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Dystonie-Bericht und Porträts

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schreiben, was zu Problemen bei Behördengängen führt.<br />

auch bei der Musikerdystonie, an der besonders oft Pianis-<br />

ten erkranken, ist es den Betroffenen nicht mehr möglich,<br />

zuvor erlernte, präzise Bewegungen mit den händen auszuführen.<br />

Prominentestes opfer dieser Störung war robert<br />

Schumann, der wegen seiner fokalen <strong>Dystonie</strong> kein<br />

Klaviervirtuose werden konnte <strong>und</strong> sich fortan auf das Komponieren<br />

beschränkte.<br />

Marie K. ist 33 Jahre alt, hat ein sympathisches, manchmal<br />

spitzbübisches lächeln <strong>und</strong> einen beneidenswert<br />

üppigen, wuscheligen lockenkopf. Sie steht als Mediengestalterin<br />

ihre Frau <strong>und</strong> ist auch in der Freizeit ein sehr<br />

geselliger Mensch <strong>und</strong> für jeden Spaß zu haben. aber<br />

das war nicht immer so …<br />

als Marie fünfzehn Jahre alt war, begann es langsam <strong>und</strong><br />

schleichend: immer, wenn sie das haus verließ, fing ihr<br />

Kopf plötzlich an, seltsame <strong>und</strong> schmerzhafte Seitwärtsbewegungen<br />

zu vollführen, die sie nicht kontrollieren<br />

konnte. Da dies nur draußen <strong>und</strong> nicht innerhalb der eigenen<br />

vier Wände geschah, befürchtete sie schnell, dass<br />

mit ihr seelisch etwas nicht stimmte. aus angst, als<br />

„verrückt“ abgestempelt zu werden, vertraute sie sich<br />

ganze sieben Jahre niemandem an – weder den eltern,<br />

noch Fre<strong>und</strong>en oder Ärzten. erst, als die Symptome sich<br />

2003 immer mehr verschlimmerten, wagte Marie den<br />

Gang zum arzt. Dort trat das Gefürchtete ein <strong>und</strong> sie<br />

wurde, so sagt sie, „in die Psycho-Schublade gesteckt“.<br />

Mehrere neurologen verschrieben ihr monatelang<br />

schwere Psychopharmaka gegen ihre angebliche Sozialphobie,<br />

mit dramatischen Folgen.<br />

„Mittlerweile weiß ich ja, dass das mit der Sozialphobie<br />

Unsinn war“, betont Marie, jedoch ist sie sich bis heute<br />

nicht sicher, was genau ihre Symptome damals ausgelöst<br />

hat. Die Psychopharmaka haben ihr jedenfalls nicht<br />

geholfen, sondern sogar schwere nebenwirkungen verursacht.<br />

„ich weiß noch, wie meine Mutter <strong>und</strong> ich zu<br />

Fuß meine oma besuchen gingen. Mitten auf dem Weg<br />

dorthin konnte ich plötzlich nicht mehr laufen. Meine Beine<br />

haben mir nicht mehr gehorcht. Keinen Schritt bin ich<br />

vorangekommen, da habe ich es richtig mit der angst zu<br />

tun bekommen.“ Maries Familie brachte sie daraufhin sofort<br />

ins Krankenhaus, wo die Ärzte eine Strecklähmung<br />

aufgr<strong>und</strong> des eingenommenen Wirkstoffs haloperidol<br />

WiSSenSChaFt & ForSChUnG<br />

Betroffenenportrait Marie K.: Ich hatte Angst, an einer Sozialphobie zu leiden.<br />

Symptome lindern<br />

Da es sich bei der <strong>Dystonie</strong> um eine unheilbare erkrankung<br />

handelt, können ihre Symptome, wie Schmerzen <strong>und</strong> Verkrampfungen,<br />

allenfalls reduziert oder vorübergehend unterdrückt<br />

werden. Zunehmend erschwerend kommt hinzu, dass<br />

die <strong>Dystonie</strong> als seltene Krankheit eines der Stiefkinder der<br />

Pharmaindustrie darstellt <strong>und</strong> wenig Geld in die erforschung<br />

neuer Medikamente investiert wird. außerdem ist die Vertei-<br />

diagnostizierten. nachdem ihr ein Gegenmittel gespritzt<br />

wurde, ging es ihr zum Glück wieder besser. Doch die<br />

Beschwerden im Kopf- <strong>und</strong> nackenbereich blieben.<br />

erst ein Jahr später erhielt sie in der neurologischen<br />

ambulanz der Städtischen Kliniken Dortm<strong>und</strong> die richtige<br />

Diagnose „torticollis spasmodicus“. „als ich nach acht<br />

Jahren der angst <strong>und</strong> Unsicherheit erfuhr, was ich wirklich<br />

habe, fühlte ich mich befreit. endlich hatte meine<br />

Krankheit einen namen. ich hörte, dass ich nicht alleine<br />

damit bin <strong>und</strong> vor allem, dass es dank des Botulinumtoxins<br />

eine hilfreiche Behandlung gibt.“ Bereits die ersten<br />

injektionen in der <strong>Dystonie</strong>-ambulanz waren von erfolg<br />

gekrönt, so dass Marie keinerlei <strong>Dystonie</strong>-Symptome<br />

mehr verspürte. „ich bin in dieser Zeit regelrecht aufgeblüht.<br />

Ganze zwanzig Kilo habe ich damals abgenommen,<br />

bin sehr viel ausgegangen <strong>und</strong> habe erleichtert<br />

festgestellt, dass ich gar keine angst vor fremden Menschen<br />

habe.“ Dank einer Psychotherapie, in der sie lernte,<br />

die <strong>Dystonie</strong> zu akzeptieren <strong>und</strong> offener mit ihr umzugehen,<br />

konnte sie auch endlich ihrer Mutter von ihrer<br />

Krankheit erzählen.<br />

Seitdem muss Marie alle drei Monate zur injektion in die<br />

Klinik. Dass der erfolg des Botulinumtoxins jedoch mit<br />

der erfahrung des spritzenden arztes steht <strong>und</strong> fällt, hat<br />

sie auch erlebt. „Die ersten zwei Jahre war ich zu 100 %<br />

symptomfrei. Das war herrlich! Dann ging mein behandelnder<br />

neurologe in rente <strong>und</strong> der nachfolgearzt hat<br />

scheinbar nicht mehr so gut den dystonen Muskel getroffen.<br />

Jedenfalls hatte ich trotz regelmäßiger injektionen<br />

wieder Beschwerden“. Deshalb hat Marie in den letzten<br />

Jahren verschiedene neurologische ambulanzen<br />

ausprobiert, bis sie ihren jetzigen neurologen fand. Mit<br />

dem ist sie zufrieden, auch wenn das injektionsergebnis<br />

nie wieder so gut ausgefallen ist wie bei ihrem ersten<br />

behandelnden arzt.<br />

03/2013 Die BKK | 141

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