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Der Licinianus-Skandal und das crimen incesti (Plinius epist. 4,11 ...

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142 Jan-Wilhelm Beck<br />

dezu Meidung einer persönlichen Begegnung oder Konfrontation, scheint die<br />

allerletzte Szene als Wortwechsel zwischen Vestalin <strong>und</strong> Kaiser ausgeschlossen.<br />

Die Deutung von carnifex als princeps ist auch durch den Kontext in keiner<br />

Weise gestützt; sie ist sogar weniger wahrscheinlich (vgl. zuvor den Verzicht<br />

auf eine direkte Anrede 4,<strong>11</strong>,7 ‚Me Caesar … putat‘). Man hat andererseits aus<br />

speziell diesem Brief einen Beleg für die rituell übliche Beteiligung eines Henkers<br />

am letzten Weg einer verurteilten Vestalin gewonnen. 32 Doch einen Beleg<br />

dafür außerhalb des Briefes gibt es ansonsten nicht – gegen vereinzelte Behauptungen<br />

in der Sek<strong>und</strong>ärliteratur. 33 Und wenn man die kultischen Gr<strong>und</strong>lagen<br />

berücksichtigt, ist die Einbeziehung eines derartigen carnifex zusätzlich<br />

zu den für religiöse Handlungen zuständigen <strong>und</strong> anwesenden, ersatzweise<br />

für den abwesenden pontifex maximus agierenden pontifices auch nicht wirklich<br />

wahrscheinlich; 34 <strong>das</strong> Gegenteil ist der Fall: <strong>Der</strong> Fiktion nach wurde die überführte<br />

Vestalin eben nicht getötet, exekutiert oder hingerichtet. Durch <strong>das</strong> Begräbnis<br />

bei lebendigem Leibe zusammen mit Bett, Lampe <strong>und</strong> Vorräten für<br />

eine bescheidene Zeit des Überlebens wurde die Entscheidung über Schuld<br />

<strong>und</strong> Schicksal der Göttin Vesta überlassen. Dem Ritus nach war es gerade kein<br />

Vollzug einer Strafe. 35 So wäre die Anwesenheit, ja aktive Einbeziehung eines<br />

Henkers nicht nur nicht wahrscheinlich, sondern sogar ein kultisches Vergehen<br />

<strong>und</strong> Widerspruch zum Ritual selbst.<br />

Die Formulierung des <strong>Plinius</strong> kann folglich hier kein religionsgeschichtliches<br />

Detail liefern, sie ist vielmehr in bislang nicht erwogener Weise auszuwerten:<br />

<strong>Der</strong> allein von <strong>Plinius</strong> einbezogene, durch die mit ihm verb<strong>und</strong>enen Assoziationen<br />

die Dramatik der Szene steigernde carnifex ist ein Indiz für den fiktionalen<br />

Charakter des Ganzen, entstanden noch vor echter historiographischer<br />

Aufarbeitung mit einem Domitian sogar bestätigenden Tenor gemäß<br />

Sueton <strong>und</strong> Tacitus. Wenn in der Forschung der <strong>Licinianus</strong>-Brief des <strong>Plinius</strong><br />

notwendige Erläuterung präsent. Vgl. ferner Zarifopol (1994) S. 37 „the powerful contrast<br />

between the impurity of the carnifex, who might as well be Domitian himself, and the<br />

purity of the victim […]. The scene has […] the grandeur of a Greek tragedy“.<br />

32 Ausgehend von ebendieser <strong>Plinius</strong>-Stelle argumentiert zuletzt Wildfang (2006) S. 58, 61<br />

„that the rite must be viewed as an execution and thus a death ritual“.<br />

33 So etwa Mekacher (2006) S. 33 „Andere Quellen bezeugen die Anwesenheit eines Henkers<br />

(Carnifex), der die Vestalin zum Grab geleitete, beziehungsweise sie der Insignien<br />

entledigte“, dazu Anm. 224 mit Plin. <strong>epist</strong>. 4,<strong>11</strong>,9 <strong>und</strong> Sen. contr. 1,3. Die Seneca-Stelle gilt<br />

jedoch einer anderen Form eines Verfahrens mit einer tatsächlichen Bestrafung (incesta<br />

saxo deiciatur … ubi incestam lex mori voluit); in der ausführlichsten Schilderung, Plut. Numa<br />

10, sind lediglich Gehilfen erwähnt; kürzer Dion. Hal. Ant. 2,67,3f.<br />

34 Vgl. z.B. Sherwin-White (1966) S. 283 „A solemn procession, led by the chief pontiff, or by<br />

the promagister of the College, taking the place of the Princeps, […]“.<br />

35 Vgl. z.B. Sherwin-White (1966) S. 284 „His presence is surprising, since the ceremony is<br />

by way of a purification“, Staples (1998) S. 133 „was not really killed at all. […] by a ritual<br />

fiction she was not actually put to death“.

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