Lösungsskizze - Verwaltungsgericht Sigmaringen
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
<strong>Lösungsskizze</strong> zu Fall 5: Dioxin im Vorgarten<br />
Richter Carsten Ulrich<br />
- Gutachten -<br />
Vorüberlegungen: Das geeignete Rechtsmittel richtet sich nach dem tatsächlichen<br />
Begehren des A. Laut Sachverhalt will der A der am 25.05.2001 ergangenen Verfügung nicht<br />
nachkommen. Handelt er nicht selbst, droht ihm die in Ziffer 6 der Verfügung angedrohte<br />
Ersatzvornahme.<br />
Grundsätzlich haben Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 1 Satz 1<br />
VwGO. Käme einem Widerspruch des A gegen die Verfügung vom 25.05.2001<br />
aufschiebende Wirkung zu, so könnte diese nach Einlegung des Rechtsbehelfs nicht mehr<br />
vollzogen werden. Vorliegend wurde unter Ziffer 5 des Bescheids vom 25.05.2001 der<br />
Sofortvollzug von Ziffer 1 bis 4 der Verfügung angeordnet. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 4<br />
VwGO entfällt damit die aufschiebende Wirkung eines eingelegten Rechtsbehelfs. Legt der A<br />
nur Widerspruch ein, bleiben die in Ziffer 1 bis 4 getroffenen Anordnungen vollziehbar. Der A<br />
muss nach Fristablauf mit der Durchführung einer Ersatzvornahme rechnen. Als geeignetes<br />
Rechtsmittel kommt daher vorliegend nur der vorläufige Rechtsschutz in Betracht, mit dem<br />
Ziel, die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und/oder Klage gegen die Verfügung<br />
wiederherzustellen.<br />
Trennen der Verfügung vom 25.05.2001:<br />
Ziffer 1 – 4 der Anordnung: Grundverfügung<br />
Ziffer 5 der Anordnung: Anordnung des Sofortvollzugs für 1 - 4<br />
Ziffer 6 der Anordnung: Androhung der Ersatzvornahme<br />
Nur hinsichtlich der Ziffern 1 bis 4 (Grundverfügung) der Anordnung vom 25.05.2001 war es<br />
erforderlich, den Sofortvollzug anzuordnen (Ziffer 5). Bei Ziffer 6 handelt sich um einleitende<br />
Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung (Androhung gemäß § 20 LVwVG). Bei<br />
Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung entfällt die aufschiebende Wirkung eines<br />
Rechtsmittels bereits per Gesetz, § 12 LVwVG. Jedoch setzt die Vollstreckung von<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
Grundverfügungen entweder deren Unanfechtbarkeit oder – hinsichtlich des Grund-VA – das<br />
Entfallen der aufschiebenden Wirkung voraus, § 2 LVwVG. Im vorliegenden Fall muss der A<br />
die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anordnungen in Ziffer 1 bis 4 der<br />
Verfügung vom 25.05.2001 erreichen. Damit entfällt zunächst auch die andernfalls drohende<br />
Ersatzvornahme.<br />
A. Zulässigkeit eines Eilantrages<br />
I. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen<br />
1. Rechtsweg: § 40 Abs. 1 VwGO<br />
Eine abdrängende oder aufdrängende Sonderzuweisung kommt nicht in Betracht. Die<br />
Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs bestimmt sich nach § 40 Abs. 1 Satz 1<br />
VwGO. Um den Verwaltungsrechtsweg zu eröffnen, müsste es sich um eine<br />
öffentlichrechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art handeln. Dies ist der<br />
Fall, wenn die streitentscheidenden Normen öffentlich-rechtliche Normen sind. Als<br />
streitentscheidende Norm kommt grundsätzlich der in der streitgegenständlichen<br />
Verfügung genannte § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 BBodSchG in Betracht. Hierbei handelt<br />
es sich um eine öffentlich-rechtliche Norm.<br />
Hinweis 1:<br />
Setzen Sie in der Klausur die richtigen Schwerpunkte. Der vorliegende Fall gibt<br />
keinerlei Anlass, vertiefende Ausführungen über den Verwaltungsrechtsweg<br />
darzustellen. Zwar „verführt“ der Umstand, dass praktisch jeder Fall aus dem<br />
Verwaltungsrecht den Prüfungspunkt „Verwaltungsrechtsweg“ oder „Klage-/<br />
Antragsbefugnis“ aufweist dazu, zwischenzeitlich ausgetragene<br />
Theorienstreitigkeiten „abzuspulen“. Die wenigsten Klausuren werden aber gerade<br />
an diesen Stellen Probleme aufweisen. Entsprechend werden Sie für eine<br />
ausführliche Darstellung an dieser Stelle keinerlei Punkte ernten.<br />
Beachten Sie aber auch, dass es durchaus Fallkonstellationen gibt, bei denen der<br />
Verwaltungsrechtsweg problematisiert werden muss, z.B. bei der Frage von<br />
Ansprüchen aus (öffentlich-rechtlichen) Verträgen, Geltendmachung von<br />
Schadenersatzansprüchen, Vorgehen gegen ein behördliches Hausverbot etc..<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
2. Rechtsschutzform<br />
Wie in den Vorüberlegungen ausgeführt, kommt vorliegend nur ein vorläufiger<br />
Rechtsschutz in Betracht. Entsprechend ist hier die Frage des statthaften Eilantrages<br />
zu klären. Die VwGO kennt zwei Formen des vorläufigen Rechtsschutzes:<br />
vorläufiger Rechtsschutz in der VwGO<br />
§§ 80, 80a VwGO § 123<br />
die aufschiebende Wirkung die einstweilige Anordnung<br />
§ 123 Abs. 5 VwGO regelt die Abgrenzung zwischen beiden vorläufigen<br />
Rechtsschutzformen. Danach gehen die §§ 80, 80a VwGO vor; § 123 VwGO ist<br />
subsidiär. Entscheidend für die Anwendung der §§ 80, 80a VwGO ist das Vorliegen<br />
eines VA. Als „Faustformel“ gilt: §§ 80, 80a VwGO finden Anwendung, wenn das<br />
jeweilige Hauptsacheverfahren eine Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1 Var. VwGO); §<br />
123 VwGO, wenn das jeweilige Hauptsacheverfahren eine Verpflichtungs- oder<br />
Leistungsklage (§ 42 Abs. 1, 2. Var. VwGO) ist.<br />
Hinweis 2:<br />
Beachten Sie bitte, dass die Frage nach dem Hauptsacheverfahren lediglich eine<br />
„Faustformel“ darstellt. Bei den „Problemfällen“ des vorläufigen Rechtsschutzes ist<br />
jedoch eine eingehende Prüfung erforderlich.<br />
Als Beispiel sei die beamtenrechtliche Konkurrentenklage genannt, bei der ein<br />
Mitbewerber gegen die (bevorstehende) Stellenbesetzung durch einen<br />
Konkurrenten vorgehen will. Wie bei jeder Konkurrentenklage wäre eigentlich als<br />
Hauptsacheklage eine Anfechtungsklage gegen die erfolgte Ernennung denkbar.<br />
Dies wird jedoch durch die beamtenrechtlichen Grundsätze verhindert. Die<br />
Besetzung des Mitbewerbers in die ausgeschriebene Planstelle kann nicht<br />
rückgängig gemacht werden (vgl. BVerfG Beschluss vom 09.03.1989, DVBl 1989,<br />
1150). Entsprechend muss der klagende Mitbewerber um die Beamtenstelle vor<br />
der Ernennung Rechtsschutz im Eilverfahren suchen. Da in diesem Fall aber (noch)<br />
kein (Ernennungs-) VA vorliegt, ist hier § 123 VwGO die richtige Rechtsschutzform.<br />
„Problemfälle“ des vorläufigen Rechtsschutzes gibt es insbesondere auch beim<br />
Ausländerrecht (vgl. z.B. VGH Ba-Wü Beschluss vom 14.11.1994, NVwZ-RR 1995,<br />
295).<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
Hier wendet sich der A gegen den VA vom 25.05.2001, gegen den er sich in einem<br />
Hauptsacheverfahren mit einer Anfechtungsklage wehren müsste. Damit ist § 80<br />
VwGO einschlägig. Hinsichtlich der aufschiebenden Wirkung in der gerichtlichen<br />
Prüfung kennt § 80 Abs. 5 VwGO zwei Varianten:<br />
§ 80 Abs. 5 VwGO<br />
§ 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Var. VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Var. VwGO<br />
Erstmalige Anordnung Wiederherstellung<br />
der aufschiebenden Wirkung der aufschiebenden Wirkung<br />
§ 80 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 1 – 3 § 80 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 4<br />
Vorliegend wurde die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse angeordnet, so<br />
dass § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Var. VwGO einschlägig ist. Entsprechend ist weiter zu<br />
prüfen, ob die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen ist.<br />
II. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen<br />
1. Einlegung des Hauptsacherechtsmittels erforderlich?<br />
Nach wohl überwiegender Ansicht muss vor (oder spätestens zeitgleich mit) dem<br />
eingelegten Eilantrag gemäß §§ 80, 80a VwGO der jeweilige Hauptsacherechtsbehelf<br />
[Widerspruch oder (soweit ein solcher nicht erforderlich ist, § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO)<br />
Klage] eingelegt werden.<br />
Begründung: Es muss ein Hauptsacherechtsbehelf in der Welt sein, an den die vom<br />
Antragsteller angestrebte aufschiebende Wirkung gleichsam „angeknüpft“ werden<br />
kann (str., nach a.A. bedeutet es eine mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbarende<br />
faktische Verkürzung der Hauptsacherechtsbehelfsfristen, wenn zwingend der<br />
Hauptsacherechtsbehelf vor oder bei Stellung des Eilantrages eingelegt werden muss).<br />
Folgt man der erstgenannten Ansicht, bedeutet dies für Rechtsanwalt R, dass er<br />
neben dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
Abs. 5 Satz 1, 2. Var. VwGO vorliegend auch Widerspruch gegen die Verfügung vom<br />
25.05.2001 einlegen muss.<br />
Hinweis 3:<br />
Ein gestellter Eilantrag hat keinerlei Einfluss auf die laufenden (Hauptsache-)<br />
Rechtsbehelfsfristen. [Dies ist eine typische Einschränkung des vorläufigen<br />
Rechtsschutzes und gilt z.B. auch im Zivilrecht bei Arrest und Einstweiliger<br />
Verfügung (§§ 916, 935 ZPO) hinsichtlich der zivilrechtlichen Verjährungsfristen,<br />
auch diese bleiben beim zivilrechtlichen Eilverfahren unberührt.] Auch aus diesem<br />
Grund muss R rechtzeitig Widerspruch einlegen. Ist der streitgegenständliche VA<br />
bestandskräftig geworden, entfällt auch für das Eilverfahren das<br />
Rechtsschutzbedürfnis, vgl. auch § 80b VwGO.<br />
Beachten Sie bitte, dass sich das Erfordernis der Einlegung des einschlägigen<br />
Hauptsacherechtsmittels bei den §§ 80, 80a VwGO auch im zu stellenden Antrag (s.<br />
u.) und gerichtlichen Entscheidungstenor niederschlägt.<br />
Hinweis: Bei § 123 VwGO geht die überwiegende Auffassung davon aus, dass hier<br />
die vorherige Einlegung eines Widerspruchs für den Erlass einer einstweiligen<br />
Anordnung nicht erforderlich ist. Bei § 123 VwGO bedarf es keines<br />
„Anknüpfungspunktes“ für die zu treffende vorläufige Regelung. Beachten Sie aber<br />
auch insoweit, dass das Rechtsschutzbedürfnis entfallen kann, wenn dem<br />
Begehren des Antragstellers ein bestandskräftiger Ablehnungsbescheid<br />
entgegensteht.<br />
2. Antragsbefugnis<br />
Der Wortlaut von § 42 Abs. 2 VwGO normiert das Erfordernis der Geltendmachung<br />
einer möglichen subjektiven Rechtsverletzung nur für die Anfechtungs- und<br />
Verpflichtungsklage. Berücksichtigt man, dass ein Eilverfahren nur der Sicherung des<br />
Hauptsacheanspruches dient, ist kein Grund ersichtlich, warum die Antragsbefugnis<br />
des Eilverfahrens weiter sein sollte, als die Klagebefugnis des jeweiligen<br />
Hauptsacheverfahrens. Entsprechend muss gemäß § 42 Abs. 2 VwGO auch der<br />
Antragsteller die Möglichkeit einer Rechtsverletzung in einem subjektiven öffentlichen<br />
Recht dartun. Als (möglicher) Adressat eines belastenden VA ist der A antragsbefugt.<br />
Ihm droht die zwangsweise Durchsetzung der gegen V ergangenen Verfügung nach<br />
den Grundsätzen der Rechtsnachfolge bei Zustandsverantwortlichkeit.<br />
Hinweis 4:<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
Auch hier besteht keinerlei Anlass, einen Theorienstreit über die Antrags- /<br />
Klagebefugnis darzustellen (s. Hinweis 1). Allenfalls kann man die Besonderheit<br />
problematisieren, dass der A nicht unmittelbarer Adressat der Verfügung vom<br />
25.05.2001 ist. Jedoch droht ihm die Inanspruchnahme auf der Grundlage des<br />
ergangenen VA´s nach den Grundsätzen der Rechtsnachfolge bei<br />
Zustandsverantwortlichkeit. Dies reicht für eine mögliche eigene Rechtsverletzung i.<br />
S. von § 42 Abs. 2 VwGO (analog) aus. Stellt man zu hohe Anforderungen bei den<br />
Voraussetzungen von § 42 Abs. 2 VwGO (analog), so besteht die Gefahr, dass<br />
man die Klausur vollständig am Prüfungspunkt Antrags- / Klagebefugnis löst bzw.<br />
lösen muss.<br />
3. Antragsfrist?<br />
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nicht fristgebunden. Beachten Sie aber, dass<br />
die Fristen für Widerspruch und Klage vom Eilantrag unberührt bleiben (s. Hinweis 3).<br />
4. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis<br />
Hier ist zu prüfen, ob der Antagsteller zunächst um Vollstreckungsschutz bei der<br />
Behörde nachsuchen muss, bevor er gerichtlichen Vollstreckungsschutz beantragen<br />
kann. § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO trifft eine entsprechende Regelung ausdrücklich für<br />
den – hier nicht vorliegenden – Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 1 VwGO (öffentliche<br />
Abgaben und Kosten), für Ziffer 2 bis 4 fehlt eine gesetzliche Regelung. Fraglich ist,<br />
ob insoweit eine analoge Anwendung von § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO in Betracht<br />
kommt.<br />
Voraussetzungen für eine Analogie sind:<br />
a) eine ungewollte Gesetzeslücke und<br />
b) eine vergleichbare Sachlage zwischen geregeltem und ungeregeltem<br />
Fall.<br />
Vorliegend fehlt es bereits an einer ungewollten Gesetzeslücke. Man wird dem<br />
Gesetzgeber nicht unterstellen können, er habe in ein und derselben Norm die<br />
Antragsvoraussetzungen für § 80 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 1 VwGO vollständig geregelt<br />
und für Ziffer 2 bis 4 vergessen. Entsprechend ist davon auszugehen, dass der<br />
Gesetzgeber ausschließlich für öffentliche Abgaben und Kosten gemäß § 80 Abs. 2<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
Ziffer 1 VwGO einen vorherigen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der<br />
zuständigen Behörde normieren wollte.<br />
Darüber hinaus ist auch die Sachlage zwischen § 80 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 1 VwGO und<br />
Ziffer 4 nicht vergleichbar. Für öffentliche Abgaben und Kosten ordnet § 80 Abs. 2<br />
Satz 1 Ziffer 1 VwGO generell das Entfallen der aufschiebenden Wirkung an. Eine<br />
Prüfung durch die zuständige Behörde erfolgt hier nicht. Anders bei der Anordnung<br />
des Sofortvollzuges gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 4 VwGO: Hier hat die Behörde<br />
vorab selbst geprüft, ob sie die aufschiebende Wirkung entfallen lassen will. Eine<br />
„Zweitprüfung“ durch die erlassende Behörde im Rahmen eines Antrages auf<br />
Aussetzung der Vollziehung i.S. von § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ist nicht mehr geboten.<br />
Folglich kann der Antragsteller im vorliegenden Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 4<br />
VwGO sogleich Eilantrag beim zuständigen <strong>Verwaltungsgericht</strong> stellen.<br />
5. Zuständiges <strong>Verwaltungsgericht</strong><br />
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist<br />
bei noch nicht anhängiger Hauptsache das Gericht, das für die Hauptsache künftig<br />
zuständig wäre. Aus gegebenem Anlass ist dies hier das <strong>Verwaltungsgericht</strong><br />
<strong>Sigmaringen</strong>.<br />
B. Begründetheit eines Eilantrages<br />
I. Passivlegitimation<br />
In Ermangelung einer anderweitigen Regelung ist für die Frage des richtigen<br />
Antragsgegners § 78 Abs. 1 Ziffer 1 VwGO analog maßgeblich. Entsprechend ist richtiger<br />
Antragsgegner die Stadt S.<br />
Hinweis 5:<br />
Bitte beachten Sie, dass das Land Baden-Württemberg von der<br />
Ermächtigungsgrundlage in § 78 Abs. 1 Ziffer 2 VwGO keinen Gebrauch gemacht hat.<br />
II. Prüfungsmaßstab<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
§ 80 Abs. 5 VwGO nennt keinen Prüfungsmaßstab für die Wiederherstellung der<br />
aufschiebenden Wirkung im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 4 VwGO. Der<br />
Prüfungsmaßstab des Hauptsacheverfahrens, der in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO geregelt<br />
ist, kann nicht ohne weiteres auf das Eilverfahren übertragen werden. § 80 Abs. 4 Satz 3<br />
VwGO normiert den behördlichen Prüfungsmaßstab für das Aussetzen der Vollziehung bei<br />
öffentlichen Abgaben und Kosten i.S. von § 80 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 1 VwGO. Auch hier gilt,<br />
dass der Gesetzgeber bewusst für öffentliche Abgaben und Kosten eine Sonderregelung<br />
getroffen hat. Mit der getroffenen Regelung wird den fiskalischen Interessen des Staates<br />
Rechnung getragen. Damit ist auch dieser Maßstab nicht auf den Fall des § 80 Abs. 2 Satz<br />
1 Ziffer 4 VwGO übertragbar. Es ist daher angebracht, im Rahmen der Begründetheit eines<br />
Eilantrages zunächst Ausführungen über den einschlägigen Prüfungsmaßstab zu machen:<br />
Bei der Entscheidung über die Frage der Anordnung bzw. Wiederherstellung der<br />
aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfes ist durch das Gericht eine eigene<br />
Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei sind die privaten Interessen des Antragstellers<br />
an der Verschonung vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zur rechtskräftigen<br />
Entscheidung über das eingelegte Rechtsmittel und das Interesse der Allgemeinheit am<br />
sofortigen Vollzug gegeneinander abzuwägen. Deshalb sind die Erfolgsaussichten des<br />
Rechtsbehelfes, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll, ein<br />
wesentliches Kriterium. Erweist sich der Rechtsbehelf als wahrscheinlich erfolgreich, so<br />
wird auch dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz in der Regel zu entsprechen sein.<br />
Erweist sich der Rechtsbehelf demgegenüber als wahrscheinlich aussichtslos, so muss das<br />
Gericht im Falle der drohenden Vollziehung der Untersuchungsanordnung darüber hinaus<br />
sachlich prüfen, ob ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug besteht. Dies<br />
wäre vorliegend dann der Fall, wenn die begründete Besorgnis besteht, dass sich die von<br />
der Boden- oder Grundwasserverunreinigung ausgehende Gefahr vor Abschluss des<br />
Hauptsacheverfahrens realisieren könnte.<br />
Hinweis 6:<br />
Bei Eilanträgen, die gegen öffentliche Abgaben und Kosten i.S. von § 80 Abs. 2 Satz 1<br />
Ziffer 1 VwGO gerichtet sind, richtet sich auch der gerichtliche Prüfungsmaßstab nach<br />
den Voraussetzungen von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO.<br />
III. Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
Das künftige Hauptsacheverfahren hat Aussichten auf Erfolg, wenn die angefochtene<br />
Verfügung vom 25.05.2001 formell oder materiell rechtswidrig und der Antragsteller<br />
dadurch in seinen Rechten verletzt ist (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).<br />
Es besteht vorliegend die Besonderheit, dass der streitgegenständliche VA formell nicht<br />
gegen den Antragsteller A, sondern gegen dessen Vater V erlassen wurde. Bevor jedoch<br />
die Frage der Rechtsnachfolge in die Verfügung vom 25.05.2001 zu klären ist, ist die<br />
Verfügung auf ihre grundsätzliche Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. War die Verfügung<br />
von Anfang an bereits gegenüber dem V rechtswidrig, so wird sie grundsätzlich auch durch<br />
einen etwaigen Rechtsübergang nicht rechtmäßig.<br />
Die Verfügung vom 25.05.2001 wird auf § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 BBodSchG gestützt.<br />
Entsprechend ist zunächst die Rechtmäßigkeit der Verfügung nach dieser<br />
Ermächtigungsgrundlage zu prüfen.<br />
1. Formelle Rechtmäßigkeit der Verfügung vom 25.05.2001<br />
a) Zuständigkeit<br />
Hier ist zu prüfen, ob der B für die Anwendung des BBodSchG überhaupt sachlich<br />
zuständig war. Das BBodSchG selbst enthält keine Zuständigkeitsregelung. Diese<br />
findet sich für Baden-Württemberg in einer Zuständigkeitsverordnung vom 12.04.1999<br />
(Nr. 124a im Dürig). Danach sind in Baden-Württemberg für schädliche<br />
Bodenveränderungen und Verdachtsflächen gemäß § 2 Abs. 3 und Abs. 4 BBodSchG<br />
die bestehenden Bodenschutzbehörden nach § 20 Abs. 1 bis 3 (Landes-) BodSchG<br />
(Nr. 124 im Dürig) verantwortlich. Für Altlasten und altlastverdächtige Flächen gemäß<br />
§ 2 Abs. 5 und Abs. 6 BBodSchG richtet sich die Zuständigkeit nach § 95 Abs. 1 bis 3<br />
und § 96 Abs. 1 Wassergesetz (WG) .<br />
Vorliegend dürfte wegen der zuvor auf dem streitgegenständlichen Grundstück<br />
betriebenen chemischen Reinigung ein Altstandort gemäß § 2 Abs. 5 Ziffer 2<br />
BBodSchG gegeben sein. Damit richtet sich die Frage der Zuständigkeit nach § 95<br />
Abs. 1 bis 3 und § 96 Abs. 1 WG. Entsprechend der einschlägigen Regelung im<br />
Wassergesetz sind grundsätzlich die unteren Wasserbehörden und damit die unteren<br />
Verwaltungsbehörden zuständig, §§ 96 Abs. 1, 95 Abs. 2 Ziffer 3 WG. Wer untere<br />
Verwaltungsbehörde ist, ergibt sich aus § 13 LVG.<br />
Der Sachverhalt lässt offen, ob es sich bei der Stadt S um einen Stadtkreis handelt,<br />
der unter § 13 Abs. 1 Ziffer 2 LVG fällt. In diesem Fall wäre Bürgermeister B gemäß §<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
13 Abs. 3 LVG zuständig. Hiergegen spricht jedoch die im Sachverhalt gewählte<br />
Bezeichnung „Bürgermeister“, denn gemäß § 42 Abs. 4 GemO führt der Bürgermeister<br />
in Stadtkreisen und Großen Kreisstädten die Amtsbezeichnung Oberbürgermeister.<br />
Unterstellt man, B sei nicht Oberbürgermeister, so wäre das Landratsamt originär für<br />
Maßnahmen nach dem BBodSchG zuständig. In diesem Fall wäre an eine<br />
Eilkompetenz des Bürgermeisters zu denken. In Betracht kommen grundsätzlich die<br />
Eilzuständigkeiten nach Polizeigesetz (PolG). Das Polizeigesetz kennt - neben der<br />
Eilkompetenz des Polizeivollzugsdienstes nach § 60 Abs. 2 PolG - zwei weitere<br />
Formen der Eilzuständigkeit in § 2 Abs. 1 PolG und in § 67 Abs. 2 PolG.<br />
§ 2 Abs. 1 PolG regelt die Wahrnehmung einer polizeilichen Aufgabe für eine andere<br />
Stelle. Fraglich ist, was unter einer „anderen Stelle“ i.S. dieser Regelung zu verstehen<br />
ist. Nach h.M. fallen unter „andere Stellen“ Behörden, die gerade nicht als allgemeine<br />
oder besondere Polizeibehörden präventivpolizeiliche Aufgaben wahrnehmen. Da die<br />
Wasserbehörde aber polizeiliche Aufgaben wahrnimmt, kann sie nach h.M. keine<br />
andere Stelle i.S. von § 2 Abs. 1 PolG sein.<br />
Zu prüfen ist weiter, ob Bürgermeister B für eine übergeordnete Polizeibehörde i.S.<br />
von § 67 Abs. 2 PolG tätig geworden ist. Da hier das Landratsamt untere<br />
Wasserbehörde ist, besteht vorliegend kein Verhältnis der Über- / Unterordnung<br />
zwischen Landratsamt und unterer Polizeibehörde.<br />
Die überwiegende Auffassung löst das vorstehend dargestellte Kompetenzproblem<br />
durch eine analoge Anwendung von § 2 Abs. 1 PolG, um diese Regelungslücke zu<br />
schließen. Zutreffend verweisen die Vertreter dieser Auffassung darauf, dass<br />
andernfalls zwar der Polizeivollzugsdienst gemäß seiner Eilkompetenz nach § 60 Abs.<br />
2 PolG in Fällen dieser Art rechtmäßig handeln könnte, nicht jedoch die<br />
Polizeibehörde (vgl. Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-<br />
Württemberg, 4. Auflage 1999, Rn. 129).<br />
Folgt man dieser Auffassung, ist die (Eil-) Zuständigkeit zu bejahen.<br />
b) Verfahren<br />
Insoweit wirft der Sachverhalt keine Bedenken auf. Insbesondere wurde die nach § 28<br />
LVwVfG erforderliche Anhörung durchgeführt.<br />
c) Form<br />
Auch hier bestehen keine Bedenken; der schriftliche Verwaltungsakt ist schriftlich<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
begründet worden, § 39 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG. Auch die maßgeblichen Erwägungen<br />
werden genannt.<br />
2. Materielle Rechtmäßigkeit der Verfügung vom 25.01.2001<br />
a) Richtige Ermächtigungsgrundlage<br />
Fraglich ist, ob § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 BBodSchG die richtige<br />
Ermächtigungsgrundlage für die angeordnete Bodenluftuntersuchung darstellt. Dies<br />
wäre dann der Fall, wenn das BBodSchG zumindest auch dem unmittelbaren<br />
Gesundheitsschutz von Menschen durch Umweltgifte dienen würde. Die<br />
Zweckbestimmung des BBodSchG findet sich in § 1 BBodSchG:<br />
Hinweis 7:<br />
„Zweck und Grundsätze des Gesetzes.<br />
Zweck dieses Gesetzes ist es, nachhaltig die Funktion des Bodens zu sichern oder<br />
wiederherzustellen. Hierzu sind schädliche Bodenveränderungen abzuwehren, der<br />
Boden und Altlasten sowie hierdurch verursachte Gewässerverunreinigungen zu<br />
sanieren und Vorsorge gegen nachteilige Einwirkungen auf den Boden zu treffen. Bei<br />
Einwirkungen auf den Boden sollen Beeinträchtigungen seiner natürlichen Funktionen<br />
sowie seiner Funktion als Archiv der Natur- und Kulturgeschichte so weit wie möglich<br />
vermieden werden.“<br />
In jüngeren Gesetzen findet man immer öfter ausdrückliche Zweckbestimmungen.<br />
Fehlen diese, muss aus einer Gesamtschau der im jeweiligen Gesetz normierten<br />
Regelungen der Gesetzeszweck ermittelt werden.<br />
Gemessen an diesem Gesetzeszweck, wird die Verfügung vom 25.05.2001 nicht vom<br />
BBodSchG getragen. Schutzgut des BBodSchG ist ausschließlich der Boden. Die<br />
angeordnete Bodenluftuntersuchung dient aber weder dem Schutz des Bodens noch<br />
soll damit eine Bodensanierung vorbereitet werden. Schutzrichtung der<br />
streitgegenständlichen Anordnung ist das Leben und die Gesundheit von Kunden und<br />
Mitarbeitern. Entsprechend ist nach einer anderen Ermächtigungsgrundlage zu<br />
suchen. Dabei gilt die folgende Reihenfolge:<br />
1. andere polizeirechtliche Spezialermächtigungen in einem Bundesgesetz<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
2. andere polizeirechtliche Spezialermächtigungen in einem Landesgesetz<br />
3. polizeiliche Standardmaßnahmen nach dem PolG<br />
4. die polizeiliche Generalklausel, §§ 1, 3 PolG<br />
In Ermangelung anderweitiger Ermächtigungsgrundlagen in bundes- oder<br />
landesrechtlichen Spezialgesetzen oder einer der polizeilichen Standardmaßnahmen,<br />
bleibt vorliegend nur die polizeiliche Generalklausel, §§ 1, 3 PolG.<br />
Vor der Beantwortung der Frage, welche Auswirkungen ein möglicher Austausch der<br />
Rechtsgrundlage hat, ist zunächst zu prüfen, ob die streitgegenständliche Verfügung<br />
vom 25.05.2001 rechtmäßig wäre, wenn sie von Anfang an auf §§ 1, 3 PolG gestützt<br />
worden wäre. Kommt man bei Anwendung von §§ 1, 3 PolG zur Rechtswidrigkeit der<br />
Verfügung, erübrigt sich die weitere Prüfung.<br />
1. Formelle Rechtmäßigkeit der Verfügung bei Anwendung von §§ 1, 3 PolG<br />
a) Zuständigkeit<br />
Bei Anwendung von §§ 1, 3 PolG ist Bürgermeister B originär sachlich zuständig, vgl.<br />
§§ 66 Abs. 2, 62 Abs. 4 Satz 1 und 2 PolG, § 44 Abs. 3 GemO. Auch hinsichtlich der<br />
örtlichen Zuständigkeit gemäß § 68 Abs. 1 PolG bestehen keine Bedenken.<br />
b) Verfahren<br />
Hinsichtlich des Verfahrens kann nach oben verwiesen werden. Hier ergeben sich<br />
keine Änderungen.<br />
c) Form<br />
Auch bei der Form ergibt sich keine Änderung. Insbesondere wird die Verfügung nicht<br />
dadurch formal rechtswidrig, weil eine nicht einschlägige Ermächtigungsgrundlage<br />
genannt wird, vgl. insoweit insbesondere auch § 46 LVwVfG.<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
2. Materielle Rechtmäßigkeit der Verfügung bei Anwendung von §§ 1, 3 PolG<br />
a) Richtige Ermächtigungsgrundlage<br />
Insoweit bestehen gegen die Generalklausel des PolG keine Bedenken. Diese<br />
umfasst als Auffangnorm gerade auch den Schutz von Leben und Gesundheit von<br />
Menschen.<br />
b) Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage<br />
aa) einschlägiges Schutzgut<br />
Vorliegend kommt eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit i.S. von §<br />
1 Abs. 1 Satz 1 PolG in Betracht. Die öffentliche Sicherheit umfasst auch<br />
subjektive Rechte und Rechtsgüter. Hierunter fallen insbesondere die<br />
Individualrechtsgüter Leben und Gesundheit. Diese sind hier durch die<br />
gefundenen Umweltgifte tangiert.<br />
bb) Bestehen einer Gefahr<br />
Eine Gefahr für das betroffene Schutzgut liegt vor, wenn ein Zustand gegeben<br />
ist, der bei ungehindertem Ablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu<br />
einem Schaden für das Schutzgut führt. Für die Gefahrenbeurteilung kommt es<br />
hier immer auf die Sicht ex ante an.<br />
Im gegebenen Sachverhalt besteht die Besonderheit, dass eine endgültige<br />
Prognose der Gefahr für das Schutzgut, also für Leib und Leben der Kunden<br />
und Mitarbeiter des Ladens, noch nicht abschließend gegeben werden kann.<br />
Insoweit besteht nur ein Gefahrverdacht. Dies wirkt sich beschränkend auf das<br />
Auswahlermessen auf der Rechtsfolgenseite aus. Insoweit kommen nur<br />
Gefahrerforschungsmaßnahmen in Betracht, soweit nicht mit schweren<br />
Beeinträchtigungen für das Schutzgut gerechnet werden muss (z.B. schwere<br />
oder dauerhafte Gesundheitsschäden).<br />
c) Rechtsfolge der Ermächtigungsgrundlage: Ermessen<br />
aa) Entschließungsermessen (ob)<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
Hinweis 8:<br />
Beachten Sie, dass bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von<br />
§§ 1, 3 PolG das Entschließungsermessen zu Gunsten des Einschreitens –<br />
also die Frage des „ob“ eines polizeilichen Einschreitens – grundsätzlich nicht<br />
fehlerhaft ist. Entsprechend sind hier keine vertiefenden Ausführungen zu<br />
machen.<br />
Vertiefende Ausführungen zum Entschließungsermessen sind erforderlich, soweit es<br />
um die Frage eines individuellen Anspruches auf polizeiliches Einschreiten – mithin<br />
um eine Ermessensreduzierung auf Null – geht.<br />
bb) Auswahlermessen (wie)<br />
Das Auswahlermessen umfasst das Mittel des Eingriffs (1) und die Adressatenbzw.<br />
Störerauswahl (2).<br />
1. Das Mittel: Gefahrerforschungsanordnung<br />
1.1. Nachdem auf dem Ladengelände des A die<br />
einschlägigen Grenzwerte für gesundheitsgefährdende<br />
Umweltgifte sicher überschritten sind, waren weitere<br />
Untersuchungen des bestehenden Risikos für Kunden<br />
und Mitarbeiter des Ladens erforderlich.<br />
1.2. Die angeordnete Bodenluftuntersuchung ist auch<br />
geeignet, um das Bestehen eines Gesundheitsrisikos<br />
endgültig abschätzen zu können.<br />
1.3. Die getroffene Anordnung ist auch<br />
verhältnismäßig im engeren Sinne. Ein milderes Mittel<br />
als die weitere Gefahruntersuchung ist nicht erkennbar.<br />
Die Ladenschließung bis zur endgültigen<br />
Sachverhaltsaufklärung würde den A bzw. V stärker<br />
beeinträchtigen als der angeordnete<br />
Gefahrerforschungseingriff.<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
2. Die Störerauswahl<br />
Der V ist als Zustandsstörer gemäß § 7 PolG in Anspruch genommen<br />
worden. Die Tatbestandsvoraussetzungen von § 7 PolG liegen vor,<br />
fraglich ist jedoch, ob es eine Beschränkung der Zustandsstörerhaftung<br />
gibt.<br />
In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, der<br />
Zustandsstörer hafte nur subsidiär, vorrangig sei der Verhaltensstörer<br />
heranzuziehen. Als Argument für diese Auffassung kann man die<br />
systematische Stellung der Verhaltensstörerregelung in § 6 PolG vor<br />
der Regelung der Zustandsstörerhaftung in § 7 PolG anführen. Letztlich<br />
spricht aber der eindeutig offene Wortlaut von § 6 und § 7 PolG gegen<br />
ein derartiges Stufenverhältnis der Haftung.<br />
Eine andere Auffassung spricht sich zwar für eine grundsätzliche<br />
Haftung (auch) des Zustandsstörers aus, plädiert aber bei ihm für eine<br />
Kostentragungspflicht zulasten der Allgemeinheit. Auch diese<br />
Auffassung lässt sich nicht am Wortlaut des Polizeigesetzes verankern.<br />
Die Rechtsprechung kennt keinen Vorrang des Verhaltensstörers vor<br />
dem Zustandsstörer. Maßgeblich ist allein die Effektivität der<br />
Gefahrenabwehr. Diese Auffassung deckt sich mit dem offenen<br />
Wortlaut des Gesetzes und entspricht dem Sinn und Zweck der<br />
einschlägigen Normen des Gefahrenabwehrrechts. Die Frage der<br />
späteren Kostentragung und des Kostenausgleiches zwischen den<br />
Verantwortlichen ist für die Gefahrenabwehr nachrangig.<br />
Nachdem der Aufenthalt des vermeintlichen Verhaltensstörers E in<br />
absehbarer Zeit nicht zu ermitteln war, ist die Inanspruchnahme des A<br />
bzw. V als Eigentümer und Sachinhaber polizeirechtlich nicht zu<br />
beanstanden.<br />
cc) Grenze der Zustandsstörerhaftung<br />
Lange Zeit war die Frage einer finanziellen Begrenzung der<br />
Zustandsstörerhaftung umstritten. Die frühere Rechtsprechung hat eine<br />
Begrenzung mit dem Argument verneint, dem Zustandsstörer stünden die<br />
Früchte aus dem Grundstück in unbegrenzter Höhe zur Verfügung, also müsse<br />
er auch die Risiken unbegrenzt tragen. Die Kritiker dieser Auffassung führten<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
verfassungsrechtliche Bedenken ins Feld. Die vorstehende Auffassung sei<br />
insbesondere mit der grundgesetzlich garantierten Privatnützigkeit des<br />
Eigentums unvereinbar. Es könne schlechterdings nicht sein, dass etwa z.B.<br />
ein unwissender Käufer in existenzgefährdendem Umfang mit seinem<br />
gesamten Vermögen für die ihm zuvor unbekannte Belastung seines<br />
Grundstücks einstehen müsse.<br />
Das BVerfG hat sich in seinem Beschluss vom 16.02.2000 - 1 BvR 242/91 -<br />
(NJW 2000, 2573) für eine Begrenzung der Zustandsstörerhaftung<br />
ausgesprochen. Die Kernpunkte der Entscheidung lassen sich mit folgenden<br />
Orientierungssätzen zusammenfassen:<br />
„1. Die angegriffenen Entscheidungen und die ihnen zugrunde liegenden Vorschriften über die<br />
Zustandsverantwortlichkeit als Verpflichtung des Eigentümers zur Gefahrenabwehr berühren<br />
den Schutzbereich des GG Art 14 Abs 1 S 1.<br />
1a. Zum Kernbereich der durch Privatnützigkeit und grundsätzlichen Verfügungsbefugnis<br />
gekennzeichneten Eigentumsgarantie vgl BVERFG, 1999-03-02, 1 BvL 7/91, BVERFGE 100,<br />
226 (241).<br />
Zur Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums vgl BVERFG, 1967-01-12, 1 BvR<br />
169/63, BVERFGE 21, 73 (83).<br />
1b. Die gesetzlichen Regelungen über die Zustandsverantwortlichkeit begründen in genereller<br />
und abstrakter Weise die Pflicht des Eigentümers, von seinem Grundstück ausgehende Gefahren<br />
für die Allgemeinheit zu beseitigen. Diese Vorschriften und die daran anknüpfenden Befugnisse<br />
der Behörden bestimmen somit in allgemeiner Form den Inhalt des Grundeigentums.<br />
1c. Bei der Inhalts- und Schrankenbestimmung der als Eigentum grundrechtlich geschützten<br />
Rechtspositionen hat der Gesetzgeber sowohl der grundgesetzlichen Anerkennung des<br />
Privateigentums durch GG Art 14 Abs 1 S 1 als auch der Sozialpflichtigkeit des Eigentums aus<br />
GG Art 14 Abs 2 Rechnung zu tragen und dabei die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten<br />
in einen gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen (vgl BVERFGE<br />
100, 226 (240)).<br />
2. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, die Vorschriften über die<br />
Zustandsverantwortlichkeit dahingehend auszulegen, dass der Eigentümer eines Grundstücks<br />
wegen seiner durch die Sachherrschaft vermittelten Einwirkungsmöglichkeit auf die<br />
gefahrenverursachende Sache verpflichtet werden kann, von dem Grundstück ausgehende<br />
Gefahren zu beseitigen, auch wenn er die Gefahrenlage weder verursacht noch verschuldet hat.<br />
3. Auch wenn die Zustandsverantwortlichkeit des Eigentümers als solche mit der Verfassung in<br />
Einklang steht, so kann sie aber im Ausmaß dessen, was dem Eigentümer zur Gefahrenabwehr<br />
abverlangt werden darf, begrenzt sein. Besondere Bedeutung hat hierbei der Grundsatz der<br />
Verhältnismäßigkeit.<br />
Die Belastung des Eigentümers mit den Kosten der Sanierungsmaßnahme ist nicht<br />
gerechtfertigt, soweit sie dem Eigentümer nicht zumutbar ist.<br />
3a. Zur Bestimmung der Grenze dessen, was einem Eigentümer an Belastungen zugemutet<br />
werden darf, kann als Anhaltspunkt der Verkehrswert des Grundstücks nach Durchführung der<br />
Sanierung dienen.<br />
3b. Eine die Grenzen überschreitende Belastung kann insbesondere dann unzumutbar sein,<br />
wenn die Gefahr, die von dem Grundstück ausgeht, aus Naturereignissen, aus der Allgemeinheit<br />
zuzurechnenden Ursachen oder von nicht nutzungsberechtigten Dritten herrührt. In diesen<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
Fällen darf die Sanierungsverantwortlichkeit nicht unbegrenzt dem alle Sicherungspflichten<br />
einhaltenden Eigentümer zur Last fallen.<br />
3c. Die Belastung des Zustandsverantwortlichen mit Sanierungskosten bis zur Höhe des<br />
Verkehrswertes kann ferner in Fällen unzumutbar sein, in denen das zu sanierende Grundstück<br />
den wesentlichen Teil des Vermögens des Pflichtigen bildet und die Grundlage seiner privaten<br />
Lebensführung einschließlich seiner Familie darstellt.<br />
3d. Eine Kostenbelastung, die den Verkehrswert des sanierten Grundstücks übersteigt, kann<br />
allerdings zumutbar sein, wenn der Eigentümer das Risiko der entstandenen Gefahr bewusst in<br />
Kauf genommen oder in fahrlässiger Weise die Augen vor Risikoumständen verschlossen hat.<br />
Denn das freiwillig übernommene Risiko mindert die Schutzwürdigkeit des Eigentümers.<br />
3e. In Fällen, in denen eine Kostenbelastung über den Verkehrswert hinaus an sich zumutbar ist,<br />
kann sie nicht auf die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Eigentümers bezogen<br />
werden. Dem Eigentümer ist nicht zumutbar, unbegrenzt für die Sanierung einzustehen, das<br />
heißt auch mit Vermögen, das in keinem rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit<br />
dem sanierungsbedürftigen Grundstück steht.<br />
4. Hier: Verletzung von GG Art 14 Abs 1 S 1 wegen fehlender Feststellungen zum Verhältnis<br />
von Sanierungskosten und Grundstückswert und undifferenzierter Ablehnung jeder Begrenzung<br />
der Kostentragungspflicht bei Erwerb des Grundstücks in "fahrlässiger" Unkenntnis des<br />
Risikos.“<br />
Berücksichtigt man im vorliegenden Fall, dass dem V bei Erwerb des<br />
streitgegenständlichen Grundstücks bekannt war, dass es möglicherweise<br />
belastet ist, so haftet er unter Anwendung von Ziffer 3d der vorstehend zitierten<br />
Orientierungssätze unbeschränkt.<br />
Nimmt man ferner als Obergrenze für die Zustandsstörerhaftung den Kaufwert<br />
des Grundstücks aus dem Jahre 1989 in Höhe von 150.000,00 DM, so liegen<br />
die veranschlagten Kosten für die Bodenluftuntersuchung in Höhe von<br />
10.000,00 DM deutlich unter dem Grundstückswert.<br />
Folglich bestehen auch unter dem Gesichtspunkt einer verfassungsrechtlich<br />
gebotenen Haftungsgrenze der Zustandsstörerhaftung gegen den Bescheid<br />
vom 25.05.2001 keine Bedenken.<br />
3. Umdeutung der Verfügung vom 25.05.2001 gemäß § 47 LVwVfG (analog) oder Austausch<br />
der Rechtsgrundlage?<br />
Weiter ist zu prüfen, welche rechtlichen Auswirkungen die Benennung der falschen<br />
Rechtsgrundlage im Bescheid vom 25.05.2001 hat.<br />
Zu denken wäre an eine Umdeutung des VA gemäß § 47 LVwVfG (analog). Eine derartige<br />
Umdeutung durch das Gericht selbst ist nicht unumstritten. Das LVwVfG enthält keine<br />
Ermächtigungsgrundlage für das Gericht, sondern regelt Befugnisse der Verwaltung.<br />
Zusätzliche Probleme erhält man, je nachdem, welche Rechtsnatur man dem Umdeutungsakt<br />
zubilligt. Unterstellt man, der Umdeutungsakt sei selbst Verwaltungsakt, ist fraglich, woraus<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
das <strong>Verwaltungsgericht</strong> die Kompetenz zum Erlass eines derartigen Verwaltungsaktes<br />
ableiten will. Dennoch bejaht die h.M. die Umdeutungsbefugnis der Gerichte (vgl. etwa Kopp/<br />
Ramsauer, VwVfG, 7. Auflage 2000, § 47 Rn. 10 m.w.Nachw.; in der Vorauflage unter Rn. 17<br />
noch verneinend). Teilweise wird die Umdeutungsbefugnis des Gerichts auch aus § 140 BGB<br />
analog hergeleitet.<br />
Um zur Anwendung von § 47 Abs. 1 LVwVfG zu gelangen, müsste es sich bei der Verfügung<br />
vom 25.05.2001 um einen „fehlerhaften“ Verwaltungsakt i.S. der Vorschrift handeln. Nach h.<br />
M. handelt es sich jedoch nicht um einen fehlerhaften Verwaltungsakt i.S. von § 47 Abs.1<br />
LVwVfG wenn die Verfügung unverändert auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt werden<br />
kann. Nach dieser Auffassung ändert eine notwendige Umdeutung den betroffenen VA in<br />
seinem Entscheidungssatz oder gegebenenfalls auch in seinem Wesen. Beim schlichten<br />
Austausch der Rechtsgrundlage handelt es sich jedoch lediglich um einen Fall „schlichter<br />
Rechtsanwendung“ unter Berücksichtigung anderer Gründe, die den Verwaltungsakt stützen<br />
können (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn. 7 a.E.). In der Rechtsprechung bestehen auch<br />
keine Bedenken hinsichtlich eines Austausches der Rechtsgrundlage bei<br />
Ermessensentscheidungen, vgl. VGH Ba-Wü, Beschluss vom 15.05.1991 – 8 S 1068/91 –<br />
(NuR 1991, 434; UPR 1992, 32). In der zitierten Entscheidung führt der VGH im Leitsatz aus:<br />
„Wird eine Ermessensentscheidung der Behörde durch die angegebene Rechtsgrundlage nicht gedeckt, kann sie<br />
aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage rechtmäßig sein, wenn die beiden Vorschriften zugrundeliegenden<br />
Erwägungen übereinstimmen.“<br />
In den Gründen führt das Gericht a.a.O. weiter aus:<br />
„Dass die Antragsgegnerin ihre Entscheidung nicht ausdrücklich auf § 59 Abs. 9 S. 1 LBO gestützt hat, führt<br />
nicht zur Rechtswidrigkeit der Anordnung. Die <strong>Verwaltungsgericht</strong>e haben umfassend zu überprüfen, ob das<br />
materielle Recht die durch einen Verwaltungsakt getroffene Regelung trägt oder nicht. Hierzu gehört<br />
beispielsweise die Prüfung, ob ein angegriffener Verwaltungsakt kraft einer anderen als der angegebenen<br />
Rechtsgrundlage rechtmäßig ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.6.1989 -- 4 C 40.88 -- Buchholz 407.4 § 8 a FStrG und<br />
Urt. v. 3.6.1988 -- 8 C 144.86 -- Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 54). Dies ist hier der Fall. Die<br />
Antragsgegnerin hat ihre Anordnung auf das Vorliegen einer konkreten Gefahr für Leben und Gesundheit im<br />
Sinne von § 3 Abs. 1 LBO gestützt. Insofern unterscheidet sich diese Vorschrift nicht von § 59 Abs. 9 S. 1 LBO.<br />
Es handelt sich dabei um eine Ermessensentscheidung, die im vorliegenden Fall zu einer unterschiedlichen<br />
Beurteilung keine Veranlassung gibt. Insofern hat das <strong>Verwaltungsgericht</strong> zutreffend ausgeführt, dass die von der<br />
Behörde im Rahmen von § 49 Abs. 1 LBO und § 3 Abs. 1 LBO angestellten Erwägungen sich mit den im<br />
Rahmen von § 49 Abs. 1 LBO und § 59 Abs. 9 S. 1 LBO anzustellenden Erwägungen decken.“<br />
Die gleichen Erwägungen kommen auch vorliegend zum tragen. Die in § 9 Abs. 2 Satz 1 und<br />
2 BBodSchG normierte Ermächtigungsgrundlage für Gefahrerforschungseingriffe beim<br />
Schutzgut Boden hat ihre Wurzeln in den von der Rechtsprechung zu den Generalklauseln<br />
der Polizeigesetze der Länder entwickelten Grundsätzen für Gefahrenverdachtfälle. Diese<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
Grundsätze wurden vom Bundesgesetzgeber in dem noch jungen BBodSchG in<br />
Gesetzesform „gegossen“. Ebenso ist im BBodSchG die Zustandsstörerhaftung des<br />
Grundstückseigentümers ausdrücklich normiert, § 4 Abs. 2 BBodSchG. Insoweit sind im<br />
BBodSchG keine anderen Erwägungen maßgeblich als bei §§ 1, 3 PolG.<br />
Mithin handelt es sich vorliegend um einen schlichten Fall des Austausches der<br />
Ermächtigungsgrundlage. Damit ist auch insoweit keine Rechtswidrigkeit der Verfügung vom<br />
25.05.2001 gegeben.<br />
4. Die Rechtsnachfolge des A in die (Polizei-) Pflichtigkeit des V<br />
Hinsichtlich der Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens ist abschließend noch zu<br />
klären, ob der A die gegen V erlassene Verfügung gegen sich gelten lassen muss.<br />
Teilweise wird die Auffassung vertreten, eine grundstücksbezogene Verfügung – wie die<br />
vorliegende – habe dinglichen Charakter und hafte gleichsam an dem Grundstück. Diese<br />
Meinung differenziert nicht nach der Art der Rechtsnachfolge, sie bejaht die Polizeipflichtigkeit<br />
des Nachfolgers sowohl bei Gesamtrechtsnachfolge – z.B. Erbschaft – als auch bei<br />
Einzelrechtsnachfolge – z.B. Kauf.<br />
Die h.M. differenziert sowohl zwischen Verhaltens- und Zustandsstörer, als auch zwischen<br />
Gesamt- und Einzelrechtsnachfolge. Ferner wird weiter differenziert, ob dem Polizeipflichtigen<br />
mit der streitgegenständlichen Verfügung eine vertretbare Handlung oder eine<br />
höchstpersönliche Handlung abverlangt wird. Für eine differenzierte Betrachtung spricht<br />
gerade auch die vorstehend dargestellte verfassungsrechtliche Grenze der<br />
Zustandsstörerhaftung, da zumindest bei der Einzelrechtsnachfolge in die noch nicht durch<br />
eine Verfügung konkretisierte Zustandsstörerhaftung individuelle Umstände wie Kenntnis des<br />
Rechtsnachfolgers von den Grundstücksbelastungen und Bedeutung des Grundstücks für<br />
sein Einkommen mit berücksichtigt werden müssen. Bei Fallkonstellationen, in denen die<br />
Polizeipflichtigkeit des Zustandsstörers bereits durch eine erlassene Verfügung konkretisiert<br />
ist, ist es gut vertretbar, zu argumentieren, dass aus Gründen effektiver Gefahrenabwehr<br />
individuelle Gründe einer Haftungsbegrenzung des Erwerbers zurücktreten müssen.<br />
Bei einer Gesamtrechtsnachfolge in die Zustandsstörerhaftung bejaht die h.M. die<br />
grundsätzliche Rechtsnachfolge in die Polizeipflichtigkeit. Bei der Nachfolge durch Erbschaft<br />
wird darauf verwiesen, dass der Erbe gemäß §§ 1922 Abs. 1, 1967 Abs. 1 BGB in alle<br />
bestehenden Rechte und Pflichten des Erblassers eintritt. Zudem sei der Erbe durch die<br />
Möglichkeiten der Ausschlagung (§§ 1944 ff. BGB) oder erbrechtlichen<br />
Haftungsbeschränkungen (Nachlassverwaltung, Nachlasskonkurs, §§ 1975 ff. BGB)<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
hinreichend geschützt.<br />
Da alle vorstehend dargestellten Auffassungen zu einer Polizeipflichtigkeit auch des A<br />
kommen, kann der Meinungsstreit offen bleiben. Der A muss die Verfügung vom 25.05.2001<br />
gegen sich gelten lassen.<br />
Hinweis 9:<br />
Der vorliegende Fall wirft u.a. auch die Frage der „richtigen“ Prüfungsreihenfolge auf.<br />
Insoweit kann man schlechterdings nicht von „richtig“ oder „ falsch“ sprechen. Bei der<br />
Prüfungsreihenfolge geht es eher um die Frage geschickt oder ungeschickt. Hier ist es<br />
ratsam, stets zu überprüfen, ob man sich durch den eigenen Gutachtenaufbau nicht<br />
Klausurprobleme „abschneidet“.<br />
IV. Rechtmäßigkeit des angeordneten Sofortvollzuges<br />
Für die Anordnung des Sofortvollzuges gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 4 VwGO ist ein<br />
besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den<br />
Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Inhaltlich ist dieses Vollziehungsinteresse nicht bloß ein<br />
gesteigertes Erlassinteresse, sondern von qualitativ anderer Art. Denn in deutlicher<br />
Unterscheidung zu dem öffentlichen Interesse, das den Erlass des Verwaltungsakts<br />
rechtfertigt, muss sich das besondere Vollziehungsinteresse gemäß § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO<br />
gerade auf den sofortigen, also dringenden Vollzug des Verwaltungsakts beziehen. Vom<br />
Gesetz wird daher ein besonderes Interesse gerade an der sofortigen Vollziehung des<br />
Verwaltungsakts verlangt. Es werden besondere Gründe für die alsbaldige, vor der<br />
Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgende Verwirklichung des Verwaltungsakts<br />
gefordert. Nur diese Eilbedürftigkeit kann, die Durchbrechung des vom Gesetzgeber als<br />
Regelfall vorgesehenen Suspensiveffekts rechtfertigen.<br />
Die Anforderungen an die Begründung sind dabei um so höher und der<br />
Rechtsschutzanspruch des Bürgers um so stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte<br />
Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken.<br />
Die angefochtene Verfügung wird auf die Gesundheitsgefahr für Kunden und Mitarbeiter des<br />
Ladens gestützt. Diese potentielle Gefährdung droht sich zu verschärfen, wenn zunächst eine<br />
rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache abgewartet werden muss. Der effektive<br />
Schutz von Leib und Leben ist ein besonders hohes Schutzgut, an dem ein besonderes<br />
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Kolloquium: Aktuelle Fälle des <strong>Verwaltungsgericht</strong>s <strong>Sigmaringen</strong><br />
öffentliches Interesse besteht. Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen bestehen keine<br />
Bedenken gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Im vorliegenden Fall überwiegt<br />
das öffentliche Vollzugsinteresse gegenüber dem Aussetzungsinteresse des A.<br />
Ergebnis: Ein Eilantrag des A gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen die<br />
Verfügung vom 25.05.2001 hat keine Aussichten auf Erfolg<br />
Sollte der A dennoch gegen die Verfügung vorgehen wollen, müsste Rechtsanwalt R - soweit<br />
man der hier vertretenen Auffassung folgt - zunächst Widerspruch gegen die Verfügung<br />
einlegen und im Anschluss beim zuständigen <strong>Verwaltungsgericht</strong> <strong>Sigmaringen</strong> beantragen,<br />
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom . . . gegen den Bescheid des<br />
Antragsgegners vom 25.05.2001 hinsichtlich der Ziffern 1 bis 4<br />
wiederherzustellen.<br />
Hinweis 10:<br />
Bitte beachten Sie die einschlägigen Begrifflichkeiten:<br />
Bei § 80 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 1 bis 3 VwGO kommt dem jeweiligen Verwaltungsakt von<br />
Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung zu. Hier beantragt der Antragsteller die<br />
(erstmalige) Anordnung der aufschiebenden Wirkung.<br />
Bei § 80 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 4 VwGO hat die jeweilige Anordnung grundsätzlich<br />
aufschiebende Wirkung. Diese entfällt erst - quasi nach einer logischen Sekunde - mit<br />
der Anordnung der sofortigen Vollziehung. In diesem Fall begehrt der Antragsteller die<br />
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.<br />
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