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Bei der Energiewende läuft vieles – aber noch nicht alles rund.

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SCHRIFTENREIHE DER KLIMAALLIANZ DEUTSCHLAND, BD. 1<br />

klima<br />

allianz<br />

deutschland<br />

<strong>Bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong><br />

<strong>läuft</strong> <strong>vieles</strong> <strong>–</strong> <strong>aber</strong> <strong>noch</strong><br />

<strong>nicht</strong> <strong>alles</strong> <strong>rund</strong>.<br />

Eine Zwischenbilanz.<br />

- 1 -


Impressum:<br />

AutorInnen<br />

Dr. Ralf Köpke (Hauptredaktion)<br />

Dr. Katharina Reuter<br />

Unter Mitarbeit von<br />

Lisa Bauch (IG BAU)<br />

Dr. Bernd Bornhorst (Misereor)<br />

Klaus Breyer (Ev. Kirche von Westfalen)<br />

Oldag Caspar (Germanwatch)<br />

Katharina H<strong>aber</strong>sbrunner (WECF)<br />

Malte Hentschke (klima-allianz deutschland)<br />

Damian Ludewig (FÖS)<br />

Jürgen Maier (Forum Umwelt und Entwicklung)<br />

Kathrin Schroe<strong>der</strong> (DPSG)<br />

Daniela Setton (klima-allianz deutschland)<br />

Herausgeber<br />

klima-allianz deutschland<br />

V.i.S.d.P: Dr. Katharina Reuter<br />

Marienstr. 19<strong>–</strong>20<br />

10117 Berlin<br />

Tel: 030-678 177 577<br />

info@klima-allianz.de<br />

www.klima-allianz.de<br />

Rechtsträger <strong>der</strong> klima-allianz<br />

ist <strong>der</strong> Deutsche Naturschutzring e.V.<br />

Layout<br />

www.dieprojektoren.de<br />

Titelbildfotos<br />

alphaspirit, midosemsem, julvektoria,<br />

fotolia.de<br />

Druck<br />

dieUmweltDruckerei GmbH<br />

Diese Publikation wurde klimaneutral und<br />

auf 100 Prozent Recyclingpapier gedruckt.<br />

klimaneutral<br />

natureOffice.com | DE-345-872885<br />

gedruckt<br />

ISSN 2196-6060/Juni 2013<br />

Vorwort 4<br />

1. <strong>Energiewende</strong> unter Strom 6<br />

2. Gemeinschaftswerk Energie-<br />

wende sozial gestalten 14<br />

3. Überfällig: ein Konzept für die<br />

energetische Gebäudesanierung 20<br />

4. Klimafreundliche Verkehrswende 24<br />

5. Bürger nehmen die <strong>Energiewende</strong><br />

selbst in die Hand 27<br />

6. Die <strong>Energiewende</strong> international<br />

richtig kommunizieren 31<br />

7. Was fehlt, ist ein Gesamtkonzept 33<br />

8. For<strong>der</strong>ungen an die<br />

Bundesregierung 36


VORWORT<br />

Nachdem die Atomkatastrophe von Fukushima<br />

die Energiepolitik <strong>der</strong> Bundesregierung in<br />

ihren G<strong>rund</strong>festen erschüttert hatte, war endlich<br />

ein Ausstieg aus <strong>der</strong> Atomkraft möglich.<br />

Mit einem Paket von acht Gesetzen hat die<br />

Bundesregierung den Atomausstieg flankiert<br />

und die <strong>Energiewende</strong> fortgeführt.<br />

Die <strong>Energiewende</strong> ist <strong>der</strong> zentrale Garant einer<br />

in Zukunft bezahlbaren Energieversorgung<br />

und sie ist darüber hinaus Deutschlands wichtigster<br />

<strong>Bei</strong>trag zum Klimaschutz und gleichzeitig<br />

zu mehr globaler Gerechtigkeit. Von<br />

einer erfolgreichen <strong>Energiewende</strong> und einer<br />

Abwendung von <strong>nicht</strong> mehr beherrschbaren<br />

Folgen des Klimawandels profitieren vor allem<br />

auch ärmere Menschen - hier und insbeson<strong>der</strong>e<br />

in den Län<strong>der</strong>n des globalen Südens.<br />

Dementsprechend ist das internationale Interesse<br />

an <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong> in Deutschland<br />

groß. Viele Län<strong>der</strong> verfolgen aufmerksam<br />

und kritisch, ob es einem Industrieland wie<br />

Deutschland gelingt, sein Energiesystem mit<br />

vertretbaren Kosten und mit insgesamt positiven<br />

volkswirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen<br />

klimafreundlich und zukunftsfähig<br />

umzugestalten.<br />

Doch wo stehen wir heute? Zwei Jahre nach<br />

den <strong>Energiewende</strong>beschlüssen <strong>der</strong> Bundesre-<br />

Foto: klima-allianz deutschland<br />

gierung zieht die Zivilgesellschaft, vertreten in<br />

<strong>der</strong> klima-allianz deutschland, erneut Bilanz.<br />

„<strong>Bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong> <strong>läuft</strong> <strong>vieles</strong> <strong>–</strong> <strong>aber</strong> <strong>noch</strong><br />

<strong>nicht</strong> <strong>alles</strong> <strong>rund</strong>“ lautet das zwiespältige Fazit.<br />

Denn Deutschland und damit lei<strong>der</strong> auch Europa<br />

sind <strong>noch</strong> immer weit entfernt von einer konsistenten<br />

Klimaschutz- und Energiepolitik. Im<br />

Mittelpunkt <strong>der</strong> Diskussionen um die <strong>Energiewende</strong><br />

im letzten Jahr stand <strong>nicht</strong>, wie Energie<br />

erzeugt wird, son<strong>der</strong>n wer was zahlt. Beson<strong>der</strong>s<br />

die Umlage für den Ausbau <strong>der</strong> erneuerbaren<br />

Energien <strong>–</strong> kurz: EEG-Umlage <strong>–</strong> wurde als unsozialer<br />

Kostentreiber, dargestellt, <strong>der</strong> in ein<br />

volkswirtschaftliches Desaster führt. Soziale<br />

Ängste vor steigenden Stromkosten wurden<br />

genutzt, um die <strong>Energiewende</strong> auszubremsen.<br />

Dadurch musste viel politische Energie darauf<br />

verwendet werden, um die <strong>Energiewende</strong> in<br />

<strong>der</strong> öffentlichen Wahrnehmung zu „retten“<br />

beziehungsweise zu legitimieren anstatt sie zu<br />

gestalten.<br />

klima<br />

allianz<br />

deutschland<br />

- 4 - - 5 -<br />

Dabei gibt es <strong>nicht</strong> nur im Stromsektor, son<strong>der</strong>n<br />

auch bei <strong>der</strong> Wärmeerzeugung, <strong>der</strong> Energieeffizienz<br />

und beim Thema Mobilität nach wie vor<br />

zahlreiche unerledigte Aufgaben.<br />

Wir setzen uns als breites gesellschaftliches<br />

Bündnis für eine sozial gerechte <strong>Energiewende</strong><br />

ein, die als mehrheitsfähiges gesellschaftliches<br />

Projekt im nächsten Koalitionsvertrag Eingang<br />

finden muss. Dabei wollen wir die einseitig geführte<br />

Kostendebatte aufbrechen und die sozial-<br />

und wirtschaftspolitischen Chancen sowie<br />

die Notwendigkeiten für politisches Handeln<br />

aufzeigen.<br />

Der SprecherInnenrat<br />

<strong>der</strong> klima-allianz deutschland<br />

Berlin, Juni 2013


1.ENERGIEWENDE UNTER STROM<br />

Am 18. April 2013 produzierten Wind-, Solar-<br />

und Bioenergieanlagen nach einer Mitteilung<br />

des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative<br />

Energien (IWR) erstmals mehr als die<br />

Hälfte des bundesdeutschen Strombedarfs.<br />

Noch vor gut zehn Jahren deckten die erneuerbaren<br />

Energien lediglich acht Prozent <strong>der</strong><br />

Stromerzeugung. 2012 waren es im Jahresdurchschnitt<br />

schon 22 Prozent.<br />

Lobbygruppen <strong>der</strong> „fossilen“ Energie, <strong>der</strong>en<br />

Einfluss und Macht mit <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong><br />

schwindet, versuchen eine ambitionierte<br />

<strong>Energiewende</strong> und Klimaschutz zu verhin<strong>der</strong>n.<br />

Dabei nutzen sie in Deutschland zum <strong>Bei</strong>spiel<br />

einseitig die Debatte um die Kosten <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong><br />

(EEG-Umlage). So hat in den zurückliegenden<br />

Monaten vor allem die Diskussion<br />

um die sogenannte Strompreisbremse die<br />

Wahrnehmung <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong> bestimmt.<br />

Erst die angebliche Versorgungslücke<br />

und <strong>der</strong> Teufel<br />

des Stromausfalls <strong>–</strong> nun die<br />

Strompreise. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz<br />

(EEG)<br />

und die darin enthaltene<br />

Einspeisevergütung müssen<br />

den neuen Bedingungen<br />

angepasst werden. Die<br />

notwendige Reform wird<br />

<strong>aber</strong> erst nach <strong>der</strong> Bundestagwahl<br />

auf den Tisch kommen.<br />

Damit bleibt die Verunsicherung<br />

bei Investoren,<br />

Foto: Gianni Maier<br />

finanzierenden Banken und Betreibern vorerst<br />

bestehen <strong>–</strong> eine unerfreuliche Situation, die<br />

das Wachstum <strong>der</strong> erneuerbaren Energien<br />

bremsen könnte. Eine weitere Bremse für die<br />

hierzulande steigende Einspeisung von Wind-<br />

und Solarstrom sind fehlende Leitungen auf<br />

<strong>der</strong> Höchstspannungs- und Verteilnetzebene.<br />

Mittlerweile gibt es nach mehreren von <strong>der</strong><br />

Bundesnetzagentur organisierten Konsultations<strong>rund</strong>en,<br />

bei denen Bürger und diverse<br />

Verbände gehört wurden, einen Netzausbauplan.<br />

Vorgesehen ist dabei <strong>der</strong> Neubau von<br />

gut 2.900 Kilometer Leitungen auf <strong>der</strong> Höchstspannungsebene.<br />

Dieser Plan ist G<strong>rund</strong>lage für<br />

den Bundesnetzbedarfsplan.<br />

- 6 - - 7 -<br />

Knapp 23 Prozent<br />

Ökostromanteil erreicht<br />

Insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> dynamische Ausbau <strong>der</strong> Fotovoltaik<br />

und Windkraft haben dazu beigetragen,<br />

dass 2012 <strong>der</strong> <strong>Bei</strong>trag aller erneuerbaren<br />

Energien am Brutto-Inlandsstromverbrauch<br />

bei knapp 23 Prozent lag <strong>–</strong> bislang gab es <strong>noch</strong><br />

nie eine so hohe Quote. Dieser Erfolg <strong>der</strong> erneuerbaren<br />

Energien ist allerdings zweischneidig:<br />

Die hohe Einspeisung trug über den sogenannten<br />

Merit-Or<strong>der</strong>-Effekt dazu bei, dass<br />

die Großhandelspreise an <strong>der</strong> Strombörse<br />

trotz teilweise hoher fossiler Brennstoffpreise<br />

sanken. Allein im vergangenen Jahr sanken<br />

die Börsenstrompreise um 17 Prozent. Anfang<br />

Februar 2013 lagen die Einkaufspreise an <strong>der</strong><br />

Leipziger Strombörse auf dem Niveau des Jahres<br />

2005.


„Es bedarf verlässlicher politischer und<br />

ökonomischer Rahmenbedingungen“<br />

Dr. Hermann<br />

Falk, Geschäftsführer<br />

des Bundesverbandes<br />

Erneuerbare<br />

Energie e.V.<br />

(BEE), über die<br />

Zukunft des<br />

Erneuerbare-<br />

Energien-Gesetzes<br />

und den Umbau <strong>der</strong> Energieversorgung<br />

hierzulande<br />

Was sind für den BEE <strong>der</strong>zeit die größten<br />

Hin<strong>der</strong>nisse bei <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong><br />

<strong>Energiewende</strong>?<br />

Technologisch sind wir gut gerüstet<br />

für den Umbau unserer Energieversorgung.<br />

Auch die Bevölkerung steht zu<br />

90 Prozent hinter den Zielen <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong>.<br />

Damit sich diese Potenziale<br />

voll entfalten können, bedarf es verlässlicher<br />

politischer und ökonomischer<br />

Rahmenbedingungen. Anstatt Investitionssicherheit<br />

zu gewährleisten, untergraben<br />

manche Politiker diese durch<br />

Diskussionen über die Verän<strong>der</strong>ung des<br />

För<strong>der</strong>systems o<strong>der</strong> Einschnitte in Vergütungsstrukturen.<br />

Dadurch sinken die<br />

Investitionsbereitschaft und das Engagement<br />

von Bürgern wie Unternehmern<br />

erheblich.<br />

- 8 -<br />

Welche Vorstellung hat <strong>der</strong> BEE, wie ein<br />

künftiges Energieversorgungssystem<br />

<strong>rund</strong> um die erneuerbaren Energien<br />

herum gestaltet werden muss?<br />

Wir stehen vor einer technischen Revolution.<br />

Künftig werden die flexiblen<br />

erneuerbaren Energien im Zentrum unserer<br />

Energieversorgung stehen. Dabei<br />

sorgen technische Ausgleichsoptionen<br />

für Stetigkeit, wenn sehr viel o<strong>der</strong> <strong>nicht</strong><br />

ausreichend Wind weht o<strong>der</strong> Sonne<br />

scheint: Biomassekraftwerke, Lastmanagement,<br />

Speicher. Um die verschiedenen<br />

Elemente optimal zu verzahnen<br />

und angemessen zu finanzieren, benötigen<br />

wir ökonomisch sinnvolle und<br />

ökologisch konsequente Rahmenbedingungen<br />

für Investitionen.<br />

Konkret brauchen wir erstens weiterhin<br />

das Erneuerbare-Energien-Gesetz.<br />

Dieses Gesetz hat sich als effektiv und<br />

gesamtwirtschaftlich effizient erwiesen,<br />

wenn es um den zügigen Ausbau<br />

<strong>der</strong> Erneuerbaren geht. <strong>Bei</strong> <strong>der</strong> nächsten<br />

Überarbeitung kann es entschlackt<br />

und um systemstabilisierende Auflagen<br />

für neue Anlagen ergänzt werden. Zweitens<br />

benötigen wir weiterhin die bestehenden<br />

Stromgroßhandels- und Regelenergiemärkte.<br />

Doch auch sie müssen<br />

an das neue Energiesystem angepasst<br />

werden, indem sie die Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> erneuerbaren Energien in den Mittelpunkt<br />

stellen. Drittens muss das System<br />

wahrscheinlich durch eine strategische<br />

Reserve als Brückenlösung ergänzt<br />

werden, um in <strong>der</strong> Übergangsphase<br />

unsere hohe Versorgungssicherheit zu<br />

erhalten.<br />

Mit welchen Initiativen, Aktionen und<br />

Gutachten plant <strong>der</strong> BEE, für mehr Tempo<br />

bei <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong> zu sorgen?<br />

Das BEE-Szenario, das aufg<strong>rund</strong> <strong>der</strong> Branchenzahlen<br />

einen 50 Prozent-Anteil <strong>der</strong><br />

Erneuerbaren bis 2020 prognostiziert, hat<br />

schon für einiges Tempo in vielen Debatten<br />

gesorgt. Zudem hat <strong>der</strong> BEE gemeinsam<br />

mit <strong>der</strong> Branche die Kampagne „Erneuerbare<br />

<strong>Energiewende</strong> Jetzt!“ gestartet.<br />

Parallel bringen wir in <strong>der</strong> BEE-Plattform<br />

Systemtransformation Experten aus Wissenschaft<br />

und unternehmerischer Praxis<br />

zusammen, um Studienaufträge zu konzipieren<br />

und Ergebnisse auszuwerten. Dies<br />

verschafft <strong>der</strong> gesamten Branche einen<br />

systematischen Zugang zu neuen wissenschaftlichen<br />

und praxisnahen Lösungsideen<br />

für Systemdesign, Ausgleichsoptionen<br />

und Marktmodelle.<br />

Braunkohleboom stoppen<br />

Ausgerechnet <strong>der</strong> klimaschädlichste Energieträger<br />

in Deutschland kann sich durch Fehlsteuerung<br />

in den Energiegesetzen über eine starke<br />

Position in <strong>der</strong> deutschen Stromerzeugung<br />

freuen: die Braunkohle. Jede vierte Kilowattstunde,<br />

die im Jahr 2012 hierzulande erzeugt<br />

worden ist, basierte auf dem Brennstoff Braunkohle.<br />

Im Vergleich zu 2011 gab es im vergangenen<br />

Jahr mit 6,3 Prozent sogar ein deutli-<br />

- 9 -<br />

ches Plus bei <strong>der</strong> Braunkohleverstromung. Mit<br />

dazu beigetragen haben auch gleich drei neue<br />

Braunkohleblöcke mit zusammen <strong>rund</strong> 2.900<br />

Megawatt Leistung, die alle 2012 in Betrieb gegangen<br />

sind. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite hat <strong>der</strong>zeit<br />

insbeson<strong>der</strong>e das Erdgas ein Nachsehen. Seit<br />

2010 gab es bei <strong>der</strong> Verstromung einen Einbruch<br />

auf 17 Milliarden Kilowattstunden <strong>–</strong> das<br />

ist <strong>der</strong> niedrigste Wert seit 2004.<br />

<strong>Bei</strong> dem aktuellen Braunkohleboom verwun<strong>der</strong>t<br />

es <strong>nicht</strong>, dass die Betreiber <strong>der</strong> Braunkohlemeiler<br />

Gewinne einfahren. RWE beispielsweise<br />

verkündet „robuste Gewinne in einem<br />

schwierigen Marktumfeld“. Dafür gibt es gleich<br />

mehrere Gründe: Gemessen an ihrem Energieinhalt<br />

ist Braunkohle in diesen Tagen dank<br />

ihrer günstigeren För<strong>der</strong>kosten und zahlreicher<br />

Begünstigungen um über die Hälfte billiger als<br />

importierte Steinkohle, <strong>der</strong>en Preis pro Tonne<br />

im ersten Quartal bei 80 Euro aufwärts lag.<br />

Nach Einführung <strong>der</strong> Brennelementesteuer ist<br />

eine Kilowattstunde Braunkohlestrom sogar<br />

günstiger als die Kilowattstunde aus einem<br />

Atomkraftwerk.<br />

Foto: klima-allianz deutschland


In Deutschland ist die Braunkohleverstromung<br />

eine <strong>der</strong> Ursachen, die 2012 für ein Ansteigen<br />

<strong>der</strong> Kohlendioxidemissionen im Vergleich zum<br />

Vorjahr verantwortlich sind. Dieser Anstieg lag<br />

immerhin bei zwei Prozent <strong>–</strong> auch das ist ein<br />

Paradox im Zeitalter <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong>. Mit<br />

182,8 Millionen Tonnen CO 2 stammten im vergangenen<br />

Jahr fast ein Viertel <strong>der</strong> gesamten<br />

deutschen CO 2 -Emissionen aus <strong>der</strong> Braunkohleverstromung.<br />

Insgesamt hat die Kohle 2012<br />

einen Anteil an den gesamten deutschen CO 2 -<br />

Emissionen 2012 von 42,2 Prozent.<br />

Die Braunkohleindustrie sieht in den kommenden<br />

zwei Jahrzehnten die bestehenden Braunkohlekraftwerkskapazitäten<br />

als das „Rückgrat<br />

<strong>der</strong> deutschen Stromversorgung“. Käme es<br />

dazu, würde das die Umsetzung <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong><br />

deutlich erschweren.<br />

Zusätzliche Instrumente für<br />

klimafreundliche Energieproduktion<br />

nötig<br />

Es sind also neben <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung erneuerbarer<br />

Energien zusätzliche Instrumente notwendig,<br />

um auch den restlichen Kraftwerkspark so klimafreundlich<br />

wie möglich umzubauen und die<br />

<strong>Energiewende</strong> sinnvoll zu flankieren. Klar ist<br />

auch, dass keine neuen Braunkohlekraftwerke<br />

o<strong>der</strong> gar Tagebaue mehr genehmigt werden<br />

dürfen und die bestehenden genehmigten Tagebaue<br />

auf den Prüfstand müssen. Klaus Töpfer,<br />

<strong>der</strong> ehemalige Bundesumweltminister mit<br />

CDU-Parteibuch, schlug jüngst als Ergänzung<br />

zum Emissionshandel die Einführung von strikten<br />

CO 2 -Obergrenzen vor, um Braunkohlekraftwerke<br />

nach einer kurzen Übergangszeit vom<br />

Markt zu drängen. Auch die For<strong>der</strong>ung nach<br />

einer Braunkohlesteuer könnte wichtig wer-<br />

den und in <strong>der</strong> Debatte um Klimaschutz und<br />

<strong>Energiewende</strong> auf die politische Tagesordnung<br />

gesetzt werden.<br />

Wie Braunkohle- sind auch Steinkohlekraftwerke<br />

<strong>nicht</strong> zukunftsfähig. Bis Ende 2007 gab es<br />

bundesweit über 30 Neubauplanungen, von<br />

denen einige binnen kurzer Zeit bereits die<br />

Genehmigungsverfahren durchlaufen hatten<br />

und sich im Bau befanden. Diese Projekte drohten,<br />

Deutschland für weitere Jahrzehnte auf<br />

einen emissionsintensiven und klimaschädlichen<br />

Energiepfad festzulegen und die bereits<br />

anvisierte <strong>Energiewende</strong> zu gefährden. An<br />

diesen Projekten haben sich viele Stadtwerke<br />

finanziell beteiligt, weil sie hofften, so bei <strong>der</strong><br />

Strombeschaffung unabhängiger zu werden.<br />

Allerdings haben die Kommunalversorger die<br />

Ausbaudynamik bei den erneuerbaren Energien<br />

völlig unterschätzt.<br />

Gemeinsam mit Bürgerinitiativen, Umweltverbänden<br />

und weiteren Aktiven aus unterschiedlichen<br />

gesellschaftlichen Bereichen konnten<br />

bereits 20 klimaschädliche Kohlekraftwerksvorhaben<br />

gestoppt werden. Dies entspricht<br />

vermiedenen CO 2 -Emissionen in Höhe von<br />

ca. 106 Millionen Tonnen jährlich. Entwe<strong>der</strong><br />

konnten die klimaschädlichen Vorhaben direkt<br />

politisch gestoppt werden o<strong>der</strong> es gelang, die<br />

Planverfahren so lange hinauszuzögern, bis<br />

die aufg<strong>rund</strong> des erfolgreichen Ausbaus <strong>der</strong><br />

erneuerbaren Energien verän<strong>der</strong>ten Rahmenbedingungen<br />

die Vorhaben unwirtschaftlich<br />

machten. Deshalb haben beispielsweise große<br />

Energiekonzerne wie E.ON und RWE mittlerweile<br />

erklärt, bis auf weiteres keine neuen<br />

fossilen Großkraftwerke zu bauen.<br />

„Die Bedürftigen in unserem Land sind<br />

<strong>nicht</strong> durch die <strong>Energiewende</strong> bedürftig<br />

geworden“<br />

Generalsuperintendent<br />

Martin Herche,Evangelische<br />

Kirche<br />

Berlin-Brandenburgschlesische<br />

Oberlausitz<br />

(EKBO), zur weiteren Zukunft <strong>der</strong><br />

Braunkohleverstromung und <strong>der</strong> Notwendigkeit,<br />

die <strong>Energiewende</strong> sozialverträglich<br />

zu gestalten<br />

Welche Chancen sieht die EKBO in <strong>der</strong><br />

<strong>Energiewende</strong>?<br />

Wir können <strong>der</strong> Welt zeigen, dass ein<br />

hoch industrialisiertes Land in <strong>der</strong> Lage<br />

ist, seine Wirtschaft auf eine Energieform<br />

umzustellen, die mit <strong>der</strong> Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung vereinbar ist. Gelingt uns<br />

diese Umstellung in unserem Land mit<br />

einem im Weltmaßstab ja relativ kleinen<br />

Anteil am Ausstoß klimaschädlicher<br />

Gase, kann die <strong>Energiewende</strong> zum<br />

Modell für an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong> mit größerer<br />

Bevölkerung werden. Die <strong>Energiewende</strong><br />

bietet auch eine große Chance für Innovationen<br />

im technologischen Bereich. So<br />

gesehen, kann auch die Wirtschaft direkt<br />

profitieren.<br />

- 10 - - 11 -<br />

Wie beurteilt die EKBO die weitere<br />

Braunkohlenutzung und -för<strong>der</strong>ung?<br />

In <strong>der</strong> EKBO sind wir ständig mit den Hoffnungen,<br />

<strong>aber</strong> auch Sorgen und Nöten <strong>der</strong><br />

Menschen im Lausitzer Braunkohlerevier<br />

konfrontiert. Die Braunkohleför<strong>der</strong>ung und<br />

-nutzung ist ein starker Wirtschaftsfaktor<br />

in dieser Region und gewährt Tausende<br />

von Arbeitsplätzen. An<strong>der</strong>erseits verlieren<br />

Menschen ihre angestammte Heimat,<br />

wenn Dörfer abgebaggert werden und es<br />

gibt gravierende Verän<strong>der</strong>ungen in ihrem<br />

sozialen Umfeld. Unsere Landessynode<br />

beschäftigt sich immer wie<strong>der</strong> mit dem<br />

Thema. Wir sehen die ungebremste Nutzung<br />

fossiler Brennstoffe als ernste Gefahr<br />

für Gottes gute Schöpfung und plädieren<br />

für einen Einstieg in den Ausstieg aus <strong>der</strong><br />

Braunkohleverstromung in <strong>der</strong> Lausitz. Dabei<br />

überhören wir <strong>nicht</strong> die Sorge um den<br />

Erhalt von Arbeitsplätzen. Es braucht eine<br />

Übergangszeit. Gleichwohl setzen wir darauf,<br />

dass die <strong>Energiewende</strong> regional gerade<br />

in Brandenburg die weitere Entwicklung regenerativer<br />

Energien beför<strong>der</strong>n kann und<br />

so neue Arbeitsplätze entstehen werden.<br />

Was muss nach Einschätzung <strong>der</strong> EKBO<br />

passieren, damit die Akzeptanz für die<br />

<strong>Energiewende</strong> in <strong>der</strong> Bevölkerung <strong>nicht</strong><br />

schwindet?<br />

Nur bei gesamtgesellschaftlicher Teilhabe<br />

wird <strong>der</strong> Prozess <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong> erfolgreich<br />

sein. Und es kommt darauf an, die<br />

<strong>Energiewende</strong> sozial verträglich zu gestalten.<br />

Aber die Bedürftigen in unserem<br />

Land sind <strong>nicht</strong> durch die <strong>Energiewende</strong>


Foto: Foto: mys, www.photocase.de<br />

bedürftig, son<strong>der</strong>n weil die Kluft zwischen<br />

Arm und Reich insgesamt zu groß geworden<br />

ist. Deshalb muss ihre Situation ganz<br />

unabhängig vom Stand <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong><br />

dringend verbessert werden. Dazu gehört<br />

die Einführung flächendecken<strong>der</strong> Mindestlöhne<br />

von mindestens 8,50 Euro pro<br />

Stunde und die pauschalierte Anhebung<br />

<strong>der</strong> Sozialtransfers um die gestiegenen<br />

Energiekosten.<br />

Die sauberste Energie ist die, die <strong>nicht</strong><br />

verbraucht wird.<br />

Die mit Abstand ökologischste Kilowattstunde<br />

Strom o<strong>der</strong> Wärme ist die, die erst gar<br />

<strong>nicht</strong> erzeugt wird. Neben Energiesparen ist<br />

<strong>der</strong> möglichst effiziente Umgang mit Energie<br />

<strong>der</strong> wichtigste klimapolitische <strong>Bei</strong>trag im<br />

Energiesektor.<br />

Dass es hierzulande <strong>noch</strong> große Einspar-<br />

potenziale gibt, ist unbestritten. Als Richtschnur<br />

gilt auch heute <strong>noch</strong> <strong>der</strong> Wert, den<br />

eine Klima-Enquete-Kommission des Bundestages<br />

<strong>–</strong> und zwar im Konsens aller damals<br />

im Parlament vertretenen Fraktionen <strong>–</strong> vor<br />

<strong>der</strong> deutschen Wie<strong>der</strong>vereinigung errechnet<br />

hat: Danach gibt es ein technisches Energieeinsparpotenzial<br />

von 35 bis 45 Prozent. Nach<br />

wie vor sind alle Bereiche von <strong>der</strong> Energieumwandlung<br />

im Kraftwerk bis zur Beleuchtung<br />

im Wohnzimmer geprägt von unnötiger<br />

Verschwendung.<br />

Möglichkeiten, die eingesetzte Energie effizienter<br />

zu nutzen, gibt es genug: <strong>Bei</strong>m<br />

privaten Energieverbrauch liegt das größte<br />

Effizienzpotenzial bei <strong>der</strong> Raumheizung, die<br />

allein drei Viertel des Energieverbrauchs<br />

<strong>der</strong> Haushalte ausmacht. An zweiter Stelle<br />

folgt <strong>der</strong> Straßenverkehr. Weiterhin lassen<br />

sich viele industrielle Produktionsprozesse<br />

optimieren, beispielsweise durch Nutzung<br />

<strong>der</strong> anfallenden Abwärme von Motoren o<strong>der</strong><br />

Maschinen. Würden wirklich alle technisch<br />

möglichen Einsparungen umgesetzt, könnte<br />

Deutschlands Energierechnung um etwa 50<br />

Milliarden Euro gesenkt werden <strong>–</strong> pro Jahr<br />

versteht sich. Auch wenn diese Zahl schon<br />

etwas älter ist, hat sich an <strong>der</strong> Dimension bis<br />

heute <strong>nicht</strong>s geän<strong>der</strong>t.<br />

Geän<strong>der</strong>t hat sich indes auch <strong>nicht</strong>s an<br />

<strong>der</strong> schleppenden Umsetzung. In ihrem im<br />

Herbst 2010 veröffentlichten Energiekonzept<br />

hat sich die Bundesregierung das Ziel<br />

gesetzt, den Primärenergieverbrauch bis<br />

zum Jahr 2050 zu halbieren. Das war vor dem<br />

Reaktorunglück in Fukushima. Der Stromverbrauch<br />

sollte nach diesen Plänen bis Ende<br />

2020 um zehn Prozent und bis 2050 sogar<br />

um ein Viertel reduziert werden.<br />

Bundesregierung verhin<strong>der</strong>t Energieeffizienz<br />

Dass es Nachholbedarf bei <strong>der</strong> Energieeffizienz<br />

gibt, zu diesem Ergebnis kam auch die von <strong>der</strong><br />

Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission,<br />

die die Fortschritte bei <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong><br />

dokumentierten soll. In ihrer Ende 2012<br />

vorgelegten Stellungnahme heißt es: „Gleichwohl<br />

müssen Tempo und Intensität in Zukunft<br />

<strong>noch</strong> erheblich gesteigert werden, um die angestrebten<br />

Verbesserungen bei <strong>der</strong> Energieeffizienz<br />

zu erreichen. Dies gilt im beson<strong>der</strong>en<br />

Maße für den Gebäude- und Verkehrsbereich.“<br />

Die Bundesregierung gehört <strong>nicht</strong> zu den Vorreitern<br />

einer Energieeffizienzpolitik. Am Wi<strong>der</strong>stand<br />

Deutschlands scheiterte im vergangenen<br />

Jahr <strong>der</strong> Plan <strong>der</strong> EU-Kommission, die Energieversorger<br />

mit einer Richtlinie anzuregen, ihren<br />

Energieabsatz jährlich um 1,5 Prozent zu senken<br />

<strong>–</strong> etwa, indem sie ihre Kunden beim Kauf<br />

effizienter Haushaltsgeräte unterstützen, eine<br />

Energieberatung anbieten o<strong>der</strong> die energetische<br />

Sanierung von Häusern bezuschussen.<br />

- 12 - - 13 -<br />

Foto: joexx, www.photocase.de<br />

Gab es in den Reihen des Bundesumweltministeriums<br />

durchaus Unterstützung für diesen<br />

Plan, lehnte Bundeswirtschaftsminister Philipp<br />

Rösler die geplante Richtlinie entschieden ab.<br />

Mit dieser Haltung konnte er sich innerhalb des<br />

Bundeskabinetts letztlich durchsetzen.<br />

Gerade Energieeffizienz ist ein wichtiger Baustein<br />

<strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong>, <strong>der</strong> vor allem ökonomisch<br />

schwächeren Haushalten nützt, und<br />

müsste oberste Priorität bekommen!


2. GEMEINSCHAFTSWERK ENERGIE-<br />

WENDE SOZIAL GESTALTEN<br />

Eine konsequent umgesetzte <strong>Energiewende</strong><br />

zielt auf die Sicherung unserer Lebensg<strong>rund</strong>lagen<br />

und ist ein wichtiger <strong>Bei</strong>trag zu mehr sozialer<br />

Gerechtigkeit. Wirtschaft und Bevölkerung<br />

in Deutschland profitieren in vielerlei Hinsicht<br />

von <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong>.<br />

Durch den Ausbau erneuerbarer Energien wird<br />

die Zahl <strong>der</strong> Beschäftigten in <strong>der</strong> Branche von<br />

381.600 im Jahr 2011 weiter auf eine halbe<br />

Million im Jahr 2020 steigen. Hinzu kommt<br />

ein <strong>noch</strong> höherer Arbeitsplatzeffekt aus den<br />

Programmen zur energetischen Sanierung<br />

des Gebäudebestandes. Eine Studie für den<br />

Bundesverband <strong>der</strong> Deutschen Industrie (The<br />

Boston Consulting Group<br />

2012) errechnet bis 2020<br />

Umsatzchancen von mehr<br />

als 60 Milliarden Euro für<br />

deutsche Unternehmen mit<br />

Endprodukten zur Effizienzsteigerung<br />

beziehungsweise<br />

Nutzung erneuerbarer Energien<br />

im Strom und Gebäudesektor.<br />

Allein die kommunale<br />

Wertschöpfung durch<br />

erneuerbare Energien kann<br />

von 6,8 Milliarden Euro im<br />

Jahr 2009 auf mindestens<br />

Foto: iStock, retusch<br />

13,2 Milliarden Euro im Jahr 2020 steigen,<br />

wenn <strong>der</strong> Ausbau ambitioniert fortgeführt<br />

wird.<br />

Generell wird eine <strong>–</strong> durch die <strong>Energiewende</strong><br />

im Strom- und Wärmesektor ausgelöste<br />

<strong>–</strong> Aufstockung des volkswirtschaftlichen Investitionsvolumens<br />

um durchschnittlich <strong>rund</strong><br />

20 Milliarden Euro pro Jahr (BMU Leitszenario<br />

2011) zu erheblich mehr Steuereinnahmen<br />

und zu mehr Beschäftigung führen. Deutliche<br />

Beschäftigungseffekte um 30 Prozent würde<br />

auch eine vergleichbare Strategie einer „Green<br />

Economy“ bis 2020 in ganz Europa auslösen,<br />

hat eine vielbeachtete Studie des Potsdam-<br />

Instituts für Klimafolgenforschung im Jahr<br />

2011 gezeigt. Dieser positive wirtschaftliche<br />

Effekt gilt insbeson<strong>der</strong>e für strukturschwache<br />

Regionen. Über 600 Energiegenossenschaften<br />

zeigen, dass auch viele Bürgerinnen und Bürger<br />

mit geringeren Einkommen direkt von <strong>der</strong><br />

<strong>Energiewende</strong> profitieren. Die <strong>Energiewende</strong><br />

leistet darüber hinaus einen <strong>Bei</strong>trag zur Demokratisierung<br />

unseres Energiesystems.<br />

„Wir sind Berater und Stimme <strong>der</strong> Menschen“<br />

Klaus Müller,<br />

Vorstand <strong>der</strong><br />

Verbraucherzentrale<br />

NRW,<br />

über steigende<br />

Energiepreise,<br />

komplizierte<br />

Debatten und<br />

Vorschläge für<br />

die Politik<br />

- 14 - - 15 -<br />

Was sind für die Verbraucherzentrale<br />

NRW die größten Hin<strong>der</strong>nisse bei <strong>der</strong><br />

Umsetzung <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong>?<br />

Wir sind Berater und Stimme <strong>der</strong> Verbraucher<br />

<strong>–</strong> und die sind stark verunsichert. Die<br />

meisten wollen die <strong>Energiewende</strong>. Aber<br />

sie können <strong>der</strong>zeit <strong>nicht</strong> erkennen, dass<br />

die von ihnen gewählten Politiker dieses<br />

internationale Vorzeigeprojekt verlässlich<br />

managen, effizient gestalten und die<br />

Lasten gerecht zwischen Industrie und<br />

Privatleuten verteilen. Genau darin sehe<br />

ich das größte Hin<strong>der</strong>nis. Politiker handeln<br />

zu häufig zu aktionistisch und diskutieren<br />

immer neue Ansätze, um Einzelprobleme<br />

zu lösen. Mit solchen Debatten sind<br />

die Menschen überfor<strong>der</strong>t. Wer versteht<br />

denn zurzeit die Zusammenhänge im<br />

Strommarkt <strong>noch</strong> o<strong>der</strong> die Folgen neuer<br />

Gesetze? Gleichzeitig steigen für Haushalte<br />

die Preise und das können sie <strong>noch</strong> zu<br />

wenig ausgleichen, auch wenn sie <strong>noch</strong> so<br />

sehr an Wärme und beim Energiebezug<br />

sparen. Dabei laufen Verbraucher auch<br />

<strong>noch</strong> Gefahr, auf neue Scharlatane hereinzufallen.<br />

Die <strong>Energiewende</strong> umsetzen<br />

bedeutet für die VZ NRW: Schritt halten<br />

mit Verän<strong>der</strong>ungen, Transparenz schaffen,<br />

sodass sich die Menschen ein Urteil<br />

bilden können <strong>–</strong> und bei den Anbietern<br />

die Spreu vom Weizen trennen.<br />

Wie erklären Sie sich, dass trotz <strong>der</strong> steigenden<br />

Strompreise nach wie vor <strong>rund</strong><br />

40 Prozent <strong>der</strong> bundesdeutschen Haushalte<br />

in <strong>der</strong> (teuren) G<strong>rund</strong>versorgung<br />

sind?


In <strong>der</strong> G<strong>rund</strong>versorgung ist automatisch<br />

je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> sich <strong>nicht</strong> aktiv um einen<br />

Stromtarif beim örtlichen Versorger o<strong>der</strong><br />

bei einem an<strong>der</strong>en <strong>der</strong> bundesweit <strong>rund</strong><br />

1.000 Anbieter kümmert. Zum einen gibt<br />

es natürlich Menschen, denen Mehrkosten<br />

durch teuren Strombezug egal sind.<br />

Zum an<strong>der</strong>en sind <strong>aber</strong> gerade solche<br />

Haushalte in <strong>der</strong> G<strong>rund</strong>versorgung, die<br />

man als beson<strong>der</strong>s schützenswert ansehen<br />

kann. Also Menschen, die körperlich<br />

o<strong>der</strong> geistig <strong>nicht</strong> in <strong>der</strong> Lage sind, Preise<br />

zu vergleichen und Anbieter auszusuchen,<br />

die unsicher o<strong>der</strong> schlecht informiert sind.<br />

O<strong>der</strong> solche, die es wegen einer negativen<br />

Schufa-Auskunft schwer haben, einen<br />

Vertrag bei an<strong>der</strong>en Anbietern als<br />

dem G<strong>rund</strong>versorger zu bekommen. Hier<br />

müsste die Politik näher hinsehen <strong>–</strong> denn<br />

es darf <strong>nicht</strong> sein, dass ausgerechnet diejenigen,<br />

die keine echte Wahl haben, die<br />

höchsten Stromkosten zahlen müssen.<br />

Sie schlagen <strong>der</strong> Bundesregierung vor,<br />

einen so genannten „Energiemarktwächter“<br />

einzurichten. Könnte <strong>der</strong> mehr<br />

Transparenz schaffen und beispielsweise<br />

Stromkunden zum Wechseln bringen?<br />

Das wäre unsere Hoffnung. In Nordrhein-<br />

Westfalen haben wir begonnen, die Preispolitik<br />

von Energieunternehmen unter die<br />

Lupe zu nehmen und Fehlentwicklungen<br />

aufzuzeigen. Etwa durch Instrumente wie<br />

den Energiepreisatlas (www.vz-nrw.de/<br />

energiepreisatlas) o<strong>der</strong> die landesweite<br />

Strompreisstudie 2013 (www.vz-nrw.de/<br />

strompreisstudie).<br />

Das Thema Energie wird für Verbraucher<br />

immer komplizierter, gleichzeitig steigen<br />

die Anfor<strong>der</strong>ungen an jeden Einzelnen,<br />

sich aktiv am Marktgeschehen zu beteiligen.<br />

Deshalb for<strong>der</strong>n wir eine kritische,<br />

unabhängige Kontrollinstanz in Form eines<br />

bundesweiten Energiemarktwächters<br />

bei den Verbraucherzentralen.<br />

<strong>Energiewende</strong> sichert eine preisgünstige<br />

Energieversorgung in Zukunft<br />

Der erste Schritt, <strong>der</strong> technologische und<br />

wirtschaftliche Durchbruch für eine breite<br />

Markteinführung <strong>der</strong> erneuerbaren Energien,<br />

ist mit dem EEG bereits erfolgreich gelungen<br />

und hat darüber hinaus weltweit Nachahmer<br />

gefunden. Den nun begonnenen Umbau sozial<br />

gerecht zu gestalten, ist eine <strong>nicht</strong> weniger<br />

wichtige Voraussetzung für ein zukunftsfähiges<br />

Energiesystem. Gegner <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong><br />

nutzen die Debatte um die EEG-Umlage unter<br />

Einsatz beachtlicher Lobby- und Kampagnenmittel<br />

dafür, die erneuerbaren Energien als<br />

unsozialen Kostentreiber und als unfinanzier-<br />

bar darzustellen, um damit die <strong>Energiewende</strong><br />

insgesamt zu diskreditieren. Doch schaut man<br />

genauer hin, ergibt sich ein an<strong>der</strong>es Bild.<br />

Abgesehen von <strong>der</strong> Biomasse liegen die Be-<br />

triebskosten für Wind-, Solar- o<strong>der</strong> Wasserkraftstrom<br />

bei fast null. Daher wird perspektivisch ihr<br />

vermehrter Einsatz zu einer Kostenentlastung<br />

führen, denn es müssen keine Brennstoffe wie<br />

Kohle o<strong>der</strong> Gas teuer importiert werden. Der<br />

Strompreis von heute ist somit eine Investition<br />

in die Zukunft. Denn dieser Preis enthält Kosten,<br />

die notwendig sind, um die neuen Technologien<br />

in den Strommarkt zu bringen. Dagegen spiegeln<br />

sich die jahrzehntelangen Subventionen<br />

für fossile Stromerzeugung <strong>nicht</strong> im Strompreis<br />

wi<strong>der</strong>. Eine objektive Betrachtung <strong>der</strong> Kosten<br />

<strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong> ist so kaum möglich.<br />

In den vergangenen Jahren hatte die Bundes-<br />

- 16 - - 17 -<br />

regierung mit immer neuen Zusatzkosten die<br />

EEG-Umlage in die Höhe getrieben. Zum deutlichen<br />

Anstieg <strong>der</strong> Umlage trug auch bei, dass immer<br />

mehr Industrietriebe Vergünstigungen bei<br />

EEG-Umlage, Netzentgelten o<strong>der</strong> Stromsteuer<br />

erhalten <strong>–</strong> die Zahl <strong>der</strong> Betriebe hat sich 2012<br />

von 979 auf 2.200 mehr als verdoppelt. Allein<br />

die Gesamtsumme <strong>der</strong> Befreiung von Netzkosten<br />

be<strong>läuft</strong> sich aktuell auf <strong>rund</strong> 800 Millionen<br />

Euro. Fast gleichzeitig hat die EU-Kommission<br />

ein Verfahren gegen Deutschland eingeleitet,<br />

um zu überprüfen, ob die Ausnahmeregelungen<br />

für die energieintensiven Betriebe staatliche<br />

<strong>Bei</strong>hilfen sind. Insgesamt profitieren Energiegroßabnehmer<br />

doppelt: von den sinkenden Einkaufspreisen<br />

an <strong>der</strong> Strombörse aufg<strong>rund</strong> des<br />

steigenden Anteils an erneuerbaren Energien<br />

(Merit-Or<strong>der</strong>-Effekt) sowie durch die ausufernden<br />

Ausnahmeregelungen. Dadurch werden die<br />

Lasten <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong> auf immer weniger<br />

Schultern verteilt. Für die industriellen Großverbraucher<br />

müssen die privaten Stromverbraucher<br />

und kleinen Betriebe in die Bresche<br />

springen.<br />

Die von einkommensschwachen Haushalten zum<br />

Teil kaum mehr zu tragende Belastung durch steigende<br />

Energiekosten ist <strong>nicht</strong> primär <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong><br />

anzulasten. Sie ist vielmehr eine Folge <strong>der</strong><br />

wachsenden sozialen Schieflage in Deutschland<br />

(20 Prozent aller Haushalte gelten als arm). Dabei<br />

isst auch zu berücksichtigen, dass die Kosten<br />

für Heizung und Kraftstoffe in den vergangenen<br />

Jahren deutlich stärker gestiegen sind als die für<br />

Strom. So muss ein Drei-Personen-Musterhaushalt<br />

heute fast drei Viertel seiner monatlichen<br />

Energieausgaben für Heizen und Kraftstoffe aufbringen<br />

und kaum mehr als ein Viertel für Strom.


Lasten gerecht verteilen.<br />

Bedürftige entlasten.<br />

Auf Initiative <strong>der</strong> klima-allianz und unter<br />

<strong>der</strong> Schirmherrschaft des früheren Umweltministers<br />

und UNEP-Exekutivdirektors Prof.<br />

Klaus Töpfer (CDU) for<strong>der</strong>t ein breites Bündnis<br />

aus Sozial- und Verbraucherschutzverbänden,<br />

Umweltorganisationen, Kirchen und<br />

Gewerkschaften, die <strong>Energiewende</strong> sozial zu<br />

gestalten.<br />

Das Bündnis for<strong>der</strong>t den Abbau bestehen<strong>der</strong><br />

Subventionen und Privilegien für fossile<br />

Energieträger und Energieverbrauch. Eine<br />

progressive Gestaltung <strong>der</strong> Stromsteuer soll<br />

geprüft werden, damit ein G<strong>rund</strong>verbrauch<br />

zu geringeren Preisen zur Verfügung gestellt<br />

werden kann. Sozialtransfers wie ALG II,<br />

BAföG o<strong>der</strong> G<strong>rund</strong>sicherung im Alter müssen<br />

um die steigenden Energiekosten pauschaliert<br />

aufgestockt werden und auch Wohngeldempfänger<br />

sollen einen pauschalierten<br />

Energiekostenzuschuss (Strom und Heizung)<br />

erhalten. Da angemessene Einkommen die<br />

G<strong>rund</strong>lage für ein menschenwürdiges Leben<br />

sind und Armut vermeiden, soll die Einführung<br />

beziehungsweise Anhebung von flächendeckenden<br />

Mindestlöhnen (mindestens<br />

8,50 €/Stunde) umgesetzt werden. Weitere<br />

For<strong>der</strong>ungen sind die Umsetzung <strong>der</strong> EU-<br />

Energieeffizienzrichtlinie und die Aufstockung,<br />

Verstetigung und Diversifizierung <strong>der</strong><br />

staatlichen För<strong>der</strong>ung für Gebäudesanierung<br />

mit dem Ziel einer möglichst warmmietenneutralen<br />

Sanierung.<br />

Das Positionspapier von AWO, Diakonie,<br />

DMB und klima-allianz steht unter www.klima-allianz.de<br />

zum Download zur Verfügung.<br />

Foto: klima-allianz deutschland<br />

„Die Kosten <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong> müssen<br />

gerecht verteilt werden“<br />

Judith Przygodda,Projektleiterin<br />

beim Caritas-Verband<br />

Gelsenkirchen<br />

für die Aktion<br />

Stromspar-<br />

Check, über<br />

<strong>der</strong>en Erfolge<br />

und die Chance für Langzeitarbeitslose<br />

Hilft eine Aktion wie <strong>der</strong> Stromspar-<br />

Check wirklich, die Stromkosten in<br />

einkommensschwachen und sozial benachteiligten<br />

Haushalten langfristig zu<br />

senken?<br />

Die kostenlose Beratung für einkommensschwache<br />

Haushalte bringt eine<br />

wesentliche finanzielle Entlastung.<br />

Neben wichtigen Tipps zu Strom- und<br />

Wassereinsparungen gibt es ja <strong>noch</strong> ein<br />

kostenloses Sparpaket unter an<strong>der</strong>em<br />

mit Energiesparlampen, schaltbaren<br />

Steckerleisten, einem Wassersparduschkopf.<br />

Die finanzielle Entlastung <strong>der</strong> einkommensschwachen<br />

Haushalte liegt bei<br />

einem Haushalt mit zwei Personen bei<br />

durchschnittlich 100 Euro im Jahr. Die<br />

erhobenen Daten innerhalb des Projektes<br />

werden bundesweit ausgewertet und<br />

berechnet.<br />

- 18 - - 19 -<br />

Welche finanzielle Unterstützung ist<br />

notwendig, damit ein Angebot wie <strong>der</strong><br />

Stromspar-Check zu einem „Dauerangebot“<br />

wird?<br />

In dem Projekt erhalten Langzeitarbeitslose<br />

über ihre Tätigkeit als Stromsparhelfer<br />

die Chance auf einen Wie<strong>der</strong>einstieg<br />

ins Berufsleben. Das ist lei<strong>der</strong> zeitlich<br />

begrenzt. Allerdings ist es eine gesellschaftlich<br />

sinnvolle Tätigkeit und sollte viel<br />

stärker geför<strong>der</strong>t werden. Ich würde mir<br />

wünschen, dass sich neben dem Umweltministerium<br />

auch das Arbeitsministerium<br />

an den Projektkosten beteiligt und die<br />

entstandenen Arbeitsplätze somit langfristig<br />

abgesichert werden.<br />

Welche Vorstellungen hat die Caritas,<br />

damit die <strong>Energiewende</strong> sozialer und gerechter<br />

gestaltet wird?<br />

Die Kosten <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong> müssen gerecht<br />

verteilt werden. Eine Bevorzugung<br />

<strong>der</strong> Industrie halten wir für falsch. Die<br />

stetig steigenden Kosten für Energie müssen<br />

bei Hartz IV-Regelsätzen angemessen<br />

berücksichtigt werden. Eine finanzielle<br />

Unterstützung bei <strong>der</strong> Anschaffung energieeffizienter<br />

Haushaltsgeräte könnte<br />

ebenfalls helfen.


3. ÜBERFÄLLIG: EIN KONZEPT FÜR DIE<br />

ENERGETISCHE GEBÄUDESANIERUNG<br />

Fast 40 Prozent <strong>der</strong> Energie wird hierzulande<br />

für Wärme gebraucht, für Heizung und<br />

Warmwasser. Dabei entstehen allein ein<br />

Drittel <strong>der</strong> bundesdeutschen Kohlendioxidemissionen.<br />

Diese Zahlen sind lange bekannt. Auch die<br />

Tatsache, dass sich mit einer Sanierung des<br />

Gebäudebestandes die Energieverbräuche<br />

deutlich senken lassen. Mit einer ambitionierten<br />

Klima- und Energieeffizienzstrategie<br />

- 20 -<br />

könnte <strong>der</strong> Gesamtenergieverbrauch <strong>der</strong> privaten<br />

Haushalte bis zum Jahr 2050 um <strong>rund</strong><br />

75 Prozent verringern werden (EWI 2010).<br />

Laut Deutscher Energie-Agentur sind 65 Prozent<br />

<strong>der</strong> Fassaden unzureichend gedämmt<br />

und 60 Prozent <strong>der</strong> Fenster energetisch in<br />

einem schlechten Zustand. Zudem gibt es<br />

einen Investitionsstau in den deutschen<br />

Heizungskellern. Vier von fünf Gas- und Ölheizungen<br />

entsprechen <strong>nicht</strong> dem neuesten<br />

Stand <strong>der</strong> Technik. Häuser,<br />

die <strong>nicht</strong> mehr dem energetischen<br />

Stand <strong>der</strong> Technik<br />

entsprechen, sind ein G<strong>rund</strong><br />

dafür, dass gerade einkommensschwache<br />

Haushalte,<br />

Arbeitslose und Rentner von<br />

steigenden Energiepreisen<br />

über Gebühr betroffen sind.<br />

Doch die Bundesregierung<br />

lässt das Einsparpotenzial<br />

im Bereich <strong>der</strong> Gebäudesa-<br />

Foto: klima-allianz deutschland<br />

nierung ungenutzt. Ursprünglich hatte das<br />

<strong>Energiewende</strong>-Gesetzespaket <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

im Sommer 2011 auch Maßnahmen<br />

vorgesehen, um die energetische Sanierung<br />

von Wohngebäuden zu forcieren. Trotz mehrmaliger<br />

Verhandlungs<strong>rund</strong>en im Vermittlungsausschuss<br />

konnten sich die Bundesregierung<br />

und die Bundeslän<strong>der</strong> <strong>nicht</strong> auf die Finanzierung<br />

dieses Programms verständigen. Als Konsequenz<br />

entschied sich die Bundesregierung,<br />

die För<strong>der</strong>programme <strong>der</strong> KfW-Bank zur Gebäudesanierung<br />

aufzustocken, das heißt statt<br />

direkter Zuschüsse o<strong>der</strong> Steuererleichterungen<br />

bietet die KfW-Bank sanierungswilligen<br />

Hauseigentümern zinsverbilligte Kredite über<br />

ihre Hausbank an. Das genehmigte Budget<br />

von 1,8 Milliarden Euro ist nach Experteneinschätzung<br />

viel zu niedrig angesetzt. Das Ziel<br />

<strong>der</strong> Bundesregierung ist es, den Wärmebedarf<br />

bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent zu reduzieren,<br />

bis 2050 soll es hierzulande sogar einen<br />

klimaneutralen Gebäudebestand geben. Um<br />

in die Reichweite dieses Ziels zu kommen, halten<br />

Fachleute eine öffentliche För<strong>der</strong>ung von<br />

mindestens fünf Milliarden Euro pro Jahr für<br />

unverzichtbar.<br />

Bis heute gibt es kein Konzept, wie jährlich zwei<br />

Prozent des Gebäudebestands saniert werden<br />

können <strong>–</strong> von <strong>der</strong> Finanzierung ganz zu schweigen.<br />

800.000 Wohnungen (das wären die angesprochenen<br />

zwei Prozent) würden, so Berechnungen<br />

des Deutschen Mieterbundes, bei<br />

durchschnittlichen Sanierungskosten zwischen<br />

200 und 300 Euro pro Quadratmeter etwa 12<br />

bis 17 Milliarden Euro kosten <strong>–</strong> jedes Jahr, bis<br />

einschließlich zum Jahr 2050.<br />

- 21 -<br />

Gebäudesanierung = Konjunkturprogramm<br />

für heimische Wirtschaft<br />

Ein umfassendes CO 2 -Gebäudesanierungsprogramms<br />

hätte folgende positive Effekte:<br />

✔ Ein Euro För<strong>der</strong>ung löst neun Euro private<br />

Investitionen aus. Diese gehen zu etwa 90<br />

Prozent in die lokale Wertschöpfung und in<br />

den deutschen Mittelstand. Knapp 300 000<br />

Arbeitsplätze können so geschaffen beziehungsweise<br />

gesichert werden.<br />

✔ Die Energieabhängigkeit wird reduziert und<br />

es entstehen geringere Energiekosten für<br />

Verbraucher und Gewerbe.<br />

✔ Haushaltseffekte: Durch den Hebeleffekt<br />

entstehen durch jeden Euro För<strong>der</strong>mittel<br />

allein 1,50 Euro an zusätzlichen Mehrwertsteuereinnahmen.<br />

✔ Mit den Mitteln <strong>der</strong> KfW-För<strong>der</strong>programme<br />

wurden allein 2009 knapp eine Million Tonnen<br />

CO 2 pro Jahr dauerhaft vermieden <strong>–</strong> es<br />

ist überaus kosteneffizient.<br />

<strong>Bei</strong> den ohnehin steigenden Energiepreisen<br />

darf die energetische Sanierung des Gebäudebestandes<br />

<strong>nicht</strong> dazu führen, dass die Mieter<br />

dadurch über Gebühr belastet werden. Nach<br />

dem geltenden Mietrecht kann ein Vermieter<br />

11 Prozent <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierungskosten auf<br />

die Jahresmiete umlegen. Der Deutsche Mieterbund<br />

hat wie<strong>der</strong>holt kritisiert, dass diese<br />

Mehrbelastung selbst bei einer erfolgreichen<br />

und guten Sanierung <strong>nicht</strong> durch sinkende<br />

Heizkosten kompensiert wird. Die klima-allianz<br />

setzt sich für ein klimafreundliches und<br />

soziales Mietrecht ein, bei dem die energetische<br />

Qualität des Wohnraums flächendeckend<br />

Bestandteil <strong>der</strong> ortsüblichen Vergleichsmiete<br />

wird und bei dem Mieter die Miete angemessen<br />

min<strong>der</strong>n dürfen, wenn <strong>der</strong> energetische


Zustand <strong>der</strong> Wohnung <strong>nicht</strong> gesetzlichen Standards<br />

entspricht.<br />

Die Bundesregierung bleibt mit ihrer Wohnbau-<br />

und Mietrechtspolitik bis heute hinter<br />

allen Anfor<strong>der</strong>ungen zurück, die die <strong>Energiewende</strong><br />

und die selbst gesteckten Klimaziele<br />

notwendig gemacht haben. Dabei könnte ein<br />

ambitioniertes Konzept für die energetische<br />

Gebäudesanierung zum vergleichsweise günstigen<br />

Konjunkturprogramm werden, das sich<br />

zudem umgehend auf Wirtschaftswachstum<br />

und Arbeitslosenstatistik auswirken würde.<br />

„Die ganze <strong>Energiewende</strong> stellt unsere<br />

bisherigen Wirtschafts- und Verbrauchsmuster<br />

in Frage“<br />

Klaus Wiesehügel,Bundesvorsitzen<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong><br />

Industriegewerkschaft<br />

BAU,<br />

über das Hin<br />

und Her bei <strong>der</strong><br />

Finanzierung<br />

von Gebäudesanierungsprogrammen<br />

und <strong>der</strong>en Vorteile<br />

Was sind für die IG BAU <strong>der</strong>zeit die größten<br />

Hin<strong>der</strong>nisse bei <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong><br />

<strong>Energiewende</strong>?<br />

Durch die <strong>Energiewende</strong> wird sich viel<br />

än<strong>der</strong>n. Jahrzehntelang aufgebaute<br />

Machtgefüge werden angekratzt. Der<br />

Verteilungskampf tobt. Große Konzerne<br />

wehren sich dagegen, Marktanteile<br />

im großen Stil an kommunale Versorger<br />

o<strong>der</strong> lokale Eigenversorger zu verlieren.<br />

Die ganze <strong>Energiewende</strong> stellt unsere<br />

bisherigen Wirtschafts- und Verbrauchsmuster<br />

infrage. Darauf fußen jedoch<br />

große Teile unseres Selbstverständnisses<br />

und <strong>der</strong> Bequemlichkeit, die wir damit<br />

erreicht haben.<br />

Entsprechend fällt ein Umdenken schwer.<br />

Zumal alle Akteure in Wi<strong>der</strong>sprüchen<br />

stecken. Die gilt es, erst einmal anzuerkennen<br />

und dann Schritt für Schritt<br />

aufzulösen. Als Gewerkschaften sind wir<br />

für den Rückbau fossiler Energien, doch<br />

gleichzeitig setzen wir uns für die Interessen<br />

unserer Kollegen ein: Und die wollen<br />

ihren Job nun mal behalten. Die bestehenden<br />

politischen und wirtschaftlichen<br />

Anreizsysteme sind auch <strong>nicht</strong> entsprechend<br />

ausgestaltet, um Unternehmen<br />

und Verbraucher beim Umdenken zu unterstützen.<br />

So ist Arbeit immer viel höher<br />

besteuert als Ressourcenverbrauch.<br />

Außerdem werden die Debatten immer<br />

komplizierter und sind als Nichtexperte<br />

schwer zu überblicken. Diese Unsicherheit<br />

wird von Interessensgruppen<br />

missbraucht, um Stimmung gegen die<br />

<strong>Energiewende</strong> zu machen. Wir müssen<br />

aufpassen, dass die Debatten ehrlich und<br />

am Menschen geführt werden.<br />

Was für ein Plus verspricht sich die IG<br />

BAU von einem umfassenden Gebäudesanierungsför<strong>der</strong>programm<br />

für die<br />

Konjunktur, an Arbeitsplätzen und Energieeinsparung?<br />

Die energetische Gebäudesanierung ist<br />

eine För<strong>der</strong>ung kommunaler Wirtschaftskreisläufe.<br />

Die ausgelösten Wirtschaftseffekte<br />

gehen zu 90 Prozent in den Mittelstand<br />

und schaffen und erhalten damit<br />

<strong>rund</strong> 300.000 Arbeitsplätze. Das ist vor<br />

allem in Krisenzeiten wichtig. Außerdem<br />

stehen jedem Euro För<strong>der</strong>mittel 1,50 Euro<br />

zusätzlicher Mehrwertsteuereinnahmen<br />

gegenüber. Hinzu kommen Einnahmen<br />

aus Einkommens- und Körperschaftssteuern<br />

und geringere Ausgaben im Sozialbereich.<br />

Zudem wird <strong>der</strong> Verbrauch fossiler Ressourcen<br />

reduziert, was die Kohlendioxidemissionen<br />

senkt und die Ausgaben für<br />

Energieimporte verringert. Auch <strong>der</strong> einzelne<br />

Haushalt wird vor den steigenden<br />

Gas- und Ölpreisen geschützt.<br />

Warum ist es nach Einschätzung <strong>der</strong> IG<br />

BAU so schwer, ein nachhaltiges För<strong>der</strong>programm<br />

für die Gebäudesanierung<br />

politisch und finanziell auf den Weg zu<br />

bringen?<br />

Regelmäßig wird das Repertoire <strong>der</strong><br />

Stereotypen gegen Gebäudesanierung<br />

aktiviert: Schlechtes Raumklima und wuchern<strong>der</strong><br />

Schimmelpilz, Zerstörung schöner<br />

Fassaden und das <strong>alles</strong> auch <strong>noch</strong> viel<br />

zu teuer. Der Knackpunkt liegt also, wie<br />

so oft, in <strong>der</strong> Finanzierung. Da haben wir<br />

in <strong>der</strong> Legislaturperiode viel Hü und Hott<br />

erlebt. Das Erfolgsmodell des KfW-För<strong>der</strong>programms<br />

wurde mit den Kürzungen in<br />

den letzten vier Jahren massiv seiner Wirkung<br />

beraubt. Nur auf kontinuierlichen<br />

- 22 - - 23 -<br />

Druck wurde wie<strong>der</strong> aufgestockt. Keiner<br />

weiß, wie das Programm in den kommenden<br />

Jahren ausgestattet sein wird. Damit<br />

kann man ja keine Investitionsentscheidungen<br />

treffen. Dabei müsste man sich<br />

mehr Gedanken über Finanzierungsinstrumente<br />

machen, anstatt von vornherein<br />

reflexartig die Unfinanzierbarkeit anzuprangern.<br />

Gleichzeitig ist Bauen und Wohnen in den<br />

letzten Jahren beson<strong>der</strong>s in den Großstädten<br />

zu einem heiklen Thema geworden.<br />

Die Mieten steigen wegen mangelnden<br />

Wohnraums sowieso schon. Nun kommen<br />

auch <strong>noch</strong> energetische Sanierungskosten<br />

hinzu. Das trifft die Menschen ganz<br />

persönlich und verbraucht mehr als ein<br />

Drittel des Einkommens. Gerade deshalb<br />

muss für die Kostenaufteilung zwischen<br />

Eigentümer und Mieter eine gerechte Lösung<br />

gefunden werden.


4. KLIMAFREUNDLICHE VERKEHRSWENDE!<br />

Für das Erreichen <strong>der</strong> Energie- und Klimaziele<br />

in Deutschland spielt <strong>der</strong> Verkehrssektor<br />

eine wichtige Rolle: 21 Prozent <strong>der</strong> gesamten<br />

Emissionen werden hierzulande durch den<br />

Verkehr verursacht. Doch die Maßnahmen<br />

<strong>der</strong> Bundesregierung lassen diese Tatsache<br />

außer Acht: Nach wie vor fehlt <strong>der</strong> Vorrang<br />

für den öffentlichen Verkehr. Egal wer regiert<br />

<strong>–</strong> es fließen Milliardensummen in den Bau<br />

neuer Fernstraßen, <strong>der</strong> Investitionsrahmenplan<br />

des Bundesverkehrsministeriums sieht<br />

für die Jahre 2011-2015 eine Summe von<br />

knapp 25 Milliarden Euro vor. Damit allein<br />

ist es <strong>nicht</strong> getan: Deutschland verfügt heute<br />

mit knapp 13.000 km Autobahnen und gut<br />

40.000 Kilometer Bundesstraßen über eines<br />

<strong>der</strong> dichtesten Fernstraßennetze <strong>der</strong> Welt,<br />

dessen Erhaltung immer größere Summen<br />

verschlingt. Dafür sind für die Jahre 2011-<br />

2015 <strong>rund</strong> 12,6 Milliarden Euro vorgesehen <strong>–</strong><br />

eine Summe, die anscheinend nur ausreicht,<br />

um den Status quo einigermaßen zu halten.<br />

Wörtlich heißt es in dem erwähnten Investitionsrahmenplan:<br />

„Allein um den Zustand<br />

<strong>der</strong> Bundesfernstraßen auf dem <strong>der</strong>zeitigen,<br />

bereits abgesunkenen Niveau halten zu kön-<br />

nen, muss künftig deutlich mehr als bisher in<br />

die Erhaltung investiert werden.“<br />

Vorrang für den öffentlichen Verkehr<br />

Genau diese Mittel fehlen <strong>aber</strong> für den Ausbau<br />

des Schienennetzes, des Güterverkehrs<br />

auf <strong>der</strong> Schiene sowie für den öffentlichen<br />

Personennahverkehr (ÖPNV). Gerade <strong>der</strong><br />

ÖPNV trägt zu einer Verkehrsentlastung vieler<br />

Großstädte bei und erweist sich als ernst<br />

zu nehmende ökologische Alternative zum<br />

Individualverkehr. Um neue Akzente in <strong>der</strong><br />

Verkehrspolitik zu setzen, muss die Bundesregierung<br />

ein Moratorium für den Schnellstraßenbau<br />

beschließen. Nur so kann es gelingen,<br />

dass die Leistung von Zügen, Bussen<br />

und Bahnen bis zum Jahr 2050 auf mindestens<br />

50 Prozent <strong>der</strong> Gesamtverkehrsleistung<br />

steigen kann.<br />

Was <strong>der</strong>zeit ein frommer Wunsch ist: Zwar<br />

konnte die Deutsche Bahn AG nach eigenen<br />

Angaben für das vergangene Jahr mit knapp<br />

zwei Milliarden Reisenden einen Fahrgastrekord<br />

vermelden, den<strong>noch</strong> setzen die Bundesbürger<br />

nach wie vor bei ihrer Mobilität<br />

zum größten Teil auf das Auto. Nach Unter-<br />

Foto: saimen, www.photocase.de<br />

suchungen des Bündnisses „Bahn für Alle“<br />

nutzen <strong>rund</strong> 80 Prozent <strong>der</strong> Bundesbürger<br />

für ihre Reisen das Auto, für die Bahn entscheiden<br />

sich gerade einmal 7,5 Prozent.<br />

Wo bleibt die Verkehrswende?<br />

Auch wenn die neueste Fahrzeuggeneration<br />

<strong>–</strong> auch auf Druck <strong>der</strong> Umweltverbände<br />

<strong>–</strong> weniger Kohlendioxid ausstößt als ältere<br />

Modelle, so tanken diese Fahrzeuge nach wie<br />

vor weitestgehend fossile Brennstoffe. Ruhig,<br />

wenn <strong>nicht</strong> gar still, ist es um die von <strong>der</strong><br />

Bundesregierung verfolgte Alternative Elektromobilität<br />

geworden. Das Kraftfahrbundesamt<br />

in Flensburg hat für das vergangene Jahr<br />

die Zulassung von weniger als 5.000 Fahrzeugen<br />

mit Elektroantrieb registriert. Absehbar<br />

ist schon heute, dass die Bundesregierung<br />

mit ihrem Plan scheitern wird, bis Ende dieser<br />

Dekade <strong>rund</strong> eine Million Fahrzeuge mit<br />

Elektroantrieb auf die Straße zu bringen.<br />

Nach wie vor ist die Reichweite aufg<strong>rund</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>nicht</strong> ausgereiften Batterietechnologie<br />

unzureichend. Zudem hält <strong>der</strong> hohe Preis das<br />

Gros <strong>der</strong> Autofahrer vom Kauf eines E-Autos<br />

ab. Teilweise kosten Kleinfahrzeuge, die es<br />

auf eine Reichweite zwischen 100 bis maximal<br />

200 Kilometer bringen, bis zu 40.000<br />

Euro. Auch die Expertenkommission, die im<br />

Auftrag <strong>der</strong> Bundesregierung die Fortschritte<br />

bei <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong> analysiert, kritisiert<br />

die Elektromobilitätspolitik <strong>der</strong> Bundesregierung:<br />

„<strong>Bei</strong>m Verkehrsbereich sollte man<br />

sich <strong>nicht</strong> nur auf die Elektromobilität konzentrieren,<br />

son<strong>der</strong>n umfassen<strong>der</strong>e Mobilitätskonzepte<br />

umsetzen, die sich an einer<br />

<strong>nicht</strong>fossilen Strategie für die unterschiedlichen<br />

Verkehrssysteme und <strong>der</strong>en Zusam-<br />

- 24 - - 25 -<br />

menwirken im Personen- und Güterverkehr<br />

ausrichten.“<br />

Bislang jedenfalls ist <strong>der</strong> Nationale Entwicklungsplan<br />

Elektromobilität <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

ebenso erfolglos wie ihre Biospritpolitik.<br />

Die steuerliche För<strong>der</strong>ung biogener<br />

Kraftstoffe hat in einigen Regionen zu einem<br />

großflächigen Anbau von Maispflanzen geführt<br />

<strong>–</strong> eine ökologisch äußerst zweifelhafte<br />

Entwicklung („Vermaisung“). Diese Flächen<br />

werden zudem <strong>der</strong> Nahrungsmittelproduktion<br />

entzogen: Die Diskussion „Tank statt Teller“<br />

hat die Biospritprodukte in weiten Teilen<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung diskreditiert.<br />

Gescheitert ist die Bundesregierung auf<br />

jeden Fall mit ihrem Ansatz, mit <strong>der</strong> <strong>Bei</strong>mischung<br />

biogener Kraftstoffe, die CO 2 -Emissionen<br />

nennenswert zu senken <strong>–</strong> umstritten<br />

ist zudem <strong>der</strong> Nutzen für den Klimaschutz.<br />

Es gab eine Abstimmung an den Zapfsäulen:<br />

Die meisten Autofahrer haben einen großen<br />

Bogen um das Produkt E10 gemacht. Viele<br />

von ihnen befürchteten Schäden an den Motoren<br />

ihrer Fahrzeuge. Für den nach wie vor


geringen Absatz von E10-Kraftstoffen geben<br />

sich in regelmäßigen Abständen die Bundesregierung,<br />

die Automobilindustrie und die<br />

Tankstellenbetreiber gegenseitig die Schuld.<br />

Bis es gelingt, vom Pkw als Haupttransportmittel<br />

wegzukommen, ist es unverzichtbar,<br />

auf effizientere und abgasärmere Verbrennungsmotoren<br />

zu drängen. Allerdings blockieren<br />

etliche Automobilhersteller nach wie<br />

vor das von <strong>der</strong> EU festgelegte Emissionsziel<br />

von durchschnittlich 95 Gramm Kohlendioxid<br />

(CO 2 ) pro Kilometer bis 2020.<br />

Dienstwagenprivileg abschaffen<br />

Nicht nur die Festlegung von verbindlichen<br />

CO 2 -Obergrenzen für Pkw und Lkw müsste<br />

Teil eines Klimaschutzziels für den Verkehrssektor<br />

sein, das die Bundesregierung <strong>aber</strong> bis<br />

heute <strong>noch</strong> <strong>nicht</strong> angepackt hat, son<strong>der</strong>n auch<br />

eine Reform <strong>der</strong> heutigen Dienstwagenbesteuerung.<br />

Viele Arbeitgeber sehen in <strong>der</strong> Bereitstellung<br />

von Firmenwagen eine Strategie zur<br />

Mitarbeiterentlohnung, bei <strong>der</strong> sie Gehaltserhöhungen<br />

umgehen und dadurch Steuern und<br />

Sozialversicherungsbeiträge sparen können.<br />

Allerdings wird die Anschaffung und Nutzung<br />

von solchen Dienstautos von <strong>der</strong> Allgemeinheit<br />

subventioniert: Denn im Gegensatz zum privaten<br />

Autokauf sind alle anfallenden Kosten wie<br />

Kauf-, Wartungs- und Betriebskosten komplett<br />

steuerlich absetzbar. Jedes Jahr werden <strong>rund</strong><br />

60 Prozent aller verkauften Fahrzeuge gewerblich<br />

genutzt, viele davon nutzen die Firmenmitarbeiter<br />

als Dienstwagen auch privat.<br />

Schon seit längerem for<strong>der</strong>n Umweltverbände,<br />

dass die steuerliche Absetzbarkeit <strong>der</strong><br />

Anschaffungskosten für Firmenwagen sich an<br />

<strong>der</strong> Klimawirkung und damit an Zielwerten für<br />

CO 2 -Emissionen orientieren muss. Wer ein vergleichsweise<br />

schadstoffärmeres Fahrzeug mit<br />

niedrigen Emissionswerten erwirbt, sollte weiterhin<br />

alle Kosten voll absetzen können. Der<br />

Emissionswert sollte analog zu den Vorgaben<br />

auf europäischer Ebene im Zeitverlauf schrittweise<br />

abgesenkt werden. <strong>Bei</strong> klimaschädlicheren<br />

Fahrzeugen sollte hingegen künftig nur ein<br />

Teil <strong>der</strong> Anschaffungskosten steuerlich geltend<br />

gemacht werden können <strong>–</strong> umso weniger, je<br />

höher die CO 2 -Emissionen liegen. Über diese<br />

CO 2 -Differenzierung würden Firmenwagen mit<br />

niedrigen Verbrauchswerten begünstigt.<br />

Luftverkehrssteuer weiterentwickeln<br />

In ihrem Energiekonzept hat sich die Bundesregierung<br />

das Ziel gesetzt, den CO 2 -Ausstoß in<br />

Deutschland um 40 Prozent bis zum Jahr 2020<br />

und um 80 Prozent bis zum Jahr 2050 zu reduzieren.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e das Langfristziel wird<br />

ohne ein Klimakonzept für den wachsenden<br />

Luftverkehr kaum erreichbar sein. Bislang ist<br />

kein Instrument in Sicht, um die schnell wachsenden<br />

Emissionen aus dem Luftverkehr zu<br />

reduzieren. Hierzulande wird die Luftfahrtbranche<br />

beson<strong>der</strong>s stark subventioniert. Es<br />

gibt we<strong>der</strong> eine Kerosinsteuer <strong>noch</strong> wird für<br />

Fernflüge eine Mehrwertsteuer erhoben. Zwar<br />

hat die EU den Flugsektor in den Emissionshandel<br />

einbezogen <strong>–</strong> allerdings betrifft diese<br />

Regelung nur innereuropäische Flüge und die<br />

Zertifikate werden überwiegend kostenlos<br />

zugeteilt. Die in Deutschland neu eingeführte<br />

Luftverkehrssteuer steht unter Dauerfeuer <strong>der</strong><br />

Luftfahrtlobby <strong>–</strong> dabei macht sie <strong>nicht</strong> einmal<br />

10 Prozent <strong>der</strong> Subventionen für den Flugverkehr<br />

aus. Sie müsste daher dringend weiterentwickelt<br />

werden.<br />

Immer mehr Menschen nehmen die <strong>Energiewende</strong><br />

selbst in die Hand. In den letzten Jahren<br />

entwickelten sich verschiedene Formen<br />

des aktiven Engagements von Bürgerinnen<br />

und Bürger im Energiebereich. Das geht von<br />

einem Wechsel zu einem Ökostromanbieter<br />

bis hin zur Mitgestaltung kommunaler Energiekonzepte.<br />

Beson<strong>der</strong>s bemerkenswert ist,<br />

dass Bürgerinnen und Bürger<br />

gemeinsam Anlagen bauen<br />

und Energieproduzenten geworden<br />

sind. Es sind <strong>nicht</strong><br />

nur Kleinstanlagen auf eigenen<br />

Dächern. Initiiert durch<br />

gemeinnützige Vereine o<strong>der</strong><br />

Bürgerinitiativen entschließen<br />

sich die Menschen zur<br />

gemeinsamen Errichtung und<br />

dem Betrieb von erneuerbaren<br />

Energieanlagen.<br />

Ganz neu ist dieses Vorgehen<br />

<strong>nicht</strong>: Schon Anfang<br />

- 26 - - 27 -<br />

Foto: klima-allianz deutschland<br />

5. ENERGIEWENDE VON UNTEN:<br />

BÜRGER NEHMEN DIE ENERGIE-<br />

WENDE SELBST IN DIE HAND<br />

des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts wurden in Deutschland<br />

Energiegenossenschaften gegründet, um die<br />

Elektrizitätsversorgung im ländlichen Raum zu<br />

ermöglichen. <strong>Bei</strong> <strong>der</strong> aktuellen Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Bürgerbeteiligungen steht <strong>der</strong> Umbau zu<br />

einer erneuerbaren und dezentralen Energieversorgung<br />

im Vor<strong>der</strong>g<strong>rund</strong>. So entstehen<br />

Bürgerwindparks, Energiegenossenschaften


und Bioenergiedörfer. Diese Entwicklung hat<br />

mit dazu beigetragen, dass mittlerweile über<br />

die Hälfte <strong>der</strong> hierzulande registrierten Wind-,<br />

Solar- und Biokraftwerke in <strong>der</strong> Hand von Privatleuten<br />

und Landwirten ist, individuell o<strong>der</strong><br />

in Bürgeranlagen organisiert.<br />

Bürgerprojekte bieten Bürgern einen idealen<br />

Rahmen, sich vor Ort für den Umbau <strong>der</strong> Energieversorgung<br />

zu engagieren. Durch die Beteiligung<br />

<strong>der</strong> Bürger und Einbeziehung weiterer<br />

gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Akteure<br />

wird die Akzeptanz für neue Projekte gesteigert.<br />

Energie in Bürgerhand vereint zivilgesellschaftliches<br />

Engagement mit planerischer und finanzieller<br />

Beteiligung und erschließt neue Potenziale<br />

bei <strong>der</strong> regionalen Wertschöpfung.<br />

David gegen Goliath: Bürgerprojekte helfen<br />

mit, das Stromoligopol abzubauen<br />

Mit <strong>der</strong> zunehmenden Zahl von Energieprojekten<br />

in Bürgerhand löst sich die jahrelang zementierte<br />

Versorgerlandschaft durch die vier großen<br />

Stromkonzerne mehr und mehr auf. Entfielen<br />

auf dieses Quartett <strong>noch</strong> vor einem Jahrzehnt<br />

mehr als 85 Prozent <strong>der</strong> Stromerzeugungska-<br />

pazitäten, so ist dieser Anteil nach Zahlen <strong>der</strong><br />

Bundesnetzagentur heute bereits auf unter 70<br />

Prozent gesunken. Und dieser Abwärtstrend<br />

hält an. Bürgerkraftwerke positionieren sich<br />

hier vielfältig: Es geht einerseits um technische<br />

Alternativen zu den fossilen Energieträgern,<br />

an<strong>der</strong>erseits stellen sie <strong>aber</strong> auch eine<br />

ökonomisch-strukturelle Alternative dar, bei<br />

<strong>der</strong> zentrale Strukturen abgebaut werden und<br />

die Wertschöpfung in <strong>der</strong> Region bleibt. Dies<br />

bedeutet eine notwendige Verän<strong>der</strong>ung des<br />

Geschäftsmodells <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeit großen Energieversorger<br />

und kein Festhalten am Status quo.<br />

Verschiedene Organisationsformen<br />

Bürgeranlagen werden häufig in <strong>der</strong> Rechtsform<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft bürgerlichen Rechts, als<br />

GmbH & Co. KG o<strong>der</strong> als Genossenschaft betrieben.<br />

Die Wahl <strong>der</strong> Unternehmensform hängt<br />

letztendlich von den geplanten regenerativen<br />

Projekten und den handelnden Personen ab.<br />

In <strong>der</strong> Vergangenheit hat sich beispielsweise<br />

die GmbH & Co. KG als gängige Rechtsform für<br />

Bürgerwindparks etabliert.<br />

Seit einigen Jahren erlebt in <strong>der</strong> heimischen<br />

Energiewirtschaft jedoch vor<br />

allem ein Modell eine Renaissance,<br />

das vorher vielfach müde<br />

belächelt worden ist: Bürgerenergiegenossenschaften.<br />

Nach<br />

einer Schätzung des Deutschen<br />

Genossenschafts- und Raiffeisenverbands<br />

e.V. und <strong>der</strong> Agentur<br />

für Erneuerbare Energien<br />

hat sich die Zahl <strong>der</strong> Energiegenossenschaften<br />

innerhalb <strong>der</strong><br />

letzten 10 Jahre auf fast 600 verzehnfacht.<br />

Beson<strong>der</strong>s verbreitet<br />

sind Energiegenossenschaften bislang in Nie<strong>der</strong>sachsen,<br />

Baden-Württemberg und Bayern,<br />

<strong>der</strong> stärkste Zuwachs ist in Mecklenburg-Vorpommern<br />

zu verzeichnen.<br />

Mittlerweile sind mehr als 100.000 Bundesbürger<br />

an einer Energiegenossenschaft<br />

beteiligt, die zusammen bereits über eine<br />

Milliarde Euro vor allem in den Ausbau erneuerbarer<br />

Energien investiert haben.<br />

Für die Genossen sind <strong>der</strong> Umweltschutz und<br />

<strong>der</strong> Ausbau erneuerbarer Energien sowie die<br />

För<strong>der</strong>ung von regionaler Wertschöpfung<br />

mindestens so wichtig wie die Rendite. Genossenschaften<br />

scheinen daher eine geeignete<br />

Unternehmensform zu sein, zugleich<br />

nachhaltig zu wirtschaften sowie sozial verantwortlich<br />

und ökologisch zu handeln. Für<br />

die Investition in eine Genossenschaft gibt es<br />

gute Argumente: Die Beteiligung ist recht flexibel,<br />

Mitglie<strong>der</strong> können unkompliziert ein-<br />

und austreten. Ein wichtiges Merkmal <strong>der</strong><br />

Genossenschaft ist das Demokratieprinzip:<br />

Unabhängig von <strong>der</strong> Höhe <strong>der</strong> Einlage hat<br />

jedes Mitglied in <strong>der</strong> Genossenschaftsversammlung<br />

eine Stimme und ermöglicht eine<br />

gleichberechtigte Mitbestimmung. Da <strong>der</strong><br />

Gründungsprozess von Genossenschaften<br />

eng vom jeweiligen Genossenschaftsverband<br />

begleitet wird, gelten die Genossenschaften<br />

als „insolvenzsicherste“ Gesellschaftsform,<br />

außerdem werden sie durch das Genossenschaftsgesetz<br />

dazu angehalten, umfassende<br />

Rücklagen bilden. Viele Voraussetzungen,<br />

die sich für eine echte Bürgerbeteiligungsform<br />

eignen.<br />

- 28 - - 29 -<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Genossenschaften<br />

In den zurückliegenden Jahren haben sich die<br />

neuen Energiegenossenschaften vor allem<br />

auf den Bau von Solarkraftwerken konzentriert,<br />

was sich durch den überschaubaren<br />

Kapitalbedarf erklärt. An Bedeutung gewinnen<br />

mittlerweile Windkraft- und Biomasseprojekte,<br />

<strong>aber</strong> auch für den Bau und Betrieb<br />

kommunaler Nahwärmenetze haben sich<br />

erste Genossenschaften gegründet. Apropos<br />

Netze: Der Übertragungsnetzbetreiber Tennet<br />

plant in Schleswig-Holstein, für den Bau<br />

einer neuen Höchstspannungsleitung erstmals<br />

Geld von Privatbürgern einzusammeln<br />

und einen Bürgerfonds mit bis zu 15 Prozent<br />

an <strong>der</strong> Betreibergesellschaft zu beteiligen <strong>–</strong><br />

ein neuer Weg, um mehr Unterstützung bei<br />

betroffenen Anwohnern für die in <strong>der</strong> Regel<br />

umstrittenen Stromleitungen zu bekommen.<br />

Nicht nur die Zahl <strong>der</strong> Energieprojekte in<br />

Bürgerhand hat sich in den vergangenen<br />

Monaten spürbar erhöht, mittlerweile gibt<br />

es auch auf Landesebene politischen Rückenwind.<br />

So unterstützen beispielsweise in<br />

Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen<br />

o<strong>der</strong> Schleswig-Holstein die zuständigen<br />

Fachministerien die Gründung von Energiegenossenschaften.<br />

Die Motivation gleicht<br />

sich: Die Bürger vor Ort sollen wirtschaftlich<br />

von den Vorteilen <strong>der</strong> neuen, meist regenerativen<br />

Kraftwerken profitieren.<br />

Auf diesen Zug ist übrigens eine Reihe von<br />

Stadtwerken aufgesprungen, die bewusst die<br />

Zusammenarbeit mit Energiegenossenschaften<br />

suchen, teilweise <strong>der</strong>en Gründung sogar<br />

initiieren. Für die Kommunalversorger ist die<br />

Kooperation mit diesen Initiativen eine an<strong>der</strong>e<br />

Art <strong>der</strong> Kundenbindung.


Erste Energiegenossenschaften beteiligen<br />

sich an Stadtwerken<br />

Mittlerweile haben sich erste Bürgerenergiegenossenschaften<br />

neben regenerativen Kraftwerken<br />

und Netzen auch an Energieversorgern<br />

beteiligt. <strong>Bei</strong>spiele: Im nordhessischen Wolfhagen<br />

hat sich eine Genossenschaft mit 25<br />

Prozent an den lokalen Stadtwerken beteiligt.<br />

<strong>Bei</strong> <strong>der</strong> Energieversorgung Titisee-Neustadt im<br />

Hochschwarzwald waren bei <strong>der</strong> Gründung die<br />

Stadt selbst mit 60 Prozent sowie die Elektrizitätswerke<br />

Schönau mit 40 Prozent beteiligt. Die<br />

Schönauer haben später ihren Anteil zugunsten<br />

einer Bürgerenergiegenossenschaft auf<br />

30 Prozent gesenkt. Auch in größeren Städten<br />

gibt es erste <strong>Bei</strong>spiele von Bürgerbeteiligungen<br />

an Stadtwerken. Anfang 2012 beschloss <strong>der</strong><br />

Stadtrat in Jena, eine lokale Genossenschaft<br />

schrittweise mit zwei Prozent an den Stadtwerken<br />

Jena-Pößneck zu beteiligen.<br />

Die Idee <strong>der</strong> Bürgerbeteiligung bei <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong><br />

ist längst <strong>noch</strong> <strong>nicht</strong> ausgereizt. Viele<br />

<strong>der</strong> bundesweit über 10.000 meist kleinen<br />

und mittleren Städte und Gemeinden haben<br />

einen erheblichen Nachholbedarf beim Klimaschutz,<br />

angefangen vom Ausbau erneuerbarer<br />

Energien, über Strom- und Energiesparprojekte<br />

in kommunalen Gebäuden bis hin zur Straßenbeleuchtung<br />

<strong>–</strong> Projekte, die mit Hilfe von<br />

Bürgerkapital finanziert werden könnten. Die<br />

Agentur für Erneuerbare Energien geht davon<br />

aus, dass die Zahl <strong>der</strong> Bürgerkraftwerke weiter<br />

steigt, wenn die politischen Rahmenbedingungen<br />

für den dezentralen Ausbau <strong>der</strong> erneuerbaren<br />

Energien in diesem Jahr <strong>nicht</strong> geän<strong>der</strong>t<br />

werden.<br />

Die Entwicklung von Bürgeranlagen zeigt<br />

eindrucksvoll, wie sich die Aktivitäten von<br />

zunächst kleinen Bürgerinitiativen zu professionellen<br />

Energieproduzenten entwickeln<br />

können. „Energie in Bürgerhand“ durch das<br />

Engagement von Mutbürgern verän<strong>der</strong>t die<br />

Machtverhältnisse und vereint Bürgerverantwortung<br />

und wirtschaftliche Teilhabe. Die<br />

<strong>Energiewende</strong>, das bleibt festzuhalten, hat<br />

den Trend zu mehr Bürgerengagement bei<br />

<strong>der</strong> Energieversorgung verstärkt <strong>–</strong> was mit zur<br />

Demokratisierung dieses Wirtschaftszweiges<br />

beiträgt.<br />

Die klima-allianz deutschland ist Partner <strong>der</strong><br />

Kampagne „Energie in Bürgerhand“<br />

www.die-buergerenergiewende.de<br />

6. DIE ENERGIEWENDE INTERNATIONAL<br />

RICHTIG KOMMUNIZIEREN<br />

In Deutschland haben wir bis jetzt die <strong>Energiewende</strong><br />

viel zu sehr als vorwiegend nationales<br />

Projekt diskutiert. Mit großem Interesse beobachten<br />

jedoch Politiker in vielen Län<strong>der</strong>n, ob<br />

die deutsche <strong>Energiewende</strong> gelingt.<br />

Als ökonomisch wohlhabendes Land mit einem<br />

hohen Anteil von Industriebetrieben an<br />

<strong>der</strong> Wirtschaftsleistung wird Deutschland häufig<br />

als wirtschaftspolitisches Vorbild gesehen.<br />

Darum gilt: Sollte sich im Ausland die Ansicht<br />

durchsetzen, die deutsche <strong>Energiewende</strong> sei<br />

ein Erfolgsmodell, bekommen diejenigen Stimmen<br />

Auftrieb, die auch in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n für<br />

eine <strong>Energiewende</strong> werben. Das Gelingen <strong>der</strong><br />

<strong>Energiewende</strong> wirkt daher weit über die nationalen<br />

Grenzen hinaus. Derzeit nutzen in vielen<br />

Län<strong>der</strong>n Lobbyisten die deutsche Kostendiskussion<br />

geschickt aus, um die <strong>Energiewende</strong><br />

als vor allem emotional (irre-)geleitetes Projekt<br />

darzustellen, mit dem Deutschland seine<br />

Energiesicherheit und Wettbewerbsfähigkeit<br />

gefährdet und dem man auf keinen Fall folgen<br />

dürfe. Gerade in Schwellenlän<strong>der</strong>n wird<br />

immer wie<strong>der</strong> darauf hingewiesen, dass sich<br />

zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht das ökonomisch<br />

reiche Deutschland einen Ausbau <strong>der</strong><br />

Erneuerbaren leisten könne. Im eigenen Land<br />

müsse man damit jedoch warten. Dabei sind<br />

viele Erneuerbare im direkten Wettbewerb<br />

mit fossilen Energieträgern bereits jetzt konkurrenzfähig,<br />

auch in Schwellenlän<strong>der</strong>n.<br />

- 30 - - 31 -<br />

Klar ist: Die internationalen Klimaverhandlungen<br />

kommen auch darum nur schleppend voran,<br />

weil es an glaubwürdigen <strong>Bei</strong>spielen dafür<br />

fehlt, dass Energiesysteme klimafreundlich<br />

umgebaut werden können <strong>–</strong> und zwar ohne<br />

dadurch Wettbewerbsfähigkeit, Energiesicherheit<br />

o<strong>der</strong> soziale Sicherheit zu gefährden.<br />

Wenn die deutsche <strong>Energiewende</strong> international<br />

als erfolgversprechend wahrgenommen<br />

wird, kann das die Verhandlungen über das<br />

neue globale Klimaabkommen deutlich voranbringen.<br />

Je schneller sich zudem weitere Län<strong>der</strong><br />

dazu entschließen, Kohle- und Atomstrom<br />

durch erneuerbare Energien und Energieeffizienz<br />

zu ersetzen, desto günstiger wird auch die<br />

deutsche <strong>Energiewende</strong>. Das trifft insbeson<strong>der</strong>e<br />

auf unsere Nachbarlän<strong>der</strong> zu.<br />

Es zahlt sich also auch für Deutschland aus,<br />

wenn beispielsweise Politikern und Journalisten<br />

im Ausland ausreichend Informationen<br />

zur Verfügung stehen, um Chancen und Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> deutschen <strong>Energiewende</strong><br />

umfassend einschätzen zu können. Mehrere<br />

Mitgliedsorganisationen <strong>der</strong> klima-allianz<br />

deutschland sind in diesem Bereich bereits<br />

aktiv. Dies allein reicht jedoch <strong>nicht</strong>. Auch die<br />

Bundesregierung ist gefor<strong>der</strong>t, mit deutlich<br />

mehr <strong>–</strong> auch finanziellem <strong>–</strong> Engagement über<br />

die Chancen und Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong><br />

zu informieren.


„Die <strong>Energiewende</strong> gehört in ein Gesamtkonzept<br />

auf dem Weg in eine ressourcenschonende<br />

und gerechte Gesellschaft“<br />

Maria Anneken,<br />

Mitglied im Bundesvorstand<br />

<strong>der</strong><br />

Katholischen<br />

FrauengemeinschaftDeutschlands<br />

e.V. (kfd),<br />

über Vorschläge<br />

zum Klimaschutzpaket und die Vorteile<br />

dezentraler Energieversorgung<br />

Warum engagiert sich die kfd für die <strong>Energiewende</strong>?<br />

Die Katholische Frauengemeinschaft<br />

Deutschlands bekennt in ihrem Leitbild: „Wir<br />

engagieren uns für gerechte, gewaltfreie und<br />

nachhaltige Lebens- und Arbeitsbedingungen<br />

in <strong>der</strong> Einen Welt“. Als größter deutscher<br />

Frauenverband mit über einer halben Million<br />

Mitglie<strong>der</strong>n sieht sich die kfd aus christlicher<br />

Verantwortung zur Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

verpflichtet.<br />

Klimaschutz und nachhaltiger Konsum sind<br />

For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> kfd und werden im gesamten<br />

Verband auf unterschiedlichen Ebenen<br />

vertreten und gelebt.<br />

Was sind für die kfd <strong>der</strong>zeit die größten<br />

Hin<strong>der</strong>nisse bei <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong>?<br />

Die Energiedebatte wird von zahlreichen<br />

Gruppen mit unterschiedlichen Interessen<br />

(Parteien, Bund, Län<strong>der</strong>, Stromanbieter) be-<br />

stimmt und ist wenig transparent. Es entsteht<br />

<strong>der</strong> Eindruck, dass die Kosten <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong><br />

einseitig den Verbraucher/innen <strong>–</strong> auch<br />

durch das Strompreisregulierungsgesetz <strong>–</strong> aufgebürdet<br />

werden. Den Investitionen für die<br />

erneuerbaren Energien werden offenkundig<br />

<strong>nicht</strong> die Gesamtkosten für die Energiebereitstellung<br />

und Entsorgung atomarer und fossiler<br />

Energien gegenübergestellt.<br />

Die notwendige <strong>Energiewende</strong> wird nur gelingen,<br />

wenn sie von allen Beteiligten gemeinsam<br />

getragen und umgesetzt wird. Ein entscheiden<strong>der</strong><br />

Faktor ist die Kostentransparenz<br />

und das Setzen von Anreizen für Energiesparmaßnahmen.<br />

Welche Vorstellungen hat die kfd, damit die<br />

<strong>Energiewende</strong> sozialer und gerechter wird?<br />

Für die kfd gehört die <strong>Energiewende</strong> in ein<br />

Gesamtkonzept auf dem Weg in eine ressourcenschonende<br />

und gerechte Gesellschaft.<br />

Die kfd regt durch ihr Klimaschutzpaket zu<br />

klimafreundlichem Verhalten an. Sie wirkt im<br />

Projekt „Green-Economy Gen<strong>der</strong>_Gerecht“<br />

mit, um Politik und Wirtschaft nachhaltiger,<br />

sozialer und ressourcenschonen<strong>der</strong> zu gestalten.<br />

Die kfd sieht in <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong><br />

einen wichtigen <strong>Bei</strong>trag zur Sicherung <strong>der</strong><br />

Lebensg<strong>rund</strong>lagen, Steigerung des Wohlbefindens,<br />

sozialer Gerechtigkeit und finanzieller<br />

Absicherung <strong>der</strong> Kommunen, vor allem<br />

durch dezentrale Energieerzeugung.<br />

Für die kfd gilt es durch vorbildliches Verhalten,<br />

wie beispielsweise <strong>der</strong> Nutzung von<br />

Ökostrom in <strong>der</strong> Bundesgeschäftsstelle, einen<br />

wesentlichen <strong>Bei</strong>trag zum Klimaschutz<br />

zu leisten.<br />

7.WAS FEHLT, IST EIN GESAMTKONZEPT<br />

All die Maßnahmen, die für eine umfassende<br />

<strong>Energiewende</strong> notwendig sind, können<br />

<strong>nicht</strong> über Nacht umgesetzt werden. Welche<br />

Maßnahmen wirklich notwendig sind, darüber<br />

gibt es allerdings nach wie vor keinen<br />

abgestimmten Konsens zwischen <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

und den Bundeslän<strong>der</strong>n <strong>–</strong> trotz<br />

zahlreicher sogenannter „Energiegipfel“. Es<br />

gibt keine <strong>Energiewende</strong> aus einem Guss, son<strong>der</strong>n<br />

ein Sammelsurium von Plänen in Bund<br />

und Län<strong>der</strong>n. Was fehlt, ist ein Gesamtkonzept.<br />

Zu den Fehlern <strong>der</strong> Regierung Merkel<br />

bei <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong> zählt <strong>nicht</strong> nur ihr unzureichendes,<br />

wenig abgestimmtes <strong>Energiewende</strong>gesetzespaket<br />

aus dem Sommer 2011,<br />

son<strong>der</strong>n auch die Unstimmigkeit im Kabinett<br />

selbst. Weil Bundesumweltministerium und<br />

Bundeswirtschaftsministerium bei energiepolitischen<br />

Fragen g<strong>rund</strong>sätzlich <strong>nicht</strong> an einem<br />

Strang ziehen, blockiert sich die Regierung bei<br />

wichtigen Fragen immer wie<strong>der</strong> selbst.<br />

Für Bundesumweltminister Peter Altmaier,<br />

seit Mai 2012 im Amt, ist das vorläufige Scheitern<br />

seiner sogenannten Strompreisbremse<br />

die zweite Nie<strong>der</strong>lage. Schon wenige Wochen<br />

nach Amtsantritt hatte Altmaier angekündigt,<br />

- 32 - - 33 -<br />

Foto: klima-allianz deutschland<br />

den weiteren Windkraftausbau an Land zu deckeln.<br />

Mit diesem Plan konnte er sich zwar<br />

<strong>nicht</strong> durchsetzen, hinterließ <strong>aber</strong> eine wochenlange<br />

Verunsicherung in <strong>der</strong> Windbranche.<br />

Ebenfalls zur öffentlichen Verunsicherung<br />

hatte seine im Frühjahr veröffentlichte<br />

Aussage beigetragen, dass die <strong>Energiewende</strong><br />

bis 2040 wohl „bis zu einer Billion Euro“ kosten<br />

würde <strong>–</strong> auch diese Berechnung hielt einer<br />

fachlichen Prüfung <strong>nicht</strong> stand.<br />

Dass es eine Reform des EEG geben soll,<br />

ist selbst in <strong>der</strong> Branche <strong>der</strong> erneuerbaren<br />

Energien unumstritten. Diese Reform muss<br />

<strong>aber</strong> im Kontext mit dem gesamten Umbau<br />

<strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen Energieversorgungsstruktur<br />

geschehen. So ist eine Neuausrichtung des<br />

heimischen Kraftwerksmarktes unumgänglich.<br />

Bis die erneuerbaren Energien wirklich<br />

das Rückgrat <strong>der</strong> Stromversorgung stellen,<br />

sind für eine Übergangszeit <strong>noch</strong> fossile<br />

Kraftwerke notwendig. Die Preisbildung im<br />

Erzeugungsmarkt ist <strong>der</strong>zeit <strong>aber</strong> so gestrickt,<br />

dass vor allem die klimaschädigenden Braunkohlekraftwerke<br />

so häufig wie <strong>noch</strong> nie am<br />

Netz sind (siehe Seite 9). Dagegen werden<br />

umweltfreundliche, flexiblere Gaskraftwerke


vom Markt gedrängt <strong>–</strong> eine für das Erreichen<br />

<strong>der</strong> deutschen Klimaziele fatale Entwicklung.<br />

Nach wie vor gibt es von Seiten <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

keine Initiativen zum Umbau des<br />

heimischen Kraftwerkmarktes. Die zuständigen<br />

Ministerien verweisen auf die in <strong>der</strong> Tat<br />

<strong>der</strong>zeit bestehenden Überkapazitäten, die in<br />

diesem Jahr <strong>noch</strong> größer werden. Bis Anfang<br />

2014 gehen fünf neue Steinkohlekraftwerke<br />

mit einer Leistung von gut 5.300 Megawatt in<br />

Betrieb. Absehbar ist schon heute, dass die<br />

meisten dieser neuen Blöcke über Jahre hinweg<br />

rote Zahlen erwirtschaften werden.<br />

Ein Klimaschutzgesetz, das den Ausstieg aus<br />

<strong>der</strong> Atomkraft auch klimapolitisch flankiert,<br />

kann für die <strong>Energiewende</strong> und für die Realisierung<br />

<strong>der</strong> Klimaschutzziele Sicherheit, Verbindlichkeit<br />

und Langfristigkeit gewährleisten.<br />

Es würde den ordnungspolitischen Rahmen<br />

für ein vollständig auf erneuerbaren Energien<br />

basierendes Energiesystem und für eine<br />

Reduzierung <strong>der</strong> Treibhausgasemissionen um<br />

90 Prozent bis 2050 setzen.<br />

Sei es die ausbleibende dringend notwendige<br />

Gebäudesanierung o<strong>der</strong> die ungelösten<br />

soziale Frage <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong>: Zwei Jahre<br />

nach <strong>der</strong> Verabschiedung <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong>beschlüsse<br />

wird jetzt immer deutlicher, dass<br />

es Deutschland nach wie vor an einem Gesamtkonzept<br />

fehlt, wie die <strong>Energiewende</strong> zum<br />

Erfolg geführt werden kann.<br />

- 34 -<br />

„Wir vermissen einen Masterplan <strong>der</strong> Bundesregierung“<br />

Prof. Hartmut<br />

Vogtmann,<br />

Präsident des<br />

Deutschen Naturschutzrings<br />

(DNR), über den<br />

ökologischen<br />

Gewinn <strong>der</strong><br />

<strong>Energiewende</strong><br />

und die bevorstehende Bundestagswahl<br />

Was sind für den DNR <strong>der</strong>zeit die größten<br />

Hin<strong>der</strong>nisse bei <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong><br />

<strong>Energiewende</strong>?<br />

Wir vermissen einen Masterplan <strong>der</strong><br />

Bundesregierung für die <strong>Energiewende</strong>.<br />

Es mangelt an einer Gesamtstrategie und<br />

<strong>vieles</strong> bleibt nur Stückwerk. Dezentrale<br />

und regionale Energiekonzepte und die<br />

Beteiligung <strong>der</strong> Bürger stehen <strong>nicht</strong> im<br />

Mittelpunkt. In letzter Zeit drängt sich<br />

sogar <strong>der</strong> Eindruck auf, dass die Bundesregierung<br />

die <strong>Energiewende</strong> torpediert.<br />

Da schimmern die Interessen <strong>der</strong> alten<br />

Strukturen mit ihrer zentralistischen<br />

Ausrichtung auf fossile und nuklear betriebene<br />

Großkraftwerke durch. Ein völlig<br />

falsches Signal von <strong>der</strong> Politik ist die<br />

aktuelle Debatte über die steigenden<br />

Strompreise und die deshalb angeblich<br />

unbedingt notwendige Än<strong>der</strong>ung des<br />

Erneuerbare-Energien-Gesetzes. In Wirklichkeit<br />

machen die Kosten für Strom im<br />

Vergleich zu denjenigen für Heizung und<br />

Foto: Peter Schmenger<br />

Kraftstoffen den geringsten Teil <strong>der</strong> privaten<br />

Energiekosten aus. Zudem könnten<br />

nach einer Studie des Forums Ökologisch-Soziale<br />

Marktwirtschaft (FÖS) bis<br />

zu 5 Milliarden Euro pro Jahr eingespart<br />

werden, wenn die Politik endlich bereit<br />

wäre, eine gezielte Reduktion bei den<br />

Ausnahmeregelungen und Vergünstigungen<br />

auf den Energieverbrauch von Teilen<br />

<strong>der</strong> Industrien durchzusetzen.<br />

Welchen ökologischen Gewinn verspricht<br />

sich <strong>der</strong> DNR von <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong>?<br />

Die Energieversorgung auf <strong>der</strong> Basis erneuerbarer<br />

Energien und umfassen<strong>der</strong><br />

Energieeffizienzmaßnahmen dient dem<br />

Klimaschutz und dem Erhalt begrenzter<br />

Ressourcen. Umweltzerstörungen beim<br />

Abbau von Öl, Kohle, Gas und Uran lassen<br />

sich dadurch ebenso vermeiden, wie<br />

Atommüll und weitere Risiken <strong>der</strong> Atomenergie.<br />

Treibhausgase und an<strong>der</strong>e durch<br />

die bisherige Verwendung fossiler Energieträger<br />

verursachte Schadstoffe werden<br />

drastisch verringert. Der Klimaschutz<br />

trägt wesentlich dazu bei, die biologische<br />

Vielfalt, also Ökosysteme, Artenvielfalt sowie<br />

die genetische Vielfalt innerhalb <strong>der</strong><br />

Arten zu bewahren und <strong>der</strong>en natürliche<br />

Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel<br />

zu erhalten.<br />

Mit welchen Initiativen plant <strong>der</strong> DNR,<br />

für mehr Tempo bei <strong>der</strong> <strong>Energiewende</strong><br />

zu sorgen?<br />

Wir wollen zusammen mit an<strong>der</strong>en Partnern<br />

die zügige Umsetzung <strong>der</strong> naturver-<br />

- 35 -<br />

träglichen <strong>Energiewende</strong> zum beherrschenden<br />

Thema <strong>der</strong> bevorstehenden<br />

Bundestagswahl machen. Dazu gehören<br />

eine rasche und vollständige Umsetzung<br />

<strong>der</strong> EU-Energieeffizienzrichtlinie und<br />

eine umfassende Gebäudemo<strong>der</strong>nisierung.<br />

Der DNR arbeitet maßgeblich in<br />

<strong>der</strong> Ende April 2013 gegründeten Fachagentur<br />

Windenergie an Land mit und<br />

ist dort im Vorstand vertreten. Ziel <strong>der</strong><br />

Fachagentur ist die För<strong>der</strong>ung des natur-<br />

und umweltverträglichen Ausbaus <strong>der</strong><br />

Windenergie. Dies soll vor allem durch<br />

die Beratung von Kommunen und regionalen<br />

Planungsgemeinschaften erfolgen.


8. FORDERUNGEN AN DIE<br />

BUNDESREGIERUNG<br />

Eine ambitionierte Klimapolitik ist mehr als<br />

die <strong>der</strong>zeit diskutierte <strong>Energiewende</strong> und für<br />

die klima-allianz ein gesamtgesellschaftliches<br />

Thema, das bürgernah und unter Beteiligung<br />

aller gesellschaftlichen Akteure umgesetzt<br />

werden muss. Wir brauchen einen dezentralen,<br />

vorrangigen Ausbau <strong>der</strong> erneuerbaren<br />

Energien, auf den <strong>der</strong> Aus- und Umbau des<br />

Stromnetzes abzustimmen ist. Wir for<strong>der</strong>n<br />

daher:<br />

<strong>Energiewende</strong> richtig machen <strong>–</strong><br />

Kohlekraft zurückdrängen<br />

► Die bestehenden Subventionen für fossile<br />

Energieträger und Energieverbrauch<br />

- 36 -<br />

müssen abgebaut werden. Für Industrievergünstigungen<br />

müssen einheitliche Kriterien<br />

verwendet werden, die die wirkliche<br />

Energie- und Handelsintensität <strong>der</strong> Unternehmen<br />

berücksichtigen. Eine Voraussetzung<br />

muss die nachprüfbare ambitionierte<br />

Umsetzung von Energieeinspar- und Effizienzmaßnahmen<br />

sein.<br />

► Kohlekraftwerke sind we<strong>der</strong> nötig <strong>noch</strong><br />

sinnvoll. Der Anteil des klimaschädlichen<br />

Kohlestroms muss verringert werden, beispielsweise<br />

über strenge Emissionsgrenzwerte<br />

und CO 2 -Grenzwerte.<br />

Foto: klima-allianz deutschland<br />

<strong>Energiewende</strong> sozial gestalten<br />

► Sozialtransfers wie ALG II, BAföG o<strong>der</strong><br />

G<strong>rund</strong>sicherung im Alter müssen um die<br />

steigenden Energiekosten pauschaliert<br />

aufgestockt werden (auf G<strong>rund</strong>lage von<br />

Preisprognosen o<strong>der</strong> indem vierteljährlich<br />

die tatsächlichen Verbrauchswerte<br />

<strong>der</strong> Referenzgruppe gemittelt werden).<br />

Die Erst- beziehungsweise Ersatzausstattungen<br />

von Wohnungen im Rahmen von<br />

Arbeitslosengeld sollten mit energieeffizienten<br />

Geräten <strong>der</strong> höchsten Effizienzklasse<br />

erfolgen. Auch Wohngeldempfängerinnen<br />

und -empfänger sollen einen pauschalierten<br />

Energiekostenzuschuss (Strom und<br />

Heizung) erhalten. Dadurch werden auch<br />

Bevölkerungsgruppen mit niedrigen Einkommen<br />

von steigenden Energiekosten<br />

entlastet. Durch einen verbrauchsunabhängigen<br />

Zuschuss wird energiesparendes<br />

Verhalten belohnt.<br />

► Angemessene Einkommen sind die G<strong>rund</strong>lage<br />

für ein menschwürdiges Leben und<br />

vermeiden Armut, auch Energiearmut. Die<br />

Einführung beziehungsweise Anhebung<br />

von flächen¬deckenden Mindestlöhnen<br />

(mindestens 8,50 €/Stunde) sollte umgesetzt<br />

werden.<br />

Gebäudesanierung voranbringen<br />

► Die Bundesregierung muss endlich ausreichende<br />

Investitionsanreize für die Gebäudesanierung<br />

schaffen, die Investoren<br />

langfristige Planungssicherheit bringen<br />

und Wohnraum dauerhaft für alle sozialen<br />

Gruppen bezahlbar machen. Die staat-<br />

- 37 -<br />

liche För<strong>der</strong>ung für die Gebäudesanierung<br />

muss auf mindestens fünf Milliarden Euro<br />

jährlich erhöht werden, die über einen längeren<br />

Zeitraum im Bundeshalt eingeplant<br />

sein müssen.<br />

Klimafreundliche Verkehrswende<br />

beginnen<br />

► Wir for<strong>der</strong>n neben einem verbindlichen Klimaschutzziel<br />

für den Verkehrssektor eine<br />

verlässliche und verbesserte Finanzierung<br />

des öffentlichen Verkehrs. Die Bundesregierung<br />

muss dafür sorgen, dass mehr Güter<br />

auf <strong>der</strong> Schiene transportiert werden.<br />

Deutschland muss sich verbindlich zum<br />

Ziel setzen, die Leistung des Umweltverbunds<br />

bis 2050 auf mindestens 50 Prozent<br />

<strong>der</strong> Gesamtverkehrsleistung zu steigern.<br />

Wir for<strong>der</strong>n die Streichung <strong>der</strong> Subventionen<br />

für den beson<strong>der</strong>s klimaschädlichen<br />

Luftverkehr und die Einführung einer Kerosinsteuer.<br />

► Von <strong>der</strong> Bundesregierung erwarten wir ein<br />

Moratorium für den Bau und Ausbau von<br />

Autobahnen. Der Erhalt bestehen<strong>der</strong> Straßen<br />

muss Vorrang haben. Die Bundesregierung<br />

muss sich zudem für ambitionierte<br />

CO 2 -Obergrenzen bei Pkw von 80 g/km<br />

2020 und 60 g/km 2025 einsetzen sowie<br />

für eine Dienstwagenbesteuerung, die sich<br />

an <strong>der</strong> Klimaverträglichkeit ausrichtet. Für<br />

eine Verkehrswende ist unabdingbar, ein<br />

Tempolimit auf Autobahnen von 120 Stundenkilometer<br />

sowie innerorts Tempo 30<br />

als Regelgeschwindigkeit festzusetzen.


Bürgerenergiewende unterstützen <strong>–</strong><br />

Einspeisevorrang beibehalten<br />

► Das erfolgreiche Erneuerbare-Energien-<br />

Gesetz (EEG) ist hinreichend flexibel, um<br />

den sich än<strong>der</strong>nden Realitäten gerecht zu<br />

werden. Wir brauchen auch in Zukunft ein<br />

robustes EEG, das weiterhin den Einspeisevorrang<br />

für die erneuerbaren Energien<br />

garantiert sowie den Bestand und die<br />

Entwicklung <strong>der</strong> erneuerbaren Energien<br />

schützt und för<strong>der</strong>t. <strong>Bei</strong> <strong>der</strong> Gestaltung<br />

<strong>der</strong> Einspeisevergütung ist auf Verlässlichkeit<br />

und Planbarkeit <strong>der</strong> Anpassungen zu<br />

achten, um die Marktfähigkeit <strong>der</strong> erneuerbaren<br />

Energien in einer realistischen Geschwindigkeit<br />

zu erreichen.<br />

Klimapolitik europäisch und<br />

international denken<br />

► Die Bundesregierung muss sich auf EU-<br />

Ebene für eine Erhöhung des EU-Reduktionsziels<br />

für Treibhausgas auf mindestens<br />

30 Prozent bis 2020 gegenüber 1990 und<br />

eine permanente Verknappung <strong>der</strong> Zertifikate<br />

des Emissionshandels einsetzen. Die<br />

Industrielän<strong>der</strong> haben sich verpflichtet,<br />

die finanzielle Unterstützung für die armen<br />

Län<strong>der</strong> bei Klimaschutz und Anpassung an<br />

den Klimawandel bis 2020 auf 100 Milliarden<br />

US-Dollar pro Jahr zu steigern <strong>–</strong> hier<br />

müssen die Zusagen aus Deutschland erhöht<br />

werden und auch regelmäßige, substanzielle<br />

Zusagen an den neuen Green<br />

Climate Fund umfassen.<br />

- 38 -<br />

► Die Bundesregierung muss sich für ein umfassendes,<br />

weltweites Abkommen gegen<br />

den Klimawandel bis 2015 einsetzen, das<br />

spätestens 2020 in Kraft tritt und die globale<br />

Erwärmung auf unter 2 Grad Celsius<br />

begrenzt.<br />

Klimaschutz- und Effizienzgesetz<br />

auf den Weg bringen<br />

► Die klima-allianz deutschland for<strong>der</strong>t ein<br />

deutsches Klimaschutzgesetz, denn die<br />

<strong>Energiewende</strong> und die Realisierung <strong>der</strong><br />

Klimaschutzziele brauchen Sicherheit,<br />

Verbindlichkeit und Langfristigkeit. Ein Klimaschutzgesetz,<br />

das den Ausstieg aus <strong>der</strong><br />

Atomkraft auch klimapolitisch flankiert,<br />

kann genau dies gewährleisten. Dieses<br />

Gesetz setzt den ordnungspolitischen Rahmen<br />

für ein vollständig auf erneuerbaren<br />

Energien basierendes Energiesystem und<br />

für eine Reduzierung <strong>der</strong> Treibhausgasemissionen<br />

um 90 Prozent bis 2050.<br />

► Daneben muss die kürzlich beschlossene<br />

EU-Energieeffizienzrichtlinie von <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

ambitioniert in nationales<br />

Recht überführt werden. In einem Effizienzgesetz<br />

soll die Bundesregierung ehrgeizige<br />

Maßnahmen zum Energiesparen<br />

beschließen.


klima-allianz deutschland<br />

SCHRIFTENREIHE DER KLIMA-ALLIANZ DEUTSCHLAND (ISSN 2196-6060)<br />

Die klima-allianz deutschland ist<br />

das breite gesellschaftliche Bündnis<br />

aus mehr als 110 Organisationen<br />

aus den Bereichen Umwelt,<br />

Entwicklung, Kirche, Jugend, Tierschutz,<br />

Verbraucherschutz und<br />

Gewerkschaften für konsequenten<br />

Klimaschutz. Schwerpunkt<br />

<strong>der</strong> klima-allianz sind politische<br />

Lobbyarbeit, das Anstoßen und<br />

Organisieren von Debatten zur<br />

Energie- und Klimapolitik und<br />

gemeinsame Veranstaltungen<br />

und Aktionen, wie z.B. <strong>der</strong> Alternative<br />

Energiegipfel und <strong>der</strong><br />

Klima-Aktionstag. Die Anti-Kohle<br />

Kampagne <strong>der</strong> klima-allianz setzt<br />

sich erfolgreich gegen den Neubau<br />

von klimaschädlichen Kohlekraftwerken<br />

ein.<br />

Weitere Informationen zur Arbeit<br />

<strong>der</strong> klima-allianz finden<br />

sich unter:<br />

www.klima-allianz.de<br />

www.kohle-protest.de<br />

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