grundlagenpraktikum physikalische chemie - Universität Regensburg
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<strong>Universität</strong> <strong>Regensburg</strong><br />
Institut für<br />
Physikalische und Theoretische Chemie<br />
Grundlagenpraktikum Physikalische Chemie<br />
Seminar zum Praktikum<br />
GRUNDLAGENPRAKTIKUM<br />
PHYSIKALISCHE CHEMIE<br />
für<br />
Studierende des Lehramts, der Biologie und der Bio<strong>chemie</strong><br />
4./2. Semester<br />
Herausgegeben von Alexander Maurer<br />
AK Theorie der Flüsigkeiten und Lösungen<br />
21. März 2007<br />
Versuch : 6., Acetoniodierung/Photometrie<br />
Praktikumsraum : CH 12.0.18<br />
Seminarraum : CH 11.0.18<br />
Assistent/Raum : Alexander Maurer / CH 13.2.41a
Inhaltsverzeichnis<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Literaturverzeichnis 4<br />
1 Motivation - Wozu Kinetik, wozu Photometrie? 5<br />
2 Ziel des Versuchs 6<br />
3 Grundlagen der chemischen Kinetik 6<br />
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik 11<br />
4.1 Irreversible Reaktion erster Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />
4.2 Irreversible Reaktion zweiter Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />
4.2.1 Allgemeine Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />
4.2.2 Äquimolare Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />
4.2.3 Reaktionen pseudo-erster Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />
4.3 Reversible Reaktion erster Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22<br />
4.4 Autokatalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />
5 UV-VIS Spektroskopie 31<br />
5.1 Physikalische Grundlagen: Was ist Licht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />
5.2 Wechselwirkung von Licht mit Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />
5.3 Das Spektralphotometer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />
5.4 Das Lambert-Beer’sche Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />
6 Die Iodierung von Aceton 49<br />
6.1 Der Mechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />
6.2 Die kinetischen Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />
6.3 Quasistationarität und Quasigleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />
6.4 Autokatalytische Aspekte der Acetoniodierung . . . . . . . . . . . . . . . 58<br />
6.5 Die Auswertungs-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />
6.6 Die praktische Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64<br />
6.7 Die Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69<br />
6.8 Die Summe aller Näherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73<br />
7 Fehlerbetrachtung 74<br />
7.1 Allgemeine Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74<br />
7.2 Abschätzung des Größtfehlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82<br />
7.3 Führende Nullen und signifikante Ziffern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84<br />
7.4 Das Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />
8 Aufgaben, Fragen und Antworten 94<br />
8.1 Aufgabe 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />
8.2 Aufgabe 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95<br />
8.3 Aufgabe 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96<br />
2
Inhaltsverzeichnis<br />
8.4 Aufgabe 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98<br />
8.5 Aufgabe 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100<br />
8.6 Aufgabe 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104<br />
A Wichtige Integrale 107<br />
3
Literatur<br />
Literatur<br />
[1] C. N. Banwell und E. M. McCash. Molekülspektroskopie. Oldenbourg Verlag<br />
München, Wien, 1999.<br />
[2] James P. Birk und David L. Walters. Three methods for studying the kinetics of the<br />
halogenation of acetone. J. Chem. Edu., 69(7):585–587, Juli 1992 1992.<br />
[3] Kenneth A. Connors. Chemical Kinetics. Wiley VCH, Weinheim, New York, 1992.<br />
[4] W. Gottwald und K. H. Heinrich. UV/VIS-Spektroskopie für Anwender. Wiley-VCH,<br />
Weinheim, New York, Chichester, 1998.<br />
[5] W. Göpel und H.-D. Wiemhöfer. Statistische Thermodynamik. Spektrum Akademischer<br />
Verlag, Heidelberg, Berlin, 2000.<br />
[6] H.-H. Kohler und O. Lossen. Skriptum zum Physikalisch-Chemischen Praktikum I<br />
(Grundlagenpraktikum) für Studierende des Lehramts, der Biologie und der Bio<strong>chemie</strong>.<br />
G. Schmeer, 2006.<br />
[7] Tony Owen. Grundlagen der modernen UV-Vis Spektroskopie. Hewlett Packard,<br />
1996.<br />
[8] John F. Taylor. Fehleranalyse. Wiley-VCH, Weinheim, New York, 1986.<br />
[9] G. Wedler. Lehrbuch der Physikalischen Chemie. Wiley-VCH, Weinheim, 1997.<br />
Kinetisch Untersuchungen chemischer Reaktionen sind nicht nur in der<br />
Chemie von zentraler Bedeutung. Auch in Biologie, Medizin und Bio<strong>chemie</strong><br />
spielt die Kinetik chemischer Reaktionen eine wichtige Rolle. Als einführendes<br />
Beispiel wird die Iodierung von Aceton betrachtet. Ausgehend von dem<br />
mehrstufigen Reaktionsmechanismus werden die kinetischen Gleichungen für<br />
die Konzentrationsänderungen der an der Reaktion beteiligten chemischen<br />
Spezies abgeleitet. Aufgrund der Komplexität der resultierenden, gekoppelten<br />
Differenialgleichungen müssen vereinfachende Annahmen gemacht werden,<br />
um eine mathematische Lösung der Differentialgleichungen zu erhalten.<br />
So lässt sich unter Anwendung des Quasistationaritätsprinzips von Bodenstein<br />
und hinreichend großer Substratkonzentrationen die Acetoniodierung<br />
als eine Reaktion pseudonullter Ordnung betrachten. Ausgehend von diesen<br />
Vereinfachungen ist die experimentelle Bestimmung der Geschwindigkeitskonstanten<br />
dieser Reaktion pseudonullter Ordnung sehr einfach. Da Iod als<br />
begrenzender Reaktand in wässriger Lösung farbig vorliegt, bietet sich die<br />
Photometrie als einfache Untersuchungsmethode an.<br />
4
1 Motivation - Wozu Kinetik, wozu Photometrie?<br />
1 Motivation - Wozu Kinetik, wozu Photometrie?<br />
Die Kinetik chemischer Reaktionen stellt eine wichtige Informationsquelle zur Charakterisierung<br />
und Handhabung einer chemischen Reaktion dar. Die Thermodynamik beschreibt<br />
die Stabilität eines Zustandes, in welchem ein Stoffsystem vorliegt, und ermöglicht<br />
so Aussagen über die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Stoffsystem einen bestimmten<br />
Zustand einnimmt. Die Thermodynamik trifft jedoch keinerlei Aussagen über den Weg,<br />
über welchen ein Stoffsystem von einem Zustand in einen anderen übergehen kann.<br />
Die Kinetik hingegen liefert Aussagen über den Weg, über den eine Zustandsänderung<br />
abläuft und über die Geschwindigkeit, mit der diese Zustandsänderung stattfindet.<br />
Betrachten wir als Stoffsystem ein Gemisch aus Edukten und als Zustandsänderung<br />
eine chemische Reaktion, so beschreibt die Thermodynamik die Stabilität von Edukten<br />
und Produkten und die Kinetik den Reaktionsweg und den zeitlichen Verlauf der<br />
Konzentrationsänderungen der einzelnen chemischen Spezies im Reaktionsgemisch. So<br />
ist die Kenntnis thermodynamischer und kinetischer Daten notwendig, um eine chemische<br />
Reaktion vollständig zu beschreiben. Dies ist notwendig, um chemische Reaktionen<br />
hinsichtlich Wirtschaftlichkeit und sicherheitstechnischer Überlegungen vor ihrer experimentellen<br />
Durchführung planen zu können, oder vom Labormaßstab auf die großtechnische<br />
Synthese übertragen zu können.<br />
Praktisch alle Biofunktionen der belebten Zelle lassen sich auf Enzymreaktionen zurückführen.<br />
So können auch Enzymreaktionen kinetschen Untersuchengen unterzogen<br />
werden und mit Hilfe der chemischen Kinetik betrachtet werden. So wird inzwischen<br />
eine Vielzahl an chemischen Produkten in Bioreaktoren großtechnisch gewonnen. Als<br />
Beispiele seien hier aufgeführt:<br />
• Alkoholische Gärung ()<br />
• Bäckerhefe<br />
• Reduktion von 2-Oxo-Carbonsäuren zu Aldehyden mittels Pyruvat-Decarboxylase<br />
• Synthese von (R)-Cyanhydrinen mittels Mandelonitril-Lyase<br />
• Enzymatische Reduktion mit NAD − H2 1 in der organischen Chemie<br />
Ferner können viele Erkrankungen über die Kinetik der beteiligten Enzymreaktionen<br />
erkannt werden, was in der medizinischen Diagnostik von unschätzbarem Wert ist. So<br />
lassen sich etwa viele Tumor- und Krebs-Erkrankungen über die gesteigerte Aktivität<br />
von Esterase-Enzymen 2 in Tumorzellen sicher diagnostizieren.<br />
Absorbiert einer der Reaktanden Licht im UV/VIS-Bereich (ca. 200 - 800 nm), so verläuft<br />
die chemische Reaktion unter einer Farbänderung der Reaktionslösung, während der<br />
1 Nicotinamid-Dinucleotid<br />
2 ein Enzym, welches einen Ester spalten kann<br />
5
2 Ziel des Versuchs<br />
entsprechende Reaktand verbraucht wird. Das bedeutet, dass der Verlauf einer derartigen<br />
chemischen Reaktion anhand des Vermögens der Reaktionslösung, elektromagnetische<br />
Stahlung im UV/VIS-Bereich zu absorbieren, verfolgt werden kann. Die UV/VIS-<br />
Spektrometrie, auch einfach als Photometrie bezeichnet, gestattet die Quantifizierung<br />
dieser Farbänderung mit der Zeit, und kann daher als gut etablierte, einfach handzuhabende<br />
Methode zur Untersuchung der Kinetik einer chemischen Reaktion angewandt<br />
werden.<br />
2 Ziel des Versuchs<br />
• Grundlagen der chemischen Kinetik<br />
• Grundlagen der Photometrie<br />
• Bestimmung der Geschwindigkeitskonstanten der Acetoniodierung unter Versuchsbedingungen,<br />
welche diese Reaktion als Reaktion pseudonullter Ordnung realisieren<br />
3 Grundlagen der chemischen Kinetik<br />
Wir betrachten eine einfache chemische Reaktion, [8] wie etwa die Ammoniak-Synthese:<br />
1<br />
2 N2 + 3<br />
2 H2 −→ NH3<br />
Die in dieser chemischen Reaktion auftretenden Faktoren vor den Reaktiospartnern, 1<br />
2<br />
vor N2, 3<br />
2 vor H2 und 1 vor NH3, werden stöchiometrische Koeffizienten genannt. Diese<br />
werden als νN2, νH2 und νNH3 bezeichnet. Im hier betrachteten Fall gilt:<br />
νN2 = − 1<br />
2 , νH2 = − 3<br />
2 , νNH3 = +1 (2)<br />
Sie geben an, wie die einzelnen Reaktanden in der chemischen Reaktion miteinander<br />
verknüpft sind. Weiterhin gilt die Konvention, dass die stöchiometrischen Koeffizienten<br />
von Edukten negtaiv, die von Produkten positiv sind:<br />
(1)<br />
ν Edukt<br />
i < 0 (3a)<br />
ν Produkt<br />
j > 0 (3b)<br />
In einem abgeschlossenen System sind die Änderungen der an einer chemischen Reak- Beachte die<br />
tion beteiligten Stoffe nicht willkürlich, sondern sie sind durch den ablaufenden, chemischen<br />
Prozesse miteinander verknüpft. Gehen wir davon aus, dass sich während der oben<br />
dargestellten Reaktion ∆nN2 Mol Stickstoff mit ∆nH2 Mol Wasserstoff zu ∆nNH3 Mol<br />
Ammoniak umsetzen, so sind diese Stoffmengenänderungen der an der Reaktion beteiligten,<br />
chemischen Spezies über ihre stöchiometrischen Koeffizienten wie folgt miteinander<br />
6<br />
Vorzeichen der<br />
stöchiometrischen<br />
Koeffizienten
verknüpft:<br />
3 Grundlagen der chemischen Kinetik<br />
∆nH2<br />
∆nN2<br />
∆nH2<br />
∆nNH3<br />
∆nN2<br />
∆nNH3<br />
= νH2<br />
νN2<br />
= νH2<br />
νNH3<br />
= νN2<br />
νNH3<br />
Betrachten wir die Aussage der Gleichung (4b):<br />
= 3 (4a)<br />
= − 3<br />
2<br />
= − 1<br />
2<br />
∆nH2 = − 3<br />
2 ∆nNH3<br />
Diese Gleichung sagt aus, daß zur Bildung von 1 Äquivalent Ammoniak genau 3<br />
2 Äquivalente<br />
Wasserstoff benötigt werden, wenn der Umsatz stöchiometrisch sein soll, die<br />
Reaktion also nach Gleichung (1) ablaufen soll. Das Minuszeichen sagt aus, dass der<br />
Wasserstoff verbraucht wird und Ammoniak entsteht.<br />
Wir wollen unsere bisherigen Erkenntisse, welche wir anhand eines speziellen Beispiels<br />
gewonnen haben, nun auf den Fall einer nicht näher spezifizierten, chemischen Reaktion<br />
verallgemeinern. Hierzu formulieren wir eine allgemeine chemische Reaktion wie folgt:<br />
(4b)<br />
(4c)<br />
|νA| A + |νB| B + . . . −→ |νY |Y + |νZ| Z + . . . (5)<br />
Betrachten wir weiterhin nurmehr differentielle Stoffmengenänderungen dnA, dnB, usw.,<br />
so muss in Analogie zu den Gleichungen (4a) bis (4c) gelten:<br />
dnA<br />
dnB<br />
dnA<br />
dnY<br />
dnA<br />
dnZ<br />
dnB<br />
dnY<br />
= νA<br />
νB<br />
= νA<br />
νY<br />
= νA<br />
νZ<br />
= νB<br />
νY<br />
(6a)<br />
(6b)<br />
(6c)<br />
(6d)<br />
. (6e)<br />
Wenn wir vereinbaren, daß i = A, B, . . .Y, Z, . . . und j = A, B, . . ., Y, Z, . . ., so können Gleichung (7) ist<br />
wir die stöchiometrischen Grundgleichungen (6a) bis (6d) wie folgt allgemein ausdrücken:<br />
dni<br />
dnj<br />
= νi<br />
νj<br />
Wenn wir den Fortschritt einer chemischen Reaktion betrachten wollen, so könnten wir<br />
dies etwa anhand der Stoffmengenänderungen oder Konzentrationsänderungen der an<br />
7<br />
(7)<br />
die<br />
Grundgleichung<br />
der Stöchiometrie.<br />
Sie ist zentraler<br />
Gegenstand der<br />
Betrachtungen in<br />
der chemischen<br />
Kinetik
3 Grundlagen der chemischen Kinetik<br />
der Reaktion beteiligten Substanzen bewerkstelligen. Berücksichtigen wir jedoch Gleichung<br />
(7) so erkennen wir, daß aufgrund der unterschiedlichen stöchiometrischen Koeffizienten<br />
νi die Geschwindigkeitsänderungen für unterschiedliche Komponenten unterschiedlich<br />
sind. Ferner ist der Versuch, die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion<br />
über den zeitlichen Verlauf der Konzentrationsänderung einer oder mehrerer, an der<br />
Reaktion beteiligten Komponenten ungünstig, da es Reaktionen gibt, bei denen sich<br />
etwa das Volumen der Reaktionsmischung während der Reaktion signifikant verändert.<br />
Schreiben wir jedoch die Gleichungen (6a) bis (6d) wie folgt um:<br />
dnA<br />
νA<br />
= dnB<br />
νB<br />
= dnY<br />
νY<br />
= dnZ<br />
νZ<br />
Wenn wir die differentiellen Stoffmengenänderungen dni aller an einer chem. Reaktion<br />
beteiligten chem. Spezies durch ihre stöchiometrischen Koeffizienten teilen, so entdecken<br />
wir, daß die resultierende Größe für alle Substanzen identisch ist. Wir können Gleichung<br />
(8) wie folgt für alle an einer chem. Reaktion beteiligten Spezies verallgemeinern und<br />
die sog. ”Reaktionslaufzahl” ξ wie folgt definieren:<br />
dξ := dni<br />
νi<br />
(8)<br />
(9a)<br />
[ξ] = 1 mol (9b)<br />
In dieser Definition hat die Reaktionslaufzahl ξ die Einheit mol. Was sagt nun diese<br />
Größe aus? Wir betrachten folgende Reaktion:<br />
|νA| A + |νB|B −→ |νY | Y<br />
Zu Beginn der Reaktion, also zum Zeitpunkt t = 0, liegt noch kein Stoffumsatz vor, und<br />
es gilt: ξ = 0 mol. Wenn bei dieser Reaktion gilt ξ = 1mol, so bedeutet dies nach Gleichung<br />
(9a), dass sich gerade |νA| Mol der Substanz A mit |νB| Mol der Substanz B zu |νY |<br />
Mol der Substanz Y umgesetzt haben. Diese Angabe ist unabhängig von Volumenänderungen<br />
und der einzelnen Substanz. Da aber Gehaltsangaben in der Chemie meist in<br />
Form von Stoffmengenkonzentrationen ci = ni erfolgen, wird eine Reaktionsvariable<br />
V<br />
x definiert, welche einer Konzentration entspricht:<br />
x := ξ<br />
V<br />
[x] = 1 mol<br />
l<br />
(10a)<br />
(10b)<br />
Wenn wir nun eine differentielle Änderung dx der Reaktionsvariablen x(t) betrachten,<br />
so gilt unter Berücksichtigung der Gleichungen (9a) und (10a):<br />
dx = 1<br />
V<br />
· dξ = 1<br />
V<br />
8<br />
· dni<br />
νi<br />
(11)
3 Grundlagen der chemischen Kinetik<br />
Berücksichtigen wir ferner, daß die Stoffmengenkonzentration ci der chemischen Spezies<br />
i gegeben ist durch<br />
ci = ni<br />
V<br />
[ci] = 1 mol<br />
l<br />
so erhalten wir für die differentielle Änderung dx der Reaktionsvariablen x:<br />
dx = 1<br />
dci<br />
νi<br />
(12a)<br />
(12b)<br />
Wenn wir nun die Änderung von x(t) mit der Zeit betrachten, so erhalten wir die Reaktionsgeschwindigkeit:<br />
vx(t) = dx(t)<br />
dt<br />
= 1<br />
Wir können Gleichung (14) wie folgt umformen:<br />
νi<br />
dci(t)<br />
dt = νi · dx(t)<br />
dt<br />
dci(t)<br />
dt<br />
Ausdrücke in der Form von Gleichung (15) werden als Konzentrationsänderung der<br />
Komponente i mit der Zeit oder einfach als Rate der Konzentrationsänderung<br />
bezeichnet. Je nachdem, ob die Komponente i verbraucht oder gebildet wird, sind auch<br />
die Begriffe Bildungsrate oder Verbrauchsrate der Komponente i üblich. Es sei<br />
nochmals darauf hingewiesen, daß der Begriff Reaktionsgeschwindigkeit, wie er in Gleichung<br />
(14) definiert ist, vom Begriff der Bildungs- oder Verbrauchsraten nach Gleichung<br />
(15) zu unterscheiden ist!<br />
Nehmen wir an, die Reaktion starte zum Zeitpunkt t = 0. Die einzelnen chemischen<br />
Spezies i liegen zum Zeitpunkt t = 0 mit Konzentrationen c0 i vor. Dann können wir<br />
durch Kenntnis von x(t) den zeitlichen Verlauf der Konzentrationen ci(t) einer beliebigen,<br />
chemischen Spezies berechnen:<br />
dx(t) = 1<br />
dci(t)<br />
<br />
x(t)<br />
0<br />
νi<br />
dx = 1<br />
νi<br />
x(t) = 1<br />
νi<br />
·<br />
<br />
ci(t)<br />
c 0 i<br />
dc ′ i (t)<br />
· ci(t) − c 0 i<br />
Lösen wir die letzte Gleichung nach ci(t) auf, so erhalten wir:<br />
(13)<br />
(14)<br />
(15)<br />
ci(t) = c 0 i + νi · x(t) (16)<br />
9<br />
Beachte den<br />
Unterschied<br />
zwischen<br />
Reaktionsge-<br />
schwindigkeit<br />
((14)) und<br />
Geschwindigkeit<br />
der Konzentrati-<br />
onsänderung<br />
((15))
3 Grundlagen der chemischen Kinetik<br />
Diese Gleichung gibt uns die Änderung der Konzentration der Komponente i zum Zeitpunkt<br />
t > 0 in Bezug zum Zeitpunkt t = 0 an. Anders ausgedrückt ist x(t) identisch<br />
mit der Änderung der Konzentration ∆ci(t) = 1<br />
νi · [ci(t) − c0 i ]. Lösen wir Gleichung (16)<br />
nach x(t) auf, so erhalten wir:<br />
∆ci(t) = 1<br />
νi<br />
· ci(t) − c 0 <br />
i ≡ x(t) (17)<br />
Anders ausgedrückt gestattet uns einzig die Berechnung der Reaktionsvariablen x(t) die Umsatzgleichungen<br />
Berechnung des zeitlichen Verlaufs der Konzentrationen aller an der Reaktion beteilig- geben die gesamte<br />
ten chemischen Spezies i = A, B, . . .,Y, Z, . . . in einer chemischen Reaktion gemäß (5). Änderung der<br />
So stellt sich nur noch die Frage, wie man die Reaktionsvariable x(t) für eine spezielle Konzentration<br />
Reaktion ermittelt.<br />
einer Komponente<br />
Ausgehend von einer Reaktion des Typs (5) wird die Reaktionsgeschwindigkeit vx(t)<br />
sicherlich von der Konzentration der Edukte abhängen, denn die Reaktionsgeschwindigkeit<br />
wird direkt proportional zur Häufigkeit der Stöße der Teilchen sein, und diese<br />
sollten mit zunehmenden Konzentrationen häufiger auftreten. Ferner können wir jedoch<br />
momentan keine Aussagen darüber machen, in welcher Potenz die Konzentrationen der<br />
einzelnen chemischen Spezies in das differentielle Zeitgesetz eingehen. Ein allgemeiner<br />
Ansatz lautet daher, wenn wir sämtliche an der Reaktion beteiligten Edukte berücksichtigen:<br />
vx(t) = dx(t)<br />
dt ∝ cA(t) a · cB(t) b · . . .<br />
Wir können aus der Proportionalität eine Gleichheit machen, indem wir einen Proportionalitätsfaktor<br />
k einführen. Diese Propotionalitätskonstante ist die (kinetische)<br />
Geschwindigkeitskonstante der betrachteten Reaktion:<br />
vx(t) = dx(t)<br />
dt = k · cA(t) a · cB(t) b NE<br />
· . . . = k ·<br />
<br />
ci(t) Ni(t)<br />
Hierbei ist NE die Anzahl der an der Reaktion beteiligten Edukte, ci(t) die Konzentration<br />
des Eduktes i und Ni die Reaktionsordnung bezüglich der Komponente i.<br />
Die in Gleichung (18) auftretenden Expontenten a, b, usw. bzw. Ni sind die Teilordnungen<br />
bezüglich der jeweils zugehöreigen, chemischen Spezies A, B usw. Die Gesamt-<br />
Ordnung N der Reaktion (auch einfach Reaktionsordnung genannt) ist die Summe der<br />
Teil-Ordnungen:<br />
NE <br />
N = a + b + . . . =<br />
i=1<br />
Ni<br />
i=1<br />
(18)<br />
(19)<br />
i von Beginn der<br />
Reaktion bis zum<br />
Zeitpinkt t an<br />
Sowohl Teil- als auch Gesamtordnungen chemischer Reaktionen müssen im Regelfall Gesamt- und<br />
experimentell bestimmt und der vermutete Zusammenhang experimentell bestätigt werden.<br />
Im Regelfall schätzt man die Reaktionsteilordnungen Ni = a, b, . . . und wählt sie<br />
10<br />
Teilordnungen der<br />
Kinetik einer<br />
chemischen<br />
Reaktion
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
identisch mit den stöchiometrischen Koeffizienten der einzelnen Edukte:<br />
Ni<br />
!<br />
= νi<br />
Es sei allerdings darauf hingewiesen, daß die Teilordnungen Ni keineswegs mit den<br />
stöchiometrischen Koeffizienten νi identisch sein müssen. Ferner können die Teilordnungen<br />
Ni auch nicht-ganzzahlige Werte annehmen. Der allgemein übliche Ansatz (20)<br />
für die Teilordnungen Ni muss vielmehr experimentell Bestätigt werden. Hierzu jedoch<br />
später mehr.<br />
Im Folgenden wollen wir unsere Erkenntnisse auf einfache, chemische Reaktionen anwenden<br />
und die Reaktionsvariable und damit die Geschwindigkeit der Konzentrationsänderungen<br />
der an der Reaktion beteiligten, chemischen Spezies bestimmen.<br />
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
4.1 Irreversible Reaktion erster Ordnung<br />
Eine irreversible Reaktion erster Ordnung verläuft nach folgendem, allgemeinen Schema:<br />
(20)<br />
A −→ B + C + D + . . . (21)<br />
Zum Zeitpunkt t = 0 sei eine Stoffmengenkonzentration c0 A vorhanden. Da ferner zur<br />
Zeit t = 0 noch überhaupt kein Stoffumsatz vorhanden ist, muß ebenso x(0) = x0 = 0<br />
sein. Wir machen den allgemein üblichen Ansatz (18) für das differentielle Zeitgesetz:<br />
vx(t) = dx(t)<br />
dt = k1 · cA(t) (22)<br />
Gleichung (22) ist eine lineare, homogene Differentialgleichung 1. Ordnung mit konstan- Differentielles<br />
ten Koeffizienten. Linear bedeutet hierbei, daß die Variable cA(t) und seine Ableitungen<br />
in der Differentialgleichung nur in der ersten Potenz vorkommen. Homogen ist eine Dif- irreversiblen<br />
ferentialgleichung, wenn keine additiven Störglieder S(t) vorhanden sind, welche explizit<br />
von der Zeit abhängen. Die in der Differentialgleichung vorkommenden Faktoren, hier Ordnung<br />
die Geschwindigkeitskonstante k1, sind konstant, wenn sie nicht von der Zeit abhängen,<br />
was hier der Fall ist. Die Ordnung der Differentialgleichung bezeichnet die höchste, in der<br />
Differentialgleichung vorkommende Ableitung, und hat nichts mit der Ordnung einer<br />
Reaktion zu tun.<br />
In der Differentialgleichung (22) treten zwei Variablen auf: x(t) und cA(t). Wir müssen<br />
eine dieser Variablen eliminieren. Eine allgemeine Lösung erhalten wir, wenn wir cA(t)<br />
eliminieren und so eine Differentialgleichung für x(t) erhalten. Hierzu berücksichtigen<br />
wir Gleichung (16) für die Komponente i = A:<br />
cA(t) = c 0 A<br />
11<br />
− x(t)<br />
Zeitgesetz einer<br />
Reaktion erster
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
Setzen wir dies in Gleichung (22) ein, so erhalten wir:<br />
vx(t) = dx(t)<br />
dt = k1 · c 0 A − x(t) <br />
(23)<br />
Diese Differentialgleichung können wir einfach durch Separation der Variablen und anschließender<br />
Integration in den festgelegten Grenzen lösen (siehe hierzu Gleichung (233)<br />
Differentialglei-<br />
Im Anhang A auf Seite 107):<br />
1<br />
= −k1dt<br />
− x)dx<br />
dy(x)<br />
= k · x<br />
dx<br />
können einfach<br />
durch Trennung<br />
x(t)<br />
0<br />
(c 0 A<br />
(c 0 A<br />
− ln c 0 A − x x(t)<br />
0 0 cA ln<br />
− x<br />
1<br />
= −k1<br />
− x)dx<br />
c 0 A<br />
t<br />
0<br />
dt ′<br />
= −k · t ′ | t<br />
0<br />
= −k1 · t (24)<br />
Wir können direkt nach x(t) auflösen, wenn wir beide Seiten von Gleichung (24) exponieren:<br />
c 0 A<br />
c0 A<br />
c0 A<br />
c0 A<br />
= ek1·t<br />
− x<br />
− x<br />
= e−k1·t x(t) = c 0 A · <br />
−k1·t 1 − e<br />
(25)<br />
chungen des Typs<br />
der Variablen und<br />
anschließender<br />
Integration gelöst<br />
Den Zeitverlauf der Konzentration des Eduktes A sowie der entstehenden Produkte B,<br />
C und D können wir über die Auswertung der Gleichung (17) erhalten. Hierzu setzen<br />
Integrales<br />
wir für i = A, B, C, D an:<br />
x(t) = − cA(t) − c 0 <br />
A = cB(t) − c 0 <br />
B = cC(t) − c 0 <br />
C = cD(t) − c 0 <br />
D (26)<br />
Werten wir nun Gleichung (26) für die Komponente A aus:<br />
cA(t) = c 0 A − x(t) = c0A − c0A · <br />
−k1·t 1 − e<br />
Ferner gilt nach Gleichung (26): für das Produkte B:<br />
→ cA(t) = c 0 A · e −k1·t (27)<br />
cB(t) − c 0 B<br />
= x(t)<br />
Da jedoch zur Zeit t = 0 noch kein Produkt B vorhanden war, gilt: c0 B =0 und wir finden<br />
für den zeitlichen Konzentrationsverlauf von B:<br />
cB(t) = x(t) = c 0 A · <br />
−k1·t 1 − e<br />
Ebenso gilt nach Gleichung (26) für cC(t) und cD(t):<br />
cC(t) = cD(t) = cB(t) = c 0 A · 1 − e −k·t<br />
12<br />
(28)<br />
(29)<br />
werden<br />
Zeitgesetz einer<br />
chemischen<br />
Reaktion erster<br />
Ordnung
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
Wir können den zeitlichen Verlauf der Konzentrationen grafisch darstellen, indem wir<br />
cA(t) und cB(t) gegen die Zeit auftragen:<br />
cA(t), cB(t) / mol<br />
0.8<br />
0.7<br />
0.6<br />
0.5<br />
0.4<br />
0.3<br />
0.2<br />
0.1<br />
cA(t)<br />
l·min c0 AAbbildung 1: Zeitverlauf von cA(t) und cB(t)<br />
cB(t)<br />
0<br />
0 1 2 3 4 5<br />
Allerdings ist es möglich, die Auftragung noch zu vereinfachen. Es wurde bereits früher<br />
darauf hingewiesen (siehe S. 11), daß die Ordnung einer Reaktion letztlich experimentell<br />
bestimmt werden muss. Wenn der zeitliche Verlauf cA(t) oder cB(t) aus dem Experiment<br />
bekannt ist, so kann eine Auftragung wie sie in Abbildung 1 dargestellt ist, angefertigt<br />
werden. Durch die Fehler im Experiment und die daraus resultierenden Abweichungen<br />
der Punkte vom theoretischen Kurvenverlauf nach den Gleichungen (27) bzw. (28) ist es<br />
jedoch häufig schwierig zu entscheiden, ob der mathematische Ansatz richtig war oder<br />
nicht. Man kann die Gleichungen (27) und (28) jedoch linearisieren“. Hierzu nehmen<br />
”<br />
wir den Logarithmus von cA(t) in Gleichung (27) und erhalten folgende Gleichung:<br />
ln (cA(t)) = ln c 0 <br />
A − k1 · t (30a)<br />
y(x) = b + a · x (30b)<br />
t/min<br />
Vergleichen wir (30a) mit der Geradengleichung (30b), so finden wir, dass der Funktion linearisiertes<br />
y(x) der Logarithmus ln (cA(t)), dem Ordinatenabschnitt b der Logarithmus ln (c Zeitgesetz<br />
0 A ), der<br />
Steigung a die Geschwindigkeitskonstante k1 und das Funktionsargument x der Zeit t<br />
entspricht. Eine ähnliche Linearisierung können wir für cB(t) erhalten, wenn wir von<br />
Gleichung (28) ebenfalls den Logarithmus nehmen. Allerdings müssen wir hierzu eine<br />
kleine Umformung von Gleichung (28) vornehmen. Aus Gleichung (28) erhalten wir:<br />
cB(t) − c 0 A = c 0 A · e −k·t<br />
Nehmen wir hiervon den Logarithmus, so erhalten wir:<br />
ln cB(t) − c 0 <br />
0<br />
A = ln cA + k1 · t (31)<br />
13
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
Tragen wir ln (cA(t)) gegen t auf, so sollten wir eine abfallende Gerade mit dem Ordi-<br />
natenabschnitt ln (c0 A ) und der Steigung k1 erhalten. Analog ergibt die Auftragung von<br />
ln (cB(t) − c0 A ) gegen t eine ansteigende Gerade mit gleichem Ordinatenabschnitt und<br />
gleicher Steigung:<br />
ln(cA(t)) , ln ` cB(t) − c0 ´<br />
mol<br />
A / l·min<br />
0.6<br />
0.5<br />
0.4<br />
0.3<br />
c 0 A<br />
0.2<br />
0.1<br />
ln(c A(t))<br />
“<br />
ln cB(t) − c 0 ”<br />
A<br />
0<br />
0 0.1 0.2 0.3<br />
t/min<br />
0.4 0.5<br />
Abbildung 2: Zeitverlauf von ln (cA(t)) und ln (cB(t) − c 0 A )<br />
4.2 Irreversible Reaktion zweiter Ordnung<br />
4.2.1 Allgemeine Betrachtungen<br />
Eine irreversible Reaktion zweiter Ordnung lässt sich allgemein darstellen als:<br />
A + B −→ C + . . . (32)<br />
Das differentielle Zeitgesetz ergibt sich unter Anwendung von Gleichung (18) auf Reaktion<br />
(32):<br />
vx(t) = dx(t)<br />
dt = k2 · cA(t) · cB(t) (33)<br />
Dieses Zeitgesetz ist eine lineare, homogene Differentialgleichung erster Ordnung. Die Differentielles<br />
vor, wobei<br />
Edukte A und B liegen zur Zeit t = 0 mit den Konzentrationen c0 A und c0B gelten soll c0 A = c0B . In dieser Gleichung treten drei Unbekannte auf: x(t), cA(t) und cB(t).<br />
Um diese Differentialgleichung lösen zu können, müssen wir zwei der drei Unbekannten<br />
eliminieren. Über Gleichung (16) könnten wir diese Differentialgleichung leicht in eine<br />
Differentialgleichung für cA(t) oder cB(t) umwandeln. Eine allgemeine Lösung erhalten<br />
wir jedoch, wenn wir Gleichung (33) in eine Differentialgleichung in x(t) umwandeln.<br />
14<br />
Zeitgesetz einer<br />
irreversiblen<br />
Reaktion zweiter<br />
Ordnung
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
Hierzu wenden wir zunächst Gleichung (16) für die beiden Edukte i = A, B an, und<br />
erhalten so folgende Beziehungen:<br />
cA(t) = c 0 A − x(t) (34a)<br />
cB(t) = c 0 B<br />
− x(t) (34b)<br />
Substituieren wir die Gleichungen (34a) und (34b) in das differentielle Zeitgesetz (33),<br />
so erhalten wir eine Differentialgleichung in x(t):<br />
vx(t) = dx(t)<br />
dt = k2 · c 0 A − x(t) · c 0 B − x(t)<br />
Die Lösung dieser Gleichung erfolgt über Trennung der Variablen und anschließender Differentialglei-<br />
Integration:<br />
(35)<br />
1<br />
(c 0 A − x) · (c0 B − x)dx = k2dt (36)<br />
Allerdings ist die Integration des Bruches in Gleichung (36) in dieser Form nicht möglich.<br />
Wir müssen daher diesen Bruch umwandeln. Dies geschieht mit Hilfe einer sog. ” Partialbruchzerlegung“.<br />
Hierzu fordern wir, dass sich der Bruch als Summe zweier Teilbrüche<br />
wie folgt darstellen lässt:<br />
f(x) =<br />
1<br />
(c 0 A − x) · (c0 B<br />
− x)<br />
!<br />
=<br />
(c 0 A<br />
a<br />
+<br />
− x)<br />
b<br />
− x)<br />
Allerdings tritt in Gleichung (37) ein Problem auf. Wir führen zwei neue Parameter a<br />
und b ein, die noch bestimmt werden müssen. Hierzu bringen wir Gleichung (37) auf<br />
einen Nenner:<br />
f(x) =<br />
1<br />
(c 0 B<br />
(c0 A − x) · (c0 B − x) = a · (c0B − x) + b · (c0A (c0 A − x) · (c0 B<br />
− x)<br />
− x)<br />
Wir multiplizieren den Zähler der rechten Seite von Gleichung (38) aus und ordnen nach<br />
Potenzen von x:<br />
f(x) =<br />
1<br />
(c0 A − x) · (c0 B − x) = −x · (a + b) + (b · c0A + a · c0B )<br />
− x)<br />
Wir erkennen aus Gleichung (39) zwei Dinge:<br />
(c 0 A − x) · (c0 B<br />
• auf der linken Seite der Gleichung kommen keine Potenzen von x vor. Daher muß<br />
also gelten:<br />
(a + b) = 0<br />
woraus wir ersehen, daß gilt:<br />
a = −b<br />
15<br />
(37)<br />
(38)<br />
(39)<br />
chungen des Typs<br />
dy(x)<br />
= (a +<br />
dx<br />
n·x)·(b+m·x)<br />
werden durch Par-<br />
tialbruchzerlegung<br />
gelöst
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
• Die Terme ohne x müssen zusammen 1 ergeben:<br />
0<br />
b · cA + a · c 0 <br />
A = 1<br />
woraus wir erkennen, daß gilt:<br />
<br />
0<br />
b · cA + a · c 0 <br />
A = 1<br />
und da aber a = −b wird<br />
0<br />
−a · cA + a · c 0 0<br />
B = a · cB − c 0 <br />
A = 1<br />
Jetzt können wir nach a auflösen und erhalten:<br />
a = − 1<br />
c 0 B − c0 A<br />
= −b (40)<br />
Mit den beiden Parametern a und b können wir nun Gleichung (37) bzw. (36) integrieren.<br />
Die Anfangsbedingung lautet hierbei, dass zum Zeitpunkt t = 0 gilt: x(0) = 0:<br />
<br />
<br />
x(t)<br />
0<br />
x(t)<br />
0<br />
<br />
(c 0 A<br />
x(t)<br />
0<br />
(c 0 A<br />
1<br />
(c 0 A − x) · (c0 B<br />
a<br />
+<br />
− x)<br />
a<br />
+<br />
− x)dx<br />
− x)dx =<br />
t<br />
<br />
b<br />
dx = k2 ·<br />
− x)<br />
0<br />
k2dt<br />
t<br />
(c0 B<br />
0<br />
x(t)<br />
b<br />
(c<br />
0<br />
0 B − x)dx = k2<br />
t<br />
·<br />
0<br />
Berücksichtigen wir Gleichung (233) in Anhanng A auf Seite 107, so erhalten wir folgendes<br />
Ergebnis:<br />
−a · ln c 0 A − x + a · ln c 0 B − x − b · ln c 0 B − x + b · ln c 0 <br />
B = k2 · t<br />
Berücksichtigen wir weiterhin, dass a = −b, so wird:<br />
a · ln c 0 B − x − ln c 0 A − x + a · ln c 0 <br />
0<br />
A − ln cB = k2 · t<br />
0 cB − x<br />
ln =<br />
− x<br />
1<br />
a · k2<br />
0 cA · t − ln<br />
c 0 A<br />
Aus Gleichung (41) erhalten wir nun einerseits eine linearisierte Auftragung, wenn wir<br />
Gleichung (16) für die Komponenten i = A, B berücksichtigen und andererseits können<br />
wir Gleichung (41) explizit nach x(t) auflösen, womit wir den zeitlichen Verlauf der Konzentrationsänderung<br />
einer jeden an der Reaktion beteiligten Komponente beschreiben<br />
können. Gleichung (16) lautet für die beiden Komponenten i = A, B:<br />
c 0 B<br />
dt<br />
dt<br />
(41)<br />
cA(t) = c 0 A − x(t) (42a)<br />
cB(t) = c 0 B − x(t) (42b)<br />
16
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
Setzen wir nun die Gleichungen (42a) und (42b) in Gleichung (41) ein, so erhalten wir<br />
eine linearisierte Gleichung:<br />
<br />
cB(t)<br />
ln =<br />
cA(t)<br />
c 0 B − c0 <br />
0 cA A · k · t − ln<br />
c0 <br />
(43)<br />
B<br />
<br />
cB(t)<br />
Tragen wir also ln gegen t in ein Diagramm auf, so erhalten wir eine Gerade mit<br />
cA(t)<br />
<br />
c0 A :<br />
der Steigung (c0 B − c0A ) · k und dem Ordinatenabschnitt ln<br />
0.14<br />
„<br />
c<br />
0<br />
A ln<br />
c<br />
0.12<br />
0 «<br />
B<br />
ln(cA(t)/CB(t))<br />
0.1<br />
0.08<br />
0.06<br />
0.04<br />
0.02<br />
0<br />
0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16<br />
t/min<br />
c 0 B<br />
“ ”<br />
cB (t)<br />
ln<br />
cA (t)<br />
c0 mol<br />
A = 1.25 l<br />
c0 mol<br />
B = 1.10 l<br />
Abbildung 3: Zeitverlauf von ln<br />
<br />
cB(t)<br />
cA(t)<br />
Allerdings können wir Gleichung (41) auch explizit nach x(t) auflösen, wodurch über<br />
Gleichung (16) die Geschwindigkeit der Reaktionsänderungen aller an der Reaktion beteiligten<br />
chemischen Spezies bekannt sind. Wir exponieren hierzu beide Seiten der Gleichung<br />
(41) und lösen nach x auf:<br />
0 cB − x<br />
ln<br />
c0 <br />
=<br />
A − x<br />
1<br />
a · k2<br />
0 cA · t − ln<br />
c0 <br />
B<br />
c0 B − x<br />
· e 1<br />
a ·k2·t<br />
c0 A − x = c0B c0 A<br />
c 0 B − c 0 B · e 1<br />
a ·k2·t c<br />
= x − x · 0 B<br />
c0 · e<br />
A<br />
1<br />
a ·k2·t<br />
17
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
Berücksichtigen wir Gleichung (40), so erhalten wir für x(t):<br />
c<br />
x(t) =<br />
0 B ·<br />
<br />
1 − e −(c0 A−c0 <br />
B)·k2·t<br />
· e −(c0 A−c0 B)·k2·t<br />
1 − c0 B<br />
c 0 A<br />
Über Gleichung (16) erhalten wir dann Ausdrücke für den zeitlichen Verlauf der Kon- Integrales<br />
zentrationen der an der Reaktion beteiligten, chemischen Spezies:<br />
cA(t), cB(t), cC(t) / mol<br />
l·s<br />
1.4<br />
c<br />
1.2<br />
0 B<br />
c 0 A<br />
1<br />
0.8<br />
0.6<br />
0.4<br />
0.2<br />
4.2.2 Äquimolare Ansätze<br />
(44)<br />
cA(t) = c 0 A − x(t) (45a)<br />
cB(t) = c 0 B − x(t) (45b)<br />
cC(t) = x(t) (45c)<br />
cC(t)<br />
cA(t)<br />
cB(t)<br />
0<br />
0 200 400 600<br />
t/min<br />
800 1000 1200<br />
c 0 A<br />
c 0 B<br />
= 0.90 mol<br />
l<br />
= 1.25 mol<br />
l<br />
Abbildung 4: Zeitverlauf von cA(t), cB(t) und cC(t)<br />
In der Praxis wird man die Versuchsbedingungen stets so wählen, dass die Versuchsauswertung<br />
möglichst einfach wird. Eine Möglichkeit, dies bei einer Reaktion des Typs<br />
(32) zu tun, ist eine geschickte Wahl der Anfangskonzentrationen c0 A und c0B zu treffen.<br />
Werfen wir hierzu einen Blick auf das differentielle Zeitgesetz Gleichung (33):<br />
vx(t) = dx(t)<br />
dt = k2 · cA(t) · cB(t)<br />
18<br />
Zeitgesetz einer<br />
irreversiblen<br />
Reaktion zweiter<br />
Ordnung
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
Wenden wir Gleichung (16) für cA(t) und cB(t) an, so finden wir:<br />
cA(t) = c 0 A − x(t)<br />
cB(t) = c 0 B<br />
− x(t)<br />
vx(t) = dx(t)<br />
dt = k2 · c 0 A − x(t) · c 0 B − x(t)<br />
Eine mögliche Vereinfachung des differentiellen Zeitgesetzes (46) besteht nun darin, einen<br />
sog. äquimolaren“ Ansatz zu machen. Das bedeutet, wir wählen die Anfangskonzen-<br />
”<br />
trationen zu c0 A = c0B . Setzen wir dies in Gleichung (46) ein, so erhalten wir:<br />
vx(t) = dx(t)<br />
dt = k2 · c 0 A − x(t) 2 = k2 · c 0 B − x(t) 2<br />
Diese Differentialgleichung können wir leicht durch Separation der Variablen und anschließender<br />
Integration lösen:<br />
x(t)<br />
0<br />
1<br />
(c 0 A − x(t))2dx = k2 · dt<br />
1<br />
(c 0 A − x(t))2dx = k2 ·<br />
Gleichung (234) in Anhanng A auf Seite 107, gibt die Lösung des Integrals:<br />
(c 0 A<br />
<br />
1 <br />
<br />
− x) <br />
0<br />
1 1<br />
−<br />
− x)<br />
(c 0 A<br />
x(t)<br />
Diese Gleichung können wir nach x(t) auflösen:<br />
x(t) = c 0 A ·<br />
c 0 A<br />
<br />
1 −<br />
t<br />
0<br />
dt ′<br />
= k2 · t| t<br />
0<br />
= k2 · t<br />
<br />
1<br />
· k · t + 1<br />
Über Gleichung (16) können wir den zeitlichen Verlauf der Konzentrationen cA(t) und<br />
cB(t) ermitteln:<br />
Durch Auflösen nach 1<br />
cA(t)<br />
c 0 A<br />
cA(t) = cB(t) = c 0 A − x(t) = c0 B<br />
− x(t) =<br />
c 0 A<br />
c 0 A<br />
· k · t + 1<br />
erhalten wir eine linearisierte Gleichung:<br />
1<br />
cA(t)<br />
(46)<br />
(47)<br />
(48)<br />
(49)<br />
(50)<br />
1<br />
=<br />
c0 + k · t (51)<br />
A<br />
19
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
Die Geschwindigkeitsänderung für die Konzentration cC(t) des Produktes C erhalten wir<br />
ebenfalls aus Gleichung (16). Wenn wir beachten, dass zur Zeit t = 0 noch kein Produkt<br />
vorliegt, also cC(0) = c0 C = 0 ist, so wird:<br />
cA(t), cC(t) / mol<br />
l·s c0 A<br />
1.4<br />
1.2<br />
1<br />
0.8<br />
0.6<br />
0.4<br />
0.2<br />
cC(t) = c 0 C + x(t) = x(t) = c0 A ·<br />
<br />
1 −<br />
cC(t)<br />
cA(t)<br />
c 0 A<br />
<br />
1<br />
· k · t + 1<br />
0<br />
0 1 2 3 4 5<br />
t/min<br />
c 0 A<br />
= 1.3 mol<br />
l<br />
Abbildung 5: Zeitverlauf von cA(t) und cC(t), Kinetik 2. Ordnung, äquimolarer Ansatz<br />
4.2.3 Reaktionen pseudo-erster Ordnung<br />
In Abschnitt 4.2.2 haben wir eine wichtige Vereinfachung für das differentielle Geschwindigkeitsgesetz<br />
(33) der Reaktion (32) kennengelernt. Allerdings gibt es eine weitere, sehr<br />
wichtige Möglichkeit, dieses differentielle Zeitgesetz zu vereinfachen. Betrachten wir noch<br />
einmal die Reaktionsgleichung (32):<br />
A + B −→ C + . . .<br />
In dieser Reaktion werden die Edukte A und B im Verhältnis 1 : 1 verbraucht. Anders<br />
ausgedrückt bedingt der Verbrauch von einem Äquivalent 3 A auch den Verbrauch von<br />
einem Äquivalent B. Was aber passiert, wenn wir die Anfangskonzentration eines der<br />
Edukte sehr viel größer machen als die des Zweiten? Wenn etwa c 0 A = 1000Eq und c0 B =<br />
3 Ein Äquivalent=Eq kann dabei jede ” beliebige“ Stoffmengenkonzentration sein und darf nicht mit<br />
der veralteten Äquivalentkonzentration verwechselt werden<br />
20<br />
(52)
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
1Eq ist, so ist das Edukt B der sog. begrenzende Reaktand“. Zum Zeitpunkt t = t<br />
” ∗<br />
sei alles B verbraucht. Dann ist cB(t∗ ) = c∗ B = 0Eq und nach der Reaktionsgleichung (32)<br />
kann sich auch nur ein Äquivalent A umgesetzt haben. Dann ist cA(t∗ ) = c∗ A = 999 Eq.<br />
Wir finden also:<br />
c 0 B = 1 Eq, c ∗ B = 0 Eq → ∆cB = 1 Eq = ∆cA<br />
c 0 A = 1000 Eq, ∆cA = 1 Eq → c ∗ A = 999 Eq = c 0 A − ∆cA<br />
→ c∗ A<br />
c 0 A<br />
= 999 Eq<br />
1000 Eq<br />
≈ 1<br />
Anders ausgedrückt finden wir, dass sich die Konzentration des Eduktes A während der<br />
Reaktion praktisch nicht ändert (≈ 1). Während der gesamten Reaktion gilt also:<br />
für c 0 A ≫ c 0 <br />
∆cA(t) = c<br />
B gilt:<br />
0 A − cA(t) ≈ 0<br />
(53)<br />
→ cA(t) ≈ c 0 A<br />
Im Experiment zeigt sich, dass bereits ein Verhältnis von c0 A<br />
c0 B<br />
um cA(t) ≈ c0 A<br />
≈ 20 ausreichend ist,<br />
anzunehmen. Mit dieser wesentlichen Vereinfachung können wir das<br />
differentielle Zeitgesetz (33) wie folgt umschreiben:<br />
vx(t) = dx(t)<br />
dt = k2 · c 0 A · cB(t) (54)<br />
Die Geschwindigkeitskonstante k2 und die konstante Anfangskonzentration c0 A<br />
tes A können wir zu einer neuen, effektiven Geschwindigkeitskonstante ˜ k2 = k2 · c0 A<br />
zusammenfassen. Dann erhalten wir folgendes, vereinfachtes, differentielles Zeigesetz:<br />
des Eduk-<br />
vx(t) = dx(t)<br />
dt = ˜ k2 · cB(t) (55)<br />
Vergleichen wir diese Gleichung mit Gleichung (22), so finden wir, dass Gleichung (55)<br />
offenbar die Kinetik einer Reaktion erster Ordnung beschreibt, obwohl es sich definitiv<br />
um eine Reaktion zweiter Ordnung handelt. Durch die spezielle Wahl der Anfangskonzentrationen<br />
(c 0 A ≫ c0 B ) und die sich daraus ergebenden Konsequenzen (cA(t) ≈ c 0 A )<br />
vereinfacht sich das ursprüngliche Zeitgesetz zweiter Ordnung (Gleichung (33)) auf ein<br />
Zeitgesetz erster Ordnung, obwohl es sich um eine Reaktion zweiter Ordnung handelt. In<br />
diesem Fall sprechen wir von einer ” Reaktion pseudoerster Ordnung“. Die Lösung<br />
von Gleichung (55) erfolgt wieder über die Trennung der Variablen und anschließender<br />
Integration und ist völlig analog zur Lösung von Gleichung (22). Wir wollen daher<br />
die Lösung nicht noch einmal explizit ausführen, sondern nur das Ergebnis zur Kenntnis<br />
nehmen, wobei wir wieder Gleichung (16) beachten, um den zeitlichen Verlauf der<br />
Konzentrationen der einzelnen, chemischen Spezies zu erhalten. Zu beachten ist hierbei<br />
natürlich wieder, dass zu Beginn der Reaktion noch kein Produkt C vorhanden war und<br />
= 0 sein muss:<br />
daher c 0 C<br />
x(t) = c 0 B ·<br />
cB(t) = c 0 B<br />
<br />
1 − e−˜ <br />
k2·t<br />
(56)<br />
− x(t) (57)<br />
cC(t) = x(t) (58)<br />
21
cA(t), cB(t), cC(t) / mol<br />
l·s c0 A<br />
2.5<br />
2<br />
1.5<br />
1<br />
0.5<br />
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
cA(t)<br />
cB(t)<br />
cC(t)<br />
c<br />
0<br />
0 0.5 1 1.5<br />
t/min<br />
2 2.5 3<br />
0 B<br />
c0 A<br />
c0 B<br />
=2.0<br />
mol<br />
l<br />
=0.1 mol<br />
l<br />
Abbildung 6: Reaktion pseudoerster Ordnung mit c0 A = 20·c0 B . Man erkennt, dass sich<br />
cA(t) während der Reaktion kaum ändert, während cB(t) vollständig<br />
verschwindet und cC(t) sich seinem Endwert annähert<br />
4.3 Reversible Reaktion erster Ordnung<br />
Reversible Reaktionen sind unvollständig verlaufende Reaktionen. Die Reaktion läuft<br />
nicht mehr explizit in eine einzige Richtung ab. Das Edukt wird nicht mehr ausschließlich<br />
verbraucht, sondern die Produkte zerfallen und bilden so die Edukte zu einem gewissen<br />
Grad wieder zurück. Eine reversible Reaktion läuft daher in zwei verschiedene<br />
Richtungen ab. Genau genommen haben wir es mit zwei verschiedenen Reaktionen zu<br />
tun, welche zur selben Zeit ablaufen:<br />
Reaktion 1: A k1<br />
−→ B<br />
Reaktion 2: B k−1<br />
−→ A<br />
Beide Teilreaktionen zusammen ergeben eine Gleichgewichtsreaktion:<br />
A<br />
Eine reversible<br />
Reaktion besteht<br />
aus zwei<br />
Teilreaktionen, die<br />
in<br />
k1 B<br />
k−1<br />
(59)<br />
22<br />
entgegengesetzer<br />
Richtung ablaufen
cB(t), cC(t) / mol<br />
l·s c0 B<br />
0.12<br />
0.1<br />
0.08<br />
0.06<br />
0.04<br />
0.02<br />
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
cC(t)<br />
cB(t)<br />
cA(t)<br />
0<br />
0 0.5 1 1.5 2 2.5 3<br />
t/min<br />
c 0 B<br />
c 0 A<br />
mol<br />
= 0.1 l<br />
mol<br />
= 2.0<br />
l<br />
Abbildung 7: Ausschnittsvergrösserung aus Abbildung 6. Der Verlauf von cB(t) und<br />
cC(t), wie er in einer Reaktion pseudoerster Ordnung vorliegt, entspricht<br />
dem in einer Reaktion erster Ordnung, cA(t) liegt ausserhalb der Skala<br />
Wir werden Reaktion 1 einfach als Hinreaktion“ und Reaktion 2 als Rückreaktion“<br />
” ”<br />
bezeichnen. Wir müssen nun einfach die differentiellen Geschwindigkeitsgesetze für Hinund<br />
Rückreaktion aufstellen. Die Reaktionsgeschwindigkeit der Hinreaktion bezeichnen<br />
wir als −→ v (t) = d−→ x (t)<br />
und die Geschwindigkeit der Rückreaktion als ←− v (t) = d←− x (t)<br />
.<br />
dt<br />
Formulieren wir nun die Reaktionsgeschwindigkeiten für Hin- und Rückreaktion, so wie<br />
es durch Gleichung (18) vorgegeben ist:<br />
Reaktion 1: −→ v (t) = d−→ x (t)<br />
dt = k1 · cA(t) (60)<br />
Reaktion 2: ←− v (t) = d←− x (t)<br />
dt = k−1 · cB(t) (61)<br />
Als resultierende Reaktionsgeschwindigkeit wählen wir die Geschwindigkeit der Hinreaktion<br />
minus die Geschwindigkeit der Rückreaktion:<br />
v(t) = dx(t)<br />
dt = −→ v (t) − ←− v (t) = k1 · cA(t) − k−1 · cB(t) (62)<br />
23<br />
dt
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
Freilich könnten wir die resultierende Reaktionsgeschwindigkeit auch genau anders herum<br />
definieren, aber dann müssten wir Produkte und Edukte in Reaktion (59) gerade<br />
vertauschen. Als Anfangsbedingungen legen wir fest, dass zur Zeit t = 0 gilt: cA(0) = c 0 A<br />
und cB(0) = 0. Nach ” unendlich langer“ Zeit befindet sich die Reaktion im Gleichgewicht.<br />
Dann ist die Geschwindigkeit −→ v (t) der Hinreaktion genauso groß wie die Geschwindigkeit<br />
←− v (t) der Rückreaktion. Anders ausgedrückt ist im Gleichgewicht die resultierende<br />
Reaktionsgeschwindigkeit v gleich Null:<br />
Gleichgewichtsbedingung: lim<br />
t→∞ v(t) = lim<br />
t→∞ [ −→ v (t) − ←− v (t)] = 0 (63)<br />
Im Gleichgewicht liegen dann A und B mit ihren Gleichgewichtskonzentrationen [A] 4<br />
und [B] 4 vor:<br />
lim<br />
t→∞ cA(t) = [A] = c eq<br />
A<br />
lim<br />
t→∞ cB(t) = [B] = c eq<br />
B<br />
Setzen wir nun in die Gleichgewichtsbedingung (63) die Gleichungen (60) und (61) für<br />
die Geschwindigkeiten von Hin- und Rückreaktion ein:<br />
lim v(t) = lim<br />
t→∞ t→∞ [k1 · cA(t) − k−1 · cB(t)]<br />
0 = k1 · c eq<br />
A − k−1 · c eq<br />
B<br />
k1 · c eq<br />
A = k−1 · c eq<br />
B<br />
K = k1<br />
k−1<br />
= ceq<br />
B<br />
c eq<br />
A<br />
Es ist offensichtlich, dass der Ausdruck in Gleichung (66) konstant sein muss, denn sowohl<br />
im Zähler als auch im Nenner des Bruches k1 stehen die Geschwindigkeitskonstanten<br />
k−1<br />
für Hin- und Rückreaktion. Mit Gleichung (66) haben wir das Massenwirkungsgesetz<br />
gefunden, und die Konstante K = k1 ist die thermodynamische Gleichgewichtskonstan-<br />
k−1<br />
te. Das Erstaunliche daran ist, dass wir die thermodynamische Größe K aus einer rein<br />
kinetischen Betrachtung gewonnen haben. Mit Hilfe der Massenwirkungskonstante K<br />
können wir die Gleichgewichtskonzentrationen c eq<br />
A<br />
c eq<br />
A<br />
c eq<br />
B<br />
= k−1<br />
k1<br />
· c eq<br />
B<br />
k1<br />
= · c<br />
k−1<br />
eq 1<br />
A =<br />
K<br />
= K · ceq<br />
B<br />
und ceq<br />
B berechnen:<br />
· ceq<br />
A<br />
(64)<br />
(65)<br />
(66)<br />
(67a)<br />
(67b)<br />
Unser Ziel ist es, die resultierende Reaktionsgeschwindigkeit v(t) = dx(t)<br />
zu berechnen.<br />
dt<br />
Anders ausgedrückt müssen wir Gleichung (62) lösen:<br />
dx(t)<br />
dt = k1 · cA(t) − k−1 · cB(t) (68)<br />
4 Anmerkung zur chemischen Nomenklatur: die Gleichgewichtskonzentration einer chemischen Spezies<br />
i = A, B, C, . . . wird nach IUPAC als ” [i]“bezeichnet. Wir werden jedoch für Gleichgewichtskonzentrationen<br />
die Schreibweise c eq<br />
i verwenden<br />
24<br />
Der zentale<br />
Gedanke: die<br />
Gleichgewichtsbe-<br />
dingung
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
Das Problem bei der Lösung dieser Gleichung ist, dass sie drei Unbekannte enthält:<br />
x(t), cA(t) und cB(t). Wir sind jedoch an x(t) interessiert. Wir müssen daher noch weitere<br />
Beziehungen finden, die es uns gestatten, cA(t) und cB(t) als Funktion von x(t)<br />
auszudrücken. Hierbei steht uns noch eine wichtige Gleichung zur Verfügung: die Stoffmengenbilanz.<br />
Zu jedem Zeitpunkt t muss gelten:<br />
c 0 A = cA(t) + cB(t) = c eq<br />
A<br />
+ ceq<br />
B<br />
Mit Hilfe dieser Gleichungen können wir zunächst cB(t) als Funktion von cA(t) aus- Die<br />
drücken:<br />
cB(t) = c eq<br />
A<br />
(69)<br />
+ ceq<br />
B − cA(t) = c 0 A − cA(t) (70)<br />
Setzen wir Gleichung (70) in Gleichung (68) ein, so haben wir bereits eine Unbekannte<br />
eliminiert:<br />
dx(t)<br />
dt = k1 · cA(t) − k−1 · c 0 A − cA(t) <br />
(71)<br />
Ferner muss natürlich Gleichung (16) für i = A, B gelten:<br />
cA(t) = c 0 A<br />
cB(t) = c 0 B<br />
− x(t) (72a)<br />
+ x(t) = x(t) (72b)<br />
Mit Gleichung (72a) können wir cA(t) in Gleichung (71) durch x(t) ausdrücken:<br />
dx(t)<br />
dt<br />
= k1 · cA(t) − k−1 · c 0 A − cA(t) =<br />
= (k1 + k−1) · cA(t) − k−1 · c 0 A =<br />
= k1 · c 0 A − (k1 + k−1) · x(t) (73)<br />
Gleichung (73) ist eine lineare, homogene Differentialgleichung erster Ordnung und ihre<br />
Lösung erfolgt einfach wieder durch Trennung der Variablen und anschließender Integration:<br />
dx = k1 · c 0 A − (k1 + k−1) · x dt<br />
dt =<br />
1<br />
dx (74)<br />
[k1 · c 0 A − (k1 + k−1) · x]<br />
Die Lösung des Integrals ist durch Gleichung (235) in A auf Seite 107 gegeben:<br />
−<br />
1<br />
k1 + k−1<br />
x(t)<br />
0<br />
1<br />
[k1 · c 0 A − (k1 + k−1) · x]<br />
dx =<br />
· ln k1 · c 0 A − (k1 + k−1) · x + ln k1 · c 0 <br />
A = t<br />
ln k1 · c 0 A − (k1 + k−1) · x = − (k1 + k−1) · t − ln k1 · c 0 A<br />
25<br />
t<br />
0<br />
dt<br />
<br />
Stoffmengenbilanz<br />
ist die zweite<br />
Bestimmungsglei-<br />
chung
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
Exponieren wir beide Seiten der letzten Gleichung und lösen nach x(t) auf, so erhalten<br />
wir:<br />
k1 <br />
−(k1+k−1)·t 1 − e <br />
(75)<br />
x(t) = c 0 A ·<br />
k1 + k−1<br />
Mit Hilfe der Gleichungen (72a) und (72b) können wir den zeitlichen Verlauf der Kon- Das integrale<br />
zentrationen cA(t) und cB(t) plotten:<br />
cA(t), cB(t) / mol<br />
l·s<br />
c<br />
1.4<br />
0 A<br />
c eq<br />
B<br />
1.8<br />
1.6<br />
1.2<br />
1<br />
0.8<br />
0.6<br />
c eq<br />
A<br />
0.4<br />
0.2<br />
0<br />
0 1 2 3 4 5<br />
t/min<br />
cA(t)<br />
cB(t)<br />
c 0 A<br />
= 1.5 mol<br />
l<br />
Abbildung 8: Der Verlauf von cA(t) und cB(t) der unimolekularen Gleichgewichtsre-<br />
4.4 Autokatalyse<br />
aktion. Deutlich zu erkennen ist die Annäherung von cA(t) an c eq<br />
A und<br />
von cB(t) an c eq<br />
B<br />
Katalysatoren beschleunigen die Gleichgewichtseinstellung in einer chemischen Reaktion,<br />
indem sie die Aktivierungsenergie des geschwindigkeitsbestimmenden Schrittes in<br />
einer Reaktion verringern. Wichtig hierbei ist, daß der Katalysator während der Reaktion<br />
selbst nicht verbraucht wird, und aus der Reaktion unverändert zurückbleibt.<br />
Weiterhin verändert ein Katalysator nicht die Lage eines chemischen Gleichgewichts,<br />
sondern beschleunigt nur dessen Einstellung.<br />
26<br />
Zeitgesetz einer<br />
reversiblen<br />
Reaktion erster<br />
Ordnung
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
Eine besondere Form der Katalyse ist die sog. ” Autokatalyse “. Bei einer autokatalytischen<br />
Reaktion entsteht ein Produkt, welches eine katalytische Wirkung auf die Reaktion<br />
selbst hat. Mit fortlaufender Bildung der Produkte und damit des Katalysators wird die<br />
Reaktion weiter beschleunigt. Wenn wir den Katalysator als K bezeichnen, so können<br />
wir eine autokatalytische Reaktion wie folgt schreiben:<br />
A K P +<br />
K (76)<br />
Hierbei gibt es jedoch etwas zu beachten: nach der Reaktionsgleichung (76) scheint es<br />
sich bei der Reaktion um eine Reaktion erster Ordnung zu handeln. Die Reaktion kann<br />
allerdings nur dann stattfinden, wenn bereits zu Beginn der Reaktion geringe Mengen<br />
an K vorhanden waren, da der Katalysator direkt an der Reaktion teilnimmt, aus ihr<br />
aber wieder unverändert hervorgeht. Anders ausgedrückt ist die Reaktionsgeschwindigkeit<br />
einer autokatalytischen Reaktion abhängig von der Anfangskonzentration c 0 K des<br />
Katalysators. Der Ansatz für das differentielle Geschwindigkeitsgesetz lautet daher:<br />
vx(t) = dx(t)<br />
dt = k · cA(t) · cK(t) (77)<br />
Gleichung (77) ist eine lineare, homogene Differentialgleichung erster Ordnung. Sie Das differentielle<br />
enthält jedoch drei Unbekannte: cA(t), cK(t) und x(t). Damit wir diese Gleichung lösen<br />
können, müssen wir wieder zwei der drei Unbekannten eliminieren. Dabei ist es geschickt,<br />
Gleichung (77) in eine Differentialgleichung in x umzuwandeln. Wenn wir x(t) kennen,<br />
kennen wir damit über Gleichung (16) auch den zeitlichen Verlauf der Konzentrationen<br />
aller an der Reaktion beteiligten, chemischen Spzies. Gleichung (16) gestattet es uns<br />
wiederum auch, die Konzentrationen cA(t) und cK(t) durch x(t) auszudrücken. Hierzu<br />
gehen wir davon aus, dass zur Zeit t = 0 das Edukt A mit einer Konzentration cA(0) = c0 A<br />
und der Katalysator K mit einer Konzentration cK(0) = c0 K ≈ 0 vorliegen. Es gilt<br />
also: c0 A ≫ c0K . Stellen wir nun Gleichung (16) für die Komponenten i = A, K auf.<br />
Hierbei müssen wir jedoch beachten, dass der Katalysator K als Produkt anzusehen ist.<br />
Demgemäß ist νK = +1 wohingegen νA = −1 ist:<br />
cA(t) = c 0 A<br />
cK(t) = x 0 K<br />
− x(t) (78a)<br />
+ x(t) (78b)<br />
Setzen wir nun die Gleichungen (78a) und (78b) in das differentielle Zeitgesetz (76) ein:<br />
dx(t)<br />
dt = k · c 0 A − x(t) · c 0 K + x(t)<br />
Die Lösung der Differentialgleichung (79) erfolgt durch Trennung der Variablen und<br />
anschließender Integration:<br />
1<br />
[c 0 A − x(t)] · [c0 K<br />
(79)<br />
+ x(t)]dx = kdt (80)<br />
27<br />
Zeitgesetz einer<br />
autokatalytischen<br />
Reaktion
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
Gleichung (80) ist von derselben Gestalt wie Gleichung (36). Diese Gleichung ist uns in<br />
Kapitel 4.2.1 auf Seite 14 bereits begegnet. Ihre Lösung verlief über eine Partialbruchzerlegung<br />
des Integranden in x. Das gleiche Verfahren wenden wir nun hier auch an. Das<br />
bedeutet, wir wandeln den Bruch in Gleichung (80) wie folgt um:<br />
1<br />
[c 0 A − x(t)] · [c0 K<br />
+ x(t)]<br />
!<br />
=<br />
[c 0 A<br />
a<br />
+<br />
− x(t)]<br />
[c 0 K<br />
b<br />
+ x(t)]<br />
Über das nun aus Kapitel 4.2.1 bereits bekannte Verfahren der Partialbruchzerlegung<br />
finden wir folgende Werte für die Konstanten a und b:<br />
a =<br />
1<br />
c 0 A + c0 K<br />
Damit können wir Gleichung (80) integrieren:<br />
x(t)<br />
0<br />
a<br />
[c 0 A − x′ ] dx′ +<br />
x(t)<br />
0<br />
(81)<br />
= b (82)<br />
b<br />
[c 0 K + x′ ] dx′ = k ·<br />
Die Integration von Gleichung (80) ist völlig analog zur Integration von Gleichung (36)<br />
in Kapitel 4.2.1 auf Seite 14. Wir erhalten als Ergebnis:<br />
c<br />
x(t) =<br />
0 A · c0k ·<br />
<br />
1 − e −k(c0 A +c0 <br />
k)·t<br />
(84)<br />
c 0 A · e−k(c0 A +c0 k)·t + c 0 K<br />
Die Gleichungen (78a) und (78b) geben uns den zeitlichen Verlauf der Konzentrationen Integrales<br />
von A und K. Den zeitlichen Verlauf der Konzentration von P erhalten wir wiederum<br />
über Gleichung (16), wobei wir für i = P einsetzen und beachten, dass c0 p = 0 ist:<br />
t<br />
0<br />
dt ′<br />
(83)<br />
cP(t) = x(t) (85)<br />
Nun können wir den zeitlichen Verlauf von cA(t), cK(t) und cP(t) plotten. Der Kurvenverlauf<br />
von cP(t) zeigt einen für die Autokatalyse typischen, S-förmigen Kurvenverlauf.<br />
Dieser erklärt sich dadurch, dass zu Beginn der Reaktion wegen c0 A ≫ c0 K die relative<br />
Zunahme von K sehr viel größer ist als die relative Abnahme von A. Dadurch steigt<br />
die Reaktionsgeschwindigkeit so lange an, bis die relative Abnahme von A die relative<br />
Zunahme von K überkompensiert. Die Reaktionsgeschwindigkeit dx(t)<br />
wird also ein<br />
dt<br />
Maximum durchlaufen und dann gegen Null gehen. Die Reaktion kommt zum Erliegen,<br />
wenn das gesamte Edukt A verbraucht ist. Der Graph von cK(t) nähert sich mit der Zeit<br />
dem Wert c ∗ K an, der sich aus cK(t) nach Gleichung (78b) für t → ∞ berechnet, wenn<br />
wir noch berücksichtigen, dass wir zu Beginn der Reaktion bereits eine Konzentration<br />
c0 K vorliegen hatten:<br />
c ∗ ⎡<br />
K = lim ⎣c 0 K +<br />
c0 A · c0k ·<br />
<br />
1 − e −k(c0 A +c0 ⎤<br />
k)·t<br />
⎦ = c 0 K + c0A (86)<br />
t→∞<br />
c 0 A · e−k(c0 A +c0 k)·t + c 0 K<br />
28<br />
Zeitgesetz einer<br />
autokatalytischen<br />
Reaktion
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
Das Produkt P nähert sich mit der Zeit seiner Endkonzentration c ∗ P<br />
Gleichung (85) für t → ∞ erhalten:<br />
c ∗ c<br />
P = lim cP(t) = lim x(t) = lim<br />
t→∞ t→∞ t→∞<br />
0 A · c0k ·<br />
<br />
1 − e −k(c0 A +c0 <br />
k)·t<br />
c 0 A · e−k(c0 A +c0 k)·t + c 0 K<br />
an, welche wir aus<br />
= c 0 A<br />
Die Konzentration des Eduktes A geht mit fortschreitender Zeit gegen 0, wenn wir den<br />
Limes von Gleichung (78a) für t → ∞ bilden:<br />
c ∗ 0<br />
A = lim cA(t) = lim cA − x(t)<br />
t→∞ t→∞<br />
⎛<br />
= lim ⎝c 0 c<br />
A −<br />
0 A · c0k ·<br />
<br />
1 − e −k(c0 A +c0 ⎞<br />
k)·t<br />
⎠ = 0 (88)<br />
t→∞<br />
vx(t) = c0 k c0 A k (c0 A + c0 K )e−k(c0 A +c0 k)·t<br />
c 0 A · e−k(c0 A +c0 k)·t + c 0 K<br />
c 0 A · e−k(c0 A +c0 k)·t + c 0 K<br />
Wir erhalten die Reaktionsgeschwindigkeit vx(t) = dx(t)<br />
, indem wir x(t) aus Gleichung<br />
dt<br />
(84) nach t differenzieren. Als Ergebnis finden wir:<br />
⎡<br />
c<br />
· ⎣1 −<br />
0 <br />
A e −k(c0 A +c0 ⎤<br />
k)·t<br />
− 1<br />
⎦ (89)<br />
e −k(c0 A +c0 k)·t + c 0 K<br />
Den Zeitpunkt tmax, bei welchem die Reaktionsgeschwindigkeit vx(t) ihren Maximalwert<br />
erreicht, erhalten wir, wenn wir vx(t) in Gleichung (89) nach der Zeit differenzieren, den<br />
resultierenden Ausdruck gleich Null setzen und nach t = tmax auflösen:<br />
dvx(t)<br />
dt = ˙vx(t)<br />
c<br />
=<br />
0 Kc0A k (c0A + c0K )2 ·<br />
<br />
e −k(c0 A +c0 k)·t 0 − cAc0 K − c0 2<br />
K<br />
<br />
<br />
e −k(c0 A +c0 3 K)·t<br />
c0 Ac0K + c0 2<br />
A<br />
<br />
Nullsetzen von ˙vx(t) und auflösen nach tmax liefert:<br />
t = tmax : → ˙v(tmax) = 0<br />
<br />
c0 A ln c<br />
→ tmax =<br />
0 <br />
K<br />
k · (c 0 A + c0 K )<br />
29<br />
(87)<br />
(90)<br />
(91)
cA(t), cK(t), cP (t) / mol<br />
l·s<br />
c ∗ K<br />
4 Betrachtung einfacher Beispiele aus der chemischen Kinetik<br />
1.2<br />
c 1 0 A<br />
c 0 K<br />
0.8<br />
0.6<br />
0.4<br />
0.2<br />
cP(t)<br />
cA(t)<br />
cK(t)<br />
c0 mol<br />
A = 1.0<br />
l<br />
c0 mol<br />
K = 0.1 l<br />
l<br />
k = 0.6 mol·s<br />
0<br />
0 2 4 6 8<br />
t/min<br />
10 12 14<br />
Abbildung 9: Der Verlauf von cA(t), cK(t) und cP(t) der autokatalyt. Rkt. (76)<br />
vx(t) / mol<br />
l·s<br />
0.25<br />
0.2<br />
vmax<br />
0.15<br />
0.1<br />
0.05<br />
vx(t)<br />
c0 mol<br />
A = 1.0 l<br />
c0 mol<br />
K = 0.1 l<br />
l<br />
k = 0.6 mol·s<br />
0<br />
0 2 4<br />
tmax<br />
6<br />
t/min<br />
8 10 12<br />
Abbildung 10: Die Reaktionsgeschwindigkeit der autokatalysierten Reaktion (76)<br />
30
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
5.1 Physikalische Grundlagen: Was ist Licht?<br />
Licht ist elektromagnetische Strahlung und besitzt einen elektrischen Anteil E(t) sowie<br />
einen magnetischen Anteil B(t). Sowohl elektrisches als auch magnetisches Feld oszillieren.<br />
Die sog. Maxwell’schen Gleichungen beschreiben die wechselseitige Beeinflussung<br />
des elektrischen und des magnetischen Wechselfeldes einer elektromagnetischen Welle:<br />
ein zeitlich sich änderndes elektrisches Feld E(t) erzeugt ein Magnetfeld und ein zeitlich<br />
sich änderndes Magnetfeld B(t) erzeugt ein elektrisches Feld. Dadurch pflanzen sich sowohl<br />
E- als auch B-Feld einer elektromagnetischen Welle durch den Raum fort. Wenn<br />
sich die Welle in y-Richtung ausbreitet, dann lauten die Gleichungen für elektrisches und<br />
magnetisches Wechselfeld der Welle:<br />
E(t) = E0 · e i·(k·y−ωt) (92)<br />
B(t) = B0 · e i·(k·y−ωt) (93)<br />
Hierbei ist k = ω die sog. Wellenzahl der elektromagnetischen Welle, und ω die Kreisfre-<br />
c<br />
quenz, c ist die Lichtgeschwindigkeit. Die Maxwell-Gleichungen, welche die gegensetitge<br />
Erzeugung oszillierender elektrischer und magnetischer Felder beschreiben, und nur der<br />
Vollständigkeit halber angegeben werden, lauten:<br />
∇· E = ρe<br />
ǫ0<br />
(94)<br />
∇· B = 0 (95)<br />
∇× E = − ∂ B(t)<br />
∂t<br />
∇× B = µ0j + µ0ǫ0 · ∂ E(t)<br />
∂t<br />
Ferner stehen elektrisches und magnetisches Feld einer elektromagnetischen Welle senkrecht<br />
aufeinander. Tragen wir den Realteil von E(t) und von B(t) in ein Diagramm ein,<br />
so erhalten wir eine Veranschaulichung von dem, was eine elektromagnetische Welle ist.<br />
Siehe hierzu Abb. 11 auf der nächsten Seite.<br />
Die Wellenlänge λ, [λ] = nm = 10−9m bestimmt die Energie der elektromagnetischen<br />
Welle:<br />
E(λ) = h · c<br />
(98)<br />
λ<br />
hierbei ist h = 6, 626 · 10−34Js das sog. Planck’sche Wirkungsquantum. Je kleiner die<br />
Wellenlänge λ ist, desto energiereicher ist die elektromagnetische Welle. Elektromagnetische<br />
Wellen besitzen auch Teilcheneigenschaften. Über die sog. deBroglie-Beziehung kann<br />
man einer elektromagnetischen Welle daher auch einen Impuls p = m · v zuschreiben:<br />
λ = h<br />
p<br />
31<br />
(96)<br />
(97)<br />
(99)
x<br />
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
z<br />
B(t)<br />
Abbildung 11: Eine elektromagnetische Welle<br />
Die Ausbreitungsgeschwindigkeit c des Lichtes ist abhängig vom durchstrahlten Medium.<br />
Im Vakuum ist die Lichtgeschwindigkeit größer als innerhalb von Materie. Die Geschwindigkeit<br />
der Lichtausbreitung in Abhängigkeit vom durchstrahlten Medium berechnet sich<br />
nach:<br />
Dabei bedeuten:<br />
c =<br />
1<br />
√ ǫ0 · ǫr · µ0 · µr<br />
• c: Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts im betrachteten Medium<br />
−12 As<br />
• ǫ0: Dielektrizitätskonstante des Vakuums (ǫ = 8, 85416 · 10 V m )<br />
• ǫr: Dielektrizitätszahl des durchstrahlten Mediums (z. B. ǫ H2O<br />
r<br />
−7 V s<br />
• µ0: Magnetische Feldkonstante µ0 = 4π · 10 Am<br />
E(t)<br />
y<br />
= 78)<br />
• µr: magnetische Permeabilitätszahl des durchstrahlten Mediums (z. B. µ H2O<br />
r<br />
−6 · 10 −6 )<br />
(100)<br />
Aus Gleichung (100) folgt, daß sich an Phasengrenzen (z. B. Luft/Wasser) die Ausbreitungsgeschwindigkeit<br />
des Lichts ändert. Darauf ist der Effekt der Brechung von Licht<br />
32<br />
=
an Flüssigkeitsoberflächen zurückzuführen.<br />
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
Der Wellenlängenbereich elektromagnetischer Strahlung reicht von wenigen Femtometern<br />
(10 −15 m, harte kosmische Strahlung) bis zu mehreren Metern (Radiowellen). Je<br />
nach Wellenlängenbereich wird die elektromagnetische Strahlung in verschiedene Typen<br />
eingeteilt, wie etwa γ-Strahlung, Röntgen-Strahlung, sichtbares Licht, Radiowellen. Die<br />
Grenzen zwischen den verschiedenen Strahlungsarten sind selbstverständlich fließend<br />
und können nur sehr willkürlich gezogen werden. Eine mögliche, sinnvolle Einteilung ist<br />
in Tabelle 1 gegeben:<br />
Wellenlängenbereich [m] Bezeichnung Effekt/Anwendung<br />
10 −15 − 10 −12 kosmische Strahlung Krebserregend<br />
10 −12 − 10 −10 γ-Strahlung Hochenergietechnik<br />
10 −10 − 1, 0 · 10 −8 Röntgenstrahlung medizinische Diagnostik<br />
1, 0 · 10 −8 − 2, 0 · 10 −7 UV-Bereich Hautkrebs<br />
(2, 0 − 8, 0) · 10 −7 sichtbares Licht sehen ()<br />
8 · 10 −7 − 1 · 10 −6 IR-Strahlung Wärme<br />
10 −6 − 10 −3 Mikrowellen Wärme<br />
10 −3 − 1 Radarwellen atmosphär. Ortung<br />
> 1 Radiowellen Informationsübertragung<br />
Tabelle 1: Wellenlängenbereiche der elektromagnetischen Strahlung<br />
Der Wellenlängen-Bereich 200 nm < λ < 800 nm wird als das sichtbare Fenster des<br />
elektromagnetischen Spektrums bezeichnet. Dieser Bereich umfasst das gesamte, für<br />
das menschliche Auge sichtbare Spektrum der elektromagnetischen Strahlung. Während<br />
Wellenlängen in der Gegend von λ ≈ 200 nm noch im Ultravioletten (UV) liegen, befinden<br />
sich Wellenlängen in der Gegend von λ ≈ 800 nm bereits im Infraroten (IR).<br />
Insgemsamt wird der Wellenlängenbereich 200 nm < λ < 800 nm auch als UV-VIS-<br />
Bereich der elektromagnetischen Strahlung bezeichnet. Dieser Wellenlängenbereich ist<br />
für uns von besonderem Interesse, da er die Grundlage der UV-VIS Spektroskopie bildet.<br />
360 380 400 420 440 460 480 500 520 540 560 580 600 620 640 660 680 700 720 740 760 780 800<br />
Abbildung 12: Der sichtbare Teil des elektromagnetischen Spektrums<br />
Obwohl die Theorie der Farbe kompliziert ist, kann man den einzelnen Wellenlängenbereichen<br />
Farben zuordnen. Siehe hierzu Tabelle 2. Natürlich ist eine derartige Zuord-<br />
33
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
nung der einzelnen Grenzen rein willkürlich und könnte genausogut anders vorgenommen<br />
werden.<br />
Wellenlängenbereich [nm] Farbe<br />
400 − 430 Violett<br />
430 − 490 Blau<br />
490 − 570 Grün<br />
570 − 580 Gelb<br />
580 − 640 Orange<br />
640 − 780 Rot<br />
Tabelle 2: Farben im sichtbaren Spektralbereich<br />
5.2 Wechselwirkung von Licht mit Materie<br />
Grundlage einer jeden Art von Spektroskopie ist die Wechselwirkung von Licht mit<br />
Materie. Dabei ist die Wechselwrikung der elektromagnetischen Strahlung mit Materie<br />
abhängig von der Wellenlänge der Strahlung. Kurzwelliges Licht wechselwirkt mit Materie<br />
anders als Langwelliges. In Tabelle 1 haben wir eine willkürliche Einteilung des<br />
gesamten Spektralbereichs der elektromagnetischen Strahlung vorgenomen. Die gleiche<br />
Einteilung können wir nun verwenden, um nun den Effekt zu Beschreiben, den die elektromagnetische<br />
Strahlung auf die bestrahlten Moleküle ausübt, und um die daraus resultierenden<br />
Spektroskopie-Arten zu erläutern.<br />
Wellenlängenbereich Bezeichnung Art der Wechselwirkung Spektroskopie<br />
100 m − 1 cm Radiofrequenzen Kernanregung NMR 5 -, ESR 6 -Spektroskopie<br />
1 cm − 100 µm Mikrowellengebiet Molekülrotation Rotationsspektroskopie<br />
100 µm − 1 µm Infrarotgebiet Molekülschwingung Schwingungsspektroskopie<br />
1 µm − 10 nm UV-VIS Bereich Valenzelektronenanregung UV-VIS Spektroskopie<br />
10 nm − 100 pm Röntgengebiet Anregung innerer Elektronen XRF-Spektroskopie 7<br />
100 pm − 1 pm γ-Strahlung Umordnung der Nukleonen<br />
Tabelle 3: Farben im sichtbaren Spektralbereich<br />
Für uns von Interesse ist das UV-VIS Gebiet mit einem Wellenlängenbereich von<br />
10 nm < λ < 1 µm. Licht dieser Wellenlänge ist in der Lage, die Valenzelektronen von<br />
Atomen und Molekülen anzuregen. Wir werden uns daher zunächst ein wenig mit Atomund<br />
Molekülorbitalen sowie der Anregung der Elektronen darin beschäftigen.<br />
Betrachten wir hierzu das Iod-Molekül. Seine Elektronenkonfiguration lautet:<br />
I2 : [Kr]4d 10 5s 2 5p 5 . Im Rahmen der UV-VIS Spektroskopie sind für uns die 5s- und<br />
5<br />
6<br />
7<br />
” XRF“steht für X-Ray-Fluorescence; Röntgenfluoreszenz-Spektroskopie<br />
” ESR“steht für ElektronenSpinResonanz<br />
” NMR“steht für NuclearMagneticResonance; Kernspin-Resonanz<br />
34
ELUMO<br />
EHOMO<br />
E<br />
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
Iod-Atom 1 I2-Molekül Iod-Atom 2<br />
π ∗ u 2<br />
5p2 x 5p2 y 5p2 z 5p2 5p z<br />
2 5p y<br />
2 x<br />
5s 2<br />
π 2 g<br />
Abbildung 13: MO-Diagramm von Iod<br />
5p-Elektronen bedeutsam. Wir können die Energie der Atomorbitale der einzelnen Iodatome<br />
sowie die Energie der Molekülorbitale des Iodmoleküls in ein Molekülorbital-<br />
Energie-Diagramm – kurz: in ein MO-Diagramm eintragen. Dann erhalten wir die in<br />
Abb. 13 gezeigte Anordnung.<br />
Die in Abbildung 13 vorkommenden Bezeichnungen EHOMO und ELUMO sind die Energien<br />
des energetisch höchst-gelegenen, besetzten Orbitals (HOMO = Highest Occupied<br />
Molecular Orbital) und des energetisch niedrigst-gelegenen, unbesetzten Orbitals (LU-<br />
MO = Lowest Unoccupied Molecular Orbital). Von Bedeutung ist hierbei die Energiedifferenz<br />
zwischen HOMO und LUMO:<br />
σ ∗ u<br />
σ 2 g<br />
σ ∗ u 2<br />
σ 2 g<br />
π ∗ u 2<br />
5π 2 g<br />
∆E = ELUMO − EHOMO<br />
5s 2<br />
(101)<br />
Wenn wir einem Elektron im HOMO einen Energiebetrag ∆E nach Gleichung (101)<br />
zuführen, so wird dieses Elektron angeregt und wechselt vom HOMO ins LUMO. Diese<br />
Anregung kann etwa durch Bestrahlung mit Licht geschehen. Jedoch darf hier nicht<br />
” beliebiges“ Licht verwendet werden, sondern es muß Licht einer speziellen Wellenlänge<br />
sein. Kombinieren wir Gleichung (101) mit Gleichung (98), so erhalten wir:<br />
λ =<br />
h · c<br />
∆E<br />
(102)<br />
Diese Gleichung besagt, daß wir Licht der Wellenlänge λ = h·c verwenden müssen,<br />
∆E<br />
um ein Elektron vom HOMO des Iod in das LUMO anzuregen. Anders ausgedrückt ist<br />
35
ELUMO<br />
EHOMO<br />
E<br />
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
Iod-Atom 1 I2-Molekül Iod-Atom 2<br />
∆E = h·c<br />
λ<br />
π ∗ u 2<br />
5p2 x 5p2 y 5p2 z 5p2 5p z<br />
2 5p y<br />
2 x<br />
5s 2<br />
π 2 g<br />
Abbildung 14: Anregung eines Elektrons im HOMO von Iod<br />
Iod in der Lage, Licht genau dieser Wellenlänge (102) zu absorbieren. Der elektronische<br />
Grundzustand des Iod ist ein sog. 1 Σ + g -Zustand. Seine Energie wird gleich Null gesetzt:<br />
E( 1 Σ + g ) = 0. Der erste angeregte Zustand des Iod wird als 3 Π1u bezeichnet, und er hat<br />
eine Energie von E( 3 Π1u) = 1, 474 eV = 2, 361 · 10 −19 J. Die Energiedifferenz ∆E ist<br />
dann gegeben durch ∆E = E( 3 Π1u) −E( 1 Σ + g ) = 1, 474 eV = 2, 361 · 10 −19 J. Hieraus errechnen<br />
wir eine Wellenlänge von λ = 841 nm. Iod absorbiert also Licht bei λ = 841 nm.<br />
Dieses Licht liegt im roten Bereich des elektromagnetischen Spektrums.<br />
Wenn wir weißes Licht in gasförmiges Iod einstrahlen, so werden die roten Anteile<br />
aus dem Licht entfernt. Wir sehen daher die sog. Komplementärfarbe, und Iod-Dämpfe<br />
erscheinen daher bläulich bis violett. Allerdings ändert sich der Sachverhalt ein wenig,<br />
sobald Iod in gelöster Form vorliegt. Iod ist ein apolares Molekül und ist daher nur<br />
wenig in polaren Solvenzien wie Wasser lösbar. Ein Trick, um dieses Problem zu umgehen<br />
ist, Iod zusammen mit Kaliumiodid in Lösung zu bringen. Durch die Reaktion des<br />
molekularen Iod I2 mit dem Iodid-Ion I − aus dem Salz Kaliumiodid KI entsteht eine<br />
schmutzig-braune Lösung von Kaliumtriiodid:<br />
I2 + K + + I −K<br />
σ ∗ u<br />
σ 2 g<br />
σ ∗ u 2<br />
σ 2 g<br />
π ∗ u 2<br />
5π 2 g<br />
5s 2<br />
+ + I − 3 (103)<br />
Das Triiodid-Ion ist als geladenes Teilchen sehr gut in Wasser löslich. Durch die Reaktion<br />
des Iodmoleküls mit dem Iodid-Ion zum Triiodid-Ion und durch die Wechselwirkung des<br />
Triiodid-Ions mit den Wassermolekülen ändert sich die Farbe des Iod von bläulich-violett<br />
nach schmutzig-braun. Aber die einzig farbgebende Substanz in einer wäßrigen KI/I2-<br />
Lösung ist nach wie vor das Iod bzw. das Triiodid-Ion, und wenn wir die KI/I2-Lösung<br />
36
ELUMO<br />
EHOMO<br />
E<br />
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
Iod-Atom 1 I2-Molekül Iod-Atom 2<br />
5p2 x 5p2 y 5p2 z 5p2 5p z<br />
2 5p y<br />
2 x<br />
5s 2<br />
π ∗ u 2<br />
π 2 g<br />
Abbildung 15: Iod im ersten, angeregten Zustand<br />
mit weißem Licht bestrahlen, so ändert sich dennoch die Farbe des Lichtes bzw. die<br />
Intensität der eingestrahlten elektromagnetischen Wellen. Die Abnahme der Intensität<br />
des eingestrahlten Lichtes ist der <strong>physikalische</strong> Parameter, den wir über die Methoden<br />
der UV-VIS Spektroskopie (eigentlich Spektrometrie) messen wollen. Wenn wir die<br />
Abnahme der Intensität des eingestrahlten Lichtes bei einer KI/I2-Lösung bekannter<br />
Konzengtration kennen, dann können wir daraus die Konzentration einer unbekannten<br />
KI/I2-Lösung ermitteln. Dies geschieht mit Hilfe eines Spektralphotometers und des<br />
Lambert-Beer’schen Gesetzes.<br />
5.3 Das Spektralphotometer<br />
Wir kennen jetzt die <strong>physikalische</strong> Ursache für die Farbigkeit einer wäßrigen Iod-Lösung<br />
bzw. einer wäßrigen KI/I2-Lösung: die Absorption von Licht aufgrund der Anregung<br />
von Valenzelektronen. Ferner wissen wir, daß durch die Absorption von Licht einer ganz<br />
bestimmten Wellenlänge λ, welche wir nach Gleichung (102) berechnen können, sich die<br />
Intensität des eingestrahlten Lichts ändert. Diese Intensitätsänderung können wir mit<br />
Hilfe eines Spektralphotometers messen. Der prinzipielle Aufbau eines Spektralphotometers<br />
ist inbb. 16 gegeben.<br />
Wir wollen nun die Bestandteile eines Spektrahlphotometers und deren Funktion besprechen.<br />
σ ∗ u<br />
σ 2 g<br />
σ ∗ u 2<br />
σ 2 g<br />
• Lichtquelle: Die Funktion der Lichtquelle sollte klar sein: sie liefert das Licht,<br />
welches von der Probe absorbiert werden soll. Allerdings wissen wir inzwischen, daß<br />
37<br />
π ∗ u 2<br />
5π 2 g<br />
5s 2
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
Abbildung 16: Prinzipskizze eines Einstrahl-Photometers<br />
die Absorption abhängig von der Wellenlänge ist. Wir müssen also sicherstellen,<br />
daß die von uns gewählte Lichtquelle auch Licht genau der Wellenlänge λ enthält,<br />
welche nach Gleichung (102) zur Anregung der zu untersuchenden Probe notwendig<br />
ist. Prinzipiell werden Linienstrahler und Kontinuumsstrahler unterschieden.<br />
– Linienstrahler: Dies sind Lichtquellen, welche nur Licht bestimmter Wellenlängenbereiche<br />
aussenden. Typische Linienstrahler sind etwa Quecksilberdampflampen<br />
oder Cadmiumdampflampen. Werden Quecksilber bzw. Cadmium<br />
erhitzt, so verdampfen sie und senden Licht ganz bestimmter Wellenlängen<br />
aus (sie bilden also ein diskontinuierliches Spektrum). Die Quecksilberdampflampe<br />
(Hg-Lampe) etwa sendet Licht folgender Wellenlängen aus:<br />
254 nm, 265 nm, 280 nm, 302 nm, 313 nm, 334 nm, 365 nm, 405 nm,<br />
436 nm, 492 nm, 546 nm, 578 nm, 623 nm und 691 nm. Vorteile gegenüber<br />
einem Kontinuumstrahler sind die höhere Intensität sowie die schmalen Wellenlängenbereiche,<br />
die mit relativ kleinem Aufwand isoliert werden können.<br />
Nachteilig hingegen ist, daß nur Licht bestimmter Wellenlängen zur Verfügung<br />
steht, die nicht immer mit der optimalen Absorption der zu messenden Substanz<br />
zusammenfallen.<br />
– Kontinuumstrahler: Hierbei handelt es sich um Lampen, welche Licht kontinuierlich<br />
über einen großen Wellenbereich, meist über das gesamte sichtbare<br />
Spektrum, ausstrahlen. Typische Beispiele für Kontinuumsstrahler sind:<br />
∗ Wolframfadenlampe: Sie emittieren Licht im Bereich 300 nm < λ <<br />
38
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
Abbildung 17: Emissionsspektrum von Quecksilberdampflampen<br />
1000 nm. Sie strahlt ab ca. 300 nm mit zunehmender Intensität, im UV-<br />
Bereich ist ihre Leistung hingegen schwach.<br />
∗ Halogenlampe: (Jodquarzlampe) sie emittieren Licht im Bereich 300 nm <<br />
λ < 1000 nm. Sie weisen eine höhere Lichtintensität auf als die Wolframlampen<br />
∗ Deuteriumlampe: Sie emittieren Licht im Bereich 180 nm < λ <<br />
360 nm, sie sind also besonders für den UV-Bereich geeignet.<br />
∗ Xenonlampe: Sie emittieren Licht im Bereich 200 nm < λ < 1000 nm<br />
in gepulster Form aus<br />
• Eintrittsspalt: Durch den Eintrittsspalt wird gewährleitstet, dass ein paralleles<br />
Lichtbündel auf das Dispersionselement fällt.<br />
• Dispersionselement: Wie im Kapitel 5.2 dargelegt, benötigen wir Licht einer ganz<br />
speziellen Wellenlänge λ für die Anregung der Elektronen. Das Dispersionselement<br />
gestattet es, einen relativ eng begrenzten Bereich des elektromagnetischen Spektrums<br />
(∆λ ≈ 1 nm) aus dem polychromatischen, weißen Licht der Lichtquelle<br />
herauszuschneiden. Prinzipiell werden zwei Typen an Dispersionselementen unterschieden:<br />
– Prismen: Fällt Licht auf die Oberfläche von Glas, so wird es dort gebrochen.<br />
Dabei wird Licht unterschiedlicher Wellenlängen unterschiedlich stark gebrochen.<br />
So ist es möglich, mit Hilfe eines Prismas das weiße Licht der Lichtquelle<br />
in seine Bestandteile, also in die einzelnen Farben aufzuteilen. Vorteile der<br />
Prismen sind die hohe Präzision sowie die einfache Handhabung. Nachteilig<br />
39
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
Abbildung 18: Emissionsspektrum von Xenondampflampen<br />
hingegen ist die relativ hohe Eigenabsorption sowie die Nichtliniearität der<br />
Lichtbrechung und deren Temperaturabhängigkeit.<br />
– Gitter: Sie bestehen aus einer großen Anzahl an äquidistanten Linien, welche<br />
maschinell in eine ebene Oberfläche (Glas- oder Kunststoffplatte) eingebracht<br />
wurden. Die Stege zwischen den einzelnen Linien wirken dabei als dicht beieinanderliegende<br />
Spalte, an denen das Licht gebeugt wird. Die Gitter sind<br />
meist als Reflexionsgitter ausgeführt und besitzen 10000 und mehr Spalten<br />
pro Zentimeter. Gitter sind einfacher herzustellen als Prismen, erreichen jedoch<br />
nicht deren Präzision.<br />
• Austrittsspalt: Der Austrittsspalt blendet die unerwünschten Wellenlängenbereiche<br />
sowie Streulicht aus.<br />
• Monochromator: Die Anordung Eintrittsspalt-Dispersionselement-Austrittsspalt<br />
wird Monochromator genannt. Das Licht, welches direkt aus der Lichtquelle kommt,<br />
besteht aus Licht sehr vieler Wellenlängen und wird daher polychromatisch genannt.<br />
Nachdem das Licht den Monochromator verlässt, sollte es idealerweise aus<br />
Licht von nur einer einzigen Wellenlänge bestehen, was aber nicht realisierbar ist,<br />
da dann der Austrittsspalt unendlich klein sein müsste. Licht bestehend aus nur<br />
einer einzigen Wellenlänge wird monochromatisch genannt. Da aber monochromatisches<br />
Licht nicht realisierbar ist, sondern im besten Fall Licht, welches aus<br />
Wellenlängen aus einem schmalen Wellenlängenbereich λ + ∆λ enthält, spricht<br />
man von Monochromasie.<br />
• Probe: In Spektralphotometern sind die Proben praktisch immer Küvetten mit<br />
40
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
Abbildung 19: Beugung von Licht durch ein Prisma<br />
einer Messlösung darin. Die Küvette selbst bedingt bereits eine gewisse Absorption<br />
des einfallenden, monochromatischen Lichtes. Weiterhin wird das einfallende<br />
Licht an der Oberfläche der Küvette zu einem gewissen Grad reflektiert, was zu<br />
weiteren Verlusten an Lichtintensität führt. Küvetten bestehen meist aus Kunststoff,<br />
manchmal aus Glas. Kunststoffküvetten sind sehr kostengünstig, sind aber<br />
als Verbrauchsmaterial anzusehen und die optischen Flächen sind sehr empfindlich.<br />
Glasküvetten hingegen sind länger haltbar, allerdings bedürfen die optischplanaren<br />
Flächen eine gute Pflege und dürfen keinesfalls mit den Fingern berührt<br />
werden.<br />
• Detektor: Der Detektor wandelt die Intensität des aus der Küvette austretenden<br />
Lichtes in ein elektrisches Signal um. Die häufigsten Detektoren sind:<br />
– Photomultiplier: Die Photomultiplierröhre kombiniert die Signalumwandlung<br />
mit mehreren Verstärkungsstufen. Allerdings eignet sich eine Photomultiplierröhre<br />
hauptsächlich für den Einsatz im UV-Bereich bei hohen Lichtintensitäten<br />
– Photodiode: Das einfallende Licht fällt auf einen Halbleiter in der Photodiode<br />
und macht diesen Leitfähig. Ein zur Photodiode parallel geschalteter<br />
Kondensator wird dadurch entladen. Der Strom, welcher zum erneueten Laden<br />
des Kondensators benötigt wird, ist direkt proportional zur eingefallenen<br />
Lichtstärke<br />
Die zu vermessende Probe besteht in unserem Fall aus einer wäßrigen KI/I2 ≡ KI3-<br />
Lösung. Es stellt sich nun die Frage, bei welcher Wellenlänge wir messen müssen, denn<br />
Gleichung (102) gilt nur in der Gasphase für ideale Substanzen. Um feststellen zu können,<br />
41
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
bei welcher Wellenlänge wir messen müssen, nehmen wir einen Wellenlängenscan unserer<br />
Probe vor. Dazu wird die Absorptionsfähigkeit A(λ) der Probe in der Küvette bei<br />
variabler Wellenlänge in einem Wellenlängenbereich von 200 nm < λ < 800 nm gemessen.<br />
Die Wellenlängen, die ein ausgezeichnetes Absorptionsmaximum zeigen, eignen sich<br />
gut zur Vermessung der Probe, da die Probe bei genau diesen Wellenlängen sehr gut<br />
absorbiert.<br />
A(λ)<br />
0.04<br />
0.035<br />
0.03<br />
0.025<br />
0.02<br />
0.015<br />
0.01<br />
0.005<br />
A(λ)<br />
0<br />
200<br />
λ1<br />
300<br />
λ2<br />
400 500<br />
λ3<br />
600 700<br />
λ/nm<br />
Abbildung 20: Absorptionsspektrum einer wäßrigen Iodlösung<br />
Abbldung 20 zeigt das Absorptionsspektrum von Iod. Wir erkennen drei ausgeprägte<br />
Absorptionsmaxima: das erste bei λ1 = 220 nm, das zweite bei λ2 = 280 nm und das<br />
dritte bei λ3 = 490 nm. Weiterhin ist noch ein wenig ausgeprägtes Absorptionsmaximum<br />
bei λ4 = 410 nm vorhanden. Am geeingetsten erscheint uns daher das Absorptionsmaximum<br />
bei λ1 = 220 nm, da dort die intensivste Absorption stattfindet. Allerdings ist<br />
nicht nur das Absorptionsverhalten der Probe von Bedeutung, sondern es spielt genauso<br />
das Emissionsverhalten der Lichtquelle eine Rolle. Anders ausgedrückt muß die von<br />
uns verwendete Lichtquelle im Photometer bei der uns interessierenden Wellenlänge von<br />
λ1 = 220 nm genügend Licht für die Messung emittieren.<br />
Im Praktikum verwenden wir ein Einstrahlphotometer mit einer Wolframfadenlampe.<br />
Diese hat eine Betriebstemperatur von 3000 K. Ihr Emissionsspektrum gleicht dem eines<br />
schwarzen Strahlers. Wir können die spektrale Strahlungsenergiedichte u(λ) über<br />
den uns interessierenden Wellenlängenbereich vermessen und erhalten etwa den in Abb.<br />
21 dargestellten Graphen.<br />
Wir erkennen in Abbildung 43, daß die Wolframfadenlampe ihr Absorptionsmaximum<br />
etwa bei einer Betriebstemperatur von T = 3000 K bei λmax ≈ 600 nm hat. Die Emission<br />
bei λ1 = 200 nm ist sehr gering. Daher scheint dieses Absorptionsmaximum der Probe<br />
42
u(λ)/ ` Js · m −3´<br />
0.045<br />
0.04<br />
0.035<br />
0.03<br />
0.025<br />
0.02<br />
0.015<br />
0.01<br />
0.005<br />
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
u(λ)<br />
T = 3000 K<br />
0<br />
0 500<br />
λmax<br />
1000<br />
λ/nm<br />
1500 2000<br />
Abbildung 21: Emissionsspektrum der Wolframfadenlampe<br />
für die Messung ungeeignet. Allerdings besitzt die wäßrige Iodlösung noch zwei weitere,<br />
ausgeprägte Absorptionsmaxima. Wir wählen daher das Absorptionsmaximum, dessen<br />
Wellenlänge am nächsten beim Absorptionsmaximum λmax ≈ 600 nm der Wolframfadenlampe<br />
liegt. Dies ist das Absorptionsmaximum bei λ = 490 nm. Diese Wellenlänge<br />
ist also die Wellenlänge, welche wir später im Experiment zur Messung der Absorption<br />
der Iodlösung verwenden.<br />
5.4 Das Lambert-Beer’sche Gesetz<br />
Wir kennen nun die Ursache für die Absorption von Licht durch Materie und wie wir<br />
diese messen können. Mit Hilfe eines Spektralphotometers ist es möglich, die Lichtintensität<br />
I(λ) in Abhängigkeit der Wellenlänge λ zu messen. Durch den Detektor wird<br />
die ankommende elektromagnetische Strahlung in ein elektrisches Signal umgewandelt,<br />
welches direkt proportional zur Strahlungsintensität bzw. Lichtintensität ist.<br />
Als Strahlungsintensität oder Strahlungsflussdichte bezeichnet wird die pro Zeiteinheit<br />
dt und pro Flächeneinheit dA senkrecht einfallende oder abgegebene Strahlungsenergie<br />
dQ bezeichnet. Gleichbedeutend hierzu ist der Strahlungsfluss Φ pro Flächeneinheit dA<br />
bei senkrechtem Einfall. Der Strahlungsfluß Φ ist gegeben durch:<br />
Φ = dQ<br />
dt<br />
(104)<br />
Wobei dQ die eingestrahlte Energiemenge ist ([dQ] = J, [Φ] = J = W). Die Strahlungs-<br />
s<br />
intensität wird gewöhnlich mit I bezeichnet. Fällt in der Zeit dt auf einer Fläche dA<br />
43
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
unter dem Winkel α zur Flächennormalen die Strahlungsenergie dQ ein, so gilt für die<br />
Strahlungsintensität I:<br />
I = cos (α) · d2 Q<br />
dA · dt<br />
J<br />
= dΦ<br />
dA<br />
(105)<br />
Die Einheit der Lichtintensität ist s·m2 = W<br />
m2. Im Falle des Lichts wird statt von der<br />
Strahlungsintensität von Lichtintensität gesprochen, wobei diese dann ein Maß für die<br />
Anzahl der Lichtquanten darstellt, die pro Fläche und Zeiteinheit auftreten.<br />
Betrachten wir den Weg des Lichtes durch die Küvette. Das Licht verläßt den Monochromator<br />
als Licht hoher Monochromasie und trifft mit der Intensität I0 auf die Oberfläche<br />
der Küvette auf. Ein Teil des Lichtes wird dort auf der Oberfläche der Küvette Reflektiert,<br />
was sich in einer Verlustintensität IR1 niederschlägt. Innerhalb der Küvette treten<br />
weitere Verluste an Lichtintensität auf. Durch kollodial gelöste Teilchen in der Messflüssigkeit<br />
oder durch Staub- und Schmutzpartikel in der Lösung treten Rayleigh- und<br />
Mies-Streuung auf. Ein Teil des Lichtes wird dadurch in alle Richtungen gestreut und ist<br />
daher auch als Verlustintensität IS anzusehen. Ein Teil des Lichtes wird natürlich auch<br />
von der zu vermessenden Substanz absorbiert, woraus sich eine weitere Abnahme der<br />
ursprünglich eingestrahlten Lichtintensität um den Betrag IA ergibt. Die Größe IA ist<br />
diejenige Größe, an der wir interessiert sind. Beim Übertritt des Lichtes vom Innenraum<br />
der Küvette an die umgebende Atmosphäre wird ein weiterer Teil an der Innenwand der<br />
Küvette reflektiert, woraus eine weitere Verlustintensität IR2 resultiert.<br />
I0<br />
IR1<br />
IS<br />
IR2<br />
<br />
IA<br />
Abbildung 22: Lichtintensitäten in der Küvette<br />
Das Licht, welches die Küvette dann verlässt, hat eine Intensität IT, es ist die Intensität<br />
des transmittierten Lichtes. Dieses Licht trifft nun auf den Detektor und wird registriert.<br />
Schreiben wir daher eine Bilanz der Lichtintensitäten beim Weg des Lichtes durch die<br />
Küvette auf:<br />
I0(λ) = IR1 + IS + IA + IR2 + IT<br />
(106)<br />
44<br />
IT
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
Es ist davon auszugehen, daß die Intensität IR1 des reflektierten Lichtes beim Eintritt<br />
des Lichtstrahls in die Küvette ebenso groß ist wie die Intensität IR2 beim Austritt, es<br />
also gilt: IR1 = IR2 = IR, woraus folgende Vereinfachung resultiert:<br />
I0(λ) = 2 · IR + IS + IA + IT<br />
Ausgehend von Gleichung (107) wird der sog. Transmissionsgrad T definiert:<br />
I0<br />
T = IT<br />
I0<br />
= 1 − [2 · IR + IS + IA]<br />
3<br />
I(x)<br />
I0<br />
2<br />
1<br />
IT<br />
dx<br />
b<br />
I0<br />
dI<br />
0<br />
0 1 2 3<br />
Abbildung 23: Exponentielle Abnahme der Lichtintensität<br />
x<br />
IT<br />
(107)<br />
(108)<br />
Betrachten wir die Intensität des Lichtes auf dem Weg durch die Küvette. Reflektion<br />
und Streuung wollen wir zunächst völlig vernachlässigen. Die Küvette habe die Breite<br />
b. Entlang eines infinitesimalen Wegstückes dx in der Küvette nimmt die Intensität des<br />
Lichtes um einen infinitesimalen Anteil −dI ab. Es erscheint logisch, daß die Abnahme<br />
−dI des Lichtes umso größer sein wird, je größer das Wegelement dx ist. Es wird also<br />
gelten:<br />
−dI ∝ dx<br />
Der Grund für die Schwächung der Lichtintensität in der Küvette ist die Absorption des<br />
Lichtes durch die zu vermessende Substanz. Je größer die Konzentration c der absorbierenden<br />
Substanz ist, desto größer wird die Abnahme dI der Lichtintensität sein. Es wird<br />
also weiterhin gelten:<br />
−dI ∝ dx · c<br />
Ferner wird die Intensität umso stärker abnehmen, je größer die momentan vorhandene<br />
Intensität I(x) ist. Somit wird weiterhin eine Proportionalität zu I(x) gelten:<br />
−dI ∝ I(x) · dx · c<br />
45
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
Als Proportionalitätskonstante fügen wir die Konstante k ein. Dann erhalten wir folgende,<br />
einfache Differentialgleichung:<br />
dI = −I(x) · k · c · dx (109)<br />
Die Lichtintensität an einem Ort x in der Küvette erhalten wir, wenn wir die Variablen<br />
Trennen und von z = 0 bis z = x integrieren. Bei z = 0 sei I(0) = I0 und bei z = x sei<br />
I(z) = I(x):<br />
I(x)<br />
I0<br />
1<br />
dI = −c · k ·<br />
I<br />
x<br />
0<br />
ln(I(x)) − ln (I0) = −c · k · x<br />
<br />
I(x)<br />
ln = −k · c · x (110)<br />
I0<br />
Führen wir in Gleichung (110) eine Basis-Transformation von der Basis e zur Basis 10<br />
des natürlichen Logarithmus durch, so erhalten wir:<br />
<br />
I(x)<br />
lg = − lg (e) k · c · x (111)<br />
I0<br />
− lg(e)·k·c·x<br />
I(x) = 10<br />
Da lg (e) eine Konstante ist, können wir eine neue Konstante definieren:<br />
Somit erhalten wir folgendes Ergebnis:<br />
dz<br />
(112)<br />
ǫ = lg (e) · k (113)<br />
I(x) = I0 · 10 −ǫ·c·x<br />
(114)<br />
Es beschreibt die Abname der Lichtintensität I0 durch ein absorbierendes Medium auf<br />
der Länge x. Am Ort x = b verläßt das Licht die Küvette und hat die Intensität I(b) = IT.<br />
Dann gilt:<br />
IT<br />
I0<br />
= 10 −ǫ·c·x<br />
Nach Gleichung (108) ist Gleichung (115) identisch mit dem Transmissionsgrad T:<br />
T = IT<br />
I0<br />
= 10 −ǫ·c·x<br />
(115)<br />
(116)<br />
Der negative dekadische Logarithmus des Transmissionskoeffizienten wird als Extinktion<br />
bezeichnet. Das ist das Lambert-Beer’sche Gesetz:<br />
<br />
IT<br />
E(λ) = − lg (T) = − lg = ǫ · c · x (117)<br />
0<br />
46
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
Die Größe ǫ wird dekadischer Extinktionskoeffizient genannt. Er ist charakteristisch<br />
für die absorbierende Substanz. Daher hängt ǫ von der Wellenlänge λ ab. Ferner hängt<br />
der Extinktionskoeffizient stark von der Temperatur T ab. Eine Substanz kann außerdem<br />
bei mehr als einer Wellenlänge absorbieren. Daher sind Wellenlänge λ und Temperatur<br />
T bei UV-VIS spektrometrischen Untersuchungen immer mit anzugeben!<br />
ǫ = ǫ(λ, T) (118)<br />
Bei der Herleitung des Lambert-Beer’schen Gesetzes haben wir jedoch Streuung und<br />
Reflektion völlig vernachlässigt. Deren Einfluß ist daher nicht im Lambert-Beer’schen<br />
Gesetz enthalten. Nach Gleichung (108) scheint die Kenntnis des Einflußes von Streuung<br />
und Reflektion für quantitative Messungen unbedingt notwendig zu sein. Es gibt<br />
jedoch keine Möglichkeit, die Intensitäten IR und IS direkt zu bestimen.<br />
Allerdings ist es sehr einfach möglich, die Summe aller störenden Einflüsse, vor allem<br />
Reflektion und Streuung, zu berücksichtigen. Gehen wir davon aus, daß die Summe aller<br />
Störungen zu einer Schwächung der eingestrahlten Lichtintensität I0 führt, so macht<br />
sich die Summe aller Ströungen als unerwünschte Absorption der Messprobe bemerkbar.<br />
Wenn wir also eine Küvette mit einer Probenlösung vermessen, die eine absorbierende<br />
Substanz enthält, so messen wir Absorption der zu untersuchenden Substanz, Streuung,<br />
Reflektion und andere Störeinflüsse mit. Der Einfluss all dieser Störungen kann eliminiert<br />
werden, wenn neben der Messlösung mit der zu untersuchenden Substanz ganz einfach<br />
eine Messlösung ohne die zu untersuchende Substanz vermessen wird. Dadurch<br />
erhalten wir die Extinktion aller Störeinflüsse, und durch Differenzbildung erhalten wir<br />
jetzt die Extinktion, welche einzig durch die zu untersuchende Substanz verursacht wird.<br />
Ein derartiges Vorgehen wird als Vermessung einer Blindprobe bezeichnet.<br />
Im Experiment wollen wir eine wäßrige Iodlösung photometrisch untersuchen. Um die<br />
Störeinflüsse berücksichtigen zu können, verwenden wir als Blindprobe einfach eine<br />
Küvette mit destilliertem Wasser. Diese wird bei der Messwellenlänge λ = 490 nm<br />
in das Photometer gegeben, und auf der Extinktionsskala der Wert E = 0 eingestellt.<br />
Dadurch wird das Photometer kalibriert, und jetzt kann die wäßrige Iodlösung unter<br />
Berücksichtigung sämtlicher Störeinflüsse korrekt vermessen werden.<br />
Es sei allerdings angemerkt, daß moderne Photometer mit zwei separaten Strahlengängen<br />
ausgerüstet sind: ein Strahlengang für die Blindprobe und ein Strahlengang für die zu<br />
vermessende Probe. Ein manuelles Kalibrieren der Extinktionsskala auf einen Extinktionswert<br />
E = 0 für die Blindprobe ist im Regelfall nicht mehr notwendig. Diese Geräte<br />
werden auch als Zweistrahlphotometer bezeichnet.<br />
Einige Komponenten kennen wir bereits, jedoch sind einige neue Komponenten hinzu<br />
gekommen. Die Komponenten im einzelnen sind:<br />
• L: Lichtquelle<br />
47
L<br />
5 UV-VIS Spektroskopie<br />
S1<br />
S2<br />
T<br />
σ1<br />
σ3<br />
σ2<br />
σ D<br />
E = 0, 815<br />
<br />
Abbildung 24: Schematischer Aufbau eines Zweistrahlphotometers<br />
• S1: Eintrittsspalt<br />
• T: Dispersionselement<br />
• S2: Ausgangsspalt<br />
• σ1,2,3: Umlenkspiegel 1,2 und 3<br />
• σ D : Halbdurchlässiger Spiegel (Strahlteiler)<br />
• B: Blindprobe; Referenzwert, auf welchen die Extinktion der Probe P bezogen<br />
wird<br />
• P: Die Probe<br />
• D1,2: Detektoren 1 und 2 für Blindprobe und Probe<br />
• R: Rechner bzw. Addierwerk und Ausgabe des Messwertes (Extinktion)<br />
48<br />
R<br />
B<br />
P<br />
D1<br />
D2
6 Die Iodierung von Aceton<br />
6.1 Der Mechanismus<br />
6 Die Iodierung von Aceton<br />
Die dominierende Eigenschaft aller Carbonylverbindungen ist die Aktivität der Protonen<br />
in α-Stellung zum Carbonyl-Kohlenstoffatom. Daher reagieren Aceton und viele andere<br />
Ketone sowie Aldehyde und andere Carbonylverbindungen mit Halogenen in einer Halogenierungsreaktion,<br />
bei der ein oder mehrere Halogenatome in α-Stellung addiert werden.<br />
Die Reaktion läuft jedoch nur unter Katalyse in saurem oder alkalischem Milieu ab. Vor<br />
der eigentlichen Reaktion mit dem Halogen findet eine Umlagerung des Ketons in ein<br />
Enol statt. Das Enol ist die reaktive Spezies und reagiert anschließend mit dem Halogen.<br />
Keton und Enol sind sog. Strukturisomere, welche sich nur in der Stellung der Protonen<br />
und der Doppelbindung unterscheiden. Eine derartige Form der Isomerie wird ” Tautomerie“<br />
genannt.<br />
Betrachten wir zunächst die Reaktivität von Aceton im Einzelnen: durch den +M-Effekt<br />
der Carbonylgruppe werden die Protonen in α-Stellung zum Carbonyl-C-Atom positiviert:<br />
Der Sauerstoff ist negativiert. Im<br />
<br />
Fall der säurekatalysierten Enolisierung greifen<br />
⊖<br />
O O<br />
⊕<br />
Abbildung 25: Mesomere Grenzstruktur von Aceton<br />
die Hydroniumionen am negativ polarisierten Sauerstoffatom an, welcher als Lewis-Base<br />
fungiert. Dadurch werden die Protonen in α-Stellung zum Carbonyl-Kohlenstoffatom<br />
stark positiviert. Die C − H-Bindungen werden dadurch derart geschwächt, dass die<br />
Protonen im Prinzip eine Säure darstellen und von einer Base, wie etwa Wasser, abstrahiert<br />
werden können:<br />
49<br />
Beachte die<br />
verschiedenen<br />
Isomerie-Begriffe<br />
Tautomer und<br />
Strukturisomer
⊕<br />
6 Die Iodierung von Aceton<br />
O<br />
H<br />
O<br />
+ H O<br />
H<br />
H ⊕ O H<br />
+H2O<br />
⊕<br />
H<br />
Abbildung 26: Protonierung von Aceton in saurem Milieu<br />
⊕<br />
OH<br />
OH<br />
⊕<br />
H<br />
H + O<br />
+ H O<br />
H H H<br />
H<br />
Abbildung 27: Abstraktion eines α-ständigen Protons<br />
Die Kohlenstoff/Kohlenstoff-Doppelbindung des Enols fungiert als Nukleophil und reagiert<br />
mit Iod unter Bildung von Acetoniodid. Die protonierte Stufe des Acetoniodids<br />
wird von Wasser deprotoniert, und die Hydroniumionen werden wieder regeneriert:<br />
O H<br />
O H ⊕<br />
I<br />
+ I I<br />
+ O<br />
H<br />
O H<br />
<br />
⊕<br />
O<br />
H<br />
I<br />
I<br />
+ I ⊖<br />
+ O H<br />
H<br />
⊕<br />
H<br />
Abbildung 28: Bildung von Acetoniodid aus dem Enol<br />
Eine Mehfrachhalogenierung findet im Fall der säurekatalysierten Reaktion nicht statt.<br />
Zwar steigt die Acidität der α-ständigen Protonen durch das eingeführte Halogenatom,<br />
jedoch sinkt die Basizität des Carbonylsauerstoffes durch den +I-Effekt des Halogenatoms.<br />
Daher wird der erste Schritt der säurekatalysierten Acetonhalogenierung deutlich<br />
erschwert, und das Enolisierungsgleichgewicht wird praktisch vollständig auf die Seite<br />
der (halogenierten) Carbonylverbindung verschoben.<br />
Werfen wir nun noch einen Blick auf die basenkatalysierte Acetoniodierung. Auch hier<br />
ist der erste Teilschritte eine Enolisierung.<br />
50
6 Die Iodierung von Aceton<br />
O<br />
H +<br />
⊖<br />
O Na<br />
H H<br />
⊕ ONa<br />
+ EtOH<br />
Abbildung 29: Basisch katalysierte Enolisierung<br />
Als Basen eignen sich etwa Alkalimetallhydroxide, Acetate oder Ethanolate. Bedenkt<br />
man, dass die Halogene in wässrigen Alkalimetallhydroxid-Lösungen zur Disproportionierung<br />
neigen, erscheint es klug, auf andere Basen wie etwa Natrium-Ethanolat umzusteigen.<br />
Das Enol reagiert dann wieder mit dem Halogen zum Acetonhalogenid. Der große<br />
Unterschied zur sauer katalysierten Enolisierung ist jedoch der, dass im ersten Schritt<br />
sofort die Abstraktion eines α-ständigen Protons erfolgt. Durch den +I-Effekt der Halogene<br />
im Acetonhalogenid wird die Acidität der α-ständigen Protonen weiter erhöht,<br />
was zu einer weiteren Abspaltung von α-ständigen Protonen führt. Anders ausgedrückt<br />
wird die Reaktion nicht beim monohalogenierten Carbonyl stehen bleiben, sondern man<br />
wird vielmehr ein Gemisch aus mono-, di- und möglicherweise trihalogeniertem Carbonyl<br />
erhalten. Aus diesem Grunde werden wir die Acetoniodierung säurekatalysiert<br />
durchführen.<br />
Wir führen nun für die einzelnen chemischen Spezies folgende Abkürzungen ein, welche<br />
wir in den kinetischen Gleichungen verwenden wollen:<br />
Name Strukturformel Abkürzung<br />
Aceton<br />
A<br />
Hydroniumion H3O + H<br />
Aceton protoniert<br />
B<br />
Iod I2 I<br />
Enol<br />
Acetoniodid<br />
O<br />
O H ⊕<br />
Tabelle 4: Abkürzungen der einzelnen, chemischen Spezies<br />
51<br />
O<br />
OH<br />
I<br />
E<br />
P
6 Die Iodierung von Aceton<br />
Somit können wir die Acetoniodierung wie folgt zusammenfassen:<br />
k1<br />
k2<br />
A + H BE<br />
+ H (119a)<br />
k−1<br />
k3<br />
E + I2P<br />
+ H + + I −<br />
(119b)<br />
Prinzipiell ist die Bildung des Enols ebenso wie die Protonierung des Acetons eine Gleichgewichtsreaktion.<br />
Da jedoch die Reaktion des Enols mit dem Iod sehr schnell abläuft,<br />
wird das gesamte Enol nahezu sofort verbraucht. Eine Rückreaktion ist daher nicht<br />
möglich. Daher wird die Enolkonzentration cE(t) während der gesamten Reaktion nahezu<br />
Null sein.<br />
6.2 Die kinetischen Gleichungen<br />
Wir können die Acetoniodierung in drei Teilreaktionen zerlegen:<br />
<br />
1. Die Protonierung von Aceton. Diese Reaktion<br />
<br />
ist wie viele andere Protonierungs/Deprotonierungsreaktionen<br />
relativ schnell. Da Aceton jedoch nur eine schwache Base<br />
ist, wird die protonierte Stufe des Acetons (B) in nur sehr geringer Konzentration<br />
in der Reaktionslösung vorliegen:<br />
k1<br />
A + H B (120)<br />
k−1<br />
2. Die Bildung des Enols ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Acetoniodierung.<br />
Diese Reaktion erfolgt langsam:<br />
B<br />
k2 E+ H<br />
(121)<br />
3. Die Iodierung der aliphatischen Doppelbindung erfolgt praktisch sofort. Die Reaktion<br />
läuft sehr schnell ab und nahezu das gesamte Enol setzt sich sofort mit Iod<br />
zum Acetoniodid um (k3 >> k2). Daher wird die Konzentration cE(t) des Enols<br />
während der gesamten Reaktion sehr klein sein:<br />
E + I2<br />
k3 P +<br />
H + + I −<br />
(122)<br />
Wir wollen nun die Reaktionsgeschwindigkeiten für jede der drei Reaktionen aufstellen.<br />
Hierzu orientieren wir uns an unseren Betrachtungen in den Abschnitten 3 und 4.<br />
Für Reaktion (120) haben wir zwei Reaktionsgeschwindigkeiten zu berücksichtigen – die<br />
Hinreaktion und die Rückreaktion. Hierzu stellen wir die differentiellen Zeitgesetze nach<br />
Gleichung (18) auf und bezeichnen die Geschwindigkeit der Hinreaktion als −→ v 1(t) und<br />
52
6 Die Iodierung von Aceton<br />
die Geschwindigkeit der Rückreaktion als ←− v −1(t). Die resultierende Reaktionsgeschwindigkeit<br />
für Reaktion (120) erhalten wir dann als Differenz von −→ v 1(t) und ←− v 1(t):<br />
−→ v 1(t) = d−→ x 1(t)<br />
dt = k1 · cA(t) · cH(t) (123a)<br />
←− v 1(t) = d←− x 1(t)<br />
dt = k−1 · cB(t) (123b)<br />
v1(t) = dx1(t)<br />
dt = −→ v 1(t) − ←− v 1(t) = k1 · cA(t) · cH(t) − k−1 · cB(t) (123c)<br />
Für die Reaktionsgeschwindigkeit von Reaktion (121) wählen wir ein differentielles Zeitgesetz<br />
erster Ordnung, da es sich um eine unimolekulare Reaktion handelt. Wir erhalten<br />
somit:<br />
v2(t) = dx2(t)<br />
dt = k2 · cB(t) (124)<br />
Ebenso wählen wir für die Reaktion (122) ein differentielles Zeitgesetz zweiter Ordnung,<br />
da die Iodierung des Enols bimolekular ist:<br />
v3(t) = k3 · cE(t) · cI(t) (125)<br />
Wir wollen nun die Geschwindigkeiten der Konzentrationsänderungen der einzelnen, an<br />
der Reaktion beteiligten, chemischen Spezies aufstellen. Dazu gehen wir von Gleichung<br />
(14) aus, und überlegen uns für die einzelnen Substanzen, durch welche Reaktionen sie<br />
verbraucht bzw. gebildet werden.<br />
Von besonderem Interesse für uns sind dabei die protonierte Stufe des Acetons (B), das<br />
Enol (E), sowie Iod (I). Die protonierte Stufe des Acetons und das Enol stellen reaktive<br />
Zwischenprodukte dar, und wir wissen daher, daß ihre Konzentrationen in der Reaktionslösung<br />
während der gesamten Reaktion nahezu Null ist, was wir uns zunutze machen<br />
können, um die resultierenden, kinetischen Gleichungen zu vereinfachen. Der zeitliche<br />
Verlauf der Iod-Konzentration ist für uns interessant, da wir den zeitlichen Verlauf der<br />
Reaktion über die Konzentration cI(t) von Iod in der Reaktionslösung bestimmen. Diese<br />
drei Komponenten wählen wir daher als unsere kinetischen Leitsubstanzen, und<br />
daher werden wir versuchen, die Bildungsraten der einzelnen Komponenten über die<br />
Bildungsraten der kinetischen Leitsubstanzen zu bestimmen.<br />
Betrachten wir die zeitliche Änderung der Aceton-Konzentration. Aceton wird während<br />
der gesamten Reaktion nur verbraucht, was durch Gleichung (123c) beschrieben wird.<br />
Daher können wir für die Geschwindigkeit der Konzentrationsänderung von Aceton<br />
schreiben:<br />
dcA(t)<br />
dt = −v1(t) (126)<br />
Die Hydroniumionen werden in Reaktion (120) verbraucht, in Reaktion (121) und (122)<br />
jedoch gebildet. Der Verbrauch von Hydroniumionen wird duch v1(t) beschrieben, die<br />
53
Bildung durch v2(t) und v3(t). Daher gilt:<br />
6 Die Iodierung von Aceton<br />
dcH(t)<br />
dt = −v1(t) + v2(t) + v3(t) (127)<br />
Ebenso wissen wir vom Produkt Acetoniodid (P), daß es nur in Reaktion (122) verbraucht<br />
wird, was durch v3(t) in Gleichung (125) beschrieben wird. Daher gilt:<br />
dcP(t)<br />
dt = +v3(t) (128)<br />
Auf die gleiche Art und Weise können wir auch die Raten der kinetischen Leitsubstanzen<br />
aufstellen. Wenn wir die weiterhin die Gleichungen (123c) bis (125) berücksichtigen, so<br />
erhalten wir:<br />
dcB(t)<br />
dt<br />
dcE(t)<br />
dt<br />
dcI(t)<br />
dt<br />
= v1 − v2 = k1 · cA · cH − k−1cB − k2cB<br />
= v2 − v3 = k2 · cB − k3 · cEcI<br />
= −v3 = −k3 · cE · cI<br />
(129a)<br />
(129b)<br />
(129c)<br />
Der wesentliche Schritt besteht nun darin, die Gleichungen (126) bis (128) durch die<br />
Ratengleichungen (129a) bis (129c) auszudrücken. Betrachten wir etwa Gleichung (126).<br />
Wir können diese Gleichung wie folgt umformulieren:<br />
dcA(t)<br />
dt = −v1(t) = −v3 − (v2 − v3) − (v1 − v2)<br />
Dadurch sieht die Gleichung wesentlich komplizierter aus, aber wenn wir die rechte<br />
Seite dieser Gleichung mit den Gleichungen (126) bis (128) vergeleichen, so finden wir<br />
folgenden Zusammenhang:<br />
dcA(t)<br />
dt = −v1(t) = + dcI(t) dcE(t) dcB(t)<br />
− −<br />
dt dt dt<br />
Verfahren wir genauso mit den Raten für H und P, so erhalten wir insgesamt:<br />
dcA(t)<br />
dt<br />
dcH(t)<br />
dt<br />
dcP(t)<br />
dt<br />
= + dcI(t)<br />
dt<br />
= − dcB(t)<br />
dt<br />
= − dcI(t)<br />
dt<br />
− dcE(t)<br />
dt<br />
− dcI(t)<br />
dt<br />
− dcB(t)<br />
dt<br />
(130a)<br />
(130b)<br />
(130c)<br />
Damit haben wir die Ratengleichungen (126) bis (128) durch die Ratengleichungen<br />
(129a) bis (129c) der kinetischen Leitsubstanzen ausgedrückt. Diese Gleichungen sind<br />
jedoch nicht mehr anschaulich und dienen nur als mathematische Hilfe für die kommenden<br />
Berechnungen. Dazu integrieren wir die Gleichungen (130a) bis (130c) in den<br />
54
6 Die Iodierung von Aceton<br />
Grenzen von t = 0 bis t. Als Anfangsbedingungen geben wir vor, daß zur Zeit t = 0 gilt:<br />
cA(0) = c0 A , cH(0) = c0 H und cP(0) = c0 P = 0. Da zur Zeit t = 0 noch kein Acetoniodid<br />
= 0. Die Integration verläuft dann wie folgt:<br />
(=Produkt) vorhanden ist, gilt c 0 P<br />
dcA(t)<br />
dt<br />
= + dcI(t)<br />
dt<br />
− dcE(t)<br />
dt<br />
− dcB(t)<br />
dt<br />
<br />
dcA(t) = dcI(t) − dcE(t) − dcB(t) |<br />
cA(t) <br />
c 0 A<br />
dcA =<br />
cI(t) <br />
c 0 I<br />
dcI −<br />
cE(t) <br />
c 0 E<br />
dcE −<br />
cB(t) <br />
c 0 B<br />
dcB<br />
| · dt<br />
cA(t) − c 0 A = cI(t) − c 0 <br />
I − cE(t) − c 0 <br />
E − cB(t) − c 0 <br />
B<br />
Wenn wir Gleichung (17) berücksichtigen, so wird<br />
∆cA(t) = ∆cI(t) − ∆cE(t) − ∆cB(t)<br />
Verfahren wir ebenso mit den Gleichungen (130b) und (130c), so erhalten wir insgesamt:<br />
∆cA(t) = +∆cI(t) − ∆cE(t) − ∆cB(t) (131a)<br />
∆cH(t) = −∆cB(t) − ∆cI(t) (131b)<br />
∆cP(t) = −∆cI(t) (131c)<br />
Bei der Vielzahl an Gleichungen, die wir auf den letzten Seiten aufgestellt haben, kann<br />
man sehr leicht den Überblick verlieren. Anders gesagt stellt sich uns an diesem Punkt<br />
die Frage, was wir jetzt erreicht haben. Unser Ziel ist es, den Fortschritt der Acetoniodierung<br />
zu beobachten. Dies gelingt über die Messung der Iodkonzentration in der<br />
Reaktionslösung während der Reaktion. Mit Hilfe der Gleichungen (131a) bis (131c)<br />
können wir nun die Variablen cA und cB aus den Gleichungen (129a) bis (129c) eliminieren,<br />
woraus ein System dreier gekoppelter Differentialgleichung erster Ordnung für<br />
die Variablen cB, cE und cI resultiert. Dieses Differentialgleichungssystem bestehend aus<br />
drei gekoppelten Differentialgleichungen erster Ordnung lässt sich in eine einzige Differentialgleichung<br />
dritter Ordnung für cI(t) überführen, was uns die Bestimmung von cI(t)<br />
prinzipiell ermöglicht<br />
Dabei tritt jedoch das Problem auf, daß die resultierende Differentialgleichung, welche<br />
den zeitlichen verlauf der Iodkonzentration cI(t) beschreibt, eine nicht-lineare Gleichung<br />
ist, welche sich nicht analytisch lösen lässt. Wir werden nun die kinetischen Gleichungen<br />
(129a) bis (129c) sowie (131a) bis (131c) in drei Stufen vereinfachen. Das Ergebnis wird<br />
eine Differentialgleichung erster Ordnung sein, welche ein Zeitgesetz erster Ordnung<br />
beschreibt.<br />
6.3 Quasistationarität und Quasigleichgewicht<br />
Die erste Stufe der Vereinfachung erreichen wir, wenn wir das Quasistationaritätsprinzip<br />
nach Bodenstein ausnutzen. Wir wissen, daß die Konzentration an protoniertem<br />
Aceton (Komponente B) und Enol (Komponente E) während der gesamten<br />
55
6 Die Iodierung von Aceton<br />
Reaktion nahezu Null ist, da es sich bei beiden Spezies um reaktive Zwischenstufen handelt.<br />
Obwohl Protonierungs/Deprotonierungsreaktionen relativ schnell verlaufen, liegt<br />
nur sehr wenig protoniertes Aceton in der Reaktionslösung vor, da Aceton eine schwache<br />
Base ist, und so das Protonierungsgleichgewicht auf der Seite des freien Acetons<br />
liegt. Die Enolisierung ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt bei der Acetoniodierung,<br />
und da das entstehende Enol fast sofort durch die Iodierung verbraucht wird, ist<br />
auch die Konzentration an Enol in der Reaktionslösung sehr gering. Anders ausgedrückt<br />
bedeutet das:<br />
cB(t) ≈ 0 (132)<br />
cE(t) ≈ 0 (133)<br />
Die Gleichungen (132) und (133) sagen aus, daß die Konzentrationen von protoniertem<br />
Aceton und Enol während der gesamten Reaktion näherungsweise konstant (nämlich<br />
Null) sind. Dies können wir ausnutzen, wenn wir cB(t) und cE(t) nach der Zeit differenzieren.<br />
Da die Ableitung einer Konstanten gleich Null ist, erhalten wir:<br />
dcB(t)<br />
= 0<br />
dt<br />
(134)<br />
dcE(t)<br />
= 0<br />
dt<br />
(135)<br />
Dadurch vereinfachen sich die Gleichungen (131a) bis (131c) wie folgt:<br />
∆cA(t) = +∆cI(t) (136)<br />
∆cH(t) = −∆cI(t) (137)<br />
∆cP(t) = −∆cI(t) (138)<br />
Weiterhin können wir mit den Gleichungen (134) und (135) die Gleichungen (129a) und<br />
(129b) vereinfachen:<br />
dcB(t)<br />
dt<br />
dcE(t)<br />
dt<br />
= 0 = k1 · cA(t) · cH(t) − (k−1 + k2) · cB(t) (139)<br />
= 0 = k2 · cB(t) − k3 · cE(t) · cI(t) (140)<br />
Somit vereinfachen sich die Differentialgleichunge (129a) und (129b) zu algebraischen Bestimmungsgleichungen,<br />
und das gesamte System kann durch eine einzige Differentialgleichung,<br />
nämlich durch Gleichung (129c), beschrieben werden. Dazu lösen wir Gleichung<br />
(140) nach cE auf, und setzen das Ergebnis in die verbleibende Differentialgleichung<br />
(129c) ein. Aus Gleichung (140) folgt zunächst:<br />
und damit:<br />
cE(t) = k2<br />
k3<br />
· cB(t)<br />
cI(t)<br />
(141)<br />
dcI(t)<br />
dt = −k2 · cB(t) (142)<br />
56
6 Die Iodierung von Aceton<br />
Die Variable cB(t) in Gleichung (142) ist sehr ungünstig, da die Komponenten B (das<br />
protonierte Aceton) eine instabile Zwischenstufe ist, deren Konzentration wir nicht bestimmen<br />
können. Daher müssen wir cB(t) in Gleichung (142) ersetzen. Dies gelingt uns<br />
mit Hilfe von Gleichung (139), wenn wir diese nach cB(t) auflösen:<br />
cB(t) =<br />
k1<br />
k−1 + k2<br />
· cA(t) · cH(t) (143)<br />
Die Geschwindigkeitskonstante k2 ist sehr klein, da es sich um die Geschwindigkeitskonstante<br />
handelt, welche den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt (die Enolisierung)<br />
beschreibt. Wir können also davon ausgehen, dass<br />
ist und erhalten somit:<br />
cB(t) = k1<br />
k2 ≪ k−1<br />
k−1<br />
(144)<br />
· cA(t) · cH(t) (145)<br />
Mit Gleichung (145) können wir nun Gleichung (142) wie folgt umschreiben:<br />
dcI(t)<br />
dt = −k2 · cB(t) = −k · cA(t) · cH(t) (146)<br />
wobei wir in der letzten Gleichung die Abkürzung k = k2 · k1<br />
k−1<br />
eingeführt haben. Diese<br />
Gleichung ist die zentrale Gleichung der Acetoniodierung, und wir werden sehen, daß wir<br />
geeigntete Versuchsbedingungen wählen können, welche uns die Lösung dieser Gleichung<br />
enorm vereinfacht.<br />
Anmerkung: Betrachten wir noch einmal die Protonierung, welche durch Gleichung<br />
(120) beschrieben wird:<br />
A + H<br />
k1<br />
k−1<br />
Es ist klar, daß es sich um eine Gleichgewichtsreaktion handelt. Wenn wir den Protonierungsschritt<br />
von den übrigen Reaktionen isoliert betrachten, so können wir das<br />
Massenwirkungsgesetz der Acetonprotonierung aufstellen:<br />
K1 = k1<br />
k−1<br />
B<br />
= cB<br />
cA · cH<br />
(147)<br />
Nun betrachten wir die Protonierung des Acetons als Teilschritt in der Acetoniodierung,<br />
und lösen Gleichung (139) nach cB auf. Dadurch erhalten wir folgendes Ergebnis:<br />
cA·cH<br />
K ′ 1 =<br />
k1<br />
k−1 + k2<br />
= cB<br />
cA · cH<br />
(148)<br />
Wir sehen, daß Gleichung (148) so ähnlich aussieht wie das Massenwirkungsgesetz (147)<br />
der Acetonprotonierung. Was bedeutet dies? Das bedeutet, daß bei der Acetoniodierung<br />
57
6 Die Iodierung von Aceton<br />
die Reaktion (120) schnell genug ist, um fortlaufend das Protonierungsgleichgewicht einszustellen,<br />
sofern k2 gegenüber k−1 vernachlässigt werden kann. Allerdings wird durch die<br />
Enolisierung in Reaktion (121) ständig das protonierte Aceton abgezogen, was durch k2<br />
im Nenner von Gleichung (148) zum Ausdruck kommt. Da der Verbrauch von protoniertem<br />
Aceton jedoch gering ist, resultiert eine sehr kleine Geschwindigkeitskonstante k2,<br />
die wir ohne großen Fehler gegenüber k−1 vernachlässigen können. Somit geht Gleichung<br />
(148) in Gleichung (147) über. Man spricht in diesem Fall von einem Pseudogleichgewicht,<br />
da die Spezies B zwar ständig (wenn auch in gerinem Maße) durch Reaktion<br />
(121) verbraucht wird, jedoch die vorgelagerte Gleichgewichtsreaktion (120) das Gleichgewicht,<br />
welches zur Bildung von B führt, wieder einstellen kann.<br />
6.4 Autokatalytische Aspekte der Acetoniodierung<br />
Die Acetoniodierung ist ein Paradebeispiel für eine autokatalytisch ablaufende Reaktion.<br />
Wenn wir die Summengleichung der Acetoniodierung (die wir säurekatalysiert ablaufen<br />
lassen wollen) betrachten, so erkennen wir, daß die katalytisch wirksamen Protonen erst<br />
während der Reaktion erzeugt werden:<br />
A + I2<br />
[H + ] E +<br />
H + + I −<br />
Allerdings müssen zu Beginn der Reaktion katalytische Mengen an H + -Ionen in der<br />
Lösung vorhanden sein, damit die Reaktion ” anspringt“. Um diesen Sachverhalt zu verdeutlichen,<br />
um also den autokatalytischen Charakter der Acetoniodierung besser erkennen<br />
zu können, werden wir nun Gleichung (146), welche den zeitlichen Verlauf der<br />
Iodkonzentration in der Lösung wiedergibt, lösen, sowie den zeitlichen Verlauf der Konzentration<br />
des Acetoniodids. Hierzu gehen wir von Gleichung (146) aus. Diese Gleichung<br />
enthält drei Unbekannte: cI(t), cA(t) und cH(t). Da wir an cI(t) interessiert sind, müssen<br />
wir cA(t) und cH(t) aus Gleichung (146) eliminieren. Dies gelingt uns mit den Gleichungen<br />
(136) bis (138), unter Berücksichtigung der Definition ∆ci(t) = ci(t) − c 0 i :<br />
∆cA(t) = +∆cI(t) → cA(t) = cI(t) − c 0 I − c 0 A<br />
∆cH(t) = −∆cI(t) → cH(t) = c 0 I − cI(t) − c 0 H<br />
Setzen wir dies in Gleichung (146) ein, so erhalten wir folgende Differentialgleichung:<br />
dcI(t)<br />
dt = −k · c 0 A − c 0 I + cI(t) · c 0 H + c 0 I − cI(t) <br />
(149)<br />
Mit Hilfe von Gleichung (138) können wir Gleichung (149) in eine Ratengleichung für P<br />
umformen, wobei wir beachten, daß c0 P = 0 ist:<br />
∆cP(t) = −∆cI(t) → cP(t) = c 0 I<br />
Differenzieren wir beide Seiten der Gleichung, so wird:<br />
dcP(t)<br />
dt = dc0I dt<br />
− dcI(t)<br />
dt<br />
58<br />
= −dcI(t)<br />
dt<br />
− cI(t)
6 Die Iodierung von Aceton<br />
Setzen wir die beiden letzten Gleichungen in Gleichung (149) ein, so erhalten wir:<br />
dcP(t)<br />
dt = k · c 0 A − cP(t) · c 0 H − cP(t) <br />
(150)<br />
Die Lösung der Differentialgleichungen (150) gelingt leicht, wenn wir eine weitere Näherung<br />
einführen. Um den selbstbeschleunigenden Effekt der während der Acetoniodierung<br />
gebildeten H + -Ionen zu betonen, wählen wir die Anfangskonzentration c0 A von Aceton<br />
sehr viel größer als die Anfangskonzentration c0 I von Iod, und ebenso soll c0A sehr viel<br />
der Hydroniumionen sein:<br />
größer als die Anfangskonzentration c 0 H<br />
c 0 A ≫ c0 H ≫ c0 I<br />
(151)<br />
Die spezielle Wahl der Anfangskonzentrationen, wie wir sie in Gleichung (151) festgelegt<br />
haben, hat die Konsequenz, daß wir die zu lösenden Differentialgleichungen (150)<br />
wesentlich vereinfacht werden kann. Wegen Gleichung (151) können wir sofort folgende<br />
Vereinfachungen machen:<br />
(152)<br />
c 0 A − cP(t) ≈ c 0 A<br />
was sich aus der Tatsache ergibt, daß die Konzentration des Produktes Acetoniodid maximal<br />
so groß werden kann wie die Anfangskonzentration c0 I von Iod, die wir nach Gleichung<br />
(151) aber sehr viel kleiner als die Anfangskonzentration c0 A von Aceton gewählt<br />
haben. Setzen wir Gleichung (152) in Gleichung (150) ein, so erhalten wir:<br />
dcP(t)<br />
dt = k · c0A · c 0 <br />
H − cP(t)<br />
(153)<br />
Die Lösung dieser Gleichung erfolgt über Separation der Variablen und anschließender<br />
Integration. Das Integral ist in Gleichung 233 auf Seite 107 gegeben:<br />
Auflösen nach cP(t) liefert:<br />
cP (t)<br />
0<br />
c 0 H<br />
c 0 H<br />
1<br />
+ cP<br />
1<br />
+ cP<br />
dcP = k · c 0 A dt<br />
dcP = k · c 0 A ·<br />
ln c 0 H + cP(t) − ln c 0 0<br />
H = k · cA · t<br />
cP(t) = c 0 H ·<br />
<br />
ek·c0 A ·t <br />
− 1<br />
t<br />
0<br />
dt<br />
(154)<br />
Mit der Produktkonzentration cP(t) können wir auch ganz einfach die Konzentration<br />
cI(t) des Iods berechnen. Hierzu lösen wir Gleichung (138) nach cI(t):<br />
∆cP(t) = −∆cI(t)<br />
cP(t) = c 0 →<br />
I − cI(t)<br />
cI(t) = c 0 I − cP(t) (155)<br />
59
6 Die Iodierung von Aceton<br />
Setzen wir Gleichung (154) in Gleichung (155) ein, so erhalten wir:<br />
cI(t) = c 0 I − c0 H ·<br />
<br />
ek·c0 A ·t <br />
− 1<br />
(156)<br />
Da wir c0 I ≪ c0A gwählt haben, kommt die Reaktion schlagartig zum Stillstand, wenn<br />
das gesamte Iod verbraucht ist. Diesen Zeitpunkt, den wir t∗ nennen wollen, können wir<br />
berechnen, wenn wir cI(t) in Gleichung (156) gleich Null setzen und nach t∗ auflösen:<br />
<br />
Daraus erhalten wir:<br />
cI(t ∗ ) = 0 = c 0 I − c0 H ·<br />
c0 I<br />
c0 H<br />
ln( c0 I<br />
c 0 H<br />
+ 1 = ek·c0 A ·t∗ | ln()<br />
+ 1) = k · c 0 A<br />
· t∗<br />
t ∗ = 1<br />
k · c0 0 cI · ln<br />
A c0 H<br />
60<br />
<br />
e k·c0 A ·t − 1<br />
<br />
+ 1<br />
(157)
cP (t), cI(t)/ mol<br />
l·s<br />
0.25<br />
c 0 I<br />
0.15<br />
0.1<br />
0.05<br />
6 Die Iodierung von Aceton<br />
cI(t)<br />
cP (t)<br />
l<br />
k = 0, 2 mol·min<br />
0<br />
0 2 4<br />
t/min<br />
6 8<br />
t*<br />
10<br />
c 0 I<br />
c 0 A<br />
c 0 H<br />
= 0, 2 mol<br />
l<br />
= 0,675 mol<br />
l<br />
= 0, 1 mol<br />
l<br />
Abbildung 30: Zeitverlauf von cP(t) und cI(t) bei der Acetoniodierung; bei t = t ∗<br />
kommt die Reaktion abrupt zum Erliegen, da das gesamte Iod verbraucht<br />
ist;<br />
6.5 Die Auswertungs-Gleichung<br />
Wir haben nun noch das Problem, ausgehend von den kinetischen Gleichungen eine<br />
Auswertungs-Gleichung zu finden. Wir gehen von Gleichung (146) aus und werden diese<br />
sukzessive vereinfachen und zu einer Auswertungs-Gleichung umformulieren:<br />
dcI(t)<br />
dt = −k · cA(t) · cH(t)<br />
Diese Gleichung beschreibt den Verbrauch von Iod während der Acetoniodierung. Iod<br />
bzw. das Triiodid-Ion I − 3 ergibt in wäßrigem Milieu eine tiefbraune Lösung. Wird Iod<br />
während der Reaktion verbraucht, so entfärbt sich diese Lösung. Es erscheint daher günstig,<br />
den Fortschritt der Reaktion anhand der Iodkonzentration in der Reaktionslösung zu<br />
verfolgen. Dies geschieht einfach UV/VIS-photometrisch, denn Iod in wäßriger Lösung<br />
besitzt ein Absorptionsmaximum bei λ = 490nm. Ausgehend von Gleichung (146)<br />
können wir zwei ganz wesentliche Vereinfachungen einführen. Hierzu betrachten wir die<br />
Gleichungen (136) und (137). Gleichung (136) lautet:<br />
∆cA(t) = ∆cI(t)<br />
61
6 Die Iodierung von Aceton<br />
Diese Gleichung besagt, daß Aceton und Iod in gleichem Maße verbraucht werden. Anders<br />
ausgedrückt, bedingt der Verbrauch von einem Äquivalent Iod auch den Verbrauch<br />
von einem Äquivalent Aceton. Setzen wir daher Iod und Aceton im Verhältnis c0 A<br />
c0 = 1<br />
I<br />
ein, so verbrauchen sich Iod und Aceton gleichermaßen, bis weder Iod noch Aceton in<br />
der Lösung vorhanden sind. Wenn wir jedoch das Verhältnis stark verschieben, etwa<br />
= 1000, so liegt in der Lösung eintausend mal mehr Aceton als Iod vor. Wenn<br />
auf c0 A<br />
c0 I<br />
zum Zeitpunkt t = t∗ alles Iod verbraucht ist, so ist cI(t∗ ) = 0 aber es hat sich nur 1<br />
Äquivalent Aceton verbraucht. Anders ausgedrückt liegen nach Abschluß der Reaktion<br />
noch 999 Äquivalente Aceton vor, die Acetonmenge hat sich also während der Reaktion<br />
nur unwesentlich verändert (um etwa 1) und entspricht im Wesentlichen der Ausgangskonzentration<br />
c0 A . Somit können wir die Anfangsbedingungen so wählen, daß die<br />
Konzentration an Aceton während der Reaktion praktisch konstant ist:<br />
Für c 0 A ≫ c0 I gilt ∆cA(t) = cA(t) − c 0 A ≈ 0<br />
→ cA(t) ≈ c 0 A (158)<br />
Somit können wir unser differentielles Zeitgesetz Gleichung (146) bereits vereinfachen:<br />
dcI(t)<br />
dt = −k · c0 A · cH(t) mit k = k2 · K1 und c 0 A ≫ c 0 I (159)<br />
Die gleiche Vorgehensweise können wir auch bei der Konzentration der Hydroniumionen<br />
cH(t) anwenden. Betrachten wir hierzu die Gleichungen (137) und (138):<br />
∆cP(t) = −∆cI(t) = ∆cH(t)<br />
Diese Gleichung sagt aus, daß pro Äquivalent Acetoniodid (AI = P), welches gebildet<br />
wird, auch ein Äquivalent Hydroniumionen gebildet wird. Wir haben aber die Versuchsbedingungen<br />
so gewählt, daß 1000 mal mehr Aceton als Iod vorhanden ist. Wenn ein<br />
Äquivalent Iod vohanden war und sich vollständig umgesetzt hat, so ist daraus ein Äquivalent<br />
Acetoniodid (P) und ein Äquivalent Hydroniumionen (H) entstanden. Wenn wir<br />
aber bereits zu Beginn der Reaktion eine sehr große Menge an Hydroniumionen vorlegen<br />
(vielleicht 1000 Äquivalente), so werden nach der Reaktion 1001 Äquivalente vorhanden<br />
sein. Anders ausgedrückt ändert sich die Konzentration an Hydroniumionen nicht<br />
wesentlich (etwa um 1, was vernachlässigbar ist), wenn wir bereits zu Beginn eine<br />
erhebliche Menge an H3O + vorlegen. Somit können wir schreiben:<br />
Für c 0 H ≫ c 0 I gilt ∆cH(t) = cH(t) − c 0 H ≈ 0<br />
→ cH(t) ≈ c 0 H (160)<br />
Anders ausgedrückt geben wir bereits zu Beginn der Reaktion so viel Säure zu, daß die<br />
während der Reaktion entstehenden Hydroniumionen praktisch nicht mehr ins Gewicht<br />
fallen. Der autokatalytische Aspekt der Acetoniodierung wird dadurch unterdrückt.<br />
Wenn wir also die Vereinfachungen (158) und (160) berücksichtigen, so können wir unsere<br />
Auswertungs-Gleichung weiter vereinfachen und erhalten:<br />
dcI(t)<br />
dt = −k · c0 A · c0 H mit k = k2 · K1 und c 0 A ≫ c0 I und c0 H ≫ c0 I (161)<br />
62
6 Die Iodierung von Aceton<br />
Gleichung (161) ist eine lineare homogene Differentialgleichung erster Ordnung. Sie beschreibt<br />
jedoch eine Kinetik Nullter Ordnung, da in diesem differentiellen Zeitgesetz<br />
keine von der Zeit abhängigen Konzentrationen mehr vorhanden sind. Allerdings wissen<br />
wir, daß die Acetoniodierung eigentlich eine Reaktion zweiter Ordnung ist. Jedoch<br />
konnten wir durch eine geschickte Wahl der Versuchsbedingungen (c 0 A ≫ c0 I , c0 H ≫ c0 I )<br />
die Reaktionsordnung auf 0 erniedrigen. Daher sprechen wir auch von einer Reaktion<br />
”pseudonullter Ordnung”.<br />
Die Lösung dieser Differentialgleichung erfolgt natürlich wieder über Trennung der Variablen<br />
und anschließender Integration. Die Randbedingung hierbei ist, daß zu Beginn<br />
der Reaktion die Konzentration von Iod den Wert cI(0) = c 0 I besitzt:<br />
<br />
cI(t)<br />
dcI(t)<br />
= −k · c<br />
dt<br />
0 A · c0H dcI(t) = −k · c 0 A · c 0 Hdt<br />
dc ′ I (t) = −k · c0 A · c0 H<br />
t<br />
c0 I<br />
0<br />
cI(t) − c 0 I = −k · c 0 A · c 0 H · t<br />
dt ′<br />
cI(t) = c 0 I − k · c 0 A · c 0 H · t (162)<br />
Mit Gleichung (162) haben wir eine Gleichung gefunden, welche uns den Konzentrationsverlauf<br />
von Iod mit der Zeit beschreibt. Wir müssen diese Gleichung nun mit der<br />
Extinktion der Löung in Verbindung bringen. Hierzu gehen wir von Gleichung 114 aus:<br />
E(c) = ǫ · c · d<br />
Hierbei ist ǫ der molare dekadische Extinktionskoeffizient der absorbierenden Komponente<br />
in der Lösung, c die Konzentration der absorbierenden Komponente der Lösung<br />
und d die Dicke Länge des vom Licht durchstrahlten Weges. Für c setzen wir die Konzentration<br />
von Iod cI(t) nach Gleichung (162) ein und erhalten somit eine Gleichung,<br />
welche uns die Extinktion der Lösung als Funktion der Zeit wiedergibt:<br />
Wir erhalten also folgendes Ergebnis:<br />
E (cI(t)) = ǫ · d c 0 I − k · c0 A · c0 H · t =<br />
= ǫ · d · c 0 I − ǫ · d · k · c0 A · c0 H<br />
E(t) = E0 − ǫ · d · k · c 0 A · c0 H · t wobei gilt: E0 = ǫ · d · c 0 I (163)<br />
Es ist unschwer zu erkennen, daß es sich bei Gleichung (163) um eine Geradengleichung<br />
mit der Steigung ǫ · d · k · c 0 A · c0 H und dem Ordinatenabschnitt E0 = ǫ · d · c 0 I handelt.<br />
Tragen wir also E(t) gegen t in ein Diagramm auf, so erwarten wir, daß die Messwerte<br />
alle auf einer Geraden liegen. Zur Zeit t = 0 hat die Extinktion den Wert E(0) = E0, wie<br />
63<br />
· t
6 Die Iodierung von Aceton<br />
sich unschwer aus Gleichung (163) erkennen lässt. Zum Zeitpunkt t = t ∗ sei das gesamte<br />
Iod verbraucht. Dann gilt cI(t ∗ ) = 0 und somit E(t ∗ ) = 0. Mit dieser Bedingung können<br />
wir nun die Geschwindigkeitskonstante k bestimmen. Hierzu setzen wir ein:<br />
E(t ∗ ) = 0 = E0 − ǫ · d · k · c 0 A · c0H E0 = ǫ · d · k · c 0 A · c 0 H · t ∗<br />
ǫ · d · c 0 I = ǫ · d · c 0 A · c 0 H · t ∗<br />
c 0 I = k · c0 A · c0 H<br />
Wir erhalten also folgendes Ergebnis:<br />
k =<br />
c 0 I<br />
c 0 A · c0 H<br />
· t∗<br />
· t∗<br />
· t∗<br />
(164)<br />
Wenn wir den Zeitpunkt t = t∗ kennen, bei dem die Konzentration an Iod gleich Null ist,<br />
so können wir daraus die Geschwindigkeitskonstante ausrechnen. Hierzu legen wir eine<br />
Lösung mit bekannten Ausgangskonzentrationen an Aceton (c0 A ), Säure (c0H ) und Iod<br />
(c0 I ) vor und verfolgen den Extinktionswert mit der Zeit. Wir erhalten eine Wertetabelle<br />
von der Form E(ti)/ti, wobei i = 1, 2, . . ., N Messpunkte sind.<br />
6.6 Die praktische Durchführung<br />
Wir wollen die Geschwindigkeitskonstanten anhand von drei Versuchsreihen bestimmen.<br />
Hierzu stehen uns Stammlösungen an Aceton, Schwefelsäure und Iod, sowie destilliertes<br />
Wasser zur Verfügung. Wir wollen für jede einzelne Messung jeweils gleiche Konzentrationen<br />
an Schwefelsäure und Iod, jedoch soll die Acetonkonzentration variiert werden.<br />
Ferner soll das Volumen bei jeder der i = 1, 2, 3 Messungen V i M<br />
= 50, 00 ml betra-<br />
gen. In diesem Volumen V i M sollen nun die Ausgangskonzentrationen ic0 A , ic0 H =i c0 H30 +<br />
und ic0 I an Aceton, Hydroniumionen und Iod vorliegen. Wir müssen also ausgehend von<br />
den Konzentrationen der Stammlösungen für jede Messung i = 1, 2, 3 ein Volumen i V S A<br />
an Aceton-Stammlösung, iV S H an Schwefelsäure-Stammlösung, iV S<br />
I an Iod-Stammlösung<br />
sowie V i H2O an destilliertem Wasser abmessen, so das wir eine Reaktionslösung mit den<br />
entsprechenden Ausgangskonzentrationen c0 A , c0H = c0<br />
H3O + und c0 I erhalten. Eine Übersicht<br />
gibt Tabelle 6.6. Für die Volumina soll bei jeder der i = 1, 2, 3 Messungen gelten:<br />
V i M = i V S A + i V S H + i V S<br />
I + V i H2O = 50, 00 ml (165)<br />
Die Stammkonzentrationen an Aceton, Schwefelsäure und Iod sind cS A<br />
cS = 0, 500mol<br />
H2SO4 l und cS I = 0, 100mol . Die Konzentration an Hydroniumionen soll in<br />
l<br />
jedem der i = 1, 2, 3 Messreihen ic0 H = 0, 080mol,<br />
die von Iod l ic0 I = 0, 004mol<br />
l betragen.<br />
= 13, 500mol<br />
l ,<br />
Es müssen dann noch die Volumina dieser Substanzen für die drei Versuche ermittelt<br />
werden!<br />
Aufgabe: Berechnen Sie die Volumina der benötigten Substanzen Aceton ( iV S A ),<br />
Schwefelsäure ( iV S H ), Iod (iV S<br />
I ) und Wasser (V i H2O ) für jede der i = 1, 2, 3<br />
Messungen.<br />
64
i i c 0 A / mol<br />
l<br />
6 Die Iodierung von Aceton<br />
i V S A /ml i V S H /ml i V S<br />
I /ml V i H2O /ml t∗ /min ∆t/min<br />
1 2,700 ≈ 5 0, 5<br />
2 1,350 ≈ 15 1<br />
3 0,675 ≈ 25 2<br />
Tabelle 5: Konzentrationen und benötigte Volumina der Stamm- und Messlösung<br />
Achtung: Aceton und Iod dürfen nicht sofort gemischt werden, da sonst der genaue<br />
Zeitpunkt des Reaktionsstarts nicht bekannt ist.<br />
Vor Beginn der Reaktion ist die Umgebungstemperatur TU im Labor zu messen und im<br />
Protokoll zu vermerken. Die entsprechenden Volumina an Aceton, Schwefelsäure und destilliertem<br />
Wasser befinden sich in Büretten und werden in einen Messzylinder gegeben<br />
und mit einem Uhrglas abgedeckt (siehe Abb. 31 auf der nächsten Seite). Die Mischung<br />
aus Aceton, Schwefelsäure und destilliertem Wasser erwärmt sich durch den Mischungsprozess.<br />
Das Becherglas wird auf eine Korkplatte gestellt und ca. 10min in Ruhe stehen<br />
gelassen, damit die Lösung auf Raumtemperatur abkühlt. Dies ist unbedingt erforderlich,<br />
da die Temperatur einen wesentlichen Einfluss auf die Reaktionsgeschwindigkeit<br />
hat (siehe Versuch 8. Esterhydrolyse). Vor Beginn der Reaktion muss die Temperatur<br />
der Messlösung geprüft werden. Diese sollte Umgebungstemperatur haben. Das entsprechende<br />
Volumen der Iodlösung wird in ein Becherglas gegeben, und dieses ebenfalls mit<br />
einem Uhrglas abgedeckt, da Iod sehr leicht verdampft.<br />
In der Zwischenzeit wird das Photometer mit destilliertem Wasser justiert. Die Extinktion,<br />
welche das destillierte Wasser verursacht, wird als Vergleichswert verwendet. Eine<br />
Küvette wird mit destilliertem Wasser befüllt und in die Küvettenhalterung I im Photometer<br />
gegeben. Die Küvette mit dem destillierten Wasser wird in den Strahlengang<br />
geschwenkt, und die Wellenlänge des Lichtes im Primärfokus des Photometers wird auf<br />
λ = 490 nm eingestellt. Dann wird mit den Reglern für die Extinktionsskala diese auf<br />
E = 0 eingestellt.<br />
Achtung: Die Extinktionsskala ist eine logarithmische Skala. Vor Versuchsbeginn sollte<br />
man sich Klarheit über die Skaleneinteilung verschaffen, damit das Ablesen<br />
der Extinktionswerte während der Messung reibungsfrei abläuft<br />
Nachdem das Photometer kalibriert worden ist, wird Küvettenhalterung II in den Strahlengang<br />
gedreht, in der sich NICHTS befindet. Da das Licht der Lichtquelle im Primärfokus<br />
bereits nach kurzer Zeit zu einer deutlichen Erwärmung des Küvetteninhalts im<br />
Strahlengang führt, sollten sowohl die Referenzküvette als auch die Küvette mit der<br />
zu vermessenden Reaktionslösung nur kurz in den Strahlgengang gegeben werden, da<br />
eine geringe Temperaturerhöhung bereits einen wesentlichen Einfluss auf die Reaktionsgeschwindigkeit<br />
hat, und die Extinktion ebenfalls temperaturabhängig ist. Um einen<br />
reibungsfreien Ablauf der Messung zu gewährleisten, sollte weiterhin die Stoppuhr aufgezogen<br />
werden.<br />
65
Aceton<br />
.5<br />
6 Die Iodierung von Aceton<br />
bidest. Wasser<br />
O<br />
H2O<br />
H2SO4<br />
Schwefelsäure<br />
Iod<br />
Abbildung 31: Stammlösungen<br />
66<br />
I2
6 Die Iodierung von Aceton<br />
RICHTIG<br />
H2SO4 H2O<br />
O<br />
I2<br />
!!!!! NIEMALS !!!!!<br />
Abbildung 32: Auf die Reihenfolge kommt es an<br />
Jetzt kann die erste Messung beginnen. Die Messung, bei der die Aceton-Anfangskonzentration<br />
c0 mol<br />
A = 2, 700 beträgt, dauert am längsten (≈ 25 min). Bei dieser Messung<br />
l<br />
soll alle 2 min ein Extinktionswert abgelesen werden (siehe Tab. 6.6). Der Inhalt des<br />
Messkolbens mit der Mischung aus Aceton, Schwefelsäure und destilliertem Wasser wird<br />
in das Becherglas mit der Iodlösung gegeben (!!! NIEMALS UMGEKEHRT !!!; siehe<br />
Abb. 32). Sobald der letzte Tropfen im Becherglas ist (was sehr, sehr zügig geschehen<br />
sollte) wird die Stoppuhr gestartet (siehe Abb. 33 auf der nächsten Seite). Die Lösung<br />
wird kurz durchmischt und eine Küvette zu 3 mit der Reaktionslösung befüllt und in<br />
4<br />
die Küvettenhalterung III gegeben. Nach 1 min 30 s wird die Referenzküvette mit dem<br />
destillierten Wasser in den Strahlengang gegeben, und der Nullpunkt der Extinktion ggf.<br />
nachjustiert. Bei 1 min 50 s wird die Messküvette in den Strahlengang gegeben und bei<br />
2 min der erste Extinktionswert abgelesen. Danach verfährt man immer auf die gleiche<br />
Art und Weise. Immer 30 s bevor der nächste Extinktionswert abgelesen wird, muss<br />
der Nullpunkt der Extinktion überprüft werden und 10 s, bevor dem nächsten Ablesen,<br />
wir die Küvette mit der Messlösung in den Strahlengang gegeben, damit der Zeiger der<br />
Extinktionsskala sich einpendeln kann (siehe Abb. 34 auf Seite 69).<br />
Achtung: Wenn nicht kalibriert und nicht abgelesen wird, muss sich die leere Küvettenhalterung<br />
II im Strahlengang befinden, damit sich weder die Referenznoch<br />
die Messlösung erwärmen können!<br />
67<br />
I2<br />
O<br />
H2O<br />
H2SO4
6 Die Iodierung von Aceton<br />
I2<br />
O<br />
H2O<br />
H2SO4<br />
Letzter Tropfen<br />
Mischung<br />
→ Start der Stoppuhr<br />
55<br />
50<br />
45<br />
60<br />
5<br />
10<br />
15<br />
40 35 30 25 20<br />
Abbildung 33: Zum Startzeitpunkt der Stoppuhr<br />
Die Messung kann beendet werden, wenn sich die Extinktion nicht mehr ändert, da<br />
dann das gesamte Iod verbraucht ist. In der Praxis kann man die Messung beenden,<br />
wenn die Extinktion einen Wert < 0, 03 erreicht hat, da die Skaleneinteilung dann keine<br />
sinnvolle Ablesung mehr ermöglicht. Der Inhalt von Küvette und Becherglas ist in<br />
den Abfällbehälter ” B2 - Halogenhaltige Lösungsmittelabfälle“zu geben. Becherglas und<br />
Messzylinder sind zwei mal mit Leitungswasser nachzuspülen, zwei mal mit destilliertem<br />
Wasser und einmal mit Aceton. Die Küvette wird drei mal mit destilliertem Wasser<br />
gespült, und anschließend mit Stickstoff kurz trocken geblasen.<br />
Achtung: Die Küvetten dürfen NIEMALS mit Aceton gespült werden, da es sich<br />
um Kunststoffküvetten handelt, welche durch Aceton an der Oberfläche<br />
angelöst werden. Dadurch werden die Küvetten trüb und undurchsichtig<br />
und sind für wissenschaftliche Zwecke nicht mehr zu gebrauchen<br />
Bei den beiden anderen Messreihen wird genaus verfahren, nur daß die beschreibene<br />
Prozedur bei der zweiten Messung mit c0 mol<br />
A = 1, 350 innerhalb von 1 min stattfinden<br />
l<br />
muss, und bei der dritten Messung mit c 0 A<br />
= 0, 675 mol<br />
l innerhalb von 30 sec. Bei der<br />
dritten Messung sollte der Nullpunkt der Extinktion daher alle 15 sec justiert werden.<br />
68
6 Die Iodierung von Aceton<br />
0 15 30 45 60 75 90<br />
5 10 20 25 35 40 50 55 65 70 80 85 95<br />
Start<br />
der<br />
Messung<br />
6.7 Die Auswertung<br />
Küvettenhalterung II (leer)<br />
Küvette I (bidest.<br />
Wasser); Prüfung,<br />
ob E = 0; evt.<br />
nachjustieren<br />
ablesen<br />
105 120<br />
115<br />
Küv.-<br />
Halt. II<br />
(leer)<br />
t/s<br />
Küvette III<br />
(Messlösung);<br />
Zeiger einpendeln<br />
lassen<br />
Abbildung 34: Zur Zeiteinteilung während der ersten Messung<br />
Wir erhalten folgende Messwerte für die drei Messreihen:<br />
Messung i=1: 1c0 k = 1 2 3 4<br />
A = 2,700mol l<br />
5 6 7 8 9 10 11 12 13 14<br />
tk[min] 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28<br />
E(tk) 1.02 0.97 0.88 0.81 0.77 0.70 0.66 0.59 0.51 0.46 0.42 0.36 0.30 0.22<br />
Messung i=2: 2c0 tk[min] 1 2 3 4<br />
A = 1,350mol l<br />
5 6 7 8 9 10 11 12 13 14<br />
E(tk) 1.03 0.97 0.87 0.84 0.77 0.71 0.64 0.58 0.54 0.46 0.40 0.34 0.28 0.22<br />
Messung i=3: 3c0 tk[min] 2 4 6 8<br />
A = 0,675mol l<br />
10 12 14 16 18 20 22 24 26 28<br />
E(tk) 1.01 0.96 0.92 0.84 0.76 0.73 0.66 0.62 0.54 0.45 0.37 0.31 0.25 0.19<br />
Tabelle 6: Messwerttabellen für die Acetoniodierung<br />
Der Zählindex i = 1, 2, 3, . . ., n bezeichnet unsere drei verschiedenen Messungen mit<br />
den drei verschiedenen Acetonanfangskonzentrationen ic0 A . Dabei ist n die Anzahl der<br />
einzelnen Messreihen. In unserem Fall ist also n = 3. Der Zählindex k = 1, 2, 3, . . ., Ni<br />
während einer der drei Messungen. Bei den<br />
bezeichnet einen speziellen Messpunkt Ei k /tik hier durchgeführten Messungen ist die Gesamtzahl Ni an Messpunnkten bei jeder der<br />
i = 1, 2, 3 Geraden gleich 14: N1 = N2 = N3 = 14. Dies kann jedoch von Experiment zu<br />
Experiment variieren. Wir tragen nun für jede der i = 1, 2, 3 Messungen die Extinktion<br />
Ei k = Ei(ti k ) gegen die Zeit tik auf:<br />
Anschließend müssen wir den Zeitpunkt t = t ∗ ermitteln, ab welchem das gesamte Iod<br />
verbraucht ist. Dies kann durch Ermittlung einer Ausgleichsgeraden geschehen, oder<br />
69
E(t)<br />
1.2<br />
1<br />
0.8<br />
0.6<br />
0.4<br />
0.2<br />
0<br />
6 Die Iodierung von Aceton<br />
Messreihe 1 :<br />
Messreihe 2 :<br />
Messreihe 3 :<br />
Fit Messreihe 1<br />
Fit Messreihe 2<br />
Fit Messreihe 3<br />
t∗ 1 = 8,8975 min<br />
t∗ 2 = 17, 5080 min<br />
t∗ 1 = 34, 0292 min<br />
t ∗ 1 t ∗ 2 t ∗ 3<br />
0 5 10 15 20 25 30 35<br />
t/min<br />
Abbildung 35: Auftragung der Messwerte aus den Tabellen 6 und der dazugehörigen<br />
Ausgleichsgeraden<br />
durch das manuelle Einlegen einer ”Bestgeraden” durch die Messpunkte nach Augenmaß.<br />
Wir wollen nun für alle drei Messkurven eine lineare Regression durchführen.<br />
Das bedeutet, ausgehend von den gegebenen Messwerten der Extinktion E(ti k ) zum Zeit-<br />
der i.−ten Messung wollen wir diejenige Gerade finden, welche am besten durch<br />
punkt ti k<br />
die Punkte im Diagramm gelegt werden kann. Kennen wir die Geradengleichungen dieser<br />
Geraden, so können wir durch Nullsetzen und Auflösen die gesuchte Größe t∗ i einfach<br />
berechnen. Eine Geradengleichung lautet allgemein:<br />
y(x) = A · x + B (166)<br />
Hierbei ist A der Ordinatenabschnitt und B ist die Steigung der Geraden. Wir nehmen<br />
an, daß die Größe x mit einer sehr viel größeren Genauigkeit gemessen werden kann<br />
als die Größe y. Nehmen wir ferner an, N ist die Anzahl an Messpunkten auf einer<br />
Geraden. Dann definieren wir einen Zählindex k, der von 1 bis N läuft: k = 1, 2, . . ., N.<br />
Wir messen daher N verschiedene Werte xk und dazugehörige Werte yk = y(xk). In<br />
unserem Fall ist y = E und x = t. Wir können Ordinatenabschnitt A und Steigung B<br />
70
wie folgt aus den Messwerten berechnen:<br />
<br />
N<br />
N ·<br />
A =<br />
<br />
N<br />
x<br />
k=1<br />
B =<br />
2 <br />
N<br />
k ·<br />
6 Die Iodierung von Aceton<br />
∆ = N ·<br />
xk · yk<br />
k=1<br />
yk<br />
k=1<br />
N<br />
k=1<br />
x 2 k<br />
<br />
N<br />
−<br />
<br />
∆<br />
N<br />
−<br />
∆<br />
<br />
−<br />
xk<br />
k=1<br />
xk<br />
k=1<br />
N<br />
k=1<br />
xk<br />
<br />
N<br />
·<br />
N<br />
2<br />
yk<br />
k=1<br />
yk · xk<br />
k=1<br />
<br />
<br />
(167a)<br />
(167b)<br />
(167c)<br />
Die Unsicherheiten sx und sy der Größen x und y lassen sich aus den gegebenen Messwerten<br />
wie folgt berechnen:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
sx = 1<br />
N − 1 ·<br />
⎡<br />
N<br />
⎣ x<br />
k=1<br />
2 <br />
N<br />
⎤<br />
2<br />
1<br />
k − xk ⎦ (168a)<br />
N<br />
k=1<br />
<br />
<br />
<br />
sy = 1<br />
N − 2 ·<br />
N<br />
(yk − A − B · xk) 2<br />
(168b)<br />
k=1<br />
Natürlich werden nicht alle Messwerte xk und yk = y(xk) perfekt auf einer Geraden liegen.<br />
Vielmehr werden wir mehr oder weniger starke Abweichungen der einzelnen Punkte<br />
von der Geraden finden (was nicht zuletzt von der Geschicklichkeit des Experimentators<br />
abhängt). Um beurteilen zu können, wie gut die Messwerte E(t i k<br />
) auf einer Geraden<br />
liegen, wird er sog. Korrelationskoeffizient r berechnet. Diese Größe kann Werte zwischen<br />
−1 und +1 annehmen: −1 ≤ r ≤ +1. Wenn wir einen Korrelationskoeffizienten<br />
r = +1 erhalten, dann würde das bedeuten, daß alle Messpunkte perfekt auf einer Geraden<br />
liegen. Dieser Fall ist ausserordentlich unwahrscheinlich und wird daher niemals<br />
beobachtet. Je kleiner r wird, desto weniger gut liegen die Messpunkte auf einer Geraden.<br />
Bei r = 0 liegt keine erkennbare Korrelation vor, und es kann keine sinnvolle<br />
Regressionsgerade ermittelt werden. Erhielte man einen negativen Korrelationskoeffizienten,<br />
etwa r = −1 so würde man von Antikorrelation“ sprechen. Zur Berechnung des<br />
”<br />
Korrelationskoeffizienten r benötigen wir zunächst eine Größe, welche Kovarianz sxy<br />
genannt wird:<br />
sxy = 1<br />
N − 1 ·<br />
<br />
N<br />
k=1<br />
xk · yk − 1<br />
<br />
N<br />
<br />
N<br />
<br />
xk yk<br />
N<br />
k=1 k=1<br />
Den Korrelationskoeffizienten r erhalten wir damit wie folgt:<br />
r = sxy<br />
sx · sy<br />
71<br />
(169)<br />
(170)
6 Die Iodierung von Aceton<br />
Mit Hilfe dieser Größen ist es ferner möglich, die Unsicherheiten σA und σB des Ordina-<br />
tenabschnittes A und der Steigung B zu berechnen:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
σA =<br />
s2y · N<br />
x<br />
k=1<br />
2 k<br />
∆<br />
<br />
N · s2 y<br />
σB =<br />
∆<br />
(171a)<br />
(171b)<br />
Die uns interessierende Größe ist der Zeitpunkt t = t ∗ , bei welchem die Extinktion gleich<br />
Null ist (E (t ∗ ) = 0). Über das eben beschriebene Verfahren können wir für jede unserer<br />
i = 1, 2, 3 Messreihen Geradengleichungen für die Extinktion in Abhängigkeit von der<br />
Zeit berechnen:<br />
Ei(t) = Ai(t) · t + Bi<br />
Setzen wir E(t ∗ ) = 0 in Gleichung ein, so erhalten wir:<br />
t ∗ i = − Bi<br />
Ai<br />
(172)<br />
(173)<br />
Anmerkung: An dieser Stelle sollte man sich nicht durch die vielen Indizes i und k<br />
erschrecken lassen. Der Index i = 1, 2, 3 bezeichnet die Nummer unserer<br />
Messung. Bei unserer ersten Messung (i = 1) hatten wir eine Aceton-<br />
Anfangskonzentration von 1c0 A = 2, 700mol,<br />
bei der zweiten Messung<br />
l<br />
(i = 2) war 2c0 A = 1, 350mol und bei der dritten und letzten Messung<br />
l<br />
(i = 3) war 3c0 A = 0, 675mol.<br />
Bei jeder Messung i = 1, 2, 3 haben wir<br />
l<br />
in regelmäßigen Abständen die Zeit t gemessen und die dazugehörige<br />
Extinktion E(t). Also bezeichnet Ei k = Ei (ti k ) den k.−ten Messpunkt<br />
der i. −ten Messung. Weiterhin ist die Gesamtzahl Ni an Messpunkten<br />
einer Messung i im hier vorliegenden Fall immer gleich 14. Weiterhin<br />
bezeichnet n die Anzahl der einzelnen Messreihen. In unserem Falle ist<br />
n = 3. Wir haben in drei Messreihen drei mal die Geschwindigkeitskonstante<br />
der Acetoniodierung bestimt.<br />
Für die Messwerte in den oben angegebenen Tabellen 6 finden wir folgende Parameter<br />
der linearen Regression. Die letztlich interessierende Größe ist jedoch der Zeitpunkt<br />
t∗ i , i = 1, 2, 3, bei der die Bestgeraden bzw. die Ausgleichsgeraden jeweils die Zeitachse<br />
schneiden:<br />
Die Ausgangskonzentrationen waren:<br />
• Iod: c 0 I<br />
• Säure: c 0 H<br />
• Aceton: 1 c 0 A<br />
= 0.004mol<br />
l<br />
= 0.08mol<br />
l<br />
= 0.675mol<br />
l<br />
72
6 Die Iodierung von Aceton<br />
i i c 0 A / mol<br />
l Ai/s −1 Bi σAi σBi t ∗ i /min t∗ i /s<br />
1 2,700 -0.1203 1.0704 0.0017 0.0074 8,90 534<br />
2 1,350 -0.0617 1.0809 0.0007 0.0059 17,51 1051<br />
3 0.675 -0.0323 1.0998 0.0006 0.0106 34,02 2041<br />
Tabelle 7: Ergebnisse der drei Experimente<br />
Mit den Zeitpunkten t∗ i aus den Messwerten der Tabelle 7 können wir nun für jede der<br />
drei Versuche die Geschwindigkeitskonstante der Acetoniodierung bestimmen. Hierzu<br />
setzen wir in Gleichung (164) ein:<br />
i k =<br />
c 0 I<br />
c 0 A · c0 H · t∗ i<br />
, i = 1, 2, 3<br />
Idealerweise sollten alle drei Geschwindigkeitskonstanten den gleichen Wert haben:<br />
1 k =<br />
2 k =<br />
3 k =<br />
0, 004mol l<br />
2, 700mol · 0, 08 l mol · 534s l = 3, 47 · 10−5 l<br />
0, 004 mol<br />
l<br />
1, 350 mol<br />
l · 0, 08 mol<br />
0, 004 mol<br />
l<br />
0, 675 mol<br />
l · 0, 08 mol<br />
mol · s<br />
mol · s<br />
l · 1051s = 3, 52 · 10−5 l<br />
mol · s<br />
l · 2041s = 3, 63 · 10−5 l<br />
(174a)<br />
(174b)<br />
(174c)<br />
Wie zu erwarten war unterliegen die Ergebnisse einer gewissen Schwankung. Der arithmetische<br />
Mittelwerte ergibt sich zu:<br />
¯k = 1<br />
n ·<br />
6.8 Die Summe aller Näherungen<br />
n<br />
i=1<br />
= 1 1k 3 3<br />
+ k + k<br />
3<br />
¯k = 3, 54 · 10 −5 l<br />
mol · s<br />
(175)<br />
An dieser Stelle wollen wir uns nun noch einmal die Summe aller Näherungen vor Augen<br />
führen, die wir zur Herleitung unserer Auswertungsgleichung (164) eingeführt haben:<br />
1. Näherung (132) : cB(t) ≈ 0 mit dem Ergebnis: dcB(t)<br />
dt<br />
= 0<br />
2. Näherung (133) : cE(t) ≈ 0 mit dem Ergebnis: dcI(t)<br />
dt = −k2 · cB(t)<br />
3. Ausdruck (144) : k2 ≪ k−1 mit dem Ergebnis: cB(t) = k1<br />
k−1 · cA(t) · cH(t)<br />
4. Ausdruck (158) : c 0 A ≫ c0 I mit dem Ergebnis: cA(t) ≈ c 0 A<br />
73
7 Fehlerbetrachtung<br />
5. Ausdruck (160) : c 0 H ≫ c0 I mit dem Ergenis: cH(t) ≈ c 0 H<br />
Aus diesen fünf Näherungen resultiert unser Geschwindigkeitsgesetz (161) pseudonullter<br />
Ordnung:<br />
dcI(t)<br />
dt = −k · c0 A · c0 H<br />
und daraus unsere Auswertungsgleichung (164):<br />
k =<br />
c 0 I<br />
c 0 A · c0 H<br />
Hier stellt sich die Frage, ob bei dieser Anzahl an Näherungen überhaupt noch ein<br />
vernünftiges Ergebnis resultieren kann. Betrachten wir etwa die Näherungen (158) und<br />
(160). Diese Näherungen besagen, daß die Konzentration an Aceton sehr viel größer sein<br />
soll als die von Iod, und ebenso soll die Konzentration der Hydroniumionen sehr viel<br />
größer sein als die von Iod. Betrachten wir aber die Versuchsbedingungen, so ist das<br />
Verhältnis der Konzentrationen von Aceton und Iod gerade einmal<br />
c 0 A<br />
c 0 I<br />
= 2, 700<br />
· t∗<br />
= 675<br />
0, 004<br />
und das Verhältnis der Konzentrationen der Hydroniumionen und Iod<br />
c 0 H<br />
c 0 I<br />
= 0, 080<br />
= 20<br />
0, 004<br />
Ist das von uns aufgestellte Modell der Reaktion pseudonullter Ordnung für die sauer<br />
katalysierte Acetoniodierung unter diesen Versuchsbedingungen überhaupt tragbar? Die<br />
Frage ist berechtigt, kann jedoch ohne Experiment nicht beantwortet werden. Gleichung<br />
(163), welche aus der Summe der oben nochmals aufgeführten Näherungen resultiert,<br />
besagt, daß die Konzentration an Iod und damit die Extinktion der Messlösung linear<br />
mit der Zeit abnehmen muss:<br />
E(t) = E0 − ǫ · d · k · c 0 A · c 0 H · t wobei gilt: E0 = ǫ · d · c 0 I<br />
Sollten wir dieses Verhalten tatsächlich im Experiment auch beobachten, so waren sowohl<br />
unser theoretisches Modell der Reaktion pseudonullter Ordnung als auch die von<br />
uns gewählten Versuchsbedingungen richtig.<br />
Jede Annahme und jedes Modell muss am Ende immer einer experimentellen Überprüfung<br />
standhalten. Letztlich kann also erst das Experiment beweisen, ob die Ableitung<br />
der Auswertungsgleichung (164) sinnvoll ist oder nicht!<br />
7 Fehlerbetrachtung<br />
7.1 Allgemeine Betrachtungen<br />
Ziel dieses Versuches war die Bestimmung der Geschwindigkeitskonstanten der säurekatalysierten<br />
Acetoniodierung in der Grenzbetrachtung einer Reaktion pseudonullter<br />
74
7 Fehlerbetrachtung<br />
Ordnung. Jedoch unterliegt jede Messung Messunsicherheiten, unabhängig davon wie<br />
sorgfältig die Planung und Durchführung des Experiments auch gewesen sein mag. Die<br />
Kenntnis der Größe dieser Messunsicherheiten sowie deren Ursachen ist zentraler Gegenstand<br />
der Fehleranalyse, und ist ebenso wichtig wie das wissenschaftliche Experiment<br />
selbst. Das Wort Fehler bedeutet hier allerdings nicht, daß ein Ergebnis als falsch anzusehen<br />
ist, sondern die Streuung der Messwerte um den ” wahren“ Wert einer Messgrösse,<br />
der aber nicht bestimmbar ist. Dieser nicht bestimmbare, ” wahre“ Wert liegt nur mit<br />
einer gewissen, endlichen Wahrscheinlichkeit innerhalb des durch die Messunsicherheiten<br />
festgelegten Bereichs.<br />
Wir unterscheiden prinzipiell drei Arten von Fehlern und Messunsicherheiten:<br />
• Grobe Fehler und Irrtümer: Sie sind zurückzuführen auf Missverständnisse<br />
oder Fehlüberlegungen im Umgang mit Messgeräten, falsche Protokollierung von<br />
Messdaten, Fehler in den Auswertungs-Programmen und werden eigentlich nicht<br />
zu Messunsicherheiten gezählt. Grobe Fehler können nur durch kritische Prüfung<br />
und Kontrolle der Ergebnisse erkannt werden. Vermeiden lassen sich grobe Fehler<br />
und Irrtümer nur durch sorgfältiges Experimentieren.<br />
• Systematische Fehler: Sie werden durch unberücksichtigte Umwelteinflüsse, fehlerhaft<br />
justierte Messgeräte, oder falsche Konzentrationen von Stammlösungen<br />
oder Rückwirkungen des Messgeräts auf das zu messende System verursacht und<br />
beeinflussen die Genauigkeit von Messungen. Diese Art von Messunsicherheiten<br />
können NICHT durch Wiederholung der Messung erkannt werden, sondern nur<br />
durch Veränderung der Messbedingungen oder Änderung des Messverfahrens.<br />
• Zufällige Fehler: Sie sind meist auf Unzulänglichkeiten des Experimentators (Unausgeschlafenheit,<br />
Alkohol, ...) selbst zurückzuführen. Ein Beispiel für einen typischen<br />
zufälligen Fehler ist der sog. Parallaxen-Fehler, wie er beim Ablesen<br />
von Messgeräten mit nicht-digitalen Anzeigen automatisch auftritt. Diese Art von<br />
Messunsicherheiten beeinflussen die Genauigkeit von Messungen, und sind durch<br />
mehrmaliges Wiederholen des Experiments erfassbar.<br />
Hierbei treten die beiden wichtigen Begriffe Genauigkeit und Präzision auf, die häufig<br />
fälschlicherweise synonym verwendet werden. Unter Genauigkeit verstehen wir die Abweichung<br />
des Messwertes vom ” wahren“ Wert. Die Genauigkeit wird durch Angabe der<br />
Streuung oder Varianz oder des Größtfehlers berücksichtigt. Die Präzision liefert<br />
eine Aussage darüber, wie stark die einzelnen Messwerte um den wahren Wert streuen.<br />
Folgendes Beispiel mag den Unterschied zwischen Genauigkeit und Präzision veranschaulichen:<br />
Wir ersetzen unser Experiment durch ein Zielschießen mit einem Gewehr auf eine<br />
Zielscheibe. Im Zentrum der Zielscheibe befindet sich der ” wahre“ Wert, das Gewehr ist<br />
das Messinstrument und der Schuss das Experiment. Wir nehmen an, jedes Experiment<br />
75
7 Fehlerbetrachtung<br />
wird zwanzig mal wiederholt, wir finden also zwanzig Einschusslöcher auf der Zielscheibe:<br />
Abbildung 36: Zur Erläuterung der Begriffe Genauigkeit und Präzision<br />
Die ” Messung “ links oben in Abb. 36 ist sowohl genau als auch präzise: im Mittel<br />
wurde ziemlich genau das Zentrum der Zielscheibe getroffen, und die ” Messung“ war<br />
relativ präzise, da die Messpunkte alle relativ nahe am Zentrum der Zielscheibe liegen.<br />
Die ” Messung“ rechts oben ist zwar ungenau, da alle Messpunkte weit weg vom wahren<br />
Wert liegen, dafür ist sie aber präzise, da die Streuung der Messpunkte gering ist ( ” ...mit<br />
hoher Genauigkeit daneben geschossen...“). Die ” Messung “ links unten ist zwar genau,<br />
da die Messpunkte im Mittel im Zentrum der Zielscheibe liegen, dafür ist sie aber unpräzise,<br />
da die Messpunkte sehr stark streuen. Die ” Messung “ rechts unten ist weder<br />
genau noch präzise.<br />
Sei wiederum n die Anzahl der Messwerte einer Messgröße y. Wenn sehr viele Messwerte<br />
vorliegen (n > 5), so ist es möglich, diese nach statistischen Gesichtspunkten auszuwerten.<br />
Das bedeutet, man errechnet neben dem arithmetischen Mittelwert ¯y einer<br />
Messgröße y noch der sog. mittlere Fehler des Mittelwertes, auch als Standardab-<br />
76
weichung oder Varianz σ¯y bezeichnet :<br />
7 Fehlerbetrachtung<br />
¯y = 1<br />
N ·<br />
n<br />
yi<br />
i=1<br />
<br />
<br />
<br />
σ¯y = 1<br />
n · (n − 1) ·<br />
n<br />
(y − ¯y) 2<br />
Die wissenschaftliche Angabe des Messergebnisses für y lautet dann:<br />
Dabei bedeuten:<br />
i=1<br />
(176a)<br />
(176b)<br />
˜y = (¯y ± σ¯y) [y] (177)<br />
1. ˆy : Der wahre Wert der Messgröße, der unbekannt ist und (leider) nicht bestimmt<br />
werden kann, da jede Messung mit Messunsicherheiten behaftet ist.<br />
2. ¯y : Der arithmetische Mittelwert oder Bestwert der einzelnen Messergebnisse für die<br />
Messgrösse y, der (leider) fehlerbehaftet ist und nur im Idealfall mit dem wahren<br />
Wert ˆy übereinstimmt. Im Realfall führen die Fehler dazu, daß der arithmetische<br />
Mittelwert ¯y nur ungefähr mit dem wahren Wert ˆy übereinstimmt.<br />
3. σ¯y : Der mittlere Fehler des Mittelwertes (Standardabweichung, Varianz).<br />
4. ˜y : Das Messergebnis<br />
5. [y] : Die <strong>physikalische</strong> Maßeinheit (z.B. mol<br />
l<br />
gemessen wird<br />
m oder ), in welcher die Messgröße y<br />
s<br />
Die Varianz σ¯y wurde so definiert, daß der wahre Wert ˆy der betrachteten Messgröße mit<br />
einer Wahrscheinlichkeit von 68% in einem Intervall mit der Breite 2 · σ¯y um den arithmetischen<br />
Mittelwert ¯y liegt. Anders ausgedrückt nimmt y mit einer Wahrscheinlichkeit<br />
von 68% einen Wert im Intervall<br />
an.<br />
(¯y − σ¯y) < y ≤ (¯y + σ¯y) (178)<br />
Vom mittleren Fehler des Mittelwertes σ¯y zu unterscheiden ist der sog. mittlere Fehler<br />
der Einzelmessung σy. Er ist definiert durch:<br />
<br />
<br />
<br />
σy = 1<br />
n − 1 ·<br />
n<br />
(y − ¯y) 2<br />
(179)<br />
77<br />
i=1
7 Fehlerbetrachtung<br />
Somit besteht folgender Zusammenhang zwischen dem mittleren Fehler des Mittelwertes<br />
σ¯y und dem mittleren Fehler der Einzelmessung σy :<br />
σ¯y = 1<br />
√ n · σy<br />
(180)<br />
Doch worin besteht nun der Unterschied zwischen σ¯y und σy? Nun, wie bereits erwähnt<br />
bezieht sich σ¯y auf den Mittelwert. Dabei legt σ¯y eine Grenze fest, die beschreibt,<br />
wie wahrscheinlich es ist, den wahren Wert in einem Bereich um den Mittlwert herum<br />
zu finden (siehe Gleichung (178)). Da der Mittelwert aber genauer bestimmt ist als<br />
jeder Einzelmesswert, muss auch der Fehler des Mittelwertes kleiner sein als jener der<br />
Einzelmessungen. In Analogie zu Gleichung (178) bezeichnet der mittlere Fehler der<br />
Einzelmessung σy einen Intervall von der Breite 2 · σy um den Mittelwert ¯y in dem<br />
mit einer Wahrscheinlichkeit von 68% jeder einzelne Messwert liegt. Anders ausgedrückt<br />
nimmt jeder Messwert yi, i = 1, 2, . . ., n mit einer Wahrscheinlichkeit von 68% einen<br />
Wert im Intervall<br />
(¯y − σy) < y ≤ (¯y + σy) (181)<br />
an.<br />
Der Bestwert oder Mittelwert ¯y ist ein Schätzwert für den wahren, nicht bestimmba-<br />
ren Wert ˆy. Wenn man annimmt, daß mit der gewählten Apparatur der wahre Wert ˆy Beachte den<br />
prinzipiell bestimmt werden kann, so geht im Falle unendlich vieler Wiederholungen des<br />
Experiments der Mittelwert ¯y in den wahren Wert ˆy über. Dies ist klar, da der mittlere<br />
Fehler des Mittelwertes σ¯y im Falle unendlich vieler Messungen gegen Null geht:<br />
lim ¯y = ˆy (182)<br />
n→∞<br />
lim<br />
n→∞ σ¯y = lim<br />
n→∞<br />
1<br />
√ n σy = 0 (183)<br />
Dies ist allerdings nur dann gewährleistet, wenn die erhaltenen Messwerte yi, i =<br />
1, 2, . . ., n normalverteilt sind. Anders ausgedrückt müssen die Messwerte einer sog.<br />
Gauß’schen Normalverteilung entsprechen. Wenn jedoch zu wenige Messpunkte<br />
(n < 5) vorhanden sind, so kann man nicht mehr von einer ” Verteilung“ sprechen,<br />
und die Angabe einer Varianz wird völlig sinnlos! Die Gauß’sche Normalverteilung ist<br />
dabei durch folgende Gleichung gegeben:<br />
f(y) = 1<br />
σ ¯y· √ 2π<br />
· e −(y−¯y)2<br />
2σ 2 ¯y (184)<br />
Die Fläche unter der Kurve von f(y) ist gerade 1, entspricht also 100%. Wenn wir im<br />
Grenzfall unendlich viele Messungen machen würden, so wäre die resultierende Verteilung<br />
identisch mit der theoretisch berechneten Kurve nach Gleichung (184). Die Fläche<br />
unter der Kurve von f(y) in einem bestimmten Bereich yA < y ≤ yB gibt die Wahrscheinlichkeit<br />
Pya,yb an, daß der wahre Wert in diesem Intervall liegt.<br />
Pya,yb =<br />
yb<br />
ya<br />
78<br />
f(y)dy (185)<br />
Unterschied: der<br />
Mittelwert oder<br />
Bestwert ¯y ist ein<br />
Schätzwert für<br />
den wahren Wert<br />
ˆy
7 Fehlerbetrachtung<br />
Nun können wir auch verstehen, wieso der wahre Messwert y mit einer Wahrscheinlichkeit<br />
von 68, 264% in einem Intervall der Breite 2 · σ¯y um den arithmetischen Mittelwert<br />
¯y liegt, denn das Integral<br />
P(¯y−σ¯y),(¯y+σ¯y) =<br />
<br />
(¯y+σ¯y)<br />
(¯y−σ¯y)<br />
f(y)dy = 0, 68246<br />
ergibt gerade einen Wert von P(¯y−σ¯y),(¯y+σ¯y) = 0, 68246, was 68% entspricht. Folgende<br />
Abbildung mag den Sachverhalt veranschaulichen:<br />
f(y)<br />
0.6<br />
fmax<br />
0.4<br />
fWP<br />
0.2<br />
0.1<br />
σ¯y<br />
0<br />
0 2 4 ¯y<br />
Messwert y<br />
ya yb<br />
8 10<br />
Abbildung 37: Die Gauß’sche Normalverteilung f(y) nach Gleichung (184)<br />
Die Gauß’sche Glockenkurve hat ihr Maximum bei y = ¯y, also beim arithmetischen<br />
Mittelwert ¯y. Die Höhe der Gauß’schen Glockenkurve am Maximum sei fmax = f(¯y).<br />
In Abbildung 37 ist eine anschauliche Deutung der Varianz σ¯y zu sehen. Die Gauß’sche<br />
= ¯y + σ¯y. Die Höhe<br />
Glockenkurve hat Wendepunkte bei y WP<br />
1<br />
= ¯y − σ¯y und bei y WP<br />
2<br />
der Gauß’schen Glockenkurve bei y WP<br />
1 ist identisch mit der bei y WP<br />
2 und hat den Wert<br />
f WP<br />
1<br />
= fWP<br />
2 = f(¯y ± σ¯y) = fWP, Die Varianz σ¯y ist nun genau die Hälfte der Breite der<br />
Gauß’schen Glockenkurve auf der Höhe fWP.<br />
Wie gesagt gelten diese Überlegungen nur, wenn wir unendlich viele Messwerte yk, k =<br />
1, 2, . . ., n → ∞ gemacht haben. In der Praxis ist dies aber nicht möglich. In der Regel<br />
liegt nur eine beschränke Anzahl n an Messwerten vor, in unserem Fall ist n = 3. Daher<br />
geht die kontinuierliche Gauß’sche Glockenkurve über in eine diskrete Verteilung. Je<br />
79<br />
f(x)
7 Fehlerbetrachtung<br />
weniger Messwerte yk vorliegen, desto gröber wird die Verteilung. Bei n < 5 Messwerten<br />
kann man schließlich nicht mehr sinnvoll von einer Verteilung sprechen, und somit ist es<br />
auch nicht mehr möglich, eine Varianz zu definieren.<br />
Für den Fall, daß nur eine endliche Anzahl an Messwerten vorliegt, geht die Wahrscheinlichkeit<br />
Pya,yb in die Häufigkeit Hya,yb . Dabei ist die Häugikeit Hya,yb die Anzahl<br />
der Messwerte, welche im Intervall ya < y ≤ yb liegt. Manchmal wird die Häugitkeit<br />
auf die Gesamtanzahl der Messwerte bezogen, woraus die relative Häufigkeit<br />
Hya,yb<br />
hya,yb<br />
= Hya,yb<br />
n<br />
(186)<br />
resultiert. Nach [2] ist der Wert der Geschwindigkeitskonstanten für die säurekatalysierte<br />
Acetoniodierung in der Grenznäherung einer Reaktion pseudoerster Ordnung<br />
k = (3, 49 ± 0, 23) · 10 −5 l<br />
mol · s<br />
(187)<br />
In unserem Fall ist die allgemeine Messgröße y die Geschwindigkeitskonstante k der<br />
säurekatalysierten Acetoniodierung. Nehmen wir an, wir haben n = 113 mal die Ge-<br />
−5 l<br />
schwindigkeitskonstante k bestimmt. Dann unterteilen wir den Bereich 0 . . .7·10 mol·s<br />
−5 l<br />
in 28 Teilabschnitte je ∆k = 0, 5 · 10 . Jetzt zählen wir ab, wieviele Messwerte in<br />
mol·s<br />
jeden Bereich fallen. Die Anzahl der Messwerte in jedem Intervall ist dann die Häufigkeit<br />
Hka,kb :<br />
∆k[10−5 l<br />
mol·s<br />
Messreihe 1: n=100 Messwerte<br />
] = 0,00-0,25 0,25-0,50 0,50-0,75 0,75-1,00 1,00-1,25 1,25-1,50 1,50-1,75<br />
Hka,kb 0 0 0 0 0 0 0<br />
∆k[10−5 l<br />
mol·s<br />
] = 1,75-2,00 2,00-2,25 2,25-2,50 2,50-2,75 2,75-3,00 3,00-3,25 3,25-3,50<br />
Hka,kb 1 2 4 6 8 12 15<br />
∆k[10−5 l<br />
mol·s<br />
] = 3,50-3,75 3,75-4,00 4,00-4,25 4,25-4,50 4,50-4,75 4,75-5,00 5,00-5,25<br />
Hka,kb 17 15 12 8 6 4 2<br />
∆k[10−5 l<br />
mol·s<br />
] = 5,25-5,50 5,50-5,75 5,75-6,00 6,00-6,25 6,25-6,50 6,50-6,75 6,75-7,00<br />
Hka,kb 1 0 0 0 0 0 0<br />
Wenn wir nun die Häufigkeit der Messwerte gegen die angegebenen Intervalle auftragen,<br />
so erhalten wir ein sog. Histogramm. Wenn wir die Anzahl der Messwerte in allen Intervallen<br />
addieren, so muss sich wieder n = 113 ergeben:<br />
Wir sehen, daß das Histogramm in Abbildung 38 noch große Ähnlichkeit mit der kontinuierlichen<br />
Verteilung f(y) in Abbildung 37 aufweist. Die Rasterung kommt dadruch<br />
zustande, daß nur eine endliche Anzahl von Messerten verwendet werden kann. Im folgenden<br />
werden wir noch zwei Histogramme mit n = 25 und n = 7 Messwerten betrachten.<br />
80
Häufigkeit Hka,k b<br />
18<br />
16<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
7 Fehlerbetrachtung<br />
Verteilung<br />
n=113 Messwerte<br />
0<br />
0 1 2 3 4 5 6 7<br />
Messwerte k<br />
Abbildung 38: Histogramm für eine Verteilung von n = 113 Messwerten<br />
Wir sehen, daß die Verteilung umso gröber wird, je weniger Messwerte wir zur Verfügung<br />
haben. Bei n = 7 Messwerten kann man schließlich nicht mehr sinnvoll von einer Vertei-<br />
”<br />
lung“ sprechen, und demnach ist es praktisch auch nicht mehr möglich, eine Varianz σk<br />
in das Diagramm 40 einzuzeichnen. Da wir aber nur n = 3 Messwerte bestimmt haben,<br />
bedeutet das, daß es uns nicht möglich ist, unseren Versuch nach statistischen Gesichtspunkten<br />
auszuwerten. Zur Berechnung der Messungenauigkeit ( Fehler“) der Geschwin-<br />
”<br />
digkeitskonstanten k müssen wir daher ein anderes Verfahren heranziehen. Da wir die<br />
Geschwindigkeitskonstante jedoch sowieso nicht direkt, sondern über Gleichung (164)<br />
bestimmt haben, würden wir normalerweise das Gauß’sche Fehlerfortpflanzungsgesetz<br />
für abgeleitete Größen zur Berechnung von σk verwenden. Wenn der allgemeine Messwert<br />
y(a, b, c) eine Funktion von drei Variablen a, b und c ist, so gilt für das Gauß’sche<br />
Fehlerfortpflanzungsgesetz:<br />
<br />
∂y(a, 2 b, c)<br />
σy =<br />
· σ<br />
∂a<br />
2 a +<br />
2 ∂y(a, b, c)<br />
· σ<br />
∂b<br />
2 b +<br />
2 ∂y(a, b, c)<br />
· σ<br />
∂c<br />
2 c (188)<br />
Hierbei sind σa, σb und σc die Messungenauigkeiten der Größen a, b und c. Allerdings ist<br />
das Gauß’sche Fehlerfortpflanzungsgesetz nur dann auf abgeleitete Größen y(a, b, c, . . .)<br />
anwendbar, wenn genügend viele Messungen gemacht wurden, der Begriff Verteilung“<br />
”<br />
also gerechtfertigt ist. Wenn jedoch nur n < 5 Messungen vorliegen, so besitzt das<br />
Gauß’sche Fehlerfortpflanzungsgesetz keine Aussagekraft. In einem solchen Fall kann<br />
man also keine Varianzen über das Gauß’sche Fehlerfortpflanzungsgesetz bestimmen.<br />
Wohl ist es aber möglich, einen Größtfehler ∆y zu berechnen. Wenn y = y(a, b, c) eine<br />
von den Messgrößen a, b und c abgeleitete Größe ist, so bestimmt sich der Größtfehler<br />
wie folgt:<br />
<br />
<br />
∆y = <br />
∂y(a, b, c) <br />
<br />
∂a · ∆a + <br />
∂y(a, b, c) <br />
<br />
∂b · ∆b + <br />
∂y(a, b, c) <br />
<br />
∂c · ∆c (189)<br />
81
Häufigkeit Hka,k b<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
7 Fehlerbetrachtung<br />
Histogramm fr die Verteilung der Messwerte<br />
Verteilung<br />
n=25 Messwerte<br />
0<br />
0 1 2 3 4 5 6 7<br />
Messwerte k<br />
Abbildung 39: Histogramm für eine Verteilung von n = 25 Messwerten<br />
Hierbei sind ∆a, ∆b und ∆c die Größtfehler der Messgrößen a, b und c. Und genau<br />
diesen Größtfehler wollen wir für die Geschwindigkeitskonstante k bestimmen.<br />
7.2 Abschätzung des Größtfehlers<br />
Wir betrachten die Auswertungsgleichung (164):<br />
k =<br />
c 0 I<br />
c 0 A · c0 H<br />
Der Größtfehler ∆k der Geschwindigkeitskonstanten k bestimmt sich dann zu:<br />
<br />
<br />
∆k = <br />
∂k<br />
∂c0<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
I<br />
· ∆c0I +<br />
<br />
<br />
<br />
∂k<br />
∂c0<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
A<br />
· ∆c0 A +<br />
<br />
<br />
<br />
∂k<br />
∂c0<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
H<br />
· ∆c0H +<br />
<br />
<br />
<br />
∂k<br />
∂t∗<br />
<br />
<br />
<br />
· ∆t∗ =<br />
<br />
<br />
= <br />
1 <br />
<br />
· t∗<br />
· ∆c0I +<br />
<br />
<br />
c<br />
<br />
<br />
0 I<br />
2 0 · cH · t∗ <br />
<br />
<br />
<br />
· ∆c0A +<br />
<br />
<br />
c<br />
<br />
<br />
0 <br />
<br />
I <br />
2 <br />
· t∗ · ∆c0H +<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
=<br />
c 0 A · c0 H<br />
c0 I<br />
c0 A · c0 H · t∗ · ∆c0I c0 I<br />
c0 I<br />
c0 A · c0 ·<br />
H · t∗ c0 I<br />
=<br />
0 ∆cI = k ·<br />
c 0 I<br />
∆c 0 I<br />
+ ∆c0 A<br />
c 0 A<br />
+<br />
c 0 A<br />
c0 I<br />
c0 A · c0 H · t∗ · ∆c0A c0 +<br />
A<br />
+ ∆c0 A<br />
c 0 A<br />
+ ∆c0 H<br />
c 0 H<br />
+ ∆c0 H<br />
c 0 H<br />
+ ∆t∗<br />
t ∗<br />
Die hierbei auftretenden Größen ∆c0 I<br />
c 0 I<br />
<br />
+ ∆t∗<br />
t ∗<br />
, ∆c0 A<br />
c0 ,<br />
A<br />
∆c0 H<br />
c0 H<br />
· t∗<br />
c 0 A · c0 H<br />
c0 I<br />
c0 A · c0 H · t∗ · ∆c0H c0 H<br />
<br />
=<br />
und ∆t∗<br />
t ∗<br />
+<br />
c 0 I<br />
c 0 A · c0 H<br />
c 0 I<br />
c 0 A · c0 H<br />
<br />
<br />
<br />
· t∗2 · ∆t∗ =<br />
∆t∗<br />
· =<br />
· t∗ t∗ sind dabei die relativen Fehler<br />
der Größen c0 I , c0A , c0H und c0 t . Über deren Größe müssen wir uns nun Gedanken machen,<br />
bevor wir den Größtfehler von k ausrechnen. Da es sich um ein Grundlagenparktikum<br />
82<br />
(190)
Huigkeit H(y)<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
7 Fehlerbetrachtung<br />
Histogramm fr die Verteilung der Messwerte<br />
Verteilung<br />
n=7 Messwerte<br />
0<br />
0 1 2 3 4 5 6 7<br />
Messwerte k<br />
Abbildung 40: Histogramm für eine Verteilung von n = 7 Messwerten<br />
handelt ist davon auszugehen, daß die Experimentatoren relativ große Fehler bei der<br />
Einwaage der benötigten Mengen an Aceton, Schwefelsäure und Iod machen. Allerdings<br />
haben wir über diese Fehler keinerlei Informationen. Es dürfte aber realistisch sein, daß<br />
diese Fehler etwa 3 − 5% betragen. Da wir eine Größtfehler-Abschätzung vornehmen,<br />
gehen wir von 5% aus. Wir setzen daher an:<br />
∆c 0 I<br />
c 0 I<br />
= ∆c0 A<br />
c 0 A<br />
= ∆c0 H<br />
c 0 H<br />
= 0, 05 (191)<br />
Der Zeitpunkt t ∗ selbst ist auch eine abgeleitete Größe. Daher müssen wir ∆t ∗ selbst auch<br />
aus einer Größtfehlerabschätzung bestimmen. Unter Berücksichtigung von Gleichung<br />
(172)<br />
erhalten wir:<br />
∆t ∗ i =<br />
=<br />
t ∗ i<br />
= −Bi<br />
Ai<br />
<br />
<br />
<br />
∂t<br />
<br />
∗ <br />
<br />
i <br />
∂Bi<br />
· σBi + <br />
∂t<br />
<br />
∗ <br />
<br />
i <br />
∂Ai<br />
· σAi =<br />
<br />
<br />
<br />
−σBi <br />
<br />
<br />
+ |−Bi · ln (Ai) · σAi | (192)<br />
Ai<br />
Dabei sind Ai und Bi die Steigung und der Ordinaten-Abschnitt der Geraden aus der<br />
linearen Regression der Messwerte nach den Gleichungen (167b) und (167c). Die Schwankungen<br />
σAi und σBi haben wir nach den Gleichungen (171a) und (171a) bestimmt. Ihre<br />
Werte können wir Tabelle 7 entnehmen. Somit erhalten wir folgende Werte für die Größtfehler<br />
∆t ∗ i der drei Messreihen:<br />
83
7 Fehlerbetrachtung<br />
i t ∗ i [s] ∆t∗ i [s]<br />
∆t ∗<br />
i<br />
t∗ /10<br />
i<br />
−4<br />
1 534 0,07 1,2<br />
2 1051 0,10 0,9<br />
3 2041 0,33 1,6<br />
Tabelle 8: absolute und relative Größtfehler der Größe t ∗ i<br />
Wir können die drei einzelnen Fehler t∗ i , i = 1, 2, 3 mitteln, und erhalten so einen<br />
Gesamt-Fehler für t∗ i :<br />
∆t ∗ i<br />
t ∗ i<br />
= 1<br />
n ·<br />
n<br />
i=1<br />
∆t ∗ i<br />
t ∗ i<br />
=<br />
= 1<br />
3 · [1, 2 + 0, 9 + 1, 6] · 10−4 =<br />
= 1, 2 · 10 −4<br />
Wenn die Zeitpunkte t∗ i<br />
wurden, so verläuft die Bestimmung von ∆t∗ i<br />
Maßstab von<br />
(193)<br />
grafisch über eine Bestgerade durch die Messpunkte bestimmt<br />
anders. Wir nehmen an, es wurde ein<br />
1 cm ∧<br />
= 1 min (194)<br />
gewählt. Auf Millimeter-Papier kann man guten Gewissens auf einen halben Millimeter<br />
genau ablesen. Da 1 cm = 1 min = 60 s muß sofort 1 mm = 6 s sein, und die Ablesbar-<br />
keit von ∆x = 0, 5 mm muß dann ∆t ∗ i = 3 s entsprechen. Mit den absoluten Größen t ∗ i<br />
sind dann die relativen Unsicherheiten ∆t∗ i<br />
t ∗ i<br />
Unsicherheit nach Gleichung (193).<br />
bestimmbar, und damit die mittlere relative<br />
Nun können wir den Größtfehler von k mit Hilfe von Gleichung (190) bestimmen. Da der<br />
relative Fehler ∆t∗ i<br />
t∗ um den Faktor 100 kleiner ist als jener der Konzentrationen, können<br />
i<br />
wir ihn getrost ignorieren:<br />
∆k = 3, 54 · 10 −5 l<br />
mol · s · [0, 05 + 0, 05 + 0, 05] = 5, 31 · 10−6 l<br />
mol · s<br />
7.3 Führende Nullen und signifikante Ziffern<br />
(195)<br />
Nachdem wir nun endlich sowohl den Zahlenwert der Geschwindigkeitskonstanten selbst<br />
auch die des Fehlers kennen, ist es uns nun möglich, ein Versuchsergebnis anzugeben.<br />
Ein Beispiel hierfür wäre etwa:<br />
k = (3, 53667 ± 0, 05310988793) · 10 −5 l<br />
mol · s<br />
(196)<br />
wie man es häufig in Versuchs-Protokollen liest. Es ist unnötig zu sagen, daß eine derartige<br />
Angabe eines Versuchsergebnisses alles andere als wissenschaftlich ist. Eine derartige<br />
84
7 Fehlerbetrachtung<br />
−11 l<br />
Angabe suggeriert, man könne die Geschwindigkeitskonstante bis auf 10 mol·s genau<br />
−16 l<br />
messen, und der Fehler wäre bis auf 10 genau bekannt. Beide Annahmen sind<br />
mol·s<br />
natürlich falsch. Es stellt sich uns also die Frage, auf wieviele Nachkommastellen ein<br />
Versuchsergebnis und seine Unsicherheit angegeben werden darf!<br />
Betrachten wir die beiden Zahlen 5 und 5, 00. Aus mathematischer Sicht haben diese<br />
Zahlen die gleiche Bedeutung. In Naturwissenschaft und Technik enthalten beide Zahlenangaben<br />
darüber hinaus Angaben über die Unsicherheiten dieser Zahlenwerte. Da<br />
jeder Messwert, und damit jede von Messwerten abgeleitete Größe (wie etwa unsere<br />
Geschwindigkeitskonstante) mit Messunsicherheiten behaftet sind, kann ein Messwert<br />
niemals absolute Genauigkeit haben. Daher muß zusätzlich zu einem Messwert eine Angabe<br />
über dessen Unsicherheiten gemacht werden. Ferner soll jeder Messwert soviele<br />
Informationen wie möglich enthalten, darf aber keine Fehlinformationen wiedergeben.<br />
Anders ausgedrück muß jede Ziffer in einem Messwert signifikant, also bedeutsam sein.<br />
Daher muß jedes Messergebnis, und jede aus Messergebnissen abgeleiteten Größen so<br />
gerundet werden, daß nur die letzte Stelle im Rahmen der Messunsicherheiten schwankt.<br />
Die Stellenanzahl eines Zahlenwertes enthält implizit auch eine Information über die<br />
Genauigkeit dieses Wertes. Im Rahmen der allgemein geltenden Rundungsregel bedeutet<br />
die Angabe einer Messgröße ¯y = 5 bzw. ¯y = 5, 00, daß der wahre Wert ˆy in einem Intervall<br />
um die angegebene Größe liegt:<br />
¯y = 5 4, 5 ≤ ˆy < 5, 5 (197)<br />
¯y = 5, 00 4, 95 ≤ ˆy < 5, 05 (198)<br />
Somit darf die letzte, noch angegebene Stelle ungenau sein (geschätzt oder gerundet) und<br />
im Rahmen der Messunsicherheiten ( ” Messfehler“) schwanken. Alle anderen Ziffern des<br />
Messwertes dürfen nicht mehr schwanken. Jene Ziffern, die im Rahmen der Messungenauigkeiten<br />
als sicher gelten, werden als signifikante Stellen der Messgröße bezeichnet.<br />
Auf einem handelsüblichen Lineal beträgt die Skaleneinteilung ∆x = 1, 0 mm und nicht<br />
∆x = 1 mm. Dies liegt daran, daß wir mit einem derartigen Lineal ohne Schwierigkeiten<br />
eine Strecke von 0, 5 mm ablesen können. Die Ablesbarkeit des Lineals beträgt daher<br />
0, 5 mm. Durch die Ablesbarkeit des Lineals ist also die Messunsicherheit, welche jedem<br />
Messprozess mit diesem Lineal zugrunde liegt, festgelegt. Wir können daher eine Strecke<br />
mit einem derartigen Lineal auf 0, 5 mm genau ablesen, eine Streckenangabe in mm<br />
kann daher auf eine Nachkommastelle genau erfolgen. Daher bedeutet eine Angabe wie<br />
34, 5 mm, daß der wahre Wert irgendwo zwischen 34, 0 mm und 35, 0 mm liegt, was<br />
genau der Skaleneinteilung des Lineals entspricht!<br />
Rundungsregel 1: Ist die erste nicht-signifikante Ziffer<br />
dS+1 > 5, so wird die letzte signifikante Ziffer um 1<br />
erhöht. Bsp.: Rundung auf S = 2 signifikante Ziffern,<br />
8, 4716 wird zu 8, 5<br />
85
7 Fehlerbetrachtung<br />
Rundungsregel 2: Ist die erste nicht-signifikante Ziffer<br />
dS+1 < 5, so bleibt die letzte signifikante Ziffer unverändert.<br />
Bsp.: Rundung auf S = 2 signifikante Ziffern,<br />
3, 82775 wird zu 3, 8<br />
Rundungsregel 3: Ist die erste nicht-signifikante Ziffer<br />
dS+1 = 5, so wird die letzte signifikante Ziffer auf<br />
die nächste gerade Zahl gerundet. Dadurch werden Verzerrungen<br />
in der statistischen Verteilung der Messwerte<br />
vermieden. Bsp.: Rundung auf S = 2 signifikante Ziffern,<br />
2, 352082 wird zu 2.4, 7, 45482 wird zu 7, 4<br />
Wenn die Stelle vor dem Komma eine Null ist, und noch mehrere Stellen nach dem<br />
Komma Nullen sind, bis die erste von Null verschiedene Ziffer erscheint, so wird von<br />
führenden Nullen gesprochen. Führende Nullen sind keine signifikanten Ziffern. Dies<br />
liegt daran, daß man sämtliche führende Nullen bedenkenlos durch die Verwendung von<br />
Zehnerpotenzen 10 m , m = 0, −1, −2, . . . ersetzen kann:<br />
0, 000477842 = 4, 77842 · 10 −4<br />
0, 0209003027 = 2, 09003027 · 10 −2<br />
0, 00000675109125 = 6, 75109125 · 10 −6<br />
(199)<br />
(200)<br />
(201)<br />
Wenn zwischen von Null verschiedenen Ziffern Nullen stehen (wie etwa die 0 in 102, 59<br />
oder 3, 01 oder 10, 94 oder 6, 97015), dann sind diese Nullen auf jeden Fall signifikant.<br />
Sind mehrere Ziffern am Ende eines Messwertes, aber links des Kommas Nullen, so<br />
sind diese möglicherweise signifikant. Allerdings ist das der Zahl von vornherein nicht<br />
anzusehen:<br />
¯F = 1200 N (202)<br />
Impliziert, daß der wahre Wert der Kraft F zwischen 1195 und 1205 N liegen kann.<br />
Allerdings ließe sich diese Kraft auch wie folgt in der wissenschaftlichen Notation<br />
darstellen:<br />
¯F = 1, 2 · 10 3 N (203)<br />
was bedeutet, daß der wahre Wert F der Kraft zwischen 1150 und 1250 N liegen kann.<br />
Ebenso könnte man die Kraft durch Verwendung griechischer Vorsilben für die Zehnerpotenz<br />
korrekt angeben:<br />
¯F = 1, 2 kN (204)<br />
Wollte man jedoch die Kraft wirklich auf ∆F = 5 N genau angeben, so wie es in Gleichung<br />
(202) nicht-eindeutig gemeint ist, so wäre die korrekte wissenschaftliche Angabe:<br />
¯F = 1, 200 · 10 3 N (205)<br />
Wenn jedoch Nullen am Ende eines Messergebnisses, aber rechts des Kommas angegeben<br />
werden, so werden diese Nullen als signifikant betrachtet, und sie legen die<br />
Grenzen der Unsicherheit der Messgröße fest. Bei einer Angabe eines Wertes wie etwa<br />
¯y = 7, 004000 (206)<br />
86
7 Fehlerbetrachtung<br />
sind alle Nullen signifikant. Die beiden Nullen nach dem Komma sind signifikant, da sie<br />
zwischen von Null verschiedenen, signifikanten Ziffern stehen. Die drei Nullen am Ende<br />
des Wertes sind signifikant, da sie den Intervall festlegen, in welchem sich Der wahre<br />
Wert ˆy befindet:<br />
7, 003995 ≤ y < 7, 004005 (207)<br />
Wenn wir also irgendwo (in einer Publikation, in einem Lehrbuch, in einem Protokoll...)<br />
einen Wert mit Nullen am Ende einer Zahl, aber rechts des Kommas wie etwa in (206)<br />
lesen, so müssen wir davon ausgehen, daß der Autor gemeint hat, das die Nullen signifikant<br />
sind, und uns Informationen über die Messunsicherheit dieses Zahlenwertes liefern.<br />
Betrachten wir den Messwert ¯y = 6482, 849200. Die beiden Nullen am Ende der Zahl<br />
scheinen offenbar signifikant zu sein. Wir müssen davon ausgehen, daß der wahre Wert ˆy<br />
irgendwo zwischen 6482, 849195 und 6482, 849205 liegt. Bevor wir uns der Anzahl signifikanter<br />
Ziffern in dieser Zahlenangabe zuwenden, fragen wir uns, wie diese Zahl allgemein<br />
aufgebaut ist. Wir können diese Zahl wie folgt aus Zehnerpotenzen zusammensetzen:<br />
¯y = 6482, 849200 = 6000 + 400 + 80 + 2 + 0, 8 + 0, 04 + 0, 009 +<br />
+ 0, 0002 + 0, 00000 + 0, 000000 (208)<br />
= 6 · 10 3 + 4 · 10 2 + 8 · 10 1 + 2 · 10 0 + 8 · 10 −1 + 4 · 10 −2 + 9 · 10 −3 +<br />
+ 2 · 10 −4 + 0 · 10 −5 + 0 · 10 −6<br />
= K + M (209)<br />
Hierbei ist K die sog. Kennzahl des Messwerts ¯y in (209) und M ist die sog. Mantisse.<br />
Wenn wir als Di ∈ {0, 1, 2, . . ., 9} die Ziffern der Zehnerpotenzen der Kennzahl K, und<br />
dj ∈ {0, 1, 2, . . ., 9} die Ziffern der Mantisse des Messwert bezeichnen, so läßt sich der<br />
Messwert allgemein wie folgt schreiben:<br />
¯y = K + M<br />
<br />
N<br />
=<br />
j=0<br />
Dj · 10 j<br />
Es gilt also allgemein für die Kennzahl K:<br />
<br />
N<br />
K =<br />
und für die Mantisse M:<br />
<br />
+<br />
n<br />
i=1<br />
di · 10 −i<br />
= DND(N−1)D(N−2) . . .D2D1D0, d1d2 . . .dn<br />
M =<br />
j=1<br />
n<br />
i=1<br />
Dj · 10 j<br />
di · 10 −i<br />
<br />
<br />
<br />
= (210)<br />
(211)<br />
(212)<br />
(213)<br />
Im Falle des Messwerts ¯y = 6482, 849200 wäre N = 4, n = 6. Die Ziffern der Zehnerpotenzen<br />
der Kennzahl K wären D0 = 2, D1 = 8, D2 = 4, D3 = 6, und die Ziffern der<br />
87
7 Fehlerbetrachtung<br />
Zehnerpotenzen der Mantisse M wären d1 = 8, d2 = 4, d3 = 9, d4 = 2, d5 = 0 und<br />
d6 = 0. Da die Mantisse aus ihrer Definition heraus immer kleiner als 1 ist, erhalten<br />
wir unseren Messwert, wenn wir Kennzahl K und Mantisse M einfach addieren. Wir<br />
erhalten den Messwert aber auch dann wenn wir die Ziffern Dj der Zehnerpotenzen der<br />
Kennzahl K nebeneinander schreiben, und davon durch ein Komma abgetrennt die Ziffern<br />
di der Mantisse M. Was wir durch diese komplizierte Betrachtung gewonnen haben,<br />
ist eine einfache Methode, die Anzahl S signigikanter Ziffern eines Messwertes<br />
anzugeben:<br />
S = N + n (214)<br />
Wir sehen, daß die Zahl 6482, 849200 auf S = 10 signifikante Stellen genau angegeben ist.<br />
Allerdings ist entspricht die Angabe eines Messwertes in der Art von ¯y = 6482, 849200<br />
nicht ganz der wissenschaftlichen Notation. Man könnte diese Zahl unter Einführung der<br />
Zehnerpotenz 10 3 auch wie folgt schreiben:<br />
¯y = 6, 482849200 · 10 3<br />
Dies entspricht der sog. wissenschaftlichen Notation , welche wir stets anwenden wollen.<br />
Die Kennzahl K ist jetzt K = 6 und die Mantisse M ist nun M = 0, 482849200. Nun ist<br />
N = 1 und n = 9. Der Exponent E hat den Wert E = 3. Die Anzahl signifikanter Stellen<br />
S = 10 hat sich durch diese Umschreibung nicht geändert. Allerdings haben sich nun die<br />
Ziffern der Zehnerpotenzen geändert. Jetzt ist D0 = 6, d1 = 4, d2 = 8, d3 = 2, d4 = 8,<br />
d5 = 4, d6 = 9, d7 = 2, d8 = d9 = 0. Die wissenschaftliche Notation einer Messgröße<br />
lautet allgemein:<br />
¯y = D0, d1d2d3 . . .dN−1 · 10 E [y] = (215)<br />
<br />
n+N−1 <br />
= D0 + di · 10 −i<br />
<br />
· 10 E [y] = (216)<br />
i=1<br />
= (K + M) · 10 E [y] (217)<br />
Und die wissenschaftliche Notation eines Messergebnisses ist:<br />
y = (¯y ± σ¯y) [y] (218)<br />
In der wissenschaftlichen Notation wird die Kennzahl stets auf eine Dezimalstelle DN<br />
angegeben. Das bedeutet, daß wir die Dezimalstellen DN−1 bis D0 um N − 1 Stellen<br />
nach rechts (jenseits des Kommas) verschieben. Dies erreichen wir, indem wir die ursprüngliche<br />
Zahl (211) mit 10 E , E = 1 − N multiplizieren. Hierbei bedeuten:<br />
• ¯y: die arithmetische Mittelwert (Bestwert) der Messgröße<br />
• K: die charakteristische Zahl oder Kennzahl der Messgröße<br />
• N: Die Anzahl siginifikanter Stellen der Kennzahl K<br />
• M: die Mantisse der Messgröße<br />
88
7 Fehlerbetrachtung<br />
• n: die Anzahl signifikanter Stellen der Mantisse M<br />
• DN: die erste und einzige signifikante Dezimalstelle vor dem Komma<br />
• Dj: j = 0, 1, 2, . . ., N allgemein die (j + 1). signifikante Dezimalstelle vor dem<br />
Komma<br />
• d1: die erste signifikante Dezimalstelle nach dem Komma<br />
• di: i = 1, 2, . . ., n allgemein die i. signifikante Dezimalstelle nach dem Komma<br />
• d1, d2, 3, . . ., dn: die Aneinanderreihung aller signifikanten Dezimalstellen nach dem<br />
Komma wird auch als Mantisse bezeichnet<br />
• E = 1 − N: der Exponent; ist E = 0, 1, so wird auf die Angabe ” ·10 E “ verzichtet,<br />
und der Messwert statt dessen ausgeschrieben<br />
• σ¯y : die Varianz des Mittelwertes<br />
• [y]: Die <strong>physikalische</strong> Einheit der Messgröße y<br />
Anmerkung: Nur die letzte Dezimalstelle dn darf im Rahmen der Messunsicherheiten,<br />
welche entweder durch die Varianz σ¯y oder den Größtfehler ∆¯y charakterisiert<br />
werden, schwanken. Allerdings kann es vorkommen, daß auch<br />
die vorletzte Stelle d(n−1) schwankt. Sofern beide Dezimalstellen innerhalb<br />
der durch die Messunsicherheit festgelegten Grenzen nicht jeden<br />
beliebigen Wert annehmen können, sind sie signifikant.<br />
Zur Übung setzen wir die Zahl ¯y = 6, 482849200 · 10 3 aus ihren Dezimalstellen nach<br />
der wissenschaftlichen Notation (215) zusammen. Für die Ziffern der Dezimalstellen der<br />
Zahl gilt, wie wir bereits festgestellt haben: D0 = 6, d1 = 4, d2 = 8, d3 = 2, d4 = 8,<br />
d5 = 4, d6 = 9, d7 = 2, d8 = d9 = 0. Ferner ist die Anzahl signifikanter Stellen der<br />
Kennzahl N = 1, und jene der Mantisse n = 9. Der Exponent ist E¯y = 3. Die Kennzahl<br />
K¯y des Messwertes ¯y ist gegeben durch:<br />
Die Mantisse M¯y wird zu:<br />
K¯y = D0 · 10 0 = 6 · 10 0 = 6 · 1 = 6<br />
M¯y = d1 · 10 −1 + d2 · 10 −2 + d3 · 10 −3 + d4 · 10 −4 + d5 · 10 −5 + d6 · 10 −6<br />
+ d7 · 10 −7 + d8 · 10 −8 + d9 · 10 −9 =<br />
= 4 · 10 −1 + 8 · 10 −2 + 2 · 10 −3 + 8 · 10 −4 + 4 · 10 −5 + 9 · 10 −6 +<br />
+ 2 · 10 −7 d + 0 · 10 −8 + 0 · 10 −9 =<br />
= 0, 4 + 0, 08 + 0, 002 + 0, 0008 + 0, 00004 + 0, 000009 +<br />
+ 0, 0000002 + 0, 00000000 + 0, 000000000 =<br />
= 0, 482849200<br />
89
7 Fehlerbetrachtung<br />
wenn wir nun K¯y und M¯y addieren und den Exponenten E¯y = 3 berücksichtigen, so<br />
erhalten wir unsere Zahl:<br />
¯y = (K¯y + M¯y) · 10 E¯y = (6 + 0, 482849200) · 10 3 = 6, 482849200 · 10 3<br />
Um die sehr theoretisch anmutende Darlegung des Sachverhalts weiter zu verdeutlichen,<br />
seien hier einige Beispiele für Werte und die Anzahl deren signifikanten Ziffern gegeben:<br />
Messwert wissenschaftl. Notation Anzahl signifikanter Ziffern<br />
5 5 1<br />
5, 00 5, 00 3<br />
0, 005 5 · 10 −3 1<br />
12000 1, 2 · 10 4 2<br />
925600 9, 256 · 10 5 4<br />
9, 256 9, 256 4<br />
9, 2560 9, 2560 5<br />
9, 2560 · 10 7 9, 2560 · 10 7 5<br />
9, 2560 · 10 −3 9, 2560 · 10 −3 5<br />
0, 00325 3, 25 · 10 −3 3<br />
0, 0032500 3, 2500 · 10 −3 5<br />
Tabelle 9: Signifikante Ziffern in Messwerten<br />
Wir wollen uns noch einmal den Unterschied zwischen signifikanten und nicht-signifikanten<br />
Nullen vor Augen führen:<br />
0, 000<br />
<br />
nicht signifikant<br />
51<br />
signifikant<br />
<br />
00 37 00<br />
signifikant<br />
= 5, 1003700 · 10 −4<br />
Bislang haben wir uns nur Gedanken über die Genauigkeit einer Zahl gemacht, wenn der<br />
” Fehler“ bzw. die Messunsicherheit nicht explizit mit angegeben wurde. Der bisher dargelegte<br />
Sachverhalt ändert sich nämlich ein wenig, wenn zusätzlich zum Mittelwert ¯y der<br />
Messgröße y eine Messunsicherheit σ¯y gegeben ist. Dann wird die Anzahl signifikanter<br />
Stellen der Messgröße durch die Messunsicherheit festgelegt. Ferner muß die Messunsicherheit<br />
σ¯y immer in Relation zum Mittelwert ¯y betrachtet werden. Wir wollen uns nun<br />
folgende Regeln für die Angabe von Messwerten und deren Unsicherheiten ( Fehler“)<br />
”<br />
merken, die wir dann im folgenden einzeln besprechen:<br />
Regel 1: Eine signifikante Ziffer kann im Rahmen der<br />
Messunsicherheiten nicht jeden beliebigen Wert annehmen.<br />
Sie schwankt innerhalb der vom Fehler bzw. von<br />
der Messunsicherheit angegebenen Grenzen.<br />
90
7 Fehlerbetrachtung<br />
Regel 2: Eine nicht-signifikante Ziffer kann im Rahmen<br />
der Messunsicherheiten jeden beliebigen Wert annehmen.<br />
Sie besitzt daher keinerlei Aussagekraft .<br />
Regel 3: Der Messwert ¯y wird in der wissenschaftlichen<br />
Notation nach (218) und (215) angegeben. Die<br />
Kenngröße des Messwerts sollte dabei auf eine (signifikante)<br />
Stelle DN angegeben werden.<br />
Regel 4: Die letze signifikante Stelle eines Messwertes<br />
sollte von der gleichen Größenordnung sein wie die<br />
Messunsicherheit.<br />
Regel 5: Messunsicherheiten werden auf eine Dezimalstelle<br />
gerundet, es sei denn, die erste signifikante Ziffer<br />
der Messunsicherheit ist eine 1, und die zweite ist<br />
verschieden von Null.<br />
Regel 6: Beginnt die Messunsicherheit (der ” Fehler“)<br />
mit einer 1, so wird bei der Angabe der Messungenauigkeit<br />
eine Stelle mehr als sonst mit angegeben, sofern die<br />
zweite signifikante Ziffer der Messunsicherheit verschieden<br />
von 0 aber kleiner als 5 ist. Anderenfalls begeht man<br />
einen relativ großen Rundungsfehler.<br />
Regel 7: Bei Zwischenrechnungen werden sowohl<br />
beim Messwert als auch bei seiner Unsicherheit eine,<br />
vielleicht zwei Stellen mehr mit angegeben, um numerische<br />
Effekte zu vermeiden, welche das Endergebnis beeinflussen<br />
könnten.<br />
Regel 8: Relativ große Rundungsfehler bei der Messunsicherheit<br />
können in Kauf genommen werden, wenn<br />
sich die Anzahl signifikanter Stellen der Messgröße dadurch<br />
nicht auf zwei oder eins verringert.<br />
Regel 9: Verringert sich bei der Rundung der Messunsicherheit<br />
die Anzahl der signifikanten Stellen der Messgröße<br />
auf eins, so sollten Messunsicherheit und Messgröße<br />
auf eine Stelle mehr als üblich angegeben werden.<br />
Zur Verdeutlichung dieser Regeln betrachten wir nun eine Reihe von Beispielen, welche<br />
die Bedeutung der Regeln veranschaulichen sollen. Weiterhin ist anzumerken, daß es<br />
sich um Regeln und nicht um verbindliche Gesetze handelt. Dies liegt daran, daß man<br />
91
7 Fehlerbetrachtung<br />
bei der Angabe von Messgröße und Messunsicherheit die Messunsicherheit immer in<br />
Relation zur Messgröße betrachten muß. Verschiedene Autoren behandeln diese Regeln<br />
unterschiedlich verbindlich. Letzendlich kann nur die kritische Auseinandersetzung mit<br />
Messgeräten, Messmethode, Messvorgang, Messgröße und Messunsicherheit sicherstellen,<br />
daß die Angabe eines Messergebnisses wissenschaftlich sinnvoll ist!<br />
Nehmen wir an, die Auswertung eines Versuchs ergibt den numerischen Wert einer<br />
Messgröße ¯y = 0, 0038614 und seine Varianz bestimmt sich zu σ¯y = 0, 000010398.<br />
Wie lautet die wissenschaftliche Notation dieser Mesgröße? Man würde die Messgröße<br />
¯y = 3, 8614 ·10 −3 schreiben. Die Messunsicherheit σ¯y bringen wir auf die gleiche Größenordnung<br />
und erhalten σ¯y = 0, 0010398 · 10 −3 . Wir erkennen, daß die Messunsicherheit<br />
von der Größenordnung 10 −5 ist. Wir können die Messgröße ¯y also auch nur auf diese<br />
Größenordnung genau angeben. Da wir die Messunsicherheit nach Regel 5 auf eine<br />
Dezimalstelle (signifikante Stelle) runden sollen, erhalten wir σ¯y = 0, 01 · 10 −3 und die<br />
wissenschaftliche Notation lautet:<br />
y = (3, 86 ± 0, 01) · 10 −3<br />
In dieser Angabe ist die erste signifikante Ziffer des Kennwertes D0 = 3. Die Ziffern der<br />
Dezimalstellen der Mantisse lauten d1 = 8 und d2 = 6. Aus dieser Angabe erkennen<br />
wir, daß nur die letzte Stelle d2 = 6 des Ergebnisses schwanken kann, denn Der wahre<br />
Wert ˆy liegt in einem Intervall 3, 85 · 10 −3 ≤ ˆy < 3, 87 · 10 −3 . Die letzte Stelle d2 = 6<br />
des Messergebnisses kann also nur die Werte d2 ∈ {5, 6, 7} annehmen, was bedeutet: sie<br />
schwankt im Rahmen der Messunsicherheit. Daher ist sie signifikant.<br />
Wenn die Messunsicherheit doppelt so groß wäre, dann wäre σ¯y = 0, 02 · 10 −3 und das<br />
Messergebnis in der wissenschaftlichen Notation lautete:<br />
y = (3, 86 ± 0, 02) · 10 −3<br />
Der wahre Wert ˆy liegt nun in einem Intervall 3, 84 · 10 −3 ≤ ˆy < 3, 88 · 10 −3 . Die letzte<br />
Stelle d2 = 6 des Messergebnisses kann jetzt die Werte d2 ∈ {4, 5, 6, 7, 8} annehmen,<br />
was bedeutet: sie schwankt im Rahmen der Messunsicherheit. Noch immer ist die letzte<br />
Stelle als signifikant anzusehen.<br />
Was aber passiert, wenn wir jetzt den Wert der Messunsicherheit verdreifachen auf<br />
σ¯y = 0, 03 · 10 −3 ? Das Messergebnis wäre dann:<br />
y = (3, 86 ± 0, 03) · 10 −3<br />
Der wahre Wert ˆy liegt jetzt in einem noch größeren Intervall: 3, 83 · 10 −3 ≤ ˆy <<br />
3, 89 · 10 −3 und die letzte Stelle d2 = 6 kann noch mehr verschiedene Werte annehmen:<br />
d2 ∈ {3, 4, 5, 6, 7, 8, 9}. Aber noch immer ist diese Stelle als signifikant anzusehen,<br />
denn sie schwankt noch immer innerhalb der Grenzen der Messunsicherheit.<br />
92
7 Fehlerbetrachtung<br />
Der Sachverhalt wird jedoch etwas komplizierter, wenn die Messunsicherheit den Wert<br />
σ¯y = 0, 04 · 10 −3 aufweist.<br />
y = (3, 86 ± 0, 04) · 10 −3<br />
Jetzt liegt der wahre Wert plötzlich in einem Intervall, in welchem auch die vorletze<br />
Stelle d1 = 8 des Messergebnisses schwanken kann: 3, 82 · 10 −3 ≤ ˆy < 3, 90 · 10 −3 . Wie<br />
wir erkennen, kann nun die vorletze Stelle die Werte d1 ∈ {8, 9} annehmen. Allerdings<br />
kann sie keine anderen Werte annehmen und schwankt damit im Rahmen der Messunsicherheit.<br />
Somit ist die vorletzte Stelle d2 = 8 als signifikant anzusehen. Wie ist es aber<br />
nun mit der letzten Stelle d2 = 6? Sie kann offenbar die Werte d2 ∈ {2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 0}<br />
annehmen. Allerdings kann sie noch immer nicht jeden beliebigen Wert annehmen, denn<br />
sie kann nicht gleich 1 werden. Somit ist auch bei σ¯y = 0, 04 · 10 −3 die Stelle d2 = 6 als<br />
signifikant anzusehen.<br />
Wäre die Messunsicherheit schließlich σ¯y = 0, 05 · 10 −3 , dann lautete das Ergebnis:<br />
y = (3, 86 ± 0, 05) · 10 −3<br />
und Der wahre Wert ˆy läge in einem Intervall 3, 81 · 10 −3 ≤ ˆy < 3, 91 · 10 −3 . Sowohl die<br />
letze Stelle d2 = 6 als auch die vorletzte Stelle d1 = 8 können schwanken. Die vorletze<br />
Stelle kann die Werte d1 ∈ {8, 9} annehmen, schwankt also innerhalb der Messunsicherheit<br />
ohne dabei jeden beliebigen Wert annehmen zu können und ist daher signifikant.<br />
Die letzte Stelle kann jetzt aber im Rahmen der Messunsicherheit jeden beliebigen Wert<br />
annehmen : d2 ∈ {2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 0, 1}. Somit besitzt sie keinerlei Aussagekraft und<br />
ist somit nicht mehr signifikant. Daher müssen wir die Messunsicherheit aufrunden:<br />
σ¯y = 0, 1 · 10 −3 . Ebenso müssen wir nun das Messergebnis auf die gleiche Stellenzahl<br />
runden: ¯y = 3, 9 · 10 −3 . Das Messergebnis in der wissenschaftlichen Notation lautet also<br />
jetzt:<br />
y = (3, 9 ± 0, 1) · 10 −3<br />
Der wahre Wert ˆy liegt jetzt im Intervall: 4, 0·10 −3 ≤ y < 3, 8·10 −3 . Wie wir sehen, sind<br />
jetzt wieder alle Stellen signifikant. Die Dezimalstelle D0 = 3 der Kenngröße kann jetzt<br />
die Werte K¯y ∈ {3, 4} annehmen, und die verbleibende Dezimalstelle der Mantisse die<br />
Werte d1 ∈ {9, 0}. Beide Stellen schwanken daher innerhalb der Grenzen der Messunsicherheit<br />
ohne jeden beliebigen Wert annehmen zu können und sind daher signifikant.<br />
Wir könnten jetzt das Spiel ewig so weitertreiben, und die Messunsicherheit σ¯y stufenweise<br />
vergrößern und die resultierenden Intervalle betrachten, woraus wir die signifikanten<br />
Stellen ablesen könnten. Wir wollen nun zum Abschluß noch zwei interessante Fälle betrachten,<br />
bei denen man die oben festgelegten Regeln nicht mehr streng beachtet.<br />
Wenn die Messunsicherheit den Wert σ¯y = 0, 5 ·10 −3 annähme, dann wäre das Ergebnis:<br />
y = (3, 9 ± 0, 5) · 10 −3<br />
(219)<br />
Der wahre Wert ˆy läge im Intervall 4, 4 · 10 −3 ≤ ˆy < 3, 4 · 10 −3 . Wir erkennen, daß die<br />
Stelle jetzt inerhalb der Grenzen der Messunsicherheit jeden beliebigen Wert annehmen<br />
93
8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />
könnte: d1 ∈ {4, 5, 6, 7, 8, 9, 0, 1, 2, 3}. Damit wäre sie nicht mehr als signifikant anzusehen<br />
und dürfte streng genommen nicht mehr mit angegeben werden. Streng genommen<br />
müßte man das Ergebnis auf y = (4 ± 1) · 10 −3 runden. Aber man begeht bei der Rundung<br />
der Messunsicherheit von σ¯y = 0, 5 · 10 −3 auf σ¯y = 1 · 10 −3 einen Rundungsfehler<br />
von 50%!!! Daher würde man in einem solchen Fall, bei dem die Anzahl signifikanter<br />
Stellen von 2 auf 1 reduziert würde, auf eine Rundung verzichten. Die Rundung hätte<br />
zwei große Nachteile: erstens verringerte sich die Anzahl signifikanter Stellen des Messergebnisses<br />
von 2 auf 1, zweitens ist der Rundungsfehler von 50% viel zu groß. Daher<br />
wäre die Angabe zwei signifikanter Stellen, wie es in Gleichung (219) gemacht wurde,<br />
dennoch sinnvoll, obwohl gegen die aufgestellten Regeln verstoßen wurde!<br />
Selbst bei einer Messunsicherheit von σ¯y = 1, 8 · 10 −3 würde man das Ergebnis auf zwei<br />
signifikante Stellen angeben und schreiben y = (3, 9 ± 1, 8) ·10 −3 . Dies geschieht auch in<br />
Übereinstimmung mit Regel 6.<br />
Wenn die Messunsicherheiten jedoch noch größer wären und bereits mehr als 50% des<br />
Messwertes beträgen, dann würde man nicht umhin kommen, das Messergebnis auf<br />
eine signifikante Stelle zu reduzieren. Wäre also etwa σ¯y = 2, 1 · 10 −3 , so würde die<br />
wissenschaftliche Notation des Messergebnisses lauten:<br />
y = (4 ± 2) · 10 −3<br />
(220)<br />
Wir erkennen, daß die Analyse und Angabe von Messergebnissen und Messunsicherheiten<br />
keineswegs trivial ist, und wohlüberlegt und vor allem sehr selbstkritisch vorgenommen<br />
werden sollte!<br />
7.4 Das Ergebnis<br />
Im Rahmen unseres Praktikumsversuchs wurde die Geschwindigkeitskonstante k der<br />
säurekatalysierten Acetoniodierung in der Näherung einer Reaktion pseudonullter Ordnung<br />
bei einer Raumtemperatur von 22, 5 ◦ C wie folgt bestimmt:<br />
k = (3, 5 ± 0, 5) · 10 −5 l<br />
mol · s<br />
(221)<br />
Der ermittelte Wert für die Geschwindigkeitskonstante stimmt im Rahmen der Messunsicherheiten<br />
sehr gut mit dem in [2] angegebenen Wert überein.<br />
8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />
8.1 Aufgabe 1<br />
Warum sollten bei photometrische Messungen Extinktionswerte größer als 2 möglichst vermieden<br />
werden?<br />
94
8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />
Die Antwort ergibt sich aus der Betrachtung des Lambert-Beer’schen Gesetzes. Dieses<br />
lautet nach Gleichung (114) unter Berücksichtigung der oben gegebenen Frage:<br />
<br />
I0<br />
E(I) = lg ≥ 2<br />
I<br />
Exponieren wir beide Seiten, nehmen also beide Seiten dieser Gleichung ” zehn hoch“, so<br />
erhalten wir:<br />
10 E(I) = I0<br />
I ≥ 102 = 100<br />
I0 ≥ 100 · I<br />
I ≤ 1<br />
100 I0<br />
Wenn die Intensität des aus der Küvette austretenden Lichtstrahls weniger als 1<br />
100 von<br />
I0, also weniger als 1% der Ausgangsintensität I0 beträgt, ist keine sinnvolle Messung<br />
der Extinktion mehr möglich, da optische Effekte, Kalibrierfehler und Streulicht eine zu<br />
große Störung der Messung darstellen.<br />
8.2 Aufgabe 2<br />
Eine in Wasser gelöste Substanz besitzt den molaren, dekadischen Extinktionskoeffizienten<br />
3 l<br />
ǫ = 10 und setzt bei einer durchstrahlten Schichtdicke von 1 cm die Intensität des<br />
mol·cm<br />
Lichtes auf 1 des ursprünglichen Wertes herab. Wie groß ist die Konzentration der Substanz?<br />
10<br />
Die Extinktion wird auch als Absorbanz“ bezeichnetund und beschreibt die Schwä-<br />
”<br />
chung des Lichtstrahls aufgrund der gelösten Substanz. Die Extinktion ist abhängig von<br />
der durchstrahlten Schichtdicke d und der Konzentration der gelösten Substanz. Nach<br />
Gleichung (117) und dem Lambert-Beer’schen Gesetz (114) gilt:<br />
<br />
I0<br />
E(c) = ǫ · c · d = lg<br />
I<br />
Aus der Aufgabenstellung wissen wir, daß I = 1<br />
10 I0 und d = 1 cm. So können wir einfach<br />
nach c auflösen und anschließend einsetzen:<br />
c = 1<br />
· lg<br />
ǫ · d<br />
c =<br />
1<br />
I0<br />
I<br />
<br />
103 · lg<br />
l · 1cm mol·cm<br />
= 10 −3mol<br />
l<br />
<br />
I0<br />
1<br />
10I0 <br />
· lg (10) = 1 mmol<br />
l<br />
95
8.3 Aufgabe 3<br />
8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />
Schreiben Sie Gleichung (146) mit Hilfe der Gleichungen (136), (137) und (138) in eine Differentialgleichung<br />
für cA um. Vereinfachen Sie die Differentialgleichung durch die Annahme<br />
c 0 H ≫ c0 A und bestimmen Sie die Lösung der vereinfachten Gleichung für den Fall c0 I < c0 A .<br />
Skizzieren Sie den Zeitverlauf von cA(t).<br />
Gleichung (146) lautet:<br />
dcI(t)<br />
dt = −k · cA(t) · cH(t)<br />
In dieser homogenen, linearen Differentialgleichung 1. Ordnung kommen 3 verschiedene<br />
Variablen vor: cI(t), cA(t) und cH(t). Wir müssen die beiden Variablen cI(t) und cH(t)<br />
irgendwie aus dieser Gleichung eliminieren oder in eine Funktion von cA(t) umwandeln.<br />
Betrachten wir zunächst Gleichung (136):<br />
∆cA(t) = ∆cI(t)<br />
Diese Gleichung besagt, daß pro Äquivalent Aceton auch ein Äquivalent Iod verbraucht<br />
wird, was sich ja auch aus den Reaktionsgleichungen ergibt. Gleichung (137) lautet:<br />
∆cH(t) = −∆cI(t)<br />
Kombinieren wir (136) mit (137), so erhalten wir:<br />
∆cH(t) = −∆cI(t) = −∆cA(t)<br />
Diese Gleichung sagt aus, daß pro Äquivalent Aceton, welches verbraucht wird, 1 Äquivalent<br />
H3O + -Ionen entsteht. Aus der Aufgabensellung entnehmen wir aber, daß zu Beginn<br />
der Reaktion bereits sehr viel mehr H3O + -Ionen vorhanden waren als Aceton. Nehmen<br />
wir an, wir haben zu Beginn der Reaktion 1000 Äquivalente H3O + -Ionen und nur 1<br />
Äquivalent Aceton. Wenn alles Aceton verbraucht ist, so ist dadurch 1 Äquivalent H3O +<br />
zusätzlich entstanden. Wir haben also nach der Reaktion 1001 Äquivalente H3O + -Ionen<br />
vorliegen.<br />
Anders ausgedrückt ändert sich die Konezentration cH(t) an H3O + -Ionen während der<br />
Reaktion kaum, wenn gilt c0 H ≫ c0A . Unter dieser Voraussetzung könnnen wir also schreiben:<br />
∆cH(t) ≈ 0<br />
Da ja ∆cH(t) = cH(t)−c 0 H<br />
wird unter Berücksichtigung dieser vereinfachenden Annahme:<br />
∆cH(t) = cH(t) − c 0 H ≈ 0<br />
H(t) ≈ H0<br />
Somit haben wir unsere Differentialgleichung bereits wesentlich vereinfacht:<br />
dcI(t)<br />
dt = −k · cA(t) · c 0 H<br />
96
8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />
Wir müssen nun noch die differentielle Konzentrationsänderung dcI(t) durch dcA(t) ausdrücken.<br />
Nun, die integrale Änderung der Konzentration von Iod ist ja durch z. B. durch<br />
Gleichung (137) gegeben. Gleichung (137) gilt daher erst recht für differentielle Konzentrationsänderungen.<br />
Dies können wir jedoch sehr einfach zeigen, wenn wir beide Seiten<br />
von Gleichung (137) nach t differenzieren:<br />
d<br />
dt ∆cA(t) = d<br />
dt ∆cI(t)<br />
d <br />
cA(t) − c<br />
dt<br />
0 d <br />
A = cI(t) − c<br />
dt<br />
0 I<br />
dcA(t)<br />
dt<br />
= dcI(t)<br />
dc 0 I<br />
Somit können wir die Differentialgleichung wie folgt umschreiben:<br />
dcI(t)<br />
dt = −k · cA(t) · c 0 dcA(t)<br />
H =<br />
dt<br />
und somit haben wir die Differentialgleichung für die Komponente cA(t) umgeschrieben.<br />
Wir können diese Differentialgleichung sehr einfach lösen, wenn wir die Variablen trennen<br />
und anschließend Integrieren:<br />
cA(t) <br />
c 0 A<br />
dcA(t)<br />
dt<br />
= −k · cA(t) · c 0 H<br />
dcA(t) = −k · cA(t) · c 0 H · dt<br />
1<br />
cA(t) dcA(t) = −k · c 0 H · dt<br />
1<br />
c ′ A (t)dc′ A(t) = −k · c 0 H ·<br />
ln (c ′ A (t))|cA(t)<br />
c0 A<br />
<br />
cA(t)<br />
ln<br />
c 0 A<br />
= −k · c 0 H<br />
= −k · t<br />
Exponieren wir die letzte Teilgleichung und lösen nach cA(t) auf, so erhalten wir das<br />
gesuchte Ergebnis:<br />
cA(t) = c 0 A · e −k·t<br />
97<br />
t<br />
0<br />
· t<br />
dt ′
cA(t)[mol · l −1 ]<br />
0.25<br />
0.2<br />
0.15<br />
0.1<br />
c ∗ A<br />
8.4 Aufgabe 4<br />
8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />
0<br />
0 1 2 3 4 5<br />
t ∗<br />
t[min]<br />
Abbildung 41: Zeitverlauf von cA(t) für den Fall c 0 I < c0 A<br />
Die Konzentration cA(t) eines Stoffes A nehme nach einem Zeitgesetz zweiter Ordnung ab,<br />
so dass<br />
dcA(t)<br />
2<br />
= −k · cA(t)<br />
dt<br />
Wie lautet das integrale Zeitgesetz mit c0 A als Anfgansgkonzentration? Skizzieren Sie den<br />
Zeitverlauf!<br />
Diese Aufgabe ist hauptsächlich ein mathematisches Problem, ebenso wie der Rest der<br />
chemischen Kinetik. Ähnlich wie in Aufgabe 3 müssen wir nur die Variablen trennen<br />
und anschließend integrieren. Die Anfangsbedingung lautet, daß zur Zeit t = 0 die<br />
98
8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />
Konzentration des Stoffes A gegeben sein soll durch cA(0) = c 0 A :<br />
cA(t) <br />
c 0 A<br />
dcA(t)<br />
= −k · cA(t)<br />
dt<br />
2<br />
dcA(t) = −k · cA(t) 2 dt<br />
1<br />
cA(t) 2dcA(t) = −k · dt<br />
1<br />
c ′ A (t)2dc′ A (t) = −k ·<br />
− 1<br />
c ′ A (t)<br />
<br />
cA(t)<br />
<br />
<br />
c0 A<br />
− 1<br />
cA(t) −<br />
<br />
− 1<br />
c0 <br />
A<br />
t<br />
0<br />
= −k · t<br />
= −k · t<br />
Aus dieser Gleichung erhalten wir nun zwei verschiedene Möglichkeiten, den zeitlichen<br />
Verlauf von cA(t) grafisch darzustellen. Einerseits ist es möglich, aus der letzten Glei-<br />
chung eine sog. ” linearisierte Auftragung“ zu erhalten, indem wir nach 1<br />
cA(t) auflösen<br />
und so eine Geradengleichung erhalten:<br />
1<br />
cA(t)<br />
y(x) = a · x + b<br />
= k · t + 1<br />
c 0 A<br />
In dieser Auftragung erhalten wir eine Gerade mit dem Ordinaten-Abschnitt 1<br />
c 0 A<br />
der Steigung k. Der Vorteil dieser Auftragung gegenüber der expliziten Auftragung von<br />
cA(t) liegt darin, daß der lineare Zusammenhang viel einfacher zu erkennen ist als der hyperbolische<br />
Kurvenverlauf. Anders ausgedrückt können wir mit Hilfe einer linearisierten<br />
Auftragung sehr viel einfacher entscheiden, ob der mathematische Ansatz, welchen wir<br />
bei der Aufstellung des differentiellen Zeitgesetzes verwendet haben, korrekt war oder<br />
nicht. Würden die Messpunkte in einer derartigen Auftragung deutlich vom linearen Verlauf<br />
abweichen, so müsste man das differentielle Zeitgesetz verändern, indem man etwa<br />
eine nicht-ganzzahlige Reaktionsordnung bezüglich A verwendet. Andererseits können<br />
wir diese Gleichung auch explizit nach cA(t) auflösen (nachrechnen!!!):<br />
cA(t) = c 0 A ·<br />
1 + c0 A<br />
99<br />
1<br />
· k · t<br />
dt ′<br />
und
8.5 Aufgabe 5<br />
c A (t) −1 [l·mol −1 ]<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
1<br />
c 0 A<br />
8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />
c A (t) −1<br />
0<br />
0 1 2 3 4 5<br />
t[min]<br />
Abbildung 42: Linearisierte Auftragung des Zeitverlaufs von cA(t)<br />
Skizzieren Sie den Zeitverlauf von cH, cP und cI. Nehmen Sie zur Lösung an, daß gilt:<br />
c0 I = 10.<br />
c 0 H<br />
Zur Lösung dieser Aufgabe stellen wir die integralen Zeitgesetze für cP(t), cI(t) und cH(t)<br />
unter Berücksichtigung der Forderung c0 I<br />
c0 = 10 auf. Wir gehen dabei von Gleichung 153<br />
H<br />
auf Seite 59 aus. Diese Gleichung beschreibt das differentielle Zeitgesetz für das Pordukt<br />
Acetoniodid AI, welches wir einfach als P für Produkt“ abkürzen.<br />
”<br />
dcP(t)<br />
dt = ˜ k · c 0 <br />
H + cP(t)<br />
wobei ˜ k = k · c 0 A = k · A0<br />
Die Lösung dieser linearen, homogenen Differentialgleichung 1. Ordnung erfolgt wieder<br />
über die Trennung der Variablen und anschließender Integration. Die Anfangsbedingungen<br />
lauten hierbei:<br />
t = 0 : cP(0) = 0<br />
100
cA(t)/mol · l −1 c0 A<br />
1.4<br />
1.2<br />
1<br />
0.8<br />
0.6<br />
0.4<br />
0.2<br />
8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />
cA(t)<br />
0<br />
0 1 2 3 4 5<br />
t[min]<br />
Abbildung 43: Auftragung des Zeitverlaufs von cA(t)<br />
Zu Beginn der Reaktion liegt also noch kein Produkt vor.<br />
1<br />
(c 0 H + cP(t)) dcP(t) = ˜ k · dt<br />
cP (t)<br />
1<br />
(c<br />
0<br />
0 H + c′ P (t))dc′ P (t) =<br />
t<br />
0<br />
˜kdt ′<br />
ln 0<br />
cH + c ′ P(t) cP(t) = 0<br />
˜ k · t ′<br />
<br />
<br />
ln 0<br />
cH + cP(t) − ln c 0 <br />
H = k ˜ · t<br />
<br />
0 cH + cP(t)<br />
ln<br />
= ˜ k · t<br />
c0 H<br />
c0 H + cP(t)<br />
c0 H<br />
= e ˜ k·t<br />
cP(t) = c 0 H ·<br />
t<br />
0<br />
<br />
e ˜ <br />
k·t − 1<br />
Somit haben wir bereits eine Gleichung erhalten, welche die Konzentration des Produkts<br />
Acetoniodid (AI = P) in Abhängigkeit von der Zeit beschreibt. Mit Hilfe der Gleichung<br />
(138) können wir den Umsatz des Produktes AI = P mit dem Umsatz von Iod in<br />
Beziehung setzen:<br />
∆cP(t) = −∆cI(t)<br />
cP(t) − c 0 P = − cI(t) − c 0 <br />
I<br />
Berücksichtigen wir wieder, daß zu Beginn der Reaktion die Konzentration des Produktes<br />
cP(0) gleich Null ist, so können wir c0 P = 0 setzen und erhalten:<br />
cP(t) = c 0 I − cI(t)<br />
101
und hieraus:<br />
8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />
cI(t) = c 0 I − cP(t)<br />
Da wir aber bereits einen Ausdruck für cP(t) gefunden haben, können wir somit auch<br />
den zeitlichen Verlauf der Iod-Konzentration bestimmen:<br />
<br />
e ˜ <br />
k·t − 1<br />
cI(t) = c 0 I − c 0 H ·<br />
Um nun den zeitlichen Verlauf der Konzentration der Hydroniumionen cH(t) zu bestimmen,<br />
kombinieren wir die Gleichungen (137) und (138) und erhalten daraus:<br />
Unter Berücksichtigung von c 0 P<br />
∆cP(t) = −∆cI(t) = ∆H(t)<br />
cP(t) − c 0 P = cH(t) − c 0 H<br />
= 0 wird:<br />
cH(t) = c 0 H<br />
+ cP(t)<br />
Setzen wir auch hier wieder unser bereits gewonnenes Ergebnis für cP(t) ein, so erhalten<br />
wir:<br />
cH(t) = c 0 H + c 0 <br />
H · e ˜ <br />
k·t − 1 = c 0 H + c 0 H · e ˜ k·t 0<br />
− cH = c 0 H · e ˜ k·t<br />
Fassen wir unsere Ergebnisse noch einmal zusammen:<br />
cP(t)<br />
c 0 H<br />
cI(t)<br />
c0 H<br />
cH(t)<br />
c0 H<br />
= e −˜ k·t − 1<br />
= c0 I<br />
c 0 H<br />
= e ˜ k·t<br />
Aus der Aufgabenstellung geht hervor, daß c0 I<br />
c 0 H<br />
− e ˜ k·t + 1<br />
= 10 gelten soll. Mit dieser Angabe<br />
können wir den Zeitpunkt t = t∗ bestimmen, bei der das gesamte Iod verbraucht ist,<br />
die Reaktion also zum Erliegen kommt. Wir gehen also davon aus, daß zum Zeitpunkt<br />
ein:<br />
t = t ∗ gelten soll: cI(t ∗ ) = 0. Wir setzen dies nun in die Gleichung für cI(t)<br />
c 0 H<br />
cI(t ∗ )<br />
c 0 H<br />
= 0 = 10 − e ˜ k·t∗ + 1<br />
0 = 11 − e ˜ k·t ∗<br />
e ˜ k·t∗ = 11<br />
t ∗ ln (11)<br />
=<br />
˜k<br />
Mit Hilfe des Zeitpunktes t = t ∗ können wir nun die Endkonzentrationen von cP(t) und<br />
cH(t) bestimmen, indem wir t = t ∗ in die entsprechenden Gleichungen einsetzen und<br />
102
ausrechnen:<br />
cP(t ∗ )<br />
c0 H<br />
cH(t∗ )<br />
c0 H<br />
8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />
= e ˜ k· ln(11)<br />
˜k − 1 = e ln(11) − 1 = 11 − 1 = 10<br />
= e ˜ k· ln(11)<br />
˜k = e ln(11) = 11<br />
Ebenso sind die Anfangskonzentrationen der einzelnen chemischen Spezies bekannt:<br />
cI(0)<br />
c 0 H<br />
cP(0)<br />
c0 H<br />
cH(0)<br />
c0 H<br />
= c0 I<br />
c 0 H<br />
= 0<br />
= 1<br />
− e 0 + 1 = 10 − 1 + 1 = 10<br />
Mit diesen Angaben können wir die gesuchten Konzentrationsverläufe einfach skizzieren:<br />
c(t)<br />
c0 H<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
c I(t)/c 0 H<br />
c H(t)/c 0 H<br />
c P (t)/c 0 H<br />
0<br />
0 0.5 1 1.5 2 2.5 3<br />
t[min]<br />
Abbildung 44: Auftragung des Zeitverlaufs von cP (t)<br />
c0 ,<br />
H<br />
cH(t)<br />
c0 H<br />
103<br />
und cI(t)<br />
c 0 H
8.6 Aufgabe 6<br />
8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />
Es soll eine Schwefelsäurelösung vom pH-Wert 1 hergestellt werden. Wie groß ist die Schwefelsäure(ausgangs)konzentration<br />
zu wählen? (Die Säure HSO − 4 besitzt den pKS-Wert 1, 9)<br />
Schwefelsäure ist eine zweiprotonige Säure. In Wasser wird sie in zwei Stufen protolysieren.<br />
Aus Erfahrung wissen wir, daß Schwefelsäure eine sehr starke Säure ist, zumindest<br />
die erste Protolyse-Stufe. Da weiterhin in der Aufgabenstellung nur der pKS-Wert der<br />
zweiten Protolyse-Stufe gegeben ist, können wir guten Gewissens davon ausgehen, daß<br />
der erste Protolyseschritt prktisch vollständig ist. Die zweite Protolyse-Stufe ist jedoch<br />
nicht vollständig, da HSO − 4 eine schwache Säure ist. Wir müssen also eine Gleichung<br />
finden, welche eine Beziehung zwischen der Konzentration c0 S der Schwefelsäure vor der<br />
Protolyse und der Konzentration der Hydroniumionen im Gleichgewicht c eq<br />
H3O + ≡ [H3O + ]<br />
herstellt. Die Konzentration an H2SO4-Molekülen in der Lösung vor Beginn der Protolyse<br />
sei c 0 S .<br />
Es sei an dieser Stelle auf die chemische Nomenklatur hingewiesen: c 0 A ≡ cA(0) wird als<br />
Ausgangskonzentration des Stoffes A (also zum Zeitpunkt t = 0) bezeichnet. Während<br />
eine Reaktion abläuft, ändern sich die Konzentrationen der einzelnen Stoffe. Während<br />
dieser Zeitspanne bezeichnen wir cA(t) als die Konzentration des Stoffes A zur Zeit t.<br />
Liegt eine Gleichgewichtsreaktion vor, so kommt die Reaktion zum Erliegen, wenn sich<br />
ein Gleichgewicht zwischen Hin- und Rückreaktionen eingestellt hat. Konzentrationen<br />
im Gleichgewicht werden üblicherweise als c eq<br />
A ≡ [A] bezeichnet. In eckige Klammern<br />
eingeschlossene Symbole bedeuten daher immer die Konzentrationen der entsprechenden<br />
Komponente im Gleichgewicht. Daher stehen im Massenwirkungsgesetz sämtliche<br />
chemische Komponenten immer in eckige Klammern, da sich das Massenwirkungsgesetz<br />
auf den Gleichgewichtsfall bezieht.<br />
Im hier vorliegenden Fall bedeutet dies, daß wir im Gleichgewichtsfall der Protolyse<br />
der Schwefelsäure keine H2SO4-Moleküle mehr in der Lösung vorliegen haben, also daß<br />
c eq<br />
H2SO4 ≡ [H2SO4] = 0 mol<br />
l ist. Wir betreiben daher auch keine kinetische Betrachtung,<br />
sondern eine thermodynamische, denn die Massenwirkungskonstante K der Protolyse<br />
ist eine thermodynamische Größe. Betrachten wir also die beiden Protolyse-Schritte der<br />
Schwefelsäure in wäßrigem Milieu:<br />
H2SO4 + H2O −→ HSO − 4 + H3O + ; K (1)<br />
S =?<br />
HSO − 4 + H2O −→ SO 2−<br />
4 + H3O + ; K (2)<br />
S = 10−1.9<br />
Wie wir bereits festgestellt haben, können wir die erste Protolysestufe ignorieren, da wir<br />
davon ausgehen, daß die erste Stufe praktisch vollständig protolysiert. Stellen wir nun<br />
für die zweite Stufe das Massenwirkungsgesetz auf:<br />
K ′(2)<br />
S<br />
= [SO2−<br />
4 ] · [H3O + ]<br />
[HSO − 4 ] · [H2O]<br />
104
8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />
Da sich die Konzentration von Wasser während der Protolysereaktion praktisch nicht<br />
ändert, kann [H2O] mit in die Säurekonstante einbezogen werden:<br />
K (2)<br />
S<br />
Lösen wir diese Gleichung nach [HSO − 4<br />
gleichung:<br />
= K′(2) S · [H2O] = [SO2−<br />
4 ] · [H3O + ]<br />
[HSO − 4 ]<br />
] auf, so erhalten wir unsere erste Bestimmungs-<br />
[HSO − 4 ] = [SO2−<br />
4 ] · [H3O + ]<br />
K (2)<br />
S<br />
(222)<br />
Die nächste wichtige Gleichung, welche wir zur Berechnung heranziehen, ist die La-<br />
”<br />
dungsneutralitätsbedingung“. Die Ladungsneutralitätsbedingung sagt einfach nur<br />
an positiven Ladungen der Sorte i (z.B.<br />
aus, daß die Summe an Konzentration c ⊕<br />
i<br />
i = Na + , H3O + , K + , . . .) identisch sein muß mit der Summe der Konzentrationen c ⊖ j<br />
an negativen Ladungen der Sorte j (z.B. j = Cl− , HSO − 4 , H2PO − 4 , . . .).<br />
N ⊕<br />
<br />
i=1<br />
c ⊕<br />
i =<br />
Hierbei gibt es jedoch eine wichtige Tatsache zu beachten: In dieser Formulierung der<br />
Ladungsneutralitätsbedingung treten nur einfach geladene Kat- und Anionen auf. Was<br />
aber ist, wenn ein Ionensorte zweifach oder dreifach geladen ist, wie etwa das Sulfat-<br />
Ion SO 2−<br />
4 oder das Phosphation PO 3−<br />
4 ? Die Ladungsneutralitätsbedingung bezieht sich<br />
auf die Ladungen, welche n Teilchen (Moleküle, Atome) gebunden sind. Daher muß bei<br />
mehrfach geladenen Ionen der Sorte Ladungsfaktor berücksichtigt werden. Gehen wir<br />
und die Anionen der Sorte j<br />
tragen. Dann lautet die Ladungsneutralitätsbedingung:<br />
N ⊖<br />
<br />
davon aus, daß die Kationen der Sorte i eine Ladung z ⊕<br />
i<br />
die Ladung z ⊖<br />
j<br />
N ⊕<br />
<br />
i=1<br />
z ⊕<br />
i · c ⊕<br />
i =<br />
j=1<br />
N ⊖<br />
<br />
j=1<br />
c ⊖<br />
j<br />
z ⊖<br />
j · c ⊖<br />
j<br />
Stellen wir nun die Ladungsneutralitätsbedingung für unsere Schwefelsäurelösung auf.<br />
Wenn wir unsere Lösung betrachten, so finden wir nur eine einzige Kationensorte, und<br />
zwar das Hydroniumion H3O + . Somit ist die Anzahl N ⊕ an verschiedenen Kationen<br />
gleich 1, und die Ladungszahl dieser Kationen ist z ⊕ 1 = 1. An Anionen befinden sich<br />
das Hydrogensulfation j = 1 : HSO − 4 mit einer Ladung z⊖ 1<br />
= 1 und das Sulfation<br />
j = 2 : SO 2−<br />
4 mit einer Ladungszahl z ⊖ 2 = 2 in unserer Lösung. Wir haben also N ⊖ = 2<br />
verschiedene Anionensorten in der Lösung vorliegen. Unsere Ladungsneutralitätsbedin-<br />
gung lautet daher:<br />
[H3O + ] = [HSO − 4 ] + 2 · [SO 2−<br />
4 ] (223)<br />
Hieraus erhalten wir ebenso eine Gleichung für die Konzentration der Hydrogensulfationen:<br />
[HSO − 4 ] = [H3O + ] − 2 · [SO 2−<br />
4 ] (224)<br />
105
8 Aufgaben, Fragen und Antworten<br />
Korrekterweis müsste man noch die Hydroxid-Ionen, welche sich durch die Autoprotolyse<br />
des Wassers bilden, berücksichtigen, jedoch ist deren Konzentration in saurem Milieu zu<br />
vernachlässigen. Subtrahieren wir Gleichung (224) von Gleichung (222), so erhalten wir:<br />
[SO 2−<br />
4 ] · [H3O + ]<br />
[K (2)<br />
S ]<br />
+ 2 · [SO 2−<br />
4 ] − [H3O + ] = 0<br />
Hieraus erhalten wir einen Ausdruck für die Konzentration der Sulfationen:<br />
[SO 2−<br />
4 ] = [H3O + ]<br />
[H3O + ]<br />
K (2)<br />
S<br />
+ 2<br />
(225)<br />
Neben der Ladungsneutralitätsbedingung muß noch eine weitere Bedingung erfüllt sein.<br />
Die Menge an Schwefelsäure, welche wir ursprünglich eingesetzt haben, muß natürlich<br />
. Diese Kon-<br />
erhalten bleiben. Die Gesamtkonzentration an H2SO4 in der Lösung ist c0 S<br />
zentration teilt sich auf in die Gleichgewichtskonzentration [HSO − 4 ] an Hydrogensulfationen<br />
und [SO 2−<br />
4 ]. Da wir davon ausgehe, daß die erste Protolysestufe der Schwefelsäure<br />
vollständig protolysiert ist, ist die Gleichgewichtskonzentration [H2SO4] gleich Null. Die<br />
Massenerhaltungsbedingung lautet somit:<br />
c 0 S = [HSO− 4<br />
] + [SO2− 4 ] (226)<br />
Aus der Ladungsneutralitätsbedingung Gleichung (223) erhalten wir:<br />
[H3O + ] − [SO 2−<br />
4 ] = [HSO− 4 ] + [SO2− 4 ]<br />
Kombinieren wir dies mit Gleichung (226), so wird<br />
c 0 S = [HSO− 4<br />
] + [SO2− 4 ] = [H3O + ] − [SO 2−<br />
4 ]<br />
Setzen wir nun Gleichung (225) für die Sulfationen-Konzentration ein, so wird:<br />
c 0 S = [H3O + ] − [H3O + ]<br />
[H3O + ]<br />
K (2) + 2<br />
S<br />
= [H3O + ] 2 + K (2)<br />
S · [H3O + ]<br />
[H3O + ] + 2 · K (2)<br />
S<br />
Berücksichtigen wir noch die Definition von pH und pK (2)<br />
S -Wert<br />
so erhalten wir:<br />
pH = 10 −[H3O + ]<br />
pK (2)<br />
S<br />
c 0 S = 10−pH ·<br />
= 10−K(2) S<br />
<br />
1 −<br />
1<br />
10 (pK(2)<br />
S −pH) + 2<br />
<br />
(227)<br />
(228)<br />
Damit können wir die Säureausgangskonzentration berechnen, welche notwendig ist, um<br />
einen gewünschten pH-Wert einzustellen. Lösen wir Gleichung (227) nach [H3O + ] auf,<br />
oder Gleichung (228) nach pH, so ist es möglich, ausgehend von einer vorgegebenen<br />
Säureausgangskonzentration c0 S den pH-Wert zu berechnen!<br />
106
A Wichtige Integrale<br />
A Wichtige Integrale<br />
<br />
dx = x + C (229)<br />
<br />
k · dx = k · dx = k · x + C mit k = const. (230)<br />
<br />
x n 1<br />
· dx =<br />
(n + 1) · x(n−1) <br />
n ∈ Z und n = −1<br />
+ C<br />
für n < 0 gilt x = 0<br />
<br />
1<br />
· dx = ln(x) + C<br />
x<br />
<br />
1<br />
· dx = ln (|a + x|) + C<br />
a + x<br />
<br />
(a · x + b)<br />
(231)<br />
(232)<br />
(233)<br />
n (a · x + b)n+1<br />
dx = + C für n = −1<br />
a · (n + 1)<br />
<br />
1 1<br />
dx = · ln (|a · x + b|) + C<br />
a · x + b a<br />
(234)<br />
(235)<br />
107
[1],[2],[3],[4],[5],[6],[7],[9],[8]<br />
A Wichtige Integrale<br />
108