strong>ist</strong>us heri et hodie et in secula<br />

(Hebr 13,8), Und Apocalyp.: der es war, der es <strong>ist</strong>, der es sein<br />

wird (Off 1,8), Ja so he<strong>ist</strong> der Man, und so he<strong>ist</strong> kein ander<br />

man, und soll auch keiner so heissen.“<br />

152


Anmerkungen<br />

Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

1 <strong>Die</strong>ser Beitrag geht zurück auf ein Impulsreferat zum Thema im<br />

Studienkurs mit Verantwortlichen für Personalfragen der Kirchen<br />

10/2004 im Theologischen Studienseminar der <strong>VELKD</strong>.<br />

2 Entsprechend gab Anstoß für Erkundungen zu Kirchenkreis-<br />

Reformen in einigen Ephorien der Hannoverschen Kirche die<br />

„Beobachtung, dass sich weit reichende Veränderungen z.Zt. auf der<br />

Kirchenkreisebene vollziehen ... bei gleichzeitiger Irritation, welche<br />

Funktion und Bedeutung dieser „mittleren Ebene“ überhaupt zukommen<br />

kann“: Hg. v. der Projektgruppe „Lernende Organisation<br />

Kirche“, Lernende Organisation Kirche. Erkundungen zu Kirchenkreis-Reformen,<br />

2004, 11.<br />

3 Auskünfte zum „Fragebogen zu Kennzeichen Ihrer Ephorie angesichts<br />

von Veränderungen in den letzten Jahren“ vom Sommer 2004<br />

verdanke ich den Ephoren aus folgenden Ephorien: Bayern<br />

(Weißenburg), Braunschweig (Helmstedt), Hannover (Walsrode,<br />

Wittingen), Nordelbien (Blankenese, Kappeln, Neumünster),<br />

Sachsen (Borna, Löbau-Zittau, Pirna), Thüringen (Altenburg, Gera,<br />

Rudolstadt-Saalfeld).<br />

4 Hier kommen die Rechtssammlungen vor allem folgender Kirchen<br />

in Betracht: Rechtssammlung der Evangelisch-Lutherischen Kirche<br />

in Bayern, 2000/Rechtssammlung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche<br />

Hannovers, 2003/Evangelisches Kirchenrecht der Nordelbischen<br />

Kirche. Eine Rechtssammlung, 2004.<br />

5 So jedenfalls bis vor etwa fünf Jahren: vgl. Helmar Junghans, Art.<br />

Superintendent in: TRE 32, 2001, 467.<br />

6 So in der Auskunft zu der Umfrage (s.o. Anm. 3) aus der Ephorie<br />

Altenburg: „Wir sind sehr mit strukturellen Überlegungen beschäftigt.<br />

Daneben – eigentlich vor allem – müssen wir uns aber um eine<br />

zeit- und situationsgemäße Verkündigung des Evangeliums kümmern.<br />

Deshalb brauchen wir die Bereitschaft zu konzeptionellem<br />

Denken auf allen Ebenen und ein Vertrauen zwischen Leitungsebenen<br />

und den Kirchgemeinden.“ – Und vgl. Lernende Organisation<br />

Kirche (Anm. 2), 56: „Offenbar <strong>ist</strong> es schwierig, Räume, Zeiten<br />

und Formen zur Wahrnehmung der im engeren Sinne inhaltlichen,<br />

theologisch zu bearbeitenden Leitungsaufgaben zu schaffen...<br />

Ausdrücklich wird das zuletzt angesprochene Problem unter dem<br />

153


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

Stichwort „ge<strong>ist</strong>liche Leitung“ benannt. <strong>Die</strong>se Dimension von<br />

Leitungshandeln wird immer wieder eingefordert – auch wenn selten<br />

klar gesagt werden kann, was damit gemeint <strong>ist</strong>.“<br />

7 Als ein Klärungsversuch in dieser Hinsicht der Beitrag in diesem<br />

Buch: „Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung: Eine notwendige<br />

und beziehungsvolle Unterscheidung“.<br />

8 Ev.-luth. Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt, Den Kirchenkreis<br />

Hildesheim-Sarstedt durch Förderung seiner Regionen auf attraktive<br />

Weise weiter entwickeln, 2002, 26f.<br />

9 Nach Auskunft dazu im Zusammenhang der Umfrage (s.o. Anm. 3)<br />

aus der Ephorie Gera wird die notwendige Kooperation gefördert<br />

durch „Kollegen, Konvent“, erschwert durch „Konkurrenz, Angst<br />

um eigene Stelle“ und wird doch aus der Sicht der Mitarbeitenden<br />

wahrgenommen und beurteilt als „motivierend, befriedend,<br />

Kreativität fördernd, vielfältig, bunt“. – Gleichwohl bleibt die Kooperation<br />

unter der Pfarrerschaft wie zwischen ihr und den andern<br />

Verantwortlichen im Verkündigungsdienst eigens zu fördern. Denn<br />

oft trifft zunächst jedenfalls zu: „Der Wille zur Zusammenarbeit und<br />

Aufgabenteilung <strong>ist</strong> im Pfarrberuf ... (sc. angesichts dessen, dass jede<br />

Veränderung nicht nur Entlastung, sondern auch Machtverlust<br />

bedeutet) nicht selten schwach ausgeprägt: Befürchtet wird zum<br />

einen, persönlich wichtige Arbeitsfelder zu verlieren, zum anderen<br />

sieht man sich dem Verdacht ausgesetzt, man wolle sein Amt nicht<br />

richtig ausfüllen.“ (Lernende Organisation Kirche: Anm. 2, 92).<br />

10 Wie dies der eigenen Sachkenntnis sowie Urteils- und Sprachfähigkeit<br />

in Fragen dessen dient, was mit dem Glauben eröffnet <strong>ist</strong><br />

und damit im Leben auf dem Spiel steht, deshalb der Fähigkeit zum<br />

Gespräch mit Zeitgenossen, denen Glaube, Bibel, Kirche wenig vertraut<br />

<strong>ist</strong>, so fördert dies zugleich zwischen Chr<strong>ist</strong>enmenschen in ihrer<br />

Lebenswelt und Theologinnen, Theologen theologische Orientierungsfähigkeit.<br />

Deshalb in diesem Buch auch in dem Beitrag „Verantwortung<br />

für theologische Orientierung bzw. kirchliche Lehre“: 2.<br />

11 So im Pfarrergesetz der <strong>VELKD</strong> § 3 Abs. 3.<br />

12 Zur ephoral notwendigen Aufgabe der Lehraufsicht der Beitrag in<br />

diesem Buch: Verantwortung für theologische Orientierung bzw.<br />

kirchliche Lehre. Eine Skizze.<br />

13 Hier mit Seitenangabe nach: Martin Luther, Vorrede zu: Unterricht<br />

der Visitatoren an die Pfarrherrn im Kurfürstentum zu Sachsen, 1528<br />

154


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

in: hg. v. Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, Martin Luther Ausgewählte<br />

Schriften 5. Band, 1982, 83-89.<br />

14 <strong>Die</strong>se Aufgabe hat für das ephorale Amt nach der Verfassung der<br />

Hannoverschen Kirche besondere Bedeutung. Doch geschieht dies<br />

hiernach (Kirchenverfassung § 53) im Zusammenhang mit der Aufsichtsfunktion:<br />

„Der Superintendent hat – unbeschadet der Aufsicht<br />

anderer Stellen – die Aufsicht über die Kirchengemeinden, die<br />

Pfarrämter und die Inhaber kirchlicher Amts- und <strong>Die</strong>nststellungen,<br />

soweit sie im <strong>Die</strong>nst der Verkündigung tätig sind. Er soll das kirchliche<br />

Leben im Kirchenkreis anregen und fördern sowie Mißständen<br />

und Gefahren entgegenwirken. Er vertritt den Kirchenkreis in der<br />

Öffentlichkeit.“<br />

15 So in dem h<strong>ist</strong>orischen Überblick zu Funktionszuschreibungen an<br />

den Kirchenkreis gemäß der KKO 1971 in Hannover: Lernende<br />

Organisation Kirche (Anm. 2), 61.<br />

16 Nach CA XXVIII <strong>ist</strong> darin wie das pastorale so das bischöfliche<br />

und von daher analog das ephorale Grundamt zu sehen: „Nun lehren<br />

die Unseren also, daß der Gewalt der Schlussel oder der<br />

Bischofen sei, lauts des Evangeliums, ein Gewalt und Befehl Gottes,<br />

das Evangelium zu predigen, die Sunde zu vergeben und zu behalten<br />

und die Sakrament zu reichen und zu handeln.“ (BSLK 121,12-17).<br />

17 Vgl. Lernende Organisation Kirche (Anm. 2), 63: „Der Kirchenkreis<br />

<strong>ist</strong> mehr als die Summe der Gemeinden, er <strong>ist</strong> mehr als eine<br />

Verwaltungseinheit, nämlich auch ein eigenständiger räumlicher und<br />

zeitlicher Ermöglichungsgrund von Glauben... Im Zusamenspiel der<br />

Organisationsformen Parochie und Kirchenkreis liegt darum kein<br />

ge<strong>ist</strong>liches Problem, sondern eine ge<strong>ist</strong>liche Chance zur Veränderung<br />

und Entwicklung. In der Verständigung über gemeinsame Inhalte<br />

müssen immer aufs Neue angemessene Strukturen der Organisation<br />

gefunden werden.“<br />

18 S.o. Anm. 3.<br />

19 Ausführlicher hierzu: Volker Weymann, Drei Dimensionen des<br />

Gemeindeaufbaus in: Reformatio 37/1988, 193ff.<br />

20 Dazu Helmut Maier-Frey, Gemeinschaft der Ordinierten. Warum<br />

sie sein muss und wie viel man davon braucht in: Deutsches Pfarrerblatt<br />

8/2004, 400-402.<br />

21 A.a.O., 401f.<br />

22 A.a.O., 402.<br />

155


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

23 S.o. Anm. 3.<br />

24 Hg. im Auftrag der Kirchenleitung der <strong>VELKD</strong> von Dorothea<br />

Wendebourg und Reinhard Brandt, Traditionsaufbruch. <strong>Die</strong> Bedeutung<br />

der Pflege chr<strong>ist</strong>licher Institutionen für Gewißheit, Freiheit<br />

und Orientierung in der plural<strong>ist</strong>ischen Gesellschaft, 2001, 107.<br />

25 Vgl. Chr<strong>ist</strong>ian Möller, Art. Gemeinde I in: TRE 12, 1984, 330: „Es<br />

gibt immer wieder Versuche, diese Komplementarität (sc. zwischen<br />

Kirche und Gemeinde) entweder durch einen universal<strong>ist</strong>ischen<br />

Kirchenbegriff oder durch einen exklusiven Gemeindebegriff aufzulösen.<br />

Bei einem universal<strong>ist</strong>ischen Kirchenbegriff wird die Einheit<br />

der zentral geleiteten Kirche so stark betont, daß die chr<strong>ist</strong>liche Gemeinde<br />

am Ort zu einer Kirchenfiliale degradiert wird. Bei einem<br />

exklusiven Gemeindebegriff wird die versammelte Gemeinde so<br />

stark betont, daß eine kirchliche Gemeinschaft mit anderen Gemeinden<br />

wie mit der Ökumene des Volkes Gottes aus dem Blickfeld geraten.“<br />

26 Entsprechend heißt es aufgrund von Fallstudien und Lernprozessen<br />

in fünf Kirchenkreisen der Hannoverschen Kirche in:<br />

Lernende Organisation Kirche (Anm. 2), 91: „Ohne Krise oder<br />

Mangelerfahrung wäre in keinem der besuchten Kirchenkreise ein<br />

Grund legendes Überlegen angestoßen worden.“<br />

27 Als dramatische Verfremdung kann hier eine Pointe von Friedrich<br />

Dürrenmatt (aus: Theaterprobleme 1954/55) zur Dramaturgie der<br />

Tragikomödie zu denken geben: „Gewiß, wer das Sinnlose, das<br />

Hoffnungslose dieser Welt sieht, kann verzweifeln, doch <strong>ist</strong> diese<br />

Verzweiflung nicht eine Folge dieser Welt, sondern eine Antwort, die<br />

er auf diese Welt gibt, und eine andere Antwort wäre sein Nichtverzweifeln,<br />

sein Entschluß etwa, die Welt zu bestehen, in der wir oft<br />

leben wie Gulliver unter den Riesen. Auch der nimmt D<strong>ist</strong>anz, auch<br />

der tritt einen Schritt zurück, der seinen Gegner einschätzen will, der<br />

sich bereit macht, mit ihm zu kämpfen oder ihm zu entgehen. Es <strong>ist</strong><br />

immer noch möglich, den mutigen Menschen zu zeigen. <strong>Die</strong>s <strong>ist</strong><br />

denn auch eines meiner Hauptanliegen.“ (Ders., Theater-Schriften<br />

und Reden, 1966, 123).<br />

28 So mündlich Superintendent Matthias Weismann aus Borna im<br />

Studienkurs zur „Zwischenbilanz nach einigen Jahren der Leitung<br />

einer <strong>Superintendentur</strong>“ im November 2004.<br />

29 So wird aus dem Erkundungsprozess in der hannoverschen Lan-<br />

156


Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />

deskirche resümiert – Lernende Organisation Kirche (Anm. 2), 101:<br />

„In den me<strong>ist</strong>en besuchten Kirchenkreisen sind strukturelle Veränderungen<br />

durch das Schaffen größerer Einheiten, also durch Zusammenlegung<br />

von Kirchenkreisen, ausgelöst worden. <strong>Die</strong><br />

Erwartung, durch Zusammenlegungen zu sparen, Strukturprobleme<br />

oder gar theologische Krisen, Fragen des Selbstverständnisses von<br />

Kirche oder des Leitbildes lösen zu wollen, hat sich nicht erfüllt.“<br />

30 Vgl. Eberhard Jüngel, Zur Freiheit eines Chr<strong>ist</strong>enmenschen. Eine<br />

Erinnerung an Luthers Schrift, 1978, 78: „<strong>Die</strong> Sorge geht ... dahin,<br />

daß eine statt nach Wahrheit fragende nach Effizienz schielende<br />

Theologie (und Kirche) auf Wirkungen aus <strong>ist</strong>, die eben alles andere<br />

als Wirkungen der Wahrheit sind. Es <strong>ist</strong> dann aber auch eine andere<br />

Freiheit gemeint als die, zu der die Wahrheit befreit.“<br />

31 Wider die Antinomer (1539): WA 50; 476,31-37. (<strong>Die</strong>s Wort wurde<br />

von Rörer in der angeblichen „Vorrede D. M. Luthers, vor seinem<br />

Abschied gestellet“ (1548) aufgenommen: WA 54; 470,8-14).<br />

157


158


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung:<br />

eine notwendige und beziehungsvolle<br />

Unterscheidung 1<br />

Volker Weymann<br />

Inwiefern hat es mit dem Auftrag und der Aufgabe der Kirche<br />

zu tun, dass uns beides beschäftigt: Fragen des kirchlichen<br />

Managements wie ge<strong>ist</strong>licher Kirchenleitung – und somit die<br />

Beziehung zwischen beidem? Aufs erste kann man sich dies<br />

daran klarmachen, dass die Aufgabe der Kirche (mit einer<br />

Wendung Ernst Langes) in der „Kommunikation des Evangeliums“<br />

besteht. Damit <strong>ist</strong> zweierlei zugleich angesprochen:<br />

einmal geht es um überraschende Wahrnehmung, vertiefte Erkenntnis,<br />

erhellendes Bezeugen des Evangeliums; ebenso freilich<br />

um Bedingungen und Gestaltung seiner Kommunikation.<br />

<strong>Die</strong>se beiden Dimensionen greifen notwendig ineinander,<br />

erfordern aber je nach dem unterschiedliche Aufmerksamkeit.<br />

So gibt es gute Gründe, im Blick auf Bedingungen und Gestaltung<br />

der Kommunikation des Evangeliums stärker handlungsorientiert<br />

anzusetzen – und zu fragen: wie lässt sich was<br />

besser machen? Zu den gestalterischen Aufgaben derer, die<br />

leitende Verantwortung tragen in einer Kirchengemeinde oder<br />

etwa in einem Kirchenkreis oder in einem <strong>anders</strong> gelagerten<br />

Verantwortungsbereich, gehören gewiss nicht nur, jedoch unausweichlich<br />

etwa folgende Aufgaben: Konzeptionen zu entwickeln<br />

und Ziele wie Wege zu deren Realisierung; ebenso<br />

Personalführung und Förderung von Initiative wie Kooperation;<br />

weiter Organisation von Arbeitsabläufen und Zeitplanung;<br />

und bei alledem haushälterischer Umgang mit<br />

Ressourcen und Frage nach dem Ertrag der Bemühungen.<br />

<strong>Die</strong>ses Bündel an Aufgaben kommt seit einiger Zeit auch in<br />

der Kirche nicht umsonst unter der Bezeichnung „ Management“<br />

in Betracht. Denn die skizzierte Palette an Aufgaben<br />

findet in mancher Hinsicht Analogien in der Führung von<br />

Unternehmen, ob Wirtschafts-Betrieben oder Non-Profit-<br />

159


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Organisationen, führt zu Managementkonzepten wie -beratung<br />

und wird in der Betriebswirtschaftslehre thematisiert.<br />

Deshalb scheinen Betrachtungsweisen wie Instrumente aus<br />

dem Bereich des Management einen Beitrag zu realitätsgerechter<br />

Verantwortung wie zu effizienter Wirksamkeit kirchen-<br />

bzw. gemeindeleitenden Handelns zu versprechen. Dass<br />

es in den letzten Jahren zu kirchlicher Rezeption von<br />

Modellen, Impulsen, Instrumenten aus der Betriebswirtschaft<br />

gekommen <strong>ist</strong>, hat, wenn ich recht sehe, vor allem folgende<br />

drei Gründe: Einmal scheint die ökonomische Betrachtungsweise<br />

nicht nur für wirtschaftliche Vorgänge, sondern darüber<br />

hinaus etwa auch für kulturelle und soziale Dimensionen<br />

gesellschaftlichen Lebens eine gewisse Plausibilität zu gewinnen.<br />

Weiter scheint sich die Kirche im Pluralismus auf einem<br />

Markt religiös-weltanschaulicher Angebote zu befinden. Und<br />

nicht zuletzt <strong>ist</strong> die Frage des Umgangs auch mit ihren finanziellen<br />

Ressourcen für die Kirche akuter geworden. Dabei <strong>ist</strong><br />

zugleich klar: die kirchliche Rezeption betriebswirtschaftlicher<br />

Einsichten und Instrumente, die seit einigen Jahren im Gang<br />

<strong>ist</strong>, scheint wie früher die der Humanwissenschaften Realitätsgewinn<br />

zu versprechen, bedarf aber ebenso kritischer Reflexion.<br />

Von daher <strong>ist</strong> es, wie zu vermuten steht, ganz<br />

sachgemäß, dass für auftragsgemäße und zielorientierte<br />

Kirchenleitung die Spannung zu denken gibt zwischen ihrer<br />

ge<strong>ist</strong>lichen Orientierung und der Rezeption von Gestaltungselementen<br />

aus dem Bereich des Management.<br />

Dabei wäre es kurzschlüssig, dies spannungsvolle Verhältnis<br />

nicht als solches wahrzunehmen und zur Geltung zu bringen,<br />

sondern alternativ auflösen zu wollen. Kurzschlüssig wäre es<br />

deshalb, etwa die Freiheit der Verkündigung gegen Gesichtspunkte<br />

des Management, die auch hier bedenkenswert sein<br />

können, ausspielen zu wollen; oder umgekehrt primär Aspekte<br />

des Management für die Gestaltung kirchlichen Lebens maßgeblich<br />

sein zu lassen. Gegenüber solch kurzschlüssigen Einseitigkeiten<br />

geben zwei Voten aus einem Beitrag von Eckhart<br />

von Vietinghoff zu denken, dem Präsidenten des Landeskirchenamtes<br />

in Hannover. Einerseits we<strong>ist</strong> er darauf hin: „Das<br />

160


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

offene Gespräch über das, was geplant <strong>ist</strong>, was dann konkret<br />

getan wird und was schließlich an sichtbaren Erfolgen oder<br />

Mißerfolgen erreicht worden <strong>ist</strong>, wird noch zu selten und zuwenig<br />

professionell geführt. Zu rasch werden gegen Kritik<br />

Schutzzäune aufgebaut, wie etwa die Freiheit der Verkündigung<br />

... Aber die in der Tat zu achtende Freiheit der Verkündigung<br />

<strong>ist</strong> doch nicht schon dann berührt, wenn nach<br />

präziser Arbeits- und Zeitplanung und den Resultaten der<br />

eigenen Arbeit gefragt wird.“ Zum andern betont er freilich<br />

ebenso: So sehr „Phantasie und Einsatz geboten (sind), um<br />

die Glaubwürdigkeitsschere zwischen sichtbarer Kirche und<br />

ihrem Auftrag nicht zu weit auseinanderklaffen zu lassen... (,)<br />

muß (eines) klar sein: Kein Organisations- und Strukturaktionismus<br />

kann Glauben wecken... (K)ein Geld, kein Recht,<br />

keine Organisation kann in der Kirche auf Dauer ersetzen,<br />

was an ge<strong>ist</strong>igen, ge<strong>ist</strong>lichen, spirituellen Kräften fehlt.“ 2<br />

So werden wir dem spannungsvollen Verhältnis, genauer: der<br />

notwendigen und beziehungsvollen Unterscheidung zwischen<br />

Management und ge<strong>ist</strong>licher Orientierung in der Leitung der<br />

Kirche bzw. einer Gemeinde nachsinnen. <strong>Die</strong>s geschieht in<br />

zwei Etappen: Zunächst (I.) geht es um ein erstes Umschauhalten<br />

in dem mit unserem Thema avisierten Feld. Dabei soll<br />

es um einige Beobachtungen und Erwägungen zu Management<br />

und ebenso zu Grundzügen ge<strong>ist</strong>licher Wahrnehmung<br />

gehen. Im zweiten größeren Bogen unserer Überlegungen<br />

(II.) soll erkundet werden, wo Beziehung und Unterscheidung<br />

von Management und ge<strong>ist</strong>licher Kirchen- wie Gemeindeleitung<br />

akut wird. Als Akzent zum Schluss folgt noch eine<br />

knappe Pointe.<br />

I. Beobachtungen und Erwägungen im Feld unseres Themas<br />

1. Zu Grundzügen des Management<br />

Als Grundfunktionen des Management werden seitens der<br />

Betriebswirtschaftslehre im Rahmen des St. Galler Management-Modells,<br />

das hier besonders in Betracht kommen soll,<br />

161


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

etwa benannt 3: Zunächst Unternehmensphilosophie, worin es<br />

um Leitbild und normative Ziele geht, die das handlungsorientierende<br />

Wertsystem des Unternehmens aufzeigen, der<br />

unternehmenspolitischen Verständigung dienen und der<br />

Nutzenstiftung durch das Unternehmen einen nachvollziehbaren<br />

Sinn nach innen und außen geben sollen. Weiter Unter<br />

nehmungsplanung strategisch mit Aufbau von Erfolgspotentialen<br />

am Markt und operativ mit dem Aufbau betrieblicher<br />

Produktivitätspotentiale und einem Kontrollsystem, das wenn<br />

nötig Korrekturmaßnahmen fortlaufend ermöglicht. Ebenso<br />

gehört zum Management eine effiziente und zugleich flexible<br />

Organisation von strukturellen Regelungen und Arbeitsabläufen,<br />

die den Einsatz der Mitarbeiter und sämtlicher<br />

Ressourcen konsequent auf die strategischen Ziele hin ausrichtet.<br />

Und schließlich hat im Management die Mitarbeiterführung<br />

entscheidende Bedeutung, die mit geeigneten<br />

Führungsstilen und wirksamen Führungstechniken eine<br />

Unternehmenskultur schafft, die Mitarbeiter motiviert, sie in<br />

ihrer Le<strong>ist</strong>ungsfähigkeit stimuliert, zugleich ihren Bedürfnissen<br />

gerecht wird – und insgesamt die Aufgabenerfüllung<br />

sicherstellt.<br />

So sehr damit Wirtschaftsbetriebe im Blick sind, zeigen sich<br />

mit den Grundfunktionen des Management doch gewisse<br />

Analogien zu kybernetischen Kompetenzen, die etwa von der<br />

Kirche in Bayern aufgeführt werden. Geht es doch hier gemäß<br />

dem Fragebogen zum Mitarbeitenden-Jahresgespräch 4<br />

darum, Leitung zu übernehmen und mit adäquatem Leitungsstil<br />

zu entwickeln, so dass Übernahme wie Delegation von<br />

Verantwortung möglich wird; weiter darum, Mitarbeitende zu<br />

gewinnen, zu motivieren, zu fördern; freilich auch darum, im<br />

Bezug von Wahrnehmung der Situation und dem Auftrag der<br />

Kirche Konzepte zu entwickeln und umzusetzen; sodann<br />

darum, das Berufsfeld zu strukturieren, Prioritäten zu setzen<br />

und effizient zu arbeiten; in alledem kommt es darauf an, Zeit<br />

und materielle Ressourcen effizient zu nutzen, Mitarbeitende<br />

ihren Fähigkeiten entsprechend einzusetzen und (so sehr<br />

offen bleibt, in welcher Hinsicht) neue Quellen zu erschließen.<br />

162


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Ob Management in betriebswirtschaftlicher oder von daher<br />

auch in dieser kirchlichen Variante, leuchtet zunächst ein, was<br />

ein Theologe, der sein berufliches Feld in einem größeren<br />

Wirtschafts-Unternehmen gefunden hat, hervorhebt: „Ziel<br />

der me<strong>ist</strong>en Management-Methoden <strong>ist</strong> eine ... effektive und<br />

effiziente Aufgabenbewältigung auf ein Ziel hin.“ 5 Zu fragen<br />

wäre hier schon, wieweit primär teleologische Ausrichtung des<br />

Handelns, wie sie für die Wirtschaft zutrifft, auch für die<br />

Kirche sachgemäß <strong>ist</strong>. Und fragwürdig bleibt in Anbetracht<br />

der genannten Grundfunktionen des Management, dieses primär<br />

als Methode und also instrumental verstehen zu wollen,<br />

etwa mit der Absicht, dadurch einer Kritik an „Ökonomisierung<br />

der Kirche“ den Wind aus den Segeln zu nehmen: Denn<br />

die „Verwendung gleicher oder auch nur ähnlicher Instrumente<br />

... (sage) noch nichts über das Ergebnis oder die Orientierung<br />

der Instrumente aus.“ Zeigt sich schon an der<br />

Übernahme von Management-Methoden, dass damit deren<br />

teleologische Ausrichtung übernommen wird, so lassen sich<br />

Instrumente und Konzeption von Management nicht separieren.<br />

Doch kommt es darauf an, für die Unterschiedlichkeit<br />

von Management-Konzepten einen Blick zu gewinnen. Dann<br />

ließe sich eher prüfen, ob und in welcher Hinsicht Management<br />

auftragsgemäßer Kirchen- und Gemeindeleitung dienen<br />

und entsprechen könnte.<br />

Freilich sind Managementkonzepte zu finden, die zum Zweck<br />

der Produktivitätssteigerung und im Interesse des wirtschaftlichen<br />

Erfolgs für Betriebe, Wirtschaftsabläufe und die<br />

menschliche Arbeitskraft umfassende Mobilisierung und<br />

Flexibilisierung für einzig erfolgversprechend halten. Entsprechend<br />

werden die neuen Anforderungen von einem<br />

Management-Trainer und Trendberater folgendermaßen beschrieben:<br />

„Es darf also keinen Stillstand geben, keine starren<br />

Strukturen, keine Gewohnheiten, keine Standards, keine<br />

Prestige-Regeln und keinen mentalen Konservativismus. Das<br />

Einzige, was es geben muß, <strong>ist</strong> eine permanente Produktivitätssteigerung.“<br />

6 Wer in diesem Run des wirtschaftlichen<br />

Erfolgs mitspielt, von dem wird, wie es heißt, „freiwillige und<br />

163


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

engagierte Selbstoptimierung“ verlangt. <strong>Die</strong>ser Trend scheint<br />

so fraglos erfolgversprechend, dass jeder, der trotz aller Anstrengungen<br />

nicht zum Erfolg gelangt, sein Scheitern sich<br />

selbst zuzuschreiben hat. Positives Denken und Pflicht zum<br />

Optimismus scheint hier der Weisheit letzter Schluss. Und die<br />

Kehrseite dieser Medaille lautet dann bei einem Lebensberater,<br />

der solch verwegener Weisheit fröhnt, nicht umsonst:<br />

„Man kann nicht arbeitslos, krank oder mitttellos werden,<br />

wenn man es nicht unbewußt will.“ 7 Es wäre leichtfertig, solch<br />

abstruse Lebensweisheit, die sich mit Management-Beratung<br />

verbinden kann, auf sich beruhen zu lassen. Eine differenzierte<br />

Ausein<strong>anders</strong>etzung mit solcher „Zurichtung des Menschen<br />

zu einem Element des Marktes“ bietet das Buch von<br />

Johano Strasser „Leben oder Überleben“. Darin bemerkt er<br />

angesichts derartiger Parolen aus der Management-, Trendund<br />

Lebensberatung: „Erfolgreich, so die Botschaft des Neoliberalismus,<br />

<strong>ist</strong> am Ende nur der, der sein Leben und Handeln<br />

ganz der ökonomischen Rationalität unterwirft, der ... sich<br />

selbst ganz zu einem Funktionselement des Marktes macht.“ 8<br />

Kurzschlüssig, ja verfehlt wäre es allerdings, solch ökonom<strong>ist</strong>isch<br />

verengte und ideologisierte Sicht als typischen Trend<br />

von Managementkonzepten anzunehmen. Nicht umsonst<br />

wird in der Betriebswirtschaftslehre bedacht, was wirtschaftlicher<br />

Erfolg in kurzfr<strong>ist</strong>iger und in mittel- oder langfr<strong>ist</strong>iger<br />

Perspektive bedeutet und an Management erfordert. Deshalb<br />

<strong>ist</strong> auch kontrovers, ob wirtschaftlicher Erfolg sich allein an<br />

der Maximierung des Gewinns bemessen kann und sich nicht<br />

vielmehr an der Überlebensfähigkeit eines Unternehmens<br />

orientieren muss. Dabei werden dann Fragen selbstverständlich<br />

der ökonomischen, aber auch der ökologischen und sozialen<br />

Nachhaltigkeit in Anschlag gebracht. So gibt etwa einer<br />

der Initiatoren des so genannten St. Galler Management-<br />

Modells, das am Betriebswirtschaftlichen Institut der Hochschule<br />

St. Gallen entstand und weiter entwickelt wurde, zu<br />

bedenken 9: „<strong>Die</strong> Rezessionen der Vergangenheit hätten ...<br />

gezeigt, daß nur die Orientierung am Gewinn zur Steuerung<br />

eines Unternehmens nicht ausreicht. Gewinnmaximierendes<br />

164


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Managementverhalten könne das Überleben eines Unternehmens<br />

nicht sicherstellen. Entscheidend sei es, die Voraussetzungen<br />

zur Gewinnerzielung in das Blickfeld zu nehmen.<br />

Gewinn entstehe nicht voraussetzungslos, sondern als Folge<br />

der Ausnutzung bestimmter Erfolgspotentiale. <strong>Die</strong>se Erfolgspotentiale<br />

gilt es frühzeitig zu erkennen und den Le<strong>ist</strong>ungsprozeß<br />

daran auszurichten.“<br />

Entsprechend wurde in St. Gallen betriebswirtschaftlich eine<br />

systemische Betrachtungsweise entwickelt. Damit kommen<br />

für ein Unternehmen intern Zusammenhänge in Betracht zwischen<br />

Produktions- und Kommunikationsprozessen, ebenso<br />

extern Zusammenhänge mit weiteren wirtschaftlichen, sozialen<br />

und ökologischen Prozessen. Zugleich wurde offen gehalten,<br />

ob Grundzüge der Leitung eines Unternehmens wie in<br />

Wirtschaftsbetrieben analog etwa in Verwaltungen und<br />

Verbänden anzutreffen und zu entwickeln sind. Deshalb<br />

wurde Management als „Leitung soziotechnischer Systeme“<br />

bestimmt bzw. genauer: „Management <strong>ist</strong> die Leitung soziotechnischer<br />

Systeme in personen- und sachbezogener<br />

Hinsicht mit Hilfe von professionellen Methoden. In der<br />

sachbezogenen Dimension des Managements geht es um die<br />

Bewältigung der Aufgaben, die sich aus den obersten Zielen<br />

des Systems ableiten, in der personbezogenen Dimension um<br />

den richtigen Umgang mit allen Menschen, auf deren<br />

Kooperation das Management zur Aufgabenerfüllung angewiesen<br />

<strong>ist</strong>.“ 10<br />

Sowohl die aufgaben- wie die personbezogene Dimension des<br />

Management erfordert beides: die Gestaltung der Organisation<br />

und die Gestaltung der Führung, um das Erreichen der<br />

im jeweiligen System gesetzten Ziele zu ermöglichen und zu<br />

fördern. Dabei betrifft die organisatorische Gestaltungsaufgabe<br />

zweckmäßige Strukturen und Regeln eines Systems. Das<br />

organisatorische Strukturieren umfasst immer zwei Aspekte.<br />

Zum einen den der Differenzierung: denn die zu erfüllenden<br />

Aufgaben müssen in Teilaufgaben zerlegt und verschiedenen<br />

Aufgabenträgern zugeordnet werden. Zum andern den der<br />

165


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Koordination: denn die Teilaufgaben und deren Träger müssen<br />

aufeinander abgestimmt werden, um mit ihren Teille<strong>ist</strong>ungen<br />

zur Gesamtle<strong>ist</strong>ung beizutragen. Dabei betreffen<br />

die Grundaufgaben der Differenzierung und der Koordination<br />

zwei Arten von Strukturen: einmal die Zuordnung der<br />

Aufgabenträger – und somit die Aufbauorganisation bzw. Gebildestruktur<br />

eines Systems; ebenso die logische und zeitliche<br />

Gliederung der Arbeitsabläufe und Aktivitäten - somit die Ablauforganisation<br />

bzw. Prozessstruktur. 11<br />

Zusammen mit der organisatorischen Aufgabe gehört zum<br />

Management die Führungsaufgabe, wodurch auf Seiten der<br />

Mitarbeitenden ihre Einstellung, Motivation und Le<strong>ist</strong>ung geprägt<br />

wird. Führung stellt von daher primär eine interpersonelle,<br />

aber auch wiederum eine organisatorische Gestaltungsaufgabe<br />

dar. Dabei sind nicht nur im St. Galler Management-<br />

Modell mit der Führungsaufgabe sowohl Aufgabenziele wie<br />

Mitarbeiterziele im Blick. Bei der aufgabenorientierten<br />

Führungsfunktion geht es in Verständigung mit den Mitarbeitenden<br />

darum, die anstehenden Aufgaben zu bestimmen und<br />

zu strukturieren; eine rationelle Arbeitsteilung zu schaffen; die<br />

Kommunikation unter den Mitarbeitenden zweckmäßig zu<br />

gestalten; Beratungs- und Entscheidungsprozesse zu steuern<br />

(bzw. im Bedarfsfall Entscheidungen selbst zu treffen) und die<br />

Realisierung der getroffenen Entscheidungen sicherzustellen.<br />

Bei der person- bzw. gruppenorientierten Führungsfunktion<br />

geht es darum, die Fähigkeiten und Erfahrungen der Mitarbeitenden<br />

zu nutzen; offene Kommunikation unter ihnen<br />

sowie gegenseitige fachliche und soziale Unterstützung zu fördern;<br />

durch Zuteilung herausfordernder, nicht überfordernder<br />

Aufgaben den Mitarbeitenden die Möglichkeit zu fachlicher<br />

wie persönlicher Entwicklung zu bieten; und Arbeitszufriedenheit<br />

der Mitarbeitenden durch Erfüllung einer sinnvollen<br />

Aufgabe zu ermöglichen. So besteht die besondere Herausforderung<br />

der Führungsaufgabe darin, Aufgaben- und<br />

Mitarbeiterziele aufeinander zu beziehen. 12 Eine völlige Zielintegration<br />

allerdings wäre utopisch. Recht besehen werden<br />

Aufgaben- und Mitarbeiterziele kaum je deckungsgleich sein,<br />

166


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

vielmehr Differenzen und Gegensätze zeigen. Deshalb kann<br />

es nur darauf ankommen, beide so förderlich wie möglich aufeinander<br />

zu beziehen.<br />

Zur Führung eines Unternehmens bzw. eines soziotechnischen<br />

Systems gehört, wie gesagt, mit der Dimension der<br />

interpersonellen so auch die der organisatorischen Verantwortung.<br />

<strong>Die</strong>s betrifft einerseits Regeln des Führungsstils:<br />

etwa Grundsätze des Informationsverhaltens gegenüber den<br />

Mitarbeitenden; Verständigung über Ausmaß und Gegenstände<br />

der Partizipation; weiter im Prozess der Le<strong>ist</strong>ungserbringung<br />

das Verhältnis von Fremd- und Selbstkontrolle der<br />

Mitarbeitenden; und nicht zuletzt die Frage von Stil, Kriterien<br />

und Häufigkeit von Beurteilung – sei es als einseitige Qualifikation<br />

(der Mitarbeitenden durch Vorgesetzte) oder als beidseitige<br />

Beurteilung (womit auch die Mitarbeitenden die<br />

Vorgesetzten qualifizieren). Ebenso gehört zur organisatorischen<br />

Dimension von Führung die Regelung von Führungstechniken:<br />

etwa ob Führung primär über Zielorientierung und<br />

Zielvereinbarung erfolgt oder, wenn normalerweise Routine-<br />

Aufgaben anfallen, über Verständigung zu Ausnahmefällen.<br />

Zu den Führungstechniken gehören weiter einmal Einsatz<br />

von Gruppenarbeit (ob in ständigen Ausschüssen oder in<br />

Projektteams etc.) und Regeln für die Arbeitsweise in der<br />

Gruppe; ebenso Regeln von Mitwirkung bzw. Interessenvertretung<br />

bei Entscheidungen, die sich auf die Situation der Mitarbeitenden<br />

auswirken; nicht zuletzt Regeln der Konfliktbewältigung<br />

im Gespräch oder notfalls auf dem Rekurs- und<br />

Beschwerdeweg. 13<br />

Mit dem St. Galler Management-Modell sind also u.a. folgende<br />

Dimensionen von Management im Blick: Reflexion und<br />

Entwickeln der Ziele eines Unternehmens, dabei auch<br />

Einbezug von Interaktionen mit der Gesellschaft und der<br />

Umwelt; ein Verständnis von wirtschaftlichem Erfolg, das<br />

nicht allein an der Maximierung des Gewinns, sondern zugleich<br />

an der Überlebensfähigkeit des Unternehmens orientiert<br />

<strong>ist</strong>; das Verhältnis von aufgaben- und personbezogenen<br />

167


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Dimensionen des Management – und ebenso organisatorische<br />

wie interpersonelle Führung. Deshalb <strong>ist</strong> es verständlich, dass<br />

dies Modell für Konzeptionen und Gestaltung von Management<br />

in Kirche und Diakonie über die letzten Jahre am stärksten<br />

rezipiert wurde. 14<br />

Wenn im Zusammenhang mit Fragen der Kirchen- und Gemeindeleitung<br />

Modelle von Management in Betracht kommen,<br />

so <strong>ist</strong> dafür Voraussetzung, die hier eigens hervorgehoben<br />

werden soll, dass Kirche und Gemeinde von ihrer<br />

Geschichte, Verfasstheit und Wirkung her ein soziales System<br />

darstellen. Soziale Kommunikations- und Leitungsprozesse<br />

samt entsprechender Regeln gehören wie zu jeder sozialen<br />

Organisation auch zur Kirche. Und klar <strong>ist</strong>, dass sie sich darüber<br />

„so wenig erheben kann wie jeder einzelne Chr<strong>ist</strong> über<br />

die Bedingungen seiner Leibhaftigkeit.“ 15 In Anbetracht dessen<br />

wäre es, um dies schon vorweg anzudeuten, abwegig,<br />

ge<strong>ist</strong>liches Leben separat, getrennt vom alltäglichen Leben<br />

oder als dessen Doppelgänger suchen zu wollen. Vielmehr<br />

steht zu vermuten, dass gerade im Bezug zum alltäglichen<br />

Leben und in dessen Vollzug ge<strong>ist</strong>liches Leben zur Wirkung<br />

kommt. Deshalb müsste in Kirchen- wie Gemeindeleitung<br />

Leitung als soziales wie als ge<strong>ist</strong>liches Geschehen in deren<br />

gegenseitigem Bezug akut werden. Dazu später.<br />

So sehr in manchen Managementmodellen ethische Prämissen<br />

etwa in die Zielbestimmung eingehen können; des weiteren<br />

ethische Orientierung mit den gesellschaftlichen, ökologischen<br />

und weltwirtschaftlichen Zusammenhängen, in denen<br />

ein Unternehmen agiert, erforderlich wird; und ethische<br />

Fragen im Umgang mit Mitarbeitenden akut werden, dient<br />

dies alles bei einem Wirtschaftsbetrieb notwendig dem wirtschaftlichen<br />

Erfolg. Deshalb bedarf es zur Klärung der Frage,<br />

welche Dimensionen einer Managementkonzeption für die<br />

Gestaltung von Kirchenleitung sachgemäß und dienlich sein<br />

könnten, entsprechender Sachkriterien. Was hilft zu unterscheiden<br />

zwischen dem, was an Leitungsentscheidungen für<br />

eine Kirche wie Gemeinde sachgemäß und notwendig <strong>ist</strong>, und<br />

168


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Leitungsprinzipien, die dem Grund und Auftrag von Kirche<br />

widerstreiten? Hier bietet Herms’ Unterscheidung zwischen<br />

ökonomischer und ethischer Steuerung (als Begriff für<br />

Leitungsentscheidungen) eine hilfreiche Differenzierung. 16<br />

Hiernach hat ökonomische Steuerung das Ziel, das Unternehmen<br />

bzw. System „am Markt zu erhalten bzw. seine<br />

Position am Markt zu verbessern durch optimale Anpassung<br />

an die jeweils gegebenen und ständig im Fluß befindlichen<br />

Marktbedingungen.“ Im Unterschied dazu nennt Herms die<br />

Steuerung von Systemen ethisch, „die sich ... nicht nur am<br />

System der Selbsterhaltung orientiert, sondern an einem<br />

inhaltlich gefüllten Wissen um das Wesen und die Bestimmung<br />

des Menschen.“ Entsprechend gilt, „daß die Steuerung<br />

des Systems Kirche nur dann auftragsgemäß <strong>ist</strong>, wenn sie eben<br />

diesen „ethischen“ Charakter hat; also orientiert <strong>ist</strong> genau an<br />

dem im chr<strong>ist</strong>lichen Glauben enthaltenen Wissen um das<br />

Wesen und die Bestimmung des Menschen.“ Der Unterschied<br />

der beiden Typen von Steuerung zeigt sich an ihrem unterschiedlichen<br />

Anpassungsverhalten: „,Ökonomisch’ gesteuerte<br />

Systeme erbringen beliebige Anpassungsmanöver an beliebige<br />

Marktkonditionen“, sofern dadurch die erreichte Position am<br />

Markt zu sichern oder zu steigern <strong>ist</strong>. Dagegen können und<br />

dürfen ethisch gesteuerte Systeme nur zu solchen Anpassungsle<strong>ist</strong>ungen<br />

imstande und bereit sein, „die mit der<br />

,ethischen’ Funktion des Systems (seinen Mitgliedern bei der<br />

Erreichung ihrer Bestimmung behilflich zu sein) verträglich<br />

sind.“ Als Mittel für diesen Zweck und nie als Selbstzweck hat<br />

freilich die Erhaltung des Systems auch in ethischer Steuerung<br />

ihre Bedeutung. Damit ergeben sich für Leitung in der Kirche<br />

zwei Kriterien: Einmal kann es nie um bloße Anpassung an<br />

Umweltbedingungen, Lebenseinstellungen und Lebensweisheiten<br />

gehen, vielmehr um Anknüpfung und Widerspruch<br />

zugleich. Und ebenso kann es um Erhalt der Kirche in ihrer<br />

institutionellen Gestalt nur gehen mit dem ständig wirksamen<br />

Widerlager, dass die äußeren Bedingungen von Kirche der ihr<br />

aufgetragenen Botschaft dienen, die Menschen helfen will,<br />

ihre Bestimmung zu erreichen, nämlich zu wahrem, verlässlichem,<br />

ewigem Leben zu finden.<br />

169


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

2. Was besagt „ge<strong>ist</strong>lich“?<br />

Das Wort „ge<strong>ist</strong>lich“ und die Wendung „ge<strong>ist</strong>liches Leben“<br />

kommt in der gängigen Sprache kaum mehr vor. An welch<br />

fragwürdigem Gebrauch, an welchen Missverständnissen und<br />

Vorbehalten dies liegt, bleibe hier ebenso dahingestellt wie die<br />

Frage, weshalb dafür das Wort „Spiritualität“ 17 derart in Kurs<br />

gekommen <strong>ist</strong>. Doch sehe ich keine treffendere Wendung als<br />

„ge<strong>ist</strong>liches Leben“, um aufs kürzeste das Ineinander und<br />

Widereinander von Glaube und Leben anzusprechen. 18 Was<br />

aus der gängigen Sprache fast ausgewandert <strong>ist</strong> und deshalb<br />

befremdlich erscheint, bedarf, sollte man darauf schwer verzichten<br />

können, möglichst klarer, erhellender Auskunft. Dafür<br />

wenden wir uns einem knappen Text aus der Reformationszeit<br />

zu, worin das Wort „ge<strong>ist</strong>lich“ pointierte Bedeutung und Prägnanz<br />

gewonnen hat: einer Passage aus Luthers Schrift „Von<br />

der Freiheit eines Chr<strong>ist</strong>enmenschen“ aus dem Jahre 1520. 19<br />

<strong>Die</strong>ser Traktat <strong>ist</strong> Luthers einziger Versuch einer systematischen<br />

Gesamtdarstellung des chr<strong>ist</strong>lichen Glaubens, dabei,<br />

wie wir sagen würden: Dogmatik und Ethik in einem. In dem<br />

Sendbrief, mit dem Luther diese Schrift Papst Leo X. übersandte,<br />

heißt es: „Es <strong>ist</strong> eyn kleyn büchle, ßo das papyr wirt<br />

angesehen, aber doch die gantz summa eyniß Chr<strong>ist</strong>lichen<br />

leben drynnen begriffen, ßo der synn vorstanden wirt.“ 20 Der<br />

Doppelaspekt der Ex<strong>ist</strong>enz des Chr<strong>ist</strong>en als eines freien Herrn<br />

über alle Dinge und zugleich eines dienstbaren Knechtes aller<br />

(1. Korinther 9,19 entnommen) gibt der Schrift ihren Duktus<br />

mit der Gliederung in zwei Teile. Damit wird die Darlegung<br />

auf Glaube und Liebe konzentriert. <strong>Die</strong>s macht das Chr<strong>ist</strong>sein<br />

aus und <strong>ist</strong> ganz in Chr<strong>ist</strong>us begründet, der frei und ein<br />

Knecht war (239). <strong>Die</strong> Passage, die für das Verständnis dessen,<br />

was „ge<strong>ist</strong>lich“ besagt, hier in Betracht kommt, findet sich gegen<br />

Ende des ersten Teils – und erhält mit der Erläuterung<br />

dessen, was Chr<strong>ist</strong>us für den Chr<strong>ist</strong>en bedeutet, Gewicht für<br />

das Ganze. Zu Anfang dieser Passage gewinnt die Frage, was<br />

der Glaube bewirkt, jene Pointe mit der Metapher vom „fröhlichen<br />

Wechsel“: „Der Glaube ... vereinigt auch die Seele mit<br />

170


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Chr<strong>ist</strong>us als eine Braut mit ihrem Bräutigam... So werden auch<br />

beider Güter, Glück, Unglück und alle Dinge gemeinsam; das,<br />

was Chr<strong>ist</strong>us hat, das <strong>ist</strong> der gläubigen Seele zu eigen; was die<br />

Seele hat, wird Chr<strong>ist</strong>us zu eigen. So hat Chr<strong>ist</strong>us alle Güter<br />

und Seligkeit; die sind auch der Seele zu eigen. So hat die Seele<br />

alle Untugend und Sünde auf sich; die werden Chr<strong>ist</strong>us zu<br />

eigen. Hier erhebt sich nun der fröhliche Wechsel und Streit...<br />

Ist nun das nicht eine fröhliche Wirtschaft, wo der reiche, edle,<br />

fromme Bräutigam Chr<strong>ist</strong>us das arme, verachtete, böse Hürlein<br />

zur Ehe nimmt und sie von allem Übel entledigt, ziert mit<br />

allen Gütern?“ (245f). Hier und, wie wir gleich sehen werden,<br />

im Anschluss daran (hielten wir weiter Umschau, würde uns<br />

dies im gesamten Traktat auffallen) „sind die Aussagen über<br />

den Chr<strong>ist</strong>en und über Chr<strong>ist</strong>us wie zwei Bänder ineineinander<br />

verschlungen – ein unverwechselbares theologisches<br />

Grundmuster.“ 21 – Damit deutet sich ein erster Grundzug<br />

dessen an, was ge<strong>ist</strong>liches Leben ausmacht: als Teilgewinnen<br />

an dem Leben, das von Jesus Chr<strong>ist</strong>us ausgeht, an dem er uns<br />

teilgibt. Das bewirkt der Glaube.<br />

<strong>Die</strong> kommunikative Pointe des Verhältnisses zwischen<br />

Chr<strong>ist</strong>us und den Chr<strong>ist</strong>en zeigt sich darin, dass er an der<br />

Würde als König wie als Priester, die ihm zukommt, teilgibt.<br />

(<strong>Die</strong> biblische Begründung für dies doppelte Amt Chr<strong>ist</strong>i findet<br />

Luther, zugestanden etwas spitzfindig, in der Verheißung,<br />

die nach dem Ruben-Spruch im Jakobssegen, 1. Mose 49,3,<br />

mit der Erwählung des Erstgeborenen verbunden <strong>ist</strong>. 22) Hier<br />

liegt zugleich „die Keimzelle einer spezifisch reformatorischen<br />

Gestalt von Chr<strong>ist</strong>ologie, der Lehre vom Amt Chr<strong>ist</strong>i“. 23<br />

Demgegenüber orientiert sich die Lehre vom dreifachen Amt<br />

Chr<strong>ist</strong>i, einschließlich des prophetischen, an den theologischen<br />

Amtsfunktionen des alten Bundes und mag als heilsgeschichtlich<br />

notwendig ausgegeben werden. Doch daran, wie<br />

Luther auf das zweifache Amt abhebt, „<strong>ist</strong> der Anspruch auf<br />

eine ... allgemeine Sachnotwendigkeit erkennbar“. Denn<br />

Chr<strong>ist</strong>us teilt seine doppelte Würde „mit allen seinen Chr<strong>ist</strong>en,<br />

so daß sie durch den Glauben auch alle Könige und Priester<br />

mit Chr<strong>ist</strong>us sein müssen, wie St. Petrus sagt 1. Petr. 2,9: „Ihr<br />

171


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

seid ein priesterliches Königreich und ein königliches Priestertum.“<br />

<strong>Die</strong>s gewinnt die Pointe: „Wer kann nun die Ehre und<br />

Höhe eines Chr<strong>ist</strong>enmenschen ausdenken? Durch sein Königreich<br />

<strong>ist</strong> er aller Dinge mächtig, durch sein Priestertum <strong>ist</strong> er<br />

Gottes mächtig“ (248f). Damit kommt der Weltbezug wie der<br />

Gottesbezug des Menschen in den Blick. Und darin findet der<br />

Gedanke des zweifachen Amtes allgemeine Sachnotwendigkeit:<br />

„Weil sich der Mensch als solcher in dieser Doppelbeziehung<br />

zu Gott und zur Welt befindet, wird unter dem<br />

Aspekt des Königtums und des Priestertums die Bedeutung<br />

Chr<strong>ist</strong>i für das Menschsein überhaupt aufgedeckt.“ 24 – Damit<br />

sei ein weiterer Grundzug dessen, was „ge<strong>ist</strong>lich“ besagt,<br />

angedeutet: nämlich die Unterscheidung der Grundrelationen<br />

des Menschseins – zum einen unseres Seins vor der Welt<br />

sowie damit vor andern Menschen und uns selbst, zum andern<br />

unseres Seins vor Gott. Klar <strong>ist</strong> zugleich, dass es sich damit<br />

um eine beziehungsvolle Unterscheidung handelt, die sich auf<br />

unsere jeweils konkrete Situation in der Welt auswirkt.<br />

Nun aber sollen vor allem aber noch einige Wendungen beachtet<br />

werden, in denen das Wort „ge<strong>ist</strong>lich“ begegnet. Von<br />

Chr<strong>ist</strong>us heißt es: Er <strong>ist</strong> „ein König und Priester, jedoch ge<strong>ist</strong>lich;<br />

denn sein Reich <strong>ist</strong> nicht irdisch noch in irdischen, sondern<br />

in ge<strong>ist</strong>lichen Gütern, als da sind Wahrheit, Weisheit,<br />

Friede, Freude, Seligkeit und so weiter. Damit <strong>ist</strong> das zeitliche<br />

Gut aber nicht herausgehalten; denn es sind ihm alle Dinge<br />

unterworfen im Himmel, auf Erden und in der Hölle, obwohl<br />

man ihn nicht sieht; das kommt daher, daß er ge<strong>ist</strong>lich, unsichtbar<br />

regiert.“ (247) Hier fallen die antithetischen<br />

Wendungen auf: ge<strong>ist</strong>lich/nicht irdisch, ge<strong>ist</strong>lich/nicht sichtbar.<br />

Mit solcher Antithetik <strong>ist</strong> keineswegs eine Trennung<br />

intendiert zwischen einem vermeintlich ge<strong>ist</strong>lichen Bereich<br />

und dem irdischen Leben. Vielmehr kommt eine antithetische<br />

Beziehung in den Blick: Chr<strong>ist</strong>i Reich <strong>ist</strong> nicht irdisch, und<br />

doch sind ihm alle Dinge auf Erden unterworfen – wie im<br />

Himmel so auch in der Hölle. Und die ge<strong>ist</strong>lichen Güter als<br />

Inbegriff dessen, was das Evangelium <strong>ist</strong>, was das kommunikative<br />

Sein Jesu Chr<strong>ist</strong>i ausmacht: <strong>Die</strong> Gerechtigkeit Gottes,<br />

172


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

die Wahrheit Gottes, die Weisheit Gottes, der Friede Gottes,<br />

das Heil Gottes in Person, – diese ge<strong>ist</strong>lichen Güter wirken<br />

sich gerade in unserm Verhältnis zu zeitlichem Gut aus. Mit<br />

alledem regiert er freilich „ge<strong>ist</strong>lich, unsichtbar“, also verborgen<br />

und wider den Augenschein. Dass sein Reich nicht irdisch,<br />

sondern ge<strong>ist</strong>lich <strong>ist</strong>, erinnert an die Worte des johanneischen<br />

Chr<strong>ist</strong>us vor Pilatus: „Mein Reich <strong>ist</strong> nicht von dieser Welt...<br />

(Doch:) Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen,<br />

dass ich die Wahrheit bezeugen soll“ (Johannes 18,36f). So<br />

tritt die ge<strong>ist</strong>liche Macht der Königsherrschaft Chr<strong>ist</strong>i gerade<br />

verborgen unter dem Gegenteil zutage: seine Königskrone <strong>ist</strong><br />

die Dornenkrone als bleibendes Kennzeichen seiner Macht. –<br />

Damit gewinnt weiter Klarheit, was „ge<strong>ist</strong>lich“ heißt: was im<br />

Zeichen des Kreuzes Chr<strong>ist</strong>i wahrgenommen und verstanden<br />

wird und also im Sinn der Verborgenheit Gottes unter dem<br />

Gegensatz. Was ge<strong>ist</strong>lich zu heißen verdient, wird sich am<br />

Kreuz Jesu Chr<strong>ist</strong>i orientieren und also seinem Leben schaffenden<br />

Ge<strong>ist</strong> verdanken.<br />

Ge<strong>ist</strong>liches Leben <strong>ist</strong> nach dieser Passage in Luthers Freiheits-<br />

Traktat im Gottesbezug begründet, erhält aber seine Profilierung<br />

erst im Weltbezug. So heißt es von der königlichen<br />

Würde, die durch Chr<strong>ist</strong>us zuteil wird, „daß ein Chr<strong>ist</strong>enmensch<br />

durch den Glauben so hoch über alle Dinge erhoben<br />

wird, daß er ge<strong>ist</strong>lich ein Herr aller Dinge wird; denn es kann<br />

ihm kein Ding zur Seligkeit schaden. Ja, es muß ihm alles<br />

untertan sein ... (,) wie St. Paulus lehrt ... 1. Kor 3,21f.: „Alle<br />

Dinge sind euer, es sei das Leben oder der Tod, gegenwärtig<br />

oder zukünftig“ usw. Nicht daß wir über alle Dinge leiblich<br />

mächtig sind, sie zu besitzen und zu gebrauchen ...; denn wir<br />

müssen leiblich sterben ... So müssen wir auch vielen anderen<br />

Dingen unterliegen, wie wir an Chr<strong>ist</strong>us und seinen Heiligen<br />

sehen; denn dies <strong>ist</strong> eine ge<strong>ist</strong>liche Herrschaft, die da in der<br />

leiblichen Unterdrückung regiert“ (S. 248). Und hier heißt es<br />

in der lateinischen Fassung des „Tractatus de libertate chr<strong>ist</strong>iana“<br />

weiter: „<strong>Die</strong> ge<strong>ist</strong>liche Macht erwe<strong>ist</strong> sich als solche gerade<br />

mitten unter Feinden, mitten in Bedrängnissen, und das<br />

heißt: sie vollendet sich als Kraft in der Schwachheit.“ 25 –<br />

173


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Was „ge<strong>ist</strong>lich“ zu heißen verdient, erwe<strong>ist</strong> sich hiernach also<br />

als Gegensatzerfahrung: als überraschende Erfahrung mit<br />

eigener Lebenserfahrung. Und dies alles läuft auf die<br />

Wendung hinaus: „Das <strong>ist</strong> eine gar hohe, ehrenvolle Würde<br />

und eine rechte, allmächtige Herrschaft, ein ge<strong>ist</strong>liches Königreich,<br />

in dem kein Ding so gut, so böse <strong>ist</strong>, es muß mir zugut<br />

dienen, wenn ich glaube... Sieh, welch eine köstliche Freiheit<br />

und Gewalt der Chr<strong>ist</strong>en <strong>ist</strong> das!“ (248f). <strong>Die</strong> durch Chr<strong>ist</strong>us<br />

mitgeteilte Freiheit erwe<strong>ist</strong> sich also im Guten wie im Bösen,<br />

das den Menschen gefangen hält, als Freiheit der Welt gegenüber.<br />

Und nehmen wir von dieser Passage gegen Schluss des<br />

ersten Teils der Freiheits-Schrift den Bogen des zweiten Teils<br />

in den Blick, so bleibt zu präzisieren: als Freiheit der Zuwendung<br />

zur Welt und gerade darin als Freiheit der Welt<br />

gegenüber. – Damit wird deutlich, was als „ge<strong>ist</strong>lich“ angesprochen<br />

wird: die Freiheit aus Glauben, die in befreiter Zuwendung<br />

zur Welt gegenüber vielem, was uns faszinierend<br />

oder erschreckend in Bann schlägt, als Freiheit der Welt<br />

gegenüber sich auswirkt und Gestalt gewinnt.<br />

II. Wo Beziehung wie Unterscheidung von Management und<br />

ge<strong>ist</strong>licher Kirchenleitung akut wird<br />

Nachdem bisher im Feld unseres Themas: zu Management<br />

und der Frage, was „ge<strong>ist</strong>lich“ heißt, einiges beobachtet, erwogen<br />

und geklärt wurde, kann und soll es nun gezielt um die<br />

Frage gehen, in welcher Hinsicht das Verhältnis von Management<br />

und ge<strong>ist</strong>licher Kirchen- wie Gemeindeleitung sich als<br />

notwendige und beziehungsvolle Unterscheidung erwe<strong>ist</strong> und<br />

wo diese akut wird. Dazu sollen acht Dimensionen in Betracht<br />

kommen.<br />

1. Handeln und kreative Passivität<br />

Sachgerechtes Management dient auch in der Kirche dazu, in<br />

Anbetracht notwendiger Aufgaben mit möglichst klaren<br />

Zielen, von daher mit Planung und Vereinbarungen, mit Spiel-<br />

174


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

regeln und sinnvollen Arbeitsabläufen, Zusammenarbeit und<br />

einen Le<strong>ist</strong>ungsprozess zu ermöglichen, die zu möglichst ertragreichen<br />

Ergebnissen führen. Es lässt sich nicht leugnen,<br />

dass in kirchlichem Handeln: etwa in der Öffentlichkeitsarbeit<br />

der Kirche, begonnen schon mit dem Gemeinde brief, herstellendes,<br />

darstellendes und kommunikatives Handeln zusammentreffen.<br />

Anders freilich als in der Art ökonomischen<br />

Handelns geht es für die Kirche primär um darstellendes und<br />

kommunikatives Handeln. Denn in kirchlichem Handeln geht<br />

es primär um Förderung von Lebensorientierung aufgrund<br />

chr<strong>ist</strong>licher Glaubens- und Leebensgewissheit – und von daher<br />

um Klärung von Lebenseinstellungen und Aufgaben der<br />

Gestaltung des Lebens. So sehr sich kirchliches Handeln der<br />

Art nach notwendig von ökonomischem Handeln unterscheidet,<br />

spielen in ihm wie in jedem menschlichen Handeln doch<br />

Aspekte ökonomischen Handelns notwendig mit: so etwa die<br />

Frage nach dem Verhältnis von Aufwand und Ertrag, von<br />

Einsatz und Wirkung, von Le<strong>ist</strong>ung und Erfolg.<br />

Der Frage von Aufwand und Ertrag müssen wir uns kirchlich<br />

in mancherlei Hinsicht stellen. Im Blick freilich auf Förderung<br />

von Lebensorientierung und also Zugang zu tragender Glaubens-<br />

wie Lebensgewissheit <strong>ist</strong>, was den Ertrag unseres darstellenden<br />

und kommunikativen Handelns betrifft, zu<br />

unterscheiden zwischen notwendigen Bedingungen, die in<br />

unserer Verantwortung liegen, und den hinreichenden Bedingungen,<br />

die sich allein Gottes Handeln verdanken und deshalb<br />

uns unverfügbar bleiben. <strong>Die</strong>se Unterscheidung wird mit CA<br />

V prägnant: „Solchen Glauben (nämlich die Gewissheit der<br />

Rechtfertigung des Sünders durch Gott) zu erlangen, hat Gott<br />

das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakrament geben,<br />

dadurch er als durch Mittel den heiligen Ge<strong>ist</strong> gibt, welcher<br />

den Glauben in denen, so das Evangelium hören, wo und<br />

wenn er will, wirket.“ 26 Zu den notwendigen Bedingungen für<br />

diesen „Ertrag“ gehört, dass die Kirche ihre eigene Botschaft<br />

ernst nimmt; dass eigene Entdeckungsprozesse mit dem<br />

Evangelium und also mit dem dadurch eröffneten wahren<br />

Leben in Gang gehalten werden und dafür Sprache gefunden<br />

175


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

wird; dass die Kirche die Wahrheit Gottes feiert und Menschen<br />

zu mündigem Glauben ermutigt.<br />

<strong>Die</strong>s alles stellt durchaus Le<strong>ist</strong>ungen menschlichen Handelns<br />

dar, die zu überprüfen und zu beurteilen sind. <strong>Die</strong>s erfolgt<br />

ohnehin in der Selbstbeurteilung, sinnvoller Weise auch in kollegialer<br />

Begleitung und Beurteilung – und zudem in weiteren<br />

Prozessen intersubjektiver Beurteilung. Dem allen können<br />

sich Pfarrerinnen, Pfarrer wie alle Mitarbeitenden, die nicht<br />

zuletzt von außen her gesehen für „die Kirche“ stehen, in verantwortlichem<br />

Handeln nicht entziehen. Entscheidend bleibt<br />

zugleich – und zwar im <strong>Die</strong>nst an der Lebensorientierung von<br />

Menschen aufgrund des Evangeliums, von solchen notwendigen<br />

Beurteilungs-Prozessen sich nicht letztlich abhängig<br />

machen zu müssen. Der Grund dieser Freiheit liegt letztlich<br />

darin, dass wir wie jeder Mensch in allen Bezügen unserer<br />

weltlichen Verantwortung vor Gott stehen. Denn der Mensch<br />

„gilt vor Gott nicht kraft des Ansehens, das er in der Welt<br />

genießt, kraft der Selbsteinschätzung, die er von sich hat. Er<br />

muß aber auch wissen, daß sein Verlassensein von der Welt<br />

und seine Verzweiflung an sich selbst nicht das Urteil ausmachen,<br />

das Gott über ihn fällt. Gottes Gedanken sind nicht<br />

unsere Gedanken und seine Wege nicht unsere Wege (Jes<br />

55,8). Es besteht vielmehr ein Gegensatzverhältnis, eine Umkehrung<br />

zwischen dem Urteil der Welt und dem Urteil Gottes:<br />

,Was hoch <strong>ist</strong> unter den Menschen, das <strong>ist</strong> ein Greuel vor<br />

Gott’ (Lk 16,15). Er sieht auf das Verachtete und erhöht den<br />

Niedrigen aus dem Staub (1. Sam 2,8 ...). Es gilt kein Ansehen<br />

der Person vor Gott (1. Sam 16,7...). Gerade deshalb <strong>ist</strong> der<br />

Mensch darauf angewiesen, als Person von Gott angenommen<br />

zu werden.“ 27<br />

Weiter <strong>ist</strong> zu fragen, was für kirchliche Tätigkeit kennzeichnend<br />

<strong>ist</strong> bei allen Zügen, die ihr mit anderem, vor allem darstellendem<br />

und kommunikativem Handeln von Menschen<br />

gemeinsam sind. Müsste darin nicht zur Wirkung kommen,<br />

dass Kirche „creatura verbi“ 28 <strong>ist</strong>: durch das Wort des Evangeliums<br />

erschaffen, erhalten, erneuert wird und also davon<br />

176


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

lebt? So wird das Handeln der Kirche primär hellhöriger Umgang<br />

mit dem Wort sein müssen. Denn Glaube lebt nicht von<br />

Fakten des Handelns, kommt vielmehr aus dem Hören<br />

(Römer 10,17), und Menschen sind angewiesen auf ermutigendes,<br />

befreiendes, gewissmachendes Wort. In hellhörigem<br />

Umgang mit dem Wort geschieht empfangendes Handeln, das<br />

freilich zugleich (entgegen einem Weghören oder bloßem<br />

Wiederfinden-Wollen von Selbstverständlichem) aktive Aufmerksamkeit<br />

erfordert. Prägnanz gewinnt solch Ineinander<br />

von Aktivität und Empfangen etwa im Umgang mit einem<br />

biblischen Text: hier <strong>ist</strong> umsichtiges Wahrnehmen, fachkundiges<br />

Auslegen gefragt. Und doch geschieht das Entscheidende<br />

im Verstehensprozess, kommt es zum „Aha-Erlebnis“<br />

gerade dadurch, dass ich als Auslegender überraschend merke,<br />

wie mein und anderer Menschen Leben durch die Botschaft<br />

des Textes ausgelegt wird. <strong>Die</strong>ser Gesamtvorgang <strong>ist</strong> recht besehen<br />

ein Geschehen kreativer Passivität. Ebenso gilt: Wenn<br />

der Gottesdienst darin seinen Grund und sein Kriterium hat,<br />

dass uns Menschen Gottes <strong>Die</strong>nst zuteil wird, kann<br />

gottesdienstliches Handeln der Kirche nichts anderes sein „als<br />

ein Nehmen, ... ein Empfangen göttlicher Wohltaten“.<br />

Deshalb bedarf, wie Jüngel sagt, kirchliches Handeln „einer<br />

soteriologischen Unterscheidung ..., insofern angesichts ...<br />

(der) Heilstat Gottes das menschliche Handeln grundlegend<br />

empfangendes, durch kreative Passivität charakterisiertes Handeln“<br />

29 <strong>ist</strong>. Somit kann kirchliches Handeln nur als empfangendes<br />

Handeln, das sich dem Horchen auf das Evangelium<br />

verdankt – und das von kreativer Passivität gekennzeichnet <strong>ist</strong>,<br />

dem Handeln Gottes uns Menschen zugute entsprechen.<br />

So sehr zuvor zwischen herstellendem und darstellendem bzw.<br />

kommunikativem Handeln unterschieden wurde (in der<br />

Antike wurde dies etwa bei Ar<strong>ist</strong>oteles als „Poiesis“ und<br />

„Praxis“ unterschieden), <strong>ist</strong> von hier aus noch dem Verständnis<br />

kirchlicher Praxis nachzudenken. Allerme<strong>ist</strong> wird dabei<br />

primär an verschiedene Tätigkeitsfelder der Gemeinde bzw.<br />

des Pfarramts gedacht, für die dann mit entsprechenden Maßnahmen<br />

nach Kompetenz- und Effizienz-Gewinn gesucht<br />

177


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

wird. Doch bleibt schlicht die Frage, wo Theologie und die<br />

Praxis des Pfarramts und der Gemeinde praktisch wird. Wohl<br />

kaum schon in den Tätigkeiten selbst. Denn recht besehen,<br />

und dies kann einem etwa am Gottesdienst und an der<br />

Predigt, aber auch an Seelsorge und Bildungsarbeit aufgehen,<br />

finden solche Tätigkeiten ihre Praxis im Leben, das der<br />

Mensch zu bestehen hat, genauer darin, dass dem Menschen<br />

in seinem wirklichen Leben durch Gott wahres, verlässliches,<br />

ewiges Leben zuteil wird. Kirchliches Handeln wird also darin<br />

praktisch, dass es dem Praktischwerden des Evangeliums im<br />

menschlichen Leben dient. Deshalb bleibt der Spannungsbogen<br />

zwischen zwei Dimensionen von Praxis: als menschlicher<br />

Tätigkeit und als Lebensvollzug für kirchliches Handeln<br />

unaufgebbar. 30<br />

Um dies noch einen Schritt weiter zu verfolgen: <strong>Die</strong> Differenzierung<br />

von Praxis als Tätigkeit und Lebensvollzug wird<br />

wie mit kirchlichem - so mit kommunikativem Handeln überhaupt<br />

akut. Man stelle sich etwa die Frage, wo kommunikatives<br />

Handeln: also was dazu herausfordert und motiviert,<br />

ebenso was dadurch an Wirkung und Rückwirkung geschieht,<br />

praktisch wird. Offensichtlich nicht einfach im Handeln<br />

selbst, vielmehr im Sein des Menschen: denn dies erwe<strong>ist</strong> sich<br />

als konkreter und res<strong>ist</strong>enter als alles, was der Mensch in seinem<br />

Denken und Handeln hervorbringt. Konkreter geradezu<br />

wörtlich verstanden: denn darin, wie der Mensch mit sich und<br />

der Welt dran <strong>ist</strong>, treffen verschiedene Lebensdimensionen<br />

und Lebensäußerungen zusammen. Und res<strong>ist</strong>enter als seine<br />

Hervorbringungen <strong>ist</strong> das Sein des Menschen zum einen deshalb,<br />

weil das Sein des Menschen in der Welt unablässig<br />

Denken und Handeln herausfordert, ohne aber darin aufgehen<br />

zu können; und zum andern deshalb, weil der Mensch in<br />

seinem Personsein mit verschiedenen Urteilsinstanzen, auch<br />

gegenläufigen Urteilen zu schaffen bekommt und so immer<br />

wieder in einen Streit verwickelt wird, der, solange das Leben<br />

währt, nicht erledigt <strong>ist</strong>. 31 Weil kirchliches Handeln im<br />

Lebens-„Prozess“ der Förderung von Lebensorientierung<br />

dient aufgrund chr<strong>ist</strong>licher Glaubens- und Lebensgewissheit,<br />

178


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

wird es darin praktisch, dass es dem Praktischwerden des<br />

Evangeliums im menschlichen Lebens dient.<br />

2. Zielorientierung und Grundlegung des Handelns<br />

Nicht umsonst <strong>ist</strong> menschliches Handeln mit der Frage nach<br />

Zielen aufs engste verbunden. Lässt es sich doch jedenfalls<br />

me<strong>ist</strong> von bestimmten Absichten leiten: was will ich erreichen,<br />

worauf will ich hinaus? Insofern bedarf es möglichst klarer<br />

Ziele. Dabei <strong>ist</strong> es in einem längeren Prozess ganz angemessen,<br />

dass je nach Umständen und Zwischenbilanz die Ziele<br />

revidiert werden, deshalb aber eine Zielorientierung des Handelns<br />

keineswegs dahinfällt. Deshalb leuchtet es elementar ein,<br />

dass zu Management-Konzeptionen Ist- wie Soll-Analyse<br />

gehört und deshalb das Setzen von Zielen, wobei zu unterscheiden<br />

<strong>ist</strong> zwischen Gesamtziel (oder „Unternehmens-<br />

Philosophie“ bzw. „Leitbild“) und von daher strategischen –<br />

und operativen Zielen, und beachtlicher Weise ebenso<br />

Aufgaben-Ziele wie Ziele der Mitarbeitenden zu berücksichtigen<br />

sind. 32 Deshalb erstaunt es zunächst kaum, dass im Blick<br />

auf Erneuerung von Kirche, mindestens der Erhöhung von<br />

Wirksamkeit kirchlichen Handelns heutzutage erhebliche<br />

Aufmerksamkeit dem Setzen von Zielen bzw. der Leitbildentwicklung<br />

gilt. Vielmehr besteht eine ersichtliche Analogie zwischen<br />

der Bedeutung eines Leitbilds für die Führung eines<br />

Unternehmens und der Leitung der Kirche bzw. einer<br />

Gemeinde. So heißt es einerseits: „Das Bemühen um ... ein<br />

unternehmensphilosophisches Leitbild, das eine gemeinsame<br />

Wertbasis aller Führungskräfte darstellt, <strong>ist</strong> keineswegs<br />

Ausdruck eines weltfremden Idealismus, der mit den wirklichen<br />

„Alltagskriterien“ des unternehmerischen Handelns unvereinbar<br />

wäre, sondern schafft im Gegenteil überhaupt erst<br />

das normative Fundament einer durchdachten, klaren und<br />

dauerhaft tragfähigen Managementkonzenption.“ 33 Und<br />

ebenso heißt es im Zusammenhang mit Konzepten der Kirchenleitung:<br />

„(D)as „Leitbild“ eines sozialen Systems bedeutet<br />

weder ein Ideal noch eine Utopie. Aus einer nüchternen<br />

Analyse des Ist-Standes und einer ebenso pragmatischen Ein-<br />

179


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

schätzung künftig möglicher Rahmenbedingungen ergibt sich<br />

die antizipatorische Aufgabe, visionär und kreativ eine Vorstellung<br />

der Institution ... zu entwerfen, die langfr<strong>ist</strong>ig wegleitend<br />

sein soll und real<strong>ist</strong>isch auch erreichbar sein kann. <strong>Die</strong><br />

Arbeit am Leitbild <strong>ist</strong> neben analytischen Wahrnehmungen<br />

zugleich von normativen Sinn- und Werthaltungen bestimmt,<br />

die institutionsbezogen ... zu klären sind.“ 34 Dabei <strong>ist</strong> (wie<br />

Alfred Jäger dies nennt) die „Sinn-Achse“ der Kirche allerdings<br />

eine andere als die eines Wirtschaftsunternehmens.<br />

Auch wenn etwa ein Kirchenbezirk sich keine Leitbild-Entwicklung<br />

vornimmt, bleibt es doch unabdingbar, sich gelegentlich<br />

über Ziele etwa bestimmter Projekte zu verständigen<br />

und klar zu werden. Zugleich werden wie bei jedem menschlichen<br />

– so auch bei kirchlichem Handeln mit der Klärung von<br />

Zielen auch Voraussetzungen zu klären sein, die gegeben oder<br />

für das Erreichen der Ziele erforderlich sind. Freilich hat die<br />

bewusste Zielorientierung des Handelns als solche schon<br />

bestimmte Auswirkungen. Fraglos kann dadurch Phantasie<br />

und Kreativität sowie Interesse und Einsatzbereitschaft freigesetzt<br />

werden. Doch ebenso kann die hoffentlich klarsichtige<br />

Zielorientierung für manches blind machen. Denn<br />

Zielorientierung basiert oft auf der Annahme, dass, was <strong>ist</strong>, so<br />

nicht bleiben darf, sondern verändert werden muss. <strong>Die</strong>se<br />

scheinbar plausible Logik führt zu Forderungen – und zumal<br />

dann, wenn angesichts erforderlicher – die gegebenen Voraussetzungen<br />

aus dem Blick geraten, zu bodenloser Forderung<br />

und somit zu Überforderung. Deshalb kommt es darauf an,<br />

dass Zielorientierung nicht den Boden unter den Füßen, nicht<br />

die Grundlage des Handelns außer acht oder gar verlieren<br />

lässt.<br />

Dabei geht es zugleich um Grundfragen der Ethik – kurz gesagt:<br />

ob es um eine Ethik des Gesetzes geht angesichts von<br />

unerfüllten Forderungen oder um eine Ethik der Freiheit<br />

angesichts der Bewahrung dessen, was dem Menschen gewährt<br />

<strong>ist</strong>. <strong>Die</strong>s sei hier nur mit wenigen Hinweisen auf biblische<br />

Paränesen angedeutet. <strong>Die</strong> Paränese des Galaterbriefs<br />

180


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

geht aus von der durch Jesus Chr<strong>ist</strong>us gewährten Freiheit und<br />

beginnt deshalb mit der Wendung: „Zur Freiheit hat uns<br />

Chr<strong>ist</strong>us befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder<br />

das Joch der Knechtschaft auflegen!“ (Galater 5,1) In den drei<br />

Bögen dieser Paränese geht es einmal um Wahrung der<br />

gefährdeten Freiheit (5,1-12), sodann um gelebte Freiheit als<br />

Freiheit zur Liebe (5,13-24) und schließlich um konkrete<br />

Freiheit als Freiheit von sich selbst und zu sich selbst (5,25-<br />

6,10). Dass biblische Paränesen alles andere als bodenlose<br />

Forderungen bieten, lässt ebenso der Auftakt zur Paränese im<br />

Römerbrief ersehen: „Ich ermahne euch nun, liebe Brüder,<br />

aufgrund der Barmherzigkeit Gottes...“ (Römer 12,1) – Und<br />

ebenso sind die radikalen Gebote des Bergpredigers ganz und<br />

gar nicht bodenlose Forderungen. Vielmehr wird damit angesprochen,<br />

was den Menschen im doppelten Sinn geboten <strong>ist</strong>:<br />

nämlich in ihrem Leben erfahrungsgemäß angeboten, – und<br />

zugleich geboten, also von uns gefordert angesichts dessen,<br />

dass wir oft genug aufs Spiel setzen, was uns an elementaren<br />

Gaben zum Leben gewährt <strong>ist</strong>. <strong>Die</strong>s könnte man sich an den<br />

Antithesen klarmachen – etwa an der ersten, die vom Verhältnis<br />

zum Bruder und von der Realität des Zorns ausgeht<br />

(Matthäus 5,21-26); – oder an der dritten, die von der mit der<br />

Sprache angebotenen Verlässlichkeit von Kommunikation<br />

zwischen Menschen ausgeht, die aber schon durch Beteuerung<br />

und Nachdruck Misstrauen erweckt und als vertrauenerweckende<br />

Verlässlichkeit aufs Spiel gesetzt wird; – und<br />

nicht zuletzt auch am Gebot der Feindesliebe, für die der<br />

Bergprediger einsteht, der seine Feinde liebt bis zuletzt.<br />

Für kirchliches Handeln bleibt, wo es darauf ankommt, klare<br />

Zielorientierung unverzichtbar. Doch wäre hier die Beachtung<br />

nur erforderlicher – und nicht vielmehr gegebener Voraussetzungen<br />

geradezu widersinnig. Denn verbunden mit allen für<br />

die Verständigung über Kirche notwendigen Unterscheidungen<br />

(wie etwa zwischen empirischer und geglaubter Kirche) <strong>ist</strong><br />

in der Frage, was Kirche zu Kirche Jesu Chr<strong>ist</strong>i macht, die<br />

Unterscheidung grundlegend zwischen der Kirche und Weg<br />

wie Botschaft Jesu Chr<strong>ist</strong>i als kirchenkritischem Grundge-<br />

181


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

schehen von Kirche 35, woraus Kirche lebt und woraus sie erneuert<br />

wird. So bleibt es entscheidende Aufgabe von Kirchenund<br />

Gemeindeleitung, dass Kirche sich im Hören auf das<br />

Evangelium, etwa im Gottesdienst, selbstkritisch gegenübertritt<br />

und in das Grundgeschehen einkehrt, aus dem sie lebt. 36<br />

Somit ergibt sich der Auftrag der Kirche und ergeben sich<br />

Ziele kirchlichen Handelns aus ihrem Grund in Jesus Chr<strong>ist</strong>us.<br />

Merkwürdigerweise wird aber oft genug kirchlich wie ökumenisch<br />

Ziel und Aufgabe der Kirche entschieden angepeilt,<br />

doch gelegentlich so beharrlich, dass darüber bzw. darunter<br />

der Grund von Kirche nicht recht im Blick <strong>ist</strong>. Je weniger der<br />

Grund der Einheit von Kirche in Jesus Chr<strong>ist</strong>us im Blick <strong>ist</strong><br />

und zur Wirkung kommt, desto entschiedener wird Einheit als<br />

ausstehendes Ziel erachtet und angepeilt, statt auch und gerade<br />

in dieser Hinsicht das Problem und die Aufgabe der Einheit<br />

ganz von deren Grund her wahrzunehmen. – <strong>Die</strong> primäre<br />

Zielorientierung kann bei kirchlichem Handeln sowohl zu<br />

einer defizitären Wahrnehmung der wirklichen, erfahrbaren<br />

Kirche führen wie zu einer Überforderung (gar soteriologischen<br />

Überfrachtung?) eines Handelns im Interesse der Erneuerung<br />

von Kirche.<br />

Demgegenüber mögen schließlich folgende drei Stimmen zu<br />

denken geben. Einmal von Wolfgang Huber zu Wegen aus der<br />

Krise der Kirche: „<strong>Die</strong> gegenwärtige Krise der Kirche <strong>ist</strong> im<br />

Kern eine Orientierungskrise. „Orientierung“ meint im Wortsinn:<br />

Ausrichtung nach Osten, nach Jerusalem, zum Ort der<br />

Kreuzigung und Auferweckung Jesu, also zum Ursprung des<br />

Glaubens. Der Ansatz für die Erneuerung der Kirche liegt<br />

darin, daß sie ihre eigene Botschaft ernst nimmt.“ 37 – Des weiteren<br />

vermerkt Eckhart von Vietinghoff: „(E)ines muß klar<br />

sein: Kein Organisations- und Strukturaktionismus kann<br />

Glauben wecken... Aus manchem Theologenmund und mancher<br />

Theologenfeder ... <strong>ist</strong> ein so gläubiges Vertrauen in die<br />

lebensgestaltende und lebensverändernde Kraft von Rechtsnormen,<br />

Strukturen und Organisationsformen zu entnehmen,<br />

daß der Jur<strong>ist</strong> nur staunen kann... Gelegentlich schimmert eine<br />

182


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

rein diesseitige Werkgerechtigkeit im Institutionellen auf.“ 38 –<br />

Und schließlich die Stimme eines sogenannt einfachen<br />

Gemeindeglieds. Als die Synode der Evangelischen Kirche in<br />

Deutschland (EKD) 1995 in Friedrichshafen tagte, wurde an<br />

dem Abend, der von der gastgebenden Kirche gestaltet wurde,<br />

wie ich hörte, Folgendes erzählt. Als in einem Gottesdienst<br />

der Pfarrer darüber geklagt hatte, wie schlecht es mit der Welt<br />

und ebenso mit der Kirche stehe, entgegnete ihm eine Frau<br />

am Ausgang: „Gell, Herr Pfarrer, die Hauptsach isch: der lieb’<br />

Gott isch gsund.“ So elementar kann in Gemeinden im Blick<br />

sein und zur Sprache kommen, dass über der defizitären und<br />

dann vielleicht zielorientierten Sicht der Grund von Kirche<br />

nicht verloren gehen kann noch aus dem Blick geraten darf.<br />

3. Effizienz und Wahrheit<br />

Zielorientierung kirchlichen Handelns soll freilich dazu beitragen,<br />

sachgemäß zu planen, Arbeitsabläufe und Verantwortlichkeiten<br />

zu vereinbaren, transparent die notwendigen<br />

Schritte auf das Ziel hin zu gestalten und die Bemühungen auf<br />

diesem Weg ertragreich und wirksam, also effizient werden zu<br />

lassen. Wer wollte darauf verzichten oder dies gar verachten?<br />

Und deswegen leuchtet ja auch der kirchliche Rekurs auf<br />

Managementkonzepte bzw. -methoden ein. Denn „Ziel der<br />

me<strong>ist</strong>en Management-Methoden <strong>ist</strong> eine ... effektive und effiziente<br />

Aufgabenbewältigung auf ein Ziel hin.“ 39 In der Tat <strong>ist</strong><br />

die Frage danach, was kirchliches Handeln wirkungsvoll bzw.<br />

wirksam werden lässt, für alle Beteiligten mindestens faktisch<br />

gegeben, – oder wird von ihnen entschieden aufgenommen.<br />

Doch verbindet sich damit die notwendig selbstkritische<br />

Frage, wieweit (angeleitet nicht nur durch Management-Konzepte)<br />

die Suche nach Steigerung von Effizienz in Kirche und<br />

auch in Theologie derartige Evidenz und deshalb Aufmerksamkeit<br />

beansprucht, dass die Frage nach der Wahrheit eher<br />

zurücktritt. Also vor allem Fragen leitend sind wie: Was<br />

kommt heraus? Wem nützt es? Was <strong>ist</strong> relevant? Freilich <strong>ist</strong><br />

einer ineffizienten Kirche und Theologie keineswegs das Wort<br />

zu reden. Doch bleibt die selbstkritische Frage unumgänglich,<br />

183


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

ob „eine statt nach Wahrheit fragende nach Effizienz schielende<br />

(Kirche und) Theologie auf Wirkungen aus <strong>ist</strong>, die eben<br />

alles andere als Wirkungen der Wahrheit sind. Es <strong>ist</strong> dann aber<br />

auch eine andere Freiheit gemeint als die, zu der die Wahrheit<br />

befreit.“ 40 Somit ginge es bei der Frage nach Effizienz kirchlichen<br />

Handelns grundlegend um die Frage, was zu tun <strong>ist</strong>,<br />

damit die befreiende Wahrheit des Evangeliums für Menschen<br />

in ihrem Leben zur Wirkung kommt.<br />

Freilich gerät in postmoderner Kultur, worin der Anspruch<br />

des Subjekts auf Autonomie sich in der Parole äußern kann:<br />

„Was für mich stimmt, bestimme ich“ 41, die Beschäftigung mit<br />

der Wahrheitsfrage unter den Verdacht des Dogmatismus –<br />

mit unverkennbaren Auswirkungen in Kirche und auch in<br />

Theologie. Doch muss und darf die Abwehr des Verdachts<br />

auf Dogmatismus nicht zur Vernachlässigung der Wahrheitsfrage<br />

führen. Zumal deshalb nicht, weil in der Kultur eines<br />

„anything goes“ ersichtlich zugleich die Suche nach neuen<br />

Gewissheiten im Gang <strong>ist</strong>, gelegentlich dann in fundamental<strong>ist</strong>ischer<br />

Variante. So oder so gerät damit aber die Wahrheit,<br />

die frei macht, aus dem Blick. Im biblischen Verständnis von<br />

Wahrheit trifft beides zusammen: das Geschehen, die<br />

Beziehung, worauf ein Mensch sich im Leben und Sterben<br />

verlassen kann (vom hebr. „ämät“ her); und der Vorgang,<br />

wodurch menschliches Leben entgegen Trug wie Selbstbetrug<br />

erhellend und befreiend zur Wahrheit gebracht wird (vom<br />

griech. „aletheia“ her) und der Mensch in seinem wirklichen<br />

Leben wahres Leben findet. Wie sollte diese Wahrheit: die<br />

Wahrheit des Evangeliums und die in Jesus Chr<strong>ist</strong>us persongewordene<br />

Wahrheit in kirchlichem Handeln um welcher<br />

Effizienz willen auch immer vernachlässigt werden? Vielmehr<br />

wird es grundlegend darauf ankommen, diese verlässliche und<br />

befreiende Wahrheit in kirchlichem Handeln als einem<br />

Bildungshandeln, worin es zumal um Herzensbildung geht,<br />

zur Wirkung kommen zu lassen.<br />

Und klar <strong>ist</strong> zugleich: die befreiende Wahrheit des Evangeliums<br />

kann von niemandem als Position besetzt und (etwa in<br />

184


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

notwendiger Ausein<strong>anders</strong>etzung mit den angedeuteten<br />

Zügen des Zeitge<strong>ist</strong>es) gegen andere ins Feld geführt werden.<br />

Für den Umgang mit dieser Wahrheit bleibt eine Metapher,<br />

die sich bei Paulus findet, wegleitend. Im Galaterbrief erinnert<br />

er an jene Ausein<strong>anders</strong>etzung mit Petrus in Antiochia<br />

(Galater 2,11-14). Petrus hatte dort an der Tischgemeinschaft<br />

zwischen Heiden- und Judenchr<strong>ist</strong>en teilgenommen. Als aber<br />

die Jakobus-Leute aus Jerusalem gekommen waren, fiel er<br />

anscheinend in das Loch des schlechten Gewissens und hatte<br />

von der Tischgemeinschaft Abstand genommen. So wurde die<br />

Frage akut, weshalb, was zuvor Ausdruck der Freiheit aus<br />

Glauben war, dies plötzlich in eine unfrei machende Übertretung<br />

des Gesetzes umschlagen und zum Zerschneiden des<br />

Tischtuchs führen konnte. In diesem Konflikt erinnerte<br />

Paulus daran, es gelte, „Kurs zu halten auf die Wahrheit des<br />

Evangeliums“ (2,14). Mit dieser Metapher <strong>ist</strong> deutlich: die<br />

Wahrheit des Evangeliums lässt sich nicht als Position besetzen<br />

und gegen andere ins Feld führen. Vielmehr gibt Paulus zu<br />

erkennen: die Wahrheit des Evangeliums bleibt ihm wie Petrus<br />

voraus, sie wirkt wie ein Kompass der Glaubenserkenntnis,<br />

der Lebensführung und darin ge<strong>ist</strong>licher Urteilsbildung, – und<br />

deshalb gilt es, darauf Kurs zu halten. Mit dieser Zielorientierung<br />

<strong>ist</strong> es abwegig, ja ausgeschlossen, die Wahrheitsfrage<br />

durch die Frage nach Effizienz oder gar Macht ersetzen zu<br />

wollen. Vielmehr gilt es, die befreiende Wahrheit des<br />

Evangeliums erhellend und verlässlich zur Wirkung kommen<br />

zu lassen.<br />

4. Zeitmanagement und Ge<strong>ist</strong>esgegenwart<br />

Was die Vielfalt an Aufgaben, die Gefahr der Verzettelung,<br />

jedenfalls die Fragmentierung des beruflichen Alltags betrifft,<br />

lassen sich manche Analogien ersehen zwischen der Situation<br />

eines Managers und der einer Pfarrerin, eines Pfarrers. Gemäß<br />

empirischen Beobachtungen zum Alltag von Managern unter<br />

der Frage, was Manager wirklich tun, vollzieht sich ihre Arbeit<br />

„nicht in einem geordneten, nach Phasen gegliederten Ablauf,<br />

sondern <strong>ist</strong> gekennzeichnet durch eine Vielzahl von Einzel-<br />

185


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

aktivitäten, ad-hoc-Gesprächen, ungeplanten Besuchen und<br />

einem ständigen Hin- und Herspringen zwischen Themen<br />

von trivialen Alltagsproblemen bis zur 10-Millionen-DM-Investition“<br />

42. Hier sind Parallelen zu dem, was im Pfarramt<br />

bzw. in der <strong>Superintendentur</strong> wirklich geschieht, unübersehbar.<br />

„Auch im pastoralen Alltag <strong>ist</strong> vieles nicht vorhersehbar:<br />

<strong>Die</strong> wenigsten Gespräche sind eingeplant oder terminiert; unerwartete<br />

Besuche, Telefonanrufe zu jeder Zeit und mit allen<br />

möglichen Anliegen sind die Regel. Und selbst ohne solche<br />

Störungen <strong>ist</strong> die Pfarrerin den ganzen Tag genötigt, sich inhaltlich<br />

und im Gesprächsstil dauernd umzustellen, vom Geburtstagsbesuch<br />

zur <strong>Die</strong>nstbesprechung, von den Konfirmanden<br />

zum Seelsorgegespräch, vom Elternabend zur Jahresabrechnung<br />

für den Kindergarten.“ 43 Hier könnte jede, jeder<br />

eigene Varianten schildern, mehr oder weniger normale wie<br />

bizarre.<br />

Von daher <strong>ist</strong> es eine unumgängliche Aufgabe, einen Kalender<br />

zu führen, nicht nur Termine einzutragen, sondern ebenso<br />

Zeit für die erforderliche Vorbereitung, langfr<strong>ist</strong>ig und kurzfr<strong>ist</strong>ig<br />

zu planen, für wichtige Aufgaben feste Zeiten vorzusehen,<br />

klare Prioritäten zu setzen und sich deshalb auch zu<br />

Posterioritäten zu verstehen, vereinbarte Termine verlässlich<br />

und pünktlich einzuhalten usw. – und doch zugleich Beweglichkeit<br />

für Unvorhersehbares offenzuhalten. Dafür bieten<br />

manche Verfahren und Instrumente des Zeitmanagements<br />

wichtige Planungshilfen, falls es nicht bei Alltagsweisheiten<br />

zum Umgang mit der Zeit bleibt – etwa unter dem Motto<br />

„Verschwenden Sie Zeit? Zehn Wege, um das zu ändern.“ 44<br />

Wie wichtig in kirchlicher Arbeit beides <strong>ist</strong>: sinnvolle Zeitplanung<br />

und Beweglichkeit, wenn es darum geht, sich auf<br />

Unvorhersehbares einzulassen, sei nur mit zwei Gesichtspunkten<br />

angedeutet. Ebenso mit Aufschub drängender Entscheidungen<br />

wie mit unnötigem Zeitaufwand zumal bei<br />

Aufgaben, an denen manch andere beteiligt sind, <strong>ist</strong> der<br />

Umgang mit der Zeit innerhalb der Kirche me<strong>ist</strong> nicht gerade<br />

ein leuchtendes Beispiel: geht es doch dabei um eine knappe<br />

186


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

und besonders wertvolle Ressource, nämlich Lebenszeit anderer<br />

wie meiner selbst. Und zugleich <strong>ist</strong> es von großer Bedeutung<br />

für sachgemäße und gelingende kirchliche Arbeit:<br />

Zeit zu haben für und mit Menschen. <strong>Die</strong>s darf nicht durch<br />

binnenkirchlichen, sich bisweilen fast selbst genügenden<br />

Aktionismus verdrängt werden. Und ebenso sind, lässt ein<br />

Pastor den Eindruck entstehen, für Menschen keine Zeit zu<br />

haben, auch die besten professionellen Le<strong>ist</strong>ungen nahezu<br />

umsonst.<br />

Erfahrungsgemäß <strong>ist</strong> freilich klar: Weder die Uhr noch der<br />

Kalender sind die einzigen, gar die wahren Zeitmesser. Denn<br />

dieselbe Zeitspanne kann einmal langweilig oder quälend lang<br />

erscheinen, ein ander Mal ungeheuer gefüllt, jedenfalls spannend<br />

und wie im Fluge vergehen. Von daher gehört es zum<br />

Menschsein, zwischen „chronos“ als regelmäßig ablaufender<br />

(und gefräßiger) Zeit und „kairos“ als gefüllter Zeit bzw. überraschender<br />

Gelegenheit zu unterscheiden. Warum sich deshalb<br />

in oft allzu schnell verrinnender oder verbrauchter Zeit<br />

nicht durch manches unterbrechen lassen, was Präsenz und<br />

gefüllte Zeit eröffnet?<br />

Ein entscheidender Maßstab für meinen Umgang mit der Zeit<br />

<strong>ist</strong>, wieweit ich mit der Fülle und Vielfalt von Aufgaben in der<br />

jeweiligen Situation, zumal solcher von menschlichem<br />

Gewicht, ganz dasein kann – oder noch dem nachhänge, was<br />

war und mich weiter beansprucht, bzw. mich schon auf dem<br />

Sprung zum Nächsten und Übernächsten befinde. Nicht<br />

umsonst spielt uns die Sprache das Wort „Ge<strong>ist</strong>esgegenwart“<br />

zu.<br />

Wie sollte sich Ge<strong>ist</strong>esgegenwart aber nicht dem Ge<strong>ist</strong> verdanken,<br />

der uns davon befreit, durch das, was war, uns in<br />

Bann schlagen zu lassen, oder dem wenn möglich zu entlaufen,<br />

– bzw. dem, was sein sollte oder wir uns wünschen,<br />

hinterherzurennen? Solche Ge<strong>ist</strong>esgegenwart <strong>ist</strong> dem Ge<strong>ist</strong><br />

Jesu Chr<strong>ist</strong>i zu verdanken, der entdecken läßt: „Wo der Ge<strong>ist</strong><br />

des Herrn <strong>ist</strong>, da <strong>ist</strong> Freiheit.“ (2. Korinther 3,17)<br />

187


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

5. Macht und Vollmacht<br />

Ein Movens menschlichen Handelns <strong>ist</strong> ohne Frage das<br />

Streben nach Einfluss, nach Macht. Gewiss gibt es physische<br />

Macht, die aber ebenso wie psychische und ge<strong>ist</strong>ige Macht<br />

nicht einfach unter Verdacht des Missbrauchs zu stellen <strong>ist</strong>.<br />

Man denke etwa an die sog. elterliche Gewalt, die sich für die<br />

Kinder als unverzichtbare Schutzmacht auswirken kann.<br />

Freilich besteht im Zusammenleben, in dichteren oder weiteren<br />

sozialen Bezügen, genügend Anlass, einen Schutzwall des<br />

Rechts und damit legitimer Macht gegen den Missbrauch von<br />

Macht aufzurichten. Daran „wird die Grundbedingung legitimer<br />

Macht von Menschen über Menschen deutlich. Sie hat<br />

sich als Schutzmacht und Hilfsmacht zu erweisen, die dem<br />

anderen sein Menschsein ermöglicht und ihn nicht etwa dessen<br />

beraubt.“ 45 Mit menschlichem Handeln <strong>ist</strong> freilich ebenso<br />

die Ausübung von Macht verbunden wie die Erfahrung von<br />

Ohnmacht. Eins gibt es kaum für längere Zeit ohne das andere.<br />

Statt mit dem einen das andere für ausgeschlossen zu halten,<br />

leuchtet deshalb ein, was André Brink, der sich in<br />

Südafrika als Weißer gegen die Apartheid eingesetzt hat, in<br />

einem Roman notierte: „Es gibt zwei Arten von Wahnsinn,<br />

vor denen man sich hüten sollte. Der eine <strong>ist</strong> der Glaube, daß<br />

wir alles tun könnten. Und der andere der Glaube, wir könnten<br />

nichts tun.“ 46<br />

Mit kirchlichem Handeln <strong>ist</strong> Macht gegeben, bleibt einem freilich<br />

Ohnmacht ebensowenig erspart. Zumal mit Ämtern in<br />

der Kirche <strong>ist</strong> Macht gegeben, etwa für den Kirchen- oder den<br />

Kirchenkreisvorstand in wichtigen Belangen Entscheidungsmacht,<br />

ebenso <strong>ist</strong> etwa mit dem ephoralen Amt <strong>Die</strong>nstaufsicht<br />

verbunden und so auch Weisungsbefugnis. Auch hier bedarf<br />

Ausübung von Macht sowohl der Legalität: der Beachtung<br />

rechtlicher Regeln und Spielregeln, die für alle Beteiligten<br />

transparent sind, wie der Legitimität: dass ihre Ausübung sich<br />

als sachgerecht und auftragsgerecht erwe<strong>ist</strong> – und sich dadurch<br />

von willkürlicher Machtausübung unterscheidet.<br />

Gebrauch von Macht in der Kirche bleibt deshalb wie auch<br />

188


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

sonst der kritischen und selbstkritischen Frage nach ihrer<br />

Legalität und Legitimität ausgesetzt. Doch würde aus welchen<br />

Motiven auch immer von den Zuständigen auf Ausübung der<br />

ihnen zukommenden Macht verzichtet oder diese von anderer<br />

Seite bestritten, so gingen die notwendigen Spielregeln verloren<br />

– und würden erst recht Konkurrenz-, Macht- und Gernegroß-Spiele<br />

betrieben, dann freilich ohne Kontrolle durch das<br />

Recht und ohne die Grundlage von Legitimität. Von daher gilt<br />

hier wie auch sonst: das Recht <strong>ist</strong> auf Schutz durch Macht<br />

angewiesen und die Macht auf Grundlegung, dadurch auch<br />

Entlastung wie auf Kontrolle durch das Recht.<br />

Zugleich geht es weit darüber hinaus nüchtern besehen in der<br />

wie durch die Kirche um Macht von Menschen über<br />

Menschen. Und Kriterium der Machtausübung <strong>ist</strong> hier nicht<br />

weniger als sonst, ob sie statt angemaßt oder willkürlich legitim<br />

<strong>ist</strong> und als Schutz- und Hilfsmacht Menschen ihr Menschsein<br />

ermöglicht, ja sie darin fördert. In dieser Hinsicht bestand<br />

freilich schon in der frühen Kirche anscheinend einiges an<br />

Gefahren. So heißt es im 1. Petrusbrief gegen Schluss: „<strong>Die</strong><br />

Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge<br />

der Leiden Chr<strong>ist</strong>i, der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit,<br />

die offenbart werden soll: Weidet die Herde Gottes, die euch<br />

anbefohlen <strong>ist</strong>, ... nicht als Herren über die Gemeinde, sondern<br />

als Vorbilder der Herde“ (1. Petrus 5,1-3). Und<br />

Konkurrenzbedürfnis wie Versuche, einander zu überbieten,<br />

mit verschiedenen Machtspielen (auch der vermeintlich<br />

Schwächeren) scheinen schon in Gemeinden, an die das<br />

Markusevangelium gerichtet <strong>ist</strong>, im Gang gewesen zu sein,<br />

wenn es in der Perikope von den Zebedäus-Söhnen heißt: „Ihr<br />

wißt, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und<br />

ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so <strong>ist</strong> es unter euch<br />

nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer<br />

<strong>Die</strong>ner sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll<br />

aller Knecht sein. Denn auch der Menschensohn <strong>ist</strong> nicht<br />

gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene<br />

und sein Leben gebe als Lösegeld für viele“ (Markus 10,42-<br />

45). Damit wird menschliche Machtausübung in der Kirche<br />

189


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

nicht etwa geleugnet, jedoch notwendig kritisch relativiert,<br />

nämlich in Beziehung gesetzt zum Weg des Menschensohns.<br />

Er hat sein Leben gegeben „als Lösegeld für viele“, was nicht<br />

exklusiv zu verstehen <strong>ist</strong>, vielmehr allen gilt. Auffallend <strong>ist</strong> hier<br />

wie in andern biblischen Zusammenhängen mit der Metapher<br />

„Lösegeld“ der Loskauf aus Schuldsklaverei im Blick. Deshalb<br />

<strong>ist</strong> auch nirgends die Rede davon, wem dies Lösegeld bezahlt<br />

wird, vielmehr allein für wen: für viele, für alle<br />

Menschen. Damit wird deutlich, was wir Menschen Gott wert<br />

sind. Denn „er ließ’s sein Bestes kosten“ (EG 341, 4). Wieweit<br />

steht kirchliche Machtausübung im <strong>Die</strong>nste dessen, dass Menschen<br />

entdecken, wie kostbar sie für, ja durch Gott sind?<br />

Damit wird allerdings die Frage nach dem Verhältnis von<br />

Macht und Vollmacht akut. Vollmacht, im Neuen Testament<br />

vor allem von Jesus ausgesagt, bleibt nicht im Schwanken zwischen<br />

Macht und Ohnmacht, erwe<strong>ist</strong> sich vielmehr gerade<br />

darin als mächtig, dass sie der Ohnmacht nicht ausweicht.<br />

<strong>Die</strong>s kann einem vom Schluss der Bergpredigt her aufgehen,<br />

wo es heißt: „Und es begab sich, als Jesus diese Rede vollendet<br />

hatte, dass sich das Volk entsetzte über seine Lehre; denn<br />

er lehrte sie mit Vollmacht und nicht wie ihre Schriftgelehrten“<br />

(Matthäus 7,28f). <strong>Die</strong>se „Rede der Reden“ (so<br />

Friedrich Dürrenmatt) stützt sich allein auf das, was sie sagt,<br />

nicht auf Autoritäten oder gar Drohungen, die ihr Nachdruck<br />

verleihen sollten. Denn „(d)ie Gottesherrschaft sorgt dafür,<br />

daß dieser Redner alle andern Gewichte fahren läßt. So entsteht<br />

eine Rede, die sich ganz auf das Gesagte verläßt, eine<br />

Rede, deren Redner sich ganz an das Gesagte preisgibt.“ 47<br />

Deshalb kann einem zum Phänomen der Vollmacht an dieser<br />

Rede jedenfalls zweierlei aufgehen: Indem der Bergprediger,<br />

was er sagt, Menschen ans Herz legt und an ihrem Herzen<br />

arbeiten lässt, schließt er Widerspruch dagegen nicht aus.<br />

Gerade so zieht er den Widerspruch sich selbst auf den Hals<br />

und bleibt damit denen zugewandt, die ihm widersprechen,<br />

und deren ungezwungenes Einverständnis er gerade so offenhält.<br />

Und mit dem, was zuvor an Antithesen der Bergpredigt<br />

auffiel, dass der Bergprediger auf das anspricht, was mit dem<br />

190


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Leben in doppeltem Sinn geboten <strong>ist</strong>, wird deutlich: durch<br />

Jesu Vollmacht, durch sein vollmächtiges Wort geschieht Öffnung<br />

der Wirklichkeit. Denn Jesu Vollmacht im Zeichen der<br />

Ohnmacht <strong>ist</strong> wahre Macht, die gegenüber den Weltmächten<br />

und so auch gegenüber dem Zwang zu reaktivem Verhalten in<br />

Freiheit versetzt.<br />

Wie steht es mit der Weitergabe solcher Vollmacht? Dazu gibt<br />

schon die Bemerkung „denn er lehrte sie in Vollmacht und<br />

nicht wie ihre Schriftgelehrten“ (Matthäus 7,29) – im Zusammenhang<br />

des Matthäus-Evangeliums gelesen - einen interessanten<br />

Hinweis. 48 Bei Matthäus und nur bei ihm unter den<br />

Evangel<strong>ist</strong>en begegnet die merkwürdige Wendung: „Darum<br />

gleicht jeder Schriftgelehrte, der zu einem Jünger des Himmelreichs<br />

geworden <strong>ist</strong>, einem Hausvater, der aus seinem Schatz<br />

Neues und Altes hervorholt“ (13,52). Hier scheint der<br />

Evangel<strong>ist</strong> Matthäus wie in einer Miniatur sich selbst gezeichnet<br />

zu haben. Somit erinnerte er mit dem Echo der Menge auf<br />

die Bergpredigt Jesu, wonach „er sie in Vollmacht lehrte und<br />

nicht wie ihre Schriftgelehrten“, daran, dass er und andere<br />

chr<strong>ist</strong>liche „Schriftgelehrte“ bis heute auf den Bergprediger<br />

als Gegenüber angewiesen bleiben. Durchaus in Entsprechung<br />

dazu gibt zu Vollmacht zu denken, was Paulus prägnant<br />

anspricht: „So sind wir nun Botschafter an Chr<strong>ist</strong>i Statt ...; so<br />

bitten wir an Chr<strong>ist</strong>i Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2.<br />

Korinther 5,20). Somit hat die Bezeugung des Evangeliums<br />

keine andere Autorität als den Grundgestus der Bitte. <strong>Die</strong><br />

Bitte gewährt Zeit und setzt auf Evidenz; <strong>ist</strong> auf freie<br />

Zustimmung bedacht und auf Einverständnis, das aus Einsicht<br />

entsteht. So entspricht die Bitte der befreienden Vollmacht<br />

Jesu - und lässt Menschen zu mündigen Töchtern und<br />

Söhnen Gottes werden.<br />

6. Personalführung und Unterscheidung von Person und<br />

Werk<br />

Aus der Sicht der Betriebswirtschaftslehre sind Organisation<br />

von – und Personalführung in Le<strong>ist</strong>ungsprozessen die beiden<br />

191


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Grunddimensionen des Management: „Organisation und<br />

Führung sind die Leitungsfunktionen, mit deren Hilfe das<br />

Verhalten der Systemmitglieder so strukturiert und koordiniert<br />

wird, daß die in der Unternehmenspolitik umrissenen<br />

und in der Planung konkretisierten Ziele und Maßnahmen<br />

realisiert werden können.“ 49 Dabei treffen in der Personalführung<br />

notwendig Aufgabenziele und Mitarbeiterziele<br />

zusammen. Von daher wird deutlich: „<strong>Die</strong> Integration beider<br />

Aspekte stellt das eigentliche Führungsproblem dar... (Und<br />

die) Zielintegration <strong>ist</strong> dann als gelungen zu betrachten, wenn<br />

sich Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung wechselseitig<br />

unterstützen.“ 50 Doch wäre es illusorisch, vom Idealfall völliger<br />

Zielintegration ausgehen zu wollen. Dem stehen einmal<br />

schon gewisse Interessengegensätze zwischen dem jeweiligen<br />

System und den Mitarbeitern entgegen. Weiter wird die<br />

Spannung akut (um so vorläufig zu unterscheiden) zwischen<br />

zweckorientierter Führung des Personals, wo es um dessen<br />

Würde und Eigenständigkeit geht, und eher mittelorientierter<br />

Führung des Personals, wo dies primär als Le<strong>ist</strong>ungsträger und<br />

als Kostenfaktor in Betracht kommt. Nicht zuletzt bleibt in<br />

der Personalführung eine Spannung zwischen Förderung von<br />

Eigeninitiative und Kooperation im Blick auf den erhofften<br />

Ertrag des Le<strong>ist</strong>ungsprozesses.<br />

Mit der Personalführung stellt sich zugleich die Frage der<br />

Autorität derer, die formell oder faktisch leitenden Einfluss<br />

haben. Ist es eher fachliche Autorität, die professionelle Kompetenz<br />

zeigt und mit sachgemäßen Argumenten wie weiterführenden<br />

Fragen bzw. Perspektiven vertreten wird? Oder<br />

handelt es sich eher um persönliche Autorität, die sich als<br />

Ausstrahlung, als anerkanntes Vorbild, wenn möglich auch in<br />

humorvoller Kommunikation auswirkt? Und wieweit <strong>ist</strong> bzw.<br />

kommt positionelle Autorität ins Spiel, also die Position als<br />

Vorgesetzter mit Entscheidungs-, gar Weisungs- und allenfalls<br />

auch mit Sanktionsbefugnis? Fast in allen Leitungsstilen werden<br />

diese drei Dimensionen von Autorität mitspielen, freilich<br />

jeweils mit recht unterschiedlicher Gewichtung und<br />

Akzentuierung.<br />

192


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Auch in kirchlicher Personalführung <strong>ist</strong> die Frage der Integration<br />

von Aufgaben- und Mitarbeiterzielen akut – und sind<br />

die drei Dimensionen von Autorität wirksam. Ebenso wirkt<br />

sich in der Kirche als ein Grundproblem der Personalführung<br />

aus, was ein früherer Personalchef von Siemens einmal (im<br />

Theologischem Studienseminar) mit „Feigheit vor den Mitarbeitern“<br />

charakterisierte. Doch scheint in der Kirche die<br />

Offenheit, dem andern Kritik zuzumuten, und die Bereitschaft,<br />

Kritik entgegenzunehmen, nicht gerade ausgeprägter<br />

zu sein als andernorts. Das Problem mit aktiver wie<br />

passiver Kritikfähigkeit ergibt sich anscheinend auch mit Besonderheiten<br />

des Berufsbildes des Pfarramts und Tendenzen<br />

kirchlicher Kommunikationskultur. Gehört zum Berufsbild<br />

des Pfarramts doch sowohl die unerlässliche persönliche<br />

Identifikation mit dem Auftrag und eine notwendige Freiheit<br />

der Aufgabengestaltung. Und lässt sich doch an kirchlicher<br />

Kommunikationskultur eher ein verbreitetes Streben nach<br />

sozialer Harmonie finden als eine sach- und aufgabenbezogene<br />

Streitkultur. <strong>Die</strong>s „alles führt dazu, daß die Fähigkeit und<br />

die Bereitschaft, sich wechselseitig kritisch, fordernd und<br />

damit auch fördernd zu begleiten, in der Kirche zu oft unterentwickelt<br />

sind. In der Kirche wird Kritik in einer konkreten<br />

Sache viel zu schnell als generelle Kritik an der Person und<br />

ihrer inneren Haltung zum Auftrag der Kirche überinterpretiert.“<br />

51 Es steht zu vermuten, dass die Kritikfähigkeit in der<br />

Kirche mit Übernahme von so genannten Personalentwicklungskonzepten<br />

und -verfahren nicht ohne weiteres<br />

gesteigert wird. Denn, ob die in Mitarbeitendenjahresgesprächen<br />

vorgesehene Zielvereinbarung und Ertragskontrolle<br />

dazu beiträgt, wäre mit der notwendigen Selbstkritik zu prüfen.<br />

Doch gäbe es eine Quelle, aus der Spielraum für Kritikfähigkeit<br />

zu gewinnen wäre. 52<br />

Freilich werden wir in Aufgaben der Personalführung immer<br />

wieder mit einem Dilemma zu schaffen haben, wodurch wenn<br />

nötig kritische und offene Ausein<strong>anders</strong>etzung schwierig wird:<br />

Kritische Äußerungen können dahin wirken, dass der Anschein<br />

entsteht, dadurch werde etwa über die Amtsführung<br />

193


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

eines Pfarrers der Stab gebrochen; um dies aber zu vermeiden,<br />

lässt man sich dann von weitgehendem Verzicht auf Kritik leiten.<br />

Als Grund wird dann zume<strong>ist</strong> angegeben oder angenommen,<br />

der Beruf der Pfarrerin, des Pfarrers sei aufs engste mit<br />

ihrer Persönlichkeit verbunden. Nur müsste dann umso mehr<br />

die Regel gelten: je stärker ein Beruf mit der Persönlichkeit<br />

der ausübenden Person verbunden <strong>ist</strong>, desto sachlich begründeter<br />

müsste Kritik sein. Doch damit bleibt noch dahingestellt,<br />

ob sachliche Kritik auch sachlich entgegengenommen<br />

wird. Um nicht in dem genannten Dilemma sich gegenseitig<br />

zu blockieren und in seiner Vermeidungsstrategie fragwürdig<br />

zu rechtfertigen – und faktisch den Spielraum des offenen,<br />

wenn nötig kritischen Gesprächs zu verlieren, <strong>ist</strong> es wichtig,<br />

gerade auch in Fragen der Personalführung die Rechtfertigungsbotschaft<br />

zur Wirkung kommen zu lassen.<br />

<strong>Die</strong> damit eröffnete Unterscheidung von Person und Werk <strong>ist</strong><br />

elementar menschlich notwendig. Denn allein dadurch, dass<br />

der Mensch von der Selbst- bzw. Fremdidentifikation mit seinem<br />

Werk befreit wird, <strong>ist</strong> er auf seine Verantwortung<br />

ansprechbar. Mit der Unterscheidung von Person und Werk<br />

wird der Mensch nämlich weder von dem getrennt, was er<br />

getan hat und tut, als wäre dies gleichgültig; noch wird er<br />

damit identifiziert, wodurch dann sein Lebensrecht mit seiner<br />

Le<strong>ist</strong>ung oder seinem Versagen entschieden wäre. Vielmehr<br />

hält die Unterscheidung von Person und Werk den Raum und<br />

Vorgang verantwortlichen Lebens offen. Denn damit <strong>ist</strong> der<br />

Raum gewährt, worin ich ansprechbar bin auf das, was von<br />

mir ausgeht, und wofür ich zur Verantwortung gefordert bin.<br />

So <strong>ist</strong> nicht nur in kirchlicher Personalführung der Mensch mit<br />

dem zu konfrontieren, wofür er Verantwortung trägt, ohne<br />

ihn damit schlechthin zu identifizieren. Zudem wird angesichts<br />

von Kritik, die mir zuteil wird, mit der Unterscheidung<br />

von Person und Werk mir der Prozess offengehalten, worin<br />

sich entscheidet, woher das letztgültige Urteil über mich<br />

ergeht; von welcher Urteilsinstanz her ich mein Leben führen<br />

und gestalten kann, der zu antworten mich zu einem verantwortlichen<br />

Wesen macht.<br />

194


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Weiter entwirrt diese Unterscheidung das oft verworrene<br />

Verhältnis von Person und Werk. Geht dem Menschen auf,<br />

dass er von Gott bedingungslos anerkannt <strong>ist</strong>, so wird er frei<br />

davon, durch das, was er wirkt, sein Lebensrecht beweisen zu<br />

müssen. Damit werden die Werke vom Druck der Person entlastet.<br />

Und so engagiert, ja leidenschaftlich sein Einsatz sein<br />

mag, bleibt der Mensch doch in seiner Person vom Erfolgszwang<br />

wie vom Zwang, nicht scheitern zu dürfen, befreit.<br />

<strong>Die</strong>s Befreitwerden und (wer weiß?) entsprechende Gelassenheit<br />

verdankt sich der Zuversicht, dass bei allem wenn nötig<br />

kritischen und selbstkritischen Urteil über seine Werke das<br />

Urteil über seine Person nicht ihm oder andern Menschen<br />

zusteht, sondern Gott anheimgestellt und anzuvertrauen<br />

bleibt. Damit wird die Person vom Druck der Werke entlastet.<br />

Und schließlich ermöglicht diese Unterscheidung, einander<br />

menschlich gerecht zu werden. 53 Wieweit wir einander menschlich<br />

gerecht werden, hängt stark von unsern gegenseitigen<br />

Erwartungen ab und ebenso von den Enttäuschungen, die wir<br />

einander bereiten und uns kaum ersparen können. Würden<br />

wir unsere Erwartungen absolut setzen, so erstickten menschliche<br />

Beziehungen, weil sie fixiert und des Lebens beraubt<br />

würden – vielleicht bis dahin, dass ich aus tiefer Enttäuschung<br />

mit dem andern fertig bin. Ließe ich aber alle Erwartungen<br />

fallen, vielleicht um mir Enttäuschungen zu ersparen, würde<br />

der andere mir gleichgültig – und die Beziehung nur in anderer<br />

Variante ersterben. Für die Suche, einander menschlich<br />

gerecht zu werden, bleibt deshalb die Frage wegleitend: Was<br />

lässt mich der Person des anderen einen Vorsprung gewähren<br />

gegenüber meiner Erwartung wie Enttäuschung?<br />

7. Förderung ehrenamtlicher Mitarbeit und Charismen<br />

Hier lasse ich es bei einer knappen Skizze bewenden, so entscheidend<br />

diese Dimension für kirchliches und vor allem für<br />

chr<strong>ist</strong>liches Leben <strong>ist</strong>. Mit Ehrenamtlichen, also nicht Berufschr<strong>ist</strong>en,<br />

sondern Chr<strong>ist</strong>en im Beruf kann einem vor allem<br />

zweierlei aufgehen: Einmal, dass kaum je die Ermäßigung von<br />

195


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Ansprüchen, vielmehr der Anspruch, der mit der Sache wie<br />

der jeweiligen Aufgabe gegeben <strong>ist</strong>, motivierend wirkt. Um die<br />

„Sache“, die in der Kirche wie mit dem Chr<strong>ist</strong>sein auf dem<br />

Spiel steht, kurz anzudeuten: für sich und mit andern zu entdecken,<br />

was der Glaube im Leben taugt. Und damit <strong>ist</strong> das<br />

zweite oft aufs engste verbunden: Chr<strong>ist</strong>en im Beruf und in<br />

ihrer Lebenswelt sind in dieser Hinsicht nicht weniger angefragt,<br />

als es oft Amtsträger der Kirche sind. Hierin wird wahr:<br />

der <strong>Die</strong>nst der Bezeugung des Evangeliums wie des Lebens<br />

aufgrund des Evangeliums <strong>ist</strong> Auftrag des Priestertums aller<br />

Getauften.<br />

Merkwürdigerweise kommt allerdings ehrenamtliche Mitarbeit<br />

vor allem dann in den Blick, wenn Hauptamtliche rarer werden<br />

bzw. Gemeindegebiete wie die Vielfalt notwendiger Aufgaben<br />

größer. <strong>Die</strong>s kann die Chance verantwortlicher<br />

Mitarbeit von Ehrenamtlichen durchaus erhöhen, wie sich<br />

gegenwärtig in der katholischen Kirche zeigt. Doch wären<br />

ehrenamtlich Mitarbeitende gerade auch als Zeugen des<br />

Glaubens und also in ihrer theologischen wie ge<strong>ist</strong>lichen<br />

Urteilsfähigkeit ernstzunehmen und zu fördern. Dem entsprechen<br />

kirchliche Bildungsprozesse mit Erwachsenen –<br />

begonnen mit lebensorientierter Bibelarbeit bis hin zu<br />

Glaubens- und Theologiekursen mit Erwachsenen. In solchen<br />

Bildungsprozessen sind (bisweilen zu ihrer eigenen Überraschung)<br />

Theologinnen und Theologen als solche gefragt und<br />

bleiben zugleich durch Chr<strong>ist</strong>en im Beruf, zumal fragende und<br />

kritische, wie mit ihnen Studierende der Theologie – mit<br />

immer weiteren Entdeckungen dazu, was der Glaube im<br />

Leben taugt. <strong>Die</strong>s bleibt (freilich neben soweit nötig auch aufgabenspezifischer<br />

Fortbildung) aus zwei Gründen notwendig:<br />

So werden Menschen, die zu ehrenamtlicher Mitarbeit bereit<br />

sind, nicht nur in ihrer Funktion, sondern als Person ernstgenommen.<br />

Und solche Fortbildung gibt die Chance, dass<br />

Menschen sich beteiligen, die ihr Chr<strong>ist</strong>sein nicht nur in kirchlicher<br />

Mitarbeit, sondern vor allem in ihrem Berufs- und<br />

Lebensfeld leben wollen. Denn chr<strong>ist</strong>licher Glaube wie<br />

Theologie werden praktisch nicht schon durch Mitarbeit in<br />

196


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

der Gemeinde, vielmehr im Lebensvollzug selbst: im „Alltag<br />

als Ernstfall des Glaubens“ (Ernst Lange). Und Chr<strong>ist</strong>en<br />

leben nicht in der Gemeinde, sondern als chr<strong>ist</strong>liche Gemeinde<br />

(in Sendung, Sammlung, Zerstreuung) in der jeweiligen<br />

Lebenswelt – für die Welt, nicht aus der Welt.<br />

Erfahrungsgemäß werden aufgrund von Bildungsprozessen,<br />

die jedenfalls nicht allein auf kirchliche Mitarbeit hin angelegt<br />

sind, zugleich manche Menschen an Aufgaben, die sie für<br />

wichtig erachten – oder die sich ihnen unversehens ergeben –<br />

oder die ihnen zugetraut werden, sich gerne ehrenamtlich einsetzen.<br />

Überraschend kann dann sein, welche Vielfalt an Begabungen<br />

sich zeigt, und wie mit der Aufgabe die Gaben<br />

wachsen können. Begabungen werden bis in die Umgangssprache<br />

hinein als „Charismen“ bezeichnet. Doch lohnt es<br />

sich, hier, was die Lebenserfahrung wie die Schrift dazu sagt,<br />

aufmerksam wahrzunehmen. Nicht umsonst nannte Käsemann<br />

Charismen „Konkretionen der Gnade“. Man darf nicht<br />

vorschnell von den Charismenl<strong>ist</strong>en in 1. Korinther 12 und<br />

Römer 12 her Charismen einfach als individuelle Begabung<br />

verstehen. Zu leicht werden sie dann von der in Chr<strong>ist</strong>us persongewordenen<br />

Gnade getrennt und als natürliche oder übernatürliche<br />

Gaben verstanden.<br />

<strong>Die</strong> Charismenl<strong>ist</strong>e in Römer 12 hat mit dem Auftakt in<br />

Römer 12,1 ihre Pointe und Quelle in der „Barmherzigkeit<br />

Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig,<br />

heilig und Gott wohlgefällig <strong>ist</strong>“. „Ein lebendiges Opfer“:<br />

welch paradoxer Ausdruck! Denn Opfer sind in der Regel blutige,<br />

zu Tode gebrachte Opfer. „Lebendiges Opfer“: als wenn<br />

mit dieser paradoxen Aussage der Bogen gespannt <strong>ist</strong> hin zu<br />

einer anderen Wendung des Paulus: „Als Sterbende und siehe<br />

wir leben“ (2. Korinther 6,9). Das Zusammentreffen eigener<br />

Lebenserfahrung und des Lebens, das von Jesus Chr<strong>ist</strong>us ausgeht,<br />

schafft Konkretionen der Gnade. Solche Charismen liegen<br />

oft quer zu unsern geringen bzw. beachtlichen<br />

Begabungen. Doch darin wird die Gnade und Wahrheit Jesu<br />

Chr<strong>ist</strong>i konkret.<br />

197


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Mit 2. Korinther 6 ergibt sich (und dies sei hier angeschlossen)<br />

eine elementare Wahrnehmungshilfe ge<strong>ist</strong>lichen Lebens. Was<br />

gegenüber der Unmittelbarheit des Erlebens und dem<br />

Verwickeltsein in Widersprüche D<strong>ist</strong>anz und Freiheit gewährt<br />

und ein neues Verhältnis mir selbst gegenüber eröffnet, <strong>ist</strong><br />

eine Frage ge<strong>ist</strong>licher Wahrnehmung und Ex<strong>ist</strong>enz: also des<br />

Lebens in der Welt vor Gott. So sehr dies Zeit und Gestaltung<br />

braucht, etwa im Horchen auf die Botschaft der Bibel und im<br />

Beten, erwe<strong>ist</strong> sich als Gehalt und Grundzug ge<strong>ist</strong>lichen<br />

Lebens: Differenz und Zusammentreffen zwischen eigener<br />

Lebenserfahrung und dem Widerfahrnis des Lebens, das von<br />

Jesus Chr<strong>ist</strong>us ausgeht. Als prägnante Wahrnehmungshilfe für<br />

solche Differenzerfahrung bzw. befreiende Gegensatzerfahrung<br />

erwe<strong>ist</strong> sich, was Paulus zur Ex<strong>ist</strong>enz des Apostels<br />

und zu chr<strong>ist</strong>licher Ex<strong>ist</strong>enz schreibt: „Als die Unbekannten,<br />

und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe wir leben; als<br />

die Gezüchtigten, und doch nicht getötet; als die Traurigen,<br />

aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich<br />

machen; als die nichts haben, und doch alles haben.“ (6,9f)<br />

Wir werden manch weitere Wahrnehmungshilfen ge<strong>ist</strong>lichen<br />

Lebens finden, sprachlich zumal in paradoxen Wendungen,<br />

auch in manchen Chorälen wie in dem Adventslied Paul<br />

Gerhardts: „Als mir das Reich genommen, da Fried und<br />

Freude lacht, da b<strong>ist</strong> du, mein Heil, kommen und hast mich<br />

froh gemacht“ (EG 11,3). Mit anderen und selbst für solche<br />

Differenzerfahrung wahrnehmungsfähig zu werden, führt in<br />

einer Vielfalt von Konkretionen dazu, dass das Evangelium in<br />

seiner befreienden Lebensrelevanz aufleuchtet. Überraschend<br />

bleibt, wie viele Menschen im Blick auf solche Differenzerfahrung<br />

einen Sinn dafür haben: „Wer unterscheidet, hat mehr<br />

vom Leben“ 54 .<br />

8. „Corporate Identity“ und Leib Chr<strong>ist</strong>i<br />

Der Begriff „Corporate Identity“ kam vor etwa dreißig Jahren<br />

auf und wurde zunächst in den USA Unternehmen von<br />

Design- und Werbe-Beratern empfohlen zur Kennzeichnung<br />

der Unternehmensidentität nach außen und innen. 55 Überra-<br />

198


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

schend daran <strong>ist</strong> zunächst, dass Konstrukte aus andern<br />

Erkenntnis- und Lebensbereichen auf Wirtschafts-Unternehmen<br />

übertragen wurden: wie Philosophie und Kultur so<br />

auch Identität, gar Persönlichkeit eines Unternehmens. Im<br />

Zentrum von Corporate Identity-Maßnahmen steht zum<br />

einen die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen<br />

und die niedrigschwellige, aber klare Erkennbarkeit<br />

von außen. Beides scheint auch für die Kirche unverzichtbar<br />

zu sein. Entsprechend gehört zu dem Evangelischen Münchenprogramm<br />

mit dem erforderlichen dreifachen Ja der<br />

Mitarbeiter auch ihr Ja zur Kirche als Institution. 56 Und mit<br />

einheitlichem Logo wie Signet quer durch die jeweilige<br />

Landeskirche und ihre Gemeinden soll etwa das Motto<br />

„Evangelisch aus gutem Grund“ der Erkennbarkeit und dem<br />

Profil von Kirche dienen. Freilich bleibt damit wie auch sonst<br />

die Frage, wieweit Design und Gehalt einander entsprechen.<br />

„Man möchte etwas für die gute Sache sprechen lassen. Aber<br />

was? <strong>Die</strong> Sache selbst oder etwas anderes?“ 57<br />

Um der Identifikation jedenfalls der Mitarbeiter mit der<br />

Institution Kirche – und um der öffentlichen Identitifizierbarkeit<br />

von Kirche in all ihren Gestalten und Angeboten willen<br />

scheinen Corporate Identity-Maßnahmen für die Kirche heute<br />

unverzichtbar. Im Blick auf Identifikation mit – wie<br />

Identifizierbarkeit von Kirche stellt sich notwendig zugleich<br />

die Frage nach der Identität von Kirche. Sollte Kirche mit sich<br />

selbst identisch sein oder ihre Identität gar durch Identifikation<br />

der Mitarbeitenden mit ihr bzw. der per Design angebotenen<br />

Identifikationsmöglichkeit von außen gewinnen? Wenn<br />

dies nicht der Fall sein soll, nicht kann, woher gewinnt dann<br />

Kirche ihre Identität? Was Kirche zu Kirche macht, sind gerade<br />

die Lebensvollzüge, wodurch ihr das Leben Jesu Chr<strong>ist</strong>i zukommt.<br />

<strong>Die</strong>se kann noch muss Kirche nicht selbst<br />

hervorbringen, vielmehr schöpft sie daraus. Deshalb kann<br />

aber Kirche nicht mit sich selbst identisch sein, bleibt vielmehr<br />

auf die beziehungsvolle Unterscheidung zwischen ihr selbst<br />

und Weg wie Botschaft Jesu Chr<strong>ist</strong>i als kirchenkritischem<br />

Grundgeschehen von Kirche angewiesen. 58<br />

199


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

In dieser Hinsicht gibt die fast komische sprachliche Nähe wie<br />

interessante Differenz zwischen „Corporate Identity“ und<br />

„Leib Chr<strong>ist</strong>i“ zu denken. Denn (im Unterschied zu Konnotationen<br />

in Konzepten von „Corporate Identity“) geht es mit<br />

der Metapher vom „Leib Chr<strong>ist</strong>i“ weder um eine angebliche<br />

Tatbestandsbeschreibung noch um ein (möglichst werbewirksames)<br />

Idealbild. Vielmehr wird, wie der 1. Korintherbrief<br />

zeigt, eine Gemeinde, die von Bege<strong>ist</strong>erung und Verworrenheit,<br />

von selbstbewussten Chr<strong>ist</strong>en und von suchenden<br />

Menschen, von Armen und Reichen, von Gemeinschaftsbedürfnis<br />

und von Konflikten geprägt <strong>ist</strong>, angesprochen auf<br />

den Lebensgrund, von dem sie in und trotz allem lebt. Dabei<br />

<strong>ist</strong> mit dieser Metapher ein dreifaches Kommunikationsgeschehen<br />

eröffnet. Einmal zwischen Chr<strong>ist</strong>us und der Gemeinde:<br />

die Glieder des Leibes leben von ihm. Sodann zwischen<br />

den Gliedern untereinander: sie sind aufeinander angewiesen,<br />

hier geht es um Kommunikation der Gaben und Lasten, der<br />

Leiden und Freuden. Und nicht zuletzt zwischen der Gemeinde<br />

und der Welt, zu der sie gehört, in der sie lebt: denn<br />

Chr<strong>ist</strong>us <strong>ist</strong> für alle dahingegeben und für alle da. 59<br />

Freilich soll, was an Corporate Identity-Maßnahmen für die<br />

Kirche ersonnen und genutzt wird, ihrer Marginalisierung in<br />

Gesellschaft und Öffentlichkeit wehren. Nur bedarf es kaum<br />

weniger der Ausein<strong>anders</strong>etzung mit einer Selbstmarginalisierung<br />

der Kirche. 60 Durch wohlmeinende Anpassungsstrategien<br />

und mit gedanklicher Beliebigkeit wie eigener<br />

Unbesonnenheit le<strong>ist</strong>et die Kirche selbst ihrer Marginalisierung<br />

Vorschub. Ihre Chance <strong>ist</strong> demgegenüber, dass nicht<br />

wenige Menschen, gerade auch solche mit kritischer D<strong>ist</strong>anz<br />

zur Kirche, einen Sinn dafür haben, wieweit sie als Menschen<br />

ernstgenommen werden, weil die Sache ernstgenommen wird,<br />

um die es geht, – kurz gesagt: das Evangelium in seiner<br />

befreienden Lebensrelevanz. Im Blick auf die Menschen und<br />

das hellhörige wie weiterführende Gespräch mit ihnen wie im<br />

Blick auf die Sache, das Evangelium, das im Gespräch mit der<br />

Bibel als verdichteter Lebenserfahrung zu entdecken <strong>ist</strong>, bleibt<br />

theologische Wahrnehmungs-, Urteils- und Gesprächsfähig-<br />

200


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

keit gefragt. Deshalb: „<strong>Die</strong> Kirche wird so lebendig sein, wie<br />

in ihr Theologie aus Leidenschaft betrieben wird und ge<strong>ist</strong>liche<br />

Gemeinschaft Gestalt gewinnt.“ 61 – <strong>Die</strong> Gefahr einer<br />

Selbstmarginalisierung kann freilich auch in anderer Variante<br />

akut werden: mit dem Wunsch und dem Bemühen, die Kirche<br />

für die Menschen wieder attraktiver zu machen. Denn dieser<br />

Wunsch birgt die Gefahr in sich, dass die Kirche sich erneut<br />

mit sich selbst beschäftigt, wenn auch im Blick auf die Menschen,<br />

aber im Interesse eigener Attraktivität und Relevanz für<br />

sie. Geblendet von diesem Wunsch könnte sich die Kirche den<br />

Blick verstellen für die grundlegende Chance, die in der<br />

Unterscheidung liegt zwischen ihr selbst und Jesus Chr<strong>ist</strong>us als<br />

kirchenkritischem Grundgeschehen von Kirche. Deshalb<br />

bleibt die Lebensrelevanz des Evangeliums zu entdecken,<br />

womit die Frage nach der Relevanz der Kirche ganz sachgemäß<br />

zweitrangig, weil offengehalten wird zu ihrem Grund und<br />

der Quelle ihres Lebens hin.<br />

Und ein Akzent zum Schluss...<br />

<strong>Die</strong> notwendige wie unterscheidungsvolle Beziehung von<br />

Management und ge<strong>ist</strong>licher Kirchenleitung korrespondiert<br />

mit Bonhoeffers Unterscheidung von Vorletztem und<br />

Letztem in seiner Ethik. Deshalb soll schlicht einem Hinweis<br />

darauf hier die Schlußpointe gehören. Bei Bonhoeffer heißt<br />

es 62 : „Das Verhältnis von Vorletztem und Letztem im chr<strong>ist</strong>lichem<br />

Leben kann in zwei extremen Formen gelöst werden,<br />

„radikal“ und als Kompromiß, wobei gleich zu bemerken <strong>ist</strong>,<br />

daß auch die Kompromißlösung eine extreme Lösung <strong>ist</strong>.“<br />

„<strong>Die</strong> radikale Lösung sieht nur das Letzte und in ihm nur den<br />

völligen Abbruch des Vorletzten. Letztes und Vorletztes stehen<br />

in ausschließlichem Gegensatz.“<br />

„<strong>Die</strong> andere Lösung <strong>ist</strong> der Kompromiß. Hier wird das letzte<br />

Wort von allen vorletzten prinzipiell getrennt. Das Vorletzte<br />

behält sein Recht in sich, wird aber von dem Letzten nicht<br />

bedroht oder gefährdet.“<br />

201


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

„Beide Lösungen sind in gleicher Weise ... extrem, weil sie<br />

Vorletztes und Letztes in ausschließenden Gegensatz zueinander<br />

stellen, das eine Mal, indem Vorletztes durch Letztes zerstört,<br />

das andere Mal, indem das Letzte aus dem Bereich des<br />

Vorletzten ausgeschlossen wird“.<br />

Und die Reflexionen zu dieser ebenso notwendigen wie beziehungsvollen<br />

Unterscheidung gewinnen schließlich folgende<br />

Pointe 63: „Chr<strong>ist</strong>liches Leben <strong>ist</strong> der Anbruch des Letzten in<br />

mir, das Leben Jesu Chr<strong>ist</strong>i in mir. Es <strong>ist</strong> aber immer auch<br />

Leben im Vorletzten, das auf das Letzte wartet. Der Ernst des<br />

chr<strong>ist</strong>lichen Lebens liegt allein im Letzten, aber auch das<br />

Vorletzte hat seinen Ernst, der freilich gerade darin besteht,<br />

das Vorletzte gegenüber dem Letzten für Scherz zu halten,<br />

damit das Letzte und das Vorletzte seinen Ernst behält.“<br />

Könnte also zwischen Management und ge<strong>ist</strong>licher Kirchenleitung<br />

in ihrer notwendigen wie beziehungsvollen Unterscheidung<br />

der Scherz, der Humor ein bisher noch wenig<br />

bestelltes Feld finden?<br />

Anmerkungen<br />

1 <strong>Die</strong>ser Beitrag entstand in der vorliegenden Fassung für den Kurs<br />

zu Beginn der Leitung einer Ephorie im Januar 2003 im Theologischen<br />

Studienseminar der <strong>VELKD</strong> – und erschien zunächst als:<br />

„Texte aus der <strong>VELKD</strong>“ 115/2003.<br />

2 Eckhart von Vietinghoff, Wege aus der Krise. Kritische Anmerkungen<br />

zum Berufsbild Pfarrer in: hg. v. Heike Schmoll, Kirche<br />

ohne Zukunft? Evangelische Kirche – Wege aus der Krise, 1999,<br />

179f. 159 und 187.<br />

3 Peter Ulrich/Edgar Fluri, Management. Eine konzentrierte Einführung,<br />

7. Aufl., 1995, 17-22.<br />

4 Personalentwicklung in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern – Mitarbeiterjahresgespräch<br />

– o.J. (2000), 5.<br />

5 Daniel <strong>Die</strong>tzfelbinger, Von der ökonomischen Befangenheit mancher<br />

kirchlicher Kreise in: Deutsches Pfarrerblatt 2001, 300.<br />

6 Gerd Gerken, Trendzeit. <strong>Die</strong> Zukunft überrascht sich selbst, 1993, 65.<br />

202


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

7 Peter Kummer, Warum geschieht das ausgerechnet mir?, 1998, 13.<br />

8 Johano Strasser, Leben oder Überleben. Wider die Zurichtung des<br />

Menschen zu einem Element des Marktes, 2001, 29f.<br />

9 Referat zu: Fredmund Malik, Strategie des Managements komplexer<br />

Systeme, 3. Aufl. 1989 in: David Lohmann, Das Bielefelder<br />

Diakonie-Managementmodell, 1997, 150.<br />

10 Peter Ulrich/Edgar Fluri, Management. Eine konzentrierte Einführung,<br />

7. Aufl. 1995, 13.<br />

11 A.a.O., 171f.<br />

12 A.a.O., 225-227.<br />

13 A.a.O., 242-248.<br />

14 Vgl. Alfred Jäger, Konzepte der Kirchenleitung für die Zukunft,<br />

1993 – und zur Diakonie: David Lohmann (Anm.9).<br />

15 Eilert Herms, Was heißt „Leitung in der Kirche“? in: Ders.,<br />

Erfahrbare Kirche. Beiträge zur Ekklesiologie, 1990, 82.<br />

16 A.a.O., 85f.<br />

17 Zur Bandbreite des heutigen Sprachgebrauchs von „Spiritualität“<br />

einige Hinweise des Schweizer Religionssoziologen Roland J.<br />

Campiche, Religion: Herausforderung für die Kirchen? Studien und<br />

Berichte 57 (Institut für Sozialethik des SEK, Bern), 2001, 14-18:<br />

„Spiritualität (verwe<strong>ist</strong>) auf die Erfahrungsdimension von Religion.<br />

Sie stellt eine unmittelbare, persönliche Alternative zur institutionalisierten<br />

Religion dar; dann entspricht sie in etwa dem, was ... Ernst<br />

Troeltsch (1865-1923) „Mystik“ nennt.“ – „Der Rückgriff auf den<br />

Begriff Spiritualität als Alternativbezeichnung für das, was man unter<br />

dem Etikett Religion ablehnte, (trug) entscheidend dazu bei, dass der<br />

Begriff Individualisierung der Religion im Sinne der Selbstbehauptung<br />

des glaubenden Subjekts interpretiert wurde.“ – Es mangelt<br />

an religionssoziologischen Erhebungen, die darüber Auskunft<br />

geben würden, was gemeinhin unter „Spiritualität“ verstanden wird.<br />

Gewisse Auskünfte sind gegenwärtig am ehesten in nordamerikanischen<br />

Untersuchungen zu finden, so in den „Arbeiten von Wade<br />

Clark Roof, dessen jüngstes, 1999 erschienenes Werk den sinnigen<br />

Titel „Spiritual Marketplace“ trägt. Der Titel vermittelt anschaulich,<br />

wie es inzwischen um die religiöse Szene im Westen bestellt <strong>ist</strong>.“ –<br />

„Spirituelle Erwartung verwe<strong>ist</strong> nicht auf ein bekanntes Szenario.<br />

Vielmehr eröffnet sie neue Horizonte. Sie verleiht dem Heiligen in<br />

unseren Gesellschaften einen neuen, von Menschen verliehenen<br />

203


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Status. Vorab setzt sie Toleranz voraus, bedeutet Spiritualität doch die<br />

Erforschung der Religion des Anderen und die Anerkennung seiner<br />

Ex<strong>ist</strong>enz.“ – „Spiritualität <strong>ist</strong> zudem ein Modewort, schreckt man<br />

doch nicht davor zurück, der Kundschaft als Anreiz ein Häppchen<br />

Spiritualität anzubieten... (So beispielsweise der) Titel im Wirtschaftsteil<br />

der Zeitung „Le Temps“ (20. April 2001): „L’enrichissement spirituel<br />

des cadres passe par la plongée et le Grec ancien“ (Tauchen<br />

und Altgriechisch als spirituelle Bereicherung für Kaderleute).<br />

18 Vgl. Volker Weymann, Evangelische Erwachsenenbildung. Grundlagen<br />

theologischer Didaktik, 1983, 142f.<br />

19 Hier, wenn die Seitenzahl in Klammer angeführt wird, zitiert nach<br />

der Textfassung in: Martin Luthers ausgewählte Schriften hg. v. Karin<br />

Bornkamm und Gerhard Ebeling 1.Band, 1982, 238ff (die betreffende<br />

Passage: 245-251).<br />

20 WA 7; 11, 8-10.<br />

21 Gerhard Ebeling, <strong>Die</strong> königlich-priesterliche Freiheit in: Ders.,<br />

Luther-Studien Bd. III, 1985, 169.<br />

22 Hierzu: a.a.O., 161.<br />

23 A.a.O., 158.<br />

24 A.a.O., 165.<br />

25 WA 7; 57,14-16: „Potentia haec spiritualis est, quae dominatur in<br />

medio inimicorum et potens est in mediis pressuris, quod est aliud<br />

nihil quam quod virtus in infirmitate perficitur“.<br />

26 BELK, 58,2-7.<br />

27 Gerhard Ebeling, Dogmatik des chr<strong>ist</strong>lichen Glaubens Band I,<br />

353f.<br />

28 Martin Luther: „Ecclesia enim est creatura Euangelii, ... ait ...<br />

Paulus: per Euangelium vos genui“ (Resolutiones zur Leipziger<br />

Disputation von 1519: WA 2; 430, 6-8).<br />

29 Eberhard Jüngel, <strong>Die</strong> Kirche als Sakrament? In: ZThK 80/1983,<br />

445.<br />

30 Vgl. Volker Weymann, Vom Baum und den Früchten. Zur theologischen<br />

Fortbildung der Pfarrerschaft in: „Texte aus der <strong>VELKD</strong>“<br />

103/2001, 13.<br />

31 Vgl. Volker Weymann, Gegensatzerfahrungen. Zum Praxisbezug<br />

Praktischer Theologie in: ZThK 82/1985, 457f.<br />

32 Peter Ulrich/Edgar Fluri, Management. Eine konzentrierte<br />

Einführung, 7.A. 1995.<br />

204


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

33 A.a.O., 53f.<br />

34 Alfred Jäger, Konzepte der Kirchenleitung für die Zukunft, 1993,<br />

170f.<br />

35 Vgl. Gerhard Ebeling, Studium der Theologie. Eine enzyklopädische<br />

Orientierung, 1975, 124f.<br />

36 Dazu nur die Erinnerung an CA VII, wonach die „heilige chr<strong>ist</strong>liche<br />

Kirche ... die Versammlung aller Gläubigen (<strong>ist</strong>), bei welchen das<br />

Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des<br />

Evangelii gereicht werden“ (BELK, 61, 3-7). Was Kirche konstituiert<br />

und öffentlich kenntlich macht, sind hiernach also die<br />

Lebensvollzüge, durch die ihr das Leben schaffende, befreiende<br />

Leben Jesu Chr<strong>ist</strong>i zukommt.<br />

37 Wolfgang Huber, Kirche in der Zeitenwende. Gesellschaftlicher<br />

Wandel und Erneuerung der Kirche, 1998, 13.<br />

38 Eckhart von Vietinghoff, Wege aus der Krise. Kritische<br />

Anmerkungen zum Berufsbild Pfarrer in: hg. v. Heike Schmoll,<br />

Kirche ohne Zukunft? Evangelische Kirche – Wege aus der Krise,<br />

1999, 161f.<br />

39 Daniel <strong>Die</strong>tzfelbinger, Von der ökonomischen Befangenheit mancher<br />

kirchlicher Kreise in: Deutsches Pfarrerblatt, 2001, 300.<br />

40 Eberhard Jüngel, Zur Freiheit eines Chr<strong>ist</strong>enmenschen. Eine<br />

Erinnerung an Luthers Schrift, 1978, 78.<br />

41 Vgl. Ingolf U. Dalferth, „Was für mich stimmt, bestimme ich!“.<br />

Theologie im Zeitalter der „Cafeteria-Religion“ in: ThLZ 121/1996,<br />

415-430.<br />

42 H. Steinmann/G. Schreyögg, Management. Grundlagen der<br />

Unternehmensführung, 3.A. 1993, 13.<br />

43 Jan Hermelink, Pfarrer als Manager? Gewinn und Grenzen einer<br />

betriebswirtschaftlichen Perspektive auf das Pfarramt in: ZThK<br />

95/1998, 547.<br />

44 Von Jaqueline Zanca – übersetzt aus: Womans Work, Mai/Juni<br />

1977, 9ff.<br />

45 Gerhard Ebeling, Dogmatik des chr<strong>ist</strong>lichen Glaubens Band III,<br />

1979, 481.<br />

46 André Brink, Weiße Zeit der Dürre, 5.A.1989, 310.<br />

47 Hans Weder, <strong>Die</strong> „Rede der Reden“. Eine Auslegung der<br />

Bergpredigt heute, 1985, 15.<br />

48 Vgl. Volker Weymann, <strong>Die</strong> Bergpredigt im Zusammenhang des<br />

205


Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />

Matthäus-Evangeliums: Ihr grundlegende, umstrittene, überraschende<br />

Wirkung in: Ökumenischer Arbeitskreis für Bibelarbeit (Hg.),<br />

Bergpredigt (Bibelarbeit in der Gemeinde Bd.8), 1992, 39f.<br />

49 Peter Ulrich/Edgar Fluri, Management. Eine konzentrierte<br />

Einführung, 7. Aufl. 1995, 161.<br />

50 A.a.O., 225-227.<br />

51 Eckhart von Vietinghoff, a.a.O., 179.<br />

52 Zum folgenden vgl. Volker Weymann, Zum Grundzug ge<strong>ist</strong>lichen<br />

Lebens und zu ge<strong>ist</strong>licher Kirchenleitung in: hg.v. Manfred Josuttis<br />

u.a., Auf dem Weg zu einer seelsorglichen Kirche. Theologische<br />

Bausteine. Chr<strong>ist</strong>ian Möller zum 60.Geburtstag, 2000, 150f.<br />

53 Hierzu vgl. Volker Weymann, Wer wird wem gerecht? Zur<br />

Gerechtigkeit herausgefordert – auf Gerechtigkeit angewiesen in:<br />

EvTh 52/1992, 158f.<br />

54 Eberhard Jüngel, Gott – als Wort unserer Sprache in: Ders.,<br />

Unterwegs zur Sache, 1971, 101.<br />

55 Dazu: Heribert W. Gärtner, Zwischen Management und<br />

Nächstenliebe. Zur Identität des kirchlichen Krankenhauses, 2. Aufl.<br />

1995, 120-124.<br />

56 Das Evangelische Münchenprogramm (eMp). Evangelisch-<br />

Lutherische Kirche in Bayern. Dekanat München. Überarbeitete<br />

Fassung zum Stand der Umsetzung im Juli 1998. Basierend auf der<br />

Zusammenfassung der Ergebnisse vom 22. Juli 1996, 13f.<br />

57 Eilert Herms. Evangelisch aus gutem Grund in: hg. v. Uta Andrée<br />

u.a., Leben und Kirche. Festschrift für Wilfried Härle, 2001, 155.<br />

58 Vgl. Gerhard Ebeling, Das Grund-Geschehen von Kirche in:<br />

Ders., Wort und Glaube Bd.3, 1975, 463ff.<br />

59 Vgl. Volker Weymann, Drei Dimensionen des Gemeindeaufbaus<br />

in: Reformatio 37/1988, 193.<br />

60 Vgl. Volker Weymann, Vom Baum und den Früchten. Zur theologischen<br />

Fortbildung der Pfarrerschaft in: „Texte aus der <strong>VELKD</strong>“<br />

103/2001, 19f.<br />

61 Wolfgang Huber, Kirche – wohin? Eine Problemanzeige in zwanzig<br />

Thesen in: Glaube und Lernen 10/1995, 103.<br />

62 <strong>Die</strong>trich Bonhoeffer, Ethik, 1963, 135f.<br />

63 A.a.O., 150.<br />

206


207


Herausgeber und Autoren<br />

Herausgeber und Autoren<br />

Hahn, Udo, Pfarrer, Oberkirchenrat, Publiz<strong>ist</strong>ik-Referent der<br />

Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Pressesprecher<br />

der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche<br />

Deutschlands (<strong>VELKD</strong>), Hannover.<br />

Hauschild, Wolf-<strong>Die</strong>ter, Dr. theol., Professor für Kirchengeschichte<br />

an der Universität Münster.<br />

Hermelink, Jan, Dr. theol., Professor für Praktische Theologie/Pastoraltheologie<br />

an der Universität Göttingen.<br />

Schindehütte, Martin, Ge<strong>ist</strong>licher Vizepräsident des Landeskirchenamtes<br />

der Evangelisch-lutherischen Landeskirche<br />

Hannovers.<br />

Weymann, Volker, Dr. theol., Professor für Praktische Theologie,<br />

Rektor des Theologischen Studienseminars der Vereinigten<br />

Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands<br />

(<strong>VELKD</strong>) in Pullach bei München.<br />

208

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!