Der Licinianus-Skandal und das crimen incesti (Plinius epist. 4,11 ...
Der Licinianus-Skandal und das crimen incesti (Plinius epist. 4,11 ...
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140 Jan-Wilhelm Beck<br />
widersprechendes Täuschungsmanöver ausschließt. <strong>Der</strong> Kaiser hatte militärisch<br />
zwar keine bedeutenden Erfolge erzielt, aber er hatte seinen Unternehmen<br />
durch Triumphe einen positiven Anschein gegeben, so 83 <strong>und</strong> 89 n. Chr.<br />
über Chatten <strong>und</strong> Daker, <strong>und</strong> sogar zwei neue germanische Provinzen eingerichtet,<br />
beides wohl eindeutig vor dem zweiten Prozess. <strong>Plinius</strong> hätte hier<br />
leicht weitere entlarvende, über die persönliche Sphäre hinausgehende Kritik<br />
an Domitian vorbringen können, um diesem wie Tacitus zusätzlich Unfähigkeit<br />
als Staatsmann zu attestieren. 27 Wenn <strong>Plinius</strong> dagegen die politische Ebene<br />
außer Acht lässt, um stattdessen in unterstellter wörtlicher Rede die Triumphe<br />
als Gegenargument gegen die Schuld der Vestalin anzuführen (4,<strong>11</strong>,7 ‚Me<br />
Caesar incestam putat, qua sacra faciente vicit triumphavit!‘), hat er folglich selbst<br />
keinen Gr<strong>und</strong> für eine Ablenkung von militärischen Misserfolgen gesehen.<br />
Und wenn <strong>Plinius</strong> zweimal von öffentlicher invidia gegen Domitian wegen seines<br />
Vorgehens gegen die Vestalin spricht (4,<strong>11</strong>,5 fremebat … aestuabatque in ingenti<br />
invidia …, <strong>11</strong> ardebat … et crudelitatis et iniquitatis infamia), ist diese nur<br />
von ihm bezeugt <strong>und</strong> passt weder zu der sogar von ihm selbst eingestandenen<br />
Schuld der Beklagten noch zu seinem eigenen Bild eines despotisch agierenden<br />
princeps. Wäre Domitian zum damaligen Zeitpunkt als ein dermaßen<br />
brutaler Tyrann aufgetreten, wie es <strong>Plinius</strong> hier behauptet, wäre eine offene<br />
K<strong>und</strong>gebung des Missfallens, eben invidia, für alle anderen viel zu gefährlich<br />
gewesen; für Domitian <strong>und</strong> sein Selbstverständnis hätte keinerlei Anlass zur<br />
Rechtfertigung durch zusätzliche Verfolgung des <strong>Licinianus</strong> bestehen müssen.<br />
Auch muss der von <strong>Plinius</strong> bezeugte Ärger Domitians nicht durch die angebliche<br />
invidia ausgelöst sein. Domitian dürfte bereits über den Vorfall an sich<br />
<strong>und</strong> die ihm damit aufgezwungene Notwendigkeit einzuschreiten, über die<br />
provokante Dreistigkeit der schon einmal Angeklagten hinreichend verärgert<br />
gewesen sein. Nicht zu vergessen ist, <strong>das</strong>s <strong>Plinius</strong> hier mit einer bestimmten<br />
Aussageabsicht stilisiert <strong>und</strong> ein kleines Drama entworfen hat, so <strong>das</strong>s seine<br />
Schilderung keineswegs ein wahrheitsgetreues Bild der jeweiligen Motive wiedergeben<br />
musste bzw. auch nicht geben dürfte. 28<br />
II. <strong>Plinius</strong><br />
Auffällig ist die Pathetik ebenso wie die Lebendigkeit der aus der Rückschau<br />
immerhin mehrerer Jahre entworfenen Szene, in die man sich wie ein unmit-<br />
27 Tac. Agr. 39,1 … derisui fuisse nuper falsum e Germania triumphum, emptis per commercia …<br />
Dass es sich bei den neuen Provinzen lediglich um bereits besessenes, linksrheinisches<br />
Gebiet <strong>und</strong> keineswegs neue, rechtsrheinische Eroberungen handelte, wird in der allgemeinen<br />
Öffentlichkeit kaum aufgefallen sein.<br />
28 Siehe auch u. Anm. 51.