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grundlagenpraktikum physikalische chemie - Universität Regensburg

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<strong>Universität</strong> <strong>Regensburg</strong><br />

Institut für<br />

Physikalische und Theoretische Chemie<br />

Grundlagenpraktikum Physikalische Chemie<br />

Seminar zum Praktikum<br />

GRUNDLAGENPRAKTIKUM<br />

PHYSIKALISCHE CHEMIE<br />

für<br />

Studierende des Lehramts, der Biologie und der Bio<strong>chemie</strong><br />

4./2. Semester<br />

Herausgegeben von Alexander Maurer<br />

AK Theorie der Flüsigkeiten und Lösungen<br />

21. März 2007<br />

Versuch : 6., Acetoniodierung/Photometrie<br />

Praktikumsraum : CH 12.0.18<br />

Seminarraum : CH 11.0.18<br />

Assistent/Raum : Alexander Maurer / CH 13.2.41a


Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Literaturverzeichnis 4<br />

1 Motivation - Wozu Kinetik, wozu Photometrie? 5<br />

2 Ziel des Versuchs 6<br />

3 Grundlagen der chemischen Kinetik 6<br />

4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik 11<br />

4.1 Irreversible Reaktion erster Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

4.2 Irreversible Reaktion zweiter Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

4.2.1 Allgemeine Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

4.2.2 Äquimolare Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />

4.2.3 Reaktionen pseudo-erster Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

4.3 Reversible Reaktion erster Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22<br />

4.4 Autokatalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

5 UV-VIS Spektroskopie 31<br />

5.1 Physikalische Grundlagen: Was ist Licht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

5.2 Wechselwirkung von Licht mit Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />

5.3 Das Spektralphotometer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />

5.4 Das Lambert-Beer’sche Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />

6 Die Iodierung von Aceton 49<br />

6.1 Der Mechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />

6.2 Die kinetischen Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />

6.3 Quasistationarität und Quasigleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />

6.4 Autokatalytische Aspekte der Acetoniodierung . . . . . . . . . . . . . . . 58<br />

6.5 Die Auswertungs-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />

6.6 Die praktische Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64<br />

6.7 Die Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69<br />

6.8 Die Summe aller Näherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73<br />

7 Fehlerbetrachtung 74<br />

7.1 Allgemeine Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74<br />

7.2 Abschätzung des Größtfehlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82<br />

7.3 Führende Nullen und signifikante Ziffern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84<br />

7.4 Das Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />

8 Aufgaben, Fragen und Antworten 94<br />

8.1 Aufgabe 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />

8.2 Aufgabe 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95<br />

8.3 Aufgabe 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96<br />

2


Inhaltsverzeichnis<br />

8.4 Aufgabe 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98<br />

8.5 Aufgabe 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100<br />

8.6 Aufgabe 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104<br />

A Wichtige Integrale 107<br />

3


Literatur<br />

Literatur<br />

[1] C. N. Banwell und E. M. McCash. Molekülspektroskopie. Oldenbourg Verlag<br />

München, Wien, 1999.<br />

[2] James P. Birk und David L. Walters. Three methods for studying the kinetics of the<br />

halogenation of acetone. J. Chem. Edu., 69(7):585–587, Juli 1992 1992.<br />

[3] Kenneth A. Connors. Chemical Kinetics. Wiley VCH, Weinheim, New York, 1992.<br />

[4] W. Gottwald und K. H. Heinrich. UV/VIS-Spektroskopie für Anwender. Wiley-VCH,<br />

Weinheim, New York, Chichester, 1998.<br />

[5] W. Göpel und H.-D. Wiemhöfer. Statistische Thermodynamik. Spektrum Akademischer<br />

Verlag, Heidelberg, Berlin, 2000.<br />

[6] H.-H. Kohler und O. Lossen. Skriptum zum Physikalisch-Chemischen Praktikum I<br />

(Grundlagenpraktikum) für Studierende des Lehramts, der Biologie und der Bio<strong>chemie</strong>.<br />

G. Schmeer, 2006.<br />

[7] Tony Owen. Grundlagen der modernen UV-Vis Spektroskopie. Hewlett Packard,<br />

1996.<br />

[8] John F. Taylor. Fehleranalyse. Wiley-VCH, Weinheim, New York, 1986.<br />

[9] G. Wedler. Lehrbuch der Physikalischen Chemie. Wiley-VCH, Weinheim, 1997.<br />

Kinetisch Untersuchungen chemischer Reaktionen sind nicht nur in der<br />

Chemie von zentraler Bedeutung. Auch in Biologie, Medizin und Bio<strong>chemie</strong><br />

spielt die Kinetik chemischer Reaktionen eine wichtige Rolle. Als einführendes<br />

Beispiel wird die Iodierung von Aceton betrachtet. Ausgehend von dem<br />

mehrstufigen Reaktionsmechanismus werden die kinetischen Gleichungen für<br />

die Konzentrationsänderungen der an der Reaktion beteiligten chemischen<br />

Spezies abgeleitet. Aufgrund der Komplexität der resultierenden, gekoppelten<br />

Differenialgleichungen müssen vereinfachende Annahmen gemacht werden,<br />

um eine mathematische Lösung der Differentialgleichungen zu erhalten.<br />

So lässt sich unter Anwendung des Quasistationaritätsprinzips von Bodenstein<br />

und hinreichend großer Substratkonzentrationen die Acetoniodierung<br />

als eine Reaktion pseudonullter Ordnung betrachten. Ausgehend von diesen<br />

Vereinfachungen ist die experimentelle Bestimmung der Geschwindigkeitskonstanten<br />

dieser Reaktion pseudonullter Ordnung sehr einfach. Da Iod als<br />

begrenzender Reaktand in wässriger Lösung farbig vorliegt, bietet sich die<br />

Photometrie als einfache Untersuchungsmethode an.<br />

4


1 Motivation - Wozu Kinetik, wozu Photometrie?<br />

1 Motivation - Wozu Kinetik, wozu Photometrie?<br />

Die Kinetik chemischer Reaktionen stellt eine wichtige Informationsquelle zur Charakterisierung<br />

und Handhabung einer chemischen Reaktion dar. Die Thermodynamik beschreibt<br />

die Stabilität eines Zustandes, in welchem ein Stoffsystem vorliegt, und ermöglicht<br />

so Aussagen über die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Stoffsystem einen bestimmten<br />

Zustand einnimmt. Die Thermodynamik trifft jedoch keinerlei Aussagen über den Weg,<br />

über welchen ein Stoffsystem von einem Zustand in einen anderen übergehen kann.<br />

Die Kinetik hingegen liefert Aussagen über den Weg, über den eine Zustandsänderung<br />

abläuft und über die Geschwindigkeit, mit der diese Zustandsänderung stattfindet.<br />

Betrachten wir als Stoffsystem ein Gemisch aus Edukten und als Zustandsänderung<br />

eine chemische Reaktion, so beschreibt die Thermodynamik die Stabilität von Edukten<br />

und Produkten und die Kinetik den Reaktionsweg und den zeitlichen Verlauf der<br />

Konzentrationsänderungen der einzelnen chemischen Spezies im Reaktionsgemisch. So<br />

ist die Kenntnis thermodynamischer und kinetischer Daten notwendig, um eine chemische<br />

Reaktion vollständig zu beschreiben. Dies ist notwendig, um chemische Reaktionen<br />

hinsichtlich Wirtschaftlichkeit und sicherheitstechnischer Überlegungen vor ihrer experimentellen<br />

Durchführung planen zu können, oder vom Labormaßstab auf die großtechnische<br />

Synthese übertragen zu können.<br />

Praktisch alle Biofunktionen der belebten Zelle lassen sich auf Enzymreaktionen zurückführen.<br />

So können auch Enzymreaktionen kinetschen Untersuchengen unterzogen<br />

werden und mit Hilfe der chemischen Kinetik betrachtet werden. So wird inzwischen<br />

eine Vielzahl an chemischen Produkten in Bioreaktoren großtechnisch gewonnen. Als<br />

Beispiele seien hier aufgeführt:<br />

• Alkoholische Gärung ()<br />

• Bäckerhefe<br />

• Reduktion von 2-Oxo-Carbonsäuren zu Aldehyden mittels Pyruvat-Decarboxylase<br />

• Synthese von (R)-Cyanhydrinen mittels Mandelonitril-Lyase<br />

• Enzymatische Reduktion mit NAD − H2 1 in der organischen Chemie<br />

Ferner können viele Erkrankungen über die Kinetik der beteiligten Enzymreaktionen<br />

erkannt werden, was in der medizinischen Diagnostik von unschätzbarem Wert ist. So<br />

lassen sich etwa viele Tumor- und Krebs-Erkrankungen über die gesteigerte Aktivität<br />

von Esterase-Enzymen 2 in Tumorzellen sicher diagnostizieren.<br />

Absorbiert einer der Reaktanden Licht im UV/VIS-Bereich (ca. 200 - 800 nm), so verläuft<br />

die chemische Reaktion unter einer Farbänderung der Reaktionslösung, während der<br />

1 Nicotinamid-Dinucleotid<br />

2 ein Enzym, welches einen Ester spalten kann<br />

5


2 Ziel des Versuchs<br />

entsprechende Reaktand verbraucht wird. Das bedeutet, dass der Verlauf einer derartigen<br />

chemischen Reaktion anhand des Vermögens der Reaktionslösung, elektromagnetische<br />

Stahlung im UV/VIS-Bereich zu absorbieren, verfolgt werden kann. Die UV/VIS-<br />

Spektrometrie, auch einfach als Photometrie bezeichnet, gestattet die Quantifizierung<br />

dieser Farbänderung mit der Zeit, und kann daher als gut etablierte, einfach handzuhabende<br />

Methode zur Untersuchung der Kinetik einer chemischen Reaktion angewandt<br />

werden.<br />

2 Ziel des Versuchs<br />

• Grundlagen der chemischen Kinetik<br />

• Grundlagen der Photometrie<br />

• Bestimmung der Geschwindigkeitskonstanten der Acetoniodierung unter Versuchsbedingungen,<br />

welche diese Reaktion als Reaktion pseudonullter Ordnung realisieren<br />

3 Grundlagen der chemischen Kinetik<br />

Wir betrachten eine einfache chemische Reaktion, [8] wie etwa die Ammoniak-Synthese:<br />

1<br />

2 N2 + 3<br />

2 H2 −→ NH3<br />

Die in dieser chemischen Reaktion auftretenden Faktoren vor den Reaktiospartnern, 1<br />

2<br />

vor N2, 3<br />

2 vor H2 und 1 vor NH3, werden stöchiometrische Koeffizienten genannt. Diese<br />

werden als νN2, νH2 und νNH3 bezeichnet. Im hier betrachteten Fall gilt:<br />

νN2 = − 1<br />

2 , νH2 = − 3<br />

2 , νNH3 = +1 (2)<br />

Sie geben an, wie die einzelnen Reaktanden in der chemischen Reaktion miteinander<br />

verknüpft sind. Weiterhin gilt die Konvention, dass die stöchiometrischen Koeffizienten<br />

von Edukten negtaiv, die von Produkten positiv sind:<br />

(1)<br />

ν Edukt<br />

i < 0 (3a)<br />

ν Produkt<br />

j > 0 (3b)<br />

In einem abgeschlossenen System sind die Änderungen der an einer chemischen Reak- Beachte die<br />

tion beteiligten Stoffe nicht willkürlich, sondern sie sind durch den ablaufenden, chemischen<br />

Prozesse miteinander verknüpft. Gehen wir davon aus, dass sich während der oben<br />

dargestellten Reaktion ∆nN2 Mol Stickstoff mit ∆nH2 Mol Wasserstoff zu ∆nNH3 Mol<br />

Ammoniak umsetzen, so sind diese Stoffmengenänderungen der an der Reaktion beteiligten,<br />

chemischen Spezies über ihre stöchiometrischen Koeffizienten wie folgt miteinander<br />

6<br />

Vorzeichen der<br />

stöchiometrischen<br />

Koeffizienten


verknüpft:<br />

3 Grundlagen der chemischen Kinetik<br />

∆nH2<br />

∆nN2<br />

∆nH2<br />

∆nNH3<br />

∆nN2<br />

∆nNH3<br />

= νH2<br />

νN2<br />

= νH2<br />

νNH3<br />

= νN2<br />

νNH3<br />

Betrachten wir die Aussage der Gleichung (4b):<br />

= 3 (4a)<br />

= − 3<br />

2<br />

= − 1<br />

2<br />

∆nH2 = − 3<br />

2 ∆nNH3<br />

Diese Gleichung sagt aus, daß zur Bildung von 1 Äquivalent Ammoniak genau 3<br />

2 Äquivalente<br />

Wasserstoff benötigt werden, wenn der Umsatz stöchiometrisch sein soll, die<br />

Reaktion also nach Gleichung (1) ablaufen soll. Das Minuszeichen sagt aus, dass der<br />

Wasserstoff verbraucht wird und Ammoniak entsteht.<br />

Wir wollen unsere bisherigen Erkenntisse, welche wir anhand eines speziellen Beispiels<br />

gewonnen haben, nun auf den Fall einer nicht näher spezifizierten, chemischen Reaktion<br />

verallgemeinern. Hierzu formulieren wir eine allgemeine chemische Reaktion wie folgt:<br />

(4b)<br />

(4c)<br />

|νA| A + |νB| B + . . . −→ |νY |Y + |νZ| Z + . . . (5)<br />

Betrachten wir weiterhin nurmehr differentielle Stoffmengenänderungen dnA, dnB, usw.,<br />

so muss in Analogie zu den Gleichungen (4a) bis (4c) gelten:<br />

dnA<br />

dnB<br />

dnA<br />

dnY<br />

dnA<br />

dnZ<br />

dnB<br />

dnY<br />

= νA<br />

νB<br />

= νA<br />

νY<br />

= νA<br />

νZ<br />

= νB<br />

νY<br />

(6a)<br />

(6b)<br />

(6c)<br />

(6d)<br />

. (6e)<br />

Wenn wir vereinbaren, daß i = A, B, . . .Y, Z, . . . und j = A, B, . . ., Y, Z, . . ., so können Gleichung (7) ist<br />

wir die stöchiometrischen Grundgleichungen (6a) bis (6d) wie folgt allgemein ausdrücken:<br />

dni<br />

dnj<br />

= νi<br />

νj<br />

Wenn wir den Fortschritt einer chemischen Reaktion betrachten wollen, so könnten wir<br />

dies etwa anhand der Stoffmengenänderungen oder Konzentrationsänderungen der an<br />

7<br />

(7)<br />

die<br />

Grundgleichung<br />

der Stöchiometrie.<br />

Sie ist zentraler<br />

Gegenstand der<br />

Betrachtungen in<br />

der chemischen<br />

Kinetik


3 Grundlagen der chemischen Kinetik<br />

der Reaktion beteiligten Substanzen bewerkstelligen. Berücksichtigen wir jedoch Gleichung<br />

(7) so erkennen wir, daß aufgrund der unterschiedlichen stöchiometrischen Koeffizienten<br />

νi die Geschwindigkeitsänderungen für unterschiedliche Komponenten unterschiedlich<br />

sind. Ferner ist der Versuch, die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion<br />

über den zeitlichen Verlauf der Konzentrationsänderung einer oder mehrerer, an der<br />

Reaktion beteiligten Komponenten ungünstig, da es Reaktionen gibt, bei denen sich<br />

etwa das Volumen der Reaktionsmischung während der Reaktion signifikant verändert.<br />

Schreiben wir jedoch die Gleichungen (6a) bis (6d) wie folgt um:<br />

dnA<br />

νA<br />

= dnB<br />

νB<br />

= dnY<br />

νY<br />

= dnZ<br />

νZ<br />

Wenn wir die differentiellen Stoffmengenänderungen dni aller an einer chem. Reaktion<br />

beteiligten chem. Spezies durch ihre stöchiometrischen Koeffizienten teilen, so entdecken<br />

wir, daß die resultierende Größe für alle Substanzen identisch ist. Wir können Gleichung<br />

(8) wie folgt für alle an einer chem. Reaktion beteiligten Spezies verallgemeinern und<br />

die sog. ”Reaktionslaufzahl” ξ wie folgt definieren:<br />

dξ := dni<br />

νi<br />

(8)<br />

(9a)<br />

[ξ] = 1 mol (9b)<br />

In dieser Definition hat die Reaktionslaufzahl ξ die Einheit mol. Was sagt nun diese<br />

Größe aus? Wir betrachten folgende Reaktion:<br />

|νA| A + |νB|B −→ |νY | Y<br />

Zu Beginn der Reaktion, also zum Zeitpunkt t = 0, liegt noch kein Stoffumsatz vor, und<br />

es gilt: ξ = 0 mol. Wenn bei dieser Reaktion gilt ξ = 1mol, so bedeutet dies nach Gleichung<br />

(9a), dass sich gerade |νA| Mol der Substanz A mit |νB| Mol der Substanz B zu |νY |<br />

Mol der Substanz Y umgesetzt haben. Diese Angabe ist unabhängig von Volumenänderungen<br />

und der einzelnen Substanz. Da aber Gehaltsangaben in der Chemie meist in<br />

Form von Stoffmengenkonzentrationen ci = ni erfolgen, wird eine Reaktionsvariable<br />

V<br />

x definiert, welche einer Konzentration entspricht:<br />

x := ξ<br />

V<br />

[x] = 1 mol<br />

l<br />

(10a)<br />

(10b)<br />

Wenn wir nun eine differentielle Änderung dx der Reaktionsvariablen x(t) betrachten,<br />

so gilt unter Berücksichtigung der Gleichungen (9a) und (10a):<br />

dx = 1<br />

V<br />

· dξ = 1<br />

V<br />

8<br />

· dni<br />

νi<br />

(11)


3 Grundlagen der chemischen Kinetik<br />

Berücksichtigen wir ferner, daß die Stoffmengenkonzentration ci der chemischen Spezies<br />

i gegeben ist durch<br />

ci = ni<br />

V<br />

[ci] = 1 mol<br />

l<br />

so erhalten wir für die differentielle Änderung dx der Reaktionsvariablen x:<br />

dx = 1<br />

dci<br />

νi<br />

(12a)<br />

(12b)<br />

Wenn wir nun die Änderung von x(t) mit der Zeit betrachten, so erhalten wir die Reaktionsgeschwindigkeit:<br />

vx(t) = dx(t)<br />

dt<br />

= 1<br />

Wir können Gleichung (14) wie folgt umformen:<br />

νi<br />

dci(t)<br />

dt = νi · dx(t)<br />

dt<br />

dci(t)<br />

dt<br />

Ausdrücke in der Form von Gleichung (15) werden als Konzentrationsänderung der<br />

Komponente i mit der Zeit oder einfach als Rate der Konzentrationsänderung<br />

bezeichnet. Je nachdem, ob die Komponente i verbraucht oder gebildet wird, sind auch<br />

die Begriffe Bildungsrate oder Verbrauchsrate der Komponente i üblich. Es sei<br />

nochmals darauf hingewiesen, daß der Begriff Reaktionsgeschwindigkeit, wie er in Gleichung<br />

(14) definiert ist, vom Begriff der Bildungs- oder Verbrauchsraten nach Gleichung<br />

(15) zu unterscheiden ist!<br />

Nehmen wir an, die Reaktion starte zum Zeitpunkt t = 0. Die einzelnen chemischen<br />

Spezies i liegen zum Zeitpunkt t = 0 mit Konzentrationen c0 i vor. Dann können wir<br />

durch Kenntnis von x(t) den zeitlichen Verlauf der Konzentrationen ci(t) einer beliebigen,<br />

chemischen Spezies berechnen:<br />

dx(t) = 1<br />

dci(t)<br />

<br />

x(t)<br />

0<br />

νi<br />

dx = 1<br />

νi<br />

x(t) = 1<br />

νi<br />

·<br />

<br />

ci(t)<br />

c 0 i<br />

dc ′ i (t)<br />

· ci(t) − c 0 i<br />

Lösen wir die letzte Gleichung nach ci(t) auf, so erhalten wir:<br />

(13)<br />

(14)<br />

(15)<br />

ci(t) = c 0 i + νi · x(t) (16)<br />

9<br />

Beachte den<br />

Unterschied<br />

zwischen<br />

Reaktionsge-<br />

schwindigkeit<br />

((14)) und<br />

Geschwindigkeit<br />

der Konzentrati-<br />

onsänderung<br />

((15))


3 Grundlagen der chemischen Kinetik<br />

Diese Gleichung gibt uns die Änderung der Konzentration der Komponente i zum Zeitpunkt<br />

t > 0 in Bezug zum Zeitpunkt t = 0 an. Anders ausgedrückt ist x(t) identisch<br />

mit der Änderung der Konzentration ∆ci(t) = 1<br />

νi · [ci(t) − c0 i ]. Lösen wir Gleichung (16)<br />

nach x(t) auf, so erhalten wir:<br />

∆ci(t) = 1<br />

νi<br />

· ci(t) − c 0 <br />

i ≡ x(t) (17)<br />

Anders ausgedrückt gestattet uns einzig die Berechnung der Reaktionsvariablen x(t) die Umsatzgleichungen<br />

Berechnung des zeitlichen Verlaufs der Konzentrationen aller an der Reaktion beteilig- geben die gesamte<br />

ten chemischen Spezies i = A, B, . . .,Y, Z, . . . in einer chemischen Reaktion gemäß (5). Änderung der<br />

So stellt sich nur noch die Frage, wie man die Reaktionsvariable x(t) für eine spezielle Konzentration<br />

Reaktion ermittelt.<br />

einer Komponente<br />

Ausgehend von einer Reaktion des Typs (5) wird die Reaktionsgeschwindigkeit vx(t)<br />

sicherlich von der Konzentration der Edukte abhängen, denn die Reaktionsgeschwindigkeit<br />

wird direkt proportional zur Häufigkeit der Stöße der Teilchen sein, und diese<br />

sollten mit zunehmenden Konzentrationen häufiger auftreten. Ferner können wir jedoch<br />

momentan keine Aussagen darüber machen, in welcher Potenz die Konzentrationen der<br />

einzelnen chemischen Spezies in das differentielle Zeitgesetz eingehen. Ein allgemeiner<br />

Ansatz lautet daher, wenn wir sämtliche an der Reaktion beteiligten Edukte berücksichtigen:<br />

vx(t) = dx(t)<br />

dt ∝ cA(t) a · cB(t) b · . . .<br />

Wir können aus der Proportionalität eine Gleichheit machen, indem wir einen Proportionalitätsfaktor<br />

k einführen. Diese Propotionalitätskonstante ist die (kinetische)<br />

Geschwindigkeitskonstante der betrachteten Reaktion:<br />

vx(t) = dx(t)<br />

dt = k · cA(t) a · cB(t) b NE<br />

· . . . = k ·<br />

<br />

ci(t) Ni(t)<br />

Hierbei ist NE die Anzahl der an der Reaktion beteiligten Edukte, ci(t) die Konzentration<br />

des Eduktes i und Ni die Reaktionsordnung bezüglich der Komponente i.<br />

Die in Gleichung (18) auftretenden Expontenten a, b, usw. bzw. Ni sind die Teilordnungen<br />

bezüglich der jeweils zugehöreigen, chemischen Spezies A, B usw. Die Gesamt-<br />

Ordnung N der Reaktion (auch einfach Reaktionsordnung genannt) ist die Summe der<br />

Teil-Ordnungen:<br />

NE <br />

N = a + b + . . . =<br />

i=1<br />

Ni<br />

i=1<br />

(18)<br />

(19)<br />

i von Beginn der<br />

Reaktion bis zum<br />

Zeitpinkt t an<br />

Sowohl Teil- als auch Gesamtordnungen chemischer Reaktionen müssen im Regelfall Gesamt- und<br />

experimentell bestimmt und der vermutete Zusammenhang experimentell bestätigt werden.<br />

Im Regelfall schätzt man die Reaktionsteilordnungen Ni = a, b, . . . und wählt sie<br />

10<br />

Teilordnungen der<br />

Kinetik einer<br />

chemischen<br />

Reaktion


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

identisch mit den stöchiometrischen Koeffizienten der einzelnen Edukte:<br />

Ni<br />

!<br />

= νi<br />

Es sei allerdings darauf hingewiesen, daß die Teilordnungen Ni keineswegs mit den<br />

stöchiometrischen Koeffizienten νi identisch sein müssen. Ferner können die Teilordnungen<br />

Ni auch nicht-ganzzahlige Werte annehmen. Der allgemein übliche Ansatz (20)<br />

für die Teilordnungen Ni muss vielmehr experimentell Bestätigt werden. Hierzu jedoch<br />

später mehr.<br />

Im Folgenden wollen wir unsere Erkenntnisse auf einfache, chemische Reaktionen anwenden<br />

und die Reaktionsvariable und damit die Geschwindigkeit der Konzentrationsänderungen<br />

der an der Reaktion beteiligten, chemischen Spezies bestimmen.<br />

4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

4.1 Irreversible Reaktion erster Ordnung<br />

Eine irreversible Reaktion erster Ordnung verläuft nach folgendem, allgemeinen Schema:<br />

(20)<br />

A −→ B + C + D + . . . (21)<br />

Zum Zeitpunkt t = 0 sei eine Stoffmengenkonzentration c0 A vorhanden. Da ferner zur<br />

Zeit t = 0 noch überhaupt kein Stoffumsatz vorhanden ist, muß ebenso x(0) = x0 = 0<br />

sein. Wir machen den allgemein üblichen Ansatz (18) für das differentielle Zeitgesetz:<br />

vx(t) = dx(t)<br />

dt = k1 · cA(t) (22)<br />

Gleichung (22) ist eine lineare, homogene Differentialgleichung 1. Ordnung mit konstan- Differentielles<br />

ten Koeffizienten. Linear bedeutet hierbei, daß die Variable cA(t) und seine Ableitungen<br />

in der Differentialgleichung nur in der ersten Potenz vorkommen. Homogen ist eine Dif- irreversiblen<br />

ferentialgleichung, wenn keine additiven Störglieder S(t) vorhanden sind, welche explizit<br />

von der Zeit abhängen. Die in der Differentialgleichung vorkommenden Faktoren, hier Ordnung<br />

die Geschwindigkeitskonstante k1, sind konstant, wenn sie nicht von der Zeit abhängen,<br />

was hier der Fall ist. Die Ordnung der Differentialgleichung bezeichnet die höchste, in der<br />

Differentialgleichung vorkommende Ableitung, und hat nichts mit der Ordnung einer<br />

Reaktion zu tun.<br />

In der Differentialgleichung (22) treten zwei Variablen auf: x(t) und cA(t). Wir müssen<br />

eine dieser Variablen eliminieren. Eine allgemeine Lösung erhalten wir, wenn wir cA(t)<br />

eliminieren und so eine Differentialgleichung für x(t) erhalten. Hierzu berücksichtigen<br />

wir Gleichung (16) für die Komponente i = A:<br />

cA(t) = c 0 A<br />

11<br />

− x(t)<br />

Zeitgesetz einer<br />

Reaktion erster


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

Setzen wir dies in Gleichung (22) ein, so erhalten wir:<br />

vx(t) = dx(t)<br />

dt = k1 · c 0 A − x(t) <br />

(23)<br />

Diese Differentialgleichung können wir einfach durch Separation der Variablen und anschließender<br />

Integration in den festgelegten Grenzen lösen (siehe hierzu Gleichung (233)<br />

Differentialglei-<br />

Im Anhang A auf Seite 107):<br />

1<br />

= −k1dt<br />

− x)dx<br />

dy(x)<br />

= k · x<br />

dx<br />

können einfach<br />

durch Trennung<br />

x(t)<br />

0<br />

(c 0 A<br />

(c 0 A<br />

− ln c 0 A − x x(t)<br />

0 0 cA ln<br />

− x<br />

1<br />

= −k1<br />

− x)dx<br />

c 0 A<br />

t<br />

0<br />

dt ′<br />

= −k · t ′ | t<br />

0<br />

= −k1 · t (24)<br />

Wir können direkt nach x(t) auflösen, wenn wir beide Seiten von Gleichung (24) exponieren:<br />

c 0 A<br />

c0 A<br />

c0 A<br />

c0 A<br />

= ek1·t<br />

− x<br />

− x<br />

= e−k1·t x(t) = c 0 A · <br />

−k1·t 1 − e<br />

(25)<br />

chungen des Typs<br />

der Variablen und<br />

anschließender<br />

Integration gelöst<br />

Den Zeitverlauf der Konzentration des Eduktes A sowie der entstehenden Produkte B,<br />

C und D können wir über die Auswertung der Gleichung (17) erhalten. Hierzu setzen<br />

Integrales<br />

wir für i = A, B, C, D an:<br />

x(t) = − cA(t) − c 0 <br />

A = cB(t) − c 0 <br />

B = cC(t) − c 0 <br />

C = cD(t) − c 0 <br />

D (26)<br />

Werten wir nun Gleichung (26) für die Komponente A aus:<br />

cA(t) = c 0 A − x(t) = c0A − c0A · <br />

−k1·t 1 − e<br />

Ferner gilt nach Gleichung (26): für das Produkte B:<br />

→ cA(t) = c 0 A · e −k1·t (27)<br />

cB(t) − c 0 B<br />

= x(t)<br />

Da jedoch zur Zeit t = 0 noch kein Produkt B vorhanden war, gilt: c0 B =0 und wir finden<br />

für den zeitlichen Konzentrationsverlauf von B:<br />

cB(t) = x(t) = c 0 A · <br />

−k1·t 1 − e<br />

Ebenso gilt nach Gleichung (26) für cC(t) und cD(t):<br />

cC(t) = cD(t) = cB(t) = c 0 A · 1 − e −k·t<br />

12<br />

(28)<br />

(29)<br />

werden<br />

Zeitgesetz einer<br />

chemischen<br />

Reaktion erster<br />

Ordnung


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

Wir können den zeitlichen Verlauf der Konzentrationen grafisch darstellen, indem wir<br />

cA(t) und cB(t) gegen die Zeit auftragen:<br />

cA(t), cB(t) / mol<br />

0.8<br />

0.7<br />

0.6<br />

0.5<br />

0.4<br />

0.3<br />

0.2<br />

0.1<br />

cA(t)<br />

l·min c0 AAbbildung 1: Zeitverlauf von cA(t) und cB(t)<br />

cB(t)<br />

0<br />

0 1 2 3 4 5<br />

Allerdings ist es möglich, die Auftragung noch zu vereinfachen. Es wurde bereits früher<br />

darauf hingewiesen (siehe S. 11), daß die Ordnung einer Reaktion letztlich experimentell<br />

bestimmt werden muss. Wenn der zeitliche Verlauf cA(t) oder cB(t) aus dem Experiment<br />

bekannt ist, so kann eine Auftragung wie sie in Abbildung 1 dargestellt ist, angefertigt<br />

werden. Durch die Fehler im Experiment und die daraus resultierenden Abweichungen<br />

der Punkte vom theoretischen Kurvenverlauf nach den Gleichungen (27) bzw. (28) ist es<br />

jedoch häufig schwierig zu entscheiden, ob der mathematische Ansatz richtig war oder<br />

nicht. Man kann die Gleichungen (27) und (28) jedoch linearisieren“. Hierzu nehmen<br />

”<br />

wir den Logarithmus von cA(t) in Gleichung (27) und erhalten folgende Gleichung:<br />

ln (cA(t)) = ln c 0 <br />

A − k1 · t (30a)<br />

y(x) = b + a · x (30b)<br />

t/min<br />

Vergleichen wir (30a) mit der Geradengleichung (30b), so finden wir, dass der Funktion linearisiertes<br />

y(x) der Logarithmus ln (cA(t)), dem Ordinatenabschnitt b der Logarithmus ln (c Zeitgesetz<br />

0 A ), der<br />

Steigung a die Geschwindigkeitskonstante k1 und das Funktionsargument x der Zeit t<br />

entspricht. Eine ähnliche Linearisierung können wir für cB(t) erhalten, wenn wir von<br />

Gleichung (28) ebenfalls den Logarithmus nehmen. Allerdings müssen wir hierzu eine<br />

kleine Umformung von Gleichung (28) vornehmen. Aus Gleichung (28) erhalten wir:<br />

cB(t) − c 0 A = c 0 A · e −k·t<br />

Nehmen wir hiervon den Logarithmus, so erhalten wir:<br />

ln cB(t) − c 0 <br />

0<br />

A = ln cA + k1 · t (31)<br />

13


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

Tragen wir ln (cA(t)) gegen t auf, so sollten wir eine abfallende Gerade mit dem Ordi-<br />

natenabschnitt ln (c0 A ) und der Steigung k1 erhalten. Analog ergibt die Auftragung von<br />

ln (cB(t) − c0 A ) gegen t eine ansteigende Gerade mit gleichem Ordinatenabschnitt und<br />

gleicher Steigung:<br />

ln(cA(t)) , ln ` cB(t) − c0 ´<br />

mol<br />

A / l·min<br />

0.6<br />

0.5<br />

0.4<br />

0.3<br />

c 0 A<br />

0.2<br />

0.1<br />

ln(c A(t))<br />

“<br />

ln cB(t) − c 0 ”<br />

A<br />

0<br />

0 0.1 0.2 0.3<br />

t/min<br />

0.4 0.5<br />

Abbildung 2: Zeitverlauf von ln (cA(t)) und ln (cB(t) − c 0 A )<br />

4.2 Irreversible Reaktion zweiter Ordnung<br />

4.2.1 Allgemeine Betrachtungen<br />

Eine irreversible Reaktion zweiter Ordnung lässt sich allgemein darstellen als:<br />

A + B −→ C + . . . (32)<br />

Das differentielle Zeitgesetz ergibt sich unter Anwendung von Gleichung (18) auf Reaktion<br />

(32):<br />

vx(t) = dx(t)<br />

dt = k2 · cA(t) · cB(t) (33)<br />

Dieses Zeitgesetz ist eine lineare, homogene Differentialgleichung erster Ordnung. Die Differentielles<br />

vor, wobei<br />

Edukte A und B liegen zur Zeit t = 0 mit den Konzentrationen c0 A und c0B gelten soll c0 A = c0B . In dieser Gleichung treten drei Unbekannte auf: x(t), cA(t) und cB(t).<br />

Um diese Differentialgleichung lösen zu können, müssen wir zwei der drei Unbekannten<br />

eliminieren. Über Gleichung (16) könnten wir diese Differentialgleichung leicht in eine<br />

Differentialgleichung für cA(t) oder cB(t) umwandeln. Eine allgemeine Lösung erhalten<br />

wir jedoch, wenn wir Gleichung (33) in eine Differentialgleichung in x(t) umwandeln.<br />

14<br />

Zeitgesetz einer<br />

irreversiblen<br />

Reaktion zweiter<br />

Ordnung


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

Hierzu wenden wir zunächst Gleichung (16) für die beiden Edukte i = A, B an, und<br />

erhalten so folgende Beziehungen:<br />

cA(t) = c 0 A − x(t) (34a)<br />

cB(t) = c 0 B<br />

− x(t) (34b)<br />

Substituieren wir die Gleichungen (34a) und (34b) in das differentielle Zeitgesetz (33),<br />

so erhalten wir eine Differentialgleichung in x(t):<br />

vx(t) = dx(t)<br />

dt = k2 · c 0 A − x(t) · c 0 B − x(t)<br />

Die Lösung dieser Gleichung erfolgt über Trennung der Variablen und anschließender Differentialglei-<br />

Integration:<br />

(35)<br />

1<br />

(c 0 A − x) · (c0 B − x)dx = k2dt (36)<br />

Allerdings ist die Integration des Bruches in Gleichung (36) in dieser Form nicht möglich.<br />

Wir müssen daher diesen Bruch umwandeln. Dies geschieht mit Hilfe einer sog. ” Partialbruchzerlegung“.<br />

Hierzu fordern wir, dass sich der Bruch als Summe zweier Teilbrüche<br />

wie folgt darstellen lässt:<br />

f(x) =<br />

1<br />

(c 0 A − x) · (c0 B<br />

− x)<br />

!<br />

=<br />

(c 0 A<br />

a<br />

+<br />

− x)<br />

b<br />

− x)<br />

Allerdings tritt in Gleichung (37) ein Problem auf. Wir führen zwei neue Parameter a<br />

und b ein, die noch bestimmt werden müssen. Hierzu bringen wir Gleichung (37) auf<br />

einen Nenner:<br />

f(x) =<br />

1<br />

(c 0 B<br />

(c0 A − x) · (c0 B − x) = a · (c0B − x) + b · (c0A (c0 A − x) · (c0 B<br />

− x)<br />

− x)<br />

Wir multiplizieren den Zähler der rechten Seite von Gleichung (38) aus und ordnen nach<br />

Potenzen von x:<br />

f(x) =<br />

1<br />

(c0 A − x) · (c0 B − x) = −x · (a + b) + (b · c0A + a · c0B )<br />

− x)<br />

Wir erkennen aus Gleichung (39) zwei Dinge:<br />

(c 0 A − x) · (c0 B<br />

• auf der linken Seite der Gleichung kommen keine Potenzen von x vor. Daher muß<br />

also gelten:<br />

(a + b) = 0<br />

woraus wir ersehen, daß gilt:<br />

a = −b<br />

15<br />

(37)<br />

(38)<br />

(39)<br />

chungen des Typs<br />

dy(x)<br />

= (a +<br />

dx<br />

n·x)·(b+m·x)<br />

werden durch Par-<br />

tialbruchzerlegung<br />

gelöst


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

• Die Terme ohne x müssen zusammen 1 ergeben:<br />

0<br />

b · cA + a · c 0 <br />

A = 1<br />

woraus wir erkennen, daß gilt:<br />

<br />

0<br />

b · cA + a · c 0 <br />

A = 1<br />

und da aber a = −b wird<br />

0<br />

−a · cA + a · c 0 0<br />

B = a · cB − c 0 <br />

A = 1<br />

Jetzt können wir nach a auflösen und erhalten:<br />

a = − 1<br />

c 0 B − c0 A<br />

= −b (40)<br />

Mit den beiden Parametern a und b können wir nun Gleichung (37) bzw. (36) integrieren.<br />

Die Anfangsbedingung lautet hierbei, dass zum Zeitpunkt t = 0 gilt: x(0) = 0:<br />

<br />

<br />

x(t)<br />

0<br />

x(t)<br />

0<br />

<br />

(c 0 A<br />

x(t)<br />

0<br />

(c 0 A<br />

1<br />

(c 0 A − x) · (c0 B<br />

a<br />

+<br />

− x)<br />

a<br />

+<br />

− x)dx<br />

− x)dx =<br />

t<br />

<br />

b<br />

dx = k2 ·<br />

− x)<br />

0<br />

k2dt<br />

t<br />

(c0 B<br />

0<br />

x(t)<br />

b<br />

(c<br />

0<br />

0 B − x)dx = k2<br />

t<br />

·<br />

0<br />

Berücksichtigen wir Gleichung (233) in Anhanng A auf Seite 107, so erhalten wir folgendes<br />

Ergebnis:<br />

−a · ln c 0 A − x + a · ln c 0 B − x − b · ln c 0 B − x + b · ln c 0 <br />

B = k2 · t<br />

Berücksichtigen wir weiterhin, dass a = −b, so wird:<br />

a · ln c 0 B − x − ln c 0 A − x + a · ln c 0 <br />

0<br />

A − ln cB = k2 · t<br />

0 cB − x<br />

ln =<br />

− x<br />

1<br />

a · k2<br />

0 cA · t − ln<br />

c 0 A<br />

Aus Gleichung (41) erhalten wir nun einerseits eine linearisierte Auftragung, wenn wir<br />

Gleichung (16) für die Komponenten i = A, B berücksichtigen und andererseits können<br />

wir Gleichung (41) explizit nach x(t) auflösen, womit wir den zeitlichen Verlauf der Konzentrationsänderung<br />

einer jeden an der Reaktion beteiligten Komponente beschreiben<br />

können. Gleichung (16) lautet für die beiden Komponenten i = A, B:<br />

c 0 B<br />

dt<br />

dt<br />

(41)<br />

cA(t) = c 0 A − x(t) (42a)<br />

cB(t) = c 0 B − x(t) (42b)<br />

16


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

Setzen wir nun die Gleichungen (42a) und (42b) in Gleichung (41) ein, so erhalten wir<br />

eine linearisierte Gleichung:<br />

<br />

cB(t)<br />

ln =<br />

cA(t)<br />

c 0 B − c0 <br />

0 cA A · k · t − ln<br />

c0 <br />

(43)<br />

B<br />

<br />

cB(t)<br />

Tragen wir also ln gegen t in ein Diagramm auf, so erhalten wir eine Gerade mit<br />

cA(t)<br />

<br />

c0 A :<br />

der Steigung (c0 B − c0A ) · k und dem Ordinatenabschnitt ln<br />

0.14<br />

„<br />

c<br />

0<br />

A ln<br />

c<br />

0.12<br />

0 «<br />

B<br />

ln(cA(t)/CB(t))<br />

0.1<br />

0.08<br />

0.06<br />

0.04<br />

0.02<br />

0<br />

0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16<br />

t/min<br />

c 0 B<br />

“ ”<br />

cB (t)<br />

ln<br />

cA (t)<br />

c0 mol<br />

A = 1.25 l<br />

c0 mol<br />

B = 1.10 l<br />

Abbildung 3: Zeitverlauf von ln<br />

<br />

cB(t)<br />

cA(t)<br />

Allerdings können wir Gleichung (41) auch explizit nach x(t) auflösen, wodurch über<br />

Gleichung (16) die Geschwindigkeit der Reaktionsänderungen aller an der Reaktion beteiligten<br />

chemischen Spezies bekannt sind. Wir exponieren hierzu beide Seiten der Gleichung<br />

(41) und lösen nach x auf:<br />

0 cB − x<br />

ln<br />

c0 <br />

=<br />

A − x<br />

1<br />

a · k2<br />

0 cA · t − ln<br />

c0 <br />

B<br />

c0 B − x<br />

· e 1<br />

a ·k2·t<br />

c0 A − x = c0B c0 A<br />

c 0 B − c 0 B · e 1<br />

a ·k2·t c<br />

= x − x · 0 B<br />

c0 · e<br />

A<br />

1<br />

a ·k2·t<br />

17


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

Berücksichtigen wir Gleichung (40), so erhalten wir für x(t):<br />

c<br />

x(t) =<br />

0 B ·<br />

<br />

1 − e −(c0 A−c0 <br />

B)·k2·t<br />

· e −(c0 A−c0 B)·k2·t<br />

1 − c0 B<br />

c 0 A<br />

Über Gleichung (16) erhalten wir dann Ausdrücke für den zeitlichen Verlauf der Kon- Integrales<br />

zentrationen der an der Reaktion beteiligten, chemischen Spezies:<br />

cA(t), cB(t), cC(t) / mol<br />

l·s<br />

1.4<br />

c<br />

1.2<br />

0 B<br />

c 0 A<br />

1<br />

0.8<br />

0.6<br />

0.4<br />

0.2<br />

4.2.2 Äquimolare Ansätze<br />

(44)<br />

cA(t) = c 0 A − x(t) (45a)<br />

cB(t) = c 0 B − x(t) (45b)<br />

cC(t) = x(t) (45c)<br />

cC(t)<br />

cA(t)<br />

cB(t)<br />

0<br />

0 200 400 600<br />

t/min<br />

800 1000 1200<br />

c 0 A<br />

c 0 B<br />

= 0.90 mol<br />

l<br />

= 1.25 mol<br />

l<br />

Abbildung 4: Zeitverlauf von cA(t), cB(t) und cC(t)<br />

In der Praxis wird man die Versuchsbedingungen stets so wählen, dass die Versuchsauswertung<br />

möglichst einfach wird. Eine Möglichkeit, dies bei einer Reaktion des Typs<br />

(32) zu tun, ist eine geschickte Wahl der Anfangskonzentrationen c0 A und c0B zu treffen.<br />

Werfen wir hierzu einen Blick auf das differentielle Zeitgesetz Gleichung (33):<br />

vx(t) = dx(t)<br />

dt = k2 · cA(t) · cB(t)<br />

18<br />

Zeitgesetz einer<br />

irreversiblen<br />

Reaktion zweiter<br />

Ordnung


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

Wenden wir Gleichung (16) für cA(t) und cB(t) an, so finden wir:<br />

cA(t) = c 0 A − x(t)<br />

cB(t) = c 0 B<br />

− x(t)<br />

vx(t) = dx(t)<br />

dt = k2 · c 0 A − x(t) · c 0 B − x(t)<br />

Eine mögliche Vereinfachung des differentiellen Zeitgesetzes (46) besteht nun darin, einen<br />

sog. äquimolaren“ Ansatz zu machen. Das bedeutet, wir wählen die Anfangskonzen-<br />

”<br />

trationen zu c0 A = c0B . Setzen wir dies in Gleichung (46) ein, so erhalten wir:<br />

vx(t) = dx(t)<br />

dt = k2 · c 0 A − x(t) 2 = k2 · c 0 B − x(t) 2<br />

Diese Differentialgleichung können wir leicht durch Separation der Variablen und anschließender<br />

Integration lösen:<br />

x(t)<br />

0<br />

1<br />

(c 0 A − x(t))2dx = k2 · dt<br />

1<br />

(c 0 A − x(t))2dx = k2 ·<br />

Gleichung (234) in Anhanng A auf Seite 107, gibt die Lösung des Integrals:<br />

(c 0 A<br />

<br />

1 <br />

<br />

− x) <br />

0<br />

1 1<br />

−<br />

− x)<br />

(c 0 A<br />

x(t)<br />

Diese Gleichung können wir nach x(t) auflösen:<br />

x(t) = c 0 A ·<br />

c 0 A<br />

<br />

1 −<br />

t<br />

0<br />

dt ′<br />

= k2 · t| t<br />

0<br />

= k2 · t<br />

<br />

1<br />

· k · t + 1<br />

Über Gleichung (16) können wir den zeitlichen Verlauf der Konzentrationen cA(t) und<br />

cB(t) ermitteln:<br />

Durch Auflösen nach 1<br />

cA(t)<br />

c 0 A<br />

cA(t) = cB(t) = c 0 A − x(t) = c0 B<br />

− x(t) =<br />

c 0 A<br />

c 0 A<br />

· k · t + 1<br />

erhalten wir eine linearisierte Gleichung:<br />

1<br />

cA(t)<br />

(46)<br />

(47)<br />

(48)<br />

(49)<br />

(50)<br />

1<br />

=<br />

c0 + k · t (51)<br />

A<br />

19


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

Die Geschwindigkeitsänderung für die Konzentration cC(t) des Produktes C erhalten wir<br />

ebenfalls aus Gleichung (16). Wenn wir beachten, dass zur Zeit t = 0 noch kein Produkt<br />

vorliegt, also cC(0) = c0 C = 0 ist, so wird:<br />

cA(t), cC(t) / mol<br />

l·s c0 A<br />

1.4<br />

1.2<br />

1<br />

0.8<br />

0.6<br />

0.4<br />

0.2<br />

cC(t) = c 0 C + x(t) = x(t) = c0 A ·<br />

<br />

1 −<br />

cC(t)<br />

cA(t)<br />

c 0 A<br />

<br />

1<br />

· k · t + 1<br />

0<br />

0 1 2 3 4 5<br />

t/min<br />

c 0 A<br />

= 1.3 mol<br />

l<br />

Abbildung 5: Zeitverlauf von cA(t) und cC(t), Kinetik 2. Ordnung, äquimolarer Ansatz<br />

4.2.3 Reaktionen pseudo-erster Ordnung<br />

In Abschnitt 4.2.2 haben wir eine wichtige Vereinfachung für das differentielle Geschwindigkeitsgesetz<br />

(33) der Reaktion (32) kennengelernt. Allerdings gibt es eine weitere, sehr<br />

wichtige Möglichkeit, dieses differentielle Zeitgesetz zu vereinfachen. Betrachten wir noch<br />

einmal die Reaktionsgleichung (32):<br />

A + B −→ C + . . .<br />

In dieser Reaktion werden die Edukte A und B im Verhältnis 1 : 1 verbraucht. Anders<br />

ausgedrückt bedingt der Verbrauch von einem Äquivalent 3 A auch den Verbrauch von<br />

einem Äquivalent B. Was aber passiert, wenn wir die Anfangskonzentration eines der<br />

Edukte sehr viel größer machen als die des Zweiten? Wenn etwa c 0 A = 1000Eq und c0 B =<br />

3 Ein Äquivalent=Eq kann dabei jede ” beliebige“ Stoffmengenkonzentration sein und darf nicht mit<br />

der veralteten Äquivalentkonzentration verwechselt werden<br />

20<br />

(52)


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

1Eq ist, so ist das Edukt B der sog. begrenzende Reaktand“. Zum Zeitpunkt t = t<br />

” ∗<br />

sei alles B verbraucht. Dann ist cB(t∗ ) = c∗ B = 0Eq und nach der Reaktionsgleichung (32)<br />

kann sich auch nur ein Äquivalent A umgesetzt haben. Dann ist cA(t∗ ) = c∗ A = 999 Eq.<br />

Wir finden also:<br />

c 0 B = 1 Eq, c ∗ B = 0 Eq → ∆cB = 1 Eq = ∆cA<br />

c 0 A = 1000 Eq, ∆cA = 1 Eq → c ∗ A = 999 Eq = c 0 A − ∆cA<br />

→ c∗ A<br />

c 0 A<br />

= 999 Eq<br />

1000 Eq<br />

≈ 1<br />

Anders ausgedrückt finden wir, dass sich die Konzentration des Eduktes A während der<br />

Reaktion praktisch nicht ändert (≈ 1). Während der gesamten Reaktion gilt also:<br />

für c 0 A ≫ c 0 <br />

∆cA(t) = c<br />

B gilt:<br />

0 A − cA(t) ≈ 0<br />

(53)<br />

→ cA(t) ≈ c 0 A<br />

Im Experiment zeigt sich, dass bereits ein Verhältnis von c0 A<br />

c0 B<br />

um cA(t) ≈ c0 A<br />

≈ 20 ausreichend ist,<br />

anzunehmen. Mit dieser wesentlichen Vereinfachung können wir das<br />

differentielle Zeitgesetz (33) wie folgt umschreiben:<br />

vx(t) = dx(t)<br />

dt = k2 · c 0 A · cB(t) (54)<br />

Die Geschwindigkeitskonstante k2 und die konstante Anfangskonzentration c0 A<br />

tes A können wir zu einer neuen, effektiven Geschwindigkeitskonstante ˜ k2 = k2 · c0 A<br />

zusammenfassen. Dann erhalten wir folgendes, vereinfachtes, differentielles Zeigesetz:<br />

des Eduk-<br />

vx(t) = dx(t)<br />

dt = ˜ k2 · cB(t) (55)<br />

Vergleichen wir diese Gleichung mit Gleichung (22), so finden wir, dass Gleichung (55)<br />

offenbar die Kinetik einer Reaktion erster Ordnung beschreibt, obwohl es sich definitiv<br />

um eine Reaktion zweiter Ordnung handelt. Durch die spezielle Wahl der Anfangskonzentrationen<br />

(c 0 A ≫ c0 B ) und die sich daraus ergebenden Konsequenzen (cA(t) ≈ c 0 A )<br />

vereinfacht sich das ursprüngliche Zeitgesetz zweiter Ordnung (Gleichung (33)) auf ein<br />

Zeitgesetz erster Ordnung, obwohl es sich um eine Reaktion zweiter Ordnung handelt. In<br />

diesem Fall sprechen wir von einer ” Reaktion pseudoerster Ordnung“. Die Lösung<br />

von Gleichung (55) erfolgt wieder über die Trennung der Variablen und anschließender<br />

Integration und ist völlig analog zur Lösung von Gleichung (22). Wir wollen daher<br />

die Lösung nicht noch einmal explizit ausführen, sondern nur das Ergebnis zur Kenntnis<br />

nehmen, wobei wir wieder Gleichung (16) beachten, um den zeitlichen Verlauf der<br />

Konzentrationen der einzelnen, chemischen Spezies zu erhalten. Zu beachten ist hierbei<br />

natürlich wieder, dass zu Beginn der Reaktion noch kein Produkt C vorhanden war und<br />

= 0 sein muss:<br />

daher c 0 C<br />

x(t) = c 0 B ·<br />

cB(t) = c 0 B<br />

<br />

1 − e−˜ <br />

k2·t<br />

(56)<br />

− x(t) (57)<br />

cC(t) = x(t) (58)<br />

21


cA(t), cB(t), cC(t) / mol<br />

l·s c0 A<br />

2.5<br />

2<br />

1.5<br />

1<br />

0.5<br />

4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

cA(t)<br />

cB(t)<br />

cC(t)<br />

c<br />

0<br />

0 0.5 1 1.5<br />

t/min<br />

2 2.5 3<br />

0 B<br />

c0 A<br />

c0 B<br />

=2.0<br />

mol<br />

l<br />

=0.1 mol<br />

l<br />

Abbildung 6: Reaktion pseudoerster Ordnung mit c0 A = 20·c0 B . Man erkennt, dass sich<br />

cA(t) während der Reaktion kaum ändert, während cB(t) vollständig<br />

verschwindet und cC(t) sich seinem Endwert annähert<br />

4.3 Reversible Reaktion erster Ordnung<br />

Reversible Reaktionen sind unvollständig verlaufende Reaktionen. Die Reaktion läuft<br />

nicht mehr explizit in eine einzige Richtung ab. Das Edukt wird nicht mehr ausschließlich<br />

verbraucht, sondern die Produkte zerfallen und bilden so die Edukte zu einem gewissen<br />

Grad wieder zurück. Eine reversible Reaktion läuft daher in zwei verschiedene<br />

Richtungen ab. Genau genommen haben wir es mit zwei verschiedenen Reaktionen zu<br />

tun, welche zur selben Zeit ablaufen:<br />

Reaktion 1: A k1<br />

−→ B<br />

Reaktion 2: B k−1<br />

−→ A<br />

Beide Teilreaktionen zusammen ergeben eine Gleichgewichtsreaktion:<br />

A<br />

Eine reversible<br />

Reaktion besteht<br />

aus zwei<br />

Teilreaktionen, die<br />

in<br />

k1 B<br />

k−1<br />

(59)<br />

22<br />

entgegengesetzer<br />

Richtung ablaufen


cB(t), cC(t) / mol<br />

l·s c0 B<br />

0.12<br />

0.1<br />

0.08<br />

0.06<br />

0.04<br />

0.02<br />

4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

cC(t)<br />

cB(t)<br />

cA(t)<br />

0<br />

0 0.5 1 1.5 2 2.5 3<br />

t/min<br />

c 0 B<br />

c 0 A<br />

mol<br />

= 0.1 l<br />

mol<br />

= 2.0<br />

l<br />

Abbildung 7: Ausschnittsvergrösserung aus Abbildung 6. Der Verlauf von cB(t) und<br />

cC(t), wie er in einer Reaktion pseudoerster Ordnung vorliegt, entspricht<br />

dem in einer Reaktion erster Ordnung, cA(t) liegt ausserhalb der Skala<br />

Wir werden Reaktion 1 einfach als Hinreaktion“ und Reaktion 2 als Rückreaktion“<br />

” ”<br />

bezeichnen. Wir müssen nun einfach die differentiellen Geschwindigkeitsgesetze für Hinund<br />

Rückreaktion aufstellen. Die Reaktionsgeschwindigkeit der Hinreaktion bezeichnen<br />

wir als −→ v (t) = d−→ x (t)<br />

und die Geschwindigkeit der Rückreaktion als ←− v (t) = d←− x (t)<br />

.<br />

dt<br />

Formulieren wir nun die Reaktionsgeschwindigkeiten für Hin- und Rückreaktion, so wie<br />

es durch Gleichung (18) vorgegeben ist:<br />

Reaktion 1: −→ v (t) = d−→ x (t)<br />

dt = k1 · cA(t) (60)<br />

Reaktion 2: ←− v (t) = d←− x (t)<br />

dt = k−1 · cB(t) (61)<br />

Als resultierende Reaktionsgeschwindigkeit wählen wir die Geschwindigkeit der Hinreaktion<br />

minus die Geschwindigkeit der Rückreaktion:<br />

v(t) = dx(t)<br />

dt = −→ v (t) − ←− v (t) = k1 · cA(t) − k−1 · cB(t) (62)<br />

23<br />

dt


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

Freilich könnten wir die resultierende Reaktionsgeschwindigkeit auch genau anders herum<br />

definieren, aber dann müssten wir Produkte und Edukte in Reaktion (59) gerade<br />

vertauschen. Als Anfangsbedingungen legen wir fest, dass zur Zeit t = 0 gilt: cA(0) = c 0 A<br />

und cB(0) = 0. Nach ” unendlich langer“ Zeit befindet sich die Reaktion im Gleichgewicht.<br />

Dann ist die Geschwindigkeit −→ v (t) der Hinreaktion genauso groß wie die Geschwindigkeit<br />

←− v (t) der Rückreaktion. Anders ausgedrückt ist im Gleichgewicht die resultierende<br />

Reaktionsgeschwindigkeit v gleich Null:<br />

Gleichgewichtsbedingung: lim<br />

t→∞ v(t) = lim<br />

t→∞ [ −→ v (t) − ←− v (t)] = 0 (63)<br />

Im Gleichgewicht liegen dann A und B mit ihren Gleichgewichtskonzentrationen [A] 4<br />

und [B] 4 vor:<br />

lim<br />

t→∞ cA(t) = [A] = c eq<br />

A<br />

lim<br />

t→∞ cB(t) = [B] = c eq<br />

B<br />

Setzen wir nun in die Gleichgewichtsbedingung (63) die Gleichungen (60) und (61) für<br />

die Geschwindigkeiten von Hin- und Rückreaktion ein:<br />

lim v(t) = lim<br />

t→∞ t→∞ [k1 · cA(t) − k−1 · cB(t)]<br />

0 = k1 · c eq<br />

A − k−1 · c eq<br />

B<br />

k1 · c eq<br />

A = k−1 · c eq<br />

B<br />

K = k1<br />

k−1<br />

= ceq<br />

B<br />

c eq<br />

A<br />

Es ist offensichtlich, dass der Ausdruck in Gleichung (66) konstant sein muss, denn sowohl<br />

im Zähler als auch im Nenner des Bruches k1 stehen die Geschwindigkeitskonstanten<br />

k−1<br />

für Hin- und Rückreaktion. Mit Gleichung (66) haben wir das Massenwirkungsgesetz<br />

gefunden, und die Konstante K = k1 ist die thermodynamische Gleichgewichtskonstan-<br />

k−1<br />

te. Das Erstaunliche daran ist, dass wir die thermodynamische Größe K aus einer rein<br />

kinetischen Betrachtung gewonnen haben. Mit Hilfe der Massenwirkungskonstante K<br />

können wir die Gleichgewichtskonzentrationen c eq<br />

A<br />

c eq<br />

A<br />

c eq<br />

B<br />

= k−1<br />

k1<br />

· c eq<br />

B<br />

k1<br />

= · c<br />

k−1<br />

eq 1<br />

A =<br />

K<br />

= K · ceq<br />

B<br />

und ceq<br />

B berechnen:<br />

· ceq<br />

A<br />

(64)<br />

(65)<br />

(66)<br />

(67a)<br />

(67b)<br />

Unser Ziel ist es, die resultierende Reaktionsgeschwindigkeit v(t) = dx(t)<br />

zu berechnen.<br />

dt<br />

Anders ausgedrückt müssen wir Gleichung (62) lösen:<br />

dx(t)<br />

dt = k1 · cA(t) − k−1 · cB(t) (68)<br />

4 Anmerkung zur chemischen Nomenklatur: die Gleichgewichtskonzentration einer chemischen Spezies<br />

i = A, B, C, . . . wird nach IUPAC als ” [i]“bezeichnet. Wir werden jedoch für Gleichgewichtskonzentrationen<br />

die Schreibweise c eq<br />

i verwenden<br />

24<br />

Der zentale<br />

Gedanke: die<br />

Gleichgewichtsbe-<br />

dingung


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

Das Problem bei der Lösung dieser Gleichung ist, dass sie drei Unbekannte enthält:<br />

x(t), cA(t) und cB(t). Wir sind jedoch an x(t) interessiert. Wir müssen daher noch weitere<br />

Beziehungen finden, die es uns gestatten, cA(t) und cB(t) als Funktion von x(t)<br />

auszudrücken. Hierbei steht uns noch eine wichtige Gleichung zur Verfügung: die Stoffmengenbilanz.<br />

Zu jedem Zeitpunkt t muss gelten:<br />

c 0 A = cA(t) + cB(t) = c eq<br />

A<br />

+ ceq<br />

B<br />

Mit Hilfe dieser Gleichungen können wir zunächst cB(t) als Funktion von cA(t) aus- Die<br />

drücken:<br />

cB(t) = c eq<br />

A<br />

(69)<br />

+ ceq<br />

B − cA(t) = c 0 A − cA(t) (70)<br />

Setzen wir Gleichung (70) in Gleichung (68) ein, so haben wir bereits eine Unbekannte<br />

eliminiert:<br />

dx(t)<br />

dt = k1 · cA(t) − k−1 · c 0 A − cA(t) <br />

(71)<br />

Ferner muss natürlich Gleichung (16) für i = A, B gelten:<br />

cA(t) = c 0 A<br />

cB(t) = c 0 B<br />

− x(t) (72a)<br />

+ x(t) = x(t) (72b)<br />

Mit Gleichung (72a) können wir cA(t) in Gleichung (71) durch x(t) ausdrücken:<br />

dx(t)<br />

dt<br />

= k1 · cA(t) − k−1 · c 0 A − cA(t) =<br />

= (k1 + k−1) · cA(t) − k−1 · c 0 A =<br />

= k1 · c 0 A − (k1 + k−1) · x(t) (73)<br />

Gleichung (73) ist eine lineare, homogene Differentialgleichung erster Ordnung und ihre<br />

Lösung erfolgt einfach wieder durch Trennung der Variablen und anschließender Integration:<br />

dx = k1 · c 0 A − (k1 + k−1) · x dt<br />

dt =<br />

1<br />

dx (74)<br />

[k1 · c 0 A − (k1 + k−1) · x]<br />

Die Lösung des Integrals ist durch Gleichung (235) in A auf Seite 107 gegeben:<br />

−<br />

1<br />

k1 + k−1<br />

x(t)<br />

0<br />

1<br />

[k1 · c 0 A − (k1 + k−1) · x]<br />

dx =<br />

· ln k1 · c 0 A − (k1 + k−1) · x + ln k1 · c 0 <br />

A = t<br />

ln k1 · c 0 A − (k1 + k−1) · x = − (k1 + k−1) · t − ln k1 · c 0 A<br />

25<br />

t<br />

0<br />

dt<br />

<br />

Stoffmengenbilanz<br />

ist die zweite<br />

Bestimmungsglei-<br />

chung


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

Exponieren wir beide Seiten der letzten Gleichung und lösen nach x(t) auf, so erhalten<br />

wir:<br />

k1 <br />

−(k1+k−1)·t 1 − e <br />

(75)<br />

x(t) = c 0 A ·<br />

k1 + k−1<br />

Mit Hilfe der Gleichungen (72a) und (72b) können wir den zeitlichen Verlauf der Kon- Das integrale<br />

zentrationen cA(t) und cB(t) plotten:<br />

cA(t), cB(t) / mol<br />

l·s<br />

c<br />

1.4<br />

0 A<br />

c eq<br />

B<br />

1.8<br />

1.6<br />

1.2<br />

1<br />

0.8<br />

0.6<br />

c eq<br />

A<br />

0.4<br />

0.2<br />

0<br />

0 1 2 3 4 5<br />

t/min<br />

cA(t)<br />

cB(t)<br />

c 0 A<br />

= 1.5 mol<br />

l<br />

Abbildung 8: Der Verlauf von cA(t) und cB(t) der unimolekularen Gleichgewichtsre-<br />

4.4 Autokatalyse<br />

aktion. Deutlich zu erkennen ist die Annäherung von cA(t) an c eq<br />

A und<br />

von cB(t) an c eq<br />

B<br />

Katalysatoren beschleunigen die Gleichgewichtseinstellung in einer chemischen Reaktion,<br />

indem sie die Aktivierungsenergie des geschwindigkeitsbestimmenden Schrittes in<br />

einer Reaktion verringern. Wichtig hierbei ist, daß der Katalysator während der Reaktion<br />

selbst nicht verbraucht wird, und aus der Reaktion unverändert zurückbleibt.<br />

Weiterhin verändert ein Katalysator nicht die Lage eines chemischen Gleichgewichts,<br />

sondern beschleunigt nur dessen Einstellung.<br />

26<br />

Zeitgesetz einer<br />

reversiblen<br />

Reaktion erster<br />

Ordnung


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

Eine besondere Form der Katalyse ist die sog. ” Autokatalyse “. Bei einer autokatalytischen<br />

Reaktion entsteht ein Produkt, welches eine katalytische Wirkung auf die Reaktion<br />

selbst hat. Mit fortlaufender Bildung der Produkte und damit des Katalysators wird die<br />

Reaktion weiter beschleunigt. Wenn wir den Katalysator als K bezeichnen, so können<br />

wir eine autokatalytische Reaktion wie folgt schreiben:<br />

A K P +<br />

K (76)<br />

Hierbei gibt es jedoch etwas zu beachten: nach der Reaktionsgleichung (76) scheint es<br />

sich bei der Reaktion um eine Reaktion erster Ordnung zu handeln. Die Reaktion kann<br />

allerdings nur dann stattfinden, wenn bereits zu Beginn der Reaktion geringe Mengen<br />

an K vorhanden waren, da der Katalysator direkt an der Reaktion teilnimmt, aus ihr<br />

aber wieder unverändert hervorgeht. Anders ausgedrückt ist die Reaktionsgeschwindigkeit<br />

einer autokatalytischen Reaktion abhängig von der Anfangskonzentration c 0 K des<br />

Katalysators. Der Ansatz für das differentielle Geschwindigkeitsgesetz lautet daher:<br />

vx(t) = dx(t)<br />

dt = k · cA(t) · cK(t) (77)<br />

Gleichung (77) ist eine lineare, homogene Differentialgleichung erster Ordnung. Sie Das differentielle<br />

enthält jedoch drei Unbekannte: cA(t), cK(t) und x(t). Damit wir diese Gleichung lösen<br />

können, müssen wir wieder zwei der drei Unbekannten eliminieren. Dabei ist es geschickt,<br />

Gleichung (77) in eine Differentialgleichung in x umzuwandeln. Wenn wir x(t) kennen,<br />

kennen wir damit über Gleichung (16) auch den zeitlichen Verlauf der Konzentrationen<br />

aller an der Reaktion beteiligten, chemischen Spzies. Gleichung (16) gestattet es uns<br />

wiederum auch, die Konzentrationen cA(t) und cK(t) durch x(t) auszudrücken. Hierzu<br />

gehen wir davon aus, dass zur Zeit t = 0 das Edukt A mit einer Konzentration cA(0) = c0 A<br />

und der Katalysator K mit einer Konzentration cK(0) = c0 K ≈ 0 vorliegen. Es gilt<br />

also: c0 A ≫ c0K . Stellen wir nun Gleichung (16) für die Komponenten i = A, K auf.<br />

Hierbei müssen wir jedoch beachten, dass der Katalysator K als Produkt anzusehen ist.<br />

Demgemäß ist νK = +1 wohingegen νA = −1 ist:<br />

cA(t) = c 0 A<br />

cK(t) = x 0 K<br />

− x(t) (78a)<br />

+ x(t) (78b)<br />

Setzen wir nun die Gleichungen (78a) und (78b) in das differentielle Zeitgesetz (76) ein:<br />

dx(t)<br />

dt = k · c 0 A − x(t) · c 0 K + x(t)<br />

Die Lösung der Differentialgleichung (79) erfolgt durch Trennung der Variablen und<br />

anschließender Integration:<br />

1<br />

[c 0 A − x(t)] · [c0 K<br />

(79)<br />

+ x(t)]dx = kdt (80)<br />

27<br />

Zeitgesetz einer<br />

autokatalytischen<br />

Reaktion


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

Gleichung (80) ist von derselben Gestalt wie Gleichung (36). Diese Gleichung ist uns in<br />

Kapitel 4.2.1 auf Seite 14 bereits begegnet. Ihre Lösung verlief über eine Partialbruchzerlegung<br />

des Integranden in x. Das gleiche Verfahren wenden wir nun hier auch an. Das<br />

bedeutet, wir wandeln den Bruch in Gleichung (80) wie folgt um:<br />

1<br />

[c 0 A − x(t)] · [c0 K<br />

+ x(t)]<br />

!<br />

=<br />

[c 0 A<br />

a<br />

+<br />

− x(t)]<br />

[c 0 K<br />

b<br />

+ x(t)]<br />

Über das nun aus Kapitel 4.2.1 bereits bekannte Verfahren der Partialbruchzerlegung<br />

finden wir folgende Werte für die Konstanten a und b:<br />

a =<br />

1<br />

c 0 A + c0 K<br />

Damit können wir Gleichung (80) integrieren:<br />

x(t)<br />

0<br />

a<br />

[c 0 A − x′ ] dx′ +<br />

x(t)<br />

0<br />

(81)<br />

= b (82)<br />

b<br />

[c 0 K + x′ ] dx′ = k ·<br />

Die Integration von Gleichung (80) ist völlig analog zur Integration von Gleichung (36)<br />

in Kapitel 4.2.1 auf Seite 14. Wir erhalten als Ergebnis:<br />

c<br />

x(t) =<br />

0 A · c0k ·<br />

<br />

1 − e −k(c0 A +c0 <br />

k)·t<br />

(84)<br />

c 0 A · e−k(c0 A +c0 k)·t + c 0 K<br />

Die Gleichungen (78a) und (78b) geben uns den zeitlichen Verlauf der Konzentrationen Integrales<br />

von A und K. Den zeitlichen Verlauf der Konzentration von P erhalten wir wiederum<br />

über Gleichung (16), wobei wir für i = P einsetzen und beachten, dass c0 p = 0 ist:<br />

t<br />

0<br />

dt ′<br />

(83)<br />

cP(t) = x(t) (85)<br />

Nun können wir den zeitlichen Verlauf von cA(t), cK(t) und cP(t) plotten. Der Kurvenverlauf<br />

von cP(t) zeigt einen für die Autokatalyse typischen, S-förmigen Kurvenverlauf.<br />

Dieser erklärt sich dadurch, dass zu Beginn der Reaktion wegen c0 A ≫ c0 K die relative<br />

Zunahme von K sehr viel größer ist als die relative Abnahme von A. Dadurch steigt<br />

die Reaktionsgeschwindigkeit so lange an, bis die relative Abnahme von A die relative<br />

Zunahme von K überkompensiert. Die Reaktionsgeschwindigkeit dx(t)<br />

wird also ein<br />

dt<br />

Maximum durchlaufen und dann gegen Null gehen. Die Reaktion kommt zum Erliegen,<br />

wenn das gesamte Edukt A verbraucht ist. Der Graph von cK(t) nähert sich mit der Zeit<br />

dem Wert c ∗ K an, der sich aus cK(t) nach Gleichung (78b) für t → ∞ berechnet, wenn<br />

wir noch berücksichtigen, dass wir zu Beginn der Reaktion bereits eine Konzentration<br />

c0 K vorliegen hatten:<br />

c ∗ ⎡<br />

K = lim ⎣c 0 K +<br />

c0 A · c0k ·<br />

<br />

1 − e −k(c0 A +c0 ⎤<br />

k)·t<br />

⎦ = c 0 K + c0A (86)<br />

t→∞<br />

c 0 A · e−k(c0 A +c0 k)·t + c 0 K<br />

28<br />

Zeitgesetz einer<br />

autokatalytischen<br />

Reaktion


4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

Das Produkt P nähert sich mit der Zeit seiner Endkonzentration c ∗ P<br />

Gleichung (85) für t → ∞ erhalten:<br />

c ∗ c<br />

P = lim cP(t) = lim x(t) = lim<br />

t→∞ t→∞ t→∞<br />

0 A · c0k ·<br />

<br />

1 − e −k(c0 A +c0 <br />

k)·t<br />

c 0 A · e−k(c0 A +c0 k)·t + c 0 K<br />

an, welche wir aus<br />

= c 0 A<br />

Die Konzentration des Eduktes A geht mit fortschreitender Zeit gegen 0, wenn wir den<br />

Limes von Gleichung (78a) für t → ∞ bilden:<br />

c ∗ 0<br />

A = lim cA(t) = lim cA − x(t)<br />

t→∞ t→∞<br />

⎛<br />

= lim ⎝c 0 c<br />

A −<br />

0 A · c0k ·<br />

<br />

1 − e −k(c0 A +c0 ⎞<br />

k)·t<br />

⎠ = 0 (88)<br />

t→∞<br />

vx(t) = c0 k c0 A k (c0 A + c0 K )e−k(c0 A +c0 k)·t<br />

c 0 A · e−k(c0 A +c0 k)·t + c 0 K<br />

c 0 A · e−k(c0 A +c0 k)·t + c 0 K<br />

Wir erhalten die Reaktionsgeschwindigkeit vx(t) = dx(t)<br />

, indem wir x(t) aus Gleichung<br />

dt<br />

(84) nach t differenzieren. Als Ergebnis finden wir:<br />

⎡<br />

c<br />

· ⎣1 −<br />

0 <br />

A e −k(c0 A +c0 ⎤<br />

k)·t<br />

− 1<br />

⎦ (89)<br />

e −k(c0 A +c0 k)·t + c 0 K<br />

Den Zeitpunkt tmax, bei welchem die Reaktionsgeschwindigkeit vx(t) ihren Maximalwert<br />

erreicht, erhalten wir, wenn wir vx(t) in Gleichung (89) nach der Zeit differenzieren, den<br />

resultierenden Ausdruck gleich Null setzen und nach t = tmax auflösen:<br />

dvx(t)<br />

dt = ˙vx(t)<br />

c<br />

=<br />

0 Kc0A k (c0A + c0K )2 ·<br />

<br />

e −k(c0 A +c0 k)·t 0 − cAc0 K − c0 2<br />

K<br />

<br />

<br />

e −k(c0 A +c0 3 K)·t<br />

c0 Ac0K + c0 2<br />

A<br />

<br />

Nullsetzen von ˙vx(t) und auflösen nach tmax liefert:<br />

t = tmax : → ˙v(tmax) = 0<br />

<br />

c0 A ln c<br />

→ tmax =<br />

0 <br />

K<br />

k · (c 0 A + c0 K )<br />

29<br />

(87)<br />

(90)<br />

(91)


cA(t), cK(t), cP (t) / mol<br />

l·s<br />

c ∗ K<br />

4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />

1.2<br />

c 1 0 A<br />

c 0 K<br />

0.8<br />

0.6<br />

0.4<br />

0.2<br />

cP(t)<br />

cA(t)<br />

cK(t)<br />

c0 mol<br />

A = 1.0<br />

l<br />

c0 mol<br />

K = 0.1 l<br />

l<br />

k = 0.6 mol·s<br />

0<br />

0 2 4 6 8<br />

t/min<br />

10 12 14<br />

Abbildung 9: Der Verlauf von cA(t), cK(t) und cP(t) der autokatalyt. Rkt. (76)<br />

vx(t) / mol<br />

l·s<br />

0.25<br />

0.2<br />

vmax<br />

0.15<br />

0.1<br />

0.05<br />

vx(t)<br />

c0 mol<br />

A = 1.0 l<br />

c0 mol<br />

K = 0.1 l<br />

l<br />

k = 0.6 mol·s<br />

0<br />

0 2 4<br />

tmax<br />

6<br />

t/min<br />

8 10 12<br />

Abbildung 10: Die Reaktionsgeschwindigkeit der autokatalysierten Reaktion (76)<br />

30


5 UV-VIS Spektroskopie<br />

5 UV-VIS Spektroskopie<br />

5.1 Physikalische Grundlagen: Was ist Licht?<br />

Licht ist elektromagnetische Strahlung und besitzt einen elektrischen Anteil E(t) sowie<br />

einen magnetischen Anteil B(t). Sowohl elektrisches als auch magnetisches Feld oszillieren.<br />

Die sog. Maxwell’schen Gleichungen beschreiben die wechselseitige Beeinflussung<br />

des elektrischen und des magnetischen Wechselfeldes einer elektromagnetischen Welle:<br />

ein zeitlich sich änderndes elektrisches Feld E(t) erzeugt ein Magnetfeld und ein zeitlich<br />

sich änderndes Magnetfeld B(t) erzeugt ein elektrisches Feld. Dadurch pflanzen sich sowohl<br />

E- als auch B-Feld einer elektromagnetischen Welle durch den Raum fort. Wenn<br />

sich die Welle in y-Richtung ausbreitet, dann lauten die Gleichungen für elektrisches und<br />

magnetisches Wechselfeld der Welle:<br />

E(t) = E0 · e i·(k·y−ωt) (92)<br />

B(t) = B0 · e i·(k·y−ωt) (93)<br />

Hierbei ist k = ω die sog. Wellenzahl der elektromagnetischen Welle, und ω die Kreisfre-<br />

c<br />

quenz, c ist die Lichtgeschwindigkeit. Die Maxwell-Gleichungen, welche die gegensetitge<br />

Erzeugung oszillierender elektrischer und magnetischer Felder beschreiben, und nur der<br />

Vollständigkeit halber angegeben werden, lauten:<br />

∇· E = ρe<br />

ǫ0<br />

(94)<br />

∇· B = 0 (95)<br />

∇× E = − ∂ B(t)<br />

∂t<br />

∇× B = µ0j + µ0ǫ0 · ∂ E(t)<br />

∂t<br />

Ferner stehen elektrisches und magnetisches Feld einer elektromagnetischen Welle senkrecht<br />

aufeinander. Tragen wir den Realteil von E(t) und von B(t) in ein Diagramm ein,<br />

so erhalten wir eine Veranschaulichung von dem, was eine elektromagnetische Welle ist.<br />

Siehe hierzu Abb. 11 auf der nächsten Seite.<br />

Die Wellenlänge λ, [λ] = nm = 10−9m bestimmt die Energie der elektromagnetischen<br />

Welle:<br />

E(λ) = h · c<br />

(98)<br />

λ<br />

hierbei ist h = 6, 626 · 10−34Js das sog. Planck’sche Wirkungsquantum. Je kleiner die<br />

Wellenlänge λ ist, desto energiereicher ist die elektromagnetische Welle. Elektromagnetische<br />

Wellen besitzen auch Teilcheneigenschaften. Über die sog. deBroglie-Beziehung kann<br />

man einer elektromagnetischen Welle daher auch einen Impuls p = m · v zuschreiben:<br />

λ = h<br />

p<br />

31<br />

(96)<br />

(97)<br />

(99)


x<br />

5 UV-VIS Spektroskopie<br />

z<br />

B(t)<br />

Abbildung 11: Eine elektromagnetische Welle<br />

Die Ausbreitungsgeschwindigkeit c des Lichtes ist abhängig vom durchstrahlten Medium.<br />

Im Vakuum ist die Lichtgeschwindigkeit größer als innerhalb von Materie. Die Geschwindigkeit<br />

der Lichtausbreitung in Abhängigkeit vom durchstrahlten Medium berechnet sich<br />

nach:<br />

Dabei bedeuten:<br />

c =<br />

1<br />

√ ǫ0 · ǫr · µ0 · µr<br />

• c: Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts im betrachteten Medium<br />

−12 As<br />

• ǫ0: Dielektrizitätskonstante des Vakuums (ǫ = 8, 85416 · 10 V m )<br />

• ǫr: Dielektrizitätszahl des durchstrahlten Mediums (z. B. ǫ H2O<br />

r<br />

−7 V s<br />

• µ0: Magnetische Feldkonstante µ0 = 4π · 10 Am<br />

E(t)<br />

y<br />

= 78)<br />

• µr: magnetische Permeabilitätszahl des durchstrahlten Mediums (z. B. µ H2O<br />

r<br />

−6 · 10 −6 )<br />

(100)<br />

Aus Gleichung (100) folgt, daß sich an Phasengrenzen (z. B. Luft/Wasser) die Ausbreitungsgeschwindigkeit<br />

des Lichts ändert. Darauf ist der Effekt der Brechung von Licht<br />

32<br />

=


an Flüssigkeitsoberflächen zurückzuführen.<br />

5 UV-VIS Spektroskopie<br />

Der Wellenlängenbereich elektromagnetischer Strahlung reicht von wenigen Femtometern<br />

(10 −15 m, harte kosmische Strahlung) bis zu mehreren Metern (Radiowellen). Je<br />

nach Wellenlängenbereich wird die elektromagnetische Strahlung in verschiedene Typen<br />

eingeteilt, wie etwa γ-Strahlung, Röntgen-Strahlung, sichtbares Licht, Radiowellen. Die<br />

Grenzen zwischen den verschiedenen Strahlungsarten sind selbstverständlich fließend<br />

und können nur sehr willkürlich gezogen werden. Eine mögliche, sinnvolle Einteilung ist<br />

in Tabelle 1 gegeben:<br />

Wellenlängenbereich [m] Bezeichnung Effekt/Anwendung<br />

10 −15 − 10 −12 kosmische Strahlung Krebserregend<br />

10 −12 − 10 −10 γ-Strahlung Hochenergietechnik<br />

10 −10 − 1, 0 · 10 −8 Röntgenstrahlung medizinische Diagnostik<br />

1, 0 · 10 −8 − 2, 0 · 10 −7 UV-Bereich Hautkrebs<br />

(2, 0 − 8, 0) · 10 −7 sichtbares Licht sehen ()<br />

8 · 10 −7 − 1 · 10 −6 IR-Strahlung Wärme<br />

10 −6 − 10 −3 Mikrowellen Wärme<br />

10 −3 − 1 Radarwellen atmosphär. Ortung<br />

> 1 Radiowellen Informationsübertragung<br />

Tabelle 1: Wellenlängenbereiche der elektromagnetischen Strahlung<br />

Der Wellenlängen-Bereich 200 nm < λ < 800 nm wird als das sichtbare Fenster des<br />

elektromagnetischen Spektrums bezeichnet. Dieser Bereich umfasst das gesamte, für<br />

das menschliche Auge sichtbare Spektrum der elektromagnetischen Strahlung. Während<br />

Wellenlängen in der Gegend von λ ≈ 200 nm noch im Ultravioletten (UV) liegen, befinden<br />

sich Wellenlängen in der Gegend von λ ≈ 800 nm bereits im Infraroten (IR).<br />

Insgemsamt wird der Wellenlängenbereich 200 nm < λ < 800 nm auch als UV-VIS-<br />

Bereich der elektromagnetischen Strahlung bezeichnet. Dieser Wellenlängenbereich ist<br />

für uns von besonderem Interesse, da er die Grundlage der UV-VIS Spektroskopie bildet.<br />

360 380 400 420 440 460 480 500 520 540 560 580 600 620 640 660 680 700 720 740 760 780 800<br />

Abbildung 12: Der sichtbare Teil des elektromagnetischen Spektrums<br />

Obwohl die Theorie der Farbe kompliziert ist, kann man den einzelnen Wellenlängenbereichen<br />

Farben zuordnen. Siehe hierzu Tabelle 2. Natürlich ist eine derartige Zuord-<br />

33


5 UV-VIS Spektroskopie<br />

nung der einzelnen Grenzen rein willkürlich und könnte genausogut anders vorgenommen<br />

werden.<br />

Wellenlängenbereich [nm] Farbe<br />

400 − 430 Violett<br />

430 − 490 Blau<br />

490 − 570 Grün<br />

570 − 580 Gelb<br />

580 − 640 Orange<br />

640 − 780 Rot<br />

Tabelle 2: Farben im sichtbaren Spektralbereich<br />

5.2 Wechselwirkung von Licht mit Materie<br />

Grundlage einer jeden Art von Spektroskopie ist die Wechselwirkung von Licht mit<br />

Materie. Dabei ist die Wechselwrikung der elektromagnetischen Strahlung mit Materie<br />

abhängig von der Wellenlänge der Strahlung. Kurzwelliges Licht wechselwirkt mit Materie<br />

anders als Langwelliges. In Tabelle 1 haben wir eine willkürliche Einteilung des<br />

gesamten Spektralbereichs der elektromagnetischen Strahlung vorgenomen. Die gleiche<br />

Einteilung können wir nun verwenden, um nun den Effekt zu Beschreiben, den die elektromagnetische<br />

Strahlung auf die bestrahlten Moleküle ausübt, und um die daraus resultierenden<br />

Spektroskopie-Arten zu erläutern.<br />

Wellenlängenbereich Bezeichnung Art der Wechselwirkung Spektroskopie<br />

100 m − 1 cm Radiofrequenzen Kernanregung NMR 5 -, ESR 6 -Spektroskopie<br />

1 cm − 100 µm Mikrowellengebiet Molekülrotation Rotationsspektroskopie<br />

100 µm − 1 µm Infrarotgebiet Molekülschwingung Schwingungsspektroskopie<br />

1 µm − 10 nm UV-VIS Bereich Valenzelektronenanregung UV-VIS Spektroskopie<br />

10 nm − 100 pm Röntgengebiet Anregung innerer Elektronen XRF-Spektroskopie 7<br />

100 pm − 1 pm γ-Strahlung Umordnung der Nukleonen<br />

Tabelle 3: Farben im sichtbaren Spektralbereich<br />

Für uns von Interesse ist das UV-VIS Gebiet mit einem Wellenlängenbereich von<br />

10 nm < λ < 1 µm. Licht dieser Wellenlänge ist in der Lage, die Valenzelektronen von<br />

Atomen und Molekülen anzuregen. Wir werden uns daher zunächst ein wenig mit Atomund<br />

Molekülorbitalen sowie der Anregung der Elektronen darin beschäftigen.<br />

Betrachten wir hierzu das Iod-Molekül. Seine Elektronenkonfiguration lautet:<br />

I2 : [Kr]4d 10 5s 2 5p 5 . Im Rahmen der UV-VIS Spektroskopie sind für uns die 5s- und<br />

5<br />

6<br />

7<br />

” XRF“steht für X-Ray-Fluorescence; Röntgenfluoreszenz-Spektroskopie<br />

” ESR“steht für ElektronenSpinResonanz<br />

” NMR“steht für NuclearMagneticResonance; Kernspin-Resonanz<br />

34


ELUMO<br />

EHOMO<br />

E<br />

5 UV-VIS Spektroskopie<br />

Iod-Atom 1 I2-Molekül Iod-Atom 2<br />

π ∗ u 2<br />

5p2 x 5p2 y 5p2 z 5p2 5p z<br />

2 5p y<br />

2 x<br />

5s 2<br />

π 2 g<br />

Abbildung 13: MO-Diagramm von Iod<br />

5p-Elektronen bedeutsam. Wir können die Energie der Atomorbitale der einzelnen Iodatome<br />

sowie die Energie der Molekülorbitale des Iodmoleküls in ein Molekülorbital-<br />

Energie-Diagramm – kurz: in ein MO-Diagramm eintragen. Dann erhalten wir die in<br />

Abb. 13 gezeigte Anordnung.<br />

Die in Abbildung 13 vorkommenden Bezeichnungen EHOMO und ELUMO sind die Energien<br />

des energetisch höchst-gelegenen, besetzten Orbitals (HOMO = Highest Occupied<br />

Molecular Orbital) und des energetisch niedrigst-gelegenen, unbesetzten Orbitals (LU-<br />

MO = Lowest Unoccupied Molecular Orbital). Von Bedeutung ist hierbei die Energiedifferenz<br />

zwischen HOMO und LUMO:<br />

σ ∗ u<br />

σ 2 g<br />

σ ∗ u 2<br />

σ 2 g<br />

π ∗ u 2<br />

5π 2 g<br />

∆E = ELUMO − EHOMO<br />

5s 2<br />

(101)<br />

Wenn wir einem Elektron im HOMO einen Energiebetrag ∆E nach Gleichung (101)<br />

zuführen, so wird dieses Elektron angeregt und wechselt vom HOMO ins LUMO. Diese<br />

Anregung kann etwa durch Bestrahlung mit Licht geschehen. Jedoch darf hier nicht<br />

” beliebiges“ Licht verwendet werden, sondern es muß Licht einer speziellen Wellenlänge<br />

sein. Kombinieren wir Gleichung (101) mit Gleichung (98), so erhalten wir:<br />

λ =<br />

h · c<br />

∆E<br />

(102)<br />

Diese Gleichung besagt, daß wir Licht der Wellenlänge λ = h·c verwenden müssen,<br />

∆E<br />

um ein Elektron vom HOMO des Iod in das LUMO anzuregen. Anders ausgedrückt ist<br />

35


ELUMO<br />

EHOMO<br />

E<br />

5 UV-VIS Spektroskopie<br />

Iod-Atom 1 I2-Molekül Iod-Atom 2<br />

∆E = h·c<br />

λ<br />

π ∗ u 2<br />

5p2 x 5p2 y 5p2 z 5p2 5p z<br />

2 5p y<br />

2 x<br />

5s 2<br />

π 2 g<br />

Abbildung 14: Anregung eines Elektrons im HOMO von Iod<br />

Iod in der Lage, Licht genau dieser Wellenlänge (102) zu absorbieren. Der elektronische<br />

Grundzustand des Iod ist ein sog. 1 Σ + g -Zustand. Seine Energie wird gleich Null gesetzt:<br />

E( 1 Σ + g ) = 0. Der erste angeregte Zustand des Iod wird als 3 Π1u bezeichnet, und er hat<br />

eine Energie von E( 3 Π1u) = 1, 474 eV = 2, 361 · 10 −19 J. Die Energiedifferenz ∆E ist<br />

dann gegeben durch ∆E = E( 3 Π1u) −E( 1 Σ + g ) = 1, 474 eV = 2, 361 · 10 −19 J. Hieraus errechnen<br />

wir eine Wellenlänge von λ = 841 nm. Iod absorbiert also Licht bei λ = 841 nm.<br />

Dieses Licht liegt im roten Bereich des elektromagnetischen Spektrums.<br />

Wenn wir weißes Licht in gasförmiges Iod einstrahlen, so werden die roten Anteile<br />

aus dem Licht entfernt. Wir sehen daher die sog. Komplementärfarbe, und Iod-Dämpfe<br />

erscheinen daher bläulich bis violett. Allerdings ändert sich der Sachverhalt ein wenig,<br />

sobald Iod in gelöster Form vorliegt. Iod ist ein apolares Molekül und ist daher nur<br />

wenig in polaren Solvenzien wie Wasser lösbar. Ein Trick, um dieses Problem zu umgehen<br />

ist, Iod zusammen mit Kaliumiodid in Lösung zu bringen. Durch die Reaktion des<br />

molekularen Iod I2 mit dem Iodid-Ion I − aus dem Salz Kaliumiodid KI entsteht eine<br />

schmutzig-braune Lösung von Kaliumtriiodid:<br />

I2 + K + + I −K<br />

σ ∗ u<br />

σ 2 g<br />

σ ∗ u 2<br />

σ 2 g<br />

π ∗ u 2<br />

5π 2 g<br />

5s 2<br />

+ + I − 3 (103)<br />

Das Triiodid-Ion ist als geladenes Teilchen sehr gut in Wasser löslich. Durch die Reaktion<br />

des Iodmoleküls mit dem Iodid-Ion zum Triiodid-Ion und durch die Wechselwirkung des<br />

Triiodid-Ions mit den Wassermolekülen ändert sich die Farbe des Iod von bläulich-violett<br />

nach schmutzig-braun. Aber die einzig farbgebende Substanz in einer wäßrigen KI/I2-<br />

Lösung ist nach wie vor das Iod bzw. das Triiodid-Ion, und wenn wir die KI/I2-Lösung<br />

36


ELUMO<br />

EHOMO<br />

E<br />

5 UV-VIS Spektroskopie<br />

Iod-Atom 1 I2-Molekül Iod-Atom 2<br />

5p2 x 5p2 y 5p2 z 5p2 5p z<br />

2 5p y<br />

2 x<br />

5s 2<br />

π ∗ u 2<br />

π 2 g<br />

Abbildung 15: Iod im ersten, angeregten Zustand<br />

mit weißem Licht bestrahlen, so ändert sich dennoch die Farbe des Lichtes bzw. die<br />

Intensität der eingestrahlten elektromagnetischen Wellen. Die Abnahme der Intensität<br />

des eingestrahlten Lichtes ist der <strong>physikalische</strong> Parameter, den wir über die Methoden<br />

der UV-VIS Spektroskopie (eigentlich Spektrometrie) messen wollen. Wenn wir die<br />

Abnahme der Intensität des eingestrahlten Lichtes bei einer KI/I2-Lösung bekannter<br />

Konzengtration kennen, dann können wir daraus die Konzentration einer unbekannten<br />

KI/I2-Lösung ermitteln. Dies geschieht mit Hilfe eines Spektralphotometers und des<br />

Lambert-Beer’schen Gesetzes.<br />

5.3 Das Spektralphotometer<br />

Wir kennen jetzt die <strong>physikalische</strong> Ursache für die Farbigkeit einer wäßrigen Iod-Lösung<br />

bzw. einer wäßrigen KI/I2-Lösung: die Absorption von Licht aufgrund der Anregung<br />

von Valenzelektronen. Ferner wissen wir, daß durch die Absorption von Licht einer ganz<br />

bestimmten Wellenlänge λ, welche wir nach Gleichung (102) berechnen können, sich die<br />

Intensität des eingestrahlten Lichts ändert. Diese Intensitätsänderung können wir mit<br />

Hilfe eines Spektralphotometers messen. Der prinzipielle Aufbau eines Spektralphotometers<br />

ist inbb. 16 gegeben.<br />

Wir wollen nun die Bestandteile eines Spektrahlphotometers und deren Funktion besprechen.<br />

σ ∗ u<br />

σ 2 g<br />

σ ∗ u 2<br />

σ 2 g<br />

• Lichtquelle: Die Funktion der Lichtquelle sollte klar sein: sie liefert das Licht,<br />

welches von der Probe absorbiert werden soll. Allerdings wissen wir inzwischen, daß<br />

37<br />

π ∗ u 2<br />

5π 2 g<br />

5s 2


5 UV-VIS Spektroskopie<br />

Abbildung 16: Prinzipskizze eines Einstrahl-Photometers<br />

die Absorption abhängig von der Wellenlänge ist. Wir müssen also sicherstellen,<br />

daß die von uns gewählte Lichtquelle auch Licht genau der Wellenlänge λ enthält,<br />

welche nach Gleichung (102) zur Anregung der zu untersuchenden Probe notwendig<br />

ist. Prinzipiell werden Linienstrahler und Kontinuumsstrahler unterschieden.<br />

– Linienstrahler: Dies sind Lichtquellen, welche nur Licht bestimmter Wellenlängenbereiche<br />

aussenden. Typische Linienstrahler sind etwa Quecksilberdampflampen<br />

oder Cadmiumdampflampen. Werden Quecksilber bzw. Cadmium<br />

erhitzt, so verdampfen sie und senden Licht ganz bestimmter Wellenlängen<br />

aus (sie bilden also ein diskontinuierliches Spektrum). Die Quecksilberdampflampe<br />

(Hg-Lampe) etwa sendet Licht folgender Wellenlängen aus:<br />

254 nm, 265 nm, 280 nm, 302 nm, 313 nm, 334 nm, 365 nm, 405 nm,<br />

436 nm, 492 nm, 546 nm, 578 nm, 623 nm und 691 nm. Vorteile gegenüber<br />

einem Kontinuumstrahler sind die höhere Intensität sowie die schmalen Wellenlängenbereiche,<br />

die mit relativ kleinem Aufwand isoliert werden können.<br />

Nachteilig hingegen ist, daß nur Licht bestimmter Wellenlängen zur Verfügung<br />

steht, die nicht immer mit der optimalen Absorption der zu messenden Substanz<br />

zusammenfallen.<br />

– Kontinuumstrahler: Hierbei handelt es sich um Lampen, welche Licht kontinuierlich<br />

über einen großen Wellenbereich, meist über das gesamte sichtbare<br />

Spektrum, ausstrahlen. Typische Beispiele für Kontinuumsstrahler sind:<br />

∗ Wolframfadenlampe: Sie emittieren Licht im Bereich 300 nm < λ <<br />

38


5 UV-VIS Spektroskopie<br />

Abbildung 17: Emissionsspektrum von Quecksilberdampflampen<br />

1000 nm. Sie strahlt ab ca. 300 nm mit zunehmender Intensität, im UV-<br />

Bereich ist ihre Leistung hingegen schwach.<br />

∗ Halogenlampe: (Jodquarzlampe) sie emittieren Licht im Bereich 300 nm <<br />

λ < 1000 nm. Sie weisen eine höhere Lichtintensität auf als die Wolframlampen<br />

∗ Deuteriumlampe: Sie emittieren Licht im Bereich 180 nm < λ <<br />

360 nm, sie sind also besonders für den UV-Bereich geeignet.<br />

∗ Xenonlampe: Sie emittieren Licht im Bereich 200 nm < λ < 1000 nm<br />

in gepulster Form aus<br />

• Eintrittsspalt: Durch den Eintrittsspalt wird gewährleitstet, dass ein paralleles<br />

Lichtbündel auf das Dispersionselement fällt.<br />

• Dispersionselement: Wie im Kapitel 5.2 dargelegt, benötigen wir Licht einer ganz<br />

speziellen Wellenlänge λ für die Anregung der Elektronen. Das Dispersionselement<br />

gestattet es, einen relativ eng begrenzten Bereich des elektromagnetischen Spektrums<br />

(∆λ ≈ 1 nm) aus dem polychromatischen, weißen Licht der Lichtquelle<br />

herauszuschneiden. Prinzipiell werden zwei Typen an Dispersionselementen unterschieden:<br />

– Prismen: Fällt Licht auf die Oberfläche von Glas, so wird es dort gebrochen.<br />

Dabei wird Licht unterschiedlicher Wellenlängen unterschiedlich stark gebrochen.<br />

So ist es möglich, mit Hilfe eines Prismas das weiße Licht der Lichtquelle<br />

in seine Bestandteile, also in die einzelnen Farben aufzuteilen. Vorteile der<br />

Prismen sind die hohe Präzision sowie die einfache Handhabung. Nachteilig<br />

39


5 UV-VIS Spektroskopie<br />

Abbildung 18: Emissionsspektrum von Xenondampflampen<br />

hingegen ist die relativ hohe Eigenabsorption sowie die Nichtliniearität der<br />

Lichtbrechung und deren Temperaturabhängigkeit.<br />

– Gitter: Sie bestehen aus einer großen Anzahl an äquidistanten Linien, welche<br />

maschinell in eine ebene Oberfläche (Glas- oder Kunststoffplatte) eingebracht<br />

wurden. Die Stege zwischen den einzelnen Linien wirken dabei als dicht beieinanderliegende<br />

Spalte, an denen das Licht gebeugt wird. Die Gitter sind<br />

meist als Reflexionsgitter ausgeführt und besitzen 10000 und mehr Spalten<br />

pro Zentimeter. Gitter sind einfacher herzustellen als Prismen, erreichen jedoch<br />

nicht deren Präzision.<br />

• Austrittsspalt: Der Austrittsspalt blendet die unerwünschten Wellenlängenbereiche<br />

sowie Streulicht aus.<br />

• Monochromator: Die Anordung Eintrittsspalt-Dispersionselement-Austrittsspalt<br />

wird Monochromator genannt. Das Licht, welches direkt aus der Lichtquelle kommt,<br />

besteht aus Licht sehr vieler Wellenlängen und wird daher polychromatisch genannt.<br />

Nachdem das Licht den Monochromator verlässt, sollte es idealerweise aus<br />

Licht von nur einer einzigen Wellenlänge bestehen, was aber nicht realisierbar ist,<br />

da dann der Austrittsspalt unendlich klein sein müsste. Licht bestehend aus nur<br />

einer einzigen Wellenlänge wird monochromatisch genannt. Da aber monochromatisches<br />

Licht nicht realisierbar ist, sondern im besten Fall Licht, welches aus<br />

Wellenlängen aus einem schmalen Wellenlängenbereich λ + ∆λ enthält, spricht<br />

man von Monochromasie.<br />

• Probe: In Spektralphotometern sind die Proben praktisch immer Küvetten mit<br />

40


5 UV-VIS Spektroskopie<br />

Abbildung 19: Beugung von Licht durch ein Prisma<br />

einer Messlösung darin. Die Küvette selbst bedingt bereits eine gewisse Absorption<br />

des einfallenden, monochromatischen Lichtes. Weiterhin wird das einfallende<br />

Licht an der Oberfläche der Küvette zu einem gewissen Grad reflektiert, was zu<br />

weiteren Verlusten an Lichtintensität führt. Küvetten bestehen meist aus Kunststoff,<br />

manchmal aus Glas. Kunststoffküvetten sind sehr kostengünstig, sind aber<br />

als Verbrauchsmaterial anzusehen und die optischen Flächen sind sehr empfindlich.<br />

Glasküvetten hingegen sind länger haltbar, allerdings bedürfen die optischplanaren<br />

Flächen eine gute Pflege und dürfen keinesfalls mit den Fingern berührt<br />

werden.<br />

• Detektor: Der Detektor wandelt die Intensität des aus der Küvette austretenden<br />

Lichtes in ein elektrisches Signal um. Die häufigsten Detektoren sind:<br />

– Photomultiplier: Die Photomultiplierröhre kombiniert die Signalumwandlung<br />

mit mehreren Verstärkungsstufen. Allerdings eignet sich eine Photomultiplierröhre<br />

hauptsächlich für den Einsatz im UV-Bereich bei hohen Lichtintensitäten<br />

– Photodiode: Das einfallende Licht fällt auf einen Halbleiter in der Photodiode<br />

und macht diesen Leitfähig. Ein zur Photodiode parallel geschalteter<br />

Kondensator wird dadurch entladen. Der Strom, welcher zum erneueten Laden<br />

des Kondensators benötigt wird, ist direkt proportional zur eingefallenen<br />

Lichtstärke<br />

Die zu vermessende Probe besteht in unserem Fall aus einer wäßrigen KI/I2 ≡ KI3-<br />

Lösung. Es stellt sich nun die Frage, bei welcher Wellenlänge wir messen müssen, denn<br />

Gleichung (102) gilt nur in der Gasphase für ideale Substanzen. Um feststellen zu können,<br />

41


5 UV-VIS Spektroskopie<br />

bei welcher Wellenlänge wir messen müssen, nehmen wir einen Wellenlängenscan unserer<br />

Probe vor. Dazu wird die Absorptionsfähigkeit A(λ) der Probe in der Küvette bei<br />

variabler Wellenlänge in einem Wellenlängenbereich von 200 nm < λ < 800 nm gemessen.<br />

Die Wellenlängen, die ein ausgezeichnetes Absorptionsmaximum zeigen, eignen sich<br />

gut zur Vermessung der Probe, da die Probe bei genau diesen Wellenlängen sehr gut<br />

absorbiert.<br />

A(λ)<br />

0.04<br />

0.035<br />

0.03<br />

0.025<br />

0.02<br />

0.015<br />

0.01<br />

0.005<br />

A(λ)<br />

0<br />

200<br />

λ1<br />

300<br />

λ2<br />

400 500<br />

λ3<br />

600 700<br />

λ/nm<br />

Abbildung 20: Absorptionsspektrum einer wäßrigen Iodlösung<br />

Abbldung 20 zeigt das Absorptionsspektrum von Iod. Wir erkennen drei ausgeprägte<br />

Absorptionsmaxima: das erste bei λ1 = 220 nm, das zweite bei λ2 = 280 nm und das<br />

dritte bei λ3 = 490 nm. Weiterhin ist noch ein wenig ausgeprägtes Absorptionsmaximum<br />

bei λ4 = 410 nm vorhanden. Am geeingetsten erscheint uns daher das Absorptionsmaximum<br />

bei λ1 = 220 nm, da dort die intensivste Absorption stattfindet. Allerdings ist<br />

nicht nur das Absorptionsverhalten der Probe von Bedeutung, sondern es spielt genauso<br />

das Emissionsverhalten der Lichtquelle eine Rolle. Anders ausgedrückt muß die von<br />

uns verwendete Lichtquelle im Photometer bei der uns interessierenden Wellenlänge von<br />

λ1 = 220 nm genügend Licht für die Messung emittieren.<br />

Im Praktikum verwenden wir ein Einstrahlphotometer mit einer Wolframfadenlampe.<br />

Diese hat eine Betriebstemperatur von 3000 K. Ihr Emissionsspektrum gleicht dem eines<br />

schwarzen Strahlers. Wir können die spektrale Strahlungsenergiedichte u(λ) über<br />

den uns interessierenden Wellenlängenbereich vermessen und erhalten etwa den in Abb.<br />

21 dargestellten Graphen.<br />

Wir erkennen in Abbildung 43, daß die Wolframfadenlampe ihr Absorptionsmaximum<br />

etwa bei einer Betriebstemperatur von T = 3000 K bei λmax ≈ 600 nm hat. Die Emission<br />

bei λ1 = 200 nm ist sehr gering. Daher scheint dieses Absorptionsmaximum der Probe<br />

42


u(λ)/ ` Js · m −3´<br />

0.045<br />

0.04<br />

0.035<br />

0.03<br />

0.025<br />

0.02<br />

0.015<br />

0.01<br />

0.005<br />

5 UV-VIS Spektroskopie<br />

u(λ)<br />

T = 3000 K<br />

0<br />

0 500<br />

λmax<br />

1000<br />

λ/nm<br />

1500 2000<br />

Abbildung 21: Emissionsspektrum der Wolframfadenlampe<br />

für die Messung ungeeignet. Allerdings besitzt die wäßrige Iodlösung noch zwei weitere,<br />

ausgeprägte Absorptionsmaxima. Wir wählen daher das Absorptionsmaximum, dessen<br />

Wellenlänge am nächsten beim Absorptionsmaximum λmax ≈ 600 nm der Wolframfadenlampe<br />

liegt. Dies ist das Absorptionsmaximum bei λ = 490 nm. Diese Wellenlänge<br />

ist also die Wellenlänge, welche wir später im Experiment zur Messung der Absorption<br />

der Iodlösung verwenden.<br />

5.4 Das Lambert-Beer’sche Gesetz<br />

Wir kennen nun die Ursache für die Absorption von Licht durch Materie und wie wir<br />

diese messen können. Mit Hilfe eines Spektralphotometers ist es möglich, die Lichtintensität<br />

I(λ) in Abhängigkeit der Wellenlänge λ zu messen. Durch den Detektor wird<br />

die ankommende elektromagnetische Strahlung in ein elektrisches Signal umgewandelt,<br />

welches direkt proportional zur Strahlungsintensität bzw. Lichtintensität ist.<br />

Als Strahlungsintensität oder Strahlungsflussdichte bezeichnet wird die pro Zeiteinheit<br />

dt und pro Flächeneinheit dA senkrecht einfallende oder abgegebene Strahlungsenergie<br />

dQ bezeichnet. Gleichbedeutend hierzu ist der Strahlungsfluss Φ pro Flächeneinheit dA<br />

bei senkrechtem Einfall. Der Strahlungsfluß Φ ist gegeben durch:<br />

Φ = dQ<br />

dt<br />

(104)<br />

Wobei dQ die eingestrahlte Energiemenge ist ([dQ] = J, [Φ] = J = W). Die Strahlungs-<br />

s<br />

intensität wird gewöhnlich mit I bezeichnet. Fällt in der Zeit dt auf einer Fläche dA<br />

43


5 UV-VIS Spektroskopie<br />

unter dem Winkel α zur Flächennormalen die Strahlungsenergie dQ ein, so gilt für die<br />

Strahlungsintensität I:<br />

I = cos (α) · d2 Q<br />

dA · dt<br />

J<br />

= dΦ<br />

dA<br />

(105)<br />

Die Einheit der Lichtintensität ist s·m2 = W<br />

m2. Im Falle des Lichts wird statt von der<br />

Strahlungsintensität von Lichtintensität gesprochen, wobei diese dann ein Maß für die<br />

Anzahl der Lichtquanten darstellt, die pro Fläche und Zeiteinheit auftreten.<br />

Betrachten wir den Weg des Lichtes durch die Küvette. Das Licht verläßt den Monochromator<br />

als Licht hoher Monochromasie und trifft mit der Intensität I0 auf die Oberfläche<br />

der Küvette auf. Ein Teil des Lichtes wird dort auf der Oberfläche der Küvette Reflektiert,<br />

was sich in einer Verlustintensität IR1 niederschlägt. Innerhalb der Küvette treten<br />

weitere Verluste an Lichtintensität auf. Durch kollodial gelöste Teilchen in der Messflüssigkeit<br />

oder durch Staub- und Schmutzpartikel in der Lösung treten Rayleigh- und<br />

Mies-Streuung auf. Ein Teil des Lichtes wird dadurch in alle Richtungen gestreut und ist<br />

daher auch als Verlustintensität IS anzusehen. Ein Teil des Lichtes wird natürlich auch<br />

von der zu vermessenden Substanz absorbiert, woraus sich eine weitere Abnahme der<br />

ursprünglich eingestrahlten Lichtintensität um den Betrag IA ergibt. Die Größe IA ist<br />

diejenige Größe, an der wir interessiert sind. Beim Übertritt des Lichtes vom Innenraum<br />

der Küvette an die umgebende Atmosphäre wird ein weiterer Teil an der Innenwand der<br />

Küvette reflektiert, woraus eine weitere Verlustintensität IR2 resultiert.<br />

I0<br />

IR1<br />

IS<br />

IR2<br />

<br />

IA<br />

Abbildung 22: Lichtintensitäten in der Küvette<br />

Das Licht, welches die Küvette dann verlässt, hat eine Intensität IT, es ist die Intensität<br />

des transmittierten Lichtes. Dieses Licht trifft nun auf den Detektor und wird registriert.<br />

Schreiben wir daher eine Bilanz der Lichtintensitäten beim Weg des Lichtes durch die<br />

Küvette auf:<br />

I0(λ) = IR1 + IS + IA + IR2 + IT<br />

(106)<br />

44<br />

IT


5 UV-VIS Spektroskopie<br />

Es ist davon auszugehen, daß die Intensität IR1 des reflektierten Lichtes beim Eintritt<br />

des Lichtstrahls in die Küvette ebenso groß ist wie die Intensität IR2 beim Austritt, es<br />

also gilt: IR1 = IR2 = IR, woraus folgende Vereinfachung resultiert:<br />

I0(λ) = 2 · IR + IS + IA + IT<br />

Ausgehend von Gleichung (107) wird der sog. Transmissionsgrad T definiert:<br />

I0<br />

T = IT<br />

I0<br />

= 1 − [2 · IR + IS + IA]<br />

3<br />

I(x)<br />

I0<br />

2<br />

1<br />

IT<br />

dx<br />

b<br />

I0<br />

dI<br />

0<br />

0 1 2 3<br />

Abbildung 23: Exponentielle Abnahme der Lichtintensität<br />

x<br />

IT<br />

(107)<br />

(108)<br />

Betrachten wir die Intensität des Lichtes auf dem Weg durch die Küvette. Reflektion<br />

und Streuung wollen wir zunächst völlig vernachlässigen. Die Küvette habe die Breite<br />

b. Entlang eines infinitesimalen Wegstückes dx in der Küvette nimmt die Intensität des<br />

Lichtes um einen infinitesimalen Anteil −dI ab. Es erscheint logisch, daß die Abnahme<br />

−dI des Lichtes umso größer sein wird, je größer das Wegelement dx ist. Es wird also<br />

gelten:<br />

−dI ∝ dx<br />

Der Grund für die Schwächung der Lichtintensität in der Küvette ist die Absorption des<br />

Lichtes durch die zu vermessende Substanz. Je größer die Konzentration c der absorbierenden<br />

Substanz ist, desto größer wird die Abnahme dI der Lichtintensität sein. Es wird<br />

also weiterhin gelten:<br />

−dI ∝ dx · c<br />

Ferner wird die Intensität umso stärker abnehmen, je größer die momentan vorhandene<br />

Intensität I(x) ist. Somit wird weiterhin eine Proportionalität zu I(x) gelten:<br />

−dI ∝ I(x) · dx · c<br />

45


5 UV-VIS Spektroskopie<br />

Als Proportionalitätskonstante fügen wir die Konstante k ein. Dann erhalten wir folgende,<br />

einfache Differentialgleichung:<br />

dI = −I(x) · k · c · dx (109)<br />

Die Lichtintensität an einem Ort x in der Küvette erhalten wir, wenn wir die Variablen<br />

Trennen und von z = 0 bis z = x integrieren. Bei z = 0 sei I(0) = I0 und bei z = x sei<br />

I(z) = I(x):<br />

I(x)<br />

I0<br />

1<br />

dI = −c · k ·<br />

I<br />

x<br />

0<br />

ln(I(x)) − ln (I0) = −c · k · x<br />

<br />

I(x)<br />

ln = −k · c · x (110)<br />

I0<br />

Führen wir in Gleichung (110) eine Basis-Transformation von der Basis e zur Basis 10<br />

des natürlichen Logarithmus durch, so erhalten wir:<br />

<br />

I(x)<br />

lg = − lg (e) k · c · x (111)<br />

I0<br />

− lg(e)·k·c·x<br />

I(x) = 10<br />

Da lg (e) eine Konstante ist, können wir eine neue Konstante definieren:<br />

Somit erhalten wir folgendes Ergebnis:<br />

dz<br />

(112)<br />

ǫ = lg (e) · k (113)<br />

I(x) = I0 · 10 −ǫ·c·x<br />

(114)<br />

Es beschreibt die Abname der Lichtintensität I0 durch ein absorbierendes Medium auf<br />

der Länge x. Am Ort x = b verläßt das Licht die Küvette und hat die Intensität I(b) = IT.<br />

Dann gilt:<br />

IT<br />

I0<br />

= 10 −ǫ·c·x<br />

Nach Gleichung (108) ist Gleichung (115) identisch mit dem Transmissionsgrad T:<br />

T = IT<br />

I0<br />

= 10 −ǫ·c·x<br />

(115)<br />

(116)<br />

Der negative dekadische Logarithmus des Transmissionskoeffizienten wird als Extinktion<br />

bezeichnet. Das ist das Lambert-Beer’sche Gesetz:<br />

<br />

IT<br />

E(λ) = − lg (T) = − lg = ǫ · c · x (117)<br />

0<br />

46


5 UV-VIS Spektroskopie<br />

Die Größe ǫ wird dekadischer Extinktionskoeffizient genannt. Er ist charakteristisch<br />

für die absorbierende Substanz. Daher hängt ǫ von der Wellenlänge λ ab. Ferner hängt<br />

der Extinktionskoeffizient stark von der Temperatur T ab. Eine Substanz kann außerdem<br />

bei mehr als einer Wellenlänge absorbieren. Daher sind Wellenlänge λ und Temperatur<br />

T bei UV-VIS spektrometrischen Untersuchungen immer mit anzugeben!<br />

ǫ = ǫ(λ, T) (118)<br />

Bei der Herleitung des Lambert-Beer’schen Gesetzes haben wir jedoch Streuung und<br />

Reflektion völlig vernachlässigt. Deren Einfluß ist daher nicht im Lambert-Beer’schen<br />

Gesetz enthalten. Nach Gleichung (108) scheint die Kenntnis des Einflußes von Streuung<br />

und Reflektion für quantitative Messungen unbedingt notwendig zu sein. Es gibt<br />

jedoch keine Möglichkeit, die Intensitäten IR und IS direkt zu bestimen.<br />

Allerdings ist es sehr einfach möglich, die Summe aller störenden Einflüsse, vor allem<br />

Reflektion und Streuung, zu berücksichtigen. Gehen wir davon aus, daß die Summe aller<br />

Störungen zu einer Schwächung der eingestrahlten Lichtintensität I0 führt, so macht<br />

sich die Summe aller Ströungen als unerwünschte Absorption der Messprobe bemerkbar.<br />

Wenn wir also eine Küvette mit einer Probenlösung vermessen, die eine absorbierende<br />

Substanz enthält, so messen wir Absorption der zu untersuchenden Substanz, Streuung,<br />

Reflektion und andere Störeinflüsse mit. Der Einfluss all dieser Störungen kann eliminiert<br />

werden, wenn neben der Messlösung mit der zu untersuchenden Substanz ganz einfach<br />

eine Messlösung ohne die zu untersuchende Substanz vermessen wird. Dadurch<br />

erhalten wir die Extinktion aller Störeinflüsse, und durch Differenzbildung erhalten wir<br />

jetzt die Extinktion, welche einzig durch die zu untersuchende Substanz verursacht wird.<br />

Ein derartiges Vorgehen wird als Vermessung einer Blindprobe bezeichnet.<br />

Im Experiment wollen wir eine wäßrige Iodlösung photometrisch untersuchen. Um die<br />

Störeinflüsse berücksichtigen zu können, verwenden wir als Blindprobe einfach eine<br />

Küvette mit destilliertem Wasser. Diese wird bei der Messwellenlänge λ = 490 nm<br />

in das Photometer gegeben, und auf der Extinktionsskala der Wert E = 0 eingestellt.<br />

Dadurch wird das Photometer kalibriert, und jetzt kann die wäßrige Iodlösung unter<br />

Berücksichtigung sämtlicher Störeinflüsse korrekt vermessen werden.<br />

Es sei allerdings angemerkt, daß moderne Photometer mit zwei separaten Strahlengängen<br />

ausgerüstet sind: ein Strahlengang für die Blindprobe und ein Strahlengang für die zu<br />

vermessende Probe. Ein manuelles Kalibrieren der Extinktionsskala auf einen Extinktionswert<br />

E = 0 für die Blindprobe ist im Regelfall nicht mehr notwendig. Diese Geräte<br />

werden auch als Zweistrahlphotometer bezeichnet.<br />

Einige Komponenten kennen wir bereits, jedoch sind einige neue Komponenten hinzu<br />

gekommen. Die Komponenten im einzelnen sind:<br />

• L: Lichtquelle<br />

47


L<br />

5 UV-VIS Spektroskopie<br />

S1<br />

S2<br />

T<br />

σ1<br />

σ3<br />

σ2<br />

σ D<br />

E = 0, 815<br />

<br />

Abbildung 24: Schematischer Aufbau eines Zweistrahlphotometers<br />

• S1: Eintrittsspalt<br />

• T: Dispersionselement<br />

• S2: Ausgangsspalt<br />

• σ1,2,3: Umlenkspiegel 1,2 und 3<br />

• σ D : Halbdurchlässiger Spiegel (Strahlteiler)<br />

• B: Blindprobe; Referenzwert, auf welchen die Extinktion der Probe P bezogen<br />

wird<br />

• P: Die Probe<br />

• D1,2: Detektoren 1 und 2 für Blindprobe und Probe<br />

• R: Rechner bzw. Addierwerk und Ausgabe des Messwertes (Extinktion)<br />

48<br />

R<br />

B<br />

P<br />

D1<br />

D2


6 Die Iodierung von Aceton<br />

6.1 Der Mechanismus<br />

6 Die Iodierung von Aceton<br />

Die dominierende Eigenschaft aller Carbonylverbindungen ist die Aktivität der Protonen<br />

in α-Stellung zum Carbonyl-Kohlenstoffatom. Daher reagieren Aceton und viele andere<br />

Ketone sowie Aldehyde und andere Carbonylverbindungen mit Halogenen in einer Halogenierungsreaktion,<br />

bei der ein oder mehrere Halogenatome in α-Stellung addiert werden.<br />

Die Reaktion läuft jedoch nur unter Katalyse in saurem oder alkalischem Milieu ab. Vor<br />

der eigentlichen Reaktion mit dem Halogen findet eine Umlagerung des Ketons in ein<br />

Enol statt. Das Enol ist die reaktive Spezies und reagiert anschließend mit dem Halogen.<br />

Keton und Enol sind sog. Strukturisomere, welche sich nur in der Stellung der Protonen<br />

und der Doppelbindung unterscheiden. Eine derartige Form der Isomerie wird ” Tautomerie“<br />

genannt.<br />

Betrachten wir zunächst die Reaktivität von Aceton im Einzelnen: durch den +M-Effekt<br />

der Carbonylgruppe werden die Protonen in α-Stellung zum Carbonyl-C-Atom positiviert:<br />

Der Sauerstoff ist negativiert. Im<br />

<br />

Fall der säurekatalysierten Enolisierung greifen<br />

⊖<br />

O O<br />

⊕<br />

Abbildung 25: Mesomere Grenzstruktur von Aceton<br />

die Hydroniumionen am negativ polarisierten Sauerstoffatom an, welcher als Lewis-Base<br />

fungiert. Dadurch werden die Protonen in α-Stellung zum Carbonyl-Kohlenstoffatom<br />

stark positiviert. Die C − H-Bindungen werden dadurch derart geschwächt, dass die<br />

Protonen im Prinzip eine Säure darstellen und von einer Base, wie etwa Wasser, abstrahiert<br />

werden können:<br />

49<br />

Beachte die<br />

verschiedenen<br />

Isomerie-Begriffe<br />

Tautomer und<br />

Strukturisomer


⊕<br />

6 Die Iodierung von Aceton<br />

O<br />

H<br />

O<br />

+ H O<br />

H<br />

H ⊕ O H<br />

+H2O<br />

⊕<br />

H<br />

Abbildung 26: Protonierung von Aceton in saurem Milieu<br />

⊕<br />

OH<br />

OH<br />

⊕<br />

H<br />

H + O<br />

+ H O<br />

H H H<br />

H<br />

Abbildung 27: Abstraktion eines α-ständigen Protons<br />

Die Kohlenstoff/Kohlenstoff-Doppelbindung des Enols fungiert als Nukleophil und reagiert<br />

mit Iod unter Bildung von Acetoniodid. Die protonierte Stufe des Acetoniodids<br />

wird von Wasser deprotoniert, und die Hydroniumionen werden wieder regeneriert:<br />

O H<br />

O H ⊕<br />

I<br />

+ I I<br />

+ O<br />

H<br />

O H<br />

<br />

⊕<br />

O<br />

H<br />

I<br />

I<br />

+ I ⊖<br />

+ O H<br />

H<br />

⊕<br />

H<br />

Abbildung 28: Bildung von Acetoniodid aus dem Enol<br />

Eine Mehfrachhalogenierung findet im Fall der säurekatalysierten Reaktion nicht statt.<br />

Zwar steigt die Acidität der α-ständigen Protonen durch das eingeführte Halogenatom,<br />

jedoch sinkt die Basizität des Carbonylsauerstoffes durch den +I-Effekt des Halogenatoms.<br />

Daher wird der erste Schritt der säurekatalysierten Acetonhalogenierung deutlich<br />

erschwert, und das Enolisierungsgleichgewicht wird praktisch vollständig auf die Seite<br />

der (halogenierten) Carbonylverbindung verschoben.<br />

Werfen wir nun noch einen Blick auf die basenkatalysierte Acetoniodierung. Auch hier<br />

ist der erste Teilschritte eine Enolisierung.<br />

50


6 Die Iodierung von Aceton<br />

O<br />

H +<br />

⊖<br />

O Na<br />

H H<br />

⊕ ONa<br />

+ EtOH<br />

Abbildung 29: Basisch katalysierte Enolisierung<br />

Als Basen eignen sich etwa Alkalimetallhydroxide, Acetate oder Ethanolate. Bedenkt<br />

man, dass die Halogene in wässrigen Alkalimetallhydroxid-Lösungen zur Disproportionierung<br />

neigen, erscheint es klug, auf andere Basen wie etwa Natrium-Ethanolat umzusteigen.<br />

Das Enol reagiert dann wieder mit dem Halogen zum Acetonhalogenid. Der große<br />

Unterschied zur sauer katalysierten Enolisierung ist jedoch der, dass im ersten Schritt<br />

sofort die Abstraktion eines α-ständigen Protons erfolgt. Durch den +I-Effekt der Halogene<br />

im Acetonhalogenid wird die Acidität der α-ständigen Protonen weiter erhöht,<br />

was zu einer weiteren Abspaltung von α-ständigen Protonen führt. Anders ausgedrückt<br />

wird die Reaktion nicht beim monohalogenierten Carbonyl stehen bleiben, sondern man<br />

wird vielmehr ein Gemisch aus mono-, di- und möglicherweise trihalogeniertem Carbonyl<br />

erhalten. Aus diesem Grunde werden wir die Acetoniodierung säurekatalysiert<br />

durchführen.<br />

Wir führen nun für die einzelnen chemischen Spezies folgende Abkürzungen ein, welche<br />

wir in den kinetischen Gleichungen verwenden wollen:<br />

Name Strukturformel Abkürzung<br />

Aceton<br />

A<br />

Hydroniumion H3O + H<br />

Aceton protoniert<br />

B<br />

Iod I2 I<br />

Enol<br />

Acetoniodid<br />

O<br />

O H ⊕<br />

Tabelle 4: Abkürzungen der einzelnen, chemischen Spezies<br />

51<br />

O<br />

OH<br />

I<br />

E<br />

P


6 Die Iodierung von Aceton<br />

Somit können wir die Acetoniodierung wie folgt zusammenfassen:<br />

k1<br />

k2<br />

A + H BE<br />

+ H (119a)<br />

k−1<br />

k3<br />

E + I2P<br />

+ H + + I −<br />

(119b)<br />

Prinzipiell ist die Bildung des Enols ebenso wie die Protonierung des Acetons eine Gleichgewichtsreaktion.<br />

Da jedoch die Reaktion des Enols mit dem Iod sehr schnell abläuft,<br />

wird das gesamte Enol nahezu sofort verbraucht. Eine Rückreaktion ist daher nicht<br />

möglich. Daher wird die Enolkonzentration cE(t) während der gesamten Reaktion nahezu<br />

Null sein.<br />

6.2 Die kinetischen Gleichungen<br />

Wir können die Acetoniodierung in drei Teilreaktionen zerlegen:<br />

<br />

1. Die Protonierung von Aceton. Diese Reaktion<br />

<br />

ist wie viele andere Protonierungs/Deprotonierungsreaktionen<br />

relativ schnell. Da Aceton jedoch nur eine schwache Base<br />

ist, wird die protonierte Stufe des Acetons (B) in nur sehr geringer Konzentration<br />

in der Reaktionslösung vorliegen:<br />

k1<br />

A + H B (120)<br />

k−1<br />

2. Die Bildung des Enols ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Acetoniodierung.<br />

Diese Reaktion erfolgt langsam:<br />

B<br />

k2 E+ H<br />

(121)<br />

3. Die Iodierung der aliphatischen Doppelbindung erfolgt praktisch sofort. Die Reaktion<br />

läuft sehr schnell ab und nahezu das gesamte Enol setzt sich sofort mit Iod<br />

zum Acetoniodid um (k3 >> k2). Daher wird die Konzentration cE(t) des Enols<br />

während der gesamten Reaktion sehr klein sein:<br />

E + I2<br />

k3 P +<br />

H + + I −<br />

(122)<br />

Wir wollen nun die Reaktionsgeschwindigkeiten für jede der drei Reaktionen aufstellen.<br />

Hierzu orientieren wir uns an unseren Betrachtungen in den Abschnitten 3 und 4.<br />

Für Reaktion (120) haben wir zwei Reaktionsgeschwindigkeiten zu berücksichtigen – die<br />

Hinreaktion und die Rückreaktion. Hierzu stellen wir die differentiellen Zeitgesetze nach<br />

Gleichung (18) auf und bezeichnen die Geschwindigkeit der Hinreaktion als −→ v 1(t) und<br />

52


6 Die Iodierung von Aceton<br />

die Geschwindigkeit der Rückreaktion als ←− v −1(t). Die resultierende Reaktionsgeschwindigkeit<br />

für Reaktion (120) erhalten wir dann als Differenz von −→ v 1(t) und ←− v 1(t):<br />

−→ v 1(t) = d−→ x 1(t)<br />

dt = k1 · cA(t) · cH(t) (123a)<br />

←− v 1(t) = d←− x 1(t)<br />

dt = k−1 · cB(t) (123b)<br />

v1(t) = dx1(t)<br />

dt = −→ v 1(t) − ←− v 1(t) = k1 · cA(t) · cH(t) − k−1 · cB(t) (123c)<br />

Für die Reaktionsgeschwindigkeit von Reaktion (121) wählen wir ein differentielles Zeitgesetz<br />

erster Ordnung, da es sich um eine unimolekulare Reaktion handelt. Wir erhalten<br />

somit:<br />

v2(t) = dx2(t)<br />

dt = k2 · cB(t) (124)<br />

Ebenso wählen wir für die Reaktion (122) ein differentielles Zeitgesetz zweiter Ordnung,<br />

da die Iodierung des Enols bimolekular ist:<br />

v3(t) = k3 · cE(t) · cI(t) (125)<br />

Wir wollen nun die Geschwindigkeiten der Konzentrationsänderungen der einzelnen, an<br />

der Reaktion beteiligten, chemischen Spezies aufstellen. Dazu gehen wir von Gleichung<br />

(14) aus, und überlegen uns für die einzelnen Substanzen, durch welche Reaktionen sie<br />

verbraucht bzw. gebildet werden.<br />

Von besonderem Interesse für uns sind dabei die protonierte Stufe des Acetons (B), das<br />

Enol (E), sowie Iod (I). Die protonierte Stufe des Acetons und das Enol stellen reaktive<br />

Zwischenprodukte dar, und wir wissen daher, daß ihre Konzentrationen in der Reaktionslösung<br />

während der gesamten Reaktion nahezu Null ist, was wir uns zunutze machen<br />

können, um die resultierenden, kinetischen Gleichungen zu vereinfachen. Der zeitliche<br />

Verlauf der Iod-Konzentration ist für uns interessant, da wir den zeitlichen Verlauf der<br />

Reaktion über die Konzentration cI(t) von Iod in der Reaktionslösung bestimmen. Diese<br />

drei Komponenten wählen wir daher als unsere kinetischen Leitsubstanzen, und<br />

daher werden wir versuchen, die Bildungsraten der einzelnen Komponenten über die<br />

Bildungsraten der kinetischen Leitsubstanzen zu bestimmen.<br />

Betrachten wir die zeitliche Änderung der Aceton-Konzentration. Aceton wird während<br />

der gesamten Reaktion nur verbraucht, was durch Gleichung (123c) beschrieben wird.<br />

Daher können wir für die Geschwindigkeit der Konzentrationsänderung von Aceton<br />

schreiben:<br />

dcA(t)<br />

dt = −v1(t) (126)<br />

Die Hydroniumionen werden in Reaktion (120) verbraucht, in Reaktion (121) und (122)<br />

jedoch gebildet. Der Verbrauch von Hydroniumionen wird duch v1(t) beschrieben, die<br />

53


Bildung durch v2(t) und v3(t). Daher gilt:<br />

6 Die Iodierung von Aceton<br />

dcH(t)<br />

dt = −v1(t) + v2(t) + v3(t) (127)<br />

Ebenso wissen wir vom Produkt Acetoniodid (P), daß es nur in Reaktion (122) verbraucht<br />

wird, was durch v3(t) in Gleichung (125) beschrieben wird. Daher gilt:<br />

dcP(t)<br />

dt = +v3(t) (128)<br />

Auf die gleiche Art und Weise können wir auch die Raten der kinetischen Leitsubstanzen<br />

aufstellen. Wenn wir die weiterhin die Gleichungen (123c) bis (125) berücksichtigen, so<br />

erhalten wir:<br />

dcB(t)<br />

dt<br />

dcE(t)<br />

dt<br />

dcI(t)<br />

dt<br />

= v1 − v2 = k1 · cA · cH − k−1cB − k2cB<br />

= v2 − v3 = k2 · cB − k3 · cEcI<br />

= −v3 = −k3 · cE · cI<br />

(129a)<br />

(129b)<br />

(129c)<br />

Der wesentliche Schritt besteht nun darin, die Gleichungen (126) bis (128) durch die<br />

Ratengleichungen (129a) bis (129c) auszudrücken. Betrachten wir etwa Gleichung (126).<br />

Wir können diese Gleichung wie folgt umformulieren:<br />

dcA(t)<br />

dt = −v1(t) = −v3 − (v2 − v3) − (v1 − v2)<br />

Dadurch sieht die Gleichung wesentlich komplizierter aus, aber wenn wir die rechte<br />

Seite dieser Gleichung mit den Gleichungen (126) bis (128) vergeleichen, so finden wir<br />

folgenden Zusammenhang:<br />

dcA(t)<br />

dt = −v1(t) = + dcI(t) dcE(t) dcB(t)<br />

− −<br />

dt dt dt<br />

Verfahren wir genauso mit den Raten für H und P, so erhalten wir insgesamt:<br />

dcA(t)<br />

dt<br />

dcH(t)<br />

dt<br />

dcP(t)<br />

dt<br />

= + dcI(t)<br />

dt<br />

= − dcB(t)<br />

dt<br />

= − dcI(t)<br />

dt<br />

− dcE(t)<br />

dt<br />

− dcI(t)<br />

dt<br />

− dcB(t)<br />

dt<br />

(130a)<br />

(130b)<br />

(130c)<br />

Damit haben wir die Ratengleichungen (126) bis (128) durch die Ratengleichungen<br />

(129a) bis (129c) der kinetischen Leitsubstanzen ausgedrückt. Diese Gleichungen sind<br />

jedoch nicht mehr anschaulich und dienen nur als mathematische Hilfe für die kommenden<br />

Berechnungen. Dazu integrieren wir die Gleichungen (130a) bis (130c) in den<br />

54


6 Die Iodierung von Aceton<br />

Grenzen von t = 0 bis t. Als Anfangsbedingungen geben wir vor, daß zur Zeit t = 0 gilt:<br />

cA(0) = c0 A , cH(0) = c0 H und cP(0) = c0 P = 0. Da zur Zeit t = 0 noch kein Acetoniodid<br />

= 0. Die Integration verläuft dann wie folgt:<br />

(=Produkt) vorhanden ist, gilt c 0 P<br />

dcA(t)<br />

dt<br />

= + dcI(t)<br />

dt<br />

− dcE(t)<br />

dt<br />

− dcB(t)<br />

dt<br />

<br />

dcA(t) = dcI(t) − dcE(t) − dcB(t) |<br />

cA(t) <br />

c 0 A<br />

dcA =<br />

cI(t) <br />

c 0 I<br />

dcI −<br />

cE(t) <br />

c 0 E<br />

dcE −<br />

cB(t) <br />

c 0 B<br />

dcB<br />

| · dt<br />

cA(t) − c 0 A = cI(t) − c 0 <br />

I − cE(t) − c 0 <br />

E − cB(t) − c 0 <br />

B<br />

Wenn wir Gleichung (17) berücksichtigen, so wird<br />

∆cA(t) = ∆cI(t) − ∆cE(t) − ∆cB(t)<br />

Verfahren wir ebenso mit den Gleichungen (130b) und (130c), so erhalten wir insgesamt:<br />

∆cA(t) = +∆cI(t) − ∆cE(t) − ∆cB(t) (131a)<br />

∆cH(t) = −∆cB(t) − ∆cI(t) (131b)<br />

∆cP(t) = −∆cI(t) (131c)<br />

Bei der Vielzahl an Gleichungen, die wir auf den letzten Seiten aufgestellt haben, kann<br />

man sehr leicht den Überblick verlieren. Anders gesagt stellt sich uns an diesem Punkt<br />

die Frage, was wir jetzt erreicht haben. Unser Ziel ist es, den Fortschritt der Acetoniodierung<br />

zu beobachten. Dies gelingt über die Messung der Iodkonzentration in der<br />

Reaktionslösung während der Reaktion. Mit Hilfe der Gleichungen (131a) bis (131c)<br />

können wir nun die Variablen cA und cB aus den Gleichungen (129a) bis (129c) eliminieren,<br />

woraus ein System dreier gekoppelter Differentialgleichung erster Ordnung für<br />

die Variablen cB, cE und cI resultiert. Dieses Differentialgleichungssystem bestehend aus<br />

drei gekoppelten Differentialgleichungen erster Ordnung lässt sich in eine einzige Differentialgleichung<br />

dritter Ordnung für cI(t) überführen, was uns die Bestimmung von cI(t)<br />

prinzipiell ermöglicht<br />

Dabei tritt jedoch das Problem auf, daß die resultierende Differentialgleichung, welche<br />

den zeitlichen verlauf der Iodkonzentration cI(t) beschreibt, eine nicht-lineare Gleichung<br />

ist, welche sich nicht analytisch lösen lässt. Wir werden nun die kinetischen Gleichungen<br />

(129a) bis (129c) sowie (131a) bis (131c) in drei Stufen vereinfachen. Das Ergebnis wird<br />

eine Differentialgleichung erster Ordnung sein, welche ein Zeitgesetz erster Ordnung<br />

beschreibt.<br />

6.3 Quasistationarität und Quasigleichgewicht<br />

Die erste Stufe der Vereinfachung erreichen wir, wenn wir das Quasistationaritätsprinzip<br />

nach Bodenstein ausnutzen. Wir wissen, daß die Konzentration an protoniertem<br />

Aceton (Komponente B) und Enol (Komponente E) während der gesamten<br />

55


6 Die Iodierung von Aceton<br />

Reaktion nahezu Null ist, da es sich bei beiden Spezies um reaktive Zwischenstufen handelt.<br />

Obwohl Protonierungs/Deprotonierungsreaktionen relativ schnell verlaufen, liegt<br />

nur sehr wenig protoniertes Aceton in der Reaktionslösung vor, da Aceton eine schwache<br />

Base ist, und so das Protonierungsgleichgewicht auf der Seite des freien Acetons<br />

liegt. Die Enolisierung ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt bei der Acetoniodierung,<br />

und da das entstehende Enol fast sofort durch die Iodierung verbraucht wird, ist<br />

auch die Konzentration an Enol in der Reaktionslösung sehr gering. Anders ausgedrückt<br />

bedeutet das:<br />

cB(t) ≈ 0 (132)<br />

cE(t) ≈ 0 (133)<br />

Die Gleichungen (132) und (133) sagen aus, daß die Konzentrationen von protoniertem<br />

Aceton und Enol während der gesamten Reaktion näherungsweise konstant (nämlich<br />

Null) sind. Dies können wir ausnutzen, wenn wir cB(t) und cE(t) nach der Zeit differenzieren.<br />

Da die Ableitung einer Konstanten gleich Null ist, erhalten wir:<br />

dcB(t)<br />

= 0<br />

dt<br />

(134)<br />

dcE(t)<br />

= 0<br />

dt<br />

(135)<br />

Dadurch vereinfachen sich die Gleichungen (131a) bis (131c) wie folgt:<br />

∆cA(t) = +∆cI(t) (136)<br />

∆cH(t) = −∆cI(t) (137)<br />

∆cP(t) = −∆cI(t) (138)<br />

Weiterhin können wir mit den Gleichungen (134) und (135) die Gleichungen (129a) und<br />

(129b) vereinfachen:<br />

dcB(t)<br />

dt<br />

dcE(t)<br />

dt<br />

= 0 = k1 · cA(t) · cH(t) − (k−1 + k2) · cB(t) (139)<br />

= 0 = k2 · cB(t) − k3 · cE(t) · cI(t) (140)<br />

Somit vereinfachen sich die Differentialgleichunge (129a) und (129b) zu algebraischen Bestimmungsgleichungen,<br />

und das gesamte System kann durch eine einzige Differentialgleichung,<br />

nämlich durch Gleichung (129c), beschrieben werden. Dazu lösen wir Gleichung<br />

(140) nach cE auf, und setzen das Ergebnis in die verbleibende Differentialgleichung<br />

(129c) ein. Aus Gleichung (140) folgt zunächst:<br />

und damit:<br />

cE(t) = k2<br />

k3<br />

· cB(t)<br />

cI(t)<br />

(141)<br />

dcI(t)<br />

dt = −k2 · cB(t) (142)<br />

56


6 Die Iodierung von Aceton<br />

Die Variable cB(t) in Gleichung (142) ist sehr ungünstig, da die Komponenten B (das<br />

protonierte Aceton) eine instabile Zwischenstufe ist, deren Konzentration wir nicht bestimmen<br />

können. Daher müssen wir cB(t) in Gleichung (142) ersetzen. Dies gelingt uns<br />

mit Hilfe von Gleichung (139), wenn wir diese nach cB(t) auflösen:<br />

cB(t) =<br />

k1<br />

k−1 + k2<br />

· cA(t) · cH(t) (143)<br />

Die Geschwindigkeitskonstante k2 ist sehr klein, da es sich um die Geschwindigkeitskonstante<br />

handelt, welche den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt (die Enolisierung)<br />

beschreibt. Wir können also davon ausgehen, dass<br />

ist und erhalten somit:<br />

cB(t) = k1<br />

k2 ≪ k−1<br />

k−1<br />

(144)<br />

· cA(t) · cH(t) (145)<br />

Mit Gleichung (145) können wir nun Gleichung (142) wie folgt umschreiben:<br />

dcI(t)<br />

dt = −k2 · cB(t) = −k · cA(t) · cH(t) (146)<br />

wobei wir in der letzten Gleichung die Abkürzung k = k2 · k1<br />

k−1<br />

eingeführt haben. Diese<br />

Gleichung ist die zentrale Gleichung der Acetoniodierung, und wir werden sehen, daß wir<br />

geeigntete Versuchsbedingungen wählen können, welche uns die Lösung dieser Gleichung<br />

enorm vereinfacht.<br />

Anmerkung: Betrachten wir noch einmal die Protonierung, welche durch Gleichung<br />

(120) beschrieben wird:<br />

A + H<br />

k1<br />

k−1<br />

Es ist klar, daß es sich um eine Gleichgewichtsreaktion handelt. Wenn wir den Protonierungsschritt<br />

von den übrigen Reaktionen isoliert betrachten, so können wir das<br />

Massenwirkungsgesetz der Acetonprotonierung aufstellen:<br />

K1 = k1<br />

k−1<br />

B<br />

= cB<br />

cA · cH<br />

(147)<br />

Nun betrachten wir die Protonierung des Acetons als Teilschritt in der Acetoniodierung,<br />

und lösen Gleichung (139) nach cB auf. Dadurch erhalten wir folgendes Ergebnis:<br />

cA·cH<br />

K ′ 1 =<br />

k1<br />

k−1 + k2<br />

= cB<br />

cA · cH<br />

(148)<br />

Wir sehen, daß Gleichung (148) so ähnlich aussieht wie das Massenwirkungsgesetz (147)<br />

der Acetonprotonierung. Was bedeutet dies? Das bedeutet, daß bei der Acetoniodierung<br />

57


6 Die Iodierung von Aceton<br />

die Reaktion (120) schnell genug ist, um fortlaufend das Protonierungsgleichgewicht einszustellen,<br />

sofern k2 gegenüber k−1 vernachlässigt werden kann. Allerdings wird durch die<br />

Enolisierung in Reaktion (121) ständig das protonierte Aceton abgezogen, was durch k2<br />

im Nenner von Gleichung (148) zum Ausdruck kommt. Da der Verbrauch von protoniertem<br />

Aceton jedoch gering ist, resultiert eine sehr kleine Geschwindigkeitskonstante k2,<br />

die wir ohne großen Fehler gegenüber k−1 vernachlässigen können. Somit geht Gleichung<br />

(148) in Gleichung (147) über. Man spricht in diesem Fall von einem Pseudogleichgewicht,<br />

da die Spezies B zwar ständig (wenn auch in gerinem Maße) durch Reaktion<br />

(121) verbraucht wird, jedoch die vorgelagerte Gleichgewichtsreaktion (120) das Gleichgewicht,<br />

welches zur Bildung von B führt, wieder einstellen kann.<br />

6.4 Autokatalytische Aspekte der Acetoniodierung<br />

Die Acetoniodierung ist ein Paradebeispiel für eine autokatalytisch ablaufende Reaktion.<br />

Wenn wir die Summengleichung der Acetoniodierung (die wir säurekatalysiert ablaufen<br />

lassen wollen) betrachten, so erkennen wir, daß die katalytisch wirksamen Protonen erst<br />

während der Reaktion erzeugt werden:<br />

A + I2<br />

[H + ] E +<br />

H + + I −<br />

Allerdings müssen zu Beginn der Reaktion katalytische Mengen an H + -Ionen in der<br />

Lösung vorhanden sein, damit die Reaktion ” anspringt“. Um diesen Sachverhalt zu verdeutlichen,<br />

um also den autokatalytischen Charakter der Acetoniodierung besser erkennen<br />

zu können, werden wir nun Gleichung (146), welche den zeitlichen Verlauf der<br />

Iodkonzentration in der Lösung wiedergibt, lösen, sowie den zeitlichen Verlauf der Konzentration<br />

des Acetoniodids. Hierzu gehen wir von Gleichung (146) aus. Diese Gleichung<br />

enthält drei Unbekannte: cI(t), cA(t) und cH(t). Da wir an cI(t) interessiert sind, müssen<br />

wir cA(t) und cH(t) aus Gleichung (146) eliminieren. Dies gelingt uns mit den Gleichungen<br />

(136) bis (138), unter Berücksichtigung der Definition ∆ci(t) = ci(t) − c 0 i :<br />

∆cA(t) = +∆cI(t) → cA(t) = cI(t) − c 0 I − c 0 A<br />

∆cH(t) = −∆cI(t) → cH(t) = c 0 I − cI(t) − c 0 H<br />

Setzen wir dies in Gleichung (146) ein, so erhalten wir folgende Differentialgleichung:<br />

dcI(t)<br />

dt = −k · c 0 A − c 0 I + cI(t) · c 0 H + c 0 I − cI(t) <br />

(149)<br />

Mit Hilfe von Gleichung (138) können wir Gleichung (149) in eine Ratengleichung für P<br />

umformen, wobei wir beachten, daß c0 P = 0 ist:<br />

∆cP(t) = −∆cI(t) → cP(t) = c 0 I<br />

Differenzieren wir beide Seiten der Gleichung, so wird:<br />

dcP(t)<br />

dt = dc0I dt<br />

− dcI(t)<br />

dt<br />

58<br />

= −dcI(t)<br />

dt<br />

− cI(t)


6 Die Iodierung von Aceton<br />

Setzen wir die beiden letzten Gleichungen in Gleichung (149) ein, so erhalten wir:<br />

dcP(t)<br />

dt = k · c 0 A − cP(t) · c 0 H − cP(t) <br />

(150)<br />

Die Lösung der Differentialgleichungen (150) gelingt leicht, wenn wir eine weitere Näherung<br />

einführen. Um den selbstbeschleunigenden Effekt der während der Acetoniodierung<br />

gebildeten H + -Ionen zu betonen, wählen wir die Anfangskonzentration c0 A von Aceton<br />

sehr viel größer als die Anfangskonzentration c0 I von Iod, und ebenso soll c0A sehr viel<br />

der Hydroniumionen sein:<br />

größer als die Anfangskonzentration c 0 H<br />

c 0 A ≫ c0 H ≫ c0 I<br />

(151)<br />

Die spezielle Wahl der Anfangskonzentrationen, wie wir sie in Gleichung (151) festgelegt<br />

haben, hat die Konsequenz, daß wir die zu lösenden Differentialgleichungen (150)<br />

wesentlich vereinfacht werden kann. Wegen Gleichung (151) können wir sofort folgende<br />

Vereinfachungen machen:<br />

(152)<br />

c 0 A − cP(t) ≈ c 0 A<br />

was sich aus der Tatsache ergibt, daß die Konzentration des Produktes Acetoniodid maximal<br />

so groß werden kann wie die Anfangskonzentration c0 I von Iod, die wir nach Gleichung<br />

(151) aber sehr viel kleiner als die Anfangskonzentration c0 A von Aceton gewählt<br />

haben. Setzen wir Gleichung (152) in Gleichung (150) ein, so erhalten wir:<br />

dcP(t)<br />

dt = k · c0A · c 0 <br />

H − cP(t)<br />

(153)<br />

Die Lösung dieser Gleichung erfolgt über Separation der Variablen und anschließender<br />

Integration. Das Integral ist in Gleichung 233 auf Seite 107 gegeben:<br />

Auflösen nach cP(t) liefert:<br />

cP (t)<br />

0<br />

c 0 H<br />

c 0 H<br />

1<br />

+ cP<br />

1<br />

+ cP<br />

dcP = k · c 0 A dt<br />

dcP = k · c 0 A ·<br />

ln c 0 H + cP(t) − ln c 0 0<br />

H = k · cA · t<br />

cP(t) = c 0 H ·<br />

<br />

ek·c0 A ·t <br />

− 1<br />

t<br />

0<br />

dt<br />

(154)<br />

Mit der Produktkonzentration cP(t) können wir auch ganz einfach die Konzentration<br />

cI(t) des Iods berechnen. Hierzu lösen wir Gleichung (138) nach cI(t):<br />

∆cP(t) = −∆cI(t)<br />

cP(t) = c 0 →<br />

I − cI(t)<br />

cI(t) = c 0 I − cP(t) (155)<br />

59


6 Die Iodierung von Aceton<br />

Setzen wir Gleichung (154) in Gleichung (155) ein, so erhalten wir:<br />

cI(t) = c 0 I − c0 H ·<br />

<br />

ek·c0 A ·t <br />

− 1<br />

(156)<br />

Da wir c0 I ≪ c0A gwählt haben, kommt die Reaktion schlagartig zum Stillstand, wenn<br />

das gesamte Iod verbraucht ist. Diesen Zeitpunkt, den wir t∗ nennen wollen, können wir<br />

berechnen, wenn wir cI(t) in Gleichung (156) gleich Null setzen und nach t∗ auflösen:<br />

<br />

Daraus erhalten wir:<br />

cI(t ∗ ) = 0 = c 0 I − c0 H ·<br />

c0 I<br />

c0 H<br />

ln( c0 I<br />

c 0 H<br />

+ 1 = ek·c0 A ·t∗ | ln()<br />

+ 1) = k · c 0 A<br />

· t∗<br />

t ∗ = 1<br />

k · c0 0 cI · ln<br />

A c0 H<br />

60<br />

<br />

e k·c0 A ·t − 1<br />

<br />

+ 1<br />

(157)


cP (t), cI(t)/ mol<br />

l·s<br />

0.25<br />

c 0 I<br />

0.15<br />

0.1<br />

0.05<br />

6 Die Iodierung von Aceton<br />

cI(t)<br />

cP (t)<br />

l<br />

k = 0, 2 mol·min<br />

0<br />

0 2 4<br />

t/min<br />

6 8<br />

t*<br />

10<br />

c 0 I<br />

c 0 A<br />

c 0 H<br />

= 0, 2 mol<br />

l<br />

= 0,675 mol<br />

l<br />

= 0, 1 mol<br />

l<br />

Abbildung 30: Zeitverlauf von cP(t) und cI(t) bei der Acetoniodierung; bei t = t ∗<br />

kommt die Reaktion abrupt zum Erliegen, da das gesamte Iod verbraucht<br />

ist;<br />

6.5 Die Auswertungs-Gleichung<br />

Wir haben nun noch das Problem, ausgehend von den kinetischen Gleichungen eine<br />

Auswertungs-Gleichung zu finden. Wir gehen von Gleichung (146) aus und werden diese<br />

sukzessive vereinfachen und zu einer Auswertungs-Gleichung umformulieren:<br />

dcI(t)<br />

dt = −k · cA(t) · cH(t)<br />

Diese Gleichung beschreibt den Verbrauch von Iod während der Acetoniodierung. Iod<br />

bzw. das Triiodid-Ion I − 3 ergibt in wäßrigem Milieu eine tiefbraune Lösung. Wird Iod<br />

während der Reaktion verbraucht, so entfärbt sich diese Lösung. Es erscheint daher günstig,<br />

den Fortschritt der Reaktion anhand der Iodkonzentration in der Reaktionslösung zu<br />

verfolgen. Dies geschieht einfach UV/VIS-photometrisch, denn Iod in wäßriger Lösung<br />

besitzt ein Absorptionsmaximum bei λ = 490nm. Ausgehend von Gleichung (146)<br />

können wir zwei ganz wesentliche Vereinfachungen einführen. Hierzu betrachten wir die<br />

Gleichungen (136) und (137). Gleichung (136) lautet:<br />

∆cA(t) = ∆cI(t)<br />

61


6 Die Iodierung von Aceton<br />

Diese Gleichung besagt, daß Aceton und Iod in gleichem Maße verbraucht werden. Anders<br />

ausgedrückt, bedingt der Verbrauch von einem Äquivalent Iod auch den Verbrauch<br />

von einem Äquivalent Aceton. Setzen wir daher Iod und Aceton im Verhältnis c0 A<br />

c0 = 1<br />

I<br />

ein, so verbrauchen sich Iod und Aceton gleichermaßen, bis weder Iod noch Aceton in<br />

der Lösung vorhanden sind. Wenn wir jedoch das Verhältnis stark verschieben, etwa<br />

= 1000, so liegt in der Lösung eintausend mal mehr Aceton als Iod vor. Wenn<br />

auf c0 A<br />

c0 I<br />

zum Zeitpunkt t = t∗ alles Iod verbraucht ist, so ist cI(t∗ ) = 0 aber es hat sich nur 1<br />

Äquivalent Aceton verbraucht. Anders ausgedrückt liegen nach Abschluß der Reaktion<br />

noch 999 Äquivalente Aceton vor, die Acetonmenge hat sich also während der Reaktion<br />

nur unwesentlich verändert (um etwa 1) und entspricht im Wesentlichen der Ausgangskonzentration<br />

c0 A . Somit können wir die Anfangsbedingungen so wählen, daß die<br />

Konzentration an Aceton während der Reaktion praktisch konstant ist:<br />

Für c 0 A ≫ c0 I gilt ∆cA(t) = cA(t) − c 0 A ≈ 0<br />

→ cA(t) ≈ c 0 A (158)<br />

Somit können wir unser differentielles Zeitgesetz Gleichung (146) bereits vereinfachen:<br />

dcI(t)<br />

dt = −k · c0 A · cH(t) mit k = k2 · K1 und c 0 A ≫ c 0 I (159)<br />

Die gleiche Vorgehensweise können wir auch bei der Konzentration der Hydroniumionen<br />

cH(t) anwenden. Betrachten wir hierzu die Gleichungen (137) und (138):<br />

∆cP(t) = −∆cI(t) = ∆cH(t)<br />

Diese Gleichung sagt aus, daß pro Äquivalent Acetoniodid (AI = P), welches gebildet<br />

wird, auch ein Äquivalent Hydroniumionen gebildet wird. Wir haben aber die Versuchsbedingungen<br />

so gewählt, daß 1000 mal mehr Aceton als Iod vorhanden ist. Wenn ein<br />

Äquivalent Iod vohanden war und sich vollständig umgesetzt hat, so ist daraus ein Äquivalent<br />

Acetoniodid (P) und ein Äquivalent Hydroniumionen (H) entstanden. Wenn wir<br />

aber bereits zu Beginn der Reaktion eine sehr große Menge an Hydroniumionen vorlegen<br />

(vielleicht 1000 Äquivalente), so werden nach der Reaktion 1001 Äquivalente vorhanden<br />

sein. Anders ausgedrückt ändert sich die Konzentration an Hydroniumionen nicht<br />

wesentlich (etwa um 1, was vernachlässigbar ist), wenn wir bereits zu Beginn eine<br />

erhebliche Menge an H3O + vorlegen. Somit können wir schreiben:<br />

Für c 0 H ≫ c 0 I gilt ∆cH(t) = cH(t) − c 0 H ≈ 0<br />

→ cH(t) ≈ c 0 H (160)<br />

Anders ausgedrückt geben wir bereits zu Beginn der Reaktion so viel Säure zu, daß die<br />

während der Reaktion entstehenden Hydroniumionen praktisch nicht mehr ins Gewicht<br />

fallen. Der autokatalytische Aspekt der Acetoniodierung wird dadurch unterdrückt.<br />

Wenn wir also die Vereinfachungen (158) und (160) berücksichtigen, so können wir unsere<br />

Auswertungs-Gleichung weiter vereinfachen und erhalten:<br />

dcI(t)<br />

dt = −k · c0 A · c0 H mit k = k2 · K1 und c 0 A ≫ c0 I und c0 H ≫ c0 I (161)<br />

62


6 Die Iodierung von Aceton<br />

Gleichung (161) ist eine lineare homogene Differentialgleichung erster Ordnung. Sie beschreibt<br />

jedoch eine Kinetik Nullter Ordnung, da in diesem differentiellen Zeitgesetz<br />

keine von der Zeit abhängigen Konzentrationen mehr vorhanden sind. Allerdings wissen<br />

wir, daß die Acetoniodierung eigentlich eine Reaktion zweiter Ordnung ist. Jedoch<br />

konnten wir durch eine geschickte Wahl der Versuchsbedingungen (c 0 A ≫ c0 I , c0 H ≫ c0 I )<br />

die Reaktionsordnung auf 0 erniedrigen. Daher sprechen wir auch von einer Reaktion<br />

”pseudonullter Ordnung”.<br />

Die Lösung dieser Differentialgleichung erfolgt natürlich wieder über Trennung der Variablen<br />

und anschließender Integration. Die Randbedingung hierbei ist, daß zu Beginn<br />

der Reaktion die Konzentration von Iod den Wert cI(0) = c 0 I besitzt:<br />

<br />

cI(t)<br />

dcI(t)<br />

= −k · c<br />

dt<br />

0 A · c0H dcI(t) = −k · c 0 A · c 0 Hdt<br />

dc ′ I (t) = −k · c0 A · c0 H<br />

t<br />

c0 I<br />

0<br />

cI(t) − c 0 I = −k · c 0 A · c 0 H · t<br />

dt ′<br />

cI(t) = c 0 I − k · c 0 A · c 0 H · t (162)<br />

Mit Gleichung (162) haben wir eine Gleichung gefunden, welche uns den Konzentrationsverlauf<br />

von Iod mit der Zeit beschreibt. Wir müssen diese Gleichung nun mit der<br />

Extinktion der Löung in Verbindung bringen. Hierzu gehen wir von Gleichung 114 aus:<br />

E(c) = ǫ · c · d<br />

Hierbei ist ǫ der molare dekadische Extinktionskoeffizient der absorbierenden Komponente<br />

in der Lösung, c die Konzentration der absorbierenden Komponente der Lösung<br />

und d die Dicke Länge des vom Licht durchstrahlten Weges. Für c setzen wir die Konzentration<br />

von Iod cI(t) nach Gleichung (162) ein und erhalten somit eine Gleichung,<br />

welche uns die Extinktion der Lösung als Funktion der Zeit wiedergibt:<br />

Wir erhalten also folgendes Ergebnis:<br />

E (cI(t)) = ǫ · d c 0 I − k · c0 A · c0 H · t =<br />

= ǫ · d · c 0 I − ǫ · d · k · c0 A · c0 H<br />

E(t) = E0 − ǫ · d · k · c 0 A · c0 H · t wobei gilt: E0 = ǫ · d · c 0 I (163)<br />

Es ist unschwer zu erkennen, daß es sich bei Gleichung (163) um eine Geradengleichung<br />

mit der Steigung ǫ · d · k · c 0 A · c0 H und dem Ordinatenabschnitt E0 = ǫ · d · c 0 I handelt.<br />

Tragen wir also E(t) gegen t in ein Diagramm auf, so erwarten wir, daß die Messwerte<br />

alle auf einer Geraden liegen. Zur Zeit t = 0 hat die Extinktion den Wert E(0) = E0, wie<br />

63<br />

· t


6 Die Iodierung von Aceton<br />

sich unschwer aus Gleichung (163) erkennen lässt. Zum Zeitpunkt t = t ∗ sei das gesamte<br />

Iod verbraucht. Dann gilt cI(t ∗ ) = 0 und somit E(t ∗ ) = 0. Mit dieser Bedingung können<br />

wir nun die Geschwindigkeitskonstante k bestimmen. Hierzu setzen wir ein:<br />

E(t ∗ ) = 0 = E0 − ǫ · d · k · c 0 A · c0H E0 = ǫ · d · k · c 0 A · c 0 H · t ∗<br />

ǫ · d · c 0 I = ǫ · d · c 0 A · c 0 H · t ∗<br />

c 0 I = k · c0 A · c0 H<br />

Wir erhalten also folgendes Ergebnis:<br />

k =<br />

c 0 I<br />

c 0 A · c0 H<br />

· t∗<br />

· t∗<br />

· t∗<br />

(164)<br />

Wenn wir den Zeitpunkt t = t∗ kennen, bei dem die Konzentration an Iod gleich Null ist,<br />

so können wir daraus die Geschwindigkeitskonstante ausrechnen. Hierzu legen wir eine<br />

Lösung mit bekannten Ausgangskonzentrationen an Aceton (c0 A ), Säure (c0H ) und Iod<br />

(c0 I ) vor und verfolgen den Extinktionswert mit der Zeit. Wir erhalten eine Wertetabelle<br />

von der Form E(ti)/ti, wobei i = 1, 2, . . ., N Messpunkte sind.<br />

6.6 Die praktische Durchführung<br />

Wir wollen die Geschwindigkeitskonstanten anhand von drei Versuchsreihen bestimmen.<br />

Hierzu stehen uns Stammlösungen an Aceton, Schwefelsäure und Iod, sowie destilliertes<br />

Wasser zur Verfügung. Wir wollen für jede einzelne Messung jeweils gleiche Konzentrationen<br />

an Schwefelsäure und Iod, jedoch soll die Acetonkonzentration variiert werden.<br />

Ferner soll das Volumen bei jeder der i = 1, 2, 3 Messungen V i M<br />

= 50, 00 ml betra-<br />

gen. In diesem Volumen V i M sollen nun die Ausgangskonzentrationen ic0 A , ic0 H =i c0 H30 +<br />

und ic0 I an Aceton, Hydroniumionen und Iod vorliegen. Wir müssen also ausgehend von<br />

den Konzentrationen der Stammlösungen für jede Messung i = 1, 2, 3 ein Volumen i V S A<br />

an Aceton-Stammlösung, iV S H an Schwefelsäure-Stammlösung, iV S<br />

I an Iod-Stammlösung<br />

sowie V i H2O an destilliertem Wasser abmessen, so das wir eine Reaktionslösung mit den<br />

entsprechenden Ausgangskonzentrationen c0 A , c0H = c0<br />

H3O + und c0 I erhalten. Eine Übersicht<br />

gibt Tabelle 6.6. Für die Volumina soll bei jeder der i = 1, 2, 3 Messungen gelten:<br />

V i M = i V S A + i V S H + i V S<br />

I + V i H2O = 50, 00 ml (165)<br />

Die Stammkonzentrationen an Aceton, Schwefelsäure und Iod sind cS A<br />

cS = 0, 500mol<br />

H2SO4 l und cS I = 0, 100mol . Die Konzentration an Hydroniumionen soll in<br />

l<br />

jedem der i = 1, 2, 3 Messreihen ic0 H = 0, 080mol,<br />

die von Iod l ic0 I = 0, 004mol<br />

l betragen.<br />

= 13, 500mol<br />

l ,<br />

Es müssen dann noch die Volumina dieser Substanzen für die drei Versuche ermittelt<br />

werden!<br />

Aufgabe: Berechnen Sie die Volumina der benötigten Substanzen Aceton ( iV S A ),<br />

Schwefelsäure ( iV S H ), Iod (iV S<br />

I ) und Wasser (V i H2O ) für jede der i = 1, 2, 3<br />

Messungen.<br />

64


i i c 0 A / mol<br />

l<br />

6 Die Iodierung von Aceton<br />

i V S A /ml i V S H /ml i V S<br />

I /ml V i H2O /ml t∗ /min ∆t/min<br />

1 2,700 ≈ 5 0, 5<br />

2 1,350 ≈ 15 1<br />

3 0,675 ≈ 25 2<br />

Tabelle 5: Konzentrationen und benötigte Volumina der Stamm- und Messlösung<br />

Achtung: Aceton und Iod dürfen nicht sofort gemischt werden, da sonst der genaue<br />

Zeitpunkt des Reaktionsstarts nicht bekannt ist.<br />

Vor Beginn der Reaktion ist die Umgebungstemperatur TU im Labor zu messen und im<br />

Protokoll zu vermerken. Die entsprechenden Volumina an Aceton, Schwefelsäure und destilliertem<br />

Wasser befinden sich in Büretten und werden in einen Messzylinder gegeben<br />

und mit einem Uhrglas abgedeckt (siehe Abb. 31 auf der nächsten Seite). Die Mischung<br />

aus Aceton, Schwefelsäure und destilliertem Wasser erwärmt sich durch den Mischungsprozess.<br />

Das Becherglas wird auf eine Korkplatte gestellt und ca. 10min in Ruhe stehen<br />

gelassen, damit die Lösung auf Raumtemperatur abkühlt. Dies ist unbedingt erforderlich,<br />

da die Temperatur einen wesentlichen Einfluss auf die Reaktionsgeschwindigkeit<br />

hat (siehe Versuch 8. Esterhydrolyse). Vor Beginn der Reaktion muss die Temperatur<br />

der Messlösung geprüft werden. Diese sollte Umgebungstemperatur haben. Das entsprechende<br />

Volumen der Iodlösung wird in ein Becherglas gegeben, und dieses ebenfalls mit<br />

einem Uhrglas abgedeckt, da Iod sehr leicht verdampft.<br />

In der Zwischenzeit wird das Photometer mit destilliertem Wasser justiert. Die Extinktion,<br />

welche das destillierte Wasser verursacht, wird als Vergleichswert verwendet. Eine<br />

Küvette wird mit destilliertem Wasser befüllt und in die Küvettenhalterung I im Photometer<br />

gegeben. Die Küvette mit dem destillierten Wasser wird in den Strahlengang<br />

geschwenkt, und die Wellenlänge des Lichtes im Primärfokus des Photometers wird auf<br />

λ = 490 nm eingestellt. Dann wird mit den Reglern für die Extinktionsskala diese auf<br />

E = 0 eingestellt.<br />

Achtung: Die Extinktionsskala ist eine logarithmische Skala. Vor Versuchsbeginn sollte<br />

man sich Klarheit über die Skaleneinteilung verschaffen, damit das Ablesen<br />

der Extinktionswerte während der Messung reibungsfrei abläuft<br />

Nachdem das Photometer kalibriert worden ist, wird Küvettenhalterung II in den Strahlengang<br />

gedreht, in der sich NICHTS befindet. Da das Licht der Lichtquelle im Primärfokus<br />

bereits nach kurzer Zeit zu einer deutlichen Erwärmung des Küvetteninhalts im<br />

Strahlengang führt, sollten sowohl die Referenzküvette als auch die Küvette mit der<br />

zu vermessenden Reaktionslösung nur kurz in den Strahlgengang gegeben werden, da<br />

eine geringe Temperaturerhöhung bereits einen wesentlichen Einfluss auf die Reaktionsgeschwindigkeit<br />

hat, und die Extinktion ebenfalls temperaturabhängig ist. Um einen<br />

reibungsfreien Ablauf der Messung zu gewährleisten, sollte weiterhin die Stoppuhr aufgezogen<br />

werden.<br />

65


Aceton<br />

.5<br />

6 Die Iodierung von Aceton<br />

bidest. Wasser<br />

O<br />

H2O<br />

H2SO4<br />

Schwefelsäure<br />

Iod<br />

Abbildung 31: Stammlösungen<br />

66<br />

I2


6 Die Iodierung von Aceton<br />

RICHTIG<br />

H2SO4 H2O<br />

O<br />

I2<br />

!!!!! NIEMALS !!!!!<br />

Abbildung 32: Auf die Reihenfolge kommt es an<br />

Jetzt kann die erste Messung beginnen. Die Messung, bei der die Aceton-Anfangskonzentration<br />

c0 mol<br />

A = 2, 700 beträgt, dauert am längsten (≈ 25 min). Bei dieser Messung<br />

l<br />

soll alle 2 min ein Extinktionswert abgelesen werden (siehe Tab. 6.6). Der Inhalt des<br />

Messkolbens mit der Mischung aus Aceton, Schwefelsäure und destilliertem Wasser wird<br />

in das Becherglas mit der Iodlösung gegeben (!!! NIEMALS UMGEKEHRT !!!; siehe<br />

Abb. 32). Sobald der letzte Tropfen im Becherglas ist (was sehr, sehr zügig geschehen<br />

sollte) wird die Stoppuhr gestartet (siehe Abb. 33 auf der nächsten Seite). Die Lösung<br />

wird kurz durchmischt und eine Küvette zu 3 mit der Reaktionslösung befüllt und in<br />

4<br />

die Küvettenhalterung III gegeben. Nach 1 min 30 s wird die Referenzküvette mit dem<br />

destillierten Wasser in den Strahlengang gegeben, und der Nullpunkt der Extinktion ggf.<br />

nachjustiert. Bei 1 min 50 s wird die Messküvette in den Strahlengang gegeben und bei<br />

2 min der erste Extinktionswert abgelesen. Danach verfährt man immer auf die gleiche<br />

Art und Weise. Immer 30 s bevor der nächste Extinktionswert abgelesen wird, muss<br />

der Nullpunkt der Extinktion überprüft werden und 10 s, bevor dem nächsten Ablesen,<br />

wir die Küvette mit der Messlösung in den Strahlengang gegeben, damit der Zeiger der<br />

Extinktionsskala sich einpendeln kann (siehe Abb. 34 auf Seite 69).<br />

Achtung: Wenn nicht kalibriert und nicht abgelesen wird, muss sich die leere Küvettenhalterung<br />

II im Strahlengang befinden, damit sich weder die Referenznoch<br />

die Messlösung erwärmen können!<br />

67<br />

I2<br />

O<br />

H2O<br />

H2SO4


6 Die Iodierung von Aceton<br />

I2<br />

O<br />

H2O<br />

H2SO4<br />

Letzter Tropfen<br />

Mischung<br />

→ Start der Stoppuhr<br />

55<br />

50<br />

45<br />

60<br />

5<br />

10<br />

15<br />

40 35 30 25 20<br />

Abbildung 33: Zum Startzeitpunkt der Stoppuhr<br />

Die Messung kann beendet werden, wenn sich die Extinktion nicht mehr ändert, da<br />

dann das gesamte Iod verbraucht ist. In der Praxis kann man die Messung beenden,<br />

wenn die Extinktion einen Wert < 0, 03 erreicht hat, da die Skaleneinteilung dann keine<br />

sinnvolle Ablesung mehr ermöglicht. Der Inhalt von Küvette und Becherglas ist in<br />

den Abfällbehälter ” B2 - Halogenhaltige Lösungsmittelabfälle“zu geben. Becherglas und<br />

Messzylinder sind zwei mal mit Leitungswasser nachzuspülen, zwei mal mit destilliertem<br />

Wasser und einmal mit Aceton. Die Küvette wird drei mal mit destilliertem Wasser<br />

gespült, und anschließend mit Stickstoff kurz trocken geblasen.<br />

Achtung: Die Küvetten dürfen NIEMALS mit Aceton gespült werden, da es sich<br />

um Kunststoffküvetten handelt, welche durch Aceton an der Oberfläche<br />

angelöst werden. Dadurch werden die Küvetten trüb und undurchsichtig<br />

und sind für wissenschaftliche Zwecke nicht mehr zu gebrauchen<br />

Bei den beiden anderen Messreihen wird genaus verfahren, nur daß die beschreibene<br />

Prozedur bei der zweiten Messung mit c0 mol<br />

A = 1, 350 innerhalb von 1 min stattfinden<br />

l<br />

muss, und bei der dritten Messung mit c 0 A<br />

= 0, 675 mol<br />

l innerhalb von 30 sec. Bei der<br />

dritten Messung sollte der Nullpunkt der Extinktion daher alle 15 sec justiert werden.<br />

68


6 Die Iodierung von Aceton<br />

0 15 30 45 60 75 90<br />

5 10 20 25 35 40 50 55 65 70 80 85 95<br />

Start<br />

der<br />

Messung<br />

6.7 Die Auswertung<br />

Küvettenhalterung II (leer)<br />

Küvette I (bidest.<br />

Wasser); Prüfung,<br />

ob E = 0; evt.<br />

nachjustieren<br />

ablesen<br />

105 120<br />

115<br />

Küv.-<br />

Halt. II<br />

(leer)<br />

t/s<br />

Küvette III<br />

(Messlösung);<br />

Zeiger einpendeln<br />

lassen<br />

Abbildung 34: Zur Zeiteinteilung während der ersten Messung<br />

Wir erhalten folgende Messwerte für die drei Messreihen:<br />

Messung i=1: 1c0 k = 1 2 3 4<br />

A = 2,700mol l<br />

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14<br />

tk[min] 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28<br />

E(tk) 1.02 0.97 0.88 0.81 0.77 0.70 0.66 0.59 0.51 0.46 0.42 0.36 0.30 0.22<br />

Messung i=2: 2c0 tk[min] 1 2 3 4<br />

A = 1,350mol l<br />

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14<br />

E(tk) 1.03 0.97 0.87 0.84 0.77 0.71 0.64 0.58 0.54 0.46 0.40 0.34 0.28 0.22<br />

Messung i=3: 3c0 tk[min] 2 4 6 8<br />

A = 0,675mol l<br />

10 12 14 16 18 20 22 24 26 28<br />

E(tk) 1.01 0.96 0.92 0.84 0.76 0.73 0.66 0.62 0.54 0.45 0.37 0.31 0.25 0.19<br />

Tabelle 6: Messwerttabellen für die Acetoniodierung<br />

Der Zählindex i = 1, 2, 3, . . ., n bezeichnet unsere drei verschiedenen Messungen mit<br />

den drei verschiedenen Acetonanfangskonzentrationen ic0 A . Dabei ist n die Anzahl der<br />

einzelnen Messreihen. In unserem Fall ist also n = 3. Der Zählindex k = 1, 2, 3, . . ., Ni<br />

während einer der drei Messungen. Bei den<br />

bezeichnet einen speziellen Messpunkt Ei k /tik hier durchgeführten Messungen ist die Gesamtzahl Ni an Messpunnkten bei jeder der<br />

i = 1, 2, 3 Geraden gleich 14: N1 = N2 = N3 = 14. Dies kann jedoch von Experiment zu<br />

Experiment variieren. Wir tragen nun für jede der i = 1, 2, 3 Messungen die Extinktion<br />

Ei k = Ei(ti k ) gegen die Zeit tik auf:<br />

Anschließend müssen wir den Zeitpunkt t = t ∗ ermitteln, ab welchem das gesamte Iod<br />

verbraucht ist. Dies kann durch Ermittlung einer Ausgleichsgeraden geschehen, oder<br />

69


E(t)<br />

1.2<br />

1<br />

0.8<br />

0.6<br />

0.4<br />

0.2<br />

0<br />

6 Die Iodierung von Aceton<br />

Messreihe 1 :<br />

Messreihe 2 :<br />

Messreihe 3 :<br />

Fit Messreihe 1<br />

Fit Messreihe 2<br />

Fit Messreihe 3<br />

t∗ 1 = 8,8975 min<br />

t∗ 2 = 17, 5080 min<br />

t∗ 1 = 34, 0292 min<br />

t ∗ 1 t ∗ 2 t ∗ 3<br />

0 5 10 15 20 25 30 35<br />

t/min<br />

Abbildung 35: Auftragung der Messwerte aus den Tabellen 6 und der dazugehörigen<br />

Ausgleichsgeraden<br />

durch das manuelle Einlegen einer ”Bestgeraden” durch die Messpunkte nach Augenmaß.<br />

Wir wollen nun für alle drei Messkurven eine lineare Regression durchführen.<br />

Das bedeutet, ausgehend von den gegebenen Messwerten der Extinktion E(ti k ) zum Zeit-<br />

der i.−ten Messung wollen wir diejenige Gerade finden, welche am besten durch<br />

punkt ti k<br />

die Punkte im Diagramm gelegt werden kann. Kennen wir die Geradengleichungen dieser<br />

Geraden, so können wir durch Nullsetzen und Auflösen die gesuchte Größe t∗ i einfach<br />

berechnen. Eine Geradengleichung lautet allgemein:<br />

y(x) = A · x + B (166)<br />

Hierbei ist A der Ordinatenabschnitt und B ist die Steigung der Geraden. Wir nehmen<br />

an, daß die Größe x mit einer sehr viel größeren Genauigkeit gemessen werden kann<br />

als die Größe y. Nehmen wir ferner an, N ist die Anzahl an Messpunkten auf einer<br />

Geraden. Dann definieren wir einen Zählindex k, der von 1 bis N läuft: k = 1, 2, . . ., N.<br />

Wir messen daher N verschiedene Werte xk und dazugehörige Werte yk = y(xk). In<br />

unserem Fall ist y = E und x = t. Wir können Ordinatenabschnitt A und Steigung B<br />

70


wie folgt aus den Messwerten berechnen:<br />

<br />

N<br />

N ·<br />

A =<br />

<br />

N<br />

x<br />

k=1<br />

B =<br />

2 <br />

N<br />

k ·<br />

6 Die Iodierung von Aceton<br />

∆ = N ·<br />

xk · yk<br />

k=1<br />

yk<br />

k=1<br />

N<br />

k=1<br />

x 2 k<br />

<br />

N<br />

−<br />

<br />

∆<br />

N<br />

−<br />

∆<br />

<br />

−<br />

xk<br />

k=1<br />

xk<br />

k=1<br />

N<br />

k=1<br />

xk<br />

<br />

N<br />

·<br />

N<br />

2<br />

yk<br />

k=1<br />

yk · xk<br />

k=1<br />

<br />

<br />

(167a)<br />

(167b)<br />

(167c)<br />

Die Unsicherheiten sx und sy der Größen x und y lassen sich aus den gegebenen Messwerten<br />

wie folgt berechnen:<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

sx = 1<br />

N − 1 ·<br />

⎡<br />

N<br />

⎣ x<br />

k=1<br />

2 <br />

N<br />

⎤<br />

2<br />

1<br />

k − xk ⎦ (168a)<br />

N<br />

k=1<br />

<br />

<br />

<br />

sy = 1<br />

N − 2 ·<br />

N<br />

(yk − A − B · xk) 2<br />

(168b)<br />

k=1<br />

Natürlich werden nicht alle Messwerte xk und yk = y(xk) perfekt auf einer Geraden liegen.<br />

Vielmehr werden wir mehr oder weniger starke Abweichungen der einzelnen Punkte<br />

von der Geraden finden (was nicht zuletzt von der Geschicklichkeit des Experimentators<br />

abhängt). Um beurteilen zu können, wie gut die Messwerte E(t i k<br />

) auf einer Geraden<br />

liegen, wird er sog. Korrelationskoeffizient r berechnet. Diese Größe kann Werte zwischen<br />

−1 und +1 annehmen: −1 ≤ r ≤ +1. Wenn wir einen Korrelationskoeffizienten<br />

r = +1 erhalten, dann würde das bedeuten, daß alle Messpunkte perfekt auf einer Geraden<br />

liegen. Dieser Fall ist ausserordentlich unwahrscheinlich und wird daher niemals<br />

beobachtet. Je kleiner r wird, desto weniger gut liegen die Messpunkte auf einer Geraden.<br />

Bei r = 0 liegt keine erkennbare Korrelation vor, und es kann keine sinnvolle<br />

Regressionsgerade ermittelt werden. Erhielte man einen negativen Korrelationskoeffizienten,<br />

etwa r = −1 so würde man von Antikorrelation“ sprechen. Zur Berechnung des<br />

”<br />

Korrelationskoeffizienten r benötigen wir zunächst eine Größe, welche Kovarianz sxy<br />

genannt wird:<br />

sxy = 1<br />

N − 1 ·<br />

<br />

N<br />

k=1<br />

xk · yk − 1<br />

<br />

N<br />

<br />

N<br />

<br />

xk yk<br />

N<br />

k=1 k=1<br />

Den Korrelationskoeffizienten r erhalten wir damit wie folgt:<br />

r = sxy<br />

sx · sy<br />

71<br />

(169)<br />

(170)


6 Die Iodierung von Aceton<br />

Mit Hilfe dieser Größen ist es ferner möglich, die Unsicherheiten σA und σB des Ordina-<br />

tenabschnittes A und der Steigung B zu berechnen:<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

σA =<br />

s2y · N<br />

x<br />

k=1<br />

2 k<br />

∆<br />

<br />

N · s2 y<br />

σB =<br />

∆<br />

(171a)<br />

(171b)<br />

Die uns interessierende Größe ist der Zeitpunkt t = t ∗ , bei welchem die Extinktion gleich<br />

Null ist (E (t ∗ ) = 0). Über das eben beschriebene Verfahren können wir für jede unserer<br />

i = 1, 2, 3 Messreihen Geradengleichungen für die Extinktion in Abhängigkeit von der<br />

Zeit berechnen:<br />

Ei(t) = Ai(t) · t + Bi<br />

Setzen wir E(t ∗ ) = 0 in Gleichung ein, so erhalten wir:<br />

t ∗ i = − Bi<br />

Ai<br />

(172)<br />

(173)<br />

Anmerkung: An dieser Stelle sollte man sich nicht durch die vielen Indizes i und k<br />

erschrecken lassen. Der Index i = 1, 2, 3 bezeichnet die Nummer unserer<br />

Messung. Bei unserer ersten Messung (i = 1) hatten wir eine Aceton-<br />

Anfangskonzentration von 1c0 A = 2, 700mol,<br />

bei der zweiten Messung<br />

l<br />

(i = 2) war 2c0 A = 1, 350mol und bei der dritten und letzten Messung<br />

l<br />

(i = 3) war 3c0 A = 0, 675mol.<br />

Bei jeder Messung i = 1, 2, 3 haben wir<br />

l<br />

in regelmäßigen Abständen die Zeit t gemessen und die dazugehörige<br />

Extinktion E(t). Also bezeichnet Ei k = Ei (ti k ) den k.−ten Messpunkt<br />

der i. −ten Messung. Weiterhin ist die Gesamtzahl Ni an Messpunkten<br />

einer Messung i im hier vorliegenden Fall immer gleich 14. Weiterhin<br />

bezeichnet n die Anzahl der einzelnen Messreihen. In unserem Falle ist<br />

n = 3. Wir haben in drei Messreihen drei mal die Geschwindigkeitskonstante<br />

der Acetoniodierung bestimt.<br />

Für die Messwerte in den oben angegebenen Tabellen 6 finden wir folgende Parameter<br />

der linearen Regression. Die letztlich interessierende Größe ist jedoch der Zeitpunkt<br />

t∗ i , i = 1, 2, 3, bei der die Bestgeraden bzw. die Ausgleichsgeraden jeweils die Zeitachse<br />

schneiden:<br />

Die Ausgangskonzentrationen waren:<br />

• Iod: c 0 I<br />

• Säure: c 0 H<br />

• Aceton: 1 c 0 A<br />

= 0.004mol<br />

l<br />

= 0.08mol<br />

l<br />

= 0.675mol<br />

l<br />

72


6 Die Iodierung von Aceton<br />

i i c 0 A / mol<br />

l Ai/s −1 Bi σAi σBi t ∗ i /min t∗ i /s<br />

1 2,700 -0.1203 1.0704 0.0017 0.0074 8,90 534<br />

2 1,350 -0.0617 1.0809 0.0007 0.0059 17,51 1051<br />

3 0.675 -0.0323 1.0998 0.0006 0.0106 34,02 2041<br />

Tabelle 7: Ergebnisse der drei Experimente<br />

Mit den Zeitpunkten t∗ i aus den Messwerten der Tabelle 7 können wir nun für jede der<br />

drei Versuche die Geschwindigkeitskonstante der Acetoniodierung bestimmen. Hierzu<br />

setzen wir in Gleichung (164) ein:<br />

i k =<br />

c 0 I<br />

c 0 A · c0 H · t∗ i<br />

, i = 1, 2, 3<br />

Idealerweise sollten alle drei Geschwindigkeitskonstanten den gleichen Wert haben:<br />

1 k =<br />

2 k =<br />

3 k =<br />

0, 004mol l<br />

2, 700mol · 0, 08 l mol · 534s l = 3, 47 · 10−5 l<br />

0, 004 mol<br />

l<br />

1, 350 mol<br />

l · 0, 08 mol<br />

0, 004 mol<br />

l<br />

0, 675 mol<br />

l · 0, 08 mol<br />

mol · s<br />

mol · s<br />

l · 1051s = 3, 52 · 10−5 l<br />

mol · s<br />

l · 2041s = 3, 63 · 10−5 l<br />

(174a)<br />

(174b)<br />

(174c)<br />

Wie zu erwarten war unterliegen die Ergebnisse einer gewissen Schwankung. Der arithmetische<br />

Mittelwerte ergibt sich zu:<br />

¯k = 1<br />

n ·<br />

6.8 Die Summe aller Näherungen<br />

n<br />

i=1<br />

= 1 1k 3 3<br />

+ k + k<br />

3<br />

¯k = 3, 54 · 10 −5 l<br />

mol · s<br />

(175)<br />

An dieser Stelle wollen wir uns nun noch einmal die Summe aller Näherungen vor Augen<br />

führen, die wir zur Herleitung unserer Auswertungsgleichung (164) eingeführt haben:<br />

1. Näherung (132) : cB(t) ≈ 0 mit dem Ergebnis: dcB(t)<br />

dt<br />

= 0<br />

2. Näherung (133) : cE(t) ≈ 0 mit dem Ergebnis: dcI(t)<br />

dt = −k2 · cB(t)<br />

3. Ausdruck (144) : k2 ≪ k−1 mit dem Ergebnis: cB(t) = k1<br />

k−1 · cA(t) · cH(t)<br />

4. Ausdruck (158) : c 0 A ≫ c0 I mit dem Ergebnis: cA(t) ≈ c 0 A<br />

73


7 Fehlerbetrachtung<br />

5. Ausdruck (160) : c 0 H ≫ c0 I mit dem Ergenis: cH(t) ≈ c 0 H<br />

Aus diesen fünf Näherungen resultiert unser Geschwindigkeitsgesetz (161) pseudonullter<br />

Ordnung:<br />

dcI(t)<br />

dt = −k · c0 A · c0 H<br />

und daraus unsere Auswertungsgleichung (164):<br />

k =<br />

c 0 I<br />

c 0 A · c0 H<br />

Hier stellt sich die Frage, ob bei dieser Anzahl an Näherungen überhaupt noch ein<br />

vernünftiges Ergebnis resultieren kann. Betrachten wir etwa die Näherungen (158) und<br />

(160). Diese Näherungen besagen, daß die Konzentration an Aceton sehr viel größer sein<br />

soll als die von Iod, und ebenso soll die Konzentration der Hydroniumionen sehr viel<br />

größer sein als die von Iod. Betrachten wir aber die Versuchsbedingungen, so ist das<br />

Verhältnis der Konzentrationen von Aceton und Iod gerade einmal<br />

c 0 A<br />

c 0 I<br />

= 2, 700<br />

· t∗<br />

= 675<br />

0, 004<br />

und das Verhältnis der Konzentrationen der Hydroniumionen und Iod<br />

c 0 H<br />

c 0 I<br />

= 0, 080<br />

= 20<br />

0, 004<br />

Ist das von uns aufgestellte Modell der Reaktion pseudonullter Ordnung für die sauer<br />

katalysierte Acetoniodierung unter diesen Versuchsbedingungen überhaupt tragbar? Die<br />

Frage ist berechtigt, kann jedoch ohne Experiment nicht beantwortet werden. Gleichung<br />

(163), welche aus der Summe der oben nochmals aufgeführten Näherungen resultiert,<br />

besagt, daß die Konzentration an Iod und damit die Extinktion der Messlösung linear<br />

mit der Zeit abnehmen muss:<br />

E(t) = E0 − ǫ · d · k · c 0 A · c 0 H · t wobei gilt: E0 = ǫ · d · c 0 I<br />

Sollten wir dieses Verhalten tatsächlich im Experiment auch beobachten, so waren sowohl<br />

unser theoretisches Modell der Reaktion pseudonullter Ordnung als auch die von<br />

uns gewählten Versuchsbedingungen richtig.<br />

Jede Annahme und jedes Modell muss am Ende immer einer experimentellen Überprüfung<br />

standhalten. Letztlich kann also erst das Experiment beweisen, ob die Ableitung<br />

der Auswertungsgleichung (164) sinnvoll ist oder nicht!<br />

7 Fehlerbetrachtung<br />

7.1 Allgemeine Betrachtungen<br />

Ziel dieses Versuches war die Bestimmung der Geschwindigkeitskonstanten der säurekatalysierten<br />

Acetoniodierung in der Grenzbetrachtung einer Reaktion pseudonullter<br />

74


7 Fehlerbetrachtung<br />

Ordnung. Jedoch unterliegt jede Messung Messunsicherheiten, unabhängig davon wie<br />

sorgfältig die Planung und Durchführung des Experiments auch gewesen sein mag. Die<br />

Kenntnis der Größe dieser Messunsicherheiten sowie deren Ursachen ist zentraler Gegenstand<br />

der Fehleranalyse, und ist ebenso wichtig wie das wissenschaftliche Experiment<br />

selbst. Das Wort Fehler bedeutet hier allerdings nicht, daß ein Ergebnis als falsch anzusehen<br />

ist, sondern die Streuung der Messwerte um den ” wahren“ Wert einer Messgrösse,<br />

der aber nicht bestimmbar ist. Dieser nicht bestimmbare, ” wahre“ Wert liegt nur mit<br />

einer gewissen, endlichen Wahrscheinlichkeit innerhalb des durch die Messunsicherheiten<br />

festgelegten Bereichs.<br />

Wir unterscheiden prinzipiell drei Arten von Fehlern und Messunsicherheiten:<br />

• Grobe Fehler und Irrtümer: Sie sind zurückzuführen auf Missverständnisse<br />

oder Fehlüberlegungen im Umgang mit Messgeräten, falsche Protokollierung von<br />

Messdaten, Fehler in den Auswertungs-Programmen und werden eigentlich nicht<br />

zu Messunsicherheiten gezählt. Grobe Fehler können nur durch kritische Prüfung<br />

und Kontrolle der Ergebnisse erkannt werden. Vermeiden lassen sich grobe Fehler<br />

und Irrtümer nur durch sorgfältiges Experimentieren.<br />

• Systematische Fehler: Sie werden durch unberücksichtigte Umwelteinflüsse, fehlerhaft<br />

justierte Messgeräte, oder falsche Konzentrationen von Stammlösungen<br />

oder Rückwirkungen des Messgeräts auf das zu messende System verursacht und<br />

beeinflussen die Genauigkeit von Messungen. Diese Art von Messunsicherheiten<br />

können NICHT durch Wiederholung der Messung erkannt werden, sondern nur<br />

durch Veränderung der Messbedingungen oder Änderung des Messverfahrens.<br />

• Zufällige Fehler: Sie sind meist auf Unzulänglichkeiten des Experimentators (Unausgeschlafenheit,<br />

Alkohol, ...) selbst zurückzuführen. Ein Beispiel für einen typischen<br />

zufälligen Fehler ist der sog. Parallaxen-Fehler, wie er beim Ablesen<br />

von Messgeräten mit nicht-digitalen Anzeigen automatisch auftritt. Diese Art von<br />

Messunsicherheiten beeinflussen die Genauigkeit von Messungen, und sind durch<br />

mehrmaliges Wiederholen des Experiments erfassbar.<br />

Hierbei treten die beiden wichtigen Begriffe Genauigkeit und Präzision auf, die häufig<br />

fälschlicherweise synonym verwendet werden. Unter Genauigkeit verstehen wir die Abweichung<br />

des Messwertes vom ” wahren“ Wert. Die Genauigkeit wird durch Angabe der<br />

Streuung oder Varianz oder des Größtfehlers berücksichtigt. Die Präzision liefert<br />

eine Aussage darüber, wie stark die einzelnen Messwerte um den wahren Wert streuen.<br />

Folgendes Beispiel mag den Unterschied zwischen Genauigkeit und Präzision veranschaulichen:<br />

Wir ersetzen unser Experiment durch ein Zielschießen mit einem Gewehr auf eine<br />

Zielscheibe. Im Zentrum der Zielscheibe befindet sich der ” wahre“ Wert, das Gewehr ist<br />

das Messinstrument und der Schuss das Experiment. Wir nehmen an, jedes Experiment<br />

75


7 Fehlerbetrachtung<br />

wird zwanzig mal wiederholt, wir finden also zwanzig Einschusslöcher auf der Zielscheibe:<br />

Abbildung 36: Zur Erläuterung der Begriffe Genauigkeit und Präzision<br />

Die ” Messung “ links oben in Abb. 36 ist sowohl genau als auch präzise: im Mittel<br />

wurde ziemlich genau das Zentrum der Zielscheibe getroffen, und die ” Messung“ war<br />

relativ präzise, da die Messpunkte alle relativ nahe am Zentrum der Zielscheibe liegen.<br />

Die ” Messung“ rechts oben ist zwar ungenau, da alle Messpunkte weit weg vom wahren<br />

Wert liegen, dafür ist sie aber präzise, da die Streuung der Messpunkte gering ist ( ” ...mit<br />

hoher Genauigkeit daneben geschossen...“). Die ” Messung “ links unten ist zwar genau,<br />

da die Messpunkte im Mittel im Zentrum der Zielscheibe liegen, dafür ist sie aber unpräzise,<br />

da die Messpunkte sehr stark streuen. Die ” Messung “ rechts unten ist weder<br />

genau noch präzise.<br />

Sei wiederum n die Anzahl der Messwerte einer Messgröße y. Wenn sehr viele Messwerte<br />

vorliegen (n > 5), so ist es möglich, diese nach statistischen Gesichtspunkten auszuwerten.<br />

Das bedeutet, man errechnet neben dem arithmetischen Mittelwert ¯y einer<br />

Messgröße y noch der sog. mittlere Fehler des Mittelwertes, auch als Standardab-<br />

76


weichung oder Varianz σ¯y bezeichnet :<br />

7 Fehlerbetrachtung<br />

¯y = 1<br />

N ·<br />

n<br />

yi<br />

i=1<br />

<br />

<br />

<br />

σ¯y = 1<br />

n · (n − 1) ·<br />

n<br />

(y − ¯y) 2<br />

Die wissenschaftliche Angabe des Messergebnisses für y lautet dann:<br />

Dabei bedeuten:<br />

i=1<br />

(176a)<br />

(176b)<br />

˜y = (¯y ± σ¯y) [y] (177)<br />

1. ˆy : Der wahre Wert der Messgröße, der unbekannt ist und (leider) nicht bestimmt<br />

werden kann, da jede Messung mit Messunsicherheiten behaftet ist.<br />

2. ¯y : Der arithmetische Mittelwert oder Bestwert der einzelnen Messergebnisse für die<br />

Messgrösse y, der (leider) fehlerbehaftet ist und nur im Idealfall mit dem wahren<br />

Wert ˆy übereinstimmt. Im Realfall führen die Fehler dazu, daß der arithmetische<br />

Mittelwert ¯y nur ungefähr mit dem wahren Wert ˆy übereinstimmt.<br />

3. σ¯y : Der mittlere Fehler des Mittelwertes (Standardabweichung, Varianz).<br />

4. ˜y : Das Messergebnis<br />

5. [y] : Die <strong>physikalische</strong> Maßeinheit (z.B. mol<br />

l<br />

gemessen wird<br />

m oder ), in welcher die Messgröße y<br />

s<br />

Die Varianz σ¯y wurde so definiert, daß der wahre Wert ˆy der betrachteten Messgröße mit<br />

einer Wahrscheinlichkeit von 68% in einem Intervall mit der Breite 2 · σ¯y um den arithmetischen<br />

Mittelwert ¯y liegt. Anders ausgedrückt nimmt y mit einer Wahrscheinlichkeit<br />

von 68% einen Wert im Intervall<br />

an.<br />

(¯y − σ¯y) < y ≤ (¯y + σ¯y) (178)<br />

Vom mittleren Fehler des Mittelwertes σ¯y zu unterscheiden ist der sog. mittlere Fehler<br />

der Einzelmessung σy. Er ist definiert durch:<br />

<br />

<br />

<br />

σy = 1<br />

n − 1 ·<br />

n<br />

(y − ¯y) 2<br />

(179)<br />

77<br />

i=1


7 Fehlerbetrachtung<br />

Somit besteht folgender Zusammenhang zwischen dem mittleren Fehler des Mittelwertes<br />

σ¯y und dem mittleren Fehler der Einzelmessung σy :<br />

σ¯y = 1<br />

√ n · σy<br />

(180)<br />

Doch worin besteht nun der Unterschied zwischen σ¯y und σy? Nun, wie bereits erwähnt<br />

bezieht sich σ¯y auf den Mittelwert. Dabei legt σ¯y eine Grenze fest, die beschreibt,<br />

wie wahrscheinlich es ist, den wahren Wert in einem Bereich um den Mittlwert herum<br />

zu finden (siehe Gleichung (178)). Da der Mittelwert aber genauer bestimmt ist als<br />

jeder Einzelmesswert, muss auch der Fehler des Mittelwertes kleiner sein als jener der<br />

Einzelmessungen. In Analogie zu Gleichung (178) bezeichnet der mittlere Fehler der<br />

Einzelmessung σy einen Intervall von der Breite 2 · σy um den Mittelwert ¯y in dem<br />

mit einer Wahrscheinlichkeit von 68% jeder einzelne Messwert liegt. Anders ausgedrückt<br />

nimmt jeder Messwert yi, i = 1, 2, . . ., n mit einer Wahrscheinlichkeit von 68% einen<br />

Wert im Intervall<br />

(¯y − σy) < y ≤ (¯y + σy) (181)<br />

an.<br />

Der Bestwert oder Mittelwert ¯y ist ein Schätzwert für den wahren, nicht bestimmba-<br />

ren Wert ˆy. Wenn man annimmt, daß mit der gewählten Apparatur der wahre Wert ˆy Beachte den<br />

prinzipiell bestimmt werden kann, so geht im Falle unendlich vieler Wiederholungen des<br />

Experiments der Mittelwert ¯y in den wahren Wert ˆy über. Dies ist klar, da der mittlere<br />

Fehler des Mittelwertes σ¯y im Falle unendlich vieler Messungen gegen Null geht:<br />

lim ¯y = ˆy (182)<br />

n→∞<br />

lim<br />

n→∞ σ¯y = lim<br />

n→∞<br />

1<br />

√ n σy = 0 (183)<br />

Dies ist allerdings nur dann gewährleistet, wenn die erhaltenen Messwerte yi, i =<br />

1, 2, . . ., n normalverteilt sind. Anders ausgedrückt müssen die Messwerte einer sog.<br />

Gauß’schen Normalverteilung entsprechen. Wenn jedoch zu wenige Messpunkte<br />

(n < 5) vorhanden sind, so kann man nicht mehr von einer ” Verteilung“ sprechen,<br />

und die Angabe einer Varianz wird völlig sinnlos! Die Gauß’sche Normalverteilung ist<br />

dabei durch folgende Gleichung gegeben:<br />

f(y) = 1<br />

σ ¯y· √ 2π<br />

· e −(y−¯y)2<br />

2σ 2 ¯y (184)<br />

Die Fläche unter der Kurve von f(y) ist gerade 1, entspricht also 100%. Wenn wir im<br />

Grenzfall unendlich viele Messungen machen würden, so wäre die resultierende Verteilung<br />

identisch mit der theoretisch berechneten Kurve nach Gleichung (184). Die Fläche<br />

unter der Kurve von f(y) in einem bestimmten Bereich yA < y ≤ yB gibt die Wahrscheinlichkeit<br />

Pya,yb an, daß der wahre Wert in diesem Intervall liegt.<br />

Pya,yb =<br />

yb<br />

ya<br />

78<br />

f(y)dy (185)<br />

Unterschied: der<br />

Mittelwert oder<br />

Bestwert ¯y ist ein<br />

Schätzwert für<br />

den wahren Wert<br />

ˆy


7 Fehlerbetrachtung<br />

Nun können wir auch verstehen, wieso der wahre Messwert y mit einer Wahrscheinlichkeit<br />

von 68, 264% in einem Intervall der Breite 2 · σ¯y um den arithmetischen Mittelwert<br />

¯y liegt, denn das Integral<br />

P(¯y−σ¯y),(¯y+σ¯y) =<br />

<br />

(¯y+σ¯y)<br />

(¯y−σ¯y)<br />

f(y)dy = 0, 68246<br />

ergibt gerade einen Wert von P(¯y−σ¯y),(¯y+σ¯y) = 0, 68246, was 68% entspricht. Folgende<br />

Abbildung mag den Sachverhalt veranschaulichen:<br />

f(y)<br />

0.6<br />

fmax<br />

0.4<br />

fWP<br />

0.2<br />

0.1<br />

σ¯y<br />

0<br />

0 2 4 ¯y<br />

Messwert y<br />

ya yb<br />

8 10<br />

Abbildung 37: Die Gauß’sche Normalverteilung f(y) nach Gleichung (184)<br />

Die Gauß’sche Glockenkurve hat ihr Maximum bei y = ¯y, also beim arithmetischen<br />

Mittelwert ¯y. Die Höhe der Gauß’schen Glockenkurve am Maximum sei fmax = f(¯y).<br />

In Abbildung 37 ist eine anschauliche Deutung der Varianz σ¯y zu sehen. Die Gauß’sche<br />

= ¯y + σ¯y. Die Höhe<br />

Glockenkurve hat Wendepunkte bei y WP<br />

1<br />

= ¯y − σ¯y und bei y WP<br />

2<br />

der Gauß’schen Glockenkurve bei y WP<br />

1 ist identisch mit der bei y WP<br />

2 und hat den Wert<br />

f WP<br />

1<br />

= fWP<br />

2 = f(¯y ± σ¯y) = fWP, Die Varianz σ¯y ist nun genau die Hälfte der Breite der<br />

Gauß’schen Glockenkurve auf der Höhe fWP.<br />

Wie gesagt gelten diese Überlegungen nur, wenn wir unendlich viele Messwerte yk, k =<br />

1, 2, . . ., n → ∞ gemacht haben. In der Praxis ist dies aber nicht möglich. In der Regel<br />

liegt nur eine beschränke Anzahl n an Messwerten vor, in unserem Fall ist n = 3. Daher<br />

geht die kontinuierliche Gauß’sche Glockenkurve über in eine diskrete Verteilung. Je<br />

79<br />

f(x)


7 Fehlerbetrachtung<br />

weniger Messwerte yk vorliegen, desto gröber wird die Verteilung. Bei n < 5 Messwerten<br />

kann man schließlich nicht mehr sinnvoll von einer Verteilung sprechen, und somit ist es<br />

auch nicht mehr möglich, eine Varianz zu definieren.<br />

Für den Fall, daß nur eine endliche Anzahl an Messwerten vorliegt, geht die Wahrscheinlichkeit<br />

Pya,yb in die Häufigkeit Hya,yb . Dabei ist die Häugikeit Hya,yb die Anzahl<br />

der Messwerte, welche im Intervall ya < y ≤ yb liegt. Manchmal wird die Häugitkeit<br />

auf die Gesamtanzahl der Messwerte bezogen, woraus die relative Häufigkeit<br />

Hya,yb<br />

hya,yb<br />

= Hya,yb<br />

n<br />

(186)<br />

resultiert. Nach [2] ist der Wert der Geschwindigkeitskonstanten für die säurekatalysierte<br />

Acetoniodierung in der Grenznäherung einer Reaktion pseudoerster Ordnung<br />

k = (3, 49 ± 0, 23) · 10 −5 l<br />

mol · s<br />

(187)<br />

In unserem Fall ist die allgemeine Messgröße y die Geschwindigkeitskonstante k der<br />

säurekatalysierten Acetoniodierung. Nehmen wir an, wir haben n = 113 mal die Ge-<br />

−5 l<br />

schwindigkeitskonstante k bestimmt. Dann unterteilen wir den Bereich 0 . . .7·10 mol·s<br />

−5 l<br />

in 28 Teilabschnitte je ∆k = 0, 5 · 10 . Jetzt zählen wir ab, wieviele Messwerte in<br />

mol·s<br />

jeden Bereich fallen. Die Anzahl der Messwerte in jedem Intervall ist dann die Häufigkeit<br />

Hka,kb :<br />

∆k[10−5 l<br />

mol·s<br />

Messreihe 1: n=100 Messwerte<br />

] = 0,00-0,25 0,25-0,50 0,50-0,75 0,75-1,00 1,00-1,25 1,25-1,50 1,50-1,75<br />

Hka,kb 0 0 0 0 0 0 0<br />

∆k[10−5 l<br />

mol·s<br />

] = 1,75-2,00 2,00-2,25 2,25-2,50 2,50-2,75 2,75-3,00 3,00-3,25 3,25-3,50<br />

Hka,kb 1 2 4 6 8 12 15<br />

∆k[10−5 l<br />

mol·s<br />

] = 3,50-3,75 3,75-4,00 4,00-4,25 4,25-4,50 4,50-4,75 4,75-5,00 5,00-5,25<br />

Hka,kb 17 15 12 8 6 4 2<br />

∆k[10−5 l<br />

mol·s<br />

] = 5,25-5,50 5,50-5,75 5,75-6,00 6,00-6,25 6,25-6,50 6,50-6,75 6,75-7,00<br />

Hka,kb 1 0 0 0 0 0 0<br />

Wenn wir nun die Häufigkeit der Messwerte gegen die angegebenen Intervalle auftragen,<br />

so erhalten wir ein sog. Histogramm. Wenn wir die Anzahl der Messwerte in allen Intervallen<br />

addieren, so muss sich wieder n = 113 ergeben:<br />

Wir sehen, daß das Histogramm in Abbildung 38 noch große Ähnlichkeit mit der kontinuierlichen<br />

Verteilung f(y) in Abbildung 37 aufweist. Die Rasterung kommt dadruch<br />

zustande, daß nur eine endliche Anzahl von Messerten verwendet werden kann. Im folgenden<br />

werden wir noch zwei Histogramme mit n = 25 und n = 7 Messwerten betrachten.<br />

80


Häufigkeit Hka,k b<br />

18<br />

16<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

7 Fehlerbetrachtung<br />

Verteilung<br />

n=113 Messwerte<br />

0<br />

0 1 2 3 4 5 6 7<br />

Messwerte k<br />

Abbildung 38: Histogramm für eine Verteilung von n = 113 Messwerten<br />

Wir sehen, daß die Verteilung umso gröber wird, je weniger Messwerte wir zur Verfügung<br />

haben. Bei n = 7 Messwerten kann man schließlich nicht mehr sinnvoll von einer Vertei-<br />

”<br />

lung“ sprechen, und demnach ist es praktisch auch nicht mehr möglich, eine Varianz σk<br />

in das Diagramm 40 einzuzeichnen. Da wir aber nur n = 3 Messwerte bestimmt haben,<br />

bedeutet das, daß es uns nicht möglich ist, unseren Versuch nach statistischen Gesichtspunkten<br />

auszuwerten. Zur Berechnung der Messungenauigkeit ( Fehler“) der Geschwin-<br />

”<br />

digkeitskonstanten k müssen wir daher ein anderes Verfahren heranziehen. Da wir die<br />

Geschwindigkeitskonstante jedoch sowieso nicht direkt, sondern über Gleichung (164)<br />

bestimmt haben, würden wir normalerweise das Gauß’sche Fehlerfortpflanzungsgesetz<br />

für abgeleitete Größen zur Berechnung von σk verwenden. Wenn der allgemeine Messwert<br />

y(a, b, c) eine Funktion von drei Variablen a, b und c ist, so gilt für das Gauß’sche<br />

Fehlerfortpflanzungsgesetz:<br />

<br />

∂y(a, 2 b, c)<br />

σy =<br />

· σ<br />

∂a<br />

2 a +<br />

2 ∂y(a, b, c)<br />

· σ<br />

∂b<br />

2 b +<br />

2 ∂y(a, b, c)<br />

· σ<br />

∂c<br />

2 c (188)<br />

Hierbei sind σa, σb und σc die Messungenauigkeiten der Größen a, b und c. Allerdings ist<br />

das Gauß’sche Fehlerfortpflanzungsgesetz nur dann auf abgeleitete Größen y(a, b, c, . . .)<br />

anwendbar, wenn genügend viele Messungen gemacht wurden, der Begriff Verteilung“<br />

”<br />

also gerechtfertigt ist. Wenn jedoch nur n < 5 Messungen vorliegen, so besitzt das<br />

Gauß’sche Fehlerfortpflanzungsgesetz keine Aussagekraft. In einem solchen Fall kann<br />

man also keine Varianzen über das Gauß’sche Fehlerfortpflanzungsgesetz bestimmen.<br />

Wohl ist es aber möglich, einen Größtfehler ∆y zu berechnen. Wenn y = y(a, b, c) eine<br />

von den Messgrößen a, b und c abgeleitete Größe ist, so bestimmt sich der Größtfehler<br />

wie folgt:<br />

<br />

<br />

∆y = <br />

∂y(a, b, c) <br />

<br />

∂a · ∆a + <br />

∂y(a, b, c) <br />

<br />

∂b · ∆b + <br />

∂y(a, b, c) <br />

<br />

∂c · ∆c (189)<br />

81


Häufigkeit Hka,k b<br />

8<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

7 Fehlerbetrachtung<br />

Histogramm fr die Verteilung der Messwerte<br />

Verteilung<br />

n=25 Messwerte<br />

0<br />

0 1 2 3 4 5 6 7<br />

Messwerte k<br />

Abbildung 39: Histogramm für eine Verteilung von n = 25 Messwerten<br />

Hierbei sind ∆a, ∆b und ∆c die Größtfehler der Messgrößen a, b und c. Und genau<br />

diesen Größtfehler wollen wir für die Geschwindigkeitskonstante k bestimmen.<br />

7.2 Abschätzung des Größtfehlers<br />

Wir betrachten die Auswertungsgleichung (164):<br />

k =<br />

c 0 I<br />

c 0 A · c0 H<br />

Der Größtfehler ∆k der Geschwindigkeitskonstanten k bestimmt sich dann zu:<br />

<br />

<br />

∆k = <br />

∂k<br />

∂c0<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

I<br />

· ∆c0I +<br />

<br />

<br />

<br />

∂k<br />

∂c0<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

A<br />

· ∆c0 A +<br />

<br />

<br />

<br />

∂k<br />

∂c0<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

H<br />

· ∆c0H +<br />

<br />

<br />

<br />

∂k<br />

∂t∗<br />

<br />

<br />

<br />

· ∆t∗ =<br />

<br />

<br />

= <br />

1 <br />

<br />

· t∗<br />

· ∆c0I +<br />

<br />

<br />

c<br />

<br />

<br />

0 I<br />

2 0 · cH · t∗ <br />

<br />

<br />

<br />

· ∆c0A +<br />

<br />

<br />

c<br />

<br />

<br />

0 <br />

<br />

I <br />

2 <br />

· t∗ · ∆c0H +<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

=<br />

c 0 A · c0 H<br />

c0 I<br />

c0 A · c0 H · t∗ · ∆c0I c0 I<br />

c0 I<br />

c0 A · c0 ·<br />

H · t∗ c0 I<br />

=<br />

0 ∆cI = k ·<br />

c 0 I<br />

∆c 0 I<br />

+ ∆c0 A<br />

c 0 A<br />

+<br />

c 0 A<br />

c0 I<br />

c0 A · c0 H · t∗ · ∆c0A c0 +<br />

A<br />

+ ∆c0 A<br />

c 0 A<br />

+ ∆c0 H<br />

c 0 H<br />

+ ∆c0 H<br />

c 0 H<br />

+ ∆t∗<br />

t ∗<br />

Die hierbei auftretenden Größen ∆c0 I<br />

c 0 I<br />

<br />

+ ∆t∗<br />

t ∗<br />

, ∆c0 A<br />

c0 ,<br />

A<br />

∆c0 H<br />

c0 H<br />

· t∗<br />

c 0 A · c0 H<br />

c0 I<br />

c0 A · c0 H · t∗ · ∆c0H c0 H<br />

<br />

=<br />

und ∆t∗<br />

t ∗<br />

+<br />

c 0 I<br />

c 0 A · c0 H<br />

c 0 I<br />

c 0 A · c0 H<br />

<br />

<br />

<br />

· t∗2 · ∆t∗ =<br />

∆t∗<br />

· =<br />

· t∗ t∗ sind dabei die relativen Fehler<br />

der Größen c0 I , c0A , c0H und c0 t . Über deren Größe müssen wir uns nun Gedanken machen,<br />

bevor wir den Größtfehler von k ausrechnen. Da es sich um ein Grundlagenparktikum<br />

82<br />

(190)


Huigkeit H(y)<br />

8<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

7 Fehlerbetrachtung<br />

Histogramm fr die Verteilung der Messwerte<br />

Verteilung<br />

n=7 Messwerte<br />

0<br />

0 1 2 3 4 5 6 7<br />

Messwerte k<br />

Abbildung 40: Histogramm für eine Verteilung von n = 7 Messwerten<br />

handelt ist davon auszugehen, daß die Experimentatoren relativ große Fehler bei der<br />

Einwaage der benötigten Mengen an Aceton, Schwefelsäure und Iod machen. Allerdings<br />

haben wir über diese Fehler keinerlei Informationen. Es dürfte aber realistisch sein, daß<br />

diese Fehler etwa 3 − 5% betragen. Da wir eine Größtfehler-Abschätzung vornehmen,<br />

gehen wir von 5% aus. Wir setzen daher an:<br />

∆c 0 I<br />

c 0 I<br />

= ∆c0 A<br />

c 0 A<br />

= ∆c0 H<br />

c 0 H<br />

= 0, 05 (191)<br />

Der Zeitpunkt t ∗ selbst ist auch eine abgeleitete Größe. Daher müssen wir ∆t ∗ selbst auch<br />

aus einer Größtfehlerabschätzung bestimmen. Unter Berücksichtigung von Gleichung<br />

(172)<br />

erhalten wir:<br />

∆t ∗ i =<br />

=<br />

t ∗ i<br />

= −Bi<br />

Ai<br />

<br />

<br />

<br />

∂t<br />

<br />

∗ <br />

<br />

i <br />

∂Bi<br />

· σBi + <br />

∂t<br />

<br />

∗ <br />

<br />

i <br />

∂Ai<br />

· σAi =<br />

<br />

<br />

<br />

−σBi <br />

<br />

<br />

+ |−Bi · ln (Ai) · σAi | (192)<br />

Ai<br />

Dabei sind Ai und Bi die Steigung und der Ordinaten-Abschnitt der Geraden aus der<br />

linearen Regression der Messwerte nach den Gleichungen (167b) und (167c). Die Schwankungen<br />

σAi und σBi haben wir nach den Gleichungen (171a) und (171a) bestimmt. Ihre<br />

Werte können wir Tabelle 7 entnehmen. Somit erhalten wir folgende Werte für die Größtfehler<br />

∆t ∗ i der drei Messreihen:<br />

83


7 Fehlerbetrachtung<br />

i t ∗ i [s] ∆t∗ i [s]<br />

∆t ∗<br />

i<br />

t∗ /10<br />

i<br />

−4<br />

1 534 0,07 1,2<br />

2 1051 0,10 0,9<br />

3 2041 0,33 1,6<br />

Tabelle 8: absolute und relative Größtfehler der Größe t ∗ i<br />

Wir können die drei einzelnen Fehler t∗ i , i = 1, 2, 3 mitteln, und erhalten so einen<br />

Gesamt-Fehler für t∗ i :<br />

∆t ∗ i<br />

t ∗ i<br />

= 1<br />

n ·<br />

n<br />

i=1<br />

∆t ∗ i<br />

t ∗ i<br />

=<br />

= 1<br />

3 · [1, 2 + 0, 9 + 1, 6] · 10−4 =<br />

= 1, 2 · 10 −4<br />

Wenn die Zeitpunkte t∗ i<br />

wurden, so verläuft die Bestimmung von ∆t∗ i<br />

Maßstab von<br />

(193)<br />

grafisch über eine Bestgerade durch die Messpunkte bestimmt<br />

anders. Wir nehmen an, es wurde ein<br />

1 cm ∧<br />

= 1 min (194)<br />

gewählt. Auf Millimeter-Papier kann man guten Gewissens auf einen halben Millimeter<br />

genau ablesen. Da 1 cm = 1 min = 60 s muß sofort 1 mm = 6 s sein, und die Ablesbar-<br />

keit von ∆x = 0, 5 mm muß dann ∆t ∗ i = 3 s entsprechen. Mit den absoluten Größen t ∗ i<br />

sind dann die relativen Unsicherheiten ∆t∗ i<br />

t ∗ i<br />

Unsicherheit nach Gleichung (193).<br />

bestimmbar, und damit die mittlere relative<br />

Nun können wir den Größtfehler von k mit Hilfe von Gleichung (190) bestimmen. Da der<br />

relative Fehler ∆t∗ i<br />

t∗ um den Faktor 100 kleiner ist als jener der Konzentrationen, können<br />

i<br />

wir ihn getrost ignorieren:<br />

∆k = 3, 54 · 10 −5 l<br />

mol · s · [0, 05 + 0, 05 + 0, 05] = 5, 31 · 10−6 l<br />

mol · s<br />

7.3 Führende Nullen und signifikante Ziffern<br />

(195)<br />

Nachdem wir nun endlich sowohl den Zahlenwert der Geschwindigkeitskonstanten selbst<br />

auch die des Fehlers kennen, ist es uns nun möglich, ein Versuchsergebnis anzugeben.<br />

Ein Beispiel hierfür wäre etwa:<br />

k = (3, 53667 ± 0, 05310988793) · 10 −5 l<br />

mol · s<br />

(196)<br />

wie man es häufig in Versuchs-Protokollen liest. Es ist unnötig zu sagen, daß eine derartige<br />

Angabe eines Versuchsergebnisses alles andere als wissenschaftlich ist. Eine derartige<br />

84


7 Fehlerbetrachtung<br />

−11 l<br />

Angabe suggeriert, man könne die Geschwindigkeitskonstante bis auf 10 mol·s genau<br />

−16 l<br />

messen, und der Fehler wäre bis auf 10 genau bekannt. Beide Annahmen sind<br />

mol·s<br />

natürlich falsch. Es stellt sich uns also die Frage, auf wieviele Nachkommastellen ein<br />

Versuchsergebnis und seine Unsicherheit angegeben werden darf!<br />

Betrachten wir die beiden Zahlen 5 und 5, 00. Aus mathematischer Sicht haben diese<br />

Zahlen die gleiche Bedeutung. In Naturwissenschaft und Technik enthalten beide Zahlenangaben<br />

darüber hinaus Angaben über die Unsicherheiten dieser Zahlenwerte. Da<br />

jeder Messwert, und damit jede von Messwerten abgeleitete Größe (wie etwa unsere<br />

Geschwindigkeitskonstante) mit Messunsicherheiten behaftet sind, kann ein Messwert<br />

niemals absolute Genauigkeit haben. Daher muß zusätzlich zu einem Messwert eine Angabe<br />

über dessen Unsicherheiten gemacht werden. Ferner soll jeder Messwert soviele<br />

Informationen wie möglich enthalten, darf aber keine Fehlinformationen wiedergeben.<br />

Anders ausgedrück muß jede Ziffer in einem Messwert signifikant, also bedeutsam sein.<br />

Daher muß jedes Messergebnis, und jede aus Messergebnissen abgeleiteten Größen so<br />

gerundet werden, daß nur die letzte Stelle im Rahmen der Messunsicherheiten schwankt.<br />

Die Stellenanzahl eines Zahlenwertes enthält implizit auch eine Information über die<br />

Genauigkeit dieses Wertes. Im Rahmen der allgemein geltenden Rundungsregel bedeutet<br />

die Angabe einer Messgröße ¯y = 5 bzw. ¯y = 5, 00, daß der wahre Wert ˆy in einem Intervall<br />

um die angegebene Größe liegt:<br />

¯y = 5 4, 5 ≤ ˆy < 5, 5 (197)<br />

¯y = 5, 00 4, 95 ≤ ˆy < 5, 05 (198)<br />

Somit darf die letzte, noch angegebene Stelle ungenau sein (geschätzt oder gerundet) und<br />

im Rahmen der Messunsicherheiten ( ” Messfehler“) schwanken. Alle anderen Ziffern des<br />

Messwertes dürfen nicht mehr schwanken. Jene Ziffern, die im Rahmen der Messungenauigkeiten<br />

als sicher gelten, werden als signifikante Stellen der Messgröße bezeichnet.<br />

Auf einem handelsüblichen Lineal beträgt die Skaleneinteilung ∆x = 1, 0 mm und nicht<br />

∆x = 1 mm. Dies liegt daran, daß wir mit einem derartigen Lineal ohne Schwierigkeiten<br />

eine Strecke von 0, 5 mm ablesen können. Die Ablesbarkeit des Lineals beträgt daher<br />

0, 5 mm. Durch die Ablesbarkeit des Lineals ist also die Messunsicherheit, welche jedem<br />

Messprozess mit diesem Lineal zugrunde liegt, festgelegt. Wir können daher eine Strecke<br />

mit einem derartigen Lineal auf 0, 5 mm genau ablesen, eine Streckenangabe in mm<br />

kann daher auf eine Nachkommastelle genau erfolgen. Daher bedeutet eine Angabe wie<br />

34, 5 mm, daß der wahre Wert irgendwo zwischen 34, 0 mm und 35, 0 mm liegt, was<br />

genau der Skaleneinteilung des Lineals entspricht!<br />

Rundungsregel 1: Ist die erste nicht-signifikante Ziffer<br />

dS+1 > 5, so wird die letzte signifikante Ziffer um 1<br />

erhöht. Bsp.: Rundung auf S = 2 signifikante Ziffern,<br />

8, 4716 wird zu 8, 5<br />

85


7 Fehlerbetrachtung<br />

Rundungsregel 2: Ist die erste nicht-signifikante Ziffer<br />

dS+1 < 5, so bleibt die letzte signifikante Ziffer unverändert.<br />

Bsp.: Rundung auf S = 2 signifikante Ziffern,<br />

3, 82775 wird zu 3, 8<br />

Rundungsregel 3: Ist die erste nicht-signifikante Ziffer<br />

dS+1 = 5, so wird die letzte signifikante Ziffer auf<br />

die nächste gerade Zahl gerundet. Dadurch werden Verzerrungen<br />

in der statistischen Verteilung der Messwerte<br />

vermieden. Bsp.: Rundung auf S = 2 signifikante Ziffern,<br />

2, 352082 wird zu 2.4, 7, 45482 wird zu 7, 4<br />

Wenn die Stelle vor dem Komma eine Null ist, und noch mehrere Stellen nach dem<br />

Komma Nullen sind, bis die erste von Null verschiedene Ziffer erscheint, so wird von<br />

führenden Nullen gesprochen. Führende Nullen sind keine signifikanten Ziffern. Dies<br />

liegt daran, daß man sämtliche führende Nullen bedenkenlos durch die Verwendung von<br />

Zehnerpotenzen 10 m , m = 0, −1, −2, . . . ersetzen kann:<br />

0, 000477842 = 4, 77842 · 10 −4<br />

0, 0209003027 = 2, 09003027 · 10 −2<br />

0, 00000675109125 = 6, 75109125 · 10 −6<br />

(199)<br />

(200)<br />

(201)<br />

Wenn zwischen von Null verschiedenen Ziffern Nullen stehen (wie etwa die 0 in 102, 59<br />

oder 3, 01 oder 10, 94 oder 6, 97015), dann sind diese Nullen auf jeden Fall signifikant.<br />

Sind mehrere Ziffern am Ende eines Messwertes, aber links des Kommas Nullen, so<br />

sind diese möglicherweise signifikant. Allerdings ist das der Zahl von vornherein nicht<br />

anzusehen:<br />

¯F = 1200 N (202)<br />

Impliziert, daß der wahre Wert der Kraft F zwischen 1195 und 1205 N liegen kann.<br />

Allerdings ließe sich diese Kraft auch wie folgt in der wissenschaftlichen Notation<br />

darstellen:<br />

¯F = 1, 2 · 10 3 N (203)<br />

was bedeutet, daß der wahre Wert F der Kraft zwischen 1150 und 1250 N liegen kann.<br />

Ebenso könnte man die Kraft durch Verwendung griechischer Vorsilben für die Zehnerpotenz<br />

korrekt angeben:<br />

¯F = 1, 2 kN (204)<br />

Wollte man jedoch die Kraft wirklich auf ∆F = 5 N genau angeben, so wie es in Gleichung<br />

(202) nicht-eindeutig gemeint ist, so wäre die korrekte wissenschaftliche Angabe:<br />

¯F = 1, 200 · 10 3 N (205)<br />

Wenn jedoch Nullen am Ende eines Messergebnisses, aber rechts des Kommas angegeben<br />

werden, so werden diese Nullen als signifikant betrachtet, und sie legen die<br />

Grenzen der Unsicherheit der Messgröße fest. Bei einer Angabe eines Wertes wie etwa<br />

¯y = 7, 004000 (206)<br />

86


7 Fehlerbetrachtung<br />

sind alle Nullen signifikant. Die beiden Nullen nach dem Komma sind signifikant, da sie<br />

zwischen von Null verschiedenen, signifikanten Ziffern stehen. Die drei Nullen am Ende<br />

des Wertes sind signifikant, da sie den Intervall festlegen, in welchem sich Der wahre<br />

Wert ˆy befindet:<br />

7, 003995 ≤ y < 7, 004005 (207)<br />

Wenn wir also irgendwo (in einer Publikation, in einem Lehrbuch, in einem Protokoll...)<br />

einen Wert mit Nullen am Ende einer Zahl, aber rechts des Kommas wie etwa in (206)<br />

lesen, so müssen wir davon ausgehen, daß der Autor gemeint hat, das die Nullen signifikant<br />

sind, und uns Informationen über die Messunsicherheit dieses Zahlenwertes liefern.<br />

Betrachten wir den Messwert ¯y = 6482, 849200. Die beiden Nullen am Ende der Zahl<br />

scheinen offenbar signifikant zu sein. Wir müssen davon ausgehen, daß der wahre Wert ˆy<br />

irgendwo zwischen 6482, 849195 und 6482, 849205 liegt. Bevor wir uns der Anzahl signifikanter<br />

Ziffern in dieser Zahlenangabe zuwenden, fragen wir uns, wie diese Zahl allgemein<br />

aufgebaut ist. Wir können diese Zahl wie folgt aus Zehnerpotenzen zusammensetzen:<br />

¯y = 6482, 849200 = 6000 + 400 + 80 + 2 + 0, 8 + 0, 04 + 0, 009 +<br />

+ 0, 0002 + 0, 00000 + 0, 000000 (208)<br />

= 6 · 10 3 + 4 · 10 2 + 8 · 10 1 + 2 · 10 0 + 8 · 10 −1 + 4 · 10 −2 + 9 · 10 −3 +<br />

+ 2 · 10 −4 + 0 · 10 −5 + 0 · 10 −6<br />

= K + M (209)<br />

Hierbei ist K die sog. Kennzahl des Messwerts ¯y in (209) und M ist die sog. Mantisse.<br />

Wenn wir als Di ∈ {0, 1, 2, . . ., 9} die Ziffern der Zehnerpotenzen der Kennzahl K, und<br />

dj ∈ {0, 1, 2, . . ., 9} die Ziffern der Mantisse des Messwert bezeichnen, so läßt sich der<br />

Messwert allgemein wie folgt schreiben:<br />

¯y = K + M<br />

<br />

N<br />

=<br />

j=0<br />

Dj · 10 j<br />

Es gilt also allgemein für die Kennzahl K:<br />

<br />

N<br />

K =<br />

und für die Mantisse M:<br />

<br />

+<br />

n<br />

i=1<br />

di · 10 −i<br />

= DND(N−1)D(N−2) . . .D2D1D0, d1d2 . . .dn<br />

M =<br />

j=1<br />

n<br />

i=1<br />

Dj · 10 j<br />

di · 10 −i<br />

<br />

<br />

<br />

= (210)<br />

(211)<br />

(212)<br />

(213)<br />

Im Falle des Messwerts ¯y = 6482, 849200 wäre N = 4, n = 6. Die Ziffern der Zehnerpotenzen<br />

der Kennzahl K wären D0 = 2, D1 = 8, D2 = 4, D3 = 6, und die Ziffern der<br />

87


7 Fehlerbetrachtung<br />

Zehnerpotenzen der Mantisse M wären d1 = 8, d2 = 4, d3 = 9, d4 = 2, d5 = 0 und<br />

d6 = 0. Da die Mantisse aus ihrer Definition heraus immer kleiner als 1 ist, erhalten<br />

wir unseren Messwert, wenn wir Kennzahl K und Mantisse M einfach addieren. Wir<br />

erhalten den Messwert aber auch dann wenn wir die Ziffern Dj der Zehnerpotenzen der<br />

Kennzahl K nebeneinander schreiben, und davon durch ein Komma abgetrennt die Ziffern<br />

di der Mantisse M. Was wir durch diese komplizierte Betrachtung gewonnen haben,<br />

ist eine einfache Methode, die Anzahl S signigikanter Ziffern eines Messwertes<br />

anzugeben:<br />

S = N + n (214)<br />

Wir sehen, daß die Zahl 6482, 849200 auf S = 10 signifikante Stellen genau angegeben ist.<br />

Allerdings ist entspricht die Angabe eines Messwertes in der Art von ¯y = 6482, 849200<br />

nicht ganz der wissenschaftlichen Notation. Man könnte diese Zahl unter Einführung der<br />

Zehnerpotenz 10 3 auch wie folgt schreiben:<br />

¯y = 6, 482849200 · 10 3<br />

Dies entspricht der sog. wissenschaftlichen Notation , welche wir stets anwenden wollen.<br />

Die Kennzahl K ist jetzt K = 6 und die Mantisse M ist nun M = 0, 482849200. Nun ist<br />

N = 1 und n = 9. Der Exponent E hat den Wert E = 3. Die Anzahl signifikanter Stellen<br />

S = 10 hat sich durch diese Umschreibung nicht geändert. Allerdings haben sich nun die<br />

Ziffern der Zehnerpotenzen geändert. Jetzt ist D0 = 6, d1 = 4, d2 = 8, d3 = 2, d4 = 8,<br />

d5 = 4, d6 = 9, d7 = 2, d8 = d9 = 0. Die wissenschaftliche Notation einer Messgröße<br />

lautet allgemein:<br />

¯y = D0, d1d2d3 . . .dN−1 · 10 E [y] = (215)<br />

<br />

n+N−1 <br />

= D0 + di · 10 −i<br />

<br />

· 10 E [y] = (216)<br />

i=1<br />

= (K + M) · 10 E [y] (217)<br />

Und die wissenschaftliche Notation eines Messergebnisses ist:<br />

y = (¯y ± σ¯y) [y] (218)<br />

In der wissenschaftlichen Notation wird die Kennzahl stets auf eine Dezimalstelle DN<br />

angegeben. Das bedeutet, daß wir die Dezimalstellen DN−1 bis D0 um N − 1 Stellen<br />

nach rechts (jenseits des Kommas) verschieben. Dies erreichen wir, indem wir die ursprüngliche<br />

Zahl (211) mit 10 E , E = 1 − N multiplizieren. Hierbei bedeuten:<br />

• ¯y: die arithmetische Mittelwert (Bestwert) der Messgröße<br />

• K: die charakteristische Zahl oder Kennzahl der Messgröße<br />

• N: Die Anzahl siginifikanter Stellen der Kennzahl K<br />

• M: die Mantisse der Messgröße<br />

88


7 Fehlerbetrachtung<br />

• n: die Anzahl signifikanter Stellen der Mantisse M<br />

• DN: die erste und einzige signifikante Dezimalstelle vor dem Komma<br />

• Dj: j = 0, 1, 2, . . ., N allgemein die (j + 1). signifikante Dezimalstelle vor dem<br />

Komma<br />

• d1: die erste signifikante Dezimalstelle nach dem Komma<br />

• di: i = 1, 2, . . ., n allgemein die i. signifikante Dezimalstelle nach dem Komma<br />

• d1, d2, 3, . . ., dn: die Aneinanderreihung aller signifikanten Dezimalstellen nach dem<br />

Komma wird auch als Mantisse bezeichnet<br />

• E = 1 − N: der Exponent; ist E = 0, 1, so wird auf die Angabe ” ·10 E “ verzichtet,<br />

und der Messwert statt dessen ausgeschrieben<br />

• σ¯y : die Varianz des Mittelwertes<br />

• [y]: Die <strong>physikalische</strong> Einheit der Messgröße y<br />

Anmerkung: Nur die letzte Dezimalstelle dn darf im Rahmen der Messunsicherheiten,<br />

welche entweder durch die Varianz σ¯y oder den Größtfehler ∆¯y charakterisiert<br />

werden, schwanken. Allerdings kann es vorkommen, daß auch<br />

die vorletzte Stelle d(n−1) schwankt. Sofern beide Dezimalstellen innerhalb<br />

der durch die Messunsicherheit festgelegten Grenzen nicht jeden<br />

beliebigen Wert annehmen können, sind sie signifikant.<br />

Zur Übung setzen wir die Zahl ¯y = 6, 482849200 · 10 3 aus ihren Dezimalstellen nach<br />

der wissenschaftlichen Notation (215) zusammen. Für die Ziffern der Dezimalstellen der<br />

Zahl gilt, wie wir bereits festgestellt haben: D0 = 6, d1 = 4, d2 = 8, d3 = 2, d4 = 8,<br />

d5 = 4, d6 = 9, d7 = 2, d8 = d9 = 0. Ferner ist die Anzahl signifikanter Stellen der<br />

Kennzahl N = 1, und jene der Mantisse n = 9. Der Exponent ist E¯y = 3. Die Kennzahl<br />

K¯y des Messwertes ¯y ist gegeben durch:<br />

Die Mantisse M¯y wird zu:<br />

K¯y = D0 · 10 0 = 6 · 10 0 = 6 · 1 = 6<br />

M¯y = d1 · 10 −1 + d2 · 10 −2 + d3 · 10 −3 + d4 · 10 −4 + d5 · 10 −5 + d6 · 10 −6<br />

+ d7 · 10 −7 + d8 · 10 −8 + d9 · 10 −9 =<br />

= 4 · 10 −1 + 8 · 10 −2 + 2 · 10 −3 + 8 · 10 −4 + 4 · 10 −5 + 9 · 10 −6 +<br />

+ 2 · 10 −7 d + 0 · 10 −8 + 0 · 10 −9 =<br />

= 0, 4 + 0, 08 + 0, 002 + 0, 0008 + 0, 00004 + 0, 000009 +<br />

+ 0, 0000002 + 0, 00000000 + 0, 000000000 =<br />

= 0, 482849200<br />

89


7 Fehlerbetrachtung<br />

wenn wir nun K¯y und M¯y addieren und den Exponenten E¯y = 3 berücksichtigen, so<br />

erhalten wir unsere Zahl:<br />

¯y = (K¯y + M¯y) · 10 E¯y = (6 + 0, 482849200) · 10 3 = 6, 482849200 · 10 3<br />

Um die sehr theoretisch anmutende Darlegung des Sachverhalts weiter zu verdeutlichen,<br />

seien hier einige Beispiele für Werte und die Anzahl deren signifikanten Ziffern gegeben:<br />

Messwert wissenschaftl. Notation Anzahl signifikanter Ziffern<br />

5 5 1<br />

5, 00 5, 00 3<br />

0, 005 5 · 10 −3 1<br />

12000 1, 2 · 10 4 2<br />

925600 9, 256 · 10 5 4<br />

9, 256 9, 256 4<br />

9, 2560 9, 2560 5<br />

9, 2560 · 10 7 9, 2560 · 10 7 5<br />

9, 2560 · 10 −3 9, 2560 · 10 −3 5<br />

0, 00325 3, 25 · 10 −3 3<br />

0, 0032500 3, 2500 · 10 −3 5<br />

Tabelle 9: Signifikante Ziffern in Messwerten<br />

Wir wollen uns noch einmal den Unterschied zwischen signifikanten und nicht-signifikanten<br />

Nullen vor Augen führen:<br />

0, 000<br />

<br />

nicht signifikant<br />

51<br />

signifikant<br />

<br />

00 37 00<br />

signifikant<br />

= 5, 1003700 · 10 −4<br />

Bislang haben wir uns nur Gedanken über die Genauigkeit einer Zahl gemacht, wenn der<br />

” Fehler“ bzw. die Messunsicherheit nicht explizit mit angegeben wurde. Der bisher dargelegte<br />

Sachverhalt ändert sich nämlich ein wenig, wenn zusätzlich zum Mittelwert ¯y der<br />

Messgröße y eine Messunsicherheit σ¯y gegeben ist. Dann wird die Anzahl signifikanter<br />

Stellen der Messgröße durch die Messunsicherheit festgelegt. Ferner muß die Messunsicherheit<br />

σ¯y immer in Relation zum Mittelwert ¯y betrachtet werden. Wir wollen uns nun<br />

folgende Regeln für die Angabe von Messwerten und deren Unsicherheiten ( Fehler“)<br />

”<br />

merken, die wir dann im folgenden einzeln besprechen:<br />

Regel 1: Eine signifikante Ziffer kann im Rahmen der<br />

Messunsicherheiten nicht jeden beliebigen Wert annehmen.<br />

Sie schwankt innerhalb der vom Fehler bzw. von<br />

der Messunsicherheit angegebenen Grenzen.<br />

90


7 Fehlerbetrachtung<br />

Regel 2: Eine nicht-signifikante Ziffer kann im Rahmen<br />

der Messunsicherheiten jeden beliebigen Wert annehmen.<br />

Sie besitzt daher keinerlei Aussagekraft .<br />

Regel 3: Der Messwert ¯y wird in der wissenschaftlichen<br />

Notation nach (218) und (215) angegeben. Die<br />

Kenngröße des Messwerts sollte dabei auf eine (signifikante)<br />

Stelle DN angegeben werden.<br />

Regel 4: Die letze signifikante Stelle eines Messwertes<br />

sollte von der gleichen Größenordnung sein wie die<br />

Messunsicherheit.<br />

Regel 5: Messunsicherheiten werden auf eine Dezimalstelle<br />

gerundet, es sei denn, die erste signifikante Ziffer<br />

der Messunsicherheit ist eine 1, und die zweite ist<br />

verschieden von Null.<br />

Regel 6: Beginnt die Messunsicherheit (der ” Fehler“)<br />

mit einer 1, so wird bei der Angabe der Messungenauigkeit<br />

eine Stelle mehr als sonst mit angegeben, sofern die<br />

zweite signifikante Ziffer der Messunsicherheit verschieden<br />

von 0 aber kleiner als 5 ist. Anderenfalls begeht man<br />

einen relativ großen Rundungsfehler.<br />

Regel 7: Bei Zwischenrechnungen werden sowohl<br />

beim Messwert als auch bei seiner Unsicherheit eine,<br />

vielleicht zwei Stellen mehr mit angegeben, um numerische<br />

Effekte zu vermeiden, welche das Endergebnis beeinflussen<br />

könnten.<br />

Regel 8: Relativ große Rundungsfehler bei der Messunsicherheit<br />

können in Kauf genommen werden, wenn<br />

sich die Anzahl signifikanter Stellen der Messgröße dadurch<br />

nicht auf zwei oder eins verringert.<br />

Regel 9: Verringert sich bei der Rundung der Messunsicherheit<br />

die Anzahl der signifikanten Stellen der Messgröße<br />

auf eins, so sollten Messunsicherheit und Messgröße<br />

auf eine Stelle mehr als üblich angegeben werden.<br />

Zur Verdeutlichung dieser Regeln betrachten wir nun eine Reihe von Beispielen, welche<br />

die Bedeutung der Regeln veranschaulichen sollen. Weiterhin ist anzumerken, daß es<br />

sich um Regeln und nicht um verbindliche Gesetze handelt. Dies liegt daran, daß man<br />

91


7 Fehlerbetrachtung<br />

bei der Angabe von Messgröße und Messunsicherheit die Messunsicherheit immer in<br />

Relation zur Messgröße betrachten muß. Verschiedene Autoren behandeln diese Regeln<br />

unterschiedlich verbindlich. Letzendlich kann nur die kritische Auseinandersetzung mit<br />

Messgeräten, Messmethode, Messvorgang, Messgröße und Messunsicherheit sicherstellen,<br />

daß die Angabe eines Messergebnisses wissenschaftlich sinnvoll ist!<br />

Nehmen wir an, die Auswertung eines Versuchs ergibt den numerischen Wert einer<br />

Messgröße ¯y = 0, 0038614 und seine Varianz bestimmt sich zu σ¯y = 0, 000010398.<br />

Wie lautet die wissenschaftliche Notation dieser Mesgröße? Man würde die Messgröße<br />

¯y = 3, 8614 ·10 −3 schreiben. Die Messunsicherheit σ¯y bringen wir auf die gleiche Größenordnung<br />

und erhalten σ¯y = 0, 0010398 · 10 −3 . Wir erkennen, daß die Messunsicherheit<br />

von der Größenordnung 10 −5 ist. Wir können die Messgröße ¯y also auch nur auf diese<br />

Größenordnung genau angeben. Da wir die Messunsicherheit nach Regel 5 auf eine<br />

Dezimalstelle (signifikante Stelle) runden sollen, erhalten wir σ¯y = 0, 01 · 10 −3 und die<br />

wissenschaftliche Notation lautet:<br />

y = (3, 86 ± 0, 01) · 10 −3<br />

In dieser Angabe ist die erste signifikante Ziffer des Kennwertes D0 = 3. Die Ziffern der<br />

Dezimalstellen der Mantisse lauten d1 = 8 und d2 = 6. Aus dieser Angabe erkennen<br />

wir, daß nur die letzte Stelle d2 = 6 des Ergebnisses schwanken kann, denn Der wahre<br />

Wert ˆy liegt in einem Intervall 3, 85 · 10 −3 ≤ ˆy < 3, 87 · 10 −3 . Die letzte Stelle d2 = 6<br />

des Messergebnisses kann also nur die Werte d2 ∈ {5, 6, 7} annehmen, was bedeutet: sie<br />

schwankt im Rahmen der Messunsicherheit. Daher ist sie signifikant.<br />

Wenn die Messunsicherheit doppelt so groß wäre, dann wäre σ¯y = 0, 02 · 10 −3 und das<br />

Messergebnis in der wissenschaftlichen Notation lautete:<br />

y = (3, 86 ± 0, 02) · 10 −3<br />

Der wahre Wert ˆy liegt nun in einem Intervall 3, 84 · 10 −3 ≤ ˆy < 3, 88 · 10 −3 . Die letzte<br />

Stelle d2 = 6 des Messergebnisses kann jetzt die Werte d2 ∈ {4, 5, 6, 7, 8} annehmen,<br />

was bedeutet: sie schwankt im Rahmen der Messunsicherheit. Noch immer ist die letzte<br />

Stelle als signifikant anzusehen.<br />

Was aber passiert, wenn wir jetzt den Wert der Messunsicherheit verdreifachen auf<br />

σ¯y = 0, 03 · 10 −3 ? Das Messergebnis wäre dann:<br />

y = (3, 86 ± 0, 03) · 10 −3<br />

Der wahre Wert ˆy liegt jetzt in einem noch größeren Intervall: 3, 83 · 10 −3 ≤ ˆy <<br />

3, 89 · 10 −3 und die letzte Stelle d2 = 6 kann noch mehr verschiedene Werte annehmen:<br />

d2 ∈ {3, 4, 5, 6, 7, 8, 9}. Aber noch immer ist diese Stelle als signifikant anzusehen,<br />

denn sie schwankt noch immer innerhalb der Grenzen der Messunsicherheit.<br />

92


7 Fehlerbetrachtung<br />

Der Sachverhalt wird jedoch etwas komplizierter, wenn die Messunsicherheit den Wert<br />

σ¯y = 0, 04 · 10 −3 aufweist.<br />

y = (3, 86 ± 0, 04) · 10 −3<br />

Jetzt liegt der wahre Wert plötzlich in einem Intervall, in welchem auch die vorletze<br />

Stelle d1 = 8 des Messergebnisses schwanken kann: 3, 82 · 10 −3 ≤ ˆy < 3, 90 · 10 −3 . Wie<br />

wir erkennen, kann nun die vorletze Stelle die Werte d1 ∈ {8, 9} annehmen. Allerdings<br />

kann sie keine anderen Werte annehmen und schwankt damit im Rahmen der Messunsicherheit.<br />

Somit ist die vorletzte Stelle d2 = 8 als signifikant anzusehen. Wie ist es aber<br />

nun mit der letzten Stelle d2 = 6? Sie kann offenbar die Werte d2 ∈ {2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 0}<br />

annehmen. Allerdings kann sie noch immer nicht jeden beliebigen Wert annehmen, denn<br />

sie kann nicht gleich 1 werden. Somit ist auch bei σ¯y = 0, 04 · 10 −3 die Stelle d2 = 6 als<br />

signifikant anzusehen.<br />

Wäre die Messunsicherheit schließlich σ¯y = 0, 05 · 10 −3 , dann lautete das Ergebnis:<br />

y = (3, 86 ± 0, 05) · 10 −3<br />

und Der wahre Wert ˆy läge in einem Intervall 3, 81 · 10 −3 ≤ ˆy < 3, 91 · 10 −3 . Sowohl die<br />

letze Stelle d2 = 6 als auch die vorletzte Stelle d1 = 8 können schwanken. Die vorletze<br />

Stelle kann die Werte d1 ∈ {8, 9} annehmen, schwankt also innerhalb der Messunsicherheit<br />

ohne dabei jeden beliebigen Wert annehmen zu können und ist daher signifikant.<br />

Die letzte Stelle kann jetzt aber im Rahmen der Messunsicherheit jeden beliebigen Wert<br />

annehmen : d2 ∈ {2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 0, 1}. Somit besitzt sie keinerlei Aussagekraft und<br />

ist somit nicht mehr signifikant. Daher müssen wir die Messunsicherheit aufrunden:<br />

σ¯y = 0, 1 · 10 −3 . Ebenso müssen wir nun das Messergebnis auf die gleiche Stellenzahl<br />

runden: ¯y = 3, 9 · 10 −3 . Das Messergebnis in der wissenschaftlichen Notation lautet also<br />

jetzt:<br />

y = (3, 9 ± 0, 1) · 10 −3<br />

Der wahre Wert ˆy liegt jetzt im Intervall: 4, 0·10 −3 ≤ y < 3, 8·10 −3 . Wie wir sehen, sind<br />

jetzt wieder alle Stellen signifikant. Die Dezimalstelle D0 = 3 der Kenngröße kann jetzt<br />

die Werte K¯y ∈ {3, 4} annehmen, und die verbleibende Dezimalstelle der Mantisse die<br />

Werte d1 ∈ {9, 0}. Beide Stellen schwanken daher innerhalb der Grenzen der Messunsicherheit<br />

ohne jeden beliebigen Wert annehmen zu können und sind daher signifikant.<br />

Wir könnten jetzt das Spiel ewig so weitertreiben, und die Messunsicherheit σ¯y stufenweise<br />

vergrößern und die resultierenden Intervalle betrachten, woraus wir die signifikanten<br />

Stellen ablesen könnten. Wir wollen nun zum Abschluß noch zwei interessante Fälle betrachten,<br />

bei denen man die oben festgelegten Regeln nicht mehr streng beachtet.<br />

Wenn die Messunsicherheit den Wert σ¯y = 0, 5 ·10 −3 annähme, dann wäre das Ergebnis:<br />

y = (3, 9 ± 0, 5) · 10 −3<br />

(219)<br />

Der wahre Wert ˆy läge im Intervall 4, 4 · 10 −3 ≤ ˆy < 3, 4 · 10 −3 . Wir erkennen, daß die<br />

Stelle jetzt inerhalb der Grenzen der Messunsicherheit jeden beliebigen Wert annehmen<br />

93


8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />

könnte: d1 ∈ {4, 5, 6, 7, 8, 9, 0, 1, 2, 3}. Damit wäre sie nicht mehr als signifikant anzusehen<br />

und dürfte streng genommen nicht mehr mit angegeben werden. Streng genommen<br />

müßte man das Ergebnis auf y = (4 ± 1) · 10 −3 runden. Aber man begeht bei der Rundung<br />

der Messunsicherheit von σ¯y = 0, 5 · 10 −3 auf σ¯y = 1 · 10 −3 einen Rundungsfehler<br />

von 50%!!! Daher würde man in einem solchen Fall, bei dem die Anzahl signifikanter<br />

Stellen von 2 auf 1 reduziert würde, auf eine Rundung verzichten. Die Rundung hätte<br />

zwei große Nachteile: erstens verringerte sich die Anzahl signifikanter Stellen des Messergebnisses<br />

von 2 auf 1, zweitens ist der Rundungsfehler von 50% viel zu groß. Daher<br />

wäre die Angabe zwei signifikanter Stellen, wie es in Gleichung (219) gemacht wurde,<br />

dennoch sinnvoll, obwohl gegen die aufgestellten Regeln verstoßen wurde!<br />

Selbst bei einer Messunsicherheit von σ¯y = 1, 8 · 10 −3 würde man das Ergebnis auf zwei<br />

signifikante Stellen angeben und schreiben y = (3, 9 ± 1, 8) ·10 −3 . Dies geschieht auch in<br />

Übereinstimmung mit Regel 6.<br />

Wenn die Messunsicherheiten jedoch noch größer wären und bereits mehr als 50% des<br />

Messwertes beträgen, dann würde man nicht umhin kommen, das Messergebnis auf<br />

eine signifikante Stelle zu reduzieren. Wäre also etwa σ¯y = 2, 1 · 10 −3 , so würde die<br />

wissenschaftliche Notation des Messergebnisses lauten:<br />

y = (4 ± 2) · 10 −3<br />

(220)<br />

Wir erkennen, daß die Analyse und Angabe von Messergebnissen und Messunsicherheiten<br />

keineswegs trivial ist, und wohlüberlegt und vor allem sehr selbstkritisch vorgenommen<br />

werden sollte!<br />

7.4 Das Ergebnis<br />

Im Rahmen unseres Praktikumsversuchs wurde die Geschwindigkeitskonstante k der<br />

säurekatalysierten Acetoniodierung in der Näherung einer Reaktion pseudonullter Ordnung<br />

bei einer Raumtemperatur von 22, 5 ◦ C wie folgt bestimmt:<br />

k = (3, 5 ± 0, 5) · 10 −5 l<br />

mol · s<br />

(221)<br />

Der ermittelte Wert für die Geschwindigkeitskonstante stimmt im Rahmen der Messunsicherheiten<br />

sehr gut mit dem in [2] angegebenen Wert überein.<br />

8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />

8.1 Aufgabe 1<br />

Warum sollten bei photometrische Messungen Extinktionswerte größer als 2 möglichst vermieden<br />

werden?<br />

94


8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />

Die Antwort ergibt sich aus der Betrachtung des Lambert-Beer’schen Gesetzes. Dieses<br />

lautet nach Gleichung (114) unter Berücksichtigung der oben gegebenen Frage:<br />

<br />

I0<br />

E(I) = lg ≥ 2<br />

I<br />

Exponieren wir beide Seiten, nehmen also beide Seiten dieser Gleichung ” zehn hoch“, so<br />

erhalten wir:<br />

10 E(I) = I0<br />

I ≥ 102 = 100<br />

I0 ≥ 100 · I<br />

I ≤ 1<br />

100 I0<br />

Wenn die Intensität des aus der Küvette austretenden Lichtstrahls weniger als 1<br />

100 von<br />

I0, also weniger als 1% der Ausgangsintensität I0 beträgt, ist keine sinnvolle Messung<br />

der Extinktion mehr möglich, da optische Effekte, Kalibrierfehler und Streulicht eine zu<br />

große Störung der Messung darstellen.<br />

8.2 Aufgabe 2<br />

Eine in Wasser gelöste Substanz besitzt den molaren, dekadischen Extinktionskoeffizienten<br />

3 l<br />

ǫ = 10 und setzt bei einer durchstrahlten Schichtdicke von 1 cm die Intensität des<br />

mol·cm<br />

Lichtes auf 1 des ursprünglichen Wertes herab. Wie groß ist die Konzentration der Substanz?<br />

10<br />

Die Extinktion wird auch als Absorbanz“ bezeichnetund und beschreibt die Schwä-<br />

”<br />

chung des Lichtstrahls aufgrund der gelösten Substanz. Die Extinktion ist abhängig von<br />

der durchstrahlten Schichtdicke d und der Konzentration der gelösten Substanz. Nach<br />

Gleichung (117) und dem Lambert-Beer’schen Gesetz (114) gilt:<br />

<br />

I0<br />

E(c) = ǫ · c · d = lg<br />

I<br />

Aus der Aufgabenstellung wissen wir, daß I = 1<br />

10 I0 und d = 1 cm. So können wir einfach<br />

nach c auflösen und anschließend einsetzen:<br />

c = 1<br />

· lg<br />

ǫ · d<br />

c =<br />

1<br />

I0<br />

I<br />

<br />

103 · lg<br />

l · 1cm mol·cm<br />

= 10 −3mol<br />

l<br />

<br />

I0<br />

1<br />

10I0 <br />

· lg (10) = 1 mmol<br />

l<br />

95


8.3 Aufgabe 3<br />

8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />

Schreiben Sie Gleichung (146) mit Hilfe der Gleichungen (136), (137) und (138) in eine Differentialgleichung<br />

für cA um. Vereinfachen Sie die Differentialgleichung durch die Annahme<br />

c 0 H ≫ c0 A und bestimmen Sie die Lösung der vereinfachten Gleichung für den Fall c0 I < c0 A .<br />

Skizzieren Sie den Zeitverlauf von cA(t).<br />

Gleichung (146) lautet:<br />

dcI(t)<br />

dt = −k · cA(t) · cH(t)<br />

In dieser homogenen, linearen Differentialgleichung 1. Ordnung kommen 3 verschiedene<br />

Variablen vor: cI(t), cA(t) und cH(t). Wir müssen die beiden Variablen cI(t) und cH(t)<br />

irgendwie aus dieser Gleichung eliminieren oder in eine Funktion von cA(t) umwandeln.<br />

Betrachten wir zunächst Gleichung (136):<br />

∆cA(t) = ∆cI(t)<br />

Diese Gleichung besagt, daß pro Äquivalent Aceton auch ein Äquivalent Iod verbraucht<br />

wird, was sich ja auch aus den Reaktionsgleichungen ergibt. Gleichung (137) lautet:<br />

∆cH(t) = −∆cI(t)<br />

Kombinieren wir (136) mit (137), so erhalten wir:<br />

∆cH(t) = −∆cI(t) = −∆cA(t)<br />

Diese Gleichung sagt aus, daß pro Äquivalent Aceton, welches verbraucht wird, 1 Äquivalent<br />

H3O + -Ionen entsteht. Aus der Aufgabensellung entnehmen wir aber, daß zu Beginn<br />

der Reaktion bereits sehr viel mehr H3O + -Ionen vorhanden waren als Aceton. Nehmen<br />

wir an, wir haben zu Beginn der Reaktion 1000 Äquivalente H3O + -Ionen und nur 1<br />

Äquivalent Aceton. Wenn alles Aceton verbraucht ist, so ist dadurch 1 Äquivalent H3O +<br />

zusätzlich entstanden. Wir haben also nach der Reaktion 1001 Äquivalente H3O + -Ionen<br />

vorliegen.<br />

Anders ausgedrückt ändert sich die Konezentration cH(t) an H3O + -Ionen während der<br />

Reaktion kaum, wenn gilt c0 H ≫ c0A . Unter dieser Voraussetzung könnnen wir also schreiben:<br />

∆cH(t) ≈ 0<br />

Da ja ∆cH(t) = cH(t)−c 0 H<br />

wird unter Berücksichtigung dieser vereinfachenden Annahme:<br />

∆cH(t) = cH(t) − c 0 H ≈ 0<br />

H(t) ≈ H0<br />

Somit haben wir unsere Differentialgleichung bereits wesentlich vereinfacht:<br />

dcI(t)<br />

dt = −k · cA(t) · c 0 H<br />

96


8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />

Wir müssen nun noch die differentielle Konzentrationsänderung dcI(t) durch dcA(t) ausdrücken.<br />

Nun, die integrale Änderung der Konzentration von Iod ist ja durch z. B. durch<br />

Gleichung (137) gegeben. Gleichung (137) gilt daher erst recht für differentielle Konzentrationsänderungen.<br />

Dies können wir jedoch sehr einfach zeigen, wenn wir beide Seiten<br />

von Gleichung (137) nach t differenzieren:<br />

d<br />

dt ∆cA(t) = d<br />

dt ∆cI(t)<br />

d <br />

cA(t) − c<br />

dt<br />

0 d <br />

A = cI(t) − c<br />

dt<br />

0 I<br />

dcA(t)<br />

dt<br />

= dcI(t)<br />

dc 0 I<br />

Somit können wir die Differentialgleichung wie folgt umschreiben:<br />

dcI(t)<br />

dt = −k · cA(t) · c 0 dcA(t)<br />

H =<br />

dt<br />

und somit haben wir die Differentialgleichung für die Komponente cA(t) umgeschrieben.<br />

Wir können diese Differentialgleichung sehr einfach lösen, wenn wir die Variablen trennen<br />

und anschließend Integrieren:<br />

cA(t) <br />

c 0 A<br />

dcA(t)<br />

dt<br />

= −k · cA(t) · c 0 H<br />

dcA(t) = −k · cA(t) · c 0 H · dt<br />

1<br />

cA(t) dcA(t) = −k · c 0 H · dt<br />

1<br />

c ′ A (t)dc′ A(t) = −k · c 0 H ·<br />

ln (c ′ A (t))|cA(t)<br />

c0 A<br />

<br />

cA(t)<br />

ln<br />

c 0 A<br />

= −k · c 0 H<br />

= −k · t<br />

Exponieren wir die letzte Teilgleichung und lösen nach cA(t) auf, so erhalten wir das<br />

gesuchte Ergebnis:<br />

cA(t) = c 0 A · e −k·t<br />

97<br />

t<br />

0<br />

· t<br />

dt ′


cA(t)[mol · l −1 ]<br />

0.25<br />

0.2<br />

0.15<br />

0.1<br />

c ∗ A<br />

8.4 Aufgabe 4<br />

8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />

0<br />

0 1 2 3 4 5<br />

t ∗<br />

t[min]<br />

Abbildung 41: Zeitverlauf von cA(t) für den Fall c 0 I < c0 A<br />

Die Konzentration cA(t) eines Stoffes A nehme nach einem Zeitgesetz zweiter Ordnung ab,<br />

so dass<br />

dcA(t)<br />

2<br />

= −k · cA(t)<br />

dt<br />

Wie lautet das integrale Zeitgesetz mit c0 A als Anfgansgkonzentration? Skizzieren Sie den<br />

Zeitverlauf!<br />

Diese Aufgabe ist hauptsächlich ein mathematisches Problem, ebenso wie der Rest der<br />

chemischen Kinetik. Ähnlich wie in Aufgabe 3 müssen wir nur die Variablen trennen<br />

und anschließend integrieren. Die Anfangsbedingung lautet, daß zur Zeit t = 0 die<br />

98


8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />

Konzentration des Stoffes A gegeben sein soll durch cA(0) = c 0 A :<br />

cA(t) <br />

c 0 A<br />

dcA(t)<br />

= −k · cA(t)<br />

dt<br />

2<br />

dcA(t) = −k · cA(t) 2 dt<br />

1<br />

cA(t) 2dcA(t) = −k · dt<br />

1<br />

c ′ A (t)2dc′ A (t) = −k ·<br />

− 1<br />

c ′ A (t)<br />

<br />

cA(t)<br />

<br />

<br />

c0 A<br />

− 1<br />

cA(t) −<br />

<br />

− 1<br />

c0 <br />

A<br />

t<br />

0<br />

= −k · t<br />

= −k · t<br />

Aus dieser Gleichung erhalten wir nun zwei verschiedene Möglichkeiten, den zeitlichen<br />

Verlauf von cA(t) grafisch darzustellen. Einerseits ist es möglich, aus der letzten Glei-<br />

chung eine sog. ” linearisierte Auftragung“ zu erhalten, indem wir nach 1<br />

cA(t) auflösen<br />

und so eine Geradengleichung erhalten:<br />

1<br />

cA(t)<br />

y(x) = a · x + b<br />

= k · t + 1<br />

c 0 A<br />

In dieser Auftragung erhalten wir eine Gerade mit dem Ordinaten-Abschnitt 1<br />

c 0 A<br />

der Steigung k. Der Vorteil dieser Auftragung gegenüber der expliziten Auftragung von<br />

cA(t) liegt darin, daß der lineare Zusammenhang viel einfacher zu erkennen ist als der hyperbolische<br />

Kurvenverlauf. Anders ausgedrückt können wir mit Hilfe einer linearisierten<br />

Auftragung sehr viel einfacher entscheiden, ob der mathematische Ansatz, welchen wir<br />

bei der Aufstellung des differentiellen Zeitgesetzes verwendet haben, korrekt war oder<br />

nicht. Würden die Messpunkte in einer derartigen Auftragung deutlich vom linearen Verlauf<br />

abweichen, so müsste man das differentielle Zeitgesetz verändern, indem man etwa<br />

eine nicht-ganzzahlige Reaktionsordnung bezüglich A verwendet. Andererseits können<br />

wir diese Gleichung auch explizit nach cA(t) auflösen (nachrechnen!!!):<br />

cA(t) = c 0 A ·<br />

1 + c0 A<br />

99<br />

1<br />

· k · t<br />

dt ′<br />

und


8.5 Aufgabe 5<br />

c A (t) −1 [l·mol −1 ]<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

1<br />

c 0 A<br />

8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />

c A (t) −1<br />

0<br />

0 1 2 3 4 5<br />

t[min]<br />

Abbildung 42: Linearisierte Auftragung des Zeitverlaufs von cA(t)<br />

Skizzieren Sie den Zeitverlauf von cH, cP und cI. Nehmen Sie zur Lösung an, daß gilt:<br />

c0 I = 10.<br />

c 0 H<br />

Zur Lösung dieser Aufgabe stellen wir die integralen Zeitgesetze für cP(t), cI(t) und cH(t)<br />

unter Berücksichtigung der Forderung c0 I<br />

c0 = 10 auf. Wir gehen dabei von Gleichung 153<br />

H<br />

auf Seite 59 aus. Diese Gleichung beschreibt das differentielle Zeitgesetz für das Pordukt<br />

Acetoniodid AI, welches wir einfach als P für Produkt“ abkürzen.<br />

”<br />

dcP(t)<br />

dt = ˜ k · c 0 <br />

H + cP(t)<br />

wobei ˜ k = k · c 0 A = k · A0<br />

Die Lösung dieser linearen, homogenen Differentialgleichung 1. Ordnung erfolgt wieder<br />

über die Trennung der Variablen und anschließender Integration. Die Anfangsbedingungen<br />

lauten hierbei:<br />

t = 0 : cP(0) = 0<br />

100


cA(t)/mol · l −1 c0 A<br />

1.4<br />

1.2<br />

1<br />

0.8<br />

0.6<br />

0.4<br />

0.2<br />

8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />

cA(t)<br />

0<br />

0 1 2 3 4 5<br />

t[min]<br />

Abbildung 43: Auftragung des Zeitverlaufs von cA(t)<br />

Zu Beginn der Reaktion liegt also noch kein Produkt vor.<br />

1<br />

(c 0 H + cP(t)) dcP(t) = ˜ k · dt<br />

cP (t)<br />

1<br />

(c<br />

0<br />

0 H + c′ P (t))dc′ P (t) =<br />

t<br />

0<br />

˜kdt ′<br />

ln 0<br />

cH + c ′ P(t) cP(t) = 0<br />

˜ k · t ′<br />

<br />

<br />

ln 0<br />

cH + cP(t) − ln c 0 <br />

H = k ˜ · t<br />

<br />

0 cH + cP(t)<br />

ln<br />

= ˜ k · t<br />

c0 H<br />

c0 H + cP(t)<br />

c0 H<br />

= e ˜ k·t<br />

cP(t) = c 0 H ·<br />

t<br />

0<br />

<br />

e ˜ <br />

k·t − 1<br />

Somit haben wir bereits eine Gleichung erhalten, welche die Konzentration des Produkts<br />

Acetoniodid (AI = P) in Abhängigkeit von der Zeit beschreibt. Mit Hilfe der Gleichung<br />

(138) können wir den Umsatz des Produktes AI = P mit dem Umsatz von Iod in<br />

Beziehung setzen:<br />

∆cP(t) = −∆cI(t)<br />

cP(t) − c 0 P = − cI(t) − c 0 <br />

I<br />

Berücksichtigen wir wieder, daß zu Beginn der Reaktion die Konzentration des Produktes<br />

cP(0) gleich Null ist, so können wir c0 P = 0 setzen und erhalten:<br />

cP(t) = c 0 I − cI(t)<br />

101


und hieraus:<br />

8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />

cI(t) = c 0 I − cP(t)<br />

Da wir aber bereits einen Ausdruck für cP(t) gefunden haben, können wir somit auch<br />

den zeitlichen Verlauf der Iod-Konzentration bestimmen:<br />

<br />

e ˜ <br />

k·t − 1<br />

cI(t) = c 0 I − c 0 H ·<br />

Um nun den zeitlichen Verlauf der Konzentration der Hydroniumionen cH(t) zu bestimmen,<br />

kombinieren wir die Gleichungen (137) und (138) und erhalten daraus:<br />

Unter Berücksichtigung von c 0 P<br />

∆cP(t) = −∆cI(t) = ∆H(t)<br />

cP(t) − c 0 P = cH(t) − c 0 H<br />

= 0 wird:<br />

cH(t) = c 0 H<br />

+ cP(t)<br />

Setzen wir auch hier wieder unser bereits gewonnenes Ergebnis für cP(t) ein, so erhalten<br />

wir:<br />

cH(t) = c 0 H + c 0 <br />

H · e ˜ <br />

k·t − 1 = c 0 H + c 0 H · e ˜ k·t 0<br />

− cH = c 0 H · e ˜ k·t<br />

Fassen wir unsere Ergebnisse noch einmal zusammen:<br />

cP(t)<br />

c 0 H<br />

cI(t)<br />

c0 H<br />

cH(t)<br />

c0 H<br />

= e −˜ k·t − 1<br />

= c0 I<br />

c 0 H<br />

= e ˜ k·t<br />

Aus der Aufgabenstellung geht hervor, daß c0 I<br />

c 0 H<br />

− e ˜ k·t + 1<br />

= 10 gelten soll. Mit dieser Angabe<br />

können wir den Zeitpunkt t = t∗ bestimmen, bei der das gesamte Iod verbraucht ist,<br />

die Reaktion also zum Erliegen kommt. Wir gehen also davon aus, daß zum Zeitpunkt<br />

ein:<br />

t = t ∗ gelten soll: cI(t ∗ ) = 0. Wir setzen dies nun in die Gleichung für cI(t)<br />

c 0 H<br />

cI(t ∗ )<br />

c 0 H<br />

= 0 = 10 − e ˜ k·t∗ + 1<br />

0 = 11 − e ˜ k·t ∗<br />

e ˜ k·t∗ = 11<br />

t ∗ ln (11)<br />

=<br />

˜k<br />

Mit Hilfe des Zeitpunktes t = t ∗ können wir nun die Endkonzentrationen von cP(t) und<br />

cH(t) bestimmen, indem wir t = t ∗ in die entsprechenden Gleichungen einsetzen und<br />

102


ausrechnen:<br />

cP(t ∗ )<br />

c0 H<br />

cH(t∗ )<br />

c0 H<br />

8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />

= e ˜ k· ln(11)<br />

˜k − 1 = e ln(11) − 1 = 11 − 1 = 10<br />

= e ˜ k· ln(11)<br />

˜k = e ln(11) = 11<br />

Ebenso sind die Anfangskonzentrationen der einzelnen chemischen Spezies bekannt:<br />

cI(0)<br />

c 0 H<br />

cP(0)<br />

c0 H<br />

cH(0)<br />

c0 H<br />

= c0 I<br />

c 0 H<br />

= 0<br />

= 1<br />

− e 0 + 1 = 10 − 1 + 1 = 10<br />

Mit diesen Angaben können wir die gesuchten Konzentrationsverläufe einfach skizzieren:<br />

c(t)<br />

c0 H<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

c I(t)/c 0 H<br />

c H(t)/c 0 H<br />

c P (t)/c 0 H<br />

0<br />

0 0.5 1 1.5 2 2.5 3<br />

t[min]<br />

Abbildung 44: Auftragung des Zeitverlaufs von cP (t)<br />

c0 ,<br />

H<br />

cH(t)<br />

c0 H<br />

103<br />

und cI(t)<br />

c 0 H


8.6 Aufgabe 6<br />

8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />

Es soll eine Schwefelsäurelösung vom pH-Wert 1 hergestellt werden. Wie groß ist die Schwefelsäure(ausgangs)konzentration<br />

zu wählen? (Die Säure HSO − 4 besitzt den pKS-Wert 1, 9)<br />

Schwefelsäure ist eine zweiprotonige Säure. In Wasser wird sie in zwei Stufen protolysieren.<br />

Aus Erfahrung wissen wir, daß Schwefelsäure eine sehr starke Säure ist, zumindest<br />

die erste Protolyse-Stufe. Da weiterhin in der Aufgabenstellung nur der pKS-Wert der<br />

zweiten Protolyse-Stufe gegeben ist, können wir guten Gewissens davon ausgehen, daß<br />

der erste Protolyseschritt prktisch vollständig ist. Die zweite Protolyse-Stufe ist jedoch<br />

nicht vollständig, da HSO − 4 eine schwache Säure ist. Wir müssen also eine Gleichung<br />

finden, welche eine Beziehung zwischen der Konzentration c0 S der Schwefelsäure vor der<br />

Protolyse und der Konzentration der Hydroniumionen im Gleichgewicht c eq<br />

H3O + ≡ [H3O + ]<br />

herstellt. Die Konzentration an H2SO4-Molekülen in der Lösung vor Beginn der Protolyse<br />

sei c 0 S .<br />

Es sei an dieser Stelle auf die chemische Nomenklatur hingewiesen: c 0 A ≡ cA(0) wird als<br />

Ausgangskonzentration des Stoffes A (also zum Zeitpunkt t = 0) bezeichnet. Während<br />

eine Reaktion abläuft, ändern sich die Konzentrationen der einzelnen Stoffe. Während<br />

dieser Zeitspanne bezeichnen wir cA(t) als die Konzentration des Stoffes A zur Zeit t.<br />

Liegt eine Gleichgewichtsreaktion vor, so kommt die Reaktion zum Erliegen, wenn sich<br />

ein Gleichgewicht zwischen Hin- und Rückreaktionen eingestellt hat. Konzentrationen<br />

im Gleichgewicht werden üblicherweise als c eq<br />

A ≡ [A] bezeichnet. In eckige Klammern<br />

eingeschlossene Symbole bedeuten daher immer die Konzentrationen der entsprechenden<br />

Komponente im Gleichgewicht. Daher stehen im Massenwirkungsgesetz sämtliche<br />

chemische Komponenten immer in eckige Klammern, da sich das Massenwirkungsgesetz<br />

auf den Gleichgewichtsfall bezieht.<br />

Im hier vorliegenden Fall bedeutet dies, daß wir im Gleichgewichtsfall der Protolyse<br />

der Schwefelsäure keine H2SO4-Moleküle mehr in der Lösung vorliegen haben, also daß<br />

c eq<br />

H2SO4 ≡ [H2SO4] = 0 mol<br />

l ist. Wir betreiben daher auch keine kinetische Betrachtung,<br />

sondern eine thermodynamische, denn die Massenwirkungskonstante K der Protolyse<br />

ist eine thermodynamische Größe. Betrachten wir also die beiden Protolyse-Schritte der<br />

Schwefelsäure in wäßrigem Milieu:<br />

H2SO4 + H2O −→ HSO − 4 + H3O + ; K (1)<br />

S =?<br />

HSO − 4 + H2O −→ SO 2−<br />

4 + H3O + ; K (2)<br />

S = 10−1.9<br />

Wie wir bereits festgestellt haben, können wir die erste Protolysestufe ignorieren, da wir<br />

davon ausgehen, daß die erste Stufe praktisch vollständig protolysiert. Stellen wir nun<br />

für die zweite Stufe das Massenwirkungsgesetz auf:<br />

K ′(2)<br />

S<br />

= [SO2−<br />

4 ] · [H3O + ]<br />

[HSO − 4 ] · [H2O]<br />

104


8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />

Da sich die Konzentration von Wasser während der Protolysereaktion praktisch nicht<br />

ändert, kann [H2O] mit in die Säurekonstante einbezogen werden:<br />

K (2)<br />

S<br />

Lösen wir diese Gleichung nach [HSO − 4<br />

gleichung:<br />

= K′(2) S · [H2O] = [SO2−<br />

4 ] · [H3O + ]<br />

[HSO − 4 ]<br />

] auf, so erhalten wir unsere erste Bestimmungs-<br />

[HSO − 4 ] = [SO2−<br />

4 ] · [H3O + ]<br />

K (2)<br />

S<br />

(222)<br />

Die nächste wichtige Gleichung, welche wir zur Berechnung heranziehen, ist die La-<br />

”<br />

dungsneutralitätsbedingung“. Die Ladungsneutralitätsbedingung sagt einfach nur<br />

an positiven Ladungen der Sorte i (z.B.<br />

aus, daß die Summe an Konzentration c ⊕<br />

i<br />

i = Na + , H3O + , K + , . . .) identisch sein muß mit der Summe der Konzentrationen c ⊖ j<br />

an negativen Ladungen der Sorte j (z.B. j = Cl− , HSO − 4 , H2PO − 4 , . . .).<br />

N ⊕<br />

<br />

i=1<br />

c ⊕<br />

i =<br />

Hierbei gibt es jedoch eine wichtige Tatsache zu beachten: In dieser Formulierung der<br />

Ladungsneutralitätsbedingung treten nur einfach geladene Kat- und Anionen auf. Was<br />

aber ist, wenn ein Ionensorte zweifach oder dreifach geladen ist, wie etwa das Sulfat-<br />

Ion SO 2−<br />

4 oder das Phosphation PO 3−<br />

4 ? Die Ladungsneutralitätsbedingung bezieht sich<br />

auf die Ladungen, welche n Teilchen (Moleküle, Atome) gebunden sind. Daher muß bei<br />

mehrfach geladenen Ionen der Sorte Ladungsfaktor berücksichtigt werden. Gehen wir<br />

und die Anionen der Sorte j<br />

tragen. Dann lautet die Ladungsneutralitätsbedingung:<br />

N ⊖<br />

<br />

davon aus, daß die Kationen der Sorte i eine Ladung z ⊕<br />

i<br />

die Ladung z ⊖<br />

j<br />

N ⊕<br />

<br />

i=1<br />

z ⊕<br />

i · c ⊕<br />

i =<br />

j=1<br />

N ⊖<br />

<br />

j=1<br />

c ⊖<br />

j<br />

z ⊖<br />

j · c ⊖<br />

j<br />

Stellen wir nun die Ladungsneutralitätsbedingung für unsere Schwefelsäurelösung auf.<br />

Wenn wir unsere Lösung betrachten, so finden wir nur eine einzige Kationensorte, und<br />

zwar das Hydroniumion H3O + . Somit ist die Anzahl N ⊕ an verschiedenen Kationen<br />

gleich 1, und die Ladungszahl dieser Kationen ist z ⊕ 1 = 1. An Anionen befinden sich<br />

das Hydrogensulfation j = 1 : HSO − 4 mit einer Ladung z⊖ 1<br />

= 1 und das Sulfation<br />

j = 2 : SO 2−<br />

4 mit einer Ladungszahl z ⊖ 2 = 2 in unserer Lösung. Wir haben also N ⊖ = 2<br />

verschiedene Anionensorten in der Lösung vorliegen. Unsere Ladungsneutralitätsbedin-<br />

gung lautet daher:<br />

[H3O + ] = [HSO − 4 ] + 2 · [SO 2−<br />

4 ] (223)<br />

Hieraus erhalten wir ebenso eine Gleichung für die Konzentration der Hydrogensulfationen:<br />

[HSO − 4 ] = [H3O + ] − 2 · [SO 2−<br />

4 ] (224)<br />

105


8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />

Korrekterweis müsste man noch die Hydroxid-Ionen, welche sich durch die Autoprotolyse<br />

des Wassers bilden, berücksichtigen, jedoch ist deren Konzentration in saurem Milieu zu<br />

vernachlässigen. Subtrahieren wir Gleichung (224) von Gleichung (222), so erhalten wir:<br />

[SO 2−<br />

4 ] · [H3O + ]<br />

[K (2)<br />

S ]<br />

+ 2 · [SO 2−<br />

4 ] − [H3O + ] = 0<br />

Hieraus erhalten wir einen Ausdruck für die Konzentration der Sulfationen:<br />

[SO 2−<br />

4 ] = [H3O + ]<br />

[H3O + ]<br />

K (2)<br />

S<br />

+ 2<br />

(225)<br />

Neben der Ladungsneutralitätsbedingung muß noch eine weitere Bedingung erfüllt sein.<br />

Die Menge an Schwefelsäure, welche wir ursprünglich eingesetzt haben, muß natürlich<br />

. Diese Kon-<br />

erhalten bleiben. Die Gesamtkonzentration an H2SO4 in der Lösung ist c0 S<br />

zentration teilt sich auf in die Gleichgewichtskonzentration [HSO − 4 ] an Hydrogensulfationen<br />

und [SO 2−<br />

4 ]. Da wir davon ausgehe, daß die erste Protolysestufe der Schwefelsäure<br />

vollständig protolysiert ist, ist die Gleichgewichtskonzentration [H2SO4] gleich Null. Die<br />

Massenerhaltungsbedingung lautet somit:<br />

c 0 S = [HSO− 4<br />

] + [SO2− 4 ] (226)<br />

Aus der Ladungsneutralitätsbedingung Gleichung (223) erhalten wir:<br />

[H3O + ] − [SO 2−<br />

4 ] = [HSO− 4 ] + [SO2− 4 ]<br />

Kombinieren wir dies mit Gleichung (226), so wird<br />

c 0 S = [HSO− 4<br />

] + [SO2− 4 ] = [H3O + ] − [SO 2−<br />

4 ]<br />

Setzen wir nun Gleichung (225) für die Sulfationen-Konzentration ein, so wird:<br />

c 0 S = [H3O + ] − [H3O + ]<br />

[H3O + ]<br />

K (2) + 2<br />

S<br />

= [H3O + ] 2 + K (2)<br />

S · [H3O + ]<br />

[H3O + ] + 2 · K (2)<br />

S<br />

Berücksichtigen wir noch die Definition von pH und pK (2)<br />

S -Wert<br />

so erhalten wir:<br />

pH = 10 −[H3O + ]<br />

pK (2)<br />

S<br />

c 0 S = 10−pH ·<br />

= 10−K(2) S<br />

<br />

1 −<br />

1<br />

10 (pK(2)<br />

S −pH) + 2<br />

<br />

(227)<br />

(228)<br />

Damit können wir die Säureausgangskonzentration berechnen, welche notwendig ist, um<br />

einen gewünschten pH-Wert einzustellen. Lösen wir Gleichung (227) nach [H3O + ] auf,<br />

oder Gleichung (228) nach pH, so ist es möglich, ausgehend von einer vorgegebenen<br />

Säureausgangskonzentration c0 S den pH-Wert zu berechnen!<br />

106


A Wichtige Integrale<br />

A Wichtige Integrale<br />

<br />

dx = x + C (229)<br />

<br />

k · dx = k · dx = k · x + C mit k = const. (230)<br />

<br />

x n 1<br />

· dx =<br />

(n + 1) · x(n−1) <br />

n ∈ Z und n = −1<br />

+ C<br />

für n < 0 gilt x = 0<br />

<br />

1<br />

· dx = ln(x) + C<br />

x<br />

<br />

1<br />

· dx = ln (|a + x|) + C<br />

a + x<br />

<br />

(a · x + b)<br />

(231)<br />

(232)<br />

(233)<br />

n (a · x + b)n+1<br />

dx = + C für n = −1<br />

a · (n + 1)<br />

<br />

1 1<br />

dx = · ln (|a · x + b|) + C<br />

a · x + b a<br />

(234)<br />

(235)<br />

107


[1],[2],[3],[4],[5],[6],[7],[9],[8]<br />

A Wichtige Integrale<br />

108

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