Die Superintendentur ist anders - VELKD
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Volker Weymann/Udo Hahn (Hg.)<br />
<strong>Die</strong> <strong>Superintendentur</strong> <strong>ist</strong> <strong>anders</strong>.<br />
Strukturwandel und Profil des ephoralen Amtes
Volker Weymann/Udo Hahn (Hg.)<br />
<strong>Die</strong> <strong>Superintendentur</strong> <strong>ist</strong> <strong>anders</strong>.<br />
Strukturwandel und Profil<br />
des ephoralen Amtes
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek<br />
<strong>Die</strong> Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der<br />
Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische<br />
Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.<br />
ISBN 3-9809127-6-0<br />
© Lutherisches Kirchenamt, Hannover 2005<br />
2., verb. Auflage 2006<br />
Alle Rechte vorbehalten<br />
Umschlaggestaltung: Reichert dtp+design, Dormagen<br />
Satz: Sabine Rüdiger-Hahn, Sehnde<br />
Druck: Breklumer Druckerei, Breklum<br />
www.velkd.de<br />
Printed in Germany
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort 7<br />
Zur Geschichte des ephoralen Amtes im deutschen<br />
Luthertum vom 16. bis zum 20. Jahrhundert<br />
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild 9<br />
Der Strukturwandel des ephoralen Amtes in praktischtheologischer<br />
Sicht. Exemplarische Debatten, Differenzierungen<br />
und Modelle<br />
Jan Hermelink 57<br />
Verantwortung für theologische Orientierung bzw. kirchliche<br />
Lehre. Eine Skizze<br />
Volker Weymann 89<br />
Überlegungen zur Profilierung des Amtes des<br />
Superintendenten/der Superintendentin<br />
Martin Schindehütte 113<br />
Zum Profil der Ephorien angesichts von Veränderungsprozessen<br />
in den letzten Jahren<br />
Volker Weymann 127<br />
Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung: eine notwendige<br />
und beziehungsvolle Unterscheidung<br />
Volker Weymann 159<br />
Herausgeber und Autoren 208<br />
5
Vorwort<br />
In den letzten Jahren haben sich in den Aufgaben und in der<br />
Gestaltung des ephoralen Amtes wie der Ephorien beträchtliche<br />
Veränderungen ergeben. <strong>Die</strong> mittlere Ebene in der evangelischen<br />
Kirche befindet sich im Umbruch – und fordert<br />
deshalb zur Klärung des veränderten wie genuinen Profils dieses<br />
Amtes heraus. Dekane, Superintendentinnen, Pröpstinnen<br />
und Kreispfarrer – als Vorgesetzte führen und leiten sie<br />
haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.<br />
Zu ihrer Verantwortung gehören notwendig Personalführung,<br />
Konzeptionsentwicklung, Managementaufgaben und ge<strong>ist</strong>liche<br />
Leitung: Wie sind diese Dimensionen sachgemäß und<br />
sinnvoll aufeinander zu beziehen? Wie hat sich das ephorale<br />
Amt seit der Reformationszeit bis heute entwickelt? Wie wirkt<br />
sich der gegenwärtige Strukturwandel aus? Welche Veränderungs-<br />
und Orientierungsprozesse sind in den Dekanaten/<br />
<strong>Superintendentur</strong>en/Ephorien zu beobachten? Welche Modelle<br />
von Führung und Leitung zeichnen sich für die Zukunft<br />
ab?<br />
<strong>Die</strong>se und andere Fragen sind in Kursen des Theologischen<br />
Studienseminars der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen<br />
Kirche Deutschlands (<strong>VELKD</strong>) in Pullach bei München mit<br />
Experten eingehend erörtert worden. Zentrale Beiträge aus<br />
dem Diskussionsprozess werden in diesem Buch dokumentiert.<br />
Hannover, im Juli 2005<br />
Volker Weymann Udo Hahn<br />
7
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
im deutschen Luthertum<br />
vom 16. bis zum 20. Jahrhundert<br />
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild<br />
Bei unserem Thema geht es um Probleme der Kirchenverfassung<br />
und der kirchlichen Praxis: um die „Aufsicht“ eines<br />
Vorgesetzten über Untergebene, um den Ephorus, Inspektor,<br />
Superintendenten, Episkopen. <strong>Die</strong> Vielfalt der Begriffe spiegelt<br />
die Mannigfaltigkeit der geschichtlichen Entwicklung<br />
wider. Der Begriff „ephorales Amt“ <strong>ist</strong> im 19. Jahrhundert<br />
aufgekommen, verbreitet wohl in Sachsen und hauptsächlich<br />
in Preußen zur Bezeichnung des Superintendentenamtes. Er<br />
eignete sich als Zusammenfassung für die entsprechenden,<br />
jedoch unterschiedlich benannten Ämter in fast allen<br />
Landeskirchen (neben Superintendenten: Pröpste, Dekane,<br />
Kreispfarrer o.ä.). Allerdings hat er sich nur teilweise im 20.<br />
Jahrhundert eingebürgert, um die ge<strong>ist</strong>liche Leitungsfunktion<br />
auf der so genannten mittleren Ebene zwischen Gemeinde<br />
und Landeskirche terminologisch zu markieren . Der wichtigste<br />
Sinn dieser Begriffsbildung dürfte in der Unterscheidung<br />
vom „episkopalen Amt“ (samt der Kompetenzen) liegen. Das<br />
war im 19. Jahrhundert gleichsam politisch wichtig, weil der<br />
Bischofstitel in erheblichem Maße mit dem Summepiskopat<br />
der evangelischen Staatsoberhäupter verbunden war.<br />
Im 20. Jahrhundert sollte damit die funktionale und statusmäßige<br />
Differenz zum neuen, nunmehr rein kirchlichen Amt des<br />
Bischofs, Landesbischofs, Kirchenpräsidenten o.ä. zum Ausdruck<br />
gebracht werden, die freilich sowohl theologisch als<br />
auch praktisch nur selten stringent begründet wurde. <strong>Die</strong><br />
Wurzeln dieser Unklarheit lagen im deutschen Luthertum der<br />
Reformationszeit, welches einerseits das römisch-katholische<br />
Bischofsamt ablehnte, andererseits mit dem Superintendenten<br />
ein spezifisch evangelisches Bischofsamt schuf.<br />
9
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
Im Blick auf künftige Praxisveränderungen muss die methodische<br />
Frage zumindest gestellt werden, welche Relevanz die<br />
h<strong>ist</strong>orische Betrachtung für die heutige kirchenpolitische Diskussion<br />
um Strukturreformen besitzen soll oder kann. Das<br />
verbindet sich mit der Frage, ob hier theologische Elemente<br />
begegnen (oder biblische Sachverhalte von grundsätzlicher<br />
Bedeutung), die heute als Normen zur Beurteilung der Praxis<br />
gelten können bzw. die normative Aspekte erkennen lassen,<br />
welche bei möglichen Änderungen unbedingt oder eingeschränkt<br />
oder modifiziert berücksichtigt werden müssen.<br />
I. Das Grundproblem: Divergenz von Prinzip und Praxis<br />
Wenn wir die Eigenart des ephoralen Amtes verstehen wollen,<br />
müssen wir dessen Entstehung in der Reformationszeit<br />
berücksichtigen – die praktischen Notwendigkeiten und die<br />
theologischen Prinzipien. So hat die Tatsache Gewicht, dass in<br />
Deutschland das Superintendentenamt in Verbindung mit<br />
dem Pfarramt zur Kirchenstruktur wesenhaft gehörte. Das ergab<br />
sich aus dem evangelischen Ansatz, wonach Kirche durch<br />
das Wort Gottes konstituiert wird 4. Es gab für die lutherische<br />
Reformation nur ein Amt, dasjenige der Verkündigung und<br />
Sakramentsverwaltung, und dieses musste vorhanden sein in<br />
jeder Stadt und in den größeren Dörfern. Ihm wurde zugeordnet<br />
die wesentliche Funktion, über die Reinheit der evangelischen<br />
Lehre zu wachen. So realisierte sich faktisch das eine<br />
Predigtamt in zwei Ämtern: dem des Pfarrers/Pastors/<br />
Predigers und dem des Superintendenten/Inspektors/<br />
Dekans. Doch aufgrund der politischen Rahmenbedingungen<br />
kam bei der Formierung der evangelischen Kirche ein nichttheologisches<br />
Amt hinzu, der Summepiskopat des Landesherren<br />
(des Fürsten bzw. des Rates in den freien Städten).<br />
Somit ex<strong>ist</strong>ierte die evangelische Kirche seit dem 16.<br />
Jahrhundert auf drei Ebenen, denen drei Ämter entsprachen:<br />
Gemeinde und Pfarrer – Region und Superintendent –<br />
Landeskirche und staatlicher Summus episcopus. Was bedeutet<br />
das für die Frage nach den normativen Grundlagen?<br />
10
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
<strong>Die</strong> Fragestellung hinsichtlich der Normativität h<strong>ist</strong>orischer<br />
Fakten <strong>ist</strong> hinreichend erprobt bei der allgemeinen Diskussion<br />
um das kirchliche Amt (auch und gerade in ökumenischer<br />
Perspektive). Deswegen lässt sich vorab konstatieren: Gemäß<br />
dem evangelischen Ansatz kann kein geschichtlicher Tatbestand<br />
als solcher – d.h. als verbindliches Ergebnis einer h<strong>ist</strong>orischen<br />
Entwicklung und insofern als „Tradition“ im<br />
dogmatischen Sinne – normative Geltung beanspruchen. Als<br />
Beispiel dafür nenne ich die ökumenische Diskussion um das<br />
seit dem 2./3. Jahrhundert fixierte dreifache Amt (Bischof,<br />
Presbyter, Diakon), welches als normatives Verfassungselement<br />
in der gesamten Kirche bis hin zur Frühen Neuzeit bzw.<br />
zur Reformation gültig war 5. Hier gibt es für die heutige<br />
Diskussion Differenzen, die nicht grundsätzlich lösbar sind,<br />
wie sich an der Divergenz hinsichtlich der Tradition und der<br />
durch das Ius divinum gesetzten Ordnung zeigt.<br />
Das sei im Blick auf unser Spezialproblem der Amtsfrage nur<br />
deshalb erwähnt, weil hier klar geworden <strong>ist</strong>, dass nach evangelisch-lutherischer<br />
Auffassung Dreierlei beachtet werden<br />
muss: 1. Biblische Verfassungsmodelle können nicht direkt als<br />
normativ genommen werden; 2. vielmehr kommt der geschichtlichen<br />
Entwicklung eine erhebliche Bedeutung zu,<br />
sofern und insoweit dabei konstitutive theologische Aspekte<br />
impliziert sind; 3. mit vernünftiger Umsicht können die beiden<br />
Grundbegriffe „Tradition“ und „Ius divinum“ trotz der kontroverstheologischen<br />
Belastung zur Klärung des Normenproblems<br />
auch bei unserem Thema herangezogen werden.<br />
Den grundsätzlichen Prolegomena füge ich eine Bemerkung<br />
zur Terminologie hinzu. Der Begriff „ephorales Amt“<br />
erscheint mir in mancher Hinsicht als problematisch. Weder<br />
hat er eine klare h<strong>ist</strong>orische Kontur, noch <strong>ist</strong> der bezeichnete<br />
Gegenstand eindeutig. Insbesondere <strong>ist</strong> das Verhältnis zum<br />
„episkopalen Amt“ sowohl theologisch als auch praktisch<br />
immer noch klärungsbedürftig 6. Der Sachverhalt wird ohne<br />
weiteres deutlich, wenn man in die heute gültigen Kirchenverfassungen<br />
schaut. <strong>Die</strong> Unklarheit und die Mannigfaltigkeit lie-<br />
11
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
gen begründet in der eigentümlichen Geschichte der evangelischen<br />
Kirche in Deutschland. Sie konnte sich praktisch seit<br />
dem 16. Jahrhundert nur in Gestalt autonomer – und demgemäß<br />
unterschiedlich geordneter – Territorialkirchen organisieren.<br />
Sie hat von ihrer Ausgangssituation her – nämlich mit<br />
dem konstitutiven Protest gegen eine Verfremdung der religiösen<br />
Lebensdimension durch deren Vermischung mit rechtlichen,<br />
ökonomischen und politischen Elementen – Probleme<br />
mit der sachgerechten Beziehung zwischen Theologie und<br />
Realität, Prinzip und Praxis bekommen. Anders formuliert:<br />
In vielen Fragen der äußerlichen Ordnung vermag sie kaum<br />
angemessen deren innerlich-ge<strong>ist</strong>liche Dimension zu berücksichtigen.<br />
Klarheit der Prinzipien gibt es hinsichtlich unseres Themas<br />
durchaus, wenn man sich an die lutherischen Bekenntnisschriften<br />
hält. Doch die Komplexität der Praxis führt nicht<br />
immer zu adäquater Realisierung. Das sei durch einen kurzen<br />
Vergleich mit der römisch-katholischen Kirche verdeutlicht 7.<br />
Deren Praxis samt dahinter stehender Theorie war im 16.<br />
Jahrhundert so komplex, dass die prinzipielle Klarheit der<br />
Grundstruktur verdeckt wurde. <strong>Die</strong>se besagte (vereinfacht<br />
formuliert), dass Kirchenleitung wesenhaft mit dem Bischofsamt<br />
zusammenhinge. <strong>Die</strong> seit dem Mittelalter gesteigerte<br />
funktionale Differenzierung dieses Amtes (nicht zuletzt auch<br />
dessen – sein Wesen verfremdende – Verbindung mit dem<br />
weltlichen Fürstenstand in Deutschland) schuf einerseits<br />
beträchtliche Unklarheiten sowie Mängel der Praxis; die konkurrierend-konfliktreiche<br />
Zuordnung zum Papstamt institutionalisierte<br />
andererseits die Unmöglichkeit einer theologisch<br />
stringent begründeten Konsensbildung. Der Kampf zwischen<br />
Konziliarismus und Papalismus zeigte das im 15. Jahrhundert<br />
ebenso wie im 20. Jahrhundert die Ausgleichsversuche des<br />
Zweiten Vatikanischen Konzils. In dogmatischer Hinsicht<br />
hängt da alles ab von der Tatsache, dass es in sakramentaler<br />
und damit in soteriologischer Hinsicht nur ein einziges kirchliches<br />
Amt gibt, nämlich einziges Sakrament des Ordo, dasjenige<br />
des „Priesters“ (das „sacerdotium“), wobei der Begriff<br />
12
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
„sacerdos“ sowohl den Pfarrer als auch den Bischof einschließt<br />
8. Selbst der Papst <strong>ist</strong> insofern nichts anderes. Es gibt<br />
nur ein Sakrament der Priesterweihe, nicht aber – vergebliche<br />
scholastische Versuche haben das bestätigt – ein Sakrament<br />
der Bischofsweihe oder gar der Papstweihe. Alle dogmatischen<br />
Differenzierungen dieser Ämter (einschließlich der<br />
Metropoliten, der Erzbischöfe) dienen meines Erachtens nur<br />
dazu, den wesentlichen Sachverhalt zu verschleiern bzw. lehrmäßig<br />
zu erläutern: dass Machtfragen auch in der Kirche eine<br />
konstitutive Bedeutung besitzen. Denn aus frühchr<strong>ist</strong>licher<br />
Perspektive geurteilt geht es um die Autorität, d.h. den Zusammenhang<br />
von Ge<strong>ist</strong> und Recht. Das bedeutet etwas präziser,<br />
aber immer noch recht erklärungsbedürftig: Es geht um<br />
die apostolische Sukzession. Aus der Sendung Jesu Chr<strong>ist</strong>i hat<br />
sich h<strong>ist</strong>orisch im Grunde nur ein einziges Amt ergeben, dasjenige<br />
der Apostel, der Wahrheitszeugen des Evangeliums,<br />
denen der dauerhafte Be<strong>ist</strong>and des Heiligen Ge<strong>ist</strong>es, des<br />
Ge<strong>ist</strong>es Jesu Chr<strong>ist</strong>i, verheißen <strong>ist</strong> 9. <strong>Die</strong>sen Ansatz hat nach<br />
meinem Urteil die Alte Kirche bis zur so genannten Konstantinischen<br />
Wende im Wesentlichen sachgemäß in einer kirchlichen<br />
Ordnung konkretisiert. Und die war episkopal<br />
konstituiert, wobei das Amt undenkbar war ohne den Bezug<br />
zur Gemeinde. Mit den Verfassungsänderungen während des<br />
4. bis 13. Jahrhunderts wurde diese Struktur weitgehend verdeckt.<br />
<strong>Die</strong> Reformversuche im späten Mittelalter, namentlich<br />
des so genannten Konziliarismus im 15. Jahrhundert, scheiterten<br />
daran, dass die Macht der Päpste größer war als diejenige<br />
der anderen Stände innerhalb der Chr<strong>ist</strong>enheit 10.<br />
Demgegenüber besaß die evangelische Kirche in der Zeit nach<br />
1520 die Möglichkeit, durch Rekurs auf eine biblisch begründete<br />
Neuorientierung des altkirchlichen Bischofsamtes eine<br />
bessere Struktur von Kirchenleitung zu schaffen. Doch diese<br />
Chance konnte in Deutschland aus reichsrechtlichen und politischen<br />
Gründen nicht realisiert werden. Das kündigte sich<br />
schon mit der berühmten Schrift Luthers „An den chr<strong>ist</strong>lichen<br />
Adel“ an, wobei hier das theologische Gemeindeprinzip praktisch<br />
in einen nichttheologischen Machtfaktor umschlug 11.<br />
13
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
Statt einer biblisch begründeten Neuorientierung des altkirchlichen<br />
Bischofsamtes kam es in der Folgezeit bald zur Schaffung<br />
des landesherrlichen Summepiskopats und damit des<br />
Superintendentenamtes, dessen unklarer „ephoraler“ Charakter<br />
auch in der variablen Nomenklatur von Superintendent,<br />
Dekan, Propst, Oberpfarrer u.a. zutage trat. Hier gab es theologische<br />
und jur<strong>ist</strong>ische Unklarheiten, die ungefähr denjenigen<br />
der römischen Kirche entsprachen, wenn wir die Perspektive<br />
auf unser Thema beschränken: auf das Verhältnis von Gesamtkirche,<br />
Metropolitankirche, Diözesankirche und Ortskirche<br />
einerseits, auf das Verhältnis von Landeskirche, Kirchenkreis<br />
(o.ä.) und Kirchengemeinde/Parochie andererseits.<br />
Relativ klar geordnet war in der evangelischen Kirche des 16.<br />
Jahrhunderts das ge<strong>ist</strong>liche Amt des Ortspfarrers. Da es bis<br />
heute – jedenfalls in der theologischen Begründung – die<br />
Basis aller darüber stehenden ge<strong>ist</strong>lichen Leitungsämter<br />
abgibt, muss der h<strong>ist</strong>orische Überblick die reformatorische<br />
Position auch zu diesem Punkt streifen. Denn es soll ja nicht<br />
um bloßes Reg<strong>ist</strong>rieren von Koinzidenzen und Varianten in<br />
den regionalen Ordnungen gehen, sondern primär um grundsätzliche<br />
Aspekte. Dazu gehört auch eine kurze Orientierung<br />
über das Problem des episkopalen Amtes in der Reformation,<br />
weil der Begriff „Superintendent“ schon für das 16.<br />
Jahrhundert zeigt, dass in der Praxis die episkopalen und die<br />
ephoralen Elemente etwas verworren begegneten.<br />
II. Der reformatorische Ansatz: Wortverkündigung und<br />
Lehraufsicht<br />
Luthers Reformation implizierte von Anfang an den schärfsten<br />
Kampf gegen die religiösen Ansprüche der traditionellen<br />
Hierarchie. Das traf zuvörderst den Papst und sein kirchliches<br />
System, das Luther seit 1519/20 deshalb als Institution des<br />
Antichr<strong>ist</strong>en entlarvte, weil seine Herrschaft innerhalb der<br />
Kirche das Wort Gottes bzw. das Evangelium Chr<strong>ist</strong>i unterdrückt;<br />
das traf auch das herkömmliche Bischofsamt hinsicht-<br />
14
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
lich seiner theologischen Grundlage und rechtlichen<br />
Struktur 12. Hier zeigte sich jedoch nur die eine Seite des<br />
Themas.<br />
1. Wie die Kritik am Messopfer und an Theorie und Praxis des<br />
Priesteramtes auf eine Neukonstituierung von Messe und<br />
ge<strong>ist</strong>lichem Amt zielte (die seit etwa 1522/23 erste Konturen<br />
gewann), so entwarf Luther schon früh ein Konzept neuartiger<br />
Kirchenleitung. Für die Gesamtkirche sollte das Konzil<br />
zuständig sein, für die Ortskirche die Gemeinde. Bei beiden<br />
verschränkte sich – insbesondere bei der personalen Repräsentanz<br />
– das ge<strong>ist</strong>liche mit dem weltlichen Element, konkret<br />
die Chr<strong>ist</strong>en- und die Bürgergemeinde bzw. die kirchliche und<br />
politische Obrigkeit. Der wesenhafte, daher unlösbare Zusammenhang<br />
von Amt und Gemeinde und damit von Gottes<br />
ge<strong>ist</strong>lichem und Gottes weltlichem Regiment prägte seit den<br />
Anfängen die Reformation also die evangelische Erneuerung<br />
der katholischen Kirche, und das nicht nur bei Luther, sondern<br />
überall. Theoretisch wie praktisch wirkte ein Prinzip,<br />
welches für unser Thema nicht nur im Blick auf das 16. Jahrhundert<br />
belangvoll <strong>ist</strong>: Das ge<strong>ist</strong>liche Leitungsamt war ohne<br />
Beteiligung der Gemeinde nicht sachgemäß zu ordnen. Ein<br />
kritischer Aspekt <strong>ist</strong> jedoch sogleich impliziert: <strong>Die</strong> generelle<br />
Verwirklichung in dauerhaften Strukturen benötigte einen längeren<br />
Zeitraum (etwa bis 1580) und sie erfolgte im deutschen<br />
Luthertum nicht einheitlich, erst recht nicht in den weiteren<br />
reformatorischen Kirchen Europas. <strong>Die</strong> sachgemäße Beteiligung<br />
der Gemeinde kam erst sehr viel später hinzu seit der<br />
Einführung einer presbyterial-synodalen Kirchenordnung<br />
1835 (dazu s. Abschnitt IV), also zunächst nicht aufgrund der<br />
lutherischen Verfassungsentwicklung.<br />
<strong>Die</strong> Grundzüge einer Erneuerung des ge<strong>ist</strong>lichen Amtes als<br />
Teil einer Gesamtreform der Kirche begegneten 1520 in der<br />
bereits zitierten „Adelsschrift“. Danach <strong>ist</strong> das gegenwärtige<br />
Bischofsamt nicht biblisch begründet bzw. von Gott eingesetzt;<br />
ein wahrer Bischof <strong>ist</strong> für Luther identisch mit einem<br />
Ortspfarrer 13. Schon hier klingt der fortan wichtige Rekurs an<br />
15
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
einerseits auf die Pastoralbriefe (1. Timotheus 3 und Titus 1),<br />
andererseits auf Hieronymus, der in Auslegung dieser<br />
Bibeltexte wie im h<strong>ist</strong>orischen Rückblick auf die ersten<br />
Jahrhunderte eine Kongruenz von Episcopus und Presbyterus<br />
konstatiert hat 14. Luther definierte also das Pfarramt als ein<br />
lokales Bischofsamt. Das zeigten exemplarisch im Jahre 1523<br />
seine Schrift über die Vollmacht der „Chr<strong>ist</strong>liche(n) versamlung<br />
odder gemeyne ...“, Prediger einzusetzen, und seine<br />
Widmung der „Formula missae“ an den Stadtpfarrer Nikolaus<br />
Hausmann als Episcopus der Kirche von Zwickau 15. Auch der<br />
1523 zum Pfarrer von Wittenberg durch den Rat der Stadt gewählte<br />
Johannes Bugenhagen, den Luther im Gottesdienst<br />
installiert bzw. „confirmiert“ hat (beides unter Bruch des herkömmlichen<br />
Rechts), wurde als Episcopus bezeichnet und hat<br />
sich später selber als bischöflicher Amtsträger verstanden 16.<br />
2. Für unser Thema geben diese Texte und Sachverhalte allerdings<br />
nicht viel her. Das dafür entscheidende Problem <strong>ist</strong><br />
doch, ob und inwiefern Luther neben dem Pfarrer als<br />
Ortsbischof auch ein regionales Bischofsamt theoretisch<br />
begründet hat. Das <strong>ist</strong> von einigen Forschern behauptet worden,<br />
wobei vor allem Luthers Reformprogramm für die<br />
Böhmischen Brüder herangezogen worden <strong>ist</strong>, der lateinische<br />
Traktat „De instituendis min<strong>ist</strong>ris ecclesiae/Über die Einsetzung<br />
von Kirchendienern“ vom November 1523 (der in<br />
der deutschen Übersetzung von Paul Speratus viel stärker gewirkt<br />
hat) 17. Hier empfiehlt Luther die Berufung und<br />
Ordination von evangelischen Priestern durch die utraqu<strong>ist</strong>ischen<br />
Gemeinden in Böhmen, weil die zuständigen römischkatholischen<br />
Bischöfe den „Häretikern“ diesen <strong>Die</strong>nst<br />
verweigern. Er entwickelt keineswegs das evangelische Modell<br />
eines regionalen Bischofsamtes, sondern er propagiert zwei<br />
sachlich problematische Notlösungen. <strong>Die</strong> utraqu<strong>ist</strong>ischen<br />
Böhmen sollen über die Ordinations- und Introduktionsfunktion<br />
ihrer Gemeinden hinaus ein regionales Besuchsamt<br />
schaffen, bei welchem die entscheidenden Funktionen „min<strong>ist</strong>rare“<br />
und „visitare“ hinsichtlich konkreter Praxis und<br />
Rechtsform völlig unklar bleiben 18. Luther hat hier das regio-<br />
16
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
nale Bischofsamt (im Unterschied zum lokalen, dem Pfarramt)<br />
nur marginal und defizitär angesprochen. <strong>Die</strong>se theoretische<br />
Improvisation hat er etwas später allerdings in eine<br />
langfr<strong>ist</strong>ig wirksame Praxis überführt, in das Superintendentenamt<br />
Sachsens.<br />
3. Zusammen mit der Behauptung einiger Forscher, Luther<br />
habe ein regionales Bischofsamt seit 1523 propagiert, <strong>ist</strong> nicht<br />
selten auf den h<strong>ist</strong>orisch bedeutsamen Sachverhalt hingewiesen<br />
worden, dass einige wenige altgläubige Bischöfe sich der<br />
Reformation anschlossen. Hier wäre womöglich eine h<strong>ist</strong>orische<br />
und dogmatische Kontinuität im Episkopat und damit im<br />
Postulat einer apostolischen Sukzession gegeben. Der<br />
Sachverhalt <strong>ist</strong> im ökumenischen Gespräch gelegentlich betont<br />
worden, doch er muss in seiner ekklesialen Bedeutung<br />
h<strong>ist</strong>orisch relativiert werden.<br />
Eher unerheblich sind die von evangelischer Fürstenmacht<br />
durchgesetzten Bischofsinstallationen in den traditionellen<br />
Diözesen Naumburg-Zeitz (Nikolaus von Amsdorf 1542-<br />
1547) und Merseburg (Georg von Anhalt 1544-1550) 19. Es sei<br />
beiläufig bemerkt, dass die dauerhafte Installation eines evangelischen<br />
Bischofs im Fürstb<strong>ist</strong>um Lübeck (der späteren<br />
Landeskirche Eutin) seit 1561 mit Eberhard von Holle viel<br />
stärkere Folgen für die Verbindung von Reformation und traditionellem<br />
Episkopat besaß; aber das <strong>ist</strong> in der Forschung<br />
kaum beachtet worden 20. Immer wieder betont hingewiesen<br />
hat man dagegen auf die Vorgänge in Preußen, Brandenburg<br />
und Pommern. In dem neuen Herzogtum Preußen förderten<br />
die zuständigen Bischöfe von Pomesanien und Samland –<br />
Erhard von Queiß und Georg von Polentz – seit 1524 mit<br />
ihrer ordnungsgemäßen Jurisdiktionsgewalt die Einführung<br />
der Reformation; allerdings wurde nach 1587 dieser Ansatz<br />
einer evangelischen Episkopalverfassung rigide abgelöst durch<br />
das landesherrliche Kirchenregiment des Herzogs 21. Weniger<br />
folgenreich war im Kurfürstentum Brandenburg 1540 die<br />
Beteiligung des Brandenburger Bischofs Matthias von Jagow<br />
an der Einführung von evangelischem Gottesdienst (Abend-<br />
17
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
mahl) und evangelischer Kirchenordnung; auch hier siegte der<br />
fürstliche Summepiskopat 22.<br />
<strong>Die</strong> genannten Beispiele weisen darauf hin, dass die evangelische<br />
Kirche in Deutschland wenigstens partiell eine Bischofsstruktur<br />
mit apostolischer Sukzession in Fortsetzung der<br />
traditionellen Rechtsverhältnisse hätte aufbauen können. Sie<br />
hätte sich dann vielleicht Schweden und England stärker angenähert.<br />
Für unser Thema, das ephorale Amt, hat die Diskussion<br />
um jenen h<strong>ist</strong>orischen Sachverhalt jedoch keine<br />
grundsätzliche Bedeutung. Zwar haben Luther und<br />
Melanchthon in späterer Zeit gelegentlich darauf hingewiesen,<br />
dass es eine bessere Alternative zum bischöflichen Kirchenregiment<br />
der Landesherren geben könnte. Aber die<br />
Realität war längst über solche dogmatisch-frommen<br />
Wünsche hinweggegangen. Das ephorale Amt wurde in den<br />
Neubau des Staates nur zu gern und passend integriert, weil es<br />
dazu besser passte als ein episkopales Amt, bei welchem die<br />
traditionelle Prägung trotz aller reformatorischen Änderungen<br />
nachwirkte<br />
4. Neben dem preußischen Modell in Pomesanien (Riesenburg)<br />
und Samland (Königsberg) entwickelte sich seit 1525 in<br />
einigen Städten Norddeutschlands unter dem Einfluss<br />
Johannes Bugenhagens ein anderes, h<strong>ist</strong>orisch wirkungsvolleres<br />
Modell. Bugenhagen befasste sich seit 1523/24 mit dem<br />
Problem, die biblischen Aussagen über das evangelische Verkündigungsamt<br />
in praktikable Strukturen zu überführen 23.<br />
Sein Schüler Johannes Äpinus, Schulrektor in Stralsund, verfasste<br />
1525 für diese vom pommerschen Herzog relativ unabhängige<br />
Hansestadt eine Kirchenordnung, die allgemein in der<br />
Forschung große Beachtung hinsichtlich der Anfänge des<br />
evangelischen Superintendentenamtes gefunden hat. Äpinus<br />
wollte die von Luther und Bugenhagen theoretisch-publiz<strong>ist</strong>isch<br />
erörterte Lösung in die Praxis überführen.<br />
Demgemäß erließen Stralsunds Rat und Bürgervertretung<br />
(also insofern die Gemeinde) im November 1525 eine Ord-<br />
18
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
nung für das Predigtamt, das Schulwesen und die kirchliche<br />
Finanzverwaltung. Der kurze Text enthält einige für unser<br />
Thema wichtige Formulierungen 24. Er beginnt mit der<br />
Maxime, „dat gades wort lutter rein und klar geprediget werde<br />
ahne alle tosettinge“. Dann folgt eine kurze Anweisung zur<br />
Korrektur des Gottesdienstes, die unmittelbar verbunden<br />
wird mit der Bestimmung, „de äverste prediger“ solle mit<br />
Gottes Wort „solchen utwendigen gadesdenst regiren ordentlicken“.<br />
<strong>Die</strong>ser Oberprediger soll also die Gottesdienstreform<br />
leiten und damit ein bischöfliches Recht, das ius liturgicum,<br />
wahrnehmen. Er muss daher „in der hiligen schrift wohl<br />
erfahren“ sein und er amtiert als „der anderen prediger hövet“<br />
(also Haupt/caput im Sinne eines Leiters); die Prediger müssen<br />
ihm gehorsam sein bzw. auf ihn hören, „dat een jederman<br />
nicht fahre na sinem egenen kopp, un chr<strong>ist</strong>licke einigheit<br />
werde upgehaven untotrennet“. Ausdrücklich wird ihm also<br />
im Blick auf die Einheitlichkeit von Predigtinhalten und<br />
Gottesdienstform das „regiment äver de anderen prediger“<br />
übertragen, allerdings nicht weiter, als die Bibel mit sich bringe.<br />
Demgemäß dürfen die Prediger ohne seine Zustimmung<br />
generell keine Praxisveränderung vornehmen, d.h. er soll die<br />
Einheitlichkeit der Reformen gewährle<strong>ist</strong>en, allerdings aufgrund<br />
der Beratung mit den Predigern. Gleichsam als<br />
Quintessenz der skizzierten Bestimmungen heißt es, dass der<br />
oberste Prediger die Aufsicht über rechte Lehre und Lebenswandel<br />
der anderen führe. Hinzu kommt die Aufsicht über die<br />
Lehrinhalte der Lateinschule, während für ihn bei der ausführlich<br />
geregelten Finanzverwaltung keinerlei Funktion vorgesehen<br />
<strong>ist</strong>.<br />
Wir haben hier erstmals das Amt des Stadtsuperintendenten<br />
(ohne diesen Begriff), welches sich seit 1528 in Norddeutschland<br />
durchsetzte vor allem durch Bugenhagens Ordnungen<br />
für Braunschweig, Hamburg und Lübeck sowie durch entsprechende<br />
Regelungen anderer Städte (z.B. Bremen, Minden,<br />
Soest) 25. Allerdings sind in diesen Kirchenordnungen die episkopalen<br />
und die ephoralen Funktionen auffallend unklar geregelt<br />
und kaum abgegrenzt einerseits gegenüber den ge<strong>ist</strong>-<br />
19
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
lichen Kompetenzen aller Pfarrer, andererseits gegenüber der<br />
Beteiligung der Gemeinde im bürgerlichen Sinne, konkret des<br />
städtischen Rates und der Bürgervertretungen. Gleichwohl<br />
kann man konstatieren, dass das ephorale Amt in etlichen<br />
Städten Norddeutschlands ein spezifisches, ekklesial orientiertes<br />
Gepräge gewonnen und bis zum 20. Jahrhundert behauptet<br />
hat. Hier wurde ge<strong>ist</strong>liche Leitung der Kirche in erheblichem<br />
Maße praktiziert, oft im Widerstand gegen den summepiskopalen<br />
Anspruch der weltlichen Obrigkeit.<br />
5. Zusammen mit Bugenhagens Strukturmodell für Stadtkirchen<br />
<strong>ist</strong> dasjenige für Territorialkirchen von allen Wittenberger<br />
Reformatoren gemeinsam entwickelt worden. Es hat<br />
die größte h<strong>ist</strong>orische Wirkung entfaltet. Erstmals begegnet es<br />
in den beiden Texten, welche 1527 und 1528 die grundlegende<br />
Visitationsarbeit in Kursachsen regeln: in Kurfürst Johanns<br />
„Instruction“ und – einem offiziellen Zusatzdokument – in<br />
Melanchthons „Unterricht“ für die Visitatoren 26. <strong>Die</strong>se amtlichen<br />
Texte (insbesondere Luthers Vorrede zum „Unterricht“)<br />
sind im 19. und 20. Jahrhundert intensiv unter der<br />
Fragestellung bearbeitet worden, ob das dort fundierte landesherrliche<br />
Kirchenregiment mit Luthers eigentlicher Konzeption<br />
vereinbar war 27. So relevant das vor 1918 sein mochte<br />
im Zusammenhang mit Kirchenreformbestrebungen, <strong>ist</strong> es<br />
für unser Thema deswegen belanglos, weil Luther später ohne<br />
effektiv wirksame Einwände dies Modell und die entsprechend<br />
funktionierende Praxis akzeptiert hat. Es mag sein, dass<br />
er – und Philipp Melanchthon, dieser vielleicht noch öfter und<br />
deutlicher – gelegentlich Kritik daran geübt hat und ein erneuertes,<br />
evangelisch verändertes Bischofsamt für dem Wesen der<br />
Kirche angemessener gehalten hat 28. <strong>Die</strong> normative Gewalt<br />
des Faktischen war stärker, d.h. das politische Interesse der<br />
Obrigkeiten, Kirchenwesen in den noch instabilen frühneuzeitlichen<br />
Staat zu integrieren.<br />
Zunächst für die erstmalige, grundlegende Visitation der Jahre<br />
1527-29, aber daraufhin dauerhaft geschaffen wurde das Amt<br />
der „Superintendenten und Aufseher“ 29. <strong>Die</strong>se waren Stadt-<br />
20
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
pfarrer in etlichen „furnembsten stetten“ und zuständig für<br />
„die umbliegende kreisse“ (bzw. – wie es an anderer Stelle<br />
heißt – für die Ämter oder Reviere, also für die regionalen<br />
staatlichen Verwaltungseinheiten) 30. Der Begriff „superintendent“<br />
(bei Melanchthon: „superattendens“) war offenkundig<br />
anfangs noch kein Titel, sondern eine Funktionsbeschreibung<br />
für die „superintendenz“, die Aufsicht des „superintentierend<br />
pfarner“ 31. Nach der kurfürstlichen Instruktion sollten die<br />
Superintendenten den Lebenswandel und die kirchliche<br />
Amtsführung der ihnen unterstellten Pfarrer und Prediger (in<br />
den kleinen Städten und Dörfern) beobachten und dieselben<br />
bei eventuellen Missständen vermahnen.<br />
Melanchthons „Unterricht“ betonte als primären Inhalt der<br />
Aufsicht, dass überall in den Pfarreien „recht und chr<strong>ist</strong>lich<br />
geleret, und das wort gottes, und das heilige evangelion rein<br />
und treulich geprediget, und die leute mit den heiligen sacramenten,<br />
nach aussatzung Chr<strong>ist</strong>i seliglich versehen werden“.<br />
Der korrekte Lebenswandel der Pfarrer stand an zweiter<br />
Stelle; er war als Vorbild wichtig, „damit sich das gemeine volk<br />
bessere und kein ergernis empfahe“ 32.<br />
<strong>Die</strong> Lehraufsicht war also für Melanchthon entscheidend, wie<br />
aus seiner nachträglichen Bemerkung hervorgeht, damit nicht<br />
gegen Gottes Wort gelehrt oder nicht solches gepredigt<br />
würde, was zum Aufruhr gegen die Obrigkeit dienen könnte 33.<br />
Das entsprach einerseits der Anfangssituation der Reformation<br />
mit dem Wildwuchs beim Pfarrerstand, andererseits der<br />
politischen Bedeutung, die falsche Lehre im 16. Jahrhundert<br />
nach genereller Auffassung für den Bestand des Gemeinwesens<br />
besaß. Demgemäß sah die Ordnung vor, dass der<br />
Superintendent einen von ihm vergeblich ermahnten Falsch-<br />
Prediger beim zuständigen Amtmann anzeigen sollte, welcher<br />
die Sache an den Kurfürsten weitergeben sollte 34. Damit trat<br />
eine staatskirchliche Komponente im Superintendentenamt<br />
zutage, ebenso bei einer anderen Materie, den „ehesachen“,<br />
d.h. eherechtlichen Fragen, für die bislang der Bischof bzw.<br />
dessen Archidiakon oder Offizial zuständig war.<br />
21
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
Über die hier referierten Aufgaben hinaus begegnet in den<br />
Dokumenten von 1527/28 nichts, insbesondere nichts über<br />
die wichtige Frage, wer die Superintendenten in ihr Amt einsetzen<br />
sollte. <strong>Die</strong> „Instruction“ deutet an, dass dies durch die<br />
kurfürstlichen Visitatoren erfolgte; das galt aber nur für den<br />
Beginn der Neuordnung, war jedoch ein bezeichnendes<br />
Präjudiz: <strong>Die</strong> Superintendenten arbeiteten im Auftrag des<br />
Landesherrn. So blieb es bis 1918 gültig.<br />
III. Das ephorale Amt als Teil der Kirchenverwaltung seit<br />
Mitte des 16. Jahrhunderts<br />
<strong>Die</strong> Einsetzung bzw. Berufung durch die weltliche Obrigkeit<br />
war für die Konstruktion des neuen Amtes seit ca. 1530 in<br />
allen evangelischen Territorien ein konstitutives Merkmal. Der<br />
Superintendent wurde ein Glied der Kirchenverwaltung, welche<br />
in enger Verbindung mit der Staatsverwaltung stand 35.<br />
1. Das kam in zwei Sachverhalten zum Ausdruck: a) Sein Sitz,<br />
die „Ephoralstadt“ (wie man im 19. Jahrhundert sagte) 36, war<br />
dort, wo der kurfürstliche Amtmann oder Schosser saß, und<br />
mit diesem musste er eng kooperieren, was sich unter anderem<br />
seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vielerorts in<br />
der Bildung der so genannten Kircheninspektionen auswirkte<br />
(oder ähnlicher gemischter Behörden, in denen seit dem 17.<br />
Jahrhundert Theologen und Jur<strong>ist</strong>en zusammenarbeiteten) 37.<br />
b) Der Superintendent wurde gleichzeitig einer neuartigen<br />
Oberbehörde unterstellt bzw. eingeordnet, die sich logisch aus<br />
dem ursprünglichen Ansatz ergab (der Beauftragung obrigkeitlicher<br />
Visitationskommissionen): dem Kons<strong>ist</strong>orium 38.<br />
Auch hier bot Kursachsen das Modell, nach dem sich die<br />
me<strong>ist</strong>en evangelischen Territorien richteten, weil es auch dort<br />
von der Sache her geboten war. Aus den Anfängen 1539 in<br />
Wittenberg entwickelte sich – ursprünglich ansetzend bei<br />
Problemen der Ehegerichtsbarkeit – das Kons<strong>ist</strong>orium während<br />
des 16. Jahrhunderts zum Organ des landesherrlichen<br />
Kirchenregiments, zuständig für alle Materien, die in vorre-<br />
22
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
formatorischer Zeit zur „iurisdictio ecclesiastica“ gehörten 39.<br />
<strong>Die</strong> Entwicklung der Kons<strong>ist</strong>orien verlief – wie diejenige des<br />
Superintendentenamtes – im Einzelnen etwas verwickelt,<br />
doch in den Grundlinien klar und einheitlich. Sie entsprach<br />
der seit 1527 angebahnten Tendenz, die kirchlichen Institutionen<br />
in den Staatskörper zu integrieren.<br />
Reichsrechtlich begründet wurde das nach Auffassung der<br />
Protestanten durch die Suspension der bisher den Bischöfen<br />
zustehenden „iurisdictio ecclesiastica“ im Passauer Vertrag<br />
1552 bzw. im Augsburger Religionsfrieden 1555. Aus dieser<br />
Verfassungsgrundlage leiteten evangelische Jur<strong>ist</strong>en bald darauf<br />
den Anspruch ab, die gesamten „iura episcopalia“ wären<br />
seit 1552/1555 auf die protestantischen Landesherren im<br />
Sinne einer rechtmäßigen Translation übergegangen. <strong>Die</strong> bis<br />
1918 geltende Rechtsfigur des landesherrlichen Summepiskopats,<br />
die als Folge der föderal<strong>ist</strong>ischen Struktur des Reichs<br />
überall galt, spielte eine fundamentale Rolle in der Geschichte<br />
des ephoralen Amtes in all seinen verschiedenen Ausprägungen.<br />
Oberster „Ephorus“ im Sinne eines Landesbischofs<br />
war der Fürst (oder in den Reichsstädten Rat und<br />
Bürgerme<strong>ist</strong>er). Er erledigte die entsprechenden Aufgaben<br />
mit Hilfe seiner allgemeinen (Hof-)Kanzlei. Er behielt mit der<br />
kirchlichen Jurisdiktion ein wesentliches Element des vorreformatorischen<br />
Bischofsamtes, was sich noch im 19.<br />
Jahrhundert fatal bekundete bei den Bemühungen um eine<br />
Reform der Kirchenverfassung oder z.B. in Preußen beim so<br />
genannten Agendenstreit 1821ff hinsichtlich des „ius liturgicum“<br />
40. In der Struktur unserer Landeskirchen wirkt sich dieses<br />
ephorale Element des Summepiskopats bis heute dort<br />
besonders aus, wo der Landessynode (o.ä.) das alleinige Recht<br />
der kirchlichen Gesetzgebung zusteht 41.<br />
Es empfiehlt sich bei der h<strong>ist</strong>orischen Betrachtung, von dieser<br />
obersten Stufe das Superintendentenamt als untere Stufe und<br />
die diesem übergeordneten Instanzen als mittlere Stufe des<br />
ephoralen Amtes zu unterscheiden. (Wenn man jedoch in der<br />
evangelischen Kirche – wie allgemein geläufig – drei „Ebe-<br />
23
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
nen“ unterscheidet, dann gehören der Superintendent und<br />
dessen Vorgesetzter, der Generalsuperintendent o.ä., zur<br />
Mittelebene, und bildet die Gemeinde die untere Ebene.) Ein<br />
kurzer Überblick möge den Sachverhalt verdeutlichen.<br />
2. Im ernestinischen bzw. albertinischen Kursachsen wurde<br />
bis zur großen Kirchenordnung von 1580 das ephorale<br />
System ausgebaut 42. <strong>Die</strong> Superintendenten (deren Zahl sich<br />
vor 1580 und erst recht danach veränderte entsprechend den<br />
Zuwächsen des staatlichen Territoriums) unterstanden dem<br />
Kons<strong>ist</strong>orium in Leipzig oder Wittenberg oder Meißen. In<br />
Dresden entstand 1580 durch Verlagerung von Meißen her ein<br />
Oberkons<strong>ist</strong>orium, das – mit kurzer Unterbrechung 1588ff –<br />
bis 1835 als „landeskirchliche Zentralbehörde“ bestand 43.<br />
Den Kons<strong>ist</strong>orien zugeordnet war eine wachsende Zahl von<br />
Generalsuperintendenten, beginnend 1533 mit dem Kurkreis<br />
Wittenberg, wo Johannes Bugenhagen diese Funktion einer<br />
„Obersuperattendenz“ über 7-8 Superintendenten ausübte 44.<br />
Deutlich war, dass das Kons<strong>ist</strong>orium keine weltlich-staatliche<br />
Behörde war, sondern eine Instanz des obrigkeitlichen<br />
Summepiskopats mit erheblicher ge<strong>ist</strong>licher Beteiligung.<br />
Klarer als in Sachsen war die Regelung im Herzogtum<br />
Württemberg, die der kursächsischen Ordnung von 1580 als<br />
Vorbild diente. <strong>Die</strong> württembergische Kirchenordnung von<br />
1559 fasste die vorangegangenen Ordnungen zusammen, welche<br />
das ephorale Amt seit 1547 entwickelt hatten 45. <strong>Die</strong><br />
Landeskirche war eingeteilt einerseits in 23 Bezirke oder<br />
Kapitel, wo Spezial-Superintendenten (vor 1559 „Dekane“<br />
genannt) die Aufsicht über die Gemeinden führten, andererseits<br />
in die vier Bereiche der General-Superintendenten, welche<br />
die Arbeit der Spezial-Superintendenten kontrollierten.<br />
<strong>Die</strong>se bildeten eine obere Mittelinstanz unter dem herzoglichen<br />
„Kirchenrat“, einer für alle kirchlichen Angelegenheiten<br />
zuständigen Zentralbehörde in Stuttgart, aus<br />
jur<strong>ist</strong>ischen und theologischen Mitgliedern zusammengesetzt,<br />
mit dem Propst und dem Landhofme<strong>ist</strong>er als Direktorium.<br />
Das württembergische Modell wirkte grundsätzlich auch auf<br />
24
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
weitere Territorialordnungen, z.B. diejenige im Herzogtum<br />
Pommern 1563, im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel<br />
1569, im Herzogtum Mecklenburg 1571, im Kurfürstentum<br />
Brandenburg 1573 46. <strong>Die</strong> Zweiteilung der mittleren Ebene<br />
trug zu einer gravierenden Funktionsminderung des Superintendentenamtes<br />
bei. Sie prägte die kirchliche Neuordnung<br />
seit dem 19. Jahrhundert (dazu s.u.).<br />
<strong>Die</strong> Amtsbezeichnungen differierten teilweise, auch die einzelnen<br />
Zuständigkeiten, und beides veränderte sich im Laufe<br />
des 17. und 18. Jahrhunderts. Generell lässt sich zweierlei konstatieren:<br />
a) <strong>Die</strong> ge<strong>ist</strong>lichen Funktionen des unteren und des<br />
mittleren Ephoralamtes waren in den wesentlichen Inhalten<br />
gleich. b) Überall hatte sich bis zum Ende des 16. Jahrhunderts<br />
das Superintendentenamt als spezifische Teilgestalt<br />
evangelischer Kirchenleitung durchgesetzt.<br />
3. Der wichtigste Aspekt der h<strong>ist</strong>orischen Betrachtung <strong>ist</strong> meines<br />
Erachtens die Frage nach den Funktionen des ephoralen<br />
Amtes. Trotz etlicher Unterschiede in den Einzelregelungen<br />
lässt sich als verallgemeinerndes Schema folgendes konstatieren:<br />
Schwerpunkt war überall die Visitation der Pfarrer und<br />
Gemeinden 47. Vielerorts gehörte zu den wesentlichen Aufgaben<br />
der Superintendenten die Einberufung regelmäßiger<br />
Konferenzen ihrer Pfarrer (Synoden, Konvente, Kapitel oder<br />
ähnlich genannt, in den Städten me<strong>ist</strong> „Ge<strong>ist</strong>liche<br />
Min<strong>ist</strong>erien“); dabei ging es um die gemeinsame Beratung von<br />
theologischen und praktischen Problemen sowie um theologische<br />
Fortbildung. Häufig kam hinzu die Examinierung von<br />
Kandidaten des Predigtamts (oder von auswärtigen Bewerbern<br />
für eine Pfarrstelle), verbunden damit deren Ordination<br />
und Installation/Introduktion. Ebenfalls häufig übten<br />
die Superintendenten die Schulaufsicht in ihrem Kreis oder<br />
Bezirk aus. Sie waren manchmal beteiligt an der Katechismusunterweisung,<br />
an der Ehegerichtsbarkeit und an der Aufsicht<br />
über das Kirchenvermögen der Pfarreien. In etlichen Städten<br />
übten sie die Zensur theologischer und religiöser Druckveröffentlichungen<br />
aus.<br />
25
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
Betrachtet man Visitation, Pfarrkonvente und Examinierung<br />
(samt Ordination und Introduktion) als die drei Schwerpunkte<br />
der spezifisch ge<strong>ist</strong>lichen Tätigkeit, so zeigen die<br />
Quellen im 16. und 17. Jahrhundert übereinstimmend, dass<br />
die Lehraufsicht – die Kontrolle der Bindung an Bibel und<br />
Bekenntnisschriften – das systematische Zentrum des ephoralen<br />
Amtes war. Insofern hat sich der reformatorische Ansatz<br />
der Begründung dieses Amtes mindestens zwei Jahrhunderte<br />
lang durchgehalten. Man wird überlegen müssen, ob hier ein<br />
normativer Sachverhalt vorliegt.<br />
Was sich seit dem 19. Jahrhundert verändert hat, <strong>ist</strong> das Folgende.<br />
Von den reformatorischen Anfängen her lag die praktische<br />
Durchsetzung der Lehraufsicht gegenüber dissentierenden<br />
oder gar häretischen Predigern nur im ersten Stadium<br />
beim Superintendenten, danach aber zwecks gewaltsamer<br />
Durchsetzung bei der weltlichen Obrigkeit 48. Das galt generell<br />
im evangelischen Deutschland etwa bis zum 18. Jahrhundert.<br />
Gewaltanwendung bei der Lehraufsicht wird für heutige Problemlösungen<br />
kaum ohne weiteres als ein in der Geschichte<br />
normativer Sachverhalt gewertet werden können 49<br />
IV. Mittelglied zwischen Gemeinde und Obrigkeit im<br />
19. Jahrhundert<br />
Der nachhaltige Wandel im Wesen des ephoralen Amtes, den<br />
die intensiven Reformbemühungen des 19. Jahrhunderts<br />
brachten, ergab sich aus der Verbindung mit der Institution<br />
der Synode 50. Dabei wirkte sich der Einfluss der reformiertcalvin<strong>ist</strong>ischen<br />
Verfassungstradition auch im Luthertum aus.<br />
Jenes Strukturelement verstärkte sich nach 1918 und blieb bis<br />
heute gültig. Doch im 19. Jahrhundert dominierte noch die<br />
Anbindung an das Kons<strong>ist</strong>orium, weil grundsätzlich die Abhängigkeit<br />
vom obrigkeitlichen Summepiskopat fortbestand 51.<br />
1. Im Unterschied zum alten lutherischen Typ der Synode als<br />
Pfarrkonvent eines Kreises ging es jetzt um ein Organ, in dem<br />
26
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
die Vertretung der Ortsgemeinden durch so genannte Laien<br />
wie durch Pfarrer zum Ausdruck kam. Dabei wirkten verschiedene<br />
Einflüsse zusammen, z.B. die rational<strong>ist</strong>isch-kirchenrechtliche<br />
Theorie des so genannte Kollegialismus<br />
(wonach Kirche sich aus dem Zusammenschluss der einzelnen<br />
Gläubigen bildet), die politisch-demokratischen Ideen des<br />
Liberalismus, die neue Aktivierung der Gemeinden durch<br />
Erweckungsbewegung und Innere Mission, der Rekurs auf die<br />
orientierende Kraft der reformatorischen Lehren, insbesondere<br />
hinsichtlich der Zuordnung von Amt und Gemeinde. Ein<br />
realgeschichtliches Element diktierte gleichsam den Rahmen,<br />
nämlich die völlige Neuformation der me<strong>ist</strong>en Landeskirchen<br />
aufgrund der Auflösung des Reiches und der Neugliederung<br />
seiner Territorien im Deutschen Bund seit 1815. <strong>Die</strong> zahlenmäßig<br />
stark reduzierten Landeskirchen umfassten nun jeweils<br />
ein viel größeres Territorium 52. (<strong>Die</strong> damals gesteckten Grenzen<br />
der Länder, Regierungsbezirke und Landkreise wirken<br />
sich weithin noch heute in der kirchlichen Landschaft aus.)<br />
Nicht nur durch die Schaffung von Synoden veränderte sich<br />
das Wesen des ephoralen Amtes, sondern auch durch die<br />
Neustrukturierung der größer gewordenen Landeskirchen, die<br />
zume<strong>ist</strong> – von den kleineren abgesehen – einen dre<strong>ist</strong>ufigen<br />
Aufbau der Leitungsorgane erhielten: für die Gemeinden, für<br />
die Kirchenkreise (manchmal mit einer oberen Mittelebene,<br />
der Provinz o.ä.), für die Landeskirche. <strong>Die</strong> Zweiteilung der<br />
mittleren Leitungsebene war zwar kein neues, doch ein für das<br />
19. und 20. Jahrhundert wesentliches Element der Veränderung<br />
im Superintendentenamt. In Preußen war es besonders<br />
deutlich ausgestaltet mit dem Nebeneinander von<br />
Superintendenten (zuständig für die Kirchenkreise) und<br />
Generalsuperintendenten (zuständig für die acht bzw. neun<br />
Provinzen der Landeskirche; dazu s.u.).<br />
Lutherische Landeskirchen mit doppelter Mittelebene waren<br />
die folgenden: 53 Bayern (mit Dekanen und Kreisdekanen; so<br />
die Bezeichnung der Kirchenverfassung von 1920); Württemberg<br />
(seit alters mit Dekanen und Prälaten); Hannover (mit<br />
27
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
Superintendenten und Generalsuperintendenten; so die<br />
Bezeichnung in der Verfassung von 1922/24, seit 1936 mit<br />
Landessuperintendenten) 54; Braunschweig (mit Superintendenten<br />
und Generalsuperintendenten; seit 1922 ohne Zweiteilung<br />
nur mit Kirchenräten für die Kirchenkreise, seit der<br />
Neugliederung 1935 nur mit Pröpsten) 55; Mecklenburg-<br />
Schwerin (mit Pröpsten und Landessuperintendenten, so seit<br />
dem 16./17. Jahrhundert, fixiert in der Kirchenverfassung<br />
1921) 56. Thüringen hatte seit der Verfassung von 1924 nur<br />
eine einheitliche Mittelstufe, den Kirchenkreis mit Oberpfarrer,<br />
darüber einen „Landesoberpfarrer“; seit der Verfassung<br />
von 1951 gab es zwischen den Superintendenten und<br />
dem Landesbischof eine obere Mittelstufe durch den Zusammenschluss<br />
der <strong>Superintendentur</strong>en zu drei Kirchenkreisen<br />
unter Leitung eines Verwaltungsbeamten bei unklarer<br />
Zuordnung von „Visitatoren“, die zwischen Superintendent<br />
und Landesbischof stehen sollten 57. Schleswig-Holstein bildete<br />
einen Sonderfall; je nach Betrachtungsweise bekam es eine<br />
einheitliche oder eine doppelte Mittelebene (mit Pröpsten und<br />
zwei Generalsuperintendenten seit 1867, die seit der Verfassung<br />
von 1922 definitiv Bischöfe hießen; das Herzogtum<br />
Lauenburg seit 1867 mit einem Landessuperintendenten ohne<br />
Pröpste; die Nordelbische Kirche seit 1977 mit Pröpsten und<br />
drei Bischöfen) 58.<br />
Ein weiteres neues Element wirkte sich in einigen lutherischen<br />
Gebieten auch auf das ephorale Amt aus: die Einführung von<br />
Unionen seit 1817/1821 (in Nassau, Preußen, Baden, Pfalz,<br />
Waldeck, Pyrmont u.a.) 59. Speziell das Superintendentenamt<br />
war davon deswegen betroffen, weil es bisher mit Lehraufsicht<br />
und Ordination solche bischöflichen Funktionen umfasste,<br />
die eine konfessionelle Selbständigkeit und Bekenntnisbindung<br />
implizierten.<br />
2. Für die geschichtliche Entwicklung kam der entscheidende<br />
Impuls durch die Veränderungen in Preußen, speziell durch<br />
die Einführung einer geradezu revolutionären Kirchenverfassung<br />
in den beiden Westprovinzen. <strong>Die</strong>se war das Resultat<br />
28
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
einerseits der spezifischen Prägung der dortigen Kirchentümer<br />
(in den ehemaligen Fürstentümern Jülich-Berg, Kleve-<br />
Mark, Ravensberg, Minden, Tecklenburg, Siegen u.a. mit<br />
einem insgesamt starken Anteil von reformiert-calvin<strong>ist</strong>ischen<br />
Gemeinden). Andererseits wirkte sich der verwickelte, kaum<br />
lösbare Konflikt um die Etablierung einer einheitlichen<br />
preußischen Landeskirche, konkret um Union und Agende, in<br />
dem Kompromiss aus, dass nach langem Ringen König<br />
Friedrich Wilhelm III. im Jahre 1835 die „Kirchenordnung für<br />
die evangelischen Gemeinden der Provinz Westphalen und<br />
der Rheinprovinz“, die so genannte Rheinisch-Westfälische<br />
Kirchenordnung, genehmigte 60. Das war ein wichtiger Schritt<br />
zum Abbau bzw. zur Modifikation des landesherrlichen Kirchenregiments,<br />
jedoch nur ein regional begrenzter Anfang,<br />
weil die sechs östlichen Provinzen die alte Struktur bis 1873<br />
behalten mussten (Brandenburg, Sachsen, Pommern, Posen,<br />
Preußen und Schlesien – überwiegend lutherische Gebiete). 61<br />
<strong>Die</strong> Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung mit der Etablierung<br />
von Presbyterien und Synoden (Kreis- und Provinzialsynoden)<br />
diente den Reformkräften im 19. Jahrhundert als<br />
ideales Modell; sie <strong>ist</strong> jedoch nirgendwo exakt nachgebildet<br />
worden. Das galt auch für das ephorale Amt.<br />
Herkömmlich unterstanden die Superintendenten in Preußen<br />
– wie in den me<strong>ist</strong>en Landeskirchen – dem jeweiligen<br />
Kons<strong>ist</strong>orium; sie wurden von diesem in ihr Amt berufen. So<br />
fixierte es 1794 das Allgemeine Landrecht für die preußischen<br />
Staaten; über die Funktion der Superintendenten sagte es mit<br />
dürren Worten: „Ihr Amt besteht eigentlich nur in der Aufsicht<br />
über die zu ihrem Kreise geschlagenen Kirchen und<br />
Ge<strong>ist</strong>lichen“. <strong>Die</strong>ses Visitationsamt bezog sich auf „Amtsführung,<br />
Lehre und Wandel“ der Pfarrer, war aber hierin recht<br />
äußerlich-formal<strong>ist</strong>isch verstanden, was sich daran zeigte, dass<br />
die Aufsicht über die Verwaltung des Kirchenvermögens und<br />
der kirchlichen Gebäude in den Parochien als besonders wichtig<br />
hervorgehoben wurde und dass das Entscheidende an der<br />
Visitation der Bericht war, den der Superintendent seinem<br />
Kons<strong>ist</strong>orium einreichen musste 62.<br />
29
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
Demgegenüber brachte die Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung<br />
von 1835 wesentliche Änderungen 63. <strong>Die</strong> wichtigste<br />
bestand darin, dass das Superintendentenamt hinfort einen<br />
Doppelcharakter besaß. Einerseits war es ein kons<strong>ist</strong>orialobrigkeitliches,<br />
andererseits ein synodal-genossenschaftliches<br />
Amt 64. Letzteres Element trat signifikant darin zutage, dass<br />
die Superintendenten in den beiden Westprovinzen von der<br />
jeweiligen Kreissynode gewählt wurden, und zwar mit zeitlicher<br />
Begrenzung auf sechs Jahre (mit möglicher Wiederwahl,<br />
auch einer mehrfachen). Darin wirkte sich die Tradition des<br />
Inspektorenamtes der staatsfreien reformierten Gemeinden<br />
am Niederrhein und in der Grafschaft Mark aus. Allerdings<br />
bedurfte die Superintendentenwahl der Bestätigung durch das<br />
königliche „Min<strong>ist</strong>erium der ge<strong>ist</strong>lichen Angelegenheiten“;<br />
darin trat das obrigkeitliche Element hervor. Das synodalgenossenschaftliche<br />
Element bekundete sich ferner u.a. darin,<br />
dass der Superintendent die Kreissynode einberief und leitete<br />
und deren Geschäfte zwischen den Sitzungen führte (in<br />
Abkehr von der bisherigen Tradition eines „Praeses synodi“,<br />
die hinfort nur für die rheinische bzw. westfälische<br />
Provinzialsynode galt) 65. Jenes Element bekundete sich auch<br />
darin, dass der Kreissynode die Aufsicht über die Pfarrer und<br />
Kandidaten, die Ortspresbyterien und das Gemeindevermögen<br />
zustand, wobei im konkreten Einzelfall der Superintendent<br />
alle diese Aufsichtsfunktionen praktizierte 66.<br />
Insofern verbanden sich hier jene beiden Elemente, und das<br />
kons<strong>ist</strong>orial-obrigkeitliche Element wirkte sich darin aus, dass<br />
der Superintendent die „Verordnungen der Behörden in Ausführung<br />
zu bringen“ hatte 67 und dass er dem Kons<strong>ist</strong>orium<br />
ausführliche Berichte über das kirchliche Leben (einschließlich<br />
der Tätigkeit der Ge<strong>ist</strong>lichen u.a.) erstatten musste 68. Allerdings<br />
musste er auch der Kreissynode berichten.<br />
Mit der detailliert geregelten, in jeder Gemeinde alle zwei<br />
Jahre durchzuführenden Visitation wurde die Kernfunktion<br />
des traditionellen Superintendentenamtes beibehalten. Der<br />
pastorale Aspekt galt insofern neben dem obrigkeitlichen, als<br />
der Superintendent bei „Misshelligkeiten“ innerhalb der Ge-<br />
30
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
meinden oder zwischen den Predigern „zu vermitteln und<br />
auszugleichen“ suchen sollte 69. Bezeichnenderweise fand die<br />
Lehraufsicht keine besondere Erwähnung, auch nicht bei der<br />
Ordination, die er ebenso wie die Amtseinführung („Introduktion“)<br />
durchführte zusammen mit den beiden anderen<br />
Mitgliedern des Direktoriums der Kreissynode, dem Assessor<br />
und dem Skriba (zwei Pfarrern), wobei der Assessor als<br />
„Substitut des Superintendenten“ in Notfällen diesen vertreten<br />
sollte und insofern auch ephorale Funktionen ausüben<br />
konnte 70. <strong>Die</strong> Masse der Aufgaben war gewaltig, zumal der<br />
Superintendent wie aus anderen Stellen der Kirchenordnung<br />
hervorging – zusätzlich ein normales Gemeindepfarramt<br />
bekleidete 71. <strong>Die</strong> Verwaltungsaufgaben drängten sich zunehmend<br />
in den Vordergrund; für die ge<strong>ist</strong>lich-ephoralen<br />
Funktionen blieb in der Praxis wenig Raum. Der Superintendent<br />
war im Grunde permanent überfordert. (Er war ja auch<br />
noch geborenes Mitglied der Provinzialsynode, außerdem in<br />
verschiedenen Gremien der wachsenden „Vereinskirche“<br />
tätig.) So zeigte sich schon in der Frühzeit nach 1835 ein bis<br />
heute relevantes Grundproblem der Neukonstituierung dieses<br />
Amtes.<br />
3. <strong>Die</strong> Verhältnisse in den übrigen sechs Kirchenprovinzen<br />
Preußens (die sämtlich im Wesentlichen lutherisch waren)<br />
wurden durch die „Kirchen-Gemeinde-und Synodal-Ordnung<br />
für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen,<br />
Schlesien und Sachsen“ von 1873 angepasst 72. Jetzt erhielt das<br />
Superintendentenamt auch hier grundsätzlich jenen<br />
Doppelcharakter mit der Verbindung von obrigkeitlich-kons<strong>ist</strong>orialem<br />
und genossenschaftlich-synodalem Element. Allerdings<br />
war letzteres deutlich schwächer ausgeprägt. Das zeigte<br />
sich u.a. daran, dass der Superintendent hier nicht von der<br />
Kreissynode gewählt, sondern wie früher vom König als<br />
Summus episcopus auf Lebenszeit ernannt wurde 73. Über<br />
seine ephoralen Funktionen wurde in der neuen Ordnung<br />
nichts ausgesagt, so dass insofern die oben zitierte Regelung<br />
von 1794 gültig blieb 74. Im Übrigen waren diese generell –<br />
auch in den beiden Westprovinzen – dadurch tangiert, dass<br />
31
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
König Friedrich Wilhelm III. 1829 durch eine spezielle<br />
Instruktion das Amt der Generalsuperintendenten in allen<br />
Provinzen etablierte. Es war einerseits stärker als das Superintendentenamt<br />
in die königliche Kirchenverwaltung integriert,<br />
denn die Generalsuperintendenten waren Mitglieder<br />
des jeweiligen Provinzialkons<strong>ist</strong>oriums. Andererseits galten sie<br />
aber zugleich „als Organe der ge<strong>ist</strong>lichen Oberen“, d.h. sie<br />
sollten eine bischöflich-pastorale Aufsicht über die Superintendenten<br />
und die Gemeinden üben 75. Das blieb generell<br />
ebenso unklar wie die Abklärung spezieller Kompetenzen z.B.<br />
bei der Ordination, die in den östlichen Provinzen grundsätzlich<br />
dem Generalsuperintendenten zustand.<br />
Da in allen deutschen Staaten nach 1815 (wie schon vorher)<br />
das ephorale Amt in spezifischer Weise mit dem landesherrlichen<br />
Summepiskopat verbunden war, musste sich die konstitutionelle<br />
Begrenzung der Monarchie durch Kirchenverfassungen<br />
grundsätzlich auch in dieser Hinsicht auswirken.<br />
Das wurde jedoch praktisch-konkret in den ca. 40 Landeskirchen<br />
unterschiedlich spezifiziert. Nur kurze Hinweise auf<br />
ausgewählte Beispiele können das hier illustrieren. Generell<br />
kann man zumindest für die größeren Landeskirchen – aber<br />
auch für viele kleinere – konstatieren, dass der Summepiskopat<br />
des Königs oder Fürsten in der Praxis eine entscheidende<br />
Modifikation erfuhr durch die Schaffung oberster<br />
Kirchenbehörden (mit unterschiedlicher Bezeichnung:<br />
„Oberkirchenrat“, „Landeskons<strong>ist</strong>orium“, „Oberkons<strong>ist</strong>orium“<br />
oder ähnlich) 76. <strong>Die</strong> dort tätigen Theologen und<br />
Jur<strong>ist</strong>en übten faktisch das Kirchenregiment aus, also ein oberstes<br />
ephorales Amt, und zwar in kollegialer Form unter<br />
Leitung eines Präsidenten. <strong>Die</strong> Superintendenten, Dekane,<br />
Pröpste etc. unterstanden der Oberbehörde und vollzogen<br />
deren Anordnungen, sorgten also für Durchsetzung bis hinunter<br />
zur Gemeindeebene. Das Gesetzgebungsrecht als höchster<br />
Teil der alten Episkopalrechte wurde in der Regel<br />
gemeinsam von der Landessynode und dem landesherrlichen<br />
Kirchenregiment ausgeübt: so z.B. seit 1853 in Oldenburg<br />
von der Landessynode gemeinsam mit dem Großherzog und<br />
32
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
den von diesem ernannten Mitgliedern des Oberkirchenrates;<br />
in Alt-Preußen seit 1876 von der Generalsynode mit Genehmigung<br />
durch Kultusmin<strong>ist</strong>erium und König 77.<br />
4. Beim mittleren Ephoralamt stimmten wichtige Elemente<br />
überall überein. Seine kons<strong>ist</strong>orial-obrigkeitliche Aufsichtsbefugnis<br />
wurde mit synodalen Aspekten verbunden; beide waren<br />
allerdings in den Landeskirchen unterschiedlich ausgeformt.<br />
In Württemberg, wo die traditionellen Formen im wesentlichen<br />
weiterbestanden, dominierte die Anbindung des<br />
Dekans an das Kons<strong>ist</strong>orium als eine staatliche Behörde,<br />
wurde allerdings 1854 ergänzt durch die Einrichtung der<br />
Diözesansynoden für die Dekanatsbezirke (die „Diözesen“);<br />
deren Vorsitz lag beim Dekan, und deren Aufgaben entsprachen<br />
weithin der Ephoralfunktion (z.B. „Wahrnehmung des<br />
kirchlichen und sittlichen Zustands der Diözese ...“; „Aufsicht<br />
über die Ge<strong>ist</strong>lichen ...“) 78. Der Dekan führte weiterhin die<br />
Visitationen in den ihm unterstellten Gemeinden durch, dazu<br />
in kürzeren Abständen so genannte Inspektionsbesuche, bei<br />
denen ebenso wie bei jenen die ge<strong>ist</strong>lich-ephoralen Funktionen<br />
zurücktraten hinter der Kontrolle äußerlicher Tatsachen.<br />
Im Unterschied zu Württemberg erhielt die evangelische<br />
Kirche in Bayern erst nach 1806 bzw. 1815 eine landeskirchliche<br />
Organisation 79. Der D<strong>ist</strong>rikts- oder Spezial-Dekan, der<br />
vom katholischen König ernannt wurde, hatte hier ähnliche<br />
Aufgaben (Visitation, Installation u.a.); er bekam ebenfalls ein<br />
synodales Pendant (seit 1851) 80. Allerdings erhielt hier die<br />
Diözesan-Synode keinerlei Befugnisse im Blick auf „alle den<br />
ge<strong>ist</strong>lichen Stand allein berührenden Interessen“. Charakter<strong>ist</strong>isch<br />
für Bayern war, dass hier seit 1809 noch stärker als in<br />
Württemberg wesentliche ephorale Funktionen zentralisiert<br />
wurden durch die umfassenden Kompetenzen des Generalkons<strong>ist</strong>oriums<br />
(seit 1818 „Oberkons<strong>ist</strong>oriums“) in München,<br />
in welchem die ge<strong>ist</strong>lichen Räte stark dominierten. (Auch der<br />
Präsident war übrigens hier – <strong>anders</strong> als in den me<strong>ist</strong>en<br />
Landeskirchen – ein Theologe.) 81 Dem Oberkons<strong>ist</strong>orium<br />
oblag die oberste Aufsicht über alle Pfarrer und Gemeinden,<br />
33
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
welche es durch die Mittelorgane ausübte: die 73 D<strong>ist</strong>rikts-<br />
Dekane und die 2 General-Dekane bzw. Kreis-Kirchenräte,<br />
die den Kons<strong>ist</strong>orien in Ansbach und Bayreuth (also den beiden<br />
seit dem 16. Jahrhundert bestehenden Leitungsbehörden)<br />
zugeordnet waren 82. Das Münchner Oberkons<strong>ist</strong>orium führte<br />
die theologischen Examina durch (die Aufnahme- und die<br />
Anstellungsprüfung der Kandidaten); es erteilte die „Bewilligung<br />
ihrer Ordination“, die ein Kreiskirchenrat nach der<br />
ersten Prüfung „mit Zuziehung der Stadtge<strong>ist</strong>lichen seines<br />
Wohnortes“ – also ohne irgendeine Beteiligung der D<strong>ist</strong>riktsdekane<br />
– zu erteilen hatte 83. Ein bayerisches Spezifikum war<br />
die intensiv geregelte Lehraufsicht über die Pfarrer, an der der<br />
D<strong>ist</strong>riktsdekan nicht substantiell beteiligt war. Das Münchner<br />
Oberkons<strong>ist</strong>orium führte „die oberste Aufsicht über die<br />
Lehre“, und zwar in der Praxis dergestalt, dass sämtliche<br />
Pfarrer einmal jährlich eine ihrer Predigten einreichen sowie<br />
„eine wissenschaftliche und eine praktische Frage“ bearbeiten<br />
mussten, die der zuständige Kreiskirchenrat stellte und deren<br />
Bearbeitung er beurteilte. <strong>Die</strong> D<strong>ist</strong>riktsdekane hatten dabei<br />
lediglich die Funktion, den Pfarrern die Zensuren zu übermitteln<br />
84. <strong>Die</strong> soeben skizzierte Kontrollpraxis hielt sich übrigens<br />
bis ins 20. Jahrhundert.<br />
V. Das Problem der „ge<strong>ist</strong>lichen Leitung“ im 20. Jahrhundert<br />
1. Der Verfassungsumbruch nach 1918 brachte für die evangelischen<br />
Kirchenstrukturen allgemein und für das ephorale<br />
bzw. episkopale Amt speziell kaum wesentliche Neuerungen,<br />
jedoch mit zwei Ausnahmen. Bedeutsam war der Kompetenzzuwachs<br />
für die Landessynoden (Landeskirchentage o.ä.);<br />
noch tiefgreifender war die Änderung, die sich in den lutherischen<br />
Kirchen mit dem neuen Amt eines Landesbischofs<br />
ergab (bzw. eines Kirchenpräsidenten, so z.B. in Bayern und<br />
Württemberg). Nicht selten verband sich letzteres in der<br />
Folgezeit mit dem viel diskutierten Postulat, dass der Kirche<br />
eine „ge<strong>ist</strong>liche Leitung“ bzw. „ge<strong>ist</strong>liche Führung“ Not<br />
täte 85. Das war aber mancherorts schon in der neuen Ver-<br />
34
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
fassung verankert, z.B. in Hannover 1922/24 („<strong>Die</strong> Ge<strong>ist</strong>liche<br />
Führung in der Landeskirche hat der Landesbischof“), wogegen<br />
dort für die Generalsuperintendenten und die Superintendenten<br />
entsprechende Bemerkungen fehlten 86. <strong>Die</strong> hannoversche<br />
Verfassung von 1965 änderte das teilweise: „Der Landessuperintendent<br />
hat die ge<strong>ist</strong>liche Leitung und Aufsicht in<br />
einem Sprengel“, der Landesbischof entsprechend in der<br />
Landeskirche – doch der Superintendent hat nur „die Aufsicht<br />
über die Kirchengemeinden, die Pfarrämter“ etc. 87 <strong>Die</strong> Verfassung<br />
Sachsens von 1922 – nur mit einer einstufigen Mittelebene<br />
– sagte dagegen: „<strong>Die</strong> Superintendenten sind die führenden<br />
Ge<strong>ist</strong>lichen ihres Bezirks“. Das entsprach der Grundbestimmung<br />
des landesbischöflichen Amtes: „Der Landesbischof<br />
<strong>ist</strong> der führende Ge<strong>ist</strong>liche der Landeskirche“. <strong>Die</strong>se<br />
Formulierung wurde in der neuen Verfassung 1950 wörtlich<br />
übernommen, ebenso diejenige über die Superintendenten. 88<br />
Was die ge<strong>ist</strong>liche Leitung inhaltlich spezifiziert bedeutete,<br />
lässt sich aus den Verfassungstexten nur ungefähr erschließen.<br />
In Sachsen wurde 1922 etwas unklar formuliert, was 1950 präzise<br />
so hieß: „<strong>Die</strong> Superintendenten sind die führenden<br />
Ge<strong>ist</strong>lichen ihres Kirchenbezirks. Ihr Amt <strong>ist</strong> der <strong>Die</strong>nst der<br />
Visitation. Sie sind zur Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung<br />
im ganzen Kirchenkreis berechtigt“; es folgten<br />
dann Spezifikationen zur Visitation und als wichtige Ergänzung<br />
die „Ordination und Einführung der Ge<strong>ist</strong>lichen“ 89.<br />
<strong>Die</strong> Ordination stand nach Hannovers Verfassung von 1922<br />
und 1965 den Superintendenten nicht zu, vielmehr den<br />
General- bzw. Landessuperintendenten und dem Landesbischof<br />
(freilich nicht in systematisch klarer Abgrenzung) 90.<br />
Auch Schleswig-Holsteins Verfassung von 1922/24 – mit einstufiger<br />
Mittelebene wie Sachsen – billigte den Pröpsten die<br />
Ordination nicht zu, desgleichen nicht die ge<strong>ist</strong>liche Leitung<br />
ihrer Propstei (während die Ordination für die beiden<br />
Bischöfe und den Landessuperintendenten von Lauenburg<br />
reserviert war, welchen dementsprechend „die ge<strong>ist</strong>liche<br />
Leitung der Landeskirche in ihren Sprengeln“ obliegen sollte)<br />
91. <strong>Die</strong> Nordelbische Kirchenverfassung von 1976/77 über-<br />
35
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
nahm das sinngemäß für die drei Bischöfe, wies den Pröpsten<br />
immerhin den „leitende(n) ge<strong>ist</strong>liche(n) <strong>Die</strong>nst in ihrem<br />
Kirchenkreis“ zu, nicht jedoch die Ordination 92.<br />
Im Rückblick auf die Geschichte seit dem 16. Jahrhundert <strong>ist</strong><br />
dieser kurze Hinweis auf die Verfassungssituation im 20. Jahrhundert<br />
aufschlussreich: <strong>Die</strong> Ordination war ein wesentlicher<br />
Teil der vorreformatorischen „iura episcopalia“, das evangelische<br />
Superintendentenamt war eigentlich als ein Bischofsamt<br />
konzipiert, doch ihm wurde die Ordination schon vor dem 20.<br />
Jahrhundert zume<strong>ist</strong> nicht zugestanden.<br />
2. Eine zusammenfassende Betrachtung der ephoralen<br />
Funktionen in den nach 1918 verabschiedeten Verfassungen<br />
kann für die lutherischen Landeskirchen die festgestellte,<br />
grundsätzlich wichtige Divergenz bestätigen. Wenn Bayern<br />
dem Dekan schon im 19. Jahrhundert wenig Kompetenzen<br />
zubilligte, dann setzte sich diese Linie bei der Verfassung von<br />
1920 fort. Er galt als untergeordnete Verwaltungsinstanz ohne<br />
ge<strong>ist</strong>liches Subjekt-Sein: „Durch ihn übt die Kirchenleitung<br />
die Aufsicht über die Ge<strong>ist</strong>lichen und Gemeinden aus“ 93. 1971<br />
wurden ihm immerhin Leitung und Aufsicht im Dekanatsbezirk<br />
zugebilligt, doch die ge<strong>ist</strong>liche Kompetenz blieb<br />
gering 94. (Bei den Kreis-Dekanen und dem Landesbischof lag<br />
z.B. die Ordination und die Lehraufsicht sowie die brüderliche<br />
Beratung, Tröstung und Mahnung, also die „cura animarum“<br />
des „pastor pastorum“). Ähnlich sah es in Hannover aus, was<br />
auch dort mit der Stärke des oberkons<strong>ist</strong>orialen Prinzips und<br />
der oberen Mittelinstanz der Generalsuperintendenten<br />
(Landessuperintendenten) zusammenhing. Immerhin kam<br />
hier 1922/24 zu der Aufsicht über Gemeinde und Pfarrer die<br />
brüderliche Beratung hinzu; jedoch nicht die Visitation, und<br />
auch die Installation der Pfarrer fehlte als Aufgabe des<br />
Superintendenten (nicht dagegen in Bayern); seit 1965 war sie<br />
auch in der hannoverschen Verfassung verankert zusammen<br />
mit der Visitation und der theologischen Fortbildung durch<br />
Abhaltung von Pastorenkonventen (wie Bayern 1971). 95 Vergleichbar<br />
lag es in Schleswig-Holstein 1922/24, wo schon da-<br />
36
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
mals Visitation und Installation zu den Aufgaben der Pröpste<br />
gehörten 96. Sachsens Verfassung von 1922 und 1950 bot den<br />
umfassendsten Funktionskatalog, d.h. außer der o.g. Ordination<br />
im Jahre 1922 auch die „Aufsicht über Lehre und Kultus“,<br />
die allerdings 1950 gestrichen wurde und auch nicht dem<br />
Landesbischof zugewiesen wurde, bei dem sie schon 1922<br />
fehlte 97.<br />
Repräsentationsaufgaben wuchsen schon im 19. Jahrhundert<br />
dem ephoralen Amt auf der entsprechenden regionalen<br />
Ebene als Novum faktisch zu; sie verstärkten sich nach 1918,<br />
erst recht nach 1945. Sie verfassungsrechtlich zu bestimmen,<br />
war naturgemäß kaum möglich. Fand sich nach 1918 fast nur<br />
hinsichtlich der Bischöfe, dass sie die Vertretung nach außen<br />
wahrnehmen sollten (was unter anderem wohl auch die<br />
öffentliche Repräsentation einschloss), so erweiterten sich<br />
nach 1945 derartige Hinweise, allerdings nicht überall. Nach<br />
der hannoverschen Verfassung 1965 sollte der Landessuperintendent<br />
„die Landeskirche im kirchlichen und öffentlichen<br />
Leben seines Sprengels“ vertreten; der Superintendent sollte<br />
seinen „Kirchenkreis in der Öffentlichkeit“ vertreten 98. Da<br />
das in der Grundbestimmung des jeweiligen Amtes erschien<br />
und da das entsprechend für den Landesbischof galt (nicht<br />
aber für den Pastor in der Ortsgemeinde!), kann man überlegen,<br />
ob hier nicht eine spezifisch episkopale Funktion auf das<br />
ephorale Amt übertragen worden <strong>ist</strong>. Entsprechendes würde<br />
dann für die mancherlei Einweihungshandlungen gelten, die<br />
in den verschiedenen Kirchenverfassungen schon nach 1918<br />
begegneten (z.B. in Hannover für die Generalsuperintendenten<br />
und den Landesbischof hinsichtlich der Einweihung<br />
kirchlicher Gebäude, nicht jedoch für die<br />
Superintendenten, die hier auch 1965 jedenfalls der Verfassung<br />
nach leer ausgingen, was aber über die tatsächliche<br />
Praxis wohl wenig besagte) 99. Völlig eindeutig war die Weihe<br />
einer Kirche in vorreformatorischer Zeit ein wichtiger Teil der<br />
„iura episcopalia“, und dem entsprachen Verfassungen wie<br />
diejenige Hannovers 1965, die spezifiziert die Einweihung von<br />
„Kirchen und Kapellen“ (nicht mehr allgemein von kirch-<br />
37
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
lichen Gebäuden) dem Amt des Landesbischofs und der<br />
Landessuperintendenten reservierte 100.<br />
3. <strong>Die</strong> skizzierten Divergenzen bei der Aufgabenbestimmung<br />
des ephoralen Amtes erwuchsen einerseits aus der h<strong>ist</strong>orisch<br />
gewachsenen Praxis, andererseits aus Unklarheiten hinsichtlich<br />
des Wesens des ge<strong>ist</strong>lichen Amtes (des pastoralen wie des<br />
ephoralen wie des episkopalen). Aus den lutherischen Bekenntnisschriften,<br />
insbesondere der Confessio Augustana, <strong>ist</strong><br />
meines Erachtens ganz klar zweierlei zu folgern: a) die grundsätzliche<br />
Unabhängigkeit des Amtes von der Gemeinde (im<br />
Unterschied zur reformierten Lehre); b) die wesensmäßige<br />
Zugehörigkeit eines ephoralen bzw. episkopalen Amtes zum<br />
Amt der Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung<br />
101.<br />
Hinsichtlich des letzteren Elements hat die oben referierte<br />
Übersicht die in mancher Hinsicht unklare Situation dargestellt.<br />
Obwohl die Reform- und Verfassungsväter des 19. und<br />
des 20. Jahrhunderts Beachtliches publiziert haben und<br />
obwohl darüber hinaus im Zusammenhang des so genannten<br />
Kirchenkampfes der NS-Zeit das Problem der ge<strong>ist</strong>lichen<br />
Leitung intensiver bedacht worden <strong>ist</strong>, haben die lutherischen<br />
Landeskirchen im 20. Jahrhundert keine kons<strong>ist</strong>ente Konzeption<br />
gemeinsam entwickelt. (Das <strong>ist</strong> betrüblich und verwunderlich,<br />
weil sie mit der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen<br />
Kirche Deutschlands seit 1948 bzw. mit dem „Lutherrat“ seit<br />
1936/37 dafür eine Koordinationsinstanz besaßen, vielleicht<br />
sogar eine gemeinsame Innovationsagentur hätten beanspruchen<br />
können.)<br />
Hinsichtlich des ersten Elements – der theologischen Zuordnung<br />
von Amt und Gemeinde und der entsprechenden praktischen<br />
Konsequenz – hat im 20. Jahrhundert die Maxime der<br />
Demokratisierung einen höchst wirksamen, aber nicht immer<br />
theologisch reflektierten Maßstab eingeführt. Das bedeutete<br />
für das ephorale Amt Folgendes. <strong>Die</strong> seit 1835 beginnende<br />
Verbindung mit dem synodalen Element von Kirchenleitung<br />
38
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
hat im großen Ganzen dazu geführt, dass diese genossenschaftliche<br />
Struktur (theologisch gesprochen: diese Hervorhebung<br />
des Gemeindeprinzips) auch die Praxis des ephoralen<br />
Amtes veränderte. Das bekundeten im 20. Jahrhundert zwei<br />
Veränderungen gegenüber dem 19. Jahrhundert. Einerseits<br />
verselbständigte sich die kirchenleitende Kompetenz der<br />
Synode, andererseits verstärkte sich die Abhängigkeit des<br />
ephoralen Amtes von jener. Das sei kurz erläutert.<br />
a) Das Modell der Rheinisch-Westfälischen Kirchenordnung<br />
von 1835 sah den Superintendenten als Vorsitzenden der<br />
Synode mit entsprechenden genossenschaftlich orientierten<br />
Funktionen, die seinen ohnehin vorhandenen, obrigkeitlichkons<strong>ist</strong>orial<br />
begründeten Einfluss erhöhten 102.<br />
<strong>Die</strong> Verfassungen der lutherischen Landeskirchen im 19.<br />
Jahrhundert folgten dem insofern, als nach ihrer Tradition<br />
ohnehin das ge<strong>ist</strong>liche Amt eine grundsätzliche Prädominanz<br />
besaß. Im 20. Jahrhundert löste sich jedoch diese Verbindung<br />
in erheblichem Maße. Der Superintendent/Propst/Dekan war<br />
nicht mehr wesensmäßig in der Leitung der Synode verankert<br />
oder gar deren geborener Vorsitzender. Freilich muss beachtet<br />
werden, dass im Einzelnen die Machtverhältnisse unterschiedlich<br />
geregelt wurden durch die Stellung der Kreissynodalvorstände<br />
bzw. -ausschüsse. Ich beschränke mich auf ein Beispiel.<br />
<strong>Die</strong> Schleswig-Holsteinische Verfassung 1922/24 machte den<br />
Propst zum Vorsitzenden sowohl der Propsteisynode als auch<br />
des Synodalausschusses, gab ihm also großen Einfluss auf die<br />
laufenden Geschäfte 103. Dagegen bestimmte die Nordelbische<br />
Verfassung 1976/77, dass die Pröpste nicht Mitglieder der<br />
Kirchenkreissynode sein könnten und dass der Vorsitz bei<br />
einem sog. Laien liegen müsste, dass zwar die Pröpste dem<br />
Kirchenkreisvorstand angehören (welcher „den Kirchenkreis<br />
in allen Angelegenheiten“ vertritt), dass sie aber nicht dessen<br />
Vorsitzende sein könnten 104. Das bedeutet in theologischer<br />
Hinsicht eine Vorordnung der Gemeinde gegenüber dem<br />
ge<strong>ist</strong>lichen Amt, die kaum mit den lutherischen Bekenntnisschriften<br />
im Einklang stehen dürfte.<br />
39
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
b) <strong>Die</strong>se Dominanz wurde dadurch verstärkt, dass die Wahl<br />
der Superintendenten bzw. Pröpste durch die Kreissynode<br />
(und damit die zeitliche Begrenzung des Amtes) in einigen<br />
lutherischen Landeskirchen gegenüber dem früheren Verfassungsrecht<br />
eingeführt wurde: so z.B. in Braunschweig gemäß<br />
der Verfassung von 1922 der Kirchenrat und demgemäß<br />
der Propst in der Verfassung von 1970, so in Mecklenburg<br />
der Propst seit 1969, so auch in Nordelbien 1976/77<br />
(nicht dagegen in Schleswig-Holstein 1922) 105. <strong>Die</strong> anderen<br />
Landeskirchen sind bei der Ernennung durch kirchenleitende<br />
Organe geblieben, haben aber eine unterschiedlich geregelte<br />
Beteiligung der Kreissynode eingeführt: so z.B. Hannover<br />
1922/24 (Ernennung durch das Landeskirchenamt „im Einverständnis<br />
mit dem Kirchenkreisvorstande“), jedoch erheblich<br />
geändert 1965 (Ernennung auf Vorschlag des Landeskirchenamtes<br />
durch den Landesbischof bei bloßer vorheriger<br />
Anhörung des Kirchenkreisvorstandes) 106. Lediglich eine<br />
Anhörung sah auch Bayern 1920 bei der Ernennung durch<br />
den Landeskirchenrat vor, verstärkte das dann 1971 aber –<br />
gegenläufig zu Hannovers Abschwächung – zu einem „Einvernehmen“<br />
107. In Sachsen blieb es 1950 wie schon 1922 bei<br />
der Ernennung durch die Kirchenleitung auf Vorschlag des<br />
Landeskirchenamtes (früher allerdings durch das Landeskons<strong>ist</strong>orium)<br />
„nach Gehör des Bezirkskirchenausschusses“<br />
bzw. des „Kirchenbezirksvorstandes“ 108. Solche Regelungen<br />
dürften meines Erachtens die Unabhängigkeit des Amtes von<br />
der Gemeinde besser ausdrücken und damit dem Ansatz der<br />
lutherischen Bekenntnisschriften eher entsprechen.<br />
Schlussbemerkung<br />
<strong>Die</strong> h<strong>ist</strong>orische Betrachtung kann heutiger Praxisgestaltung<br />
nur eingeschränkt dienen. Im Überblick überwiegt die verwirrende<br />
Vielfalt der Funktionen und Statusrechte des ephoralen<br />
Amtes. Allerdings zeigen sich einige Grundstrukturen, insbesondere<br />
die Aufsicht über die theologische Lehre und das<br />
kirchliche Leben auf Kreis- bzw. Bezirksebene, zugespitzt in<br />
der Visitation.<br />
40
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
1. Vom reformatorischen Ansatz her handelt es sich beim so<br />
genannten ephoralen Amt um ein evangelisches Bischofsamt.<br />
Doch seine Kompetenzen waren schon in den Anfängen nicht<br />
einheitlich ausgeformt (spürbar vor allem hinsichtlich der<br />
Ordination, die lange Zeit im 16. Jahrhundert theoretisch wie<br />
praktisch unklar blieb). Im Blick auf heute lässt sich eine fundamentale<br />
Norm erkennen: Das Amt der Aufsicht (Ephorie,<br />
Superintendenz, Präpositur, Episkope) <strong>ist</strong> in einer an das<br />
Evangelium gebundenen Kirche wesensnotwendig und muss<br />
zeitgemäße Formen der Lehraufsicht praktizieren 109. Es muss<br />
eine intensive Begegnung mit den ihm unterstellten Amtsträgern/Amtsträgerinnen<br />
(z.B. durch regelmäßigen informellen<br />
Besuch von deren Gottesdiensten) personale Begegnung<br />
ermöglichen, weshalb der Amtskreis geographisch begrenzt<br />
und die Amtspflichten inhaltlich auf die ge<strong>ist</strong>lichen Aspekte<br />
konzentriert sein müssen.<br />
2. Das Amt muss eine klare Struktur haben und in seinen<br />
elementaren Funktionen unabhängig sein nach oben wie nach<br />
unten hin. <strong>Die</strong> Unabhängigkeit hat aber seit dem 16. Jahrhundert<br />
erheblich gelitten durch Anbindung an den obrigkeitlichen<br />
Summepiskopat; diese <strong>ist</strong> im 19. und 20. Jahrhundert<br />
nur modifiziert worden durch die Abhängigkeit einerseits von<br />
der landeskirchlichen Oberbehörde, andererseits von der<br />
regionalen Synode. <strong>Die</strong> einst klare ge<strong>ist</strong>lich-theologische<br />
Struktur der Aufsichtsfunktion <strong>ist</strong> verdunkelt worden durch<br />
die Hypertrophie der Verwaltungsaufgaben (die freilich seit<br />
dem 16. Jahrhundert begründet waren in der Aufsicht über die<br />
kirchliche Ordnung in den Gemeinden). Wenn die h<strong>ist</strong>orische<br />
Besinnung etwas beitragen soll zur gegenwärtigen Gestaltung<br />
des ephoralen Amtes, dann kann sie nur eine Tendenz zum<br />
Gegensteuern favorisieren: Reduktion der Managementfunktionen<br />
zugunsten der ge<strong>ist</strong>lichen Konzentration <strong>ist</strong> ungemein<br />
wichtig.<br />
3. Heute völlig unzeitgemäß, aber womöglich sachlich richtig<br />
wäre die Beachtung dessen, dass das ephorale Amt primär zur<br />
Wahrnehmung der Lehraufsicht entstanden <strong>ist</strong>, um durch<br />
41
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
ge<strong>ist</strong>lich-kluge Aufsicht die Verbreitung falscher Lehre zu<br />
verhindern. Es sollte also einst der Verkündigung des Evangeliums<br />
dienen in einer einheitlichen, die ge<strong>ist</strong>liche Gemeinschaft<br />
einer größeren Anzahl von Gemeinden stabilisierenden<br />
Organisationsform. Und es sollte das ge<strong>ist</strong>liche Verderben<br />
(den Verlust der ewigen Seligkeit) durch Klärung der Heilsfrage<br />
abwehren. Das klingt heute, als würde es aus einer anderen<br />
Welt stammen. Doch es bleibt bedenkenswert und muss<br />
heute in zeitgemäßen Formen der Information, der Kommunikation<br />
und der Sanktion realisiert werden. Wenn unsere<br />
evangelische Kirche ihr religiöses Proprium als Zentrum all<br />
ihrer Aktivitäten nicht deutlich herausstellt, dann wird sie auf<br />
dem Jahrmarkt verwirrender vielfältiger Angebote in einer<br />
multikulturellen Welt weiterhin schrumpfen und verkümmern.<br />
Das ephorale Amt hat in einer verfassungsrechtlich diffusen<br />
Situation nach 1525/27 zur Schärfung des evangelischen<br />
Profils Wesentliches beigetragen. Sollte das heute nicht in entsprechender<br />
Veränderung auch möglich sein?<br />
Anmerkungen<br />
1 Vgl. dazu z.B. das praktisch-jur<strong>ist</strong>ische Handbuch des Breslauer<br />
Kons<strong>ist</strong>orialrats Friedrich Gebser: <strong>Die</strong> Verwaltung des Ephoralamtes<br />
in den sieben östlichen Provinzen der preußischen Monarchie, Berlin<br />
1913, welches ausschließlich das Superintendentenamt behandelt.<br />
<strong>Die</strong> bis heute umfassendste rechts-h<strong>ist</strong>orische Untersuchung zum<br />
Thema trägt einen bezeichnenden Titel: Axel Streiter: Das Superintendentamt.<br />
Ursprung, geschichtliche Entwicklung und heutige<br />
Rechtsgestalt des mittleren Ephoralamtes [Hervorhebung W.-D. H.] in<br />
den deutschen evangelischen Landeskirchen, Diss. iur. Köln 1973.<br />
2 Aufschlussreich <strong>ist</strong>, dass jener Begriff bzw. der Begriff „Ephorus“<br />
im Artikelbestand der großen protestantischen Nachschlagewerke<br />
von RE 3 bis TRE, von RGG 1 bis RGG 4 fehlt. Vgl. dagegen den kurzen<br />
Artikel „Ephorus“ von Albert Stein in EKL 3 1 (1986), 1054, der<br />
darunter „manche Vorsteher kirch[licher] Institute und Beauftragte<br />
insbesondere im Bereich der Pfarrerausbildung“ versteht und<br />
bezeichnenderweise abschließt: „Als Ephoralzulage wird teilweise die<br />
42
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
Gehaltsaufbesserung bezeichnet, welche nach dt. ev. Kirchenrecht<br />
Dekane und vergleichbare Amtsträger erhalten“. Der Begriff fehlt<br />
übrigens auch im neuen Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht,<br />
hg. v. Axel von Campenhausen u.a., Bd. 1, Paderborn 2000.<br />
Vgl. aber Johannes Martetschläger: Ephorus, LThK 3 3 (1995), 707:<br />
„In der ref[ormierten] Kirche Amts-Bez[eichnung] für den Superintendenten“.<br />
3 Dazu vgl. z.B. Werner Elert: Der bischöfliche Charakter der<br />
<strong>Superintendentur</strong>-Verfassung. In: Ders.: Ein Lehrer der Kirche,<br />
Berlin-Hamburg 1967, 128-138; Ders.: Das Visitationsamt in der<br />
kirchlichen Neuordnung, ebd. 139-150; Peter Brunner: Vom Amt des<br />
Bischofs. In: Schriften des Theologischen Konvents Augsburgischen<br />
Bekenntnisses 9, Berlin 1955, 5-77; abgedruckt in: Ders.: Pro<br />
Ecclesia. Gesammelte Aufsätze, Berlin-Hamburg 1962, 235-292;<br />
Georg Kretschmar: Das Bischofsamt als ge<strong>ist</strong>licher <strong>Die</strong>nst in der<br />
Kirche anhand der altkirchlichen und reformatorischen Weihegebete,<br />
in: Ders.: Das bischöfliche Amt, Göttingen 1999, 234-276.<br />
4 Bei der Berufung auf die Confessio Augustana als lutherisches<br />
Grundbekenntnis müssen die Aussagen über das bischöfliche Amt in<br />
Art. 28 verbunden werden mit Art. 5 und 7 (in ihrer systematischen<br />
Verschränkung mit der Rechtfertigungslehre von Art. 4 und 6); s.u.<br />
Anm. 101.<br />
5 Dazu s. z.B. Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Amt V. Kirchengeschichtlich,<br />
RGG 4 1 (1998), 426f; Ders.: Tradition, V. Mittelalter bis Neuzeit,<br />
TRE 33 (2002), 708-718.<br />
6 In der klassischen Gräzität <strong>ist</strong> „ephoros“ der Aufseher, Verwalter<br />
oder Vorgesetzter z.B. im Heer oder in der Landesverwaltung; vgl.<br />
Franz Passow: Handwörterbuch der Griechischen Sprache Bd. 1/2,<br />
5. Aufl., Leipzig 1847, 1289. Im Neuen Testament begegnen weder<br />
das Substantiv noch das Verb „ephor?n“. Selten wird in der Alten<br />
Kirche damit der Bischof bezeichnet; s. Geoffrey W. H. Lampe (Hg.):<br />
A Patr<strong>ist</strong>ic Greek Lexicon, Oxford 1968, 588. In der lateinischen<br />
Kirche des Mittelalters war es Bezeichnung für einen Leiter der ge<strong>ist</strong>lichen<br />
Ausbildung, in der byzantinischen Kirche für den weltlichen<br />
Kurator eines Klosters; s. LThK 3 3, 707 (wie Anm. 2).<br />
7 Vgl. z.B. Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Bischof II. Kirchengeschichtlich,<br />
RGG 4 1 (1998), 1615-1618; Gerhard Fahrnberger: Bischofsamt und<br />
Priestertum in den Diskussionen des Konzils von Trient, Wien 1970.<br />
43
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
8 Vgl. z.B. Ludwig Ott: Das Weihesakrament, HDG IV/5, Freiburg<br />
1969, 80-91. 119-127. Zu dem Trienter Dekret über das Ordo-<br />
Sakrament s. Text und Übersetzung bei Heinrich Denzinger/Peter<br />
Hünermann (Hg.): Enchiridion symbolorum.../Kompendium der<br />
Glaubensbekenntnisse..., 37. Aufl., Freiburg 1991, 568-572.<br />
9 Das zeigt die Einleitung des tridentinischen Dekrets über Schrift<br />
und Tradition; DH ebd. (wie Anm. 8) 496.<br />
10 Vgl. dazu z.B. Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Lehrbuch der Kirchen- und<br />
Dogmengeschichte Bd. 1, 2. Aufl., Gütersloh 2000, 481-486.<br />
11 Nach der theologischen Kritik an den Prärogativen des Papstes<br />
(u.a. mit Rekurs auf das Priestertum aller Getauften; WA 6, 404-415)<br />
richteten sich Luthers konkrete Vorschläge, die das „schendlich teuffelisch<br />
regiment der Romer“ beseitigen sollten (WA 6, 415,15), an die<br />
Fürsten und Obrigkeiten der deutschen Nation als diejenigen, denen<br />
das Volk anbefohlen sei „in leyplichen vnnd ge<strong>ist</strong>lichen guttern zuregiren<br />
vnnd schutzen“ (419,10f). Das spätere landesherrliche Kirchenregiment<br />
der chr<strong>ist</strong>lichen Obrigkeit wurde eigentlich hier schon<br />
begründet; vgl. den Schlusssatz: „Got geb uns allen einen<br />
Chr<strong>ist</strong>lichen vorstand, vnd ßonderlich dem Chr<strong>ist</strong>lichen Adel deutscher<br />
Nation einenn rechtenn geystlichen mut, der armen kirchen das<br />
beste zuthun“ (469, 15-17).<br />
12 Zu beidem vgl. z.B. nur die „Adelsschrift“ WA 6,453,10f („das der<br />
Bapst der recht Endchr<strong>ist</strong> sey“) und 441,22f („Bapst, Bischoff, stifft<br />
pfaffen vnnd munch, die got nit eingesetzt hat“).<br />
13 Hierzu und zum folgenden s. WA 6,440, 21-29.<br />
14 Vgl. dazu z.B. Heinz-Meinolf Stamm: Luthers Berufung auf die<br />
Vorstellungen des Hieronymus vom Bischofsamt. In: Martin Brecht<br />
(Hg.): Martin Luther und das Bischofsamt, Stuttgart 1990, 15-26.<br />
15 Erstere Schrift polemisierte durchgängig gegen das verkehrte Amt<br />
der seinerzeit so bezeichneten „Bischoffen“, die sich gegen Gottes<br />
Wort setzten (WA 11,408-416), und stellte ihm das Amt der Prediger<br />
entgegen, dem Luther nur beiläufig mit Tit. 1 und 1. Tim. 3 den<br />
Begriff „Bischoff“ zuordnete (vgl. 414, 18; 416,4: „das unßer itzige<br />
Bischoff ... nicht Bischoffe sind“). Letztere Schrift war programmatisch<br />
adressiert „An den in Chr<strong>ist</strong>us ehrbaren Doktor Nicolaus<br />
Hausmann, den Bischof der Kirche von Zwickau (episcopo Cygneae<br />
ecclesiae)“; WA 12,205,3f.<br />
16 Dazu s. Hans-Günter Leder: <strong>Die</strong> Berufung Johannes Bugenhagens<br />
44
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
in das Wittenberger Stadtpfarramt, ThLZ 114 (1989) 481-504, dort<br />
495f; ferner Lübecker Kirchenordnung von Johannes Bugenhagen<br />
1531, hg. v. Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild, Lübeck 1981, 9 (wo Bugenhagen<br />
seine Legitimation darin sah, dass er ein „erwelet Ordinarius“, also<br />
der zuständige Bischof, wäre).<br />
17 So vor allem von Peter Brunner: Vom Amt des Bischofs (wie<br />
Anm. 3), 6-15. Anhand einer anderen Lutherschrift wurde das<br />
Postulat eines „reformierten B<strong>ist</strong>umsbischofsamts“, also eines evangelischen<br />
Regionalbischofsamtes, eruiert von Gottfried Krodel:<br />
Luther und das Bischofsamt nach seinem Buch „Wider den falsch<br />
genannten ge<strong>ist</strong>lichen Stand des Papstes und der Bischöfe“. In:<br />
Martin Brecht (Hg.): Martin Luther und das Bischofsamt, Stuttgart<br />
1990, 27-65.<br />
18 Das ergibt eine genaue Analyse des ausführlichen Textes in WA<br />
12,169-196, die an anderer Stelle vorgetragen werden müsste.<br />
19 Vgl. dazu z.B. Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof<br />
von Naumburg (SVRG 179), Gütersloh 1961; Peter Gabriel: Fürst<br />
Georg III. von Anhalt als evangelischer Bischof von Merseburg und<br />
Thüringen 1544-1548/50 (EHS.T 597), Frankfurt/Main u.a. 1997.<br />
20 Vgl. dazu z.B. Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Kirchengeschichte Lübecks,<br />
Lübeck 1981, 255f.<br />
21 Vgl. dazu allgemein Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Lehrbuch der Kirchen-<br />
und Dogmengeschichte Bd. 2, 2. Aufl., Gütersloh 2001, 248f.<br />
22 Ebd. 131f.<br />
23 Einzelheiten dazu bei Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Biblische Theologie<br />
und kirchliche Praxis. In: Karlheinz Stoll (Hg.): Kirchenreform als<br />
Gottesdienst. Der Reformator Johannes Bugenhagen 1485-1558,<br />
Hannover 1985, 44-91.<br />
24 Abdruck bei Emil Sehling (Hg.): <strong>Die</strong> Evangelischen Kirchenordnungen<br />
des XVI. Jahrhunderts [= EKO] Bd. 4, Leipzig 1902,<br />
542-545; danach die folgenden Zitate.<br />
25 Zu den Texten vgl. Anneliese Sprengler-Ruppenthal: Kirchenordnungen<br />
II/1, TRE 18 (1989), 670-703.<br />
26 Texte in: Emil Sehling (Hg.): <strong>Die</strong> Evangelischen Kirchenordnungen<br />
des XVI. Jahrhunderts [EKO] Bd. 1/1, Leipzig 1902,<br />
142-149 „Instruction und befelch dorauf die visitatores abgefertiget<br />
sein. Vom 16. Juni 1527“ und ebd. 149-174 „Unterricht der visitatoren<br />
an die pfarrherrn im kurfürstenthum zu Sachsen. 1528“.<br />
45
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
27 Exemplarische, h<strong>ist</strong>orisch herausragende Beispiele boten Karl<br />
Müller: Kirche, Gemeinde und Obrigkeit nach Luther, Tübingen<br />
1910, 12-84 und Karl Holl: Luther und das landesherrliche Kirchenregiment,<br />
ZThK 21, 1911; abgedruckt in Ders.: Gesammelte Aufsätze<br />
zur Kirchengeschichte Bd. 1, 4. Aufl., Tübingen 1927, 326-389.<br />
28 Das hat z.B. Peter Brunner: Vom Amt (wie Anm. 2), 43-59 anhand<br />
etlicher Quellen betont.<br />
29 Vgl. die „Instruction“ (wie Anm. 26), 146.<br />
30 Vgl. den „Unterricht“ (wie Anm. 26), 171.<br />
31 Vgl. die „Instruction“ (wie Anm. 26), 146. <strong>Die</strong>ser Begriff entstand<br />
aufgrund eines zweifachen Anknüpfungspunktes. a) <strong>Die</strong> Reformatoren<br />
orientierten sich programmatisch nicht nur an der Bibel, sondern<br />
auch an den Kirchenvätern als sachkundigen Schriftauslegern;<br />
deshalb war es ihnen wichtig, dass Augustinus den griechischen<br />
Begriff „episkopein“ in 1. Tim. 3,2 mit „superintendere“ übersetzte<br />
(De civitate Dei XIX, 19; CChr. SL 48, 686, 25-28) und dass das<br />
mittelalterliche Kirchenrecht diese Übersetzung tradierte. Vgl. dazu<br />
Helmar Junghans: Superintendent, TRE 32 (2001), 463-467, dort<br />
463. - b) „Superattendent“ war schon in vorreformatorischer Zeit<br />
eine geläufige Bezeichnung für einen Oberbeamten der landesherrlichen<br />
Verwaltung für bestimmte Bereiche, z.B. für das Druckwesen,<br />
die Universitäten oder die Steuereinkünfte. Vgl. dazu Deutsches<br />
Wörterbuch. Begr. v. Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 10/6 (1942),<br />
1195f.<br />
32 Zu den Zitaten vgl. EKO 1/1 (wie Anm. 26), 171.<br />
33 Ebd. 171.<br />
34 Ebd. 171.<br />
35 Vgl. die ausführliche Darstellung von Heinrich Nobbe: Das<br />
Superintendentenamt, seine Stellung und Aufgabe nach den evangel.<br />
Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, ZKG 14 (1894), 404-429;<br />
15 (1895), 44-93.<br />
36 So z.B. Nobbe 46f.52.<br />
37 Vgl. Hans Kuno Zimmermann: <strong>Die</strong> Entwickelung der Kircheninspektionen.<br />
In: Beiträge zur Sächsischen Kirchengeschichte 16<br />
(1902), 120-205.<br />
38 Kurze Übersicht bei Emil Sehling: Kons<strong>ist</strong>orien, Kons<strong>ist</strong>orialverfassung,<br />
RE3 10 (1901), 752-757; Karl Rieker: <strong>Die</strong> rechtliche<br />
Stellung der evangelischen Kirche Deutschlands in ihrer geschicht-<br />
46
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
lichen Entwicklung bis zur Gegenwart, Leipzig 1893, 146-187.<br />
39 Vgl. dazu Hartwig <strong>Die</strong>terich: Das protestantische Eherecht in<br />
Deutschland bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts (JusEcc 10),<br />
München 1970, 88-93. 118f. 175-180. 257-264.<br />
40 Dazu s. Wilhelm H. Neuser: Agende, Agendenstreit und Provinzialagende.<br />
In: <strong>Die</strong> Geschichte der Evangelischen Kirche der<br />
Union Bd. 1, hg. v. J.F.G. Goeters/R. Mau, Leipzig 1992, 134-159.<br />
41 So z.B. die Verfassungen von Bayern (Art. 43,2,1) und Nordelbien<br />
(Art. 67,1). Texte bei <strong>Die</strong>ter Kraus (Hg.): Evangelische Kirchenverfassungen<br />
in Deutschland, Berlin 2001, 171 und 459.<br />
42 Text in EKO Bd. 1/1 (wie Anm. 26), 359-457.<br />
43 Dazu s. Ralf Thomas: Wirkungen der Reformation auf die<br />
Kirchenverfassung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche<br />
Sachsens, Herbergen der Chr<strong>ist</strong>enheit 18 (1991/92), 33-47, dort 41.<br />
44 Zitat aus dem Visitationsprotokoll 1533 bei Ralf Thomas: Aufbau<br />
und Umgestaltung des Superintendentialsystems in der sächsischen<br />
Landeskirche bis 1815, Herbergen der Chr<strong>ist</strong>enheit 10 (1975/76), 99-<br />
144, dort 113.<br />
45 Zum folgenden s. Nobbe: Superintendentenamt (wie Anm. 35),<br />
422f und Martin Brecht/Hermann Ehmer: Südwestdeutsche<br />
Reformationsgeschichte, Stuttgart 1984, 264f. 317-323.<br />
46 Dazu s. z.B. Nobbe: Superintendentenamt (wie Anm. 35), 425-428.<br />
47 Hierzu und zum folgenden sei anstelle von Belegen aus den zahlreichen<br />
Kirchenordnungen auf die Sekundärliteratur verwiesen:<br />
Nobbe: Superintendentenamt (wie Anm. 35); Thomas: Aufbau (wie<br />
Anm. 44); Streiter: Superintendentenamt (wie Anm. 1), 28-61; Emil<br />
Sehling: Superintendent, RE 3 19 (1907), 167-172.<br />
48 Vgl. Melanchthons „Unterricht ...“ (s.o. Anm. 34). Bei den me<strong>ist</strong>en<br />
Lehrstreitigkeiten seit 1548 griff die Obrigkeit mit Zwangsmaßnahmen<br />
ein (me<strong>ist</strong> Amtsenthebung und Ausweisung); vgl. dazu<br />
z.B. Hauschild: Lehrbuch Bd. 2 (wie Anm. 21), 413-420.<br />
49 Vgl. die Sammlung theologischer und kirchenrechtlicher Dokumente<br />
zum 16.-20. Jahrhundert bei: Wilfried Härle/Heinrich Leipold<br />
(Hg.): Lehrfreiheit und Lehrbeanstandung, 2 Bde., Gütersloh 1985;<br />
ferner Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Schrift und Bekenntnis. Der Fall Paul<br />
Schulz, KJ 105 (1978), 52-70.<br />
50 Knappe Übersicht z.B. bei Thomas Barth: Elemente und Typen<br />
landeskirchlicher Leitung (JusEcc 53), Tübingen 1995, 22f; Wilhelm<br />
47
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
Maurer: Typen und Formen aus der Geschichte der Synode. In:<br />
Ders.: <strong>Die</strong> Kirche und ihr Recht (JusEcc 23), Tübingen 1976, 76-98.<br />
51 Vgl. dazu z.B. Streiter: Superintendentenamt (wie Anm. 1), 129-<br />
246.<br />
52 Vgl. z.B. Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Deutschland II.1, RGG4 2 (1999),<br />
717-751, dort 741f.<br />
53 Grundlage der folgenden Angaben sind zunächst die nach 1919<br />
erstellten Verfassungen. Texte in: Friedrich Giese/ Johannes<br />
Hosemann (Hg.): <strong>Die</strong> Verfassungen der Deutschen Evangelischen<br />
Landeskirchen, 2 Bde., Berlin 1927.<br />
54 Zur Umwandlung der vier Generalsuperintendenturen in neun<br />
Landessuperintendenturen s. z.B. Ernst Rolffs: Evangelische<br />
Kirchenkunde Niedersachsens, 2. Aufl., Göttingen 1938, 55f; Inge<br />
Mager: Hannover I., TRE 14 (1985), 428-438, dort 434f.<br />
55 Zur Neugliederung in 15 Propsteien s. z.B. Horst Reller: Braunschweig,<br />
RGG3 1 (1957), 1390-1393, dort 1393.<br />
56 Zur geschichtlichen Entwicklung seit dem 16. Jahrhundert s.<br />
Niklot Beste: Kirchenkreise und Propsteien in der Evangelisch-<br />
Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs, Herbergen der Chr<strong>ist</strong>enheit<br />
10 (1975/76), 93-97.<br />
57 Zur Verfassung von 1951 s. § 55-59 (<strong>Superintendentur</strong>, Superintendent),<br />
§ 61,1 und § 83,3 (Visitatoren) sowie § 64-67 (drei<br />
Kirchenkreise mit je einem Kirchenkreisamt). Text in: Kraus (Hg.):<br />
Kirchenverfassungen (wie Anm. 41), 821-828.833.<br />
58 Vgl. z.B. Johannes Schilling: Schleswig-Holstein, TRE 30 (1999),<br />
201-214, dort 208-210; Eberhard Schwarz: <strong>Die</strong> schleswig-holsteinische<br />
Landeskirche in der preußischen Provinz. In: Schleswig-<br />
Holsteinische Kirchengeschichte Bd. 5, Neumünster 1989, 163-252;<br />
Klaus Blaschke: <strong>Die</strong> Zeit des Übergangs 1918-1922 sowie die<br />
Kirchenverfassung von 1922. In: Ebd. Bd. 6/1, Neumünster 1998,<br />
11-35.<br />
59 Dazu s. z.B. Hauschild: Lehrbuch Bd. 2 (wie Anm. 21), 757f.<br />
60 Vgl. dazu z.B. Wilhelm H. Neuser: <strong>Die</strong> Entstehung der Rheinisch-<br />
Westfälischen Kirchenordnung. In: Geschichte Bd. 1 (wie Anm. 40),<br />
241-256; Walter Göbell: <strong>Die</strong> Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung<br />
vom 5. März 1835, Bd. 1, Duisburg 1948.<br />
61 Text der Kirchen-Gemeinde- und Synodalordnung für die Provinzen<br />
Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und<br />
48
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
Sachsen in: Emil Friedberg (Hg.): <strong>Die</strong> geltenden Verfassungs-<br />
Gesetze der evangelischen deutschen Landeskirchen, Freiburg 1885,<br />
51-73.<br />
62 Zitate und weitere Angaben nach Streiter: Superintendentenamt<br />
(wie Anm. 1), 89f.<br />
63 Text der Kirchenordnung für die evangelischen Gemeinden der<br />
Provinz Westphalen und der Rheinprovinz vom 5. März 1835 in:<br />
Friedberg (Hg.): Verfassungs-Gesetze (wie Anm. 61), 21-50 (mit den<br />
Ergänzungen von 1853). <strong>Die</strong> Bestimmungen für das Superintendentenamt<br />
finden sich innerhalb des Abschnitts „Von der Kreis-<br />
Gemeinde und der Kreis-Synode“ (§ 34-43) in § 38; ebd. 31f.<br />
Eingehende Auswertung bei Streiter: Superintendentenamt (wie<br />
Anm. 1), 129-180.<br />
64 <strong>Die</strong>se Differenzierung wurde systematisch stringent herausgearbeitet<br />
von Günther Holstein: <strong>Die</strong> Grundlagen des evangelischen<br />
Kirchenrechts, Tübingen 1928, 311-321.<br />
65 Kirchenordnung (wie Anm. 63) § 38, Ziffer 6; Friedberg 31.<br />
66 Kirchenordnung § 37, Ziffer b; Friedberg 31.<br />
67 Kirchenordnung § 38, Ziffer 7; Friedberg 31.<br />
68 Kirchenordnung § 38, Ziffer 3; Friedberg 31. Vgl. dazu die ausführliche<br />
Erörterung bei Streiter: Superintendentenamt (wie Anm.<br />
1), 160-162.<br />
69 Kirchenordnung § 38, Ziffer 2 mit ausführlicher Ergänzung „Von<br />
der Kirchen-Visitation“ in § 144-146; Friedberg 48f.<br />
70 Kirchenordnung § 38; Ziffer 5 und § 36; zur Ordination s. auch §<br />
113; Friedberg 44.<br />
71 Dazu s. Streiter: Superintendentenamt (wie Anm. 1), 174.<br />
72 Zum Text s.o. Anm. 61.<br />
73 Vgl. dazu Streiter: Superintendentenamt (wie Anm. 1), 184f. Unter<br />
den veränderten Verfassungsbedingungen vollzog sich die königliche<br />
Ernennung allerdings indirekt in der Bestallung durch den<br />
Evangelischen Oberkirchenrat im Einvernehmen mit dem Min<strong>ist</strong>er<br />
der ge<strong>ist</strong>lichen Angelegenheiten; ausführlich dazu s. Gebser:<br />
Verwaltung (wie Anm. 1), 3-7.<br />
74 Der Kreissynode wurde eine „Mitaufsicht über die Gemeinden,<br />
Ge<strong>ist</strong>lichen, Kandidaten und alle in kirchlichen Berufsämtern stehenden<br />
Personen ihres Kreises“ zugestanden; Kirchenordnung § 53,<br />
Ziffer 3; Friedberg 63.<br />
49
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
75 Vgl. dazu Martin Schian: Generalsuperintendent, RGG1 2 (1910),<br />
1281-1283.<br />
76 Einige Hinweise: In Württemberg bestand das Kons<strong>ist</strong>orium (seit<br />
1553 als Kirchenrat gegründet) als ge<strong>ist</strong>lich-weltliche Leitungsbehörde<br />
fort, erst seit 1867/69 gab es eine Landessynode; vgl.<br />
Hermann Ehmer: Württemberg, TRE 36 (2004), 343-369, dort<br />
350f.355. – Zu Bayern s.u. bei Anm. 79-83. – Für die preußische<br />
Landeskirche wurde 1850 der Evangelische Oberkirchenrat in Berlin<br />
etabliert; vgl. dazu Martin Schian: Oberkirchenrat, RGG1 4 (1913),<br />
854-857. – Im Königreich Sachsen war das Landeskons<strong>ist</strong>orium nach<br />
1835 völlig in die Staatsverwaltung eingegliedert, was sich erst<br />
1873/74 „mit der Errichtung des Evangelisch-Lutherischen<br />
Landeskons<strong>ist</strong>oriums in Dresden als oberster Leitung der Landeskirche“<br />
änderte; vgl. Günther Wartenberg: Sachsen II., TRE 29<br />
(1998), 558-580, dort 572. - Das für die Landeskirche Hannovers<br />
1866 gebildete Landeskons<strong>ist</strong>orium gewährle<strong>ist</strong>ete - zusammen mit<br />
der seit 1864 eingerichteten Landessynode - eine erhebliche kirchliche<br />
Selbständigkeit; vgl. Inge Mager: Hannover I., TRE 14 (1985),<br />
428-438, dort 433f. <strong>Die</strong> entsprechenden Gesetzestexte für die<br />
genannten Landeskirchen s. bei Friedberg (Hg.): Verfassungs-<br />
Gesetze (wie Anm. 61) 425ff.313ff.377ff.165ff.<br />
77 <strong>Die</strong> im Großherzogtum Oldenburg mit dem Kirchenverfassungsgesetz<br />
von 1849 eingeführte kirchliche Autonomie wurde durch die<br />
Revision von 1853 stark eingeschränkt; vgl. den Text bei Friedberg<br />
(Hg.): Verfassungs-Gesetze (wie Anm. 61), 560-580 und dazu Rolf<br />
Schäfer (Hg.): Oldenburgische Kirchengeschichte, Oldenburg 1999,<br />
412-421. Text der preußischen „General-Synodalordnung für die<br />
evangelische Landeskirche der acht älteren Provinzen der Monarchie“<br />
von 1876 bei Friedberg 89-99, dort 90f zum Gesetzgebungsrecht.<br />
78 Vgl. dazu Streiter: Superintendentenamt (wie Anm. 1), 228f;<br />
Heinrich Hermelink: Geschichte der evangelischen Kirche in<br />
Württemberg von der Reformation bis zur Gegenwart, Stuttgart-<br />
Tübingen 1949, 391-395. Zitate aus der Verordnung betr. Einführung<br />
von Diözesan-Synoden 1854 nach Friedberg 423f.<br />
79 1803/06 fielen umfangreiche evangelische Territorien an das bis<br />
dahin fast geschlossen katholische Bayern. <strong>Die</strong> Organisation einer<br />
50
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
evangelischen Landeskirche begann 1809 mit der „Kons<strong>ist</strong>orialordnung“<br />
(Text bei Friedberg 300-313), welche ein „General-Kons<strong>ist</strong>orium<br />
der protestantischen Gesammtgemeinde des Königreichs<br />
Bayern“, drei General-Kreiskommissariate in Ansbach, Bayreuth und<br />
Speyer mit Kons<strong>ist</strong>orien (ab 1817 „General-Dekanate“ genannt) und<br />
73 D<strong>ist</strong>rikts-Dekane etablierte. Vgl. die Darstellung von Hartmut<br />
Böttcher: <strong>Die</strong> Entstehung der evangelischen Landeskirche und die<br />
Entwicklung ihrer Verfassung (1806-1918). In: Handbuch der Geschichte<br />
der evangelischen Kirche in Bayern Bd. 2, hg. v. Gerhard<br />
Müller u.a., St. Ottilien 2000, 1-29. Der linksrheinische Teil der<br />
neuen Landeskirche unter dem Speyerer Kons<strong>ist</strong>orium verselbständigte<br />
sich – beginnend mit der Pfälzer Union 1818ff – ab 1848 weithin.<br />
80 So seit der „Diözesan-Synodalordnung“ von 1851; Text bei<br />
Friedberg 327-329, das folgende Zitat dort 328.<br />
81 Vgl. das königliche „Edikt über die inneren Angelegenheiten der<br />
protestantischen Gesammtgemeinde ...“ bei Friedberg 313-318.<br />
82 Das war seit der Kons<strong>ist</strong>orialordnung 1809 fixiert; vgl. Friedberg<br />
305-307.<br />
83 Zitate nach dem Text ebd. 311; zum Examen s. ebd. 301.<br />
84 Zitate nach dem Text ebd. 306.<br />
85 Vgl. Holstein: Grundlagen (wie Anm. 64), 326f zum preußischen<br />
Generalsuperintendenten. Wilhelm Maurer: Das synodale evangelische<br />
Bischofsamt seit 1918. In: Ders.: <strong>Die</strong> Kirche und ihr Recht<br />
(JusEcc 23), Tübingen 1976, 388-448, dort 410-422. Maurers<br />
Aufsatz „Ge<strong>ist</strong>liche Leitung der Kirche“ ebd. 99-134 enthält nichts<br />
zur Zeit 1918-32.<br />
86 <strong>Die</strong> „Verfassung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers“<br />
wurde zwar am 20. Dezember 1922 verabschiedet, aber trat<br />
erst 1924 mit dem „Staatsgesetz betreffend die Kirchenverfassungen<br />
der evangelischen Landeskirchen“ (d.h. aller sieben in Preußen) in<br />
Kraft. Text in: Friedrich Giese/Johannes Hosemann (Hg.): <strong>Die</strong><br />
Verfassungen der Deutschen Evangelischen Landeskirchen, 2 Bde.,<br />
Berlin 1927, dort Bd. 1, 129-154. Zitat ebd. 151 (Art. 99,1); zu den<br />
Generalsuperintendenten und Superintendenten vgl. ebd. 149 (Artt.<br />
90-94) und 135 (Art. 31).<br />
87 Verfassung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers<br />
vom 11. Februar 1965 (mit Änderungen 1971-1999) in: <strong>Die</strong>ter Kraus<br />
51
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
(Hg.): Evangelische Kirchenverfassungen in Deutschland, Berlin<br />
2001, 279-315; Zitate dort 296 (Art. 68) und 292 (Art. 53,1).<br />
88 Zitate nach den Texten in: Giese/Hosemann (Hg.): Verfassungen<br />
(wie Anm. 86) Bd. 1, 411 (Art. 34,1) und 405 (Art. 28,1); vgl. den<br />
Text von 1950 (zuletzt geändert 1998) in: Kraus (Hg.): Verfassungen<br />
(wie Anm. 87), 734 (§ 15,1) und 739 (§ 28,1).<br />
89 Text bei Kraus 734 (Art. 15,1 und 15,2, Ziffer 4).<br />
90 Vgl. den Text bei Giese/Hosemann Bd. 1, 152 (Art. 102,2): „Der<br />
Landesbischof hat das Recht, Ge<strong>ist</strong>liche zu ordinieren ...“, und zwar<br />
ohne Einschränkung (vgl. Art. 63,2 bei Kraus 294: „Der Landesbischof<br />
hat das Recht, zu ordinieren ...“) mit dem Text ebd. 149 (Art.<br />
90,2): „Sie [sc. die Generalsuperintendenten] haben das Recht,<br />
Ge<strong>ist</strong>liche zu ordinieren ..., soweit der Landesbischof die Ausübung<br />
... nicht für sich in Anspruch nimmt“ (Art. 69,1 bei Kraus 296: „Der<br />
Landessuperintendent hat das Recht, zu ordinieren ..., soweit nicht<br />
der Landesbischof die Ordination ... in Anspruch nimmt“). Der<br />
Unterschied zu den Superintendenten lässt sich aus der Verfassungssystematik<br />
erschließen. Denn die Ordination galt als eine<br />
gesamtkirchliche Funktion, die deshalb der Leitung der Landeskirche<br />
(und als deren Organen dem Landesbischof und den Generalsuperintendenten)<br />
reserviert war. <strong>Die</strong> Funktionen des Superintendenten<br />
dagegen waren auf die „Aufsichtsbezirke“ (d.h. den jeweiligen<br />
„Kreiskirchenverband“) der Kirchengemeinden bezogen, also letztlich<br />
parochial fundiert.<br />
91 „Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche<br />
Schleswig-Holsteins“ vom 30. September 1922 in: Giese/Hosemann<br />
Bd. 1 (wie Anm. 86), 223-266. Zur Datierung vgl. die Bemerkung in<br />
Anm. 86. Zitat nach § 136,1 (mit Entsprechung für Lauenburg in §<br />
142,2); ebd. 258f. „Zu den amtlichen Obliegenheiten der Bischöfe“<br />
gehörte nach § 138,3 „die Ordination der Ge<strong>ist</strong>lichen“ (entsprechend<br />
§ 142,2).<br />
92 „Verfassung der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche“<br />
vom 12. Juni 1976, in Kraft getreten am 1. Januar 1977; Text in:<br />
Kraus (Hg.): Kirchenverfassungen 436-476 (nach dem Stand vom<br />
5.2.2000), dort 466f zum „leitenden ge<strong>ist</strong>lichen <strong>Die</strong>nst in der<br />
Nordelbischen Kirche“ und zum Ordinationsrecht (Art. 89,1 und<br />
91, Ziffer b), 451 zum „leitenden ge<strong>ist</strong>lichen <strong>Die</strong>nst“ der Pröpste „in<br />
ihrem Kirchenkreis“ (Art. 40,1-5). Das Ephorale Amt <strong>ist</strong> hier nicht<br />
52
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
grundsätzlich vom episkopalen Amt unterschieden, vielmehr gelten<br />
beide als besondere Funktionen des Pfarramts (Art. 40,1: „<strong>Die</strong><br />
Pröpstinnen und Pröpste sind Pastorinnen und Pastoren, denen ...“;<br />
Art. 88,1: „<strong>Die</strong> Bischöfinnen und Bischöfe sind Pastorinnen und<br />
Pastoren, denen ...“). Vgl. den Kommentar von Horst Göldner/<br />
Klaus Blaschke: Verfassung der Nordelbischen Evangelisch-<br />
Lutherischen Kirche, Kiel 1978, 174: „<strong>Die</strong> Aufgaben der Beratung und<br />
Visitation sind Funktionen, die den leitenden ge<strong>ist</strong>lichen <strong>Die</strong>nst des<br />
Propstes beschreiben“; ebd. 268 zum Bischof: „<strong>Die</strong> Visitation gehört<br />
zu den klassischen Funktionen des lutherischen Bischofsamtes ... Mit<br />
der Ordination der Pastoren fällt dem Bischof eine bedeutsame<br />
Funktion zu, die einen unlösbaren Bestandteil seines <strong>Die</strong>nstes darstellt<br />
und nur im Ausnahmefall delegierbar <strong>ist</strong>“.<br />
93 Text bei Giese/Hosemann (Hg.): Verfassungen Bd. 2 (wie Anm.<br />
86), 516 (Art. 13 IV).<br />
94 Text bei Kraus: Verfassungen (wie Anm. 87), 168f: „Der Dekan<br />
bzw. die Dekanin leitet den Dekanatsbezirk im Zusammenwirken mit<br />
der Dekanatssynode und dem Dekanatsausschuß“. <strong>Die</strong> „Aufsicht<br />
über die kirchliche Arbeit im Dekanatsbezirk“ <strong>ist</strong> nicht unmittelbar<br />
mit der Aussage über die „Visitation“ verbunden, welche vielmehr<br />
zusammen mit „Beratung“ als Förderung der pfarramtlichen Arbeit<br />
verstanden wird (Art. 32,2-3). Zu den Kreisdekanen/Oberkirchenräten<br />
in den Kirchenkreisen s. ebd. 178.<br />
95 Vgl. die Texte bei Giese/Hosemann Bd. 1,135 (Art. 31 betr.<br />
Superintendenten: Bei der „Aufsicht über die Gemeinden und die<br />
Ge<strong>ist</strong>lichen“ fehlt die Visitation, die anscheinend ebenso wenig zum<br />
Aufgabenbereich des Superintendenten wie des Generalsuperintendenten<br />
gehört, vgl. 149). <strong>Die</strong> Visitation <strong>ist</strong> in dieser Verfassung<br />
schwach bestimmt, nur in folgender Weise: „Der Landesbischof <strong>ist</strong><br />
befugt, ... die vom Landeskirchenamte angeordneten außerordentlichen<br />
Kirchenvisitationen vorzunehmen“ (152; Art. 102,1, Ziffer 3 –<br />
über ordentliche Visitationen findet sich nichts). Anders regelt es die<br />
Verfassung von 1965 i.d.F. von 1999: Der Superintendent hat<br />
„Visitationen vorzunehmen“; der Landesbischof „hat das Recht, ...<br />
Visitationen vorzunehmen und ... außerordentliche Visitationen<br />
anzuordnen“; vgl. die Texte bei Kraus: Verfassung 292.294.<br />
96 Vgl. Giese/Hosemann Bd. 1,250 (§ 100,1, Ziffer 3 und 6).<br />
97 Verfassung der evangelisch-lutherischen Landeskirche des Frei-<br />
53
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
staats Sachsen vom 29. Mai 1922, ebd. 411 (§ 34,2, Ziffer 1-3): Den<br />
Superintendenten oblag „die Aufsicht über Lehre und Kultus in den<br />
Kirchengemeinden, die Abhaltung von Kirchenvisitationen, die<br />
Ordination und Einführung der Ge<strong>ist</strong>lichen“. Damit galt der<br />
Kernbestand der Aufgaben eines evangelischen Bischofsamtes (seit<br />
dem 16. Jahrhundert des Superintendentenamtes) für die Superintendenten.<br />
Vgl. dagegen den Text von 1950 bei Kraus 734. 739f.<br />
98 Vgl. den Text bei Kraus 296 und 292 (Art. 68 und 53,1).<br />
99 Vgl. den Text bei Giese/Hosemann Bd. 1,149 und 152 (Art. 90,2<br />
und 102,2).<br />
100 Vgl. den Text bei Kraus 294 und 296 (Art. 63,2 und 69,1).<br />
101 <strong>Die</strong> soteriologische Notwendigkeit des von Gott eingesetzten<br />
Amtes (min<strong>ist</strong>erium) der Evangeliumsverkündigung und Sakramentenspendung<br />
ergibt sich nach CA 5 aus der Rechtfertigungslehre mit<br />
ihrem Axiom, dass der Glaube aus dem Hören auf Gottes Wort entsteht<br />
(CA 4-6): Ohne die Verkündigung kommt der Glaube und<br />
damit die chr<strong>ist</strong>liche Ex<strong>ist</strong>enz nicht zustande. Sie konstituiert nach<br />
CA 7 die Gemeinde bzw. die Kirche (als „creatura evangelii“, so<br />
Luther), und deren Einheit besteht im consentire de doctrina evangelii<br />
(CA 7,2). <strong>Die</strong>ser Konsensus muss praktisch hergestellt oder<br />
bewahrt werden; dazu ex<strong>ist</strong>iert gemäß CA 28,20-22 nach göttlichem<br />
Recht (de iure divino) das Bischofsamt, welches „die Lehre, so dem<br />
Evangelio entgegen, verwerfen“ muss. Vgl. zum Ganzen BSLK<br />
56,5f; 58,2-8; 61,3-9; 123,22-124,9.<br />
102 Vgl. die oben in Anm. 63-68 genannten Textbeispiele.<br />
103 Text in: Giese/Hosemann (Hg.): Verfassungen Bd. 1 (wie Anm.<br />
86), 247 (§ 91) und 249 (§ 99,1).<br />
104 Text in Kraus: Verfassungen (wie Anm. 87), 447: „<strong>Die</strong><br />
Pröpstinnen und Pröpste sind nicht Mitglieder der Kirchenkreissynode“,<br />
nehmen aber mit beratender Stimme teil (Art. 31,5); 451: sie<br />
sind Mitglied des Kirchenkreisvorstands, dessen Vorsitz nicht „leitende<br />
Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter des Kirchenkreises“ führen<br />
dürfen (Art. 39,1a und 4).<br />
105 Vgl. zu Nordelbien ebd. 446 (Art. 30,1a: „<strong>Die</strong> Kirchenkreissynode<br />
... wählt ... die Pröpstin bzw. den Propst“); s. dagegen<br />
Giese/Hosemann Bd. 1,250 (§ 101,1: „Der Propst wird auf<br />
Vorschlag des Bischofs von der Kirchenregierung ernannt“). Vgl. zu<br />
Braunschweig ebd. Bd. 2,758 (§ 16: „Der Kirchenrat und sein Stell-<br />
54
Wolf-<strong>Die</strong>ter Hauschild: Zur Geschichte des ephoralen Amtes<br />
vertreter werden von dem Kirchenkre<strong>ist</strong>age auf Zeit gewählt“);<br />
Kraus 252 (Art. 51,1: „Der Propst wird von der Propsteisynode ... für<br />
eine Amtsdauer von 12 Jahren gewählt“). Zur Mecklenburger<br />
Propsteiordnung von 1969 s. Beste: Kirchenkreise (wie Anm. 56), 96.<br />
106 Vgl. Giese/Hosemann Bd. 1,411 (§ 34,4) und Kraus 292 (Art.<br />
55,1).<br />
107 Vgl. Giese/Hosemann Bd. 2,516 (Art. 13 II) und die Verfassung<br />
der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (Kirchliches Amtsblatt<br />
1971, 287ff), Art. 31,1: „<strong>Die</strong> Dekansfunktion wird ihm vom<br />
Landeskirchenrat im Einvernehmen mit dem Dekanatsausschuß<br />
übertragen“. Vgl. die spätere Änderung bei Kraus 168 (Art. 32.1).<br />
108 Vgl. Giese/Hosemann Bd. 1, 411 (§ 34,4) und Kraus 734 (§ 15,6).<br />
55
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
in praktisch-theologischer Sicht.<br />
Exemplarische Debatten, Differenzierungen<br />
und Modelle<br />
Jan Hermelink<br />
Im Folgenden seien einige praktisch-theologische Überlegungen<br />
zu den Veränderungen präsentiert, die sich gegenwärtig<br />
in der Struktur des ephoralen Amtes beobachten lassen.<br />
Als Quelle solcher Beobachtungen dienen mir – neben den<br />
seinerzeit in Pullach vorgelegten Kurzberichten aus verschiedenen<br />
lutherischen Landeskirchen 1 – vor allem einige<br />
Materialien aus der Evangelisch-lutherischen Landeskirche<br />
Hannovers. Es sind dies die so genannten Celler Reformpapiere<br />
von 1997 2 , die Synodalprotokolle zur kirchengesetzlichen<br />
Einführung der Wahl des Superintendenten (2001) 3 ,<br />
zwei Berichte des synodalen Gemeindeausschusses über die<br />
„Formulierung des <strong>Die</strong>nstauftrags der Superintendenten und<br />
Superintendentinnen“ (2001 und 2003) 4 sowie schließlich die<br />
jüngste einschlägige Äußerung des Ge<strong>ist</strong>lichen Vizepräsidenten<br />
Martin Schindehütte 5 . Außerdem kann ich zurückgreifen<br />
auf die Arbeit einer praktisch-theologischen Visitationsgruppe,<br />
die in den Jahren 2002/2003 strukturelle Reformprozesse<br />
in fünf hannoverschen Kirchenkreisen durch Besuche wahrgenommen,<br />
reflektiert und ihre Einsichten vor kurzem publiziert<br />
hat 6 .<br />
In diesen Dokumenten, die ganz unterschiedliche Gattungen<br />
kirchlichen Quellenmaterials repräsentieren, werden durchgehend<br />
bestimmte, weitgehend strukturell bedingte Veränderungen<br />
der ephoralen Berufspraxis erkennbar. <strong>Die</strong>s soll zunächst<br />
durch den Blick auf zwei einschlägige, exemplarische<br />
Debatten illustriert werden (I); sodann sind die Veränderungen<br />
der ephoralen Praxis anhand einer gängigen kirchenrecht-<br />
57
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
lichen Typologie von Leitungsformen darzustellen (II). In<br />
einen weiteren Horizont wird jener Strukturwandel gestellt,<br />
wenn er als Ausdruck sozialer, spezifisch kirchlicher und nicht<br />
zuletzt ge<strong>ist</strong>licher Differenzierungsprozesse erscheint (III).<br />
Schließlich werden verschiedene Modelle des ephoralen<br />
Amtes diskutiert, die die Breite gegenwärtiger Interpretation<br />
dieses Amtes idealtypisch illustrieren (IV).<br />
I. Zwei exemplarische Debatten zum Profil des ephoralen<br />
Amtes<br />
1. Stellvertretung im Amt der Superintendentin 7<br />
<strong>Die</strong> zunehmende Arbeitsbelastung im Amt des Superintendenten<br />
kommt u.a. darin zum Ausdruck, dass in der<br />
Praxis immer mehr Aufgaben bzw. Arbeitsbereiche an Stellvertreterinnen<br />
und -vertreter delegiert werden. Häufig wird<br />
die ephorale Aufsichtstätigkeit territorial oder funktional segmentiert:<br />
<strong>Die</strong> Stellvertreterinnen sind für einzelne Regionen<br />
des Kirchenkreises zuständig oder für bestimmte Arbeitsbereiche,<br />
etwa die Diakonie oder die Jugendarbeit. Auch die visitatorischen<br />
Aufgaben des Superintendenten werden nicht<br />
selten mit Stellvertretenden geteilt. So können die Jahresgespräche<br />
im Kirchenkreis von zwei oder drei Personen durchgeführt<br />
werden; auch mit Gemeindevisitationen wird<br />
gelegentlich der für die Region zuständige Stellvertreter betraut.<br />
Der Sinn dieser Aufwertung der stellvertretenden Superintendentin<br />
<strong>ist</strong> deutlich: Auf die vermehrten Anforderungen wird<br />
mit Vermehrung der personellen Ressourcen reagiert; dabei<br />
können zudem spezifische fachliche Kompetenzen oder die<br />
Vertrautheit mit regionalen Besonderheiten genutzt werden.<br />
Als weiterer Vorteil wird gelegentlich genannt, dass die Delegation<br />
von Aufgaben an Stellvertreter eine präzisere Umschreibung<br />
jener Aufgaben erfordert – auf diese Weise wird<br />
die Struktur des ephoralen <strong>Die</strong>nstes insgesamt durchsichtiger.<br />
58
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
<strong>Die</strong> vermehrte Inanspruchnahme eines Amtes stellvertretender<br />
Superintendenten wirft jedoch in der Praxis auch eine<br />
Reihe von Problemen auf. Dazu gehört die schwer wägbare<br />
Balance zwischen notwendiger Selbständigkeit der Stellvertreterinnen<br />
und deren – kirchenrechtlich sehr strikter – Abhängigkeit<br />
vom eigentlichen Ephorus 8 . Dazu gehören aber<br />
auch sehr handfeste Fragen, etwa nach der Gratifikation der<br />
Vertretenden – durch Gehaltszulagen, durch zusätzliche<br />
Stellenanteile für die entsprechende Region, oder dadurch,<br />
dass auch die Stellvertreter bestimmte pastorale Aufgaben an<br />
andere delegieren 9 ? Alle Varianten sind mit erheblichen praktischen<br />
Problemen belastet.<br />
In hohem Maße problemanzeigend <strong>ist</strong> auch die hannoversche<br />
Regelung, dass Stellvertreterinnen im Aufsichtsamt vom<br />
Pastorenkonvent gewählt werden. Damit gibt es faktisch<br />
„zwei Wege, in die Leitungsfunktion und Vorgesetztenrolle zu<br />
gelangen“ 10 : <strong>Die</strong> Superintendentin wird – seit Neuestem –<br />
durch den Kirchenkre<strong>ist</strong>ag, ihr Stellvertreter jedoch allein<br />
durch die Amtsgeschw<strong>ist</strong>er im Kirchenkreis bestimmt. Dahinter<br />
steht die bislang nicht befriedigend geklärte Frage, welche<br />
Instanz(en) die kirchliche Leitung beauftragen. In<br />
welchem Verhältnis stehen – keineswegs nur auf der Ebene<br />
des Kirchenkreises – die Wahl durch synodale Gremien, die<br />
Ernennung durch eine obere, kons<strong>ist</strong>oriale Behörde oder eine<br />
bischöfliche Person, und die Beauftragung (nur) durch den<br />
Kreis der Ordinierten? Dahinter steht auch die Frage, wem<br />
ephorale Leitung sich im Vollzug zu verantworten, wem die<br />
Superintendentin also regelmäßig Rede und Antwort zu stehen<br />
hat.<br />
Wird die Stellvertretung im Amt der Superintendentin zu<br />
einer dauernden, mehr oder weniger fest umschriebenen Aufgabe,<br />
dann stellen sich weitere Grundfragen: Wie weit kann<br />
personale Leitungsverantwortung in der Kirche geteilt werden?<br />
Ist die Durchführung der Visitation, oder auch der hochsensiblen<br />
Jahresgespräche, ohne Weiteres von einer Person auf<br />
eine andere zu übertragen? Und wie kann der klassische Auf-<br />
59
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
trag der ephoralen Leitung, die Einheit der Kirche nach innen<br />
und außen zu repräsentieren, unter diesen Umständen erfüllt<br />
werden?<br />
2. <strong>Die</strong> Bedeutung des pastoralen <strong>Die</strong>nstes in einer Kirchengemeinde<br />
für das ephorale Amt<br />
In fast allen Landeskirchen <strong>ist</strong> das ephorale Amt mit einem<br />
parochialen <strong>Die</strong>nst verbunden – an dieser Koppelung halten<br />
auch die neuesten Reformvorschläge geradezu empathisch<br />
fest: „Von besonderer Bedeutung für die Ausformung der<br />
ge<strong>ist</strong>lichen Dimension [des Amtes der Superintendentin]<br />
bleibt die Verankerung in der Supturgemeinde.“ Nur so könne<br />
dem Anliegen „der ge<strong>ist</strong>lichen Rückbindung an den Verkündigungsauftrag“<br />
der ganzen Kirche Rechnung getragen<br />
werden 11 .<br />
Näherhin begründet wird die Forderung, auch der Superintendent<br />
habe regelmäßig in einer Kirchengemeinde <strong>Die</strong>nst<br />
zu tun, im Blick auf den Amtsträger selbst: Seine berufliche<br />
Arbeit, aber auch seine ge<strong>ist</strong>liche Gewissheit <strong>ist</strong> auf eine konkrete<br />
soziale Basis angewiesen. Sodann bedarf, so meint man,<br />
auch seine ephorale Autorität gegenüber anderen Pastorinnen<br />
dem permanenten Ausweis eigener Praxiserfahrung. Hier<br />
zeigt sich im Übrigen ein typisches Leitungsproblem aller<br />
sozialer Organisationen – O. Neuberger beschreibt es als irreduzible<br />
Spannung zwischen fachlich-spezieller und leitendgeneral<strong>ist</strong>ischer<br />
Kompetenz 12 : Leitung setzt einen<br />
„generalisierenden“ Überblick voraus, muss aber zugleich die<br />
fachlichen Le<strong>ist</strong>ungen der Mitarbeiter beurteilen – und daher<br />
selbst fachliche Kompetenzen pflegen.<br />
Spezifisch kirchlich <strong>ist</strong> eine weitere Begründung für den parochialen<br />
<strong>Die</strong>nst der Ephoren: Zum allgemeinen Priestertum,<br />
das in der evangelischen Kirche alle besonderen Ämter fundiert,<br />
gehört wesentlich die Beurteilung der Lehre der<br />
Amtsträger durch alle Chr<strong>ist</strong>en. Auch und gerade die Lehre,<br />
das öffentliche Wort der Superintendentin bedarf insofern<br />
60
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
einer ge<strong>ist</strong>lichen Beurteilung – und dies kann auf Dauer und<br />
verlässlich nur durch eine konkrete Predigt- und Seelsorgegemeinde<br />
geschehen.<br />
Eher verhalten, aber doch beständig sind jedoch auch Einwände<br />
gegen diese Hochschätzung eines parochialen <strong>Die</strong>nstes<br />
zu vernehmen. So wird auf die faktische Überlastung vieler<br />
Superintendenten hingewiesen, die vor allem zu Lasten des<br />
Gemeindeamtes geht, und auf diese Weise die betroffenen<br />
Gemeindeglieder sowie nicht zuletzt die pastoralen Kolleginnen<br />
permanent frustriert. Dazu kommen grundsätzlichere<br />
Zweifel, ob ein – notwendig sehr reduzierter – <strong>Die</strong>nst in einer<br />
Ortsgemeinde, angesichts deren wachsender Differenziertheit<br />
und Diffusität, überhaupt ein angemessenes, die ephorale<br />
Amtsführung fundierendes und orientierendes Bild von<br />
„Gemeinde“ vermitteln kann. Erst recht erscheint es fraglich,<br />
ob pastorale <strong>Die</strong>nste in einem „Seelsorgebezirk“, in einzelnen<br />
Projekten oder gar nur als Predigtauftrag die soziale und ge<strong>ist</strong>liche<br />
Basis für das ephorale Amt bilden können.<br />
Auch die hier skizzierten Argumente und Gegenargumente<br />
verweisen auf strukturelle Grundprobleme des ephoralen<br />
<strong>Die</strong>nstes, wohl nicht erst in der Gegenwart. Sie betreffen im<br />
Kern die Frage, worauf die Autorität einer Superintendentin<br />
gegenüber „ihren“ Pastorinnen und Pastoren, aber auch in der<br />
Öffentlichkeit eines Kirchenkreises beruht. In welchem<br />
Verhältnis stehen kirchenrechtliche, fachliche und ge<strong>ist</strong>liche<br />
Dimensionen der Leitungsrolle?<br />
Sodann <strong>ist</strong> zu fragen, wo die pastorale Praxis eines Superintendenten<br />
oder einer Superintendentin ihren spezifischen<br />
Ort, ihren genuinen Wirkungsbereich hat. Kann der Ort einer<br />
solchen Praxis nur eine Parochie sein – oder lässt sich auch der<br />
Kirchenkreis selbst als Wirkungsfeld eines eigentümlichen<br />
pastoralen <strong>Die</strong>nstes begreifen? <strong>Die</strong> pastoraltheologische<br />
Klärung des ephoralen Amtes führt dann unmittelbar zur<br />
Reflexion einer spezifischen ekklesiologischen Qualität der<br />
Ephorie 13 .<br />
61
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
II. Typologische Verschiebungen in der Struktur ephoraler<br />
Leitung<br />
In der Reflexion des kirchlichen Verfassungsrechtes hat sich<br />
eine Typologie landeskirchlicher Leitungsstrukturen bewährt,<br />
die auch zur Beschreibung des ephoralen Amtes in der<br />
Gegenwart herangezogen werden kann. <strong>Die</strong> Typen einer kons<strong>ist</strong>orialen,<br />
einer episkopalen und einer synodalen Leitung der<br />
Kirche 14 finden sich, je deutlicher der Kirchenkreis als eigene<br />
Körperschaft akzentuiert <strong>ist</strong>, auch auf dieser Ebene. Weil die<br />
Entstehung einer solchen Körperschaft eigenen Rechts bekanntlich<br />
auf die Ausgestaltung des ephoralen Amtes zurückgeht,<br />
<strong>ist</strong> es nicht verwunderlich, dass auch die veränderten<br />
Verhältnisse in und zwischen den verschiedenen Leitungsformen<br />
im Kirchenkreis unmittelbare Auswirkungen auf<br />
jenes Amt zeitigen.<br />
1. <strong>Die</strong> kons<strong>ist</strong>oriale Dimension ephoraler Leitung<br />
Zu den klassischen ephoralen Aufgaben gehört zunächst „die<br />
Aufsicht über die Kirchengemeinden, die Pfarrämter und diejenigen,<br />
die kirchliche Amts- und <strong>Die</strong>nststellungen innehaben,<br />
soweit sie im Amt der Verkündigung tätig sind“ 15 . <strong>Die</strong> Beaufsichtigung<br />
von Gemeinden und Pfarrern, von deren Lehre,<br />
ihrer Amtsführung und auch ihrem Lebenswandel stand am<br />
Beginn einer behördlichen, kons<strong>ist</strong>orialen Ausgestaltung des<br />
Superintendentenamtes. Seitdem haben sich die Aufgaben<br />
fachlicher wie dienstlicher Beobachtung, Korrektur und Begleitung<br />
des pastoralen <strong>Die</strong>nstes auf der Ebene des Kirchenkreises<br />
erheblich ausgeweitet und differenziert, auch in den<br />
Strukturen ihres konkreten Vollzugs. Zwei Tendenzen sind zu<br />
beobachten.<br />
Auf der einen Seite <strong>ist</strong> die Aufsichtstätigkeit auch auf der<br />
Ebene der Kirchenkreise zunehmend durch admin<strong>ist</strong>rative<br />
Formalisierung gekennzeichnet. Pastorale Amts- und Geschäftsführung,<br />
auch die Geschäfte der Gemeinden, werden<br />
durch kirchliche Verwaltungsämter begleitet und auf diese<br />
62
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
Weise auch beaufsichtigt. <strong>Die</strong> Formalisierung der <strong>Die</strong>nstaufsicht<br />
entspricht einer zunehmenden rechtlichen Regelungsdichte.<br />
Gleichwohl sind die Klagen endemisch, im Blick auf<br />
die <strong>Die</strong>nstaufsicht stünden der Superintendentin im Konfliktfall<br />
doch nur ungenügende rechtliche Mittel, gleichsam<br />
„Pappschwerter“ zur Verfügung 16 .<br />
Auf der anderen Seite <strong>ist</strong>, in fachlicher Hinsicht, eine fortschreitende<br />
Personalisierung der Aufsichtsfunktionen zu<br />
beobachten. <strong>Die</strong> fachliche Begleitung der kirchlichen Mitarbeiter<br />
war bislang vor allem auf landeskirchlicher Ebene angesiedelt;<br />
sie vollzog sich durch eine – kons<strong>ist</strong>orial nur locker<br />
beaufsichtigte – Ausbildung sowie eine (seitens der Pastorinnen<br />
weitgehend freiwillige) Fortbildung und Beratung durch<br />
einzelne Fachstellen. <strong>Die</strong> Einführung von Personalentwicklungsgesprächen<br />
für Pastoren signalisiert hier, gerade auf<br />
der Dekanatsebene, einen bedeutsamen Paradigmenwechsel 17 .<br />
Nun wird die inhaltliche Amtsführung der Pastorinnen und<br />
der anderen Hauptamtlichen auch auf dieser Ebene zum<br />
Dauerthema: <strong>Die</strong> Superintendentin wird zur Fortbildungsbeauftragten.<br />
Nur in seltenen Fällen etabliert sie jedoch eigene<br />
Fortbildungsstrukturen oder gar -ämter; me<strong>ist</strong>ens übt sie ihr<br />
Aufsichtsamt (weiterhin) als Person aus. Und dies geschieht<br />
weniger in Form von <strong>Die</strong>nstanweisungen, sondern immer<br />
mehr in der Form individueller Beratung und formaler<br />
Zielvereinbarungen auf Augenhöhe. Auch die ephorale Fachaufsicht<br />
erfährt also gegenwärtig durchaus eine Formalisierung<br />
– aber eben nicht in einer behördlich-kons<strong>ist</strong>orialen<br />
Form, sondern in Form individuellen Engagements, durch<br />
den Einsatz je spezifischer personaler Kompetenzen.<br />
2. <strong>Die</strong> synodale Dimension ephoraler Leitung<br />
Eine zweite Tradition, eine zweite Quelle der Ausgestaltung<br />
des ephoralen Amtes besteht in seiner Aufgabe, kirchenleitende<br />
Zusammenkünfte, also Synoden zu organisieren und zu leiten.<br />
Das waren und sind einerseits Synoden der pastoralen<br />
Amtsgeschw<strong>ist</strong>er, andererseits repräsentative Leitungsgremien<br />
63
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
mit Laienbeteiligung, wie sie sich seit dem 19. Jahrhundert in<br />
den evangelischen Landeskirchen verbreiten.<br />
<strong>Die</strong> Aufgabe, den Kirchenkre<strong>ist</strong>ag oder die Kreissynode selbst<br />
zu leiten, <strong>ist</strong> nur in der reformierten Tradition beim Superintendenten<br />
verblieben 18 . Gleichwohl kommt ihm in der synodalen<br />
Leitungsdimension des Kirchenkreises weithin eine sehr<br />
starke Stellung zu, indem er den Kreissynodal- bzw. den<br />
Kirchenkreisvorstand leitet, in zahlreiche weitere Leitungsgremien<br />
eingebunden <strong>ist</strong> und auf diese Weise, durch das<br />
Management von Informationen, die Themen und Abläufe<br />
der verschiedenen Gremien wesentlich bestimmt. Auch in dieser<br />
– synodalen – Hinsicht hat das ephorale Amt erheblich an<br />
Komplexität zugenommen.<br />
Erst recht bedeutsam sind synodale Leitungsformen für das<br />
ephorale Amt gegenüber den Pastorinnen und Pastoren. Unbeschadet<br />
einer gelegentlichen Entlastung durch einen Vorstand<br />
oder eine inhaltliche Vorbereitungsgruppe des<br />
Pfarrkonventes <strong>ist</strong> die Superintendentin hier doch in zentraler<br />
Verantwortung: Sie verteilt und akzentuiert Informationen,<br />
setzt Themen und steuert die Aufmerksamkeit des pastoralen<br />
Kollegiums; sie schlägt Einzelne für Aufgaben und Ämter vor<br />
und prägt durch ihren Leitungsstil die pastorale Wahrnehmung<br />
des Kirchenkreises in erheblichem Maße.<br />
3. <strong>Die</strong> episkopale Dimension ephoraler Leitung<br />
Einen neuen Zuschnitt hat auch die individuelle, im engeren<br />
Sinne personbezogene, also episkopale Dimension der<br />
Leitung des Kirchenkreises bekommen, und zwar nach innen<br />
wie nach außen. Unvertretbar als Person gefordert war die<br />
Superintendentin zunächst schon immer im Blick auf die Begleitung<br />
der Pastoren – das wird dort auch nach außen deutlich,<br />
wo sie eine neue Pastorin in ihr Amt einführt. <strong>Die</strong>se<br />
Begleitung der Amtsgeschw<strong>ist</strong>er hat sich, wie oben (1.) schon<br />
angeklungen, in letzter Zeit nicht nur erheblich intensiviert,<br />
sondern z.T. formalisiert: Eine regelmäßige Beratung der Pas-<br />
64
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
toren im Blick auf ihre Amtsführung <strong>ist</strong>, in Form der<br />
Jahresgespräche, nun obligatorisch geworden.<br />
Für den Zuschnitt des ephoralen Amtes bedeutsam <strong>ist</strong> weiterhin<br />
die Kodifikation, der Superintendent solle „das kirchliche<br />
Leben im Kirchenkreis anregen und fördern [...] sowie<br />
Missständen und Gefahren entgegenwirken“ 19 . <strong>Die</strong>s konkretisiert<br />
sich in letzter Zeit in der Erwartung, der Superintendent<br />
habe spezifische Zielvorstellungen für den Kirchenkreis zu<br />
entwickeln und zur Diskussion zu stellen, oder gar in der Vorstellung,<br />
zu seinem Amt gehöre eine – möglichst überzeugende<br />
– Formulierung von Visionen hinsichtlich des kirchlichen<br />
Lebens in der Region. Es wäre dann der Episkopos des Kirchenkreises,<br />
dessen Visionen die Arbeit in den einzelnen Gemeinden<br />
und Arbeitsstellen anzuregen und die<br />
Mitarbeiterinnen zu motivieren vermögen. Auf diese Weise<br />
wird die reformatorische Erwartung konkretisiert, die<br />
(bischöfliche) Leitung in der Kirche vollziehe sich – in ihrem<br />
ge<strong>ist</strong>lichen Kern – „sine vi humana sed verbo“ (CA XXVIII).<br />
Mit solchen Hinweisen kommt auch die episkopale Aufgabe<br />
nach außen in den Blick, nämlich „den Kirchenkreis in der<br />
Öffentlichkeit zu vertreten“ (§ 56 (2) 1. KKO Hannover).<br />
Auch diese – nicht delegierbar personale – Aufgabe hat sich in<br />
der letzten Zeit erheblich ausgeweitet, nicht nur durch die<br />
Vergrößerung von Kirchenkreisen, sondern auch durch eine<br />
Umstrukturierung der öffentlichen Aufmerksamkeit, die<br />
immer stärker nach repräsentativen Personen fragt. Und auch<br />
diese Form personaler Leitung vollzieht sich – zumindest in<br />
der Kirche – wesentlich sprachlich: durch Gespräch und<br />
Diskussion, nicht zum Wenigsten aber durch das öffentliche<br />
Wort zu weltlichen Anlässen unterschiedlichster Art. Hier zwischen<br />
dem situativen Kontext, der kirchlichen Überlieferung<br />
und der eigenen Person zu vermitteln, wird zu einer zentralen<br />
Leitungsaufgabe – auch auf der Ebene des Kirchenkreises.<br />
Das episkopale Element des Superintendenten-Amtes<br />
gewinnt auch in dieser Hinsicht gegenwärtig weiter an<br />
Gewicht.<br />
65
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
4. Eine neue, „koronale“ Dimension ephoraler Leitung<br />
Bei einer Visite struktureller Reformprozesse in der hannoverschen<br />
Landeskirche, an der ich vor zwei Jahren beteiligt<br />
war, fiel uns eine weitere, bisher wenig reflektierte Form ephoraler<br />
Leitung auf. Auf die Vermehrung und Differenzierung<br />
der Leitungsaufgaben haben die von uns beobachteten Kirchenkreise<br />
durchgehend mit einer Konzentration auf kleine,<br />
höchst kohärente Gruppen von Leitenden reagiert. <strong>Die</strong>s kann<br />
der Kirchenkreisvorstand sein; me<strong>ist</strong>ens sind es aber Gruppen,<br />
die in der Kirchenverfassung gar nicht vorgesehen sind:<br />
„Hier sind zunächst die kleinen, relativ häufig tagenden<br />
Leitungsteams zu nennen, die regelmäßig aus Superintendentin,<br />
den Stellvertretenden [...], oft dem Verwaltungsleiter, mitunter<br />
auch der Kirchenkre<strong>ist</strong>ags-Vorsitzenden, dem<br />
Geschäftsführer großer Einrichtungen u.ä. bestehen. <strong>Die</strong>se<br />
kleine Leitungsgruppe umfasst me<strong>ist</strong> vier bis sieben Personen;<br />
sie trifft sich im Wochenrhythmus. Oft werden ‚gute<br />
Atmosphäre’ und ‚Effektivität’ gerade in diesen Leitungsteams<br />
gelobt.“ Eine andere Variante sind „die diversen Steuerungsgruppen,<br />
Planungsgruppen, Stellen- oder Strukturplanungsausschüsse.<br />
Solche – zunächst aufgabenbezogen ad-hoc<br />
gebildete – Gruppen sind oft von Insidern besetzt, die an vielen<br />
Stellen Erfahrungen sammeln, mitgestalten und koordinieren.“<br />
20<br />
Eine solche Gruppe, nicht selten auf Initiative des Superintendenten<br />
gebildet, stellt so etwas wie seine „Korona“ dar,<br />
sein „Küchenkabinett“ oder doch einen recht eingespielten<br />
Zirkel, einen „Klub“ Eingeweihter und lange miteinander Vertrauter.<br />
Ähnlich wie bei der Stärkung des Stellvertreter-Amtes<br />
liegt der Sinn auch dieser „koronalen“ Struktur in einer Unterstützung<br />
der Superintendentin, genauer in einer kommunikativen<br />
Konzentration und Intensivierung der Leitungstätigkeit<br />
durch wechselseitige Information, Beratung und strategische<br />
Absprachen. Unübersehbar sind freilich auch die Probleme,<br />
die eine solche „koronale“ Leitungsstruktur impliziert:<br />
66
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
„<strong>Die</strong> skizzierte Leitungsform privilegiert hauptamtliche, vornehmlich<br />
mit Leitungsaufgaben befasste Personen. Damit<br />
werden latente Konflikte zwischen Hauptamtlichen und<br />
Ehrenamtlichen befördert.<br />
In den kleinen Leitungsgruppen bekommen Verwaltungsleiterinnen<br />
ein großes Gewicht [...]. Zu beobachten <strong>ist</strong> in vielen<br />
Kirchenkreisen, dass Verwaltungsleiterinnen zu wichtigen<br />
Promotoren innovativer Prozesse geworden sind. Umgekehrt<br />
werden dadurch – durchaus ungewollt – andere innovative,<br />
quer denkende Personen entmutigt; so geraten viele<br />
Innovationsimpulse in den Hintergrund.<br />
Umgekehrt geraten ehrenamtlich Leitende nun unter erheblichen<br />
Zeit- und Le<strong>ist</strong>ungsdruck. Strukturell werden sie –<br />
gegen Buchstabe und Intention der Kirchenordnung – ohnmächtiger<br />
[...]. Wollen sie weiter mitgestalten, so müssen sie<br />
sehr viel Zeit aufwenden und sich erheblich professionalisieren.<br />
Auf der landeskirchlichen Ebene werden dazu inzwischen<br />
unterstützende Programme angeboten; vor Ort scheint<br />
man sich des Problems aber bislang noch zu wenig bewusst zu<br />
sein. Damit wird das Milieu potenzieller ehrenamtlich<br />
Leitender stark eingeengt: Nur bestimmte Personen (vor allem<br />
akademisch gebildete Teilzeitbeschäftigte oder Ruheständler)<br />
können die inhaltlichen und zeitlichen Anforderungen erfüllen.<br />
Immer größere Bevölkerungs- und Altersgruppen sind<br />
auf diese Weise in den ‚höheren‘ kirchlichen Leitungsebenen<br />
nicht mehr vertreten.<br />
Eine Machtverschiebung lässt sich auch im Blick auf die<br />
Gremien konstatieren, die verfassungsmäßig an der Leitung<br />
beteiligt sind: Der Kirchenkre<strong>ist</strong>ag, die Mitarbeitervertretung,<br />
aber auch die Pfarrkonferenz sind selten in der Lage, das dichte,<br />
schnelle und routinierte Leiten der kleinen Gruppen kritisch-kundig<br />
zu begleiten. [...] Von außen fehlt es gegenüber<br />
den dichten Leitungsgruppen an Transparenz. So entsteht<br />
rasch Misstrauen; man fühlt sich zu wenig informiert und<br />
beteiligt.<br />
67
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
Eine andere Reaktion besteht in wachsendem Desinteresse:<br />
‚<strong>Die</strong> wissen doch ohnehin alles besser’. Auf diese Weise drohen<br />
Initiativen zu mehr Partizipation, selbst wenn sie von der<br />
Leitungsgruppe selbst angestoßen werden, ins Leere zu laufen.“<br />
21<br />
In dieser Entwicklung kommt offenbar eine wachsende<br />
Spannung zwischen zwei Grundprinzipien kirchlicher Leitung<br />
zum Ausdruck: Auf der einen Seite sollen und wollen viele<br />
Gruppen an den Entscheidungsprozessen beteiligt sein; auf<br />
der anderen Seite müssen die Entscheidungen immer rascher<br />
und durchsetzungsfähiger getroffen werden.<br />
Typisch erscheint im Übrigen auch hier das Gewicht personaler,<br />
strukturell wenig geklärter Leitungsdimensionen: <strong>Die</strong><br />
Funktionsfähigkeit des ephoralen „Küchenkabinetts“ hängt<br />
auf der einen Seite in hohem Maße davon ab, dass die<br />
Beteiligten „miteinander können“ – was diejenigen, die nicht<br />
beteiligt sind, mit nochmals erhöhter Wirksamkeit ausschließt.<br />
Andererseits <strong>ist</strong> dieses personale Element jedoch nur sekundär<br />
legitimiert:<br />
<strong>Die</strong> Mitgliedschaft im ephoralen Küchenkabinett setzt eine<br />
Leitungsfunktion in anderen Zusammenhängen, etwa im Verwaltungsamt<br />
oder im Pfarrkonvent, immer schon voraus. Der<br />
„koronalen“ Leitungsstruktur eignet ein höchst ambivalentes,<br />
geradezu parasitäres Verhältnis zur innerkirchlichen Repräsentationskultur:<br />
Sie setzt bei dieser Repräsentation an, um sie<br />
dann doch an entscheidender Stelle außer Kraft zu setzen.<br />
III. Veränderungen im ephoralen Amt als Ausdruck sozialer<br />
und ge<strong>ist</strong>licher Differenzierung<br />
Ein wenig durchsichtiger wird der skizzierte Strukturwandel<br />
im ephoralen Amt, wenn man ihn als Ausdruck gegenwärtig<br />
rasch zunehmender Differenzierung in verschiedenen Dimensionen<br />
begreift.<br />
68
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
1. Das ephorale Amt auf der Ebene des Kirchenkreises bzw.<br />
des Dekanats <strong>ist</strong> als mediale Instanz zweier elementarer<br />
Sozialformen kirchlichen Lebens entstanden. Seit jeher hat die<br />
Superintendentin zu vermitteln zwischen der landeskirchlichen<br />
Leitung und Verwaltung einerseits und der Parochie,<br />
der Ortsgemeinde andererseits. Je komplexer beiderseits die<br />
organisatorischen und positionalen Verhältnisse werden, je<br />
pluraler, auch inhaltlich pluraler sich das kirchliche Leben darstellt,<br />
desto mehr steigen die Ansprüche an diese gleichsam<br />
vertikal vermittelnde Instanz.<br />
Dabei können näherhin spezifisch kirchliche und allgemein<br />
gesellschaftliche Aspekte dieser Ebenendifferenzierung unterschieden<br />
werden. In kirchlicher Hinsicht <strong>ist</strong> wahrzunehmen,<br />
dass die zunehmende Komplexität der Verhältnisse zu einer<br />
Schwächung der zentralen Verwaltungsbehörde geführt hat:<br />
Viele Entscheidungen stellenplanerischer und auch finanzieller<br />
Natur sind auf die Ebene der Kirchenkreise verlagert worden.<br />
<strong>Die</strong> Folge beschreibt der hannoversche Landessuperintendent<br />
Arend de Vries: „Wenn ich einige Jahre zurückschaue, dann<br />
[war] das Landeskirchenamt [...] Zielscheibe vielfacher Kritik.<br />
[...] Jetzt – das <strong>ist</strong> meine Wahrnehmung – <strong>ist</strong> kaum noch Kritik<br />
am Landeskirchenamt in Gemeinden wahrnehmbar, aber<br />
massivste Kritik an Superintendenten und Superintendentinnen.“<br />
22 Allerdings sind auch die Ortsgemeinden oft weder<br />
personell noch strukturell in der Lage, eigene Entscheidungszentren<br />
darzustellen – auch damit erhöht sich der Problemdruck<br />
am Ort der Vermittlung.<br />
In gesellschaftstheoretischer Perspektive erscheint diese<br />
Entwicklung typisch für moderne sozialstrukturelle Entwicklungen,<br />
wie sie Niklas Luhmann beschrieben hat. <strong>Die</strong> funktionale<br />
Differenzierung der modernen Gesellschaft insgesamt<br />
hat, Luhmann zufolge, den Systemtyp der Organisation stark<br />
gemacht, der eine zielorientierte Selbststeuerung sozialer<br />
Prozesse jenseits der face-to-face-Kommunikation allererst<br />
69
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
ermöglicht. In analoger Weise <strong>ist</strong> innerhalb großer Organisationen<br />
das Einziehen von Zwischenebenen zu beobachten,<br />
die ihrerseits Zielsteuerung jenseits der sozialen Basisvollzüge<br />
ermöglichen, und zugleich die Gesamtorganisation dort entlasten,<br />
wo keine zentrale Steuerung mehr sinnvoll erscheint.<br />
Eine solche Zwischenebene scheint auch der Kirchenkreis<br />
darzustellen, der darum nicht zufällig an strukturellem, auch<br />
admin<strong>ist</strong>rativem Gewicht in der Kirche gewonnen hat (s.o.<br />
II.1.) – mit den skizzierten Folgen für die mediatorischen<br />
Aufgaben der Ephorin selbst.<br />
2. Gesellschaftsstrukturelle Differenzierungsprozesse lassen<br />
sich auch gleichsam horizontal wahrnehmen. Das betrifft<br />
nationalstaatliche Zusammenhänge, die sich immer mehr in<br />
regionale Unterscheidungen hinein relativieren; umgekehrt<br />
werden auch die kommunalen Strukturen vor Ort durch die<br />
Stärkung von Regionen relativiert oder doch massiv affiziert.<br />
Wird schon auf diese Weise die regionale Ebene kirchlicher<br />
Organisation, also eben der Kirchenkreis, aufgewertet, so<br />
geschieht das erst recht durch die moderngesellschaftliche<br />
Differenzierung individueller Lebensweisen, also die zunehmende<br />
geographische, soziale, berufliche und auch weltanschauliche<br />
Mobilität der Einzelnen.<br />
Auch diese Entwicklung differenziert nicht nur, sondern steigert<br />
auch die Erwartungen der Einzelnen an das kirchliche<br />
Handeln, das nun nicht allein auf örtlicher, sondern auch auf<br />
regionaler Ebene erkennbar – und wiedererkennbar sein muss.<br />
Es <strong>ist</strong> wiederum vor allem der Kirchenkreis, auf dem übergemeindliche<br />
<strong>Die</strong>nste der Bildung, der Diakonie und auch der<br />
Mission zume<strong>ist</strong> angesiedelt sind, und es <strong>ist</strong> wiederum die<br />
Superintendentin, die diese <strong>Die</strong>nste zu koordinieren und<br />
anzuleiten hat.<br />
Dazu kommt, dass die horizontale Differenzierung der<br />
Lebensverhältnisse, ihre Verflüssigung und Individualisierung<br />
auch die Kirche selbst betrifft. Auch und gerade Pastorinnen<br />
und andere kirchliche Mitarbeiter leben und arbeiten in immer<br />
70
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
unterschiedlicheren Lebensverhältnissen; und dies gilt ebenso<br />
für die einzelnen Ortsgemeinden, die regionale Tradition und<br />
aktuelle Situation ganz unterschiedlich verbinden. Auch hier<br />
<strong>ist</strong> es vornehmlich die regionale Mittelinstanz der Ephorien,<br />
auf der diese sozialen und inhaltlichen Differenzen zum<br />
Austrag – und eben auch zur Vermittlung kommen müssen.<br />
3. Auch ein dritter Differenzierungsprozess, der das ephorale<br />
Amt betrifft, <strong>ist</strong> durch soziologische Reflexion erkennbar.<br />
Erscheint die moderne Gesellschaft insgesamt durch funktionale<br />
Differenzierung gekennzeichnet, also durch das<br />
Auseinandertreten verschiedener Le<strong>ist</strong>ungszusammenhänge<br />
mit je unterschiedlichen Kommunikationsmustern und Leitmedien,<br />
so gehört dazu auch das Auseinandertreten von<br />
kirchlicher Welt und anderen gesellschaftlichen Vollzügen –<br />
das <strong>ist</strong> in den letzten Jahrzehnten mannigfach beschrieben<br />
worden. Für die Ebene des Kirchenkreises <strong>ist</strong> nun bedeutsam,<br />
dass das Funktionssystem der Religion in der modernen<br />
Gesellschaft eine eigentümlich doppelte Orientierung besitzt.<br />
Auf der einen Seite bildet auch die Religion zunehmend einen<br />
eigenen Sektor sozialen Lebens, mit eigenen, eben den kirchlichen<br />
Organisations- und den ihnen eigenen Kommunikationsformen.<br />
Auf der anderen Seite muss die Religion<br />
jedoch, und zwar aus inhaltlichen Gründen, auch weiterhin<br />
einen gesamtgesellschaftlichen Kommunikationsradius beanspruchen<br />
– geht es doch in der (jüdisch-chr<strong>ist</strong>lichen) Religion<br />
stets auch um das Ganze der sozialen Welt.<br />
Auf der Zwischenebene des Kirchenkreises erscheinen auch<br />
diese beiden Aspekte verbunden. Auf der einen Seite repräsentiert<br />
der Kirchenkreis die eigentümlich kirchliche Welt –<br />
und zwar eben nicht nur vor Ort, sondern in einer größeren,<br />
überlokalen Öffentlichkeit. Auch jenseits der Ortsgemeinde<br />
erscheinen spezifisch kirchliche Kommunikationszusammenhänge<br />
dadurch zugänglich für Einzelne, für Gruppen wie für<br />
andere soziale Organisationen. – Auf der anderen Seite will<br />
Kirche in die allgemeine, die öffentliche Kommunikation hinein<br />
wirken – und diese organisations- oder auch milieuüber-<br />
71
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
schreitende Wirksamkeit wird von der (deutschen) Gesellschaft<br />
auch nach wie vor erwartet und nachgefragt. So gerät<br />
die Superintendentin immer wieder in die Lage, einerseits<br />
Kirche als eigene Welt darstellen und zusammenhalten zu sollen<br />
– und andererseits diese kirchliche Welt dezidiert zu überschreiten,<br />
um die Anliegen der chr<strong>ist</strong>lichen Religion in einer<br />
regionalen Öffentlichkeit darzustellen. <strong>Die</strong>se doppelte<br />
Kommunikationsaufgabe hat in der Gegenwart jede Pastorin<br />
und jeder Pastor zu bestehen – auf der Ebene der Region, auf<br />
der die soziale Umwelt der Ortsgemeinde die Ge<strong>ist</strong>lichen<br />
kaum mehr abzustützen vermag, erscheint diese Aufgabe aber<br />
besonders prekär.<br />
4. In soziologischer Sicht, so lässt sich resümieren, erscheint<br />
der Kirchenkreis als eine besonders moderne kirchliche<br />
Organisationsform: <strong>Die</strong> vieldimensionalen Differenzierungsprozesse<br />
der gegenwärtigen Gesellschaft werden hier, in ihren<br />
Auswirkungen auf die Kirche, besonders deutlich sichtbar.<br />
Und in einer vor allem mittels Personen handelnden Kirche<br />
kommt der Superintendentin dabei eine besonders hervorgehobene<br />
und auch besonders belastende mediale Funktion zu.<br />
Zu diesen gesellschaftlich induzierten Aspekten treten nun<br />
zwei spezifisch kirchliche Differenzierungsprozesse. Hier <strong>ist</strong><br />
zunächst das Beieinander zweier Kohäsionsmedien zu nennen,<br />
die kirchliche Organisation seit ihrem Beginn prägen:<br />
Kirche <strong>ist</strong> zum Einen immer ge<strong>ist</strong>liche Gemeinschaft, und<br />
darum eine Gemeinschaft, die auf personaler Kommunikation<br />
beruht. Auf der anderen Seite <strong>ist</strong> sie eine weltliche<br />
Organisation, die – jedenfalls in ihrer großkirchlichen Form –<br />
durch das Medium des Rechts und andere überpersönliche<br />
Kommunikationsformen zusammengehalten wird.<br />
Auf der Ebene des Kirchenkreises, in der Person der Superintendentin,<br />
kommt diese Spannung gegenwärtig mindestens<br />
an zwei Stellen zum Austrag. Einmal überschneiden sich im<br />
ephoralen Amt, stärker noch als bei der Ortspastorin, ge<strong>ist</strong>liche<br />
und weltliche Leitungsformen. <strong>Die</strong>se Spannung wird<br />
innerkirchlich diskutiert unter dem Rubrum „Seelsorge vs.<br />
72
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
<strong>Die</strong>nstaufsicht“. Gerade die Rolle des Superintendenten <strong>ist</strong><br />
dadurch gekennzeichnet, dass er sowohl „pastor pastorum“<br />
sein soll als auch faktisch <strong>Die</strong>nstvorgesetzter <strong>ist</strong>, bei dem<br />
Urlaub und Fortbildung anzumelden und mit dem auch<br />
dienstliche Konflikte zu besprechen sind.<br />
Zum Anderen wird die Spannung von ge<strong>ist</strong>licher und weltlicher<br />
Leitung sichtbar in den Personengruppen, die die<br />
Superintendentin zu leiten hat. Während die Pastoren, allen<br />
Kirchenverfassungen zufolge, im Kern ihrer Amtsführung<br />
unabhängig und daher dienstrechtlicher Anordnung nur sehr<br />
begrenzt unterworfen sind, gilt dies für die anderen Mitarbeiterinnen<br />
in Gemeinde und Kirchenkreis nicht. Damit ergibt<br />
sich ein Ineinander zweier Formen ephoraler Personalführung,<br />
das im Einzelfall oft ausgesprochen schwer zu klären <strong>ist</strong>.<br />
– Gerade hier scheint es – auch im Sinne einer Seelsorge an<br />
den Ephoren selbst – wichtig, sich klarzumachen, dass diese<br />
Spannungen struktureller Art sind, und mehr noch: dass sie<br />
mit der ge<strong>ist</strong>lich geprägten Grundverfassung der kirchlichen<br />
Organisation zusammenhängen.<br />
5. Gegenwärtig wird schließlich auch eine weitere Polarität<br />
kirchlicher Leitung intensiv diskutiert, vor allem im Blick auf<br />
die immer wieder eingeforderte „ge<strong>ist</strong>liche Leitung“. Bei diesem<br />
– vor allem Klärungsbedarf anzeigenden – Begriff sind<br />
wiederum personale und synodale Aspekte zu unterscheiden,<br />
und wiederum <strong>ist</strong> es die Superintendentin, in deren Rolle sich<br />
diese Aspekte in besonderem Maße konzentrieren und überlagern.<br />
„Ge<strong>ist</strong>liche Leitung“ wird als Aufgabe vor allem Personen<br />
zugeschrieben, eben den Pastoren auf allen Ebenen kirchlicher<br />
Organisation. An wen aber richtet sich diese Leitung?<br />
Sind es wiederum nur Personen, die „ge<strong>ist</strong>lich“ zu begleiten,<br />
zu beraten, zu orientieren sind? Gerade die Superintendentin<br />
<strong>ist</strong> doch mit der Erwartung konfrontiert, auch über das persönliche<br />
Gespräch hinaus „ge<strong>ist</strong>lich zu leiten“ – in der Leitung<br />
von Gremien und Synoden, und nicht zuletzt in den öffent-<br />
73
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
lichen Worten und Auftritten, die zu ihrem Amt gehören. Wie<br />
sich personale, synodale und öffentliche Aspekte „ge<strong>ist</strong>licher<br />
Leitung“ verhalten, bedarf aber noch allerhand weiterer<br />
Klärung.<br />
Dazu kommt, dass nach lutherischer Auffassung nicht nur<br />
Einzelnen, sondern wesentlich auch der Gemeinde die<br />
Aufgabe ge<strong>ist</strong>licher Leitung zukommt: <strong>Die</strong> Beurteilung der<br />
Lehre <strong>ist</strong> hier zu nennen, und dazu die Praxis von Synoden,<br />
ihrerseits „ge<strong>ist</strong>liche Worte“ an die (kirchliche und nichtkirchliche)<br />
Öffentlichkeit zu richten. Auch und gerade die synodale<br />
Wahl kirchenleitender Personen kann als Ausübung<br />
„ge<strong>ist</strong>licher Leitung“ verstanden werden – das <strong>ist</strong> hinsichtlich<br />
der Bischöfin inzwischen selbstverständlich, im Blick auf das<br />
Amt des Superintendenten allerdings noch im Fluss. <strong>Die</strong><br />
hannoversche Synodaldebatte zu einem Wahlgesetz für jenes<br />
Amt hat eine Fülle pragmatischer Argumente für und wider<br />
die synodale Wahl versammelt – sie hat aber auch gezeigt, wie<br />
sehr hier wiederum ge<strong>ist</strong>liche Fragen berührt sind: Woher<br />
empfängt die Superintendentin ihre öffentliche Autorität und<br />
ihre persönliche Gewissheit für dieses Amt?<br />
IV. Modellvorstellungen des ephoralen Amtes<br />
Der Strukturwandel des ephoralen Amtes, so lässt sich zusammenfassen,<br />
kann als Ausdruck allgemein gesellschaftlicher<br />
Differenzierung und der – davon angestoßenen – kirchlichorganisatorischen<br />
Entwicklung gesehen werden. Zugleich<br />
wird die prekäre Stellung der Ephoren, als medialer Instanzen,<br />
jedoch durch eigentümliche, ge<strong>ist</strong>lich-theologisch zu beschreibende<br />
Prozesse verstärkt: Weil die Sache der Kirche sich<br />
wesentlich durch Personen vermittelt, darum <strong>ist</strong> vor allem das<br />
ephorale Amt von den Differenzierungsprozessen außer- und<br />
innerhalb der Kirche betroffen. <strong>Die</strong> Modernisierung der<br />
kirchlichen Organisation vollzieht sich weniger über strukturelle,<br />
admin<strong>ist</strong>rative Veränderungen, sondern durch die Veränderung<br />
von Personen: durch ihre Professionalisierung 23 . In<br />
74
einem letzten Abschnitt sollen daher nun verschiedene<br />
Modelle des ephoralen Amtes vorgestellt und diskutiert werden,<br />
die dessen professionelle (Selbst-)Reflexion angesichts<br />
des Strukturwandels in letzter Zeit geprägt haben – oder prägen<br />
könnten.<br />
Dabei spreche ich ausdrücklich von Modellen des Amtes:<br />
Modelle reduzieren die komplexe Realität, sie vergröbern und<br />
überzeichnen sie, um bestimmte Aspekte deutlicher zu<br />
machen, genauer: um die Wahrnehmung – und dann auch das<br />
Handeln der Verantwortlichen – zu orientieren. Daher frage<br />
ich bei jedem Modell auch danach, welche der oben skizzierten<br />
Differenzen (III) besonders im Blick sind, und welche<br />
Leitungsmedien oder -formen (s.o. II) jeweils akzentuiert werden.<br />
Auf diese Weise ergibt sich jeweils ein – grob skizziertes,<br />
aber vielleicht doch anregendes – Bild der pastoralen Praxis einer<br />
Superintendentin.<br />
1. „Regionalbischof“<br />
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
Klassisch <strong>ist</strong> zunächst ein dezidiert episkopales Verständnis<br />
des Amtes der Superintendentin. Sie repräsentiert, nach innen<br />
wie nach außen, das – institutionelle wie ge<strong>ist</strong>liche – Ganze<br />
der Kirche in einer Region und für eine Region. Das gilt für<br />
die öffentliche Präsenz der Kirche, die dann in den regionalen<br />
Medien wie gegenüber den verschiedenen Gruppen und Institutionen<br />
wesentlich durch den Superintendenten wahrgenommen<br />
wird. Und diese Repräsentation des kirchlichen Ganzen<br />
vollzieht der Ephorus auch nach innen: <strong>Die</strong> Visitation vollzieht<br />
sich dann vor allem als ein Pastoralbesuch der Gemeinde, mit<br />
der sie eine öffentliche, genauer: eine gesamtkirchliche Würdigung<br />
ihres Daseins und ihrer Arbeit erhält. Ähnlich <strong>ist</strong> die<br />
Aufgabe des kreiskirchlichen „Regionalbischofs“ gegenüber<br />
seinen Pastorinnen zu beschreiben: Er übernimmt die Aufgabe<br />
des „pastor pastorum“; und anlässlich der Amtseinführung<br />
aktualisiert er die Ordination der Einzelnen, agiert ihnen<br />
gegenüber also wiederum als Repräsentant der Gesamtkirche.<br />
Wenn das ephorale Amt derartig episkopal, also mit Blick auf<br />
75
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
die Differenzen von Ganzem und Einzelnem, und von Kirche<br />
und Gesellschaft verstanden wird, welche Medien der Leitung<br />
treten dann in den Vordergrund? Akzentuiert wird zunächst<br />
das Medium des (ge<strong>ist</strong>lichen) Wortes, mit dem der Superintendent<br />
das Ganze der Kirche öffentlich repräsentiert. In<br />
diesem Sinne erscheint er als Pfarrer, als ge<strong>ist</strong>licher Leiter der<br />
Kirche in der Region. Eine eigene Ortsgemeinde <strong>ist</strong> für seine<br />
Funktion demnach nicht konstitutiv, denn sein Gegenüber <strong>ist</strong><br />
eben die Gesamtheit der kirchlichen wie der weltlichen<br />
Öffentlichkeit dieser Region.<br />
<strong>Die</strong> Analogie zum Bischof tritt auch dort zutage, wo dem<br />
Superintendenten eine relativ starke kirchliche Behörde an die<br />
Seite gestellt wird. Er <strong>ist</strong> darum zunächst weniger mit dem<br />
Tagesgeschäft der Verwaltung und der <strong>Die</strong>nstaufsicht befasst,<br />
sondern kann sich auf das episkopale Medium des Wortes<br />
konzentrieren. Gleichwohl – oder gerade darum – <strong>ist</strong> die<br />
Autorität des „Regionalbischofs“ keineswegs eine rein ge<strong>ist</strong>liche.<br />
Im Unterschied etwa zum Propst oder zum Landessuperintendenten,<br />
aber auch zur Bischöfin, repräsentiert er –<br />
gegenüber den Gemeinden wie den Pastorinnen – eben auch<br />
die institutionelle Macht der Kirche im Ganzen; seine<br />
Autorität <strong>ist</strong> durchaus auch eine admin<strong>ist</strong>rative. In dieser<br />
Verbindung von ge<strong>ist</strong>licher und weltlicher Macht liegt die<br />
eigentümliche Stärke, aber auch die Gefahr einer dezidiert<br />
episkopalen Auffassung des ephoralen Amtes.<br />
2. „Kirchenkreis-Manager“<br />
Ein ganz anderes Bild des Amtes zeichnen die Reformpapiere<br />
aus dem Kirchenkreis Celle, die – in einer Überarbeitung von<br />
1997 – in der hannoverschen Landeskirche kirchenamtlich<br />
verbreitet worden sind 24 . Sie zielen darauf, die „Kontaktmöglichkeiten“<br />
der Superintendentin im Kirchenkreis „zu<br />
intensivieren [und] auf diese Weise Aktivitäten, Akzente und<br />
Strömungen in den Kirchengemeinden und Einrichtungen, in<br />
den Kirchenvorständen, in der Pfarrerschaft und in der Mitarbeiterschaft<br />
wahrzunehmen, sie gegebenenfalls aufzu-<br />
76
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
nehmen und in geeigneter Weise zu bearbeiten. Voraussetzung<br />
dafür <strong>ist</strong> die Fähigkeit zur Delegation, zur Kooperation und<br />
zur [...] Integration von Partikularinteressen in ein Gesamtprofil<br />
des Kirchenkreises.“ (a.a.O. 36).<br />
Im Einzelnen empfiehlt die Celler Gruppe jährliche Besuche<br />
des Superintendenten bei allen Pastorinnen und Pastoren des<br />
Kirchenkreises – bei Kandidatinnen des Predigtamtes oder<br />
neu Eingeführten sogar zweimal jährlich. Bei diesen Besuchen<br />
soll sich nicht nur „Kontaktpflege“, sondern auch „kollegiale<br />
Beratung“ und eine „Erörterung der Jahresplanung“ (36f)<br />
vollziehen – das Verfahren der Jahresgespräche wird hier vorweg<br />
genommen. Auch die Kirchenvorstände sollen regelmäßig<br />
besucht werden, in Sitzungen wie auch als Personen.<br />
Dem Superintendenten sind darüber hinaus „die von den jeweiligen<br />
Kirchenvorständen jährlich ausgearbeiteten Jahresplanungen<br />
samt Zielvorgaben zur Kenntnisnahme vorzulegen“.<br />
Er soll diese Planungen vergleichen und versuchen, „daraus<br />
Zielvorgaben für die Arbeit des Kirchenkreises zu entwickeln“<br />
(37). Im Blick auf die Aufgabe, „das kirchliche Leben<br />
anzuregen und zu fördern“ (KKO), wird festgestellt:<br />
„Auf Grund seiner regelmäßigen Kontaktgespräche mit den<br />
Pastoren und Pastorinnen der Gemeinden <strong>ist</strong> der Superintendent<br />
[...] sensibilisiert für [...] Entwicklungen und Problemstellungen,<br />
die zur Zeit ,dran’ sind. <strong>Die</strong>se Informationen<br />
setzt er bzw. sie um, indem er bzw. sie Impulse gibt [...]“ (38).<br />
Was bei diesen Vorschlägen auffällt, <strong>ist</strong> der hohe Grad an<br />
Formalisierung und vor allem Rhythmisierung der ephoralen<br />
Arbeit. Auf diese Weise soll nicht nur ein dichtes Kommunikationsnetz<br />
im Kirchenkreis geschaffen werden, sondern dieses<br />
Netz dient einem ausgesprochen planmäßigen, ja mehr<br />
noch: zielorientierten Handeln der Superintendentin. Ihre<br />
Aufgabe <strong>ist</strong> es, die Arbeit der Pastorinnen und der Gemeinden,<br />
auch der funktionalen <strong>Die</strong>nste des Kirchenkreises<br />
so zu vernetzen, dass eine gemeinsame „Zielvorgabe“ möglich<br />
wird.<br />
77
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
<strong>Die</strong>se Beschreibung des ephoralen Amtes erinnert, bis in einzelne<br />
sprachliche Züge hinein, an gängige Beschreibungen der<br />
Tätigkeit eines Unternehmers, oder genauer: eines leitenden<br />
Angestellten in einem Betrieb, also eines Managers 25 . Seine<br />
Aufgabe besteht, allgemein gesprochen, in der zielorientierten<br />
Führung eines Betriebes, und zwar dadurch, dass er einzelne<br />
Arbeitsabläufe sowohl differenziert, also Spezialisierung voran<br />
treibt als auch – eben zielorientiert – koordiniert. <strong>Die</strong>se Zielorientierung<br />
wird klassisch mit dem Fünfschritt „Information<br />
– Planung – Entscheidung – Durchführung (durch Delegation)<br />
– Controlling“ beschrieben – ein ähnliches Vorstellungsschema<br />
lässt sich unschwer in den Celler Formulierungen<br />
erkennen.<br />
<strong>Die</strong> Arbeit eines Managers kann auch durch die Differenzierung<br />
seiner Rollen beschrieben werden, wie das – wiederum<br />
klassisch – Harold Mintzberg getan hat 26 . Auch hier gibt<br />
es verblüffende Parallelen zu der Celler Skizze des ephoralen<br />
Amtes, wenn Mintzberg interpersonale Rollen (hier geht es<br />
um Kontakte innerhalb und außerhalb der Organisation),<br />
informationelle Rollen (Beobachtung, Sammlung und Verteilung<br />
von Information) und Entscheidungsrollen (darunter<br />
Zuordnung von Ressourcen, Bearbeitung von Störungen,<br />
Initiierung von Innovation) unterscheidet und – im Einzelnen<br />
höchst aufschlussreich – beschreibt. Auch die Kontaktpflege<br />
zu Institutionen außerhalb der Kirche, oder die hohe Relevanz<br />
der Aufgabe, Konflikte zu regeln, lassen den Superintendenten<br />
des Celler Zuschnitts als einen Manager des Kirchenkreises<br />
erscheinen.<br />
Hier tritt der ephorale Bezug auf ein institutionell übergeordnetes,<br />
gesamtkirchliches Ganzes zurück hinter der Frage, wie<br />
die Arbeit im Kirchenkreis zu vernetzen und zu koordinieren,<br />
auch sinnvoll zu delegieren <strong>ist</strong>. <strong>Die</strong> strukturellen Differenzen,<br />
auf die sich die Aufgabe des Superintendenten vornehmlich<br />
bezieht, sind demnach die zwischen verschiedenen Einheiten<br />
(Gemeinden) und Ebenen der kirchlichen Organisation. Das<br />
Medium ephoraler Leitung <strong>ist</strong> dann weniger das öffentliche,<br />
78
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
ge<strong>ist</strong>liche Wort als vielmehr das planende Gespräch, die anregende<br />
Initiative in einer Gruppe, die systematische Vernetzung<br />
von Kommunikationszusammenhängen. Der Superintendent<br />
verkündigt nicht und er gibt auch weniger ge<strong>ist</strong>lichen<br />
Rat, sondern er bildet einprägsame Muster, Konstellationen,<br />
er prägt einen bestimmten Stil kollegialer und<br />
ephoraler Kommunikation. <strong>Die</strong>ser Stil der Vernetzung <strong>ist</strong>,<br />
auch dies gehört zum Management des Kirchenkreises, orientiert<br />
an der Erarbeitung und Erreichung gemeinsamer Ziele.<br />
Auch in dieser Sicht <strong>ist</strong> die Superintendentin demnach durchaus<br />
zuständig für ein übergeordnetes kirchliches Ganzes. Aber<br />
dieses Ganze liegt der ephoralen Arbeit nicht immer schon<br />
voraus, und es <strong>ist</strong> auch nicht institutionell, landeskirchlich zu<br />
verorten, sondern – wenn es denn um gemeinsames Planen<br />
geht – dieses kirchliche Ganze steht immer noch aus: Es<br />
besteht in einer Kirche, in einem Kirchenkreis der Zukunft.<br />
3. „Ephoraltheologin“<br />
Ein weiteres, nochmals recht andere Akzente setzendes<br />
Modell finde ich in einigen Passagen der einschlägigen Ausarbeitung<br />
des hannoverschen ge<strong>ist</strong>lichen Vizepräsidenten<br />
Martin Schindehütte von 2004 27 . Schindehütte versteht das<br />
Amt der Superintendentin als ein „besonderes Pfarramt“: Der<br />
jedem Pfarramt eigene Auftrag der Verkündigung, der<br />
Seelsorge und auch der Admin<strong>ist</strong>ration wird hier vor allem als<br />
„Aufsicht“ über die Gemeinden und Pastorinnen eines<br />
Kirchenkreises wahrgenommen (a.a.O. 1). „Aufsicht“ wird im<br />
Folgenden nicht zuletzt als – vornehmlich theologische und<br />
„ge<strong>ist</strong>liche“ – Begleitung der im Kirchenkreis arbeitenden<br />
Personen verstanden (vgl. a.a.O. 1, 4):<br />
„Das Amt <strong>ist</strong> ja gerade darauf angelegt, die Mitarbeitenden<br />
auch auf der Ebene des Kirchenkreises durch Verkündigung<br />
des Evangeliums, Seelsorge, theologische Arbeit und geschw<strong>ist</strong>erlichen<br />
fachlichen (und damit auch theologischen) Rat<br />
ge<strong>ist</strong>lich zu begleiten. <strong>Die</strong>se ge<strong>ist</strong>liche Leitung geschieht in<br />
Gottesdienst, Gebet, Arbeit mit der Bibel [...]. Ge<strong>ist</strong>liche<br />
79
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
Leitung <strong>ist</strong> aber auch eine Dimension in den alltäglichen<br />
Arbeitsbeziehungen, in den nicht selten konflikthaften<br />
Beratungen und in den Dilemmata, in die auch kirchliche<br />
Arbeit immer wieder gerät [...]. <strong>Die</strong> spirituelle Dimension auf<br />
den verschiedenen Ebenen und Dimensionen kirchlichen<br />
Handelns und in seinen Alltagsbezügen im Kirchenkreis zu<br />
erinnern, zu wecken [...] und zu gestalten <strong>ist</strong> eine, wenn nicht<br />
die zentrale pastorale Aufgabe des Superintendenten und der<br />
Superintendentin.“ (a.a.O. 4f).<br />
<strong>Die</strong> „pastorale Aufgabe“, und damit die konstitutive<br />
Dimension des ephoralen Amtes, wird von Schindehütte energisch<br />
auf der Ebene des Kirchenkreises – und nur sekundär in<br />
einer eigenen „Supturgemeinde“ (a.a.O. 3f) – verortet; darin<br />
sehe ich eine bedeutsame Pointe seiner Ausarbeitung. <strong>Die</strong>se<br />
Pointe trifft sich mit dem Versuch der Projektgruppe<br />
„Lernende Organisation Kirche“, den Kirchenkreis selbst als<br />
Gemeinde zu verstehen – und zwar ausgehend von den<br />
Erfahrungen der Menschen, deren kirchliche Bindung sich<br />
vor allem auf dieser organisatorischen Ebene konkretisiert 28 .<br />
Dabei standen uns die Beteiligten an diakonischen oder<br />
erwachsenenbildnerischen Programmen der Kirchenkreise<br />
vor Augen, vor allem jedoch – ähnlich wie Schindehütte – die<br />
auf dieser Ebene Mitarbeitenden. Das sind die in den diakonischen<br />
und anderen Werken des Kirchenkreises Beschäftigten;<br />
es sind die Mitarbeiterinnen in Verwaltungsämtern und<br />
anderen Stabstellen der ephoralen Leitung; es sind aber nicht<br />
zuletzt auch die Ehrenamtlichen, die in Kirchenkre<strong>ist</strong>agen,<br />
Synodalvorständen u.ä. – oft sehr zeitraubende – Leitungstätigkeiten<br />
übernehmen. Nicht selten wurde von diesen<br />
Menschen formuliert, ihr Kontakt zur Kirche vollziehe sich<br />
kaum noch über die örtliche Gemeinde, sondern eben über<br />
ihre Arbeit, ihr Engagement in der Region, im Kirchenkreis.<br />
<strong>Die</strong> Projektgruppe resümierte: „Der Kirchenkreis <strong>ist</strong> Gemeinde<br />
im Sinne eines Bestätigungs- und Vergewisserungsrahmens<br />
für die Pfarr- oder Kirchenkreiskonferenzen, für Mitarbeite-<br />
80
innen und Ehrenamtliche. Das vollzieht sich u. a. durch die<br />
Visitationen, durch gemeinschaftliche Gottesdienste, Jahresgespräche,<br />
im kollegialen Gespräch und auf Fortbildungen.“ 29<br />
Für diese Gemeinde nimmt offenbar vor allem der Superintendent<br />
eine pastorale Rolle wahr; er <strong>ist</strong> ihre primäre Bezugsperson.<br />
Insofern erscheint der Superintendent in diesem<br />
Modell als Pastor des Kirchenkreises, der seinen Auftrag eben<br />
hier durch „Verkündigung des Evangeliums, Seelsorge, theologische<br />
Arbeit und geschw<strong>ist</strong>erlichen fachlichen (und damit<br />
auch theologischen) Rat“ ausübt (Schindehütte). Dabei hebt<br />
der Vizepräsident zu Recht das eigentümliche Medium dieses<br />
regionalpastoralen <strong>Die</strong>nstes hervor: Neben Gottesdienst und<br />
Predigt in der Öffentlichkeit des Kirchenkreises, neben<br />
Seelsorge für Pastorinnen und andere Mitarbeiter <strong>ist</strong> es die<br />
theologische Arbeit, in der sich ephorale Leitung vollzieht.<br />
<strong>Die</strong>se theologische Arbeit besteht nicht zum Wenigsten darin,<br />
die ge<strong>ist</strong>liche, die spirituelle Dimension in den Alltagsbezügen<br />
der Arbeit im Kirchenkreis freizulegen, sie zu formulieren und<br />
zu stärken. Wo dies gelingt, da vollzieht sich ein wesentliches<br />
Stück Praktischer Theologie, nämlich die Analyse der kirchlichen<br />
Organisationsverhältnisse auf ihre ge<strong>ist</strong>liche Bedeutung.<br />
Und wo eine Superintendentin diese praktischtheologische<br />
– und zugleich ge<strong>ist</strong>liche – Aufgabe erfüllt, da<br />
wird sie zur Theologin des Kirchenkreises in einem spezifischen,<br />
im reflexiven Sinn – sie wird zu Ephoraltheologin.<br />
4. „Grenzmarkierer“<br />
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
Alle bisher diskutierten Modelle des ephoralen Amtes zielen<br />
auf Integration: auf die Repräsentation, die Planung oder die<br />
theologische Freilegung eines kirchlichen bzw. ge<strong>ist</strong>lichen<br />
Ganzen im Blick auf den Kirchenkreis. Nachdem ich mich<br />
lange mit systemischer Theorie beschäftigt habe 30 , reizt es<br />
mich, hier ein Alternativmodell zu skizzieren, das die ephorale<br />
Position nicht als Amt der Integration, sondern als Amt der<br />
Unterscheidung begreift. Denn ein System, auch ein soziales<br />
81
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
System, und darum auch das soziale System „Kirche“ entsteht<br />
in der Perspektive dieser Theorie durch das (beobachtende)<br />
Treffen von Unterscheidungen, durch ein – möglichst prägnantes<br />
– Grenzenziehen.<br />
Prägnante Grenzen markiert der Superintendent etwa in der<br />
vertikalen Dimension kirchlicher Organisation: Indem er<br />
kommunikativ zwischen Landeskirche und Ortsgemeinden<br />
vermittelt, hält er diese Ebenen zugleich auf Abstand, ja er<br />
schützt sie geradezu vor zuviel Interaktion: <strong>Die</strong> Gemeinden<br />
werden durch die ephorale Grenzziehung vor dem unvermittelten<br />
(!) Durchgriff der zentralen, mitunter zentral<strong>ist</strong>ischen<br />
kons<strong>ist</strong>orialen Behörde abgeschirmt – und umgekehrt<br />
wird die Landeskirche durch die strukturelle Grenze des Kirchenkreises<br />
vor einem Übermaß an parochialer Komplexität<br />
bewahrt, auch vor einem ungebremsten Kongregationalismus,<br />
wenn bereits auf der Ebene des Kirchenkreises Koordination<br />
– und eben auch Abgrenzung geschieht.<br />
Auch in der horizontalen Dimension hebt das Modell der<br />
ephoralen Grenzmarkierung bedeutsame Aspekte hervor.<br />
Markiert die Superintendentin die Unterschiede zwischen den<br />
Gemeinden – und den Arbeitsbereichen – des Kirchenkreises,<br />
so vermag sie das je eigene Profil einer Gemeinde zu stärken;<br />
sie kann eigentümliche Arbeitsformen, personale Konstellationen,<br />
auch h<strong>ist</strong>orische Konturen schützen, anstatt sie zu<br />
rasch in regionalen Kooperationen einzuebnen. <strong>Die</strong> Superintendentin<br />
wird dann zur Anwältin prägnanter Vielfalt; sie<br />
erhöht die praktischen, auch die ge<strong>ist</strong>lichen Möglichkeiten<br />
einer kirchlichen Region durch Markierung der ihr wesentlichen<br />
Differenzen. Sie eröffnet neue Perspektiven auf die<br />
Besonderheiten einzelner Orte, aber auch des Kirchenkreises<br />
im Ganzen – immer indem sie Grenzen zieht, Unterscheidungen<br />
festhält.<br />
Das ephorale Amt der Grenzziehung hat darüber hinaus auch<br />
ge<strong>ist</strong>liche Dimensionen. Gegenüber den Vorstellungen parochialer<br />
Alleinzuständigkeit und pastoraler Allmacht kann die<br />
82
Theologin auf der Ebene des Kirchenkreises die Grenze aller<br />
ge<strong>ist</strong>lichen Machtansprüche nicht nur inhaltlich, sondern auch<br />
institutionell markieren: <strong>Die</strong> Superintendentin steht als<br />
Amtsperson – gegenüber ihren Amtsgeschw<strong>ist</strong>ern, aber auch<br />
gegenüber den Ortsgemeinden – dafür ein, dass die Arbeit<br />
eines Pastors zu begrenzen <strong>ist</strong>: durch Fortbildungspflichten,<br />
durch den Anspruch auf Urlaub, im Grenzfall (!) auch durch<br />
Versetzung. Und sie steht hinsichtlich der Gemeinden dafür<br />
ein, dass es immer noch andere Realisierungen des Glaubens<br />
gibt als in dieser oder jener und als überhaupt in einer<br />
Ortsgemeinde.<br />
Man wird diese Aufgabe der Grenzziehung gerade im Bereich<br />
der Seelsorge an Seelsorgerinnen und Seelsorgern nicht überschätzen<br />
können. Es gehört zu den zentralen Aspekten der<br />
ephoralen „Aufsicht“, die ihr anvertrauten Pastorinnen an die<br />
elementaren Unterscheidungen zwischen Ge<strong>ist</strong> und –<br />
anspruchsvollem – Leib, zwischen Werk und Person, zwischen<br />
Pflicht und Freiheit des Glaubens zu erinnern, und nicht<br />
zuletzt an die Grunddifferenz zwischen rechtlicher und ge<strong>ist</strong>licher<br />
Verbindlichkeit, der Verbindlichkeit der (ihrerseits endlichen)<br />
Freiheit.<br />
<strong>Die</strong> Medien, in denen sich diese Grenzmarkierung vollzieht,<br />
sind keine anderen als die bisher bedachten: Auch die<br />
Unterscheidung vollzieht sich im ge<strong>ist</strong>lichen Wort, sei es in der<br />
Öffentlichkeit, sei es in der Situation des Gesprächs; und sie<br />
vollzieht sich – darin und darunter – im Medium der theologischen<br />
Reflexion. Auch und gerade als Grenzmarkierer wird<br />
der Superintendent ein guter Theologe sein müssen.<br />
5. „Zirkusdirektorin“<br />
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
Am Schluss des Durchgangs durch verschiedene, modellhafte<br />
Perspektiven auf das ephorale Amt der Gegenwart mag ein<br />
Versuch stehen, diese Aufgabe etwas spielerischer, und vielleicht<br />
gerade dadurch auch ernsthaft anregend zu beschreiben.<br />
<strong>Die</strong> Nähe des Pfarrberufs zum Clown einerseits, zum Schau-<br />
83
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
spieler andererseits <strong>ist</strong> in den letzten Jahrzehnten immer wieder<br />
markiert worden. Besteht die Aufgabe der Superintendentin<br />
nicht zum wenigsten darin, den ihr anvertrauten<br />
Pastoren zu einer fruchtbaren Gemeinschaft der pastoralen<br />
Arbeit zu verhelfen, dann könnte man die Superintendentin<br />
als Regisseurin der pastoralen Akteure, oder als Intendantin<br />
des kirchlichen Schauspieltheaters begreifen: als Inhaberin<br />
derjenigen Rolle, die die einzelnen Schauspieler zu einem<br />
Ensemble zusammenführt und die dabei doch deren je eigenständige,<br />
künstlerische Fähigkeiten bewahrt und stärkt. Dass<br />
hier unterschiedliche Szenen, Bühnenbilder, überhaupt Stücke<br />
zu inszenieren sind, kann auf die ephorale Arbeit ohne Mühe<br />
übertragen werden. Auch die Nötigung, die einzelnen (pastoralen,<br />
aber auch andere berufstätige wie ehrenamtliche) Akteure<br />
auf die verschiedenen, auch spannungsvollen<br />
Erwartungen unterschiedlicher Gruppen im Publikum hinzuweisen,<br />
verbindet weltlichen Regisseur und kirchliche<br />
Ephoren.<br />
<strong>Die</strong> Zirkusdirektorin unterscheidet sich von der Regisseurin in<br />
mindestens dreierlei Hinsichten, die für die Analogie zur<br />
Superintendentin bedeutsam sind. Zum Einen agiert sie auch<br />
selbst auf der Bühne; sie <strong>ist</strong> während der Zirkusvorstellung<br />
sichtbar und präsent. Sie lenkt hier die Aufmerksamkeit auf<br />
bestimmte Personen und Szenen, akzentuiert Übergänge<br />
(Einführungen!), arbeitet eigentümliche Muster heraus. Auch<br />
verbindet sie hier, im Zirkus, durch ihre Person sehr unterschiedliche<br />
Art<strong>ist</strong>engruppen: Clowns und Dompteure, Hochseilart<strong>ist</strong>en<br />
und Dressurspezial<strong>ist</strong>en. Nicht immer <strong>ist</strong> die<br />
entsprechende Konstellationsarbeit der Superintendentin für<br />
die Beteiligten in den Gemeinden, auch für ihr Publikum so<br />
deutlich sichtbar, aber auf die Dauer vermag die Superintendentin<br />
den einzelnen Amtsträgern durchaus eine Bühne zu<br />
verschaffen – oder sie im Dunkeln zu lassen.<br />
Eine zweite, ephoral bedeutsame Differenz der Zirkusdirektorin<br />
zur Regisseurin betrifft ihre Aufgaben hinter der<br />
Bühne. In der Superintendentin verbinden sich, wie im Zirkus,<br />
84
Regie und Intendanz: Sie <strong>ist</strong> für die Technik der Aufführung<br />
ebenso zuständig wie für deren inhaltliche Güte; sie muss sich<br />
auch um die Einnahmen sorgen, um die Unterhaltung der<br />
Gebäude, die Einhaltung rechtlicher Vorschriften und vieles<br />
Andere. Mit anderen Worten: <strong>Die</strong> komplexen Manageraufgaben,<br />
die zu jedem Pfarramt gehören, prägen auch das Amt<br />
der Superintendentin – heute gewiss nicht weniger als früher.<br />
Darum sei es ihr gegönnt, gelegentlich auch die Macht einer<br />
Zirkusdirektorin zu genießen: die Macht etwa, einzelne<br />
Akteure auch materiell, durch gezielte Ausrüstung (Fortbildung!)<br />
oder eine bessere Behausung zu fördern.<br />
Versteht sich die Superintendentin als Direktorin eines kirchlichen<br />
„Regionalzirkus“, dann wird schließlich dessen unterhaltende<br />
Qualität akzentuiert. Harald Schroeter-Wittke hat die<br />
verschiedenen Bedeutungsschichten von „Unterhaltung“ entfaltet<br />
31 : Unterhalten zu werden, heißt genährt, versorgt zu<br />
werden – Unterhaltung, auch kirchliche Unterhaltung <strong>ist</strong><br />
nutritiv. Sodann hat Unterhaltung eine kommunikative<br />
Dimension: Man unterhält sich miteinander – hoffentlich<br />
auch im kirchlichen Raum, und dann mit Unterstützung der<br />
regionalen theologischen Intendanz. Und schließlich hat<br />
Unterhaltung eine entspannende, amüsante Dimension – sie<br />
realisiert das, was theologisch dem Evangelium zugeschrieben<br />
wird: die Freiheit von Anspruch und eherner Festlegung.<br />
<strong>Die</strong>se unterhaltsame Freiheit der Chr<strong>ist</strong>en, auch die freie<br />
Unterhaltung der Pastorinnen zu befördern, das scheint mir<br />
eine gute Orientierung für den aktuellen Strukturwandel des<br />
ephoralen Amtes.<br />
Anmerkungen<br />
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
1 Mir lagen Berichte vor aus der hannoverschen, der schaumburg-lippischen<br />
und der österreichischen Kirche (AB); dazu thematische<br />
Notizen von Dekan Dr. Breitenbach (Bayern) und OKR Dr.<br />
Mikosch (Thüringen).<br />
85
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
2 Strukturen nutzen. <strong>Die</strong> Strukturpapiere aus dem Kirchenkreis<br />
Celle, überarb. und hg. v. Ronald Habermann, Chr<strong>ist</strong>oph Künkel und<br />
Sigrid Peters, Typoskript (zu beziehen über das Landeskirchenamt)<br />
Hannover 1997.<br />
3 Protokolle der 22. Landessynode der Ev.-luth. Landeskirche<br />
Hannovers, XII. Tagung 16.-19. Mai 2001, 5-9 (83. Sitzung), 116-137<br />
(86. Sitzung), 185-191 (88. Sitzung); dazu Aktenstück 72i (a.a.O. 371-<br />
393).<br />
4 Zwischenbericht des Gemeindeausschusses betr. Formulierung des<br />
<strong>Die</strong>nstauftrags der Superintendenten und Superintendentinnen:<br />
Aktenstück 72M der 22. Landessynode der Ev.-luth. Landeskirche<br />
Hannovers (Bramsche, 16.11.2001); Zwischenbericht des Gemeindeausschusses<br />
betr. Formulierung des <strong>Die</strong>nstauftrags der Superintendenten<br />
[...]: Aktenstück 68 der 23. Landessynode der Ev.-luth.<br />
Landeskirche Hannovers (Gifhorn, 30.10.2003).<br />
5 Martin Schindehütte, Überlegungen zur Profilierung des Amtes des<br />
Superintendenten/der Superintendentin, Hannover, August 2004 –<br />
im vorliegenden Band S. 113-125<br />
6 Lernende Organisation Kirche. Erkundungen zu Kirchenkreisreformen,<br />
hg. von der Projektgruppe „Lernende Organisation Kirche“<br />
(H. Asselmeyer, H. Behrmann, J. Hermelink, B. Klostermeier u.a.),<br />
Leipzig 2004.<br />
7 Bei der Bezeichnung für die ephorale Amtsperson erscheinen<br />
Formulierungen, die beide Geschlechter berücksichtigen, besonders<br />
umständlich. Ich wechsele im Folgenden daher in der Regel zwischen<br />
weiblichen und männlichen Bezeichnungen – unter der Maßgabe,<br />
dass in jedem Fall beide Geschlechter gemeint sind.<br />
8 Vgl. etwa in der Kirchenkreisordnung der Ev.-luth. Landeskirche<br />
Hannovers (KKO) die Regelungen in § 56, Abs. 3 und 4.<br />
9 Vgl. die L<strong>ist</strong>e im Zwischenbericht des Gemeindeausschusses vom<br />
Oktober 2003 (Anm. 4), 3.<br />
10 Ebd.<br />
11 Schindehütte, Überlegungen zur Profilierung, 3 und 4.<br />
12 Oswald Neuberger, Führen und führen lassen, Stuttgart 62002, 342ff.<br />
13 Vgl. dazu Lernende Organisation Kirche (Anm. 6), 62f.<br />
14 Vgl. zuletzt Thomas Barth, Elemente und Typen landeskirchlicher<br />
Leitung, Tübingen 1995 (Ius Eccl 53). Aus der Sicht einer systemi-<br />
86
Jan Hermelink: Der Strukturwandel des ephoralen Amtes<br />
schen Kybernetik finden sich wertvolle Einsichten zu diesen Typen<br />
bei Günter Breitenbach, Gemeinde leiten, Stuttgart 1994, 313ff.<br />
15 § 56 (2), 2. Absatz KKO der hannoverschen Landeskirche.<br />
16 Vgl. etwa Schindehütte (Anm. 5), 3.<br />
17 Vgl. dazu Herbert Lindner, Kontinuität und Systematik. Auf dem<br />
Weg zur Personalentwicklung in evangelischen Kirchen; in: PrTh 37<br />
(2002), 253-264.<br />
18 Vgl. z.B. die Kirchenordung der Evangelischen Kirche im<br />
Rheinland.<br />
19 § 56 (1) KKO der hannoverschen Landeskirche.<br />
20 Lernende Organisation Kirche (Anm. 6), 53.<br />
21 A.a.O. 54.<br />
22 Beitrag in der Debatte um das Superintendentenwahlgesetz im Mai<br />
2001, in: Protokolle der Landessynode, a.a.O. (Anm. 3) 134.<br />
23 Das schließt nicht aus, dass auch diese Professionalisierung durchaus<br />
strukturelle Aspekte enthält, etwa in der Formalisierung von Jahresgesprächen<br />
oder Fortbildungsangeboten.<br />
24 Strukturen nutzen (Anm. 2) – mit einem Geleitwort des<br />
Präsidenten des Landeskirchenamtes. <strong>Die</strong> folgenden Zitate aus dieser<br />
Broschüre, Bereich VI: Der Superintendent/<strong>Die</strong> Superintendentin<br />
(S. 35-41).<br />
25 Vgl. zum Folgenden Jan Hermelink, Pfarrer als Manager? Gewinn<br />
und Grenzen einer betriebswirtschaftlichen Perspektive auf das<br />
Pfarramt; in: ZThK 95 (1998), 536-564.<br />
26 Harold Mintzberg, The Nature of Managerial Work, New York<br />
1973, zusammengefasst bei O. Neuberger, Führen und führen lassen<br />
(Anm. 12), 328.<br />
27 Vgl. in diesem Band S. 113-125<br />
28 Vgl. „Lernende Organisation Kirche“ (Anm. 6), 62f.<br />
29 A.a.O. 63.<br />
30 Vgl. als Einführungen etwa: König, Eckard/Volmer, Gerda:<br />
Systemische Organisationsberatung. Grundlagen und Methoden,<br />
Weinheim 1993, 41996; Schlippe, Ar<strong>ist</strong> v./Schweitzer, Jochen:<br />
Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung, Göttingen<br />
61999; Willke, Helmut: Systemtheorie. Eine Einführung in die<br />
Grundprobleme sozialer Systeme, Stuttgart/New York 1982, 41993. 31 Vielleicht eher: Zum einen agiert sie selbst auch auf der Bühne.<br />
87
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
Verantwortung für theologische<br />
Orientierung bzw. kirchliche Lehre.<br />
Eine Skizze 1<br />
Volker Weymann<br />
1. Gründe, weshalb diese Verantwortung akut <strong>ist</strong><br />
Als evangelische Kirche leben wir in plural<strong>ist</strong>ischer Gesellschaft.<br />
Dabei <strong>ist</strong> gerade auch weltanschaulicher wie religiöser<br />
Pluralismus grundlegend gewährle<strong>ist</strong>et und vielfältig wirksam.<br />
So leben wir unter Menschen mit geprägter Frömmigkeit,<br />
nicht wenigen auf religiöser Suche, andern mit selbst gebasteltem<br />
Glauben, insgesamt in einer verbreiteten Atmosphäre<br />
von Glauben mit weniger chr<strong>ist</strong>lichen Konturen, dabei auch<br />
mit Menschen, deren Leben von einem Gewohnheitsatheismus<br />
geprägt <strong>ist</strong>, und ebenso mit Angehörigen anderer<br />
Religionen. Begegnung mit Menschen solch unterschiedlicher<br />
Prägung und das Gespräch mit ihnen über Fragen, die mit<br />
dem Leben und dem chr<strong>ist</strong>lichen Glauben auf dem Spiel stehen,<br />
braucht bewegliche Offenheit und klare Orientierung.<br />
Religiöser Pluralismus begegnet wie außerhalb so auch innerhalb<br />
der Kirche. Aufgrund eigener Beobachtungen wie nach<br />
empirischen Untersuchungen besteht zwischen Zugehörigkeit<br />
zur Kirche und Interesse an verschiedenen Varianten von<br />
Religiosität eine engere Verbindung als weithin angenommen<br />
wird. 2 Dem entspricht bei Pfarrerinnen, Pfarrern gelegentlich<br />
der Versuch, Glauben und Theologie so zu rekonstruieren,<br />
wie dies die Adressaten vermutlich plausibel und relevant finden<br />
würden. Doch bleibt die Frage, ob damit nicht der Sicht,<br />
Religion sei Privatsache, allzu fraglos Vorschub gele<strong>ist</strong>et wird,<br />
ohne klare Rechenschaft über die Botschaft des Evangeliums<br />
im Gespräch mit Zeitgenossen zu suchen. Zudem <strong>ist</strong> nicht zu<br />
übersehen: die Auffassung von Religion als Privatsache bleibt<br />
als ambivalentes Erbe der Aufklärung zweideutig. Privatheit<br />
89
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
der Religion als Freiheit von staatlichem Zwang <strong>ist</strong> unverzichtbar<br />
und als Gewinn zu betrachten. Doch als privat galt<br />
Religion bald auch im Sinn von unfähig zu öffentlicher<br />
Rechenschaft. Damit allerdings wird Religion dem Gespräch<br />
untereinander und der öffentlichen Ausein<strong>anders</strong>etzung entzogen.<br />
Chr<strong>ist</strong>licher Glaube <strong>ist</strong> freilich nicht nur subjektives<br />
Erleben oder freie Verknüpfung, gar Erfindung religiöser<br />
Ansichten. Vielmehr <strong>ist</strong> chr<strong>ist</strong>licher Glaube bestimmt und<br />
getragen von seinem Grund in Weg und Botschaft Jesu<br />
Chr<strong>ist</strong>i. Für ein Leben aufgrund der Barmherzigkeit und<br />
Treue Gottes, seiner Gnade und Wahrheit <strong>ist</strong> der Glaube auf<br />
das Zeugnis von Jesus Chr<strong>ist</strong>us angewiesen und deshalb mit<br />
guten Gründen, darum auch öffentlich zu verantworten.<br />
Als Kirche haben wir heutzutage (wenn auch in unterschiedlicher<br />
Zuspitzung) mit vielschichtigen Krisenphänomenen zu<br />
schaffen: etwa mit Aspekten einer Mitgliederkrise, mit finanziellen<br />
Problemen, mit Stellenreduktionen, mit strukturellen<br />
Veränderungen. Sind wir aber in der unausweichlichen<br />
Ausein<strong>anders</strong>etzung mit diesen Krisenphänomenen schon<br />
beim Kern der Krise? In dieser Hinsicht gibt zu denken, was<br />
Wolfgang Huber vermerkt: „<strong>Die</strong> gegenwärtige Krise der<br />
Kirche <strong>ist</strong> im Kern eine Orientierungskrise... Der Ansatzpunkt<br />
für die Erneuerung der Kirche liegt darin, daß sie ihre eigene<br />
Botschaft ernst nimmt. Das geschieht, wenn sie die Wahrheit<br />
Gottes feiert, wenn sie hilft, den Menschen als Ebenbild<br />
Gottes zu entdecken, und wenn sie zu mündigem Glauben<br />
ermutigt.“ 3<br />
Als Kirche die eigene Botschaft ernst zu nehmen – als Quelle<br />
wie Kompass theologischer Orientierung bzw. kirchlicher<br />
Lehre – bringt mit der notwendigen Pluralismusfähigkeit den<br />
universalen Wahrheitsanspruch, vielmehr Wahrheitszuspruch<br />
des Evangeliums in den Blick. 4 Freilich stößt die Wahrheitsfrage<br />
mit der Postmoderne im Kontext von Pluralisierung und<br />
Individualisierung auf Vorbehalte oder gerät gar unter den<br />
Verdacht eines dogmat<strong>ist</strong>ischen Anspruchs. Umso mehr stellt<br />
sich für die Kirche die notwendig doppelte selbstkritische<br />
90
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
Frage: Wieweit le<strong>ist</strong>en wir dem Verdacht auf einen dogmat<strong>ist</strong>ischen<br />
Wahrheitsanspruch, der wenn dann nur für Kommunikation<br />
unter Insidern plausibel erscheinen kann, Vorschub?<br />
Und umgekehrt: wieweit kommt es uns primär auf Effekte<br />
und möglichst breite Akzeptanz an oder auf die Effizienz der<br />
Wahrheit des Evangeliums: darauf, dass die befreiende Wahrheit,<br />
auf die Verlass <strong>ist</strong>, Menschen zugänglich wird und in<br />
ihrem Leben zur Wirkung kommt?<br />
Wir bleiben deshalb herausgefordert, für uns wie mit andern<br />
dessen gewahr zu werden, wie unumgänglich und lebensnotwendig<br />
die Wahrheitsfrage <strong>ist</strong>. Gibt es doch ein elementares<br />
Verlangen nach Verlässlichkeit, das recht besehen identisch <strong>ist</strong><br />
mit menschlichem Verlangen nach Wahrheit. Wie sollten nicht<br />
Grundzüge des biblischen Wahrheitsverständnisses helfen,<br />
dies im Blick zu behalten und ins Gespräch zu bringen? Vom<br />
Alten Testament her kommt (mit dem Wortfeld „ämät“ und<br />
„häämin“) Wahrheit als Gottes Treue in den Blick, worauf<br />
Menschen sich durch alles hindurch verlassen können. Damit<br />
verbindet sich im Neuen Testament (mit „alétheia“) die<br />
Bedeutung und Wirkung befreiender Wahrheit, die von Trug<br />
und Selbstbetrug befreit, zudem unserer Unfreiheit an die<br />
Wurzel geht. Beides trifft darin zusammen, dass die verlässliche<br />
und befreiende Wahrheit in Jesus Chr<strong>ist</strong>us Person geworden<br />
<strong>ist</strong> (vgl. Johannes 14,6). <strong>Die</strong>se Person gewordene<br />
Wahrheit befreit von dogmat<strong>ist</strong>ischen Ansprüchen in den<br />
Varianten von Selbstlegitimation wie Druck gegenüber anderen.<br />
Entsprechend kam Paulus angesichts eines Konflikts, der<br />
theologische Orientierung betraf (jenem Konflikt mit Petrus<br />
in Antiochia), als aufschlussreiche Metapher in den Sinn: es<br />
komme darauf an, „Kurs zu halten auf die Wahrheit des<br />
Evangeliums“ (Galater 2,14). Von daher lässt sich die Wahrheit<br />
des Evangeliums nicht als Position besetzen und gegen<br />
andere ins Feld führen, liegt vielmehr den Kontrahenten im<br />
Streit um die Wahrheit voraus als Kompass der Orientierung.<br />
Von daher wird heutzutage immer wieder die Frage akut, wieweit<br />
die erforderliche Pluralismus-Fähigkeit der Kirche und<br />
91
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
der universale Wahrheitszuspruch des Evangeliums einander<br />
widersprechen, sich gar gegenseitig ausschließen sollten – bzw.<br />
inwiefern sie einander entsprechen könnten. Zur Entsprechung<br />
kommen beide dadurch, dass die Bezeugung des Evangeliums<br />
zumal in der Bitte ihre elementare Gestalt findet, wie<br />
Paulus pointiert: „So bitten wir an Chr<strong>ist</strong>i Statt: Laßt euch versöhnen<br />
mit Gott“ (2. Korinther 5,20). <strong>Die</strong> Bitte als Grundgestus<br />
der Bezeugung des Evangeliums widerspricht allen<br />
Versuchen, Druck auszuüben, gar Gewalt und ebenso dem<br />
vermeintlichen Anspruch, selbst im Besitz der Wahrheit zu<br />
sein. <strong>Die</strong> Bitte gewährt vielmehr Zeit und setzt auf Evidenz;<br />
sie <strong>ist</strong> auf freie Zustimmung bedacht und auf Einverständnis,<br />
das aus Einsicht entsteht. Menschen in der Haltung der Bitte<br />
anzusprechen hält ihnen offen, dass die Wahrheit des<br />
Evangeliums, die als fremd und überraschend begegnet, ihnen<br />
aufgeht und einleuchtet, sie trifft und bewegt – und sich als<br />
lebenserhellend, befreiend, verlässlich erwe<strong>ist</strong>.<br />
2. <strong>Die</strong>se Verantwortung als Aufgabe im Pfarramt wie der<br />
Gemeinde<br />
Durch die Ordination sind Theologinnen, Theologen zum<br />
öffentlichen Verkündigungsdienst berufen und dazu (nicht etwa<br />
befähigt oder bevollmächtigt, vielmehr) beauftragt. <strong>Die</strong>se<br />
Berufung zum öffentlichen <strong>Die</strong>nst der Kirche führt im Kern<br />
zu öffentlicher Verkündigung des Evangeliums in Wort und<br />
Sakrament. Damit <strong>ist</strong> grundlegend die Verantwortung für<br />
theologische Orientierung wie kirchliche Lehre verbunden.<br />
Interessant bleibt, dass vom reformatorischen Sprachgebrauch<br />
her „Lehren“ vor allem in der Verkündigung geschieht,<br />
zugleich aber der Reflexion auf bzw. der Rechenschaft über<br />
die orientierende Kraft des Evangeliums als Mitte der Schrift<br />
in wichtige Dimensionen menschlichen Lebens wie chr<strong>ist</strong>lichen<br />
Glaubens hinein bedarf. So wird in CA XIV „publice<br />
docere“ in der deutschen Fassung mit „öffentlich lehren oder<br />
predigen“ wiedergegeben. Wichtig bleibt: die Ordination <strong>ist</strong><br />
nicht Verleihung einer besonderen ge<strong>ist</strong>lichen Fähigkeit, die<br />
92
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
über die aller Chr<strong>ist</strong>enmenschen aufgrund ihrer Taufe hinaus<br />
ginge. Vielmehr folgt das ordinationsgebundene Amt aus der<br />
öffentlichen Dimension des der Kirche als ganzer, somit allen<br />
Chr<strong>ist</strong>en gegebenen Grundamtes der Verkündigung des Evangeliums<br />
(vgl. CA XIV im Verhältnis zu CA V). Entsprechend<br />
bleibt unverzichtbar: Versteht man Theologie als Rechenschaft<br />
über elementare Aussagen des Glaubens, so <strong>ist</strong> jede<br />
Chr<strong>ist</strong>in, jeder Chr<strong>ist</strong> (jedenfalls der Möglichkeit nach) letztlich<br />
Theologe und in ihrer, seiner Weise für theologische<br />
Orientierung verantwortlich. Dass und warum Urteilsfähigkeit<br />
wie Verantwortung für theologische Orientierung und kirchliche<br />
Lehre nicht zuletzt bei der Gemeinde liegt, wurde von<br />
Luther in der kleinen Schrift von 1523 nach Leisnig dargelegt:<br />
„Daß eine chr<strong>ist</strong>liche Versammlung oder Gemeinde Recht<br />
und Macht habe, alle Lehre zu beurteilen ..., Grund und Ursache<br />
aus der Schrift.“<br />
Theologische Urteils- und Gesprächsfähigkeit bedarf freilich<br />
der Förderung und Vertiefung auch immer wieder zwischen<br />
Theologinnen, Theologen von Beruf und Chr<strong>ist</strong>enmenschen<br />
mit Verantwortung in ihrer Lebenswelt bzw. ihrem Beruf.<br />
Dafür sind heute verstärkt qualifizierte und anspruchsvolle<br />
Angebote von „Theologie mit Nichttheologen“ notwendig<br />
(von der Aufgabe her wohl am ehesten auf regionaler bzw.<br />
ephoraler Ebene). <strong>Die</strong>s gäbe kritischen Zeitgenossen Gelegenheit,<br />
die „Sache mit Gott“ in Betracht zu ziehen; böte<br />
Chr<strong>ist</strong>enmenschen die Möglichkeit, begründet und vertieft<br />
theologische Sachkenntnis zu gewinnen; könnte Chr<strong>ist</strong>en mit<br />
unterschiedlich geprägter Frömmigkeit zusammenführen mit<br />
Menschen, für die dies vielleicht ein erster oder letzter Versuch<br />
mit Kirche wäre; würde nicht allein auf kirchliche Mitarbeit<br />
ausgerichtet, sondern ebenso auf anfragbares Chr<strong>ist</strong>sein<br />
im Alltag; ließe Theologinnen und Theologen stärker als sonst<br />
erleben, dass sie als solche gefragt sind, – und würde deutlich<br />
mündigem Chr<strong>ist</strong>sein und missionarischer Ex<strong>ist</strong>enz dienen.<br />
Gerade auch in diesem Zusammenhang bedarf die Auffassung,<br />
die gelegentlich anzutreffen <strong>ist</strong>, wonach das durch<br />
93
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
Ordination übertragene Amt der Gemeinde gegenüber stehe,<br />
der Korrektur. Denn im Unterschied zu jener Auffassung <strong>ist</strong><br />
es Aufgabe des öffentlichen kirchlichen Amtes, das Evangelium<br />
als Gegenüber nicht nur zur Welt, sondern auch zur Gemeinde<br />
zur Geltung zu bringen. <strong>Die</strong>se reformatorische<br />
Einsicht findet Gestalt in dem Altarbild von Lukas Cranach<br />
d.Ä. in der Stadtkirche zu Wittenberg. <strong>Die</strong>s Bild rückt in den<br />
Blick: „Der Prediger steht nur insofern der Gemeinde gegenüber,<br />
als es seine Aufgabe <strong>ist</strong>, auf den ihr und ihm gleichermaßen<br />
gegenüberstehenden Chr<strong>ist</strong>us am Kreuz zu weisen.“ 5<br />
Folglich <strong>ist</strong> nicht das Amt, sondern Jesus Chr<strong>ist</strong>us als Wort<br />
Gottes, Bruder der Menschen, Herr der Welt Gegenüber der<br />
Gemeinde.<br />
Nicht zuletzt <strong>ist</strong> mit der Verantwortung für theologische<br />
Orientierung und kirchliche Lehre eine Grundaufgabe des<br />
ephoralen Amtes gegeben. Mit dem reformatorischen Verständnis<br />
von Kirche als „creatura verbi“ 6, die mit der Verkündigung<br />
des Evangeliums in Wort und Sakrament konstituiert<br />
wird – und darum mit dem Gottesdienst in den Grund ihres<br />
Daseins einkehrt, wurde die Lehraufsicht zum systematischen,<br />
wenn auch geschichtlich gesehen zeitweilig vernachlässigten<br />
Zentrum des ephoralen Amtes. Im Blick auf die Lehraufsicht<br />
stellt sich analog wie mit der Visitation die Frage: welcher<br />
Autorität <strong>ist</strong> solch ephoraler <strong>Die</strong>nst verpflichtet? Ge<strong>ist</strong>liche<br />
und theologische Autorität kann sich in der Kirche nicht etwa<br />
schon aus der Vorgesetztenfunktion ergeben. Biblisch macht<br />
in dieser Hinsicht nachdenklich, dass Paulus Autorität nicht<br />
für seine Person oder Funktion in Anspruch nimmt, sondern<br />
für Chr<strong>ist</strong>us und das Evangelium. Solcher Autorität entspricht<br />
die Bitte (vgl. 2. Korinther 5,20), die freie Einsicht und Zustimmung<br />
der Adressaten im Sinn hat und deshalb auf theologische<br />
Begründung, Einsichtigkeit und Nachvollziehbarkeit<br />
bedacht <strong>ist</strong>. Anregungen und Anstöße, die sich aus wahrgenommener<br />
Lehraufsicht ergeben, müssen einsichtig werden –<br />
und, was in akuter Situation bzw. zu kontroversen Fragen an<br />
Klärung und neuer Orientierung gewonnen wurde, muss aus<br />
Einsicht zur Wirkung kommen können. Das heißt nicht, dass<br />
94
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
dies notwendig erfolgt. Notwendig bleibt aber, dass erforderliche<br />
Schritte als vom Auftrag der Kirche her geboten eingesehen<br />
werden können. Nur so kann ihre Befolgung vereinbart<br />
und gefordert werden.<br />
3. Wie nehmen die Bekenntnisse der Reformation Verantwortung<br />
für kirchliche Lehre wahr?<br />
Im Blick auf gegenwärtige Verantwortung für kirchliche<br />
Lehre <strong>ist</strong> es, um sachlich Klarheit zu gewinnen und nicht geschichtsvergessen<br />
vorzugehen, wichtig, darauf zu achten, wie<br />
solche Verantwortung von den Bekenntnissen der lutherischen<br />
Reformation wahrgenommen wurde. <strong>Die</strong> CA als systematisches<br />
Zentrum des Korpus der Bekenntnisschriften ließe<br />
sich in bestimmter Hinsicht als aktuelles Bekenntnis in kontroverser<br />
Situation verstehen. So hat Luther von der Veste<br />
Coburg aus die „Confessores“ vor Kaiser und Reich in Augsburg<br />
ermutigt und ihren Bekennermut gepriesen. 7 Doch erweisen<br />
sich die Bekenntnisschriften samt der CA nicht als<br />
strikt situationsbezogenes Bekenntnis bzw. als unmittelbarer<br />
Ausdruck des Glaubens. Vielmehr haben sie ihre Funktion als<br />
Lehrbekenntnisse: zur Klärung, Orientierung und somit als<br />
Richtlinie für die Lehre und Verkündigung der Kirche.<br />
<strong>Die</strong> Verfasser der Konkordienformel von 1577 bemerken<br />
grundlegend, dass die „prophetischen und apostolischen<br />
Schriften Altes und Neues Testaments ... alleine die einige<br />
wahrhaftige Richtschnur <strong>ist</strong>, nach der alle Lehrer und Lehre zu<br />
richten und zu urteiln sein“ 8. Zugleich wird hier die Schrift als<br />
„Brunnen“ bezeichnet, d.h. als Quelle und zwar des Evangeliums.<br />
So wird aufgrund des ursprünglichen und von Luther<br />
wieder entdeckten Evangeliums 9 die Schrift auf das Evangelium<br />
von Jesus Chr<strong>ist</strong>us fokussiert, auf den in dieser Person<br />
ergehenden Zuspruch an den Menschen. Somit sind diese<br />
Lehrbekenntnisse nicht als Sammlung von Lehren zu verstehen,<br />
die aus der Schrift abgeleitet wären, vielmehr als Anleitung<br />
und Schlüssel zum Verständnis der Schrift, womit<br />
95
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
diese sich von ihrem Zentrum, dem Evangelium her erschließt.<br />
10 Mit diesem Bezug auf die Heilige Schrift und so auf<br />
die ihnen vorgegebene und überlegene Selbstmitteilung<br />
Gottes im Zeugnis der Schrift, wodurch Evidenz geschaffen<br />
und Glauben geweckt wird, sind diese Lehrbekenntnisse beides<br />
zugleich: wahrheitsfähig und kritikbedürftig.<br />
<strong>Die</strong>sem hermeneutischen Grundzug der Bekenntnisse der<br />
lutherischen Reformation entspricht das Verständnis dessen,<br />
was nach CA VII die Grundkennzeichen von Kirche sind bzw.<br />
wodurch Kirche als Kirche Jesu Chr<strong>ist</strong>i konstituiert wird: als<br />
„die Versammlung aller Glaubigen, bei welchen das Evangelium<br />
rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des<br />
Evangelii gereicht werden“. 11 Denn als konstitutiv für die eine<br />
heilige chr<strong>ist</strong>liche Kirche wird hier nicht eine bestimmte Verfasstheit<br />
erklärt oder etwa die Rechtgläubigkeit bzw. Rechtschaffenheit<br />
ihrer Glieder, vielmehr der Lebensvollzug, worin<br />
in ihr das Evangelium von Jesus Chr<strong>ist</strong>us im Wort laut und im<br />
Sakrament ausgeteilt wird. Entsprechend <strong>ist</strong> es die Aufgabe<br />
der Bekenntnisse, die Kommunikation des Evangeliums zu<br />
bewahren, wodurch Glaube entsteht und wovon Kirche lebt.<br />
<strong>Die</strong> Bekenntnisse der Reformation wollen dazu anleiten, dass<br />
die Schrift sich von ihrer Mitte: dem Evangelium her erschließt,<br />
und sie setzen sich selbst diesem Maßstab, dieser<br />
„unica regula et norma“ 12 aus. Damit verpflichten sie „die<br />
öffentliche Verkündigung der Kirche darauf, die Schrift so<br />
auszulegen, dass es zur Kommunikation des Evangeliums<br />
kommen kann.“ <strong>Die</strong>s heißt freilich zugleich: die Ex<strong>ist</strong>enz der<br />
Bekenntnisse <strong>ist</strong> in der Erfahrung und dem Wissen begründet,<br />
„dass die Einsicht in die Mitte der Schrift und ihr Verständnis<br />
als Evangelium nichts Selbstverständliches <strong>ist</strong>, sondern die<br />
Verkündigung der Kirche des beständig orientierenden Hinweises<br />
auf dies Zentrum bedarf.“ 13<br />
Dem entspricht es, dass diese Bekenntnisse geradezu seelsorgerliche<br />
Bedeutung gewinnen können. Als Einführung in<br />
das Evangelium als Mitte der Schrift sind sie bisweilen zu-<br />
96
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
gleich eine Anleitung zu dessen Anwendung auf die Situation<br />
der Anfechtung des Sünders vor Gott. So führt etwa die Konkordienformel<br />
im Zusammenhang mit der Frage nach dem<br />
würdigen Empfang des Abendmahls aus, dass ein vertrauenerweckender<br />
Empfang des Sakraments nur dann möglich<br />
wird, wenn der Empfänger nicht auf seinen inneren Zustand<br />
blickt, vielmehr dessen gewiss sein kann, dass ihm die Selbsthingabe<br />
Jesu Chr<strong>ist</strong>i zuteil wird. 14<br />
So setzen die Bekenntnisse mit ihrer hermeneutischen Perspektive<br />
der Selbsterschließung des Evangeliums als unverfügbarem<br />
Ereignis die Erfahrung voraus, dass, wo die Schrift zu<br />
sprechen beginnt, das Evangelium laut wird und Glauben findet.<br />
Dem entspricht zugleich die Anleitung zum ex<strong>ist</strong>entiellen<br />
Vollzug der Lehre, wie dies vor allem mit Luthers Katechismen<br />
angebahnt wird und Sprache findet. Dazu denke man nur<br />
an seine Auslegung des Glaubensbekenntnisses im Kleinen<br />
Katechismus – etwa zum ersten Artikel: „Ich glaube, dass<br />
mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen...“ Oder zum<br />
zweiten Artikel: „Ich glaube, dass Jesus Chr<strong>ist</strong>us ... sei mein<br />
Herr, der mich ... erlöset hat ..., damit ich sein eigen sei...“ Da<br />
in unserer Zeit die Binde-, Prägungs- und Orientierungskraft<br />
des Glaubens abnimmt, bleibt Konfessionalität (im Widerspruch<br />
zu konfessional<strong>ist</strong>ischen Tendenzen) als Bezeugungsgestalt<br />
der Wahrheit des Evangeliums in ihrer Orientierungskraft<br />
unverzichtbar. – Damit bleibt freilich (angeregt und<br />
offen gehalten durch die Bekenntnisse der Reformation) die<br />
Frage akut, was bedrängtem Leben als lebensnotwendige<br />
Lehre zur Hilfe kommt, ja als lebenspendende Lehre im<br />
widersprüchlichen und bisweilen verworrenen Leben Freiheit<br />
aus Glauben zuspricht und wahres Leben eröffnet.<br />
4. Einige Beispiele dessen, wo Verantwortung für theologische<br />
Orientierung akut wird<br />
Bei einem Trauergottesdienst eines Sommers in München<br />
suchte der Pfarrer in der bunten, zudem erstaunlich jungen<br />
97
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
und vermutlich weithin säkularen Trauergemeinde sichtlich<br />
nach Sprache, wie für diese Menschen die Hoffnung auf Auferstehung<br />
der Toten zugänglich werden könnte. Dazu nahm er<br />
das antike und auch heute verbreitete (etwa von Elisabeth<br />
Kübler-Ross favorisierte) Bild auf von der Verpuppung einer<br />
Raupe, der ein Schmetterling entschlüpfen wird. Unbeabsichtigte<br />
Komik bzw. irritierende Ironisierung gewann dies<br />
Bild allerdings dadurch, dass hernach auf dem Friedhof einige<br />
der jungen Leute auf Schmetterlingsjagd gingen... – Auf<br />
die Frage hin, wie die Toten auferstehen werden, nahm Paulus<br />
das Bild vom Samen auf. Doch wird dies bei ihm entgegen der<br />
natürlichen Logik des Bildes (z.B. aus einem Weizenkorn wird,<br />
wenn alles gut geht, ein Halm mit einer Weizenähre entstehen)<br />
zu einem „gebrochenen“ Bild: „Was du säst, wird nicht lebendig<br />
gemacht, wenn es nicht stirbt“ (1. Korinther 15,36). –<br />
Welche Sicht gewinnt mit diesen Bildern Hoffnung angesichts<br />
des Todes – und worin gründet nach dieser bzw. jener Aussage<br />
Hoffnung auf die Auferstehung der Toten?<br />
Längere Zeit begegnete, bisweilen auch heute noch in Predigten<br />
beim Versuch, die Rechtfertigungsbotschaft zugänglich<br />
und verständlich werden zu lassen, das Wortfeld der „Annahme“.<br />
Dabei spielt bisweilen mehr oder weniger fraglos die<br />
Semantik dieses Wortfelds mit, wie sie mit der beachtlichen<br />
Lebensweisheit begegnet: es gelte, mich selbst anzunehmen,<br />
wie ich bin, bzw. den andern, wie er <strong>ist</strong>. – Biblisch begegnet<br />
das Wortfeld „Annahme“ („déchomai“/„doché“/„dektós“)<br />
vor allem im Lukas-Evangelium – und der Sache nach im<br />
Gleichnis von den beiden Söhnen. Doch wird die Selbsteinschätzung<br />
des jüngeren Sohnes: „Ich bin hinfort nicht mehr<br />
wert, daß ich dein Sohn heiße“ (Lukas 15,19.21) durch den<br />
Vater im Gleichnis mit seinem Ruf zum Fest außer Kraft<br />
gesetzt: „<strong>Die</strong>ser mein Sohn (bzw. dieser dein Bruder) war tot<br />
und <strong>ist</strong> wieder lebendig geworden; er war verloren und <strong>ist</strong><br />
gefunden worden“ (15,24.32). Zugleich <strong>ist</strong> der verlorene Sohn<br />
mit Gewand, Ring an den Finger, Schuhen an die Füße erneut<br />
in sein Recht und die Würde als Sohn eingesetzt. So folgt dies<br />
Gleichnis nicht jener Lebensweisheit. Vielmehr wird der jün-<br />
98
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
gere Sohn als der angenommen, der er von sich aus betrachtet<br />
gerade nicht <strong>ist</strong>. – Unter uns Menschen bedeutet es schon<br />
viel, wenn es gelingt, den andern anzunehmen, wie er <strong>ist</strong>.<br />
Doch welch überraschende Freiheit entsteht auch gegenseitig,<br />
wenn wir uns entdecken als trotz allem von Gott geliebte Kinder,<br />
die von Gott angenommen werden als die, die wir unserer<br />
Selbst- wie Fremdeinschätzung nach gerade nicht sind!<br />
Der Volkstrauertag <strong>ist</strong> anscheinend nach wie vor ein sensibler<br />
Tag des Gedenkens. Statt sich mit der Geschichte auch des<br />
eigenen Volkes d<strong>ist</strong>anzierend beschuldigend oder zwanghaft<br />
entschuldigend auseinanderzusetzen, fordert zumal dieser Tag<br />
zu differenzierter Wahrnehmung nachwirkender Trauer und<br />
offener wie befreiender Ausein<strong>anders</strong>etzung mit Schuld heraus.<br />
– Nach dem Gottesdienst am Volkstrauertag 1999<br />
schrieb mir ein Gemeindeglied: „Ihre Predigt am Volkstrauertag<br />
habe ich ... mit großem Unbehagen gehört... Sie erwähnten<br />
mehrfach Verbrechen der deutschen Wehrmacht und<br />
sprachen vom Zweiten Weltkrieg, der vom deutschen Boden<br />
ausgegangen sei, wobei Sie auf die (eindeutig diskreditierte)<br />
Wehrmachtsausstellung zu sprechen kamen. Dagegen stellten<br />
Sie die Versöhnungsbereitschaft in verschiedenen Ländern<br />
Europas, die von Deutschland im Krieg besetzt gewesen<br />
waren...“ – Demgegenüber konnte hellhörig machen, wie einige<br />
Jahre zuvor der Volkstrauertag in Pullach kommunal und<br />
ökumenisch begangen wurde. <strong>Die</strong> Partnerschaften dieser Gemeinde<br />
mit Pauillac in Frankreich wie mit Baryschiwka in der<br />
Ukraine kamen durch den Bürgerme<strong>ist</strong>er (stärker als durch die<br />
Pfarrer) in den Blick – und es wurde bewusst Musik eines<br />
französischen – wie eines russischen Kompon<strong>ist</strong>en musiziert.<br />
Eine Sprache, die wohlmeinend zumal bei festlichem Anlass<br />
Reibungsflächen unseres Lebens, unserer Welt beiseite lässt,<br />
mag zu einem „Singen im höheren Chor“ führen, wird aber<br />
kaum zum Lied der Befreiten anstiften. So wurde in einem<br />
Taufgottesdienst vom Herbst 2004 der aaronitische Segen<br />
aufgenommen. In der Ansprache dazu ging es (kurz nach dem<br />
mörderischen Überfall auf die Schule in Beslan/Nord-<br />
99
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
ossetien) ganz um gelingendes Leben und um elterliche<br />
Segens-Gesten an den Kindern. Danach sprach eine junge<br />
Frau darauf an: dies sei ihr im Blick auf die Situation von<br />
Kindern in unserer Welt zu harmlos gewesen. Mit wachem<br />
Sinn für Lebenswege von Kindern und die Zeitsituation hätte<br />
es wahrlich nahe gelegen, nicht von präsenten und immer wieder<br />
akuten Reibungsflächen scheinbar freundlich abzusehen.<br />
<strong>Die</strong>s wäre für den Prediger wie die Gemeinde aber auch<br />
dadurch in Betracht gekommen, wäre die Entstehungssituation<br />
der Priesterschrift, worin der aaronitische Segen (4.<br />
Mose 6,24-26) seine prägnante Gestalt gewonnen hat, erinnert<br />
worden. War doch das Volk Israel in der Erfahrung des Exils<br />
mit der Verborgenheit Gottes konfrontiert. Wie überraschend<br />
vermag dann dieser Segen zu sprechen, wenn solche<br />
Erfahrungen geschichtlich wie gegenwärtig präsent sind: als<br />
Bitte und Zusage, dass der Herr durch Erfahrungen seiner<br />
Verborgenheit hindurch sein Angesicht leuchten lasse.<br />
<strong>Die</strong> Frage: „Warum lässt Gott das zu...?“ scheint heute für<br />
viele Menschen eine letzte Erinnerung an die Gottesfrage zu<br />
sein. Freilich lässt sie sich nicht erklärend beantworten:<br />
„Gerade weil derlei Fragen weder beantwortbar sind noch unbeantwortet<br />
bleiben dürfen, üben sie die Funktion eines<br />
Stachels aus: Sie treiben uns tiefer ins Nachdenken über das<br />
Leid und ins Handeln an den Leidenden hinein.“ 15 Freilich<br />
kann die Theodizeefrage zum skeptischen Atheismus führen<br />
– gemäß der Wendung in Georg Büchners „Dantons Tod“:<br />
„warum ich leide? Das <strong>ist</strong> der Fels des Atheismus.“ 16 Doch<br />
gibt es ebenso eine fromme Variante des Atheismus, sofern<br />
Frömmigkeit nahe legte, an den fraglos lieben Gott zu glauben.<br />
<strong>Die</strong>s Postulat <strong>ist</strong> mit der Welt- und Lebenserfahrung vieler<br />
Menschen sichtlich unvereinbar. Eine Frömmigkeit oder<br />
Theologie aber, die Gott nicht zur Welt kommen ließe, wäre<br />
eine fromme Variante des Atheismus, nämlich nur die Kehrseite<br />
des skeptischen Atheismus. Zudem <strong>ist</strong> heute ein religiöser<br />
Atheismus zu beobachten, der angesichts der schlimmen<br />
Welt nach heilenden Kräften suchen lässt. Denn darin begegnet<br />
Religion als ebenso verständlicher wie fragwürdiger<br />
100
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
Wunsch, über die widersprüchliche Realität der eigenen Ex<strong>ist</strong>enz<br />
wie der Welt hinweg zu kommen. – Es <strong>ist</strong> heutzutage ein<br />
entscheidendes Kriterium chr<strong>ist</strong>licher und kirchlicher Sprache,<br />
ob sie der (biblisch eindringlichen und bleibend eröffneten)<br />
Klage gegen Gott zu Gott Raum gibt oder sie faktisch unterdrückt.<br />
Ein Reden von Gott, das nicht vom Leiden unter<br />
Gottes Verborgenheit gezeichnet <strong>ist</strong>, führt zur Verharmlosung<br />
Gottes und zur Beschönigung wie Vergiftung des Lebens. <strong>Die</strong><br />
skeptische Variante des Atheismus, wonach Gottes Verborgenheit<br />
Anlass zu seiner Negation gibt, wie die fromme<br />
Variante, wonach mit Gottes Offenbarung seine Verborgenheit<br />
abgeblendet werden soll, treffen sich darin, dass das Ineinander<br />
von Verborgenheit und Offenbarung Gottes weder<br />
wünschbar noch denkbar erscheint. – Gerade deshalb muss<br />
weiter Luthers doppelte Verhältnisbestimmung von verborgenem<br />
und offenbarem Gott zu denken geben. Weil unheimliche<br />
Wirklichkeitserfahrung und befreiende Offenbarungserfahrung<br />
in der Tat einander widersprechen, <strong>ist</strong> von dem<br />
Gegensatz zwischen verborgenem und offenbarem Gott nicht<br />
abzusehen. Weil aber Gott im Kreuz Jesu Chr<strong>ist</strong>i den Widerspruch<br />
des Menschen auf sich nimmt und so uns seine Liebe<br />
erwe<strong>ist</strong>, gewinnt hier die Spannung zwischen Verborgenheit<br />
und Offenbarung Gottes ihre Zuspitzung und Eindeutigkeit:<br />
Am Kreuz offenbart er sich als der, der sich unter dem Gegensatz<br />
dessen, was Menschen als göttlich einleuchtet, verbirgt.<br />
Indem er auf sich nimmt, womit Menschen sich selbst<br />
und einander das Leben vergiften, <strong>ist</strong> er alles andere denn ein<br />
harmloser –, vielmehr der lebendige Gott, der seine Liebe in<br />
unsere Welt konfliktbereit hinein lebt.<br />
Manchmal sind wir sehenden Auges blind und hörend taub.<br />
Darauf spricht nicht umsonst im Markusevangelium Jesus<br />
seine Jünger an: „Augen habt ihr und seht doch nicht, Ohren<br />
und hört doch nicht“ (Markus 8,18). Nachdem die Heilung<br />
eines Taubstummen vorangegangen <strong>ist</strong> (7,31-37), folgt auf<br />
jene Bemerkung im Markusevangelium als Abschluss des<br />
ersten erzählerischen Bogens die erste Blindenheilung (8,22-<br />
26) – und nach der Abwehr auch des dritten Leidenshinweises<br />
101
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
durch die Jünger (10,32-34 und 35-45) zum Schluss des dritten<br />
Bogens die zweite Blindenheilung in diesem Evangelium<br />
(10,46-52). Es bedarf also eines Glaubens mit geöffneten<br />
Augen, der zugleich hellhörig werden lässt. – Dazu nur eine<br />
Situation: Etliche Jahre vor 1989 in der DDR kam zu einem<br />
Pfarrer an der Elbe eine Parteigenossin mit ihrem chr<strong>ist</strong>lichen<br />
Mann, um sich trauen zu lassen. <strong>Die</strong> gotische Hallenkirche<br />
dort war im Winter freilich nicht heizbar. So bot der Pfarrer<br />
als Ort für die Trauung den Gemeindesaal an, wo winters<br />
ohnehin die Gottesdienste stattfänden. Doch lehnte die Frau<br />
dies Angebot ab. Darauf schlug der Pfarrer die Sakr<strong>ist</strong>ei vor:<br />
die sei heizbar – und, sofern erwünscht, könne seine Frau<br />
beim Einzug die Orgel spielen. Darauf die Frau: „Wir möchten<br />
in der Kirche getraut werden. Verstehen Sie nicht: wir<br />
brauchen für unsere Ehe einen weiten Raum!?“<br />
<strong>Die</strong> Unterscheidung zwischen Letztem und Vorletztem gehört<br />
genuin zum chr<strong>ist</strong>lichen Glauben – und macht menschliches<br />
Leben zwar nicht unbedingt einfacher, jedoch wahrer und<br />
freier. Dazu <strong>Die</strong>trich Bonhoeffer: „Chr<strong>ist</strong>liches Leben <strong>ist</strong> der<br />
Anbruch des Letzten in mir, das Leben Jesu Chr<strong>ist</strong>i in mir. Es<br />
<strong>ist</strong> aber immer auch Leben im Vorletzten, das auf das Letzte<br />
wartet. Der Ernst des chr<strong>ist</strong>lichen Lebens liegt allein im<br />
Letzten, aber auch das Vorletzte hat seinen Ernst, der freilich<br />
gerade darin besteht, das Vorletzte niemals mit dem Letzten<br />
zu verwechseln, das Vorletzte gegenüber dem Letzten für<br />
Scherz zu halten, damit das Letzte – und das Vorletzte – seinen<br />
Ernst behält.“ 17 So wird mit dieser befreienden Unterscheidung<br />
entgegen der Tendenz, ein Problem oder uns selbst<br />
unendlich ernst und deshalb allzu wichtig zu nehmen, auch<br />
dem Humor und also Gelegenheiten, über mich selbst zu<br />
lachen, eine Chance gegeben. – Dazu nur eine Situation: In<br />
München hatte ein Fachmann aus der Versicherungswirtschaft<br />
einen Vortrag gehalten. Beim Hinausgehen traf ein dem<br />
Chr<strong>ist</strong>entum gegenüber kritischer Zeitgenosse auf den Theologen.<br />
<strong>Die</strong>s reizte ihn zu der gewitzt gemeinten Bemerkung:<br />
als Chr<strong>ist</strong> sei man doch wohl auf solche Sicherheiten nicht angewiesen.<br />
Darauf gab ich zurück: vom Lateinischen her kenne<br />
102
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
er wohl die Unterscheidung zwischen securitas und certitudo,<br />
also zwischen Sicherheit und Gewissheit. <strong>Die</strong>se habe übrigens<br />
Luther für lebensnotwendig gehalten. Je weniger wir beides zu<br />
unterscheiden wüssten, je mehr wir Lebensgewissheit in äußeren<br />
Sicherheiten suchten, desto mehr könne die Versicherungs-Branche<br />
sich freuen. Darauf lüftete er seinen Hut:<br />
„Ich danke für die heutige Belehrung.“ So verabschiedeten wir<br />
uns augenzwinkernd.<br />
5. Grundzüge der Verantwortung für theologische Orientierung<br />
und kirchliche Lehre<br />
Theologische Aufmerksamkeit gilt dem, was bleibend wichtig<br />
<strong>ist</strong>, und zugleich dem, was an der Zeit, wenn auch oft genug<br />
umstritten <strong>ist</strong>. So bleibt Theologie dem Verstehen des chr<strong>ist</strong>lichen<br />
Glaubens auf der Spur in Ausein<strong>anders</strong>etzung mit dem<br />
Wahrheitsbewusstsein der Gegenwart. Verantwortung für<br />
theologische Orientierung und kirchliche Lehre bedarf beides:<br />
der Aufmerksamkeit für das, was an der Zeit und dabei oft<br />
kontrovers <strong>ist</strong>, und ebenso der Aufmerksamkeit für die Sache,<br />
die damit auf dem Spiel steht, und so für den Auftrag der Kirche.<br />
Deshalb seien hier zwei Gefahren markiert, mit denen so<br />
oder so Fähigkeit zu und Klarheit theologischer Orientierung<br />
verfehlt wird: einerseits durch „drohende Verfehlung der Zeitgemäßheit<br />
des Auftrages der Kirche“ und <strong>anders</strong>eits durch drohende<br />
Verfehlung der Sachgemäßheit des Auftrages der Kirche“ 18.<br />
Der Gegenwartsbezug und also die Zeitgemäßheit des kirchlichen<br />
und chr<strong>ist</strong>lichen Auftrags würde verfehlt, wenn aus dem<br />
Wort Gottes, das gerade in seiner Ewigkeit immer konkret<br />
und zeitbezogen <strong>ist</strong>, eine zeitlose Wahrheit würde. So würde<br />
das Wort der Schrift, statt zum mündlichen, anredenden<br />
Lebenswort zu werden, zum Buchstaben und Gesetz, dessen<br />
Fessel ge<strong>ist</strong>ige und ge<strong>ist</strong>liche Beweglichkeit verhindern würde.<br />
<strong>Die</strong> Sachgemäßheit des kirchlichen und chr<strong>ist</strong>lichen Auftrags<br />
würde verfehlt, sollte das Evangelium uns in unsern<br />
Meinungen und Einstellungen, Befürchtungen und Wünschen<br />
schlichtweg bestätigen. Als bloße Bestätigung wäre das Evan-<br />
103
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
gelium überflüssig, weil nicht mehr das fremde Wort, das<br />
überraschend und befreiend die Situation trifft und verwandelt;<br />
vielmehr würde es sich statt an die Zeit nach der Zeit<br />
richten.<br />
Es wäre merkwürdig, wenn die Suche nach theologischer<br />
Orientierung nicht durch die gesellschaftliche wie kulturelle<br />
Lage, mit der Kirche und Chr<strong>ist</strong>sein gegenwärtig konfrontiert<br />
sind, provoziert würde. Dabei fordert nicht zuletzt der<br />
Kontaktverlust vieler Menschen zu Glaube und Kirche heraus:<br />
mit verschiedenen Varianten des religiösen Pluralismus,<br />
auch mit vagabundierender Religiosität, ebenso aber mit religiösem<br />
Analphabetismus. Eine Theologie, die sich diesem<br />
gesellschaftlichen und ge<strong>ist</strong>igen Klima nicht stellt, kann keine<br />
Orientierungskraft gewinnen. Denn sie „entzieht sich der<br />
Frage, was die Rede von Gott unter den Bedingungen der<br />
Gegenwart bedeutet; sie nimmt nicht teil an der Aufgabe, das<br />
Evangelium unter die Menschen zu bringen; sie stellt sich in<br />
D<strong>ist</strong>anz zur gelebten Wirklichkeit des Glaubens.“ 19<br />
Das Gespräch mit Zeitgenossen über Fragen des Lebens und<br />
deshalb des Glaubens <strong>ist</strong> nicht möglich bei Vorbehalten oder<br />
D<strong>ist</strong>anzierung ihnen gegenüber, ebenso wenig aber über<br />
Anpassungsstrategien. Vielmehr <strong>ist</strong> für solch ein Gespräch die<br />
Doppelbewegung von Anknüpfung und Widerspruch 20 angezeigt.<br />
Denn einmal bietet das Gespräch mit Zeitgenossen –<br />
zumal solchen, denen chr<strong>ist</strong>licher Glaube nicht selbstverständlich<br />
<strong>ist</strong> – die Chance, sich auf Fragen einzulassen, die<br />
einen auch im Blick auf den Glauben neue Sichtweisen entdecken<br />
lassen. Und zum andern bestätigt das Evangelium uns<br />
nicht in dem, was wir meinen, wünschen oder befürchten, öffnet<br />
uns vielmehr die Augen für wahres Leben inmitten des<br />
wirklichen Lebens.<br />
Zum Dialog mit Zeitgenossen in der Doppelbewegung von<br />
Anknüpfung und Widerspruch zwei Andeutungen: Für viele<br />
Menschen scheint plausibel, dass Glaube und Zweifel einander<br />
ausschließen – bis hin zum Eindruck, angesichts von<br />
104
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
Zweifeln bleibe einem der Glaube unerschwinglich. Angesichts<br />
dessen kann freilich folgende Bemerkung von Friedrich<br />
Dürrenmatt hellhörig machen: „gibt es doch nichts Zweifelhafteres<br />
als einen Glauben, der den Zweifel unterdrückt.“ 21<br />
Deshalb <strong>ist</strong> es einzig sachgemäß, Fragen, Zweifel, Suchprozesse<br />
produktiv in das Gespräch über den Glauben<br />
einzubeziehen. Wie sollte dem widersprechen, dass der<br />
Glaube Lebensgewissheit eröffnet? Fällt doch an biblischer<br />
Sprache, die Gewissheit bezeugt, auf, dass damit nicht übergangen,<br />
vielmehr ansprechbar wird, was der Gewissheit<br />
widerstreitet, – wie etwa in Römer 8,38f: „Ich bin gewiß, daß<br />
weder Tod noch Leben ... uns scheiden kann von der Liebe<br />
Gottes, die in Chr<strong>ist</strong>us Jesus <strong>ist</strong>, unserm Herrn.“ Offensichtlich<br />
gewinnt Gottesgewissheit gerade im Feld dem widerstreitender<br />
Erfahrungen Sprache und Wirkung – und findet<br />
im Feld von Gegenstimmen und Dissonanzen der „cantus firmus“<br />
der Lebens- und Glaubensgewissheit überraschend<br />
Resonanz.<br />
Auch der Gewohnheitsatheismus kann sich durchaus human<strong>ist</strong>isch<br />
gerieren. Deshalb erscheint oft als Angebot zur<br />
Verständigung, wenn nicht als der Weisheit letzter Schluss:<br />
„Wir glauben doch alle an das Gute im Menschen.“ <strong>Die</strong>se<br />
Parole bot auf einem Forum beim Deutschen Evangelischen<br />
Kirchentag 2001 in Frankfurt am Main Gregor Gysi Landesbischöfin<br />
Margot Käßmann als Basis zur Verständigung<br />
an. Doch wies sie darauf hin, dies könne angesichts menschlicher<br />
Verrücktheiten kaum eine tragfähige Basis sein; nicht<br />
umsonst gehöre zur Bibel mit den Urgeschichten sehr bald die<br />
von Kain und Abel... – Anscheinend <strong>ist</strong> Menschlichkeit nicht<br />
hinreichend im Glauben an das Gute im Menschen begründet.<br />
Hinreichende Begründung findet die Menschlichkeit<br />
von uns Menschen vielmehr in der Schöpfergüte Gottes<br />
(Matthäus 5,45 – als Grund der Feindesliebe) und seiner vergebenden<br />
Güte (Lukas 23,34). Somit würde Verlust oder<br />
Verweigerung von Sprache für den Horizont, den Chr<strong>ist</strong>en<br />
Gott nennen, auch die Menschlichkeit von Gewohnheitsathe<strong>ist</strong>en<br />
tangieren.<br />
105
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
Wie sollte das Evangelium sich nicht als fremde und überraschende<br />
Botschaft erweisen – und zwar für glaubende und<br />
suchende, für nicht glaubende wie für religiöse Menschen? Mit<br />
Versuchen der Anpassung an Trends und Selbstverständlichkeiten,<br />
an gängige Meinungen, Wünsche, Lebenseinstellungen<br />
würden wir die Botschaft des Evangeliums überflüssig<br />
machen. Denn nur, was uns als fremd und überraschend<br />
begegnet, lässt hellhörig werden, öffnet die Augen, lässt uns<br />
die Welt und unser Leben neu wahrnehmen. Zur Beziehung<br />
und Differenz, vielmehr zur erhellenden Fremdheit des<br />
Evangeliums gegenüber gängiger Lebensweisheit nur ein<br />
Beispiel. Nicht erst in unserer Zeit leuchtet die Parole und<br />
Lebensweisheit ein: „rette sich, wer kann“. Denn, wie sollte<br />
nicht jeder, wenn es darauf ankommt, sich selbst zu retten<br />
suchen? Doch was wird mit Menschen, auf deren Kosten sich<br />
andere zu retten suchen, die sich aber darum immer weniger<br />
zu retten vermögen? So zeigt die scheinbar natürliche<br />
Lebensweisheit „rette sich, wer kann“ oft genug ihre fragwürdige,<br />
ja zynische Kehrseite. Wie entscheidend bleibt deshalb,<br />
dass der Mann am Kreuz sich nicht zu retten sucht. Wohl sind<br />
wir Menschen nur so zu retten, dass dieser eine sich nicht rettet.<br />
Wird damit nicht jener Spott unter dem Kreuz: „Andere<br />
hat er gerettet und kann sich selber nicht retten“ (Markus<br />
15,31) wider Willen der Spötter und in Wahrheit zum höchsten<br />
Lob? Denn wir Menschen sind anscheinend nicht <strong>anders</strong><br />
zu retten, als dass dieser eine sich nicht rettet, vielmehr sich<br />
hingibt für andere, für alle.<br />
Für theologisch aufmerksame Argumentation in der Öffentlichkeit<br />
wie für Mitverantwortung der Kirche in der Gesellschaft<br />
müsste differente Präsenz kennzeichnend sein. Dabei<br />
ergeben sich hier anscheinend immer wieder zwei Versuchungen:<br />
entweder die Präsenz durch Vorbehalte, Rückzug<br />
und Verweigerung zu dementieren oder die Differenz durch<br />
Anpassung zu leugnen. Chr<strong>ist</strong>liche Präsenz und Differenz<br />
wird nur in der jeweiligen sozialen, politischen, kulturellen<br />
Lebenswelt gelebt – und zwar in Zuwendung zu besonderen<br />
Herausforderungen dieser Lebenswelt – und <strong>ist</strong> doch nicht<br />
106
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
aus dieser Welt zu gewinnen. – Dazu ein geschichtliches Beispiel:<br />
Als im Zweiten Weltkrieg die Kathedrale von Coventry<br />
durch deutsche Bomber zerstört worden war, trafen sich<br />
Glieder dieser Gemeinde in der ausgebrannten Kathedrale. In<br />
großen Lettern schrieben sie mit verkohlten Balken in den<br />
Chor der Kathedrale: „Father forgive“. Und aus Zimmermanns-Nägeln,<br />
die aus dem Dachstuhl im Schutt am Boden<br />
zu finden waren, wurden später Nagelkreuze geschmiedet.<br />
<strong>Die</strong>se wurden nach dem Krieg von der Gemeinde in Coventry<br />
als Zeichen der Versöhnung an Gemeinden in Deutschland<br />
weitergegeben, deren Städte und Kirchen inzwischen von<br />
englischen Bombern zerstört waren: etwa an die Marienkirche<br />
in Lübeck und an das Diakonissenhaus in Dresden. Entgegen<br />
der Logik militärischer Vergeltung wie der verständlichen<br />
Tendenz zu politischer D<strong>ist</strong>anzierung fanden so Chr<strong>ist</strong>en zu<br />
Sprache und Zeichen der Versöhnung. – Es bleibt grundlegend<br />
und überraschend, wenn chr<strong>ist</strong>licher Gemeinde in ihrer<br />
Weltverantwortung durch Jesus Chr<strong>ist</strong>us aufgeht, was es heißt,<br />
ganz in der Welt, für die Welt, nicht aus der Welt zu leben.<br />
<strong>Die</strong>se ge<strong>ist</strong>liche Perspektive gewinnt Weltverantwortung von<br />
Chr<strong>ist</strong>en dadurch, dass Chr<strong>ist</strong>us für alle Menschen dahingegeben<br />
und für alle da <strong>ist</strong>. So kommt es zu Wahrnehmung und<br />
Gestaltung differenter Präsenz von Chr<strong>ist</strong>en in ihrer Lebenswelt.<br />
Zu theologischer Orientierung gehört elementar die Unterscheidung<br />
zwischen den Grundrelationen, in denen Menschen<br />
leben: vor andern Menschen und mir selbst, vor der Welt, vor<br />
Gott. Dabei geht es nicht zuletzt um Unterscheidungen, die<br />
Gottes Verhältnis zum Menschen in dessen Verhältnis zur<br />
Welt und zu sich selbst schafft. Damit kommt wie ein Grundzug<br />
theologischer Orientierung so auch der Grundzug ge<strong>ist</strong>lichen<br />
Lebens in den Blick. Was gegenüber der Unmittelbarkeit<br />
des Erlebens samt dem Verwickeltsein in Widersprüche<br />
Abstand und Freiheit gewährt und damit ein neues Verhältnis<br />
mir selbst wie der Welt gegenüber eröffnet, <strong>ist</strong> eine Frage<br />
ge<strong>ist</strong>licher Wahrnehmung und Ex<strong>ist</strong>enz: also des Lebens in<br />
der Welt vor Gott. So sehr ge<strong>ist</strong>liches Leben Zeit und Gestal-<br />
107
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
tung braucht, etwa im Horchen auf die Botschaft der Bibel<br />
und im Beten, hat es nicht primär mit gesonderten Lebensvollzügen<br />
zu tun, vielmehr mit dem Ineinander und Widereinander<br />
von Glauben und Leben – und erwe<strong>ist</strong> sich als Vorgang,<br />
der das ganze Leben verändernd durchdringt. <strong>Die</strong>s entspricht<br />
dem Ge<strong>ist</strong> Jesu, der sich ganz auf das Leben der Menschen,<br />
auf unsere Welt einlässt und darin neues Leben schafft.<br />
Damit kommt es zur Eröffnung ge<strong>ist</strong>esgegenwärtigen Lebens:<br />
dazu, entgegen häufigen Versuchen, abzublenden und auszuweichen,<br />
aufmerksam zu leben, anfechtbar und zuversichtlich,<br />
einsatzbereit und verletzbar zu sein. <strong>Die</strong>s hat mit der Gegenwart<br />
des Ge<strong>ist</strong>es zu tun, der davon befreit, dass ich mich von<br />
der jeweiligen Situation völlig bestimmen lasse oder ihr davon<br />
laufe, weil er zur Präsenz in weitem Horizont befreit.<br />
Von daher kommt als Grundzug und Gehalt ge<strong>ist</strong>lichen<br />
Lebens zur Wirkung: Differenzerfahrung im Zusammentreffen<br />
zwischen eigener Lebenserfahrung und dem Widerfahrnis<br />
des Lebens, das von Jesus Chr<strong>ist</strong>us ausgeht. Als prägnante<br />
Wahrnehmungshilfe solcher Differenzerfahrung, vielmehr<br />
befreiender Erfahrung mit der Erfahrung erwe<strong>ist</strong> sich, was<br />
Paulus zur Ex<strong>ist</strong>enz als Apostel und damit zu chr<strong>ist</strong>licher<br />
Ex<strong>ist</strong>enz schreibt: „Als die Unbekannten, und doch bekannt;<br />
als die Sterbenden, und siehe wir leben; ... als die Traurigen,<br />
aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich<br />
machen“ (2. Korinther 6,9f). Zumal in paradoxen Wendungen<br />
lassen sich manch weitere Wahrnehmungshilfen ge<strong>ist</strong>lichen<br />
Lebens finden. Auch in Kirchenliedern wie etwa mit der<br />
Wendung aus Paul Gerhardts Adventslied: „Als mir das Reich<br />
genommen, da Fried und Freude lacht, da b<strong>ist</strong> du, mein Heil,<br />
kommen und hast mich froh gemacht“ (EG 11,3). Anderen<br />
Menschen und sich selbst die Möglichkeit zu gewähren, für<br />
solche Differenzerfahrung wahrnehmungsfähig zu werden,<br />
führt in einer Vielfalt von Konkretionen dazu, dass das Evangelium<br />
in seiner befreienden Lebensrelevanz aufleuchtet.<br />
Überraschend bleibt, wie viele Menschen im Blick auf solch<br />
befreiende Erfahrung mit ihrer Lebenserfahrung einen Sinn<br />
dafür haben: „Wer unterscheidet, hat mehr vom Leben.“ 22<br />
108
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
Für theologische Argumentationsfähigkeit in der Öffentlichkeit,<br />
wie diese zumal mit dem ephoralen Amt immer wieder<br />
akut wird, braucht es Freiheit, Klarsicht und Mut – knapp gesagt:<br />
Freimut. Dafür bleibt es wegweisend, sich zu vergegenwärtigen,<br />
worin nach Apostelgeschichte 4 und 5 parrhesía<br />
Grund und Quelle findet, nämlich in der Entdeckung: „Man<br />
muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (5,29). Gott<br />
mehr gehorchen als andern Menschen: als den Trends und<br />
Erwartungen, von denen sie sich leiten lassen, wie gegenüber<br />
Ansprüchen, Druck, Verboten, die dabei wirksam werden, –<br />
aber ebenso Gott mehr gehorchen als mir selbst: als meinen<br />
Befürchtungen, Wünschen, Sorgen. Wo Freimut gewonnen<br />
wird, stellt sich zugleich wacher Sinn für differente Präsenz<br />
des Chr<strong>ist</strong>lichen in der Gesellschaft und der jeweiligen<br />
Lebenswelt ein.<br />
Für theologische Urteilsfähigkeit und Orientierung bleibt es<br />
unverzichtbar, wie Luther sagt, „yn die Biblien zulauffen“, um<br />
„alda gericht und urteil“ zu holen 23. „In die Bibel laufen“ –<br />
diese Wendung stellt klar, dass die Kirche die Bibel niemals<br />
nur hinter sich hat (etwa wie ein Prinzip, woraus Folgerungen<br />
zu ziehen wären), vielmehr ständig vor sich hat als Wegweiser<br />
und Kompass. Dabei bleibt es im Hören auf die, wie im aufmerksamen<br />
Auslegen der Schrift entscheidend, darauf zu warten,<br />
zu achten, wie durch ihre Botschaft unser Leben ausgelegt<br />
wird.<br />
Und schließlich als letzte kurze Bemerkung: in aller notwendigen<br />
Bemühung um theologische Orientierung und klarmachende<br />
Lehre liegt es letztlich nicht bei uns, dass dadurch<br />
Menschen zu einleuchtender und befreiender Klarheit kommen.<br />
Hier <strong>ist</strong> zu unterscheiden zwischen notwendiger und<br />
hinreichender Bedingung. <strong>Die</strong> Bemühung um theologische<br />
Orientierung bleibt unausweichlich und eine notwendige<br />
Voraussetzung dafür, dass Menschen merken, was mit der<br />
Botschaft der Bibel und dem chr<strong>ist</strong>lichen Glauben in ihrem<br />
Leben, unserer Welt auf dem Spiel stehen könnte. Doch dass<br />
dies Menschen trifft, ihnen befreiend aufgeht, sie in den wei-<br />
109
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
ten Horizont der Verheißung Gottes führt: die hinreichende<br />
Bedingung dafür verdanken wir (wie dies in CA V oder in<br />
Luthers Auslegung des 3. Artikels im Kleinen Katechismus<br />
angesprochen <strong>ist</strong>) zu unserer Entlastung dem Wirken des<br />
Heiligen Ge<strong>ist</strong>es.<br />
Anmerkungen<br />
1 <strong>Die</strong>se Skizze geht zurück auf einen Beitrag im Studienkurs mit<br />
Ephoren zur Zwischenbilanz in ihrem Amt November 2004 im<br />
Theologischen Studienseminar der Vereinigten Evangelisch-<br />
Lutherischen Kirche Deutschlands (<strong>VELKD</strong>) – und diente dabei der<br />
Rechenschaft über Verantwortung für theologische Orientierung und<br />
kirchliche Lehre anhand verschiedener Situationen, mit denen dies<br />
akut wird, als einer Grundaufgabe im ephoralen Amt.<br />
2 Nach Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Evangelischen<br />
München-Programm von 1996 zeichnete sich ab, dass von den<br />
Mitgliedern der evangelisch-lutherischen Kirche in München ca. 43%<br />
der Gruppe „Kirchenfremde mit selbstdefiniertem Glauben“ zuzurechnen<br />
sind.<br />
3 Wolfgang Huber, Kirche in der Zeitenwende. Gesellschaftlicher<br />
Wandel und Erneuerung der Kirche, 2. Aufl. 1999, 13.<br />
4 Dafür, dass der Wahrheitszuspruch des Evangeliums allen<br />
Menschen gilt, somit universale Bedeutung gewinnt, lassen biblische<br />
Grundmotive hellhörig werden und Klarheit gewinnen: Nach der<br />
Weihnachtsgeschichte <strong>ist</strong> das Evangelium Proklamation „großer<br />
Freude, die allem Volk widerfahren soll“ (Lukas 2,10). – Eine merkwürdige<br />
Korrespondenz entsteht zwischen unserer Sprache, wonach<br />
ein Kind, das geboren wird, „das Licht der Welt erblickt“ und dem<br />
Prolog des Johannes-Evangeliums, worin es vom Wort, das Fleisch<br />
ward, heißt: „Es war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet,<br />
die in diese Welt kommen“ (Johannes 1,9). – Weiter besagt das Wort<br />
vom Kreuz nach Paulus, dass „Gott in Chr<strong>ist</strong>us die Welt (also die<br />
ganze Menschenwelt) mit sich versöhnt hat“ (2. Korinther 5,19). –<br />
Und zur Botschaft des Alten und Neuen Testaments gehört die überraschende<br />
Verheißung Gottes: „Ich ließ mich suchen von denen, die<br />
nicht nach mir fragten, ich ließ mich finden von denen, die mich<br />
110
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
nicht suchten“ (Jesaja 65,1 und Römer 10,20). – Gemäß dem universalen<br />
Wahrheitszuspruch und -anspruch des Evangeliums bestimmt<br />
die 6. Barmer These den „Auftrag der Kirche“ dahin, dass sie „an<br />
Chr<strong>ist</strong>i Statt und also im <strong>Die</strong>nst seines eigenen Wortes und Werkes<br />
durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade<br />
Gottes auszurichten (hat) an alles Volk.“<br />
5 Vgl. Allgemeines Priestertum, Ordination und Beauftragung nach<br />
evangelischem Verständnis (aus dem Theologischen Ausschuss der<br />
<strong>VELKD</strong>). Eine Empfehlung der Bischofskonferenz der <strong>VELKD</strong>:<br />
„Texte aus der <strong>VELKD</strong>“ 130/2004, 17 Anm.47.<br />
6 Martin Luther: „Ecclesia enim est creatura Euangelii, ... ait ...<br />
Paulus: per Euangelium ego vos genui“ – in den Resolutiones zur<br />
Leipziger Disputation von 1519: WA 2;430,6-8.<br />
7 So Luther in seinem Brief an Konrad Cordatus vom 6.7.1530 –<br />
WAB 5;442,12-14: „Mihi vehementer placet vixisse in hanc horam,<br />
qua Chr<strong>ist</strong>us per suos tantos confessores in tanto consessu publice<br />
est praedicatus confessione plane pulcherrima.“ („Ich bin aufs stärkste<br />
davon befriedigt, bis zu dieser Stunde gelebt zu haben, in der<br />
Chr<strong>ist</strong>us durch seine so starken Bekenner in so hoher Versammlung<br />
öffentlich verkündigt worden <strong>ist</strong> durch ein Bekenntnis von schlichtweg<br />
höchster Vortrefflichkeit.“) – Daran schließt sich in diesem Brief<br />
an – 442,14-16: „Et impletur illud: ,Loquebar de testimoniis tuis in<br />
conspectu regum’, implebitur et id, quod sequitur: ,Et non confudebar’.“<br />
(„Da erfüllt sich jenes Wort: ´Ich redete von deinen Zeugnissen<br />
vor Königen`, so wird sich auch das erfüllen, was folgt: ,und wurde<br />
nicht zuschanden’.“ <strong>Die</strong>s aus Psalm 119,46.) Von daher könnte die<br />
Zitation von Psalm 119,46 auf dem Titelblatt der Ed. Princ. der CA<br />
auf Luther zurückgehen.<br />
8 BSLK 834,16-22.<br />
9 Vgl. a.a.O.,834,41-835,2.<br />
10 Vgl. Notger Slenczka, <strong>Die</strong> Bedeutung des Bekenntnisses für das<br />
Verständnis der Kirche und die Konstitution der Kirche in lutherischer<br />
Sicht in: Klaus Grünwaldt und Udo Hahn (Hg.), Profil –<br />
Bekenntnis – Identität. Was lutherische Kirchen prägt, 2003, 17.<br />
11 BSLK 61,4-7.<br />
12 BSLK 767,2.<br />
13 Notger Slenczka (Anm.10), 23.<br />
14 Vgl. BSLK 996,25-997,13.<br />
111
Volker Weymann: Verantwortung für theologische Orientierung<br />
15 Heinz Zahrnt, Warum ich glaube. Meine Sache mit Gott, 1977,<br />
336.<br />
16 Georg Büchner, Werke und Briefe. Gesamtausgabe, 1967, 55.<br />
17 <strong>Die</strong>trich Bonhoeffer, Ethik, in: <strong>Die</strong>trich Bonhoeffer, Werke 6.<br />
Band, 1992, 160.<br />
18 Eberhard Jüngel, Was <strong>ist</strong> die theologische Aufgabe evangelischer<br />
Kirchenleitung? In: ZThK 91/1994, 201.<br />
19 Wolfgang Huber, Gute Theologie in: Ders. (Hg.), Was <strong>ist</strong> gute<br />
Theologie?, 2004, 44.<br />
20 Vgl. Rudolf Bultmann, Anknüpfung und Widerspruch in: Ders.,<br />
Glauben und Verstehen 2.Band, 1961, 117ff.<br />
21 Friedrich Dürrenmatt, Zusammenhänge. Essay über Israel in:<br />
Friedrich Dürrenmatt, Werkausgabe Bd.29, 1980, 15.<br />
22 Eberhard Jüngel in: Ders., Unterwegs zur Sache. Theologische<br />
Bemerkungen, 1972, 101.<br />
23 Martin Luther, Grund und Ursach aller Artikel D. Martin Luthers,<br />
so durch römische Bulle unrechtlich verdammt sind (1521) – WA<br />
7;317,5-8: „der halbenn uns die not dringt mit aller lerer schrifft yn<br />
die Biblien zulauffen und alda gericht und urteil uber sie zu holen,<br />
den sie <strong>ist</strong> allein der recht lehenherr und me<strong>ist</strong>er uber alle schrifft<br />
unnd lere auff erden.“<br />
112
Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />
Überlegungen zur Profilierung des Amtes des<br />
Superintendenten/der Superintendentin<br />
Martin Schindehütte<br />
I. Das besondere ordinierte Pfarramt<br />
Superintendentinnen oder Superintendenten nehmen als<br />
Ordinierte ein besonderes Pfarramt wahr. Sie sind, wie alle<br />
Pastorinnen und Pastoren, zur Verkündigung des Evangeliums<br />
und zur Darreichung der Sakramente beauftragt. Sie<br />
nehmen in ihrer Verantwortung für den Auftrag der ganzen<br />
Kirche, vergleichbar mit denen eines Pastors oder einer<br />
Pastorin auf der Ebene der Gemeinde, Aufgaben der ge<strong>ist</strong>lichen<br />
Leitung und admin<strong>ist</strong>rativen Führung auf der Ebene<br />
des Kirchenkreises wahr.<br />
<strong>Die</strong>ser pastoralen Grundorientierung entsprechen die geltenden<br />
rechtlichen Bestimmungen. Das Amt des Superintendenten<br />
oder der Superintendentin <strong>ist</strong> in der Evangelisch-lutherischen<br />
Landeskirche Hannovers nach Artikel 53ff KVerf und<br />
§ 55 KKO als Amt der „Aufsicht über die Kirchengemeinden,<br />
die Pfarrämter und die Inhaber kirchlicher Amts- und <strong>Die</strong>nststellungen,<br />
soweit sie im Amt der Verkündigung tätig sind“<br />
definiert. <strong>Die</strong>se Aufsicht geschieht durch Pastorenkonvente<br />
und -konferenzen, durch Visitationen und die Begleitung, Beratung<br />
und Förderung der Fortbildung der im Verkündigungsdienst<br />
stehenden Menschen. Der Superintendent oder die<br />
Superintendentin berichtet darüber dem Kirchenkre<strong>ist</strong>ag. Der<br />
Kirchenkreisvorstand kann im Einvernehmen mit dem Superintendenten<br />
oder der Superintendentin Aufsichtsbefugnisse<br />
an Pastoren oder Pastorinnen oder andere Mitarbeiter übertragen.<br />
Der Superintendent oder die Superintendentin bleibt<br />
gegenüber den Beauftragten weisungsbefugt und kann die<br />
Aufsicht in Einzelfällen persönlich ausüben. Nach § 30 Abs. 1<br />
führt der Superintendent oder die Superintendentin den Vor-<br />
113
Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />
sitz im Kirchenkreisvorstand. Artikel 54 KVerf bzw. § 57<br />
KKO bestimmen, dass das Amt mit einer bestimmten Pfarrstelle<br />
in einer Gemeinde verbunden <strong>ist</strong>.<br />
<strong>Die</strong> KVerf und die KKO gehen durch die Beschreibung der<br />
Aufgaben der „Aufsicht“ offenkundig davon aus, dass Aufsicht<br />
integraler Bestandteil eines Amtes <strong>ist</strong>, das zugleich als<br />
ge<strong>ist</strong>liches Amt verstanden wird, als ein Amt der Verkündigung,<br />
der seelsorgerlichen Begleitung und der theologischen<br />
und pastoralen Qualifizierung der mit der Verkündigung beauftragten<br />
oder sich darauf vorbereitenden Mitarbeitenden.<br />
<strong>Die</strong> Berichtspflicht gegenüber dem Kirchenkre<strong>ist</strong>ag bezieht<br />
sich auf diese Aufgabe. <strong>Die</strong> Wahrnehmung pfarramtlichen<br />
<strong>Die</strong>nstes in einer Gemeinde unterstreicht den Charakter dieses<br />
ge<strong>ist</strong>lichen Amtes. Durch den Vorsitz des Superintendenten<br />
oder der Superintendentin im Kirchenkreisvorstand wird<br />
deutlich, dass die Wahrnehmung rechtlicher und admin<strong>ist</strong>rativer<br />
Funktionen zu dem einen Amt hinzugehört. Es <strong>ist</strong> zu<br />
beachten, das die Bestimmung in ihrer letzten Überarbeitung<br />
aus der Zeit Anfang der siebziger Jahre stammt.<br />
II. Strukturelle Veränderungen<br />
<strong>Die</strong> Entwicklung der letzten mehr als drei Jahrzehnte seit In-<br />
Kraft-Treten der KVerf in der vorliegenden Form hat zu einer<br />
sehr weitgehenden Ausweitung und Ausdifferenzierung der<br />
kirchlichen Arbeit in den Gemeinden, besonders aber auch<br />
auf der Ebene des Kirchenkreises geführt. Viele gemeindliche<br />
Aufgaben, etwa die Jugendarbeit, die Bildungsarbeit und die<br />
diakonische Arbeit sind ohne Koordinierung, Kooperation<br />
und Durchführung auf der Ebene des Kirchenkreises nicht<br />
mehr möglich.<br />
Den Kirchenkreisen sind in den letzten Jahren mit weitreichender<br />
Budget- und Personalplanungsverantwortung zu<br />
Recht und völlig sachgemäß zusätzliche Aufgaben mit großem<br />
Konfliktpotential zugewachsen, die allen für die Leitung eines<br />
114
Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />
Kirchenkreises Verantwortlichen ein erhöhtes Maß von Bereitschaft<br />
zur Übernahme und tatsächlichen Ausübung von<br />
Leitungsverantwortung und zur Austragung von Konflikten<br />
abfordern. <strong>Die</strong> ökonomische Krise der Kirche und der diakonischen<br />
Einrichtungen erfordert erhebliche weitere Leitungsund<br />
Gestaltungsaufgaben.<br />
III. Veränderte Aufgaben im Amt<br />
<strong>Die</strong>se Entwicklung hat das Amt des Superintendenten oder<br />
der Superintendentin in starkem Maße verändert. Zu der Aufgabe<br />
der „ge<strong>ist</strong>lichen Aufsicht“ sind in erheblichem Maße<br />
„Aufgaben der admin<strong>ist</strong>rativen Führung“ mit weitreichender<br />
konzeptioneller, wirtschaftlicher und (arbeits-)rechtlicher Verantwortung<br />
in unselbständigen Einrichtungen, aber auch<br />
rechtlich selbständigen Unternehmen getreten. <strong>Die</strong>s <strong>ist</strong> ein bereits<br />
eingetretenes Faktum und scheint unumkehrbar zu sein.<br />
<strong>Die</strong> Aufgabe von „ge<strong>ist</strong>licher Begleitung“, die auf der Überzeugungskraft<br />
des Wortes und der geschw<strong>ist</strong>erlichen Zugewandtheit<br />
beruhen, und die Vorgesetztenfunktion, in der auch<br />
(rechts-)verbindliche Weisungen unter Umständen auch gegen<br />
den Willen Betroffener gegeben werden müssen, stehen in<br />
einer nicht hinreichend geklärten und gestalteten Spannung<br />
zueinander.<br />
IV. Zum Verhältnis von „ge<strong>ist</strong>licher Leitung“ und „admin<strong>ist</strong>rativer<br />
Führung“<br />
Es gilt darum, die nach wie vor zentrale ge<strong>ist</strong>liche Dimension<br />
des Amtes mit den Aufgaben des „Managements“ in ein<br />
ekklesiologisch verantwortetes Verhältnis zu setzen. Beide<br />
Aufgaben sind kein grundsätzlicher Widerspruch. Sie stehen<br />
auch nicht beziehungslos nebeneinander. Sie sind Teil des<br />
einen Auftrages der Kirche nach CA V, CA VII und CA XIV.<br />
Es <strong>ist</strong> gerade die theologische Herausforderung, die unbedingte<br />
Grundorientierung allen kirchlichen Handelns am<br />
115
Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />
Wort Gottes unter den Bedingungen und Grenzen der gegebenen<br />
Möglichkeiten in vorläufiger und fehlsamer Gestalt<br />
erkennbar und glaubwürdig zum Ausdruck zu bringen.<br />
Gleichwohl muss in dem einen Amt das „kommunikative<br />
Handeln“ in der ge<strong>ist</strong>lichen Leitung vom „disponierenden<br />
Handeln“ der admin<strong>ist</strong>rativen Führung unterschieden werden.<br />
In Fragen der Verkündigung und Seelsorge, in der Praxis gemeinsamen<br />
ge<strong>ist</strong>lichen Lebens kann und darf es auch in Zukunft<br />
keine Direktionsrechte geben. Hier gilt es, allein auf die<br />
geschw<strong>ist</strong>erliche Verständigung und verbindliche Vereinbarung<br />
zu setzen. Zugleich jedoch <strong>ist</strong> der Superintendent oder<br />
die Superintendentin auch <strong>Die</strong>nstvorgesetzter der Pastoren<br />
und Pastorinnen und hat auf die ordnungsgemäße Führung<br />
der Amtsgeschäfte und eine hinreichende Kooperation des<br />
Pastors und der Pastorin mit Mitarbeitenden in der Gemeinde<br />
und für die Belange des Kirchenkreises zu achten. <strong>Die</strong> Jahresgespräche<br />
sind hier ein wichtiges Instrument im Schnittpunkt<br />
und in der Balance von kommunikativem und disponierendem<br />
Handeln. Denn die Teilnahme an Jahresgesprächen <strong>ist</strong><br />
zwar verbindlich, die zu treffenden Zielvereinbarungen werden<br />
aber von dem Gedanken des vertraglichen Konsenses und<br />
nicht der Anweisung bestimmt.<br />
Zugleich machen die Jahresgespräche deutlich, dass den Superintendenten<br />
und Superintendentinnen über ihre herkömmlichen<br />
Aufgaben hinaus zunehmend Aufgaben der Begleitung<br />
des pfarramtlichen <strong>Die</strong>nstes zukommen, die weniger als<br />
<strong>Die</strong>nstaufsicht zu qualifizieren sind, sondern eher in der Tradition<br />
der Visitation stehen. Ziel dieser Begleitung <strong>ist</strong>, an den<br />
mit der Ordination verbundenen gesamtkirchlichen Auftrag zu<br />
erinnern, Wertschätzung zu vermitteln und die Gaben des einzelnen<br />
Pastors und der einzelnen Pastorin zu fördern und zu<br />
entwickeln. Zu prüfen <strong>ist</strong>, ob der Superintendent oder die<br />
Superintendentin für die wirksame Wahrnehmung der Aufgaben<br />
im Bereich der <strong>Die</strong>nstaufsicht hin- reichende rechtliche<br />
Möglichkeiten hat und ob die Aufgaben der Begleitung des<br />
pfarramtlichen <strong>Die</strong>nstes hinreichend klar umschrieben sind.<br />
116
Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />
In der Funktion des <strong>Die</strong>nstvorgesetzten jedoch kann der<br />
Superintendent oder die Superintendentin nicht zugleich<br />
Seelsorger oder Seelsorgerin sein. Aber auch hier gibt es, nicht<br />
nur in Konfliktfällen, selbstverständlich eine seelsorgerliche<br />
Verantwortung. Der Superintendent oder die Superintendentin<br />
muss erforderlichenfalls dafür sorgen, dass ein Pastor<br />
oder eine Pastorin eine andere Person als Seelsorger oder Seelsorgerin<br />
in Anspruch nehmen kann.<br />
<strong>Die</strong> Rolle des oder der <strong>Die</strong>nstvorgesetzten von Pastorinnen<br />
und Pastoren im ordinierten Amt <strong>ist</strong> von der Rolle als <strong>Die</strong>nstvorgesetzte<br />
oder <strong>Die</strong>nstvorgesetzter in privatrechtlichen<br />
<strong>Die</strong>nstverhältnissen zu unterscheiden. Im Verhältnis zu privatrechtlich<br />
beschäftigten Mitarbeitenden des Kirchenkreises<br />
nehmen die Superintendenten und Superintendentinnen im<br />
Namen des Kirchenkreisvorstandes ein Direktionsrecht wahr.<br />
Eine besondere Aufgabe <strong>ist</strong> es, sich als Superintendent oder<br />
Superintendentin der verschiedenen Rollen in ge<strong>ist</strong>licher<br />
Leitung und admin<strong>ist</strong>rativer Führung bewusst zu sein und sie<br />
in den Beziehungen zu den Mitarbeitenden offen zu legen.<br />
<strong>Die</strong> in den verschiedenen Rollen angelegte Spannung <strong>ist</strong> unauflöslich<br />
und Teil der Gestaltungsaufgabe.<br />
V. Zur Bedeutung der <strong>Superintendentur</strong>gemeinde für die<br />
ge<strong>ist</strong>liche Dimension des Amtes<br />
Von besonderer Bedeutung für die Ausformung der ge<strong>ist</strong>lichen<br />
Dimension bleibt die Verankerung in der <strong>Superintendentur</strong>gemeinde.<br />
<strong>Die</strong> Gewichtung zwischen den Aufgaben in<br />
der <strong>Superintendentur</strong>gemeinde und den Aufgaben im<br />
Kirchenkreis <strong>ist</strong> strittig geworden. Nicht selten stehen die Erwartungen<br />
in der <strong>Superintendentur</strong>gemeinde und im Kirchenkreis<br />
unvermittelt nebeneinander und gehen dann in ihrer<br />
Summe über das Maß des zu Le<strong>ist</strong>enden hinaus. Auch im<br />
Blick auf die Bewertung des Gemeindeanteils des Superintendenten<br />
oder der Superintendentin in der Stellenplanung<br />
117
Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />
gibt es Konflikte. Seitens vieler Superintendenten und Superintendentinnen<br />
wird diese Spannung als nicht hinreichend<br />
geklärt und darum als belastend empfunden. <strong>Die</strong> Fülle der<br />
Aufgaben macht es für viele zunehmend schwer, wenn nicht<br />
unmöglich, insbesondere die Aufgaben des pfarramtlichen<br />
<strong>Die</strong>nstes im Rahmen der umfassenden Aufgaben einer anteiligen<br />
Pfarrstelle in einer Gemeinde hinreichend wahrzunehmen.<br />
<strong>Die</strong>s gilt weniger für die Aufgaben des Gottesdienstes<br />
oder die Wahrnehmung einer thematisch oder problemorientierten<br />
Projektarbeit. Hier gibt es hinreichende zeitliche Dispositionsmöglichkeiten.<br />
Es gilt um so mehr bezogen auf den<br />
Gemeindebezirk im Bereich der Seelsorge, der Amtshandlungen,<br />
der Besuche und des Unterrichts. Hier <strong>ist</strong> in vielen<br />
Kirchenkreisen die hinreichende zeitliche Verfügbarkeit des<br />
Superintendenten oder der Superintendentin nicht mehr gegeben.<br />
<strong>Die</strong>s führt häufig zu zusätzlichen und nicht gewichteten<br />
Belastungen des anderen Pastors oder der Pastorin der <strong>Superintendentur</strong>gemeinde.<br />
Es bedeutet vor allem aber Enttäuschungen<br />
der Gemeindeglieder des Gemeindebezirkes der<br />
Superintendentin oder des Superintendenten, die zu oft dann<br />
nicht präsent sein können, wenn es der Anlass verlangt. Es<br />
wird daher gefragt, ob die rechtliche Verpflichtung zu pfarramtlichem<br />
<strong>Die</strong>nst im vollen inhaltlichen Umfang eines Gemeindebezirkes<br />
in jedem Fall aufrecht erhalten werden sollte.<br />
VI. Pfarramtlicher <strong>Die</strong>nst in der Gemeinde<br />
Das Grundanliegen der strengen Verknüpfung der Aufgaben<br />
der Superintendentin oder des Superintendenten mit gemeindlichem<br />
pfarramtlichem <strong>Die</strong>nst liegt in der ge<strong>ist</strong>lichen<br />
Rückbindung an den Verkündigungsauftrag, der Verortung in<br />
einer konkreten Gemeinde und der Verankerung der Aufsichtsaufgaben<br />
in eigenen und unmittelbaren und fortdauernden<br />
Praxiserfahrungen. <strong>Die</strong>ses Grundanliegen bleibt von<br />
wesentlicher Bedeutung. Daher sollte dort, wo die Größe und<br />
Struktur des Kirchenkreises und die daraus folgenden Aufgaben<br />
des Superintendenten oder der Superintendentin dem<br />
118
Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />
nicht entgegenstehen, die Verknüpfung mit einem Seelsorgebezirk<br />
auch in Zukunft aufrechterhalten bleiben. Sie sollte jedoch<br />
in begründeten Fällen aufgehoben werden können. Hier<br />
kann der Superintendent oder die Superintendentin über die<br />
Beteiligung am gottesdienstlichen Geschehen und durch<br />
Projekte und Aufgaben in die Gemeinde eingebunden bleiben,<br />
die sich mit der Zeitstruktur der Aufgaben auf der Ebene<br />
des Kirchenkreises vertragen.<br />
VII. <strong>Die</strong> pastorale Aufgabe im Kirchenkreis<br />
<strong>Die</strong> Verbindung mit pfarramtlichem <strong>Die</strong>nst in der <strong>Superintendentur</strong>gemeinde<br />
<strong>ist</strong> jedoch nicht die einzige Möglichkeit<br />
und das einzige Handlungsfeld, in dem die ge<strong>ist</strong>liche<br />
Dimension des Amtes sich ausdrückt. Das Amt <strong>ist</strong> ja gerade<br />
darauf angelegt, die Mitarbeitenden auch auf der Ebene des<br />
Kirchenkreises durch Verkündigung des Evangeliums, Seelsorge,<br />
theologische Arbeit und geschw<strong>ist</strong>erlichen fachlichen<br />
(und damit auch theologischen) Rat ge<strong>ist</strong>lich zu begleiten.<br />
<strong>Die</strong>se ge<strong>ist</strong>liche Leitung geschieht in Gottesdienst, Gebet, Arbeit<br />
mit der Bibel, theologischem Gespräch zu besonderen<br />
Zeiten und an besonderen Orten. Ge<strong>ist</strong>liche Leitung <strong>ist</strong> aber<br />
auch eine Dimension in den alltäglichen Arbeitsbeziehungen,<br />
in den nicht selten konflikthaften Beratungen und in den<br />
Dilemmata, in die auch kirchliche Arbeit immer wieder gerät,<br />
etwa in der Spannung von Mitarbeiterinteresse und Gemeindebedürfnis,<br />
von persönlicher Neigung und gestelltem<br />
Auftrag. Hier gilt es, die notwendigen sachlichen und rechtlichen<br />
Aufgaben der Leitung als Vorgesetzter im admin<strong>ist</strong>rativen<br />
Sinne theologisch zu reflektieren und zu verantworten.<br />
<strong>Die</strong> spirituelle Dimension auf den verschiedenen Ebenen und<br />
Dimensionen kirchlichen Handelns und in seinen Alltagsbezügen<br />
im Kirchenkreis zu erinnern, zu wecken, zu fördern<br />
und zu gestalten <strong>ist</strong> eine, wenn nicht die zentrale pastorale<br />
Aufgabe des Superintendenten und der Superintendentin. In<br />
der Abwägung des Ressourceneinsatzes kann es hier ange-<br />
119
Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />
messen und sachgerecht sein, zugunsten dieser Aufgabe auf<br />
die Wahrnehmung der vollen pastoralen Aufgabe in einem gemeindlichen<br />
Gemeindebezirk zu verzichten. Eine solche Entscheidung<br />
kann nur im Einvernehmen aller Beteiligten<br />
(Superintendent oder Superintendentin, Kirchenvorstand der<br />
<strong>Superintendentur</strong>gemeinde, Kirchenkreisvorstand, Landeskirchenamt)<br />
getroffen werden.<br />
VIII. <strong>Die</strong> Führungsaufgabe im Kirchenkreis<br />
Der Superintendent oder die Superintendentin muss über seine<br />
ge<strong>ist</strong>liche Leitungsaufgabe auch in die strategischen und<br />
konzeptionellen Führungsaufgaben des Kirchenkreises eingebunden<br />
bleiben. <strong>Die</strong>s gebietet die Notwendigkeit der theologischen<br />
Reflexion und Verantwortung für struktureller<br />
Entscheidungen wirtschaftlicher, rechtlicher und personeller<br />
Art.<br />
Zu fragen <strong>ist</strong> jedoch, wie der Superintendent oder die Superintendentin<br />
von Aufgaben entlastet werden kann, die andere<br />
haupt- aber auch ehrenamtlich Mitarbeitende besser wahrnehmen<br />
können. <strong>Die</strong>s gilt vor allem für Aufgaben wirtschaftlicher<br />
und admin<strong>ist</strong>rativer Art. Dafür müssen die Qualifikationsanforderungen<br />
und die Aufgaben des Kirchenkreisamtes und<br />
insbesondere des Leiters oder der Leiterin des Kirchenkreisamts<br />
genau definiert und ihr Verhältnis zum Amt des Superintendenten<br />
oder der Superintendentin präzise bestimmt sein.<br />
Eine Verschiebung von Entscheidungskompetenzen und<br />
Macht zugunsten des Kirchenkreisamtes <strong>ist</strong> damit nicht notwendig<br />
verbunden. <strong>Die</strong> <strong>Die</strong>nstle<strong>ist</strong>ungsfunktion des Kirchenkreisamtes<br />
für die Organe des Kirchenkreises und den<br />
Superintendenten oder die Superintendentin kann vielmehr<br />
sogar besser pointiert und qualifiziert werden.<br />
Besonderes Augenmerk sollte auf die besonderen Kompetenzen<br />
der ehrenamtlich Mitarbeitenden gerichtet sein. Hier gilt<br />
es, Menschen mit geeigneten beruflichen Qualifikationen zu<br />
120
Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />
gewinnen, die tatsächlich eigenständig Verantwortung im<br />
Rahmen der Kirchenkreisordnung, insbesondere auch im<br />
Kirchenkreisvorstand im Sinne einer Geschäftsverteilung zu<br />
übernehmen in der Lage sind. Zu denken <strong>ist</strong> besonders an<br />
Menschen mit Qualifikationen im Bereich der Pädagogik, der<br />
Ökonomie und des Finanzwesens, des Rechts, der Organisationsentwicklung<br />
und Unternehmensführung.<br />
Für die Entlastung und Konzentration des Amtes der Superintendentin<br />
oder des Superintendenten sollte aber auch verstärkt<br />
von den Möglichkeiten der Delegation von Aufgaben,<br />
wie sie in § 56 Abs. 3 und 4 KKO vorgesehen sind, im Sinne<br />
einer geschw<strong>ist</strong>erlichen und gabenorientierten Arbeitsteilung<br />
Gebrauch gemacht werden. So kann Zeit und Kraft für die<br />
ge<strong>ist</strong>lichen und konzeptionellen Kernaufgaben gewonnen<br />
werden. Eine Aufgabenteilung in der <strong>Superintendentur</strong> geht<br />
freilich mit einer Bereitschaft zur Selbstbegrenzung und dem<br />
vertrauensvollen Teilen von Befugnissen und Macht einher.<br />
Außerdem wirft sie die Frage auf, ob eine Wahl der Stellvertreter<br />
und Stellvertreterinnen im Amt des Superintendenten<br />
oder der Superintendentin allein durch den Pfarrkonvent auf<br />
Dauer eine ausreichende Legitimation für die Wahrnehmung<br />
des Amtes darstellt.<br />
IX. Begleitung im Amt<br />
In den komplexen Aufgaben bedarf der Superintendent oder<br />
die Superintendentin der fachlichen und seelsorgerlichen Begleitung.<br />
Nicht nur für die Pastorinnen und Pastoren sondern<br />
in besonderer Weise für die Superintendenten und Superintendentinnen<br />
liegen hier wesentliche Aufgaben des Landessuperintendenten<br />
oder der Landessuperintendentin. <strong>Die</strong>s <strong>ist</strong><br />
auch in besonderer Weise möglich, da sie nicht unmittelbar in<br />
das Verwaltungshandeln und die Entscheidungsprozesse des<br />
Kirchenkreises eingebunden sind. Sie können theologische<br />
und konzeptionelle Arbeit anregen und zum gottesdienstlichen<br />
und ge<strong>ist</strong>lichen Leben beitragen. Darüber hinaus kön-<br />
121
Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />
nen der Landessuperintendent oder die Landessuperintendentin<br />
als „intermediäre Instanz“ Aktivitäten und Projekte<br />
miteinander verknüpfen und vor allem in Konflikten im<br />
Kirchenkreis vermitteln. <strong>Die</strong>s wird besonders dann wichtig,<br />
wenn der Superintendent oder die Superintendentin mit seiner<br />
oder ihrer Vermittlungsaufgabe an Grenzen stößt oder selber<br />
Teil des Konfliktes <strong>ist</strong>.<br />
Darüber hinaus gibt es weitere Instrumente der Begleitung für<br />
Superintendenten oder Superintendentinnen, etwa Balintgruppen<br />
oder den jährlichen Ephorenkonvent.<br />
X. Vorbereitende Qualifizierung für das Amt des Superintendenten<br />
oder der Superintendentin<br />
Es bleibt dringend geboten, für diese Leitungsaufgabe sorgfältig<br />
zu qualifizieren. <strong>Die</strong> vorhandenen einführenden und begleitenden<br />
Angebote zu Beginn und während des Amtes sind<br />
bewährt und können fortentwickelt werden.<br />
Es bedarf jedoch einer vorgeschalteten Weiterbildung von<br />
Pastorinnen und Pastoren, denen das Amt von ihren<br />
Schlüsselqualifikationen her zugetraut werden kann. <strong>Die</strong>s<br />
wäre ein wesentliches Instrument mittelfr<strong>ist</strong>iger Personalplanung,<br />
um einen Pool von Kandidaten für Leitungsämter in<br />
Kirche und Diakonie aufzubauen.<br />
Das Amt eines Superintendenten oder einer Superintendentin<br />
hat eine große gemeinsame Schnittmenge mit Leitungsaufgaben<br />
in der Diakonie.<br />
Von daher bietet sich ein berufsbegleitender Weiterbildungsstudiengang<br />
für Pastorinnen und Pastoren an. Ein entsprechendes<br />
Angebot sollte als Kooperation geeigneter Träger von der<br />
Landeskirche initiiert werden. Darüber hinaus sollte geprüft werden,<br />
ob und inwieweit ein solches Angebot in Zusammenarbeit<br />
mit anderen Landeskirchen durchgeführt werden kann.<br />
122
XI. Struktur einer <strong>Die</strong>nstordnung für den Superintendenten/<br />
die Superintendentin<br />
Pfarrerschaft<br />
Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />
Förderung des ge<strong>ist</strong>lichen Lebens, der pastoralen und theologischen<br />
Kompetenz<br />
Pfarrkonvente<br />
Einkehrtage<br />
Theologische und pastorale Arbeitskreise<br />
Personalführung und Begleitung<br />
Einführung/Kontaktpflege/Verabschiedung<br />
Visitieren<br />
Personalentwicklung/Fortbildung<br />
Jahresgespräche<br />
Beratung mit Landessuperintendent/Landessuperintendentin<br />
Aufsicht<br />
Kirchengemeinden<br />
Förderung des kirchlichen Lebens<br />
Impulse für das ge<strong>ist</strong>liche Leben (Gottesdienste und Besuche)<br />
Impulse zur Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden<br />
(Parochiale Veränderungen/Regionalisierung)<br />
Impulse für die Arbeit der Gemeinden auf Kirchenkreisebene<br />
Unterstützung in Planungs- und Entscheidungsprozessen<br />
Begleitung und Beratung in der Stellenplanung<br />
Unterstützung bei Besetzung von Pfarrstellen<br />
Aufsicht<br />
Visitation<br />
Bearbeitung von Konflikten<br />
<strong>Superintendentur</strong>gemeinde<br />
Wahrnehmung von pfarramtlichem <strong>Die</strong>nst (im Rahmen einer<br />
Pfarrstelle mit Gemeindebezirk) oder Teilhabe am Ver-<br />
123
Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />
kündigungsdienst und ge<strong>ist</strong>lichen Leben einer Gemeinde<br />
(ohne Gemeindebezirk)<br />
Kirchenkreis<br />
Förderung des kirchlichen Lebens<br />
Impulse für das ge<strong>ist</strong>liche Leben<br />
Begleitung der diakonischen Arbeit<br />
Anregung missionarischer Projekte<br />
Verknüpfung von Schule/Bildung und Kirche<br />
Wahrnehmung ökumenischer Kontakte<br />
Vertretung in der Öffentlichkeit<br />
Kontakte zu kommunalen, politischen und sozialen Körperschaften<br />
Kontakte zu Vertretern des öffentlichen Lebens aus Gesellschaft,<br />
Politik, Kunst und Kultur<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
Leitung und Verwaltung (Kirchenkreisverwaltung/Kirchenkre<strong>ist</strong>ag)<br />
Beteiligung an der Erfüllung der Aufgaben nach §§ 38,39,42<br />
KKO<br />
Regelung der Übertragung von Befugnissen und Organisation<br />
der Zusammenarbeit (Delegations- und Vertretungsregelungen,<br />
<strong>Die</strong>nstbesprechungen)<br />
Zusammenarbeit mit dem KKA (über dessen Leiter, der präzisierte<br />
Kompetenzen der operativen Zuarbeit hat)<br />
Beschwerde-Instanz im Kirchenkreis (auch Mitarbeitervertretung)<br />
Bericht vor dem Kirchenkre<strong>ist</strong>ag<br />
Mitwirkung an Einrichtungen des Kirchenkreise<br />
Wahrnehmung von Pflichtaufgaben in anderen Einrichtungen<br />
und dienstbezogenen Ehren- und Wahlämtern<br />
124
Sprengel<br />
Ephorenkonferenz<br />
Generalkonvent<br />
Projekte auf Sprengelebene<br />
Landeskirche<br />
Martin Schindehütte: Überlegungen zur Profilierung des Amtes<br />
Ephorenkonvent<br />
Zusammenarbeit mit dem Landeskirchenamt<br />
125
126
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
Zum Profil der Ephorien angesichts von<br />
Veränderungsprozessen in den letzten Jahren 1<br />
Volker Weymann<br />
1. Anstöße zur Frage nach dem Profil von Ephorien<br />
Mit der so genannten Verstärkung der mittleren Ebene sind<br />
seit den neunziger Jahren in den Landeskirchen auf die<br />
Ephorien, ihre leitenden Organe und Personen, eine Reihe<br />
neuer Aufgaben zugekommen: wie Verantwortung für Einsparungen,<br />
für Stellen- und Personalplanung, für strukturelle<br />
Reform- bzw. Anpassungs- und damit zugleich konzeptionelle<br />
Klärungsprozesse.<br />
<strong>Die</strong>s verbindet sich in den Ephorien notwendig mit Wahrnehmung<br />
und Verständigung zu Situation und Weg der Gemeinden,<br />
zu Grundaufgaben der Kirche wie zu spezifischen<br />
Herausforderungen in der jeweiligen Lebenswelt, zur Zusammenarbeit<br />
zwischen den Gemeinden und zu regional bzw.<br />
ephoral notwendig gemeinsamer Verantwortung. <strong>Die</strong>se Veränderungen<br />
und damit gewichtige, wie nicht selten zugleich<br />
konfliktträchtige neue Aufgaben provozieren offensichtlich<br />
die Frage nach einem „Wir-Gefühl“ oder auch nach einem<br />
Leitbild, nach spezifischen Kennzeichen bzw. nach dem Profil<br />
in der jeweiligen Ephorie. 2<br />
So sollen hier zunächst aufgrund einer Umfrage Veränderungen<br />
und Suchprozesse in verschiedenen Ephorien in den Blick<br />
kommen (2.). Angesichts dessen wird im Gespräch mit den<br />
gewonnenen Einblicken das Profil der Ephorien von drei<br />
Dimensionen her umrissen: Ephorien als Feld gemeinsamer<br />
Aufgaben (3.), – als Aufsichtsbezirk (4.), – als Gestalt von Kirche<br />
(5.). Dabei geht es nicht um Segmente, vielmehr um<br />
Dimensionen, die sich in Profilbildung bzw. Profil von Ephorien<br />
notwendig gegenseitig herausfordern und überschneiden.<br />
127
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
2. Blick auf Veränderungen und Suchprozesse<br />
Aus einer Umfrage:<br />
Mit einer Anfrage bei 22 Ephorien in sechs Gliedkirchen der<br />
Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands<br />
(außer Mecklenburg und Schaumburg-Lippe) wurde der<br />
Fragebogen zu Kennzeichen von Ephorien angesichts von<br />
Veränderungen in den letzten Jahren aus 13 Ephorien beantwortet.<br />
3 Aufgrund dieser begrenzten empirischen Basis sollen<br />
hier zunächst einige Auskünfte im Überblick akzentuiert werden<br />
und hernach wichtige Aspekte Anstöße geben für Überlegungen<br />
zum Profil von Ephorien.<br />
Zur Größe der Ephorien nach Gemeindegliederzahl und Anzahl<br />
Gemeinden zeigt sich eine beträchtliche Spannweite. So<br />
in westlichen Kirchen: Weißenburg mit 22.400 Gemeindegliedern<br />
in dreißig, Walsrode mit 44.800 in 14, Neumünster<br />
mit 120.000 in 29 Gemeinden. <strong>Die</strong> Zusammenlegung von<br />
Kirchengemeinden und Pfarrbezirken (über Schwesterkirch-<br />
Verhältnisse, Kirchspiele bis hin zu Regionalgemeinden) <strong>ist</strong> in<br />
den östlichen Kirchen deutlich akut: Rudolstadt-Saalfeld mit<br />
41.600 Gemeindegliedern in noch 128 Gemeinden, Altenburg<br />
mit 22.000 in noch 80 Gemeinden, Borna mit 16.000 in 34<br />
Gemeinden, die gegenwärtig auf dem Weg zu 13 Regionalgemeinden<br />
sind. – Dabei <strong>ist</strong> freilich der prozentuale Anteil von<br />
evangelischen Kirchengliedern an der Bevölkerung in der jeweiligen<br />
Ephorie in Betracht zu ziehen: im Osten von Gera<br />
mit ca. 12% über Borna mit ca. 16% bis Rudolstadt-Saalfeld<br />
mit ca. 32%; im Westen von Blankenese mit ca. 40% über<br />
Weißenburg mit ca. 60% (dabei aber 95% in einer Kirche) bis<br />
Kappeln mit 77% (79% in einer Kirche). – Schon damit steht<br />
zu vermuten: Überlegungen zum Profil müssen ebenso<br />
Grundzügen und elementaren Aufgaben einer Ephorie gelten<br />
wie ihrer spezifischen Situation etwa in demographischer<br />
Hinsicht samt geringerer oder stärkerer Minorisierung von<br />
Zugehörigkeit zur Kirche, angesichts besonderer Herausforderungen<br />
von außen wie innen und in Korrespondenz mit<br />
dem sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen Kontext.<br />
128
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
Wieweit sind die Ephorien durch Zusammenlegung mehrerer<br />
früherer entstanden? Von sechs der befragten Ephorien in<br />
westlichen Gliedkirchen sind zwei durch Zusammenlegung<br />
von früher zwei allerdings schon vor über dreißig Jahren, entstanden:<br />
Weißenburg (1969 mit sehr kleinem Nachbar-Dekanat<br />
Thalmässing) und Kappeln (1971 im Zuge der politischen<br />
Kreis- und Gemeindereform). Freilich <strong>ist</strong> dies (abgesehen von<br />
Bayern) für Ephorien in westlichen Gliedkirchen nicht<br />
typisch. Denn: in Hannover sind in den letzten Jahren eine<br />
Reihe von Ephorien zusammengelegt und vergrößert worden<br />
– und in Nordelbien steht eine beträchtliche Verringerung der<br />
Propsteien und so deren Vergrößerung an: so sollen bis 2008<br />
etwa mit Blankenese drei weitere Kirchenkreise verbunden<br />
werden. – Von den sechs befragten Ephorien in östlichen<br />
Gliedkirchen sind in den letzten fünf bis zehn Jahren vier<br />
durch Zusammenlegung entstanden: Altenburg und Rudolstadt-Saalfeld<br />
aus drei, Gera und Löbau-Zittau aus zwei früheren<br />
Ephorien. Gründe dafür sind hier durchwegs:<br />
Sparmaßnahmen, Stellenreduktion, Strukturanpassung. – Zumal<br />
da, wo sich evangelische Kirche in zugespitzter<br />
Minoritäts-Situation befindet, wirkt sich die Entstehung der<br />
Ephorie aus mehreren früheren auch dahin aus, dass Entwicklung<br />
eines Kirchenkreisbewusstseins bzw. eines Verständnisses<br />
von auch übergemeindlicher Kirche (etwa in Gera<br />
und Löbau-Zittau) als entscheidende ephorale Aufgabe angesehen<br />
wird.<br />
Mit Vergrößerung von Kirchenkreisen wie mit der so genannte<br />
Verstärkung der mittleren Ebene wurde schon wegen der<br />
Arbeitskapazität die Frage akut, wieweit (auch bei Installation<br />
stellvertretender Ephoren) das ephorale Amt mit einem<br />
begrenzten Gemeindepfarramt verbunden bleiben kann.<br />
Dabei zeichnet sich gegenwärtig folgende Bandbreite ab:<br />
Borna 50:50, Weißenburg 58:42, Walsrode 60:40, Thüringer<br />
Ephorien im Übergang zu 75:25 ab 2008, in Nordelbien ohne<br />
bestimmtes Gemeindepfarramt, jedoch mit Predigtstätte in<br />
einer Kirchengemeinde und Zuordnung zu deren Kirchenvorstand.<br />
– Damit entsteht die Frage, welche Gestalt das (nach<br />
129
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
CA XXVIII) gerade auch ephorale Grundamt finden bzw. wie<br />
sich dies auf Verständnis wie Gestaltung der Ephorie auch als<br />
einer Gestalt von Kirche auswirken wird.<br />
<strong>Die</strong> Reduktion von Stellen im Verkündigungsdienst verändert<br />
einschneidend die Konstellation von Kirchengemeinden,<br />
erfordert verstärkt Kooperation im Kirchenkreis und stellt<br />
insgesamt eine besondere konzeptionelle wie menschliche<br />
Herausforderung der Ephoren wie der zuständigen Gremien<br />
in der Ephorie (vor allem Kirchenkreissynode wie –Vorstand<br />
und Strukturausschuss) dar. Hier steigt in den westlichen<br />
Gliedkirchen die Dramatik von Süden nach Norden. In<br />
Weißenburg musste um eine Pfarrstelle auf 18,5 Stellen reduziert<br />
werden – bei Erhöhung einer Stelle für Religionspädagogik<br />
von 0,5 auf eine; so sehr dies bei zeitweilig fünf<br />
Vakanzen „mörderisch auch für den Dekan“ wurde, war dort<br />
ab Herbst 2004 „Land in Sicht“. <strong>Die</strong> Stellenreduktion in<br />
Walsrode auf 16,75 Pfarrstellen (bei doppelt soviel<br />
Gemeindegliedern und halb soviel Gemeinden wie in Weißenburg)<br />
erwies sich als „dramatisch“. In Nordelbien stehen<br />
Stellenreduktionen „auf allen Ebenen in einschneidender<br />
Weise an“. In Sachsen und Thüringen bedeutet einschneidende<br />
Reduktion: in der Ephorie Altenburg von jetzt 36,5 Pfarrstellen<br />
bis 2008 auf 32,5 und bis Ende 2012 auf 25<br />
Pfarrstellen, in Borna von 28,5 Stellen 1998 auf jetzt 17,75<br />
„VzÄ“ (Vollzeit-Äquivalente), in Pirna von 40 Pfarrstellen bis<br />
1997 auf jetzt 25, bis 2005 mit weiterer Reduktion um 1,5<br />
Pfarr-, 1,7 Gemeindepädagogen- und 1,5 Kantoren-Stellen.<br />
Nicht nur in den östlichen Gliedkirchen, sondern etwa auch in<br />
Nordelbien sind Stellenreduktionen in der Kirchenmusik heftig<br />
im Gang. – Mit solchen Reduktionen stellt sich die Frage,<br />
wie mit merklich weniger Kräften in unausweichlich missionarischer<br />
Situation das Evangelium unter die Menschen<br />
gebracht werden kann. Zudem steigt die Beanspruchung der<br />
ephoral Verantwortlichen durch finanzielle, strukturelle,<br />
menschliche Herausforderungen samt unvermeidlicher<br />
„Trauerarbeit“ und verschärft sich die Aufgabe, mit geringer<br />
werdenden Mitteln prospektive Wege zu bahnen. – Von daher<br />
130
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
einige Auskünfte, worin angesichts dessen entscheidende<br />
ephorale bzw. regionale Aufgaben gesehen werden:<br />
– Gera: ephoral – „Öffentlichkeitswirksamkeit der Gemeinden“<br />
und „Verständnis der Kirche als auch übergemeindlich“,<br />
regional – „Profil finden und stärken“ und „Mut zur Lücke“.<br />
– Neumünster: ephoral – „gerade auch hier ge<strong>ist</strong>liche<br />
Leitung!“, „Themen und Herausforderungen außerhalb des<br />
Strukturprozesses im Blick und wach halten, thematisieren“,<br />
regional – „an einem Bewusstsein für das Ganze der Kirche<br />
arbeiten“.<br />
– Walsrode: „ge<strong>ist</strong>liche Leitung“, „MitarbeiterInnenleitung“,<br />
„Interne Kommunikation stärken“, „Bearbeitung von Konflikten“<br />
und „Interessenausgleich“.<br />
– Löbau-Zittau: ephoral – „Gewinnung Ehrenamtlicher für<br />
Gemeinden und Ephorie“, „Sortieren der Arbeit nach lohnenden<br />
Neuansätzen und auslaufenden Bereichen ohne weitere<br />
Investition“, regional – „Finden der regionalen Schwerpunkte“.<br />
Verbunden mit der Verringerung hauptamtlicher wie teilzeitlicher<br />
Kapazitäten in Kirchengemeinden wie mit der Vergrößerung<br />
von Kirchenkreisen und Minorisierungsprozessen<br />
der Kirchenzugehörigkeit wird Kooperation auf der Ebene<br />
von Regionen wie des Kirchenkreises verstärkt notwendig.<br />
Dazu gehören nicht erst neuerdings in allen befragten<br />
Ephorien diakonische Aufgaben (teils auch mit Nachbarkirchenkreisen)<br />
samt Krankenhaus-, Altersheim- und Notfallseelsorge.<br />
Was die Angaben aus westlichen Gliedkirchen<br />
betrifft, kommt in Nordelbien dazu verstärkt die Regionalisierung<br />
von Mitarbeitenden-Stellen auch in der Kirchenmusik,<br />
um qualifizierte Arbeitsplätze zu ermöglichen. In den östlichen<br />
Gliedkirchen werden darüber hinaus auch Aufgaben,<br />
die bisher ihren Ort primär in Ortsgemeinden hatten, zunehmend<br />
regional wahrgenommen: so Kinder-, Konfirmandenund<br />
Jugendarbeit, aber auch Gottesdienste, missionarische<br />
Projekte, Freizeiten und Rüstzeiten mit Kirchenvorständen<br />
oder Öffentlichkeitsarbeit über regionale Gemeindebriefe.<br />
131
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
2.1. Einschneidende Veränderungen – prospektiv aufgenommen:<br />
in der Ephorie Borna<br />
Bei der Umfrage zeigte sich, dass die Ephorie Borna mit besonders<br />
einschneidenden Veränderungen zu schaffen hat,<br />
diese aber zugleich erstaunlich prospektiv aufzunehmen sucht.<br />
Dazu soll hier aufgrund von zwei Dokumenten berichtet werden:<br />
„Gegebenheiten sehen – ohne Furcht handeln im Kirchenbezirk<br />
Borna: Wegmarkierung ins Jahr 2020. Konzeption“<br />
– beschlossen durch die Kirchenbezirkssynode<br />
Borna mit 4/5 Mehrheit im Juni 2004 (A.); der Weg dahin<br />
wurde eröffnet durch eine „Konzeptionelle Visitation im Kirchenbezirk<br />
Borna 1999 bis 2001“ (B.). Damit liegt eine<br />
Grundsatzentscheidung zu einem neuen Kirchenbezirks-Modell<br />
vor, das für die ganze Landeskirche in Sachsen Erprobungscharakter<br />
trägt (so A., S. 5).<br />
<strong>Die</strong> prospektive Ausrichtung <strong>ist</strong> schon mit dem biblischen<br />
Leitwort signalisiert: „Gott will, dass allen Menschen geholfen<br />
werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1.<br />
Timotheus 2,4), – und dem daraus folgenden Leitmotiv: „In<br />
der Nachfolge unseres Herrn Jesus Chr<strong>ist</strong>us sehen wir in dieser<br />
Aussage das Leitmotiv für unser Handeln im Kirchenbezirk<br />
Borna. Unser Auftrag richtet sich an alle Menschen, nicht<br />
nur an unsere Kirchgemeindeglieder. Wir sehen den Sinn<br />
unserer Ex<strong>ist</strong>enz darin, allen Menschen in Wort und Werk die<br />
frohe Botschaft Gottes zu vermitteln.“ (A., S. 1)<br />
Zu den herausfordernden Gegebenheiten dort gehören folgende<br />
Zahlen und Relationen: Für 23.000 Gemeindeglieder<br />
waren 1998 in 54 Gemeinden noch 28 Pfarrer zuständig, ab<br />
1999 zunächst in 13 Regionen nur noch 17,75 Pfarrer, zuzüglich<br />
Superintendent. Nach genauer Zählung hatte sich im Jahr<br />
2003 die Gemeindegliederzahl auf 15.700 verringert. Dabei<br />
gehören 16,26% (mit örtlichen Unterschieden von acht bis<br />
42%, in der Stadt Borna mit 10,52%) zur evangelischen – und<br />
insgesamt 22% zu einer Kirche. Dass die Zahl evangelischer<br />
Kirchenglieder über vier Jahre um 7.300 abgenommen hat,<br />
132
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
ergab sich (neben ungenauen Ausgangszahlen 1998) aus folgenden<br />
Gründen: durch Abwanderung (seit 1990 haben zwischen<br />
30 und 35% der Bevölkerung den Leipziger Landkreis<br />
verlassen, davon etwa die Hälfte im Alter zwischen 18 und 30<br />
Jahren), durch Überalterung und fehlende wirtschaftliche<br />
Perspektiven in der Region.<br />
Angesichts dieser demographischen, wirtschaftlichen, sozialen<br />
Entwicklungen samt ihrer Auswirkung auf Anzahl und Alter<br />
der Gemeindeglieder wie angesichts der Stellenreduktionen:<br />
im Pfarramt noch 17,75, in der Berufsgruppe der Gemeindepädagogen<br />
ebenso gravierend mit noch 7,25 VzÄ (Vollzeit-<br />
Äquivalenten) sowie in der Kirchenmusik bei 1,7 VzÄ B- und<br />
3,89 C-Stellen kann eine weitere Verringerung keinen Sinn<br />
mehr haben. Denn für die Mitarbeitenden heißt dies: „Schon<br />
jetzt <strong>ist</strong> bei den me<strong>ist</strong>en Pfarrern und den andern Mitarbeitern<br />
im Verkündigungsdienst eine psychische Überlastung festzustellen.<br />
<strong>Die</strong> Differenz zwischen dem von anderen und sich<br />
selbst gesetzten Berufsanspruch und den tatsächlichen Umsetzungsmöglichkeiten<br />
<strong>ist</strong> auf die Dauer unerträglich groß.“<br />
Damit wurde zugleich als elementarer Impuls für die<br />
Neugestaltung des Kirchenbezirks deutlich: „Auch wenn eine<br />
Personalreduzierung in der Landeskirche ökonomisch geboten<br />
<strong>ist</strong> ..., <strong>ist</strong> sinnvolle Arbeit in den herkömmlichen Strukturen<br />
im Kirchenbezirk Borna weder zu erwarten noch zu<br />
verantworten.“ (A., S. 3)<br />
Damit hat sich als Zielrichtung ergeben: „Der Kirchenbezirk<br />
entwickelt ein Konzentrationsmodell und bleibt als regionale<br />
kirchliche Bezugsgröße erhalten. Er muss dabei jedoch zunehmend<br />
bisherige Parochialaufgaben übernehmen.“ (A., S.3) So<br />
sind gegenüber 54 Kirchgemeinden bis 1998 zunächst durch<br />
Schwesterkirchverhältnisse und Kirchspiele 34 Gemeinden<br />
entstanden, die in 13 Regionen (nun im weiteren „Gemeinden“<br />
genannt) einander neu zugeordnet wurden. Jede der 13<br />
Regionalgemeinden erhält 1 Pfarrer bzw. 1 Pfarramt (nach<br />
eigener Finanzierungsmöglichkeit mit teilzeitlicher Pfarramtssekretärin).<br />
– <strong>Die</strong>s führt letztlich zur Auflösung des bisherigen<br />
133
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
Parochialsystems und zu dessen Überleitung in den neu gestalteten<br />
Kirchenbezirk mit seinen 13 Gemeinden. Dazu wird<br />
vermerkt: „<strong>Die</strong> bisherigen kirchlichen Organisationsformen<br />
(z.B. das Parochialsystem) sind h<strong>ist</strong>orisch gewachsen, aber für<br />
die Ex<strong>ist</strong>enz der Kirche (vgl. CA VII) nach lutherischem Verständnis<br />
nicht zwingend erforderlich.“ (A., S. 2)<br />
Dabei <strong>ist</strong> die Intention leitend, Perspektiven zu gewinnen und<br />
zu gestalten: „Eine Aufgabenkonzentrierung im Kirchenbezirk<br />
Borna entsprechend den Gegebenheiten <strong>ist</strong> nicht als<br />
resigniertes Zurückziehen und Zusammenlegen misszuverstehen.<br />
Sie besagt vielmehr ... ein verantwortliches Reagieren<br />
unter veränderten Rahmenbedingungen. Bei der vorauszusetzenden<br />
Überzeugung vom „eigenen Produkt“ gilt es zunächst,<br />
dem Bedarf gerecht zu werden, dann die Mitarbeiter zu motivieren<br />
und sie dabei nicht zu überlasten. Mit den Ressourcen<br />
<strong>ist</strong> verantwortlich umzugehen.“ (A., S. 4)<br />
Folgende Veränderungen werden rechtlich wirksam:<br />
– Das Personalzuweisungsrecht für die Pfarrstellen geht an<br />
den Kirchenbezirk und somit an dessen Synode.<br />
– Gemeindegliederzahlen werden zwischen den 13 Gemeinden<br />
des Kirchenbezirks nicht mehr gegeneinander ausgespielt.<br />
– <strong>Die</strong> landeskirchliche Sachkostenzuweisung geht weiterhin<br />
gemeindegliederbezogen an die Gemeinden. Gemeinsam entstehende<br />
Sachkosten haben die Gemeinden im Umlageverfahren<br />
zu tragen.<br />
– <strong>Die</strong> Bildung von Ortsausschüssen, welche die Beratungen<br />
des Kirchenvorstands der (Regional-)Gemeinde vorbereiten,<br />
wird empfohlen.<br />
– Zwischen notwendig gemeindenaher und sinnvoll zentralisierbarer<br />
Verwaltung wird unterschieden.<br />
– Der Organisations-, Sitzungs- und Verwaltungsaufwand<br />
innerhalb der 13 Gemeinden <strong>ist</strong> zugunsten der inhaltlichen<br />
Gemeindearbeit drastisch zu reduzieren. Deshalb sind<br />
Schwesterkirchverhältnisse bis Ende 2005 in Vereinigungen<br />
oder Kirchspiele zu überführen. Bis dahin treten die Gemeinden<br />
spätestens dem Kirchgemeindeverband Borna bei.<br />
134
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
Inzwischen sind zusätzlich zu den 13 Gemeindepfarrstellen<br />
und dem Superintendenten zwei Ephoralpfarrer vorgesehen:<br />
damit Vakanzen, Urlaubs- und Krankheitsvertretungen, Veranstaltungskonzentrationen<br />
ausgeglichen und Spezialaufgaben<br />
(z.B. Krankenhausseelsorge, Jugendpfarrer) überhaupt noch<br />
wahrgenommen werden können. Zudem müssen Gemeindepfarrer<br />
neben ihrer Gemeindearbeit (Pflicht) die Möglichkeit<br />
haben, gemäß Neigung und Begabung Spezialaufgaben (Kür)<br />
für den gesamten Kirchenbezirk zu übernehmen (z.B.<br />
Qualifizierung der Lektoren). Übernahme einer Spezialaufgabe<br />
wird mit fest vereinbarter Entlastung durch einen Ephoralpfarrer<br />
im Bereich der Gemeindeaufgaben abgegolten.<br />
Obgleich die Gemeindepfarrer künftig 4 bis 5 Kirchen in<br />
ihrem Verantwortungsbereich haben, findet „in jeder Gemeinde<br />
grundsätzlich an jedem Sonntag und an jedem kirchlichen<br />
Feiertag wenigstens ein Gottesdienst statt“ (A., S. 5). Der<br />
Schwerpunkt wird auf liebevoll vorbereitete, eher regionale<br />
Gottesdienste gelegt. In jeder Kirche findet wenigstens einmal<br />
im Monat ein Gottesdienst statt. Dabei stellen unterschiedliche,<br />
auch kleinere Gottesdienstformen eine Bereicherung dar.<br />
Für den agendarischen Gottesdienst wird im Kirchenbezirk<br />
ein gemeinsames Modell entwickelt. <strong>Die</strong> Lektorenarbeit <strong>ist</strong><br />
mit entsprechender Qualifizierung weiter zu fördern.<br />
Als Gemeinschaftsaufgaben sind im Kirchenbezirk zu gestalten:<br />
die Kinder- und Jugendarbeit mit qualifizierten Gemeindepädagogen<br />
(auch für Erwachsenen- und Seniorenarbeit<br />
zuständig); die Kirchenmusik mit „Kirchenbezirksblick“ samt<br />
ehrenamtlichen „Eckpersonen“, damit Orgeln und Gesang an<br />
den vielen Orten nicht verstummen; missionarische Schwerpunkte,<br />
die aber die notwendige missionarische Arbeit vor Ort<br />
nicht ersetzen können; Öffentlichkeitsarbeit mit Entwicklung<br />
eines Kirchenbezirksbewusstseins nach innen und außen –<br />
und dem Ziel einer gemeinsamen Kirchenbezirkszeitung (evt.<br />
mit regionaler Einlage). Neu eingeführt, qualifiziert und mit<br />
öffentlicher Anerkennung versehen wird das Ehrenamt des<br />
Kurators. <strong>Die</strong>ser <strong>ist</strong> (evt. als Mitglied des Kirchenvorstands)<br />
135
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
verantwortlich für die jeweilige Kirche vor Ort als ge<strong>ist</strong>lichem<br />
Ausstrahlungszentrum. Der Kurator wohnt in Nähe der<br />
Kirche, erhält eine Aufwandsentschädigung und wird im<br />
Kirchenbezirk regelmäßig weitergebildet.<br />
<strong>Die</strong> Zusammenarbeit mit Partnern, dabei auch eigenen<br />
„Kraftzentren“ im Kirchenbezirk <strong>ist</strong> unerlässlich: so mit dem<br />
Diakonischen Werk Borna, der Evang. Heimvolkshochschule<br />
Kohren-Sahlis, der Evang. Fachschule für Sozialwesen in Bad<br />
Lausick, den kirchlichen Fördervereinen, auch der Musikschule<br />
etc.<br />
Um Wege zu konzeptionellem, theologisch bedachtem Handeln<br />
in den neuen Regionen bzw. Gemeinden vorzubereiten<br />
und anzubahnen, wurde in diesen von 1999 bis 2001 eine<br />
„konzeptionelle Visitation“ durchgeführt. Dabei wurde der<br />
Blick auf missionarische, seelsorgerliche, kommunikative,<br />
ge<strong>ist</strong>lich-theologische, diakonische Merkmale gerichtet und<br />
auf rechtliche wie finanzielle Verantwortung.<br />
Bei alledem gilt in der Ephorie Borna „Mitarbeiterpflege als<br />
Kerninvestition“ (A., S. 8): mit Qualifizierung und Wertschätzung<br />
von Ehrenamtlichen, Mitarbeiterjahresgesprächen<br />
mit allen hauptamtlichen <strong>Die</strong>nstgruppen, mit „Auszeiten“ zur<br />
Fortbildung und Qualifizierungsverpflichtung, mit Einbeziehung<br />
und Wertschätzung der Ruheständler.<br />
3. <strong>Die</strong> Ephorie als Feld gemeinsamer Aufgaben<br />
Ephorien finden eine Dimension ihres Profils als Feld<br />
gemeinsamer Aufgaben und deshalb notwendiger Kooperation<br />
(zwischen Gemeinden, in der Region, in der Ephorie).<br />
<strong>Die</strong>s <strong>ist</strong> keineswegs erst neuerdings akut, vielmehr schon in<br />
den Rechtssammlungen bzw. den Verfassungen der Kirchen 4<br />
umschrieben. So heißt es in der Verfassung der Nordelbischen<br />
Kirche I-100, Art. 25: „(2) Der Kirchenkreis nimmt die Aufgaben<br />
wahr, die den örtlichen Bereich der Kirchengemeinden<br />
136
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
überschreiten. (3) Der Kirchenkreis unterstützt und ergänzt<br />
die kirchliche Arbeit in den Kirchengemeinden. Er fördert das<br />
Zusammenwirken in den Arbeitsbereichen und sorgt für<br />
einen Ausgleich der Kräfte und Lasten.“ Oder in der<br />
Verfassung der Landeskirche Hannovers Art. 50: „(1) Der<br />
Kirchenkreis <strong>ist</strong> der Zusammenschluß der Kirchengemeinden<br />
seines Bereiches... (2) Als selbständige kirchliche Körperschaft<br />
soll der Kirchenkreis die Arbeit der Kirchengemeinden fördern<br />
und die gemeinsame Erfüllung besonderer kirchlicher<br />
Aufgaben anregen.“ Oder in der Verfassung der Kirche in<br />
Bayern Art. 27: „(1) Der Dekanatsbezirk dient der Zusammenarbeit<br />
der ihm zugehörigen Kirchengemeinden und<br />
der kirchlichen Einrichtungen und <strong>Die</strong>nste sowie der Erfüllung<br />
gemeinsamer, auch den örtlichen Bereich überschreitender<br />
Aufgaben.“ – Gewisse Unterschiede zeigen sich darin,<br />
ob der Kirchenkreis bzw. der Dekanatsbezirk primär die Arbeit<br />
der Kirchengemeinden fördern soll (so in Hannover) oder<br />
primär ihrer Zusammenarbeit dient (so in Bayern) oder primär<br />
übergemeindliche Aufgaben wahrnimmt (so in Nordelbien).<br />
<strong>Die</strong>se unterschiedlichen Akzentuierungen nach der jeweiligen<br />
Verfassung prägen nach meiner Beobachtung weithin auch<br />
faktisch Prioritäten wie Perspektiven in der Wahrnehmung der<br />
Aufgaben auf ephoraler Ebene. Doch geht es in den Ephorien<br />
jeder Kirche sowohl um Anregung, Förderung, Unterstützung<br />
der Arbeit in den Kirchgemeinden wie um<br />
gemeinsame Erfüllung von Aufgaben, die den örtlichen Bereich<br />
überschreiten, und so um notwendige Zusammenarbeit<br />
mit – wie zwischen – den Gemeinden und an besonderen<br />
kirchlichen Aufgaben. Dabei kommen neben den Gemeinden<br />
auch weitere kirchliche Einrichtungen und funktionale<br />
<strong>Die</strong>nste in den Blick.<br />
Wichtige rechtliche und strukturelle Voraussetzungen für die<br />
Kooperation in der Ephorie sind mit den zuständigen Gremien<br />
gegeben, in denen die Kirchengemeinden notwendig vertreten<br />
sind: mit der Kirchenkreis-Synode (hier liegt in 16<br />
EKD-Kirchen der Vorsitz bei den Ephoren), dem Kirchenkreis-Vorstand<br />
(hier ephoraler Vorsitz in 18 der EKD-Kir-<br />
137
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
chen) 5 und in entsprechenden Ausschüssen. Mit der so<br />
genannten „Verstärkung der mittleren Ebene“ bzw. durch die<br />
Verknappung der Mittel liegen bei diesen Gremien verstärkt<br />
Aufgaben der Finanz- und Stellenplanung, der Strukturanpassung<br />
und nicht zuletzt damit auch Fragen konzeptioneller<br />
Planung, diese gelegentlich verbunden mit Leitbild-Prozessen.<br />
Nicht umsonst wird mit der zunehmenden Beanspruchung<br />
durch Aufgaben admin<strong>ist</strong>rativer Führung und struktureller<br />
Gestaltung zugleich die Frage nach „ge<strong>ist</strong>licher Leitung“<br />
akut. 6 Daher erwe<strong>ist</strong> sich – wie für die Ephoren so für alle<br />
Verantwortlichen in den gewählten Gremien und in den Ausschüssen<br />
– die Verantwortung als unausweichlich, in allem<br />
notwendigen „Management“ ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung zu<br />
praktizieren, also zu führen und zu leiten. 7<br />
Aus der erwähnten Umfrage <strong>ist</strong> – wie angedeutet (s.o. 2.1 und<br />
2.2) – zu ersehen: Je größer die Ephorien werden (sei es im<br />
Blick auf die Zahl der Gemeindeglieder und Gemeinden, sei<br />
es im Minorisierungsprozess mit Ausdehnung in der Fläche),<br />
desto wichtiger wird um sach- und situationsgemäßer Kommunikation<br />
wie Kooperation willen eine Regionalisierung der<br />
Ephorie. Je minoritärer die Zugehörigkeit zur Kirche wird,<br />
desto unausweichlicher wird es zudem, Kirchengemeinden zusammenzulegen<br />
bis hin zu Regionalgemeinden wie in der<br />
Ephorie Borna. Damit sind dann auch manche bisher parochiale<br />
Aufgaben auf regionaler bzw. ephoraler Ebene wahrzunehmen.<br />
Um Gesichtspunkte für die Regionalisierung in einer westlichen<br />
Ephorie zu erwähnen, die durch Zusammenlegung aus<br />
2 Kirchenkreisen entstanden <strong>ist</strong>, aus dem entsprechenden<br />
„Projektbericht“ des Kirchenkreises Hildesheim-Sarstedt vom<br />
Herbst 2002, wo die Regionalisierung statt auf die Varianten<br />
Dachverband oder Großgemeinde auf einen „Gemeindeverbund“<br />
hinaus läuft: „<strong>Die</strong> Region führt kein Eigenleben. Sie<br />
ex<strong>ist</strong>iert nur in, für und mit den daran beteiligten Gemeinden.<br />
Sie hat das Potential, Aufgaben zu übernehmen, mit denen<br />
vor allem kleinere Gemeinden heute schon überfordert sind.<br />
138
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
Insofern <strong>ist</strong> die Region ein Werkzeug, das Profil der einzelnen<br />
Gemeinden zu schärfen.“ Und: „Kirche <strong>ist</strong> mehr als Gemeinde.<br />
Verschiedene Gemeinden können ihre Stärken in die Region<br />
einbringen und in einem solidarischen Miteinander leichter<br />
ein le<strong>ist</strong>ungs- und zukunftsfähiges Leitbild entwickeln.“ 8 Damit<br />
stellt sich die Aufgabe, die signalisierte Spannung: Region<br />
im <strong>Die</strong>nst der Gemeinden/Gemeinden im <strong>Die</strong>nst der Region<br />
zu einem gegenseitig produktiven Verhältnis zu gestalten.<br />
Nach Auskünften aufgrund der Umfrage (s.o. 2.1) wird<br />
Kooperation in der Ephorie einerseits notgedrungen gefördert<br />
durch Stellenreduktion und finanziellen Druck, <strong>anders</strong>eits<br />
prospektiv durch Visitation (bis hin zur „konzeptionellen<br />
Visitation“ wie in der Ephorie Borna: s.o. 2.2), ebenso durch<br />
Gemeindeberatung, aber auch (so etwa in der Ephorie Gera<br />
mit besonders scharfer Minoritätssituation) gelegentlich durch<br />
den Mitarbeiter- und Pfarrkonvent. 9 – Was die Bedeutung des<br />
Konvents für Kooperation in der Ephorie bzw. Region betrifft,<br />
kann hier ein durchaus pragmatischer Grund wirksam<br />
werden: Geht es doch mit Stellenabbau und Vergrößerung der<br />
Gemeinden nicht mehr allein um Kanzeltausch und Vakanzvertretung,<br />
vielmehr sinnvoller Weise mit Berücksichtigung<br />
unterschiedlicher Gaben um wechselseitige Schwerpunktbildung,<br />
von daher bei vielen Aufgaben um Zusammenarbeit<br />
und gegenseitige Aushilfe. Dabei kann und muss deutlicher als<br />
oft bisher Klarheit und gegenseitige Ermutigung entstehen:<br />
wir sind mit unterschiedlichen Gaben an derselben Sache. Was<br />
gemeinsame Aufgaben in der Ephorie (bzw. in der Region)<br />
betrifft, wurde aufgrund jener Umfrage schon einiges erwähnt<br />
(s.o. 2.1: f.), was hier erinnert und fortgeführt werden soll:<br />
Kirchenmusik, Kinder- und Jugendarbeit, Erwachsenenbildung;<br />
Beziehung zwischen unverzichtbar gemeindenaher<br />
und stärker professionalisierter Diakonie, weiter funktionale<br />
<strong>Die</strong>nste der Seelsorge und Beratung; Öffentlichkeitsarbeit<br />
nach innen und außen; Fortbildung mit Lektoren, Prädikanten,<br />
Kirchenvorständen; gemeinsame Projekte in missionarischer,<br />
sozialdiakonischer, kirchenmusikalischer, erwachsenenbildnerischer<br />
Hinsicht; und manche Feste.<br />
139
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
Eine wichtige Aufgabe, die sinnvoll nur auf regionaler oder<br />
ephoraler Ebene wahrzunehmen <strong>ist</strong>, sei eigens hervorgehoben,<br />
weil sie nach meiner Beobachtung bisher selten im Blick<br />
und doch aus verschiedenen Gründen (neben Glaubensgesprächen,<br />
Projekten des Gemeindekollegs Celle etc. und<br />
den soeben erwähnten Fortbildungen für bestimmte <strong>Die</strong>nste)<br />
dringend erforderlich <strong>ist</strong>: ein qualifiziertes und anspruchsvolles<br />
Angebot von „Theologie mit Nichttheologen“ 10. <strong>Die</strong>s<br />
gäbe kritischen Zeitgenossen Gelegenheit, die „Sache mit<br />
Gott“ in Betracht zu ziehen; böte Chr<strong>ist</strong>enmenschen Gelegenheit,<br />
begründet und vertieft theologische Sachkenntnis<br />
und Urteilsfähigkeit, ebenso differenzierte Sprach- wie Gesprächsfähigkeit<br />
zu gewinnen; könnte Chr<strong>ist</strong>en mit unterschiedlich<br />
geprägter Frömmigkeit zusammen führen mit<br />
Menschen, für die dies ein erster oder der letzte Versuch mit<br />
Kirche <strong>ist</strong>; dürfte nicht allein auf kirchliche Mitarbeit, sondern<br />
müsste ebenso auf anfragbares Chr<strong>ist</strong>sein im Alltag ausgerichtet<br />
sein; ließe stärker als sonst Theologinnen und Theologen<br />
erleben, dass sie als solche gefragt sind; würde deutlich<br />
mündigem Chr<strong>ist</strong>sein und missionarischer Ex<strong>ist</strong>enz dienen.<br />
4. <strong>Die</strong> Ephorie als Aufsichtsbezirk<br />
<strong>Die</strong> Dimension der Ephorie als Aufsichtsbezirk wird ihr auch<br />
in den Kirchenverfassungen grundlegend zugeschrieben. Dazu<br />
sagt die Verfassung der Kirche in Bayern knapp – Art. 27<br />
(2): „Der Dekanatsbezirk <strong>ist</strong> auch Aufsichts- und Verwaltungsbezirk.“<br />
Entsprechend heißt es etwas ausführlicher in<br />
der Verfassung der Landeskirche Hannovers – Art. 50 (3):<br />
„Als Gliederung und Verwaltungsbezirk der Landeskirche<br />
nimmt der Kirchenkreis Aufgaben wahr, die ihm die kirchliche<br />
Ordnung überlässt oder überträgt; insbesondere wirkt er an<br />
der allgemeinen kirchlichen Verwaltung und an der Aufsicht<br />
über die Kirchengemeinden und die kirchlichen Amtsträger<br />
seines Bereiches mit.“ Dabei werden drei Formen von Aufsicht<br />
unterschieden: die <strong>Die</strong>nstaufsicht, die Lehraufsicht und<br />
die Visitation. 11<br />
140
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
So sehr zur Aufsicht auf ephoraler Ebene auch Mitwirkung<br />
bei der Besetzung von Pfarrstellen gehört und möglicherweise<br />
Anstellung von Gemeindepädagogen wie Kirchenmusikern,<br />
zudem Personal-Beurteilung, Klärung in Konfliktfällen, freilich<br />
auch Aufsicht über Verwaltung und regelrechten Umgang<br />
mit Finanzen, bildet nach Verfassung und Ordnung in allen<br />
Kirchen die Visitation eine entscheidende Grundaufgabe in<br />
der Ephorie als Aufsichtsbezirk. <strong>Die</strong>ser Aufgabe soll deshalb<br />
hier besondere Beachtung gelten. 12 Dabei <strong>ist</strong> die der Visitation<br />
eigene Spannung zwischen ge<strong>ist</strong>lichem Besuchsdienst und<br />
rechtlich geregelter Aufsicht nicht zu umgehen. Sie stellt eine<br />
Aufgabe der Ephorien, nicht nur der Ephoren dar, was darin<br />
Gestalt findet, dass inzwischen in allen Gliedkirchen der EKD<br />
Visitations-Kommissionen auch mit Mitgliedern etwa des<br />
Kirchenkreis-Vorstands und möglicherweise speziell dafür berufenen<br />
Fachleuten zuständig sind.<br />
Einige elementare Hinsichten, die für die Visitation leitend<br />
sind, können einem durch folgende Passagen aus Luthers Vorrede<br />
zu Melanchthons Unterricht der Visitatoren (von 1528) 13<br />
in Erinnerung gerufen werden: „Ein wie göttliches, heilsames<br />
Werk es <strong>ist</strong>, die Pfarreien und chr<strong>ist</strong>lichen Gemeinden durch<br />
verständige, geeignete Leute zu besuchen, zeigen uns das<br />
Neue und das Alte Testament an.“ (S. 84) Es geht hier also um<br />
einen ge<strong>ist</strong>lichen Besuchsdienst, der wie dem Leben der Gemeinde<br />
so auch der Pfarramtsführung gilt. Und wenn Luther<br />
für neutestamentliche Orientierung dazu sich vor allem auf<br />
Paulus und seine Briefe bezieht, kommt damit zweierlei in den<br />
Blick: Zum einen geht es um situationsgemäße Wahrnehmung<br />
der Charismen, aber auch der Konflikte, der Gründe zum<br />
Danken wie der Suchrichtungen einer Gemeinde in ihrer jeweiligen<br />
Lebenswelt. Zum andern <strong>ist</strong> hiermit angedeutet: die<br />
Visitation <strong>ist</strong> nicht der Autorität des Amtes, vielmehr der des<br />
Auftrags Jesu Chr<strong>ist</strong>i verpflichtet, weshalb es um Entdeckungen<br />
wie Fragen zur Übereinstimmung der Lehre wie des<br />
Lebens der Gemeinde mit der Wahrheit des Evangeliums<br />
geht. – Weiter ergibt sich für Luther mit der sprachlichen Entsprechung<br />
zwischen „episképtomai“ und „visitare“ bzw.<br />
141
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
„episkopos“ und „visitator“ folgende Bemerkung: „Denn<br />
eigentlich heißt ein Bischof ein Aufseher oder Visitator ...<br />
Denn ein jeglicher Pfarrer soll seine Pfarrkinder besuchen, auf<br />
sie acht haben und darauf sehen, wie man da lehrt und lebt“<br />
(a.a.O.). So <strong>ist</strong> Visitation mindestens mit dem Spektrum eines<br />
Besuches von außen, von Achtsamkeit gegenüber dem Leben<br />
der Gemeinde und von aufmerksamer, soweit nötig kritischer<br />
Wahrnehmung dessen verbunden, was mit der Lehre dieser<br />
Gemeinde Klarheit und Orientierung gibt und in ihrem Leben<br />
Entsprechung findet, also chr<strong>ist</strong>licher wie darum menschlicher<br />
Ex<strong>ist</strong>enz förderlich <strong>ist</strong>. – Schließlich läuft Luthers Vorrede<br />
auf die Bitte hinaus: „Darum laßt uns wachen und<br />
sorgsam sein, die ge<strong>ist</strong>liche Einigkeit, wie Paulus lehrt, zu halten<br />
im Band der Liebe und des Friedens (Eph. 4,3)“ (S. 89).<br />
Insofern <strong>ist</strong> die Visitation ein unverzichtbarer <strong>Die</strong>nst an gemeinsamer<br />
ge<strong>ist</strong>licher Orientierung wie an der Einheit der<br />
Kirche.<br />
Auch in den befragten Ephorien wird (außer in Bayern) die<br />
Visitation der Gemeinden regelmäßig alle sechs bis zehn Jahre<br />
durchgeführt. Sie erwe<strong>ist</strong> sich dabei zunehmend als <strong>Die</strong>nst<br />
auch an der Verbundenheit der Gemeinden vor allem in ihrer<br />
missionarischen, diakonischen, ökumenischen, öffentlichen,<br />
finanziellen und ge<strong>ist</strong>lichen wie darum menschlichen Verantwortung.<br />
Dabei erwe<strong>ist</strong> sich das Finden begründeter Offenheit<br />
und klarer Orientierung im (auch innerkirchlichen)<br />
Pluralismus als besondere Herausforderung wie für die<br />
Gemeinden so auch für die Visitations-Kommissionen. Und<br />
zunehmend gewinnen die Visitationen prospektive Ausrichtung<br />
samt Elementen einer anschließenden „visitatio continua“<br />
– bis hin zur „konzeptionellen Visitation“ auf dem<br />
Weg zu einem neuen Kirchenbezirks-Modell in der Ephorie<br />
Borna.<br />
Schon im Blick auf Zeitaufwand und Arbeitskapazität <strong>ist</strong><br />
gegenwärtig vor allem für die Ephoren, damit aber auch für<br />
die Ephorien die Frage akut: in welchem Verhältnis sollen<br />
Visitationen und Mitarbeitenden-Jahresgespräche stehen? <strong>Die</strong><br />
142
damit gegebene Spannung lässt sich aber nicht zugunsten der<br />
neuen und wichtigen Aufgabe auflösen: würde doch sonst die<br />
Tendenz zu einer Mitarbeitenden-Kirche gefördert. Deshalb<br />
wird diese Spannung aufgrund des Pilotprojektes zu Jahresgesprächen<br />
in der hannoverschen Landeskirche eingehend bearbeitet<br />
und in der Nordelbischen Kirche schon länger<br />
durchgehalten. Und angesichts einschneidender Veränderungen<br />
in der Ephorie Borna erwe<strong>ist</strong> sich dort die Visitation<br />
als unverzichtbar, so sehr die „Mitarbeiterpflege als Kerninvestition“<br />
entschieden im Blick <strong>ist</strong>.<br />
Wenn eine besondere Aufgabe der Ephoren wie der Ephorien<br />
darin besteht, das kirchliche Leben anzuregen und zu fördern<br />
14, so bleibt zumal von der Visitation her fragwürdig, ob<br />
„die Aufsichtsfunktion ... sekundär gegenüber ,Anregung und<br />
Förderung kirchlichen Lebens’“ 15 geworden sei. Wird doch<br />
gerade durch die Visitation, zumal mit ihrer zunehmend prospektiven<br />
Ausrichtung, das Leben der Kirchengemeinden wie<br />
das kirchliche Leben in der Ephorie angeregt und gefördert.<br />
5. <strong>Die</strong> Ephorie als Gestalt von Kirche<br />
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
<strong>Die</strong> Verfassungen der Kirchen sind in ihren Aussagen zur<br />
Ephorie als Gestalt von Kirche von klar und entschieden bis<br />
differenziert und zurückhaltend. So heißt es in der Verfassung<br />
der Nordelbischen Kirche – Art. 25 (1): „Der Kirchenkreis <strong>ist</strong><br />
eine eigenständige Einheit kirchlichen Lebens.“ Zwar nicht in<br />
dieser Klarheit, aber der Sache nach nicht sehr fern davon<br />
heißt es nun allerdings nicht vom Dekanatsbezirk, sondern<br />
von der Dekanatssynode in der Verfassung der Kirche in<br />
Bayern – Art. 30: „<strong>Die</strong> Dekanatssynode soll ein Gesamtbild<br />
der für den Auftrag der Kirche und die kirchliche Arbeit in<br />
ihrem Bereich wichtigen Vorgänge gewinnen ... Sie soll sich<br />
mit Fragen der Lehre und des Lebens der Kirche befassen und<br />
dabei den Blick auf das Ganze der Kirche und ihren <strong>Die</strong>nst in<br />
der Öffentlichkeit richten.“ So sehr nach der Verfassung der<br />
Landeskirche Hannovers der Kirchenkreis „als Gliederung<br />
143
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
und Verwaltungsbezirk der Landeskirche wirkt“ (Art. 50 (3))<br />
geht es in Art. 1 (1) um die Verantwortung der Landeskirche<br />
und der Kirchengemeinden, aber nicht explizit auch der<br />
Kirchenkreise: „Für die Erhaltung und Förderung der rechten<br />
Verkündigung des Wortes Gottes und der stiftungsgemäßen<br />
Darreichung der Sakramente sind die Landeskirche und die<br />
Kirchengemeinden mit all ihren Gliedern, Amtsträgern und<br />
Organen zuständig.“<br />
In allen Kirchen <strong>ist</strong> das ephorale Amt wie in Hannover (Verfassung<br />
Art. 54) „mit einer bestimmten Pfarrstelle verbunden“<br />
oder wie in der Nordelbischen Kirche (Verfassung Art.<br />
40 (3)) „mit einer pfarramtlichen Tätigkeit“. <strong>Die</strong> Verknüpfung<br />
der vielfältigen ephoralen Aufgaben mit dem Auftrag der<br />
Verkündigung des Evangeliums in Wort und Sakrament bleibt<br />
für das ephorale Amt grundlegend. 16 Angesichts der beträchtlichen<br />
Fülle von Aufgaben, die neuerdings auf das ephorale<br />
Amt zugekommen sind, bedarf die Frage der Klärung, in welchem<br />
Maße die Verbindung mit einer bestimmten Pfarrstelle<br />
beizubehalten oder in begründeten Fällen aufzuheben <strong>ist</strong> –<br />
dann allerdings gerade, um das pastorale Grundamt der<br />
Ephoren in anderer Gestalt zur Wirkung kommen zu lassen.<br />
Damit stellt sich die Frage, ob nicht Ephoren (mit zugewiesener<br />
ständiger Predigtstätte) das Kanzelrecht in ihrer Ephorie<br />
auch ausdrücklich erhalten sollten. Faktisch wird dies, freilich<br />
jeweils bedingt durch den gegebenen Kasus bzw. auf Bitte<br />
oder Einladung, schon wahrgenommen: bei Einführungen<br />
bzw. Einsetzungen von Pfarrerinnen, Pfarrern in der Gemeinde,<br />
bei der Visitation, bei Jubiläen von Kirchen oder<br />
Kirchengemeinden, öffentlichen Anlässen und bei manchen<br />
Festgottesdiensten.<br />
Weiter spielt beim Verständnis der Ephorie als Kirche das Verhältnis<br />
von Einzelgemeinde und Kirche mit. Sehr treffend<br />
heißt es im Zusammenhang mit dem ephoralen Amt der Visitation<br />
in den Richtlinien der <strong>VELKD</strong> für die Visitation von<br />
1963: „Der Visitator besucht die einzelne Gemeinde. Sie soll<br />
neu erkennen, daß sie zwar ganz Kirche, aber nicht die ganze<br />
144
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
Kirche <strong>ist</strong> und daß sie ihren Ort in der Gesamtkirche hat.“<br />
Freilich gibt es verschiedene Dimensionen der „Gesamtkirche“:<br />
warum sollte als eine Dimension nicht auch die<br />
Ephorie in Betracht kommen neben der gelebten Ökumene in<br />
der Region, freilich weiter der Landeskirche, ebenso etwa der<br />
<strong>VELKD</strong> und der weltweiten lutherischen Konfessionsfamilie,<br />
vor allem aber der weltweiten Kirche Jesu Chr<strong>ist</strong>i samt ihren<br />
konfessionellen wie regionalen Bezeugungsgestalten? Und<br />
dass die einzelne Gemeinde „zwar ganz Kirche, aber nicht die<br />
ganze Kirche <strong>ist</strong>“ entspricht durchaus dem paulinischen Verständnis<br />
von „ekklesía“ – und muss heute ihre Auswirkungen<br />
haben auch im Verhältnis von Gemeinden und Ephorie als<br />
verschiedenen Gestalten von Kirche. 17<br />
Gemäß der Umfrage 18 wird die Frage, ob Ephorie als Gestalt<br />
von Kirche gegeben und begründet sei, durchwegs bejaht. Dazu<br />
wird aus Neumünster auf die Verfassung der nordelbischen<br />
Kirche hingewiesen und ebenso darauf: „Als<br />
Zusammenschluss der Gemeinden, <strong>Die</strong>nste & Werke sammelt<br />
man sich um Wort und Sakrament.“ Aus Löbau-Zittau wird<br />
hier hervorgehoben: „Angesichts fortgeschrittener Säkularisierung<br />
<strong>ist</strong> es wichtig, Kirche auf allen Ebenen sichtbar zu<br />
gestalten; jedes sichtbare Zeichen von Kirche <strong>ist</strong> missionarische<br />
Wahrnehmung unserer Chancen und unseres Auftrags.“<br />
Aus Altenburg wird zweierlei angesprochen: „<strong>Die</strong> <strong>Superintendentur</strong><br />
<strong>ist</strong> für Gemeinden und Mitarbeitende ... Ebene, auf der<br />
Kirche über Gemeindegrenzen hinaus als größere Gemeinschaft<br />
erlebt wird mit guter Tradition ... (Doch ebenso:) Mir<br />
wird deutlich, dass Kirche und Glauben für die me<strong>ist</strong>en<br />
Menschen über ein nahes Zentrum und die Menschen dort<br />
erfahrbar wird“.<br />
Freilich <strong>ist</strong> es zur Beurteilung dessen, was eine Gestalt von<br />
Kirche <strong>ist</strong>, notwendig zu beachten, an welchen Kennzeichen<br />
Kirche öffentlich erkennbar wird. <strong>Die</strong>se Frage wurde nicht<br />
umsonst mit der Reformation akut und prägnant bedacht. So<br />
sind nach CA VII die reine Verkündigung des Evangeliums<br />
und die dem Evangelium gemäße Darreichung der Sakra-<br />
145
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
mente die beiden Grundkennzeichen von Kirche. Dadurch<br />
wird Kirche als Kirche Jesu Chr<strong>ist</strong>i konstituiert und erkennbar.<br />
Somit <strong>ist</strong> die Verkündigung des Evangeliums in Wort und<br />
Sakrament, also der Gottesdienst, mit dem die Kirche in den<br />
Grund ihres Daseins einkehrt, grundlegend Lebensvollzug<br />
und Kennzeichen von Kirche. Was Kirche zur Kirche Jesu<br />
Chr<strong>ist</strong>i macht, <strong>ist</strong> hiernach weder eine bestimmte Verfasstheit<br />
von Kirche (so die römisch-katholische Variante) noch eine<br />
bestimmte Frömmigkeit oder Rechtschaffenheit ihrer Glieder<br />
(so bisweilen eine protestantische Variante), vielmehr der<br />
Lebensvollzug von Kirche, wodurch ihr das Leben und also<br />
„die Gnade und Wahrheit“ Jesu Chr<strong>ist</strong>i (Johannes 1,17) zukommt.<br />
– So entspricht CA VII durchaus dem, was mit der<br />
paulinischen Metapher vom Leib Chr<strong>ist</strong>i an dreifachem Kommunikationsgeschehen<br />
19 erschlossen <strong>ist</strong>. Einmal zwischen<br />
Chr<strong>ist</strong>us und der Gemeinde bzw. der Kirche: <strong>Die</strong> Glieder des<br />
Leibes leben von ihm. Sodann zwischen den Gliedern untereinander:<br />
Sie sind aufeinander angewiesen, hier geht es um<br />
Kommunikation der Gaben und Lasten, der Leiden und Freuden.<br />
Und nicht zuletzt zwischen der Gemeinde bzw. Kirche<br />
und der Welt, in der sie lebt: Denn Chr<strong>ist</strong>us <strong>ist</strong> für alle dahingegeben<br />
und für alle da.<br />
Von daher bleibt bedenkenswert, so sehr dies im Blick auf primäre<br />
und sekundäre Kennzeichen von Kirche zu prüfen wie<br />
zu gestalten bleibt, was jene Umfrage erbracht hat. Danach<br />
gewinnt die Ephorie durchwegs in gottesdienstlicher, diakonischer,<br />
missionarischer, ökumenischer Hinsicht samt Partnerschaften<br />
zu Kirchen in andern Regionen der Welt die Gestalt<br />
von Kirche.<br />
Ephorie als Gestalt von Kirche kommt auch mit der „Gemeinschaft<br />
der Ordinierten“ als entscheidender ephoraler<br />
Aufgabe zur Wirkung. 20 <strong>Die</strong>se zu pflegen <strong>ist</strong> heute freilich mit<br />
etlichen Problemen verbunden. So sehr zwischen Pfarrerinnen,<br />
Pfarrern Kollegialität und relative Nähe gesucht wird,<br />
wächst doch ein Bedürfnis nach D<strong>ist</strong>anz. Gesteigert wird dies<br />
durch quantitativ wie qualitativ gestiegene Berufsansprüche,<br />
146
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
ebenso durch menschliche, theologische, kirchenpolitische<br />
Unterschiede (gemäß dem Pluralismus verstärkt durch Trends<br />
zur Individualisierung) und auch durch erhöhte familiäre Anforderungen.<br />
Doch kann für die „Gemeinschaft der Ordinierten“<br />
ebenso wenig wie für die Gemeinde gegenseitige<br />
Sympathie grundlegend sein, vielmehr die immer wieder zu<br />
erreichende Klarheit: wir sind an derselben Sache – und Jesus<br />
Chr<strong>ist</strong>us <strong>ist</strong> wie für mich für den andern da, auch durch den<br />
andern für mich. Zudem bleibt ekklesiologisch wichtig: den<br />
zum Pfarramt Ordinierten bleibt in besonderem Maße „das<br />
Amt der Einheit anvertraut... Sie sind ... mit der Verantwortung<br />
gesegnet und belastet, für die Einheit im Ge<strong>ist</strong> des<br />
gegenseitigen Aufbaus zu sorgen“. 21 Das ordinierte Amt hat<br />
als Amt der Einheit seine Bedeutung für die Ortsgemeinde,<br />
gerade indem es über diese hinaus geht. Denn: „Niemand von<br />
uns <strong>ist</strong> Pfarrerin oder Pfarrer allein dieser konkreten Gemeinde;<br />
wir sind auch Pfarrerinnen und Pfarrer des größeren<br />
Ganzen: des Kirchenbezirks, dieser Landeskirche, der Kirche<br />
Jesu Chr<strong>ist</strong>i.“ Im Blick auf die Notwendigkeit und Förderung<br />
der Gemeinschaft der Ordinierten entsteht fast unvermeidlich<br />
immer wieder die Frage, wieviel man davon brauche. <strong>Die</strong>s<br />
lässt sich sachgemäß prüfen etwa anhand folgender Auskunft:<br />
„Man braucht soviel, um (pragmatisch) zur Kooperation befähigt<br />
zu werden, soviel (ekklesiologisch), um Teil, aber auch<br />
Gegenüber der Gemeinde zu werden, soviel, um (pastoraltheologisch)<br />
Pfarrerin oder Pfarrer für das größere Ganze zu<br />
sein, schließlich (spirituell) soviel, dass sich die Integration von<br />
Beruf und Person vollziehen kann.“ 22<br />
Nicht zuletzt <strong>ist</strong> mit der Ephorie Öffentlichkeitsarbeit nach<br />
außen wie nach innen notwendig verbunden. In der weiteren<br />
Öffentlichkeit stehen zumal die Ephoren, aber auch weitere<br />
ephoral Verantwortliche wie Pfarrerinnen und Pfarrer für die<br />
Kirche. So kommt es hier auf theologische und deshalb situationsgemäß<br />
aufmerksame Gesprächs- und Argumentationsfähigkeit<br />
an, wodurch auch andere Chr<strong>ist</strong>enmenschen an<br />
ihrem Ort dazu ermutigt werden. Dem entsprechen weder<br />
(me<strong>ist</strong> wohlmeinende) Anpas-sungsstrategien noch d<strong>ist</strong>anzie-<br />
147
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
render Rückzug aus öffentlicher Verantwortung, sondern aufgrund<br />
dessen, dass chr<strong>ist</strong>liche Gemeinde ganz in der Welt, für<br />
die Welt und doch nicht aus der Welt lebt, öffentliche Verantwortung<br />
im Zeichen differenter Präsenz.<br />
Zwischen Gemeinde als Gestalt von Kirche und Ephorie als<br />
Gestalt von Kirche bleibt eine notwendige Spannung. Gemäß<br />
jener Umfrage 23 werden folgende Aufgaben am besten auf<br />
gemeindlicher Ebene wahrgenommen: regelmäßiger Gottesdienst,<br />
Amtshandlungen, Direktkontakte zu Menschen und<br />
Seelsorge, Arbeit mit kleinen Kindern, nachbarschaftliche<br />
Diakonie. In der Tat: die Ortsgemeinde dient „insgesamt der<br />
Präsenz des chr<strong>ist</strong>lichen Glaubens in der Lebenswelt und damit<br />
auch der Überlieferung des Chr<strong>ist</strong>usglaubens in den<br />
lebensweltlichen Zusammenhängen. <strong>Die</strong> Kirche insgesamt<br />
lebt wiederum davon, daß das chr<strong>ist</strong>liche Leben und die<br />
chr<strong>ist</strong>liche Überlieferung auf dieser Ebene der Lebenswelt, auf<br />
der Ebene der Ortsgemeinde, kräftig und lebendig <strong>ist</strong>.“ 24 Deshalb<br />
bliebe es gerade auch bei notwendiger Vereinigung von<br />
Gemeinden bis hin zu Regionalgemeinden ein fehlleitendes<br />
Missverständnis, die Gemeinden nur als Filialen einer größeren<br />
kirchlichen Organisation anzusehen. Dagegen steht auch,<br />
dass die Ephorie (bis auf wenige rechtlich geregelte Ausnahmen)<br />
kein verbindliches Weisungsrecht für die Gestaltung<br />
des Gemeindelebens hat. Zugleich wird sich hier auswirken,<br />
dass zum kirchlichen <strong>Die</strong>nst Aufgabenorientierung gehört<br />
verbunden mit der Freiheit des <strong>Die</strong>nstes. Dabei <strong>ist</strong> die Freiheit<br />
des <strong>Die</strong>nstes nicht einfach Sache persönlicher Wahl und<br />
Option, sondern gründet (auch gemäß dem Ordinationsgelübde)<br />
in der Erfahrung, die durch das Wort des johanneischen<br />
Chr<strong>ist</strong>us eröffnet <strong>ist</strong>: „<strong>Die</strong> Wahrheit wird euch frei<br />
machen“ (Johannes 8,32). Deshalb geht es bei ephoral vereinbarter<br />
Aufgabenorientierung um Steuerungsprozesse, die<br />
der Förderung von Selbst-Steuerung im kirchlichen <strong>Die</strong>nst<br />
wie in den Gemeinden dienen.<br />
Zwischen Gemeinde und Ephorie besteht eine notwendige<br />
Komplementarität. Versuche, diese aufzulösen, führen zu<br />
148
me<strong>ist</strong> unproduktiven Konflikten und beschädigen das Leben<br />
der Kirche Jesu Chr<strong>ist</strong>i: so der Versuch, chr<strong>ist</strong>liche Gemeinde<br />
am Ort zur Filiale einer größeren kirchlichen Organisation zu<br />
degradieren, wie der Versuch, mit einem exklusiven Gemeindebegriff<br />
die Gesamtkirche als lästige Institution zu disqualifizieren.<br />
Stattdessen kommt es darauf an, mit der<br />
notwendigen Komplementarität von Gemeinde am Ort und<br />
Ephorie offen und achtsam umzugehen, um sie gegenseitig<br />
produktiv werden zu lassen und situationsgemäß wie kreativ<br />
zu gestalten. 25<br />
6. Einige vorläufige Pointen<br />
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
Es <strong>ist</strong> unverkennbar, dass die Frage nach dem Profil von<br />
Ephorien durch eine Fülle neuer Aufgaben unter dem zwiespältigen<br />
Motto der „Verstärkung der mittleren Ebene“ und<br />
durch nicht selten konfliktträchtige Herausforderungen akut<br />
geworden <strong>ist</strong>. 26 Beachtlich bleibt, wenn Konfrontation mit –<br />
wie Gestaltung von unausweichlichen Veränderungsprozessen<br />
Phantasie und konzeptionelle Überlegungen freisetzt. Um<br />
sich durch Herausforderungen nicht fixieren zu lassen, ihnen<br />
vielmehr theologisch und deshalb menschlich offen, umsichtig,<br />
gar mutig zu begegnen, braucht es befreienden Abstand. 27<br />
Und solche Freiheit wird Bedrängten nicht zuletzt aus Quellen<br />
ge<strong>ist</strong>lichen Lebens gewährt, womit Humor als eine Gestalt der<br />
Freiheit aus Glauben nicht fern liegen müsste. In diese<br />
Richtung wies die augenzwinkernde Bemerkung eines<br />
Superintendenten: „Wir stehen mit dem Rücken so an der<br />
Wand, dass wir schon konzeptionell zu denken beginnen...“ 28<br />
Überlegungen zum Profil werden beides in den Blick bringen:<br />
grundlegende Dimensionen und elementare Aufgaben, die für<br />
Ephorien kennzeichnend sind, und die jeweils spezifische<br />
Situation dieser Ephorie: etwa in demographischer Hinsicht<br />
samt geringerer oder stärkerer Minorisierung der Zugehörigkeit<br />
zur Kirche, angesichts besonderer Herausforderungen<br />
von außen wie von innen und in Korrespondenz mit dem<br />
149
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen Kontext. Bezogen auf<br />
die spezifische Situation sind, wie angezeigt, drei Grunddimensionen<br />
zu berücksichtigen: die Ephorie als Feld gemeinsamer<br />
Aufgaben, als Aufsichtsbezirk und als Gestalt von<br />
Kirche. Ein unverzichtbares Instrument zur Profilbildung der<br />
Ephorie bleibt die Visitation: ergeben sich damit doch ebenso<br />
Erkundungen zur spezifischen Situation der Gemeinden wie<br />
der Kirche und konzeptionelle Ansätze auch zur Gestaltung<br />
jener drei Grunddimensionen der Ephorie.<br />
Mit notwendigen Einsparungen, Stellenreduktionen, Strukturanpassungen<br />
wird zumal angesichts deutlicher Minorisierungsprozesse<br />
von Kirche in Ephorien die Frage der Größe,<br />
Kooperation und Zusammenlegung von Gemeinden akut.<br />
Gemeinde lebt davon, dass Gottes Zuwendung zu den Menschen<br />
mit der Verkündigung des Evangeliums in Wort und<br />
Sakrament Gestalt gewinnt, – und so Menschen ihr Leben im<br />
Horizont des Evangeliums neu wahrzunehmen vermögen und<br />
für die Situation vor Gott geöffnet werden. Dabei können<br />
Gemeinden unterschiedliche organisatorische Gestalt gewinnen:<br />
ob als Ortsgemeinde, als Teil im Ensemble eines Kirchspiels<br />
oder etwa als Regionalgemeinde. Gesichtspunkte für<br />
Größe, Gestalt und Zusammenspiel von Gemeinden ergeben<br />
sich damit, ob Gottesdienste in sinnvoller Regelmäßigkeit,<br />
Erreichbarkeit und Vielfalt gefeiert werden können; wieweit<br />
chr<strong>ist</strong>licher Glaube für Menschen in ihrer Lebenswelt zugänglich<br />
und präsent werden kann; wieweit Bildungsverantwortung,<br />
Diakonie und Ökumene Gestalt gewinnen können.<br />
Manche dieser Lebensdimensionen von Kirche führen<br />
Gemeinden notwendig zu regionaler bzw. ephoraler Zusammenarbeit.<br />
– Für Paulus <strong>ist</strong> die Metapher: „Wir haben diesen<br />
Schatz in irdenen Gefäßen“ nicht auf den Ton der<br />
Resignation oder des Selbstmitleids gestimmt, als wenn dies<br />
bedauerlicherweise so wäre. Vielmehr erscheint dies einzig<br />
angemessen: „damit die überschwengliche Kraft von Gott sei<br />
und nicht von uns“ (2. Korinther 4,7). Sonst haben Schätze<br />
ihren Ort in einem Safe oder Tresor. Doch dieser Schatz: die<br />
Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes, seines Lichtes, das alle<br />
150
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
Finsternis durchdringt, seiner klarmachenden Klarheit auf<br />
dem Angesicht Jesu Chr<strong>ist</strong>i des Gekreuzigten (4,6) – und daher<br />
das von Jesus Chr<strong>ist</strong>us ausgehende wahre, verlässliche,<br />
ewige Leben (4,8-11) findet seinen einzig angemessenen Ort<br />
in zerbrechlichem Tonzeug. Wie sollte dieser Schatz sonst<br />
zum Leuchten kommen, seinen Glanz entfalten und sich mitteilen?<br />
Von daher bleibt auch im Verhältnis zwischen dem,<br />
wovon chr<strong>ist</strong>liche Gemeinde lebt, und ihrer organisatorischen<br />
Gestalt die Perspektive heilsamer Brechungen offen gehalten.<br />
In den letzten Jahren entstanden zunehmend durch Zusammenlegung<br />
aus zwei bis drei früheren größere Ephorien. Angesichts<br />
traditionell kleiner bzw. durch Minorisierungsprozesse<br />
von Kirche verkleinerter Ephorien werden weiter gewichtige,<br />
jedenfalls erwägenswerte Gründe für diesen Weg<br />
sprechen. So sehr geschichtliche Prägung von Zusammenhängen<br />
und Zugehörigkeiten kirchlich nicht zu unterschätzen<br />
<strong>ist</strong>, wäre auch hier struktureller Fundamentalismus verfehlt,<br />
bleibt vielmehr zu erkunden, was an Veränderungen der<br />
Perspektive heilsamer Brechungen entsprechen könnte. Ein<br />
elementares Kriterium für den Weg zu einer größeren Ephorie<br />
bleibt, wieweit dadurch das Zusammenspiel ihrer drei<br />
Dimensionen als gemeinsames Aufgabenfeld, als Aufsichtsbezirk,<br />
als Gestalt von Kirche gestaltet und gefördert wird.<br />
Sonst besteht einmal die Gefahr, dass die Ephorie primär als<br />
Verwaltungseinheit gesehen wird, verbunden mit dem (auch<br />
betriebswirtschaftlichen) Trugschluss, dass größere Einheiten<br />
in jeder Hinsicht effizienter arbeiten. Und zum andern wird<br />
die Vergrößerung von Ephorien nicht selten mit Erwartungen<br />
verbunden bzw. damit vermeintlich legitimiert, die etwa finanziellen<br />
Einsparungen und der Lösung von Strukturproblemen<br />
gelten, sich aber, wie erste Erfahrungen zeigen, me<strong>ist</strong> als illusorisch<br />
erweisen. 29<br />
<strong>Die</strong> Frage nach der Effizienz kirchlichen Handelns <strong>ist</strong> wahrlich<br />
nicht zu vernachlässigen. Doch kann die Frage nach<br />
Steigerung von Effizienz derart die Aufmerksamkeit beanspruchen,<br />
dass die Frage nach der wirksamen Wahrheit und<br />
151
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
also Treue Gottes, auf die Menschen sich im Leben und<br />
Sterben verlassen können, demgegenüber sekundär wird. Dagegen<br />
geht es bei der Suche nach Effizienz kirchlichen<br />
Handelns primär um die Frage, was zu tun und zu gestalten<br />
<strong>ist</strong>, damit die befreiende Wahrheit des Evangeliums für<br />
Menschen in ihrem Leben zur Wirkung kommt. 30<br />
<strong>Die</strong> Gestaltung einer Ephorie angesichts jeweils spezifischer<br />
Herausforderungen, wie im Zusammenspiel ihrer Grunddimensionen<br />
und damit die Unterstützung und Förderung des<br />
kirchlichen Lebens in den Gemeinden, braucht nicht unbeträchtlichen<br />
Einsatz der dafür Verantwortlichen: wache<br />
Wahrnehmung situativer Herausforderungen und theologische<br />
Orientierung, Fähigkeit zum Management wie Sinn für<br />
ge<strong>ist</strong>liche Leitung, klärende Kommunikationsprozesse und<br />
Blick für die gemeinsame Aufgabe, Bildung von Schwerpunkten<br />
und Entwicklung von Konzeptionen, Risikobereitschaft<br />
und Mut zu Veränderungen ... Solche und weitere<br />
menschliche Aktivitäten sind notwendige und doch nicht hinreichende<br />
Voraussetzung für den weiteren Weg der Kirche.<br />
Wie wichtig deshalb, sich in allem Einsatz von der Verheißung<br />
leiten zu lassen, dass Gott selber die Kirche erhalten will, und<br />
wie befreiend, in diesem weiten Horizont der Verheißung den<br />
Weg der Kirche mitzugestalten! <strong>Die</strong>ser Horizont wird offen<br />
gehalten auch durch jene Bemerkung von Luther, die einen<br />
gelegentlich überraschen wird und doch entgegen aller angestrengten<br />
Kurzatmigkeit ins Weite führt: „Denn wir sind es<br />
doch nicht, die da kündten die Kirche erhalten, unser Vorfarn<br />
sind es auch nicht gewesen, Unser nachkomen werdens auch<br />
nicht sein, Sondern der <strong>ist</strong>s gewest, Ists noch, wirds sein, der<br />
da spricht: Ich bin bey euch bis zur welt ende (Mt 28,20), wie<br />
Ebre. am 13. stehet: Jhesus Chr<strong>ist</strong>us heri et hodie et in secula<br />
(Hebr 13,8), Und Apocalyp.: der es war, der es <strong>ist</strong>, der es sein<br />
wird (Off 1,8), Ja so he<strong>ist</strong> der Man, und so he<strong>ist</strong> kein ander<br />
man, und soll auch keiner so heissen.“<br />
152
Anmerkungen<br />
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
1 <strong>Die</strong>ser Beitrag geht zurück auf ein Impulsreferat zum Thema im<br />
Studienkurs mit Verantwortlichen für Personalfragen der Kirchen<br />
10/2004 im Theologischen Studienseminar der <strong>VELKD</strong>.<br />
2 Entsprechend gab Anstoß für Erkundungen zu Kirchenkreis-<br />
Reformen in einigen Ephorien der Hannoverschen Kirche die<br />
„Beobachtung, dass sich weit reichende Veränderungen z.Zt. auf der<br />
Kirchenkreisebene vollziehen ... bei gleichzeitiger Irritation, welche<br />
Funktion und Bedeutung dieser „mittleren Ebene“ überhaupt zukommen<br />
kann“: Hg. v. der Projektgruppe „Lernende Organisation<br />
Kirche“, Lernende Organisation Kirche. Erkundungen zu Kirchenkreis-Reformen,<br />
2004, 11.<br />
3 Auskünfte zum „Fragebogen zu Kennzeichen Ihrer Ephorie angesichts<br />
von Veränderungen in den letzten Jahren“ vom Sommer 2004<br />
verdanke ich den Ephoren aus folgenden Ephorien: Bayern<br />
(Weißenburg), Braunschweig (Helmstedt), Hannover (Walsrode,<br />
Wittingen), Nordelbien (Blankenese, Kappeln, Neumünster),<br />
Sachsen (Borna, Löbau-Zittau, Pirna), Thüringen (Altenburg, Gera,<br />
Rudolstadt-Saalfeld).<br />
4 Hier kommen die Rechtssammlungen vor allem folgender Kirchen<br />
in Betracht: Rechtssammlung der Evangelisch-Lutherischen Kirche<br />
in Bayern, 2000/Rechtssammlung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche<br />
Hannovers, 2003/Evangelisches Kirchenrecht der Nordelbischen<br />
Kirche. Eine Rechtssammlung, 2004.<br />
5 So jedenfalls bis vor etwa fünf Jahren: vgl. Helmar Junghans, Art.<br />
Superintendent in: TRE 32, 2001, 467.<br />
6 So in der Auskunft zu der Umfrage (s.o. Anm. 3) aus der Ephorie<br />
Altenburg: „Wir sind sehr mit strukturellen Überlegungen beschäftigt.<br />
Daneben – eigentlich vor allem – müssen wir uns aber um eine<br />
zeit- und situationsgemäße Verkündigung des Evangeliums kümmern.<br />
Deshalb brauchen wir die Bereitschaft zu konzeptionellem<br />
Denken auf allen Ebenen und ein Vertrauen zwischen Leitungsebenen<br />
und den Kirchgemeinden.“ – Und vgl. Lernende Organisation<br />
Kirche (Anm. 2), 56: „Offenbar <strong>ist</strong> es schwierig, Räume, Zeiten<br />
und Formen zur Wahrnehmung der im engeren Sinne inhaltlichen,<br />
theologisch zu bearbeitenden Leitungsaufgaben zu schaffen...<br />
Ausdrücklich wird das zuletzt angesprochene Problem unter dem<br />
153
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
Stichwort „ge<strong>ist</strong>liche Leitung“ benannt. <strong>Die</strong>se Dimension von<br />
Leitungshandeln wird immer wieder eingefordert – auch wenn selten<br />
klar gesagt werden kann, was damit gemeint <strong>ist</strong>.“<br />
7 Als ein Klärungsversuch in dieser Hinsicht der Beitrag in diesem<br />
Buch: „Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung: Eine notwendige<br />
und beziehungsvolle Unterscheidung“.<br />
8 Ev.-luth. Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt, Den Kirchenkreis<br />
Hildesheim-Sarstedt durch Förderung seiner Regionen auf attraktive<br />
Weise weiter entwickeln, 2002, 26f.<br />
9 Nach Auskunft dazu im Zusammenhang der Umfrage (s.o. Anm. 3)<br />
aus der Ephorie Gera wird die notwendige Kooperation gefördert<br />
durch „Kollegen, Konvent“, erschwert durch „Konkurrenz, Angst<br />
um eigene Stelle“ und wird doch aus der Sicht der Mitarbeitenden<br />
wahrgenommen und beurteilt als „motivierend, befriedend,<br />
Kreativität fördernd, vielfältig, bunt“. – Gleichwohl bleibt die Kooperation<br />
unter der Pfarrerschaft wie zwischen ihr und den andern<br />
Verantwortlichen im Verkündigungsdienst eigens zu fördern. Denn<br />
oft trifft zunächst jedenfalls zu: „Der Wille zur Zusammenarbeit und<br />
Aufgabenteilung <strong>ist</strong> im Pfarrberuf ... (sc. angesichts dessen, dass jede<br />
Veränderung nicht nur Entlastung, sondern auch Machtverlust<br />
bedeutet) nicht selten schwach ausgeprägt: Befürchtet wird zum<br />
einen, persönlich wichtige Arbeitsfelder zu verlieren, zum anderen<br />
sieht man sich dem Verdacht ausgesetzt, man wolle sein Amt nicht<br />
richtig ausfüllen.“ (Lernende Organisation Kirche: Anm. 2, 92).<br />
10 Wie dies der eigenen Sachkenntnis sowie Urteils- und Sprachfähigkeit<br />
in Fragen dessen dient, was mit dem Glauben eröffnet <strong>ist</strong><br />
und damit im Leben auf dem Spiel steht, deshalb der Fähigkeit zum<br />
Gespräch mit Zeitgenossen, denen Glaube, Bibel, Kirche wenig vertraut<br />
<strong>ist</strong>, so fördert dies zugleich zwischen Chr<strong>ist</strong>enmenschen in ihrer<br />
Lebenswelt und Theologinnen, Theologen theologische Orientierungsfähigkeit.<br />
Deshalb in diesem Buch auch in dem Beitrag „Verantwortung<br />
für theologische Orientierung bzw. kirchliche Lehre“: 2.<br />
11 So im Pfarrergesetz der <strong>VELKD</strong> § 3 Abs. 3.<br />
12 Zur ephoral notwendigen Aufgabe der Lehraufsicht der Beitrag in<br />
diesem Buch: Verantwortung für theologische Orientierung bzw.<br />
kirchliche Lehre. Eine Skizze.<br />
13 Hier mit Seitenangabe nach: Martin Luther, Vorrede zu: Unterricht<br />
der Visitatoren an die Pfarrherrn im Kurfürstentum zu Sachsen, 1528<br />
154
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
in: hg. v. Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, Martin Luther Ausgewählte<br />
Schriften 5. Band, 1982, 83-89.<br />
14 <strong>Die</strong>se Aufgabe hat für das ephorale Amt nach der Verfassung der<br />
Hannoverschen Kirche besondere Bedeutung. Doch geschieht dies<br />
hiernach (Kirchenverfassung § 53) im Zusammenhang mit der Aufsichtsfunktion:<br />
„Der Superintendent hat – unbeschadet der Aufsicht<br />
anderer Stellen – die Aufsicht über die Kirchengemeinden, die<br />
Pfarrämter und die Inhaber kirchlicher Amts- und <strong>Die</strong>nststellungen,<br />
soweit sie im <strong>Die</strong>nst der Verkündigung tätig sind. Er soll das kirchliche<br />
Leben im Kirchenkreis anregen und fördern sowie Mißständen<br />
und Gefahren entgegenwirken. Er vertritt den Kirchenkreis in der<br />
Öffentlichkeit.“<br />
15 So in dem h<strong>ist</strong>orischen Überblick zu Funktionszuschreibungen an<br />
den Kirchenkreis gemäß der KKO 1971 in Hannover: Lernende<br />
Organisation Kirche (Anm. 2), 61.<br />
16 Nach CA XXVIII <strong>ist</strong> darin wie das pastorale so das bischöfliche<br />
und von daher analog das ephorale Grundamt zu sehen: „Nun lehren<br />
die Unseren also, daß der Gewalt der Schlussel oder der<br />
Bischofen sei, lauts des Evangeliums, ein Gewalt und Befehl Gottes,<br />
das Evangelium zu predigen, die Sunde zu vergeben und zu behalten<br />
und die Sakrament zu reichen und zu handeln.“ (BSLK 121,12-17).<br />
17 Vgl. Lernende Organisation Kirche (Anm. 2), 63: „Der Kirchenkreis<br />
<strong>ist</strong> mehr als die Summe der Gemeinden, er <strong>ist</strong> mehr als eine<br />
Verwaltungseinheit, nämlich auch ein eigenständiger räumlicher und<br />
zeitlicher Ermöglichungsgrund von Glauben... Im Zusamenspiel der<br />
Organisationsformen Parochie und Kirchenkreis liegt darum kein<br />
ge<strong>ist</strong>liches Problem, sondern eine ge<strong>ist</strong>liche Chance zur Veränderung<br />
und Entwicklung. In der Verständigung über gemeinsame Inhalte<br />
müssen immer aufs Neue angemessene Strukturen der Organisation<br />
gefunden werden.“<br />
18 S.o. Anm. 3.<br />
19 Ausführlicher hierzu: Volker Weymann, Drei Dimensionen des<br />
Gemeindeaufbaus in: Reformatio 37/1988, 193ff.<br />
20 Dazu Helmut Maier-Frey, Gemeinschaft der Ordinierten. Warum<br />
sie sein muss und wie viel man davon braucht in: Deutsches Pfarrerblatt<br />
8/2004, 400-402.<br />
21 A.a.O., 401f.<br />
22 A.a.O., 402.<br />
155
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
23 S.o. Anm. 3.<br />
24 Hg. im Auftrag der Kirchenleitung der <strong>VELKD</strong> von Dorothea<br />
Wendebourg und Reinhard Brandt, Traditionsaufbruch. <strong>Die</strong> Bedeutung<br />
der Pflege chr<strong>ist</strong>licher Institutionen für Gewißheit, Freiheit<br />
und Orientierung in der plural<strong>ist</strong>ischen Gesellschaft, 2001, 107.<br />
25 Vgl. Chr<strong>ist</strong>ian Möller, Art. Gemeinde I in: TRE 12, 1984, 330: „Es<br />
gibt immer wieder Versuche, diese Komplementarität (sc. zwischen<br />
Kirche und Gemeinde) entweder durch einen universal<strong>ist</strong>ischen<br />
Kirchenbegriff oder durch einen exklusiven Gemeindebegriff aufzulösen.<br />
Bei einem universal<strong>ist</strong>ischen Kirchenbegriff wird die Einheit<br />
der zentral geleiteten Kirche so stark betont, daß die chr<strong>ist</strong>liche Gemeinde<br />
am Ort zu einer Kirchenfiliale degradiert wird. Bei einem<br />
exklusiven Gemeindebegriff wird die versammelte Gemeinde so<br />
stark betont, daß eine kirchliche Gemeinschaft mit anderen Gemeinden<br />
wie mit der Ökumene des Volkes Gottes aus dem Blickfeld geraten.“<br />
26 Entsprechend heißt es aufgrund von Fallstudien und Lernprozessen<br />
in fünf Kirchenkreisen der Hannoverschen Kirche in:<br />
Lernende Organisation Kirche (Anm. 2), 91: „Ohne Krise oder<br />
Mangelerfahrung wäre in keinem der besuchten Kirchenkreise ein<br />
Grund legendes Überlegen angestoßen worden.“<br />
27 Als dramatische Verfremdung kann hier eine Pointe von Friedrich<br />
Dürrenmatt (aus: Theaterprobleme 1954/55) zur Dramaturgie der<br />
Tragikomödie zu denken geben: „Gewiß, wer das Sinnlose, das<br />
Hoffnungslose dieser Welt sieht, kann verzweifeln, doch <strong>ist</strong> diese<br />
Verzweiflung nicht eine Folge dieser Welt, sondern eine Antwort, die<br />
er auf diese Welt gibt, und eine andere Antwort wäre sein Nichtverzweifeln,<br />
sein Entschluß etwa, die Welt zu bestehen, in der wir oft<br />
leben wie Gulliver unter den Riesen. Auch der nimmt D<strong>ist</strong>anz, auch<br />
der tritt einen Schritt zurück, der seinen Gegner einschätzen will, der<br />
sich bereit macht, mit ihm zu kämpfen oder ihm zu entgehen. Es <strong>ist</strong><br />
immer noch möglich, den mutigen Menschen zu zeigen. <strong>Die</strong>s <strong>ist</strong><br />
denn auch eines meiner Hauptanliegen.“ (Ders., Theater-Schriften<br />
und Reden, 1966, 123).<br />
28 So mündlich Superintendent Matthias Weismann aus Borna im<br />
Studienkurs zur „Zwischenbilanz nach einigen Jahren der Leitung<br />
einer <strong>Superintendentur</strong>“ im November 2004.<br />
29 So wird aus dem Erkundungsprozess in der hannoverschen Lan-<br />
156
Volker Weymann: Zum Profil der Ephorien<br />
deskirche resümiert – Lernende Organisation Kirche (Anm. 2), 101:<br />
„In den me<strong>ist</strong>en besuchten Kirchenkreisen sind strukturelle Veränderungen<br />
durch das Schaffen größerer Einheiten, also durch Zusammenlegung<br />
von Kirchenkreisen, ausgelöst worden. <strong>Die</strong><br />
Erwartung, durch Zusammenlegungen zu sparen, Strukturprobleme<br />
oder gar theologische Krisen, Fragen des Selbstverständnisses von<br />
Kirche oder des Leitbildes lösen zu wollen, hat sich nicht erfüllt.“<br />
30 Vgl. Eberhard Jüngel, Zur Freiheit eines Chr<strong>ist</strong>enmenschen. Eine<br />
Erinnerung an Luthers Schrift, 1978, 78: „<strong>Die</strong> Sorge geht ... dahin,<br />
daß eine statt nach Wahrheit fragende nach Effizienz schielende<br />
Theologie (und Kirche) auf Wirkungen aus <strong>ist</strong>, die eben alles andere<br />
als Wirkungen der Wahrheit sind. Es <strong>ist</strong> dann aber auch eine andere<br />
Freiheit gemeint als die, zu der die Wahrheit befreit.“<br />
31 Wider die Antinomer (1539): WA 50; 476,31-37. (<strong>Die</strong>s Wort wurde<br />
von Rörer in der angeblichen „Vorrede D. M. Luthers, vor seinem<br />
Abschied gestellet“ (1548) aufgenommen: WA 54; 470,8-14).<br />
157
158
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung:<br />
eine notwendige und beziehungsvolle<br />
Unterscheidung 1<br />
Volker Weymann<br />
Inwiefern hat es mit dem Auftrag und der Aufgabe der Kirche<br />
zu tun, dass uns beides beschäftigt: Fragen des kirchlichen<br />
Managements wie ge<strong>ist</strong>licher Kirchenleitung – und somit die<br />
Beziehung zwischen beidem? Aufs erste kann man sich dies<br />
daran klarmachen, dass die Aufgabe der Kirche (mit einer<br />
Wendung Ernst Langes) in der „Kommunikation des Evangeliums“<br />
besteht. Damit <strong>ist</strong> zweierlei zugleich angesprochen:<br />
einmal geht es um überraschende Wahrnehmung, vertiefte Erkenntnis,<br />
erhellendes Bezeugen des Evangeliums; ebenso freilich<br />
um Bedingungen und Gestaltung seiner Kommunikation.<br />
<strong>Die</strong>se beiden Dimensionen greifen notwendig ineinander,<br />
erfordern aber je nach dem unterschiedliche Aufmerksamkeit.<br />
So gibt es gute Gründe, im Blick auf Bedingungen und Gestaltung<br />
der Kommunikation des Evangeliums stärker handlungsorientiert<br />
anzusetzen – und zu fragen: wie lässt sich was<br />
besser machen? Zu den gestalterischen Aufgaben derer, die<br />
leitende Verantwortung tragen in einer Kirchengemeinde oder<br />
etwa in einem Kirchenkreis oder in einem <strong>anders</strong> gelagerten<br />
Verantwortungsbereich, gehören gewiss nicht nur, jedoch unausweichlich<br />
etwa folgende Aufgaben: Konzeptionen zu entwickeln<br />
und Ziele wie Wege zu deren Realisierung; ebenso<br />
Personalführung und Förderung von Initiative wie Kooperation;<br />
weiter Organisation von Arbeitsabläufen und Zeitplanung;<br />
und bei alledem haushälterischer Umgang mit<br />
Ressourcen und Frage nach dem Ertrag der Bemühungen.<br />
<strong>Die</strong>ses Bündel an Aufgaben kommt seit einiger Zeit auch in<br />
der Kirche nicht umsonst unter der Bezeichnung „ Management“<br />
in Betracht. Denn die skizzierte Palette an Aufgaben<br />
findet in mancher Hinsicht Analogien in der Führung von<br />
Unternehmen, ob Wirtschafts-Betrieben oder Non-Profit-<br />
159
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Organisationen, führt zu Managementkonzepten wie -beratung<br />
und wird in der Betriebswirtschaftslehre thematisiert.<br />
Deshalb scheinen Betrachtungsweisen wie Instrumente aus<br />
dem Bereich des Management einen Beitrag zu realitätsgerechter<br />
Verantwortung wie zu effizienter Wirksamkeit kirchen-<br />
bzw. gemeindeleitenden Handelns zu versprechen. Dass<br />
es in den letzten Jahren zu kirchlicher Rezeption von<br />
Modellen, Impulsen, Instrumenten aus der Betriebswirtschaft<br />
gekommen <strong>ist</strong>, hat, wenn ich recht sehe, vor allem folgende<br />
drei Gründe: Einmal scheint die ökonomische Betrachtungsweise<br />
nicht nur für wirtschaftliche Vorgänge, sondern darüber<br />
hinaus etwa auch für kulturelle und soziale Dimensionen<br />
gesellschaftlichen Lebens eine gewisse Plausibilität zu gewinnen.<br />
Weiter scheint sich die Kirche im Pluralismus auf einem<br />
Markt religiös-weltanschaulicher Angebote zu befinden. Und<br />
nicht zuletzt <strong>ist</strong> die Frage des Umgangs auch mit ihren finanziellen<br />
Ressourcen für die Kirche akuter geworden. Dabei <strong>ist</strong><br />
zugleich klar: die kirchliche Rezeption betriebswirtschaftlicher<br />
Einsichten und Instrumente, die seit einigen Jahren im Gang<br />
<strong>ist</strong>, scheint wie früher die der Humanwissenschaften Realitätsgewinn<br />
zu versprechen, bedarf aber ebenso kritischer Reflexion.<br />
Von daher <strong>ist</strong> es, wie zu vermuten steht, ganz<br />
sachgemäß, dass für auftragsgemäße und zielorientierte<br />
Kirchenleitung die Spannung zu denken gibt zwischen ihrer<br />
ge<strong>ist</strong>lichen Orientierung und der Rezeption von Gestaltungselementen<br />
aus dem Bereich des Management.<br />
Dabei wäre es kurzschlüssig, dies spannungsvolle Verhältnis<br />
nicht als solches wahrzunehmen und zur Geltung zu bringen,<br />
sondern alternativ auflösen zu wollen. Kurzschlüssig wäre es<br />
deshalb, etwa die Freiheit der Verkündigung gegen Gesichtspunkte<br />
des Management, die auch hier bedenkenswert sein<br />
können, ausspielen zu wollen; oder umgekehrt primär Aspekte<br />
des Management für die Gestaltung kirchlichen Lebens maßgeblich<br />
sein zu lassen. Gegenüber solch kurzschlüssigen Einseitigkeiten<br />
geben zwei Voten aus einem Beitrag von Eckhart<br />
von Vietinghoff zu denken, dem Präsidenten des Landeskirchenamtes<br />
in Hannover. Einerseits we<strong>ist</strong> er darauf hin: „Das<br />
160
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
offene Gespräch über das, was geplant <strong>ist</strong>, was dann konkret<br />
getan wird und was schließlich an sichtbaren Erfolgen oder<br />
Mißerfolgen erreicht worden <strong>ist</strong>, wird noch zu selten und zuwenig<br />
professionell geführt. Zu rasch werden gegen Kritik<br />
Schutzzäune aufgebaut, wie etwa die Freiheit der Verkündigung<br />
... Aber die in der Tat zu achtende Freiheit der Verkündigung<br />
<strong>ist</strong> doch nicht schon dann berührt, wenn nach<br />
präziser Arbeits- und Zeitplanung und den Resultaten der<br />
eigenen Arbeit gefragt wird.“ Zum andern betont er freilich<br />
ebenso: So sehr „Phantasie und Einsatz geboten (sind), um<br />
die Glaubwürdigkeitsschere zwischen sichtbarer Kirche und<br />
ihrem Auftrag nicht zu weit auseinanderklaffen zu lassen... (,)<br />
muß (eines) klar sein: Kein Organisations- und Strukturaktionismus<br />
kann Glauben wecken... (K)ein Geld, kein Recht,<br />
keine Organisation kann in der Kirche auf Dauer ersetzen,<br />
was an ge<strong>ist</strong>igen, ge<strong>ist</strong>lichen, spirituellen Kräften fehlt.“ 2<br />
So werden wir dem spannungsvollen Verhältnis, genauer: der<br />
notwendigen und beziehungsvollen Unterscheidung zwischen<br />
Management und ge<strong>ist</strong>licher Orientierung in der Leitung der<br />
Kirche bzw. einer Gemeinde nachsinnen. <strong>Die</strong>s geschieht in<br />
zwei Etappen: Zunächst (I.) geht es um ein erstes Umschauhalten<br />
in dem mit unserem Thema avisierten Feld. Dabei soll<br />
es um einige Beobachtungen und Erwägungen zu Management<br />
und ebenso zu Grundzügen ge<strong>ist</strong>licher Wahrnehmung<br />
gehen. Im zweiten größeren Bogen unserer Überlegungen<br />
(II.) soll erkundet werden, wo Beziehung und Unterscheidung<br />
von Management und ge<strong>ist</strong>licher Kirchen- wie Gemeindeleitung<br />
akut wird. Als Akzent zum Schluss folgt noch eine<br />
knappe Pointe.<br />
I. Beobachtungen und Erwägungen im Feld unseres Themas<br />
1. Zu Grundzügen des Management<br />
Als Grundfunktionen des Management werden seitens der<br />
Betriebswirtschaftslehre im Rahmen des St. Galler Management-Modells,<br />
das hier besonders in Betracht kommen soll,<br />
161
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
etwa benannt 3: Zunächst Unternehmensphilosophie, worin es<br />
um Leitbild und normative Ziele geht, die das handlungsorientierende<br />
Wertsystem des Unternehmens aufzeigen, der<br />
unternehmenspolitischen Verständigung dienen und der<br />
Nutzenstiftung durch das Unternehmen einen nachvollziehbaren<br />
Sinn nach innen und außen geben sollen. Weiter Unter<br />
nehmungsplanung strategisch mit Aufbau von Erfolgspotentialen<br />
am Markt und operativ mit dem Aufbau betrieblicher<br />
Produktivitätspotentiale und einem Kontrollsystem, das wenn<br />
nötig Korrekturmaßnahmen fortlaufend ermöglicht. Ebenso<br />
gehört zum Management eine effiziente und zugleich flexible<br />
Organisation von strukturellen Regelungen und Arbeitsabläufen,<br />
die den Einsatz der Mitarbeiter und sämtlicher<br />
Ressourcen konsequent auf die strategischen Ziele hin ausrichtet.<br />
Und schließlich hat im Management die Mitarbeiterführung<br />
entscheidende Bedeutung, die mit geeigneten<br />
Führungsstilen und wirksamen Führungstechniken eine<br />
Unternehmenskultur schafft, die Mitarbeiter motiviert, sie in<br />
ihrer Le<strong>ist</strong>ungsfähigkeit stimuliert, zugleich ihren Bedürfnissen<br />
gerecht wird – und insgesamt die Aufgabenerfüllung<br />
sicherstellt.<br />
So sehr damit Wirtschaftsbetriebe im Blick sind, zeigen sich<br />
mit den Grundfunktionen des Management doch gewisse<br />
Analogien zu kybernetischen Kompetenzen, die etwa von der<br />
Kirche in Bayern aufgeführt werden. Geht es doch hier gemäß<br />
dem Fragebogen zum Mitarbeitenden-Jahresgespräch 4<br />
darum, Leitung zu übernehmen und mit adäquatem Leitungsstil<br />
zu entwickeln, so dass Übernahme wie Delegation von<br />
Verantwortung möglich wird; weiter darum, Mitarbeitende zu<br />
gewinnen, zu motivieren, zu fördern; freilich auch darum, im<br />
Bezug von Wahrnehmung der Situation und dem Auftrag der<br />
Kirche Konzepte zu entwickeln und umzusetzen; sodann<br />
darum, das Berufsfeld zu strukturieren, Prioritäten zu setzen<br />
und effizient zu arbeiten; in alledem kommt es darauf an, Zeit<br />
und materielle Ressourcen effizient zu nutzen, Mitarbeitende<br />
ihren Fähigkeiten entsprechend einzusetzen und (so sehr<br />
offen bleibt, in welcher Hinsicht) neue Quellen zu erschließen.<br />
162
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Ob Management in betriebswirtschaftlicher oder von daher<br />
auch in dieser kirchlichen Variante, leuchtet zunächst ein, was<br />
ein Theologe, der sein berufliches Feld in einem größeren<br />
Wirtschafts-Unternehmen gefunden hat, hervorhebt: „Ziel<br />
der me<strong>ist</strong>en Management-Methoden <strong>ist</strong> eine ... effektive und<br />
effiziente Aufgabenbewältigung auf ein Ziel hin.“ 5 Zu fragen<br />
wäre hier schon, wieweit primär teleologische Ausrichtung des<br />
Handelns, wie sie für die Wirtschaft zutrifft, auch für die<br />
Kirche sachgemäß <strong>ist</strong>. Und fragwürdig bleibt in Anbetracht<br />
der genannten Grundfunktionen des Management, dieses primär<br />
als Methode und also instrumental verstehen zu wollen,<br />
etwa mit der Absicht, dadurch einer Kritik an „Ökonomisierung<br />
der Kirche“ den Wind aus den Segeln zu nehmen: Denn<br />
die „Verwendung gleicher oder auch nur ähnlicher Instrumente<br />
... (sage) noch nichts über das Ergebnis oder die Orientierung<br />
der Instrumente aus.“ Zeigt sich schon an der<br />
Übernahme von Management-Methoden, dass damit deren<br />
teleologische Ausrichtung übernommen wird, so lassen sich<br />
Instrumente und Konzeption von Management nicht separieren.<br />
Doch kommt es darauf an, für die Unterschiedlichkeit<br />
von Management-Konzepten einen Blick zu gewinnen. Dann<br />
ließe sich eher prüfen, ob und in welcher Hinsicht Management<br />
auftragsgemäßer Kirchen- und Gemeindeleitung dienen<br />
und entsprechen könnte.<br />
Freilich sind Managementkonzepte zu finden, die zum Zweck<br />
der Produktivitätssteigerung und im Interesse des wirtschaftlichen<br />
Erfolgs für Betriebe, Wirtschaftsabläufe und die<br />
menschliche Arbeitskraft umfassende Mobilisierung und<br />
Flexibilisierung für einzig erfolgversprechend halten. Entsprechend<br />
werden die neuen Anforderungen von einem<br />
Management-Trainer und Trendberater folgendermaßen beschrieben:<br />
„Es darf also keinen Stillstand geben, keine starren<br />
Strukturen, keine Gewohnheiten, keine Standards, keine<br />
Prestige-Regeln und keinen mentalen Konservativismus. Das<br />
Einzige, was es geben muß, <strong>ist</strong> eine permanente Produktivitätssteigerung.“<br />
6 Wer in diesem Run des wirtschaftlichen<br />
Erfolgs mitspielt, von dem wird, wie es heißt, „freiwillige und<br />
163
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
engagierte Selbstoptimierung“ verlangt. <strong>Die</strong>ser Trend scheint<br />
so fraglos erfolgversprechend, dass jeder, der trotz aller Anstrengungen<br />
nicht zum Erfolg gelangt, sein Scheitern sich<br />
selbst zuzuschreiben hat. Positives Denken und Pflicht zum<br />
Optimismus scheint hier der Weisheit letzter Schluss. Und die<br />
Kehrseite dieser Medaille lautet dann bei einem Lebensberater,<br />
der solch verwegener Weisheit fröhnt, nicht umsonst:<br />
„Man kann nicht arbeitslos, krank oder mitttellos werden,<br />
wenn man es nicht unbewußt will.“ 7 Es wäre leichtfertig, solch<br />
abstruse Lebensweisheit, die sich mit Management-Beratung<br />
verbinden kann, auf sich beruhen zu lassen. Eine differenzierte<br />
Ausein<strong>anders</strong>etzung mit solcher „Zurichtung des Menschen<br />
zu einem Element des Marktes“ bietet das Buch von<br />
Johano Strasser „Leben oder Überleben“. Darin bemerkt er<br />
angesichts derartiger Parolen aus der Management-, Trendund<br />
Lebensberatung: „Erfolgreich, so die Botschaft des Neoliberalismus,<br />
<strong>ist</strong> am Ende nur der, der sein Leben und Handeln<br />
ganz der ökonomischen Rationalität unterwirft, der ... sich<br />
selbst ganz zu einem Funktionselement des Marktes macht.“ 8<br />
Kurzschlüssig, ja verfehlt wäre es allerdings, solch ökonom<strong>ist</strong>isch<br />
verengte und ideologisierte Sicht als typischen Trend<br />
von Managementkonzepten anzunehmen. Nicht umsonst<br />
wird in der Betriebswirtschaftslehre bedacht, was wirtschaftlicher<br />
Erfolg in kurzfr<strong>ist</strong>iger und in mittel- oder langfr<strong>ist</strong>iger<br />
Perspektive bedeutet und an Management erfordert. Deshalb<br />
<strong>ist</strong> auch kontrovers, ob wirtschaftlicher Erfolg sich allein an<br />
der Maximierung des Gewinns bemessen kann und sich nicht<br />
vielmehr an der Überlebensfähigkeit eines Unternehmens<br />
orientieren muss. Dabei werden dann Fragen selbstverständlich<br />
der ökonomischen, aber auch der ökologischen und sozialen<br />
Nachhaltigkeit in Anschlag gebracht. So gibt etwa einer<br />
der Initiatoren des so genannten St. Galler Management-<br />
Modells, das am Betriebswirtschaftlichen Institut der Hochschule<br />
St. Gallen entstand und weiter entwickelt wurde, zu<br />
bedenken 9: „<strong>Die</strong> Rezessionen der Vergangenheit hätten ...<br />
gezeigt, daß nur die Orientierung am Gewinn zur Steuerung<br />
eines Unternehmens nicht ausreicht. Gewinnmaximierendes<br />
164
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Managementverhalten könne das Überleben eines Unternehmens<br />
nicht sicherstellen. Entscheidend sei es, die Voraussetzungen<br />
zur Gewinnerzielung in das Blickfeld zu nehmen.<br />
Gewinn entstehe nicht voraussetzungslos, sondern als Folge<br />
der Ausnutzung bestimmter Erfolgspotentiale. <strong>Die</strong>se Erfolgspotentiale<br />
gilt es frühzeitig zu erkennen und den Le<strong>ist</strong>ungsprozeß<br />
daran auszurichten.“<br />
Entsprechend wurde in St. Gallen betriebswirtschaftlich eine<br />
systemische Betrachtungsweise entwickelt. Damit kommen<br />
für ein Unternehmen intern Zusammenhänge in Betracht zwischen<br />
Produktions- und Kommunikationsprozessen, ebenso<br />
extern Zusammenhänge mit weiteren wirtschaftlichen, sozialen<br />
und ökologischen Prozessen. Zugleich wurde offen gehalten,<br />
ob Grundzüge der Leitung eines Unternehmens wie in<br />
Wirtschaftsbetrieben analog etwa in Verwaltungen und<br />
Verbänden anzutreffen und zu entwickeln sind. Deshalb<br />
wurde Management als „Leitung soziotechnischer Systeme“<br />
bestimmt bzw. genauer: „Management <strong>ist</strong> die Leitung soziotechnischer<br />
Systeme in personen- und sachbezogener<br />
Hinsicht mit Hilfe von professionellen Methoden. In der<br />
sachbezogenen Dimension des Managements geht es um die<br />
Bewältigung der Aufgaben, die sich aus den obersten Zielen<br />
des Systems ableiten, in der personbezogenen Dimension um<br />
den richtigen Umgang mit allen Menschen, auf deren<br />
Kooperation das Management zur Aufgabenerfüllung angewiesen<br />
<strong>ist</strong>.“ 10<br />
Sowohl die aufgaben- wie die personbezogene Dimension des<br />
Management erfordert beides: die Gestaltung der Organisation<br />
und die Gestaltung der Führung, um das Erreichen der<br />
im jeweiligen System gesetzten Ziele zu ermöglichen und zu<br />
fördern. Dabei betrifft die organisatorische Gestaltungsaufgabe<br />
zweckmäßige Strukturen und Regeln eines Systems. Das<br />
organisatorische Strukturieren umfasst immer zwei Aspekte.<br />
Zum einen den der Differenzierung: denn die zu erfüllenden<br />
Aufgaben müssen in Teilaufgaben zerlegt und verschiedenen<br />
Aufgabenträgern zugeordnet werden. Zum andern den der<br />
165
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Koordination: denn die Teilaufgaben und deren Träger müssen<br />
aufeinander abgestimmt werden, um mit ihren Teille<strong>ist</strong>ungen<br />
zur Gesamtle<strong>ist</strong>ung beizutragen. Dabei betreffen<br />
die Grundaufgaben der Differenzierung und der Koordination<br />
zwei Arten von Strukturen: einmal die Zuordnung der<br />
Aufgabenträger – und somit die Aufbauorganisation bzw. Gebildestruktur<br />
eines Systems; ebenso die logische und zeitliche<br />
Gliederung der Arbeitsabläufe und Aktivitäten - somit die Ablauforganisation<br />
bzw. Prozessstruktur. 11<br />
Zusammen mit der organisatorischen Aufgabe gehört zum<br />
Management die Führungsaufgabe, wodurch auf Seiten der<br />
Mitarbeitenden ihre Einstellung, Motivation und Le<strong>ist</strong>ung geprägt<br />
wird. Führung stellt von daher primär eine interpersonelle,<br />
aber auch wiederum eine organisatorische Gestaltungsaufgabe<br />
dar. Dabei sind nicht nur im St. Galler Management-<br />
Modell mit der Führungsaufgabe sowohl Aufgabenziele wie<br />
Mitarbeiterziele im Blick. Bei der aufgabenorientierten<br />
Führungsfunktion geht es in Verständigung mit den Mitarbeitenden<br />
darum, die anstehenden Aufgaben zu bestimmen und<br />
zu strukturieren; eine rationelle Arbeitsteilung zu schaffen; die<br />
Kommunikation unter den Mitarbeitenden zweckmäßig zu<br />
gestalten; Beratungs- und Entscheidungsprozesse zu steuern<br />
(bzw. im Bedarfsfall Entscheidungen selbst zu treffen) und die<br />
Realisierung der getroffenen Entscheidungen sicherzustellen.<br />
Bei der person- bzw. gruppenorientierten Führungsfunktion<br />
geht es darum, die Fähigkeiten und Erfahrungen der Mitarbeitenden<br />
zu nutzen; offene Kommunikation unter ihnen<br />
sowie gegenseitige fachliche und soziale Unterstützung zu fördern;<br />
durch Zuteilung herausfordernder, nicht überfordernder<br />
Aufgaben den Mitarbeitenden die Möglichkeit zu fachlicher<br />
wie persönlicher Entwicklung zu bieten; und Arbeitszufriedenheit<br />
der Mitarbeitenden durch Erfüllung einer sinnvollen<br />
Aufgabe zu ermöglichen. So besteht die besondere Herausforderung<br />
der Führungsaufgabe darin, Aufgaben- und<br />
Mitarbeiterziele aufeinander zu beziehen. 12 Eine völlige Zielintegration<br />
allerdings wäre utopisch. Recht besehen werden<br />
Aufgaben- und Mitarbeiterziele kaum je deckungsgleich sein,<br />
166
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
vielmehr Differenzen und Gegensätze zeigen. Deshalb kann<br />
es nur darauf ankommen, beide so förderlich wie möglich aufeinander<br />
zu beziehen.<br />
Zur Führung eines Unternehmens bzw. eines soziotechnischen<br />
Systems gehört, wie gesagt, mit der Dimension der<br />
interpersonellen so auch die der organisatorischen Verantwortung.<br />
<strong>Die</strong>s betrifft einerseits Regeln des Führungsstils:<br />
etwa Grundsätze des Informationsverhaltens gegenüber den<br />
Mitarbeitenden; Verständigung über Ausmaß und Gegenstände<br />
der Partizipation; weiter im Prozess der Le<strong>ist</strong>ungserbringung<br />
das Verhältnis von Fremd- und Selbstkontrolle der<br />
Mitarbeitenden; und nicht zuletzt die Frage von Stil, Kriterien<br />
und Häufigkeit von Beurteilung – sei es als einseitige Qualifikation<br />
(der Mitarbeitenden durch Vorgesetzte) oder als beidseitige<br />
Beurteilung (womit auch die Mitarbeitenden die<br />
Vorgesetzten qualifizieren). Ebenso gehört zur organisatorischen<br />
Dimension von Führung die Regelung von Führungstechniken:<br />
etwa ob Führung primär über Zielorientierung und<br />
Zielvereinbarung erfolgt oder, wenn normalerweise Routine-<br />
Aufgaben anfallen, über Verständigung zu Ausnahmefällen.<br />
Zu den Führungstechniken gehören weiter einmal Einsatz<br />
von Gruppenarbeit (ob in ständigen Ausschüssen oder in<br />
Projektteams etc.) und Regeln für die Arbeitsweise in der<br />
Gruppe; ebenso Regeln von Mitwirkung bzw. Interessenvertretung<br />
bei Entscheidungen, die sich auf die Situation der Mitarbeitenden<br />
auswirken; nicht zuletzt Regeln der Konfliktbewältigung<br />
im Gespräch oder notfalls auf dem Rekurs- und<br />
Beschwerdeweg. 13<br />
Mit dem St. Galler Management-Modell sind also u.a. folgende<br />
Dimensionen von Management im Blick: Reflexion und<br />
Entwickeln der Ziele eines Unternehmens, dabei auch<br />
Einbezug von Interaktionen mit der Gesellschaft und der<br />
Umwelt; ein Verständnis von wirtschaftlichem Erfolg, das<br />
nicht allein an der Maximierung des Gewinns, sondern zugleich<br />
an der Überlebensfähigkeit des Unternehmens orientiert<br />
<strong>ist</strong>; das Verhältnis von aufgaben- und personbezogenen<br />
167
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Dimensionen des Management – und ebenso organisatorische<br />
wie interpersonelle Führung. Deshalb <strong>ist</strong> es verständlich, dass<br />
dies Modell für Konzeptionen und Gestaltung von Management<br />
in Kirche und Diakonie über die letzten Jahre am stärksten<br />
rezipiert wurde. 14<br />
Wenn im Zusammenhang mit Fragen der Kirchen- und Gemeindeleitung<br />
Modelle von Management in Betracht kommen,<br />
so <strong>ist</strong> dafür Voraussetzung, die hier eigens hervorgehoben<br />
werden soll, dass Kirche und Gemeinde von ihrer<br />
Geschichte, Verfasstheit und Wirkung her ein soziales System<br />
darstellen. Soziale Kommunikations- und Leitungsprozesse<br />
samt entsprechender Regeln gehören wie zu jeder sozialen<br />
Organisation auch zur Kirche. Und klar <strong>ist</strong>, dass sie sich darüber<br />
„so wenig erheben kann wie jeder einzelne Chr<strong>ist</strong> über<br />
die Bedingungen seiner Leibhaftigkeit.“ 15 In Anbetracht dessen<br />
wäre es, um dies schon vorweg anzudeuten, abwegig,<br />
ge<strong>ist</strong>liches Leben separat, getrennt vom alltäglichen Leben<br />
oder als dessen Doppelgänger suchen zu wollen. Vielmehr<br />
steht zu vermuten, dass gerade im Bezug zum alltäglichen<br />
Leben und in dessen Vollzug ge<strong>ist</strong>liches Leben zur Wirkung<br />
kommt. Deshalb müsste in Kirchen- wie Gemeindeleitung<br />
Leitung als soziales wie als ge<strong>ist</strong>liches Geschehen in deren<br />
gegenseitigem Bezug akut werden. Dazu später.<br />
So sehr in manchen Managementmodellen ethische Prämissen<br />
etwa in die Zielbestimmung eingehen können; des weiteren<br />
ethische Orientierung mit den gesellschaftlichen, ökologischen<br />
und weltwirtschaftlichen Zusammenhängen, in denen<br />
ein Unternehmen agiert, erforderlich wird; und ethische<br />
Fragen im Umgang mit Mitarbeitenden akut werden, dient<br />
dies alles bei einem Wirtschaftsbetrieb notwendig dem wirtschaftlichen<br />
Erfolg. Deshalb bedarf es zur Klärung der Frage,<br />
welche Dimensionen einer Managementkonzeption für die<br />
Gestaltung von Kirchenleitung sachgemäß und dienlich sein<br />
könnten, entsprechender Sachkriterien. Was hilft zu unterscheiden<br />
zwischen dem, was an Leitungsentscheidungen für<br />
eine Kirche wie Gemeinde sachgemäß und notwendig <strong>ist</strong>, und<br />
168
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Leitungsprinzipien, die dem Grund und Auftrag von Kirche<br />
widerstreiten? Hier bietet Herms’ Unterscheidung zwischen<br />
ökonomischer und ethischer Steuerung (als Begriff für<br />
Leitungsentscheidungen) eine hilfreiche Differenzierung. 16<br />
Hiernach hat ökonomische Steuerung das Ziel, das Unternehmen<br />
bzw. System „am Markt zu erhalten bzw. seine<br />
Position am Markt zu verbessern durch optimale Anpassung<br />
an die jeweils gegebenen und ständig im Fluß befindlichen<br />
Marktbedingungen.“ Im Unterschied dazu nennt Herms die<br />
Steuerung von Systemen ethisch, „die sich ... nicht nur am<br />
System der Selbsterhaltung orientiert, sondern an einem<br />
inhaltlich gefüllten Wissen um das Wesen und die Bestimmung<br />
des Menschen.“ Entsprechend gilt, „daß die Steuerung<br />
des Systems Kirche nur dann auftragsgemäß <strong>ist</strong>, wenn sie eben<br />
diesen „ethischen“ Charakter hat; also orientiert <strong>ist</strong> genau an<br />
dem im chr<strong>ist</strong>lichen Glauben enthaltenen Wissen um das<br />
Wesen und die Bestimmung des Menschen.“ Der Unterschied<br />
der beiden Typen von Steuerung zeigt sich an ihrem unterschiedlichen<br />
Anpassungsverhalten: „,Ökonomisch’ gesteuerte<br />
Systeme erbringen beliebige Anpassungsmanöver an beliebige<br />
Marktkonditionen“, sofern dadurch die erreichte Position am<br />
Markt zu sichern oder zu steigern <strong>ist</strong>. Dagegen können und<br />
dürfen ethisch gesteuerte Systeme nur zu solchen Anpassungsle<strong>ist</strong>ungen<br />
imstande und bereit sein, „die mit der<br />
,ethischen’ Funktion des Systems (seinen Mitgliedern bei der<br />
Erreichung ihrer Bestimmung behilflich zu sein) verträglich<br />
sind.“ Als Mittel für diesen Zweck und nie als Selbstzweck hat<br />
freilich die Erhaltung des Systems auch in ethischer Steuerung<br />
ihre Bedeutung. Damit ergeben sich für Leitung in der Kirche<br />
zwei Kriterien: Einmal kann es nie um bloße Anpassung an<br />
Umweltbedingungen, Lebenseinstellungen und Lebensweisheiten<br />
gehen, vielmehr um Anknüpfung und Widerspruch<br />
zugleich. Und ebenso kann es um Erhalt der Kirche in ihrer<br />
institutionellen Gestalt nur gehen mit dem ständig wirksamen<br />
Widerlager, dass die äußeren Bedingungen von Kirche der ihr<br />
aufgetragenen Botschaft dienen, die Menschen helfen will,<br />
ihre Bestimmung zu erreichen, nämlich zu wahrem, verlässlichem,<br />
ewigem Leben zu finden.<br />
169
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
2. Was besagt „ge<strong>ist</strong>lich“?<br />
Das Wort „ge<strong>ist</strong>lich“ und die Wendung „ge<strong>ist</strong>liches Leben“<br />
kommt in der gängigen Sprache kaum mehr vor. An welch<br />
fragwürdigem Gebrauch, an welchen Missverständnissen und<br />
Vorbehalten dies liegt, bleibe hier ebenso dahingestellt wie die<br />
Frage, weshalb dafür das Wort „Spiritualität“ 17 derart in Kurs<br />
gekommen <strong>ist</strong>. Doch sehe ich keine treffendere Wendung als<br />
„ge<strong>ist</strong>liches Leben“, um aufs kürzeste das Ineinander und<br />
Widereinander von Glaube und Leben anzusprechen. 18 Was<br />
aus der gängigen Sprache fast ausgewandert <strong>ist</strong> und deshalb<br />
befremdlich erscheint, bedarf, sollte man darauf schwer verzichten<br />
können, möglichst klarer, erhellender Auskunft. Dafür<br />
wenden wir uns einem knappen Text aus der Reformationszeit<br />
zu, worin das Wort „ge<strong>ist</strong>lich“ pointierte Bedeutung und Prägnanz<br />
gewonnen hat: einer Passage aus Luthers Schrift „Von<br />
der Freiheit eines Chr<strong>ist</strong>enmenschen“ aus dem Jahre 1520. 19<br />
<strong>Die</strong>ser Traktat <strong>ist</strong> Luthers einziger Versuch einer systematischen<br />
Gesamtdarstellung des chr<strong>ist</strong>lichen Glaubens, dabei,<br />
wie wir sagen würden: Dogmatik und Ethik in einem. In dem<br />
Sendbrief, mit dem Luther diese Schrift Papst Leo X. übersandte,<br />
heißt es: „Es <strong>ist</strong> eyn kleyn büchle, ßo das papyr wirt<br />
angesehen, aber doch die gantz summa eyniß Chr<strong>ist</strong>lichen<br />
leben drynnen begriffen, ßo der synn vorstanden wirt.“ 20 Der<br />
Doppelaspekt der Ex<strong>ist</strong>enz des Chr<strong>ist</strong>en als eines freien Herrn<br />
über alle Dinge und zugleich eines dienstbaren Knechtes aller<br />
(1. Korinther 9,19 entnommen) gibt der Schrift ihren Duktus<br />
mit der Gliederung in zwei Teile. Damit wird die Darlegung<br />
auf Glaube und Liebe konzentriert. <strong>Die</strong>s macht das Chr<strong>ist</strong>sein<br />
aus und <strong>ist</strong> ganz in Chr<strong>ist</strong>us begründet, der frei und ein<br />
Knecht war (239). <strong>Die</strong> Passage, die für das Verständnis dessen,<br />
was „ge<strong>ist</strong>lich“ besagt, hier in Betracht kommt, findet sich gegen<br />
Ende des ersten Teils – und erhält mit der Erläuterung<br />
dessen, was Chr<strong>ist</strong>us für den Chr<strong>ist</strong>en bedeutet, Gewicht für<br />
das Ganze. Zu Anfang dieser Passage gewinnt die Frage, was<br />
der Glaube bewirkt, jene Pointe mit der Metapher vom „fröhlichen<br />
Wechsel“: „Der Glaube ... vereinigt auch die Seele mit<br />
170
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Chr<strong>ist</strong>us als eine Braut mit ihrem Bräutigam... So werden auch<br />
beider Güter, Glück, Unglück und alle Dinge gemeinsam; das,<br />
was Chr<strong>ist</strong>us hat, das <strong>ist</strong> der gläubigen Seele zu eigen; was die<br />
Seele hat, wird Chr<strong>ist</strong>us zu eigen. So hat Chr<strong>ist</strong>us alle Güter<br />
und Seligkeit; die sind auch der Seele zu eigen. So hat die Seele<br />
alle Untugend und Sünde auf sich; die werden Chr<strong>ist</strong>us zu<br />
eigen. Hier erhebt sich nun der fröhliche Wechsel und Streit...<br />
Ist nun das nicht eine fröhliche Wirtschaft, wo der reiche, edle,<br />
fromme Bräutigam Chr<strong>ist</strong>us das arme, verachtete, böse Hürlein<br />
zur Ehe nimmt und sie von allem Übel entledigt, ziert mit<br />
allen Gütern?“ (245f). Hier und, wie wir gleich sehen werden,<br />
im Anschluss daran (hielten wir weiter Umschau, würde uns<br />
dies im gesamten Traktat auffallen) „sind die Aussagen über<br />
den Chr<strong>ist</strong>en und über Chr<strong>ist</strong>us wie zwei Bänder ineineinander<br />
verschlungen – ein unverwechselbares theologisches<br />
Grundmuster.“ 21 – Damit deutet sich ein erster Grundzug<br />
dessen an, was ge<strong>ist</strong>liches Leben ausmacht: als Teilgewinnen<br />
an dem Leben, das von Jesus Chr<strong>ist</strong>us ausgeht, an dem er uns<br />
teilgibt. Das bewirkt der Glaube.<br />
<strong>Die</strong> kommunikative Pointe des Verhältnisses zwischen<br />
Chr<strong>ist</strong>us und den Chr<strong>ist</strong>en zeigt sich darin, dass er an der<br />
Würde als König wie als Priester, die ihm zukommt, teilgibt.<br />
(<strong>Die</strong> biblische Begründung für dies doppelte Amt Chr<strong>ist</strong>i findet<br />
Luther, zugestanden etwas spitzfindig, in der Verheißung,<br />
die nach dem Ruben-Spruch im Jakobssegen, 1. Mose 49,3,<br />
mit der Erwählung des Erstgeborenen verbunden <strong>ist</strong>. 22) Hier<br />
liegt zugleich „die Keimzelle einer spezifisch reformatorischen<br />
Gestalt von Chr<strong>ist</strong>ologie, der Lehre vom Amt Chr<strong>ist</strong>i“. 23<br />
Demgegenüber orientiert sich die Lehre vom dreifachen Amt<br />
Chr<strong>ist</strong>i, einschließlich des prophetischen, an den theologischen<br />
Amtsfunktionen des alten Bundes und mag als heilsgeschichtlich<br />
notwendig ausgegeben werden. Doch daran, wie<br />
Luther auf das zweifache Amt abhebt, „<strong>ist</strong> der Anspruch auf<br />
eine ... allgemeine Sachnotwendigkeit erkennbar“. Denn<br />
Chr<strong>ist</strong>us teilt seine doppelte Würde „mit allen seinen Chr<strong>ist</strong>en,<br />
so daß sie durch den Glauben auch alle Könige und Priester<br />
mit Chr<strong>ist</strong>us sein müssen, wie St. Petrus sagt 1. Petr. 2,9: „Ihr<br />
171
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
seid ein priesterliches Königreich und ein königliches Priestertum.“<br />
<strong>Die</strong>s gewinnt die Pointe: „Wer kann nun die Ehre und<br />
Höhe eines Chr<strong>ist</strong>enmenschen ausdenken? Durch sein Königreich<br />
<strong>ist</strong> er aller Dinge mächtig, durch sein Priestertum <strong>ist</strong> er<br />
Gottes mächtig“ (248f). Damit kommt der Weltbezug wie der<br />
Gottesbezug des Menschen in den Blick. Und darin findet der<br />
Gedanke des zweifachen Amtes allgemeine Sachnotwendigkeit:<br />
„Weil sich der Mensch als solcher in dieser Doppelbeziehung<br />
zu Gott und zur Welt befindet, wird unter dem<br />
Aspekt des Königtums und des Priestertums die Bedeutung<br />
Chr<strong>ist</strong>i für das Menschsein überhaupt aufgedeckt.“ 24 – Damit<br />
sei ein weiterer Grundzug dessen, was „ge<strong>ist</strong>lich“ besagt,<br />
angedeutet: nämlich die Unterscheidung der Grundrelationen<br />
des Menschseins – zum einen unseres Seins vor der Welt<br />
sowie damit vor andern Menschen und uns selbst, zum andern<br />
unseres Seins vor Gott. Klar <strong>ist</strong> zugleich, dass es sich damit<br />
um eine beziehungsvolle Unterscheidung handelt, die sich auf<br />
unsere jeweils konkrete Situation in der Welt auswirkt.<br />
Nun aber sollen vor allem aber noch einige Wendungen beachtet<br />
werden, in denen das Wort „ge<strong>ist</strong>lich“ begegnet. Von<br />
Chr<strong>ist</strong>us heißt es: Er <strong>ist</strong> „ein König und Priester, jedoch ge<strong>ist</strong>lich;<br />
denn sein Reich <strong>ist</strong> nicht irdisch noch in irdischen, sondern<br />
in ge<strong>ist</strong>lichen Gütern, als da sind Wahrheit, Weisheit,<br />
Friede, Freude, Seligkeit und so weiter. Damit <strong>ist</strong> das zeitliche<br />
Gut aber nicht herausgehalten; denn es sind ihm alle Dinge<br />
unterworfen im Himmel, auf Erden und in der Hölle, obwohl<br />
man ihn nicht sieht; das kommt daher, daß er ge<strong>ist</strong>lich, unsichtbar<br />
regiert.“ (247) Hier fallen die antithetischen<br />
Wendungen auf: ge<strong>ist</strong>lich/nicht irdisch, ge<strong>ist</strong>lich/nicht sichtbar.<br />
Mit solcher Antithetik <strong>ist</strong> keineswegs eine Trennung<br />
intendiert zwischen einem vermeintlich ge<strong>ist</strong>lichen Bereich<br />
und dem irdischen Leben. Vielmehr kommt eine antithetische<br />
Beziehung in den Blick: Chr<strong>ist</strong>i Reich <strong>ist</strong> nicht irdisch, und<br />
doch sind ihm alle Dinge auf Erden unterworfen – wie im<br />
Himmel so auch in der Hölle. Und die ge<strong>ist</strong>lichen Güter als<br />
Inbegriff dessen, was das Evangelium <strong>ist</strong>, was das kommunikative<br />
Sein Jesu Chr<strong>ist</strong>i ausmacht: <strong>Die</strong> Gerechtigkeit Gottes,<br />
172
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
die Wahrheit Gottes, die Weisheit Gottes, der Friede Gottes,<br />
das Heil Gottes in Person, – diese ge<strong>ist</strong>lichen Güter wirken<br />
sich gerade in unserm Verhältnis zu zeitlichem Gut aus. Mit<br />
alledem regiert er freilich „ge<strong>ist</strong>lich, unsichtbar“, also verborgen<br />
und wider den Augenschein. Dass sein Reich nicht irdisch,<br />
sondern ge<strong>ist</strong>lich <strong>ist</strong>, erinnert an die Worte des johanneischen<br />
Chr<strong>ist</strong>us vor Pilatus: „Mein Reich <strong>ist</strong> nicht von dieser Welt...<br />
(Doch:) Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen,<br />
dass ich die Wahrheit bezeugen soll“ (Johannes 18,36f). So<br />
tritt die ge<strong>ist</strong>liche Macht der Königsherrschaft Chr<strong>ist</strong>i gerade<br />
verborgen unter dem Gegenteil zutage: seine Königskrone <strong>ist</strong><br />
die Dornenkrone als bleibendes Kennzeichen seiner Macht. –<br />
Damit gewinnt weiter Klarheit, was „ge<strong>ist</strong>lich“ heißt: was im<br />
Zeichen des Kreuzes Chr<strong>ist</strong>i wahrgenommen und verstanden<br />
wird und also im Sinn der Verborgenheit Gottes unter dem<br />
Gegensatz. Was ge<strong>ist</strong>lich zu heißen verdient, wird sich am<br />
Kreuz Jesu Chr<strong>ist</strong>i orientieren und also seinem Leben schaffenden<br />
Ge<strong>ist</strong> verdanken.<br />
Ge<strong>ist</strong>liches Leben <strong>ist</strong> nach dieser Passage in Luthers Freiheits-<br />
Traktat im Gottesbezug begründet, erhält aber seine Profilierung<br />
erst im Weltbezug. So heißt es von der königlichen<br />
Würde, die durch Chr<strong>ist</strong>us zuteil wird, „daß ein Chr<strong>ist</strong>enmensch<br />
durch den Glauben so hoch über alle Dinge erhoben<br />
wird, daß er ge<strong>ist</strong>lich ein Herr aller Dinge wird; denn es kann<br />
ihm kein Ding zur Seligkeit schaden. Ja, es muß ihm alles<br />
untertan sein ... (,) wie St. Paulus lehrt ... 1. Kor 3,21f.: „Alle<br />
Dinge sind euer, es sei das Leben oder der Tod, gegenwärtig<br />
oder zukünftig“ usw. Nicht daß wir über alle Dinge leiblich<br />
mächtig sind, sie zu besitzen und zu gebrauchen ...; denn wir<br />
müssen leiblich sterben ... So müssen wir auch vielen anderen<br />
Dingen unterliegen, wie wir an Chr<strong>ist</strong>us und seinen Heiligen<br />
sehen; denn dies <strong>ist</strong> eine ge<strong>ist</strong>liche Herrschaft, die da in der<br />
leiblichen Unterdrückung regiert“ (S. 248). Und hier heißt es<br />
in der lateinischen Fassung des „Tractatus de libertate chr<strong>ist</strong>iana“<br />
weiter: „<strong>Die</strong> ge<strong>ist</strong>liche Macht erwe<strong>ist</strong> sich als solche gerade<br />
mitten unter Feinden, mitten in Bedrängnissen, und das<br />
heißt: sie vollendet sich als Kraft in der Schwachheit.“ 25 –<br />
173
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Was „ge<strong>ist</strong>lich“ zu heißen verdient, erwe<strong>ist</strong> sich hiernach also<br />
als Gegensatzerfahrung: als überraschende Erfahrung mit<br />
eigener Lebenserfahrung. Und dies alles läuft auf die<br />
Wendung hinaus: „Das <strong>ist</strong> eine gar hohe, ehrenvolle Würde<br />
und eine rechte, allmächtige Herrschaft, ein ge<strong>ist</strong>liches Königreich,<br />
in dem kein Ding so gut, so böse <strong>ist</strong>, es muß mir zugut<br />
dienen, wenn ich glaube... Sieh, welch eine köstliche Freiheit<br />
und Gewalt der Chr<strong>ist</strong>en <strong>ist</strong> das!“ (248f). <strong>Die</strong> durch Chr<strong>ist</strong>us<br />
mitgeteilte Freiheit erwe<strong>ist</strong> sich also im Guten wie im Bösen,<br />
das den Menschen gefangen hält, als Freiheit der Welt gegenüber.<br />
Und nehmen wir von dieser Passage gegen Schluss des<br />
ersten Teils der Freiheits-Schrift den Bogen des zweiten Teils<br />
in den Blick, so bleibt zu präzisieren: als Freiheit der Zuwendung<br />
zur Welt und gerade darin als Freiheit der Welt<br />
gegenüber. – Damit wird deutlich, was als „ge<strong>ist</strong>lich“ angesprochen<br />
wird: die Freiheit aus Glauben, die in befreiter Zuwendung<br />
zur Welt gegenüber vielem, was uns faszinierend<br />
oder erschreckend in Bann schlägt, als Freiheit der Welt<br />
gegenüber sich auswirkt und Gestalt gewinnt.<br />
II. Wo Beziehung wie Unterscheidung von Management und<br />
ge<strong>ist</strong>licher Kirchenleitung akut wird<br />
Nachdem bisher im Feld unseres Themas: zu Management<br />
und der Frage, was „ge<strong>ist</strong>lich“ heißt, einiges beobachtet, erwogen<br />
und geklärt wurde, kann und soll es nun gezielt um die<br />
Frage gehen, in welcher Hinsicht das Verhältnis von Management<br />
und ge<strong>ist</strong>licher Kirchen- wie Gemeindeleitung sich als<br />
notwendige und beziehungsvolle Unterscheidung erwe<strong>ist</strong> und<br />
wo diese akut wird. Dazu sollen acht Dimensionen in Betracht<br />
kommen.<br />
1. Handeln und kreative Passivität<br />
Sachgerechtes Management dient auch in der Kirche dazu, in<br />
Anbetracht notwendiger Aufgaben mit möglichst klaren<br />
Zielen, von daher mit Planung und Vereinbarungen, mit Spiel-<br />
174
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
regeln und sinnvollen Arbeitsabläufen, Zusammenarbeit und<br />
einen Le<strong>ist</strong>ungsprozess zu ermöglichen, die zu möglichst ertragreichen<br />
Ergebnissen führen. Es lässt sich nicht leugnen,<br />
dass in kirchlichem Handeln: etwa in der Öffentlichkeitsarbeit<br />
der Kirche, begonnen schon mit dem Gemeinde brief, herstellendes,<br />
darstellendes und kommunikatives Handeln zusammentreffen.<br />
Anders freilich als in der Art ökonomischen<br />
Handelns geht es für die Kirche primär um darstellendes und<br />
kommunikatives Handeln. Denn in kirchlichem Handeln geht<br />
es primär um Förderung von Lebensorientierung aufgrund<br />
chr<strong>ist</strong>licher Glaubens- und Leebensgewissheit – und von daher<br />
um Klärung von Lebenseinstellungen und Aufgaben der<br />
Gestaltung des Lebens. So sehr sich kirchliches Handeln der<br />
Art nach notwendig von ökonomischem Handeln unterscheidet,<br />
spielen in ihm wie in jedem menschlichen Handeln doch<br />
Aspekte ökonomischen Handelns notwendig mit: so etwa die<br />
Frage nach dem Verhältnis von Aufwand und Ertrag, von<br />
Einsatz und Wirkung, von Le<strong>ist</strong>ung und Erfolg.<br />
Der Frage von Aufwand und Ertrag müssen wir uns kirchlich<br />
in mancherlei Hinsicht stellen. Im Blick freilich auf Förderung<br />
von Lebensorientierung und also Zugang zu tragender Glaubens-<br />
wie Lebensgewissheit <strong>ist</strong>, was den Ertrag unseres darstellenden<br />
und kommunikativen Handelns betrifft, zu<br />
unterscheiden zwischen notwendigen Bedingungen, die in<br />
unserer Verantwortung liegen, und den hinreichenden Bedingungen,<br />
die sich allein Gottes Handeln verdanken und deshalb<br />
uns unverfügbar bleiben. <strong>Die</strong>se Unterscheidung wird mit CA<br />
V prägnant: „Solchen Glauben (nämlich die Gewissheit der<br />
Rechtfertigung des Sünders durch Gott) zu erlangen, hat Gott<br />
das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakrament geben,<br />
dadurch er als durch Mittel den heiligen Ge<strong>ist</strong> gibt, welcher<br />
den Glauben in denen, so das Evangelium hören, wo und<br />
wenn er will, wirket.“ 26 Zu den notwendigen Bedingungen für<br />
diesen „Ertrag“ gehört, dass die Kirche ihre eigene Botschaft<br />
ernst nimmt; dass eigene Entdeckungsprozesse mit dem<br />
Evangelium und also mit dem dadurch eröffneten wahren<br />
Leben in Gang gehalten werden und dafür Sprache gefunden<br />
175
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
wird; dass die Kirche die Wahrheit Gottes feiert und Menschen<br />
zu mündigem Glauben ermutigt.<br />
<strong>Die</strong>s alles stellt durchaus Le<strong>ist</strong>ungen menschlichen Handelns<br />
dar, die zu überprüfen und zu beurteilen sind. <strong>Die</strong>s erfolgt<br />
ohnehin in der Selbstbeurteilung, sinnvoller Weise auch in kollegialer<br />
Begleitung und Beurteilung – und zudem in weiteren<br />
Prozessen intersubjektiver Beurteilung. Dem allen können<br />
sich Pfarrerinnen, Pfarrer wie alle Mitarbeitenden, die nicht<br />
zuletzt von außen her gesehen für „die Kirche“ stehen, in verantwortlichem<br />
Handeln nicht entziehen. Entscheidend bleibt<br />
zugleich – und zwar im <strong>Die</strong>nst an der Lebensorientierung von<br />
Menschen aufgrund des Evangeliums, von solchen notwendigen<br />
Beurteilungs-Prozessen sich nicht letztlich abhängig<br />
machen zu müssen. Der Grund dieser Freiheit liegt letztlich<br />
darin, dass wir wie jeder Mensch in allen Bezügen unserer<br />
weltlichen Verantwortung vor Gott stehen. Denn der Mensch<br />
„gilt vor Gott nicht kraft des Ansehens, das er in der Welt<br />
genießt, kraft der Selbsteinschätzung, die er von sich hat. Er<br />
muß aber auch wissen, daß sein Verlassensein von der Welt<br />
und seine Verzweiflung an sich selbst nicht das Urteil ausmachen,<br />
das Gott über ihn fällt. Gottes Gedanken sind nicht<br />
unsere Gedanken und seine Wege nicht unsere Wege (Jes<br />
55,8). Es besteht vielmehr ein Gegensatzverhältnis, eine Umkehrung<br />
zwischen dem Urteil der Welt und dem Urteil Gottes:<br />
,Was hoch <strong>ist</strong> unter den Menschen, das <strong>ist</strong> ein Greuel vor<br />
Gott’ (Lk 16,15). Er sieht auf das Verachtete und erhöht den<br />
Niedrigen aus dem Staub (1. Sam 2,8 ...). Es gilt kein Ansehen<br />
der Person vor Gott (1. Sam 16,7...). Gerade deshalb <strong>ist</strong> der<br />
Mensch darauf angewiesen, als Person von Gott angenommen<br />
zu werden.“ 27<br />
Weiter <strong>ist</strong> zu fragen, was für kirchliche Tätigkeit kennzeichnend<br />
<strong>ist</strong> bei allen Zügen, die ihr mit anderem, vor allem darstellendem<br />
und kommunikativem Handeln von Menschen<br />
gemeinsam sind. Müsste darin nicht zur Wirkung kommen,<br />
dass Kirche „creatura verbi“ 28 <strong>ist</strong>: durch das Wort des Evangeliums<br />
erschaffen, erhalten, erneuert wird und also davon<br />
176
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
lebt? So wird das Handeln der Kirche primär hellhöriger Umgang<br />
mit dem Wort sein müssen. Denn Glaube lebt nicht von<br />
Fakten des Handelns, kommt vielmehr aus dem Hören<br />
(Römer 10,17), und Menschen sind angewiesen auf ermutigendes,<br />
befreiendes, gewissmachendes Wort. In hellhörigem<br />
Umgang mit dem Wort geschieht empfangendes Handeln, das<br />
freilich zugleich (entgegen einem Weghören oder bloßem<br />
Wiederfinden-Wollen von Selbstverständlichem) aktive Aufmerksamkeit<br />
erfordert. Prägnanz gewinnt solch Ineinander<br />
von Aktivität und Empfangen etwa im Umgang mit einem<br />
biblischen Text: hier <strong>ist</strong> umsichtiges Wahrnehmen, fachkundiges<br />
Auslegen gefragt. Und doch geschieht das Entscheidende<br />
im Verstehensprozess, kommt es zum „Aha-Erlebnis“<br />
gerade dadurch, dass ich als Auslegender überraschend merke,<br />
wie mein und anderer Menschen Leben durch die Botschaft<br />
des Textes ausgelegt wird. <strong>Die</strong>ser Gesamtvorgang <strong>ist</strong> recht besehen<br />
ein Geschehen kreativer Passivität. Ebenso gilt: Wenn<br />
der Gottesdienst darin seinen Grund und sein Kriterium hat,<br />
dass uns Menschen Gottes <strong>Die</strong>nst zuteil wird, kann<br />
gottesdienstliches Handeln der Kirche nichts anderes sein „als<br />
ein Nehmen, ... ein Empfangen göttlicher Wohltaten“.<br />
Deshalb bedarf, wie Jüngel sagt, kirchliches Handeln „einer<br />
soteriologischen Unterscheidung ..., insofern angesichts ...<br />
(der) Heilstat Gottes das menschliche Handeln grundlegend<br />
empfangendes, durch kreative Passivität charakterisiertes Handeln“<br />
29 <strong>ist</strong>. Somit kann kirchliches Handeln nur als empfangendes<br />
Handeln, das sich dem Horchen auf das Evangelium<br />
verdankt – und das von kreativer Passivität gekennzeichnet <strong>ist</strong>,<br />
dem Handeln Gottes uns Menschen zugute entsprechen.<br />
So sehr zuvor zwischen herstellendem und darstellendem bzw.<br />
kommunikativem Handeln unterschieden wurde (in der<br />
Antike wurde dies etwa bei Ar<strong>ist</strong>oteles als „Poiesis“ und<br />
„Praxis“ unterschieden), <strong>ist</strong> von hier aus noch dem Verständnis<br />
kirchlicher Praxis nachzudenken. Allerme<strong>ist</strong> wird dabei<br />
primär an verschiedene Tätigkeitsfelder der Gemeinde bzw.<br />
des Pfarramts gedacht, für die dann mit entsprechenden Maßnahmen<br />
nach Kompetenz- und Effizienz-Gewinn gesucht<br />
177
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
wird. Doch bleibt schlicht die Frage, wo Theologie und die<br />
Praxis des Pfarramts und der Gemeinde praktisch wird. Wohl<br />
kaum schon in den Tätigkeiten selbst. Denn recht besehen,<br />
und dies kann einem etwa am Gottesdienst und an der<br />
Predigt, aber auch an Seelsorge und Bildungsarbeit aufgehen,<br />
finden solche Tätigkeiten ihre Praxis im Leben, das der<br />
Mensch zu bestehen hat, genauer darin, dass dem Menschen<br />
in seinem wirklichen Leben durch Gott wahres, verlässliches,<br />
ewiges Leben zuteil wird. Kirchliches Handeln wird also darin<br />
praktisch, dass es dem Praktischwerden des Evangeliums im<br />
menschlichen Leben dient. Deshalb bleibt der Spannungsbogen<br />
zwischen zwei Dimensionen von Praxis: als menschlicher<br />
Tätigkeit und als Lebensvollzug für kirchliches Handeln<br />
unaufgebbar. 30<br />
Um dies noch einen Schritt weiter zu verfolgen: <strong>Die</strong> Differenzierung<br />
von Praxis als Tätigkeit und Lebensvollzug wird<br />
wie mit kirchlichem - so mit kommunikativem Handeln überhaupt<br />
akut. Man stelle sich etwa die Frage, wo kommunikatives<br />
Handeln: also was dazu herausfordert und motiviert,<br />
ebenso was dadurch an Wirkung und Rückwirkung geschieht,<br />
praktisch wird. Offensichtlich nicht einfach im Handeln<br />
selbst, vielmehr im Sein des Menschen: denn dies erwe<strong>ist</strong> sich<br />
als konkreter und res<strong>ist</strong>enter als alles, was der Mensch in seinem<br />
Denken und Handeln hervorbringt. Konkreter geradezu<br />
wörtlich verstanden: denn darin, wie der Mensch mit sich und<br />
der Welt dran <strong>ist</strong>, treffen verschiedene Lebensdimensionen<br />
und Lebensäußerungen zusammen. Und res<strong>ist</strong>enter als seine<br />
Hervorbringungen <strong>ist</strong> das Sein des Menschen zum einen deshalb,<br />
weil das Sein des Menschen in der Welt unablässig<br />
Denken und Handeln herausfordert, ohne aber darin aufgehen<br />
zu können; und zum andern deshalb, weil der Mensch in<br />
seinem Personsein mit verschiedenen Urteilsinstanzen, auch<br />
gegenläufigen Urteilen zu schaffen bekommt und so immer<br />
wieder in einen Streit verwickelt wird, der, solange das Leben<br />
währt, nicht erledigt <strong>ist</strong>. 31 Weil kirchliches Handeln im<br />
Lebens-„Prozess“ der Förderung von Lebensorientierung<br />
dient aufgrund chr<strong>ist</strong>licher Glaubens- und Lebensgewissheit,<br />
178
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
wird es darin praktisch, dass es dem Praktischwerden des<br />
Evangeliums im menschlichen Lebens dient.<br />
2. Zielorientierung und Grundlegung des Handelns<br />
Nicht umsonst <strong>ist</strong> menschliches Handeln mit der Frage nach<br />
Zielen aufs engste verbunden. Lässt es sich doch jedenfalls<br />
me<strong>ist</strong> von bestimmten Absichten leiten: was will ich erreichen,<br />
worauf will ich hinaus? Insofern bedarf es möglichst klarer<br />
Ziele. Dabei <strong>ist</strong> es in einem längeren Prozess ganz angemessen,<br />
dass je nach Umständen und Zwischenbilanz die Ziele<br />
revidiert werden, deshalb aber eine Zielorientierung des Handelns<br />
keineswegs dahinfällt. Deshalb leuchtet es elementar ein,<br />
dass zu Management-Konzeptionen Ist- wie Soll-Analyse<br />
gehört und deshalb das Setzen von Zielen, wobei zu unterscheiden<br />
<strong>ist</strong> zwischen Gesamtziel (oder „Unternehmens-<br />
Philosophie“ bzw. „Leitbild“) und von daher strategischen –<br />
und operativen Zielen, und beachtlicher Weise ebenso<br />
Aufgaben-Ziele wie Ziele der Mitarbeitenden zu berücksichtigen<br />
sind. 32 Deshalb erstaunt es zunächst kaum, dass im Blick<br />
auf Erneuerung von Kirche, mindestens der Erhöhung von<br />
Wirksamkeit kirchlichen Handelns heutzutage erhebliche<br />
Aufmerksamkeit dem Setzen von Zielen bzw. der Leitbildentwicklung<br />
gilt. Vielmehr besteht eine ersichtliche Analogie zwischen<br />
der Bedeutung eines Leitbilds für die Führung eines<br />
Unternehmens und der Leitung der Kirche bzw. einer<br />
Gemeinde. So heißt es einerseits: „Das Bemühen um ... ein<br />
unternehmensphilosophisches Leitbild, das eine gemeinsame<br />
Wertbasis aller Führungskräfte darstellt, <strong>ist</strong> keineswegs<br />
Ausdruck eines weltfremden Idealismus, der mit den wirklichen<br />
„Alltagskriterien“ des unternehmerischen Handelns unvereinbar<br />
wäre, sondern schafft im Gegenteil überhaupt erst<br />
das normative Fundament einer durchdachten, klaren und<br />
dauerhaft tragfähigen Managementkonzenption.“ 33 Und<br />
ebenso heißt es im Zusammenhang mit Konzepten der Kirchenleitung:<br />
„(D)as „Leitbild“ eines sozialen Systems bedeutet<br />
weder ein Ideal noch eine Utopie. Aus einer nüchternen<br />
Analyse des Ist-Standes und einer ebenso pragmatischen Ein-<br />
179
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
schätzung künftig möglicher Rahmenbedingungen ergibt sich<br />
die antizipatorische Aufgabe, visionär und kreativ eine Vorstellung<br />
der Institution ... zu entwerfen, die langfr<strong>ist</strong>ig wegleitend<br />
sein soll und real<strong>ist</strong>isch auch erreichbar sein kann. <strong>Die</strong><br />
Arbeit am Leitbild <strong>ist</strong> neben analytischen Wahrnehmungen<br />
zugleich von normativen Sinn- und Werthaltungen bestimmt,<br />
die institutionsbezogen ... zu klären sind.“ 34 Dabei <strong>ist</strong> (wie<br />
Alfred Jäger dies nennt) die „Sinn-Achse“ der Kirche allerdings<br />
eine andere als die eines Wirtschaftsunternehmens.<br />
Auch wenn etwa ein Kirchenbezirk sich keine Leitbild-Entwicklung<br />
vornimmt, bleibt es doch unabdingbar, sich gelegentlich<br />
über Ziele etwa bestimmter Projekte zu verständigen<br />
und klar zu werden. Zugleich werden wie bei jedem menschlichen<br />
– so auch bei kirchlichem Handeln mit der Klärung von<br />
Zielen auch Voraussetzungen zu klären sein, die gegeben oder<br />
für das Erreichen der Ziele erforderlich sind. Freilich hat die<br />
bewusste Zielorientierung des Handelns als solche schon<br />
bestimmte Auswirkungen. Fraglos kann dadurch Phantasie<br />
und Kreativität sowie Interesse und Einsatzbereitschaft freigesetzt<br />
werden. Doch ebenso kann die hoffentlich klarsichtige<br />
Zielorientierung für manches blind machen. Denn<br />
Zielorientierung basiert oft auf der Annahme, dass, was <strong>ist</strong>, so<br />
nicht bleiben darf, sondern verändert werden muss. <strong>Die</strong>se<br />
scheinbar plausible Logik führt zu Forderungen – und zumal<br />
dann, wenn angesichts erforderlicher – die gegebenen Voraussetzungen<br />
aus dem Blick geraten, zu bodenloser Forderung<br />
und somit zu Überforderung. Deshalb kommt es darauf an,<br />
dass Zielorientierung nicht den Boden unter den Füßen, nicht<br />
die Grundlage des Handelns außer acht oder gar verlieren<br />
lässt.<br />
Dabei geht es zugleich um Grundfragen der Ethik – kurz gesagt:<br />
ob es um eine Ethik des Gesetzes geht angesichts von<br />
unerfüllten Forderungen oder um eine Ethik der Freiheit<br />
angesichts der Bewahrung dessen, was dem Menschen gewährt<br />
<strong>ist</strong>. <strong>Die</strong>s sei hier nur mit wenigen Hinweisen auf biblische<br />
Paränesen angedeutet. <strong>Die</strong> Paränese des Galaterbriefs<br />
180
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
geht aus von der durch Jesus Chr<strong>ist</strong>us gewährten Freiheit und<br />
beginnt deshalb mit der Wendung: „Zur Freiheit hat uns<br />
Chr<strong>ist</strong>us befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder<br />
das Joch der Knechtschaft auflegen!“ (Galater 5,1) In den drei<br />
Bögen dieser Paränese geht es einmal um Wahrung der<br />
gefährdeten Freiheit (5,1-12), sodann um gelebte Freiheit als<br />
Freiheit zur Liebe (5,13-24) und schließlich um konkrete<br />
Freiheit als Freiheit von sich selbst und zu sich selbst (5,25-<br />
6,10). Dass biblische Paränesen alles andere als bodenlose<br />
Forderungen bieten, lässt ebenso der Auftakt zur Paränese im<br />
Römerbrief ersehen: „Ich ermahne euch nun, liebe Brüder,<br />
aufgrund der Barmherzigkeit Gottes...“ (Römer 12,1) – Und<br />
ebenso sind die radikalen Gebote des Bergpredigers ganz und<br />
gar nicht bodenlose Forderungen. Vielmehr wird damit angesprochen,<br />
was den Menschen im doppelten Sinn geboten <strong>ist</strong>:<br />
nämlich in ihrem Leben erfahrungsgemäß angeboten, – und<br />
zugleich geboten, also von uns gefordert angesichts dessen,<br />
dass wir oft genug aufs Spiel setzen, was uns an elementaren<br />
Gaben zum Leben gewährt <strong>ist</strong>. <strong>Die</strong>s könnte man sich an den<br />
Antithesen klarmachen – etwa an der ersten, die vom Verhältnis<br />
zum Bruder und von der Realität des Zorns ausgeht<br />
(Matthäus 5,21-26); – oder an der dritten, die von der mit der<br />
Sprache angebotenen Verlässlichkeit von Kommunikation<br />
zwischen Menschen ausgeht, die aber schon durch Beteuerung<br />
und Nachdruck Misstrauen erweckt und als vertrauenerweckende<br />
Verlässlichkeit aufs Spiel gesetzt wird; – und<br />
nicht zuletzt auch am Gebot der Feindesliebe, für die der<br />
Bergprediger einsteht, der seine Feinde liebt bis zuletzt.<br />
Für kirchliches Handeln bleibt, wo es darauf ankommt, klare<br />
Zielorientierung unverzichtbar. Doch wäre hier die Beachtung<br />
nur erforderlicher – und nicht vielmehr gegebener Voraussetzungen<br />
geradezu widersinnig. Denn verbunden mit allen für<br />
die Verständigung über Kirche notwendigen Unterscheidungen<br />
(wie etwa zwischen empirischer und geglaubter Kirche) <strong>ist</strong><br />
in der Frage, was Kirche zu Kirche Jesu Chr<strong>ist</strong>i macht, die<br />
Unterscheidung grundlegend zwischen der Kirche und Weg<br />
wie Botschaft Jesu Chr<strong>ist</strong>i als kirchenkritischem Grundge-<br />
181
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
schehen von Kirche 35, woraus Kirche lebt und woraus sie erneuert<br />
wird. So bleibt es entscheidende Aufgabe von Kirchenund<br />
Gemeindeleitung, dass Kirche sich im Hören auf das<br />
Evangelium, etwa im Gottesdienst, selbstkritisch gegenübertritt<br />
und in das Grundgeschehen einkehrt, aus dem sie lebt. 36<br />
Somit ergibt sich der Auftrag der Kirche und ergeben sich<br />
Ziele kirchlichen Handelns aus ihrem Grund in Jesus Chr<strong>ist</strong>us.<br />
Merkwürdigerweise wird aber oft genug kirchlich wie ökumenisch<br />
Ziel und Aufgabe der Kirche entschieden angepeilt,<br />
doch gelegentlich so beharrlich, dass darüber bzw. darunter<br />
der Grund von Kirche nicht recht im Blick <strong>ist</strong>. Je weniger der<br />
Grund der Einheit von Kirche in Jesus Chr<strong>ist</strong>us im Blick <strong>ist</strong><br />
und zur Wirkung kommt, desto entschiedener wird Einheit als<br />
ausstehendes Ziel erachtet und angepeilt, statt auch und gerade<br />
in dieser Hinsicht das Problem und die Aufgabe der Einheit<br />
ganz von deren Grund her wahrzunehmen. – <strong>Die</strong> primäre<br />
Zielorientierung kann bei kirchlichem Handeln sowohl zu<br />
einer defizitären Wahrnehmung der wirklichen, erfahrbaren<br />
Kirche führen wie zu einer Überforderung (gar soteriologischen<br />
Überfrachtung?) eines Handelns im Interesse der Erneuerung<br />
von Kirche.<br />
Demgegenüber mögen schließlich folgende drei Stimmen zu<br />
denken geben. Einmal von Wolfgang Huber zu Wegen aus der<br />
Krise der Kirche: „<strong>Die</strong> gegenwärtige Krise der Kirche <strong>ist</strong> im<br />
Kern eine Orientierungskrise. „Orientierung“ meint im Wortsinn:<br />
Ausrichtung nach Osten, nach Jerusalem, zum Ort der<br />
Kreuzigung und Auferweckung Jesu, also zum Ursprung des<br />
Glaubens. Der Ansatz für die Erneuerung der Kirche liegt<br />
darin, daß sie ihre eigene Botschaft ernst nimmt.“ 37 – Des weiteren<br />
vermerkt Eckhart von Vietinghoff: „(E)ines muß klar<br />
sein: Kein Organisations- und Strukturaktionismus kann<br />
Glauben wecken... Aus manchem Theologenmund und mancher<br />
Theologenfeder ... <strong>ist</strong> ein so gläubiges Vertrauen in die<br />
lebensgestaltende und lebensverändernde Kraft von Rechtsnormen,<br />
Strukturen und Organisationsformen zu entnehmen,<br />
daß der Jur<strong>ist</strong> nur staunen kann... Gelegentlich schimmert eine<br />
182
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
rein diesseitige Werkgerechtigkeit im Institutionellen auf.“ 38 –<br />
Und schließlich die Stimme eines sogenannt einfachen<br />
Gemeindeglieds. Als die Synode der Evangelischen Kirche in<br />
Deutschland (EKD) 1995 in Friedrichshafen tagte, wurde an<br />
dem Abend, der von der gastgebenden Kirche gestaltet wurde,<br />
wie ich hörte, Folgendes erzählt. Als in einem Gottesdienst<br />
der Pfarrer darüber geklagt hatte, wie schlecht es mit der Welt<br />
und ebenso mit der Kirche stehe, entgegnete ihm eine Frau<br />
am Ausgang: „Gell, Herr Pfarrer, die Hauptsach isch: der lieb’<br />
Gott isch gsund.“ So elementar kann in Gemeinden im Blick<br />
sein und zur Sprache kommen, dass über der defizitären und<br />
dann vielleicht zielorientierten Sicht der Grund von Kirche<br />
nicht verloren gehen kann noch aus dem Blick geraten darf.<br />
3. Effizienz und Wahrheit<br />
Zielorientierung kirchlichen Handelns soll freilich dazu beitragen,<br />
sachgemäß zu planen, Arbeitsabläufe und Verantwortlichkeiten<br />
zu vereinbaren, transparent die notwendigen<br />
Schritte auf das Ziel hin zu gestalten und die Bemühungen auf<br />
diesem Weg ertragreich und wirksam, also effizient werden zu<br />
lassen. Wer wollte darauf verzichten oder dies gar verachten?<br />
Und deswegen leuchtet ja auch der kirchliche Rekurs auf<br />
Managementkonzepte bzw. -methoden ein. Denn „Ziel der<br />
me<strong>ist</strong>en Management-Methoden <strong>ist</strong> eine ... effektive und effiziente<br />
Aufgabenbewältigung auf ein Ziel hin.“ 39 In der Tat <strong>ist</strong><br />
die Frage danach, was kirchliches Handeln wirkungsvoll bzw.<br />
wirksam werden lässt, für alle Beteiligten mindestens faktisch<br />
gegeben, – oder wird von ihnen entschieden aufgenommen.<br />
Doch verbindet sich damit die notwendig selbstkritische<br />
Frage, wieweit (angeleitet nicht nur durch Management-Konzepte)<br />
die Suche nach Steigerung von Effizienz in Kirche und<br />
auch in Theologie derartige Evidenz und deshalb Aufmerksamkeit<br />
beansprucht, dass die Frage nach der Wahrheit eher<br />
zurücktritt. Also vor allem Fragen leitend sind wie: Was<br />
kommt heraus? Wem nützt es? Was <strong>ist</strong> relevant? Freilich <strong>ist</strong><br />
einer ineffizienten Kirche und Theologie keineswegs das Wort<br />
zu reden. Doch bleibt die selbstkritische Frage unumgänglich,<br />
183
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
ob „eine statt nach Wahrheit fragende nach Effizienz schielende<br />
(Kirche und) Theologie auf Wirkungen aus <strong>ist</strong>, die eben<br />
alles andere als Wirkungen der Wahrheit sind. Es <strong>ist</strong> dann aber<br />
auch eine andere Freiheit gemeint als die, zu der die Wahrheit<br />
befreit.“ 40 Somit ginge es bei der Frage nach Effizienz kirchlichen<br />
Handelns grundlegend um die Frage, was zu tun <strong>ist</strong>,<br />
damit die befreiende Wahrheit des Evangeliums für Menschen<br />
in ihrem Leben zur Wirkung kommt.<br />
Freilich gerät in postmoderner Kultur, worin der Anspruch<br />
des Subjekts auf Autonomie sich in der Parole äußern kann:<br />
„Was für mich stimmt, bestimme ich“ 41, die Beschäftigung mit<br />
der Wahrheitsfrage unter den Verdacht des Dogmatismus –<br />
mit unverkennbaren Auswirkungen in Kirche und auch in<br />
Theologie. Doch muss und darf die Abwehr des Verdachts<br />
auf Dogmatismus nicht zur Vernachlässigung der Wahrheitsfrage<br />
führen. Zumal deshalb nicht, weil in der Kultur eines<br />
„anything goes“ ersichtlich zugleich die Suche nach neuen<br />
Gewissheiten im Gang <strong>ist</strong>, gelegentlich dann in fundamental<strong>ist</strong>ischer<br />
Variante. So oder so gerät damit aber die Wahrheit,<br />
die frei macht, aus dem Blick. Im biblischen Verständnis von<br />
Wahrheit trifft beides zusammen: das Geschehen, die<br />
Beziehung, worauf ein Mensch sich im Leben und Sterben<br />
verlassen kann (vom hebr. „ämät“ her); und der Vorgang,<br />
wodurch menschliches Leben entgegen Trug wie Selbstbetrug<br />
erhellend und befreiend zur Wahrheit gebracht wird (vom<br />
griech. „aletheia“ her) und der Mensch in seinem wirklichen<br />
Leben wahres Leben findet. Wie sollte diese Wahrheit: die<br />
Wahrheit des Evangeliums und die in Jesus Chr<strong>ist</strong>us persongewordene<br />
Wahrheit in kirchlichem Handeln um welcher<br />
Effizienz willen auch immer vernachlässigt werden? Vielmehr<br />
wird es grundlegend darauf ankommen, diese verlässliche und<br />
befreiende Wahrheit in kirchlichem Handeln als einem<br />
Bildungshandeln, worin es zumal um Herzensbildung geht,<br />
zur Wirkung kommen zu lassen.<br />
Und klar <strong>ist</strong> zugleich: die befreiende Wahrheit des Evangeliums<br />
kann von niemandem als Position besetzt und (etwa in<br />
184
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
notwendiger Ausein<strong>anders</strong>etzung mit den angedeuteten<br />
Zügen des Zeitge<strong>ist</strong>es) gegen andere ins Feld geführt werden.<br />
Für den Umgang mit dieser Wahrheit bleibt eine Metapher,<br />
die sich bei Paulus findet, wegleitend. Im Galaterbrief erinnert<br />
er an jene Ausein<strong>anders</strong>etzung mit Petrus in Antiochia<br />
(Galater 2,11-14). Petrus hatte dort an der Tischgemeinschaft<br />
zwischen Heiden- und Judenchr<strong>ist</strong>en teilgenommen. Als aber<br />
die Jakobus-Leute aus Jerusalem gekommen waren, fiel er<br />
anscheinend in das Loch des schlechten Gewissens und hatte<br />
von der Tischgemeinschaft Abstand genommen. So wurde die<br />
Frage akut, weshalb, was zuvor Ausdruck der Freiheit aus<br />
Glauben war, dies plötzlich in eine unfrei machende Übertretung<br />
des Gesetzes umschlagen und zum Zerschneiden des<br />
Tischtuchs führen konnte. In diesem Konflikt erinnerte<br />
Paulus daran, es gelte, „Kurs zu halten auf die Wahrheit des<br />
Evangeliums“ (2,14). Mit dieser Metapher <strong>ist</strong> deutlich: die<br />
Wahrheit des Evangeliums lässt sich nicht als Position besetzen<br />
und gegen andere ins Feld führen. Vielmehr gibt Paulus zu<br />
erkennen: die Wahrheit des Evangeliums bleibt ihm wie Petrus<br />
voraus, sie wirkt wie ein Kompass der Glaubenserkenntnis,<br />
der Lebensführung und darin ge<strong>ist</strong>licher Urteilsbildung, – und<br />
deshalb gilt es, darauf Kurs zu halten. Mit dieser Zielorientierung<br />
<strong>ist</strong> es abwegig, ja ausgeschlossen, die Wahrheitsfrage<br />
durch die Frage nach Effizienz oder gar Macht ersetzen zu<br />
wollen. Vielmehr gilt es, die befreiende Wahrheit des<br />
Evangeliums erhellend und verlässlich zur Wirkung kommen<br />
zu lassen.<br />
4. Zeitmanagement und Ge<strong>ist</strong>esgegenwart<br />
Was die Vielfalt an Aufgaben, die Gefahr der Verzettelung,<br />
jedenfalls die Fragmentierung des beruflichen Alltags betrifft,<br />
lassen sich manche Analogien ersehen zwischen der Situation<br />
eines Managers und der einer Pfarrerin, eines Pfarrers. Gemäß<br />
empirischen Beobachtungen zum Alltag von Managern unter<br />
der Frage, was Manager wirklich tun, vollzieht sich ihre Arbeit<br />
„nicht in einem geordneten, nach Phasen gegliederten Ablauf,<br />
sondern <strong>ist</strong> gekennzeichnet durch eine Vielzahl von Einzel-<br />
185
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
aktivitäten, ad-hoc-Gesprächen, ungeplanten Besuchen und<br />
einem ständigen Hin- und Herspringen zwischen Themen<br />
von trivialen Alltagsproblemen bis zur 10-Millionen-DM-Investition“<br />
42. Hier sind Parallelen zu dem, was im Pfarramt<br />
bzw. in der <strong>Superintendentur</strong> wirklich geschieht, unübersehbar.<br />
„Auch im pastoralen Alltag <strong>ist</strong> vieles nicht vorhersehbar:<br />
<strong>Die</strong> wenigsten Gespräche sind eingeplant oder terminiert; unerwartete<br />
Besuche, Telefonanrufe zu jeder Zeit und mit allen<br />
möglichen Anliegen sind die Regel. Und selbst ohne solche<br />
Störungen <strong>ist</strong> die Pfarrerin den ganzen Tag genötigt, sich inhaltlich<br />
und im Gesprächsstil dauernd umzustellen, vom Geburtstagsbesuch<br />
zur <strong>Die</strong>nstbesprechung, von den Konfirmanden<br />
zum Seelsorgegespräch, vom Elternabend zur Jahresabrechnung<br />
für den Kindergarten.“ 43 Hier könnte jede, jeder<br />
eigene Varianten schildern, mehr oder weniger normale wie<br />
bizarre.<br />
Von daher <strong>ist</strong> es eine unumgängliche Aufgabe, einen Kalender<br />
zu führen, nicht nur Termine einzutragen, sondern ebenso<br />
Zeit für die erforderliche Vorbereitung, langfr<strong>ist</strong>ig und kurzfr<strong>ist</strong>ig<br />
zu planen, für wichtige Aufgaben feste Zeiten vorzusehen,<br />
klare Prioritäten zu setzen und sich deshalb auch zu<br />
Posterioritäten zu verstehen, vereinbarte Termine verlässlich<br />
und pünktlich einzuhalten usw. – und doch zugleich Beweglichkeit<br />
für Unvorhersehbares offenzuhalten. Dafür bieten<br />
manche Verfahren und Instrumente des Zeitmanagements<br />
wichtige Planungshilfen, falls es nicht bei Alltagsweisheiten<br />
zum Umgang mit der Zeit bleibt – etwa unter dem Motto<br />
„Verschwenden Sie Zeit? Zehn Wege, um das zu ändern.“ 44<br />
Wie wichtig in kirchlicher Arbeit beides <strong>ist</strong>: sinnvolle Zeitplanung<br />
und Beweglichkeit, wenn es darum geht, sich auf<br />
Unvorhersehbares einzulassen, sei nur mit zwei Gesichtspunkten<br />
angedeutet. Ebenso mit Aufschub drängender Entscheidungen<br />
wie mit unnötigem Zeitaufwand zumal bei<br />
Aufgaben, an denen manch andere beteiligt sind, <strong>ist</strong> der<br />
Umgang mit der Zeit innerhalb der Kirche me<strong>ist</strong> nicht gerade<br />
ein leuchtendes Beispiel: geht es doch dabei um eine knappe<br />
186
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
und besonders wertvolle Ressource, nämlich Lebenszeit anderer<br />
wie meiner selbst. Und zugleich <strong>ist</strong> es von großer Bedeutung<br />
für sachgemäße und gelingende kirchliche Arbeit:<br />
Zeit zu haben für und mit Menschen. <strong>Die</strong>s darf nicht durch<br />
binnenkirchlichen, sich bisweilen fast selbst genügenden<br />
Aktionismus verdrängt werden. Und ebenso sind, lässt ein<br />
Pastor den Eindruck entstehen, für Menschen keine Zeit zu<br />
haben, auch die besten professionellen Le<strong>ist</strong>ungen nahezu<br />
umsonst.<br />
Erfahrungsgemäß <strong>ist</strong> freilich klar: Weder die Uhr noch der<br />
Kalender sind die einzigen, gar die wahren Zeitmesser. Denn<br />
dieselbe Zeitspanne kann einmal langweilig oder quälend lang<br />
erscheinen, ein ander Mal ungeheuer gefüllt, jedenfalls spannend<br />
und wie im Fluge vergehen. Von daher gehört es zum<br />
Menschsein, zwischen „chronos“ als regelmäßig ablaufender<br />
(und gefräßiger) Zeit und „kairos“ als gefüllter Zeit bzw. überraschender<br />
Gelegenheit zu unterscheiden. Warum sich deshalb<br />
in oft allzu schnell verrinnender oder verbrauchter Zeit<br />
nicht durch manches unterbrechen lassen, was Präsenz und<br />
gefüllte Zeit eröffnet?<br />
Ein entscheidender Maßstab für meinen Umgang mit der Zeit<br />
<strong>ist</strong>, wieweit ich mit der Fülle und Vielfalt von Aufgaben in der<br />
jeweiligen Situation, zumal solcher von menschlichem<br />
Gewicht, ganz dasein kann – oder noch dem nachhänge, was<br />
war und mich weiter beansprucht, bzw. mich schon auf dem<br />
Sprung zum Nächsten und Übernächsten befinde. Nicht<br />
umsonst spielt uns die Sprache das Wort „Ge<strong>ist</strong>esgegenwart“<br />
zu.<br />
Wie sollte sich Ge<strong>ist</strong>esgegenwart aber nicht dem Ge<strong>ist</strong> verdanken,<br />
der uns davon befreit, durch das, was war, uns in<br />
Bann schlagen zu lassen, oder dem wenn möglich zu entlaufen,<br />
– bzw. dem, was sein sollte oder wir uns wünschen,<br />
hinterherzurennen? Solche Ge<strong>ist</strong>esgegenwart <strong>ist</strong> dem Ge<strong>ist</strong><br />
Jesu Chr<strong>ist</strong>i zu verdanken, der entdecken läßt: „Wo der Ge<strong>ist</strong><br />
des Herrn <strong>ist</strong>, da <strong>ist</strong> Freiheit.“ (2. Korinther 3,17)<br />
187
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
5. Macht und Vollmacht<br />
Ein Movens menschlichen Handelns <strong>ist</strong> ohne Frage das<br />
Streben nach Einfluss, nach Macht. Gewiss gibt es physische<br />
Macht, die aber ebenso wie psychische und ge<strong>ist</strong>ige Macht<br />
nicht einfach unter Verdacht des Missbrauchs zu stellen <strong>ist</strong>.<br />
Man denke etwa an die sog. elterliche Gewalt, die sich für die<br />
Kinder als unverzichtbare Schutzmacht auswirken kann.<br />
Freilich besteht im Zusammenleben, in dichteren oder weiteren<br />
sozialen Bezügen, genügend Anlass, einen Schutzwall des<br />
Rechts und damit legitimer Macht gegen den Missbrauch von<br />
Macht aufzurichten. Daran „wird die Grundbedingung legitimer<br />
Macht von Menschen über Menschen deutlich. Sie hat<br />
sich als Schutzmacht und Hilfsmacht zu erweisen, die dem<br />
anderen sein Menschsein ermöglicht und ihn nicht etwa dessen<br />
beraubt.“ 45 Mit menschlichem Handeln <strong>ist</strong> freilich ebenso<br />
die Ausübung von Macht verbunden wie die Erfahrung von<br />
Ohnmacht. Eins gibt es kaum für längere Zeit ohne das andere.<br />
Statt mit dem einen das andere für ausgeschlossen zu halten,<br />
leuchtet deshalb ein, was André Brink, der sich in<br />
Südafrika als Weißer gegen die Apartheid eingesetzt hat, in<br />
einem Roman notierte: „Es gibt zwei Arten von Wahnsinn,<br />
vor denen man sich hüten sollte. Der eine <strong>ist</strong> der Glaube, daß<br />
wir alles tun könnten. Und der andere der Glaube, wir könnten<br />
nichts tun.“ 46<br />
Mit kirchlichem Handeln <strong>ist</strong> Macht gegeben, bleibt einem freilich<br />
Ohnmacht ebensowenig erspart. Zumal mit Ämtern in<br />
der Kirche <strong>ist</strong> Macht gegeben, etwa für den Kirchen- oder den<br />
Kirchenkreisvorstand in wichtigen Belangen Entscheidungsmacht,<br />
ebenso <strong>ist</strong> etwa mit dem ephoralen Amt <strong>Die</strong>nstaufsicht<br />
verbunden und so auch Weisungsbefugnis. Auch hier bedarf<br />
Ausübung von Macht sowohl der Legalität: der Beachtung<br />
rechtlicher Regeln und Spielregeln, die für alle Beteiligten<br />
transparent sind, wie der Legitimität: dass ihre Ausübung sich<br />
als sachgerecht und auftragsgerecht erwe<strong>ist</strong> – und sich dadurch<br />
von willkürlicher Machtausübung unterscheidet.<br />
Gebrauch von Macht in der Kirche bleibt deshalb wie auch<br />
188
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
sonst der kritischen und selbstkritischen Frage nach ihrer<br />
Legalität und Legitimität ausgesetzt. Doch würde aus welchen<br />
Motiven auch immer von den Zuständigen auf Ausübung der<br />
ihnen zukommenden Macht verzichtet oder diese von anderer<br />
Seite bestritten, so gingen die notwendigen Spielregeln verloren<br />
– und würden erst recht Konkurrenz-, Macht- und Gernegroß-Spiele<br />
betrieben, dann freilich ohne Kontrolle durch das<br />
Recht und ohne die Grundlage von Legitimität. Von daher gilt<br />
hier wie auch sonst: das Recht <strong>ist</strong> auf Schutz durch Macht<br />
angewiesen und die Macht auf Grundlegung, dadurch auch<br />
Entlastung wie auf Kontrolle durch das Recht.<br />
Zugleich geht es weit darüber hinaus nüchtern besehen in der<br />
wie durch die Kirche um Macht von Menschen über<br />
Menschen. Und Kriterium der Machtausübung <strong>ist</strong> hier nicht<br />
weniger als sonst, ob sie statt angemaßt oder willkürlich legitim<br />
<strong>ist</strong> und als Schutz- und Hilfsmacht Menschen ihr Menschsein<br />
ermöglicht, ja sie darin fördert. In dieser Hinsicht bestand<br />
freilich schon in der frühen Kirche anscheinend einiges an<br />
Gefahren. So heißt es im 1. Petrusbrief gegen Schluss: „<strong>Die</strong><br />
Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge<br />
der Leiden Chr<strong>ist</strong>i, der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit,<br />
die offenbart werden soll: Weidet die Herde Gottes, die euch<br />
anbefohlen <strong>ist</strong>, ... nicht als Herren über die Gemeinde, sondern<br />
als Vorbilder der Herde“ (1. Petrus 5,1-3). Und<br />
Konkurrenzbedürfnis wie Versuche, einander zu überbieten,<br />
mit verschiedenen Machtspielen (auch der vermeintlich<br />
Schwächeren) scheinen schon in Gemeinden, an die das<br />
Markusevangelium gerichtet <strong>ist</strong>, im Gang gewesen zu sein,<br />
wenn es in der Perikope von den Zebedäus-Söhnen heißt: „Ihr<br />
wißt, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und<br />
ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so <strong>ist</strong> es unter euch<br />
nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer<br />
<strong>Die</strong>ner sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll<br />
aller Knecht sein. Denn auch der Menschensohn <strong>ist</strong> nicht<br />
gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene<br />
und sein Leben gebe als Lösegeld für viele“ (Markus 10,42-<br />
45). Damit wird menschliche Machtausübung in der Kirche<br />
189
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
nicht etwa geleugnet, jedoch notwendig kritisch relativiert,<br />
nämlich in Beziehung gesetzt zum Weg des Menschensohns.<br />
Er hat sein Leben gegeben „als Lösegeld für viele“, was nicht<br />
exklusiv zu verstehen <strong>ist</strong>, vielmehr allen gilt. Auffallend <strong>ist</strong> hier<br />
wie in andern biblischen Zusammenhängen mit der Metapher<br />
„Lösegeld“ der Loskauf aus Schuldsklaverei im Blick. Deshalb<br />
<strong>ist</strong> auch nirgends die Rede davon, wem dies Lösegeld bezahlt<br />
wird, vielmehr allein für wen: für viele, für alle<br />
Menschen. Damit wird deutlich, was wir Menschen Gott wert<br />
sind. Denn „er ließ’s sein Bestes kosten“ (EG 341, 4). Wieweit<br />
steht kirchliche Machtausübung im <strong>Die</strong>nste dessen, dass Menschen<br />
entdecken, wie kostbar sie für, ja durch Gott sind?<br />
Damit wird allerdings die Frage nach dem Verhältnis von<br />
Macht und Vollmacht akut. Vollmacht, im Neuen Testament<br />
vor allem von Jesus ausgesagt, bleibt nicht im Schwanken zwischen<br />
Macht und Ohnmacht, erwe<strong>ist</strong> sich vielmehr gerade<br />
darin als mächtig, dass sie der Ohnmacht nicht ausweicht.<br />
<strong>Die</strong>s kann einem vom Schluss der Bergpredigt her aufgehen,<br />
wo es heißt: „Und es begab sich, als Jesus diese Rede vollendet<br />
hatte, dass sich das Volk entsetzte über seine Lehre; denn<br />
er lehrte sie mit Vollmacht und nicht wie ihre Schriftgelehrten“<br />
(Matthäus 7,28f). <strong>Die</strong>se „Rede der Reden“ (so<br />
Friedrich Dürrenmatt) stützt sich allein auf das, was sie sagt,<br />
nicht auf Autoritäten oder gar Drohungen, die ihr Nachdruck<br />
verleihen sollten. Denn „(d)ie Gottesherrschaft sorgt dafür,<br />
daß dieser Redner alle andern Gewichte fahren läßt. So entsteht<br />
eine Rede, die sich ganz auf das Gesagte verläßt, eine<br />
Rede, deren Redner sich ganz an das Gesagte preisgibt.“ 47<br />
Deshalb kann einem zum Phänomen der Vollmacht an dieser<br />
Rede jedenfalls zweierlei aufgehen: Indem der Bergprediger,<br />
was er sagt, Menschen ans Herz legt und an ihrem Herzen<br />
arbeiten lässt, schließt er Widerspruch dagegen nicht aus.<br />
Gerade so zieht er den Widerspruch sich selbst auf den Hals<br />
und bleibt damit denen zugewandt, die ihm widersprechen,<br />
und deren ungezwungenes Einverständnis er gerade so offenhält.<br />
Und mit dem, was zuvor an Antithesen der Bergpredigt<br />
auffiel, dass der Bergprediger auf das anspricht, was mit dem<br />
190
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Leben in doppeltem Sinn geboten <strong>ist</strong>, wird deutlich: durch<br />
Jesu Vollmacht, durch sein vollmächtiges Wort geschieht Öffnung<br />
der Wirklichkeit. Denn Jesu Vollmacht im Zeichen der<br />
Ohnmacht <strong>ist</strong> wahre Macht, die gegenüber den Weltmächten<br />
und so auch gegenüber dem Zwang zu reaktivem Verhalten in<br />
Freiheit versetzt.<br />
Wie steht es mit der Weitergabe solcher Vollmacht? Dazu gibt<br />
schon die Bemerkung „denn er lehrte sie in Vollmacht und<br />
nicht wie ihre Schriftgelehrten“ (Matthäus 7,29) – im Zusammenhang<br />
des Matthäus-Evangeliums gelesen - einen interessanten<br />
Hinweis. 48 Bei Matthäus und nur bei ihm unter den<br />
Evangel<strong>ist</strong>en begegnet die merkwürdige Wendung: „Darum<br />
gleicht jeder Schriftgelehrte, der zu einem Jünger des Himmelreichs<br />
geworden <strong>ist</strong>, einem Hausvater, der aus seinem Schatz<br />
Neues und Altes hervorholt“ (13,52). Hier scheint der<br />
Evangel<strong>ist</strong> Matthäus wie in einer Miniatur sich selbst gezeichnet<br />
zu haben. Somit erinnerte er mit dem Echo der Menge auf<br />
die Bergpredigt Jesu, wonach „er sie in Vollmacht lehrte und<br />
nicht wie ihre Schriftgelehrten“, daran, dass er und andere<br />
chr<strong>ist</strong>liche „Schriftgelehrte“ bis heute auf den Bergprediger<br />
als Gegenüber angewiesen bleiben. Durchaus in Entsprechung<br />
dazu gibt zu Vollmacht zu denken, was Paulus prägnant<br />
anspricht: „So sind wir nun Botschafter an Chr<strong>ist</strong>i Statt ...; so<br />
bitten wir an Chr<strong>ist</strong>i Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2.<br />
Korinther 5,20). Somit hat die Bezeugung des Evangeliums<br />
keine andere Autorität als den Grundgestus der Bitte. <strong>Die</strong><br />
Bitte gewährt Zeit und setzt auf Evidenz; <strong>ist</strong> auf freie<br />
Zustimmung bedacht und auf Einverständnis, das aus Einsicht<br />
entsteht. So entspricht die Bitte der befreienden Vollmacht<br />
Jesu - und lässt Menschen zu mündigen Töchtern und<br />
Söhnen Gottes werden.<br />
6. Personalführung und Unterscheidung von Person und<br />
Werk<br />
Aus der Sicht der Betriebswirtschaftslehre sind Organisation<br />
von – und Personalführung in Le<strong>ist</strong>ungsprozessen die beiden<br />
191
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Grunddimensionen des Management: „Organisation und<br />
Führung sind die Leitungsfunktionen, mit deren Hilfe das<br />
Verhalten der Systemmitglieder so strukturiert und koordiniert<br />
wird, daß die in der Unternehmenspolitik umrissenen<br />
und in der Planung konkretisierten Ziele und Maßnahmen<br />
realisiert werden können.“ 49 Dabei treffen in der Personalführung<br />
notwendig Aufgabenziele und Mitarbeiterziele<br />
zusammen. Von daher wird deutlich: „<strong>Die</strong> Integration beider<br />
Aspekte stellt das eigentliche Führungsproblem dar... (Und<br />
die) Zielintegration <strong>ist</strong> dann als gelungen zu betrachten, wenn<br />
sich Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung wechselseitig<br />
unterstützen.“ 50 Doch wäre es illusorisch, vom Idealfall völliger<br />
Zielintegration ausgehen zu wollen. Dem stehen einmal<br />
schon gewisse Interessengegensätze zwischen dem jeweiligen<br />
System und den Mitarbeitern entgegen. Weiter wird die<br />
Spannung akut (um so vorläufig zu unterscheiden) zwischen<br />
zweckorientierter Führung des Personals, wo es um dessen<br />
Würde und Eigenständigkeit geht, und eher mittelorientierter<br />
Führung des Personals, wo dies primär als Le<strong>ist</strong>ungsträger und<br />
als Kostenfaktor in Betracht kommt. Nicht zuletzt bleibt in<br />
der Personalführung eine Spannung zwischen Förderung von<br />
Eigeninitiative und Kooperation im Blick auf den erhofften<br />
Ertrag des Le<strong>ist</strong>ungsprozesses.<br />
Mit der Personalführung stellt sich zugleich die Frage der<br />
Autorität derer, die formell oder faktisch leitenden Einfluss<br />
haben. Ist es eher fachliche Autorität, die professionelle Kompetenz<br />
zeigt und mit sachgemäßen Argumenten wie weiterführenden<br />
Fragen bzw. Perspektiven vertreten wird? Oder<br />
handelt es sich eher um persönliche Autorität, die sich als<br />
Ausstrahlung, als anerkanntes Vorbild, wenn möglich auch in<br />
humorvoller Kommunikation auswirkt? Und wieweit <strong>ist</strong> bzw.<br />
kommt positionelle Autorität ins Spiel, also die Position als<br />
Vorgesetzter mit Entscheidungs-, gar Weisungs- und allenfalls<br />
auch mit Sanktionsbefugnis? Fast in allen Leitungsstilen werden<br />
diese drei Dimensionen von Autorität mitspielen, freilich<br />
jeweils mit recht unterschiedlicher Gewichtung und<br />
Akzentuierung.<br />
192
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Auch in kirchlicher Personalführung <strong>ist</strong> die Frage der Integration<br />
von Aufgaben- und Mitarbeiterzielen akut – und sind<br />
die drei Dimensionen von Autorität wirksam. Ebenso wirkt<br />
sich in der Kirche als ein Grundproblem der Personalführung<br />
aus, was ein früherer Personalchef von Siemens einmal (im<br />
Theologischem Studienseminar) mit „Feigheit vor den Mitarbeitern“<br />
charakterisierte. Doch scheint in der Kirche die<br />
Offenheit, dem andern Kritik zuzumuten, und die Bereitschaft,<br />
Kritik entgegenzunehmen, nicht gerade ausgeprägter<br />
zu sein als andernorts. Das Problem mit aktiver wie<br />
passiver Kritikfähigkeit ergibt sich anscheinend auch mit Besonderheiten<br />
des Berufsbildes des Pfarramts und Tendenzen<br />
kirchlicher Kommunikationskultur. Gehört zum Berufsbild<br />
des Pfarramts doch sowohl die unerlässliche persönliche<br />
Identifikation mit dem Auftrag und eine notwendige Freiheit<br />
der Aufgabengestaltung. Und lässt sich doch an kirchlicher<br />
Kommunikationskultur eher ein verbreitetes Streben nach<br />
sozialer Harmonie finden als eine sach- und aufgabenbezogene<br />
Streitkultur. <strong>Die</strong>s „alles führt dazu, daß die Fähigkeit und<br />
die Bereitschaft, sich wechselseitig kritisch, fordernd und<br />
damit auch fördernd zu begleiten, in der Kirche zu oft unterentwickelt<br />
sind. In der Kirche wird Kritik in einer konkreten<br />
Sache viel zu schnell als generelle Kritik an der Person und<br />
ihrer inneren Haltung zum Auftrag der Kirche überinterpretiert.“<br />
51 Es steht zu vermuten, dass die Kritikfähigkeit in der<br />
Kirche mit Übernahme von so genannten Personalentwicklungskonzepten<br />
und -verfahren nicht ohne weiteres<br />
gesteigert wird. Denn, ob die in Mitarbeitendenjahresgesprächen<br />
vorgesehene Zielvereinbarung und Ertragskontrolle<br />
dazu beiträgt, wäre mit der notwendigen Selbstkritik zu prüfen.<br />
Doch gäbe es eine Quelle, aus der Spielraum für Kritikfähigkeit<br />
zu gewinnen wäre. 52<br />
Freilich werden wir in Aufgaben der Personalführung immer<br />
wieder mit einem Dilemma zu schaffen haben, wodurch wenn<br />
nötig kritische und offene Ausein<strong>anders</strong>etzung schwierig wird:<br />
Kritische Äußerungen können dahin wirken, dass der Anschein<br />
entsteht, dadurch werde etwa über die Amtsführung<br />
193
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
eines Pfarrers der Stab gebrochen; um dies aber zu vermeiden,<br />
lässt man sich dann von weitgehendem Verzicht auf Kritik leiten.<br />
Als Grund wird dann zume<strong>ist</strong> angegeben oder angenommen,<br />
der Beruf der Pfarrerin, des Pfarrers sei aufs engste mit<br />
ihrer Persönlichkeit verbunden. Nur müsste dann umso mehr<br />
die Regel gelten: je stärker ein Beruf mit der Persönlichkeit<br />
der ausübenden Person verbunden <strong>ist</strong>, desto sachlich begründeter<br />
müsste Kritik sein. Doch damit bleibt noch dahingestellt,<br />
ob sachliche Kritik auch sachlich entgegengenommen<br />
wird. Um nicht in dem genannten Dilemma sich gegenseitig<br />
zu blockieren und in seiner Vermeidungsstrategie fragwürdig<br />
zu rechtfertigen – und faktisch den Spielraum des offenen,<br />
wenn nötig kritischen Gesprächs zu verlieren, <strong>ist</strong> es wichtig,<br />
gerade auch in Fragen der Personalführung die Rechtfertigungsbotschaft<br />
zur Wirkung kommen zu lassen.<br />
<strong>Die</strong> damit eröffnete Unterscheidung von Person und Werk <strong>ist</strong><br />
elementar menschlich notwendig. Denn allein dadurch, dass<br />
der Mensch von der Selbst- bzw. Fremdidentifikation mit seinem<br />
Werk befreit wird, <strong>ist</strong> er auf seine Verantwortung<br />
ansprechbar. Mit der Unterscheidung von Person und Werk<br />
wird der Mensch nämlich weder von dem getrennt, was er<br />
getan hat und tut, als wäre dies gleichgültig; noch wird er<br />
damit identifiziert, wodurch dann sein Lebensrecht mit seiner<br />
Le<strong>ist</strong>ung oder seinem Versagen entschieden wäre. Vielmehr<br />
hält die Unterscheidung von Person und Werk den Raum und<br />
Vorgang verantwortlichen Lebens offen. Denn damit <strong>ist</strong> der<br />
Raum gewährt, worin ich ansprechbar bin auf das, was von<br />
mir ausgeht, und wofür ich zur Verantwortung gefordert bin.<br />
So <strong>ist</strong> nicht nur in kirchlicher Personalführung der Mensch mit<br />
dem zu konfrontieren, wofür er Verantwortung trägt, ohne<br />
ihn damit schlechthin zu identifizieren. Zudem wird angesichts<br />
von Kritik, die mir zuteil wird, mit der Unterscheidung<br />
von Person und Werk mir der Prozess offengehalten, worin<br />
sich entscheidet, woher das letztgültige Urteil über mich<br />
ergeht; von welcher Urteilsinstanz her ich mein Leben führen<br />
und gestalten kann, der zu antworten mich zu einem verantwortlichen<br />
Wesen macht.<br />
194
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Weiter entwirrt diese Unterscheidung das oft verworrene<br />
Verhältnis von Person und Werk. Geht dem Menschen auf,<br />
dass er von Gott bedingungslos anerkannt <strong>ist</strong>, so wird er frei<br />
davon, durch das, was er wirkt, sein Lebensrecht beweisen zu<br />
müssen. Damit werden die Werke vom Druck der Person entlastet.<br />
Und so engagiert, ja leidenschaftlich sein Einsatz sein<br />
mag, bleibt der Mensch doch in seiner Person vom Erfolgszwang<br />
wie vom Zwang, nicht scheitern zu dürfen, befreit.<br />
<strong>Die</strong>s Befreitwerden und (wer weiß?) entsprechende Gelassenheit<br />
verdankt sich der Zuversicht, dass bei allem wenn nötig<br />
kritischen und selbstkritischen Urteil über seine Werke das<br />
Urteil über seine Person nicht ihm oder andern Menschen<br />
zusteht, sondern Gott anheimgestellt und anzuvertrauen<br />
bleibt. Damit wird die Person vom Druck der Werke entlastet.<br />
Und schließlich ermöglicht diese Unterscheidung, einander<br />
menschlich gerecht zu werden. 53 Wieweit wir einander menschlich<br />
gerecht werden, hängt stark von unsern gegenseitigen<br />
Erwartungen ab und ebenso von den Enttäuschungen, die wir<br />
einander bereiten und uns kaum ersparen können. Würden<br />
wir unsere Erwartungen absolut setzen, so erstickten menschliche<br />
Beziehungen, weil sie fixiert und des Lebens beraubt<br />
würden – vielleicht bis dahin, dass ich aus tiefer Enttäuschung<br />
mit dem andern fertig bin. Ließe ich aber alle Erwartungen<br />
fallen, vielleicht um mir Enttäuschungen zu ersparen, würde<br />
der andere mir gleichgültig – und die Beziehung nur in anderer<br />
Variante ersterben. Für die Suche, einander menschlich<br />
gerecht zu werden, bleibt deshalb die Frage wegleitend: Was<br />
lässt mich der Person des anderen einen Vorsprung gewähren<br />
gegenüber meiner Erwartung wie Enttäuschung?<br />
7. Förderung ehrenamtlicher Mitarbeit und Charismen<br />
Hier lasse ich es bei einer knappen Skizze bewenden, so entscheidend<br />
diese Dimension für kirchliches und vor allem für<br />
chr<strong>ist</strong>liches Leben <strong>ist</strong>. Mit Ehrenamtlichen, also nicht Berufschr<strong>ist</strong>en,<br />
sondern Chr<strong>ist</strong>en im Beruf kann einem vor allem<br />
zweierlei aufgehen: Einmal, dass kaum je die Ermäßigung von<br />
195
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Ansprüchen, vielmehr der Anspruch, der mit der Sache wie<br />
der jeweiligen Aufgabe gegeben <strong>ist</strong>, motivierend wirkt. Um die<br />
„Sache“, die in der Kirche wie mit dem Chr<strong>ist</strong>sein auf dem<br />
Spiel steht, kurz anzudeuten: für sich und mit andern zu entdecken,<br />
was der Glaube im Leben taugt. Und damit <strong>ist</strong> das<br />
zweite oft aufs engste verbunden: Chr<strong>ist</strong>en im Beruf und in<br />
ihrer Lebenswelt sind in dieser Hinsicht nicht weniger angefragt,<br />
als es oft Amtsträger der Kirche sind. Hierin wird wahr:<br />
der <strong>Die</strong>nst der Bezeugung des Evangeliums wie des Lebens<br />
aufgrund des Evangeliums <strong>ist</strong> Auftrag des Priestertums aller<br />
Getauften.<br />
Merkwürdigerweise kommt allerdings ehrenamtliche Mitarbeit<br />
vor allem dann in den Blick, wenn Hauptamtliche rarer werden<br />
bzw. Gemeindegebiete wie die Vielfalt notwendiger Aufgaben<br />
größer. <strong>Die</strong>s kann die Chance verantwortlicher<br />
Mitarbeit von Ehrenamtlichen durchaus erhöhen, wie sich<br />
gegenwärtig in der katholischen Kirche zeigt. Doch wären<br />
ehrenamtlich Mitarbeitende gerade auch als Zeugen des<br />
Glaubens und also in ihrer theologischen wie ge<strong>ist</strong>lichen<br />
Urteilsfähigkeit ernstzunehmen und zu fördern. Dem entsprechen<br />
kirchliche Bildungsprozesse mit Erwachsenen –<br />
begonnen mit lebensorientierter Bibelarbeit bis hin zu<br />
Glaubens- und Theologiekursen mit Erwachsenen. In solchen<br />
Bildungsprozessen sind (bisweilen zu ihrer eigenen Überraschung)<br />
Theologinnen und Theologen als solche gefragt und<br />
bleiben zugleich durch Chr<strong>ist</strong>en im Beruf, zumal fragende und<br />
kritische, wie mit ihnen Studierende der Theologie – mit<br />
immer weiteren Entdeckungen dazu, was der Glaube im<br />
Leben taugt. <strong>Die</strong>s bleibt (freilich neben soweit nötig auch aufgabenspezifischer<br />
Fortbildung) aus zwei Gründen notwendig:<br />
So werden Menschen, die zu ehrenamtlicher Mitarbeit bereit<br />
sind, nicht nur in ihrer Funktion, sondern als Person ernstgenommen.<br />
Und solche Fortbildung gibt die Chance, dass<br />
Menschen sich beteiligen, die ihr Chr<strong>ist</strong>sein nicht nur in kirchlicher<br />
Mitarbeit, sondern vor allem in ihrem Berufs- und<br />
Lebensfeld leben wollen. Denn chr<strong>ist</strong>licher Glaube wie<br />
Theologie werden praktisch nicht schon durch Mitarbeit in<br />
196
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
der Gemeinde, vielmehr im Lebensvollzug selbst: im „Alltag<br />
als Ernstfall des Glaubens“ (Ernst Lange). Und Chr<strong>ist</strong>en<br />
leben nicht in der Gemeinde, sondern als chr<strong>ist</strong>liche Gemeinde<br />
(in Sendung, Sammlung, Zerstreuung) in der jeweiligen<br />
Lebenswelt – für die Welt, nicht aus der Welt.<br />
Erfahrungsgemäß werden aufgrund von Bildungsprozessen,<br />
die jedenfalls nicht allein auf kirchliche Mitarbeit hin angelegt<br />
sind, zugleich manche Menschen an Aufgaben, die sie für<br />
wichtig erachten – oder die sich ihnen unversehens ergeben –<br />
oder die ihnen zugetraut werden, sich gerne ehrenamtlich einsetzen.<br />
Überraschend kann dann sein, welche Vielfalt an Begabungen<br />
sich zeigt, und wie mit der Aufgabe die Gaben<br />
wachsen können. Begabungen werden bis in die Umgangssprache<br />
hinein als „Charismen“ bezeichnet. Doch lohnt es<br />
sich, hier, was die Lebenserfahrung wie die Schrift dazu sagt,<br />
aufmerksam wahrzunehmen. Nicht umsonst nannte Käsemann<br />
Charismen „Konkretionen der Gnade“. Man darf nicht<br />
vorschnell von den Charismenl<strong>ist</strong>en in 1. Korinther 12 und<br />
Römer 12 her Charismen einfach als individuelle Begabung<br />
verstehen. Zu leicht werden sie dann von der in Chr<strong>ist</strong>us persongewordenen<br />
Gnade getrennt und als natürliche oder übernatürliche<br />
Gaben verstanden.<br />
<strong>Die</strong> Charismenl<strong>ist</strong>e in Römer 12 hat mit dem Auftakt in<br />
Römer 12,1 ihre Pointe und Quelle in der „Barmherzigkeit<br />
Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig,<br />
heilig und Gott wohlgefällig <strong>ist</strong>“. „Ein lebendiges Opfer“:<br />
welch paradoxer Ausdruck! Denn Opfer sind in der Regel blutige,<br />
zu Tode gebrachte Opfer. „Lebendiges Opfer“: als wenn<br />
mit dieser paradoxen Aussage der Bogen gespannt <strong>ist</strong> hin zu<br />
einer anderen Wendung des Paulus: „Als Sterbende und siehe<br />
wir leben“ (2. Korinther 6,9). Das Zusammentreffen eigener<br />
Lebenserfahrung und des Lebens, das von Jesus Chr<strong>ist</strong>us ausgeht,<br />
schafft Konkretionen der Gnade. Solche Charismen liegen<br />
oft quer zu unsern geringen bzw. beachtlichen<br />
Begabungen. Doch darin wird die Gnade und Wahrheit Jesu<br />
Chr<strong>ist</strong>i konkret.<br />
197
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Mit 2. Korinther 6 ergibt sich (und dies sei hier angeschlossen)<br />
eine elementare Wahrnehmungshilfe ge<strong>ist</strong>lichen Lebens. Was<br />
gegenüber der Unmittelbarheit des Erlebens und dem<br />
Verwickeltsein in Widersprüche D<strong>ist</strong>anz und Freiheit gewährt<br />
und ein neues Verhältnis mir selbst gegenüber eröffnet, <strong>ist</strong><br />
eine Frage ge<strong>ist</strong>licher Wahrnehmung und Ex<strong>ist</strong>enz: also des<br />
Lebens in der Welt vor Gott. So sehr dies Zeit und Gestaltung<br />
braucht, etwa im Horchen auf die Botschaft der Bibel und im<br />
Beten, erwe<strong>ist</strong> sich als Gehalt und Grundzug ge<strong>ist</strong>lichen<br />
Lebens: Differenz und Zusammentreffen zwischen eigener<br />
Lebenserfahrung und dem Widerfahrnis des Lebens, das von<br />
Jesus Chr<strong>ist</strong>us ausgeht. Als prägnante Wahrnehmungshilfe für<br />
solche Differenzerfahrung bzw. befreiende Gegensatzerfahrung<br />
erwe<strong>ist</strong> sich, was Paulus zur Ex<strong>ist</strong>enz des Apostels<br />
und zu chr<strong>ist</strong>licher Ex<strong>ist</strong>enz schreibt: „Als die Unbekannten,<br />
und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe wir leben; als<br />
die Gezüchtigten, und doch nicht getötet; als die Traurigen,<br />
aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich<br />
machen; als die nichts haben, und doch alles haben.“ (6,9f)<br />
Wir werden manch weitere Wahrnehmungshilfen ge<strong>ist</strong>lichen<br />
Lebens finden, sprachlich zumal in paradoxen Wendungen,<br />
auch in manchen Chorälen wie in dem Adventslied Paul<br />
Gerhardts: „Als mir das Reich genommen, da Fried und<br />
Freude lacht, da b<strong>ist</strong> du, mein Heil, kommen und hast mich<br />
froh gemacht“ (EG 11,3). Mit anderen und selbst für solche<br />
Differenzerfahrung wahrnehmungsfähig zu werden, führt in<br />
einer Vielfalt von Konkretionen dazu, dass das Evangelium in<br />
seiner befreienden Lebensrelevanz aufleuchtet. Überraschend<br />
bleibt, wie viele Menschen im Blick auf solche Differenzerfahrung<br />
einen Sinn dafür haben: „Wer unterscheidet, hat mehr<br />
vom Leben“ 54 .<br />
8. „Corporate Identity“ und Leib Chr<strong>ist</strong>i<br />
Der Begriff „Corporate Identity“ kam vor etwa dreißig Jahren<br />
auf und wurde zunächst in den USA Unternehmen von<br />
Design- und Werbe-Beratern empfohlen zur Kennzeichnung<br />
der Unternehmensidentität nach außen und innen. 55 Überra-<br />
198
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
schend daran <strong>ist</strong> zunächst, dass Konstrukte aus andern<br />
Erkenntnis- und Lebensbereichen auf Wirtschafts-Unternehmen<br />
übertragen wurden: wie Philosophie und Kultur so<br />
auch Identität, gar Persönlichkeit eines Unternehmens. Im<br />
Zentrum von Corporate Identity-Maßnahmen steht zum<br />
einen die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen<br />
und die niedrigschwellige, aber klare Erkennbarkeit<br />
von außen. Beides scheint auch für die Kirche unverzichtbar<br />
zu sein. Entsprechend gehört zu dem Evangelischen Münchenprogramm<br />
mit dem erforderlichen dreifachen Ja der<br />
Mitarbeiter auch ihr Ja zur Kirche als Institution. 56 Und mit<br />
einheitlichem Logo wie Signet quer durch die jeweilige<br />
Landeskirche und ihre Gemeinden soll etwa das Motto<br />
„Evangelisch aus gutem Grund“ der Erkennbarkeit und dem<br />
Profil von Kirche dienen. Freilich bleibt damit wie auch sonst<br />
die Frage, wieweit Design und Gehalt einander entsprechen.<br />
„Man möchte etwas für die gute Sache sprechen lassen. Aber<br />
was? <strong>Die</strong> Sache selbst oder etwas anderes?“ 57<br />
Um der Identifikation jedenfalls der Mitarbeiter mit der<br />
Institution Kirche – und um der öffentlichen Identitifizierbarkeit<br />
von Kirche in all ihren Gestalten und Angeboten willen<br />
scheinen Corporate Identity-Maßnahmen für die Kirche heute<br />
unverzichtbar. Im Blick auf Identifikation mit – wie<br />
Identifizierbarkeit von Kirche stellt sich notwendig zugleich<br />
die Frage nach der Identität von Kirche. Sollte Kirche mit sich<br />
selbst identisch sein oder ihre Identität gar durch Identifikation<br />
der Mitarbeitenden mit ihr bzw. der per Design angebotenen<br />
Identifikationsmöglichkeit von außen gewinnen? Wenn<br />
dies nicht der Fall sein soll, nicht kann, woher gewinnt dann<br />
Kirche ihre Identität? Was Kirche zu Kirche macht, sind gerade<br />
die Lebensvollzüge, wodurch ihr das Leben Jesu Chr<strong>ist</strong>i zukommt.<br />
<strong>Die</strong>se kann noch muss Kirche nicht selbst<br />
hervorbringen, vielmehr schöpft sie daraus. Deshalb kann<br />
aber Kirche nicht mit sich selbst identisch sein, bleibt vielmehr<br />
auf die beziehungsvolle Unterscheidung zwischen ihr selbst<br />
und Weg wie Botschaft Jesu Chr<strong>ist</strong>i als kirchenkritischem<br />
Grundgeschehen von Kirche angewiesen. 58<br />
199
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
In dieser Hinsicht gibt die fast komische sprachliche Nähe wie<br />
interessante Differenz zwischen „Corporate Identity“ und<br />
„Leib Chr<strong>ist</strong>i“ zu denken. Denn (im Unterschied zu Konnotationen<br />
in Konzepten von „Corporate Identity“) geht es mit<br />
der Metapher vom „Leib Chr<strong>ist</strong>i“ weder um eine angebliche<br />
Tatbestandsbeschreibung noch um ein (möglichst werbewirksames)<br />
Idealbild. Vielmehr wird, wie der 1. Korintherbrief<br />
zeigt, eine Gemeinde, die von Bege<strong>ist</strong>erung und Verworrenheit,<br />
von selbstbewussten Chr<strong>ist</strong>en und von suchenden<br />
Menschen, von Armen und Reichen, von Gemeinschaftsbedürfnis<br />
und von Konflikten geprägt <strong>ist</strong>, angesprochen auf<br />
den Lebensgrund, von dem sie in und trotz allem lebt. Dabei<br />
<strong>ist</strong> mit dieser Metapher ein dreifaches Kommunikationsgeschehen<br />
eröffnet. Einmal zwischen Chr<strong>ist</strong>us und der Gemeinde:<br />
die Glieder des Leibes leben von ihm. Sodann zwischen<br />
den Gliedern untereinander: sie sind aufeinander angewiesen,<br />
hier geht es um Kommunikation der Gaben und Lasten, der<br />
Leiden und Freuden. Und nicht zuletzt zwischen der Gemeinde<br />
und der Welt, zu der sie gehört, in der sie lebt: denn<br />
Chr<strong>ist</strong>us <strong>ist</strong> für alle dahingegeben und für alle da. 59<br />
Freilich soll, was an Corporate Identity-Maßnahmen für die<br />
Kirche ersonnen und genutzt wird, ihrer Marginalisierung in<br />
Gesellschaft und Öffentlichkeit wehren. Nur bedarf es kaum<br />
weniger der Ausein<strong>anders</strong>etzung mit einer Selbstmarginalisierung<br />
der Kirche. 60 Durch wohlmeinende Anpassungsstrategien<br />
und mit gedanklicher Beliebigkeit wie eigener<br />
Unbesonnenheit le<strong>ist</strong>et die Kirche selbst ihrer Marginalisierung<br />
Vorschub. Ihre Chance <strong>ist</strong> demgegenüber, dass nicht<br />
wenige Menschen, gerade auch solche mit kritischer D<strong>ist</strong>anz<br />
zur Kirche, einen Sinn dafür haben, wieweit sie als Menschen<br />
ernstgenommen werden, weil die Sache ernstgenommen wird,<br />
um die es geht, – kurz gesagt: das Evangelium in seiner<br />
befreienden Lebensrelevanz. Im Blick auf die Menschen und<br />
das hellhörige wie weiterführende Gespräch mit ihnen wie im<br />
Blick auf die Sache, das Evangelium, das im Gespräch mit der<br />
Bibel als verdichteter Lebenserfahrung zu entdecken <strong>ist</strong>, bleibt<br />
theologische Wahrnehmungs-, Urteils- und Gesprächsfähig-<br />
200
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
keit gefragt. Deshalb: „<strong>Die</strong> Kirche wird so lebendig sein, wie<br />
in ihr Theologie aus Leidenschaft betrieben wird und ge<strong>ist</strong>liche<br />
Gemeinschaft Gestalt gewinnt.“ 61 – <strong>Die</strong> Gefahr einer<br />
Selbstmarginalisierung kann freilich auch in anderer Variante<br />
akut werden: mit dem Wunsch und dem Bemühen, die Kirche<br />
für die Menschen wieder attraktiver zu machen. Denn dieser<br />
Wunsch birgt die Gefahr in sich, dass die Kirche sich erneut<br />
mit sich selbst beschäftigt, wenn auch im Blick auf die Menschen,<br />
aber im Interesse eigener Attraktivität und Relevanz für<br />
sie. Geblendet von diesem Wunsch könnte sich die Kirche den<br />
Blick verstellen für die grundlegende Chance, die in der<br />
Unterscheidung liegt zwischen ihr selbst und Jesus Chr<strong>ist</strong>us als<br />
kirchenkritischem Grundgeschehen von Kirche. Deshalb<br />
bleibt die Lebensrelevanz des Evangeliums zu entdecken,<br />
womit die Frage nach der Relevanz der Kirche ganz sachgemäß<br />
zweitrangig, weil offengehalten wird zu ihrem Grund und<br />
der Quelle ihres Lebens hin.<br />
Und ein Akzent zum Schluss...<br />
<strong>Die</strong> notwendige wie unterscheidungsvolle Beziehung von<br />
Management und ge<strong>ist</strong>licher Kirchenleitung korrespondiert<br />
mit Bonhoeffers Unterscheidung von Vorletztem und<br />
Letztem in seiner Ethik. Deshalb soll schlicht einem Hinweis<br />
darauf hier die Schlußpointe gehören. Bei Bonhoeffer heißt<br />
es 62 : „Das Verhältnis von Vorletztem und Letztem im chr<strong>ist</strong>lichem<br />
Leben kann in zwei extremen Formen gelöst werden,<br />
„radikal“ und als Kompromiß, wobei gleich zu bemerken <strong>ist</strong>,<br />
daß auch die Kompromißlösung eine extreme Lösung <strong>ist</strong>.“<br />
„<strong>Die</strong> radikale Lösung sieht nur das Letzte und in ihm nur den<br />
völligen Abbruch des Vorletzten. Letztes und Vorletztes stehen<br />
in ausschließlichem Gegensatz.“<br />
„<strong>Die</strong> andere Lösung <strong>ist</strong> der Kompromiß. Hier wird das letzte<br />
Wort von allen vorletzten prinzipiell getrennt. Das Vorletzte<br />
behält sein Recht in sich, wird aber von dem Letzten nicht<br />
bedroht oder gefährdet.“<br />
201
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
„Beide Lösungen sind in gleicher Weise ... extrem, weil sie<br />
Vorletztes und Letztes in ausschließenden Gegensatz zueinander<br />
stellen, das eine Mal, indem Vorletztes durch Letztes zerstört,<br />
das andere Mal, indem das Letzte aus dem Bereich des<br />
Vorletzten ausgeschlossen wird“.<br />
Und die Reflexionen zu dieser ebenso notwendigen wie beziehungsvollen<br />
Unterscheidung gewinnen schließlich folgende<br />
Pointe 63: „Chr<strong>ist</strong>liches Leben <strong>ist</strong> der Anbruch des Letzten in<br />
mir, das Leben Jesu Chr<strong>ist</strong>i in mir. Es <strong>ist</strong> aber immer auch<br />
Leben im Vorletzten, das auf das Letzte wartet. Der Ernst des<br />
chr<strong>ist</strong>lichen Lebens liegt allein im Letzten, aber auch das<br />
Vorletzte hat seinen Ernst, der freilich gerade darin besteht,<br />
das Vorletzte gegenüber dem Letzten für Scherz zu halten,<br />
damit das Letzte und das Vorletzte seinen Ernst behält.“<br />
Könnte also zwischen Management und ge<strong>ist</strong>licher Kirchenleitung<br />
in ihrer notwendigen wie beziehungsvollen Unterscheidung<br />
der Scherz, der Humor ein bisher noch wenig<br />
bestelltes Feld finden?<br />
Anmerkungen<br />
1 <strong>Die</strong>ser Beitrag entstand in der vorliegenden Fassung für den Kurs<br />
zu Beginn der Leitung einer Ephorie im Januar 2003 im Theologischen<br />
Studienseminar der <strong>VELKD</strong> – und erschien zunächst als:<br />
„Texte aus der <strong>VELKD</strong>“ 115/2003.<br />
2 Eckhart von Vietinghoff, Wege aus der Krise. Kritische Anmerkungen<br />
zum Berufsbild Pfarrer in: hg. v. Heike Schmoll, Kirche<br />
ohne Zukunft? Evangelische Kirche – Wege aus der Krise, 1999,<br />
179f. 159 und 187.<br />
3 Peter Ulrich/Edgar Fluri, Management. Eine konzentrierte Einführung,<br />
7. Aufl., 1995, 17-22.<br />
4 Personalentwicklung in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern – Mitarbeiterjahresgespräch<br />
– o.J. (2000), 5.<br />
5 Daniel <strong>Die</strong>tzfelbinger, Von der ökonomischen Befangenheit mancher<br />
kirchlicher Kreise in: Deutsches Pfarrerblatt 2001, 300.<br />
6 Gerd Gerken, Trendzeit. <strong>Die</strong> Zukunft überrascht sich selbst, 1993, 65.<br />
202
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
7 Peter Kummer, Warum geschieht das ausgerechnet mir?, 1998, 13.<br />
8 Johano Strasser, Leben oder Überleben. Wider die Zurichtung des<br />
Menschen zu einem Element des Marktes, 2001, 29f.<br />
9 Referat zu: Fredmund Malik, Strategie des Managements komplexer<br />
Systeme, 3. Aufl. 1989 in: David Lohmann, Das Bielefelder<br />
Diakonie-Managementmodell, 1997, 150.<br />
10 Peter Ulrich/Edgar Fluri, Management. Eine konzentrierte Einführung,<br />
7. Aufl. 1995, 13.<br />
11 A.a.O., 171f.<br />
12 A.a.O., 225-227.<br />
13 A.a.O., 242-248.<br />
14 Vgl. Alfred Jäger, Konzepte der Kirchenleitung für die Zukunft,<br />
1993 – und zur Diakonie: David Lohmann (Anm.9).<br />
15 Eilert Herms, Was heißt „Leitung in der Kirche“? in: Ders.,<br />
Erfahrbare Kirche. Beiträge zur Ekklesiologie, 1990, 82.<br />
16 A.a.O., 85f.<br />
17 Zur Bandbreite des heutigen Sprachgebrauchs von „Spiritualität“<br />
einige Hinweise des Schweizer Religionssoziologen Roland J.<br />
Campiche, Religion: Herausforderung für die Kirchen? Studien und<br />
Berichte 57 (Institut für Sozialethik des SEK, Bern), 2001, 14-18:<br />
„Spiritualität (verwe<strong>ist</strong>) auf die Erfahrungsdimension von Religion.<br />
Sie stellt eine unmittelbare, persönliche Alternative zur institutionalisierten<br />
Religion dar; dann entspricht sie in etwa dem, was ... Ernst<br />
Troeltsch (1865-1923) „Mystik“ nennt.“ – „Der Rückgriff auf den<br />
Begriff Spiritualität als Alternativbezeichnung für das, was man unter<br />
dem Etikett Religion ablehnte, (trug) entscheidend dazu bei, dass der<br />
Begriff Individualisierung der Religion im Sinne der Selbstbehauptung<br />
des glaubenden Subjekts interpretiert wurde.“ – Es mangelt<br />
an religionssoziologischen Erhebungen, die darüber Auskunft<br />
geben würden, was gemeinhin unter „Spiritualität“ verstanden wird.<br />
Gewisse Auskünfte sind gegenwärtig am ehesten in nordamerikanischen<br />
Untersuchungen zu finden, so in den „Arbeiten von Wade<br />
Clark Roof, dessen jüngstes, 1999 erschienenes Werk den sinnigen<br />
Titel „Spiritual Marketplace“ trägt. Der Titel vermittelt anschaulich,<br />
wie es inzwischen um die religiöse Szene im Westen bestellt <strong>ist</strong>.“ –<br />
„Spirituelle Erwartung verwe<strong>ist</strong> nicht auf ein bekanntes Szenario.<br />
Vielmehr eröffnet sie neue Horizonte. Sie verleiht dem Heiligen in<br />
unseren Gesellschaften einen neuen, von Menschen verliehenen<br />
203
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Status. Vorab setzt sie Toleranz voraus, bedeutet Spiritualität doch die<br />
Erforschung der Religion des Anderen und die Anerkennung seiner<br />
Ex<strong>ist</strong>enz.“ – „Spiritualität <strong>ist</strong> zudem ein Modewort, schreckt man<br />
doch nicht davor zurück, der Kundschaft als Anreiz ein Häppchen<br />
Spiritualität anzubieten... (So beispielsweise der) Titel im Wirtschaftsteil<br />
der Zeitung „Le Temps“ (20. April 2001): „L’enrichissement spirituel<br />
des cadres passe par la plongée et le Grec ancien“ (Tauchen<br />
und Altgriechisch als spirituelle Bereicherung für Kaderleute).<br />
18 Vgl. Volker Weymann, Evangelische Erwachsenenbildung. Grundlagen<br />
theologischer Didaktik, 1983, 142f.<br />
19 Hier, wenn die Seitenzahl in Klammer angeführt wird, zitiert nach<br />
der Textfassung in: Martin Luthers ausgewählte Schriften hg. v. Karin<br />
Bornkamm und Gerhard Ebeling 1.Band, 1982, 238ff (die betreffende<br />
Passage: 245-251).<br />
20 WA 7; 11, 8-10.<br />
21 Gerhard Ebeling, <strong>Die</strong> königlich-priesterliche Freiheit in: Ders.,<br />
Luther-Studien Bd. III, 1985, 169.<br />
22 Hierzu: a.a.O., 161.<br />
23 A.a.O., 158.<br />
24 A.a.O., 165.<br />
25 WA 7; 57,14-16: „Potentia haec spiritualis est, quae dominatur in<br />
medio inimicorum et potens est in mediis pressuris, quod est aliud<br />
nihil quam quod virtus in infirmitate perficitur“.<br />
26 BELK, 58,2-7.<br />
27 Gerhard Ebeling, Dogmatik des chr<strong>ist</strong>lichen Glaubens Band I,<br />
353f.<br />
28 Martin Luther: „Ecclesia enim est creatura Euangelii, ... ait ...<br />
Paulus: per Euangelium vos genui“ (Resolutiones zur Leipziger<br />
Disputation von 1519: WA 2; 430, 6-8).<br />
29 Eberhard Jüngel, <strong>Die</strong> Kirche als Sakrament? In: ZThK 80/1983,<br />
445.<br />
30 Vgl. Volker Weymann, Vom Baum und den Früchten. Zur theologischen<br />
Fortbildung der Pfarrerschaft in: „Texte aus der <strong>VELKD</strong>“<br />
103/2001, 13.<br />
31 Vgl. Volker Weymann, Gegensatzerfahrungen. Zum Praxisbezug<br />
Praktischer Theologie in: ZThK 82/1985, 457f.<br />
32 Peter Ulrich/Edgar Fluri, Management. Eine konzentrierte<br />
Einführung, 7.A. 1995.<br />
204
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
33 A.a.O., 53f.<br />
34 Alfred Jäger, Konzepte der Kirchenleitung für die Zukunft, 1993,<br />
170f.<br />
35 Vgl. Gerhard Ebeling, Studium der Theologie. Eine enzyklopädische<br />
Orientierung, 1975, 124f.<br />
36 Dazu nur die Erinnerung an CA VII, wonach die „heilige chr<strong>ist</strong>liche<br />
Kirche ... die Versammlung aller Gläubigen (<strong>ist</strong>), bei welchen das<br />
Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des<br />
Evangelii gereicht werden“ (BELK, 61, 3-7). Was Kirche konstituiert<br />
und öffentlich kenntlich macht, sind hiernach also die<br />
Lebensvollzüge, durch die ihr das Leben schaffende, befreiende<br />
Leben Jesu Chr<strong>ist</strong>i zukommt.<br />
37 Wolfgang Huber, Kirche in der Zeitenwende. Gesellschaftlicher<br />
Wandel und Erneuerung der Kirche, 1998, 13.<br />
38 Eckhart von Vietinghoff, Wege aus der Krise. Kritische<br />
Anmerkungen zum Berufsbild Pfarrer in: hg. v. Heike Schmoll,<br />
Kirche ohne Zukunft? Evangelische Kirche – Wege aus der Krise,<br />
1999, 161f.<br />
39 Daniel <strong>Die</strong>tzfelbinger, Von der ökonomischen Befangenheit mancher<br />
kirchlicher Kreise in: Deutsches Pfarrerblatt, 2001, 300.<br />
40 Eberhard Jüngel, Zur Freiheit eines Chr<strong>ist</strong>enmenschen. Eine<br />
Erinnerung an Luthers Schrift, 1978, 78.<br />
41 Vgl. Ingolf U. Dalferth, „Was für mich stimmt, bestimme ich!“.<br />
Theologie im Zeitalter der „Cafeteria-Religion“ in: ThLZ 121/1996,<br />
415-430.<br />
42 H. Steinmann/G. Schreyögg, Management. Grundlagen der<br />
Unternehmensführung, 3.A. 1993, 13.<br />
43 Jan Hermelink, Pfarrer als Manager? Gewinn und Grenzen einer<br />
betriebswirtschaftlichen Perspektive auf das Pfarramt in: ZThK<br />
95/1998, 547.<br />
44 Von Jaqueline Zanca – übersetzt aus: Womans Work, Mai/Juni<br />
1977, 9ff.<br />
45 Gerhard Ebeling, Dogmatik des chr<strong>ist</strong>lichen Glaubens Band III,<br />
1979, 481.<br />
46 André Brink, Weiße Zeit der Dürre, 5.A.1989, 310.<br />
47 Hans Weder, <strong>Die</strong> „Rede der Reden“. Eine Auslegung der<br />
Bergpredigt heute, 1985, 15.<br />
48 Vgl. Volker Weymann, <strong>Die</strong> Bergpredigt im Zusammenhang des<br />
205
Volker Weymann: Management und ge<strong>ist</strong>liche Kirchenleitung<br />
Matthäus-Evangeliums: Ihr grundlegende, umstrittene, überraschende<br />
Wirkung in: Ökumenischer Arbeitskreis für Bibelarbeit (Hg.),<br />
Bergpredigt (Bibelarbeit in der Gemeinde Bd.8), 1992, 39f.<br />
49 Peter Ulrich/Edgar Fluri, Management. Eine konzentrierte<br />
Einführung, 7. Aufl. 1995, 161.<br />
50 A.a.O., 225-227.<br />
51 Eckhart von Vietinghoff, a.a.O., 179.<br />
52 Zum folgenden vgl. Volker Weymann, Zum Grundzug ge<strong>ist</strong>lichen<br />
Lebens und zu ge<strong>ist</strong>licher Kirchenleitung in: hg.v. Manfred Josuttis<br />
u.a., Auf dem Weg zu einer seelsorglichen Kirche. Theologische<br />
Bausteine. Chr<strong>ist</strong>ian Möller zum 60.Geburtstag, 2000, 150f.<br />
53 Hierzu vgl. Volker Weymann, Wer wird wem gerecht? Zur<br />
Gerechtigkeit herausgefordert – auf Gerechtigkeit angewiesen in:<br />
EvTh 52/1992, 158f.<br />
54 Eberhard Jüngel, Gott – als Wort unserer Sprache in: Ders.,<br />
Unterwegs zur Sache, 1971, 101.<br />
55 Dazu: Heribert W. Gärtner, Zwischen Management und<br />
Nächstenliebe. Zur Identität des kirchlichen Krankenhauses, 2. Aufl.<br />
1995, 120-124.<br />
56 Das Evangelische Münchenprogramm (eMp). Evangelisch-<br />
Lutherische Kirche in Bayern. Dekanat München. Überarbeitete<br />
Fassung zum Stand der Umsetzung im Juli 1998. Basierend auf der<br />
Zusammenfassung der Ergebnisse vom 22. Juli 1996, 13f.<br />
57 Eilert Herms. Evangelisch aus gutem Grund in: hg. v. Uta Andrée<br />
u.a., Leben und Kirche. Festschrift für Wilfried Härle, 2001, 155.<br />
58 Vgl. Gerhard Ebeling, Das Grund-Geschehen von Kirche in:<br />
Ders., Wort und Glaube Bd.3, 1975, 463ff.<br />
59 Vgl. Volker Weymann, Drei Dimensionen des Gemeindeaufbaus<br />
in: Reformatio 37/1988, 193.<br />
60 Vgl. Volker Weymann, Vom Baum und den Früchten. Zur theologischen<br />
Fortbildung der Pfarrerschaft in: „Texte aus der <strong>VELKD</strong>“<br />
103/2001, 19f.<br />
61 Wolfgang Huber, Kirche – wohin? Eine Problemanzeige in zwanzig<br />
Thesen in: Glaube und Lernen 10/1995, 103.<br />
62 <strong>Die</strong>trich Bonhoeffer, Ethik, 1963, 135f.<br />
63 A.a.O., 150.<br />
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Herausgeber und Autoren<br />
Herausgeber und Autoren<br />
Hahn, Udo, Pfarrer, Oberkirchenrat, Publiz<strong>ist</strong>ik-Referent der<br />
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Pressesprecher<br />
der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche<br />
Deutschlands (<strong>VELKD</strong>), Hannover.<br />
Hauschild, Wolf-<strong>Die</strong>ter, Dr. theol., Professor für Kirchengeschichte<br />
an der Universität Münster.<br />
Hermelink, Jan, Dr. theol., Professor für Praktische Theologie/Pastoraltheologie<br />
an der Universität Göttingen.<br />
Schindehütte, Martin, Ge<strong>ist</strong>licher Vizepräsident des Landeskirchenamtes<br />
der Evangelisch-lutherischen Landeskirche<br />
Hannovers.<br />
Weymann, Volker, Dr. theol., Professor für Praktische Theologie,<br />
Rektor des Theologischen Studienseminars der Vereinigten<br />
Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands<br />
(<strong>VELKD</strong>) in Pullach bei München.<br />
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