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<strong>Analyse</strong> <strong>von</strong> <strong>Medientexten</strong><br />

Universität Innsbruck<br />

Ivo Hajnal<br />

WS 2008/09<br />

Vorl.-Nr.: 641.004, PS<br />

Ivo Hajnal<br />

Seite 1


Abs<strong>ch</strong>nitt I: Einführung und Fallbeispiel<br />

I.1: Gegenstand und Ziel der <strong>Analyse</strong> <strong>von</strong> <strong>Medientexten</strong><br />

a) Texte lassen si<strong>ch</strong> aus zweierlei Perspektiven analysieren:<br />

Ivo Hajnal<br />

erstens aus sozialwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Perspektive: so genannte „Inhaltsanalyse“ (engl. content<br />

analysis)<br />

zweitens aus spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Perspektive: so genannte „linguistis<strong>ch</strong>e Textanalyse“<br />

Die zweite Perspektive ist dabei eine Teilperspektive der ersten. Das heisst:<br />

Die Methoden der „linguistis<strong>ch</strong>en Textanalyse“ bilden einen Grossteil des Inventars, dessen<br />

si<strong>ch</strong> die „Inhaltsanalyse“ bedient. Unter beiden Perspektiven bleiben die Methoden und Ziele<br />

grossteils identis<strong>ch</strong>.<br />

Umgekehrt verfolgt die „linguistis<strong>ch</strong>e Textanalyse“ mehrheitli<strong>ch</strong> dieselben Ziele wie die „Inhaltsanalyse“.<br />

Daher ist es sinnvoll, die beiden analytis<strong>ch</strong>en Ausri<strong>ch</strong>tungen bezügli<strong>ch</strong> ihres Gegenstands und ihrer<br />

Ziele geeint zu betra<strong>ch</strong>ten.<br />

b) Die <strong>Analyse</strong> <strong>von</strong> <strong>Medientexten</strong> befasst si<strong>ch</strong> mit so genannten „manifesten Kommunikationsinhalten“.<br />

Gegenstand und Ziel der <strong>Analyse</strong> lassen si<strong>ch</strong> an folgendem, vereinfa<strong>ch</strong>ten Kommunikationsmodell<br />

festma<strong>ch</strong>en:<br />

Die Grafik illustriert die folgenden Zusammenhänge:<br />

Variable Kommunikator: Die Erz<strong>eu</strong>gung und Formulierung eines Texts geht <strong>von</strong> einem Kommunikator<br />

aus, der etwas aussagt.<br />

Variable Rezipient: Die Erz<strong>eu</strong>gung und Formulierung eines Texts erfolgt ferner im Hinblick<br />

auf den Rezipienten (das Zielpublikum), an den die Aussage geri<strong>ch</strong>tet ist.<br />

Seite 2


Ivo Hajnal<br />

Variable Situation: Die Erz<strong>eu</strong>gung und Formulierung eines Texts ist s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> an eine Vielzahl<br />

<strong>von</strong> situativen Bedingungen geknüpft.<br />

Diese drei Variablen bes<strong>ch</strong>reiben den Kontext, in dem si<strong>ch</strong> der Inhalt (und damit der Text) befindet.<br />

Es gilt dabei: Der Kontext bestimmt einen Medientext in massgebli<strong>ch</strong>er Weise.<br />

Hier setzt die <strong>Analyse</strong> <strong>von</strong> <strong>Medientexten</strong> an: Sie s<strong>ch</strong>liesst <strong>von</strong> Merkmalen eines manifesten Inhalts<br />

(des Texts) auf die Merkmale eines ni<strong>ch</strong>tmanifesten Kontexts. Ziel der <strong>Analyse</strong> ist es also, <strong>von</strong> Merkmalen<br />

des Texts auf Merkmale des Kontexts und damit der sozialen Wirkli<strong>ch</strong>keit zu s<strong>ch</strong>liessen:<br />

Unter der mehrdimensionalen Grösse „soziale Wirkli<strong>ch</strong>keit“ verstehen wir unter anderem …<br />

soziales Handeln <strong>von</strong> Kommunikatoren<br />

Wert- und Normvorstellungen<br />

organisiertes und institutionalisiertes Handeln<br />

und vieles andere mehr.<br />

I.2: Ein Fallbeispiel<br />

a) Die Mögli<strong>ch</strong>keiten der Deskription illustriert ein klassis<strong>ch</strong>es Fallbeispiel aus der d<strong>eu</strong>ts<strong>ch</strong>en Polit-<br />

Beri<strong>ch</strong>terstattung.<br />

Die folgenden beiden Artikel behandeln ein identis<strong>ch</strong>es Ereignis (ges<strong>ch</strong>eiterte Wahl eines Kandidaten<br />

für das Amt des Bundespräsidenten):<br />

Artikel 1 (Bild, 22.5.1979)<br />

Weizsäcker nein - Brandt blamiert<br />

Eine s<strong>ch</strong>limme Blamage für SPD-Chef Willy Brandt - einen Tag vor der Wahl des Bundespräsidenten<br />

steht die Koalition s<strong>ch</strong>on wieder ohne Kandidaten da. Brandts Favorit, Prof. Dr. Carl<br />

Friedri<strong>ch</strong> <strong>von</strong> Weizsäcker (66), sagte ab.<br />

Als Willy Brandt gestern früh in sein Bonner Büro kam, lag die s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t auf dem<br />

S<strong>ch</strong>reibtis<strong>ch</strong>, ein Ferns<strong>ch</strong>reiben Weizsäckers: „I<strong>ch</strong> stehe ni<strong>ch</strong>t zur Verfügung. I<strong>ch</strong> werde nur<br />

kandidieren, wenn i<strong>ch</strong> die aufri<strong>ch</strong>tige Aussi<strong>ch</strong>t habe, na<strong>ch</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit die Wahl zu gewinnen“.<br />

Die hat er aber ni<strong>ch</strong>t. In der Bundesversammlung fehlen SPD- und FDP-Stimmen.<br />

Seite 3


Der weißhaarige Friedensfors<strong>ch</strong>er sagte der Bild-Zeitung gestern: „Meine Ents<strong>ch</strong>eidung fiel be-<br />

reits am Samstagna<strong>ch</strong>mittag - na<strong>ch</strong> einem vierstündigen Spaziergang dur<strong>ch</strong> die Wälder west-<br />

li<strong>ch</strong> des Starnberger Sees. Als i<strong>ch</strong> zurückkam, sagte i<strong>ch</strong> zu meiner Frau: ,I<strong>ch</strong> kandidiere ni<strong>ch</strong>t.'<br />

Eine Kandidatur nur deshalb, um den Koalitionspartnern aus der Verlegenheit zu helfen - das<br />

kam für mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in Frage. So weit rei<strong>ch</strong>t meine fr<strong>eu</strong>nds<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Verbundenheit zur Regie-<br />

rung, die i<strong>ch</strong> in vielen Sa<strong>ch</strong>fragen unterstütze, denn do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t.“<br />

Anderthalb Tage hielt Weizsäcker sein Nein geheim. Als er gestern morgen Farbe bekannte,<br />

bra<strong>ch</strong> bei SPD und FDP Bestürzung aus. SPD-Präsidium und -Vorstand tagten stundenlang.<br />

FDP-Chef Gens<strong>ch</strong>er rief die Spitzenpolitiker seiner Partei zusammen, dann traf er Brandt. Kein<br />

Ausweg - aber n<strong>eu</strong>e S<strong>ch</strong>eingefe<strong>ch</strong>te mit der CDU/CSU. Die SPD empfahl der CDU, Weizsäcker<br />

zu wählen. Die FDP winkte no<strong>ch</strong> einmal mit S<strong>ch</strong>eel. Die CDU forderte ihrerseits SPD und FDP<br />

auf, für Carstens zu stimmen.<br />

In der SPD wä<strong>ch</strong>st die Kritik an Brandt, aber au<strong>ch</strong> an Gens<strong>ch</strong>er. Juso-Chef S<strong>ch</strong>röder: „Wenn<br />

zwei Parteivorsitzende jemanden für ein sol<strong>ch</strong>es Amt nominieren, dann sollte man erwarten,<br />

daß dies mit dem Kandidaten bis ins einzelne bespro<strong>ch</strong>en ist, bevor man in die Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />

geht.“ SPD-Fraktions<strong>ch</strong>ef Wehner bissig: „Die Koalition muß aufpassen, daß sie ni<strong>ch</strong>t bald<br />

halbmast flaggt.“ CSU-Chef Strauß: „Eine blamable Sa<strong>ch</strong>e, aus der keiner der Beteiligten ohne<br />

Blessuren hervorgeht.“<br />

Letzter Stand: Die SPD will h<strong>eu</strong>te do<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> versu<strong>ch</strong>en, einen eigenen Kandidaten<br />

zu finden: Die Parteifr<strong>eu</strong>nde Annemarie Renger und Heinz Kühn sind im Gesprä<strong>ch</strong>.<br />

Artikel 2 (N<strong>eu</strong>e Westfälis<strong>ch</strong>e, 22.5.1979)<br />

SPD benennt h<strong>eu</strong>te eigenen Kandidaten gegen Carstens<br />

Union und Jusos üben s<strong>ch</strong>arfe Kritik am Vorgehen der Koalition<br />

Bonn (ddp/dpa). Na<strong>ch</strong> der Absage des Wissens<strong>ch</strong>aftlers Carl Friedri<strong>ch</strong> <strong>von</strong> Weizsäcker hat die<br />

SPD na<strong>ch</strong> fieberhaften Bemühungen der Parteiführung si<strong>ch</strong> gestern abend dazu ents<strong>ch</strong>lossen,<br />

einen eigenen Bewerber für die morgige Wahl des Bundespräsidenten zu präsentieren. Dies<br />

teilte SPD-Bundesges<strong>ch</strong>äftsführer Bahr am Abend im D<strong>eu</strong>ts<strong>ch</strong>en Fernsehen mit. Bahr erklärte,<br />

der Name des Kandidaten stehe bereits fest, do<strong>ch</strong> wolle er ihn ni<strong>ch</strong>t nennen. Der SPD-<br />

Vorsitzende Brandt werde ihn am h<strong>eu</strong>tigen Dienstag vor den Wahlmännern seiner Partei be-<br />

kanntgeben. Auf die Frage, ob die FDP diesen Kandidaten unterstütze, sagte Bahr, dies müsse<br />

man die Liberalen fragen. Der parteilose Weizsäcker hatte seine Absage gestern in fast glei<strong>ch</strong>-<br />

lautenden S<strong>ch</strong>reiben an Brandt und Gens<strong>ch</strong>er damit begründet, daß er kein „Zähl- oder<br />

Kampfkandidat“ sein könne. Die Koalition hatte daraufhin zunä<strong>ch</strong>st vergebli<strong>ch</strong> versu<strong>ch</strong>t, die<br />

Union zur Unterstützung Weizsäckers zu bewegen.<br />

Weizsäcker betonte in seinem Brief an Brandt und Gens<strong>ch</strong>er seine grundsätzli<strong>ch</strong>e Bereits<strong>ch</strong>aft<br />

zur Übernahme des Präsidentenamtes, wenn es ihm „<strong>von</strong> einer Mehrheit der Wahlbere<strong>ch</strong>tig-<br />

ten offen angetragen würde“. Seine Absage begründete er au<strong>ch</strong> da mit, daß er den Eindruck<br />

vermeiden wollte, „der Koalition aus einer Verlegenheit zu helfen“. Er werde nur kandidieren,<br />

wenn er „die Absi<strong>ch</strong>t habe, na<strong>ch</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit die Wahl zu gewinnen“. Diese Absi<strong>ch</strong>t müsse<br />

aber unter den gegebenen Umständen den Wuns<strong>ch</strong> eins<strong>ch</strong>ließen, daß mindestens 14 Abge-<br />

ordnete der Opposition das ihrer Partei gegebene Wort in der geheimen Abstimmung bre<strong>ch</strong>en.<br />

Dies wüns<strong>ch</strong>e er ni<strong>ch</strong>t. Zuglei<strong>ch</strong> bedauerte der Wissens<strong>ch</strong>aftler „im nationalen Interesse“ den<br />

„Konfrontationskurs“ in dieser Wahl, auf den si<strong>ch</strong> die Opposition geeinigt habe.<br />

Ivo Hajnal<br />

Seite 4


Das SPD-Spitzengremium verwies darauf, daß die beiden Koalitionsparteien ursprüngli<strong>ch</strong> die<br />

Mögli<strong>ch</strong>keit einer weiteren Amtsführung dur<strong>ch</strong> Walter S<strong>ch</strong>eel hatte offenhalten wollen. Da-<br />

na<strong>ch</strong> hätten sie die Kandidatur einem Mann angetragen, der dur<strong>ch</strong> sein Ansehen im In- und<br />

Ausland, „seine wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Leistung und sein politis<strong>ch</strong>es Engagement“ fähig sein würde,<br />

das Amt des Staatsoberhaupts „mit der wüns<strong>ch</strong>enswerten integrierenden Kraft auszuüben“.<br />

Unterdessen haben CSU-Chef Strauß und Kohl eine Einladung <strong>von</strong> Brand und Gens<strong>ch</strong>er zu ei-<br />

nem gemeinsamen Gesprä<strong>ch</strong> der vier Parteivorsjtzenden abgelehnt. Strauß erklärte, die Wahl-<br />

männer der CDU/CSU hätten für ein sol<strong>ch</strong>es Gesprä<strong>ch</strong> kein Verständnis. Kohl bekräftigte die<br />

Unterstützung für eine Wahl <strong>von</strong> Carstens. Ein unwürdiges Spiel" mit dem hö<strong>ch</strong>sten Staatsamt<br />

warf das CDU-Präsidium SPD und FDP vor Als eine „blamable Angelegenheit“ bezei<strong>ch</strong>nete<br />

Strauß das Angebot an Weizsäcker und dessen Ablehnung. Er sagte in Mün<strong>ch</strong>en, keiner der<br />

Beteiligten werde ohne Blessur daraus hervorgehen. Kritik am Vorgehen <strong>von</strong> SPD und FDP<br />

äußerte der Vorsitzende der Jungsozialisten, Gerhard S<strong>ch</strong>röder. Gegenüber Radio Bremen<br />

erklärte er, „wenn zwei Parteivorsitzende jemanden nominieren, dann sollte man erwarten,<br />

daß dies mit dem Kandidaten bis ins einzelne bespro<strong>ch</strong>en ist, bevor man in die Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />

geht“. Na<strong>ch</strong> seinen Worten sind die Jungsozialisten <strong>von</strong> Anfang an dagegen gewesen, „das<br />

Spiel<strong>ch</strong>en“, das die FDP mit S<strong>ch</strong>eel gespielt habe, mitzuma<strong>ch</strong>en.<br />

Ivo Hajnal<br />

b) Eine erste Mögli<strong>ch</strong>keit besteht in einer syntaktis<strong>ch</strong>en Bes<strong>ch</strong>reibung der beiden Artikel. Diese<br />

Bes<strong>ch</strong>reibung geht <strong>von</strong> Art und Zahl verwendeter Wörter sowie der Satzstruktur aus. Die quantitative<br />

Auszählung der beiden Artikel ergibt die auf der folgenden Seite abgedruckte Liste. Sie zeigt<br />

einerseits eine Beziehung zwis<strong>ch</strong>en Worthäufigkeit und Wortlänge; andererseits – neben man<strong>ch</strong>en<br />

Parallelen – au<strong>ch</strong> signifikante Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en beiden Artikeln.<br />

Eine sol<strong>ch</strong>e syntaktis<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>reibung sagt jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts über die wirkli<strong>ch</strong> im Artikel enthaltene<br />

Information aus. Hierfür ist es notwendig, die semantis<strong>ch</strong>e Bed<strong>eu</strong>tung der Wörter (Zei<strong>ch</strong>en) zu untersu<strong>ch</strong>en.<br />

Etwa dur<strong>ch</strong> eine Themenanalyse, wel<strong>ch</strong>e die vorkommenden Themen zuvor festgelegten<br />

Kategorien zuordnet. Vgl. etwa folgendes S<strong>ch</strong>ema der Kategorien in Tageszeitungen:<br />

Kategorie Häufigkeit (%)<br />

Aussenpolitik<br />

Innenpolitik<br />

Wirts<strong>ch</strong>aft<br />

Kultur<br />

Wissens<strong>ch</strong>aft<br />

Sport<br />

Unglück und Verbre<strong>ch</strong>en<br />

Unterhaltung<br />

Lifestyle, Reisen<br />

Te<strong>ch</strong>nik, Auto<br />

= 100%<br />

Für die oben abgedruckten Artikel lässt si<strong>ch</strong> so festhalten, dass sie dem Kriterium „Innenpolitik“<br />

zuzure<strong>ch</strong>nen sind. Ihre Flä<strong>ch</strong>e (Artikel 1: 223cm 2 ; Artikel 2: 278cm 2 ) hat nur bezügli<strong>ch</strong> dieses Kriteriums<br />

Aussagekraft.<br />

Seite 5


Worthäufigkeit in den beiden Artikeln in I.2 sub a:<br />

Ivo Hajnal<br />

Aussagekräftiger als die reine Themenanalyse ist die Bewertungsanalyse. Sie ermittelt einerseits<br />

die Nennung bestimmter Objekte, andererseits die Ri<strong>ch</strong>tung der Bewertungen: (-1) = negativ, (0) =<br />

n<strong>eu</strong>tral, (+1) = positiv. Hierbei ist es mögli<strong>ch</strong> die einzelnen Bewertungen in Relation zum Bewerter<br />

zu setzen. Dadur<strong>ch</strong> entsteht eine zweidimensionale Matrix, in deren Randspalten si<strong>ch</strong> die Summen<br />

erhaltener bzw. abgegebener Bewertungen findet.<br />

Die Grafik auf der folgenden Seite zeigt, dass die zugrunde liegenden Ereignisse in beiden Artikeln<br />

eind<strong>eu</strong>tig negativ bewertet werden: einerseits dur<strong>ch</strong> die hohe Zahl negativer Bewertungen, andererseits<br />

in der Tatsa<strong>ch</strong>e, dass die negativ bewerteten Personen keinen Versu<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en, si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Gegenbewertungen<br />

zu wehren.<br />

Das Problem sol<strong>ch</strong>er Bewertungsanalysen liegt allerdings darin, dass Bewertungen stark oder weniger<br />

stark ausfallen können; ferner direkt oder au<strong>ch</strong> indirekt sind. Daher sind genaue Messungen<br />

s<strong>ch</strong>wer mögli<strong>ch</strong> – sofern ni<strong>ch</strong>t im Vorfeld der <strong>Analyse</strong> klare Kriterien für Bewertungen aufgestellt<br />

werden: etwa Verwendung <strong>von</strong> Adjektiven und Adverbien in Aussagen, <strong>von</strong> Diminutiva, Modalpartikeln<br />

usw.<br />

Seite 6


Bewertungsanalyse in den beiden Artikeln in I.2 sub a:<br />

Ivo Hajnal<br />

Seite 7


Ivo Hajnal<br />

c) Die bisherigen <strong>Analyse</strong>n sub b haben si<strong>ch</strong> nur auf die Deskription des Inhalts selbst bes<strong>ch</strong>ränkt. Es<br />

lässt si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> unterstellen, dass im Sinne einer Inferenz bestimmte inhalts-interne Ausprägungen<br />

(wie die sub b festgehaltenen) mit bestimmten inhalts-externen Ausprägungen korrelieren.<br />

Wir nehmen folgli<strong>ch</strong> an, dass zwis<strong>ch</strong>en Text und Kontext eine relativ stabile Beziehung besteht.<br />

Am einfa<strong>ch</strong>sten lässt si<strong>ch</strong> eine sol<strong>ch</strong>e Beziehung dur<strong>ch</strong> die Logik des Verglei<strong>ch</strong>s erstellen: Unters<strong>ch</strong>iede<br />

in den Inhaltsmerkmalen zweier Texte werden in Beziehung zu Unters<strong>ch</strong>ieden in den Merkmalen<br />

zweier Kontexte gesetzt.<br />

Den Ausgangspunkt bei der Untersu<strong>ch</strong>ung der Beziehung zwis<strong>ch</strong>en Inhalt und Kommunikator bildet<br />

die Stilanalyse auf syntaktis<strong>ch</strong>er Ebene. Aus genügend grossen Proben lassen si<strong>ch</strong> für jeden Autor<br />

relevante Kennzahlen gewinnen: etwa die dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e Zahl <strong>von</strong> Silben pro Satz, die Zahl<br />

<strong>von</strong> Wörtern pro Satz usw. Diese Kennzahlen lassen si<strong>ch</strong> im Verglei<strong>ch</strong> zu analysierender Texte einbringen:<br />

etwa wenn es darum geht, eine Autors<strong>ch</strong>aft festzustellen. Für die Artikel sub a sind zwei<br />

Kerngrössen erhoben:<br />

1) Mittelwert der Zahl Worte pro Satz<br />

2) Str<strong>eu</strong>ung der Zahl Worte pro Satz<br />

Das Ergebnis:<br />

Kerngrösse Artikel 1 (Bild) Artikel 2 (N<strong>eu</strong>e Westfälis<strong>ch</strong>e)<br />

Mittelwert der Wörter pro Satz x 10.3 17.5<br />

Mittelwert der Wörter pro Satz y 6.5 7.9<br />

Quotient s/x 0.63 0.45<br />

Die Bild-Zeitung formuliert offenkundig kürzere Sätze. Andererseits liegt der Str<strong>eu</strong>wert der Bild-<br />

Zeitung höher: Unters<strong>ch</strong>iede in der Satzlänge sind demna<strong>ch</strong> häufiger und ausgeprägter. Au<strong>ch</strong> ohne<br />

statistis<strong>ch</strong>en Verglei<strong>ch</strong> lässt si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>liessen, dass die beiden Artikel vers<strong>ch</strong>iedene Urheber haben.<br />

Au<strong>ch</strong> auf der semantis<strong>ch</strong>en Ebene ist die Inferenz <strong>von</strong> Inhalt auf den Kommunikator mögli<strong>ch</strong>. Verglei<strong>ch</strong>en<br />

wir das selbe Organ über die Zeit, so lassen si<strong>ch</strong> Trends der Beri<strong>ch</strong>terstattung feststellen:<br />

etwa, ob eine Kategorie in der Verglei<strong>ch</strong>szeit an Anteilen gewonnen bzw. verloren hat. Verglei<strong>ch</strong>en<br />

wir zwei vers<strong>ch</strong>iedene Organe, so lassen si<strong>ch</strong> Aussagen über die thematis<strong>ch</strong>e Gewi<strong>ch</strong>tung und<br />

Trends ma<strong>ch</strong>en.<br />

Kategorie Organ I<br />

Aussenpolitik<br />

Innenpolitik<br />

Wirts<strong>ch</strong>aft<br />

Kultur<br />

Wissens<strong>ch</strong>aft<br />

Sport<br />

Häufigkeiten (%)<br />

Organ II<br />

Häufigkeiten (%)<br />

Differenz der Häufigkei-<br />

ten (%)<br />

Seite 8


Unglück und Verbre<strong>ch</strong>en<br />

Unterhaltung<br />

Lifestyle, Reisen<br />

Te<strong>ch</strong>nik, Auto<br />

= 100% = 100% = 100%<br />

Ivo Hajnal<br />

Auf der pragmatis<strong>ch</strong>en Ebene lässt si<strong>ch</strong> die Intention des Kommunikators hinterfragen. Wel<strong>ch</strong>e<br />

Absi<strong>ch</strong>ten verfolgt dieser bei der Formulierung seines Artikels, wel<strong>ch</strong>e Wirkung will er beim Leser<br />

erzielen? – Beim Beispiel unserer beiden Artikel lässt si<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st unterstellen, die Kommunikatoren<br />

hätten ein Interesse, dass ihre Texte gelesen würde. Die Verständli<strong>ch</strong>keitsanalyse dient dazu,<br />

im Ansatz festzustellen, wie zielführend die Kommunikatoren ihre Artikel präsentieren.<br />

Diese <strong>Analyse</strong> prüft auf der syntaktis<strong>ch</strong>en Ebene die Lesbarkeit eines Texts auf Grund <strong>von</strong> Wort- und<br />

Satzlänge, Interessensfaktoren u.a.m. Bes<strong>ch</strong>ränkt man si<strong>ch</strong> bei den beiden Artikeln sub a nur auf die<br />

Satzlänge (Anzahl Worte pro Satz), ergibt si<strong>ch</strong> das folgende Resultat:<br />

Die <strong>Analyse</strong> ergibt, dass der Artikel aus der Bild-Zeitung verständli<strong>ch</strong>er als seine Entspre<strong>ch</strong>ung aus<br />

der N<strong>eu</strong>en Westfälis<strong>ch</strong>en ist.<br />

Die Objektivitätsanalyse prüft, in wel<strong>ch</strong>em Masse der Kommunikator seinen Inhalt „objektiv“<br />

darstellt, also ni<strong>ch</strong>t eine gewisse (politis<strong>ch</strong>e) Ri<strong>ch</strong>tung bevorzugt. Grundlage hierfür kann Bewertungsanalyse<br />

sub b sein. Im Falle des in den Beispielen präsentierten Ereignisses (ges<strong>ch</strong>eiterte Wahl<br />

eines Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten) zeigt si<strong>ch</strong>, dass N<strong>eu</strong>tralität keineswegs mit<br />

Wertungsfreiheit glei<strong>ch</strong>zusetzen ist. Denn das beri<strong>ch</strong>tete Ereignis wird mehrheitli<strong>ch</strong> negativ bewertet.<br />

Die Objektivitätsanalyse muss si<strong>ch</strong> daher na<strong>ch</strong> Indikatoren ri<strong>ch</strong>ten, die unabhängig vom Ereignis<br />

die Werthaltung des Kommunikators si<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>en.<br />

Ausgangspunkt hierfür ist die Maxime „facts are sacred but comment is free“. Eine objektive, „n<strong>eu</strong>trale“<br />

Darstellung muss demgemäss zunä<strong>ch</strong>st die Trennung <strong>von</strong> Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t und Meinung einhalten.<br />

In einem Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tenartikel – wie den Fallbeispielen sub a – sind nur zitierte, jedo<strong>ch</strong> keine anderen<br />

Bewertungen zulässig. Ein Indikator für die Objektivität ist daher das Verhältnis aller Eigenwertungen<br />

zur Summe aller Wertungen Z, die in der Abbildung auf Seite 7 vorliegen:<br />

Seite 9


Ivo Hajnal<br />

Der Wert variiert zwis<strong>ch</strong>en ) und +1. Je höher der Wert, desto weniger objektiv die Beri<strong>ch</strong>terstattung.<br />

Im Gegensatz zur Objektivität lässt si<strong>ch</strong> die N<strong>eu</strong>tralität gegenüber einem bestimmten Einstellungsobjekt<br />

direkt und indirekt erre<strong>ch</strong>nen:<br />

Der direkte N<strong>eu</strong>tralitätsindex ergibt si<strong>ch</strong>, indem man – zum jeweiligen Einstellungsobjekt –<br />

alle Eigenbewertungen des Kommunikators auszählt, <strong>von</strong> den positiven die negativen Bewertungen<br />

abzieht und diese ins Verhältnis setzt zur Zahl Z insgesamt vorliegender Bewertungen.<br />

Der direkte Index ist aussagekräftig für die Einstellung, die der Kommunikator zum Objekt<br />

einnimmt.<br />

Der indirekte N<strong>eu</strong>tralitätsindex ergibt si<strong>ch</strong>, indem man – zum jeweiligen Einstellungsobjekt –<br />

alle Fremdbewertungen auszählt, <strong>von</strong> den positiven die negativen Bewertungen abzieht und<br />

diese ins Verhältnis setzt zur Zahl Z insgesamt vorliegender Bewertungen. Der indirekte Index<br />

ist aussagekräftig für die Einstellung, wel<strong>ch</strong>e die Öffentli<strong>ch</strong>keit zum Objekt einnimmt.<br />

S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> lässt si<strong>ch</strong> anhand der Bewertungen das Verhältnis <strong>von</strong> Übers<strong>ch</strong>rift und Artikel analysieren.<br />

Ers<strong>ch</strong>einen in der Übers<strong>ch</strong>rift anteilig mehr Eigenbewertungen als im Artikel, lässt si<strong>ch</strong> unterstellen,<br />

dass der Kommunikator dem Rezipienten das Lesen des Artikels unter einer gewissen Perspektive<br />

nahe legt. Der hierfür aussagekräftige Verzerrungsindex ergibt si<strong>ch</strong> …<br />

wenn man erstens die Zahl der Eigenbewertungen mit der Zahl der Aussagen in der Übers<strong>ch</strong>rift<br />

in Beziehung setzt,<br />

zweitens die Zahl der Eigenbewertungen mit der Zahl der Aussagen im gesamten Artikel in<br />

Beziehung setzt,<br />

und drittens die beiden Quotienten dur<strong>ch</strong>einander dividiert.<br />

Nimmt der Index einen Wert <strong>von</strong> 1 an, sind Übers<strong>ch</strong>rift und Artikel konsonant – die Übers<strong>ch</strong>rift gibt<br />

ein massstabgere<strong>ch</strong>tes Abbild des Inhalts wieder. Ist der Wert des Indexes grösser als 1, liegt eine<br />

Verzerrung des Inhalts vor. (Anmerkung: als „Aussage“ gelten alle Satzteile, die si<strong>ch</strong> zu einem ganzen<br />

Satz ergänzen lassen.)<br />

Seite 10


Ivo Hajnal<br />

Die bes<strong>ch</strong>riebenen Indices lassen si<strong>ch</strong> auf die beiden Artikel anwenden, wobei si<strong>ch</strong> folgendes Bild<br />

ergibt:<br />

Die Auswertung zeigt d<strong>eu</strong>tli<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede:<br />

Die Trennung <strong>von</strong> Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t und Meinung wird in der Bild-Zeitung weniger respektiert, was<br />

si<strong>ch</strong> im Objektivitätsindex <strong>von</strong> 0.56 ausdrückt.<br />

Der N<strong>eu</strong>tralitätsindex liegt bei der Bild-Zeitung ebenso höher, was auf eine negative Einstellung<br />

zum Einstellungsobjekt (hier: der SPD) d<strong>eu</strong>tet.<br />

Der hohe Verzerrungsindex s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> zeigt, dass in der Übers<strong>ch</strong>rift der Bild-Zeitung verglei<strong>ch</strong>sweise<br />

viele Eigenbewertungen auftau<strong>ch</strong>en. Offenkundig will die Bild-Zeitung ni<strong>ch</strong>t<br />

nur Information, sondern au<strong>ch</strong> eine Perspektive vermitteln.<br />

d) Bereits der sub c bes<strong>ch</strong>riebene S<strong>ch</strong>luss vom Inhalt auf den Kommunikator ist problematis<strong>ch</strong>. Erst<br />

re<strong>ch</strong>t gilt diese Feststellung jedo<strong>ch</strong> für den S<strong>ch</strong>luss vom Inhalt auf dessen Wirkung beim Rezipienten.<br />

Vieles ist hierbei ungewiss: So ist ausgehend vom Inhalt ni<strong>ch</strong>t direkt zu ers<strong>ch</strong>liessen, wel<strong>ch</strong>e<br />

Rezipienten der Inhalt errei<strong>ch</strong>t; ferner, wie die Rezipienten den Inhalt aufnehmen.<br />

Jeder Kommunikationsinhalt ruft Wirkungen hervor, sofern er den Rezipienten errei<strong>ch</strong>t (te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>es<br />

Problem) und rezeptabel ist (syntaktis<strong>ch</strong>es und semantis<strong>ch</strong>es Problem). Daneben weist ein Kommunikationsinhalt<br />

eine Bed<strong>eu</strong>tung im weiteren Sinne auf, da jedes spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Zei<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> eine Konnotation<br />

besitzt und relativ subjektive Assoziationen auslöst.<br />

Dies ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> das Verfahren des Semantis<strong>ch</strong>en Differentials (Polaritätenprofil) zunutze. Den Versu<strong>ch</strong>spersonen<br />

(Rezipienten) werden ein bestimmter Gegenstand/eine bestimmte Person und dazu<br />

passende semantis<strong>ch</strong>e Gegensatzpaare präsentiert, wel<strong>ch</strong>e die Endpunkte auf einer siebenstufigen<br />

Seite 11


Ivo Hajnal<br />

figen Skala bilden. Dieses Verfahren eignet si<strong>ch</strong> etwa für den Verglei<strong>ch</strong> <strong>von</strong> Gegenständen/Personen<br />

im Hinblick auf vorgegebene Eigens<strong>ch</strong>aften.<br />

Die folgende Grafik zeigt das semantis<strong>ch</strong>e Differential der Kanzlerkandidaten S<strong>ch</strong>midt und Strauss<br />

vor der Bundestagswahl 1980:<br />

Dieses Verfahren zeigt nur die semantis<strong>ch</strong>en Wirkungsbedingungen auf. Ein Inhalt muss jedo<strong>ch</strong> auf<br />

weitere Eigens<strong>ch</strong>aften untersu<strong>ch</strong>t werden, die ihn ni<strong>ch</strong>t nur rezeptabel (verständli<strong>ch</strong>), sondern au<strong>ch</strong><br />

akzeptabel (eben wirksam) ma<strong>ch</strong>en: z.B. Informationsgehalt (Überras<strong>ch</strong>ungswert), Relevanz, affektive<br />

Komponenten u.a.m. Diese Eigens<strong>ch</strong>aften bewegen si<strong>ch</strong> auf der pragmatis<strong>ch</strong>en Ebene: d.h. auf der<br />

Ebene, auf der die Beziehung des Zei<strong>ch</strong>ens zu seinem Benutzer abgefragt wird (s. bereits sub c). Zwi-<br />

Seite 12


Ivo Hajnal<br />

s<strong>ch</strong>en der Intention des Kommunikators (sub c) und der Wirkung beim Rezipienten besteht dabei<br />

die folgende Analogie:<br />

Semiotis<strong>ch</strong>e Ebene<br />

der <strong>Analyse</strong><br />

syntaktis<strong>ch</strong> Verständli<strong>ch</strong>-<br />

Typ der <strong>Analyse</strong> Intention des Kommunikators Wirkungsbedingung beim Rezipien-<br />

keitsanalyse<br />

semantis<strong>ch</strong> Assoziationsanaly-<br />

se<br />

Inhalte verständli<strong>ch</strong> formulie-<br />

ren<br />

mögli<strong>ch</strong>st sol<strong>ch</strong>e Zei<strong>ch</strong>en be-<br />

nutzen, die für Kommunika-<br />

tor und Rezipient bed<strong>eu</strong>-<br />

tungsglei<strong>ch</strong> sind<br />

pragmatis<strong>ch</strong> Wirkungsanalyse inhaltli<strong>ch</strong>e Beeinflussung des<br />

Rezipienten<br />

ten<br />

Inhalte müssen formals geeignet<br />

formuliert werden, damit sie ver-<br />

ständli<strong>ch</strong> sind<br />

Die Bed<strong>eu</strong>tung der Zei<strong>ch</strong>en eines<br />

Inhalts muss mögli<strong>ch</strong>st eind<strong>eu</strong>tig<br />

sein, damit der Inhalt verständli<strong>ch</strong><br />

wird.<br />

Inhalte müssen inhaltli<strong>ch</strong> geeignet<br />

formuliert werden, damit sie die<br />

intendierte Wirkung erzielen (und<br />

ni<strong>ch</strong>t eine andere Wirkung)<br />

e) Der S<strong>ch</strong>luss vom Inhalt auf die Situation ist kaum mehr präzise mögli<strong>ch</strong>. Denn die Situation<br />

wird <strong>von</strong> einer Vielzahl <strong>von</strong> Rahmenbedingungen beeinflusst – also <strong>von</strong> Variablen, die den Rahmen<br />

bestimmen, in dem die jeweiligen Kommunikationsinhalte formuliert oder rezipiert werden: also<br />

etwa gesamtgesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Werte, Einstellungen, Wissensbestände, Glaubensbestände, politis<strong>ch</strong>e<br />

und ökonomis<strong>ch</strong>e Restriktionen, „Zeitgeist“ usw.<br />

Im Rahmen der beiden sub a abgedruckten Texte wäre es z.B. mögli<strong>ch</strong>, gewisse Wertungen oder<br />

Normierungen <strong>von</strong> Inhalten als Indikatoren der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Situation zu analysieren. So liesse<br />

si<strong>ch</strong> im konkreten Fall etwa annehmen, dass die an Personen und Parteien geäusserten Wertungen<br />

einen Rücks<strong>ch</strong>luss auf die öffentli<strong>ch</strong>e Meinung gestatten.<br />

Addiert man so alle in beiden Artikeln geausserten Bewertungen getrennt für Koalition und Opposition<br />

(unter Zure<strong>ch</strong>nung <strong>von</strong> Personenbewertungen), so ist das Ergebnis eind<strong>eu</strong>tig:<br />

Koalition Opposition<br />

Zahl positiver Bewertungen insgesamt – 1<br />

Zahl negativer Bewertungen insgesamt 37 1<br />

Die beiden Texte lassen si<strong>ch</strong> also dahingehend interpretieren, dass „man“ das ges<strong>ch</strong>ilderte Ereignis<br />

(erfolglose Kandidatensu<strong>ch</strong>e) bzw. die Regierungskoalition negativ b<strong>eu</strong>rteilt. Voraussetzung hierfür<br />

ist allerdings, dass die Kommunikatoren (S<strong>ch</strong>reiber) keine grundsätzli<strong>ch</strong> subjektiven, sondern für die<br />

öffentli<strong>ch</strong>e Meinung repräsentative Ansi<strong>ch</strong>ten äussern.<br />

Seite 13


I.3: Typologie der Inhaltsanalyse<br />

Ivo Hajnal<br />

a) Die anhand des Fallbeispiels in I.2 dur<strong>ch</strong>geführten <strong>Analyse</strong>verfahren lassen si<strong>ch</strong> in folgender Typologie<br />

unterbringen:<br />

Mittel der <strong>Analyse</strong><br />

syntaktis<strong>ch</strong>e Dimension<br />

semantis<strong>ch</strong>e Dimension<br />

pragmatis<strong>ch</strong>e Dimension<br />

Ziel der <strong>Analyse</strong> Kommunikator Rezipient Situation<br />

b) Für unsere Praxis bewährt si<strong>ch</strong> die folgende, zielorientierte Typologie:<br />

Seite 14


Abs<strong>ch</strong>nitt II: Dur<strong>ch</strong>führung einer Inhaltsanalyse<br />

II.1: Planungss<strong>ch</strong>ritte<br />

Ivo Hajnal<br />

a) Inhaltsanalysen setzen eine komplexe Planung voraus: und zwar in operativer wie au<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>er<br />

Hinsi<strong>ch</strong>t (zeitli<strong>ch</strong>er und finanzieller Aufwand).<br />

Die herkömmli<strong>ch</strong>en Planungss<strong>ch</strong>ritte lauten hierbei:<br />

(1) Fragestellung und Hypothesen: Die Frage, die dur<strong>ch</strong> die Inhaltsanalyse beantwortet werden<br />

sollen, sind explizit zu formulieren. Ferner müssen auf theoretis<strong>ch</strong>er Grundlage Hypothesen<br />

angestellt werden, wel<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> die <strong>Analyse</strong> in Folge veri- oder falsifiziert werden.<br />

(2) Untersu<strong>ch</strong>ungsanlage: Handelt es si<strong>ch</strong> um eine deskriptive oder erklärende Studie? Wird<br />

nur zu einem Zeitpunkt (Quers<strong>ch</strong>nittstudie) oder über einen Zeitpunkt (Längss<strong>ch</strong>nittstudie)<br />

gemessen? Wird nur ein Thema bzw. nur ein Medium berücksi<strong>ch</strong>tigt (mono- versus<br />

multithematis<strong>ch</strong>, intra- versus intermedial)? Wird die Medienrealität mit AUssenkriterien<br />

(der Alltagsrealität) vergli<strong>ch</strong>en?<br />

(3) Dimensionen und Kategorien: Für die praktis<strong>ch</strong>e Dur<strong>ch</strong>führung der <strong>Analyse</strong> ist ein Codebu<strong>ch</strong><br />

notwendig. Es enthält alle zu messenden Dimensionen mit dem entspre<strong>ch</strong>enden<br />

S<strong>ch</strong>emata der Kategorien; ferner die verwendeten Codieranweisungen. Die Kategorien<br />

müssen ni<strong>ch</strong>t nur aufgelistet, sondern au<strong>ch</strong> mit Beispielen aus dem Untersu<strong>ch</strong>ungsmaterial<br />

für die Codierer verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t werden.<br />

(4) Codebu<strong>ch</strong> und Codeblätter: Die Codes (Zahlenwerte) werden in standardisierten Formularen<br />

aufgenommen und später mittels Statistiksoftware weiter verarbeitet und grafis<strong>ch</strong><br />

aufbereitet.<br />

(5) Pretest und Modifikationen: Der Erfolg der Inhaltsanalyse ist da<strong>von</strong> abhängig, ob und wie<br />

gut die operationalisierten Kategoriens<strong>ch</strong>emata auf das zu untersu<strong>ch</strong>ende Textcorpus<br />

passen. Zur Entwicklung der Kategorien bedarf es einer guten Kenntnis des Datenmaterials.<br />

Das fertige Codebu<strong>ch</strong> sollte <strong>von</strong> mehreren Codierern in einem Pretest an einem Teil<br />

der Daten auf die Inter-Coder-Reliabilität geprüft werden. Aufgrund dieses Pretests wird<br />

das Codebu<strong>ch</strong> überarbeitet und werden entspre<strong>ch</strong>ende Unklarheiten dur<strong>ch</strong> klärende Codieranweisungen<br />

behoben.<br />

(6) Grundgesamtheit: Je na<strong>ch</strong> Ziel der Inhaltsanalyse muss die Grundgesamtheit festgelegt<br />

werden. Darunter verstehen wir das gesamte, in Theorie aus der Untersu<strong>ch</strong>ungsanlage<br />

mögli<strong>ch</strong>e Datenmaterial (das im Idealfall zu einer Vollerhebung führt).<br />

(7) Sti<strong>ch</strong>probe: Da es meist ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong> ist, eine Vollerhebung dur<strong>ch</strong>zuführen, drängt si<strong>ch</strong><br />

die Untersu<strong>ch</strong>ung anhand einer Auswahl auf. Diese Auswahl hat repräsentativ zu sein:<br />

das heisst, alle Elemente der Grundgesamtheit haben die selbe Chance, in die Sti<strong>ch</strong>probe<br />

aufgenommen zu werden: z.B. dur<strong>ch</strong> die systematis<strong>ch</strong>e Aufnahme jedes x-ten Beitrags<br />

oder Artikels, die Auswahl bestimmter Tage innerhalb des Jahres usw.<br />

(8) Datenerhebung: Bei umfangrei<strong>ch</strong>en Inhaltsanalysen sind meist mehrere Codierer im EInsatz,<br />

die es zu s<strong>ch</strong>ulen gilt.<br />

(9) Auswertung und Interpretation: Bevor die in elektronis<strong>ch</strong>er Form aufbereiteten Daten<br />

ausgewertet und interpretiert werden können, müssen sie auf Fehler dur<strong>ch</strong>gesehen werden<br />

(data cleaning). Dann werden mit Hilfe einer Statistiksoftware ausgewertet.<br />

Seite 15


II.2: Checkliste zur Qualitätskontrolle<br />

Ivo Hajnal<br />

Der folgende Fragenkatalog dient als Checkliste bei den in II.1 ges<strong>ch</strong>ilderten Planungss<strong>ch</strong>ritten (1)<br />

bis (4). Als Beispiel dient das Thema „Umwelts<strong>ch</strong>utz“:<br />

Seite 16


Abs<strong>ch</strong>nitt III: Medienqualität als Gegenstand der Inhaltsanalyse im<br />

weiteren Sinne<br />

III.1: Hintergrund und Facetten des Diskurses um die Medienqualität<br />

Ivo Hajnal<br />

a) Seit den frühen 90er Jahren entwickelt die Publizistikwissens<strong>ch</strong>aft n<strong>eu</strong>e Instrumente, um kulturelle<br />

Medienleistungen sowie die journalistis<strong>ch</strong>e Qualität zu messen und zu evaluieren. Während<br />

traditionelle Inhaltsanalysen die Erfassung inhaltli<strong>ch</strong>er Strukturen der Medienrealität anstreben,<br />

geht es bei diesen n<strong>eu</strong>en Ansätzen …<br />

einerseits um die Entwicklung <strong>von</strong> Indikatoren, die mediale Programmangebote und<br />

-leistungen kennzei<strong>ch</strong>nen,<br />

andererseits um die Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> einer evaluierend-bewertende Perspektive.<br />

Hierbei intensiviert die Zulassung <strong>von</strong> privaten TV-Veranstaltern und die vers<strong>ch</strong>ärfte Konkurrenz um<br />

Zus<strong>ch</strong>auer Mitte der 80er Jahre im d<strong>eu</strong>ts<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>raum die öffentli<strong>ch</strong>e Diskussion um die Qualität<br />

der Fernsehprogramme. Sti<strong>ch</strong>worte sind: Sex&Gewalt, Reality-TV, Infotainment usw. Als Konsequenz<br />

dieser Diskussion beginnen die öffentli<strong>ch</strong>-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Anbieter zunehmend, ihren eigenen<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Leistungsbeitrag zu überdenken und ihre Programmangebote zu legitimieren.<br />

b) Die publizistikwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Qualitäts- beziehungsweise Leistungsdiskussion erfolgt unter<br />

folgenden Facetten und Voraussetzungen:<br />

Leistungen versus Fehlleistungen: Oft stehen ni<strong>ch</strong>t die positiven Leistungen oder die Qualität<br />

<strong>von</strong> Medien im Vordergrund, sondern deren Fehlleistungen beziehungsweise das Absinken<br />

der journalistis<strong>ch</strong>en Qualität. Beispiel: Beri<strong>ch</strong>terstattung der Medien über den/na<strong>ch</strong> dem 11.<br />

September 2001.<br />

Aktion und Reaktion: Negative Ausgangspunkte sind Interventionen extramedialer Instanzen,<br />

die Medien erkennen darin in der Regel Angriffe auf die Meinungsfreiheit. Die Medienwissens<strong>ch</strong>aft<br />

fungiert hier – zusammen mit Ombudsstellen, Bes<strong>ch</strong>werdestellen oder Geri<strong>ch</strong>ten<br />

– als Mediatoren. Beispiel: Nicaragua-Beri<strong>ch</strong>terstattung des S<strong>ch</strong>weizer-Fernsehens SRG in<br />

den frühen 90er Jahren.<br />

Prospektivität und Na<strong>ch</strong>haltigkeit: Medien versu<strong>ch</strong>en seit jüngerer Zeit, Leistungskriterien zu<br />

formulieren oder die eigenen Leistungen mit Ben<strong>ch</strong>marks zu erfassen. Ausgelöst hat diese<br />

Entwicklung die Legitimationskrise des öffentli<strong>ch</strong>-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Rundfunks. Beispiele: ARD/ZDF-<br />

Guta<strong>ch</strong>ten zur Programmqualität (1992), EBU-Ri<strong>ch</strong>tlinien über Gewalt im Programm. – Inzwis<strong>ch</strong>en<br />

haben au<strong>ch</strong> die Printmedien erkannt, dass das Thema „Medienqualität“ eine hohe Relevanz<br />

aufweist. Qualitätskritis<strong>ch</strong>e Faktoren sind die vers<strong>ch</strong>ärfte Konkurrenz um Anzeigenund<br />

Werbegelder, die verstärkte Publikumsorientierung u.a.m.<br />

Fallbeispiel 1: Ben<strong>ch</strong>marking im Lokaljournalismus –> Beilage 1<br />

Emotionalisierung und Kontroverse: Die Öffentli<strong>ch</strong>keit diskutiert Leistungen und Qualität<br />

<strong>von</strong> Medien zunehmend kontrovers. Der öffentli<strong>ch</strong>-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Rundfunk kritisiert das Privatfernsehen,<br />

Politiker klagen die Medien an („Mediens<strong>ch</strong>elte“) usw.<br />

Kriterien: Die Kriterien einer „Medienleistung“ oder „Medienqualität“ sind oft vield<strong>eu</strong>tig,<br />

unklar, mehrdimensional. Ebenso oft sind die angelegten Masstäbe ni<strong>ch</strong>t explizit und wider-<br />

Seite 17


Ivo Hajnal<br />

sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>. Beispiel: Ein TV-Konsumentenmagazin soll „angriffig“ und „kontrovers“, zuglei<strong>ch</strong><br />

„objektiv“ und „fair“ sein.<br />

Ad hoc-Diskussion versus Evaluation und Formulierung: Die öffentli<strong>ch</strong>e Diskussion entzündet<br />

si<strong>ch</strong> oft an Einzelfällen. Im Gegenzug wird in der Öffentli<strong>ch</strong>keit die Formulierung <strong>von</strong> leistungs-<br />

oder qualitätsbezogenen Kriterien nur selten problematisiert. Dies unter anderem<br />

deshalb, weil Medienleistungen h<strong>eu</strong>te immer no<strong>ch</strong> impliziter Bestandteil der journalistis<strong>ch</strong>er<br />

Berufskultur darstellen.<br />

Medienkritik versus Qualitätsmanagement: Das Mediensystem beziehungsweise der Journalismus<br />

behält si<strong>ch</strong> einen mögli<strong>ch</strong>st grossen Freiraum vor und steht Beeinflussungsversu<strong>ch</strong>en<br />

<strong>von</strong> Aussen kritis<strong>ch</strong> gegenüber. Leistungsdiskussionen werden so oftmals ni<strong>ch</strong>t als Bemühen<br />

um Qualitätskontrolle, sondern als Bes<strong>ch</strong>ränkung der Medienfreiheit aufgefasst.<br />

Inhaltsanalyse versus Qualitätsmonitoring: Der <strong>von</strong> der Inhaltsanalyse geprägte angelsä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>e<br />

Begriff der „Objektivität“ und „N<strong>eu</strong>tralität“ bremst bislang die Entstehung verbindli<strong>ch</strong>er<br />

Indikatoren <strong>von</strong> Medienleistungen.<br />

Rundfunk-Zentriertheit versus integrale Medienperspektive: Der Strukturunters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en<br />

öffentli<strong>ch</strong>-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>em Rundfunk und privatwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Presse sind eine Ursa<strong>ch</strong>e<br />

dafür, dass bezügli<strong>ch</strong> des Rundfunks mehr kodifizierte Leistungsansprü<strong>ch</strong>e und Qualitätsnormen<br />

bestehen. Au<strong>ch</strong> steht der Rundfunk traditionell unter stärkerer Beoba<strong>ch</strong>tung <strong>von</strong><br />

politis<strong>ch</strong>en Interessensgruppen.<br />

Unter diesen genannten Facetten und Voraussetzungen bezieht si<strong>ch</strong> der medienkritis<strong>ch</strong>e Leistungsbeziehungsweise<br />

Qualitätsdiskurs auf folgende Variablen:<br />

Bezugsobjekte des Diskurses<br />

Arenen, in denen der Diskurs stattfindet<br />

Akt<strong>eu</strong>re, die in den Diskurs verwickelt sind<br />

Werturteile als Bestandteile des Diskurses<br />

c) Der Diskurs um Bezugsobjekte entzündet si<strong>ch</strong> meist an ganz konkreten Artikeln und Einzelsendungen,<br />

die zum Auslöser einer Qualitätsdiskussion werden. Alternativ hierzu werden ganze Genres<br />

und deren Entwicklung kritisiert (Reality-TV, „Big Brother“).<br />

Fallbeispiel 2: Die Beri<strong>ch</strong>terstattung über den Prozess eines Kindermörders und die Eigenanalyse<br />

eines Mediens<strong>ch</strong>affenden –> Beilage 2<br />

Der Diskurs über Medienleistung und -qualität findet in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Arenen beziehungsweise<br />

Foren statt, die mehr oder weniger öffentli<strong>ch</strong> beziehungsweise zugängli<strong>ch</strong> sind:<br />

privat, ni<strong>ch</strong>t-öffentli<strong>ch</strong>: Jeder Mediennutzer kann zustimmend oder ablehnend auf einen<br />

Medienberi<strong>ch</strong>t reagieren.<br />

Medienöffentli<strong>ch</strong>keit: Betroffenheit kann öffentli<strong>ch</strong> geäussert werden: z.B. als Leserbrief.<br />

Glei<strong>ch</strong>zeitig besteht in den Medien selbst eine relativ institutionalisierte Medienkritik (vgl.<br />

implizit –> Beilage 1).<br />

Justiz: Öffentli<strong>ch</strong> und sanktionsbezogen ist der Gang zum Ombudsmann oder zur Bes<strong>ch</strong>werdeinstanz,<br />

ferner das Verlangen einer Gegendarstellung.<br />

Seite 18


Ivo Hajnal<br />

Politik: Diskussionen über Medienleistungen äussern si<strong>ch</strong> immer wieder in parlamentaris<strong>ch</strong>en<br />

Anfragen und Debatten.<br />

Bildung und Wissens<strong>ch</strong>aft: Medienleistungen sind Gegenstand <strong>von</strong> Tagungen, Bildungsveranstaltungen<br />

und <strong>von</strong> Preisen.<br />

In den Diskurs um Medienleistung und -qualität sind unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Akt<strong>eu</strong>re verwickelt. Eine<br />

Hauptkonfliktlinie verläuft zwis<strong>ch</strong>en Journalisten/Medien einerseits und extramedialen Instanzen<br />

andererseits. Konflikte entstehen dadur<strong>ch</strong>, dass extramediale Instanzen si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Medienberi<strong>ch</strong>te<br />

negativ betroffen fühlen. Seltener sind es au<strong>ch</strong> die Medien und Journalisten, die si<strong>ch</strong> gegen Beeinflussungen<br />

<strong>von</strong> Aussen zur Wehr setzen. Oft ist es die Medienwissens<strong>ch</strong>aft, die in Form <strong>von</strong> Guta<strong>ch</strong>ten<br />

sol<strong>ch</strong>e Konflikte s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ten muss. In den Diskurs s<strong>ch</strong>alten si<strong>ch</strong> gerne Kulturphilosophen ein, die<br />

vor allem den elektronis<strong>ch</strong>en Medien immer wieder kritis<strong>ch</strong> gegenüber stehen.<br />

Stehen in früheren Debatten vor allem Einzelfälle journalistis<strong>ch</strong>er Fehlleistungen im Vordergrund,<br />

nehmen in jüngerer Zeit allgemeine Werturteile zu. Diese erkennen in den einzelnen Fehlleistungen<br />

das Symptom einer übergreifenden Strukturkrise des Journalismus, die dur<strong>ch</strong> Globalisierung,<br />

Konzentration und Kommerzialisierung bedingt ist – dies nota bene zu den 60er und 70er Jahren,<br />

wo eine „ideologis<strong>ch</strong>e Voreingenommenheit der Journalisten“ als Ursa<strong>ch</strong>e für mangelnde Qualität<br />

im Zentrum steht.<br />

d) Unter dem Begriff der „Medienleistung“ verstehen wir einen bestimmten Ist-Zustand, der mit<br />

einem Soll-Zustand, d.h. gewissen Idealen oder Zielvorgaben, vergli<strong>ch</strong>en wird. Die Evaluierung erbringt<br />

hierbei eine Antwort auf die Frage der Effektivität.<br />

Die Begründung der Forderung na<strong>ch</strong> einem Soll-Zustand wird in der Regel mit den Ansprü<strong>ch</strong>en des<br />

Einzelnen gegenüber dem Mediensystem beziehungsweise der öffentli<strong>ch</strong>en Funktion des Mediensystems<br />

begründet. Dabei müssten besonders demokratis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong>e Systeme über ausdifferenzierte<br />

Mediensysteme verfügen:<br />

Hierbei sollen Medien Themen aus unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en sozialen Subsystemen auswählen und journalistis<strong>ch</strong><br />

als Medienaussagen zum Zwecke der öffentli<strong>ch</strong>en Kommunikation bearbeiten. Im Idealfall<br />

ermögli<strong>ch</strong>en sie damit die Selbstbeoba<strong>ch</strong>tung der Gesells<strong>ch</strong>aft und bringen eine unverzi<strong>ch</strong>tbare<br />

Leistung für das Funktionieren einer pluralistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft („public service“). Daraus ergeben<br />

si<strong>ch</strong> für die Mediensysteme gewisse Re<strong>ch</strong>te (z.B. Meinungsfreiheit), aber eben au<strong>ch</strong> gewisse Ansprü<strong>ch</strong>e<br />

(z.B. Fairness), die teils verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> verankert sind.<br />

Diese gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Ansprü<strong>ch</strong>e an die Medien („public interest“) können unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> aufgefasst<br />

werden:<br />

Mehrheitskonzeption: Öffentli<strong>ch</strong>es Interesse bed<strong>eu</strong>tet „Mehrheitsmeinung“ beziehungsweise<br />

„Mehrheitsbes<strong>ch</strong>luss“ .<br />

Gemeinsamkeitskonzeption: Es existieren gewisse Ansprü<strong>ch</strong>e und Interessen an die Medien,<br />

die allen dienen, also dem Gemeinwohl.<br />

Absolutistis<strong>ch</strong>e Konzeption: Es existieren bestimmte absolute, bestimmbare Standards und<br />

An sprü<strong>ch</strong>e.<br />

Je na<strong>ch</strong> Konzeption fallen die Leistungsanforderungen an die Medien unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> aus; sie müssen<br />

aber letztli<strong>ch</strong> immer wieder zwis<strong>ch</strong>en den Beteiligten ausgehandelt werden. Die Fragen, die in<br />

diesem Diskurs gestellt werden, sind die folgenden:<br />

Seite 19


Ivo Hajnal<br />

Anspru<strong>ch</strong>sgruppen: Wer formuliert die Ansprü<strong>ch</strong>e an die Medien? Als Instanzen kommen in<br />

Frage: Politiker, Exponenten der Wirts<strong>ch</strong>aft, Kulturvertreter, Journalisten, Mediennutzer.<br />

Bezugsobjekte: Die geforderten Leistungs- und Qualitätsstandards können si<strong>ch</strong> auf unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Objekte beziehen:<br />

o auf das gesamte Mediensystem (z.B. elektronis<strong>ch</strong>e Medien, Printmedien, N<strong>eu</strong>e Medien,<br />

öffentli<strong>ch</strong>-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e versus privatwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> organisierte Medien)<br />

o auf die Medienproduzenten (Verleger, Chefredaktoren, Journalisten)<br />

o auf Medienaussagen<br />

o auf Medienkonsumenten<br />

Bezugssysteme: Die Formulierung <strong>von</strong> medienspezifis<strong>ch</strong>en Leistungserwartungen erfolgt<br />

meist in Hinblick auf ein spezifis<strong>ch</strong>es Bezugssystem:<br />

o Bezug auf die Welt beziehungsweise den daraus beri<strong>ch</strong>teten Sa<strong>ch</strong>verhalt aus Politik,<br />

Wirts<strong>ch</strong>aft, Kultur. Ansprü<strong>ch</strong>e: Wahrhaftigkeit, Objektivität.<br />

o Bezug auf die mit der Sa<strong>ch</strong>e verknüpften Interessensgruppen. Ansprü<strong>ch</strong>e: Vielfalt, Relevanz.<br />

o Bezug auf das Medium. Anspru<strong>ch</strong>: professionelle Standards.<br />

o Bezug auf das Publikum. Anspru<strong>ch</strong>: Verständli<strong>ch</strong>keit, Attraktivität.<br />

Strukturen und Prozesse: Mit wel<strong>ch</strong>en Strukturen und Prozessen sollen die geforderten Medienleistungen<br />

si<strong>ch</strong>ergestellt werden? Wel<strong>ch</strong>e Instanzen sollen bei Ni<strong>ch</strong>terbringung <strong>von</strong> Leistungen<br />

beziehungsweise bei Verletzung <strong>von</strong> Normen Sanktionen und mit wel<strong>ch</strong>er Verbindli<strong>ch</strong>keit<br />

ausspre<strong>ch</strong>en?<br />

o Auf der Ebene des Mediensystems und der Medieninstitutionen können Leistungsnormen<br />

auf Grund <strong>von</strong> medienpolitis<strong>ch</strong>en Diskursen re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> verbindli<strong>ch</strong> festgelegt<br />

sein.<br />

o Die Einhaltung und Überprüfung wird über das Medienre<strong>ch</strong>t und dessen Instanzen si<strong>ch</strong>ergestellt.<br />

o Auf Ebene der Medienorganisationen und Medienproduzenten gibt es weitere Instanzen<br />

mit mehr oder weniger explizit formulierten Normen (Presserat,<br />

Journalistenverbände). Ferner die freiwillige Selbstkontrolle über Medienethik,<br />

Seite 20


Ivo Hajnal<br />

verbände). Ferner die freiwillige Selbstkontrolle über Medienethik, Redaktionsstatute,<br />

organisationsinterne Ri<strong>ch</strong>tlinien, Selbstdeklarationen usw.<br />

III.2: Publizistikwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Ansätze zur Erfassung <strong>von</strong> Medienqualität<br />

a) Medienleistungen (im Sinne <strong>von</strong> III.1 sub d) können auf unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Arten untersu<strong>ch</strong>t werden:<br />

im Rahmen angewandter Fors<strong>ch</strong>ung: Evaluation <strong>von</strong> Leistungen gewisser Medienanbieter<br />

oder Einzelfallanalysen zu bestimmten Problemen (z.B. Gewalt im TV).<br />

auf Policy-Ebene: Leistungsdiskurs (z.B. wer versu<strong>ch</strong>t mit wel<strong>ch</strong>er Wirksamkeit wel<strong>ch</strong>e Normen<br />

in wessen Interesse dur<strong>ch</strong>zusetzen?).<br />

als Grundlagenfors<strong>ch</strong>ung: Entwicklung <strong>von</strong> Leistungskriterien für die Praxis.<br />

Zwei konkrete publizistikwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Ansätze sollen im Folgenden näher vorgestellt werden:<br />

das „Media Performance“-Modell <strong>von</strong> McQuail (1992) sowie der Ansatz <strong>von</strong> S<strong>ch</strong>atz-S<strong>ch</strong>ulz (1992)<br />

zur Operationalisierung der Qualität <strong>von</strong> Fernsehprogrammen.<br />

b) Na<strong>ch</strong> McQuail 1992 formulieren gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Gruppen (engl. agents) bestimmte Leistungsansprü<strong>ch</strong>e<br />

(engl. claims) an die Medien. Diese bestehen aus den zu realisierenden Werten (engl. criteria<br />

of attainment) und den konkreten Realisierungen auf der Medienebene in Form <strong>von</strong> Prioritäten<br />

(engl. preference s<strong>ch</strong>edule). All diese Anspru<strong>ch</strong>sgruppen handeln im Namen des „Public interest“ (–<br />

> III.1 sub d) beziehungsweise in Bezug auf übergeordnete Werte der Kommunikation (z.B. „Unabhängigkeit“).<br />

Dabei systematisiert McQuail diese medienbezogenen Leistungsansprü<strong>ch</strong>e auf die folgenden drei<br />

Grundwerte:<br />

Freedom: Freiheit als oberster demokratis<strong>ch</strong>er Grundwert wird in Form der Meinungs-/Medienfreiheit<br />

direkt auf die Kommunikation bezogen; d.h. als Re<strong>ch</strong>t angesehen, eine<br />

eigene Meinung zu haben, zu bilden und zu verbreiten. Auf die Massenmedien bezogen<br />

bed<strong>eu</strong>tet „Freiheit“ die „Unabhängigkeit“ der Medien vor politis<strong>ch</strong>er und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />

Beeinflussung und positiv den „Zugang“ (engl. access) als Re<strong>ch</strong>t auf Gehör für Kommunikatoren.<br />

Equality: „Glei<strong>ch</strong>heit“ bed<strong>eu</strong>tet positiv bezogen auf die Rezipienten „Vielfalt“. Konkret, dass<br />

alle Meinungen in der Öffentli<strong>ch</strong>keit glei<strong>ch</strong>ermassen zur Spra<strong>ch</strong>e kommen und diskutiert<br />

werden. Glei<strong>ch</strong>heit bed<strong>eu</strong>tet ferner n<strong>eu</strong>trale und faire Behandlung <strong>von</strong> vers<strong>ch</strong>iedenen Meinungen<br />

und Gesi<strong>ch</strong>tspunkten („Objektivität“).<br />

Order-Solidarity: Damit ein friedli<strong>ch</strong>es Zusammenleben in der Gesells<strong>ch</strong>aft mögli<strong>ch</strong> ist, werden<br />

gewisse soziale Regeln benötigt. Au<strong>ch</strong> kommunikativ brau<strong>ch</strong>t es gewisse Kontrollme<strong>ch</strong>anismen,<br />

um den Konsens zu ermögli<strong>ch</strong>en. Die „Solidarität“, z.B. mit Randgruppen, ist ein<br />

sol<strong>ch</strong>er Kontrollme<strong>ch</strong>anismus. Ebenso dient <strong>von</strong> Medien vermittelte „Kultur“ zur Bildung<br />

<strong>von</strong> Identität und Enkulturation in die Gesells<strong>ch</strong>aft.<br />

c) S<strong>ch</strong>atz-S<strong>ch</strong>ulz 1992 entwickeln eine Methode, mit der ein Leistungsverglei<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en öffentli<strong>ch</strong>-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

und privaten Fernsehprogrammen vorgenommen werden kann. Sie bes<strong>ch</strong>ränken<br />

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Ivo Hajnal<br />

ihren Anspru<strong>ch</strong> auf die Situation in D<strong>eu</strong>ts<strong>ch</strong>land, auf TV-Programme und auf den Verglei<strong>ch</strong> zweier<br />

Medientypen.<br />

Als verbindli<strong>ch</strong>er Rahmen für die Programmqualität existieren für die beiden Autoren Gesetze,<br />

Staatsverträge und Urteile des Verfassungsgeri<strong>ch</strong>ts, die folgende Kriterien vors<strong>ch</strong>reiben:<br />

die Rundfunkfreiheit als S<strong>ch</strong>utz vor staatli<strong>ch</strong>er und privater Einflussnahme<br />

die Aufgabe des Rundfunks, öffentli<strong>ch</strong>e Meinungsbildung in Freiheit si<strong>ch</strong>erzustellen, und<br />

zwar über das Gebot der Programmvielfalt<br />

journalistis<strong>ch</strong>e Professionalität<br />

das Gebot der Re<strong>ch</strong>tmässigkeit<br />

Die folgende Tabelle fasst sol<strong>ch</strong>e re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en und gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Vorgaben an TV-Sender in vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Ländern zusammen:<br />

Seite 22


Vor diesem Hintergrund formulieren die Autoren fünf zentrale Kriterien:<br />

Vielfalt (–> III.3):<br />

o strukturelle Vielfalt bezügli<strong>ch</strong> Programmsparten und -formen<br />

Ivo Hajnal<br />

o inhaltli<strong>ch</strong>e Vielfalt bezügli<strong>ch</strong> Informationen und Meinungen, Ereignissen und Themen,<br />

Akt<strong>eu</strong>ren und Gruppen usw.<br />

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Ivo Hajnal<br />

Akzeptanz (–> III.4): Interessen, Wüns<strong>ch</strong>e, Bedürfnisse der Zus<strong>ch</strong>auer sind bei der praktis<strong>ch</strong>en<br />

Programmierung zu bea<strong>ch</strong>ten.<br />

Relevanz (–> III.5): Indikatoren für Relevanz können sein: die Zahl der Betroffenen, die Wirkungsintensität,<br />

die Zentralität der Werte, soziale und geographis<strong>ch</strong>e Nähe.<br />

Professionalität:<br />

o Inhaltli<strong>ch</strong> als Ri<strong>ch</strong>tigkeit, Ausgewogenheit und N<strong>eu</strong>tralität<br />

o formal bezügli<strong>ch</strong> Verständli<strong>ch</strong>keit und Ästhetik<br />

Re<strong>ch</strong>tmässigkeit: Programme müssen weitere gesetzli<strong>ch</strong>e Bestimmungen berücksi<strong>ch</strong>tigen<br />

(z.B. bezügli<strong>ch</strong>, Gewalt, Jugends<strong>ch</strong>utz, Werbung usw.).<br />

III.3: Publizistis<strong>ch</strong>e Vielfalt und die Konvergenz-Debatte<br />

a) Die Messung der publizistis<strong>ch</strong>en Vielfalt stellt – neben dem Leistungsfaktor „Relevanz“ – ein<br />

wi<strong>ch</strong>tiges publizistikwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Fors<strong>ch</strong>ungsthema dar. Der Begriff der „Vielfalt“ lässt si<strong>ch</strong><br />

dabei sowohl auf der System-/Organisationsebene (der Anbieterperspektive) als au<strong>ch</strong> auf der Programmebene<br />

(der Angebotsperspektive) operationalisieren:<br />

als Anzahl der Anbieter <strong>von</strong> Medienangeboten in einem Land<br />

als vielfältige Dur<strong>ch</strong>mis<strong>ch</strong>ung der Mediens<strong>ch</strong>affenden<br />

als vielfältiges Medien- und Programmangebot<br />

als vielfältig genutztes Medien- und Programmangebot<br />

b) Aus Si<strong>ch</strong>t der Anbieter beziehungsweise des Programms existieren gemäss Grafik sub a die<br />

folgenden Dimensionen <strong>von</strong> Vielfalt:<br />

Vielfalt <strong>von</strong> Formen (Genres), Gattungen und Sparten<br />

Vielfalt <strong>von</strong> Präsentationsformen<br />

Seite 24


Ivo Hajnal<br />

Vielfalt <strong>von</strong> externen Informationsquellen sowohl im dokumentaris<strong>ch</strong>en wie (v.a. für TV) im<br />

fiktionalen Berei<strong>ch</strong><br />

Vielfalt der selektionierten Ereignisse, der behandelten Themen und der Perspektiven, aus<br />

denen die Beri<strong>ch</strong>terstattung erfolgt<br />

Vielfalt an Personen, Organisationen, Institutionen bezügli<strong>ch</strong> ihrer Präsenz wie au<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong><br />

der zum Ausdruck kommenden Meinungen und Interessen<br />

Vielfalt an berücksi<strong>ch</strong>tigten Kommunikations- und Ereignisräumen auf lokaler, regionaler,<br />

nationaler und internationaler Ebene<br />

Vor allem in D<strong>eu</strong>ts<strong>ch</strong>land und seit Zulassung privater TV-Anbieter ist die Vielfaltsfrage oft diskutiert<br />

worden: Führt die Zulassung privater Rundfunkveranstalter zur Vergrösserung der programmatis<strong>ch</strong>publizistis<strong>ch</strong>en<br />

Vielfalt oder ni<strong>ch</strong>t?<br />

Inhaltsanalytis<strong>ch</strong>e Studien zu Beginn der 90er Jahre belegen, dass die vers<strong>ch</strong>ärfte Konkurrenz im<br />

Rundfunk ni<strong>ch</strong>t zu einer „Artenvielfalt“ als vielmehr zu „Anpassungsprozessen“ in Ri<strong>ch</strong>tung auf<br />

eine höhere Publikumsattraktivität geführt hat („Selbstkommerzialisierung“). Daraus resultiert die<br />

so genannte „Konvergenzhypothese“: Für die Zeit <strong>von</strong> 1980-1993 lässt si<strong>ch</strong> die Konvergenz der<br />

Programme in dreifa<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t feststellen:<br />

temporal bezügli<strong>ch</strong> der Vers<strong>ch</strong>iebung der Sendeplätze<br />

sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> als Vergrösserung <strong>von</strong> massenattraktiven beziehungsweise Verkleinerung <strong>von</strong> ni<strong>ch</strong>tmassenattraktiven<br />

Spartenanteilen<br />

sozial als Veränderung der Nutzungs<strong>ch</strong>ance des Rezipienten<br />

d) Aus Si<strong>ch</strong>t der Nutzer (des Publikums) stellt si<strong>ch</strong> die Frage, ob die Angebots- und Programmvermehrung<br />

mehr Wahlmögli<strong>ch</strong>keiten – und damit Vielfalt – zur Folge hat. Ferner, ob die Zus<strong>ch</strong>auer<br />

diese Wahlmögli<strong>ch</strong>keiten au<strong>ch</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> nutzen und mit wel<strong>ch</strong>en Folgen.<br />

Fallbeispiel 3: Die Nutzung (Na<strong>ch</strong>frage) <strong>von</strong> Medieninhalten sowie die Relevanz der Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tenmeldungen<br />

in den öffentli<strong>ch</strong>-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en und privaten Fernsehsendern (D<strong>eu</strong>ts<strong>ch</strong>land, Zeitraum 1995-<br />

96) –> Beilage 3<br />

Fallbeispiel 4: Die Folgen <strong>von</strong> Kaufempfehlungen in eins<strong>ch</strong>lägigen Finanzblättern –> Beilage 4<br />

III.4: Sendeerfolgskontrolle aus Si<strong>ch</strong>t der Programmplaner<br />

a) Neben den in II.2 und II.3 bes<strong>ch</strong>riebenen Kriterien zur B<strong>eu</strong>rteilung der Medienleistung der Qualität<br />

<strong>von</strong> Medieninhalten beziehungsweise -programmen haben die Anbieter in den letzten Jahren<br />

selbst Instrumente der Senderfolgskontrolle entwickelt. Beim S<strong>ch</strong>weizer Fernsehen SF DRS erfolgt<br />

dies in den 90er Jahren mittels des so genannten „Bermuda-Dreiecks“, das alle Sendungen hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

dreier Qualitätskriterien untersu<strong>ch</strong>t:<br />

Marktanteil: Die Zielvorgabe der Direktion fordert Mitte der 90er Jahre zur Primetime (18-23<br />

Uhr) einen Marktanteil <strong>von</strong> 34%, im 24-Stunden-Verglei<strong>ch</strong> <strong>von</strong> 30%.<br />

Reputation: Darunter wird der qualitativer Erfolg einer Sendung verstanden, der si<strong>ch</strong> an fünf<br />

– ni<strong>ch</strong>t für jedes Programm glei<strong>ch</strong>ermassen wi<strong>ch</strong>tige – Dimensionen bemisst:<br />

o Akzeptanz und Erfolg in der Zielgruppe<br />

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Ivo Hajnal<br />

o Mehrheitsfähigkeit der Sendung bezogen auf das Publikum (z.B. anhand Attraktivität<br />

und Verständli<strong>ch</strong>keit)<br />

o Resonanz in den anderen Medien und in der Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />

o Renomée der Sendung für das Unternehmen<br />

o inhaltli<strong>ch</strong>e und formale Qualität einer Sendung im Verglei<strong>ch</strong> zu anderen Sendungen<br />

Kosten, die dur<strong>ch</strong> Redaktionsleiter selbst beeinflusst werden können.<br />

Auf Grund dieser drei Hauptkriterien werden die Sendungen in folgende vier Typen eingeteilt:<br />

A-Sendungen: Sendungen mit hohem Marktanteil und hohen Eins<strong>ch</strong>altquoten. Diese Sendungen<br />

müssen keine Reputation haben, da der Marktanteil die Sendung re<strong>ch</strong>tfertigt.<br />

B-Sendungen: Sendungen mit hohem Marktanteil und einer gewissen Reputation. Diese<br />

Sendungen haben Erfolg in quantitativer wie qualitativer Hinsi<strong>ch</strong>t.<br />

C-Sendungen: Minderheiten- und Zielgruppensendungen, die eine hohe Reputation besitzen.<br />

Diese Sendungen dürfen tiefere Marktanteile aufweisen, sofern die Reputation überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong><br />

ist.<br />

D-Sendungen: Sendungen, die weder quantitativ no<strong>ch</strong> qualitativ erfolgrei<strong>ch</strong> sind. Sie befinden<br />

si<strong>ch</strong> im „Bermuda-Dreieck“, sind also gefährdet.<br />

III.5: Relevanz <strong>von</strong> Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten<br />

a) Hagen 1995 entwickelt ein Kategoriens<strong>ch</strong>ema zur Messung des Qualitätskriteriums Relevanz.<br />

Er unters<strong>ch</strong>eidet dabei zwei Kriterien:<br />

externe Relevanz: das Ausmass, in dem das Hauptereignis einer Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t bea<strong>ch</strong>tenswert ist.<br />

interne Relevanz: das Ausmass, in dem die einzelnen Sa<strong>ch</strong>verhalte im Zusammenhang mit der<br />

Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t für Verständli<strong>ch</strong>keit und Vollständigkeit relevant sind.<br />

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Ivo Hajnal<br />

Zur Bestimmung der externen Relevanz lassen si<strong>ch</strong> im Rahmen der Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tenwert-Fors<strong>ch</strong>ung<br />

die folgenden inhaltsanalytis<strong>ch</strong>en Indikatoren heranziehen:<br />

die Zahl der Betroffenen (quantitativ)<br />

die Eintrittswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit (quantitativ)<br />

die Wirkungsintensität (qualitativ)<br />

die Irreversibilität (qualitativ)<br />

die Nähe (qualitativ)<br />

die Freiwilligkeit (qualitativ)<br />

die Zentralität berührter Werte (qualitativ)<br />

der Status der Betroffenen (qualitativ)<br />

Zur Bestimmung der internen Relevanz geht Hagen <strong>von</strong> folgenden Fragen aus: Wel<strong>ch</strong>e Typen <strong>von</strong><br />

Informationen enthalten Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten übli<strong>ch</strong>erweise? Und wel<strong>ch</strong>e Typen <strong>von</strong> Informationen sollen in<br />

Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten im Hinblick auf eine effektive Rezeption enthalten sein? Die Antwort liefert ein idealtypis<strong>ch</strong>es<br />

Strukturmodell <strong>von</strong> Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten, das neben formalen Aspekten (Übers<strong>ch</strong>rift und Lead) die<br />

folgenden inhaltli<strong>ch</strong>en Strukturbestandteile ausdifferenziert:<br />

die Folgen eines Ereignisses<br />

die Umstände des Ges<strong>ch</strong>ehens<br />

die Vorereignisse, die dazu geführt haben<br />

die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te bzw. der historis<strong>ch</strong>e Hintergrund<br />

die Prognosen zur zukünftigen Entwicklung<br />

die Bewertung des Ereignisses<br />

die si<strong>ch</strong> aus der Bewertung ergebenden Folgen<br />

Die Vollständigkeit der Beri<strong>ch</strong>terstattung zu einem Ereignis kann grob daran gemessen werden, wie<br />

viele dieser sieben Strukturbestandteile der internen Relevanz überhaupt angespro<strong>ch</strong>en werden.<br />

Daraus lässt si<strong>ch</strong> eine Art Index zur Bemessung der internen Relevanz ableiten (s. nä<strong>ch</strong>ste Seite).<br />

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Ivo Hajnal<br />

b) Hagen überprüft seinen Index an einem konkreten Fall: der Beri<strong>ch</strong>terstattung <strong>von</strong> vier d<strong>eu</strong>ts<strong>ch</strong>en<br />

Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tenagenturen über ein Bombenattentat in London (1992). Das Resultat: Der Relevanz-Index<br />

s<strong>ch</strong>wankt zwis<strong>ch</strong>en 25 und 30 Punkten, der Vollständigkeitsgrad (Vorkommen <strong>von</strong> 20 mögli<strong>ch</strong>en<br />

Makro-Propositionen) zwis<strong>ch</strong>en 65% und 80%.<br />

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Ivo Hajnal<br />

Trotz aufs<strong>ch</strong>lussrei<strong>ch</strong>er Resultate eignet si<strong>ch</strong> Hagens <strong>Analyse</strong> weniger für grosse Datenmengen als<br />

vielmehr für einzelne Fallstudien. Der Erhebungsaufwand ist nämli<strong>ch</strong> erhebli<strong>ch</strong>, die Reliabilitätsfrage<br />

– die Vergabepraxis einzelner Relevanzpunkte dur<strong>ch</strong> die Codierer – bleibt offen. Die Validität der<br />

Ergebnisse ist jedo<strong>ch</strong> wohl begründet.<br />

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III.6: Die Diskussion um Medienqualität – ein Fazit<br />

Ivo Hajnal<br />

Die <strong>Analyse</strong> <strong>von</strong> Medien- beziehungsweise Rundfunkleistungen („Media performance“ oder „Medienqualität“)<br />

lässt si<strong>ch</strong> auf Grund unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>tweisen vornehmen. Vier Perspektiven stehen<br />

dabei in der Fors<strong>ch</strong>ungsliteratur im Vordergrund:<br />

Perspektive der Gesells<strong>ch</strong>aft: Evaluierung des gemeinwohlorientierten Auftrags<br />

Perspektive des Staats: Evaluierung des staatspolitis<strong>ch</strong> orientierten Auftrags<br />

Perspektive der Medien: Evaluierung des qualitätsorientierten journalistis<strong>ch</strong>en Auftrags<br />

Perspektive der Nutzer: Evaluierung des rezipientenorientierten Auftrags der Massenmedien<br />

Für jede dieser vier Perspektiven sind eine Reihe <strong>von</strong> Leistungskriterien relevant, die innerhalb wie<br />

zwis<strong>ch</strong>en den Perspektiven gewi<strong>ch</strong>tet werden sowie auf folgenden vier Bezugsebenen operationalisiert<br />

werden: Bezugsebene Wirkli<strong>ch</strong>keit, Bezugsebene Anspru<strong>ch</strong>sgruppen, Bezugsebene Medien<br />

(Programm+Inhalt), Bezugsebene Rezipienten beziehungsweise Nutzen.<br />

Fallbeispiel 5: Die Qualität <strong>von</strong> Fernsehna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten aus der Nutuzngsperspektive<br />

Eine Studie aus dem Jahre 2000 b<strong>eu</strong>rteilt die Qualität <strong>von</strong> d<strong>eu</strong>ts<strong>ch</strong>en Fernsehna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten aus Zus<strong>ch</strong>auersi<strong>ch</strong>t.<br />

Die massgebli<strong>ch</strong>en Ergebnisse:<br />

Die Nutzungsdauer des Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tenangebots steigt im Verglei<strong>ch</strong>szeitraum (Abb. 1). Dabei<br />

werden die Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tenangebote in den öffentli<strong>ch</strong>-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Sendern weitaus häufiger genutzt<br />

als diejenigen der privaten Anbieter (Abb. 2).<br />

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Ivo Hajnal<br />

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Ivo Hajnal<br />

Das Angebot der öffentli<strong>ch</strong>-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Sender wird als d<strong>eu</strong>tli<strong>ch</strong> besser b<strong>eu</strong>rteilt als dasjenige<br />

der privaten Konkurrenz (Abb. 5).<br />

Die Tagess<strong>ch</strong>au der ARD geniesst die hö<strong>ch</strong>ste Glaubwürdigkeit (Abb. 6).<br />

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Abs<strong>ch</strong>nitt IV: Mediendiskurse, Rituale und Frames<br />

IV.1: Spra<strong>ch</strong>e, Gesprä<strong>ch</strong>e und Diskurse in den Medien<br />

Ivo Hajnal<br />

a) In der Medienwissens<strong>ch</strong>aft hat lange Zeit die quantitative Inhaltsanalyse dominiert (s. etwa Fallbeispiel<br />

in I.2). Medienaussagen wurden dana<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>werpunktmässig hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ihres „Inhalts“<br />

(engl. content) untersu<strong>ch</strong>t. Unberücksi<strong>ch</strong>tigt blieben jedo<strong>ch</strong> die qualitativen spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Strukturen.<br />

Seit Mitte der 80er Jahre haben jedo<strong>ch</strong> drei spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> orientierte Fors<strong>ch</strong>ungsansätze<br />

die Grundlagen zu qualitativen <strong>Analyse</strong>methoden geebnet:<br />

Linguistis<strong>ch</strong>e <strong>Analyse</strong> der Medienspra<strong>ch</strong>e. Inhalt: Syntaktis<strong>ch</strong>e, lexikalis<strong>ch</strong>e und semantis<strong>ch</strong>e<br />

Spezifika der Presse- und TV-Spra<strong>ch</strong>e (im Verglei<strong>ch</strong> zur Alltagsspra<strong>ch</strong>e).<br />

Gesprä<strong>ch</strong>s- und Dialoganalyse. Inhalt: <strong>Analyse</strong> <strong>von</strong> Mediengesprä<strong>ch</strong>en (Gesprä<strong>ch</strong>ss<strong>ch</strong>ritte,<br />

Spre<strong>ch</strong>erwe<strong>ch</strong>sel, Rückmeldungen <strong>von</strong> Hörer) auf Grund der Spre<strong>ch</strong>akttheorie und Soziolinguistik.<br />

Rhetorik und Diskursanalyse. Inhalt: linguistis<strong>ch</strong>e <strong>Analyse</strong>n mit Rückgriff auf die klassis<strong>ch</strong>e<br />

Rhetorik zowie die kritis<strong>ch</strong>e Diskursanalyse.<br />

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Ivo Hajnal<br />

b) Als Beispiel auf den ersten der sub a genannten Typen – die linguistis<strong>ch</strong>e <strong>Analyse</strong> der Medienspra<strong>ch</strong>e<br />

– sei auf die Untersu<strong>ch</strong>ung <strong>von</strong> S<strong>ch</strong>mitz 1995 zur Spra<strong>ch</strong>e der d<strong>eu</strong>ts<strong>ch</strong>en „Tagess<strong>ch</strong>au“<br />

verweisen.<br />

Fallbeispiel 6: Die Spra<strong>ch</strong>e der d<strong>eu</strong>ts<strong>ch</strong>en „Tagess<strong>ch</strong>au“ na<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>mitz 1995.<br />

Zur Textproduktion der „Tagess<strong>ch</strong>au“ stellt S<strong>ch</strong>mitz folgendes fest:<br />

Die Textproduktion der „Tagess<strong>ch</strong>au“ folgt einem einfa<strong>ch</strong>en, das stets glei<strong>ch</strong>e Elemente aus<br />

begrenzten Repertoires auswählt und beliebig aneinanderreiht. Das gilt auf drei Ebenen.<br />

o Erstens: Stets kommen die glei<strong>ch</strong>en Themen vor (Gipfeltreffen, Rücktritt vom Amt, Tarifverhandlungen,<br />

Unruhen, Übers<strong>ch</strong>wemmungen usw.).<br />

o Zweitens: Stets, und zwar unabhängig vom Thema, gibt es glei<strong>ch</strong>artige Zugangsweisen<br />

zum Gegenstand der Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t, also allgemeine Arten und Weisen, in denen ein<br />

darzustellender Sa<strong>ch</strong>verhalt aufbereitet wird. Dazu gehören etwa Ort-, Zeit-, Quellenangabe,<br />

Vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, Reaktion, Folgen, Konsequenzen, Ausmass im historis<strong>ch</strong>en<br />

oder statistis<strong>ch</strong>en Verglei<strong>ch</strong> usw. Empiris<strong>ch</strong> lassen si<strong>ch</strong> 38 sol<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tentypis<strong>ch</strong>e<br />

Züge isolieren. Innerhalb einer Meldung können sie in fast beliebiger (also ni<strong>ch</strong>t etwa<br />

logis<strong>ch</strong> oder konventionell festgelegter) Reihenfolge kombiniert werden.<br />

o Drittens: Stets, au<strong>ch</strong> dies weitgehend unabhängig vom Thema, werden die glei<strong>ch</strong>en<br />

spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Floskeln benutzt – sowohl in der Spra<strong>ch</strong>e zitierter Personen als au<strong>ch</strong> in<br />

den redaktionseigenen Texten.<br />

Sätze sind die zentralen Einheiten der Textproduktion. „Tagess<strong>ch</strong>au“-Meldungen haben einen<br />

markierten Anfang, indem ihr erster Satz als der wi<strong>ch</strong>tigste dem Rest der Meldung eine<br />

inhaltli<strong>ch</strong>e Perspektive gibt. Darüber hinaus aber keine formale oder inhaltli<strong>ch</strong>e Organisation:<br />

keinen Höhepunkt und kein erkennbares Ende. Dieses „Clusterprinzip“ si<strong>ch</strong>ert die Kürzbarkeit<br />

<strong>von</strong> hinten na<strong>ch</strong> vorn.<br />

Zur Satzproduktion der „Tagess<strong>ch</strong>au“ stellt S<strong>ch</strong>mitz folgendes fest:<br />

Die „Tagess<strong>ch</strong>au“ hat ein Standardrepertoire immer wiederkehrender Textmuster zur Verfügung<br />

(z.B. „x und y sind zerstritten“), die stilistis<strong>ch</strong> nur lei<strong>ch</strong>t variiert werden (z.B. „x und y<br />

zeigten si<strong>ch</strong> zerstritten“) und in die bestimmte, einfa<strong>ch</strong>e tagesspezifis<strong>ch</strong>e Bestandteile nur<br />

no<strong>ch</strong> eingesetzt zu werden brau<strong>ch</strong>en: vor allem Ortsangaben, Institutionsbezei<strong>ch</strong>nungen<br />

sowie Eigennamen <strong>von</strong> Personen). We<strong>ch</strong>selt man im Text einer viele Jahre zurück liegenden<br />

Sendung die damals aktuellen gegen h<strong>eu</strong>te aktuelle Namen aus, so wäre fast jeder bereit,<br />

den Text für den gestrigen oder h<strong>eu</strong>tigen zu halten.<br />

Die semantis<strong>ch</strong>en Stereotype, aus denen die einzelnen Sätze der „Tagess<strong>ch</strong>au“ zusammengebaut<br />

werden, stammen aus 23 (themenunabhängigen) Bed<strong>eu</strong>tungsfeldern: Standpunkt,<br />

Wahrheit&Ermittlung, Spre<strong>ch</strong>en&Ents<strong>ch</strong>eiden, Fr<strong>eu</strong>nds<strong>ch</strong>aft&Bru<strong>ch</strong>, Beziehung&Konflikt,<br />

Kampf&Konkurrenz, Amt&Rücktritt, Ma<strong>ch</strong>t&Freiheit, Re<strong>ch</strong>t&Regel, (Un)Ordnung&Plan,<br />

(Dis)Kontinuität, Zeit, Anwesenheit-Fortbewegung-Besu<strong>ch</strong>, Aktiv&Passiv, Mühe-Hindernis-<br />

Forts<strong>ch</strong>ritt, Zuversi<strong>ch</strong>t&Gefahr, Si<strong>ch</strong>erheit&Abwehr, Unglück-S<strong>ch</strong>aden-Tod, Gewalt&Verbre<strong>ch</strong>en,<br />

Alltag-Te<strong>ch</strong>nik-Arbeit-Handel, Geld, Quantität&Qualität und eine kleine<br />

Gruppe mit inhaltsarmen Sätzen („So ist es.“).<br />

Jeder Satz enthält an herausragender (methodis<strong>ch</strong> identifizierbarer) Stelle ein „Tagess<strong>ch</strong>au“typis<strong>ch</strong>es<br />

sinnzentrierendes Wort, das ihn vorrangig einem dieser 23 Bed<strong>eu</strong>tungsfelder zu-<br />

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Ivo Hajnal<br />

weist. Zu diesen Wörtern gehören etwa: verständli<strong>ch</strong>, abrücken, öffentli<strong>ch</strong>, untersu<strong>ch</strong>en, erklären,<br />

Forderung, Gesprä<strong>ch</strong>, Meinungsvers<strong>ch</strong>iedenheit, Verhältnis, Streit, Demonstration,<br />

wählen, Verantwortung, Opposition, verhaften, re<strong>ch</strong>tswidrig, Affäre, vertagen, eröffnen,<br />

s<strong>ch</strong>nell, versammeln, begrüssen, aktiv, mitwirken, s<strong>ch</strong>eitern, Ergebnis, befür<strong>ch</strong>ten, abwenden,<br />

fehlen, verletzt, Brandstiftung, Täter, einweihen, Arbeitsplatz, Geld, Prozent, höher, günstig.<br />

Gut 450 sol<strong>ch</strong>er Sti<strong>ch</strong>wörter kennzei<strong>ch</strong>nen drei Viertel aller Sätze. Sie bilden das semantis<strong>ch</strong>e<br />

Rückgrat der „Tagess<strong>ch</strong>au“.<br />

Umgekehrt betra<strong>ch</strong>tet: Es gibt ein festes Inventar texttypis<strong>ch</strong>er Seme, die teils als einzelne<br />

Wörter (z.B. „offenbar“), teils als stilistis<strong>ch</strong> variable Syntagmen (z.B. „steht unmittelbar bevor“,<br />

„versi<strong>ch</strong>erte h<strong>eu</strong>te, dass“, „als Grund nannte er“, „beendete seine x-tägige Reise na<strong>ch</strong><br />

y“) realisiert werden. Insbesondere s<strong>ch</strong>öpft die „Tagess<strong>ch</strong>au“ aus einem festen Repertoire<br />

<strong>von</strong> 14 imaginären Tableaus (z.B. „Reise und Begegnung“, „Tod, Unglück, Unwetter“) sowie<br />

255 kleinen Bed<strong>eu</strong>tungsfeldern (die zu jenen 23 großen Bed<strong>eu</strong>tungsfeldern gruppiert werden<br />

können). Zu ihnen gehören jeweils bestimmte, immer wiederkehrende spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Formulierungen,<br />

die – tableau- und feldübers<strong>ch</strong>reitend – untereinander in weitgehend beliebiger<br />

Reihenfolge zu ganzen Sätzen zusammengemis<strong>ch</strong>t werden können.<br />

Fazit: Die Spra<strong>ch</strong>e der „Tagess<strong>ch</strong>au“ ist in hohem Masse stereotypisiert. In Text- wie Satzproduktion<br />

lassen si<strong>ch</strong> feste, wiederkehrende Muster feststellen. Der Publikumserfolg der Sendung (–> III.6, Fallbeispiel<br />

5) erlaubt den Rücks<strong>ch</strong>luss, dass diese Vorausseh- und Bere<strong>ch</strong>enbarkeit vom Rezipienten<br />

dur<strong>ch</strong>aus erwüns<strong>ch</strong>t ist.<br />

c) Für den zweiten der der sub a genannten <strong>Analyse</strong>typen – die Gesprä<strong>ch</strong>s- und Dialoganalyse – ist<br />

eine Grundkenntnis der Theorie der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Pragmatik – der Theorie vom spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Handeln<br />

– unabdingbar.<br />

Als Grundeinheit eines jeden Dialogs gilt der Gesprä<strong>ch</strong>ss<strong>ch</strong>ritt (engl. turn). Er bezei<strong>ch</strong>net „alles,<br />

was ein Individuum sagt, wenn es an der Reihe ist.“ Der Gesprä<strong>ch</strong>ss<strong>ch</strong>ritt wird dabei <strong>von</strong> „Hörersignalen“<br />

unterbro<strong>ch</strong>en („stimmt, i<strong>ch</strong> weiss, na gut, eben, genau“ usw.), die zusammen mit nonverbalen<br />

Rückmeldungen (z.B. Kopfnicken) als „Kontaktsignale“ bezei<strong>ch</strong>net werden.<br />

Ein <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>es Merkmal des Gesprä<strong>ch</strong>s ist der Spre<strong>ch</strong>erwe<strong>ch</strong>sel (engl. „turn-taking“), und<br />

zwar dur<strong>ch</strong> Aufforderung (Fremdzuweisung) oder dur<strong>ch</strong> Selbstwahl (Selbstzuweisung). Er kann<br />

„glatt“ (ohne Simultansequenz), na<strong>ch</strong> Pause oder na<strong>ch</strong> Unterbre<strong>ch</strong>ung erfolgen. Vgl. etwa den folgenden<br />

Gesprä<strong>ch</strong>sauss<strong>ch</strong>nitt aus einem Talkshow-Interview mit dem d<strong>eu</strong>ts<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>auspieler Klaus<br />

Kinski („[…]“ = Simultansequenz):<br />

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Ivo Hajnal<br />

K(inski), der Gast, hält den Gesprä<strong>ch</strong>ss<strong>ch</strong>ritt; B, die Moderatorin, versu<strong>ch</strong>t massiv (dur<strong>ch</strong> direkte<br />

Aufmerksamkeitsappelle), das Redere<strong>ch</strong>t zu erkämpfen, was aber erst na<strong>ch</strong> einer längeren Simultansequenz<br />

in (13) gelingt.<br />

Inhaltsanalysen ergeben dabei, dass der Spre<strong>ch</strong>erwe<strong>ch</strong>sel <strong>von</strong> drei Faktoren abhängig ist:<br />

die Art der Spre<strong>ch</strong>situation: Merkmale wie Spontaneität, Öffentli<strong>ch</strong>keitsgrad, Anzahl der Beteiligten,<br />

das Rollenverhältnis zwis<strong>ch</strong>en den Gesprä<strong>ch</strong>spartnern bestimmen, ob der Spre<strong>ch</strong>erwe<strong>ch</strong>sel<br />

„glatt“ oder na<strong>ch</strong> Unterbre<strong>ch</strong>ung erfolgt.<br />

der soziale Status der Kommunikationsteilnehmer: Der soziale Status der Interaktanten<br />

(Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung versus Ni<strong>ch</strong>tglei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung; z.B. im Prüfungsgesprä<strong>ch</strong>) beeinflusst<br />

die Form des Spre<strong>ch</strong>erwe<strong>ch</strong>sels. Der Bevorre<strong>ch</strong>tigte kann hierbei immer unterbre<strong>ch</strong>en.<br />

die Organisiertheit des Gesprä<strong>ch</strong>s: In organisatoris<strong>ch</strong> geplanten oder formalisierten Gesprä<strong>ch</strong>en<br />

(z.B. im Parlament) herrs<strong>ch</strong>en andere Spre<strong>ch</strong>erwe<strong>ch</strong>sel vor als in ungeplanten Familiengesprä<strong>ch</strong>en.<br />

Jeder Gesprä<strong>ch</strong>ss<strong>ch</strong>ritt nimmt eine bestimmte kommunikative Funktion ein, repräsentiert damit einen<br />

gewissen Handlungstyp: z.B. Verspre<strong>ch</strong>en, Rats<strong>ch</strong>lag, Drohung usw. Diese Handlungsbed<strong>eu</strong>tung<br />

ist die Basisfunktion eines Gesprä<strong>ch</strong>ss<strong>ch</strong>ritts. Sie ist <strong>von</strong> der Gesprä<strong>ch</strong>sfunktion abzutrennen,<br />

wel<strong>ch</strong>e die genaue kontextuelle Bed<strong>eu</strong>tung des Gesprä<strong>ch</strong>ss<strong>ch</strong>ritts im Hinblick auf den Kontext – die<br />

vorangegangenen Gesprä<strong>ch</strong>sbeiträge sowie die Bedingungen der Gesprä<strong>ch</strong>ssituation – bezei<strong>ch</strong>net.<br />

Beispiel:<br />

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Ivo Hajnal<br />

Im Talkshowinterview mit einer S<strong>ch</strong>riftstellerin hat der Moderator A in den vorangegangenen Beiträgen<br />

d<strong>eu</strong>tli<strong>ch</strong> zu verstehen gegeben, dass er <strong>von</strong> der literaris<strong>ch</strong>en Qualität der Romane der Befragten<br />

B wenig hält. Vor diesem Gesprä<strong>ch</strong>shintergrund impliziert die Frage in 1-3 bzw. 5 eine Disqualifikation<br />

der Autorin. Die Gesprä<strong>ch</strong>sfunktion (Partnerabwertung) dominiert also die Basisfunktion<br />

(Frage).<br />

Gesprä<strong>ch</strong>ss<strong>ch</strong>ritte sind grundsätzli<strong>ch</strong> anders gegliedert als Texte. Der Spre<strong>ch</strong>er verwendet so eigene<br />

spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Mittel, um den Gesprä<strong>ch</strong>sbeitrag zu strukturieren: so etwa lexikalis<strong>ch</strong>e Mittel wie „und,<br />

also, ni<strong>ch</strong>t, ja, i<strong>ch</strong> meine“ usw. Diese Mittel dienen als Eröffnungssignale (z.B. „ja“) oder als<br />

S<strong>ch</strong>lussignale (z.B. „ja?“). Eine Abtrennung <strong>von</strong> den Hörersignalen ist oft s<strong>ch</strong>wierig; ein und dieselbe<br />

Signalform kann eine Gliederungs wie eine Kontaktfunktion haben.<br />

Grundsätzli<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> Gesprä<strong>ch</strong>ss<strong>ch</strong>ritte initiierend oder respondierend (reagierend). Auf einen initiierenden<br />

S<strong>ch</strong>ritt lässt si<strong>ch</strong> auf drei Arten reagieren:<br />

Akzeptierung: Der Angespro<strong>ch</strong>ene erfüllt alle Erwartungen und Verpfli<strong>ch</strong>tungen, die mit der<br />

initiierenden Spre<strong>ch</strong>eräusserung verbunden sind.<br />

Zurückweisung: Der Angespro<strong>ch</strong>ene lehnt die mit dem initiierenden Gesprä<strong>ch</strong>ss<strong>ch</strong>ritt verbundenen<br />

Erwartungen und Verpfli<strong>ch</strong>tungen ab.<br />

Selektion: Der Angespro<strong>ch</strong>ene ist grundsätzli<strong>ch</strong> bereit, auf den initiierenden Gesprä<strong>ch</strong>ss<strong>ch</strong>ritt<br />

einzugehen. Allerdings geht er in seinem respondierenden Beitrag nur auf einen Teil der initiierenden<br />

Äusserung ein. Beispiel aus dem oben genannten Talkshowinterview:<br />

Ganze Gesprä<strong>ch</strong>sequenzen erfüllen wi<strong>ch</strong>tige Funktionen für die Beziehungskonstitution in Gesprä<strong>ch</strong>en.<br />

Die Gesprä<strong>ch</strong>sfors<strong>ch</strong>ung untersu<strong>ch</strong>t etwa die Bed<strong>eu</strong>tung bestimmter Sequenztypen für die<br />

Imagearbeit. Grundlegend für jede Interaktion ist die Aufre<strong>ch</strong>terhaltung <strong>von</strong> Image: Interaktanten<br />

sind also bestrebt, das eigene Image wie au<strong>ch</strong> das der anderen zu wahren – zumindest auf einer<br />

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Ivo Hajnal<br />

oberflä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Ebene. Die Interaktanten betreiben so we<strong>ch</strong>selseitig „Imagepflege“ und a<strong>ch</strong>ten auf<br />

die Einhaltung der „Imagebalance“.<br />

Unter diesem Aspekt lassen si<strong>ch</strong> zwei Klassen <strong>von</strong> Gesprä<strong>ch</strong>ssequenzen <strong>von</strong>einander unters<strong>ch</strong>eiden:<br />

bestätigende Sequenzen: Auf den bestätigenden S<strong>ch</strong>ritt eines Interaktanten folgt ein bestätigender<br />

S<strong>ch</strong>ritt des anderen. Hierbei lassen si<strong>ch</strong> vier Grundtypen <strong>von</strong> bestätigenden Sequenzen<br />

unters<strong>ch</strong>eiden:<br />

o Typ 1: Sympathie bzw. Interessensbekundungen: z.B. Informationsfrage – höfli<strong>ch</strong>e<br />

Auskunft; Selbstlob – Zustimmung/Bestätigung; Interessewerbung – Interessebekundung<br />

usw.<br />

o Typ 2: Höfli<strong>ch</strong>e Angebote: z.B. höfli<strong>ch</strong>es Angebot – Dank/Akzeptieren; Einladung –<br />

Dank usw.<br />

o Typ 3: Ratifizierungen: Mitteilung über Veränderung – Anerkennung/Würdigung/ Zustimmung/Glückwuns<strong>ch</strong><br />

usw.<br />

o Typ 4: Zugängli<strong>ch</strong>keitsbekundungen: z.B. Begrüssung – Begrüssung; Eröffnung – Bestätigung<br />

usw.<br />

Beispiel für eine Bestätigungssequenz ist der Auss<strong>ch</strong>nitt aus folgendem Talkshowinterview:<br />

Der Auss<strong>ch</strong>nitt enthält eine erweiterte (dreigliedrige) Bestätigungssequenz. Der sequenzeröffnende<br />

S<strong>ch</strong>ritt 1-13 seitens des Moderators B enthält zwar au<strong>ch</strong> Elemente der Selbstbestätigung,<br />

dient aber mehrheitli<strong>ch</strong> der Bestätigung des Partners B (Us<strong>ch</strong>i Glas). Er enthält<br />

dur<strong>ch</strong>wegs Bestätigungen des Typs 1, besonders (indirekte) Komplimente. Da B seinen Gesprä<strong>ch</strong>ss<strong>ch</strong>ritt<br />

mit einer interessierten Frage abs<strong>ch</strong>liesst, brau<strong>ch</strong>t A zunä<strong>ch</strong>st ni<strong>ch</strong>t auf die<br />

Komplimente einzugehen. A erfüllt die Erwartungen und geht auf die Frage ein. Dabei signalisiert<br />

die Partikel „ja“ sowie die Konstruktionsübernahme („das war …“) zusätzli<strong>ch</strong> Bestätigung<br />

und Zustimmung. In einem dritten S<strong>ch</strong>ritt 16 honoriert A die Reaktion <strong>von</strong> B positiv.<br />

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Ivo Hajnal<br />

korrektive Sequenzen: Wird die Imagebalance dur<strong>ch</strong> irgendwel<strong>ch</strong>e Verhaltensweisen (Handlungen,<br />

Äusserungen) gestört, sind „korrektive“ S<strong>ch</strong>ritte bzw. Ausglei<strong>ch</strong>shandlungen notwendig,<br />

um den Ausgangszustand wieder herzustellen. Einer korrektiven Sequenz geht also<br />

ein Verhalten des einen Interaktanten voraus, das vom anderen als Zwis<strong>ch</strong>enfall und damit<br />

als Imagebedrohung oder verletzung angesehen wird. Einem sol<strong>ch</strong>en Verhalten folgt als<br />

zweiter S<strong>ch</strong>rittt der Sequenz der Korrektivs<strong>ch</strong>ritt. Damit versu<strong>ch</strong>t der Angegriffene, die negative<br />

Interpretation seines Verhaltens umzud<strong>eu</strong>ten. Die Sequenz wird dur<strong>ch</strong> eine positive oder<br />

negative Honorierung abges<strong>ch</strong>lossen. Die folgenden Haupttypen korrektiver Sequenzen lassen<br />

si<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eiden:<br />

o Re<strong>ch</strong>tfertigung: Übernahme der vollen Verantwortung für die in Frage stehende<br />

Handlung, ni<strong>ch</strong>t aber der negativen Bewertung.<br />

o Ents<strong>ch</strong>uldigung: Anerkennung der im Vorwurf ausgedrückten negativen Bewertung<br />

der Handlung.<br />

o Bestreiten: Ablehnen der Handlung oder der Täters<strong>ch</strong>aft.<br />

Das folgende Beispiel aus einem Talkshowinterview enthält derartige korrektive S<strong>ch</strong>ritte.<br />

Der Moderator B unterbri<strong>ch</strong>t den Gast A mit einer ironis<strong>ch</strong>en Zurückweisung (die impliziert, dass A<br />

gegen die gängigen Höfli<strong>ch</strong>keitsregeln verstossen hat). A reagiert mit einer Ents<strong>ch</strong>uldigung, indem<br />

er si<strong>ch</strong> auf ein unkontrollierbares Verhalten („Erregung“) beruft’ er lehnt damit die volle Verantwortung<br />

für sein Handeln ab. B akzeptiert diesen Korrektivs<strong>ch</strong>ritt („Lampenfieber“). Die Sequenz wird<br />

dur<strong>ch</strong> einen S<strong>ch</strong>ritt A’s ergänzt, in dem dieser als Dank für das Entgegenkommen eine Partnerbestätigung<br />

ausspri<strong>ch</strong>t.<br />

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Ivo Hajnal<br />

Die am Beispiel <strong>von</strong> Talkshowinterviews ges<strong>ch</strong>ilderten Ansätze zur <strong>Analyse</strong> <strong>von</strong> Gesprä<strong>ch</strong>en lassen<br />

si<strong>ch</strong> auf alle Mediengesprä<strong>ch</strong>e anwenden: so etwa auf Zus<strong>ch</strong>auergesprä<strong>ch</strong>e, Phone-in-Beiträge usw.<br />

d) Der dritte der der sub a genannten <strong>Analyse</strong>typen – die Rhetorik und Diskursanalyse – geht vom<br />

Kernbegriff des „Diskurses“ aus. Darunter verstehen wir die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong><br />

und sozialer Struktur. Kritis<strong>ch</strong>e linguistis<strong>ch</strong>e Ansätze gehen da<strong>von</strong> aus, dass es si<strong>ch</strong> bei Spra<strong>ch</strong>e sowie<br />

den damit geführten sozialen Diskursen um symbolis<strong>ch</strong>e Formen der sozialen Repräsentation<br />

handelt. Mens<strong>ch</strong>en bezei<strong>ch</strong>nen mit Spra<strong>ch</strong>e bestimmte Sa<strong>ch</strong>verhalte aus unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Perspektiven<br />

und mit partikulären Interessen. Dabei konstruieren sie ganz spezifis<strong>ch</strong>e Realitäten und<br />

versu<strong>ch</strong>en, ihre jeweiligen Definitionen der Situation dur<strong>ch</strong>zusetzen. Im Gegensatz zur klassis<strong>ch</strong>en<br />

Linguistik, wel<strong>ch</strong>e die formalen und spra<strong>ch</strong>immanenten Strukturen untersu<strong>ch</strong>t, interessiert si<strong>ch</strong> die<br />

kritis<strong>ch</strong>e Diskursanalyse für die Spra<strong>ch</strong>e in konkreten sozialen, kulturellen und historis<strong>ch</strong>en Kontexten;<br />

etwa vor dem Hintergrund bestehender Ma<strong>ch</strong>tstrukturen und der legitimierenden Ideologien.<br />

Ziel der modernen, kritis<strong>ch</strong>en Diskursanalyse ist es, die mit Texten und in Diskursen transportierten<br />

Ideologien transparent zu ma<strong>ch</strong>en. Hinter diesem Versu<strong>ch</strong> steht die Überlegung, dass gerade Eliten<br />

– oft mit Hilfe der Medien – Ideologien in Form <strong>von</strong> Texten und Diskursen dazu benutzen, um ihre<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Funktion und Stellung aufre<strong>ch</strong>t zu erhalten. Dabei kennzei<strong>ch</strong>nen die folgenden<br />

Elemente den diskursanalytis<strong>ch</strong>en Ansatz:<br />

Kritis<strong>ch</strong>e Grundhaltung: Texte werden skeptis<strong>ch</strong> gelesen und deren Bed<strong>eu</strong>tung hinterfragt.<br />

Sozialer Konstruktivismus: Das Wissen und die Ansi<strong>ch</strong>ten über die Welt sind sozial konstruiert.<br />

Es gibt daher keine „objektive“, <strong>von</strong> Mens<strong>ch</strong>en unabhängige Wirkli<strong>ch</strong>keit.<br />

Relativismus: Weltverständnis ist historis<strong>ch</strong> und kulturspezifis<strong>ch</strong> bedingt.<br />

Spra<strong>ch</strong>e und Handeln: In der Spra<strong>ch</strong>e äussern si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur spezifis<strong>ch</strong>e Interessen. Vielmehr<br />

werden in Diskursen bestehende Unglei<strong>ch</strong>heiten, Abhängigkeiten und Ma<strong>ch</strong>tverhältnisse<br />

zementiert. Die kritis<strong>ch</strong>e Diskursanalyse als Ideologiekritik soll diese aufdecken und zur Veränderung<br />

der Gesells<strong>ch</strong>aft beitragen.<br />

Besonders prominent ist hierbei die kritis<strong>ch</strong>e Diskursanalyse na<strong>ch</strong> T<strong>eu</strong>n van Dijk, die folgende Kriterien<br />

abfragt:<br />

SOME EXPRESSION OF IDEOLOGY IN DISCOURSE<br />

o CONTEXT: Speaker speaks as a member of a social group; and/or addresses recipient as group member; ideologically<br />

biased context models: subj. representations of communicative event<br />

o TEXT, DISCOURSE, CONVERSATION:<br />

MEANING<br />

Overall strategy: positive presentation/action of Us, negative presentation/action of Them<br />

o Emphasize Our good things, and Their bad things, and De-emphasize Our bad things, and Their good<br />

things<br />

o Topics (semantic macrostructures)<br />

o Select/Change positive/negative topics about Us/Them.<br />

o Local meanings and coherence<br />

o Positive/Negative Meanings for Us/Them are<br />

Manifestation: Explicit vs. Implicit<br />

Precision: Precise vs. Vague<br />

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FORM<br />

Granularity: Detailed/fine vs. Broad, rough<br />

Level: General vs. Specific, detailed<br />

Modality: We/They Must/Should…<br />

Evidentiality: We have the truth vs. They are misguided<br />

Local coherence: based on biased models<br />

Disclaimers (denying Our bad things): ‘We are not racists, but.’<br />

o Lexicon: Select Positive/Negative terms for Us/Them (e.g., ‘terrorist’ vs. ‘freedom fighter’)<br />

o Syntax: (De)emphasize Positive/Negative Agency of Us/Them<br />

o Cleft vs. non-cleft sentences (“It is X who…”)<br />

o Active vs. Passive sentences<br />

o Full clauses/propositions vs. nominalizations<br />

o Sound structures: Intonation, volume, etc. (de)emphasizing Our/Their Good/Bad things<br />

o Format (s<strong>ch</strong>ema, superstructure: overall form)<br />

Positive/Negative meanings for Us/Them in<br />

Ivo Hajnal<br />

o First, dominant categories (e.g., Headlines, Titles, Summaries, Conclusions) vs. last, non-dominant catego-<br />

ries.<br />

o Argumentation structures, topoi (stereotypical arguments, e.g., ‘For their own good’)<br />

o Fallacies that falsely conclude Our/Their Good/Bad things, e.g. overgeneralizations, authority, etc.<br />

o Rhetorical structures<br />

ACTION<br />

Emphasizing or de-emphasizing Our/Their Good/Bad things by<br />

o Forms: Repetition<br />

o Meanings: Comparisons, metaphors, metonymies, irony; <strong>eu</strong>phemisms, hyperboles, number games,<br />

etc.<br />

o Spee<strong>ch</strong> acts, communicative acts, and interaction<br />

o Spee<strong>ch</strong> acts that presuppose Our/Their Good/Bad things: promises, accusations, etc.<br />

o Interaction strategies that imply Our/Their Good/Bad things: Cooperation, agreement<br />

Der Zusammenhang <strong>von</strong> kritis<strong>ch</strong>er Diskursanalyse na<strong>ch</strong> van Dijk mit klassis<strong>ch</strong>er Rhetorik manifestiert<br />

si<strong>ch</strong> dabei an folgendem Fallbeispiel.<br />

Fallbeispiel 7: Kritis<strong>ch</strong>e Diskursanalyse einer Debatte im englis<strong>ch</strong>en Unterhaus aus dem Jahre 1997<br />

na<strong>ch</strong> van Dijk 2004. Die Debatte dreht si<strong>ch</strong> um Asylwerber. Mrs. Gorman thematisiert seitens der<br />

Konservativen Partei die <strong>von</strong> Asylwerbern verursa<strong>ch</strong>ten Kosten, Mr. Corbyn hält seitens der Labour-<br />

Partei Gegenrede.<br />

ACTOR DESCRIPTION (MEANING). The way actors are described in discourses also depends on our ideologies.<br />

Typically we tend to describe ingroup members in a n<strong>eu</strong>tral or positive way, and outgroup members in a<br />

negative way. Similarly, we will mitigate negative descriptions of members of our own group, and emphasize<br />

the attributed negative <strong>ch</strong>aracteristics of Others. Here is how Mrs. Gorman describes a Romanian asylum<br />

seeker:<br />

(1) In one case, a man from Romania, who came over here on a coa<strong>ch</strong> tour for a football mat<strong>ch</strong> (…) decided that he did<br />

Seite 41


Ivo Hajnal<br />

not want to go back, declared himself an asylum seeker and is still here four years later. He has never done a stroke of<br />

work in his life (Gorman).<br />

AUTHORITY (ARGUMENTATION). Many speakers in an argument, also in parliament, have recourse to the<br />

fallacy of mentioning authorities to support their case, usually organizations or people who are above the<br />

fray of party politics, or who are generally recognized experts or moral leaders. International organizations<br />

(su<strong>ch</strong> as the United Nations, or Amnesty), s<strong>ch</strong>olars, the media, the <strong>ch</strong>ur<strong>ch</strong> or the courts often have that role.<br />

People of different ideologies typically cite different authorities. Thus, Mr. Corbyn ironically asks Mrs. Gorman<br />

whether she has not read the reports of Amnesty or Helsinki Wat<strong>ch</strong>.<br />

BURDEN (TOPOS). Argumentation against immigration is often based on various standard arguments, or topoi,<br />

whi<strong>ch</strong> represent premises that are taken for granted, as self-evident and as sufficient reasons to accept<br />

the conclusion. One of the topoi of anti-immigration discourse is that asylum seekers are a financial ‘burden’<br />

for ‘us’:<br />

(2) It is wrong that ratepayers in the London area should bear an undue proportion of the burden of expenditure that<br />

those people are causing (Gorman).<br />

CATEGORIZATION (MEANING). As we also know from social psy<strong>ch</strong>ology, people tend to categorize people,<br />

and so do speakers in parliament, especially when Others (immigrants, refugees, etc.) are involved. Most<br />

typical in this debate is the (sub)categorization of asylum seekers into "genuine" political refugees, and "bogus"<br />

asylum seekers, a categorization formulated in the following ways:<br />

(3) There are, of course, asylum seekers and asylum seekers (Gorman).<br />

(4) ... those people, many of whom could reasonably be called economic migrants and some of whom are just benefit<br />

seekers on holiday, to remain in Britain (Gorman)<br />

COMPARISON (MEANING, ARGUMENTATION). Different from rhetorical similes, comparisons as intended<br />

here typically occur in talk about refugees or minorities, namely when speakers compare ingroups and<br />

outgroups. In racist talk, outgroups are compared negatively, and ingroups positively. In antiracist talk we<br />

may negatively compare our country or government with loathsome undemocratic regimes. In the following<br />

example, Mr. Corbyn uses an argumentative comparison with the Second World War to emphasize<br />

the plight of asylum seekers:<br />

(5) Many soldiers who were tortured during the second world war found it difficult to talk about their experiences for<br />

years. That is no different from the position of people who have been tortured in Iran, Iraq, West Africa or anywhere else.<br />

(Corbyn).<br />

CONSENSUS (POLITICAL STRATEGY). To claim or insist on cross-party or national consensus is a well-known<br />

political strategy in situations where the country is threatened, for instance by outside attack. Immigration is<br />

often seen as su<strong>ch</strong> a threat. Thus, Mrs. Gorman insists that the current immigration law is the fruit of consensus,<br />

and hence should not be tampered with:<br />

(6) The Government, with cross-party backing, decided to do something about the matter (Gorman, C).<br />

COUNTERFACTUALS (MEANING, ARGUMENTATION). “What would happen, if…”, the typical expression of<br />

a counterfactual, is often used in this debate by the Labour opposition in order to suggest that the conservatives<br />

try to imagine what it would be like to be in the situation of asylum seekers, an persuasive argumentative<br />

move that is also is related to the move of asking for empathy:<br />

(7) I suggest that he start to think more seriously about human rights issues. Suppose he had to flee this country because<br />

an oppressive regime had taken over. Where would he go? Presumably he would not want help from anyone else, because<br />

he does not believe that help should be given to anyone else (Corbyn).<br />

(8) If that happened in another country under a regime of whi<strong>ch</strong> we disapproved, the British Government would say that it<br />

was a terrible indictment on the human rights record of that regime that prisoners were forced to undertake a hunger<br />

strike to draw attention to their situation (Corbyn).<br />

DISCLAIMERS (MEANING). A well-known combination of the ideologically based strategy of positive self-<br />

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Ivo Hajnal<br />

presentation and negative other-presentation, are the many types of disclaimers. Note that disclaimers in<br />

these debates are not usually an expression of attitudinal ambiguity, in whi<strong>ch</strong> both positive and negative<br />

aspects of immigration are mentioned, or in whi<strong>ch</strong> humanitarian values are endorsed on the one hand, but<br />

the "burden" of refugees is beyond our means. Rather, disclaimers briefly save face by mentioning Our positive<br />

<strong>ch</strong>aracteristics, but then focus rather exclusively, on Their negative attributes. Hence our qualification of<br />

the positive part of the disclaimer as 'Apparent', as in Apparent Denials, Concessions, Empathy, etc.:<br />

(9) [Apparent Empathy] I understand that many people want to come to Britain to work, but there is a procedure whereby<br />

people can legitimately become part of our community (Gorman).<br />

(10) [Apparent Denial] I did not say that every eastern European's application for asylum in this country was bogus. However...<br />

(Gorman).<br />

EUPHEMISM (RHETORIC; MEANING). The well-known rhetorical figure of <strong>eu</strong>phemism, a semantic move of<br />

mitigation, plays an important role in talk about immigrants. Within the broader framework of the strategy<br />

of positive self-presentation, and especially its correlate, the avoidance of negative impression formation,<br />

negative opinions about immigrants are often mitigated, especially in foreign talk. The same is true for the<br />

negative acts of the own group. Thus, racism or discrimination will typically be mitigated as "resentment" or<br />

"unequal treatment", respectively. Similarly Ms. Gorman in this debate uses the word "discourage" ("to<br />

discourage the growing number of people from abroad...") in order to refer to the harsh immigration policies<br />

of the government, and thus mitigates the actions of the conservative government she supports. Similarly,<br />

the Labour (Corbyn) opposition finds the condemnation of oppressive regimes by the Government "very<br />

muted" instead of using more critical terms. Obviously, su<strong>ch</strong> mitigation of the use of <strong>eu</strong>phemisms may be<br />

explained both in ideological terms (ingroup protection), as well as in contextual terms, e.g., as part of politeness<br />

conditions or other interactional rules that are typical for parliamentary debates.<br />

EVIDENTIALITY (MEANING, ARGUMENTATION). Claims or points of view in argument are more plausible when<br />

speakers present some evidence or proof for their knowledge or opinions. This may happen by references to<br />

AUTHORITY figures or institutions (see above), or by various forms of Evidentiality: How or where did they get<br />

the information. Thus people may have read something in the paper, heard it from reliable spokespersons, or<br />

have seen something with their own eyes. Especially in debates on immigration, in whi<strong>ch</strong> negative beliefs about<br />

immigrants may be heard as biased, evidentials are an important move to convey objectivity, reliability<br />

and hence credibility. In stories that are intended to provoke empathy, of course su<strong>ch</strong> evidence must be supplied<br />

by the victims themselves. When sources are actually being quoted, evidentiality is linked to INTERTEX-<br />

TUALITY. Here are a two examples:<br />

(11) This morning, I was reading a letter from a constituent of mine (..) (Gorman).<br />

(12) The people who I met told me, <strong>ch</strong>apter and verse, of how they had been treated by the regime in Iran (Corbyn).<br />

EXAMPLE/ILLUSTRATION (ARGUMENTATION). A powerful move in argumentation is to give concrete examples,<br />

often in the form of a vignette or short story, illustrating or making more plausible a general point defended<br />

by the speaker. Concrete stories are usually better memorized than abstract arguments, and have<br />

more emotional impact, so they are argumentatively more persuasive. Of course, the right and the left ea<strong>ch</strong><br />

will have its own stories to tell:<br />

(13) The Daily Mail today reports the case of a woman from Russia who has managed to stay in Britain for five years.<br />

According to the magistrates court yesterday, she has cost the British taxpayer £40,000. She was arrested, of course, for<br />

stealing (Gorman).<br />

(14) The people who I met told me, <strong>ch</strong>apter and verse, of how they had been treated by the regime in Iran--of how they<br />

had been summarily imprisoned, with no access to the courts; of how their families had been beaten up and abused while<br />

in prison; and of how the regime murdered one man's fiancée in front of him because he would not talk about the secret<br />

activities that he was supposed to be involved in (Corbyn).<br />

GENERALIZATION (MEANING, ARGUMENTATION). Instead of providing concrete stories, speakers may also<br />

make generalizations, in racist discourse typically used to formulate prejudices about generalized negative<br />

<strong>ch</strong>aracteristics of immigrants. Similarly, in a populist strategy, conservative speakers may generalize the<br />

negative feelings against asylum seekers:<br />

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tive feelings against asylum seekers:<br />

(15) Su<strong>ch</strong> things go on and they get up the noses of all constituents (Gorman).<br />

Ivo Hajnal<br />

HYPERBOLE (RHETORIC). Hyperboles are semantic rhetorical devices for the enhancement of meaning.<br />

Within the overall strategy of positive self-presentation and negative other-presentation, we may thus expect<br />

in parliamentary debates about immigrants that the alleged bad actions or properties of the Others are<br />

expressed in hyperbolic terms (our bad actions in mitigated terms), and vice versa. Sometimes su<strong>ch</strong> forms of<br />

hyperbole are implied by the use of special METAPHORS, as we observe in Mrs. Gorman's use of "opening<br />

the floodgates" in order to refer to the arrival of many asylum seekers. And conversely, on the left, Labour<br />

speakers will of course emphasize the bad nature of authoritarian regimes, and like Mr. Corbyn, will call<br />

them "deeply oppressive", and the conditions of refugees coming from those countries "appalling".<br />

IMPLICATION (MEANING). For many 'pragmatic' (contextual) reasons, speakers do not (need) to say everything<br />

they know or believe. Indeed, large part of discourse remains implicit, and su<strong>ch</strong> implicit information<br />

may be inferred by recipients from shared knowledge or attitudes and thus constructed as part of their mental<br />

models of the event or action represented in the discourse. In debates about immigration, implicitness may<br />

especially be used as a means to convey meanings whose explicit expression could be interpreted as biased or<br />

racist. Thus, when Ms. Gorman says that many refugees come from countries in Eastern Europe who have<br />

recently been "liberated", she is implying that people from su<strong>ch</strong> countries cannot be genuine asylum seekers<br />

because democratic countries do not oppress their citizens (a point later attacked by the Labour opposition).<br />

And the same is true when she describes these refugees as "able-bodied males", whi<strong>ch</strong> implies that these<br />

need no help from us.<br />

IRONY (RHETORIC). Accusations may come across as more effective when they are not made point blank<br />

(whi<strong>ch</strong> may violate face constraints), but in apparently lighter forms of irony. There is mu<strong>ch</strong> irony in the mutual<br />

critique and attacks of Conservatives and Labour, of course, and these <strong>ch</strong>aracterize the proper interactional<br />

dimension of the debate. However, when speaking about immigrants, irony may also serve to derogate<br />

asylum seekers, as is the case for the phrase "suddenly discover" in the following example, implying that su<strong>ch</strong><br />

a "sudden discovery" can only be bogus, since the asylum seekers allegedly knew all along that they came to<br />

the country to stay:<br />

(16) Too many asylum seekers enter the country initially as family visitors, tourists, students and business people, and<br />

then suddenly discover that they want to remain as asylum seekers (Shaw).<br />

LEXICALIZATION (STYLE). At the local level of analysis, debates on asylum seekers need to express underlying<br />

concepts and beliefs in specific lexical items. Similar meanings may thus be variably expressed in different<br />

words, depending on the position, role, goals, point of view or opinion of the speaker, that is, as a function<br />

of context features. In conservative discourse opposing liberal immigration policies, this will typically result in<br />

more or less blatantly negative expressions denoting refugees and their actions, thus implementing at the<br />

level of lexicalization the overall ideological strategy of negative otherpresentation. Thus, also in this debate,<br />

we may typically find su<strong>ch</strong> as expressions as "economic immigrants", "bogus asylum seekers", or "benefit<br />

scroungers", as we also know them from the tabloid press in the UK. On the other hand, lexicalization in<br />

support of refugees may focus on the negative presentation of totalitarian regimes and their acts, su<strong>ch</strong> as<br />

"oppression", "crush", "torture", "abuse" or "injustice".<br />

METAPHOR (MEANING, RHETORIC). Few semantic-rhetorical figures are as persuasive as metaphors, also in<br />

debates on immigration. Abstract, complex, unfamiliar, new or emotional meanings may thus be made more<br />

familiar and more concrete. Virtually a standard metaphor (if not a topos) is the use of floodmetaphors to<br />

refer to refugees and their arrival, symbolizing the unstoppable threat of immigration, in whi<strong>ch</strong> we would all<br />

"drown". Thus, Ms. Gorman warns for <strong>ch</strong>anges in the present law by saying that su<strong>ch</strong> <strong>ch</strong>anges would<br />

"open the floodgates again". Another notorious semantic realm of metaphors is to describe people in terms<br />

of (aggressive, repulsive, etc.) animals, for instance asylum seekers as “parasites”, as does Mrs. Gorman.<br />

NATIONAL SELF-GLORIFICATION (MEANING). Especially in parliamentary spee<strong>ch</strong>es on immigration, positive<br />

self-presentation may routinely be implemented by various forms of national self-glorification: Positive refe-<br />

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Ivo Hajnal<br />

rences to or praise for the own country, its principles, history and traditions. Racist ideologies may thus be<br />

combined with nationalist ideologies, as we have seen above. This kind of nationalist rhetoric is not the same<br />

in all countries. It is unabashed in the USA, quite common in France (especially on the right), and not uncommon<br />

in Germany. In the Netherlands and the UK, su<strong>ch</strong> self-glorification is less explicit. See, however, the following<br />

standard example -- probably even a topos:<br />

(17) Britain has always honoured the Geneva convention, and has given sanctuary to people with a well-founded fear of<br />

persecution in the country from whi<strong>ch</strong> they are fleeing and whose first safe country landing is in the United Kingdom<br />

(Wardle).<br />

NEGATIVE OTHER-PRESENTATION (SEMANTIC MACRO-STRATEGY). As the previous examples have shown,<br />

the categorization of people in ingroups and outgroups, and even the division between 'good' and 'bad' outgroups,<br />

is not value-free, but imbued with ideologically based applications of norms and values. Thus, throughout<br />

this debate, Mrs. Gorman describes asylum seekers in terms of “benefit seekers” or “bogus” immigrants.<br />

Negative other-presentation is usually complimentary to positive self-presentation.<br />

NORM EXPRESSION. Anti-racist discourse is of course strongly normative, and decries racism, discrimination,<br />

prejudice and anti-immigration policies in sometimes explicit normstatements about what 'we' (in parliament,<br />

in the UK, in Europe, etc.) should or should not do:<br />

(18) We should have a different attitude towards asylum seekers (Corbyn).<br />

NUMBER GAME (RHETORIC, ARGUMENTATION). Mu<strong>ch</strong> argument is oriented to enhancing credibility by<br />

moves that emphasize objectivity. Numbers and statistics are the primary means in our culture to persuasively<br />

display objectivity, and they routinely <strong>ch</strong>aracterize news reports in the press. Arrivals of immigrants are<br />

usually accompanied by numbers, also in parliament. The same is true for the ‘costs’ of immigrants:<br />

(19) It would open the floodgates again, and presumably the £200 million a year cost that was estimated when the<br />

legislation was introduced (Gorman, C).<br />

POLARIZATION, US-THEM CATEGORIZATION (MEANING). Few semantic strategies in debates about Others<br />

are as prevalent as the expression of polarized cognitions, and the categorical division of people in ingroup<br />

(US) and outgroup (THEM). This suggests that especially also talk and text about immigrants or refugees is<br />

strongly monitored by underlying social representations (attitudes, ideologies) of groups, rather than by models<br />

of unique events and individual people (unless these are used as illustrations to argue a general point).<br />

Polarization may also apply to 'good' and 'bad' sub-categories of outgroups, as is the case for friends and<br />

allies on the one hand, and enemies on the other. Note that polarization may be rhetorically enhanced<br />

when expressed as a clear contrast, that is, by attributing properties of US and THEM that are semantically<br />

ea<strong>ch</strong> other's opposites. Examples in our debate abound, but we shall only give two typical examples:<br />

(20) It is true that, in many cases, they have made careful provision for themselves in their old age, have a small additional<br />

pension as well as their old-age pension and pay all their rent and their bills and ask for nothing from the state. They<br />

are proud and happy to do so. Su<strong>ch</strong> people should not be exploited by people who are exploiting the system (Gorman, C).<br />

POSITIVE SELF-PRESENTATION (SEMANTIC MACROSTRATEGY). Whether or not in combination with the derogation<br />

of outgroups, group-talk is often <strong>ch</strong>aracterized by another overall strategy, namely that of ingroup<br />

favoritism or "positive self-presentation". This may take a more individual form of face-keeping or impression<br />

management, as we know them from familiar disclaimers ("I am not a racist, but..."), or a more collective<br />

form in whi<strong>ch</strong> the speaker emphasizes the positive <strong>ch</strong>aracteristics of the own group, su<strong>ch</strong> as the own party,<br />

or the own country. In the context of debates on immigration, su<strong>ch</strong> positive self-presentation will often manifest<br />

itself as an emphasis of own tolerance, hospitality, lack of bias, EMPATHY, support of human rights, or<br />

compliance with the law or international agreements. Positive self-presentation is essentially ideological, because<br />

they are based on the positive self-s<strong>ch</strong>ema that defines the ideology of a group. Here is an example:<br />

(21) I entirely support the policy of the Government to help genuine asylum seekers, but...(Gorman, C).<br />

POPULISM (POLITICAL STRATEGY). One of the dominant overall strategies of conservative talk on immigration<br />

is that of populism. There are several variants and component moves of that strategy. The basic strate-<br />

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Ivo Hajnal<br />

gy is to claim (for instance against the Labour opposition) that "the people" (or "everybody") does not support<br />

further immigration, whi<strong>ch</strong> is also a well-known argumentation fallacy. More specifically in this debate,<br />

the populism-strategy is combined with the topos of financial burden: Ordinary people (taxpayers) have to<br />

pay for refugees. Of the many instances of this strategy, we only cite the following:<br />

(22) It is wrong that ratepayers in the London area should bear an undue proportion of the burden of expenditure that<br />

those people are causing (Gorman)<br />

PRESUPPOSITION (MEANING). Discourses are like the proverbial icebergs: most of their meanings are not<br />

explicitly expressed by presupposed to be known, and inferrable from general sociocultural knowledge.<br />

Strategically, presuppositions are often used to assume the truth of some proposition when su<strong>ch</strong> truth is not<br />

established at all:<br />

(23) I wonder whether the hon. Gentleman will tell the House what mandate he has from the British people to share their<br />

citizenship with foreigners? (Gill).<br />

VAGUENESS (MEANING). Virtually in all contexts speakers may use 'vague' expressions, that is, expressions<br />

that do not have well-defined referents, or whi<strong>ch</strong> refer to fuzzy sets. Vague quantifiers ('few', 'a lot'), adverbs<br />

('very') nouns ('thing') and adjectives ('low', 'high'), among other expressions may be typical in su<strong>ch</strong><br />

discourse. Given the normative constraints on biased spee<strong>ch</strong>, and the relevance of quantification in immigration<br />

debates, we may in particular expect various forms of Vagueness, as is the case for "Goodness knows<br />

how mu<strong>ch</strong>", and "widespread" in the following examples:<br />

(24) Goodness knows how mu<strong>ch</strong> it costs for the legal aid that those people invoke to keep <strong>ch</strong>allenging the decision<br />

that they are not bona fide asylum seekers (Gorman, C).<br />

VICTIMIZATION (MEANING). Together with DRAMATIZATION and POLARIZATION, discourse on immigration<br />

and ethnic relations is largely organized by the binary US-THEM pair of ingroups and outgroups. Thus, in order<br />

to emphasize the ‘bad’ nature of immigrants, people may tell horrible stories about poor nationals, su<strong>ch</strong><br />

as the kids….<br />

(25) Many of those people live in old-style housing association Peabody flats. They are on modest incomes. Many of them<br />

are elderly, managing on their state pension and perhaps also a little pension from their work. They pay their full rent and<br />

for all their own expenses. Now they are going to be asked to pay £35 to able-bodied males who have come over here<br />

on a prolonged holiday and now claim that the British taxpayer should support them.<br />

IV.2: Rituale, Mythen, Narration<br />

a) Aus Perspektive der Cultural Studies ist Kommunikation ni<strong>ch</strong>t nur Übermittlung <strong>von</strong> Information<br />

in räumli<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t, sondern au<strong>ch</strong> eine soziale Praxis. Dur<strong>ch</strong> Kommunikation s<strong>ch</strong>affen die Gesells<strong>ch</strong>aftsmitglieder<br />

ihre soziale Realität tägli<strong>ch</strong> n<strong>eu</strong>, teilen sie und erhalten sie aufre<strong>ch</strong>t. Kommunikation<br />

ist deshalb rituelles Handeln, und als sol<strong>ch</strong>es müssen au<strong>ch</strong> Medienprodukte angesehen werden.<br />

Bei der <strong>Analyse</strong> der sozialen Hintergründe <strong>von</strong> Medieninhalten gelten die folgenden Definitionen:<br />

Mythen: Überlieferungen aus der Vorzeit einer Gesells<strong>ch</strong>aft beziehungsweise für wahr gehaltene<br />

oder ni<strong>ch</strong>t hinterfragte Erzählungen. Diese Erzählungen geben Antworten zu wi<strong>ch</strong>tigen<br />

kulturellen Fragen, Konflikten, Normen und Werten. Dies ges<strong>ch</strong>ieht in metaphoris<strong>ch</strong>er Form.<br />

Die Massenmedien können dur<strong>ch</strong> ihre Beri<strong>ch</strong>terstattung diese Mythen festigen: z.B. Familienbilder<br />

oder Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsrollenstereotype.<br />

Narration: die Erzählung einer Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te oder eines Mythos, und zwar ni<strong>ch</strong>t nur in fiktionalen<br />

Medienangeboten, sondern au<strong>ch</strong> als „Erzählen der Welt in Fernsehna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten“. Dies<br />

ges<strong>ch</strong>ieht in spezifis<strong>ch</strong>en Erzählstrukturen.<br />

Ritual: die Gewohnheit und Wiederholung, die Inszenierungen standardisiert.<br />

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Ivo Hajnal<br />

b) Die Medienkultur übt na<strong>ch</strong> <strong>Analyse</strong> <strong>von</strong> M. Real (1996) se<strong>ch</strong>s rituelle Funktionen aus, die an<br />

Medienereignissen besonders si<strong>ch</strong>tbar werden:<br />

Objektivierung: Medienkultur s<strong>ch</strong>afft kollektive Erfahrung und vereinigt die Teilnehmenden<br />

dur<strong>ch</strong> Symbole und emotionale Anspra<strong>ch</strong>e. Beispiele: die Weihe des n<strong>eu</strong>en Papstes, die Beerdigung<br />

<strong>von</strong> Prinzessin Diana.<br />

Repetitive Muster: Medienereignisse ermögli<strong>ch</strong>en glei<strong>ch</strong>zeitige Partizipation, vereinen Teilnehmende,<br />

haben Modell<strong>ch</strong>arakter.<br />

Strukturierung <strong>von</strong> Raum und Zeit: Medienereignisse strukturieren Raum und Zeit, indem sie<br />

eine Ordnung etablieren, die Vergangenheit mit der Gegenwart verknüpfen.<br />

Transport und Transformation: Medienereignisse überführen Alltägli<strong>ch</strong>es in den Rang <strong>von</strong><br />

Mythologis<strong>ch</strong>em.<br />

Öffentli<strong>ch</strong>es Zelebrieren: Medienereignisse feiern die zentralen kulturellen Werte.<br />

Soziale Realität: Medienereignisse s<strong>ch</strong>affen soziale Realität, halten sie aufre<strong>ch</strong>t und verändern<br />

sie.<br />

c) In diesem Sinne lassen si<strong>ch</strong> etwa Fernsehna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten als Rituale bestimmen. Die <strong>Analyse</strong>dimensionen<br />

<strong>von</strong> Ritualen:<br />

Wiederholung: Das Ritual ist redundant angelegt beziehungsweise einzelne Teile da<strong>von</strong>.<br />

Darstellung: Handeln und Tun stehen bei Ritualen im Vordergrund, weniger Spre<strong>ch</strong>en und<br />

Reflexion.<br />

Stilisierung/Formalisierung: Rituale setzen Verhalten und Gegenstände in einen<br />

aussergewöhnli<strong>ch</strong>en Zusammenhang.<br />

Ordnung <strong>von</strong> Zeit und Raum: Rituale sind ni<strong>ch</strong>t spontan, sondern organisierte Ereignisse mit<br />

festgelegtem Anfang und Ende. Raum und Zeit erhalten einen besonderen Status.<br />

Evokativer Präsentationsstil: In Ritualen wird dur<strong>ch</strong> Verwendung <strong>von</strong> Symbolen und Reizen<br />

versu<strong>ch</strong>t, die Aufmerksamkeit der Zus<strong>ch</strong>auer zu erhalten.<br />

Traditionalisierung: Rituale dienen als Mittel, die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te zu verstehen und einzuordnen.<br />

Konfliktvermittlung: Rituale können Konflikte darstellen und so vermitteln.<br />

Bezogen auf Fernsehna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten ergeben si<strong>ch</strong> die folgenden Befunde:<br />

Wiederholung: Fernsehna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten sind eingebunden in eine tägli<strong>ch</strong>e wie innertägli<strong>ch</strong>e Periodizität.<br />

Darstellung: Beiträge müssen in Fernsehna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten bebildert sein.<br />

Stilisierung/Formalisierung: Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tensendungen haben einen festen, standardisierten<br />

Aufbau.<br />

Ordnung <strong>von</strong> Zeit und Raum: Fernsehna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten ordnen Raum und Zeit. Der Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tenerzähler<br />

organisiert mit seinen Filmeinspielungen und mit seinen Lives<strong>ch</strong>altungen das Weltges<strong>ch</strong>ehen<br />

als eine einzige Erzählung, in der die Welt jeden Abend aufs N<strong>eu</strong>e in eine übers<strong>ch</strong>aubare<br />

Form gebra<strong>ch</strong>t wird.<br />

Evokativer Präsentationsstil: Fernsehna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten werden mit Farben, Musik, Titeln präsentiert.<br />

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Ivo Hajnal<br />

Traditionalisierung: Fernsehna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten verweisen auf die Vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te eines Ereignisses<br />

und auf dessen Bewertung.<br />

Konfliktvermittlung: Obs<strong>ch</strong>on Fernsehna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten mehrheitli<strong>ch</strong> konfliktbeladene Themen<br />

enthalten, setzen sie Konflikte meist in einen festen strukturierenden Rahmen und versu<strong>ch</strong>en,<br />

die Konflikte zu erklären.<br />

Fazit: Fernsehna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten erweisen si<strong>ch</strong> als ritualisierte Medieninhalte.<br />

d) Na<strong>ch</strong> Hickethier (1997f.) sind Fernsehna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten „Erzählungen der Welt“, die <strong>von</strong> einem „Erzähler“<br />

(Moderator) präsentiert werden. Die Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tenerzähler organisieren dur<strong>ch</strong> ihre Erzählungen<br />

das beri<strong>ch</strong>tete Ges<strong>ch</strong>ehen, geben diesem eine Form und Struktur, ordnen das Ges<strong>ch</strong>ehen in<br />

grössere Zusammenhänge ein, liefert eine Orientierung. „Erzählung“ bed<strong>eu</strong>tet also, dass es si<strong>ch</strong> bei<br />

den Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten immer um gestaltete, d.h. einer Dramaturgie unterworfene Mitteilungen handelt.<br />

Do<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> die Struktur der Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tenerzählung <strong>von</strong> fiktionalen Erzählungen dur<strong>ch</strong><br />

zwei Aspekte:<br />

Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten weisen mehr Brü<strong>ch</strong>e innerhalb ihrer Struktur auf und folgen ni<strong>ch</strong>t immer einem<br />

beabsi<strong>ch</strong>tigten Ablauf; sie sind folgli<strong>ch</strong> eher ungeordnet und <strong>ch</strong>aotis<strong>ch</strong>, was als Ausdruck ihres<br />

Wirkli<strong>ch</strong>keitsgehalts interpretiert wird.<br />

Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten sollen – na<strong>ch</strong> Erwartungen des Publikums – in einem Referenzverhältnis zur vormedialen<br />

Realität stehen und müssen an dieser überprüfbar sein. Dieser Anspru<strong>ch</strong> steht<br />

allerdings in Konflikt mit der Unterhaltungsfunktion („Infotainment“), die Fernsehna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten<br />

gegenüber dem Publikum zunehmend erfüllen müssen.<br />

Der Ansatz, Fernsehna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten als serielle beziehungsweise Fortsetzungserzählungen zu verstehen,<br />

lenkt den Blick auf n<strong>eu</strong>e Funktionen: so beispielsweise die Aufre<strong>ch</strong>terhaltung des Erzählflusses oder<br />

das Rewriting zur Personalisierung und Dramatisierung. Konkret: Während es si<strong>ch</strong> bei Konflikten<br />

oder Kriegen um Ereignisse mit einer vorgegebenen Erzähldramaturgie handelt, gibt es komplexere<br />

Themen, bei denen dramatis<strong>ch</strong>e Formen ni<strong>ch</strong>t a priori d<strong>eu</strong>tli<strong>ch</strong> werden. In dieser Situation neigen<br />

die Medien dazu, Ereignisse zu dramatisieren, Konflikte personell umzus<strong>ch</strong>reiben. Denn das Publikum<br />

ist mehr an Meldungen über konkrete Mens<strong>ch</strong>en als über abstrakte Sa<strong>ch</strong>verhalte interessiert;<br />

und personalisierte Ereignisse lassen si<strong>ch</strong> besser erzählen und in Bilder umsetzen. Diese Formen der<br />

Dramatisierung lassen si<strong>ch</strong> unter dem Begriff der „Inszenierung“ zusammenfassen. Einige Dimensionen<br />

dieser Inszenierung mit besonderem Bezug auf die Politberi<strong>ch</strong>terstattung:<br />

Das Programmprinzip mit seinem Zwang zum tägli<strong>ch</strong> N<strong>eu</strong>en führt dazu, das Dramatis<strong>ch</strong>e als<br />

Serie zu konstruieren: Jeden Tag wird eine n<strong>eu</strong>e Episode eines Problems und Konflikts geboten,<br />

mögli<strong>ch</strong>st mit überras<strong>ch</strong>enden Wendepunkten und Peripetien. Das dramaturgis<strong>ch</strong>e Modell<br />

für die Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>teninszenierung ist die Tragödie (vgl. au<strong>ch</strong> den häufigen Gebrau<strong>ch</strong> der<br />

Begriffe „tragis<strong>ch</strong>“, „Tragödie“).<br />

Gesu<strong>ch</strong>t wird eine dramatis<strong>ch</strong>e Zuspitzung, ein Showdown zweier Gegner, wobei der Konflikt<br />

häufig zu einer S<strong>ch</strong>icksalsfrage ho<strong>ch</strong>stilisiert wird. Exposition, Wendung zum Dramatis<strong>ch</strong>en<br />

und Zuspitzung, Höhepunkt, verzögernde Erwartungssteigerungen, s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> Lösung<br />

und Ende – so bauen die Medien politis<strong>ch</strong>e Entwicklungen na<strong>ch</strong> dramaturgis<strong>ch</strong>en Gesi<strong>ch</strong>tspunkten<br />

auf, um sie wirksam zu präsentieren.<br />

Die Emotionalisierung politis<strong>ch</strong>er Sa<strong>ch</strong>verhalte ma<strong>ch</strong>t viele politis<strong>ch</strong>e Streitfällen für das Publikum<br />

verständli<strong>ch</strong>. Die Theatralisierung, die Präsentation der Politik als Performance, er-<br />

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Ivo Hajnal<br />

z<strong>eu</strong>gt ausserdem Interesse, wo es sonst viellei<strong>ch</strong>t gar ni<strong>ch</strong>t vorhanden wäre. Denn sie transformiert<br />

abstrakte Sa<strong>ch</strong>themen in mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Beziehungskonflikte.<br />

Die Dramatisierung des Beri<strong>ch</strong>ts treibt den Konflikt hervor –gerade dort, wo die Protagonisten<br />

eher abwiegeln und verharmlosen, ihn vertus<strong>ch</strong>en und verdecken wollen. Sie folgt alten<br />

Traditionen und gerade deshalb funktioniert sie so gut. So ist die erzählende Unterhaltung<br />

seit dem 19. Jahrhundert stark <strong>von</strong> der „Geheimnisliteratur“, geprägt, die <strong>von</strong> der Aufdeckung<br />

verborgener Geheimnisse und verdeckter Kabalen handelt. Au<strong>ch</strong> der investigative Journalismus<br />

geht in seiner Grundannahme da<strong>von</strong> aus, dass die Welt letztli<strong>ch</strong> <strong>von</strong> verborgenen<br />

Affären und Skandalen dur<strong>ch</strong>setzt ist: Ihre Aufdeckung soll die Welt ni<strong>ch</strong>t nur besser ma<strong>ch</strong>en,<br />

sondern au<strong>ch</strong> zeigen, wie s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t die Welt der Mä<strong>ch</strong>tigen wirkli<strong>ch</strong> ist – was das Publikum<br />

immer s<strong>ch</strong>on angenommen hat.<br />

Jede Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t bietet ni<strong>ch</strong>t nur ein dramaturgis<strong>ch</strong> aufbereitetes Ges<strong>ch</strong>ehen, sie ist au<strong>ch</strong> eine<br />

Erzählung, die Zus<strong>ch</strong>auer, Hörer und Leser über Ereignisse in der Welt informiert. In der Zeitung<br />

und im Fernsehen ist es der Korrespondent, der <strong>von</strong> fernen Ges<strong>ch</strong>ehen beri<strong>ch</strong>tet und<br />

mit seinem Status als Korrespondent dafür steht, dass sein Beri<strong>ch</strong>t wahr ist. Dazu benutzt er<br />

häufig Formen der Authentizitätsversi<strong>ch</strong>erung, wie sie s<strong>ch</strong>on Romanautoren im 19. Jahrhundert<br />

verwenden. Diese behaupten häufig, das Erzählte selbst erlebt, <strong>von</strong> einem Augenz<strong>eu</strong>gen<br />

erzählt oder als Dokument übermittelt bekommen zu haben – ein literaris<strong>ch</strong>er Kunstgriff.<br />

Der Verglei<strong>ch</strong> <strong>von</strong> Erzählungen mit Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten liefert neben diesen inhaltli<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> formale Ähnli<strong>ch</strong>keiten<br />

zu Tage. Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tenerzählungen zei<strong>ch</strong>nen si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die folgenden narrativen Strukturmerkmale<br />

aus (–> bereits III.5):<br />

Diese Strukturelemente erfüllen die folgenden narrativen Funktionen:<br />

Die einführende Zusammenfassung (engl. abstract) kondensiert die wi<strong>ch</strong>tigsten Elemente des<br />

Ges<strong>ch</strong>ehens. Worum geht es? Wieso wird die Story erzählt? Als einführende Zusammenfassung<br />

fungieren in der Regel Titel und Lead einer Meldung.<br />

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Die Orientierung liefert Antworten auf folgende W-Fragen: Wer?, wann?, wo?<br />

Die Story geht auf die zentrale Frage ein, was passiert ist.<br />

Ivo Hajnal<br />

Die Evaluation gewi<strong>ch</strong>tet und bewertet. Jede Erzählung hat so eine Moral, die das Ges<strong>ch</strong>ehen<br />

mit Bezug auf die Welt einordnet.<br />

Die Auflösung enthält zukunftsorientierte Erwägungen und Reaktionen.<br />

Der S<strong>ch</strong>lusssatz dient zur Überleitung zur nä<strong>ch</strong>sten Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t, zum Wetterberi<strong>ch</strong>t usw.<br />

IV.3: Medienframes<br />

a) Die Begriffe „Frame“ (dt. Rahmen), „S<strong>ch</strong>ema“. „Script“ oder „Map“ stehen für theoretis<strong>ch</strong>e<br />

Konstrukte, die in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Sozialwissens<strong>ch</strong>aften (z.B. Psy<strong>ch</strong>ologie, Soziologie, Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie)<br />

diskutiert werden. Sie bezei<strong>ch</strong>nen Strukturen oder Muster, die hinter der wahrgenommenen<br />

beziehungsweise si<strong>ch</strong>tbaren Realität stehen.<br />

Gemeinsam ist all diesen Ansätzen, dass sie auf einer konstruktivistis<strong>ch</strong>en Basis beruhen: Mens<strong>ch</strong>en<br />

nehmen ihre Umwelt wahr, kommunizieren über ihren Alltag und verstehen Medienbots<strong>ch</strong>aften<br />

aktiv, indem sie auf ganzheitli<strong>ch</strong>e kognitive Strukturen zurückgreifen. Der Sinn beziehungsweise die<br />

Bed<strong>eu</strong>tung <strong>von</strong> Ereignissen, Alltagssituationen, Kommunikationsinhalten oder Medienbots<strong>ch</strong>aften<br />

ist deshalb ni<strong>ch</strong>t objektiv festgelegt. Vielmehr variieren Medienbots<strong>ch</strong>aften je na<strong>ch</strong> dem Beoba<strong>ch</strong>ter,<br />

dem Interaktions- oder Kommunikationspartner und den <strong>von</strong> ihm bei der Interpretation benutzten<br />

Frames (seinen kognitiven Strukturen).<br />

Vgl. in diesem Sinne das konstruktivistis<strong>ch</strong>e Kommunikationsmodell:<br />

Seite 50


Ivo Hajnal<br />

b) In der Publizistikwissens<strong>ch</strong>aft und Medienanalyse kann der Begriff der Frames in der Kommunikator-,<br />

Aussagen- und Wirkungsfors<strong>ch</strong>ung eingesetzt werden:<br />

In der Kommunikatorfors<strong>ch</strong>ung wird einerseits untersu<strong>ch</strong>t, wie NGO’s oder andere Interessensgruppen<br />

versu<strong>ch</strong>en, mit ihren spezifis<strong>ch</strong>en Ansi<strong>ch</strong>ten, Auffassungen und Definitionen<br />

<strong>von</strong> Ereignissen, Konflikten oder sozialen Problemen an die Öffentli<strong>ch</strong>keit zu gelangen und<br />

ihre Version im Diskurs dur<strong>ch</strong>zusetzen. Andererseits, wel<strong>ch</strong>e Perspektive Journalisten in ihrer<br />

Arbeit einnehmen; oder allgemein, wie Realität in den Medien konstruiert wird.<br />

In der Aussagenfors<strong>ch</strong>ung werden Medienaussagen bezügli<strong>ch</strong> der ihnen zugrunde liegenden<br />

Frames untersu<strong>ch</strong>t. Inhaltsanalytis<strong>ch</strong> wird dabei herausgearbeitet, wel<strong>ch</strong>e zentralen<br />

Ideen oder Organisationsprinzipien die Medienrealität konstituieren.<br />

In der Wirkungsfors<strong>ch</strong>ung stellt si<strong>ch</strong> die Frage, wie Rezipienten im Rezeptionsprozess Medienbots<strong>ch</strong>aften<br />

wahrnehmen, aufgrund wel<strong>ch</strong>er kognitiver S<strong>ch</strong>emata sie ihnen Sinn zus<strong>ch</strong>reiben.<br />

Ferner, ob unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> „geframte“ Medienbots<strong>ch</strong>aften au<strong>ch</strong> andere Medieneffekte<br />

hervorrrufen.<br />

Im Einzelnen unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> die Definitionen <strong>von</strong> Medienframes. Aktuell ist h<strong>eu</strong>te die Definition<br />

<strong>von</strong> Reese 2001: „Frames are organizing prinziples that are socially shared and persistent over time,<br />

that work symbolically to meaningfully structure the social world.“ Damit umfasst der Begriff der<br />

Mediaframes die folgenden Aspekte:<br />

Organisation: Die Information über ein Thema ist organisiert. Das Denken über ein Thema erfolgt<br />

so auf eine bestimmte Weise, aus einer spezifis<strong>ch</strong>en Perspektive.<br />

Prinzip: Die Organisation der Information zur Sa<strong>ch</strong>e basiert auf einem ganzheitli<strong>ch</strong>en, abstrakten<br />

Prinzip. Dem manifesten Text liegt somit eine verborgene Tiefenstruktur zugrunde.<br />

Geteilte Ansi<strong>ch</strong>ten: Damit ein Frame bed<strong>eu</strong>tsam und kommunizierbar wird, bedarf es sozial<br />

geteilter Auffassungen bezügli<strong>ch</strong> gewisser gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Gemeinsamkeiten.<br />

Überdauernde Wirkung: Die Relevanz <strong>von</strong> Frames äussert si<strong>ch</strong> darin, dass sie in zeitli<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t<br />

die Kommunikation überdauern.<br />

Symbolgehalt: Frames äussern si<strong>ch</strong> in symbolis<strong>ch</strong>en Ausdrucksformen.<br />

Struktur: Frames organisieren, indem sie die Information na<strong>ch</strong> identifizierbaren Mustern<br />

strukturieren, allerdings in variierender Komplexität.<br />

Frames haben deshalb die folgenden Funktionen:<br />

Sie selektionieren gewisse Aspekte der wahrgenommenen Realität.<br />

Sie heben gewisse Aspekte der wahrgenommenen Realität hervor und kommunizieren diese.<br />

Sie legen eine bestimmte Si<strong>ch</strong>t des Sa<strong>ch</strong>verhalts nahe.<br />

Sie identifizieren die Ursa<strong>ch</strong>en des Problems.<br />

Sie liefern eine Bewertung oder bieten eine Problemlösung an.<br />

c) In der empiris<strong>ch</strong>en Umsetzung wird das Frame-Konzept unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> umgesetzt:<br />

„Issue-specific“ versus „Generic“-Frames: Man<strong>ch</strong>e inhaltsanalytis<strong>ch</strong>e Studien untersu<strong>ch</strong>en<br />

Medientexte (z.B. Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tentexte oder Wissens<strong>ch</strong>afts-Beri<strong>ch</strong>terstattung) auf zugrundelie-<br />

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Ivo Hajnal<br />

gende allgemeine, d.h. generis<strong>ch</strong>e Frames. Häufiger sind jedo<strong>ch</strong> diejenigen Studien, die auf<br />

einem bestimmten Ereignis oder einer spezifis<strong>ch</strong>en Kontroverse aufbauen.<br />

Medienverglei<strong>ch</strong> versus Zeitablauf: Themenbezogene Untersu<strong>ch</strong>ungen prüfen, ob und wie<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Medien bestimmte Ereignisse unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> „framen“. Oder wie in der Beri<strong>ch</strong>terstattung<br />

spezifis<strong>ch</strong>e Frames im Zeitverlauf entstehen.<br />

Framing-Me<strong>ch</strong>anismen: Journalisten greifen in der tägli<strong>ch</strong>en Arbeit zum Verständnis der Realität,<br />

über die sie beri<strong>ch</strong>ten, auf Frames zurück. Zur Strukturierung ihrer Texte rücken sie dann<br />

bestimmte Aspekte des Ereignisses in den Vordergrund, während sie andere im Hintergrund<br />

belassen oder ausblenden. Inhaltsanalytis<strong>ch</strong>e Untersu<strong>ch</strong>ungen su<strong>ch</strong>en hierfür na<strong>ch</strong> Hinweisen:<br />

etwa im Titel oder Leadtext <strong>von</strong> Artikeln, in den Bildern, Grafiken oder Zitaten. Formal<br />

sind hierbei wiederkehrende S<strong>ch</strong>lüsselwörter, Metaphern, Symbole und Bilder <strong>von</strong> Bed<strong>eu</strong>tung.<br />

d) Als d<strong>eu</strong>ts<strong>ch</strong>e Übersetzungen für „frames“ bieten si<strong>ch</strong> die folgenden Begriffe an:<br />

Rahmungen (–> Rahmenanalyse)<br />

Interpretations-S<strong>ch</strong>emata<br />

Situations- bzw. Szenerie-S<strong>ch</strong>emata<br />

D<strong>eu</strong>tungsmuster<br />

kollektive Bed<strong>eu</strong>tungsmuster<br />

Keine dieser Übersetzungen deckt die Funktion der Frames aber zufriedenstellend ab.<br />

e) Fallbeispiel 8: Die folgenden Fallbeispiele präsentieren repräsentative Frame-basierte Inhaltsanalysen:<br />

(i) Liebes (1992) verglei<strong>ch</strong>t die Beri<strong>ch</strong>terstattung über die so genannte „Intifadah“ mit jener über<br />

den „Golf-Krieg“ im israelis<strong>ch</strong>en und US-Fernsehen. Dabei deckt sie unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e „Framing-<br />

Me<strong>ch</strong>anismen“ auf:<br />

„Excising“: Während des Golf-Kriegs wird in der Beri<strong>ch</strong>terstattung des US-Fernsehens die<br />

Gegenseite – der Irak – ausgeblendet. Dies gilt au<strong>ch</strong> für die Intifadah-Beri<strong>ch</strong>terstattung des<br />

israelis<strong>ch</strong>en Fernsehens. – Umgekehrt zeigt das US-Fernsehen beide Seiten, wobei die Palästinenser<br />

tendenziell eher im Vordergrund stehen.<br />

„Sanitizing“: Die Beri<strong>ch</strong>terstattung des US-Fernsehens zeigt den Golf-Krieg als „sauberen“<br />

Krieg ohne si<strong>ch</strong>tbare Opfer. In der israelis<strong>ch</strong>en Beri<strong>ch</strong>terstattung werden die Opfer der Intifadah<br />

minimiert, bestenfalls die Opfer auf eigener Seite gezeigt.<br />

„Equalizing“: Die Beri<strong>ch</strong>terstattung konstruiert eine s<strong>ch</strong>einbare Glei<strong>ch</strong>heit der Bedrohung<br />

dur<strong>ch</strong> den Irak bzw. dur<strong>ch</strong> die Palästinenser („building up the ennemy“).<br />

„Personalizing“: Das israelis<strong>ch</strong>e Fernsehen personalisiert die Opfer auf der eigenen Seite,<br />

behandelt die Opfer auf palästinensis<strong>ch</strong>er Seite aber anonym. – Das US-Fernsehen personalisiert<br />

tendenziell eher die Palästinenser.<br />

„Demonizing“: In der US-Beri<strong>ch</strong>terstattung über den Golf-Krieg dominiert die Metaphorik<br />

„Gut gegen Böse“. Das israelis<strong>ch</strong>e Fernsehen präsentiert die jungen Palästinenser als „Gesetzesbre<strong>ch</strong>er“.<br />

Seite 52


Ivo Hajnal<br />

„Contextualizing“: Das US-Fernsehen wie das israelis<strong>ch</strong>e Fernsehen liefern jeweils mehr Kontext<br />

über die Gegenseite, da darüber kaum Vorwissen besteht.<br />

Zusammenfassend lässt si<strong>ch</strong> beoba<strong>ch</strong>ten, dass das journalistis<strong>ch</strong>e System jeweils den „eigenen“<br />

Krieg aus einer anderen Perspektive zeigt als den Krieg „der anderen“.<br />

(ii) Entmann (1991) analysiert die Presse-Beri<strong>ch</strong>terstattung in den USA über den KAL-Abs<strong>ch</strong>uss dur<strong>ch</strong><br />

einen sowjetis<strong>ch</strong>en Abfangjäger (1.9.1983, 269 Opfer) sowie den „Iran-Luft-Zwis<strong>ch</strong>enfall“ (Abs<strong>ch</strong>uss<br />

eines iranis<strong>ch</strong>en Jumbo-Jets dur<strong>ch</strong> ein US-S<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>iff, 3.7.1988, 290 Opfer). Dabei erkennt<br />

er die folgenden Frame-S<strong>ch</strong>emata:<br />

„Sizing“: Informationselemente werden aufgeblasen („magifying“) oder relativiert („shrinking“).<br />

„Agency“: Wie wird der Verursa<strong>ch</strong>er dargestellt?<br />

„Identification“: Wie werden die Opfer unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> dargestellt?<br />

„Categorization“: Wel<strong>ch</strong>e Labels werden zur Bes<strong>ch</strong>reibung des Ereignisses verwendet (z.B.<br />

„tragedy“ oder „attack“)?<br />

„Generalization“: Wird das Ereignis als Einzelfall oder als Symptom generalisierend interpretiert?<br />

(iii) Semetko/Valkenburg (2000) untersu<strong>ch</strong>en das Vorkommen <strong>von</strong> fünf Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten-Frames in 2’601<br />

Presse- und 1'522 TV-Beri<strong>ch</strong>ten im Umfeld eines Treffens <strong>eu</strong>ropäis<strong>ch</strong>er Regierungs<strong>ch</strong>efs in Amsterdam<br />

im Jahre 1997. Die Frames „Zus<strong>ch</strong>reibung <strong>von</strong> Verantwortung“, „Konflikt“, „Human interest“,<br />

„wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Konsequenzen“ und „Moral“ werden mittels folgender Skala identifiziert:<br />

Die Resultate der <strong>Analyse</strong>:<br />

Seite 53


Ivo Hajnal<br />

In der Beri<strong>ch</strong>terstattung steht das Frame „Zus<strong>ch</strong>reibung <strong>von</strong> Verantwortung“ an erster Stelle,<br />

gefolgt vom Konflikt-Frame.<br />

Etwas s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>er ausgeprägt sind die Frames „wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Konsequenzen“ und „Human<br />

interest“.<br />

Die massgebli<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>iede in der Verwendung <strong>von</strong> Frames bestehen ni<strong>ch</strong>t zwis<strong>ch</strong>en<br />

dem Fernsehen und der Presse, sondern zwis<strong>ch</strong>en „seriösen“ und „sensationsorientierten“<br />

Medienanbietern.<br />

Frames werden daneben themenspezifis<strong>ch</strong> verwendet: Für das Thema „<strong>eu</strong>ropäis<strong>ch</strong>e Integration“<br />

stehen am häufigsten die Frames „Zus<strong>ch</strong>reibung <strong>von</strong> Verantwortung“ und „Konflikt“.<br />

(iv) Der Fall Karl-Heinz Grasser: Die eri<strong>ch</strong>terstattung über die Beziehung <strong>von</strong> Finanzminister Karl-<br />

Heinz Grasser und Millionenerbin Fiona Swarowski löst in der Presse ganz bestimmte Frameing-<br />

Reflexe aus:<br />

(Text 1) Wiener Minister auf S<strong>ch</strong>arpings Spuren<br />

Auf Österrei<strong>ch</strong>s Finanzminister Karl-Heinz Grasser muss man keine Paparazzi ansetzen. Er sorgt<br />

s<strong>ch</strong>on selbst dafür, dass Fotografen im ri<strong>ch</strong>tigen Moment zur Stelle sind. Derzeit präsentiert der<br />

36-Jährige ihnen ganz ungeniert Frühlingsgefühle, denen au<strong>ch</strong> die ungemütli<strong>ch</strong>en Temperaturen<br />

in Wien ni<strong>ch</strong>ts anhaben können. Zudem verbringt er so viel Zeit wie mögli<strong>ch</strong> außerhalb: So<br />

eilte er au<strong>ch</strong> am vorigen Wo<strong>ch</strong>enende na<strong>ch</strong> Capri, um den legendären Sonnenuntergang an<br />

der Seite seiner n<strong>eu</strong>en Flamme zu genießen. Fiona Swarowski heißt die Angebetete, ist Multimillionärin<br />

aus dem glei<strong>ch</strong>namigen Tiroler Kristall-Konzern und Mitglied des Jetsets.<br />

Die Verbindung füllt die Zeitungen, seit das Paar vor einigen Wo<strong>ch</strong>en <strong>von</strong> einer S<strong>ch</strong>ülergruppe<br />

auf dem Pariser Flughafen fotografiert wurde. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war Grasser<br />

no<strong>ch</strong> mit einer anderen verlobt und stritt eine n<strong>eu</strong>e Affäre ab. Do<strong>ch</strong> seit er vor zwei Wo<strong>ch</strong>en<br />

die Verlobung offiziell gelöst hat, tut er si<strong>ch</strong> keinen Zwang mehr an. Und Fiona Swarowski<br />

ma<strong>ch</strong>te ihm im Corriere della Sera bereits eine öffentli<strong>ch</strong>e Liebeserklärung.<br />

Selbst seriöse Blätter wollen ihren Lesern Fotos <strong>von</strong> Grasser in Badehose mit Panther-Muster<br />

ni<strong>ch</strong>t vorenthalten. Do<strong>ch</strong>: "Was darf eigentli<strong>ch</strong> ein Finanzminister?", fragt die Gratiszeitung<br />

H<strong>eu</strong>te ihre Leser mit der Bitte um Zus<strong>ch</strong>riften. Die Affäre weckt Erinnerungen an den Fall des<br />

früheren d<strong>eu</strong>ts<strong>ch</strong>en Verteidigungsministers Rudolf S<strong>ch</strong>arping (SPD), dessen Abs<strong>ch</strong>ied aus dem<br />

Kabinett mit Badefotos auf Mallorca eingeleitet wurde.<br />

Grasser hatte s<strong>ch</strong>on immer einen Hang zur Selbstinszenierung. So ließ er si<strong>ch</strong> seine Homepage<br />

mit 283.000 Euro vom Industriellenverband sponsern. Kinderfotos entfernte der eitle Minister<br />

aber erst, als die Frage auftau<strong>ch</strong>te, warum für die Spende keine S<strong>ch</strong>enkungsst<strong>eu</strong>er anfiele.<br />

2002 konnte die ÖVP, die den einstigen S<strong>ch</strong>ützling des Re<strong>ch</strong>tspopulisten Haider vor den Wahlen<br />

in ihr Lager zog, mit dem fes<strong>ch</strong>en Grasser no<strong>ch</strong> punkten. Do<strong>ch</strong> was die Homepage-Affäre,<br />

s<strong>ch</strong>lampige Budgets oder exorbitante Repräsentationsausgaben ni<strong>ch</strong>t errei<strong>ch</strong>ten, könnte nun<br />

das Capri-Abent<strong>eu</strong>er eingeleitet haben. Inzwis<strong>ch</strong>en wird Grasser in der Umgebung <strong>von</strong> Bundeskanzler<br />

S<strong>ch</strong>üssel als Belastung gesehen. Es wird offen darüber na<strong>ch</strong>geda<strong>ch</strong>t, wohin man<br />

den Mann vor der nä<strong>ch</strong>sten Wahl wegloben könnte.<br />

RALF LEONHARD<br />

taz Nr. 7662 vom 12.5.2005, Seite 2, 81 Zeilen (Portrait), RALF LEONHARD<br />

(Text 2) Kommentar: Grassers öffentli<strong>ch</strong>es Liebesglück<br />

Seite 54


Der internationale Jetset erobert die österrei<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Politik - in grünen Badehosen<br />

Die Homepage-Affäre ist <strong>von</strong> ihm abgefallen. Jetzt hat er Fiona am Hals. Soll ihm ni<strong>ch</strong>ts<br />

S<strong>ch</strong>limmeres passieren. Karl- Heinz Grasser hat sein Liebesglück gefunden. Und Dank der Pro-<br />

minenz seiner n<strong>eu</strong>en Flamme und der daran gehefteten Paparazzi müssen oder dürfen wir alle<br />

daran teilhaben. Immerhin gibt das einigen Abgeordneten jetzt die Mögli<strong>ch</strong>keit, die Bild-<br />

Zeitung ganz offen au<strong>ch</strong> im Parlament zu lesen. Oder sie wenigstens anzus<strong>ch</strong>auen.<br />

Privatsphäre kaum vorhanden<br />

Fiona Swarovski ist eine s<strong>ch</strong>illernde Figur im internationalen Jetset. Privatsphäre ist dort kaum<br />

vorhanden. Das weiß Frau Swarovski, und sie spielt damit. Das weiß au<strong>ch</strong> Karl-Heinz Grasser,<br />

und er spielt mit. Etwa am Flughafen Charles de Gaulle, als die ersten Fotos der knospenden<br />

und eigentli<strong>ch</strong> geheimen Liebe ges<strong>ch</strong>ossen wurden, da war Grasser ja no<strong>ch</strong> an seine Verlobte<br />

gebunden, in der ÖVP ist das dur<strong>ch</strong>aus ein Thema.<br />

Gutes Ges<strong>ch</strong>äft<br />

Dass Fiona Swarovski mit der Öffentli<strong>ch</strong>keit umgehen kann, weiß man ni<strong>ch</strong>t nur aus eins<strong>ch</strong>lägi-<br />

gen Medien wie Gala, Bunte oder Frau im Spiegel, die ihre jeweiligen Beziehungen aufzei<strong>ch</strong>-<br />

nen. Und das ist ja gar ni<strong>ch</strong>ts Verwerfli<strong>ch</strong>es, hier wird vorhandene N<strong>eu</strong>gier befriedigt, die im<br />

Übrigen ein gutes Ges<strong>ch</strong>äft ist, im Idealfall für beide Seiten, für Na<strong>ch</strong>frager und Na<strong>ch</strong>gefragte.<br />

Frau Swarovski trägt ihr Herz au<strong>ch</strong> auf der Zunge, wenn sie uns und ihm über Interviews ihre<br />

Liebe gesteht und den Kinderwuns<strong>ch</strong> ausri<strong>ch</strong>tet.<br />

Hormongest<strong>eu</strong>erten Jetset-Leben<br />

So ist endli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Grasser Teil des Jetsets, jetzt au<strong>ch</strong> des internationalen, das gönnen wir ihm<br />

herzli<strong>ch</strong>, und das gefällt ihm si<strong>ch</strong>er gut. Finanz^minister ist er übrigens au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> und Teil des<br />

ÖVP-Regierungsteams. Dort fragt man si<strong>ch</strong>, wie das wohl beim Wähler ankommt. Die Marke<br />

KHG, an der er selbst so intensiv gebastelt hat und die ohnedies s<strong>ch</strong>on ordentli<strong>ch</strong> ramponiert<br />

ist, werde dadur<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> weiter bes<strong>ch</strong>ädigt, glauben Meinungsfors<strong>ch</strong>er. Die Rolle eines seriösen<br />

Finanzministers passe mit einem "hormongest<strong>eu</strong>erten Jetset-Leben" nur s<strong>ch</strong>wer zusammen,<br />

heißt es. Mag sein, dass si<strong>ch</strong> Wolfgang S<strong>ch</strong>üssel mit der Überlegung, Fiona in den Wahlkampf<br />

einzubauen, no<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>wer tut, aber andererseits ist das allemal besser als die Homepage-<br />

Affäre. Und wenn dann au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> Fionas Kinderwuns<strong>ch</strong> in Erfüllung geht - Grasser hat s<strong>ch</strong>on<br />

bewiesen, dass er alles, au<strong>ch</strong> sein Privatleben, zu vermarkten bereit ist, wenn es seiner Karrie-<br />

re, derzeit no<strong>ch</strong> politis<strong>ch</strong>, bald viellei<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> privatwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>, nützen möge.<br />

Geeignete Marketingstrategie<br />

S<strong>ch</strong>üssel und die ÖVP werden versu<strong>ch</strong>en, das n<strong>eu</strong>e Image des KHG, das ganz wesentli<strong>ch</strong> das<br />

öffentli<strong>ch</strong> ausgetragene Liebesglück beinhaltet, mit einer geeigneten Marketingstrategie zu<br />

seinen und damit au<strong>ch</strong> ihren Gunsten politis<strong>ch</strong> zu verwerten. Heiße Küsse auf Capri, Sonne und<br />

grüne Badehose, daraus muss si<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> etwas ma<strong>ch</strong>en lassen. Muss nur no<strong>ch</strong> das Budget hal-<br />

ten. Grasser muss nur aufpassen, dass er dabei ni<strong>ch</strong>t zur Witzfigur verkommt, und da ist er<br />

s<strong>ch</strong>on verdammt knapp dran. Andererseits ist er, na<strong>ch</strong> dem massiven Abbau Jörg Haiders, der<br />

mit seinem BZÖ radikal an Attraktivität und Glaubwürdigkeit in jeder Hinsi<strong>ch</strong>t verloren hat, die<br />

einzig s<strong>ch</strong>illernde Figur in Österrei<strong>ch</strong>s Innenpolitik. Ganz wertfrei gesagt. Unter vielen, Pardon,<br />

Langweilern.<br />

Privatleben<br />

Politik besteht ni<strong>ch</strong>t nur aus Sa<strong>ch</strong>themen, vor allem ni<strong>ch</strong>t im "Verkauf" an die Wähler, auf die-<br />

sem Klavier spielen ja alle Parteien. Politik besteht zu einem großen Teil aus dem "Verkauf",<br />

Ivo Hajnal<br />

Seite 55


aus Image und aus der Vermittlung des Gefühls, gut aufgehoben zu sein. Da kann die ÖVP mit<br />

Grasser, so er ihr überhaupt in der Politik erhalten bleibt, ein gutes Ges<strong>ch</strong>äft ma<strong>ch</strong>en oder ab-<br />

stürzen. Im Augenblick sieht es na<strong>ch</strong> Absturz aus. Diesem Mann unser Geld anvertrauen? Gras-<br />

ser vermittelt kaum den Eindruck, er sei auf den internationalen Finanzmärkten zu Hause,<br />

eher auf den Malediven oder auf Capri, au<strong>ch</strong> wenn er dort mit vers<strong>ch</strong>iedenen Frauen herum-<br />

turtelte. Grasser hat selbst als Spitzenpolitiker das Re<strong>ch</strong>t auf ein ausgefülltes Privatleben, aber<br />

er sollte es eben privat leben. Viellei<strong>ch</strong>t kann das Fiona begreifen.<br />

Mi<strong>ch</strong>ael Völker, DER STANDARD Printausgabe 12.5.2005<br />

Ivo Hajnal<br />

Diese Fallbeispiele zeigen allerdings au<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en und Widersprü<strong>ch</strong>e des Framing-Ansatzes.<br />

So ist in der empiris<strong>ch</strong>en Fors<strong>ch</strong>ung etwa unklar, wel<strong>ch</strong>e Kriterien für einen Frame gegeben sein<br />

müssen. Ungeklärt sind ferner die folgenden Fragen:<br />

Wie stabil sind die Selektionskriterien der Journalisten?<br />

Verändern S<strong>ch</strong>lüsselereignisse (engl. landmark events) die Frames?<br />

Wel<strong>ch</strong>e Kriterien müssen auf Textebene erfüllt sein, damit bei einer Inhaltsanalyse <strong>von</strong> einem<br />

Frame gespro<strong>ch</strong>en werden darf. (So besteht bei der Codierung zuhanden einer Inhaltsanalyse<br />

stets die Gefahr, dass ni<strong>ch</strong>t präzise zwis<strong>ch</strong>en einem blossen Thema und einem Frame unters<strong>ch</strong>ieden<br />

wird.)<br />

Ein letzter innerer Widerspru<strong>ch</strong>: Um die Framing-Prozesse in der Medienberi<strong>ch</strong>terstattung zu erfassen,<br />

genügt es ni<strong>ch</strong>t, nur die journalistis<strong>ch</strong>en Filter oder Raster zu betra<strong>ch</strong>ten. Vielmehr „framen“<br />

bereits die dem Mediensystem vorgelagerten Quellen: konstruieren, (des)informieren, interpretieren,<br />

verhindern, verpacken, „instrumentalisieren“ bestimmte Ereignisse. Au<strong>ch</strong> dies ist zu berücksi<strong>ch</strong>tigen,<br />

um den Frame-Ansatz ganzheitli<strong>ch</strong> nutzbar zu ma<strong>ch</strong>en.<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt V: Semiotik<br />

V.1: Semiotik und Publizistikwissens<strong>ch</strong>aft<br />

a) Die Semiotik bzw. „Zei<strong>ch</strong>enlehre“ findet seit den 70er Jahren au<strong>ch</strong> bei der <strong>Analyse</strong> <strong>von</strong> Medieninhalten<br />

Verwendung.<br />

Grundsätzli<strong>ch</strong> basiert die Semiotik auf der Erkenntnis, dass jegli<strong>ch</strong>e kulturelle Handlung und jegli<strong>ch</strong>es<br />

aus einer kulturellen Handlung entstandene Produkt Zei<strong>ch</strong>en<strong>ch</strong>arakter hat bzw. zu einem Zei<strong>ch</strong>ensystem<br />

gehört. Die Grundfragen der Semiotik lauten daher: Was sind Zei<strong>ch</strong>en? Und: Wie ermögli<strong>ch</strong>en<br />

Zei<strong>ch</strong>en mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Kommunikation?<br />

b) Zei<strong>ch</strong>en sind materielle Objekte, die arbiträr dur<strong>ch</strong> einen konventionalisierten Code eine Bed<strong>eu</strong>tung<br />

tragen. Sie verweisen dabei auf die ausserspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Welt. Daher ist jedes Zei<strong>ch</strong>en eine<br />

duale Einheit aus Signifikant (Zei<strong>ch</strong>enträger; franz. signifiant) und Signifikat (Zei<strong>ch</strong>enbed<strong>eu</strong>tung;<br />

franz. signifié):<br />

Seite 56


Ivo Hajnal<br />

Die Denotation eines Zei<strong>ch</strong>ens ist seine grundlegende und konstante Position im semantis<strong>ch</strong>en<br />

Raum; also seine primäre Bed<strong>eu</strong>tung, die Personen in einem Spra<strong>ch</strong>raum dem Zei<strong>ch</strong>en zuordnen.<br />

Die Konnotation eines Zei<strong>ch</strong>ens bezieht si<strong>ch</strong> auf weitere sekundäre Relationen im semantis<strong>ch</strong>en<br />

Raum; d.h. auf zusätzli<strong>ch</strong>e Bed<strong>eu</strong>tungen, die ni<strong>ch</strong>t <strong>von</strong> allen Spra<strong>ch</strong>teilnehmern geteilt werden müssen<br />

(z.B. affektive Bed<strong>eu</strong>tungskomponenten).<br />

Ein Zei<strong>ch</strong>en als Einheit <strong>von</strong> Signifikant und Signifikat kann in einem semiotis<strong>ch</strong>en System zu einem<br />

n<strong>eu</strong>en Signifikanten auf Meta-Ebene und damit zu einem Mythos werden:<br />

Beispiel: Die Armbrust als Waffe konnotiert im Zusammenhang mit S<strong>ch</strong>illers „Wilhelm Tell“ Attribute<br />

wie „Zuverlässigkeit“ und „Präzision“. Auf S<strong>ch</strong>weizer Produkten wurde darum lange Zeit eine<br />

stilisierte Armbrust als Ikon für „S<strong>ch</strong>weizer Qualität“ verwendet. Auf der zweiten Ebene des Mythos<br />

bzw. der Ideologie dienen somit Signifikant+Signifikat der ersten Ebene als n<strong>eu</strong>er Signifikant.<br />

Die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en Signifikant und Signifikat auf Ebene des Mythos ist metonymis<strong>ch</strong> (Metonymie<br />

= Namensvertaus<strong>ch</strong>ung, übertragener Gebrau<strong>ch</strong> eines Zei<strong>ch</strong>ens): ein einzelnes konkretes Ikon<br />

steht für „Qualität“. Ebenso kann diese Beziehung auf einer Synekdo<strong>ch</strong>e beruhen: auf der Metaebene<br />

steht ein Teil (Signifikant) für das Ganze (Siginifikat). Beispiel: Das Bild des Eiffelturms als Zei<strong>ch</strong>en<br />

für ganz Paris.<br />

Das Ziel vieler semiotis<strong>ch</strong>er Inhaltsanalysen besteht darin, die komplexen Zusammenhänge zwis<strong>ch</strong>en<br />

den auf der Oberflä<strong>ch</strong>e liegenden denotativen Bed<strong>eu</strong>tungselementen und den tiefer liegenden<br />

konnotativen bzw. mythologis<strong>ch</strong>en Bed<strong>eu</strong>tungsstrukturen herauszuarbeiten.<br />

c) Da die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en Signifikant und Signifikat gemäss b arbiträr ist, beruht sie auf einer<br />

codierten Konvention. Mit „Code“ bezei<strong>ch</strong>nen wir dabei jedes Regelsystem einer Spra<strong>ch</strong>e, das die<br />

Spra<strong>ch</strong>teilnehmer lernen müssen, um miteinander zu kommunizieren. Neben der Spra<strong>ch</strong>e existieren<br />

Seite 57


Ivo Hajnal<br />

weitere Codes des kulturellen Systems. So benennt der Eco (1972) kinematographis<strong>ch</strong>e, rhetoris<strong>ch</strong>e<br />

und stilistis<strong>ch</strong>-ästhetis<strong>ch</strong>e Codes. Anders unters<strong>ch</strong>eidet Fiske (1987) drei Codeebenen im Fernsehen:<br />

Realität: Jedes im Fernsehen ers<strong>ch</strong>einende Ereignis ist codiert auf Grund sozialer Codes wie<br />

Ers<strong>ch</strong>einung, Kleidung, Make-up, Spra<strong>ch</strong>e, Gestik usw.<br />

Repräsentation: Das Fernsehen als Medium s<strong>ch</strong>afft eine n<strong>eu</strong>e mediale Wirkli<strong>ch</strong>keit auf Grund<br />

seiner spezifis<strong>ch</strong>er Codes wie Kameraperspektive, Li<strong>ch</strong>t, S<strong>ch</strong>nitt, Ton usw.<br />

Ideologie: Die Codeebene der Realität und der Repräsentation sind ihrerseits eingebettet in<br />

umfassende ideologis<strong>ch</strong>e Codes wie etwa in die konventionellen westli<strong>ch</strong>en Zielgruppenmoral.<br />

Obs<strong>ch</strong>on der Zei<strong>ch</strong>engebrau<strong>ch</strong> codiert ist, bleibt die Bed<strong>eu</strong>tung <strong>von</strong> Zei<strong>ch</strong>en (franz. langue) ni<strong>ch</strong>t<br />

fixiert und feststehend. Vielmehr ergibt sie si<strong>ch</strong> relational in Bezug auf die mit ihnen verbundenen<br />

übrigen Zei<strong>ch</strong>en, kann si<strong>ch</strong> im Prozess der Spra<strong>ch</strong>verwendung und des kulturellen Wandels (franz.<br />

parole) verändern. Dies hat Konsequenzen für die Zei<strong>ch</strong>enanalyse, indem einzelne Zei<strong>ch</strong>en immer in<br />

Bezug auf andere anwesende oder abwesende Zei<strong>ch</strong>en hin analysiert werden müssen.<br />

Zei<strong>ch</strong>enstrukturen lassen si<strong>ch</strong> dabei hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> zweier A<strong>ch</strong>sen untersu<strong>ch</strong>en:<br />

Auf der Kombinationsa<strong>ch</strong>se: Die syntagmatis<strong>ch</strong>e Betra<strong>ch</strong>tung bezieht si<strong>ch</strong> auf die Elemente<br />

des Codes (z.B. Wörter), die in einer Kette (z.B. Satz) verknüpft werden.<br />

Auf der Selektionsa<strong>ch</strong>se: Die paradigmatis<strong>ch</strong>e Betra<strong>ch</strong>tung bezieht si<strong>ch</strong> auf die Frage, wel<strong>ch</strong>e<br />

Elemente des glei<strong>ch</strong>en Typs eine bestimmte Position im Syntagma (z.B. als Subjekt) besetzen<br />

können.<br />

Übli<strong>ch</strong>erweise lassen si<strong>ch</strong> drei Zei<strong>ch</strong>entypen unters<strong>ch</strong>eiden:<br />

Index: Es besteht ein physis<strong>ch</strong>er Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Zei<strong>ch</strong>en und bezei<strong>ch</strong>netem Gegenstand.<br />

Beispiel: Rau<strong>ch</strong> als Symptom <strong>von</strong> F<strong>eu</strong>er.<br />

Ikon: Es besteht eine Ähnli<strong>ch</strong>keit zum bezei<strong>ch</strong>neten Gegenstand auf Grund innerer Merkmale<br />

des Zei<strong>ch</strong>ens. Beispiel: Fotografien.<br />

Symbol: Es besteht kein Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Zei<strong>ch</strong>en und bezei<strong>ch</strong>netem Gegenstand,<br />

die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en beiden ist arbiträr dur<strong>ch</strong> den Code festgelegt. Beispiel: spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />

Zei<strong>ch</strong>en.<br />

d) In der Publizistikwissens<strong>ch</strong>aft ist das Modell <strong>von</strong> Morris (1938) breit rezipiert und in konkreten<br />

<strong>Analyse</strong>n umgesetzt. Morris unters<strong>ch</strong>eidet drei Zei<strong>ch</strong>enrelationen bzw. Betra<strong>ch</strong>tungsweisen des<br />

Zei<strong>ch</strong>ens:<br />

Syntax: Betra<strong>ch</strong>tet werden Zei<strong>ch</strong>en im Hinblick auf die Kombinationsregeln mit anderen Zei<strong>ch</strong>en:<br />

z.B. im Hinblick auf Satzstrukturen und Worte.<br />

Semantik: Betra<strong>ch</strong>tet werden Zei<strong>ch</strong>en im Hinblick auf ihre Bed<strong>eu</strong>tung.<br />

Pragmatik: Betra<strong>ch</strong>tet werden Zei<strong>ch</strong>en im Hinblick auf ihre Herkunft und ihre Wirkung auf<br />

den Empfänger.<br />

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V.2: Semiotis<strong>ch</strong>e <strong>Analyse</strong>n<br />

Ivo Hajnal<br />

a) In seinem klassis<strong>ch</strong>en Aufsatz „Rhétorique de l’image“ begründet R. Barthes (1964) die visuelle<br />

Semantik. In seiner <strong>Analyse</strong> untersu<strong>ch</strong>t er die folgende französis<strong>ch</strong>e Werbeanzeige für Spaghetti der<br />

Marke Panzani.<br />

Seite 59


Hierbei unters<strong>ch</strong>eidet Barthes drei <strong>Analyse</strong>ebenen:<br />

Ivo Hajnal<br />

Die si<strong>ch</strong>tbare, codierte linguistis<strong>ch</strong>e Ebene: Sie besteht aus dem Slogan „Pates – Sauces –<br />

Parmesan. A L’Italienne De Luxe“. Die Denotation beruht auf dem Code der französis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>e, die Konnotation des Zei<strong>ch</strong>ens „Panzani“auf seiner „Italianität“.<br />

Die sinnli<strong>ch</strong> wahrgenommene, ni<strong>ch</strong>t-codierte, quasi bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>e ikonis<strong>ch</strong>e Ebene: Sie besteht<br />

aus einer Reihe ni<strong>ch</strong>tzusammenhängender Zei<strong>ch</strong>en, deren Ordnung ni<strong>ch</strong>t linear ist.<br />

o Das erste Zei<strong>ch</strong>en: Ein halboffenes Einkaufsnetz.<br />

Seite 60


o Das zweite Zei<strong>ch</strong>en: Die Farben Rot, Grün und Weiss.<br />

Ivo Hajnal<br />

o Das dritte Zei<strong>ch</strong>en: Mehrere Nahrungsmittel natürli<strong>ch</strong>er wie industrieller Produktion<br />

(Tomaten, Zwiebeln, Pilze, Pasta usw.)<br />

o Das vierte Zei<strong>ch</strong>en: Unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Produktelogos.<br />

Die so genannte „rhetoris<strong>ch</strong>e“ Ebene: Die sinnli<strong>ch</strong> wahrgenommenen Zei<strong>ch</strong>en (Bildelemente)<br />

stehen für eine kulturell codierte ikonis<strong>ch</strong>e Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t.<br />

o Das erste Zei<strong>ch</strong>en: Die Szene repräsentiert die Rückkehr vom Markt. Sie steht für „Produktefris<strong>ch</strong>e“<br />

und „häusli<strong>ch</strong>e Zubereitung (Hausmannskost)“. D<strong>eu</strong>tli<strong>ch</strong> wird dies anhand<br />

des halboffenen Einkaufsnetzes, dessen Inhalt unverpackt auf den Tis<strong>ch</strong> rollt.<br />

o Das zweite Zei<strong>ch</strong>en: Das Bild vereinigt die Farben Rot (Tomaten), Grün und Weiss. Diese<br />

Kombination steht in Zusammenhang und in Redundanz mit dem spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Zei<strong>ch</strong>en<br />

„Panzani“ für „Italianität“.<br />

o Das dritte Zei<strong>ch</strong>en: Die Vereinigung unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Nahrungsmittel steht für eine<br />

umfassende, natürli<strong>ch</strong>e und ausgewogene Versorgung dur<strong>ch</strong> das Unternehmen Panzani.<br />

o Das vierte Zei<strong>ch</strong>en: Das Arrangement auf dem Bild steht für Lebendigkeit. Die prominente<br />

Darstellung des Logos signalisiert zudem, dass es si<strong>ch</strong> um eine Werbeanzeige<br />

handelt.<br />

b) U. Eco (1972) unters<strong>ch</strong>eidet wie Barthes in der Werbung eine verbale und eine visuelle Ebene,<br />

wobei er <strong>von</strong> „Registern“ spri<strong>ch</strong>t. Im visuellen Register unters<strong>ch</strong>eidet er – anders als Barthes – ni<strong>ch</strong>t<br />

zwei, sondern drei Ebenen:<br />

Die ikonis<strong>ch</strong>e Ebene: Analog zur denotativen Bed<strong>eu</strong>tung der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Zei<strong>ch</strong>en existiert<br />

eine unmittelbare, quasi bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>e Bed<strong>eu</strong>tung der im Bild si<strong>ch</strong>tbaren Gegenstände und<br />

Personen.<br />

Die ikonographis<strong>ch</strong>e Ebene: Neben der ikonis<strong>ch</strong>en existiert eine – oft historis<strong>ch</strong> – codifizierte<br />

Bed<strong>eu</strong>tung der auf einem Bild si<strong>ch</strong>tbaren Personen und Gegenstände. Beispiel: eine s<strong>ch</strong>warze<br />

Augenbinde, die für „Pirat“ steht; eine Aureole, die „Heiligkeit“ signalisiert usw.<br />

Die tropologis<strong>ch</strong>e Ebene: Neben der verbalen verwendet au<strong>ch</strong> die visuelle Ebene rhetoris<strong>ch</strong>e<br />

Figuren. Klassis<strong>ch</strong>e rhetoris<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>mittel wie die „Hyperbel“ („Übertreibung“), „Litotes“<br />

(doppelte Verneinung) oder „Metonymie“ (übertragener Gebrau<strong>ch</strong> eines Worts) lassen si<strong>ch</strong><br />

so auf die visuelle Ebene übertragen. Besonders die Werbung setzt auf sol<strong>ch</strong>e Stilmittel und<br />

versu<strong>ch</strong>t mit ihrer Hilfe, Kommunikationsnormen zu verletzen und Aufmerksamkeit zu erz<strong>eu</strong>gen.<br />

Seite 61


Ivo Hajnal<br />

Eco illustriert seine Überlegungen mittels der <strong>Analyse</strong> <strong>von</strong> Werbeanzeigen. Zur Ilustration dient das<br />

Beispiel der folgenden Anzeige für Camay-Seife:<br />

Die Aussage dieser Anzeige lässt si<strong>ch</strong> unter drei Gesi<strong>ch</strong>tspunkten festlegen:<br />

Visuelles Register: Auf ikonis<strong>ch</strong>er Ebene bes<strong>ch</strong>reibt das Bild einen jungen Mann beziehungsweise<br />

eine junge Frau in einer Kunstgalerie. Der Mann s<strong>ch</strong>eint die Frau zu beoba<strong>ch</strong>ten,<br />

die Frau da<strong>von</strong> Notiz zu nehmen. Auf tropologis<strong>ch</strong>er Ebene sind die verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>ten Handlungen<br />

überzei<strong>ch</strong>net und stilisiert: die Blicke des Mannes sind zu herausfordernd, die Erwiderung<br />

der Frau erfolgt allzu offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>. Die ganze Szenerie steht zudem metaphoris<strong>ch</strong> für<br />

die Kombination <strong>von</strong> für Kultur, S<strong>ch</strong>önheit, Ges<strong>ch</strong>mack und Erfolg.<br />

Verbales Register: Der Text lautet „<strong>von</strong> der Camay-Faszination, die den Kopf verdreht“. Es<br />

handelt si<strong>ch</strong> hierbei um eine doppelte Metonymie: die Camay-Seife steht für die Frau und<br />

glei<strong>ch</strong>zeitig für deren Attraktivität. Der Text expliziert diesen Zusammenhang: „Au<strong>ch</strong> Sie können<br />

einem sol<strong>ch</strong>en Mann den Kopf verdrehen … mit Camay. Denn Camay ist die kostbare<br />

kosmetis<strong>ch</strong>e Seife für den Teint … rei<strong>ch</strong> an verführeris<strong>ch</strong>em französis<strong>ch</strong>em Parfum. Ein sehr<br />

t<strong>eu</strong>res, unwiderstehli<strong>ch</strong>es Parfum. … Geben Sie Camay Ihr Vertrauen … wegen dieser Faszination,<br />

die den Kopf verdreht.“<br />

Beziehung zwis<strong>ch</strong>en visuellem und verbalem Register: Das verbale Register verankert das visuelle,<br />

wobei die gesamte Bots<strong>ch</strong>aft auf rhetoris<strong>ch</strong>er wie ideologis<strong>ch</strong>er Ebene redundant ist:<br />

so kommunizieren die beiden Register, dass Erfolg im Leben erotis<strong>ch</strong>, mondän und ökonomis<strong>ch</strong><br />

begründet ist.<br />

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Ivo Hajnal<br />

c) Saxer/Koller (1974) entwickeln auf der Basis <strong>von</strong> Morris’ Zei<strong>ch</strong>entheorie (–> V.1 sub d) ein Kommunikationsmodell<br />

zur Typologisierung <strong>von</strong> Fernsehsendungen. Es verortet Sendungen aufgrund<br />

<strong>von</strong> drei A<strong>ch</strong>sen (Syntax, Semantik, Pragmatik) mit insgesamt se<strong>ch</strong>s Polaritäten:<br />

d) Gesamthaft ist es ein Verdienst der Semiotik, mit ihrem Instrumentarium ni<strong>ch</strong>t nur Texte, sondern<br />

au<strong>ch</strong> Bilder als Zei<strong>ch</strong>ensysteme analysiert zu haben. Allerdings werden au<strong>ch</strong> methodologis<strong>ch</strong>e<br />

S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>punkte si<strong>ch</strong>tbar: Semiotis<strong>ch</strong>e <strong>Analyse</strong>n orientieren si<strong>ch</strong> meist an Einzelfällen beziehungsweise<br />

stellen Fallstudien dar. Deren repräsentativer Anspru<strong>ch</strong> ist ni<strong>ch</strong>t erwiesen.<br />

Zudem blenden semiotis<strong>ch</strong>e <strong>Analyse</strong>n in der Regel den Standort des Analysierenden aus. Sie ziehen<br />

daher ni<strong>ch</strong>t in Betra<strong>ch</strong>t, dass ein Text je na<strong>ch</strong> Vorwissen und kulturellem Selbstverständnis des Lesers<br />

eine andere Bed<strong>eu</strong>tung haben kann.<br />

Gesamthaft muss demna<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> erwiesen werden, ob die semiotis<strong>ch</strong>en Modelle die Bildwirkung<br />

ganzeheitli<strong>ch</strong> erfassen können.<br />

V.3: Text und Bed<strong>eu</strong>tung in den Cultural Studies<br />

a) Wie gezeigt (–> V.2 sub d) verorten herkömmli<strong>ch</strong>e semiotis<strong>ch</strong>e <strong>Analyse</strong>n die „Bed<strong>eu</strong>tung“ auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong><br />

im Text, wobei die Leseweise des Semiotikers ni<strong>ch</strong>t hinterfragt wird. Die Cultural Studies<br />

versu<strong>ch</strong>en, dieses Manko auszuglei<strong>ch</strong>en. Sie stellen die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en Text und Produzent<br />

in den Mittelpunkt der <strong>Analyse</strong>: dabei werden ni<strong>ch</strong>t nur die Textbed<strong>eu</strong>tung selbst, sondern<br />

au<strong>ch</strong> die Encodierung und Decodierung bed<strong>eu</strong>tsam.<br />

Die Cultural Studies bauen auf folgenden Begriffsauffassungen auf:<br />

Text: „Text“ steht für Medientexte generell, also au<strong>ch</strong> für ni<strong>ch</strong>t-s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Texte.<br />

„Aussage“ und „Rezipient“: Erst die Interaktion <strong>von</strong> Medienaussage und Rezipient s<strong>ch</strong>afft<br />

die Textbed<strong>eu</strong>tung. Die Bed<strong>eu</strong>tung, die ein Rezipient einem Text zus<strong>ch</strong>reibt, muss also nur<br />

Seite 63


Ivo Hajnal<br />

partiell mit der Bed<strong>eu</strong>tung übereinstimmen, die vom Textproduzenten beabsi<strong>ch</strong>tigt wurde.<br />

Daraus folgt, dass Texte unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e, vom Rezeptionskontext abhängige Bed<strong>eu</strong>tungen<br />

haben.<br />

Polysemie: Im Gegensatz zur klassis<strong>ch</strong>en Semiotik gehen die Cultural Studies folgli<strong>ch</strong> da<strong>von</strong><br />

aus, dass ein Text polysemis<strong>ch</strong> ist: grundsätzli<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Lesarten zulassen kann.<br />

Multisemie: Die meisten Medientexte sind ni<strong>ch</strong>t nur polysem, sondern beruhen zusätzli<strong>ch</strong> auf<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Codes (Kleider, Gebärden, Spra<strong>ch</strong>e usw.), die wiederum Bed<strong>eu</strong>tung auf vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Ebenen konstituieren.<br />

b) Hall (1981, 1987) postuliert im Sinne der Ausführungen <strong>von</strong> a in seinem „Encoding/Decoding“-<br />

Modell drei Mögli<strong>ch</strong>keiten, Bed<strong>eu</strong>tung aktiv dur<strong>ch</strong> die Rezipienten zu generieren:<br />

Bevorzugte beziehungsweise dominante Lesart (engl. prefered reading): Der Leser decodiert<br />

die Bed<strong>eu</strong>tung eines Texts so, wie sie dur<strong>ch</strong> den Kommunikator intendiert und encodiert<br />

wurde – und zwar innerhalb der glei<strong>ch</strong>en ideologis<strong>ch</strong>en Perspektive beziehungsweise dominanten<br />

Position.<br />

Oppositionelle Lesart (engl. oppositional reading): Der Leser erkennt die dur<strong>ch</strong> den Kommunikator<br />

intendierte dominante Textbed<strong>eu</strong>tung. Er weist diese zurück und konstruiert innerhalb<br />

seines eigenen kulturellen Kontexts im Sinne des „Gegen-den-Stri<strong>ch</strong>-Lesens“ eine gegensätzli<strong>ch</strong>e<br />

beziehungsweise widerstrebende Bed<strong>eu</strong>tung.<br />

Verhandelte Lesart (engl. negotiated reading): Der Leser erkennt in der „verhandelten“ Position<br />

die Legitimität der dominanten Lesart. Er wandelt diese jedo<strong>ch</strong> aufgrund der eigenen<br />

Haltung ab.<br />

c) Gemäss der „Cultural Studies“-Perspektive hat der Rezipient erhebli<strong>ch</strong>en Anteil an der Bed<strong>eu</strong>tung<br />

<strong>von</strong> <strong>Medientexten</strong>. Dabei muss der Rezipient bei der Decodierung au<strong>ch</strong> die Intertextualität<br />

<strong>von</strong> <strong>Medientexten</strong> berücksi<strong>ch</strong>tigen: konkret die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass Medientexte oft auf si<strong>ch</strong> selbst verweisen.<br />

Die Bed<strong>eu</strong>tungskonstruktion eines aktuellen Medientexts wird dabei dur<strong>ch</strong> die assoziierten<br />

Verweise auf früher s<strong>ch</strong>on rezipierte Texte beeinflusst.<br />

Sol<strong>ch</strong>e intertextuellen Verweise erfolgen in der Regel auf Textebene: vgl. so die folgenden Verweise<br />

in einer Ausgabe des Spiegels (Nr. 4/97):<br />

S. 9: Das Phantom der Seifenoper – Film und Musical: „Das Phantom der Oper“<br />

S. 22: Milliarden für Millionen – Fernsehsendung: „Melodien für Millionen“<br />

S. 92: Zurück in die Zukunft – Film: „Zurück in die Zukunft“<br />

S. 164: S<strong>ch</strong>wabing, S<strong>ch</strong>wabing über alles – D<strong>eu</strong>ts<strong>ch</strong>landlied<br />

S. 188: Elf kleine Negerlein – Kinderlied: „Zehn kleine Negerlein“<br />

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Die Verweise sind aber au<strong>ch</strong> auf Bildebene mögli<strong>ch</strong>: vgl. das folgende „Fals<strong>ch</strong>logo“.<br />

Ivo Hajnal<br />

Populäre Texte werden in den Cultural Studies ni<strong>ch</strong>t mehr länger als (nur) defizitär behandelt. Dies<br />

führt zu einer vermehrten Bes<strong>ch</strong>äftigung mit populären Medieninhalten wie etwa Soap Operas. Das<br />

Vergnügen der Rezipienten gilt ni<strong>ch</strong>t mehr länger als unkritis<strong>ch</strong>e Identifikation, sondern gegebenfalls<br />

als Resultat distanzierend-kritis<strong>ch</strong>er Lesarten (Ironie).<br />

Der „Cultural Studies“-Ansatz kann damit zu einem ideologiefreieeren Verständnis aktueller Medieninhalte<br />

führen.<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt VI: <strong>Analyse</strong>praxis und verfahren<br />

VI.1: Synopse inhaltsanalytis<strong>ch</strong>er Verfahren<br />

In I.3 haben wir eine Typologie unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er <strong>Analyse</strong>verfahren vorgestellt. <strong>Analyse</strong>verfahren …<br />

wie die im einleitenden Fallbeispiel unter I.2 verwendeten …<br />

dienen dazu, gemäss der in II vorgestellten Verfahrenss<strong>ch</strong>ritte …<br />

die in III bis V aufgebra<strong>ch</strong>ten Fragestellungen zu beantworten.<br />

Die folgende Synopse soll zunä<strong>ch</strong>st die Vielfalt an <strong>Analyse</strong>verfahren illustrieren:<br />

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Ivo Hajnal<br />

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VI.2: Verfahren auf der syntaktis<strong>ch</strong>-semantis<strong>ch</strong>en Ebene<br />

Ivo Hajnal<br />

a) Weinrei<strong>ch</strong> (1972) entwickelt auf Basis der Dependenzgrammatik das Verfahren der Textpartitur.<br />

Ausgangspunkt des Satzes ist das Verb. Daher wird ein Text auf Grundlage seiner Verben dur<strong>ch</strong>numeriert<br />

und als Kopfzeile der unten abgebildeten Matrix anges<strong>ch</strong>rieben. In der Folge werden die<br />

Verben na<strong>ch</strong> 16 Dimensionen auf das Vorhandensein (I) beziehungsweise Ni<strong>ch</strong>t-Vorhandensein (0)<br />

der entspre<strong>ch</strong>enden Merkmale abgefragt. Damit wird der gesamte Text einer numeris<strong>ch</strong>en, binären<br />

Codierung unterworfen.<br />

Beispiel: Der Satz „Trotzdem i<strong>ch</strong> das ja ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>tig überlegt hatte“ ist der 28. Satz des Textcorpus.<br />

Er lässt si<strong>ch</strong> wie folgt codieren: Spalte 28 der zweiten Partiturzeile erhält …<br />

… auf Grund seiner Negation bei Merkmal A die Codierung „I“.<br />

… auf Grund des singularis<strong>ch</strong>en Verbs bei Merkmal B die Codierung „0“.<br />

… auf Grund der 1. Person bei Merkmal C die Codierung „I“.<br />

… auf Grund der 1. Person bei Merkmal D die Codierung „0“.<br />

… auf Grund der Mehrwertigkeit des Aktanten („überlegt hatte“) bei Merkmal E die Codierung<br />

„I“.<br />

… auf Grund der Zweiwertigkeit des Aktanten („überlegt hatte“) bei Merkmal F die Codierung<br />

„0“.<br />

usw.<br />

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Ivo Hajnal<br />

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Ivo Hajnal<br />

Parallel zur Textpartitur entwickelt Weinrei<strong>ch</strong> eine Textübergangspartitur. Diese unters<strong>ch</strong>eidet zwis<strong>ch</strong>en<br />

glei<strong>ch</strong>en und unglei<strong>ch</strong>en Übergängen: Liegt bei zwei aufeinanderfolgenden Verben in derselben<br />

Kategorie eine glei<strong>ch</strong>e Codierung vor (z.B. „I I“), wird in der Übergangspartitur jeweils eine „0“<br />

codiert und umgekehrt. In der Abbildung auf Seite 64 we<strong>ch</strong>selt beispielsweise in Satz 26 bis 29 die<br />

Negation mit der Affirmation kontinuierli<strong>ch</strong> ab, so dass in der Übergangspartitur die Codes „I I I I“<br />

einzutragen wären.<br />

Die Textpartitur führt zu folgenden Ergebnissen: Da die letzte Spalte der Partitur Relationen angibt,<br />

lassen si<strong>ch</strong> daraus Indices erre<strong>ch</strong>nen. Diese Indices können im Sinne eines inferentiellen Verfahrens<br />

mit bestimmten Textmerkmalen (z.B. Textsorten) oder gar textexternen Merkmalen in Verbindung<br />

gebra<strong>ch</strong>t werden.<br />

Fallbeispiel 9: Textübergangspartituranalyse einer typis<strong>ch</strong>en BILD-Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t.<br />

Dieser Intercity hat si<strong>ch</strong> verfahren<br />

Hamburg/Köln – Die Pannen bei der D<strong>eu</strong>ts<strong>ch</strong>en Bahn AG werden immer kurioser.<br />

Diesmal verfuhr si<strong>ch</strong> ein ganzer „InterCity“ mit rund 500 Fahrgästen!<br />

Der „IC 13120“ wollte um 18.03 Uhr <strong>von</strong> Köln na<strong>ch</strong> Hamburg. Geplante Fahrzeit: 4 Stunden.<br />

Do<strong>ch</strong> der Zug landete auf der Strecke Ri<strong>ch</strong>tung Frankfurt/Main! Fahrgast Claus R. (31): „Mir<br />

kam die Gegend unbekannt vor, i<strong>ch</strong> sagte einem Bahnangestellten Bes<strong>ch</strong>eid. Der meinte nur:<br />

‚Das hat hier alles seine Ordnung!‘“ Erst na<strong>ch</strong> 18 Minuten bemerkte der Lokführer (37) den<br />

Fehler. Der „InterCity“ wurde bei Köln-Kalk (NRW) gestoppt. Die Lok mußte über ein Nebengleis<br />

an das Zugende rangiert werden. Dann ging es endli<strong>ch</strong> Ri<strong>ch</strong>tung Hamburg. Wie konnte<br />

das passieren? Bahn-Spre<strong>ch</strong>erin Sabine Brunckhorst (43): „Dem Zug wurde eine fals<strong>ch</strong>e Leitziffer<br />

zugeordnet. Das ist ein elektronis<strong>ch</strong>er Code, der die Wei<strong>ch</strong>enstellung regelt. Wir ents<strong>ch</strong>uldigen<br />

uns dafür.“ Der Zug kam mit 44 Minuten Verspätung in Hamburg an. Den Fahrpreis (ab 63<br />

Euro) gibt’s aber ni<strong>ch</strong>t zurück. Sabine Brunckhorst: „Erst ab 60 Minuten Verspätung erstatten<br />

wir 20 Prozent.“<br />

b) Die Wortanalyse ist ein Verfahren, bei dem die Häufigkeit bestimmter Wortklassen (z.B. Verben,<br />

Substantive, Adjektive) in einem Text ausgezählt wird. Zwar interessiert dabei die semantis<strong>ch</strong>e Referenz<br />

der Wortarten ni<strong>ch</strong>t primär – do<strong>ch</strong> setzt deren Trennung indirekt do<strong>ch</strong> die semantis<strong>ch</strong>e Ebene<br />

voraus.<br />

Den Grundstein zur Entwicklung der Wortanalyse legt Busemann (1925, 1926). In Anlehnung an<br />

die vier Wundts<strong>ch</strong>en Kategorien (Gegenstand, Eigens<strong>ch</strong>aft, Zustand, Beziehung) nimmt er eine Differenzierung<br />

in aktionale und qualitative Aussagen vor:<br />

aktionale Aussagen: alle Verben ausser die Hilfsverben „haben“, „sein“ und „werden“.<br />

qualitative Aussagen: qualitativ-quantitative Aussagen, also Angaben zu Eigens<strong>ch</strong>aften und<br />

Grösse.<br />

Busemann bildet nun aus dem Verhältnis <strong>von</strong> aktionalen zu qualitativen Wörtern in einem Text einen<br />

Aktionsquotienten Ag. Er stellt anhand einer empiris<strong>ch</strong>en Untersu<strong>ch</strong>ung fest, dass Ag mit<br />

steigendem Alter tendenziell kleiner wird, die aktionale einer qualitativen Stilform wei<strong>ch</strong>t. Damit<br />

gelingt es Busemann, textinterne syntaktis<strong>ch</strong>e Merkmale mit textexternen zu verknüpfen und damit<br />

ein e<strong>ch</strong>tes inhaltsanalytis<strong>ch</strong>es Verfahren zu etablieren.<br />

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Ivo Hajnal<br />

Unabhängig da<strong>von</strong> entwickelt Carroll (1938) einen syntaktis<strong>ch</strong>en Index lexikalis<strong>ch</strong>er Diversifikation<br />

(index of verbal diversification). Hierbei wird geprüft, wie oft das am häufigsten verwendete Wort<br />

eines Textes in Bezug zu allen anderen Wörtern auftritt. Dieses Verfahren wird dur<strong>ch</strong> Johnson<br />

(1941) verfeinert: seine Type-Token-Ratio (TTR) misst die Zahl vers<strong>ch</strong>iedener Wörter (types) in einem<br />

Text in Bezug zur Zahl der gemeinsam auftretenden Wörter (token).<br />

Wickmann (1969) s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lägt eine <strong>Analyse</strong> vor, die auf insgesamt 19 Kategorien beruht:<br />

All die hier ges<strong>ch</strong>ilderten Verfahren der Wortanalyse lassen si<strong>ch</strong> für eine Personenstrukturanalyse,<br />

Stilanalyse oder Autorenanalyse einsetzen.<br />

c) Mit gewissen Eins<strong>ch</strong>ränkungen kann au<strong>ch</strong> das Verfahren der syntaktis<strong>ch</strong>en Komplexitätsanalyse<br />

als e<strong>ch</strong>tes inhaltsanalytis<strong>ch</strong>es Inferenzverfahren bezei<strong>ch</strong>net werden. Die Entwicklung der generativen<br />

Grammatik dur<strong>ch</strong> Chomsky (1965) ermögli<strong>ch</strong>t es, Äusserungen (Propositionen) in kleinere<br />

Einheiten zu zerlegen und dur<strong>ch</strong> einen Graph mit hierar<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Verzweigungen als Struktur zu bes<strong>ch</strong>reiben.<br />

Damit entsteht eine qualitative wie quantitative Mögli<strong>ch</strong>keit der <strong>Analyse</strong>, indem erstens<br />

das Auftreten und zweitens die Komplexität bestimmter Strukturen textanalytis<strong>ch</strong> erfasst werden<br />

kann.<br />

Gemäss Generativer Grammatik lässt si<strong>ch</strong> jede spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Äusserung (jeder Satz) in kleine Einheiten<br />

zerlegen: (NP) „Nominalphrasen“, (VP) „Verbalphrasen“, (V) „Verben“, (A) „Adverbien“, (PersP)<br />

„Personalpronomen“, (N) „Nomen“, (Det) „Determinatoren“, (Konj) „Konjunktionen“ und (Neg)<br />

„Negatoren“. Deren Verbund lässt si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> eine räumli<strong>ch</strong>e Struktur wiedergeben.<br />

Seite 70


Mehrfa<strong>ch</strong>verzweigend<br />

Beispiel: Bund, Länder und Kommunen sind ho<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>uldet.<br />

Ivo Hajnal<br />

Hier sind die drei Nominalphrasen (Bund, Länder, Kommunen) glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigt: (a1) + (a2) +<br />

(a3). Da diese Elemente glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigt sind, ist keine Verklammerung mögli<strong>ch</strong>. Die Verzweigung<br />

ist symmetris<strong>ch</strong>, also mehrfa<strong>ch</strong>verzweigend.<br />

Re<strong>ch</strong>tsverzweigend<br />

Beispiel: Der Stoff, aus dem die Träume sind, die Hans träumt.<br />

Hier ist das Element (a3) dem Element (a2) untergeordnet, (a2) wiederum dem Element (a1):<br />

(a1 + (a2 + (a3) ) ).<br />

Linksverzweigend<br />

Beispiel: das Ausbildungsförderungsgesetz.<br />

Hier ist das Element (a1) (Ausbildung) dem Element (a2) untergeordnet, wie si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die<br />

Auflösung „das Gesetz der Förderung der Ausbildung“ erkennen lässt. Typis<strong>ch</strong> für Linksverzweigungen<br />

sind Zusammensetzungen <strong>von</strong> Substantiven, wie sie si<strong>ch</strong> v.a. in der Politik<br />

(„Bundesausbildungsförderungsgesetz“), in der Verwaltungsspra<strong>ch</strong>e („Dienstaufsi<strong>ch</strong>tsbes<strong>ch</strong>werdeverfahren“)<br />

sowie in der Wissens<strong>ch</strong>aft („Satzkomplexitätsanalyse“) finden.<br />

Seite 71


Einbettung<br />

Beispiel: Das Auto, das in der Garage stand, sprang ni<strong>ch</strong>t an.<br />

Hier ist in den Satz (a) ein Satz mit den Elementen (b) einges<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>telt: ( ( a1 + (b) + (a2) ).<br />

Ivo Hajnal<br />

Ist in (b) no<strong>ch</strong>mals eine Einbettung <strong>von</strong> Elementen (c) enthalten, spri<strong>ch</strong>t man Mehrfa<strong>ch</strong>- bzw.<br />

Selbsteinbettung. Beispiel: Das Auto, das in der Garage des Na<strong>ch</strong>barn, der verreist war, stand,<br />

sprang ni<strong>ch</strong>t an.<br />

Diese unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Satzstrukturen haben au<strong>ch</strong> eine unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> grosse Komplexität. Die<br />

Komplexität lässt si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> einen Komplexitätsgrad K bes<strong>ch</strong>reiben. Mehrfa<strong>ch</strong>verzweigungen ers<strong>ch</strong>einen<br />

so als besonders einfa<strong>ch</strong>, während Mehrfa<strong>ch</strong>einbettungen eine hohe Komplexität aufweisen.<br />

Der Komplexitätsindex des gesamten Texts erre<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> in der Folge, indem man zunä<strong>ch</strong>st Satz<br />

für Satz die Strukturen bildet und deren Komplexitätsgrad K gemäss obiger Tabelle, dana<strong>ch</strong> über<br />

alle Sätze n den Mittelwert bildet:<br />

Komplexitätsindex eines Texts<br />

Seite 72


Ivo Hajnal<br />

Daneben lässt si<strong>ch</strong> eine Satzgliedstruktur innerhalb der einzelnen Sätze bestimmen, indem man<br />

au<strong>ch</strong> hier die Strukturen bildet und den Komplexitätsgrad K ij des j-ten Satzglieds des i-ten Satzes<br />

bildet. Da die Zahl der Satzglieder m i pro Satz vers<strong>ch</strong>ieden ist, ergibt si<strong>ch</strong> ein analoger Index I G als<br />

Mittelwert über alle Satzglieder aller Sätze:<br />

Satzgliedstrukturindex<br />

Fallbeispiel 10: Spra<strong>ch</strong>strukturanalyse anhand der Wiedererzählung <strong>von</strong> Fernsehna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten (na<strong>ch</strong><br />

Albre<strong>ch</strong>t 1972).<br />

Eine Tagess<strong>ch</strong>au-Life-Reportage erfolgt im elaborierten Code (Kommentator Gerd Ruge) und wird in<br />

der Folge im restringierten Code (Wiedererzählung dur<strong>ch</strong> eine Putzfrau) wiedergegeben.<br />

Der Text im Originalton lautet:<br />

Der Originaltext verfügt über die folgende Struktur:<br />

Seite 73


Der Text in der Wiedergabe lautet:<br />

Der wiedergegebene Text verfügt über die folgende Struktur:<br />

Der Komplexitätsindex für beide Texte erre<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> wie folgt:<br />

Ivo Hajnal<br />

Der S<strong>ch</strong>luss vom Text auf den Kontext ist bei diesem Verfahren nur implizit mögli<strong>ch</strong>: Man unterstellt,<br />

dass Kommunikatoren aus einer höheren sozialen S<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t einen elaborierten Spra<strong>ch</strong>code bzw. eine<br />

aufwändigere Satzstruktur verwenden als Kommunikatoren aus tieferen S<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten. Eine Aussenvalidierung<br />

dieser Implikation steht aber aus.<br />

VI.3: Verfahren auf der semantis<strong>ch</strong>-semantis<strong>ch</strong>en Ebene<br />

a) Die in diese Kategorie fallenden Verfahren ma<strong>ch</strong>en inhaltli<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> <strong>von</strong> der semantis<strong>ch</strong>en<br />

Eigens<strong>ch</strong>aft <strong>von</strong> Texten oder Textelementen. Letztere werden entweder na<strong>ch</strong> inhaltli<strong>ch</strong>en Gesi<strong>ch</strong>ts-<br />

Seite 74


Ivo Hajnal<br />

punkten klassifiziert (Themenanalyse; –> I.2 sub b) oder na<strong>ch</strong> deren Relation zu anderen semantis<strong>ch</strong><br />

bed<strong>eu</strong>tungsvollen Einheiten (Kontingenzanalyse).<br />

Unter dem Begriff „Kontingenzanalyse“ (Assoziationsanalyse) versteht man ein inhaltsanalytis<strong>ch</strong>es<br />

Verfahren, das der folgenden Frage na<strong>ch</strong>geht: Wel<strong>ch</strong>e Symbole (items) treten überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong><br />

oft mit vorgegebenen (theoretis<strong>ch</strong> relevanten) Symbolen auf? Die festgestellten Kontingenzen bzw.<br />

Assoziationen zwis<strong>ch</strong>en diesen Symbolen erlauben Rücks<strong>ch</strong>lüsse auf den Autor.<br />

Die Überlegung, dass das überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> häufige Auftreten zweier Symbole X1 und X2 einen<br />

Rücks<strong>ch</strong>luss auf den Kommunikator zulassen, geht auf Baldwin (1942) zurück: „The contiguity of<br />

two items, if repeated sufficiently often to exclude the hypothesis that the contiguity is due to <strong>ch</strong>ance,<br />

indicates a relationship in the personality.“<br />

b) Die Kontingenzanalyse basiert auf dem Repräsentationsmodell: sie unterstellt, dass die festgestellte<br />

Kontingenz zweier Symbole X1 und X2 Ausdruck einer analogen Konstellation im Kopf des<br />

Kommunikators ist. Allerdings ist diese Unterstellung stark <strong>von</strong> der Kommunikationssituation abhängig.<br />

Sie gilt nur, wenn der Text unbewusst und damit unkontrolliert produziert ist.<br />

Das Vorgehen erfolgt in fünf S<strong>ch</strong>ritten:<br />

Festlegung der <strong>Analyse</strong>einheiten:<br />

Die Festlegung der <strong>Analyse</strong>einheit ist relativ problematis<strong>ch</strong>. Ist sie zu gross gewählt, ergeben<br />

si<strong>ch</strong> bei allen mögli<strong>ch</strong>en Symbolen (items) Kontingenzen; wird sie zu klein gewählt, ergeben<br />

si<strong>ch</strong> u.U. keinerlei Kontingenzen. Osgood (1959) s<strong>ch</strong>lägt hierzu vor, als <strong>Analyse</strong>einheiten Texte<br />

mit einem Umfang <strong>von</strong> 120 bis 210 Wörter zu verwenden.<br />

Definition der Kategorien:<br />

Bei der Definition der Kategorien darf das Kategoriens<strong>ch</strong>ema offen bleiben. Es müssen also<br />

ni<strong>ch</strong>t alle vorkommenden Kategorien (Themen) erhoben werden, sonder nur diejenigen, die<br />

<strong>von</strong> Interesse sind. Als Kategorien können einzelne Symbole (items) benutzt werden, aber<br />

au<strong>ch</strong> Klassen verwandter Wörter (z.B. Kanzler, Bundeskanzler, Regierungs<strong>ch</strong>ef) in eine Kategorie<br />

fallen.<br />

Erstellung der Rohdatenmatrix:<br />

Die Rohdatenmatrix enthält im Kopf die gesamten Kategorien X1 bis Xm, am Rand alle <strong>Analyse</strong>einheiten<br />

n.<br />

Seite 75


Ivo Hajnal<br />

Sind m Kategorien festgelegt worden und werden n <strong>Analyse</strong>einheiten ausgewertet, enthält<br />

die Matrix n Zeilen und m Spalten. In unserem fiktiven Fallbeispiel weist die Matrix m = 4 Kategorien<br />

und n = 5 <strong>Analyse</strong>einheiten auf.<br />

Bei jeder <strong>Analyse</strong>einheit wird nun geprüft, ob die einzelnen Kategorien auftreten oder ni<strong>ch</strong>t.<br />

Tritt eine Kategorie auf, wird – unabhängig <strong>von</strong> der Anzahl der Auftritte! – ein „+“ eingetragen;<br />

tritt sie ni<strong>ch</strong>t auf, wird ein „–“ eingetragen. In unserem Fallbeispiel (s. Abbildung oben)<br />

treten in der ersten <strong>Analyse</strong>einheit die Kategorien X1, X3 und X4 auf, während X2 fehlt. Am<br />

Fuss der Matrix wird na<strong>ch</strong> Auswertung aller <strong>Analyse</strong>einheiten für jede Kategorie eine Auftrittswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />

(relative Häufigkeit) eingetragen: d.h. die Summe aller positiven<br />

Einträge (+) dividiert dur<strong>ch</strong> die Zahl der <strong>Analyse</strong>einheiten (n). So erhalten wir für X2 1/5, für<br />

X3 3/5 usw.<br />

Erstellung der Kontingenzmatrix:<br />

Es gilt nun festzustellen, ob eine Assoziation „überzufällig“ oder „unterzufällig“ ist. Dies gelingt,<br />

indem man die erwartete theoretis<strong>ch</strong>e Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit des gemeinsamen Auftretens<br />

zweier Kategorien X1 und Xj, nämli<strong>ch</strong> pe, bere<strong>ch</strong>net und prüft, ob diese Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />

grösser oder kleiner ist als die empiris<strong>ch</strong> gewonnene Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit des gemeinsamen<br />

Auftretens zweier Kategorien p0.<br />

Na<strong>ch</strong> dem Multiplikationssatz für unabhängige Ereignisse ergibt si<strong>ch</strong> die erwartete Häufigkeit<br />

als Produkt der Einzelwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keiten, das in die jeweilige Zeile der re<strong>ch</strong>ten oberen<br />

Hälfte der Kontingenzmatrix eingefügt wird.<br />

Seite 76


linke untere<br />

Hälfte:<br />

p0<br />

Ivo Hajnal<br />

re<strong>ch</strong>te obere<br />

Hälfte: pe<br />

In unserem Fallbeispiel tritt X1 mit einer Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit <strong>von</strong> 0,4 auf, X2 mit 0,2. Die erwartete<br />

Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit des gemeinsamen Auftretens <strong>von</strong> X1 und X2 ist pe = 0,4 x 0,2 =<br />

0,08.<br />

Auf diese Weise werden alle erwarteten Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keiten bestimmt. Sie geben einen<br />

n<strong>eu</strong>tralen Wert an. Ist der Wert der empiris<strong>ch</strong>en Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit p0 grösser als pe, spre<strong>ch</strong>en<br />

wir <strong>von</strong> „Assoziation“, ist er kleiner, <strong>von</strong> „Dissoziation“ des jeweiligen Symbols.<br />

Die empiris<strong>ch</strong>e Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit p0 für das gemeinsame Auftreten zweier Symbole erhält<br />

man wiederum, wenn man die Summe des gemeinsamen Auftretens aller Paare über alle <strong>Analyse</strong>einheiten<br />

hinweg bestimmt und dur<strong>ch</strong> die Anzahl n aller <strong>Analyse</strong>einheiten dividiert. In<br />

unserem Fallbeispiel etwa treten X1 und X2 nie gemeinsam auf, während X3 und X4 sowohl<br />

in der ersten als au<strong>ch</strong> in der zweiten <strong>Analyse</strong>einheit gemeinsam auftreten. Demgemäss ist p0<br />

für X1/X2 = 0/5 = 0, für X3/X4 = 2/5 = 0,4. Diese Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keiten werden in die linke<br />

untere Hälfte der Kontingenzmatrix eingetragen.<br />

Die Differenz (p0 – pe), die z.B. für X1/X3 den Wert (0,2 – 0,24 = –0,04) besitzt, lässt bei positivem<br />

Vorzei<strong>ch</strong>en eine Assoziation, bei negativem Vorzei<strong>ch</strong>en eine Dissoziation erkennen.<br />

Prüfung der Signifikanz:<br />

Je positiver oder negativer die Assoziation oder Dissoziation – gemessen als Differenz (p0 -<br />

pe) – ausfällt, desto eind<strong>eu</strong>tiger ist das Ergebnis. Um zu unters<strong>ch</strong>eiden, ob das Ergebnis eind<strong>eu</strong>tig<br />

(signifikant) ist, oder ob es si<strong>ch</strong> rein zufällig (auf Grund der gewählten Sti<strong>ch</strong>probe) ergeben<br />

hat, muss die Signifikanz der Assoziation überprüft werden.<br />

Dazu bietet si<strong>ch</strong> die Prüfung mit CHI 2 an. Hierbei bere<strong>ch</strong>net man für jedes Paar Xi und Xj, dessen<br />

Assoziation auf Signifikanz geprüft werden soll, die Prüfgrösse CHI 2 . Hierfür wird zunä<strong>ch</strong>st<br />

die folgende Vierfeldertabelle aufgestellt:<br />

Seite 77


Ivo Hajnal<br />

Für die Prüfung beginnt man mit der ersten <strong>Analyse</strong>einheit und untersu<strong>ch</strong>t, ob die Symbole<br />

(items) Xi und Xj dort vertreten sind. Hierbei existieren vier logis<strong>ch</strong>e Mögli<strong>ch</strong>keiten, die si<strong>ch</strong><br />

aus der Kombination <strong>von</strong> Xi und Xj ergeben (+ +, + –, – +, – –). Dementspre<strong>ch</strong>end wird die<br />

jeweils zutreffende Kombination festgestellt und mittels eines Stri<strong>ch</strong>s in der betreffenden Zelle<br />

eingetragen. Diese Prozedur wird über alle <strong>Analyse</strong>einheiten hinweg dur<strong>ch</strong>geführt, so dass<br />

bei n Untersu<strong>ch</strong>ungseinheiten au<strong>ch</strong> n Einträge in der Tabelle enthalten sind. In unserem Fallbeispiel<br />

erfolgt dies für die Einträge X1 und X3: Bei der ersten <strong>Analyse</strong>einheit ist sowohl X1<br />

wie X3 vertreten, so dass in Zelle a ein Eintrag erfolgt. In <strong>Analyse</strong>einheit 2 und 3 ist nur X3<br />

vertreten, so dass in Zelle b zwei Einträge erfolgen usw.<br />

Die Vierfeldertabelle lässt si<strong>ch</strong> standardisiert wie folgt aufs<strong>ch</strong>lüsseln:<br />

Seite 78


Die Prüfgrösse CHI 2 erre<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> dann na<strong>ch</strong> folgender Formel:<br />

Ivo Hajnal<br />

Legt man das in den Sozialwissens<strong>ch</strong>aften übli<strong>ch</strong>e Signifikanzniveau <strong>von</strong> 0,05 zugrunde (was<br />

einer Irrtumswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit <strong>von</strong> 5% entspri<strong>ch</strong>t), so ist der Wert <strong>von</strong> CHI 2 signifikant,<br />

wenn er glei<strong>ch</strong> oder grösser als der Wert der CHI 2 -Verteilung bei einem Freiheitsgrad ausfällt.<br />

Dieser liegt bei 3,84. Ist das erre<strong>ch</strong>nete CHI 2 aus der Tabelle grösser, so spre<strong>ch</strong>en wir <strong>von</strong> einer<br />

signifikanten Assoziation bzw. Dissoziation.<br />

Der Na<strong>ch</strong>teil dieses Prüfverfahrens liegt darin, dass für die Bere<strong>ch</strong>nung <strong>von</strong> CHI 2 die erwartete<br />

Häufigkeit pro Zeile (das Produkt <strong>von</strong> Zeilensumme mal Spaltensumme, dividiert dur<strong>ch</strong> n) den<br />

Wert 5 ni<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>reiten darf.<br />

c) Die Kontingenzanalyse erfährt an mehreren Punkten Kritik:<br />

Der Inferenzs<strong>ch</strong>luss ist – wie gezeigt – nur dann mögli<strong>ch</strong>, wenn der Text ohne Verzerrungen<br />

dur<strong>ch</strong> Intention oder Situation produziert worden ist.<br />

Die Grösse der <strong>Analyse</strong>einheit und die Zahl der gewählten Kategorien haben direkten Einfluss<br />

auf die Stärke der zu bere<strong>ch</strong>nenden Assoziationen. Der oben genannte Erfahrungswert<br />

<strong>von</strong> 120 bis 210 Wörtern ist nur ein pragmatis<strong>ch</strong>er Näherungswert, der dur<strong>ch</strong> die Zahl der<br />

Kategorien relativiert wird.<br />

Das Verfahren berücksi<strong>ch</strong>tigt pro Untersu<strong>ch</strong>ungseinheit die auftretenden Symbole (items) jeweils<br />

nur einmal. Es ist also unempfindli<strong>ch</strong> gegenüber Wiederholungen des Symbols in derselben<br />

Untersu<strong>ch</strong>ungseinheit.<br />

Das Verfahren stellt keinen Bezug zur Referenz der benutzten Wörter her. Es bleibt damit<br />

au<strong>ch</strong> kontextunempfindli<strong>ch</strong>.<br />

Das Verfahren ist unempfindli<strong>ch</strong> gegenüber den affektiven oder kognitiven Beziehungen<br />

zwis<strong>ch</strong>en den Symbolen (items). Der Satz „Jungsozialisten mögen das Militär ni<strong>ch</strong>t“ erz<strong>eu</strong>gt<br />

dieselben (positiven) Assoziationen wie der Satz „Jungsozialisten mögen das Militär“.<br />

Die Bere<strong>ch</strong>nung der Erwartungshäufigkeit pe und die darauf aufbauenden Signifikanztests<br />

setzen die Unabhängigkeit der Symbole (items) und der Assoziationen voraus. Die Assoziationen<br />

sind jedo<strong>ch</strong> ex definitione we<strong>ch</strong>selseitig abhängig, und zwar umso stärker, je weniger<br />

Symbole (items) bei der <strong>Analyse</strong> verwendet werden.<br />

d) Als illustratives Beispiel für die Methode und die sub c genannten Kritikpunkte dient die folgende<br />

Untersu<strong>ch</strong>ung <strong>von</strong> Jugendbü<strong>ch</strong>ern.<br />

Fallbeispiel 11: <strong>Analyse</strong> <strong>von</strong> Jugendbü<strong>ch</strong>ern (na<strong>ch</strong> Nauck 1974).<br />

Ziel der <strong>Analyse</strong> ist es, die Themen in Jugendbü<strong>ch</strong>ern zu bestimmen. Zu diesem Zweck wird zunä<strong>ch</strong>st<br />

eine Themenanalyse dur<strong>ch</strong>geführt, na<strong>ch</strong> der jeder Titel anhand eines Kategoriens<strong>ch</strong>emas (s. unteren<br />

Teil der Abbildung auf der folgenden Seite) codiert wird. <strong>Analyse</strong>einheit ist dabei der einzelne Titel<br />

in Gänze. Auf der Basis der anteilig vertretenen Themen führt Nauck eine zweite Inhaltsanalyse<br />

dur<strong>ch</strong>: eine Kontingenzanalyse, bei der die 15 Kategorien der Themenanalyse identis<strong>ch</strong> als Symbole<br />

(items) der Kontingenzanalyse übernommen werden. Die erwarteten Kontingenzen werden bere<strong>ch</strong>-<br />

Seite 79


Ivo Hajnal<br />

net und ergeben das in der Abbildung auf der folgenden Seite gezei<strong>ch</strong>nete Bild. Dabei drückt die<br />

Stärke der Verbindung zwis<strong>ch</strong>en den einzelnen Themen die bere<strong>ch</strong>nete Assoziation aus, während<br />

die Grösse der Kreise symbolisiert, wie stark die einzelnen Themen im Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt pro Bu<strong>ch</strong> vertreten<br />

sind.<br />

Die Kritik an diesem Fallbeispiel ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st auf die Unabhängigkeit der Kategorien. Da<br />

jedes Bu<strong>ch</strong> immer mindestens ein Thema aufweist, werden verglei<strong>ch</strong>sweise viele Assoziationen auftau<strong>ch</strong>en.<br />

Darüber hinaus wirken si<strong>ch</strong> die verglei<strong>ch</strong>sweise geringe Zahl der Kategorien und das ges<strong>ch</strong>lossene<br />

Kategoriensystem auf die – ohnehin ni<strong>ch</strong>t gesi<strong>ch</strong>erte – Unabhängigkeit der Assoziationen<br />

<strong>von</strong>einander aus, so dass stärkere Verzerrungen entstehen. Erst re<strong>ch</strong>t bedenkli<strong>ch</strong> ist es, wenn<br />

Nauck das Signifikanzniveau auf 0,32 senkt. Dies bed<strong>eu</strong>tet, dass in 32% aller Fälle s<strong>ch</strong>on rein zufällig<br />

eine Assoziation festzustellen sein wird. Da 15 Kategorien vorhanden sind, gibt es 15x(15 – 1)/2<br />

= 105 Assoziationen, und da<strong>von</strong> sind 35 Assoziationen – jede dritte – ps<strong>eu</strong>dosignifikant.<br />

e) Die Kontingenzanalyse ist ein Verfahren zur Aufdeckung mentaler Assoziationen beim Kommunikator.<br />

Weil die zu analysierenden Texte frei, also unverstellt produziert sowie umfangrei<strong>ch</strong> sein müssen,<br />

eignen si<strong>ch</strong> bestenfalls Tagebü<strong>ch</strong>er oder Lehrinhalte zur <strong>Analyse</strong>. Osgood (1959) s<strong>ch</strong>ildert so<br />

eine <strong>Analyse</strong> der Tagebü<strong>ch</strong>er <strong>von</strong> Goebbels, die aufs<strong>ch</strong>lussrei<strong>ch</strong>e Zusammenhänge zwis<strong>ch</strong>en den<br />

S<strong>ch</strong>wierigkeiten des Dritten Rei<strong>ch</strong>s und Goebbels’ persönli<strong>ch</strong>en Sorgen offenbart. Denkt Goebbels<br />

z.B. an die „Überlegenheit der germanis<strong>ch</strong>en Rasse“, vermeidet er es, an die Briten zu denken (da<br />

diese, obs<strong>ch</strong>on Feinde, na<strong>ch</strong> NS-Ideologie der glei<strong>ch</strong>en „Rasse“ angehören).<br />

VI.4: Verfahren auf der syntaktis<strong>ch</strong>-pragmatis<strong>ch</strong>en Ebene<br />

a) Mit der syntaktis<strong>ch</strong>-pragmatis<strong>ch</strong>en Ebene kommen die Zei<strong>ch</strong>enbenutzer (Kommunikator und Rezipienten)<br />

binden ins Spiel. Hierzu gehören alle Formen der Lesbarkeitsanalysen.<br />

Der Begriff „Lesbarkeitsanalyse“ ist dabei Oberbegriff für eine Vielzahl <strong>von</strong> Verfahren, um <strong>von</strong> textinternen<br />

Merkmalen auf ein textexternes Merkmal, nämli<strong>ch</strong> die Lesbarkeit des Texts (gemessen beim<br />

Rezipienten) oder die Fähigkeit, lesbar zu formulieren (gemessen beim Kommunikator), zu s<strong>ch</strong>liessen.<br />

Unter „frequentieller Lesbarkeitsanalyse“ verstehen wir alle die Verfahren, die auf der Häufigkeitsauszählung<br />

bestimmter Ebenen (meist <strong>von</strong> Silben oder Wörtern) beruhen.<br />

Seite 80


Ivo Hajnal<br />

Seite 81


Ivo Hajnal<br />

b) Lesbarkeitsanalysen gehören zu den ältesten und häufigsten <strong>Analyse</strong>verfahren. Die ersten Lesbarkeitsformeln<br />

gehen <strong>von</strong> der Voraussetzung aus, die Zahl der relevanten Variablen sei gering. So<br />

verwendet Fles<strong>ch</strong> (1943) in seinem ersten Entwurf einer Lesbarkeitsformel drei Variablen:<br />

die dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e Satzlänge (sl)<br />

die Zahl der Affixe (aff)<br />

die Zahl der persönli<strong>ch</strong>en Wörter (wp): Pronomen (ausser 3. Person), Wörter mit Bezug zum<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t (Namen, Verwandts<strong>ch</strong>aftsnamen usw.) sowie die Wörter „Mens<strong>ch</strong>en“ und „L<strong>eu</strong>te“.<br />

Fles<strong>ch</strong> kombiniert diese drei Variablen in Form eines linearen Regressionsmodells, das die S<strong>ch</strong>wierigkeit<br />

des Lesens messen soll:<br />

L = 0.1338 sl + 0.645 aff – 0.659 wp – 0.7502<br />

Diese Formel zur Erre<strong>ch</strong>nung der Leses<strong>ch</strong>wierigkeit soll Skalenwerte zwis<strong>ch</strong>en 1 („sehr lei<strong>ch</strong>t zu lesen“)<br />

und 7 („sehr s<strong>ch</strong>wierig zu lesen“) ergeben.<br />

Die Ei<strong>ch</strong>ung dieser – und weiterer – Lesbarkeitsformeln erfolgt dur<strong>ch</strong> Verglei<strong>ch</strong> mit dem Standard-<br />

Test <strong>von</strong> McCall/Crabbs (1925). Im Rahmen dieses Tests werden einem S<strong>ch</strong>üler (4.Klasse) zunä<strong>ch</strong>st<br />

standardisierte Textproben zu lesen gegeben. Ans<strong>ch</strong>liessend werden ihm Fragen zum Verständnis<br />

des Texts gestellt. Kann ein dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>es S<strong>ch</strong>ulkind einen bestimmten Prozentsatz (50% oder<br />

75%) der Fragen ri<strong>ch</strong>tig beantworten, so gilt der Text als verständli<strong>ch</strong>.<br />

In der Folge kritisieren Dale/Chall (1948) bei Fles<strong>ch</strong> die umständli<strong>ch</strong>e Bestimmung <strong>von</strong> Affixen und<br />

persönli<strong>ch</strong>en Wörtern. Sie s<strong>ch</strong>lagen stattdessen ein Lesbarkeitsverfahren vor, das nur die folgenden<br />

zwei Faktoren berücksi<strong>ch</strong>tigt:<br />

die Satzlänge (sl)<br />

den Prozentsatz <strong>von</strong> Wörtern, der ni<strong>ch</strong>t in einer auf 3000 Wörter vergrösserten, <strong>von</strong> den Autoren<br />

erstellten Wortliste enthalten ist (pw).<br />

Daraus bilden sie – ebenfalls dur<strong>ch</strong> Validierung mit dem McCall/Grabbs-Test bei 50% der beantworteten<br />

Fragen – die folgende Formel für die Lesbarkeit (readability):<br />

R = 0.496 sl + 1.579 pw + 3.6365<br />

Diese Werte werden empiris<strong>ch</strong> mit gewissen Lesefähigkeiten assoziiert.<br />

R Lesefähigkeit (definiert über errei<strong>ch</strong>te S<strong>ch</strong>ulklasse)<br />

5.0-5.9 5.-6. Klasse<br />

6.0-6.9 7.-8. Klasse<br />

7.0-7.9 9.-10. Klasse<br />

8.0-8.9 11.-12. Klasse<br />

9.0-9.9 13.-15. Klasse (College)<br />

10 und mehr 16. Klasse und darüber (College mit Abs<strong>ch</strong>luss)<br />

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Ivo Hajnal<br />

Fles<strong>ch</strong> (1948) erarbeitet ebenfalls ein n<strong>eu</strong>es Verfahren, das die folgenden erklärenden Variablen für<br />

Lesbarkeit enthält:<br />

dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e Satzlänge in Wörtern (sl)<br />

dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e Länge <strong>von</strong> 100 Wörtern in Silben (wl)<br />

Anteil der „persönli<strong>ch</strong>en Wörter“ (wp): s.o.<br />

Anteil der „persönli<strong>ch</strong>en Sätze“ (sp): Sätze mit Anführungszei<strong>ch</strong>en, Fragen, Imperative, direkt<br />

adressierte Sätze, Ausrufe, ni<strong>ch</strong>t komplette (aus dem Kontext zu ers<strong>ch</strong>liessende) Sätze<br />

Fles<strong>ch</strong> kombiniert die ersten beiden Faktoren zu einer n<strong>eu</strong>en Lesbarkeitsformel, die diesmal ni<strong>ch</strong>t die<br />

Leses<strong>ch</strong>wierigkeit, sondern die Leseeinfa<strong>ch</strong>heit (reading ease) misst:<br />

RE = 206.835 – 0.846 wl – 1.015 sl<br />

Die beiden weiteren Faktoren interpretiert Fles<strong>ch</strong> inhaltli<strong>ch</strong> – also als Faktoren der Verständli<strong>ch</strong>keit,<br />

die das Interesse am Inhalt (human interest) messen sollen:<br />

HI = 3.635 pw + 0.314 ps<br />

Die erhaltenen Werte werden na<strong>ch</strong> folgender Tabelle interpretiert:<br />

c) Die <strong>Analyse</strong>formeln <strong>von</strong> Fles<strong>ch</strong> und Dale/Chall erlauben eine zulässige Inferenz vom Text auf den<br />

Kontext: Bestimmte Eigens<strong>ch</strong>aften eines Texts wie die Lesbarkeit korrelieren mit bestimmten Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

des Kommunikators.<br />

Allerdings lassen si<strong>ch</strong> gegenüber beiden Verfahren au<strong>ch</strong> wesentli<strong>ch</strong>e Kritikpunkte vorbringen:<br />

Dur<strong>ch</strong> die Anbindung an Wortlisten, Wort- und Satzlängen wird Lesbarkeit zu einer formalen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aft, die mit stilistis<strong>ch</strong>en oder anderen inhaltli<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften in Konflikt geraten<br />

kann. Die Formeln <strong>von</strong> Fles<strong>ch</strong> und Dale/Chall arbeiten na<strong>ch</strong> dem Prinzip „Je kürzer, desto<br />

besser“. Damit wird der Faktor der „inhaltli<strong>ch</strong>en Lesbarkeit“ quasi irrelevant. Dies zeigt der<br />

Einstiegssatz der folgenden Anekdote <strong>von</strong> H. <strong>von</strong> Kleist:<br />

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Ivo Hajnal<br />

Der Satz hat na<strong>ch</strong> der Formel <strong>von</strong> Fles<strong>ch</strong> einen Lesbarkeitswert <strong>von</strong> …<br />

RE = 206.835 – 0.846 x 176 – 1.015 x 86 = –28.7<br />

Gemäss dem – <strong>von</strong> Fles<strong>ch</strong> gar ni<strong>ch</strong>t vorgesehenen – negativen Wert sollte dieser Einstiegssatz<br />

unleserli<strong>ch</strong> sein, was natürli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t der Fall ist.<br />

Die Verfahren arbeiten theorielos, sind also einzig empiris<strong>ch</strong> korrigiert. Die Lesbarkeitswerte<br />

sind also nur als Rohdaten aufzufassen.<br />

Es bleibt unklar, wie die <strong>von</strong> Fles<strong>ch</strong> verwendeten inhaltli<strong>ch</strong>en Faktoren mit „human interest“<br />

assoziiert sein sollen.<br />

Die Formeln arbeiten spra<strong>ch</strong>spezifis<strong>ch</strong>. Die Werte liegen je na<strong>ch</strong> Spra<strong>ch</strong>e auf unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>em<br />

Niveau.<br />

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Ivo Hajnal<br />

Trotz dieser Kritikpunkte haben Untersu<strong>ch</strong>en ergeben, dass die Lesbarkeitsformeln eine ausrei<strong>ch</strong>ende<br />

Zuverlässigkeit aufweisen. Die Formeln haben deshalb eine grosse Resonanz erfahren und sind<br />

in vielerlei Hinsi<strong>ch</strong>t weiterentwickelt worden.<br />

Fles<strong>ch</strong> selbst hat zu seinen Formeln no<strong>ch</strong> einen Index zur Messung des Abstraktionsgrads <strong>von</strong> Texten<br />

entwickelt:<br />

RA = 168.095 + 0.531 dw – 0.811 wl<br />

Dabei sind …<br />

dw (definite words) alle Namen und Titel, Zeitangaben, Zahlenangaben, finite Verben in der<br />

ersten, zweiten und dritten Person, Personalpronomen, Pronomen, bestimmte Artikel – jeweils<br />

in 100 Wörtern.<br />

wl (Wortlänge) die Zahl der Silben pro 100 Wörter.<br />

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Ivo Hajnal<br />

d) Neben den frequentiellen existieren au<strong>ch</strong> strukturelle Lesbarkeitsanalysen. Sie gehen ni<strong>ch</strong>t<br />

<strong>von</strong> der Häufigkeit bestimmter Wörter, sondern <strong>von</strong> der Satzstruktur aus. Sie stellen – obs<strong>ch</strong>on ni<strong>ch</strong>t<br />

ausgereift – eine Alternative zu den sub b und c genannten Lesbarkeitsformeln dar.<br />

Zu diesen strukturellen Verfahren gehört die Worttiefenanalyse (word depth analysis) <strong>von</strong> Yngve<br />

(1960). Sie geht auf Grund psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>er Annahmen da<strong>von</strong> aus, dass die Verständnisleistung, die<br />

für einen Text aufzubringen ist, mit der strukturellen Satzkomplexität korreliert. Diese Annahme ist<br />

dur<strong>ch</strong> experimentelle Überprüfungen abgesi<strong>ch</strong>ert, so dass die Basis für die Inferenz gegeben ist.<br />

Die Konzeption der Worttiefenanalyse lässt si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> folgendes Satzbeispiel illustrieren:<br />

Der Satz „Das s<strong>ch</strong>nelle blaue Auto raste vorbei“ hat eine bestimmte strukturelle Komplexität. Diese<br />

wird dur<strong>ch</strong> seine totale Tiefe bzw. seine dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e Tiefe bestimmt. Die Ausgangsüberlegung<br />

ist die folgende: Die Konstruktion eines Satzes erfolgt hierar<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> und verläuft <strong>von</strong> links na<strong>ch</strong><br />

re<strong>ch</strong>ts. Das heisst: Sobald ein Spre<strong>ch</strong>er/Leser das Subjekt formuliert/wahrgenommen hat, bedenkt er<br />

das Prädikat mit. Bei jedem Wort muss er das Prädikat mitbedenken – also einen Aufwand betreiben,<br />

der mit der Verstehensleistung korreliert. So hat beispielsweise das erste Wort „das“ die Tiefe<br />

2, denn bei der Produktion/Wahrnehmung dieses Wortes muss sowohl ein Subjekt („Auto“) als<br />

au<strong>ch</strong> ein Prädikat („raste“) berücksi<strong>ch</strong>tigt werden.<br />

Hat ein Satz n Wörter wi, so erre<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> die Satztiefe aus …<br />

,<br />

und die dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e Tiefe aus …<br />

Hat der jeweilige Text m Sätze mit je nj Wörtern, so erre<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> die dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e Texttiefe als<br />

…<br />

.<br />

In obigem Beispielsatz hat der Satz eine Tiefe <strong>von</strong> 9 und eine dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e Tiefe <strong>von</strong> 1.5. Diese<br />

dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e Tiefe ist ein Mass für die Verständli<strong>ch</strong>keit. Bildet man die mittlere Satztiefe über<br />

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Ivo Hajnal<br />

alle Sätze, so erhält man ein direktes Mass für die aufzubringende Verständnisleistung des Rezipienten<br />

bzw. für die Verständli<strong>ch</strong>keit des Kommunikators.<br />

Na<strong>ch</strong>teilig fällt ins Gewi<strong>ch</strong>t, dass dieses Verfahren nur formal arbeitet und relativ aufwendig ist (also<br />

ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> elektronis<strong>ch</strong>e Verfahren abgedeckt werden kann).<br />

VI.5: Verfahren auf der semantis<strong>ch</strong>-pragmatis<strong>ch</strong>en Ebene<br />

a) Auf der semantis<strong>ch</strong>-pragmatis<strong>ch</strong>en Ebene wird – analog zur syntaktis<strong>ch</strong> pragmatis<strong>ch</strong>en Ebene –<br />

der Komunikator bzw. Rezipient stets mitgeda<strong>ch</strong>t. Grundsätzli<strong>ch</strong> lassen si<strong>ch</strong> drei Typen <strong>von</strong> semantis<strong>ch</strong>-pragmatis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Analyse</strong>n unters<strong>ch</strong>eiden:<br />

Verfahren, wel<strong>ch</strong>e die semantis<strong>ch</strong>e Wirkung <strong>von</strong> Texten rein auf der semantis<strong>ch</strong>en Ebene<br />

feststellen: so etwa das „Semantis<strong>ch</strong>e Differential“.<br />

Verfahren, bei denen Texte „verstanden“ werden müssen, ohne dass na<strong>ch</strong> deren Wirkung<br />

gefragt wird: z.B. Verständli<strong>ch</strong>keitsanalysen dur<strong>ch</strong> rezipientenseitige Einsetzproben.<br />

Verfahren, die mit Bewertungen arbeiten: z.B. Wertanalyse, Symbolanalyse, Einstellungsanalyse,<br />

Objektivitätsanalyse.<br />

Diese <strong>Analyse</strong>verfahren bewegen si<strong>ch</strong> auf einer komplexeren Ebene als die klassis<strong>ch</strong>e Themenanalyse.<br />

Sie stellen Aussagen über zugrunde liegende Aussagen, also Meta-Aussagen, dar. Sie sind deshalb<br />

Voraussetzung für Verstehen und Wirkung <strong>von</strong> Texten.<br />

Im Rahmen einer sol<strong>ch</strong>en semantis<strong>ch</strong>-pragmatis<strong>ch</strong>en Ebene s<strong>ch</strong>lägt Lenz (1974) ein graphis<strong>ch</strong>es Verfahren<br />

vor. Dieses Verfahren stellt Satzkomplexität, Thema, syntaktis<strong>ch</strong>e Gliederung (na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitten),<br />

Bewertungen und Wortgruppen fortlaufend dar (s. Abbildung auf nä<strong>ch</strong>ster Seite). Dadur<strong>ch</strong> ist<br />

es mögli<strong>ch</strong>, all diese Variablen in ihren we<strong>ch</strong>selseitigen Relationen zu analysieren.<br />

Fallbeispiel 12: Strukturelle Textanalyse na<strong>ch</strong> Titzmann (1981).<br />

Titzmann geht da<strong>von</strong> aus, dass mit Hilfe der strukturellen Textanalyse die Rekonstruktion der Bed<strong>eu</strong>tung<br />

beliebiger Texte geleistet werden kann. Das Verfahren arbeitet na<strong>ch</strong> objektiven Regeln, das<br />

heisst: „Subjektive Assoziationen des Autors oder der Rezipienten zum Text (sind) ni<strong>ch</strong>t Objekt der<br />

strukturellen Textanalyse … es heißt andererseits, dass na<strong>ch</strong>weisbare Bed<strong>eu</strong>tungen au<strong>ch</strong> dann Objekt<br />

der strukturellen Textanalyse sind, wenn weder Autor no<strong>ch</strong> Rezipient sie (bewusst) wahrgenommen<br />

haben“ (Titzmann 1981, 64). Es handelt si<strong>ch</strong> also um ein Verfahren, das semantis<strong>ch</strong>e Implikationen<br />

auf Grund logis<strong>ch</strong>er Ents<strong>ch</strong>eidungen feststellt, also um eine Argumentationsanalyse.<br />

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Die strukturelle Textanalyse vollzieht si<strong>ch</strong> in zwei S<strong>ch</strong>ritten:<br />

Ivo Hajnal<br />

Erstens: Aufstellen der Interpretationsregeln: Für jeden Term müssen alle ihm zugeordneten<br />

Bed<strong>eu</strong>tungen oder Merkmale rekonstruiert werden.<br />

Beispielsatz: „Der Mil<strong>ch</strong>mann verkauft au<strong>ch</strong> Bröt<strong>ch</strong>en“ liefert die folgenden Informationen:<br />

(1) Der Mil<strong>ch</strong>mann ist männli<strong>ch</strong>.<br />

(2) Der Mil<strong>ch</strong>mann ist mindestens 18 Jahre alt.<br />

(3) Der Mil<strong>ch</strong>mann verkauft etwas.<br />

(4) Der Mil<strong>ch</strong>mann verkauft Mil<strong>ch</strong> und Mil<strong>ch</strong>produkte<br />

(5) Normalerweise verkauft ein Mil<strong>ch</strong>mann Mil<strong>ch</strong> und Mil<strong>ch</strong>produkte.<br />

(6) Gerade dieser Mil<strong>ch</strong>mann verkauft aber no<strong>ch</strong> mehr.<br />

(7) Dieser Mil<strong>ch</strong>mann verkauft au<strong>ch</strong> Bröt<strong>ch</strong>en usw.<br />

Zweitens Sortierung aller über einen Text gema<strong>ch</strong>ten Aussagen: Die Aussagen werden dabei<br />

zueinander in Beziehung gesetzt und hierar<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> geordnet, so dass daraus ein Ensemble<br />

<strong>von</strong> geordneten Hypothesen (ein Textmodell) entsteht.<br />

Die gesamte <strong>Analyse</strong>prozedur umfasst also die Zerlegung des Texts in einzelne Segmente, die regelhaft<br />

gest<strong>eu</strong>erte Sortierung und Klassifizierung dieser Segmente und die Synthese der gebildeten<br />

Klassen. Der Aufwand ist zwar gross, do<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint die strukturelle <strong>Analyse</strong> für inhaltsanalytis<strong>ch</strong>e<br />

S<strong>ch</strong>lüsse geeignet. So lassen si<strong>ch</strong> beispielsweise die textanalytis<strong>ch</strong> objektivierbaren Bed<strong>eu</strong>tungen<br />

mit denen mögli<strong>ch</strong>er Rezipienten konfrontieren und aus der Ri<strong>ch</strong>tung der Inkongruenz auf Merkmale<br />

des Kommunikators bzw. des Rezipienten s<strong>ch</strong>liessen. Andererseits kann man eine Assoziationsstruktur<br />

des Texts erstellen, die im Fall konkurrierender Aussagen einen „Wahrheitswert“ abgibt<br />

und Diskussionen ents<strong>ch</strong>eidbar ma<strong>ch</strong>t.<br />

Ende des Skriptums<br />

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