Zweijahresbericht 2004/2005 - Bibliothek - GFZ
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<strong>Zweijahresbericht</strong><br />
GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
in der Helmholtz-Gemeinschaft<br />
<strong>2004</strong>/<strong>2005</strong><br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort III<br />
Einleitung V<br />
Aus der wissenschaftlichen Arbeit<br />
GITEWS: das Tsunami-Frühwarnsystem für den Indischen Ozean 1<br />
Das Bam-Erdbeben 2003: Präzise Herdparameterbestimmung mit Hilfe der<br />
differentiellen Radar-Interferometrie 11<br />
D-INSAR-Forschung in China: Monitoring und Analyse von Absenkungen und Hangrutschungen 21<br />
Prozesse, die die Anden formten – Zwölf Jahre SFB 267 29<br />
„Inkaba ye Africa“: dem dynamischen System Erde auf der Spur 47<br />
CHAMP und GRACE – erfolgreiche Schwerefeld- und Klimamissionen 53<br />
A Comprehensive View of the Earth's Magnetic Field from Ground and Space Observations 63<br />
CONTINENT – Der Baikalsee, ein aussergewöhnliches kontinentales Klimaarchiv 77<br />
Seismische Vorauserkundung im Tunnelbau mit konvertierten Oberflächenwellen 97<br />
Technologieentwicklung im In situ-Geothermielabor Groß Schönebeck 103<br />
Hochdruck-Mineralphysik mit Synchrotron-Strahlung – ein Zugang zu den Bedingungen<br />
des tiefen Erdinneren 113<br />
Neue experimentelle Entwicklungen an der <strong>GFZ</strong>-Ionensonde zur quantitativen Bestimmung<br />
volatiler Elemente 135<br />
Risikokarten für Deutschland: erste Ergebnisse vom „Center for Disaster Management and<br />
Risk Reduction Technologies“ (CEDIM) 141<br />
Das Industrie-Partnerschaftprogramm (IPP): Internationale Kooperation zur Erforschung<br />
von Kohlenwasserstoffsystemen 153<br />
Die Departments<br />
Dep. 1 Geodäsie und Fernerkundung 165<br />
Dep. 2 Physik der Erde 215<br />
Dep. 3 Geodynamik 271<br />
Dep. 4 Chemie der Erde 299<br />
Dep. 5 Geoengineering 373<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
I
II<br />
Gremien des <strong>GFZ</strong> Potsdam 409<br />
Organisation, Verwaltung, Zentrale Dienste 410<br />
Personal- und Sozialwesen<br />
Haushalt und Finanzen<br />
<strong>Bibliothek</strong> des Wissenschaftsparks „Albert Einstein“<br />
Daten- und Rechenzentrum<br />
ICDP Operational Support Group<br />
Das „Einstein-Jahr“ <strong>2005</strong> in Potsdam<br />
Auszeichnungen und Ehrungen 432<br />
Habilitationen, Promotionen 433<br />
Ausgewählte Publikationen 435<br />
Patente <strong>2004</strong> – <strong>2005</strong> 448<br />
Glossar 449<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Vorwort<br />
Der vorliegende <strong>Zweijahresbericht</strong> über den Zeitraum <strong>2004</strong>/05 wendet sich in erster Linie an die Mitglieder des Kuratoriums<br />
und des Wissenschaftlichen Beirats sowie an die Zuwendungsgeber und die zuständigen parlamentarischen<br />
Gremien. Darüber hinaus soll er aber auch die wissenschaftlich interessierte Öffentlichkeit über das GeoForschungs-<br />
Zentrum Potsdam (<strong>GFZ</strong>), seine Ziele und seine Forschungsaktivitäten informieren.<br />
Mit dem Jahr <strong>2004</strong> wurde die Finanzierung der Helmholtz-Gemeinschaft in den Forschungsbereichen (FB) „Erde und<br />
Umwelt“ sowie „Energie“ auf die Programmorientierte Förderung umgestellt. Das <strong>GFZ</strong> Potsdam hat die Federführung<br />
im Programm 1 Geosystem: Erde im Wandel im FB „Erde und Umwelt“, ist am Programm 2 Atmosphäre und Klima<br />
mit seinen Arbeiten zur GPS-Atmosphärensondierung beteiligt und kooperiert mit dem AWI/GKSS im Programm 3<br />
Polare, Marine und Küstensysteme. Am Programm „Erneuerbare Energien“ im FB „Energie“ beteiligt sich das <strong>GFZ</strong><br />
mit dem Programmthema Geothermische Technologien.<br />
Das zentrale Ereignis im Berichtszeitraum war die Tsunami-Katastrophe vom 26. Dezember <strong>2004</strong>, bei der über eine<br />
Viertelmillion Menschen ihr Leben verloren haben. Unter Federführung des <strong>GFZ</strong> Potsdam hat das Helmholtz-Forschungsnetzwerk<br />
EOS (Integrated Earth Observing System) der vier Helmholtz-Zentren AWI, DLR, <strong>GFZ</strong> und GKSS<br />
zusammen mit dem Konsortium Deutsche Meeresforschung (KDM), der Bundesanstalt für Geowissenschaften und<br />
Rohstoffe (BGR) sowie weiteren Einrichtungen bereits Anfang Januar <strong>2005</strong> ein Konzept zum Aufbau eines Tsunami-<br />
Frühwarnsystems für den Indischen Ozean vorgelegt. Mit der Umsetzung dieser FuE-Initiative, die mit insgesamt ca.<br />
45 Mio. € aus Mitteln der Bundesregierung für die Tsunami-Hilfe ausgestattet ist, wurde im April <strong>2005</strong> begonnen.<br />
Im November <strong>2005</strong> wurde das vom <strong>GFZ</strong> Potsdam koordinierte und geleitete Internationale Kontinentale Bohrprogramm<br />
ICDP von einem internationalen Expertengremium evaluiert und insgesamt hervorragend bewertet. Größere<br />
Bohrprojekte im Berichtszeitraum mit einer starken <strong>GFZ</strong>-Beteiligung waren u. a. die Erbohrung der San Andreas-Störungszone<br />
bei Parkfield, ein Bohrprojekt im Lake Bosumtwi, einem Meteoriteneinschlagskrater in Ghana, sowie das<br />
Lake Qinghai Drilling Projekt in Tibet, China. Bereits Ende März <strong>2005</strong> konnten auf einer großen internationalen Konferenz<br />
unter dem Titel „Continental Scientific Drilling <strong>2005</strong> – A Decade of Progress and Opportunities“ ein Resümee<br />
der im Rahmen des ICDP durchgeführten Bohrungen gezogen und ein strategisches Konzept für zukünftige wissenschaftliche<br />
Bohrungen erarbeitet werden.<br />
Im Pilotprojekt CO 2SINK haben sich <strong>2004</strong> unter Federführung des <strong>GFZ</strong> Potsdam Partner aus acht europäischen Nationen<br />
zusammengefunden, um die Speicherung von Kohlendioxid im Untergrund umfassend zu erforschen. Dieses europaweit<br />
erste Projekt auf dem Festland wird von der EU über zunächst fünf Jahre gefördert. Seit April <strong>2005</strong> läuft ebenfalls<br />
unter Koordination des <strong>GFZ</strong> das BMBF Verbundprojekt COSMOS – CO 2-Speicherung, Monitoring und Sicherheitstechnologien<br />
– mit Beteiligung der Universitäten Karlsruhe und Freiberg sowie der Industrie.<br />
Das Geothermie-Projekt des <strong>GFZ</strong> in Groß Schönebeck (nordöstlich von Berlin) geht nach erfolgreicher Arbeit in eine<br />
neue Phase. Mit der Übergabe eines Förderungsbescheides im August <strong>2005</strong> wurden Mittel in Höhe von ca. 10 Mio.<br />
Euro durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit bereitgestellt, so dass im Frühjahr<br />
2006 die zweite Forschungsbohrung begonnen werden kann.<br />
Die Satellitenmission CHAMP wurde ebenfalls erfolgreich weitergeführt. Mit nunmehr zweimaliger Bahnanhebung wurde<br />
die Lebensdauer des Satelliten erheblich verlängert, so dass derzeit von einer weiteren Funktionsfähigkeit bis 2008 ausgegangen<br />
werden kann. Auch die dritte Satellitenmission mit <strong>GFZ</strong>-Beteiligung, GRACE, ist weiterhin auf Erfolgskurs.<br />
Wir möchten uns bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für das große Engagement und die hervorragende Arbeit<br />
in den vergangenen beiden Jahren bedanken. Ein besonderer Dank gilt den Zuwendungsgebern, Bund und Land, den<br />
Mitgliedern unserer Gremien sowie den verschiedenen Fördereinrichtungen, die unsere FuE-Aktivitäten nachhaltig<br />
unterstützt haben.<br />
Prof. Dr. Dr. h. c. Rolf Emmermann Dr. Bernhard Raiser<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
III
IV<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Das System Erde –<br />
Forschungsgegenstand des <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
Das anhaltende Wachstum der Weltbevölkerung, die dadurch<br />
bedingte immer intensivere Nutzung unseres Planeten<br />
und seiner Ressourcen sowie die zunehmende Anfälligkeit<br />
unserer Gesellschaft gegenüber Naturgefahren<br />
erfordern ein nachhaltiges und international abgestimmtes<br />
Handeln zum Erhalt des Lebensraums Erde, zur Sicherung<br />
unserer Lebensgrundlagen und zum Schutz unserer<br />
Umwelt. Zu diesen zentralen Aufgaben der gesellschaftlichen<br />
Daseinsvorsorge will das <strong>GFZ</strong> Potsdam mit seinen<br />
Forschungs- und Entwicklungsarbeiten (FuE) einen maßgeblichen<br />
Beitrag leisten.<br />
Die Erde ist ein dynamischer Planet, der unter dem Einfluss<br />
endogener und exogener Kräfte und Prozesse einem<br />
ständigen Wandel unterliegt und durch rückgekoppelte<br />
und auf ganz unterschiedlichen räumlich-zeitlichen Skalen<br />
ablaufende Interaktionen und Austauschvorgänge von<br />
Materie und Energie zwischen Geosphäre, Hydrosphäre,<br />
Atmosphäre und Biosphäre gekennzeichnet ist. Um unseren<br />
Lebensraum – von der regionalen Umwelt bis hin zur<br />
Erde insgesamt – zu verstehen, ist es deshalb notwendig,<br />
die Erde als System zu betrachten und dessen Funktionsweise<br />
global wie regional im Detail zu analysieren. Dabei<br />
gilt es insbesondere zu bewerten, wie sich die Tätigkeit<br />
des Menschen und sein Eingriff in die natürlichen Gleichgewichte<br />
und Prozesse in diesem hochkomplexen, nichtlinearen<br />
System auswirken.<br />
Die Entwicklung immer leistungsfähigerer Instrumente<br />
und höherauflösender Messtechniken sowie die inzwischen<br />
verfügbaren Computertechnologien ermöglichen es<br />
den Geowissenschaften heute, komplexe Strukturen und<br />
Geoprozesse in allen zeitlichen und räumlichen Skalenbereichen<br />
zu erfassen und numerisch zu modellieren. Das<br />
am <strong>GFZ</strong> Potsdam eingesetzte Spektrum an Methoden und<br />
Techniken reicht von Satelliten und flugzeuggestützten<br />
Messsystemen über hochauflösende Verfahren der geophysikalischen<br />
Tiefensondierung und wissenschaftlichen<br />
Bohrungen bis hin zu Laborexperimenten unter simulierten<br />
In-Situ-Bedingungen. Es wird ergänzt durch mathematische<br />
Ansätze zur Systemtheorie und die Modellierung<br />
von Geoprozessen.<br />
Langfristiges Forschungsziel ist es, auf der Grundlage<br />
eines umfassenden Prozess- und Systemverständnisses<br />
Strategien zu entwickeln und Handlungsoptionen aufzuzeigen,<br />
z. B. für die Sicherung und umweltverträgliche<br />
Gewinnung natürlicher Ressourcen, die Vorsorge vor<br />
Naturkatastrophen und die Minderung der Risiken, die<br />
Bewertung der Klima- und Umweltentwicklung und des<br />
anthropogenen Einflusses hierauf sowie die Erkundung,<br />
Nutzung und den Schutz des unterirdischen Raums.<br />
Die FuE-Arbeiten werden in einem fachübergreifenden<br />
Verbund von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren und<br />
in enger Kooperation mit nationalen und internationalen<br />
Partnern realisiert. Im Mittelpunkt stehen dabei die Erforschung<br />
und Modellierung relevanter Geo-Prozesse, das<br />
Monitoring von Zustand und Entwicklungstrends im<br />
System Erde, die Definition physikalisch-chemischer Toleranzgrenzen<br />
kritischer Zustände sowie die Langzeiterfassung<br />
globaler wie regionaler Veränderungen.<br />
Hierzu wird eine modulare Erdbeobachtungsinfrastruktur,<br />
bestehend aus Geo-Satelliten, Flugzeugplattformen mit<br />
speziellen Sensoren, globalen Bodennetzwerken von Permanentstationen<br />
und mobilen Messnetzen, in nationaler<br />
und internationaler Kooperation betrieben. Ein wesentliches<br />
Element dieser wissenschaftlichen Infrastruktur ist<br />
die Vorhaltung von Gerätepools, geowissenschaftlichen<br />
Observatorien sowie analytischen Spezialgeräten. Sie stehen<br />
für eine gemeinsame Nutzung in Gemeinschaftsprojekten<br />
mit externen Partnern zur Verfügung und sind der<br />
Beitrag des <strong>GFZ</strong> Potsdam zur Wissenschafts-Infrastruktur<br />
der Helmholtz-Gemeinschaft.<br />
Forschungsschwerpunkte des <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
Das FuE-Programm des <strong>GFZ</strong> orientiert sich an langfristig<br />
angelegten Forschungsthemen, die von globaler Bedeutung<br />
sind und international eine zentrale Rolle spielen.<br />
Globale Prozesse und Geomonitoring<br />
Globale Prozesse können den Lebensraum des Menschen<br />
auch innerhalb kurzer Zeiträume verändern. Erdbeben,<br />
Vulkanismus, die gegenwärtige starke Abnahme des Magnetfeldes<br />
und Änderungen im Massenhaushalt polarer<br />
Eisflächen sind unmittelbare Zeugen dieser Dynamik. Ihre<br />
Wirkung wird in der Variabilität des Gravitationsfeldes<br />
und des Magnetfeldes der Erde, der Veränderlichkeit der<br />
Erdrotation und in großräumigen Deformationen des Erdkörpers<br />
sichtbar. Zugrundeliegende Prozesse finden ihren<br />
Ausdruck in der seismologischen Struktur des Erdinnern<br />
und in seiner stofflichen Zusammensetzung. Wesentliche<br />
Voraussetzung zum Verständnis des Systems Erde und seiner<br />
Dynamik ist die Kenntnis dieser Prozesse und Strukturen.<br />
Global gewonnene, lange Zeiträume überdeckende Datenreihen<br />
von diesen Phänomenen sind für eine gesicherte<br />
Prozessmodellierung von ausschlaggebender Bedeutung.<br />
Zielvorgabe für diese Aufgabe ist es, eine die Kontinente,<br />
Ozeane und großen Eisflächen überdeckende integrierte<br />
Geomonitoring-Infrastruktur zu schaffen, diese im Verbund<br />
mit Teilstrukturen von internationalen Partnern und<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
V
VI<br />
Abb. 1: Übergabe der ersten Boje des Tsunami-Frühwarnsystems für den Indischen Ozean an Indonesien, Juli <strong>2005</strong> in<br />
Hamburg (Fotos: A. Rudloff, <strong>GFZ</strong>)<br />
Handing over the first buoy of the tsunami early warning system for the Indian Ocean to Indonesia, Hamburg, July <strong>2005</strong>.<br />
Diensten operationell zu betreiben und die damit erfassten<br />
Datenreihen in räumlich-zeitlich hochauflösende Modelle<br />
umzusetzen. Nur auf dieser Basis lassen sich Bezugssysteme<br />
und Modellgrößen mit größtmöglicher Genauigkeit<br />
und zeitlicher Frequenz bestimmen und überwachen.<br />
Die Vision eines „integrierten Geomonitoring“ zur Erfassung<br />
globaler Prozesse beinhaltet deshalb die Entwicklung<br />
und den Betrieb von Satelliten- und Flugzeugplattformen<br />
mit angepassten Sensoren und die systematische<br />
Weiterentwicklung von Verfahren zur Nutzung von GNSS<br />
(GPS/GALILEO)-Signalen in der Geo- und Atmosphärenforschung.<br />
Sie umfasst auch die Entwicklung und den<br />
Betrieb eines national und international vernetzten Kompetenzzentrums<br />
für die Erfassung, Archivierung und Verteilung<br />
globaler Langzeitdatensätze. Insbesondere muss<br />
auch die Weiterentwicklung und der effektive Betrieb von<br />
Prozessoren für die Modellierung von Schwerefeldern,<br />
Magnetfeldern, Deformationsfeldern und deren zeitliche<br />
Veränderungen sowie für die Abbildung von Prozessen im<br />
Erdinnern sichergestellt werden.<br />
Mit dieser national und international vernetzten Infrastruktur,<br />
dem Navigations-Satellitensystem GPS, den<br />
Geoforschungssatelliten CHAMP, GRACE, GOCE und<br />
den Ozean- und Eisüberwachungssatelliten TOPEX, ERS,<br />
JASON und ENVISAT werden neben der mehr grundlagenorientierten<br />
Modellbildung zu Prozessen im Erdkern,<br />
Erdmantel und der Kruste eine Vielzahl praktischer Anwendungen<br />
möglich. Hierzu gehören die laufende Bereitstellung<br />
eines für die Präzisionsvermessung, terrestrische<br />
Navigation und interplanetare Navigation fundamentalen<br />
geozentrischen globalen Bezugssystems mit Millimetergenauigkeit,<br />
die Bereitstellung einer Höhenbezugsfläche<br />
(Geoid) mit Millimetergenauigkeit für die hochgenaue<br />
interkontinentale Höhenübertragung, die Überwachung<br />
des Meeresspiegelanstiegs und die Nutzung von GPS<br />
(zukünftig GALILEO) für das Nivellement mit Satelliten<br />
und die Präzisionszeitübertragung. Daneben werden die<br />
Zirkulation der Ozeane, Tiefenwasserströmungen, Wärmeaustausch<br />
an der Ozeanoberfläche, Veränderungen im<br />
Massenhaushalt der großen Eisflächen, Veränderungen im<br />
globalen Grundwasserhaushalt und die Änderung des mittleren<br />
Meeresspiegels mit hoher Genauigkeit beobachtbar<br />
und überwachbar. Die kontinuierliche Auswertung von<br />
Messungen zum Schwerefeld, Magnetfeld und der Atmosphäre<br />
mit Satelliten liefert wichtige Elemente zur Überwachung<br />
und Kurzfristvorhersage des irdischen Wetters<br />
und des Weltraumwetters und damit wertvolle Beiträge<br />
zum Schutz der Bevölkerung und technischer Systeme.<br />
Geodynamik, Stoffkreisläufe und Resourcen<br />
Tektonische Prozesse und Massenverlagerungen aller Art<br />
in der Erdkruste und dem oberen Erdmantel sind unmittelbarer<br />
Ausdruck der Dynamik unseres Planeten und bestimmend<br />
für den menschlichen Lebensraum. Ziel ist ihre<br />
Analyse mittels eines breiten Methodenspektrums. Der<br />
Schwerpunkt der Forschung liegt auf dem Studium der<br />
Entwicklung von Deformation, Massen- und Stofftransport<br />
in und auf der kontinentalen Lithosphäre.<br />
Seit den 60er-Jahren vollzieht sich in den Geowissenschaften<br />
ein Umbruch von konventionellen, eher beschreibenden<br />
Ansätzen, zu einer quantifizierenden Wissenschaft.<br />
Die wichtigsten Impulse entstammen dabei dem<br />
Konzept der Plattentektonik als vereinheitlichende geowissenschaftliche<br />
Theorie. Begleitet wurde dieser Umbruch<br />
durch die Entwicklung moderner Methoden der<br />
hochauflösenden Analytik auf der atomaren Ebene, Beobachtungen<br />
im Feldmaßstab und mathematischer Modelle<br />
zur Abbildung und Simulation der relevanten Prozesse.<br />
Die damit quantitativ stofflich und physikalisch untersuchten<br />
Phänomene reichen von der Lithosphärendeformation<br />
über die Entwicklung sedimentärer Beckenstrukturen<br />
und Klimaforschung bis hin zu Fragen der Naturgefahren<br />
und Katastrophenvorsorge.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Geodynamische Prozesse sind als räumlich begrenzte<br />
Abläufe Antrieb für Deformationsvorgänge, Erdbeben<br />
und für alle geogenen Stoffkreisläufe, die den Lebensraum<br />
Erde aufrechterhalten. Stoffkreisläufe sind der Motor<br />
für die Entstehung von Ressourcen, wie mineralische<br />
Lagerstätten, Kohlenwasserstoffvorkommen und Grundwasser.<br />
Die Herausforderung besteht darin, Antrieb und Steuerungsmechanismen<br />
von geodynamischen Prozessen und<br />
Stoffkreisläufen einerseits zu identifizieren sowie andererseits<br />
ihre Risiko- und Ressourcenpotentiale besser<br />
abzuschätzen. Hierzu werden integrierte, hochauflösende<br />
geophysikalisch-geodätisch-geologische Messkampagnen<br />
in geodynamischen Schlüsselregionen der Erde – insbesondere<br />
an aktiven und passiven Kontinenträndern –<br />
durchgeführt, die sich auf besonders relevante, sogenannte<br />
‚Natürliche Laboratorien‘ fokussieren. Diese sind vor<br />
allem Südafrika (Projekt Inkaba ye Africa) als Beispiel<br />
eines passiven Kontinentrands, Südamerika mit dem prominentesten<br />
konvergenten Kontinentrand, Israel und die<br />
Türkei für große aktive intrakontinentale Störungszonen<br />
und die Pamir-Tienshan-Region in Zentralasien für intrakontinentale<br />
Deformation.<br />
Parallel dazu werden Laborexperimente durchgeführt<br />
(„Erde im Labor“). Die Experimente simulieren Prozesse<br />
unter Normalbedingungen bis zu extrem hohen Drücken<br />
und Temperaturen und entschlüsseln Materialeigenschaften,<br />
Reaktionen zwischen Mineralen, Schmelzen<br />
und Fluiden sowie die damit verbundenen Transportprozesse<br />
in allen Skalenbereichen bis hinunter in den<br />
atomaren Maßstab. Der Einsatz mikro- und isotopenanalytischer<br />
Methoden erlaubt dabei die Quantifizierung von<br />
Stoffumsätzen und die Bestimmung der Chronologie geodynamischer<br />
Prozesse. Numerische Modellierungen verknüpfen<br />
diese Daten ganz unterschiedlicher Art und<br />
Dimension über verschiedene Skalenlängen. In diesem<br />
Kontext ist auch die Neu- und Weiterentwicklung innovativer<br />
Mess- und Auswertetechnologien<br />
von essentieller Bedeutung.<br />
Ein Schlüssel zum Verständnis des<br />
Systems Erde ist die Kenntnis der physikalischen<br />
Eigenschaften von Geomaterialien<br />
bei extrem hohen Drücken und<br />
Temperaturen. Am <strong>GFZ</strong> Potsdam werden<br />
deshalb Materialeigenschaften von<br />
Gesteinen und Mineralen bei simulierten<br />
Bedingungen des Erdinneren untersucht.<br />
Dabei stehen die für das Prozessverständnis<br />
wichtigen Größen, wie die<br />
Wärmetransporteigenschaften, und die<br />
für die Interpretation der indirekten geophysikalischen<br />
Tiefensondierungen benötigten<br />
Größen, wie elastische Eigenschaften,<br />
Dichte und elektrischer Widerstand,<br />
im Mittelpunkt. Die am <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
verfügbaren und zum Teil selbst entwickelten<br />
Apparaturen und experimentellen<br />
Einrichtungen stehen auch exter-<br />
nen Arbeitsgruppen für materialwissenschaftliche Fragestellungen<br />
in Physik, Chemie und bei der Entwicklung<br />
von neuen Materialien zur Verfügung.<br />
Die in den letzen Jahren intensiv untersuchten Aspekte<br />
und Phänomene des Kohlenstoffkreislaufs in der festen<br />
Erde sind u. a. die Umwandlungsraten fossilen Pflanzenmaterials<br />
in Sedimentbecken in gasförmige und flüssige<br />
Kohlenwasserstoffe über geologische Zeiträume, die Entwicklung<br />
von Störungen und porösen Gesteinen, durch<br />
die Erdöl und Erdgas aus großer Tiefe in flachere geologische<br />
Strukturen migrieren oder Mikroorganismen, die<br />
von der Permafrostzone bis in große Tiefen unter extremen<br />
Lebensbedingungen existieren und z. B. Erdölreserven<br />
abbauen oder Methan produzieren.<br />
Die Menge an Kohlenstoff in diesem Kreislauf ist zehntausendmal<br />
größer als die aller lebender Biomasse und<br />
Ressourcen an fossilen Brennstoffen (Kohle, Erdöl, Erdgas,<br />
Gashydrate) zusammen. Obwohl äußerst dynamisch,<br />
laufen die Prozesse mit unvorstellbar geringen Geschwindigkeiten<br />
ab, wenn man die menschliche Zeitskala als Vergleich<br />
heranzieht. Der globale Kohlenstoffkreislauf umfasst<br />
den Kreislauf des Lebens in Vergangenheit und Gegenwart.<br />
Er ist im Wesentlichen für die Entstehung fossiler<br />
Brennstoffe verantwortlich, die den industriellen Energiebedarf<br />
abdecken. Eine Komponente dieses hochaktuellen<br />
Themas sind Gashydrate, die mehr als die Hälfte<br />
der Kohlenwasserstoffreserven der Erde ausmachen und<br />
damit zukünftig eine zunehmende wirtschaftliche Bedeutung<br />
erlangen könnten. Gleichzeitig stellen sie aber auch<br />
einen erheblichen Einflussfaktor für Klimaänderungen dar.<br />
Die Hälfte der globalen Biomasse lebt unterhalb der Erdoberfläche<br />
und beeinflusst dort maßgeblich den Kohlenstoffhaushalt.<br />
Diese bislang kaum bekannte „Tiefe<br />
Biosphäre“ ist zudem ein einmaliges natürliches Labor,<br />
das die Baupläne für heute noch völlig unbekannte Bakterien<br />
und Enzyme für die Biotechnologie liefern wird.<br />
Abb. 2: In der Hochdruckhalle des GeoForschungsZentrums wurde <strong>2005</strong><br />
eine neuartige rotierende Vielstempelpresse installiert. (Foto: Reiner Schulz,<br />
<strong>GFZ</strong>)<br />
A new Rocking Multi-Anvil Press has been installed in the high-pressure<br />
hall of the <strong>GFZ</strong> Potsdam in <strong>2005</strong>.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
VII
VIII<br />
Die Untersuchung biogeochemisch gesteuerter Stoffkreisläufe<br />
ist daher von grundlegender Bedeutung für<br />
unsere Zivilisation und bildet ein wichtiges zukünftiges<br />
Forschungsthema.<br />
Klimavariabilität und Lebensraum des Menschen<br />
Der steigende Meeresspiegel und rapide Klimazonenverschiebungen<br />
in ariden bis semiariden Räumen werden im<br />
Wesentlichen durch Klimaveränderungen ausgelöst. Dieser<br />
natürliche globale Wandel wird zunehmend durch<br />
Aktivitäten der stark gewachsenen Erdbevölkerung überlagert.<br />
Massive anthropogene Eingriffe auf den Kontinenten<br />
haben bereits zu Veränderungen der Biosphäre und<br />
des menschlichen Lebensraums geführt. Zukünftige Szenarien<br />
sind beispielsweise die zunehmende Versteppung<br />
in Afrika und Eurasien (Veränderungen von Wasserbilanz<br />
und Vegetation) oder verstärkte Meeresvorstöße in Siedlungsräume.<br />
Die an der Erdoberfläche ablaufenden Prozesse sind Ausdruck<br />
einer Koevolution von Biosphäre, Atmosphäre,<br />
Hydrosphäre, Pedosphäre und Lithosphäre. Die Untersuchung<br />
der natürlichen Prozesse liefert Basisdaten über die<br />
Klimavariabilität und nachfolgend Handlungswissen für<br />
eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen Land und Wasser.<br />
Dabei geht es insbesondere darum, Abläufe wie<br />
Bodenerosion, Desertifikation, Wasserverknappung, Umweltverschmutzung<br />
oder Faunen- und Florensterben frühzeitig<br />
zu erkennen und einzudämmen.<br />
Mit Hilfe satellitengeodätischer Verfahren sollen die globalen<br />
Prozesse erfasst und die Vielzahl der Parameter, wie<br />
Abb. 3: Klima-Bohrkampagne CONTINENT des <strong>GFZ</strong><br />
Potsdam im Baikalsee (Foto: Birgit Heim)<br />
CONTINENT drilling for climate archives in the Baikal-<br />
Lake<br />
z. B. Abschmelzen der polaren Eiskappen, die Erwärmung<br />
der Ozeane, Veränderungen des kontinentalen Wasserhaushalts<br />
sowie rezente Vertikalbewegungen bestimmt<br />
werden. In einem integrativen Ansatz von Beobachtungsdaten<br />
und Prozessmodellen aus Ozeanographie, Glaziologie,<br />
Hydrologie und Geodynamik werden Perspektiven<br />
entwickelt, um Prognosen für zukünftige Szenarien zu<br />
erstellen, die Schlussfolgerungen erlauben z. B. für Meeresspiegeländerungen,<br />
den Salzwasseranstieg in Süßwasseraquiferen,<br />
die Eutrophierung und Erwärmung von Seen<br />
oder Landverluste.<br />
Es ist das Ziel, die räumliche und zeitliche Abfolge der<br />
Klimazustände der letzten Warm-/Kaltzyklen (bis ca.<br />
150.000 Jahre vor heute) mit einer zeitlichen Auflösung<br />
von wenigen Jahren bis Jahrhunderten und einer räumlichen<br />
Auflösung von wenigen 100 Kilometern durch die<br />
systematische Verbindung von paläoklimatischer/paläomagnetischer<br />
Analytik und realitätsnaher Modellierung zu<br />
rekonstruieren. Dieser Datensatz bildet die Basis für die<br />
detaillierte Prüfung von Hypothesen der Klimadynamik,<br />
die Ableitung von erdgeschichtlichen Entwicklungen<br />
sowie für Aussagen über die Vorhersagbarkeit des Klimasystems<br />
auf verschiedenen Skalen. Damit wird die natürliche<br />
Klimavariabilität allgemein, aber auch die Klimavariabilität<br />
synchron auf den Kontinenten und in den Ozeanen<br />
quantifiziert. Ein zentraler Aspekt ist dabei die Auswirkung<br />
von Klimaänderungen auf die regionale Umwelt.<br />
Naturkatastrophen und Vorsorgestrategien<br />
Ereignisse wie die Tsunami-Katastrophe vom 26. Dezember<br />
<strong>2004</strong> im Indischen Ozean, der Hurrikan Katrina und<br />
das Erdbeben in Pakistan/Indien <strong>2005</strong> haben erneut vor<br />
Augen geführt, dass die Begrenzung der Risiken von<br />
Naturgefahren zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen<br />
unserer Zeit gehören. Im Fall der Tsunami-<br />
Katastrophe hat unter Federführung des <strong>GFZ</strong> das Helmholtz-Forschungsnetzwerk<br />
EOS (Intergriertes Earth<br />
Observing System), bestehend aus den Helmholtz-Zentren<br />
AWI, DLR, <strong>GFZ</strong> und GKSS, sehr schnell reagiert und<br />
bereits Anfang Januar <strong>2005</strong> der Bundesregierung ein Konzept<br />
zum Aufbau eines Frühwarnsystems vorgelegt. Ziel<br />
ist die Implementierung eines wirksamen Tsunami-Frühwarnsystems<br />
für den Indischen Ozean, das später auf den<br />
Mittelmeerraum und den Atlantik ausgedehnt werden soll.<br />
Das Tsunami-Frühwarnsystem ist Teil eines Early-Warning-Systems,<br />
das auch andere Naturkatastrophen wie<br />
z. B. Erdbeben und Vulkanausbrüche erfassen soll. Das<br />
System integriert terrestrische Beobachtungsnetze der<br />
Seismologie und Geodäsie mit marinen Messverfahren und<br />
Satellitenbeobachtungen. Die dazu erforderlichen FuE-<br />
Arbeiten sollen im Rahmen eines Plans realisiert werden,<br />
der einerseits schnell, d. h. innerhalb von 1 bis 3 Jahren,<br />
wirksamen Schutz garantiert und andererseits zulässt, auch<br />
spätere technologische Entwicklungen, für die jetzt noch<br />
Forschungsbedarf besteht, problemlos einzubinden.<br />
Extreme Naturereignisse bedrohen den Menschen und seinen<br />
Lebensraum und führen in Verbindung mit der wachsenden<br />
Verletzbarkeit der Gesellschaft zu immer zerstörerischen<br />
Katastrophen. Beispiele hierfür sind Erdbeben,<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4: Geophysikalisches Observatorium Gunungsitoli<br />
(Nias, Indonesien), Standort der ersten seismischen Station<br />
im Rahmen von GITEWS (Foto: W. Hanka, <strong>GFZ</strong>)<br />
Geophysical observatory Gunungsitoli (Nias, Indonesia),<br />
location of the first seismic station in the GITEWS framework<br />
Vulkanausbrüche, Hochwasser, Massenbewegungen oder<br />
Tsunamis. In zunehmendem Maße gewinnen in unserer<br />
hochtechnisierten Welt auch Gefahren aus dem Weltraum<br />
an Bedeutung, die von Wechselwirkungen einer sich verändernden<br />
Magnetosphäre mit dem Sonnenwind ausgehen<br />
(„Weltraumwetter“).<br />
Eine zentrale Aufgabe geowissenschaftlicher Forschung<br />
wird künftig darin bestehen, Naturgefahren nach dem<br />
aktuellen Stand der Forschung zu analysieren. Dazu sind im<br />
Verbund mit Ingenieuren, Ökonomen und Soziologen mögliche<br />
Katastrophenszenarien realitätsnah zu simulieren, Vulnerabilitäts-<br />
und Gefährdungsabschätzungen sowie Risikobewertungen<br />
vorzunehmen, Frühwarnkapazität zu schaffen<br />
und praxisnahe Schutzkonzepte zu entwickeln. Es sind integrierte<br />
Konzepte zu erarbeiten, die geowissenschaftliche<br />
Informationen mit denen technischer, ökonomischer und<br />
sozialwissenschaftlicher Disziplinen zusammenführen und<br />
in eine nachhaltige Vorsorge einbinden. Dabei sind die verschiedenen<br />
Phasen des Katastrophenmanagements, d. h.<br />
Risikoanalyse, Katastrophenvorbeugung und Katastrophenbewältigung<br />
sowie die Nachsorge zu berücksichtigen.<br />
Langfristig ist es das Ziel, geowissenschaftliches Knowhow<br />
im Management von Naturkatastrophen zu verankern.<br />
Die Vernetzung mit nationalen und internationalen<br />
Partnern aus Wissenschaft und Katastrophenmanagement<br />
soll eine Kultur der Katastrophenvorsorge<br />
fördern, die wissenschaftlich begründet,<br />
technologisch abgesichert und an der<br />
Praxis orientiert ist sowie von der Gesellschaft<br />
akzeptiert wird. Ein Meilenstein ist<br />
die Gründung des Centre for Disaster<br />
Management and Risk Reduction Technology<br />
(CEDIM), das 2003 vom <strong>GFZ</strong><br />
Potsdam und der Technischen Universität<br />
Karlsruhe gemeinsam ins Leben gerufen<br />
wurde. Das CEDIM wird zusätzlich als<br />
Virtuelles Institut aus dem Impuls- und<br />
Vernetzungsfonds der Helmholtz-Gemeinschaft<br />
finanziert.<br />
Geoengineering<br />
Global beobachtet man beunruhigende Trends, die für die<br />
Gesellschaft gewaltige Herausforderungen mit sich bringen.<br />
Hierzu gehören Urbanisierung, Verkehrskollaps, Verknappung<br />
der Energie-, Wasser- und Rohstoffressourcen<br />
sowie Luft- und Umweltverschmutzung. Stadtplanung<br />
und Verwaltung können mit dem schnellen und unkontrollierten<br />
Wachstum von Megacities in den meisten Fällen<br />
nicht Schritt halten. Daraus resultieren Aufgaben, die<br />
in ihrer Komplexität und ihrem Ausmaß neuartig sind, wie<br />
z. B. die Sicherung der Energie- und Wasserversorgung,<br />
die Nutzung des unterirdischen Raums für die Verkehrsinfrastruktur<br />
sowie der Schutz vor Naturkatastrophen und<br />
technologischen Desastern.<br />
Die immer knapper werdenden fossilen Energierohstoffe<br />
und die zunehmenden Emissionen von klimaschädlichen<br />
Treibhausgasen verlangen nach einem effektiven, ökonomisch<br />
und ökologisch verantwortungsvollen Handeln. In<br />
Kombination mit erneuerbaren Energien bleibt Kohle<br />
auch langfristig der wichtigste Baustein im künftigen<br />
Energiemix der Stromerzeugung. Nachteilig für Klima<br />
und Umwelt sind jedoch die hohen spezifischen CO 2-<br />
Emissionen aus der Kohleverstromung. Zu ihrer Vermeidung<br />
muss man die Wirkungsgrade der Energiewandlung<br />
steigern und verstärkt erneuerbare Energien einsetzen.<br />
Man kann aber auch neue Wege gehen: Die Abtrennung<br />
von CO 2 an den Kraftwerken und Rückführung in den geologischen<br />
Untergrund kann für den Klimaschutz global zu<br />
einer Schlüsseltechnologie werden.<br />
Weltweit befindet sich die Nutzung des unterirdischen<br />
Raums im Aufwind. In stark bevölkerten Gebieten bleibt<br />
als letzter verfügbarer Raum für Infrastrukturen vielfach<br />
nur noch der Untergrund. In den Städten erzwingen<br />
restriktive Randbedingungen infolge Flächenknappheit,<br />
immer stärkeren Lärm- und Umweltschutzauflagen sowie<br />
mangelnder Akzeptanzbereitschaft der Bevölkerung<br />
gegenüber Baubelästigungen, das Ausweichen in die Tiefe<br />
durch den Bau von U-Bahnen, Straßentunneln, Rohrleitungen,<br />
Parkkavernen und sogar ganzen Bahnhöfen.<br />
Auch die Basistunnel der neuen transeuropäischen Eisenbahnhochgeschwindigkeitsstrecken<br />
durch die Alpen sind<br />
technische Herausforderungen ersten Ranges mit ihren<br />
außergewöhnlichen Längen, hohen Gebirgsüberlagerungen,<br />
hohen mechanischen Spannungen und besonders<br />
Abb. 5: Bild des geplanten Neubaus A19 auf dem <strong>GFZ</strong>-Campus (Foto: Architektenbüro<br />
Becker, Potsdam)<br />
Sketch of the planned new building A19 on the <strong>GFZ</strong> campus<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
IX
X<br />
Abb. 6: Einige Teilnehmer der Konferenz „Continental Scientific Drilling<br />
<strong>2005</strong> – A Decade of Progress and Opportunities for the Future“, Potsdam,<br />
29. 3. bis 1. 4. <strong>2005</strong> (Foto: B. Stöcker, <strong>GFZ</strong>)<br />
Several participants of the conference „Continental Scientific Drilling <strong>2005</strong><br />
– A Decade of Progress and Opportunities for the Future“, Potsdam, 29. 3.<br />
to 1. 4. <strong>2005</strong><br />
komplexen geotechnischen Bauvorgängen. Anforderungen<br />
dieses Umfangs wurden bisher noch nirgendwo auf<br />
der Erde bewältigt und lösen richtungsweisende Impulse<br />
in der Grundlagen- und angewandten Forschung aus wie<br />
z. B. die hochauflösende seismische Vorauserkundung online<br />
während eines Tunnelvortriebs.<br />
Die Geothermie steht als erneuerbare Energie jederzeit zur<br />
Verfügung und ist eine ökologisch beispielhafte Alternative<br />
zu Kernkraft und fossilen Energieträgern. Aus Erdwärme<br />
kann man Energie in Form von technisch nutzbarer<br />
Wärme oder elektrischem Strom bedarfsgerecht herstellen.<br />
Erdwärme ist überall vorhanden, auch in Mitteleuropa.<br />
Jedoch muss man hier bis in Tiefen von 4 bis<br />
5 Kilometern bohren, um ein genügend hohes Temperaturniveau<br />
zu erschließen, um elektrische Generatoren über<br />
Dampfturbinen effizient antreiben zu können. Dieses<br />
Potenzial kann aber erst dann genutzt werden, wenn die<br />
Kosten und Risiken der Erschließung nachhaltig gesenkt<br />
werden.<br />
Mittelfristig wird dem Energieträger Biomasse das größte<br />
Potential unter den regenerativen Energiequellen zugeschrieben.<br />
Voraussetzung für eine energetische Nutzung<br />
von Biomasse sind die Entwicklung und Erschließung<br />
neuer Technologien zur Erhöhung des Wirkungsgrades der<br />
Energiewandlung sowie deren Implementierung hinsichtlich<br />
Wirtschaftlichkeit, Umweltschutz, Nachhaltigkeit und<br />
Versorgungssicherheit – besonders im ländlichen Raum.<br />
Das <strong>GFZ</strong> Potsdam hat gemeinsam mit einem Industriepartner<br />
die Konzeption einer auf geowissenschaftliche<br />
und geotechnische Fragestellungen und Projekte optimierten<br />
Forschungsbohranlage erarbeitet. Dabei sind<br />
besonders zu nennen die operationelle und wissenschaftliche<br />
Durchführung des Internationalen Kontinentalen<br />
Bohrprogramms ICDP, die Entwicklung und Anwendung<br />
neuer Bohrtechnologien für wissenschaftliche For-<br />
schungsbohrungen, die Entwicklung<br />
neuer Technologien zur Erstellung von<br />
Bohrungen für die CO 2-Speicherung im<br />
Untergrund und die Nutzung geothermischer<br />
Energie. Die Anlage soll kostengünstige<br />
Forschungsbohrungen bis zu<br />
einer Tiefe von etwa 5.000 Metern ermöglichen.<br />
Nationale und Internationale Wissenschaftsinfrastruktur<br />
Zur Erfassung von Schlüsselprozessen im<br />
System Erde ist eine Infrastruktur notwendig,<br />
die die gesamten behandelten<br />
räumlichen und zeitlichen Skalen abdeckt:<br />
von der Ebene physikalischer und<br />
chemischer Untersuchungen im Labor<br />
über Prozesse auf der regionalen Skala in<br />
„natürlichen Laboren“ bis hin zu globalen<br />
Beobachtungsverfahren. Das <strong>GFZ</strong><br />
Potsdam betreibt dafür eine international<br />
einmalige Wissenschaftsinfrastruktur für<br />
die unterschiedlichsten Aufgaben, die insbesondere auch<br />
Wissenschaftlern von Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen<br />
zur Verfügung steht. Neben eigenen<br />
Satelliten und den entsprechenden Datenportalen<br />
gehören hierzu ein Geophysikalischer Gerätepool und ein<br />
Pool von GPS-Stationen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt<br />
auf dem Betrieb von globalen Messnetzen wie dem globalen<br />
Erdbebenmonitoring System GEOFON, GPS-Permanentstationen<br />
im Internationalen GNSS Service (IGS)<br />
und von geophysikalischen Observatorien (Magnetische<br />
Observatorien in Niemegk und Wingst, Geodynamisches<br />
Observatorium in Sutherland, RSA) die in internationale<br />
Messnetze eingebunden sind und deren Daten der internationalen<br />
Community zur Verfügung gestellt werden. Im<br />
Bereich der Geomaterialforschung betreibt das <strong>GFZ</strong> eine<br />
in Europa einzigartige Anlage zur Untersuchung von<br />
Materialeigenschaften und Prozessparametern unter<br />
hohen Drücken und Temperaturen mit Synchrotronstrahlung<br />
am HASYLAB des DESY sowie weitere analytische<br />
Spezialgeräte wie ein hochauflösendes Transmissions-<br />
Elektronenmikroskop oder eine Ionensonde.<br />
Nationale Kooperationen<br />
Das GeoForschungsZentrum Potsdam ist als nationales<br />
Forschungszentrum für Geowissenschaften Mitglied der<br />
Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.<br />
Die Zentren erhalten seit 2003 ihre Grundfinanzierung im<br />
Rahmen der Programmorientierten Förderung. Dies bedeutet,<br />
dass die Forschungsaktivitäten für einen Zeitraum<br />
von 5 Jahren in sogenannten Programmen formuliert werden.<br />
Diese werden einer strategischen Begutachtung durch<br />
ein international zusammengesetztes Expertengremium<br />
unterworfen. Zur klaren strategischen Ausrichtung hat die<br />
Helmholtz-Gemeinschaft ihre gesamten Forschungsaktivitäten<br />
in sechs Forschungsbereiche eingeteilt: Energie,<br />
Erde und Umwelt, Gesundheit, Verkehr und Weltraum,<br />
Struktur der Materie sowie Schlüsseltechnologien. Das<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
<strong>GFZ</strong> beteiligt sich maßgeblich im Forschungsbereich<br />
„Erde und Umwelt“ und mit seinen Geothermie-Aktivitäten<br />
im Forschungsbereich „Energie“.<br />
Im Forschungsbereich „Erde und Umwelt“ wurden sechs<br />
Programme etabliert, von denen das <strong>GFZ</strong> Potsdam das<br />
Programm 1 „Geosystem: Erde im Wandel“ koordiniert<br />
und sich beim Programm 2 „Atmosphäre und Klima“ mit<br />
seinen Arbeiten zur GPS-Meteorologie beteiligt. Die Programme<br />
in den Forschungsbereichen „Erde und Umwelt“<br />
sowie „Energie“ starteten zum 1. 1. <strong>2004</strong>.<br />
Neben den programmatischen Aktivitäten haben die<br />
Helmholtz-Zentren Alfred-Wegener-Institut für Polarund<br />
Meeresforschung (AWI), GKSS-Forschungszentrum<br />
Geesthacht, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt<br />
(DLR) und <strong>GFZ</strong> Potsdam gegenwärtig gemeinsam das<br />
Forschungsnetzwerk EOS „Integriertes Erdbeobachtungssystem“<br />
installiert, in dem die wissenschaftlichen<br />
Infrastrukturen zusammengefasst sind. In dem Forschungsnetzwerk<br />
EOS werden drei Themen gemeinsam<br />
bearbeitet: „Eis und Ozean“, „Katastrophenmanagement“<br />
und „Prozesse der Landoberfläche“. Über den Impuls- und<br />
Vernetzungsfond des Helmholtz-Präsidenten konnte ein<br />
Doktorandenprogramm mit insgesamt 18 Stellen initiiert<br />
werden.<br />
Das <strong>GFZ</strong> Potsdam beteiligt sich im Rahmen seiner Zielsetzungen<br />
an einer Reihe von nationalen Programmen und<br />
größeren Forschungsprojekten. Hier sind insbesondere die<br />
Projektförderung des BMBF, des BMWi, des BMU und<br />
Programme der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu<br />
nennen.<br />
Das GeoForschungsZentrum hat sich gemeinsam mit der<br />
FU Berlin, der TU Berlin und der Universität Potsdam<br />
maßgeblich am Sonderforschungsbereich 267 „Deformationsprozesse<br />
in den Anden“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
beteiligt und auch den Sprecher gestellt. Der<br />
SFB hat <strong>2005</strong> nach insgesamt 12 Jahren seine Maximallaufzeit<br />
erreicht und wurde zu einem erfolgreichen<br />
Abschluss gebracht. Das <strong>GFZ</strong> Potsdam ist darüber hinaus<br />
an drei Schwerpunktprogrammen der DFG wesentlich<br />
beteiligt: „ICDP“, „Erdmagnetische Variationen: Perioden<br />
und Prozesse“ sowie „Sedimentbecken“. Weiterhin<br />
beteiligt sich das <strong>GFZ</strong> an dem gemeinsam von BMBF und<br />
DFG finanzierten Programm „Geotechnologien“. An den<br />
Ausschreibungsrunden zu den Themen „Kontinentränder“<br />
und „Informationstechnologie im Erdmanagement“<br />
hat sich das <strong>GFZ</strong> Potsdam erfolgreich beteiligt. Der Themenkomplex<br />
„Beobachtung des Systems Erde aus dem<br />
Weltraum“ wurde bereits zur erstmaligen Verlängerung<br />
ausgeschrieben. Schwerpunkt der erfolgreichen <strong>GFZ</strong>-<br />
Anträge liegt auf der Auswertung und wissenschaftlichen<br />
Bearbeitung von Daten aus dem CHAMP- und GRACE-<br />
Projekt. Im Rahmen des Marktanreizprogramms des<br />
Bundesministeriums für Umwelt und Reaktorsicherheit<br />
(BMU) konnten erfolgreich umfangreiche Mittel zur Fortführung<br />
des Geothermieprojekts in Groß Schönebeck eingeworben<br />
werden, womit die Finanzierung der zweiten<br />
Bohrung gesichert wurde.<br />
Abb. 7: Verleihung des Brandenburgischen Verdienstordens<br />
an Prof. Emmermann, Juni <strong>2005</strong>, Foto: Staatskanzlei<br />
des Landes Brandenburg<br />
Award of the Order of Merit of the State of Brandenburg<br />
to Prof. Emmermann, June <strong>2005</strong><br />
Gemeinsam mit dem Zentrum für Internationale Entwicklungs-<br />
und Umweltforschung (ZEU) der Justus-Liebig-<br />
Universität Gießen und der kirgisischen Republik wurde<br />
2003 ein „Zentralasiatisches Institut für Angewandte Geowissenschaften“<br />
in Bishkek gegründet. In den letzten beiden<br />
Jahren wurde ein Gebäude in Bishkek baulich hergerichtet<br />
und mit moderner Infrastruktur ausgestattet, so<br />
dass das Institut nunmehr seinen wissenschaftlichen<br />
Betrieb aufnehmen kann.<br />
Die Zusammenarbeit mit Universitäten wird durch gemeinsame<br />
Berufungen von leitenden Wissenschaftlern<br />
des <strong>GFZ</strong> Potsdam verstärkt, die damit neben ihren Forschungsarbeiten<br />
am <strong>GFZ</strong> eine Lehr- und Ausbildungstätigkeit<br />
an den Universitäten ausüben. Das GeoForschungsZentrum<br />
hat derzeit 18 gemeinsame Berufungen<br />
realisiert: sieben mit der Universität Potsdam, fünf mit der<br />
FU Berlin, drei mit der TU Berlin und je eine mit der Humboldt-Universität<br />
Berlin, der Universität Stuttgart und der<br />
Technischen Universität Braunschweig.<br />
Internationale Kooperationen<br />
Aus dem Impuls- und Vernetzungsfonds der Helmholtz-<br />
Gemeinschaft konnten <strong>2005</strong> Mittel für die Einrichtung<br />
eines Virtuellen Instituts „Center for System Analysis of<br />
Geoprocesses“ (CSAG) gemeinsam mit der Universität<br />
Potsdam und der Freien Universität Amsterdam eingeworben<br />
werden.<br />
Das <strong>GFZ</strong> Potsdam ist an einer Reihe von Projekten der<br />
Europäischen Union beteiligt, teilweise in koordinierender<br />
Funktion. Besonders zu nennen sind die Projekte<br />
CO 2SINK, einem EU Demonstrationsprojekt zur CO 2-<br />
Sequestrierung in einen ehemaligen Erdgasspeicher bei<br />
Ketzin, westlich von Berlin, das europäische Netzwerk<br />
ENGINE zur wirtschaftlichen Entwicklung der Geothermienutzung,<br />
ein Projekt zur Entwicklung von Erdbeben-<br />
Frühwarn-Technologie, zugeschnitten auf große Städte in<br />
Europa (SAFER) und das Projekt TRANSFORM zur<br />
Erforschung von Grundlagen für die Tsunami-Frühwarnung.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
XI
XII<br />
Abb. 8: Diskussion zum Wissenschaftsland Brandenburg am Tag der Deutschen<br />
Einheit 2006 in Potsdam (Foto: F. Ossing, <strong>GFZ</strong>)<br />
Discussing science in the state of Brandenburg at the Day of German Unitiy<br />
2006 in Potsdam.<br />
Ende Februar 1996 startete das Internationale Kontinentale<br />
Bohrprogramm ICDP (International Continental<br />
Scientific Drilling Program), dem gegenwärtig neben<br />
Deutschland die USA, China, Japan, Kanada, Norwegen,<br />
die UNESCO, Mexiko, Österreich, Island, die Tschechische<br />
Republik, Polen, Finnland und die Republik Südafrika<br />
als Mitglieder angehören und zu dem weitere Nationen<br />
in Kürze hinzustoßen wollen. Das GeoForschungs-<br />
Zentrum ist die internationale Trägereinrichtung dieses<br />
Großprojekts und hat aufgrund der umfangreichen Erfahrung<br />
aus dem KTB die Aufgabe übernommen, das ICDP<br />
organisatorisch und operativ von Potsdam aus durch eine<br />
Operational Support Group (OSG) zu betreuen. Im ICDP<br />
werden bedeutende geowissenschaftliche Themen von<br />
internationalen Wissenschaftlerteams an<br />
besonders ausgewählten, geologisch<br />
weltweit einmaligen Lokationen (World<br />
Geological Sites) bearbeitet. In den vergangenen<br />
Jahren wurden neben kleineren<br />
Aktivitäten mehrere große Vorhaben wie<br />
eine Bohrung in die San Andreas Erdbebenzone<br />
südlich von San Francisco<br />
begonnen, ein Bohrprojekt in die Flanke<br />
des Unzen Vulkans im Süden Japans<br />
abgeschlossen, eine Bohrung in den<br />
Bosumtwi-Impaktkrater in Ghana abgeteuft<br />
sowie eine Bohrung mit starker<br />
Industriebeteiligung auf Island zur<br />
Erschließung über 400 °C heißen Wassers<br />
für geothermische Zwecke begonnen.<br />
Das GeoForschungsZentrum liefert<br />
wichtige Beiträge zu wissenschaftlichen<br />
Diensten der Internationalen Assoziation<br />
für Geodäsie (IAG) und der Internationalen<br />
Union für Astronomie. Es sind dies<br />
der Internationale Erdrotationsdienst<br />
(IERS), der Internationale GNSS-Dienst (IGS) und der<br />
Internationale Laserdienst (ILS). Die Beiträge umfassen<br />
die Bereitstellung von Beobachtungsstationen in von den<br />
Diensten koordinierten Messnetzen (Laser-, GPS-, GLO-<br />
NASS-Stationen), den Betrieb eines GNSS-Analysezentrums<br />
und die Bereitstellung von geodätischen, geodynamischen<br />
und atmosphärischen Produkten zur Weiteraufbereitung<br />
bzw. Verteilung durch die Dienste an die internationalen<br />
Nutzer. Das <strong>GFZ</strong> Potsdam ist über sein Erdbebenmonitoringsystem<br />
GEOFON im Federal Digital Seismological<br />
Network (FDSN) und in der europäischen Initiative<br />
ORPHEUS sowie mit den beiden magnetischen<br />
Observatorien Niemegk und Wingst in der IASPEI federführend<br />
beteiligt.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
GITEWS – German-Indonesian Tsunami<br />
Early-Warning System<br />
Das deutsche Tsunami Frühwarnsystem für den Indischen Ozean<br />
J. Lauterjung, A. Rudloff, R. Emmermann und das GITEWS-Team<br />
Shortly after the Tsunami event on December 26, <strong>2004</strong> in the Indian Ocean Region a consortium of German research<br />
institutions under the leadership of the GeoForschungsZentrum Potsdam (<strong>GFZ</strong>) proposed the installation of a Tsunami<br />
Early-Warning System to the German Government. In March <strong>2005</strong> a Joint Declaration between Indonesia and Germany<br />
about the installation and operation of such a system was signed. The system consists of several components<br />
including sensor networks for seismological monitoring of the Sunda Arc structure, crustal deformation monitoring by<br />
GPS, oceanographic monitoring by ocean bottom pressure measurements and a newly developed GPS-Buoy for seasurface<br />
monitoring and tide gauges. The sensor data are processed and evaluated in a data centre. These data are input<br />
for Tsunami simulations for rapid hazard assessment and hazard prediction. Last but not least several capacity building<br />
activities are included in the project.<br />
Der verheerende Tsunami vom 26. 12. <strong>2004</strong> im Indischen<br />
Ozean wurde vom zweitstärksten Erdbeben der letzten<br />
100 Jahre mit einer Magnitude von 9,3 auf der Richterskala<br />
vor der Küste Nordsumatras ausgelöst. Die ersten<br />
Meldungen über die Lokation und die genäherte Magnitude<br />
dieses verheerenden Erdbebens wurden nach ca.<br />
12 min von verschiedenen Organisationen im Internet veröffentlicht.<br />
Die erste Tsunami-Welle hatte bereits nach weniger als<br />
20 Minuten den Strand von Banda Aceh im Norden Sumatras<br />
erreicht und dort zu verheerenden Verwüstungen<br />
geführt. Aber auch ca. 1,5 Stunden nach dem Erdbeben,<br />
als die erste Welle Thailand erreichte oder ca. 2 Stunden<br />
nach dem Beben, als Sri Lanka getroffen wurde, waren<br />
noch keine verlässlichen Meldungen an die entsprechenden<br />
Stellen weitergeleitet worden, oder die vorliegenden<br />
Meldungen konnten nicht umgesetzt werden, da kein Staat<br />
um den Indischen Ozean auf das Eintreten einer solchen<br />
Katastrophe vorbereitet war. Entsprechende Handlungsoptionen,<br />
Alarmpläne oder Evakuierungspläne waren<br />
nicht vorhanden. Die Katastrophe hat die betroffenen<br />
Regionen völlig unvorbereitet getroffen.<br />
Unmittelbar nach der Tsunami-Katastrophe<br />
im Indischen Ozean vom 26. Dezember<br />
<strong>2004</strong> hat ein Konsortium deutscher<br />
Forschungseinrichtungen unter Federführung<br />
des GeoForschungsZentrums<br />
Potsdam (<strong>GFZ</strong>) der Bundesregierung ein<br />
Konzept zur Einrichtung eines Tsunami-<br />
Frühwarnsystems im Indischen Ozean<br />
vorgelegt. Dieses Konzept wurde von<br />
der damaligen Bundesministerin für<br />
Bildung und Forschung, Frau Edelgard<br />
Bulmahn, bereits Ende Januar <strong>2005</strong> in<br />
Kobe, Japan, der internationalen Öffentlichkeit<br />
vorgestellt und wird seit März<br />
<strong>2005</strong> mit Schwerpunkt in Indonesien<br />
umgesetzt.<br />
Die Ursache<br />
Abb. 1: Globale tektonische Karte<br />
Global tectonic map<br />
Wie ist es zu dem verheerenden Tsunami gekommen? Aus<br />
der Vergangenheit ist bekannt, dass ca. 90 % der großen<br />
Tsunamis durch starke Seebeben verursacht werden, die<br />
an den Kollisionszonen zwischen Ozeanplatten und Kontinenten<br />
entstehen (Abb. 1). Die anderen 10 % entstehen<br />
durch Vulkanausbrüche (z. B. Krakatau 1883) oder untermeerische<br />
Hangrutschungen (z. B. Storega-Rutschung vor<br />
ca. 8000 Jahren vor Norwegen). Die meisten Tsunamis treten<br />
im Pazifik auf, der von seismischen Risikozonen<br />
umgeben ist (Ring of Fire). Aber auch im Indischen Ozean<br />
und im Mittelmeer existieren solche Kollisionszonen. Im<br />
Indischen Ozean (Abb. 2) ist dies vor allem der sogenannte<br />
Sundabogen, an dem die Indisch-Australische Platte mit<br />
einer Geschwindigkeit von 6 bis 7 cm pro Jahr unter der<br />
Eurasischen Platte subduziert wird. Eine andere, allerdings<br />
viel kleinere Zone ist der Golf von Makran im Nordwesten<br />
des Indischen Ozeans am Eingang des Golfs von<br />
Persien.<br />
Doch nicht jedes starke Seebeben löst auch einen Tsunami<br />
aus. Vielmehr muss sich der Erbebenriss bis an die<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
1
2<br />
Abb. 2: Tektonische Karte des Indischen Ozeans<br />
Tectonic map of the Indian Ocean region<br />
Erdoberfläche fortsetzen und zu einer merklichen Vertikalbewegung<br />
des Ozeanbodens führen (Abb. 3). Erst<br />
dadurch wird Energie in die Wassersäule übertragen, die<br />
zu einer Aufwölbung der Ozeanoberfläche führt. Diese<br />
initiale „Welle“ beginnt dann, angetrieben durch die<br />
Schwerkraft, durch den Ozean zu laufen. Charakteristisch<br />
für eine Tsunamiwelle ist dabei, dass es sich nicht um eine<br />
Oberflächenwelle handelt, sondern dass die gesamte Wassersäule<br />
betroffen ist. Die Geschwindigkeit der Welle wird<br />
bestimmt durch die Wassertiefe und beträgt in 6000 m tiefem<br />
Wasser ca. 800 km/h. Dabei hat die Welle im tiefen<br />
Wasser eine sehr große Wellenlänge von etwa 200 km und<br />
nur eine geringe Höhe, die wenige Zentimeter bis Dezi-<br />
Abb. 3: Schematische Darstellung der Tsunami-Anregung durch ein starkes<br />
Erdbeben.<br />
Sketch of Tsunami generation by a strong Earthquake<br />
meter beträgt. Im Falle des Tsunamis im Indischen Ozeans<br />
wurde über Satellitenaltimeter südlich von Sri Lanka<br />
eine maximale Höhe von 60 cm gemessen. Ihre zerstörerische<br />
Kraft entwickelt eine Tsunamiwelle erst im flachen<br />
Wasser und beim Auflaufen auf die Küste, wo sie deutlich<br />
langsamer und höher wird. In Banda Aceh wurden Wellenhöhen<br />
von über 20 m erreicht.<br />
Die Komponenten des GITEWS<br />
Das Frühwarnsystem für den Indischen Ozean besteht aus<br />
mehreren Komponenten, aus deren Daten und Messungen<br />
eine Warnung generiert werden kann. Die Komponenten<br />
sind im Einzelnen:<br />
(1) Erdbebenmonitoring zur schnellen Lokalisierung<br />
eines Bebens. Die Warnung dieses Systems triggert die<br />
weitere Erfassungs- und Aktionskette. Parallel zur Messung<br />
der Erdbeben mit einem Netz von Breitbandseismometern<br />
erfolgt ein Monitoring des Deformationszustands<br />
mit Hilfe eines GPS-Netzes, um möglichst umfangreiche<br />
Informationen zum Herdmechanismus des Bebens zu<br />
erhalten.<br />
(2) Detektion und Quantifizierung eines möglichen Tsunamis<br />
mit ozeanographischen Methoden. Nicht jedes Erdbeben<br />
löst einen Tsunami aus. Um Fehlalarme, die bei bloßer<br />
Berücksichtigung der Erdbeben für eine Warnung<br />
unvermeidlich sind, weitgehend auszuschließen, muss die<br />
Welle ozeanographisch gemessen werden. Dies wird durch<br />
Ozeanboden-Druckpegel und speziell ausgerüstete GPS-<br />
Bojen erreicht, die an strategisch wichtigen Stellen ausgebracht<br />
werden. Unterstützt werden diese Messungen<br />
durch Beobachtungen von Küstenpegeln,<br />
die speziell im Falle Indonesiens auf den<br />
Sumatra und Java vorgelagerten Inseln<br />
installiert werden. Die Küstenpegel liefern<br />
darüber hinaus permanent Daten zur<br />
Verbesserung der Ozeanmodelle, die die<br />
Grundlage für den nächsten Schritt der<br />
Warn-Kette sind.<br />
(3) Modellierung/Simulation eines Tsunamis.<br />
Aus den Simulationen werden<br />
detaillierte Informationen über das<br />
mögliche Schadenspotential des Tsunamis<br />
und auf örtliche Unterschiede in der<br />
Wirkung abgeleitet, um entsprechende<br />
Warnungen in die Warn-Kette einspeisen<br />
zu können. Voraussetzung für eine<br />
erfolgreiche Simulation ist die genaue<br />
Kenntnis der Ozeanbodentopographie<br />
vom Tiefseebereich über den Schelfbereich<br />
bis zur Küstenlinie. Im Bereich des<br />
Indischen Ozeans weisen insbesondere<br />
die Küste vor Indonesien und der<br />
angrenzenden Länder noch erhebliche<br />
Lücken auf. Daher müssen bathymetrische<br />
Verdichtungsmessungen in allen<br />
Tiefenbereichen längs der indonesischen<br />
Küste vorgenommen werden, um<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
die Simulationen auf eine gesicherte Datenbasis stellen<br />
zu können.<br />
(4) Daten- und Frühwarnzentrum. Alle Daten laufen in<br />
nationalen bzw. lokalen Datenzentren zusammen, in<br />
denen die Auswertung, Bewertung und Simulation vorgenommen<br />
wird. Dies muss in nationaler Selbstverantwortung<br />
geschehen. Auf der Basis der einlaufenden Daten und<br />
Simulationsergebnisse ist das Datenzentrum gleichzeitig<br />
auch die die Warnung auslösende Stelle.<br />
(5) Maßnahmen des Capacity Building. Diese umfassen<br />
die Ausbildung von Wissenschaftlern und Ingenieuren<br />
schon während der Aufbauphase durch Integration in die<br />
Arbeitsgruppen und die regelmäßige Durchführung von<br />
Trainingskursen.<br />
Umsetzung<br />
Die Umsetzung des Projekts wird in 5 Jahren realisiert<br />
werden, wobei bis Mitte 2008 die technische Installation<br />
der Sensornetzwerke und der Aufbau des Daten- und Frühwarnzentrums<br />
abgeschlossen sein soll. Parallel zu den<br />
technischen Installationen und der Inbetriebnahme werden<br />
FuE-Arbeiten zur Prüfung der Eignung neuer Erdbeobachtungsmethoden<br />
und zur Entwicklung neuer Technologien<br />
durchgeführt werden. Bis Mitte 2010 sollen<br />
Capacity Building Maßnahmen und ein gemeinsamer<br />
deutsch-indonesischer operativer Betrieb des Systems<br />
durchgeführt werden. Danach ist vorgesehen, das System<br />
an die Partner zu übergeben.<br />
Erdbebenmonitoring<br />
Die erdbebengefährdete Zone, von der die Hauptbedrohung<br />
des Indischen Ozeans mit Tsunamis ausgeht, ist der<br />
Sundabogen, eine Subduktionszone, die sich von Bangladesch<br />
im Norden weitgehend parallel der Küste Indonesiens<br />
bis nach Neu-Guinea hinzieht (Abb. 1, Abb. 2). Die<br />
Positionierung der Seismometer und der Aufbau des Netzwerks<br />
folgen der Forderung, dass ein Erdbeben, egal an<br />
welcher Stelle des Sundabogens es auftritt, innerhalb von<br />
2 Minuten an mindestens drei Stationen des Netzes registriert<br />
wird und somit eine erste Lokalisierung sehr schnell<br />
erfolgen kann. Die Lokalisierung und Magnitudenbestimmung<br />
wird dann im Laufe der folgenden Minuten<br />
durch die Einbeziehung weiterer Stationen immer sicherer<br />
und genauer. Die Realisierung des Erdbebenmonitoring-Systems<br />
in Indonesien erfolgt in enger internationaler<br />
Kooperation. Abb. 4 zeigt die geplante Verteilung von<br />
Breitbandseismometern der indonesischen, japanischen,<br />
chinesischen und deutschen Partner. Die ersten 4 deutschen<br />
Stationen wurden im Jahr <strong>2005</strong> installiert (Abb. 5),<br />
weitere 20 werden bis 2008 folgen. Ebenfalls operativ ist<br />
seit Mitte <strong>2005</strong> ein erstes Erdbebenfrühwarnzentrum in<br />
Jakarta, an das per Satellitenkommunikation ca. 15 internationale<br />
Erdbebenstationen in der Region des Indischen<br />
Ozeans angeschlossen sind. Mit diesem vorläufigen System<br />
konnte die Detektionszeit für Erdbeben bereits auf ca.<br />
8 Minuten gedrückt werden.<br />
Neben einem dichten Seismometernetz in Indonesien<br />
spielt die teleseismische Komponente, d. h. die seismologische<br />
Überwachung des Sundabogens aus großer Entfernung,<br />
eine wichtige Rolle. Nur aus diesen Messungen<br />
lassen sich charakteristische Eigenschaften eines Erdbebens<br />
wie die Magnitude, die Energiefreisetzung oder die<br />
Länge und Ausbreitung des Bebenrisses präzise ableiten.<br />
Diese Parameter werden für die Modellierung des Bruchprozesses<br />
des Erdbebens, d. h. die Anregungsfunktion<br />
eines möglichen Tsunamis benötigt. Bislang vorgesehen<br />
ist der Aufbau von seismischen Arrays zum teleseismischen<br />
Monitoring in Südafrika, Sri Lanka und Australien.<br />
Für diese Zwecke ist im Projekt die Bereitstellung von ca.<br />
15 seismischen Stationen vorgesehen, die noch durch<br />
bereits vorhandene bzw. neu zu installierende Stationen<br />
der jeweiligen Länder ergänzt werden.<br />
Ozeaninstrumentierung<br />
Abb. 4: Geplante Verteilung von Seismometern internationaler Partner in<br />
Indonesien<br />
Planned locations of seismometers of international partners in Indonesia<br />
Nicht jedes Seebeben erzeugt einen Tsunami. Daher muss<br />
die Tsunami-Welle im Ozean selber gemessen werden, um<br />
unnötige Fehlalarme zu vermeiden. Dazu<br />
werden Mess-Systeme eingesetzt, die aus<br />
einer Ozeanbodeneinheit und einer Boje<br />
bestehen. Die Ozeanbodeneinheit (Abb. 6)<br />
ist mit verschiedenen Sensoren ausgestattet.<br />
In der jetzigen Ausführung sind<br />
ein Absolutdrucksensor, ein Sensor zur<br />
präzisen Bestimmung kleiner relativer<br />
Druckänderungen sowie ein Ozeanbodenseismometer<br />
eingebaut. Weiterhin<br />
befinden sich ein Prozessrechner, eine<br />
Datenspeichereinheit sowie ein Kommunikationsmodem<br />
für die akustische Übertragung<br />
der Daten zur Boje auf der Einheit.<br />
Das ganze System wird über eine<br />
Batterie mit elektrischer Energie ver-<br />
sorgt. Die Boje (Abb. 7), die über der Ozeanbodeneinheit<br />
verankert ist, dient einerseits<br />
als Relaisstation zur Übertragung<br />
der Daten über einen Kommunikations-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
3
4<br />
Abb. 5: Seismometerinstallation auf der Insel Nias (Fotos:W. Hanka, <strong>GFZ</strong>)<br />
Installation of a seismometer at the island of Nias<br />
satelliten an ein Datenzentrum. Sie ist aber auch ein eigenständiges<br />
Mess-System. Auf der Boje sind ein GPS-Empfänger,<br />
Sensoren zur Erfassung von meteorologischen<br />
Daten (Luftdruck, Temperatur, Windgeschwindigkeit und<br />
-richtung), Sensoren zur Erfassung der räumlichen Orientierung<br />
der Boje sowie Sensoren zur Messung der Wassertemperatur<br />
und Salinität installiert. Die Boje ist weiterhin<br />
mit einem Empfängermodem für die akustischen Signale<br />
der Ozeanbodeneinheit, einem Bordrechner, einer<br />
Datenspeichereinheit und Satellitenkommunikation ausgerüstet.<br />
Die Energieversorgung erfolgt über Batterien,<br />
Solarzellen sowie einen Windgenerator.<br />
Abb. 6: Ozeanboden-Einheit (OBU, Foto: IfM Geomar )<br />
Ocean-Bottom-Unit (OBU)<br />
Abb. 7: Tsunami-Boje (Foto: A. Rudloff, <strong>GFZ</strong>)<br />
Tsunami buoy<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 8: Verteilung der Tsunami Bojensysteme vor der Küste Indonesiens<br />
Planned distribution of the Tsunami buoy systems off-shore Indonesia<br />
Aufgabe des Bojensystems ist die Erfassung von Tsunamiwellen.<br />
Hierzu wird ausgenutzt, dass solche Wellen<br />
Druckänderungen am Ozeanboden hervorrufen, die sehr<br />
genau gemessen werden können. Der tiefe Ozean wirkt<br />
dabei wie ein Filter, der mögliche Druckänderungen durch<br />
Oberflächenwellen und den normalen Seegang herausfiltert.<br />
Die Boje selbst dient nicht nur als Relaisstation für die<br />
Übertragung der Druckdaten vom Ozeanboden, sondern<br />
kann über genaue GPS-Messungen ihrer vertikalen Position<br />
Seegangsdaten aufnehmen. Im Falle eines Tsunamis<br />
ist die Messgröße, die durch die Boje erfasst wird, eine<br />
Überlagerung des normalen Seegangs und einer Tsunamiwelle.<br />
Der normale Seegang hat deutlich kürzere Wellenlängen<br />
als eine Tsunamiwelle und daher können beide<br />
Effekte durch eine mathematische Filterung voneinander<br />
getrennt werden. Somit erlaubt die Boje eine von der<br />
Druckmessung unabhängige Methode zur Erfassung einer<br />
Tsunamiwelle und erhöht somit die Sicherheit des<br />
Gesamtsystems.<br />
Die ersten beiden Test-Bojensysteme wurden im November<br />
<strong>2005</strong> vor der Küste Sumatras ausgebracht. Insgesamt<br />
sollen 10 solcher Systeme entlang der Küste Indonesiens<br />
ausgebracht werden (Abb. 8).<br />
Weitere ozeanographische Daten werden über Küstenpegel<br />
bestimmt, die an den Westküsten der Sumatra vorge-<br />
lagerten Inseln und auf verschiedenen Inseln im Indischen<br />
Ozean aufgebaut werden.<br />
Modellierung und Simulation<br />
Komplette Modelle für das gesamte Indische Ozeanbecken<br />
lassen sich nicht in hinreichend kurzer Zeit rechnen<br />
(das Eintreffen einer Tsunamiwelle in Indonesien erfolgt<br />
beispielsweise schon nach ca. 15 bis 20 Minuten). Daher<br />
ist die Philosophie des Projekts, bereits im Vorfeld eine<br />
große Anzahl von Modellen und Simulationen zu berechnen,<br />
die unterschiedliche Erdbebenlokationen entlang des<br />
Sundagrabens sowie eine Variation der Bebenstärken und<br />
der Erdbebenrisslängen berücksichtigen. Im Falle eines<br />
durch das Erdbebenmonitoring-System und die ozeanographischen<br />
Messungen festgestellten Tsunamis soll mit<br />
den gemessenen Parametern – Erdbebenlokation, Bebencharakteristik<br />
und Wellenhöhe im tiefen Ozean – die am<br />
besten geeignete Simulation als Basis für eine Warnmeldung<br />
herangezogen werden. Diese Simulation wird dann<br />
in eine Gefährdungskarte für die betreffenden Küstenabschnitte<br />
umgesetzt. Der gesamte Prozess läuft im Datenund<br />
Frühwarnzentrum automatisiert ab.<br />
Die Modellrechnungen sind nicht nur für die Tsunami-<br />
Warnung in Indonesien von Wichtigkeit, sondern die entscheidende<br />
Voraussetzung für Warnmeldungen an anderen<br />
Küsten wie in Thailand, Sri Lanka, Indien, Australien<br />
oder Ostafrika. Im Falle von Indonesien kann eine Modell-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
5
6<br />
rechnung nur eine grobe Abschätzung der maximal zu<br />
erwartenden Wellenhöhen sein, im Falle der weiter entfernten<br />
Gebiete kann aber anhand der ständig verbesserten<br />
Herdparameter auf der Basis seismologischer und geodätischer<br />
Daten sowie der größeren Anzahl ozeanographischer<br />
Daten eine immer bessere Prognose erstellt werden.<br />
Die Modellrechnungen geben Informationen über die spezifischen<br />
Wellenhöhen an einzelnen Küstenabschnitten,<br />
die in Gefährdungskarten umgesetzt werden. Diese Gefährdungskarten<br />
dienen dann als Grundlage für Warnmeldungen.<br />
Voraussetzungen für die Modellierung, speziell im Flachwasserbereich<br />
und für den sogenannten „Run-up“ auf die<br />
Küste sind hinreichend genaue Kenntnisse der Topographie<br />
des Ozeanbodens, des Küstenverlaufs, der Küstentopographie<br />
und der Bebauung oder den Bewuchs der Küstenregion.<br />
Die hierzu vorliegenden Daten in Indonesien, aber<br />
auch in den anderen Anrainerstaaten des Indischen Ozeans<br />
sind nur sehr lückenhaft bzw. sehr alt. Aus diesem Grund<br />
wird ein erheblicher Teil des Ozeanbodens vor Indonesien,<br />
vom Kontinentalhang bis zum Küstenbereich vermessen<br />
werden müssen. Bereits im Jahr <strong>2005</strong> wurde mit den ersten<br />
Abb. 9: Fahrtrouten des Forschungsschiffes SONNE zur bathymetrischen<br />
Vermessung des Kontinentrandes vor Sumatra im Jahr <strong>2005</strong><br />
Map of the cruises of the Researchvessel SONNE for bathymetric measurements<br />
of the continental margin of Sumatra in <strong>2005</strong><br />
bathymetrischen Vermessungen vor Sumatra begonnen.<br />
Dazu konnten bereits geplante und finanzierte Fahrten des<br />
deutschen Forschungsschiffes SONNE und aus dem Projekt<br />
finanzierte Fahrten der SONNE genutzt werden<br />
(Abb. 9). Für die Zukunft ist vorgesehen, ein indonesisches<br />
Forschungsschiff mit einem entsprechenden Fächerecholot<br />
auszurüsten und die bathymetrischen Vermessungen gemeinsam<br />
mit den indonesischen Kollegen durchzuführen.<br />
Dies bedeutet wegen der erheblich billigeren Schiffszeiten<br />
der indonesischen Schiffe einen erheblichen Zugewinn an<br />
Schiffszeiten und damit bathymetrischen Daten.<br />
Das Daten- und Frühwarnzentrum<br />
Im Datenzentrum laufen die Daten der über Satellitenkommunikation<br />
on-line verfügbaren Seismometer, GPS-<br />
Stationen, Bojensystemen und Küstenpegeln ein. All diese<br />
Daten müssen on-line verarbeitet werden und in einem<br />
speziellen Algorithmus auf mögliche Anzeichen eines<br />
starken Bebens oder das Auftreten einer Anomalie des<br />
Meeresspiegels untersucht werden. Jeder Sensor ist prinzipiell<br />
in der Lage durch eingebaute Intelligenz einen entsprechenden<br />
Trigger zu erzeugen, der das gesamte Messnetz<br />
in Alarmzustand versetzt. Dies bedeutet, dass die entsprechenden<br />
Sensoren mit einer höheren<br />
Messfrequenz arbeiten und auch die Datenübertragung<br />
auf Dauerbetrieb umgestellt<br />
wird. Im Normalzustand arbeiten<br />
insbesondere die ozeanographischen Sensoren<br />
wegen des Stromverbrauchs in<br />
einer Art „Stand-by“-Betrieb, bei dem nur<br />
nach vorher eingestellten Zeitintervallen<br />
Statusdaten übertragen werden. Dies ist<br />
insbesondere bei den Ozeanbodeninstrumenten<br />
von Bedeutung, da ein sparsamer<br />
Stromverbrauch die Verweilzeiten der<br />
Instrumente vor Ort erhöht und damit die<br />
teuren Schiffszeiten zum Wechseln der<br />
Batterien minimiert. Ist das System auf<br />
Alarm gestellt, muss im Warnzentrum die<br />
Entscheidung getroffen werden, ob alarmiert<br />
wird oder nicht. Momentan wird<br />
diskutiert, in welchen verschiedenen Abstufungen<br />
eine Alarmierung welcher Organisationseinheiten<br />
zu erfolgen hat. So<br />
wird sicherlich bereits nach 2 bis 3 Minuten,<br />
wenn ein starkes Seebeben registriert<br />
wurde, ein interner Alarm gegeben werden<br />
und ggf. bestimmte Einheiten (Polizei,<br />
Feuerwehr, Katastrophenschutz) in<br />
Bereitschaft versetzt. Im Laufe der nächsten<br />
Minuten, wenn auch die ozeanographischen<br />
Daten, die Daten aus weiteren<br />
Seismometern und GPS-Stationen verfügbar<br />
und geprüft sind, wird der Alarm<br />
entsprechend weiter intensiviert oder<br />
wieder abgeblasen. Die Warnmeldungen<br />
werden über ein GIS-System mit weiteren<br />
Daten wie z. B. Evakuierungskarten,<br />
Informationen über Bevölkerungsdichten<br />
und kritische Infrastrukturen ver-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 10: Schematischer Aufbau des GITEWS<br />
Sketch of the GITEWS<br />
schnitten. Im Ergebnis erhält man nach einer Zeit von etwa<br />
10 Minuten ein Warndossier, dass als Grundlage für die<br />
Warnmeldung herangezogen wird (Abb. 11).<br />
Capacity Building<br />
Eine weitere Komponente des Projekts ist das Capacity<br />
Building. Um ein Tsunami-Frühwarnsystem erfolgreich<br />
und dauerhaft zu betreiben, müssen die Personen und<br />
Fachexperten ausgebildet werden, die das<br />
System betreiben, funktionsfähig halten<br />
und ausbauen. Ebenso müssen die politischen<br />
Entscheidungsträger, die die Warnmeldungen<br />
und Reaktionen verantworten<br />
sowie die Bevölkerung selbst fortgebildet<br />
bzw. beraten werden. Gerade die Situation<br />
in Indonesien erfordert, neben dem<br />
Ausbau der individuellen wissenschaftlichen<br />
und technischen Fähigkeiten durch<br />
fachlichen Austausch und technischwissenschaftliches<br />
Training, die Stärkung<br />
institutioneller Kapazitäten durch Beratung<br />
auf lokaler, provinzialer und nationaler<br />
Ebene. Die Art der Aus- und Fortbildung<br />
bzw. der Beratung für die verschiedenen<br />
Zielgruppen ist deren Funktionen<br />
innerhalb des Systems und den zu<br />
vermittelnden Inhalten anzupassen.<br />
Im Rahmen einer im September <strong>2005</strong> absolvierten<br />
Fact-Finding-Mission in Indonesien wurden verschiedene,<br />
am Frühwarnsystem direkt und indirekt beteiligte<br />
wissenschaftliche Einrichtungen und Universitäten<br />
besucht. Die Durchführung der Mission zur<br />
Bedarfs- und Potenzialanalyse war erforderlich, um<br />
notwendige Maßnahmen zur Ausbildung und Beratung<br />
der Projektpartner zu evaluieren und den Bedarf im<br />
Bereich Capacity Building in den wissenschaftlichen<br />
Abb. 11: Prinzipieller Aufbau des Daten- und Frühwarnsystems. Aus der Analyse der Sensordaten (links) erfolgt die<br />
Erstellung einer Warnmeldung (rechts) unter Nutzung vorkalkulierter Tsunamisimulationen und der entsprechenden<br />
Gefährdungskarten sowie der Einbindung weiterer Karten wie z. B. der Bevölkerungsdichte oder kritischer Infrastrukturen.<br />
Schematic architecture of the data- and early-warning center. After the analysis of the sensor data (left) the warning dossier<br />
(right) is produced using precalculated Tsunami simulations, the respective vulnerability maps and population density<br />
maps or maps of critical infrastructures.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
7
8<br />
Einrichtungen und Universitäten in Indonesien aufzuzeigen.<br />
Der nachhaltige Betrieb und die Sicherstellung des oben<br />
genannten Ziels des Systems hängen, neben der Etablierung<br />
der technologischen Grundlagen (wie z. B. Erdbebenerkennung,<br />
Ozeaninstrumentierung, Modellierung,<br />
Datenmanagement), ganz wesentlich von den institutionellen<br />
und personellen Kapazitäten zur landesweiten<br />
Umsetzung/Anwendung in Indonesien selbst ab. Die für<br />
den Betrieb notwendigen Kapazitäten umfassen neben den<br />
wissenschaftlichen und technischen Kenntnissen vor<br />
allem die Fähigkeit wissenschaftliche Daten in klare<br />
Warnmeldungen, Entscheidungsgrundlagen, Entscheidungshilfen<br />
und Handlungsanweisungen zu übersetzen<br />
und diese über die verantwortlichen Stellen bis an die<br />
Bevölkerung in angemessener Zeit weiterzugeben (Warnund<br />
Reaktionskette).<br />
Um diese langfristigen Zielgedanken in Ansätzen umzusetzen,<br />
wird das Arbeitspaket in drei Teilkomponenten<br />
aufgeteilt: Die erste Teilkomponente zielt dabei auf die<br />
Stärkung und Ausbildung der individuellen Fähigkeiten<br />
von Wissenschaftlern und Ingenieuren, die immer im<br />
Zusammenhang mit den jeweiligen Organisationen und<br />
Institutionen zu sehen ist. Diese Ausbildung ist dabei an<br />
den Anforderungen der wissenschaftlichen und technischen<br />
Inhalte des GITEWS-Projekts ausgerichtet und<br />
geht auch auf die Managementkompetenz und die Stärkung<br />
der eigenen Fähigkeit zur Kapazitätsentwicklung<br />
ein.<br />
Die zweite Teilkomponente strebt die Stärkung der operativen<br />
Institutionen und deren Zusammenarbeit und<br />
Organisationsfähigkeit auf der nationalen Ebene an.<br />
Die dritteTeilkomponente zur Stärkung der lokalen Organisationen<br />
zu Warnung und Katastrophenschutz zielt auf<br />
die Entwicklung der notwendigen institutionellen und<br />
organisatorischen Kapazitäten.<br />
Die Situations- und Institutionenanalyse haben gezeigt,<br />
dass die lokalen Akteure, die für die Weitergabe der<br />
Warnmeldungen an die Bevölkerung und die schnelle<br />
Umsetzung von Schutzmaßnahmen verantwortlich<br />
sind, bisher nicht in das geplante Frühwarnsystem<br />
einbezogen sind. Notfallpläne existieren kaum und<br />
Kommunikationsstrukturen zur Weitergabe der Warnmeldung<br />
sind nicht vorhanden. Verantwortlichkeiten zur<br />
Reaktion bei einer Warnmeldung sind unzureichend<br />
geregelt.<br />
Ziel ist es daher, durch intensive Beratungsprozesse vor<br />
Ort in drei Pilotregionen, allgemeingültige Verfahren,<br />
Mechanismen und Funktionsbeschreibungen zur Warnmeldung<br />
und Vorbereitungsplanung (Warn- und Reaktionskette)<br />
auf der lokalen Ebene zu entwickeln und in die<br />
nationalen Überlegungen zu integrieren. Dabei geht es<br />
insbesondere um die Klärung der Warnkette zwischen dem<br />
nationalen Warnzentrum zu den lokalen Behörden und von<br />
dort zur Bevölkerung.<br />
Neue Technologien<br />
Im Rahmen dieses Teilprojekts werden eine Reihe von<br />
Feasability-Studien und Entwicklungsprojekten durchgeführt,<br />
die die Überwachung und Detektion von Tsunamis<br />
mit satellitengestützten Erdbeobachtungsmethoden zum<br />
Ziel haben.<br />
Letztendlich sollen neue Methoden entwickelt werden, die<br />
ein globales Real-Time-Monitoring von dynamischen<br />
Änderungen der Meeresoberfläche zulassen.<br />
Ein vielversprechender Ansatz in dieser Richtung ist die<br />
Nutzung der sogenannten GNSS-Reflektometrie (GNSS<br />
= Global Navigation Satellite System). Dabei wird ausgenutzt,<br />
dass die Signale der Navigationssatelliten (z. Zt.<br />
das amerikanische GPS-System, das russische GLONAS-<br />
System, ab ca. 2010 das europäische GALILEO-System)<br />
von der Wasseroberfläche reflektiert werden. So „sieht“<br />
ein niedrigfliegender Satellit über dem Wasser, der mit<br />
einem entsprechenden GNSS-Empfänger ausgerüstet ist,<br />
nicht nur die direkten Signale der Satelliten sondern auch<br />
mit einer gewissen Verzögerung die von der Ozeanoberfläche<br />
reflektierten Signale. Aus der Laufzeitdifferenz läßt<br />
sich dann die aktuelle Meereshöhe berechnen. Testexperimente<br />
dieser Technik am Merzbachersee in Kirgisien<br />
(vgl. dazu den Beitrag des Dep. 1 in diesem Bericht) haben<br />
die prinzipielle Machbarkeit gezeigt. Ein weiterer Test<br />
fand in der Ostsee statt. Dazu wurde auf der Insel Rügen<br />
eine GPS-Station installiert und die Höhenänderungen der<br />
Ostseeoberfläche vermessen. Für die permanente Überwachung<br />
des äquatorialen Bereichs des Indischen Ozeans,<br />
des Pazifiks und des Atlantiks ist ein „Zug“ von 5 oder<br />
6 Kleinsatelliten, ausgerüstet mit einem GNSS-Empfänger,<br />
einem Auswerterechner und einer Kommunikationseinheit,<br />
denkbar, die mit jeweils gleichem Abstand in einer<br />
Höhe von etwa 400 km längs des Äquators fliegen. Mit<br />
einem solchen Konzept sollte der Indische Ozean immer<br />
im „Blickfeld“ mindestens eines Satelliten sein, der bei<br />
Verfügbarkeit von GALILEO permanent die direkten und<br />
reflektierten Signale von ca. 10 bis 20 Navigationssatelliten<br />
registrieren kann. Somit kann eine sehr dichte Vermessung<br />
und Monitoring der Ozeanoberfläche erreicht<br />
werden.<br />
Organisation und Internationale Einbindung<br />
Der Aufbau des Tsunami-Frühwarnsystems im Indischen<br />
Ozean wird durch ein Konsortium deutscher Forschungseinrichtungen<br />
unter Federführung des <strong>GFZ</strong> Potsdam realisiert.<br />
Im Einzelnen gehören die Helmholtz-Zentren Geo-<br />
ForschungsZentrum Potsdam (<strong>GFZ</strong>), Deutsches Zentrum<br />
für Luft- und Raumfahrt (DLR), Alfred-Wegener-Institut<br />
für Polar- und Meeresforschung (AWI), GKSS-Forschungszentrum<br />
Geesthacht, das Leibniz-Institut für Meereswissenschaften<br />
IfM-Geomar, das Konsortium Deutscher<br />
Meeresforschung (KDM), die United Nations University,<br />
Institute for Environmental and Human Security<br />
(UNU-EHS), die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit<br />
(GTZ) und die Bundesanstalt für Geowissenschaften<br />
und Rohstoffe (BGR) dem Konsortium an. Die Arbei-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
ten sind in thematischen Gruppen organisiert,<br />
die über ein Projektmanagement<br />
zusammengefasst werden. Das Gesamtprojekt<br />
wird durch einen Lenkungsausschuss<br />
gesteuert, dem ein Beratergremium<br />
aus externen Experten zur Seite<br />
steht (Abb. 12).<br />
Die Arbeiten werden im Zeitraum bis<br />
2010 durch insgesamt 45 Mio € durch das<br />
Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />
(BMBF) finanziert. Die interne<br />
Organisation des Projekts erfolgt in<br />
6 Arbeitspaketen, die ihrerseits in Unterarbeitspakete<br />
unterteilt sind (Abb. 12).<br />
Das deutsche Frühwarnsystem ist voll in<br />
die koordinierenden Aktivitäten des<br />
Intergovernmental Oceanographic Committees<br />
(IOC) der UNESCO eingebunden. Das IOC hatte<br />
bereits im Januar <strong>2005</strong> von der UN den Auftrag bekommen,<br />
die Frühwarnaktivitäten in den einzelnen Anrainerstaaten<br />
zu koordinieren, um ein wirkungsvolles regionales<br />
Frühwarnsystem für den gesamten Indischen Ozean<br />
aufzubauen. Nach mehreren Sitzungen des IOC wurde<br />
Mitte des Jahres <strong>2005</strong> die sogenannte Intergovernmental<br />
Coordination Group for an Indian Ocean Tsunami Warning<br />
System (ICG-IOTWS) etabliert, in der alle Anrainerstaaten<br />
des Indischen Ozeans vertreten sind. Als Gäste<br />
nehmen darüber hinaus Japan, die USA und Deutschland<br />
sowie einige UN-Organisationen wie die World Meterological<br />
Organization (WMO) oder UNEP teil. Die ICG-<br />
IOTWS hat bereits zweimal getagt und fünf Arbeitsgruppen<br />
gebildet, die organisatorische und inhaltliche Sachverhalte<br />
für verschiedene Themenbereiche klären und zu<br />
verbindlichen Absprachen kommen sollen. Die 5 Arbeitsgruppen<br />
sind: (1) Seismologie, (2) Ozean-Instrumentierung,<br />
(3) Modellierung, (4) Run-up-Modellierung und<br />
Abb. 12: Organisationsstruktur des GITEWS-Projekts<br />
Organizational structure of the GITEWS project<br />
Hazard Assessment sowie (5) Interoperabilität zwischen<br />
Datenzentren. In den ersten beiden Arbeitsgruppen sind<br />
bereits konkrete Abstimmungen über Datenprotokolle,<br />
Schnittstellen sowie Instrumentierung getroffen worden.<br />
Diese Arbeiten sollen bis Mitte 2007 weiter vertieft werden,<br />
um dann zu einem ersten regionalen Frühwarnverbund<br />
im Indischen Ozean zu kommen. Das IOC hat mittlerweile<br />
vergleichbare Intergovernmental Coordination<br />
Groups für den Pazifik, die Karibik und den Mittelmeerraum<br />
eingerichtet, die eine zum ICG-IOTWS Arbeitsgruppenstruktur<br />
besitzen. Es besteht ein intensiver Informationsaustausch<br />
zwischen allen Arbeitsgruppen.<br />
Das GITEWS-Projekt hat mittlerweile neben den gemeinsamen<br />
Aktivitäten mit den Inonesischen Partnern auch<br />
Verhandlungen mit Australien, Sri Lanka, den Malediven<br />
und Südafrika zur Installation von Sensoren, dem Aufbau<br />
von Datenzentren und zur Einbeziehung in die Capacity<br />
Building Massnahmen aufgenommen.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
9
10<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Das Bam-Erdbeben 2003:<br />
Präzise Herdparameterbestimmung mit Hilfe<br />
der differentiellen Radar-Interferometrie<br />
R. Wang, Y. Xia, H. Grosser, H.-U. Wetzel, H. Kaufmann & J. Zschau<br />
During the past 10 to 15 years, space geodesy has experienced revolutionary improvements. Especially, since D-InSAR<br />
(Differential Interferometric Synthetic Aperture Radar) and continuous GPS (Global Positioning System) monitoring<br />
became more frequently used, crust deformation due to earthquakes can be measured with millimeter accuracy. In case<br />
of the 2003 Bam earthquake, high-quality D-InSAR interferograms were available for several thousand square kilometres<br />
around the epicentral area. The derived displacement data provided strong constraints on the source parameters. The<br />
right-lateral surface (or near-surface) ruptures could be clearly detected by using a Sobel-Edge-Filter (a kind of highpass)<br />
on the surface displacement data. The rupture trace can be located with an accuracy of about 100 m. The total rupture<br />
length was estimated to be about 24 km. The slip distribution on the rupture plane was derived using a new inversion<br />
method, which is more efficient and stable in comparison with the commonly used least-squares method. The results show<br />
that more than 80 per cent of the seismic energy was released from its southern segment of 12 to 14 km size. The maximum<br />
slip exceeds 200 cm which is unusually large for such small rupture length. In particular, others than initially expected,<br />
the earthquake did not occur at the known Bam fault, but 4 to 5 km west from it, indicating that the 2003 Bam earthquake<br />
ruptured a hidden fault or new fault and that in this rupture process an unusually strong asperity was involved.<br />
Zusammenfassung<br />
In den letzten 10 bis 15 Jahren hat die Satellitengeodäsie<br />
revolutionäre Fortschritte gemacht. Insbesondere dank der<br />
D-InSAR- (Differential-Interferometric-Synthetic-Aperture-Radar)<br />
und der kontinuierlichen GPS-Messtechnik<br />
(Global Positioning System) kann die durch Erdbeben verursachte<br />
Krustendeformation millimetergenau gemessen<br />
werden. Im Fall des Bam-Erdbebens vom Dezember 2003<br />
zum Beispiel standen die D-InSAR-Interferogramme in<br />
sehr hoher Qualität vom gesamten Herdgebiet zur Verfügung.<br />
Die daraus abgeleiteten Bodenverschiebungsdaten<br />
liefern wichtige Information über die Herdparameter des<br />
Bebens. Durch die Sobel-Edge-Filterung (eine Art Hochpass-Filter)<br />
der Verschiebungsdaten konnten rechtslaterale<br />
Verwerfungsspuren an der Oberfläche (oder nahe Oberfläche)<br />
deutlich identifiziert und mit einer Auflösung von<br />
± 100 m lokalisiert werden. Die Gesamtlänge der Verwerfung<br />
wurde mit etwa 24 km abgeschätzt. Die Versatzverteilung<br />
auf der Bruchfläche wurde mit einer neuen<br />
Inversionsmethode abgeleitet, die sich als effizienter und<br />
stabiler als die bisher übliche Methode der kleinsten Quadrate<br />
erweist. Die Ergebnisse zeigen, dass mehr als 80 %<br />
der seismischen Energie aus einem südlichen Verwerfungsstück<br />
mit einer Länge von 12 bis 14 km abgestrahlt<br />
wurde. Der größte Versatz an der Herdfläche erreicht über<br />
200 cm und ist ungewöhnlich hoch für solch eine relativ<br />
kleine Herdfläche. Interessanterweise ereignete sich das<br />
Bam-Erdbeben 2003 nicht, wie erwartet, auf der bekannten<br />
Bam-Verwerfung, die an dem östlichen Stadtrand vorbei<br />
läuft, sondern 4 bis 5 km westlich davon. Daraus folgt,<br />
daß das Bam-Erdbeben eine unbekannte Verwerfung aktiviert<br />
oder eine neue Verwerfung generiert und eine ungewöhnlich<br />
starke Asperity durchbrochen hat.<br />
Abb. 1: Die historische Zitadelle vor und nach dem Erdbeben von Bam, 26. 12. 2003 (Fotos: http://www.mcah.columbia.edu/bam/)<br />
The historical Citadel before and after the Bam earthquake of Dec. 26, 2003<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
11
12<br />
Einführung<br />
Am 26. Dezember 2003 geschah in der Provinz Kerman<br />
im Südosten Irans ein zerstörerisches Erdbeben der Magnitude<br />
Mw 6,5. Am stärksten war die am Rand des Hochlandes<br />
vom Iran und der Wüste Dasht-e-Lut gelegene Stadt<br />
Bam betroffen. Der historische Stadtteil um die Zitadelle<br />
(Abb. 1), vor etwa 2.000 Jahren aus Lehmziegeln erbaut,<br />
wurde vollständig zerstört. Nach offiziellen Angaben<br />
kamen mehr als 40.000 Menschen ums Leben, etwa 50.000<br />
wurden verletzt und 100.000 obdachlos (Zaré, <strong>2004</strong>).<br />
Bam liegt direkt an einer Störungszone, der auf Abb. 2<br />
dargestellten rechtslateralen Bam-Verwerfung, die aber<br />
mit hoher Wahrscheinlichkeit in den letzten 2.000 Jahren<br />
nicht stark seismisch aktiv war. Als einzige seismisch aktive<br />
Störung in der Bam-Region wurde bisher die Gowk-<br />
Verwerfung betrachtet (Ambraseys & Melville, 1982;<br />
Walker & Jackson, 2002), eine ebenfalls rechtslaterale<br />
Blattverschiebung mit Aufschiebungsanteilen, die etwa<br />
40 km westlich an Bam vorbei läuft (Abb. 2). Die aktive<br />
Sefidabeh-Störung ist mit mehr als 200 km Entfernung<br />
noch weiter entfernt. Das betrachtete Bebengebiet liegt am<br />
südöstlichen Rand des Zagrosgebirges. Dieses Gebirge ist<br />
der südliche Teil des alpinen Gebirgsbildungsprozesses<br />
und dehnt sich von der türkischen Grenze 1.600 km südostwärts<br />
bis zur Wüste Lut aus. Es ist eine der jüngsten<br />
und aktivsten kontinentalen Kollisionszonen, die durch<br />
die Konvergenz der Arabischen und Eurasischen Platten<br />
entstanden ist. Im Zagrosgebirge nahe der Küste zum Persischen<br />
Golf beträgt die Konvergenzrate etwa 4 cm/a, wird<br />
aber nach Nord-Nordost und Ost-Südost geringer (Beberian<br />
et al., 2001). Neuere Messungen z. B. von Vernant et<br />
al. (<strong>2004</strong>) ergeben kleinere Raten von etwa 2 cm/a. Die<br />
Gowk- und die Bam-Störung nehmen differentielle Bewegungen<br />
von etwa 0,8 cm/a (Vernant et al., <strong>2004</strong>) zwischen<br />
dem Zentraliranischen Block mit dem Zagrosgebirge und<br />
dem Lutblock auf. In der Bam-Region lassen die GPS-<br />
Messungen von Nilforoushan et al. (2003) eine Bewegung<br />
von 1,4 cm/a vermuten. Wegen der offensichtlich sehr<br />
geringen Seismizität in der Lut-Wüste wird der Lut-Block<br />
als ein relativ starrer Block angenommen (Ambraseys and<br />
Melville 1982, Berberian et al. 2000).<br />
Analysen von optischen Fernerkundungsaufnahmen<br />
(Abb. 2) zeigen, dass die Bam-Verwerfung nördlich von<br />
Bam keine einzelne Verwerfung ist, sondern ein Störungssystem<br />
von 4 bis 5 km Breite darstellt. Südlich<br />
von Bam ist nur eine scharfe Störung zu erkennen, die<br />
zwischen Bam und Baravat verläuft und nach Süden auf<br />
einer Länge von knapp 150 km verfolgt werden kann.<br />
Das Gebiet unmittelbar südlich von Bam ist bis in eine<br />
Entfernung von etwa 40 km flächig mit Sedimenten<br />
bedeckt, die auch bis in die Stadt und weiter nach Norden<br />
vorgedrungen sind. Nördlich der Stadt reicht aber<br />
das Anstehende an einigen Stellen bis zur Oberfläche,<br />
Abb. 2: Fernerkundungsaufnahme vom Iran (Kleinbild) und eine Perspektivsicht vom Osten auf dem Zentralgebiet des<br />
Bam-Verwerfungssystems. Gestrichelte weiße Linien sind die Hauptspuren der Bam- und Gowk-Verwerfungen (von<br />
Walker & Jackson, 2002; modifiziert). Gelbe Linien sind kleinere Verwerfungszweige im Bam-Gebiet und schwarze<br />
Pfeile zeigen die Richtungen der Blattverschiebung an den Verwerfungen, interpretiert von den vorliegenden optischen<br />
Fernerkundungsdaten. Die Skala ist nur gültig für den Frontbereich.<br />
Remote sensing image of Iran (inset) and a perspective view from east to the central part of Bam fault system. Dashed<br />
white lines are the main traces of Bam and Gowk faults (from Walker & Jackson, 2002; modified). Yellow lines show<br />
small fault branches in the Bam area and black arrows indicate the direction of strike-slip movements on the faults,<br />
interpreted from the present optical remote sensing data. The scale is only valid for the forefront.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
so dass man hier ein komplexeres Störungssystem<br />
erkennen kann.<br />
Die Stadt Bam liegt etwa 1.050 m über NN. Nach Hosseini<br />
et al. (<strong>2004</strong>) bildet quartäres Alluvium die geologische<br />
Hauptformation in der Stadt. Im östlichen Teil gibt<br />
es stellenweise spät-quartäre Ablagerungen (Sandstein<br />
und Siltstein). Nur die Zitadelle befand sich auf einem<br />
Hügel aus Eruptivgestein (Zaré, <strong>2004</strong>). Obwohl der geologische<br />
Untergrund von Bam einen hohen Anteil von<br />
feinkörnigen Sanden und Schluffen aufweist, soll nach<br />
Hosseini et al. (<strong>2004</strong>) die Gefahr der Bodenverflüssigung<br />
wegen des niedrigen Grundwasserspiegels in den meisten<br />
Teilen der Stadt gering sein.<br />
Die seismisch aktivste Störungszone in der betrachteten<br />
Region ist die Gowk-Verwerfung. Seit 1981 fanden dort fünf<br />
starke Erdbeben mit Magnituden von Mw 5,5 bis 7,1 statt,<br />
aber alle in einem Abstand von mehr als 100 km von Bam<br />
entfernt. Im Vergleich zu anderen Störungssystemen in diesem<br />
Gebiet ist die Bam-Störung verhältnismäßig klein. Es<br />
gibt keine Berichte von historischen Erdbeben, die mit der<br />
Bam-Störung in Verbindung stehen könnten. Da aber nur<br />
Daten von starken Erdbeben von größerer Epizentraldistanz<br />
für die Abschätzung der seismischen Gefährdung der Bam-<br />
Region zur Verfügung stehen, sind die zu erwartenden maximalen<br />
seismischen Bodenbeschleunigungen von 2,5 bis<br />
3,0 m/s 2 in einer Wiederholungsperiode von 75 Jahren (Tavakoli<br />
& Ghafrori-Ashtiany, 1999) stark unterschätzt worden.<br />
Während des Bam-Bebens sind im Epizentralgebiet in beiden<br />
horizontalen Achsen und in vertikaler Richtung 7,0 bis<br />
10,0 m/s 2 gemessen worden (Hosseini et al., <strong>2004</strong>).<br />
Als Herdmechanismus für das Bam-Erdbeben wurde vom<br />
US Geological Service (USGS), der Harvard University,<br />
dem International Institute of Earthquake Engineering and<br />
Seismology (IIEES) im Iran fast rechtslaterale Blattverschiebungen<br />
angegeben, aber die berechneten Epizentren<br />
differierten stark. Die genauesten Bestimmungen des Epizentrums<br />
kamen vom USGS und IIEES, beide mit einer<br />
Genauigkeit von etwa 10 km. Tatar et al. (<strong>2004</strong>) lokalisierte<br />
Nachbeben im Ostteil von Bam nahe der bekannten<br />
Bam-Störung in einer Tiefe von 9 bis 20 km. Aus der Nachbebenverteilung<br />
schätzten diese Autoren eine Bruchlänge<br />
des Hauptbebens von ungefähr 18 km ab.<br />
Die differentielle Radar-Interferometrie erlaubt die Berechnung<br />
hochgenauer co-seismischer Deformationen,<br />
die weiterfolgend für eine präzise Bestimmung von Herdparametern<br />
genutzt werden können (s. z. B. Feigl et al.,<br />
1995). Der erste erfolgreiche Versuch der Bestimmung des<br />
Deformationsfeldes nach einem Erdbeben gelang Massonet<br />
et al. (1993) für das Landers-Erdbeben 1992 in Kalifornien,<br />
USA. Seitdem wird diese Technik für weitere dutzende<br />
Beben weltweit mit hervorhangenden Ergebnissen<br />
angewendet (z. B. Wright, 2002). Neben der Herdflächenlösung<br />
gehören die Bruchlänge und insbesondere ihre<br />
Lage zu den wichtigsten Herdparametern eines Erdbebens.<br />
Die letzteren sind zwar sehr wichtig für die Risikoabschätzung<br />
und vor allem das Katastrophenmanagement,<br />
aber meistens durch teleseismische Methode nicht so ge-<br />
nau bestimmbar. Das Problem kann nun im günstigen Fall<br />
durch die D-InSAR-Methode gelöst werden.<br />
Für das Bam-Erdbeben wurde auf der Grundlage der<br />
ENVISAT-ASAR-Interferogramme aus der absteigenden<br />
(descending) Bahn (d. h. Satellit fliegt vom Norden nach<br />
Süden über das Untersuchungsgebiet) von Talebian et al.<br />
(<strong>2004</strong>) ein vorläufiges Herdmodell aufgestellt. Hier werden<br />
Interferogramme sowohl aus der absteigenden als<br />
auch aus der aufsteigenden (ascending) Bahn verwendet<br />
und für die Bestimmung der Herdparameter mit Hilfe einer<br />
neu entwickelten Inversionstechnik genutzt. Die Ergebnisse<br />
wurden vor kurzem veröffentlicht (s. Wang et al.,<br />
<strong>2004</strong>).<br />
Datenaufbereitung für die SAR-Interferometrie<br />
Das Gebiet um Bam ist wegen seines ariden Charakters<br />
weitgehend vegetationsfrei und deshalb sehr gut für die<br />
Anwendung der InSAR-Technik zur Messung der Oberflächendeformation<br />
geeignet. Die Europäische Raumfahrtsgesellschaft<br />
(ESA) stellte uns jeweils drei ab- und<br />
aufsteigende ASAR-Datensätze zu unterschiedlichen Zeitpunkten,<br />
darunter je drei Datensätze vor bzw. nach dem<br />
Beben aufgenommen, zur Verfügung. Durch die kombinierte<br />
Auswertung dieser Datensätze ist es möglich, die<br />
Änderung der Geländehöhen und damit die Oberflächendeformation<br />
durch das Beben zu berechnen. Details über<br />
die SAR-Interferometrie und ihre Anwendungen in Geowissenschaften<br />
sind im Beitrag „D-INSAR-Forschung“<br />
von Xia und Kaufmann in diesem Band zu lesen.<br />
Obwohl das Zeitintervall zwischen den Messungen vor<br />
dem Beben ein halbes Jahr beträgt, ist die Kohärenz um<br />
Bam sehr hoch und die Interferenzringe sind sehr deutlich.<br />
Das Problem bei der Datenaufbereitung ist die Ungenauigkeit<br />
der Bahnparameter vom ENVISAT. Xia et al.<br />
(2003) entwickelten deshalb eine Methode, die Fehler<br />
durch die ungenauen Bahnparameter in den Interferogrammen<br />
abzuschätzen und zu korrigieren.<br />
Die differentiellen SAR-Interferogramme in Abb. 3 zeigen<br />
die statische Bodendeformation des Bam-Erdbebens<br />
in der Sichtachse jeweils zur ab- (3a) und aufsteigenden<br />
Satellitenbahn (3b). Jede Farbperiode entspricht eine Verschiebung<br />
von 2,8 cm (zunehmend in der Reihenfolge<br />
grün-rot-blau). Beide Interferogramme wurden mit einem<br />
digitalen Höhenmodell, abgeleitet aus optischen Fernerkundungsdaten,<br />
geokodiert. Im Falle der absteigenden<br />
Satellitenbahn beträgt die maximale Hebung in Richtung<br />
der Sichtachse etwa 30 cm und befindet sich am Ort<br />
(28,981° N, 58,381° O) ± 100 m. Die maximale Senkung<br />
kann nicht so genau lokalisiert werden. Sie befindet sich<br />
etwa 18 km nördlich von der maximalen Hebung und<br />
beträgt etwa 18 cm.<br />
Bestimmung der Herdparameter aus den D-InSAR<br />
Daten<br />
Der ENVISAT-Satellit flog über das Untersuchungsgebiet<br />
Bam in einer Höhe von etwa 800 km in Richtung S10°W<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
13
14<br />
Abb. 3: Differentielle ENVISAT-ASAR-Interferogramme (geokodiert), generiert<br />
jeweils vom Datenpaar (a) aus der absteigenden Bahn 9192 am<br />
3. Dezember 2003 und 9693 am 7. Januar <strong>2004</strong> und (b) aus der aufsteigenden<br />
Bahn 8956 am 16. November 2003 und 10 459 am 29. Februar <strong>2004</strong>.<br />
Jede Farbperiode repräsentiert 2,8 cm Bodenverschiebung (zunehmend in<br />
der Reihenfolge grün-rot-blau) in der LOS-Richtung (entlang der Sichtachse<br />
zum Satelliten). (c) die Verwerfungsspuren des Bam-Erdbebens, detektiert<br />
aus den Sobel-Edge gefilterten LOS-Verschiebungen zur absteigenden<br />
Bahn, und (d) die vereinfachten Verwerfungssegmente (gestrichelte dicke<br />
gelbe Linie), gezeichnet in das optische Fernerkundungsbild. Der gefüllte<br />
rote Stern markiert die Position (29,052° N, 58,365° O), wo der Versatz möglicherweise<br />
in der Tiefe von 2 bis 4 km das Maximum von mindestens<br />
200 cm erreicht hat. Ungefüllte rote Sterne markieren einige teleseismisch<br />
bestimmte Epizentren.<br />
Differential ENVISAT ASAR interferograms (geo-coded) generated (a) from<br />
the data pair of descending orbit 9192 and 9693, acquired on 2003 December<br />
3 and <strong>2004</strong> January 7, respectively, and (b) from the data pair of ascending<br />
orbit 8956 and 10 459, acquired on 2003 November 16 and <strong>2004</strong> February<br />
29, respectively. Each fringe step represents a ground displacement of<br />
2.8 cm (increasing with the colour sequence green-red-blue) in the LOS (line<br />
of sight) direction to the satellite. (c) the fault trace of the Bam earthquake<br />
detected from the Sobel-Edge filtered descending LOS displacements, and<br />
(d) the simplified fault segments (dotted thick yellow line) drawn on the optical<br />
remote sensing image. Red star is the location at (29.052° N, 58.365° E),<br />
where the slip possibly reached the maximum of at least 200 cm at a depth<br />
of about 2 to 4 km. Unfilled red stars mark a few teleseismic locations of the<br />
epicentre.<br />
bei der absteigenden und N10°W bei der aufsteigenden<br />
Bahn. Seine Radar-Antenne ist mit 23° (67° Elevation)<br />
von der Lotrichtung nach rechts auf die Erdoberfläche<br />
gerichtet. Im lokalen kartesischen Koordinatensystem,<br />
dessen drei Achsen jeweils nach Osten, nach Norden<br />
und nach oben zeigen, hat die Sichtachse (LOS) zum<br />
ENVISAT die Richtungskosinusse (0,38, –0,07, 0,92) und<br />
(–0,38, –0,07, 0,92) während der ab- bzw. aufsteigenden<br />
Bahn.<br />
Abb. 4 erklärt, wie die Bodenverformung<br />
des Bam-Erdbebens vom ENVISAT aus<br />
den zwei unterschiedlichen Flugrichtungen<br />
wahrgenommen wurde. In dieser<br />
Simulation ist die vom USGS anhand<br />
teleseismischer Daten bestimmte Herdflächenlösung,<br />
die die Streich-, die<br />
Neigungs- und die Versatzrichtung der<br />
Bruchfläche angibt, zur Berechnung der<br />
Bodenverformung übernommen worden.<br />
Es ist zu erkennen, daß das simulierte<br />
LOS-Verschiebungsfeld mit dem aus den<br />
D-InSAR-Daten abgeleiteten ungefähr<br />
übereinstimmt und damit die NS gerichtete<br />
rechtslaterale Blattverschiebung als<br />
Herdmechanismus für das Bam-Erdbeben<br />
bestätigt. Aber die Differenzen zwischen<br />
den modellierten und den beobachteten<br />
Daten insbesondere für das<br />
LOS-Verschiebungsfeld aus der aufsteigenden<br />
Bahn sind an vielen Stellen noch<br />
deutlich zu sehen. Eine weitere Interpretation<br />
dieser Differenzen wird zu einem<br />
genaueren Herdmodell führen, als das aus<br />
den teleseismischen Daten stammende.<br />
Katastrophale Erdbeben wie im Fall Bam<br />
haben oft eine geringe Herdtiefe. Bei solchen<br />
Erdbeben ist zu erwarten, dass ihre<br />
Brüche durch Diskontinuitäten oder starke<br />
Gradienten, falls sie im Untergrund<br />
verdeckt sind, im Verschiebungsfeld und<br />
deshalb auch in den D-InSAR-Interferogrammen<br />
zu erkennen sind. Aus diesem<br />
Grund wurden die LOS-Verschiebungsdaten<br />
aus der absteigenden Bahn, die das<br />
ganze Herdgebiet vollständig überdecken<br />
und von sehr hoher Qualität sind, mit<br />
einem Sobel-Edge-Filter (Differenzierungsfilter)<br />
behandelt. Von den gefilterten<br />
Daten sind die Spuren des Bebens an<br />
der Oberfläche deutlich zu identifizieren.<br />
Sie bestehen ungefähr aus drei geraden<br />
Segmenten. Das südliche Segment ist<br />
12 bis 14 km lang und verläuft von<br />
(28,971° N, 58,357° O) bis (29,088° N,<br />
58,351° O); Das nördliche Stück von<br />
(29,126° N, 58,382° O) bis (29,178° N,<br />
58,382° O) ist 5 bis 6 km lang. Das mittlere<br />
Stück scheint unter dem zerstörten<br />
Stadtgebiet zu verlaufen und konnte<br />
wegen zu geringer Kohärenz nicht eindeutig<br />
verfolgt werden. In den folgenden Modellrechnungen<br />
wird angenommen, daß die gesamte Verwerfung<br />
nicht unterbrochen ist. So wird das mittlere Segment durch<br />
eine direkte Verbindungslinie von etwa 5 km Länge zwischen<br />
dem nördlichen und dem südlichen Segment modelliert<br />
(vgl. Abb. 3). Auf dem optischen Fernerkundungsbild<br />
ist klar zu sehen, dass das Hauptsegment der Verwerfung<br />
nicht auf der bekannten Bam-Verwerfung, sondern 4 bis<br />
5 km westlich davon liegt.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4: Berechnete Bodenverformungen für ein vereinfachtes Herdmodell des Bam-Erdbebens. Die verwendete Bruchfläche<br />
ist 12 km x 12 km mit der Oberkante in einer Tiefe von 0,5 km. Ein homogener Versatz von 210 cm wurde angenommen.<br />
Der Herdmechanismus ist von der teleseismischen Lösung des USGS übernommen: Streichen = 174°,<br />
Neigung = 88° und Versatz = 178°. Das Intervall der Konturlinien ist 2,8 cm (grün-blau für negativ und gelb-rot für<br />
positiv).<br />
Different displacement components calculated for a simplified source model of the Bam earthquake. The rupture area<br />
used is 12 km x 12 km with the upper edge at 0.5 km below the surface. A uniform slip of 210 cm is assumed, and the<br />
focal mechanism is adopted from the teleseismic solution provided by USGS: strike = 174°, dip = 88° and rake = 178°.<br />
The contour interval is 2.8 cm (green-blue for negative and yellow-red for positive).<br />
Die Bruchfläche des Erdbebens wurde deshalb durch drei<br />
Rechtecke repräsentiert, die vom Süden nach Norden die<br />
Länge und die Streichrichtung von jeweils (14,0 km,<br />
357°), (4,6 km, 35°) und (7,5 km, 0°) haben. Um die Neigung<br />
der Bruchfläche und ihre untere Grenze in der Tiefe<br />
zu bestimmen, wurde zunächst ein konstanter Versatz an<br />
dem jeweiligen rechteckigen Segment angenommen.<br />
Durch eine Reihe von Vorwärtsmodellierungen (Rastersuche)<br />
mit Hilfe der elastischen Dislokationstheorie fanden<br />
wir, daß sich das südliche und das mittlere Segment<br />
mit 75° bis 80° nach Osten und das nördliche Segment<br />
dagegen mit etwa 55° nach Westen neigen.<br />
Im nächsten Schritt wurde beim Festhalten der Bruchflächengeometrie<br />
die inhomogene Verteilung des Versatzes<br />
aus den beiden ENVISAT-ASAR-Interferogrammen invertiert.<br />
Um den Rechenaufwand zu minimieren, wurden die<br />
D-InSAR-Daten von der ursprünglichen räumlichen Auflösung<br />
von etwa 85 m x 85 m auf 430 m x 430 m gefiltert.<br />
Die gefilterten Daten umfassen insgesamt 8.976 und<br />
5.781 Verschiebungswerte aus der ab- bzw. aufsteigenden<br />
Bahn. Mit einer vergleichbaren Auflösung wurde die<br />
Bruchfläche durch 1.405 diskrete Punktquellen dargestellt.<br />
Jede Punktquelle ist durch einen Versatzvektor defi-<br />
niert, der zwei Komponenten entlang der Streich- bzw.<br />
Neigungsrichtung hat. Es soll diejenige Versatzverteilung<br />
ausgesucht werden, die die beobachteten Daten optimal<br />
reproduziert.<br />
Häufig wird die Methode der kleinsten Quadrate (LS =<br />
Least Square-Methode) zur Inversion der Versatzverteilung<br />
angewendet. In dem vorliegenden Fall ist die LS-<br />
Methode wegen der großen Menge von Daten und Variablen<br />
rechnerisch sehr aufwendig. Außerdem ist bei dieser<br />
Methode nicht garantiert, dass das Ergebnis, also das<br />
quantitative Versatzmodell, nicht nur die Daten reproduziert,<br />
sondern sich auch als physikalisch stabil und plausibel<br />
erweist. Die Ursache liegt darin, daß es schwer ist<br />
vorher abzuschätzen, wie fein sich die Versatzverteilung<br />
in der Tiefe aus den statischen Deformationsdaten auflösen<br />
lässt. In der Regel erhält man ein stabiles Versatzmodell,<br />
wenn die Bruchfläche sehr grob vernetzt wird, d. h.,<br />
nur wenige zu invertierende Punktquellen zulässt. Dadurch<br />
würden aber nicht alle nützlichen Informationen aus den<br />
Daten ausgeschöpft. Umgekehrt führt eine zu hohe Auflösung<br />
der Bruchfläche oft zu einem Versatzmodell, das<br />
zwar die Daten bestmöglich reproduziert, aber unrealistisch<br />
starke kurzwellige Variationen enthält. In der Praxis<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
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16<br />
muss eine geeignete Vernetzungsdichte der Bruchfläche<br />
ausprobiert werden. Üblicherweise wird der flachere<br />
Bereich feiner vernetzt als der tiefere. Zusätzlich müssen<br />
häufig empirische Einschränkungen, wie die Begrenzung<br />
des Versatzwertes und der Versatzrichtung sowie die Glättung<br />
der Versatzverteilung in dem Inversionsverfahren<br />
berücksichtigt werden. Das Ergebnis hängt oft von solchen<br />
künstlichen Einschränkungen ab.<br />
Um diese Nachteile zu überwinden, haben wir eine neue<br />
SA-Methode (Successive Approximation) entwickelt. In<br />
dieser Methode wird zuerst eine Empfindlichkeitsverteilung<br />
∆R/∆U berechnet, wobei ∆R den maximal reproduzierbaren<br />
Anteil der beobachteten Oberflächendeformation<br />
durch eine einzelne Punktquelle an der gleichen Stelle<br />
und ∆U den dafür notwendigen Versatzwert der Punktquelle<br />
definiert. Es wird dann angenommen, dass die tatsächliche<br />
Versatzverteilung näherungsweise mit der Empfindlichkeitsverteilung<br />
linear korreliert. Der Korrelationskoeffizient,<br />
der die absolute Versatzmagnitude bestimmt,<br />
wird durch die Anpassung zwischen der berechneten und<br />
der beobachteten Oberflächendeformation nach dem Prinzip<br />
der kleinsten Quadrate bestimmt. Wenn das residuale<br />
Deformationsfeld unter dem zu erwartenden Fehlerniveau<br />
sinkt, wird die Inversion erfolgreich beendet. Ansonsten<br />
wird die gleiche Prozedur an dem residualen<br />
Deformationsfeld wiederholt und das Versatzmodell wird<br />
Schritt für Schritt korrigiert, bis es unter ein Fehlerniveau<br />
sinkt oder sich nicht mehr weiter reduzieren lässt.<br />
Statt tausende diskrete Versatzwerte simultan zu bestimmen,<br />
sind hier in jedem iterativen Anpassungsprozeß nur<br />
ein oder zwei Korrelationskoeffizienten zu berechnen, je<br />
nachdem, ob die Versatzrichtung festgelegt wird. Dadurch<br />
ist die SA-Methode viel schneller als die LS-<br />
Methode. Abb. 5 zeigt, dass ein stabiles Versatzmodell für<br />
das Bam-Erdbeben schon nach drei Iterationen feststeht.<br />
Das endgültige Versatzmodell ist in Abb. 6 gezeigt. Wie<br />
bei der SA-Methode zu erwarten, ist die Versatzverteilung<br />
im flacheren Bereich deutlich besser aufgelöst als<br />
im tieferen Bereich und sie enthält keine künstlichen<br />
Oszillationen, trotz der homogenen und sehr feinen Vernetzung<br />
der Bruchfläche. Damit hat die neue Methode<br />
einen offensichtlichen Vorteil gegenüber der herkömmlichen<br />
LS-Methode: Die Versatzverteilung wird automatisch<br />
so tiefenabhängig aufgelöst, wie es die Daten erlauben.<br />
Zum Beispiel kann die obere Kante der Bruchfläche<br />
deutlich genauer bestimmt werden als die untere. Der<br />
Herdmechanismus des Erdbebens ist, wie erwartet, durch<br />
die rechtslaterale Blattverschiebung dominiert. Der maximale<br />
Versatz erreicht über 200 cm und befindet sich im<br />
Tiefenbereich zwischen 2 und 4 km nahe dem südlichen<br />
Stadtrand von Bam (s. Abb. 3). Die Bruchfläche dehnt<br />
sich bis in eine Tiefe von etwa 12 km aus. Die Momentmagnitude<br />
(Mw) des Erdbebens ist 6,5 x 0,1 und stimmt<br />
mit den teleseismischen Abschätzungen gut überein. Die<br />
gefundene effektive Bruchfläche (ca. 16 km x 12 km) ist<br />
relativ klein für ein Erdbeben dieser Magnitude. Außerdem<br />
nimmt der Versatz nahe der Oberfläche sehr stark ab<br />
und erreichte wahrscheinlich nur an wenigen Stellen die<br />
Erdoberfläche.<br />
In Abb. 7 werden die simulierten mit den beobachteten<br />
differentiellen ENVISAT-ASAR-Interferogrammen verglichen.<br />
Das Quadratmittel der Residuen beträgt 1,0 cm<br />
für das Interferogramm aus der absteigenden Bahn und<br />
1,4 cm für das aus der aufsteigenden Bahn, also unter<br />
einem Interferenzring. Die meisten signifikanten Residuen<br />
befinden sich im Nahfeldbereich. Sie sind durch die<br />
kleinräumigen Unregelmäßigkeiten der Bruchfläche verursacht,<br />
die in dem Inversionsverfahren vernachlässigt<br />
wurden.<br />
Abb. 5: Iterative Bestimmung der Versatzverteilung auf dem südlichen Bruchsegment (14 km x 12 km) vom Bam-Erdbeben<br />
durch die SA-Methode. In der ersten Iteration wird die Versatzverteilung mit der Empfindlichkeit der Punktquellen<br />
auf die beobachteten LOS-Verschiebungen korreliert und der Korrelationskoeffizient durch Anpassung an die<br />
D-InSAR-Daten im Sinne der kleinsten Quadraten bestimmt. Beiträge zu der Versatzverteilung aus den folgenden Iterationen<br />
werden analog durch Anpassung an die Residuen aus den vorherigen Iterationen bestimmt.<br />
Iterative determination of the slip distribution on the south rupture segment (14 km x 12 km) of the Bam earthquake<br />
using the SA method. In the first iteration, the slip distribution is correlated with the sensitivity of the point sources<br />
to the observed LOS displacements, and the correlation coefficient is determined by the least-squares fitting to the<br />
D-InSAR data. Contributions to the slip distribution from the following iterations are obtained in a similar way by fitting<br />
the residual data remaining from the foregoing iterations.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Diskussion und Schlußfolgerungen<br />
Die differentielle ENVISAT-ASAR-Interferometrie<br />
lieferte hochgenaue Daten<br />
über die Verformung der Erdoberfläche,<br />
die durch das Erbeben am 26. Dezember<br />
in Bam (Südostiran) hervorgerufen wurde.<br />
Die Auswertung der Daten ergab eine<br />
präzise Bestimmung der Herdparameter<br />
des Bebens. Wie für das Bam-Verwerfungssystem<br />
erwartet, handelt es sich um<br />
eine rechtslaterale Blattverschiebung.<br />
Durch die Filterung der Oberflächendeformation<br />
mit Hilfe eines Sobel-Edge-<br />
Filters fanden wir drei Bruchsegmente,<br />
die wir als geometrische Grundlage für<br />
die Inversion von den weiteren Parametern<br />
der Bruchfläche aus den Deformationsdaten<br />
verwendeten. Das Ergebnis<br />
zeigt, dass das südliche verdeckte Segment<br />
mit mehr als 80 % Anteil am seismischen<br />
Moment, etwa 14 km Länge und<br />
bis über 200 cm Versatz das wichtigste<br />
Segment der aktuellen Bruchfläche ist.<br />
Nach Wells & Coppersmith (1994) ist dieser<br />
Wert für ein Erdbeben mit Mw 6,5<br />
ungewöhnlich hoch. Daraus resultiert<br />
auch der hohe Spannungsabfall von etwa<br />
6 MPa auf diesem Bruchsegment. Das<br />
lässt vermuten, dass eine starke Asperity<br />
(d. h. eine harte Stelle, an der sich die tektonische<br />
Spannung vor dem Beben konzentriert<br />
hat) am Bruchprozess beteiligt<br />
war. Außerdem lässt der hohe Spannungsabfall<br />
auf eine hohe seismische<br />
Energieabstrahlung schließen, die in Verbindung<br />
mit den alluvialen Sedimenten zu den starken<br />
Schäden im Stadtgebiet geführt hat.<br />
Die Ortung der Bruchfläche ist auf etwa ±100 m genau.<br />
Ihre NS-Streichrichtung entspricht der Richtung der<br />
bekannten Bam-Verwerfung, differiert aber südlich der<br />
Stadt bezüglich ihrer Lage beträchtlich. Das gefundene<br />
Ergebnis zeigt, daß das Bam-Erdbeben 4 bis 5 km westlich<br />
der bekannten Bam-Verwerfung eine verdeckte Störung<br />
aktiviert oder eine neue erzeugt hat. Die Analyse der<br />
optischen Fernerkundungsdaten der Region nördlich von<br />
Bam weisen darauf hin, daß es eine südliche Verlängerung<br />
des Westteils des Bam-Störungssystems gibt, die mit dem<br />
Beben seismisch aktiv wurde.<br />
Die Existenz der drei Bruchsegmente bedeutet scheinbar<br />
einen Sprung der Bruchfläche unter der Stadt um etwa<br />
4 km nach rechts. Wie man aber aus der Tiefenverteilung<br />
der Dislokation sieht, ist das nördliche Segment nur ganz<br />
flach, etwa bis 1 km durchgebrochen. Wir nehmen an, dass<br />
dieser Bruch sekundär infolge des Bebens entstanden ist<br />
und als aktiver Bruch sehr wenig Energie abgestrahlt hat.<br />
Deshalb ist auch bei der Bestimmung der Herdmechanismen<br />
der Nachbeben (Tartar et al., <strong>2004</strong>) zwischen dem<br />
nördlichen und südlichen Segment kein Abschiebungsme-<br />
Abb. 6: Das Versatzmodell für das 2003 Bam-Erdbeben, abgeleitet aus den<br />
D-InSAR Daten mit der SA-Methode: (a) die rechtslaterale Blattverschiebungskomponente<br />
und (b) die Aufschiebungskomponente. Die Bruchfläche<br />
besteht aus drei vom Süden nach Norden angeordneten rechteckigen Segmenten<br />
von 14,0 km, 4,6 km bzw. 7,5 km Länge. Der maximale Versatz erreicht<br />
über 200 cm und befindet sich zwischen 2 und 4 km unter der Oberfläche bei<br />
(29,052° N, 58,365° O) nahe dem südlichen Stadtrand von Bam.<br />
The slip model for the 2003 Bam earthquake derived from the D-InSAR data<br />
using the SA method: (a) the right-lateral strike-slip component and (b) the<br />
thrust component. The rupture area consists of three rectangular segments<br />
of 14.0 km, 4.6 km and 7.5 km length from south to north, respectively. The<br />
maximum slip exceeds 200 cm and appears 2 to 4 km below the surface at<br />
(29.052° N, 58.365° E) near the southern outskirts of the Bam city.<br />
chanismus gefunden worden, wie er bei dieser Geometrie<br />
zu erwarten gewesen wäre. Auch die präzisen Ortungen<br />
von Tartar et al. (<strong>2004</strong>) zeigen in der Stadt Bam und nördlich<br />
davon eine deutliche Verbreiterung der Nachbebenaktivität<br />
in west-östliche Richtung, was auf eine diffuse<br />
Struktur und/oder Spannungsverteilung andeutet. Das<br />
mittlere Segment war an der Oberfläche nicht klar erkennbar<br />
(Abb. 3c), weist aber in seiner Dislokation und Tiefenerstreckung<br />
(Abb. 6) beträchtliche Werte auf. Im oberflächennahen<br />
Bereich ist die Dislokation jedoch relativ<br />
klein. Je tiefer man kommt, desto größer werden aufgrund<br />
des statischen Verfahrens die Unsicherheiten der Ergebnisse.<br />
Ebenfalls sind für dieses Gebiet die Messdaten durch<br />
die Zerstörungen in der Stadt möglicherweise verfälscht.<br />
Dadurch lässt sich das nördliche Ende des südlichen Segments<br />
„nur“ mit einer Genauigkeit von 1 bis 2 km schätzen.<br />
Eine zusätzliche Einführung eines Aufschiebungssegments<br />
10 km östlich der Hauptbruchfläche durch Talebian<br />
et al. (<strong>2004</strong>) ist für die hier analysierten Interferogramme<br />
nicht notwendig und widerspricht auch der Auswertung<br />
geodätischer Präzisionsmessungen vor und nach<br />
dem Erdbeben (Motagh et al., 2006).<br />
Interessant ist in Abb. 6 auch die sehr scharfe obere<br />
Begrenzung des südlichen Segments der Bruchfläche, die<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
17
18<br />
Abb. 7: Vergleich zwischen den simulierten und beobachteten differentiellen ENVISAT-ASAR-Interferogrammen.<br />
Comparison between the simulated and observed differential ENVISAT ASAR interferograms.<br />
vom Stadtrand von Bam bis zum Segmentende von 0 auf<br />
etwa 1 km abfällt. Nach den gegenwärtigen Erkenntnissen<br />
ist gerade für diese geringen Tiefen die D-InSAR<br />
Methode sehr genau. Das auffällige Verschiebungsdefizit<br />
an der Oberfläche korreliert wahrscheinlich mit der Mächtigkeit<br />
der Sedimentschicht (Fialko et al., <strong>2005</strong>). Zur Überprüfung<br />
dieses Resultats werden deshalb (1) seismische<br />
Rauschmessungen (die H/V-Methode von Nakamura,<br />
1989) zur Bestimmung der Sedimentmächtigkeit, (2) ein<br />
aktives seismisches Experiment südlich von Bam vorgeschlagen,<br />
und (3) müssen im Bedarfsfall 2 bis 3 Bohrungen<br />
eine abschließende Klärung herbeiführen.<br />
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<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
19
20<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
D-INSAR-Forschung in China: Monitoring und<br />
Analyse von Absenkungen und Hangrutschungen<br />
Y. Xia und H. Kaufmann<br />
Leveling and GPS surveying are the traditional methods to monitor and calculate surface subsidence and landslides.<br />
However, just a limited number of discrete points can be exactly measured and the distribution and areal extent of the<br />
affected regions are still unknown. Furthermore, a continuous frequent monitoring of large areas with the help of leveling<br />
and GPS is rather expensive. Alternatively, the application of differential SAR Interferometry (D-InSAR) is a very<br />
useful technique and thus, an important new method for the synoptic detection and monitoring of accurate subsidence<br />
rates over extensive areas. We tested this new technology and our INSAR processing system for the monitoring of<br />
subsidence in the region of Tianjin and the observation of landslides in the Three Gorges area in China.<br />
Einleitung<br />
Bodenabsenkungen, die durch massive Grundwasserentnahme<br />
entstehen, stellen ein akutes Umweltproblem in<br />
China dar. Sie bedrohen die städtische Infrastruktur, Straßen<br />
und Brücken, Bahnhöfe und Flughäfen sowie auch<br />
unterirdische Anlagen, beispielsweise die Kanalisation. In<br />
China haben sich bereits drei große Absenkungszentren<br />
gebildet – Shanghai im Yangtze-Flussdelta, die Su-Xi-<br />
Chang-Region in der Provinz Jiangsu und die Hang-Jia-<br />
Hu-Ebene in der Provinz Zhejiang. Der Absenkungsbereich<br />
im Yangtze-Delta entspricht mit ca. 30.000 km 2 zwar<br />
nur 0,3 % der Fläche Chinas, jedoch werden an dieser Stelle<br />
15,3 % des Bruttosozialproduktes erwirtschaftet. In<br />
Shanghai werden die Absenkungen bereits seit 1921 beobachtet.<br />
Im Zeitraum von 1921 bis 1965 sank die Stadt um<br />
1,76 m sowie deren Umgebung um fast 2 m relativ zum<br />
Hochwasserniveau des Huangpu-Flusses. Zu dieser Zeit<br />
wurde durch starken Regen oder Springfluten der halbe<br />
städtische Bezirk überschwemmt. Personenschäden, Betriebsschließungen<br />
und Verkehrsstillstand waren die Folge.<br />
Der neue und immer stärker auszubauende Deich entlang<br />
der Flüsse Suzhou und Huangpu gilt als dauerhaftes<br />
Mahnsymbol für durch Oberflächenabsenkungen verursachte<br />
Schäden und Gefahren.<br />
Im Bereich von Nordchina, besonders in der Region der<br />
drittgrößten Stadt Chinas, Tianjin, nehmen die Absenkungen<br />
bereits katastrophale Ausmaße an. So wurde am<br />
1. September 1992 in Folge einer Sturmflut von 5,93 m<br />
über dem Gezeitenniveau der Hafen von Tangku überflutet,<br />
mit einem Schaden von ungefähr 300 Million Yuan<br />
(ca. 30 Million Euro). Nahe Tianjin wurde im Jahre 1965<br />
das Ölfeld Dagang angelegt und seitdem industriell betrieben.<br />
Durch massive Entnahme von juvenilem Grundwasser<br />
für die Landwirtschaft kam es zu massiven Senkungen<br />
von bis zu 80 m im Untergrund. Die beobachteten<br />
Senkungsraten an der Erdoberfläche betragen 0,8 bis<br />
1,7 m und bedrohen somit auch akut die Ölförderung.<br />
Abwässer in Folge von Starkregenereignissen stellen ein<br />
weiteres Problem für die städtischen Bezirke dar. Das fehlende<br />
Gefälle der Abwasserleitungen verhindert ein schnelles<br />
Abfließen und führt zur Versumpfung im Bereich der<br />
Flussgebiete. Meerwasser fließt ins Landesinnere und verschlechtert<br />
dadurch zusätzlich die Trinkwasserqualität in<br />
den betroffenen Gebieten.<br />
Hangrutschungen, besonders im Gebiet der Drei Schluchten<br />
entlang des Yangtze-Flusses, repräsentieren ein weiteres<br />
akutes Umweltproblem in China. Das größte Stauseeprojekt<br />
Chinas, das Drei-Schluchten-Projekt, wurde realisiert,<br />
um den aufkommenden Bedarf an Energie im Norden<br />
des Landes sicherzustellen. Mit einer Gesamtlänge<br />
von über 600 km und einer durchschnittlichen Breite von<br />
1,1 km erreicht die Aufnahmekapazität des Yangtze-Stausees<br />
39,3 Milliarden Kubikmeter Wasser. Die Länge des<br />
Stauseeufers, die Speicherkapazität, die Anzahl der Umsiedlungen<br />
und die ökologischen Veränderungen sind bisher<br />
mit keinem anderen Projekt vergleichbar. Dadurch<br />
ergeben sich jedoch auch erhebliche potentielle Gefahren.<br />
Im Vordergrund stehen viele rezente Erdrutschungen und<br />
Felsstürze, die entlang der Ufer des Flusses verstärkt auftreten.<br />
Mehr als zweitausend großskalige Rutschungsmassen<br />
sind bisher entdeckt worden. Seit 1982 traten mehr<br />
als 70 Erdrutsche, Einstürze und Schlammströme auf, die<br />
eine direkte Bedrohung für die zahlreichen in diesem<br />
Raum lebenden Menschen und das Staudammprojekt darstellen.<br />
Man schätzt, dass die Aufstauung des Flusses auf<br />
geplante 175 m die Instabilität entlang der Uferzonen und<br />
seiner Zuflüsse noch steigern wird. Die Gefahrenüberwachung<br />
und -vorbeugung in der Drei-Schluchten-Region ist<br />
deshalb ein wichtiges Anliegen während der Aufstauungsphase<br />
und der späteren Bewirtschaftung. Gemeinsam<br />
mit chinesischen Partnern soll deshalb ein Konzept zur<br />
Gefahrenüberwachung und deren Vorhersage erarbeitet<br />
und installiert werden, um dieses einzigartige Ökosystem<br />
besser schützen zu können.<br />
Traditionelle Überwachungs- und Messmethoden für Oberflächenabsenkungen<br />
und Hangrutschungen sind geodätische<br />
Verfahren wie Nivellement, Tachymetrie und GPS.<br />
Dabei kann aber nur eine begrenzte Anzahl an diskreten<br />
Punkten hochgenau vermessen werden. Dies hat zur Folge,<br />
dass die eigentliche Verteilung und das Ausmaß der Absenkung<br />
für das gesamte Gebiet weitgehend unbekannt sind und<br />
interpoliert werden müssen. Außerdem scheitert eine konti-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
21
22<br />
nuierliche Überwachung von so großen Gebieten meist an<br />
den hohen Kosten für den notwendigen wiederholten Feldeinsatz.<br />
Als eine effektive und ökonomische Alternative<br />
dazu bietet sich die differentielle SAR-Interferometrie<br />
(D-InSAR) an. Diese Technik hat sich in den letzten Jahren<br />
sehr stark fortentwickelt und erlaubt eine großflächige und<br />
hochgenaue Bestimmung von Absenkungsraten. Mit Hilfe<br />
einer am <strong>GFZ</strong> Potsdam neu entwickelten INSAR-Auswertesoftware<br />
konnte ein Monitoring und eine genaue Analyse<br />
der Landabsenkungen in der Region von Tianjin, wie auch<br />
die Erfassung von Hangrutschungen im Gebiet der Drei<br />
Schluchten erfolgreich durchgeführt werden.<br />
Technik der differentiellen SAR-Interferometrie<br />
Synthetic Aperture Radar (SAR) ermöglicht die wetterund<br />
tageszeitunabhängige Aufzeichnung von bildhaften<br />
Daten der Erdoberfläche vom Flugzeug oder Satelliten<br />
Abb. 1: Aufnahmegeometrie des SAR-Satelliten: jeweils ein Streifen der<br />
Erdoberfläche mit einer Breite von 100 km wird abgebildet.<br />
Acquisition geometry of SAR satellite system: The Earth surface is illuminated<br />
by a 100 km wide image stripe.<br />
aus. Das Abbildungsverfahren ist holographisch und<br />
kohärent, d. h. während Aufnahme und Verarbeitung der<br />
Daten bleibt die Phaseninformation der Radarsignale<br />
erhalten. Bei der SAR-Interferometrie (INSAR) werden<br />
die Phasenwerte jeweils zweier korrespondierender Bildpunkte<br />
aus leicht unterschiedlichen Blickwinkeln aufgenommener<br />
SAR-Bilder verglichen. Damit ist es möglich,<br />
Entfernungsunterschiede vom Bruchteil einer Wellenlänge<br />
(cm), also im Millimeterbereich zu bestimmen. Diese<br />
Entfernungsunterschiede werden genutzt, um ähnlich wie<br />
bei der optischen Stereophotogrammetrie Geländemodelle<br />
von der Erdoberfläche zu berechnen. Darüber hinaus<br />
können mit Hilfe der differentiellen SAR-Interferometrie<br />
(D-INSAR) zeitliche Lageveränderungen auf der Erdoberfläche<br />
im mm- bis cm-Bereich erfasst werden, was<br />
z. B. bei der Observation von Gletschern, Vulkanen, Hangrutschen,<br />
Erdbeben und Geländeabsenkungen eine wichtige<br />
Rolle spielt. In Abb. 1 wird das Grundprinzip einer<br />
Radaraufnahme dargestellt. Der Radarsatellit<br />
fliegt in einer Höhe von 785 km und<br />
tastet jeden Punkt der Erdoberfläche, mit<br />
Ausnahme der Polkappen, in einem<br />
Zyklus von 35 Tagen ab. Dabei werden<br />
Streifen der Erdoberfläche mit einer Breite<br />
von 100 km abgebildet und zu komplexen<br />
SAR-Bildern mit je 100 km Länge<br />
prozessiert. Diese bilden die Grundlage<br />
für eine Auswertung mit Hilfe der SAR-<br />
Interferometrie.<br />
Monitoring von Bodenabsenkungen<br />
im Gebiet von Tianjin<br />
Tianjin ist einer der vier Stadtbezirke,<br />
der direkt der Zentralverwaltung in China<br />
untersteht und besitzt den nächsten<br />
Seehafen zu Beijing (Abb. 2). Die Stadt<br />
liegt geographisch im Nordosten der<br />
nordchinesischen Ebene (Breite 38° 34' N/<br />
40° 15' N und Länge 116° 43' /118° 04' O)<br />
im Gebiet der Huabei-Ebene und erstreckt<br />
Abb. 2: Die Stadt Tianjin liegt in der Mitte des Bohai-Seewirtschaftsgebiets entlang der Westküste des pazifischen Ozeans,<br />
in der Nähe von Beijing (Foto: Land Subsidence Control Office of Tianjin, China).<br />
The town of Tianjin is located in the center of the Bohai sea rim economical circle along the west coast of the Pacific<br />
Ocean near Beijing.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 3: Auswirkung von Absenkungen: a) vom Boden gelöste Schienenstränge und b) versetzte Brücke (Fotos: Geological<br />
Survey Bureau of Nanjing, China )<br />
Consequence of surface subsidences: a) suspended rails and b) displaced bridge<br />
sich entlang der Westküste des pazifischen Ozeans im<br />
Zentrum des Bohai-Seewirtschaftskreises. Sie repräsentiert<br />
eine der größten Industrie- und Handelsstädte in<br />
China und wird auch als „Diamant des Bohai-Golfs“<br />
bezeichnet. Das Stadtgebiet umfasst einen Bereich von<br />
11.000 km 2 und wird von mehr als 10 Millionen Menschen<br />
bewohnt.<br />
In der Geschichte der Stadt spielte Wassermangel stets<br />
eine große Rolle, da es in dem Gebiet kein oberflächennahes<br />
Süßwasser gibt. Durch langjährige Grundwasserentnahme<br />
aus immer tieferen Schichten zur Deckung der<br />
wachsenden Nachfrage aus Industrie und Landwirtschaft<br />
kommt es zu massiven Oberflächenabsenkungen in der<br />
gesamten Region. Die zerstörerischen Auswirkungen sind<br />
beispielhaft in Abb. 3 und Abb. 4 dargestellt. Abb. 3a zeigt<br />
vom Boden losgelöste Schienenstränge und Abb. 3b eine<br />
partiell versetzte Brücke. Gebäudeschäden sind in Abb. 4a<br />
und b dokumentiert.<br />
Diese Probleme werden in Zukunft vermutlich noch größer,<br />
da die Nachfrage nach Trinkwasser weiter steigen<br />
wird. Umso mehr sind die Kontrolle und Überwachung<br />
der Bodenabsenkungen wichtig für die Stadt. Im Vergleich<br />
zu den konventionellen geodätischen Messverfahren<br />
ermöglicht die differentielle SAR-Interferometrie eine<br />
effektive, ökonomische und hochgenaue Auswertung.<br />
In einer Projekt-Kooporation mit dem chinesischen<br />
„Ministry of Land and Resources'“ konnte am <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
eine neue Technik zur Bestimmung der Absenkungsraten<br />
getestet werden.<br />
Dazu wurden von der ESA zehn Szenen ENVISAR ASAR<br />
SLCI-Daten zur Verfügung gestellt, die im Zeitraum vom<br />
Oktober 2003 bis Dezember <strong>2004</strong> aufgezeichnet worden<br />
waren. Im Allgemeinen kann ein Interferogramm aus je<br />
zwei SAR-Bildszenen generiert werden. Dabei müssen die<br />
beiden SAR-Bilder hoch kohärent sein, da sonst die Phaseninformation<br />
der Bilder verloren geht. In der Realität<br />
kann diese Voraussetzung aufgrund kleinster Veränderungen<br />
der Oberflächeneigenschaften wie z. B. durch<br />
Vegetation oft nicht erfüllt werden. Für diesen Fall wurde<br />
ein statistisch basierter Ansatz, die „Permanent Scatterer“-<br />
Technik (PS) entwickelt, bei der jedoch mindestens 30 Radarszenen<br />
zur Prozessierung benötigt werden. Ziel ist es,<br />
statistisch stabil reflektierende Punkte zu identifizieren<br />
und diese in die Analyse zu integrieren. Da für das hier<br />
beschriebene Projekt nur zehn Szenen zur Verfügung ste-<br />
Abb. 4 a, b: Durch Bodenabsenkungen verursachte Gebäudeschäden (Fotos: Geological Survey Bureau of Nanjing,<br />
China).<br />
Building damages caused by surface subsidence.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
23
24<br />
hen, wäre die Nutzung der PS-Technik stark einschränkt.<br />
Aus diesem Grunde wurde am <strong>GFZ</strong> Potsdam eine neue<br />
Methode entwickelt, die auf folgendem mathematischen<br />
Modell zur Analyse von Zeitreihen beruht:<br />
4πTm 4λBm ∆Φijm = _____ ∆Vij + _______ ∆hij + ∆Φijm-noise λ λRsinθ<br />
∆Φ ijm entspricht der Phasedifferenz zwischen Punkt i und<br />
j im Interferogramm m; T m und B m entsprechen der Zeitdifferenz<br />
und Länge der Basislinie von Interferogramm<br />
m; ∆V ij und ∆h ij repräsentieren die Geschwindigkeitsdifferenz<br />
der Absenkung und Ungenauigkeitsdifferenz der<br />
Höhe zwischen Punkt i und j; ∆Φ ijm-noise beschreibt die<br />
weiße Rauschdifferenz zwischen Punkt i<br />
und j; λ, R und θ sind die Radarparameter<br />
Wellenlänge, Radar-Objekt-Distanz<br />
und Einfallswinkel. Weil außer ∆V ij und<br />
∆h ij alle anderen Variablen bekannt sind,<br />
können die beiden unbekannten ∆V ij und<br />
∆h ij durch eine zweidimensionale Spektrumschätzung<br />
mit Hilfe eines Periodogramms<br />
bestimmt werden. Hierzu wurden<br />
15 Datenpaare mit einer Basislinie<br />
unter 300 m ausgewählt (Tab. 1). Von diesen<br />
15 Interferogrammen werden diejenigen<br />
Punkte zur Auswertung benutzt,<br />
deren Kohärenzwert größer als 0,25 ist.<br />
Danach wurde die durchschnittliche<br />
Absenkungsgeschwindigkeit für die vorher<br />
gewählten Punkte bestimmt. Das<br />
Ergebnis, die durchschnittliche Absenkungsgeschwindigkeit<br />
im Jahr <strong>2004</strong>, ist<br />
in Abb. 5 farblich dargestellt. Die jährli-<br />
che Absenkung in der Innenstadt betrug<br />
ca. 2 cm, in Wuqing nördlich von Tianjin<br />
3 cm und in Jinnan südlich von Tianjin<br />
4 bis 5 cm. In der Stadt Langfang im Nordwesten<br />
von Tianjin wurden 5 bis 7 cm<br />
Tab. 1: Überblick zu den verwendeten ENVISAT ASAR-Daten<br />
Overview of used ENVISAT ASAR Data<br />
ermittelt, in Shenfang, einem Dorf westlich von Tianjin,<br />
das bereits in der Provinz Hebei liegt, wurde ein lokales<br />
Absenkungszentrum von sogar 10 cm errechnet.<br />
Der Vergleich mit einer rein geodätisch basierten Auswertung<br />
in Abb. 6 zeigt, dass die Ergebnisse sehr gut übereinstimmen.<br />
Monitoring von Hangrutschungen im Gebiet des<br />
Drei-Schluchten-Damms<br />
Hangrutschungen sind eine weitere ernstzunehmende Gefahr<br />
in China. Die Kontrolle und Überwachung von Hangrutschungen<br />
im Drei-Schluchten-Damm Gebiet besitzen<br />
Abb. 5: Ergebnisse der D-INSAR-Analyse: Bodenabsenkungsgeschwindigkeiten<br />
im Tianjin-Gebiet im Jahr <strong>2004</strong>.<br />
Result of D-INSAR analyses: Velocities of surface subsidences for the area<br />
of Tianjin in <strong>2004</strong><br />
No. master data slave data time interval (days) Baseline (m)<br />
01. 2003.10.17 2003.12.26 -2x35 209<br />
02. 2003.10.17 <strong>2004</strong>.01.30 -3x35 130<br />
03. 2003.10.17 <strong>2004</strong>.04.09 -5x35 -72<br />
04. 2003.12.26 <strong>2004</strong>.01.30 -1x35 -79<br />
05. 2003.12.26 <strong>2004</strong>.04.09 -3x35 -281<br />
06. <strong>2004</strong>.01.30 <strong>2004</strong>.04.09 -2x35 -202<br />
07. <strong>2004</strong>.03.05 <strong>2004</strong>.05.14 -2x35 216<br />
08. <strong>2004</strong>.03.05 <strong>2004</strong>.06.18 -3x35 -208<br />
09. <strong>2004</strong>.03.05 <strong>2004</strong>.08.27 -5x35 -250<br />
10. <strong>2004</strong>.03.05 <strong>2004</strong>.12.10 -8x35 -96<br />
11. <strong>2004</strong>.06.18 <strong>2004</strong>.07.23 -1x35 249<br />
12. <strong>2004</strong>.06.18 <strong>2004</strong>.08.27 -2x35 -42<br />
13. <strong>2004</strong>.06.18 <strong>2004</strong>.12.10 -5x35 112<br />
14. <strong>2004</strong>.07.23 <strong>2004</strong>.08.27 -1x35 -207<br />
15. <strong>2004</strong>.08.27 <strong>2004</strong>.12.10 -3x35 154<br />
eine besondere Bedeutung.<br />
Das Staudammprojekt ist<br />
eines der größten Bauvorhaben,<br />
das es jemals in<br />
China, ja möglicherweise<br />
sogar in der ganzen Welt<br />
gegeben hat. Gemeinsam<br />
mit chinesischen Partnern<br />
wird deshalb ein Konzept<br />
zur Gefahrenüberwachung<br />
und Vorhersage erarbeitet<br />
und installiert, da es sehr<br />
häufig zu Hangrutschungen<br />
in den Uferbereichen kommt<br />
(Abb. 7), die die Sicherheit<br />
der dort lebenden Bevölkerung<br />
stark gefährden<br />
(Abb. 8).<br />
Ein Frühwarnsystem für<br />
Massenbewegungen ist bis-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 6: Mit Nivellement gemessene Absenkungsbeträge von Tianjin im Zeitraum<br />
von 1998 bis <strong>2004</strong>. Das D-INSAR-Gebiet liegt in der unteren Hälfte des<br />
Bildes (Abb.: Land Subsidence Control Office of Tianjin, China).<br />
Surface subsidences of Tianjin measured by nivellement from 1998 and <strong>2004</strong>.<br />
The D-INSAR test site is located in the lower part of the image.<br />
lang nur schwer realisierbar. Dies liegt im Wesentlichen<br />
daran, dass Massenbewegungen in sehr unterschiedlichen<br />
Prozesstypen auftreten (Fallen, Kippen, Gleiten, Driften,<br />
Fließen und in Kombination) und grundsätzlich zwischen<br />
dem erstmaligen Auftreten und der Reaktivierung einer<br />
ehemals bewegten Masse unterschieden werden muss.<br />
Weiterhin muss geklärt werden, ob sich die Konzeption<br />
einer Frühwarnung auf eine einzelne rezent aktive oder<br />
inaktive Rutschmasse bezieht, oder im prognostischen<br />
Sinne für darüber hinaus gehende Raumskalen angedacht<br />
werden kann. Die Grundlage für beide<br />
Ansätze bildet die Registrierung erfolgter<br />
Ereignisse sowie darauf aufbauend die<br />
Gefahrenidentifikation und -analyse. Im<br />
Rahmen dieses Projektes wird versucht,<br />
ein Überwachungssystem mit Hilfe der<br />
D-INSAR-Technik, basierend of Corner-<br />
Reflektoren im Gebiet des Drei-Schluchten-Damms<br />
auf- und auszubauen. Abb. 9<br />
zeigt das Testgebiet, die Xintan Hangrutschung<br />
und einen darauf installierten<br />
Corner-Reflektor.<br />
Die Hangrutschung Xintan liegt im<br />
Bereich Zigui, 24 km entfernt vom<br />
Damm, auf der Nordseite des Yangtze. Sie<br />
hat eine Ausdehnung von 900 m in West-<br />
Ostrichtung und 1.900 m in Nord-Südrichtung.<br />
Der Erdrutsch ereignete sich im<br />
Jahr 1985 und hat sich nun, nach 20 Jahren,<br />
weitgehend stabilisiert. Mit Hilfe von<br />
GPS-Messungen wird der Hang alle drei<br />
Monate überprüft, obwohl diese Methode<br />
aufgrund der ungenaueren vertikalen<br />
Komponente (> 1 cm) sowie aufwändiger<br />
und zeitintensiver Feldarbeit für diese<br />
Anwendung nicht sehr gut geeignet ist.<br />
Ansätze mithilfe der differentiellen<br />
SAR-Interferometrie hingegen sind hier<br />
weit vielversprechender. Die Verwendung<br />
künstlicher Corner-Reflektoren kompensiert<br />
das Vegetationsproblem und stabilisiert<br />
die Phaseninformation im SAR-<br />
Bild, womit sich die Ergebnisse der<br />
INSAR-Auswertung verbessern. Durch<br />
die differentielle INSAR-Messung von<br />
vier in Xintan positionierten Corner-<br />
Reflektoren wird versucht, eine allwettertaugliche,<br />
vollständig automatische<br />
und kostengünstige D-INSAR-Monitormethode<br />
für Hangrutschungen aufzubauen.<br />
Im Jahr 2000, nachdem die Reflektoren<br />
installiert wurden, hat der ERS-2-<br />
Satellit nur sehr wenige verwertbare<br />
Daten geliefert. Seit dem August 2003 hat<br />
der Satellit ENVISAT mehr als 15 Radarbildszenen<br />
für dieses Gebiet aufgezeichnet,<br />
so dass dieses Corner-Reflektor-<br />
Experiment erfolgreich durchgeführt<br />
werden konnte. In Abb. 9 sind die vier<br />
Reflektoren, markiert mit R 1, R 2, R 3 und<br />
R 4, deutlich zu sehen. R 4 liegt auf dem stabilen anstehenden<br />
Gestein im Bereich des Erdrutsches und bildet so<br />
den Bezugspunkt. Abb. 10a, b und c zeigen die Lageänderungen<br />
der anderen drei Reflektoren in der Zeit von<br />
August 2003 bis Februar <strong>2005</strong>. Die durchschnittliche<br />
Geschwindigkeit der Versetzung betrug 1,7 mm/Jahr bei<br />
R 1, 1,9 mm/Jahr bei R 2 und 1,1 mm/Jahr bei R 3 und stimmt<br />
mit dem GPS-Ergebnis überein. Daraus lässt sich ableiten,<br />
dass der Xintan-Hangrutsch noch aktiv, aber relativ<br />
stabil ist.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
25
26<br />
Abb. 7: Entlang des Yangtze-Flusses im Gebiet des Drei Schluchten-Staudamms verteilen sich über 1.000 Hangrutsche<br />
(rote Punkte) unterschiedlichen Ausmaßes, die die Sicherheit der Einwohner beider Ufer und die des Dammes gefährden<br />
(Foto: Aero Geophysical Survey and Remote Sensing Center, China).<br />
More than 1000 landslides of different size are distributed along the Yangtze River in the area of the Three Gorges dam<br />
that threatens the safety of the dam and the people living on the river banks.<br />
Abb. 8: Hangrutsch am Qingganhe, einem Nebenfluss des Yangtze, der den<br />
Fluss blockiert. Dabei starben viele Menschen in ihren zerstörten Häusern<br />
(Foto: Xia Ye, <strong>GFZ</strong> Potsdam).<br />
Landslide at the Qingganhe River, a tributary of the Yangtze River that<br />
blocks the river flow. Many people died in their destroyed houses.<br />
Ausblick<br />
Die Technik der differentiellen SAR-Interferometrie<br />
wurde erfolgreich zum Katastrophenmonitoring<br />
im Absenkungsgebiet<br />
um die Stadt Tianjin und bei Hangrutschungen<br />
im Gebiet des Drei Schluchten-Staudammes<br />
eingesetzt. Tatsächlich<br />
konnten jedoch nicht alle betroffenen<br />
Bereiche in der Tianjin-Region mittels<br />
D-INSAR vermessen werden. Im nächsten<br />
Stadium ist vorgesehen, mehrere Corner-<br />
Reflektoren zum Ausbau der Überwachung<br />
in diesem Gebiet zu stationieren.<br />
Basierend auf den INSAR-Ergebnissen<br />
und Feldmessungen der Grundwasserstände<br />
soll ein mathematisches Modell<br />
für Absenkungsprozesse und -prognosen<br />
Abb. 9: ENVISAT-Radarbild der Xintan-Hangrutschung und ein darauf installierter Corner-Reflektor (Fotos: Xia Ye,<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam)<br />
ENVISAT radar image of the Xintan landslide and one of the installed corner reflectors<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 10a bis c: Durchschnittliche Bewegungsgeschwindigkeit<br />
von Reflektoren R 1, R 2 und R 3.<br />
Mean velocity of corner reflectors R 1, R 2 and R 3.<br />
entwickelt werden. Im Hangrutschungsgebiet der Drei<br />
Schluchten wurden zwei momentan noch instabile Rutschungen<br />
als weitere Testgebiete ausgewählt. Mit deren<br />
Hilfe wird versucht zu zeigen, dass die D-INSAR-Technik<br />
in Kombination mit künstlichen Corner-Reflektoren<br />
eine effektive, ökonomische und automatische Überwachung<br />
der Hangrutschungsgefährdung ermöglicht. Im<br />
Juni 2006 wird mit TerraSAR-X der erste deutsche<br />
INSAR-Satellit starten und weitere Radardaten zur Verfügung<br />
stellen, so dass der Beobachtungsraum auf die<br />
Yangtze Delta-Region und andere Inlandsbereiche erweitert<br />
werden kann.<br />
Literatur<br />
Ferretti, A., Prati, C., and Rocca, F., 2001, Permanent scatteres InSAR interferometry.<br />
IEEE, 39, 8-20.<br />
Reigber, Ch., Xia, Y., Kaufmann, H., Massmann, F.-H., Timmen, L., Bodechtel, J.,<br />
und Frei, M., 1996, Impact of precise orbits on SAR interferometry. Proc. ESA-<br />
Fringe Workshop on Applications of ERS SAR Interferometry, ESA SP-406, Zürich,<br />
Switzerland, el-pub: http://www.geo.unizh.ch/rsl/fringe96/papers/reigber-et-al/<br />
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Xia, Y., Kaufmann, H., and Guo, X.F., 2002, Differential SAR interferometry using<br />
corner reflectors. Proc. IGARSS, Toronto, 24-28 June, 1243-1246.<br />
Xia, Y., Michel, G.W., Reigber, Ch., Klotz, J., and Kaufmann, H., 2003, Seismic<br />
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GPS. International Journal of Remote Sensing, 24/22, 4375-4391.<br />
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and Remote Sensing, 70/10, 1167-1172.<br />
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interferometry. Acta Seismologica Sinica, ID: 1000-9116(<strong>2005</strong>04-0451-09, 18/4,<br />
451-459.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
27
28<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Prozesse, die die Anden formten –<br />
12 Jahre SFB 267<br />
Onno Oncken und SFB 267-Arbeitsgruppe<br />
Uplift of the Central Andean Cordillera commenced in early Tertiary times and accelerated since the Early Miocene.<br />
Plateau formation and the contribution of different processes (crustal shortening, magmatic addition, mantle delamination<br />
and hydration) are a matter of debate. Deep geophysical data across the Central Andes between 20°S and 24°S<br />
(ANCORP'96 and associated geophysical studies) indicate the widespread presence of partial melts or metamorphic<br />
fluids at mid-crustal level under the plateau between the Cordilleras bounding the latter. From structural balancing<br />
studies, these fluids or melts are associated with decoupling of upper crustal shortening and lower crustal thickening,<br />
hinting at the key role of thermal processes. Isotopic age-dating on syn-tectonic sediments of the Cenozoic intramontane<br />
basin system building the Altiplano as well as seismic-sequence analysis demonstrate that the Southern Altiplano<br />
crust was deformed with a complex partitioning of deformation between various subunits that were partly synchronized.<br />
The general acceleration of shortening rate shows only shows a weak link to plate convergence rates in the early<br />
stages until the Middle Miocene. In contrast, our results show that the differential velocity between upper plate velocity<br />
and oceanic plate slab rollback velocity is crucial in determining amount and rate of shortening as well as their<br />
lateral variability at the leading edge of the upper plate. This first order control is tuned by factors affecting the strength<br />
balance between the upper plate lithosphere and the plate interface of the Nazca and South American plates. These<br />
factors particularly include a stage of reduced slab dip accelerating shortening (33 and 20 Ma) and an earlier phase<br />
of higher trenchward sediment flux reducing plate interface coupling with slowed shortening and enhanced slab rollback<br />
(45 and 33 Ma). The combination of these parameters (in particular differential trench-upper plate velocity evolution,<br />
high plate interface coupling from low trench infill, and the lateral distribution of weak zones in the upper plate<br />
leading edge) was highly uncommon during the Phanerozoic leading to very few plateau style orogens at convergent<br />
margins like the Cenozoic Central Andes in South America or the Laramide North American Cordillera.<br />
Einleitung<br />
Konvergente Plattenränder und Subduktionszonen zählen<br />
zu den Phänomenen erster Ordnung, die die Erde gestalten.<br />
An konvergenten Kontinenträndern ist eine Vielzahl<br />
von Prozessen vereint, die die interne Architektur, den<br />
thermischen und den stofflichen Charakter kontinentaler<br />
Lithosphäre prägen. Hinzu kommt, daß die enge Beziehung<br />
dieser Ränder zu aktiver Deformation und Heraushebung,<br />
Magmatismus und assoziiertem Krustenwachstum,<br />
der Bildung bedeutender mineralischer Lagerstätten,<br />
sowie die Konzentration von mehr als 90 % der globalen<br />
seismischen Energieabstrahlung diese Plattenränder zu<br />
einem herausragenden natürlichen Labor machen, an dem<br />
geologische Massen- und Energieflussraten wie an keinem<br />
anderen Objekt untersucht werden können.<br />
Seit der Integration der Konzepte zur Orogenese in den<br />
plattentektonischen Rahmen gelten die Anden als Typvertreter<br />
für subduktionsbezogene Plattengrenzen im<br />
Gegensatz zum Himalaya als Typvertreter kollisionaler<br />
Plattenränder. Obwohl die grundsätzlichen Unterschiede<br />
zwischen diesen beiden Plattenrandtypen und ihre charakteristischen<br />
Eigenschaften gut bekannt sind, sind die<br />
zugrunde liegenden Steuerprozesse und Mechanismen ein<br />
zentraler Gegenstand der internationalen Diskussion seit<br />
den 70er-Jahren. Seit Ende der 80er-Jahre hat diese Diskussion<br />
an Gewicht zugenommen, parallel zu einer ebenfalls<br />
starken Zunahme von internationalen multidisziplinären<br />
Forschungsprogrammen in beiden Orogenen. Einer<br />
der Höhepunkte dieser Entwicklung ist der Anfang der<br />
90er-Jahre gegründete und <strong>2004</strong> beendete SFB 267<br />
„Deformationsprozesse in den Anden“, der von der Freien<br />
Universität Berlin (Sprecheruniversität), der Technischen<br />
Universität Berlin, der Universität Potsdam und dem Geo-<br />
ForschungsZentrum Potsdam getragen wurde.<br />
Zur Entwicklung der Vorstellungen von Subduktionsprozessen<br />
sind die Anden ein ganz besonders geeignetes<br />
System. Die Anden sind das größte aktive Subduktionsorogen<br />
der Erde mit dem – nach Tibet – zweitgrössten<br />
Hochplateau auf der Erde. Kein anderes Subduktionsorogen<br />
unseres Planeten zeigt eine derart systematische<br />
Änderung sowohl von verschiedenen plattenkinematischen<br />
Randbedingungen als auch von klimatischen<br />
Bedingungen entlang seines Verlaufs. Kein anderes fokussiert<br />
in diesem Umfang natürliche Ressourcen und Naturgefahren<br />
(z. B. 30 % der weltweiten Seismizität). Der andine<br />
Plattenrand stellt damit ein globales natürliches Labor<br />
dar, in dem eine Analyse der Wechselwirkung zwischen<br />
Parametern und Prozessen bei der Subduktion und der<br />
damit zusammenhängenden Oberflächenprozesse untersucht<br />
werden kann. Die Erforschung dieser Prozesse mit<br />
einem integrierten Bündel aus geophysikalischen, geodätischen,<br />
geologischen und petrologischen Verfahren war<br />
das Kernziel des SFB 267. Zwei kontrastierende Zielregionen,<br />
die ariden zentralen Anden und die extrem humiden<br />
Südanden, waren wegen ihrer gänzlich andersartigen<br />
Architektur und Entwicklung ein ideales Objekt zum Testen<br />
der Modelle und Vorstellungen, die für die konver-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
29
30<br />
Abb. 1: Die Karte von Südamerika zeigt die beiden Hauptarbeitsgebiete des<br />
SFB 267 und wichtige assoziierte Projekte (s. Text). Zusätzlich sind angegeben<br />
die Verteilung des Ozeanbodenalters und der Benioff-Seismizität<br />
(weiße Punkte: Erdbeben flacher als 100 km; blaue Punkte: Erdbeben zwischen<br />
100 und 400 km; violette Punkte: Erdbeben > 400 km).<br />
Map showing both principal research areas of the Collaborative reasearch<br />
centre 267 in Northern and Southern Chile depicting also important associated<br />
projects. The topographic map also shows the distribution of ages of<br />
the ocean floor and the seismicity pattern of the Wadati-Benioff zone (white<br />
dots: earthquakes shallower than 100 km; blue dots: earthquakes between<br />
100 and 400 km; violet dots: earthquakes deeper than 400 km).<br />
genten Plattenränder im allgemeinen und die Anden im<br />
besonderen entwickelt wurden (vgl. Abb. 1).<br />
Bereits kurz nach seiner Gründung hat der SFB 267 massiv<br />
von seiner Einbindung in eine große Zahl anderer<br />
nationaler und internationaler Programme mit verwandtem<br />
Thema profitiert. 1995 startete das BMBF-finanzierte<br />
Projekt CINCA (Crustal Investigations off- and onshore<br />
Nazca/Central Andes, koordiniert durch die BGR)<br />
mit einer marinen Erforschung des nordchilenischen Plattenrandes<br />
mit dem Forschungsschiff „Sonne“ vor dem<br />
Hauptarbeitsgebiet des SFB. 1996 folgte in Zusammenarbeit<br />
mit dem Deutschen Kontinentalen Reflexionsseismischen<br />
Programm (DEKORP, koordiniert durch <strong>GFZ</strong><br />
Potsdam) das gemeinsame Projekt ANCORP (Andean<br />
Continental Research Program), das die erste tiefe refle-<br />
xionsseismische Vermessung der zentralen<br />
Anden lieferte – inzwischen eines der<br />
‚global transects‘ von IGCP (International<br />
Geoscience Correlation Programme).<br />
Im Jahr 2000 fand unter denselben<br />
Bedingungen SPOC (Subduction processes<br />
off Chile), statt. Dieses war ein integriertes<br />
marines Experiment mit dem<br />
Forschungsschiff „Sonne“, koordiniert<br />
von der BGR) vor dem patagonischen<br />
Arbeitsgebiet des SFB. sowie ein landgestütztes<br />
seismisches Experiment im südlichen<br />
SFB-Arbeitsgebiet. Alle diese Vorhaben<br />
wurden vom BMBF getragen sowie<br />
teils vom <strong>GFZ</strong> kofinanziert. Schließlich<br />
findet seit <strong>2004</strong> im Rahmen des neu<br />
gestarteten Programms „Kontinentränder“<br />
(„Geotechnologien“-Programm) das<br />
Projekt TIPTEQ (The Incoming Plate to<br />
megaThrust Earthquakes) mit einer<br />
Reihe hochauflösender geophysikalischer<br />
und anderer Projekte vor dem südchilenischen<br />
Kontinentrand statt (s. u.).<br />
Ein weiteres Schlüsselelement war die<br />
Entwicklung eines engen Netzwerkes mit<br />
Wissenschaftlern und Institutionen der<br />
Gastländer, in diesem Fall Argentinien,<br />
Bolivien und Chile. Durch die Vorgeschichte<br />
des SFB und auch noch während<br />
seiner Laufzeit konnte in diesen Ländern<br />
ein enger Verbund mit Wissenschaftlern<br />
an 12 Universitäten, 8 staatlichen Einrichtungen<br />
(nationale Dienste, Förderagenturen,<br />
etc.) sowie 8 nationalen und<br />
internationalen Firmen (Erdölindustrie<br />
und Kupferindustrie) entwickelt werden.<br />
Die logistische und politische Unterstützung<br />
durch diese Partner, die Bereitstellung<br />
von Daten und der intensive personelle<br />
Austausch waren von unschätzbarem<br />
Wert, ohne die zahlreiche Vorhaben<br />
nicht möglich gewesen wären. Insgesamt<br />
haben im Rahmen des SFB in rund<br />
Abb. 2: Blick vom Salar de Atacama (Längstal) auf die<br />
W-Flanke des Altiplanos mit dem Vulkan Licancabu (Foto:<br />
O. Oncken, <strong>GFZ</strong>)<br />
View from the Salar de Atacama (Longitudinal Valley) on the<br />
western flank of the Altiplano with the volcano Licancabu<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
80 Dissertationsprojekten über 15 junge südamerikanische<br />
Wissenschaftler ihre Promotion in Berlin und Potsdam<br />
abgeschlossen, finanziert durch den SFB und eine<br />
Reihe weiterer Förderagenturen,. Darüber hinaus wurden<br />
ca. 30 Diplomarbeiten mit Unterstützung des SFB und<br />
betreut durch Mitglieder des SFB an chilenischen und<br />
argentinischen Partneruniversitäten durchgeführt.<br />
Die Anden<br />
Die Anden sind mit 7500 km Länge das längste aktive Plattenrandgebirge<br />
der Welt und zugleich der „Typ-Vertreter“<br />
dieser Klasse von Orogenen. Trotz ihrer gemeinsamen<br />
Entwicklungsgeschichte zeichnen sich die verschiedenen<br />
Segmente der andinen Gebirgskette durch extreme Gegensätze<br />
in Bezug auf ihre Breite, Höhe und Klimabedingungen<br />
aus. Dies wird besonders bei einer Gegenüberstellung<br />
der ausladenden Zentralen Anden und der sehr<br />
schmalen Patagonischen Anden deutlich. Die Höhe und<br />
Breite des Orogens ist im zentralen Bereich mit rund 4 bis<br />
6 km bzw. 800 km wesentlich größer als im Süden und<br />
Norden mit etwa 2 bis 4 km bzw. 200 bis 300 km. Trotz<br />
einer inzwischen guten Kenntnis der geologischen und<br />
geophysikalischen Rahmenbedingungen ist bislang unklar,<br />
weshalb solche fundamentalen Unterschiede existieren<br />
und welche Prozeßkombinationen dabei eine entscheidende<br />
Rolle spielen.<br />
Obwohl die Subduktion mindestens seit dem Jura andauert,<br />
und obwohl die Nazca-Platte seit längerem mit hohen<br />
Geschwindigkeiten (gegenwärtig mit ca. 6,6 cm/Jahr,<br />
Auermann et al. 1990) unter Südamerika subduziert wird,<br />
ist die Andenkordillere in ihrer heutigen Form erst im<br />
Känozoikum entstanden (Mpodozis & Ramos 1990,<br />
Dewey & Lamb 1992, Lamb et al. 1997) (s. Abb. 2). In den<br />
Zentralen Anden hat sich seit dem Eozän östlich des Vulkanbogens<br />
unter starker Krustenverkürzung ein breites,<br />
im Mittel 3,8 bis 4,5 km hohes Hochplateau (Altiplano-<br />
Puna) herausgehoben, das nach dem Tibetplateau das<br />
zweitgrößte Hochplateau der Erde ist (Allmendinger et al.<br />
1997, Lamb et al. 1997). Die Krustendicke nahm dabei<br />
vom normalen Ausgangszustand (35 bis 40 km) auf über<br />
70 km Dicke zu (s. Abb. 3). Gesteuert wurde diese Entwicklung<br />
durch eine Verkürzung und Stapelung der kontinentalen<br />
Erdkruste hinter dem Vulkanbogen (= Westkordillere)<br />
um mehr als 250 km, ein Bereich, der in anderen<br />
Subduktionsorogenen nicht von stärkerer Deformation<br />
betroffen ist. Dagegen fehlt, anders als an den meisten<br />
anderen Rändern, eine nennenswerte Deformation<br />
zwischen Vulkanbogen und Tiefseegraben, d. h. dem<br />
Bereich, der wegen der unmittelbaren Nähe zur Subduktionszone<br />
und der seismisch aktiven Zone normalerweise<br />
die meiste Deformation aufnimmt. Hier ist nur geringfügige<br />
Krustendehnung und -absenkung zu beobachten<br />
(Reutter et al. 1994). Diese insgesamt ungewöhnliche Verbindung<br />
von Umständen ist bislang nicht verstanden.<br />
Im Süden, in den Patagonischen Anden, fehlt ein solches<br />
Plateau. Damit geht eine Abnahme der Krustendicke von<br />
70 km unter den Zentralen Anden auf ca. 40 km unter den<br />
Südanden einher, die selbst nur noch eine mittlere Höhe<br />
von 1 bis 2 km erreichen. In den Zentralanden hat sich der<br />
magmatische Bogen (Gipfelhöhe um 6 km) seit dem unteren<br />
Jura um ca. 200 km nach Osten verlagert. Er befindet<br />
sich heute auf dem Westrand des Hochplateaus. Im Gegensatz<br />
hierzu ist der magmatische Bogen im Süden (Gipfelhöhe<br />
um 3 km) weitgehend ortsfest geblieben und befindet<br />
sich in der heutigen Hauptkordillere (Abb. 4). Die<br />
Deformation der Erdkruste konzentriert sich hier, anders<br />
als im Norden, heute eher auf den Bereich vor dem Bogen.<br />
Insgesamt erfolgte aber auch hier, wie in den zentralen<br />
Anden, die Entwicklung zu einem Gebirge erst seit dem<br />
mittleren Tertiär. Die Andersartigkeit im Aufbau der<br />
Anden in den verschiedenen geographischen Breiten, die<br />
unterschiedliche Reaktion der kontinentalen Erdkruste<br />
auf die laufende Subduktion ozeanischer Kruste und die<br />
verschiedenen, damit zusammenhängenden Phänomene<br />
enthalten die entscheidenden Hinweise auf die zugrundeliegenden<br />
Steuerfaktoren.<br />
Highlights und Resultate<br />
In den zwölf Jahren des SFB 267 wurde eine integrierte<br />
Gruppe geophysikalischer und geodätischer Experimente<br />
mit einer weltweit einmaligen Datendichte in den zentralen<br />
Anden durchgeführt. Diese Projekte liefern gegenwärtig<br />
zahlreiche neue Randbedingungen zu den Aspekten<br />
der Akkumulation und Verteilung der Deformation,<br />
sowie zu den fluid-abhängigen Prozessen an einem konvergenten<br />
Plattenrand. Insgesamt bieten diese Daten das<br />
gegenwärtig tiefste und schärfste Abbild einer Subduktionszone.<br />
Geophysikalische Bilder vom Subduktionsprozess<br />
Seit der klassischen Arbeit von Isacks et al. (1968) gilt die<br />
von Wadati und Benioff entdeckte tiefenabhängige Erdbebenverteilung<br />
an den Grenzen der zirkumpazifischen<br />
Kontinente als Ausdruck aktiver Plattentektonik und laufender<br />
Subduktion ozeanischer Kruste unter kontinentale,<br />
z. T. auch unter ozeanische Lithosphäre. Traditionell<br />
wird die sogenannte Wadati-Benioff-Zone dabei als die<br />
eigentliche Plattengrenzfläche betrachtet, an der ein Teil<br />
der kinetischen Energie der Platten in seismische Deformation<br />
umgesetzt wird. Die Seismizität im höheren Teil<br />
der Subduktionszone (oberhalb ca. 50 km Tiefe), der sogenannten<br />
seismogenen Zone, ist ein Effekt der Reibung und<br />
des Zerbrechens von Gesteinen im kalten, spröden Bereich<br />
der Plattengrenze (Tichelaar & Ruff 1991). Die tieferen<br />
Beben, bis zu den tiefsten in ca. 650 km Tiefe, sind wegen<br />
der hohen Temperaturen (T > 400 °C) nicht durch mechanische<br />
Bruchbildung erklärbar. Da ihre Lokalisierung in<br />
bezug auf die Subduktionszone nicht präzise genug<br />
bekannt ist, liegen auch noch keine eindeutigen bzw. eher<br />
konkurrierende Modellvorstellungen vor (Kirby et al.<br />
1996).<br />
Außer zahlreichen seeseitigen Messungen gibt es bislang<br />
kaum Versuche, einen aktiven Kontinentalrand mit reflexionsseismischen<br />
Verfahren, dem geophysikalischen Verfahren<br />
mit dem höchsten Auflösungspotential zur Abbildung<br />
von Aufbau und Strukturen von Erdkruste und Erd-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
31
32<br />
mantel, bis in größere Tiefen abzubilden. Die vorliegenden<br />
Experimente (z. B. Banda-Bogen, Alaska, Alëuten,<br />
Kanadische Kordillere) waren alle nur in der Lage, die<br />
oberen 30 bis 45 km abzubilden. Ein tieferes , vollständiges<br />
und hoch aufgelöstes Abbild einer Subduktionszone,<br />
das die Frage nach der Lokalisierung der Erdbebenaktivität<br />
und der damit möglicherweise im Zusammenhang<br />
stehenden Prozesse beantworten kann, wurde erst durch<br />
die ANCORP Working Group (2003) vorgelegt.<br />
Ein Bündel seismischer Experimente auf Seeseite und auf<br />
Land sollte als gemeinsames Vorhaben mehrerer deutscher<br />
geowissenschaftlicher Einrichtungen und Universitäten<br />
diese Fragen klären (CINCA’95 und ANCORP’96; getragen<br />
von FU Berlin, TU Berlin, Uni Potsdam, <strong>GFZ</strong> Potsdam,<br />
Bundesanstalt für Geowissenschaften, GEOMAR<br />
Kiel; vgl. Abb. 1). Ziel der Experimente war es, eine Abbildung<br />
der Subduktionserosion und der Subduktionszone bis<br />
in möglichst große Tiefen zu erzielen, die Lokalisierung<br />
der Seismizität an der Subduktionszone zu untersuchen<br />
sowie Bildungsort und Aufstiegswege von Schmelzen und<br />
Fluiden aus der Subduktionszone zu identifizieren.<br />
Die aktive seismische Vermessung erfolgte durch regelmäßig<br />
angeordnete Sprengstoffschüsse an Land bzw.<br />
durch Luftpulser auf See. Da das Ziel weniger eine Detailauflösung<br />
in der oberen Kruste, als vielmehr eine möglichst<br />
große Tiefenreichweite war, wurden an Land Bohrlochschüsse<br />
mit 90 kg Sprengladung in gut 6 km Abstand<br />
als Quelle gewählt. Eine Auslage mit Meßapparaturen,<br />
verteilt entlang einer 25 km langen Linie, registrierte die<br />
aus dem Untergrund unter der Auslage reflektierten Signale<br />
dieser Schüsse (Steilwinkelseismik oder Reflexionsseismik).<br />
Für die begleitenden Weitwinkelmessungen<br />
wurden die Sprengungen an neun Schußpunkten etwa im<br />
mittleren Abstand von 50 km mehrfach wiederholt, während<br />
die 25 km lange Meßauslage von der Küste bis auf<br />
den Altiplano „wanderte“. Bereits zu einem früheren Zeitpunkt<br />
waren entlang derselben Linie auch wiederholt<br />
Schüsse auf See und Land abgetan und sowohl auf See<br />
wie auf Land über mehrere 100 km Länge registriert worden.<br />
Auf diese Weise konnten die Messungen bis weit über<br />
den Tiefseegraben nach Westen fortgesetzt werden. Das<br />
Ergebnis war eine insgesamt fast 800 km lange Linie über<br />
einen vollständigen aktiven Plattenrand. Im Anschluß<br />
Abb. 3: a) Zusammengesetzte Sektion aus den Weitwinkeldaten des CINCA-Experiments und den Steilwinkeldaten des<br />
ANCORP-Experiments mit einem der ersten hochauflösenden Schnitte durch ein Subduktionsorogen. Auffällig sind der<br />
Reflektor, der die abtauchende Nazca-Platte bis in ca. 80 km Tiefe zeigt, und die Gruppe von Reflexionsbündeln, die<br />
in der mittleren Kruste des Plateaus (ca. 20 bis 35 km Tiefe) angeordnet sind (aus: ANCORP Research Group, 2003).<br />
b) Das interpretative Blockbild zeigt die herausragende Rolle von Fluiden und Schmelzen im Bereich des andinen<br />
Plateaus.<br />
a) Composite section showing wide angle-results of the marine CINCA experiment and the reflection line ANCORP’96<br />
from the coast to the eastern rim of the plateau, both is forming one of the first high-resolution images of a convergent<br />
margin system. Note deep image of the subducting Nazca plate and the alignment of reflection patches in the middle<br />
crust beneath the plateau itself. b) Interpretive 3D view of Plateau and crustal architecture depicting the key role of<br />
fluids and melts for the geophysical image.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
wurde mit den gleichen Apparaturen, nun netzförmig über<br />
eine Fläche von 300 x 300 km verteilt, die passive Registrierung<br />
der lokalen Erdbebenaktivität in einem großen<br />
Netz um die seismische Linie herum vorgenommen.<br />
Abb. 3 zeigt die ersten Ergebnisse in besonderer Deutlichkeit.<br />
Es handelt es sich um eine Bearbeitung der reflexionsseismischen<br />
Daten, die einen geometrisch korrekten<br />
Tiefenschnitt vom Tiefseegraben über den chilenischen<br />
Kontinentalrand bis an den Ostrand des Plateaus in Bolivien<br />
wiedergibt. Zusätzlich sind hier auch die lokalisierten<br />
Erdbeben dargestellt. Hier wird zum ersten Mal deutlich,<br />
daß die Wadati-Benioff-Zone (d. h. die Zone der subduktionsbedingten<br />
Erdbeben) im Abschnitt mitteltiefer<br />
Beben (80 bis 200 km) nicht – wie bisher angenommen –<br />
den Verlauf der eigentlichen Plattengrenze wiedergibt. Im<br />
obersten Teil bis 50 km Tiefe, der Zone seismischer Kopplung<br />
zwischen ozeanischer und kontinentaler Platte, ist die<br />
seismische Deformation – d. h. reibungskontrollierte Erdbeben<br />
– auf eine breite Zone um die eigentliche Plattengrenze<br />
verteilt. Nach einem Bereich eher schwacher Seismizität<br />
erscheint eine starke Häufung bei etwa 100 bis<br />
130 km Tiefe. Diese ist versetzt unterhalb der eigentlichen<br />
Plattengrenzfläche in Kruste und Mantel-Lithosphäre der<br />
ozeanischen Platte. Dieser Versatz wird durch die reflexionsseismischen<br />
Daten verdeutlicht: Das Abtauchen der<br />
ozeanischen Kruste zwischen 40 und 80 km Tiefe wird<br />
hier zum ersten Mal klar durch seismische Reflexionen<br />
abgebildet, die im Bereich der Untergrenze der seismischen<br />
Kopplung bei ca. 40 km einsetzen und sich mit<br />
zunehmender Stärke bis in über 80 km Tiefe verfolgen lassen.<br />
Die Reflektoren brechen in etwa 130 km Entfernung<br />
von der Küste in etwas mehr als 80 km Tiefe plötzlich ab.<br />
In der kritischen Tiefe von 80 bis 100 km bei Temperaturen<br />
um 400 bis 500 °C (hier extrapoliert durch Modellierung<br />
aus Temperaturmessungen in Bohrlöchern<br />
an der Oberfläche) im Bereich der<br />
Subduktionszone werden gegenwärtig<br />
eine Reihe von mineralogischen Prozessen<br />
diskutiert, die die Beobachtungen<br />
erklären könnten (Peacock 1993, Kirby et<br />
al. 1996). Insbesondere die Umwandlung<br />
der basaltischen Gesteine (überwiegend<br />
aus Feldspat und Hornblende bestehend)<br />
der ca. 7 km dicken ozeanischen Kruste<br />
zu Eklogit (überwiegend bestehend aus<br />
Granat und Pyroxen) verändert nicht nur<br />
die spezifische Dichte der Kruste (von ca.<br />
2,9 g/cm 3 zu 3,3 g/cm 3 ). Diese Umwandlung<br />
setzt auch das in den Ausgangsmineralen<br />
gebundene Kristallwasser frei,<br />
das – dem hydraulischen Gradienten folgend<br />
– nach oben entweicht. Es ist unklar,<br />
wie dies im einzelnen geschieht. Theoretische<br />
Betrachtungen machen wahrscheinlich,<br />
daß ein großer Teil dieser Fluide<br />
unmittelbar über der ozeanischen<br />
Kruste der abtauchenden Platte im Erdmantel<br />
der darüberliegenden kontinentalen<br />
Platte Südamerikas wieder mineralo-<br />
Abb.4:Blick vom Längstal auf die südchilenische Hauptkordillere<br />
mit dem Vulkan Llaima (Foto: H. Echtler,<br />
<strong>GFZ</strong>).<br />
View from the Longitudinal Valley on the Southern Chilean<br />
maincordillera with the Llaima volcano<br />
gisch fixiert wird (Serpentinit-Bildung aus dem Olivin des<br />
Mantels). Dies würde wegen der damit verbundenen Volumenzunahme<br />
die Wegsamkeit nach oben reduzieren, mit<br />
dem Effekt der Ansammlung von Fluiden, die nicht weiter<br />
entweichen können (ANCORP Working Group 2003).<br />
Dieser Effekt wird durch das seismische Experiment sichtbar,<br />
da Fluide die petrophysikalischen Gesteinseigenschaften<br />
besonders stark beeinflussen. Sie sind sehr viel<br />
besser in der Lage, starke Reflexionen zu erzeugen als<br />
bloße Änderungen in der Gesteinszusammensetzung.<br />
Dies geschieht in erster Linie über die Reduktion der Laufzeiten<br />
seismischer Wellen, was über freie Fluide im Porenraum<br />
der Gesteine besonders effizient erfolgt. Das Verschwinden<br />
dieses starken Reflektors in einer Tiefe von<br />
über 80 km bei Temperaturen über 500 °C hängt vermutlich<br />
wiederum mit der oberen Stabilitätsgrenze von Serpentinit<br />
zusammen. Die durch seine Bildung kontrollierte<br />
Fluidfalle wird bei Temperaturen oberhalb ca. 500 bis<br />
Abb. 5: Die Analyse der Dämpfung von P-Wellen von seismischen Ereignissen<br />
aus der Wadati-Benioff-Zone zeigt einen Bereich hoher Dämpfung<br />
unter dem magmatischen Bogen und des Plateaus, der sowohl den Erdmantel<br />
als auch die Kruste erfaßt und stets Nester von Seismizität in der<br />
Unterplatte mit aktiven Vulkanen in den Anden verbindet (aus Schurr et al.,<br />
2006).<br />
Analysis of attenuation of p-waves of seismic events from the Wadati Benioff<br />
Zone indicates a high attenuation anomaly underlying the volcanic arc as<br />
well as the plateau and encompassing the mantle as well as the crust of the<br />
upper plate. The zone mostly connects clusters of Wadati Benioff seismicity<br />
at depth and active volcanoes at surface (from Schurr et al., 2006).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
33
34<br />
600 °C gewissermaßen undicht und gibt ihren Inhalt nach<br />
oben ab.<br />
Der Bereich der unter diesem abbrechenden Reflektor liegenden<br />
Seismizität hängt vermutlich ebenfalls mit fluidgesteuerten<br />
Vorgängen zusammen. In diesem Fall bildet<br />
sie indirekt die oben erwähnte mineralogische Umwandlung<br />
zu Eklogit in der ozeanischen Kruste bzw. die Entwässerung<br />
des ozeanischen Erdmantels ab. Die freigesetzten<br />
Fluide erhöhen den inneren Porendruck im Gestein<br />
bis zur hydraulischen Bruchbildung, die als seismisches<br />
Ereignis registriert wird. Ein Teil der durch diese Vorgänge<br />
freigesetzten Fluide gelangt in den heissen Mantel unter<br />
dem Vulkanbogen, wo er die Bildung von Teilschmelzen<br />
begünstigt, die ihrerseits in die Erdkruste aufsteigen und<br />
den Vulkanismus an der Erdoberfläche kontrollieren. Im<br />
Feldexperiment wurde dies vor allem durch die Dämpfung<br />
seismischer Wellen bei ihrem Durchlaufen unter dem Vulkanbogen<br />
deutlich. Die Verteilung der seismischen Apparaturen<br />
während des passiven seismischen Experimentes<br />
an der Erdoberfläche erlaubte dabei eine direkte Vermessung<br />
dieses Bereichs: Er ist geprägt von Teilschmelzbil-<br />
Abb. 6: Die obere Linie zeigt die Variation des Oberflächenwärmeflusses von der Küste bis quer über das gesamte Plateau.<br />
Der mittlere Schnitt zeigt prozessierte „Receiver Function“-Resultate (konvertierte Wellen von teleseismischen<br />
Ereignissen), um einen korrekten Tiefenschnitt zu liefern. Neben der abtauchenden Nazca-Platte (s. auch Benioff-Seismizität<br />
mit grünen Punkten) und der Basis der Kruste (Moho) unter den Anden zeigt der Schnitt insbesondere eine<br />
bedeutende, das ganze Plateau unterlagernde Anomalie, die die Reflexionsmuster von ANCORP miteinander verbindet<br />
(von Yuan et al., 2000). Der untere Schnitt zeigt die elektrische Leitfähigkeit der Kruste der Anden mit einer bedeutenden<br />
Anomalie unter dem Plateau, deren Oberkante mit den Reflexionen und der aus den Receiver-Function-Daten<br />
ermittelten Altiplano-Niedriggeschwindigkeitszone entspricht (s. Abb. 3b für die Interpretation; aus ANCORP Research<br />
Group, 2003).<br />
The upper line shows variation of surface heat flow data across the Andes. Central section depicts receiver function<br />
results across the Andes as calculated from teleseismic events. Apart from the geometry of the subducting Nazca plate<br />
(see also Wadati Benioff seismicity, green dots) and the Moho of the South American plate the section exhibits an important<br />
anomaly in the middle crust linking the ANCORP reflection patches (Altiplano low velocity zone; from Yuan et al.,<br />
2000). Lower section depicts the electrical conductivity of the plateau which shows a first order anomaly, the top of<br />
which correlates with the reflection patches and the ALVZ of the receiver functions (see Fig. 2b for interpretation; from<br />
ANCORP Research Group, 2003).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
dung, die sich von der seismisch besonders aktiven Zone<br />
der Subduktionszone bis knapp unter die aktiven Vulkane<br />
an der Oberfläche hinzieht und somit den Bildungsort wie<br />
den Pfad der Schmelzen direkt anzeigt (s. Abb. 5).<br />
Ein weiteres prägnantes Phänomen ist der starke Reflektor<br />
unmittelbar westlich der aktiven Vulkanzone in etwa<br />
20 bis 25 km Tiefe, über den oben beschriebenen Phänomenen<br />
in der Subduktionszone. An der Oberfläche korreliert<br />
dieser Reflektor mit dem Westrand des Altiplano-<br />
Hochplateaus, warmen Quellaustritten und mineralisierten<br />
Störungen sowie den größten Kupferlagerstätten der<br />
Erde. Ein Zusammenhang von Fluidanreicherungen mit<br />
der extrem reflektiven Zone ist daher auch hier sehr wahrscheinlich.<br />
Bei den für seine Tiefe modellierten<br />
Temperaturen um 500 °C ist zu<br />
erwarten, daß durch die aufsteigenden,<br />
abkühlenden Fluide in der kontinentalen<br />
Kruste insbesondere Chlorit (ein wasserhaltiges<br />
Mineral, das bei Temperaturen<br />
unterhalb ca. 500 °C stabil ist) gebildet<br />
wird. Auch in diesem Fall ist die Mineralreaktion<br />
mit einer Volumenzunahme<br />
und damit einer Reduktion der Porosität<br />
verknüpft. Der Effekt der Bildung einer<br />
impermeablen Fluidfalle ist derselbe wie<br />
für den tiefen Reflektor beschrieben. Die<br />
laterale Begrenzung ist in diesem Fall<br />
eine tiefreichende aktive Verwerfung im<br />
Westen, an der Oberfläche durch starke<br />
Abb. 7: Die Karte zeigt das Ausmaß, mit<br />
dem an der Altiplano-Niedriggeschwindigkeitszone<br />
(ALVZ) P-Wellen zu S-Wellen<br />
konvertiert wurden, aus den Receiver-<br />
Function-Resultaten sowie die räumliche<br />
Beziehung zum Auftreten von Vulkanismus<br />
(blaue Dreiecke: Andesitvulkane; schwarze<br />
Kreise: Ignimbritcalderen; aus Yuan<br />
et al., 2000). Der untere Schnitt zeigt ein<br />
Modellierungsergebnis, das darauf hinweist,<br />
daß ein konvektiver Wärmetransport<br />
in der Erdkruste mit dem Aufschmelzen<br />
der mittleren Kruste als Ursache<br />
sowohl für die Reflexionsmuster als auch<br />
als Quelle für die Ignimbritschmelzen<br />
herangezogen werden muß (aus Babeyko<br />
et al., 2002).<br />
This map shows the efficiency of conversion<br />
of P-waves into S-waves at Altiplano<br />
low velocity zone as deducted from<br />
receiver function analysis as well as their<br />
spatial relation to volcanism (blue triangles<br />
show andesite volcanoes; black circles<br />
indicate ignimbrite calderas; fom<br />
Yuan et al., 2000). Lower section shows<br />
modelling result which indicates that<br />
convective heat transfer in the crust is responsible<br />
for reflection patches as well as<br />
for the source of ignimbrite melts (from<br />
Babeyko et al., 2002).<br />
Mineralisationen gekennzeichnet, und der aktive Vulkanbogen<br />
im Osten – beides Strukturen, die die Durchlässigkeit<br />
der Kruste für die Fluide wieder herstellen.<br />
Die Daten liefern neben einer Abbildung der Komplexität<br />
der Wadati-Benioff-Zone und ihrer Steuerung durch fluidgetriebene<br />
Prozesse Hinweise darauf, daß die Gabbro-<br />
Eklogittransition zu größeren Tiefen verschoben ist. Das<br />
steht im Einklang mit theoretischen Vorhersagen zu kinetisch<br />
verzögerten Reaktionen. Die meisten geophysikalischen<br />
Phänomene im darüber liegenden Mantel und der<br />
Kruste der Oberplatte werden wahrscheinlich von durch<br />
Fluide und Schmelzen gesteuerten petrologischen Prozessen<br />
im Zusammenhang mit der Subduktion und der<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
35
36<br />
Delamination der Mantellithosphäre kontrolliert. So verweisen<br />
die geophysikalischen Ergebnisse insbesondere<br />
auf die verbreitete Anwesenheit von Schmelzen in der<br />
mittleren Kruste unter dem gesamten Altiplano-Puna-Plateau<br />
(Abb. 6, 7). Diese Beobachtung ist im Einklang mit<br />
der Analyse der mechanischen Rigidität, beruhend auf der<br />
Analyse der Schweremessungen, die ebenfalls auf eine<br />
schwache Lithosphäre verweisen. Die Lithosphäre ist<br />
zudem unter dem zentralen Plateau ausnehmend dünn und<br />
stellt damit eine mechanische Schwächezone erster Ordnung<br />
in der Oberplatte dar. Die Deformation des Altiplano<br />
und der Puna wurzelt in dieser Tiefe, wie Oberflächendaten,<br />
industrieseismische Daten und Bilanzierungsstudien<br />
zeigen – ohne Fortsetzung der Strukturen in die<br />
tiefere Kruste. Tomographische Daten in Verbindung mit<br />
geochemischen Analysen von vulkanischen Gesteinen<br />
suggerieren darüber hinaus, daß Teile der kontinentalen<br />
Mantel-Lithosphäre der Puna rezent delaminiert werden<br />
(Abb. 8).<br />
Somit kann erstmals – gestützt auf diese Beobachtungen –<br />
eine gesamte Konvergenzzone in hoher Auflösung beobachten<br />
werden: die laterale Komplexität in der Fluidfrei-<br />
setzung aus der ozeanischen Platte, ihre Verbindung mit<br />
der Wadati-Benioff-Seismizität (d. h. ein Hinweis auf<br />
Dehydratationsversprödung als wichtigem Mechanismus),<br />
und der Aufstieg der Fluide und Schmelzen zu den vulkanischen<br />
Zentren an der Oberfläche. Die Daten zeigen eine<br />
insgesamt sehr viel höhere Komplexität, als aus Standardmodellvorstellungen<br />
erwartet wird. Obwohl diese Resultate<br />
erhebliche Ähnlichkeiten mit den Eigenschaften des<br />
Tibetplateaus besitzen, betonen sie darüber hinaus insbesondere<br />
die herausragende Rolle, die fluidgesteuerte Vorgänge<br />
bei der Subduktionsorogenese und der Bildung eines<br />
nicht-kollisionalen Plateaus haben. Andererseits haben<br />
demnach die Plateaubildungen in verschiedenen geodynamischen<br />
Randbedingungen zahlreiche gemeinsame Züge,<br />
so den thermischen Zustand der Kruste, den partiellen Verlust<br />
der Mantellithosphäre und eine weiträumige Aufschmelzung<br />
der tieferen bis mittleren Erdkruste.<br />
Deformation und Plateaubildung<br />
Die geophysikalischen Ergebnisse werden von einer zunehmenden<br />
Anzahl quantitativer oberflächenbezogener<br />
Beobachtungen begleitet, die darauf verweisen, daß die<br />
Abb. 8: Die tomographische Untersuchung der zentralen Anden zeigt in einem ausgewählten Schnitt die Fluid- und<br />
Temperaturverteilung im Mantel unter der andinen Kruste. Die Kruste der Anden und der Nazca-Platte enthält nur<br />
die Geschwindigkeitsanomalien der P-Wellen. Die Entwässerung der abtauchenden Nazca-Platte wird außer in den<br />
„nassen“ Bereichen des Mantels in der Isotopensignatur des Elements Bor an der Oberfläche deutlich, das auf eine<br />
Herkunft aus Meereswasser hinweist. Im Temperaturbild zeigt die östliche kalte (und trockene) Zone Hinweise auf<br />
Ablösung der Mantellithosphäre von der überlagernden andinen Kruste (aus Sobolev et al., 2006 und Rosner et al.,<br />
2003).<br />
Tomographic data of Central Andes inverted for fluid-content and temperature. Note that crust of Central Andes and<br />
of Nazca plate only exhibits p-wave velocity anomalies. Dehydration of Nazca plate is imaged by a ,wet‘ zone in the<br />
mantle and by the isotopic composition of boron at the surface that originated from subducted sea water. The temperature<br />
image of the cool (and dry) eastern zone indicates ongoing delamination of mantle lithosphere from the overlying<br />
Andean crust (from Sobolev et al., 2006, and Rosner et al., 2003).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 9: Die linke Abbildung zeigt das GPS-Verschiebungsfeld der gesamten Zentralen und Südlichen Anden und seine<br />
Prägung durch den seismischen Zyklus. Der größte Teil des Plattenrandes befindet sich im interseismischen Zyklus und<br />
wird elastisch komprimiert. Das Antofagastabeben von 1995 wird klar durch die elastische Relaxation mit einer coseismischen<br />
Verschiebung von ca. 80 cm nach Westen angezeigt, der Bereich mit dem weltweit stärksten historisch aufgezeichneten<br />
Beben von Valdivia (1960, Magnitude 9.5) dagegen zeigt heute noch postseismische viskoelastische Relaxation.<br />
Die rechte Abbildung zeigt die aktive Verformung nach Abzug der elastischen Deformation und die Geometrie<br />
der Zone seismischer und mechanischer Kopplung zwischen Nazca-Platte und südamerikanischer Platte (aus Klotz et<br />
al., 2001).<br />
The left map shows the GPS-displacement field over the past decade and ist predominance by the seismic cycle. Most<br />
of the plate margin is in the interseismic stage and deformed elastically. The Antofagasta earthquake from 1995 is<br />
obvious from coseismic elastic strain release of some 80 cm to the west, the area of the strongest historically observed<br />
earthquake on Earth from Valdivia (1960, magnitude 9.5) is still in a stage of viscoelastic relaxation. The map on the<br />
right depicts the residual strain after removal of the elastic interseismic component and illustrates the above two rupture<br />
areas as well as the geometry of the underlying seismic and mechanical coupling zones between both plates (from<br />
Klotz et al., 2001).<br />
Deformation des Plateaus und seiner Randbereiche sehr<br />
eng mit z. T. thermisch bestimmten Schwächezonen der<br />
südamerikanischen Platte zusammenhängen. Diese werden<br />
z. B. deutlich durch die Vermessung des aktuellen<br />
Deformationsfeldes mit Hilfe der GPS-Technologie über<br />
ca. 10 Jahre, die nicht nur die Dominanz des seismischen<br />
Zyklus am Plattenrand dokumentiert, sondern auch zeigt,<br />
daß der magmatische Bogen eine Trennung zwischen dem<br />
Vorbogenbereich und dem Rückbogenbereich darstellt.<br />
Während der Vorbogenbereich weitgehend elastisch<br />
deformiert wird,findet am Rückbogenbereich einr langsam-permanente<br />
Deformation statt (Abb. 9). Gleichzeitig<br />
ist der stete Massenfluß in den Rückbogenbereich hinein<br />
ein wesentlicher Steuerfaktor für das laterale Expandieren<br />
des Plateaus (s. Abb. 10).<br />
Aus detaillierten geologischen Felddaten kann darüber<br />
hinaus erstmals eine quantitative Rekonstruktion der<br />
Geschwindigkeiten der Deformation mit hoher zeitlicher<br />
und räumlicher Auflösung für ein gesamtes Orogen hergestellt<br />
werden. Diese erlaubt eine präzise Korrelation mit<br />
Zeitreihen anderer plattentektonischer, stofflicher oder<br />
thermischer Prozesse, um die in der Literatur vielfach kontrovers<br />
diskutierten Steuerfaktoren für die Bildung der<br />
Anden zu identifizieren (s. Abb. 11). Anders als die geophysikalischen<br />
Daten suggerieren, sind thermischer Zu-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
37
38<br />
Abb. 10: Das Best-fit-Ergebnis der Modellierung des Materialflusses und<br />
der Verteilung der Deformation in den zentralen Anden zeigt die zentrale<br />
Rolle der mechanischen Entkopplung an der Basis und des aus Osten herangeführten<br />
Materials mit einem Wechsel von homogener Verkürzung zu<br />
einer Verlagerung der aktiven Deformationszone an die Ostflanke des Plateaus<br />
(aus Vietor und Oncken, <strong>2005</strong>).<br />
The best-fit result of modelling the material flux and distribution of deformation<br />
in Central Andes underscores the role of mechanical decoupling at<br />
the base of the orogen and of the incoming material from the east with a<br />
change from pervasive shortening of the proto-plateau area to a shift of active<br />
deformation towards the eastern plateau flank (from Vietor and Oncken,<br />
<strong>2005</strong>).<br />
stand und Schmelz- bzw. Fluidverteilung keine der entscheidenden<br />
Faktoren. Zwar beeinflussen sie die laterale<br />
Verteilung von Deformation, nicht jedoch ihr Einsetzen<br />
oder die zeitliche Entwicklung. Als ähnlich irrelevant<br />
erweist sich die vielfach vorgeschlagene Konvergenzgeschwindigkeit<br />
zwischen den Platten. Das aus GPS-Daten<br />
und 3D-Bilanzierung der Deformation abgeleitete, oberflächennahe<br />
Verschiebungsfeld des gesamten Bereichs<br />
östlich des Vulkanbogens, erscheint seit Heraushebung<br />
der andinen Kordillere erstaunlich gleichförmig mit einer<br />
Beschleunigung der Verkürzungsraten trotz einer Verlangsamung<br />
der Plattenkonvergenz seit dem Miozän.<br />
Dagegen zeigt sich, daß vor allem die absolute Driftgeschwindigkeit<br />
der Oberplatte und die mechanisch begrenzte<br />
Fähigkeit der Unterplatte zum trench/slab-rollback<br />
die kritischen Größen sind, die die Deformation eines<br />
Plattenrandes bestimmen. Feldbeobachtungen belegen<br />
darüber hinaus eine strenge Systematik von lokalisierten,<br />
hohen Deformationsraten und darauf folgendem aktivem<br />
Vulkanismus im Zusammenhang mit krustalem Aufschmelzen.<br />
Das Deformationsmuster der gesamten Krus-<br />
te zeigt zudem, daß die Verdickung der<br />
Kruste nahezu ausschließlich durch tektonische<br />
Verkürzung zustande kommt;<br />
dies ist vermutlich mit einem hohen<br />
Anteil eines weiträumigen orogenparallelen<br />
Massenflusses in der Unterkruste<br />
verbunden. Eine zentrale Ergebnis dieser<br />
Analyse ist demnach, daß das in Gesteinen<br />
gespeicherte Gedächtnis oder ihr<br />
geophysikalisches Abbild nicht die Faktoren<br />
erster Ordnung zu identifizieren<br />
erlaubt, die für die Deformationsgeschichte<br />
verantwortlich waren. Die gespeicherten<br />
oder abgebildeten Informationen<br />
geben uns allenfalls Hinweise<br />
auf die Mechanismen, welche die laterale<br />
Verteilung der Deformation gesteuert<br />
haben.<br />
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die<br />
Niederschlagsverteilung auf der kontinentwärtigen<br />
Ostseite der Anden. Im<br />
Norden findet bei subtropischen Niederschlägen<br />
erhebliche Erosion statt, während<br />
die semi-aride Ostseite im Süden<br />
nur sehr begrenzte Erosion erfährt. Im<br />
Norden ist eine sehr breite Deformations-zone<br />
mit Krustenverkürzung von<br />
über 250 km entstanden, im Süden<br />
beträgt die Verkürzung weniger als<br />
40 km, nicht ausreichend zur Bildung<br />
eines Plateaus (Abb. 12). Im Norden wie<br />
im Süden korrelieren die Bereiche höherer<br />
Niederschläge mit stärkerer Erosion,<br />
die seit dem Oligozän z. T. mehr als 5 km<br />
beträgt.<br />
Diese Zusammenhänge verweisen auf<br />
einen Mechanismus, der in den letzten<br />
Jahren zunehmend in die Diskussion<br />
gerät. Es ist seit langem bekannt, daß Niederschläge in<br />
ihrer räumlichen und zeitlichen Verteilung die erosive Zerstörung<br />
von Gebirgen betreiben (Keller & Pinter 1996).<br />
Gleichzeitig erzeugt jedoch die Bildung einer topographischen<br />
Barriere ein Hindernis, das erheblich auf die<br />
atmosphärische Zirkulation rückwirkt und damit auch zur<br />
Niederschlagsbildung beiträgt. Zusätzlich zeigen neuere<br />
theoretische Betrachtungen, daß aktive Gebirge dazu neigen,<br />
einem stationären Gleichgewicht zuzustreben. D. h.<br />
die niederschlagsabhängige Erosion und der Massenverlust<br />
an der Oberfläche wird wieder ausgeglichen durch<br />
interne Deformation der Erdkruste, durch die wieder<br />
neues Material tektonisch nach oben befördert wird.<br />
Damit wird nicht nur der erosiven Zerstörung entgegengewirkt,<br />
sondern ein Gleichgewicht zwischen Topographie,<br />
atmosphärischer Zirkulation und Niederschlagsverteilung,<br />
niederschlagsabhängiger Erosion und Deformation<br />
hergestellt. Dieser Aspekt ist wahrscheinlich eine<br />
wichtige zusätzliche Erklärung, warum Deformation und<br />
niederschlagsabhängige Erosion an der Oberfläche stets<br />
zusammenzuhängen scheinen.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 11: Korrelation verschiedener Zeitreihen zur Analyse<br />
der Steuerfaktoren der Andenbildung für den Zeitraum<br />
des Känozoikums. a) Entwicklung der tektonischen<br />
Verkürzungsgeschwindigkeiten der Anden aus<br />
geologischen Daten. b) Konvergenzgeschwindigkeit der<br />
zwischen Nazca-Platte und südamerikanischer Platte<br />
sowie Entwicklung der Konvergenzschiefe zeigt keine<br />
Korrelation zur Deformation der Anden. c) Sehr gute<br />
Korrelation zwischen Deformation der Anden und absoluter<br />
Westdrift Südamerikas bei (d) nur geringer Fluktuation<br />
der Verlagerung der Subduktionszone. e) Raten<br />
der Subduktionserosion aus den Raten der Verlagerung<br />
des Vulkanbogens. f) Vulkanischer Fluß und Verkürzungsgeschwindigkeit der Anden sind nicht korreliert. g) Die Scheinkorrelation<br />
zwischen globaler Abkühlung und Zunahme der Verkürzungsgeschwindigkeit wird offenbar, wenn die dazu<br />
notwendige Entwicklung der Füllung des Tiefseegrabens rekonstruiert wird (h; aus Oncken et al., 2006).<br />
Correlation of various time series data analyzing the principal factors controlling the deformation of the Central Andes<br />
during the Cenozoic. a) Evolution of shortening rates from geological data. b) Convergence velocities between Nazca<br />
plate and South America as well as obliquity exhibit no correlation with Andean shortening. c) Very good correlation<br />
between Andean shortening rates and (d) absolute drift velocity of South America at nearly stable retreat of subduction<br />
hinge. e) Rates of subduction erosion as inferred from retreat of the volcanic arc through time. f) Volcanic flux, i.e.<br />
thermal state of upper plate, is uncorrelated with shortening velocity. g) Apparent correlation between global cooling<br />
and evolution of shortening rate is obvious from analyzing the evolution of trench fill which shows no relevant trend<br />
(h; from Oncken et al., 2006).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
39
40<br />
Abb. 12: Der Unterschied im geophysikalischen Aufbau, der Topographie und der tektonischen Verkürzungsgeschichte<br />
von zentralen und südlichen Anden hängt mit ihrer Lage in verschiedenen Klimagürteln zusammen, wie der Vergleich<br />
der Receiver-Function-Daten in den beiden Schnitten mit dem Bild der Niederschlagsverteilung (rot: arid; blau: hohe<br />
Niederschläge) als Index für die Effizienz von Erosion und Sedimenttransport in den Tiefseegraben zeigt.<br />
The difference in geophysical architecture, topography, and shortening of Central and Southern Andes is related to<br />
their respective positions in various climate belts. This becomes obvious from correlating the receiver function sections<br />
indicating crustal thickness and architecture with map of precipitation (red: arid; blue: high precipitation rates)<br />
as a proxy for efficiency of erosion and sediment transport towards the trench.<br />
Tektonische Materialumlagerung, Krustenwachstum<br />
und Klimaentwicklung<br />
Das inzwischen dichte Netz meeresgeophysikalischer<br />
Vermessungen der Kontinentalränder hat in den letzten<br />
Jahren eine zentrale Erkenntnis gefördert: Entgegen der<br />
bislang vorherrschenden Vermutung werden nur etwa bei<br />
30 % aller aktiven Plattenränder die Sedimente, die auf<br />
der ozeanischen Kruste und in den Tiefseegräben abgelagert<br />
wurden, durch Abscherung an der Spitze oder unter<br />
den Rand der kontinentalen Erdkruste tektonisch angelagert<br />
(v. Huene & Scholl 1991). Nur im Fall der Anlagerung<br />
wird zusätzlich zur Einlagerung von Magmen aus<br />
dem Erdmantel die kontinentale Kruste langsam wachsen.<br />
Gegenüber diesen sogenannten akkretionären Rändern ist<br />
die Mehrheit nicht nur nicht-akkretionär. Meistens sind<br />
sie sogar durch Subduktionserosion geprägt: ein stetiges<br />
Abraspeln kontinentalen Materials von der Unterseite der<br />
Kontinente durch die in die Tiefe subduzierte ozeanische<br />
Erdkruste führt zu einer langsamen Vernichtung kontinentaler<br />
Kruste mit typischen Raten von etwa 1 bis 4 km<br />
Krustenbreite pro Mill. Jahre. Für die Krustenwachstumsbilanz<br />
während der Erdgeschichte, die chemische<br />
Entwicklung des Erdmantels und für magmatische Pro-<br />
zesse hat dieser letzte Prozeß wahrscheinlich erhebliches<br />
Gewicht. Diese verschiedenen Formen der Materialumlagerung<br />
an aktiven Rändern, die sich in jeweils verschiedenen<br />
Phänomenen äußern, haben darüber hinaus<br />
vermutlich großen Einfluß auf eine Vielzahl von anderen<br />
Prozessen am und im jeweiligen aktiven Kontinentalrand.<br />
Durch Kollision von Kontinenten hervorgegangene Gebirge<br />
(z. B. Himalaya, Alpen) sind vor allem durch tektonische<br />
Anlagerung und Stapelung der kontinentalen Gesteinseinheiten<br />
beider Platten geprägt. Bei durch Subduktion<br />
geprägten aktiven Plattenrändern können sich hingegen<br />
ganz unterschiedliche Muster von Materialumlagerung<br />
zeigen. Gebirge sind damit nicht nur direkte Anzeiger<br />
und auch Spuren von ehemaligen aktiven Plattenrändern<br />
(vor der Kollision), sondern sie enthalten auch<br />
das entscheidende Gedächtnis der Bedingungen, welche<br />
die Materialtransportprozesse an aktiven Plattengrenzen<br />
bestimmen.<br />
Bei den Anden läßt sich exemplarisch zeigen, daß sich<br />
mehrere Bereiche von tektonischer Erosion bis zu tektonischer<br />
Akkretion von Norden nach Süden ablösen<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
(vgl. Abb. 13). Die Zentralen Anden gelten inzwischen<br />
als Typvertreter subduktionsgesteuerter Orogene, an<br />
denen tektonische Erosion vor der Akkretion von Sedimenten<br />
und Krustensplittern dominiert (v. Huene &<br />
Scholl 1991). Bei diesem Vorgang sind in den zentralen<br />
Anden seit dem Jura (vor 140 bis 200 Mill. Jahren) über<br />
200 km kontinentale Kruste vernichtet worden, wobei<br />
der Verbleib dieser tektonisch erodierten Krustenanteile<br />
ungeklärt ist. Zur Folge hatte diese Erosion des Kontinentalrandes,<br />
daß der vulkanische Bogen seit dem Jura<br />
um 200 km nach Osten in seine heutige Position wanderte<br />
(Ziegler et al. 1981, Reutter et al. 1994). Das ungewöhnliche<br />
Deformationsverhalten des kontinentalen<br />
Randes westlich des Vulkanbogens (Absenkung unter<br />
Dehnung) ist ebenfalls auf den Einfluß des tektonischen<br />
Abraspelns von Material an der Unterseite der kontinentalen<br />
Erdkruste zurückzuführen.<br />
Experimentelle und theoretische Studien der letzten Jahre<br />
geben einen Hinweis, welche physikalischen Parameter<br />
diese Materialbewegungen steuern. An einer Subduktionszone<br />
wird insbesondere die kinetische Energie der<br />
mit einigen Zentimetern pro Jahr driftenden ozeanischen<br />
Platten über die mechanische Koppelung an der Subduktionszone<br />
auf die kontinentale Platte übertragen; diese reagiert<br />
entsprechend ihrer Eigenschaften (Tichelaar & Ruff<br />
1991). Die Festigkeit der Subduktionszone, d. h. ihre Reibung<br />
bzw. Viskosität, steuert dabei nicht nur die Art<br />
des Akkretionsverhaltens am Plattenrand, sondern wahrscheinlich<br />
auch die Intensität der seismischen Aktivität<br />
und die Effizienz, mit der die Oberplatte deformiert werden<br />
kann. Eine wichtige Rolle hat dabei der Gehalt an<br />
Fluiden (Gase, wässrige Lösungen und Schmelzen) im<br />
Gestein sowie der Wärmehaushalt und die stoffliche<br />
Zusammensetzung der Gesteine, welche die ozeanische<br />
Abb. 13: Experimentelle Resultate aus Analogexperimenten belegen die herausragende Rolle, die die Sedimente im Tiefseegraben<br />
für den tektonischen Massenflußmodus am Plattenrand haben, und zeigen, dass dessen Variation am andinen<br />
Rand in erster Linie von der klimaabhängigen Entwicklung der Tiefseegrabenfüllung seit Vereisung der Südhemisphäre<br />
(seit ca. 6 Mio Jahren) gesteuert wird (aus Lohrmann, 2003, und Kukowski und Oncken, 2006).<br />
Experimental results from analogue simulation studies indicate the dominant role of trench sediment thickness for tectonic<br />
mass flux mode at convergent margins. Observations at the Andean margin clearly demonstrate that climate-controlled<br />
development of trench fill since southern hemisphere glaciation (since c. 6 Myrs) is responsible for spatial and<br />
temporal variations of observed mass flux (from Lohrmann, 2003, and Kukowski and Oncken, 2006).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
41
42<br />
und die kontinentale Kruste aufbauen. Der Schlüssel zum<br />
Verständnis der Vorgänge an aktiven Kontinentalrändern<br />
liegt damit insbesondere im Verständnis der Mechanik der<br />
Plattengrenzfläche selbst und der Faktoren, die hierauf<br />
Einfluß nehmen.<br />
Als Schlüsselfaktor wurde vom SFB 267 das Klima identifiziert.<br />
Das trockene Klima in den Zentralen Anden führt<br />
dazu, daß die Tiefseerinne vor den Zentralen Anden nahezu<br />
sedimentfrei ist (Ziegler et al. 1981, Bangs & Cande<br />
1997). Die Plattengrenzfläche wird hier also nicht mit<br />
mächtigen, wasserhaltigen Sedimenten „geschmiert“, sondern<br />
besitzt eine hohe Reibung. Im Bereich des westlichen<br />
Altiplano und in der von seinem Rand bis zur Küste reichenden<br />
Atacamawüste (Niederschläge < 50 mm/J.) wird<br />
seit langem praktisch kein Material durch Niederschläge<br />
erodiert und in die Tiefsee transportiert. An der Westflanke<br />
der Südanden dagegen, bei Niederschlägen von<br />
> 3000 mm/J., wird sehr viel Material erodiert, in den Tiefseegraben<br />
verfrachtet und teilweise zum Aufbau eines<br />
akkretionären Keils verwendet (Bangs & Cande 1997).<br />
Das subduzierte Material dient zudem zum „Gleiten“ und<br />
zur Schwächung der Plattengrenzfläche.<br />
Der Sedimentkeil im Süden hat allerdings nur die in den<br />
letzten ca. 3 Mill. Jahren im Tiefseegraben abgelagerten<br />
Sedimente aufgenommen (Bangs & Cande 1997). Die<br />
Südanden gelten daher als zumindest zeitweise akkretionärer<br />
Rand. Hier ist der Wechsel zur Akkretion mit der<br />
Vergletscherung der Patagonischen Anden seit etwa 5 bis<br />
Abb. 14: Die Analyse der Verkürzungsgeschwindigkeiten entlang der Anden zeigt eine drastische Abnahme der Raten<br />
und sogar eine Beendigung der Verkürzung seit Beginn der hohen Sedimentschüttung in den Tiefseegraben mit Beginn<br />
der Vereisung der Südanden (aus Vietor und Echtler, 2006).<br />
Analysis of shortening rates along the Andes exhibits a drastic decrease of rates or even termination of shortening following<br />
onset of high sediment flux rates to the trench from glaciation of southern Andes (from Vietor and Echtler, 2006).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
6 Mill. Jahren gesteuert worden. Zugleich hat mit der Füllung<br />
des Tiefseegrabens das Deformationsverhalten der<br />
südamerikanischen Platte eine fundamentale Wandlung in<br />
diesem Bereich erfahren. Die bessere „Schmierung“ der<br />
Plattengrenzfläche durch die wasserreichen Sedimente<br />
führte zur Beendigung der Verkürzung in der Hauptkordillere<br />
und zur Hebung der Küstenkordillere durch das<br />
unterplattete Material. In der Tat konnte also gezeigt werden,<br />
dass der Materialflußmodus im wesentlichen von der<br />
klimaabhängigen Sedimentflußrate in den Tiefseegraben<br />
abhängt, Klimaänderungen mithin einen maßgeblichen<br />
Effekt auf fundamentale geodynamische Vorgänge haben.<br />
Gegenüber bisherigen Vorstellungen, die, wie oben erwähnt,<br />
eine lokale Beziehung zwischen Klima und Tetonik<br />
herstellen, zeigen unsere Resultate, daß eine sehr viel<br />
bedeutendere Beziehung auf indirekte Weise hergestellt<br />
wird: Sowohl der Massenflußmodus am Plattenrand (tektonische<br />
Erosion versus Akkretion) wie das kinematische<br />
Regime in der Oberplatte (Verkürzung versus Dehnung)<br />
werden über den Umweg der klimaabhängigen Sedimentfüllung<br />
des Tiefseegrabens gesteuert. Hierin liegt<br />
vermutlich einer der entscheidenden Gründe, warum sich<br />
Zentrale Anden und Südanden so grundsätzlich voneinander<br />
unterscheiden (Abb. 14).<br />
Zusammenfassung<br />
An einer Subduktionszone greift eine Vielfalt verschiedener<br />
Prozesse und Phänomene ineinander, gesteuert von<br />
wenigen fundamentalen Aspekten. Der rote Faden, so zeigen<br />
die Resultate des SFB 267, sind<br />
immer wieder die mechanische Festigkeit<br />
der Plattengrenzfläche selbst und des<br />
kontinentalen Plattenrandes, die Bewegungsgeschwindigkeiten<br />
der ozeanischen<br />
und der kontinentalen Platte, der tektonische<br />
und klimagesteuerte Massentransfer<br />
und der Einfluß der verschiedenen<br />
Fluide (Abb. 15).<br />
Diese Aspekte sind jeweils nicht unabhängige<br />
Parameter, sondern stets wechselseitig<br />
miteinander in rückgekoppelten<br />
Ursache-Wirkungs-Kreisen verbunden.<br />
So wie unter konstanten äußeren Bedingungen<br />
ein Orogen dabei einem Gleichgewichtszustand<br />
zustrebt, der insbesondere<br />
durch den Masseninput und -output<br />
von außen beeinflußt werden kann, steht<br />
der klimatisch gesteuerte erosive Massentransfer<br />
in Wechselwirkung mit der<br />
Entwicklung der Topographie und der<br />
Deformation der Erdkruste. Schließlich<br />
spielen die Mengen, Raten und Verteilung<br />
der tektonischen Materialakkretion oder<br />
Erosion im Bereich vor und hinter dem<br />
magmatischen Bogen eines Orogens eine<br />
weitere, wesentliche Rolle. Sie beeinflussen<br />
– wie der klimatisch gesteuerte erosive<br />
Massentransfer – vor allem die Geo-<br />
metrie und Massenverteilung des Orogens und kontrollieren<br />
somit sein Deformationsverhalten. Demgegenüber<br />
steuert der Eintrag von Fluiden und Schmelzen von der<br />
ozeanischen Platte in die kontinentale Platte hinein vor<br />
allem direkt das Temperaturfeld in der Lithosphäre und<br />
die mechanischen Schlüsseleigenschaften der Gesteine<br />
und damit die Orogenentwicklung.<br />
Diese Resultate erweitern und modifizieren, vielfach<br />
erheblich, früher vorgebrachte, meist kontrovers diskutierte<br />
Vorstellungen:<br />
a) die enge Verbindung zwischen Initiierung und Stil der<br />
Deformation mit Zeitpunkt und Anwesenheit intrakrustaler<br />
Schmelzen wird nach unserer Ansicht überschätzt;<br />
b) die Beobachtung, daß Klima und Tektonik lokal gekoppelt<br />
sind – nach unserer Ansicht ist die Fernwirkung<br />
über den klimatisch kontrollierten Massenfluß in<br />
den Tiefseegraben bedeutender für die Steuerung<br />
sowohl des tektonischen Massenflußmodus (tektonische<br />
Erosion versus Akkretion) als auch für die Beeinflussung<br />
der Deformationsraten in der Oberplatte;<br />
c) die Vermutung, daß die Plateaubildung fast ausschließlich<br />
durch tektonische Verkürzung in Verbindung mit<br />
partiellem Verlust der Mantellithosphäre kontrolliert<br />
wird;<br />
d) die Rolle des advektiven Wärmetransportes mit einem<br />
sehr komplexen Modus als wesentlichem Steuerfaktor<br />
Abb. 15: Die numerische Modellierung der Deformation des andinen<br />
Plattenrandes unterstützt den geologischen Befund, daß die Westdrift Südamerikas,<br />
die Sedimentfüllung des Tiefseegrabens sowie Delamination<br />
der Mantellithosphäre die zentralen Steuerfaktoren der Orogenentwicklung<br />
an konvergenten Plattenrändern sind (aus Sobolev and Babeyko,<br />
<strong>2005</strong>).<br />
Numerical modelling of deformation of the Andean margin supports geological<br />
findings that upper plate west drift velocities, trench sediment fill, and<br />
delamination of mantle lithosphere are the key mechanisms driving orogeny<br />
at convergent margins (from Sobbolev and Babeyko, <strong>2005</strong>).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
43
44<br />
für die Bildung eines nicht-kollisionären Plateaus wird<br />
nach unserer Ansicht erheblich überschätzt bis auf<br />
seine Rolle für den Magmatismus (s. o.).<br />
Die ersten vollständigen und intern konsistenten Modelle<br />
(Abb. 15) bestätigen die Feldbeobachtungen zum bislang<br />
gänzlich unterschätzten überragenden Einfluß der<br />
Kinematik von Oberplatte und Trench-Slab-System gegenüber<br />
der bisher vermuteten Konvergenzrate beider<br />
Platten. Damit ist der Deformationsmodus von Plattenrändern<br />
als komplexes Zusammenspiel von Faktoren identifiziert,<br />
unter denen nur eine ganz bestimmte Kombination<br />
zu einem Orogen des zentralen Andentyps führt. In<br />
der jüngeren Erdgeschichte sind nur die kretazischen<br />
Laramiden des westlichen Nordamerikas ein Kandidat für<br />
ein ähnliches Plateau-Orogen.<br />
Ausblick<br />
Ein wesentlicher Langfristauftrag bei Sonderforschungsbereichen<br />
sind profilbildende Maßnahmen an den Trägerstandorten.<br />
Die Zeitspanne des SFB 267 fiel mit einer<br />
wesentlichen Umgestaltung bzw. einem Neuaufbau seiner<br />
Trägereinrichtungen zusammen und hat daher bei allen<br />
z. T. erhebliche Einwirkungen erzielt. An den Berliner<br />
Universitäten sind dies insbesondere die langfristige<br />
Sicherung der Geowissenschaften mit Zusammenführung<br />
und Reorganisation der Institute für Geowissenschaften<br />
und die Entwicklung fachübergreifender, gemeinsamer<br />
Curricula. An der Universität Potsdam hat die Beteiligung<br />
am SFB den abschließenden Aufbau des Institutes befördert,<br />
am <strong>GFZ</strong> Potsdam hat die Entwicklung des Programmtopics<br />
„Geodynamik“ im Programm „Geosystem“<br />
wesentlich vom SFB 267 profitiert. Diese Entwicklung<br />
beförderte nachdrücklich die regionale, aber auch die<br />
nationale Vernetzung der SFB-Trägereinrichtungen in der<br />
Forschung.<br />
Bereits in der Schlußphase des SFB 267 wurden –<br />
wesentlich aus den Erfahrungen des Sonderforschungsbereich<br />
angestoßen – einige der zentralen Folgeaktivitäten<br />
gestartet. Allen gemeinsam ist eine vernetzte Beteiligung<br />
jeweils mehrerer der Trägerinstitutionen des SFB.<br />
Anfang <strong>2004</strong> startete das Vorhaben TIPTEQ, das bis<br />
Mitte 2007 terminiert ist. Das Vorhaben ist eine Komponente<br />
des Teilprogramms „Kontinentränder“ des<br />
BMBF/DFG-Programms „Geotechnologien“. Es hat,<br />
überlappend mit der letzten SFB-Periode, die Forschung<br />
im südlichen SFB-Arbeitsgebiet intensiviert, wird diese<br />
fortsetzen und auf die Prozesse der Steuerung von Starkbeben<br />
und ihrer Auswirkungen auf die Erdoberfläche im<br />
Bereich des Starkbebens von Valdivia (1960) fokussieren.<br />
Es bündelt mit marinen und landgestützten Verfahren<br />
die Expertise von 10 deutschen Einrichtungen (<strong>GFZ</strong><br />
Potsdam, GEOMAR, Universitäten FU Berlin, Potsdam,<br />
Hamburg, Bremen, Freiburg, Kiel, BGR, Bayerische<br />
Akademie der Wissenschaften). Gemeinsam mit den<br />
Universitäten Amsterdam und Potsdam hat das GeoForschungsZentrum<br />
erfolgreich das virtuelle Institut CSAG<br />
aus dem Vernetzungsfonds der Helmholtz-Gemeinschaft<br />
eingeworben. CSAG (Center for System Analyses of<br />
Geoprocesses) startet <strong>2005</strong> für drei Jahre und wird u. a.<br />
in Südamerika Fragen der Kopplung von Prozessen bei<br />
der Steuerung und Entwicklung des Systems Erdoberfläche<br />
angehen.<br />
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Vietor, T. and Echtler, H. 2006. Episodic Neogene southward growth of the Andean<br />
subduction orogen between 30°S and 40°S – plate motions, mantle flow,<br />
climate, and upper-plate structure. In: Deformation of the Andes from top to bottom<br />
(eds: O.Oncken, G. Franz, H.J. Götze, M. Strecker, P. Wigger, P. Giese, V.<br />
Ramos, G. Chong), Frontiers in Earth Sciences, Springer, (submitted)<br />
von Huene, R. & Scholl, D.W. (1991): Observations at convergent margins concerning<br />
sediment subduction, subduction erosion, and the growth of continental<br />
crust. – In: Rev. Geophys., 29, S. 279-316.<br />
Yuan, X., Sobolev, S.V., Kind, R., Oncken, O. and Andes Seismology Group (2000):<br />
New constraints on subduction and collision processes in the Central Andes from<br />
P-to-S converted seismic phases. Nature 408: 958-961.<br />
Ziegler, A.M., Barrett, S.F. & Scotese, C.R. (1981): Paleoclimate, sedimentation and<br />
continental accretion. – In: Philos. Trans. R. Soc. London, Ser. A, 301, S. 253-264.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
45
46<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
„Inkaba ye Africa“ – dem dynamischen System<br />
Erde auf der Spur<br />
Brian Horsfield 1 , Maarten de Wit 1 sowie weitere Autoren der Inkaba ye Africa Arbeitsgruppe 2<br />
1. Koordinatoren von Inkaba ye Africa: BH – <strong>GFZ</strong> Potsdam, MW – Universität Kapstadt<br />
2. Südafrika: Ludwig Combrinck, John Compton, Alex Kounov, Justine Tinker, Marian Tredoux<br />
Deutschland: Gabriele Uenzelmann-Neben, Sönke Neben, Karsten Gohl, Wilfried Jokat, Rolf Emmermann, Mioara Mandea, Rolando di Primio, Heinz Wilkes, Oliver<br />
Ritter, Ute Weckmann, Michael Weber, Georg Dresen, Jörg Erzinger, Bob Trumbull, Hedi Oberhänsli<br />
In 2003, the German and South African Earth Science communities embarked on a program to survey a cone-shaped<br />
sector of Earth from core to space, enclosing South Africa and the southern oceans at its surface. The vision is to track<br />
the history of its components back over at least the last 200 million years, to understand Earth system processes and<br />
their interaction at different scales and rates, and along the way to closely scrutinize climate, biodiversity, natural<br />
hazards and resources of Africa. South Africa's geology retains one of the longest best-preserved records of tectonic<br />
movements, magmatic events and climatic change extending back 3.500 million years. The projects in Inkaba ye Africa<br />
are divided between three main research themes, namely Heart of Africa, Margins of Africa, and Living Africa, and<br />
a formal Capacity Building and Outreach Programme is integrated into the programme. Heart of Africa is devoted to<br />
studying the energy transfer from core to space. An important theme here is to address why the geomagnetic field of<br />
South Africa is significantly weaker than over the rest of the Earth at equivalent altitudes and to examine the links<br />
between a deep mantle upwelling and the onland uplift history. Margins of Africa seeks to establish the causes, and<br />
some of the consequences of continental break-up of Southern Africa from its Gondwana configuration. Central to this<br />
research theme are a series of onshore-offshore geophysical transects across three different continental margin types<br />
around southern Africa. Living Africa consists of a number of integrated projects tracking the consequences of continental<br />
margin evolution in southern Africa, namely the ensuing surface and subsurface processes. Here, sedimentation<br />
patterns, changing ocean currents, and the cycling of carbon from the surface down to 5 km are under examination<br />
to provide a dynamic insight into petroleum systems and paleoclimate.<br />
Abb. 1: Inkaba ye Africa – Untersuchung eines kegelförmigen Ausschnitts des Systems Erde, vom Erdkern bis in den<br />
Weltraum<br />
Inkaba ye Africa – Earth System studies in a cone-shaped sector of the Earth from the core to space<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
47
48<br />
Inkaba ist ein Wort in Xhosa, das einen Zustand vollständiger<br />
Verbundenheit beschreibt. Wörtlich bedeutet es<br />
„Nabel“, den zentralen Punkt, von dem aus alle Energie,<br />
Material und Wissen ausströmen und in dem sie wieder<br />
zusammengeführt werden. Die Verbindung mit ye Africa<br />
fügt den regionalen Aspekt hinzu.<br />
Im Jahr 2003 haben deutsche und südafrikanische Geowissenschaftler<br />
ein Forschungsprogramm initiiert, um<br />
einen kegelförmigen Ausschnitt vom Erdkern bis in den<br />
Weltraum zu untersuchen, der an der Oberfläche Südafrika<br />
und die südlichen Ozeane einschließt (Abb. 1).<br />
Ziel ist es, die Entwicklungsgeschichte verschiedener<br />
Komponenten des Systems Erde über die letzten<br />
200 Millionen Jahre hinweg nachzuvollziehen, um<br />
damit verschiedene Prozesse und deren Wechselwirkung<br />
auf unterschiedlichen Skalen zu verstehen und<br />
gleichzeitig Rückschlüsse auf Klima, Biodiversität,<br />
Naturgefahren und Rohstoffe von Afrika zu ziehen.<br />
Inkaba ye Africa ist Bestandteil einer langfristig angelegten<br />
Initiative für die Erforschung kontinentaler und<br />
ozeanischer Strukturen im südlichen Afrika, mit der ein<br />
Tab. 1: Inkaba ye Africa, Projekte und Koordinatoren<br />
Inkaba ye Africa, projects and coordinators<br />
robustes Netzwerk von Observatorien zur Erd- und Ozeanbeobachtung<br />
für die südafrikanischen SADC-Staaten<br />
(Angola, Botswana, Lesotho, Namibia, Swaziland, Südafrika,<br />
Madagaskar, Malawi, Mozambique, Tansania,<br />
Zimbabwe) errichtet werden soll. Dieses Netzwerk ist<br />
Bestandteil des UN-Millennium-Projekts und Afrikas<br />
neu aufgelegtem Programm für wirtschaftliche Entwicklung<br />
(NEPAD).<br />
Warum in Afrika? Südafrika ist eines der besten natürlichen<br />
„Laboratorien“ für das System Erde. In der Geologie<br />
Südafrikas sind einzigartig gut erhaltene Hinweise auf<br />
tektonische Bewegungen, magmatische Ereignisse und<br />
Klimaänderungen der vergangenen 3500 Millionen Jahre<br />
gespeichert. Südafrika steht gegenwärtig im Zentrum<br />
einer dramatischen Veränderung des Erdmagnetfeldes und<br />
ist bekanntermaßen die Wiege der menschlichen Zivilisation.<br />
Die ältesten bekannten kulturellen Hinterlassenschaften<br />
wurden entlang der Küste des indischen Ozeans<br />
in Südafrika gefunden und sind auf siebzigtausend Jahre<br />
vor heute datiert worden. Der südafrikanische Kontinentalrand<br />
ist umgeben von einem komplizierten Netzwerk<br />
Themes Projects Coordination:<br />
Germany South Africa<br />
Inkaba ye Africa Brian Horsfield Maarten de Wit<br />
Coordinators horsf@gfz-potsdam.de maarten@cigces.uct.ac.za<br />
Heart of Africa Earth & Ocean Monitoring Jürgen Neumeyer Ludwig Combrinck<br />
Network across southern neum@gfz-potsdam.de Ludwig@hartrao.ac.za<br />
Africa<br />
Morphology of geomag- Mioara Mandea Peter Sutcliffe<br />
netic field variations in mioara@gfz-potsdam.de psutcliff@hmo.ac.za<br />
southern Africa<br />
Epeirogenic history of Jörg Erzinger Maarten de Wit<br />
southern Africa erz@gfz-potsdam.de maarten@cigces.uct.ac.za<br />
Samuel Niedermann<br />
nied@gfz-potsdam.de<br />
Rock burst and earthquake Georg Dresen Steve Spottiswoode<br />
hazards in deep gold mines dre@gfz-potsdam.de sspottis@csir.co.za<br />
Jörg Erzinger Sue Webb<br />
erz@gfz-potsdam.de webb@geosciences.wits.ac.za<br />
Margins of Africa The Western (Atlantic) Michael Weber Coenie deBeer<br />
Margin mhw@gfz-potsdam.de coenie@geobell.org.za<br />
B. Buttkus<br />
b.buttkus@bgr.de<br />
The Southern Margin – Oliver Ritter Maarten de Wit<br />
the Agulhas-Karoo oritter@gfz-potsdam.de maarten@cigces.uct.ac.za<br />
Geoscience Transect Karsten Gohl<br />
kgohl@awi-bremerhaven.de<br />
The Southeastern Margin Wilfried Jokat Mike Watkeys<br />
(start 2007) wjokat@awi-bremerhaven.de watkeys@nu.ac.za<br />
Dredging of the Walvis Ridge, Wilfried. Jokat Anton le Roex<br />
MeteorRise – Shona Ridge wjokat@awi-bremerhaven.de aleroex@geology@uct.ac.za<br />
(start 2006)<br />
Living Africa Generation, migration and Rolando di Primio George Smith<br />
sequestration of natural gas dipri@gfz-potsdam.de gcsmith@geology.uct.ac.za<br />
Seismic stratigraphy of the Gabriele Uenzelmann-Neben<br />
South African margins uenzel@awi-bremerhaven.de<br />
Neogene-Quaternary John Compton<br />
palaeoceanography compton@geology.uct.ac.za<br />
Past precipitation pattern of Hedi Oberhänsli Tim Partridge<br />
South Africa oberh@gfz-potsdam.de tcp@iafrica.com<br />
Capacity Building and Marian Tredoux<br />
Outreach mtd@geology.uct.ac.za<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
von Meeresströmungen, die klimatische Schwankungen<br />
ausgleichen und sich dadurch positiv auf die Entwicklung<br />
der frühesten Geschichte der Menschheit ausgewirkt<br />
haben könnten.<br />
Das südliche Afrika hat eine einzigartige ozeanographische<br />
Umgebung. Unter dem Einfluss der warmen Agulhas-Strömung<br />
und des kalten Benguelastroms entsteht<br />
eine komplizierte Mischzone (Cape Cauldron), in der warmes<br />
Wasser in den Atlantischen Ozean gelangt. Vermutlich<br />
kommt es durch diesen Mechanismus zu einem bedeutenden<br />
Wärmeaustausch zwischen der südlichen und<br />
nördlichen Hemisphäre, wobei die geologische Vergangenheit<br />
dieses Systems bisher noch wenig verstanden ist.<br />
Das im Bereich des breiten Kontinentalhangs entlang der<br />
Westküste aufwärts strömende Benguela-System ist ein<br />
Gebiet hoher Bio-Produktivität, das erhöhte organische<br />
Ablagerungen hervorruft und durch die erzeugte Dürre für<br />
den Erhalt der umliegenden Wüstengebiete verantwortlich<br />
ist. Südafrikas Tektonik ist einzigartig, was sich auch<br />
durch die ungewöhnliche stark ausgeprägte Hochebene in<br />
großer Entfernung von kompressiven Kontinentalrändern<br />
zeigt. Vermutlich ist dies das weltweit beste Beispiel von<br />
gleichzeitig stattfindender aktiver Epirogenese und innerkontinentaler<br />
Seismizität. Die Ursprünge dieses Phänomens<br />
sind allerdings kaum verstanden.<br />
Inkaba ye Africa besteht aus 12 Projekten, die auf die drei<br />
Hauptuntersuchungsgebiete, Heart of Africa (Im Herzen<br />
Afrikas), Margins of Africa (Die Kontinentränder Afrikas)<br />
und Living Africa, (Lebendiges Afrika) verteilt sind.<br />
Zentraler Bestandteil von Inkaba ye Africa sind die Themen<br />
Bildung und Öffentlichkeitsarbeit (capacity building<br />
and outreach, siehe Tab. 1). Jährliche Arbeitstreffen finden<br />
abwechselnd in beiden Ländern statt. Am letzten<br />
Treffen in Kapstadt im Mai <strong>2005</strong> nahmen 94 Wissenschaftler<br />
von Universitäten, staatlichen Institutionen und<br />
der Industrie teil, darunter 20 Studenten.<br />
Heart of Africa<br />
Im Projekt „Heart of Africa“ wird der Energietransfer<br />
vom Erdkern bis in den Weltraum hinein untersucht. Im<br />
Projekt COMPASS (COmprehensive Magnetic Processes<br />
under the African Southern Sub-continent) wird das Erdmagnetfeld<br />
in dieser Schlüsselregion genau vermessen,<br />
um – unterstützt durch globale Satellitenbeobachtungen<br />
des Erdmagnetfeldes – Säkularvariationen besseres verstehen<br />
und vorhersagen zu können (Hulot et al., 2002;<br />
Dormy and Mandea, <strong>2005</strong>). Satellitendaten zeigen eine<br />
generelle Abnahme des Erdmagnetfeldes, wobei das Magnetfeld<br />
im Bereich der Südatlantikanomalie signifikant<br />
schwächer ist als in vergleichbaren Breiten der Erde. In<br />
dieser Region ist der schützende Abschirmeffekt des Erdmagnetfelds<br />
so stark vermindert, dass hochenergetische<br />
elektromagnetische Teilchen bis in Tiefen von unter 100 km<br />
in die Atmosphäre eindringen können. Kontinuierliche<br />
Beobachtungen des Erdmagnetfeldes durch südafrikanische<br />
Wissenschaftler am magnetischen Observatorium<br />
in Hermanus haben eine Abnahme des Erdmagnetfeldes<br />
um 26 % seit 1920 ergeben. Zudem ändert sich die Aus-<br />
richtung des geomagnetischen Feldes sehr schnell im<br />
südlichen Afrika. Im Nordwesten verschiebt sich die Deklination<br />
weiter ostwärts, während im Südwesten ein Westwertstrend<br />
zu beobachten ist. Durch dieses Verhalten des<br />
Magnetfelds entsteht ein räumlicher Gradient über dem<br />
Subkontinent, der im Laufe der Zeit immer größer wird.<br />
In einem anderen Projekt („Die epirogenetische Geschichte<br />
von Südafrika“) wird untersucht, ob eine Verbindung<br />
zwischen der Hebungsgeschichte des Kontinents und dem<br />
Afrikanischen „Superswell“ besteht, der vermutlich auf<br />
eine regionale Aufwölbung des Erdmantels unter dem südlichen<br />
Afrika und der umliegenden Ozeane zurückzuführen<br />
ist: Gibt es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen<br />
diesem klassischen Beispiel für epirogenetische<br />
Hebung, Konvektion im Erdmantel und Anzeichen einer<br />
bevorstehenden Umkehr des Erdmagnetfeldes? Zur Quantifizierung<br />
der Erosions- und Hebungsgeschichte werden<br />
gegenwärtig Fissiontrack-Analysen und Datierungen kosmogen<br />
gebildeter Isotope durchgeführt. Ergebnisse von<br />
der Westküste Südafrikas zeigen, dass es dort vor 160 und<br />
100 Millionen Jahren zu einer schnellen Hebung des Kontinents<br />
gekommen ist. Dagegen gibt es von einem 600 km<br />
langen Profil, das von der Südküste nordwärts verläuft<br />
und auch drei Tiefbohrungen einschließt, klare Hinweise<br />
darauf, dass der Cape Fold Belt vor 250 Mio. Jahren von<br />
Sedimenten bedeckt und anschließend in der Kreide wieder<br />
exhumiert wurde. Bis zu sechs Kilometer mächtige<br />
Sedimente, die einstmals den Cape Fold Belt und das<br />
Karoo-Becken überdeckten, wurden in zwei punktuellen<br />
Episoden erodiert: in der frühen Kreide (120 bis 140 Ma)<br />
und in der mittleren Kreide (80 bis 100 Ma); weniger als<br />
15 % des Materials wurde in den letzten 80 Ma erodiert.<br />
Die beiden Exhumierungsereignisse in der Kreide fanden<br />
dabei zeitgleich mit zwei datierten Kimberlitintrusionen<br />
(Kimberlite 200 und 450) statt. Durch diese Untersuchungen<br />
ist es damit zum ersten Mal gelungen in Südafrika<br />
eine direkte Verbindung zwischen erhöhter Hebungs-<br />
bzw. Erosionsrate und einzelnen Episoden positiven<br />
Mantelauftriebs herzustellen. Um zu verstehen, inwieweit<br />
Topographie und Entwässerungsmuster darauf in<br />
jüngerer Zeit reagiert haben, werden Datierungen an kosmogenen<br />
Isotopen (Alter der Aufschlüsse an der Erdoberfläche)<br />
mittels 12 Ne in Quarz durchgeführt.<br />
Margins of Africa<br />
Ziel von „Margins of Africa“ ist es, Gründe für das Abspalten<br />
des südlichen Afrikas vom Superkontinent Gondwana<br />
und damit im Zusammenhang stehenden Auswirkungen<br />
zu erforschen. Wesentliche Bestandteile dieses Forschungsvorhabens<br />
sind eine Reihe von geophysikalischen<br />
Traversen zu Land und zur See, die über die drei verschiedenen<br />
Typen von Kontinentalrändern des südlichen<br />
Afrikas hinweg durchgeführt werden.<br />
Abb. 2 zeigt, welche der Experimente bisher schon im<br />
Bereich von zwei Kontinentalrändern stattgefunden haben.<br />
1. Der westliche (oder Atlantische) Kontinentalrand von<br />
Südafrika ist ein klassischer vulkanischer passiver<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
49
50<br />
Kontinentalrand mit Grabenbildung, der mit der Entstehung<br />
der ~ 130 Millionen Jahre alten Flutbasalte<br />
der Paraná-Etendeka-Provinz verbunden ist, von<br />
Sequenzen seewärts geneigter Reflektoren geprägt ist<br />
und eine underplated ozeanische Kruste mit hohen<br />
seismischen Geschwindigkeiten aufweist (z. B. Bauer<br />
et al., 2000). Im Jahr 2003 wurden neue amphibische<br />
seismische Experimente über das Orange-Becken hinweg<br />
vermessen. Mit zwei jeweils 500 km langen Land-<br />
Seeprofilen wurde der gesamte Verlauf von den tiefen<br />
ozeanischen Becken bis in den stabilen Kontinent hinein<br />
aufgenommen. Bei den Seemessungen wurden<br />
Reflexions- und Refraktionsseismische Messungen<br />
mit mehr als 2.300 Airgun-Schüssen und sieben Ozeanboden-Hydrophonen<br />
(OBH) durchgeführt. Die<br />
refraktionsseismischen Experimente wurden landseitig<br />
mit jeweils 40 km langen Profilen fortgesetzt,<br />
wobei mit Drei-Komponenten-Seismometern registriert<br />
und an drei Stellen mit Bohrlochsprengungen<br />
angeregt wurde. Vorläufige Geschwindigkeitsmodelle<br />
weisen im Vergleich zu Modellen von Namibia auf<br />
eine deutlich geringer mächtige underplated ozeanische<br />
Kruste und niedrigere seismische Geschwindig-<br />
Abb. 2: Lage von zwei kombinierten Land/See-seismischen Reflexions-<br />
Refraktionsprofilen und MCS-Linien entlang der Westküste, sowie von zwei<br />
Profilen über den südlichen Kontinentalrand Südafrikas. Die Agulhas Karoo<br />
Geo-Traverse ist seeseitig ergänzt durch reflexionsseismische Untersuchungen<br />
im Transkei-Becken. Magnetotellurikdaten wurden entlang von<br />
zwei Landprofilen gewonnen. NNMB: Namaqua Natal Mobile Belt, CFB:<br />
Cape Fold Belt, BMA: Beatti-Magnetikanomalie.<br />
Locations of two onshore/offshore seismic refection/ refraction and MCS<br />
lines across the west coast of South Africa and two lines across the southern<br />
margin of South Africa. The Agulhas Karoo Geoscience Transect in the south<br />
is complemented with offshore seismic reflection investigation in the Transkei<br />
Basin. Magnetotelluric data were collected along two profiles on land.<br />
NNMB: Namaqua Natal Mobile Belt, CFB: Cape Fold Belt, BMA: Beattie<br />
Magnetic Anomaly.<br />
keiten hin. Dies könnte ein Hinweis auf einen verminderten<br />
Einfluss des Tristan/Walfisch-Rücken-Hotspots<br />
im Süden sein, allerdings steht dies im Widerspruch<br />
mit der in den südlichen Profilen gefundenen,<br />
unvermindert häufigen oder sogar größeren Anzahl<br />
von seewärts geneigten Reflektoren. Neue Datierungen<br />
magnetischer Anomalien entlang der Küste lassen<br />
auch darauf schließen, dass die vulkanische Aktivität<br />
im Süden wesentlich älter ist als in Namibia.<br />
2. Die Agulhas Karoo-Traverse über dem südlichen Kontinentalrand<br />
Südafrikas erstreckt sich vom ozeanischen<br />
Agulhas-Plateau, über die Agulhas-Falkland-<br />
Scherzone, die die scharfe Ozean-Kontinentgrenze<br />
dominiert, den Kontinentalhang und von dort über<br />
240 km landeinwärts, hinweg über den Cape Fold Belt<br />
und das Karoo-Becken mit dem darunter liegenden,<br />
eine Milliarde alten granitischen Grundgebirge. Diese<br />
Traverse schließt die Beattie-Magnetikanomalie – eine<br />
der weltweit größten terrestrischen magnetischen<br />
Anomalien – und die rätselhafte elektrische Leitfähigkeitsanomalie<br />
des südlichen Kaps (SCCB) ein. Im<br />
Jahr <strong>2004</strong> wurden in diesem Gebiet hoch auflösende<br />
Magnetotellurikdaten an 82 Stationen im<br />
Frequenzbereich zwischen 1.000 Hz und<br />
0,001 Hz mit einem mittleren Stationsabstand<br />
von zwei Kilometern ge-messen.<br />
Diese neuen Daten zeigen eine Zone stark<br />
erhöhter elektrischer Leitfähigkeit in<br />
einer Tiefe von 5 bis 10 Kilometern, die<br />
mit der Lage der Beattie-Magnetikanomalie<br />
überein zu stimmen scheint (Weckmann<br />
et al., <strong>2005</strong>). Im November <strong>2005</strong><br />
wurde dieses Profil nach Süden hin<br />
verlängert. Komplementäre seismische<br />
Daten, wurden in einem amphibischen<br />
Experiment entlang von zwei Refraktionsprofilen<br />
aufgenommen. Jedes der<br />
Profile war 240 km lang, bestand aus<br />
48 Dreikomponentenseismometern, und<br />
es wurden 13 Bohrlochsprengungen ausgelöst.<br />
Die seeseismischen Daten wurden<br />
in drei Profilen gewonnen, die in ein<br />
existierendes Reflexions-Refraktionsnetz<br />
(Abb. 2 Gohl und Günzelmann-Neben,<br />
2001) eingebunden waren. Für das 400 km<br />
lange Profil im Westen wurden, in Verlängerung<br />
des Landprofils, 20 Ozeanbodenseismometer<br />
(OBS) aufgestellt. Das<br />
östliche Profil war 700 km lang und es<br />
wurde mit 27 OBS registriert. Vorläufige<br />
Ergebnisse bestätigen eine hervorragende<br />
Qualität der Daten, mit der reflektierte<br />
Mantelphasen bis in eine Entfernung<br />
von 200 km aufgelöst werden können.<br />
Living Africa<br />
Living Africa besteht aus einer Reihe von<br />
integrierten Programmen, die darauf<br />
abzielen mit Ablagerungsmodellen die<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Entwicklung der Kontinentalränder des südlichen Afrikas<br />
nachzuverfolgen. Wesentliches Ziel ist es, Verbindungen<br />
herzustellen zwischen Sedimentation, Tektonik, Eustatik,<br />
organischer Reife, Erdölmigration, sowie Klimavariationen<br />
und Ozeanzirkulation. So werden Seesedimente des<br />
fossilen Tswaing-Meteoritenkraters auch unter Zuhilfenahme<br />
anderer Klimaindikatoren, wie etwa Höhlenspeleothemen,<br />
untersucht, um die kontinentale Klimageschichte<br />
in der südlichen Hemisphäre zu rekonstruieren.<br />
Das Projekt „Generierung, Migration und Sequestration<br />
von natürlichen Gasen“ zielt darauf ab, ein ganzheitliches,<br />
dynamisches Model für den Kohlenstoffkreislauf zu entwickeln,<br />
unter Einbeziehung von geodynamischen Änderungen,<br />
Ablagerungsmustern, organischer Sedimentation,<br />
Reifeprozessen, Genese und schließlich Entgasung zurück<br />
in die Atmosphäre und die Biosphäre. Aufbauend auf 3Dseismischen<br />
und Bohrloch-Daten war es möglich, dazu ein<br />
geologisches Model für den atlantischen Kontinentalrand<br />
von der Syn-Rift-Phase bis hin zur gegenwärtigen Kontinentalrandkonfiguration<br />
zu entwickeln. In Verbindung<br />
mit Wärmeflussdaten konnte daraus ein Modell für das<br />
Erdölsystem konstruiert werden, mit dem Genese, Reifung<br />
und Leckagen von Kohlenwasserstoffen vorhergesagt<br />
und getestet werden kann. Die Ergebnisse weisen auf<br />
rezente und fossile Gasleckage, die zum Beispiel durch<br />
tektonostratigraphische Strukturen kontrolliert werden<br />
(Abb. 3).<br />
Zwei komplementäre Projekte thematisieren eine großräumige<br />
Reorganisation von Meeresströmungen in den<br />
südlichen Ozeanen, die mit der Öffnung der Drake-Passage<br />
verbunden ist (Compton et al., <strong>2004</strong>). Chemo-Stratigraphische<br />
Untersuchungen (Projekt Neogene bis Quartäre<br />
Paleo-Ozeanographie) haben ergeben, dass seit dem<br />
späten Oligozän eine signifikante Aufwölbung<br />
entlang des atlantischen Kontinentalrandes<br />
stattgefunden hat, während<br />
seismische Stratigraphie und Sedimentuntersuchungen<br />
auf eine proto-antarktische<br />
Tiefenwasserströmung hinweisen,<br />
die auch im Oligozän aktiv war (Uenzelmann-Neben,<br />
2003). Darüber hinaus<br />
konnte eine westwärts gerichtete Verlagerung<br />
des Benguela-Stroms nachgewiesen<br />
werden (Weigelt and Uenzelmann-<br />
Neben, <strong>2004</strong>). Die Auswertung zehn-<br />
Abb. 3:A. Gasleckagen an tektonostratigraphischen<br />
Strukturen, Orange-<br />
Becken: B. Seismische Eigenschaften die<br />
zum Training eines neuronalen Netzwerks<br />
verwendet wurden: C. das trainierte<br />
neuronale Netzwerk erkennt feinste<br />
Leckagephänomene entlang des gleichen<br />
Profils.<br />
A. Gas seeps at stratigraphic pinch-outs,<br />
Orange Basin: B. seismic attributes used<br />
to train a neural network: C. the trained<br />
neural network recognises subtle seepage<br />
phenomena in the same profile.<br />
bzw. hundertjähriger Datensätze vom Kontinentalhang im<br />
Holozän können mit terrestrischen Mega-Flutereignissen,<br />
die in den Flußterassen des Orange River erhalten sind,<br />
korreliert werden. Im weiteren Verlauf des Projektes sollen<br />
diese Daten auch mit terrestrischen Niederschlagsmustern<br />
des südlichen Afrikas, die vom Monsun/ENSO 1 -<br />
Kreislauf und antarktischen Wasserumwälzungen gesteuert<br />
werden, mit hoch aufgelösten Klimadaten von Bohrlochkernen<br />
aus dem fossilen Tswaing-Meteoritenkratersee<br />
(Projekt: Niederschlagsmuster der Vergangenheit in Südafrika)<br />
verglichen werden. Weiterhin werden Biomarker<br />
benutzt, um ökologische Veränderungen zu modellieren.<br />
Zusammengenommen ergibt dieses Projekt die umfassendste<br />
Übersicht der historischen Klimaänderung in und<br />
um das südliche Afrika.<br />
Bildung und Öffentlichkeitsarbeit (Capacity Building<br />
and Outreach)<br />
Ein ganz wesentliches Ziel von Inkaba ye Africa ist es, die<br />
Schlüsselgebiete Forschung und Entwicklung in Afrika<br />
nachhaltig zu stärken und auszubauen. Die Gemeinschaft<br />
der Geowissenschaftler in Südafrika hat erst kürzlich<br />
demonstriert, dass sich der Stand von F&E in dieser<br />
Region Afrikas gerade durch langfristig angelegte internationale<br />
Kooperationen stark verbessern lässt (Tredoux<br />
and Webb, <strong>2004</strong>). Zusätzlich zu den integrierten Programmen<br />
für Studenten, die eng mit den Aktivitäten der<br />
Wissenschaftler in Inkaba ye Africa verknüpft sind, gibt<br />
es ein besonderes Projekt, in dem die Lehrinhalte speziell<br />
auf die Bedürfnisse der früher benachteiligten Studenten<br />
abgestimmt sind. Weitere Bestandteile dieser Initiative sind<br />
öffentliche Vorträge und spezielle Tage der offenen Tür.<br />
1 Ozeanisch-klimatisches Phänomen: El Nino/Southern Oscillation<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
51
52<br />
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structure dynamics of the geodynamo inferred from Oersted and MAGSAT satellite<br />
data. Nature, 416, 620-623.<br />
Tredoux, M. and S. Webb (<strong>2004</strong>), Research capacity building in Africa as part of<br />
international programmes: experience gained form the Kaapvaal Craton project,<br />
South African Journal of Geology, 107, 7-12.<br />
Uenzelmann-Neben, G. (2003). Contourites on the Agulhas Plateau, SW Indian<br />
Ocean: Indications for the evolutions of currents since Paleogene times, Stow, D.,<br />
Faugeres, J.-C., Howe, J.C., Pudsey, C. & Viana, A. (eds), Deep-water Contourite<br />
Systems: Modern Drifts and Ancient Series, Seismic and Sedimentary Characteristics.<br />
Geological Society,London, Memoir, 22, 271-288.<br />
Weckmann, U., Ritter, O., Jung, A., Branch, T. and de Wit, M., (<strong>2005</strong>). Magnetotelluric<br />
measurements across the Beattie magnetic anomaly and the Southern Cape<br />
Conductive Belt, South Africa, J. Geophys. Research (under review).<br />
Weigelt, E., Uenzelmann-Neben, G. (<strong>2004</strong>). Sediment deposits in the Cape Basin:<br />
Indications for shifting ocean currents? AAPG Bulletin, Vol. 88, No. 6, 765-780.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
CHAMP und GRACE – erfolgreiche Schwerefeldund<br />
Klimamissionen<br />
Frank Flechtner, Roland Schmidt, Markus Rothacher, Jens Wickert, Hermann Lühr<br />
With the CHAMP (Challenging Mini-satellite Payload) and GRACE (Gravity Recovery and Climate Experiment) satellite<br />
missions tremendous improvements in gravity field determination, but also in the field of atmospheric sounding<br />
and magnetic field mapping, have been achieved. By their outstanding instrumentation the Earth's gravity field model<br />
could be improved by a factor of 10 and, in the case of GRACE, by almost a factor of 100 compared to the best pre-<br />
CHAMP satellite-only model. GRACE allows for the first time to monitor the time variability of the gravity field on<br />
short time scales. These changes are due to seasonal and secular mass exchange between the oceans, the atmosphere<br />
and the solid Earth. The variations provide valuable knowledge about the dynamic processes in the Earth interior, the<br />
mass redistribution in the oceans or the change in ice coverage at the poles and in Greenland. Therefore, with GRACE,<br />
a detailed monitoring of how much water, ice and material is being moved within the Earth's system has become possible<br />
for the first time.<br />
On the following pages the status of the two missions and some outstanding results will be presented. Additional information<br />
on CHAMP and GRACE can be found in the <strong>GFZ</strong> reports 2000/01 and 2002/03.<br />
Mit den CHAMP- (Challenging Mini-Satellite Payload)<br />
und GRACE- (Gravity Recovery and Climate Experiment)<br />
Satellitenmissionen sind enorme Verbesserungen<br />
bei der Bestimmung des Erdschwerefeldes, aber auch bei<br />
der Sondierung der Atmosphäre sowie der Kartierung des<br />
Magnetfeldes erreicht worden. Durch ihre einzigartigen<br />
instrumentellen Ausstattungen konnte das Schwerefeld im<br />
Vergleich zu dem vor Beginn der CHAMP-Mission<br />
besten, rein aus Satellitendaten bestimmten Modell, um<br />
einen Faktor 10 bzw. im Falle GRACE bisher um das Hundertfache<br />
verbessert werden. Mit GRACE ist es zudem<br />
erstmals möglich geworden, die Variabilität des Schwerefeldes<br />
auf kurzen Zeitskalen zu beobachten. Diese Änderungen<br />
sind bedingt durch den saisonalen und langzeitlichen<br />
Massenaustausch zwischen den Ozeanen, der<br />
Atmosphäre und der festen Erde. Aus diesen zeitlichen<br />
Variationen kann man somit wertvolle Erkenntnisse über<br />
dynamische Vorgänge im Erdinneren, über die Umlagerung<br />
der Wassermassen in den Ozeanen oder die Veränderung<br />
der Eisbedeckung an den Polen oder in Grönland<br />
gewinnen. Somit lässt sich mit der GRACE-Mission erstmals<br />
im Detail beobachten, welche Mengen an Wasser,<br />
Eis und Materie im System Erde in Bewegung sind.<br />
Auf den folgenden Seiten werden der Stand der beiden<br />
Missionen sowie einige herausragende Ergebnisse dargestellt.<br />
Weitere Einzelheiten zu CHAMP und GRACE finden<br />
sich in den <strong>Zweijahresbericht</strong>en 2000/01 bzw. 2002/03<br />
des <strong>GFZ</strong> Potsdam.<br />
Die CHAMP-Mission<br />
Abb. 1: Die Geo-Satelliten CHAMP (links) und GRACE (rechts, Abb. Astrium)<br />
Geo-Satellites CHAMP (left) and GRACE (right)<br />
Der CHAMP-Satellit ist seit seinem Start am 15. Juli 2000<br />
nunmehr über 5 Jahre auf einer fast polaren Umlaufbahn<br />
im All und hat damit seine nominelle Lebensdauer bereits<br />
überschritten. Dies wurde durch ein zweimaliges Anheben<br />
des Orbits um je etwa 15 km im Jahr 2002 möglich<br />
(Abb. 2). Nach den momentanen Vorhersagen für die weitere<br />
Solaraktivität wird CHAMP, sofern keine weiteren<br />
Bahnkorrekturmanöver vorgenommen werden, etwa im<br />
Frühjahr 2008 in der Erdatmosphäre verglühen.<br />
Die Instrumente zur Schwerefeldbestimmung (GPS-<br />
BlackJack-Empfänger in Verbindung mit einer zenitorientierten<br />
Antenne, STAR-Akzelerometer, ASC Sternensensoren<br />
am Satellitenkörper und am Ausleger, Laser Retroreflektor),<br />
zur globalen Sondierung der vertikalen<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
53
54<br />
Abb. 2: Aktueller (grün) und vorherberechneter (rot, blau) Verlauf der Bahnhöhe<br />
von CHAMP.<br />
Experienced (green) and predicted (red, blue) orbit decay of CHAMP.<br />
Schichtung der Atmosphäre (GPS-BlackJack-Empfänger<br />
in Verbindung mit einer rückwärtsschauenden Antenne),<br />
zur Bestimmung von Ionendriftgeschwindigkeit, Elektronendichte<br />
und Temperatur entlang der CHAMP-Bahn<br />
(Langmuir-Sonde und Digitales Ionen-Driftmeter DIDM)<br />
sowie zur Berechnung hochaufgelöster Magnetfeldmodelle<br />
(Fluxgate und Overhauser Magnetometer) arbeiten<br />
nach wie vor ohne Probleme und liefern kontinuierlich<br />
hochpräzise Messdaten.<br />
Die Messdaten werden vom Bodensegment (siehe weiter<br />
unten) empfangen und am <strong>GFZ</strong> Potsdam zu höherwertigen<br />
Produkten verarbeitet. Zur Nutzung der Zustandsgrößen<br />
in den Troposphären- und Stratosphärenschichten<br />
wie Temperatur oder Wasserdampfgehalt<br />
im Rahmen der Assimilation in Wettervorhersagemodellen<br />
müssen diese Produkte<br />
innerhalb von maximal 3 Stunden<br />
bereitgestellt werden. Aus diesem Grunde<br />
wurde vom GeoForschungsZentrum in<br />
Zusammenarbeit mit dem DLR eine weitere<br />
Empfangstation in Ny Ålesund auf<br />
Spitzbergen aufgebaut und in Betrieb<br />
genommen. Somit liegen die GPS-Messdaten<br />
zur Atmosphärensondierung spätestens<br />
nach einem Umlauf von CHAMP<br />
um die Erde, d.h. jeweils nach etwa<br />
100 Minuten vor und können in der verbleibenden<br />
Zeit weiter aufbereitet werden.<br />
Einige Beispiele hierzu sowie zur<br />
Magnetfeldbestimmung mit CHAMP-<br />
Beobachtungen finden sich weiter unten<br />
sowie im Beitrag des Department 1 im<br />
vorliegenden Berichtsband. Die sehr<br />
guten Ergebnisse im Rahmen der Schwerefeldbestimmung<br />
werden natürlich in<br />
der Zwischenzeit durch die Nachfolgemission<br />
GRACE in den Schatten<br />
gestellt. Dessen ungeachtet liefert<br />
CHAMP einen wichtigen Anteil bei<br />
der Betstimmung des hochauflösenden<br />
Schwerefeldes und kann auch dazu dienen,<br />
GRACE-Schwerefelder in Zeiten<br />
von Satellitenbahnwiederholungszyklen<br />
zu stützen.<br />
Die GRACE-Mission<br />
GRACE ist eine amerikanisch-deutsche<br />
Satellitenmission zur Beobachtung des<br />
Schwerefeldes und seiner zeitlichen<br />
Änderungen sowie zur Sondierung der<br />
Atmosphäre mit GPS-Radiookkultationsmessungen<br />
über einen Zeitraum von<br />
mindestens 5 Jahren. Dabei umkreisen<br />
zwei baugleiche Satelliten die Erde auf<br />
nahezu polaren Bahnen in niedriger Höhe<br />
und messen ihren gegenseitigen Abstand<br />
und dessen Änderung mit extrem hoher<br />
Genauigkeit. Die daraus abgeleiteten<br />
Schwerefeldvariationen sind ein Maß für<br />
alle Massenänderungen im System Erde. Somit können<br />
Veränderungen in den Oberflächen- und Tiefenströmungen<br />
der Ozeane, Änderungen in der kontinentalen Wasserspeicherung,<br />
der Eismassenhaushalt oder großräumige<br />
Deformationen und Massenbewegungen an der Erdoberfläche<br />
und im Erdinneren erstmals auf globaler Skala<br />
über längere Zeiträume beobachtet werden. Damit liefert<br />
die GRACE-Mission wichtige Ergebnisse zur Erdsystemforschung.<br />
Die von den beteiligten Wissenschaftlern so getauften<br />
Zwillingssatelliten „Tom“ und „Jerry“ wurden am 17. März<br />
2002 vom nord-russischen Weltraumbahnhof Plesetsk mit<br />
einer Rakete vom Typ „ROCKOT“ gestartet. Seither haben<br />
Abb. 3: Abstand der beiden GRACE-Satelliten [m] während des Austauschmanövers<br />
Mitte Dezember <strong>2005</strong> (http://www.csr.utexas.edu/grace/operations).<br />
Distance between the two GRACE satellites [m] during the switch manoeuvre<br />
mid December <strong>2005</strong> (http://www.csr.utexas.edu/grace/operations).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
sie bereits mehr als 21000-mal die Erde umkreist. Die<br />
Anfangsflughöhe von 500 km ist durch nur geringe Sonnenaktivität<br />
bis Ende <strong>2005</strong> auf 473 km abgesunken,<br />
wodurch sich auch die Sensitivität zur Schwerefeldbestimmung<br />
leicht erhöht hat. Um einer Alterung der Antenne<br />
des K-Band-Mikrowellenentfernungsmessgerätes durch<br />
Restmoleküle in der oberen Atmosphäre zu minimieren,<br />
wurden im Dezember <strong>2005</strong> die beiden Satelliten wie<br />
geplant nach etwa der Hälfte der Missionsdauer ausgetauscht.<br />
Dieses gewagte Manöver (Abb. 3) verlief ohne<br />
Zwischenfälle, wobei der kleinste Abstand der Satelliten<br />
am 10. Dezember <strong>2005</strong> lediglich 400 m betrug. Seitdem<br />
fliegt „Jerry“ vorneweg und durch seine Drehung um 180<br />
Grad in Richtung „Tom“ befindet sich nun seine K-Band<br />
Antenne im „Windschatten“.<br />
Die wissenschaftlichen Instrumente an Bord der Satelliten<br />
arbeiten ohne Probleme und liefern bislang bis auf<br />
wenige Ausnahmen kontinuierlich Messdaten.<br />
Das zentrale Beobachtungsgerät zur Positionierung der<br />
Satelliten und zur Durchführung der Radiookkultationsmessungen<br />
ist der sich auch bei CHAMP im Einsatz befindende<br />
GPS-BlackJack-Empfänger. Während die Positionsmessungen<br />
seit Beginn der Mission als unbedingt<br />
notwendige Beobachtungen zur Schwerefeldbestimmung<br />
durchgeführt werden, wurden die Radiookkultationsmessungen<br />
bisher nur experimentell für einige Tage, aber sehr<br />
erfolgreich, aktiviert.<br />
Das Instrument, das die extrem genaue Schwerefeldbestimmung<br />
von GRACE erst ermöglicht, ist das von<br />
NASA/JPL bereitgestellte Zweifrequenz-K-band-Entfernungsmesssystem<br />
(HAIRS). Mit diesem Gerät kann man<br />
den Abstand und die Abstandsänderungen der beiden<br />
Satelliten genauer als 10 m bzw. 1 m/s beobachten. Diese<br />
beiden Messgrößen stellen ein Maß für Massenvariationen<br />
und damit Schwereänderungen unterhalb der Flugbahn<br />
der beiden Satelliten dar.<br />
Das SuperSTAR-Akzelerometer, eine Weiterentwicklung<br />
des bei CHAMP bereits erfolgreich eingesetzten elektrostatischen,<br />
dreiachsigen STAR-Akzelerometers, misst<br />
die kontinuierlich auf den Satelliten wirkende, nicht-gravitative<br />
Störbeschleunigung von bis zu 10 -4 m/s 2 mit einer<br />
Auflösung von 10 -10 m/s 2 . Damit ist es um eine Größenordnung<br />
genauer als das STAR-Gerät. Es arbeitet in allen<br />
drei Achsen im Rahmen der Spezifikationen und liefert<br />
damit wichtige Messdaten zur Trennung der nicht-gravitativen<br />
Beschleunigungen von den Gravitationsbeschleunigungen.<br />
Beide Satelliten tragen außerdem jeweils zwei Sternensensoren.<br />
Diese dienen dazu, die Lage der Satelliten in<br />
einem Quasi-Inertialsystem zu bestimmen und über das<br />
bordseitige Lageregelungssystem die Satelliten in einer<br />
definierten Ausrichtung zueinander und zur Erde zu halten.<br />
Diese Information wird einerseits dazu benötigt, um<br />
die K-Band-Beobachtungen optimal, d. h. ohne Leistungsverlust,<br />
zu ermöglichen, andererseits müssen die<br />
Beobachtungen der Beschleunigungsmesser aus dem<br />
Instrumenten- in das Bahnkoordinatensystem transformiert<br />
werden.<br />
Schließlich befindet sich auf beiden Satelliten jeweils ein<br />
vom <strong>GFZ</strong> Potsdam entwickelter und gebauter, sehr kompakter<br />
und aus vier Prismen bestehender Laser-Retro-<br />
Reflektor (LRR). Dieser ist, wie sein baugleicher<br />
CHAMP-LRR, sowohl für Nacht- als auch für Tageslichtbedingungen<br />
geeignet. Das Bodenstationsnetz des<br />
Internationalen Laserdienstes (ILRS) liefert zu beiden<br />
Satelliten etwa 3 bis 4 Passagen täglich. Da die Einzelschussgenauigkeit<br />
einiger Stationen nur wenige mm<br />
beträgt, stellen die SLR-Beobachtungen eine sehr gute<br />
unabhängige Messgröße dar, die regelmäßig zu Validations-<br />
und Kalibrationszwecken im Rahmen der GRACE-<br />
Bahnbestimmung herangezogen werden.<br />
Das CHAMP- und GRACE-Bodensegement<br />
Die CHAMP- und GRACE-Bodensegmente bestehen<br />
prinzipiell aus folgenden Komponenten:<br />
• dem vom Deutschen Raumfahrt-Kontrollzentrum des<br />
DLR in Oberpfaffenhofen betriebenen Mission Operation<br />
System (MOS), das für die laufende Überwachung<br />
der Satellitenfunktionen, den Betrieb der<br />
Sende- und Empfangsanlagen in Weilheim und Neustrelitz,<br />
für die Übermittlung von Kommandos, Kontroll-<br />
und Instrumentendaten und den Betrieb des Rohdatenzentrums<br />
zuständig ist,<br />
• einer vom <strong>GFZ</strong> betriebenen zusätzlichen polaren Empfangsstation<br />
in Ny Ålesund auf Spitzbergen, bestehend<br />
aus zwei unabhängigen Antennen und Empfängern, die<br />
den gleichzeitigen Empfang der beiden GRACE- oder<br />
der CHAMP-GRACE-Messdaten bei fast jedem Umlauf<br />
der Satelliten und damit die Auswertung der Okkultationsdaten<br />
in quasi Echtzeit sowie die kontinuierliche<br />
Überwachung der Satelliten ermöglichen (Abb. 4),<br />
• einem von <strong>GFZ</strong>, JPL und dem Internationalen GNSS<br />
Service (IGS) bereitgestellten globalen Netz von GPS-<br />
Stationen mit schneller Verfügbarkeit hochratiger Daten<br />
für die schnelle Bahnbestimmung der GPS-Sendersatelliten<br />
und für die Auswertung der Radiookkultationen,<br />
• einem vom Internationalen Laser Ranging Service<br />
(ILRS) koordinierten Netz von Laserstationen zur<br />
Gewinnung von Präzisionsentfernungsmessungen<br />
zum Laserreflektor für die Bahnbestimmung bzw. zur<br />
unabhängigen Bahnkontrolle,<br />
• einem vom <strong>GFZ</strong> Potsdam allein (CHAMP) und in<br />
einem Gemeinschaftsprojekt (GRACE) zwischen dem<br />
Jet Propulsion Laboratory (JPL), dem Zentrum für<br />
Weltraumforschung der Universität Texas (UTCSR)<br />
und dem <strong>GFZ</strong> entwickelten und betriebenen Wissenschaftsdatensystem<br />
zur Prozessierung der am Datenzentrum<br />
bereitgestellten Rohdaten zu höherwertigen<br />
Instrumentendaten, Schwerefeld- und Okkultationsprodukten<br />
bzw. Magnetfeldinformationen. Diese Produkte<br />
stehen dann über das Information System and<br />
Data Center (ISDC) sowie zusätzlich bei GRACE am<br />
Physical Oceanography Distributed Active Archive<br />
Center (PO.DAAC) den Nutzern zur Verfügung.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
55
56<br />
Abb. 4: Aufbau der zweiten Antenne der <strong>GFZ</strong>/DLR-Multisatelliten-Empfangsstation<br />
in Ny Ålesund im Herbst<br />
<strong>2005</strong> (Foto C. Falck, <strong>GFZ</strong>).<br />
Set-up of the second antennae of the <strong>GFZ</strong>/DLR multi-satellite<br />
receiving station in Ny Ålesund in autumn <strong>2005</strong>.<br />
Das Schwerefeld der Erde und dessen zeitliche<br />
Variation<br />
Aus den Entfernungsbeobachtungen der CHAMP- und<br />
GRACE-Missionen zu hochfliegenden GPS-Satelliten<br />
und insbesondere durch die Abstandsvariationen zwischen<br />
den beiden GRACE-Zwillingssatelliten wird das<br />
Schwerefeld der Erde mit nie da gewesener Genauigkeit<br />
und erstmals auch dessen zeitliche Variation bestimmt.<br />
Damit hat ein neues Zeitalter der Schwerefeldbestimmung<br />
begonnen, da man jetzt geophysikalische und klimatologisch<br />
angetriebene Massenverlagerungen in der Hydrosphäre,<br />
der Kryosphäre, den Ozeanen und der festen Erde<br />
bilanzieren kann. Dadurch trägt die Schwerefeldkomponente<br />
der beiden Missionen, neben der Sondierung der<br />
Atmosphäre und der Bestimmung des Erdmagnetfeldes,<br />
wesentlich zur globalen Klimaforschung bei.<br />
Globale Schwerefeldmodelle<br />
Die Standards und Korrekturmodelle für die CHAMPund<br />
GRACE-Schwerefeldprozessierung wurden inner-<br />
halb der wissenschaftlichen Prozessierungssysteme<br />
immer wieder verbessert und erweitert. Zu erwähnen<br />
sind die<br />
• Nutzung eines verbesserten Modells zur Berücksichtigung<br />
von Kurzzeitmassenvariationen in der<br />
Atmosphäre und in den Ozeanen. Hier wird nun statt<br />
des vereinfachenden barotropen Modells, das zusätzlich<br />
Lücken an den Polen aufweist, ein globales baroklines<br />
Modell, das durch die TU Dresden bereitgestellt<br />
wird, verwendet;<br />
• verbesserte Bestimmung der Mehrdeutigkeiten der<br />
GPS-Beobachtungen. Dies führt insbesondere zu<br />
genaueren GPS-Bahnen und -Uhrenparametern, die<br />
damit einen verbesserten Referenzrahmen für die Auswertung<br />
der CHAMP- und GRACE-Satelliten darstellen;<br />
• Auswertung der Instrumentendaten in kürzeren Zeitintervallen<br />
(Tageslösungen);<br />
• Verwendung des am <strong>GFZ</strong> Potsdam berechneten<br />
EIGEN-CG03C-Kombinationsschwerefeldes als verbessertes<br />
Näherungsmodell.<br />
Auf dieser Basis wurde fast die komplette GRACE-Mission<br />
neu ausgewertet. Die daraus abgeleitete Schwerefeldserie<br />
EIGEN-GRACE04S in Form von monatlichen<br />
Modellen sowie einem daraus gemittelten statischen<br />
Modell (entwickelt bis Grad und Ordnung 120) zeigt dabei<br />
im kurz- und mittelwelligen Bereich eine etwa 25 – 30 %<br />
bessere Anpassung an externe Vergleichsdaten (Schwereanomalien<br />
oder das aus Altimeterdaten bestimmte ozeanische<br />
Geoid) als die vorherige in <strong>2004</strong> gerechnete Serie<br />
EIGEN-GRACE03S. Unrealistische Signale auf den Ozeanen<br />
(Abb. 5a, b) sind in der neuen Lösung deutlich reduziert<br />
oder nicht mehr vorhanden. Weiterhin kann man nun<br />
alle niederen Grade der Schwerefeldlösungen benutzen,<br />
da diese Terme im Gegensatz zu bisherigen Lösungen nun<br />
sehr realistische Werte annehmen. Dies wird insbesondere<br />
bei dem die Erdabplattung beschreibenden C 20-Koeffizienten<br />
sichtbar (Abb. 6), der unabhängig aus Laser-Entfernungsmessungen<br />
zum hochfliegenden Lageos-Satelliten<br />
abgeleitet wurde.<br />
Abb. 5a, b: Geoidänderung in [mm] zwischen Mai und August 2003, berechnet aus EIGEN-GRACE03S (links) und<br />
EIGEN-GRACE04S (rechts) und dargestellt als räumliche Mittelwerte (Gauss-Filter mit einer Länge des Filterradius<br />
von 500 km). Eingekreist sind bisher unrealistische Signale über den Ozeanen.<br />
Geoid variations [mm] between May and August 2003 calculated from EIGEN-GRACE03C (left) and EIGEN-<br />
GRACE04S (right), shown as spatial mean values calculated with a Gaussian filter with a filter radius length of 500<br />
km. So far unrealistic signals over the oceans are encircled.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 6: C 20-Variation abgeleitet aus monatlichen EIGEN-GRACE04S-<br />
Schwerefeldern und 14-tägigen Werten aus LAGEOS Satellite Laser Ranging-Daten.<br />
C 20 variations derived from monthly EIGEN-GRACE04S gravity fields and<br />
bi-weekly values derived from LAGEOS satellite laser ranging data.<br />
Analog wurden die CHAMP-Schwerefelder mit den<br />
GRACE-Auswertestandards bis zu Grad und Ordnung 60<br />
monatsweise über einen Zeitraum von fünf Jahren neu<br />
berechnet und anschließend jeweils drei Monate als gleitendes<br />
Mittel kombiniert. Die Güte dieser neuen Zeitreihe<br />
EIGEN-CHAMP04S zeigt sich in der hohen Korrelation<br />
vieler Kugelfunktionskoeffizienten mit denen der<br />
GRACE-Lösung. Obwohl mit CHAMP insgesamt nur<br />
eine geringere räumliche und zeitliche Auflösung des zeitvariablen<br />
Schwerefeldes als mit GRACE erreicht werden<br />
kann, dienen die CHAMP-Ergebnisse vor allem zur Verlängerung<br />
der Zeitreihen der GRACE-Mission. Ähnliches<br />
gilt für die Prozessierung des Lageos-Satelliten, dessen<br />
über 20 Jahre ausgedehnte Zeitreihe insbesondere Schwerefeldkoeffizienten<br />
beschreibt, die in einem direkten Zusammenhang<br />
mit der Lage des Massenzentrums und den<br />
Hauptträgheitsachsen der Erde stehen. Ziel der weiteren<br />
Arbeiten wird es daher auch sein, die<br />
Kombination der verschiedenen Satellitenmissionen<br />
zu untersuchen, um mögliche<br />
Synergieeffekte für die Erstellung<br />
möglichst langer konsistenter Zeitreihen<br />
als Grundlage für die geowissenschaftlichen<br />
Anwendungen zu schaffen.<br />
Räumlich hochauflösendes statisches<br />
Schwerefeld<br />
Aus den neuen Schwerefeldlösungen EI-<br />
GEN-CHAMP04S, EIGEN-GRACE04S<br />
und Lageos-SLR-Beobachtungen (Satellite<br />
Laser Ranging) sowie reprozessierten<br />
hochaufgelösten terrestrischen Schwerefeldinformationen<br />
wurde begonnen, ein<br />
neues Kombinationsschwerefeldmodell<br />
EIGEN-CGS04C zu berechnen. Die Oberflächenschweredaten<br />
stammen dabei aus<br />
der Satellitenaltimetrie über den Weltmeeren,<br />
wo das <strong>GFZ</strong> Potsdam ein neues<br />
ozeanisches Geoid (Näheres dazu im<br />
Bericht des Dep. 1 in diesem Band) berechnet<br />
hat, und gravimetrisch bestimmten Schwereinformationen<br />
über Land. Von der Kombination mit dem hochfliegenden<br />
Lageos-Satelliten wird insbesondere eine Stabilisierung<br />
der langwelligen Anteile des Schwerefeldes<br />
erwartet. Aus diesem hochauflösenden Schwerefeld kann<br />
man topographisch-geophysikalische Strukturen wie<br />
Anden, Himalaja, nordatlantischer Rücken (positive<br />
Anomalien) oder Tiefseegräben am Rande des Nordwestpazifiks<br />
oder an der Westküste Südamerikas (negative<br />
Anomalien) bis hinab zu etwa 50 km (halbe Wellenlänge)<br />
gut erkennen (Abb. 8). Da das Schwerefeld an der Erdoberfläche<br />
ein Summensignal der Dichteverteilung über<br />
den gesamten Erdkörper darstellt, sind für eine weitere,<br />
tiefer gehende Interpretation der geophysikalischer Strukturen<br />
und Prozesse dreidimensionale seismologische<br />
Tomografie-Modelle (siehe Detailbericht des Dep. 1)<br />
notwendig.<br />
Abb.7a,b:Korrelationsmatrix für EIGEN-CHAMP04S- und EIGEN-GRACE04S-Kugelfunktionskoeffizienten Cnm ,dargestellt<br />
bis Grad und Ordnung 10 (links) und beispielhaft der Koeffizient C44 (rechts).<br />
Correlation matrix for EIGEN-CHAMP04S and EIGEN-GRACE04S spherical harmonic coefficients Cnm, up to degree<br />
and order 10 (left) and exemplified the coefficient C44 (right).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
57
58<br />
Abb. 8: Geographische Verteilung der Schwereanomalien (bezogen auf die<br />
ellipsoidische Normalschwere in Einheiten mgal = 10 –5 m/s 2 ~10 –6 g) des<br />
Kombinationsschwerefeldes EIGEN-CG03C (rechts) und des vorläufigen<br />
Kombinationsmodells EIGEN-CG04C (links). Man erkennt im Schwerefeldmodell<br />
bereits die reduzierte Streifigkeit (fehlerhafte Abbildung der Satellitenbahnen)<br />
sowie die erhöhte Auflösung.<br />
Geographic distribution of gravity anomalies (referring to ellipsoidal mean<br />
gravity in mgal = 10 –5 m/s 2 ~10 –6 g) of the EIGEN-CG03C (right) and the<br />
preliminary EIGEN-CG04C (left) combination gravity field. Both the reduced<br />
striping (deficient depiction of satellite orbits) and the increased resolution<br />
are visible in the gravity field model.<br />
Zeitvariabilität des Schwerefeldes<br />
Da die Bodenspuren der GRACE-Satellitenbahnen sich<br />
prinzipiell nicht wiederholen und die Bahnen und der relative<br />
Abstand der Satelliten kontinuierlich mittels K-Band<br />
hochpräzise vermessen werden, ist es erstmals möglich,<br />
Schwerefelder höchster Genauigkeit über einen relativ<br />
kurzen Zeitraum von einem Monat zu bestimmen und<br />
damit die Variabilität des Schwerefeldes zu beobachten.<br />
Diese Änderungen sind bedingt durch den saisonalen oder<br />
langzeitlichen Massenaustausch zwischen den Ozeanen,<br />
der Atmosphäre und der festen Erde. Aus diesen zeitlichen<br />
Variationen kann man somit wertvolle Erkenntnisse über<br />
dynamische Vorgänge im Erdinneren, über die Umlagerung<br />
der Wassermassen in den Ozeanen oder die Veränderung<br />
der Eisbedeckung an den Polen oder in Grönland<br />
gewinnen.<br />
Das Potential der neuen EIGEN-<br />
GRACE04S-Schwerefeldlösungen zur<br />
Beobachtung von Massenvariationen zeigt<br />
sich beispielsweise im Vergleich mit der<br />
aus dem WaterGap Hydrological Model<br />
(WGHM) abgeleiteten Variation des kontinentalen<br />
Wasserhaushalts. Da bei der<br />
Prozessierung bekannte kurzzeitige Variationen<br />
(bedingt durch Ozean- und Erdgezeiten<br />
sowie Massenverlagerungen in<br />
der Atmosphäre und den Ozeanen) bereits<br />
korrigiert wurden, sollte die Differenz<br />
zweier derart bestimmter monatlicher<br />
Schwerefelder mit der Differenz des<br />
hydrologischen Signals in guter Näherung<br />
übereinstimmen. Abbildung 9 a, b zeigt<br />
die Differenzen zwischen zwei monatlichen<br />
GRACE-Schwerefeldern und den<br />
entsprechenden Differenzen des WGHM-<br />
Modells. Man sieht das hohe Maß an<br />
räumlicher Übereinstimmung insbesondere<br />
in den Gebieten mit einem großen<br />
hydrologischen Signal (Amazonas, Kongo,<br />
Ob, etc.). Wertet man die ganzen vorhandenen<br />
Schwerefeld- und WGHM-Zeitreihen<br />
aus, indem man Beckenmittelwerte<br />
für alle großen Wasserreservoirs berechnet, zeigt sich,<br />
dass für die meisten Wasserreservoirs im Jahreszyklus die<br />
Phasen gut übereinstimmen, GRACE dagegen fast immer<br />
größere Amplituden wiedergibt (Abb. 10a, b). Dies könnte<br />
in nicht ausreichend modellierten Anteilen (Grundwasser,<br />
Schneebedeckung, etc.) im WGHM liegen.<br />
Ein weiteres Potential der GRACE-Mission ist, den Ozeanbodendruck<br />
zu bestimmen, der ein Maß für die Tiefseeströmungen<br />
ist. Erste Analysen mit EIGEN-GRACE03S<br />
(Kanzow et al., <strong>2005</strong>) und EIGEN-GRACE04S haben hier<br />
schon eine hohe Korrelation, allerdings bisher nur auf großräumigen<br />
Skalen, festgestellt (Abb. 11). Da das Ozeanbodendrucksignal<br />
im Gegensatz zur kontinentalen Hydrologie<br />
eine nur sehr kleine Amplitude hat, wird dessen Bestimmung<br />
eine der Herausforderungen bei den künftigen<br />
Schwerefeldberechnungen und Auswertungen sein.<br />
Abb. 9a, b: Differenzen zwischen den monatlichen (August 2003 minus Mai 2003) GRACE-Schwerefeldern (links) und<br />
den entsprechenden Differenzen des WGHM-Modells (rechts) in Form von Geoidhöhen in [mm]. Räumliche Mittelung<br />
wie in Abb. 5a, b.<br />
Differences between the monthly (August 2003 minus May 2003) GRACE gravity fields (left) and the corresponding<br />
differences of the WGHM model (right) in terms of geoid heights [mm]. Spatial mean as in Fig.5.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 10a, b: Zeitserie der Beckenmittelwerte für Amazonas (links) und Ganges (rechts) (in Einheiten äquivalenter Wassersäule<br />
in mm).<br />
Time series of mean basin values for Amazon (left) and Ganges (right) (in units of equivalent water column in [mm]).<br />
Abb. 11: Zeitserie des aus EIGEN-GRACE04S abgeleiteten Ozeanbodendrucks<br />
(in mbar), gemittelt für den Nordatlantik und geglättet mit einem<br />
1000 km- sowie 2500 km-Gauss-Filter, sowie das entsprechende Signal aus<br />
dem ECCO-Ozeanmodel.<br />
Time series of ocean bottom pressure derived from EIGEN-GRACE04S data<br />
[mbar], averaged for the North Atlantic and smoothed with a 1000 km and<br />
a 2500 km Gaussian filter, and the corresponding signal derived from the<br />
ECCO ocean model.<br />
Globale und präzise GPS-Atmosphärensondierung<br />
Seit Februar 2001 werden an Bord des CHAMP-Satelliten<br />
GPS-Radiookkultationsmessungen aufgezeichnet.<br />
Mit dieser innovativen Fernerkundungsmethode können<br />
präzise Informationen über die Vertikalstruktur der Erdatmosphäre<br />
(Luftdruck, Temperatur und Wasserdampf) im<br />
globalen Maßstab abgeleitet werden.<br />
Bis Ende <strong>2005</strong> sind nahezu 400.000 Messungen durchgeführt<br />
worden. Dieser in seiner Länge und Qualität weltweit<br />
einzigartiger Datensatz hat wesentlich zur Weiter-<br />
entwicklung der noch relativ jungen GPS-<br />
Fernerkundungsmethode beigetragen.<br />
Weiterhin wurde durch eine Vielzahl<br />
internationaler Forschungsgruppen mit<br />
den vom <strong>GFZ</strong> Potsdam bereitgestellten<br />
Daten Studien zur Verbesserung globaler<br />
Wettervorhersagen, zur Untersuchung<br />
klimatologischer Veränderungen der Erdatmosphäre<br />
und zur Untersuchung unterschiedlichster<br />
atmosphärischer Phänomene<br />
durchgeführt. Als Beispiel zeigt<br />
Abb. 12 die globale Verteilung von Tropopausenparametern,<br />
deren Veränderung<br />
in direktem Zusammenhang mit klimatischen<br />
Veränderungen (Erwärmung, Abkühlung)<br />
steht. Das <strong>GFZ</strong> Potsdam konnte<br />
auch die Bereitstellung der CHAMP-<br />
Daten mit sehr kurzer Zeitverzögerung<br />
(zwei Stunden) zwischen Messung und<br />
Verfügbarkeit der atmosphärischen Parameter<br />
demonstrieren, eine wesentliche<br />
Voraussetzung für die Verbesserung der<br />
Wettervorhersage.<br />
Beide GRACE-Satelliten verfügen, analog<br />
zu CHAMP, über die Voraussetzungen<br />
zur Aufzeichnung von GPS-Radiookkultationsdaten.<br />
Erste Messungen wurden Mitte <strong>2004</strong> auf<br />
GRACE-B durchgeführt (Abb. 13) und wiesen eine mit<br />
CHAMP vergleichbare Qualität auf. Zusammen mit<br />
CHAMP wurden mehr als 300 Vertikalprofile täglich<br />
gemessen. Verbesserte Charakteristika der Satellitenuhr<br />
an Bord von GRACE im Vergleich zu CHAMP führte<br />
weiterhin dazu, dass erstmals eine vereinfachende Methode<br />
(differenzenlose GPS-Prozessierung) zur Auswertung<br />
der GPS-Daten angewendet werden konnte. Durch den<br />
Verzicht auf zusätzliche Daten führt dieses Verfahren zu<br />
einer deutlichen Reduzierung der Anforderungen an Infrastruktur<br />
und Auswertung von GRACE und auch zukünftiger<br />
Satellitenmissionen mit GPS-Radiookkultation.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
59
60<br />
Abb. 12: Mittlere globale Tropopausentemperatur (links) und -höhe (rechts), abgeleitet aus ca. 250.000 CHAMP-Okkultationsmessungen<br />
zwischen Mai 2001 und Dezember <strong>2005</strong>. Zeitliche Veränderungen dieser Tropopausenparameter sind<br />
Indikatoren für Klimaänderungen. Eine globale Erwärmung hat u.a. eine im Mittel größere Tropopausenhöhe (Ausdehnung<br />
der Troposphäre) zur Folge.<br />
Mean global tropopause temperatures (left) and height (right), derived from approximately 250,000 CHAMP occultation<br />
measurements between May 2001 and December <strong>2005</strong>. Temporal variations of these tropopause parameters are<br />
indicators for climate change. Global warming leads, among others, to an (on an average) increased tropopause height<br />
(expansion of tropopause).<br />
Abb. 13: Geografische Verteilung der ersten GPS-Okkultationsmessungen<br />
von GRACE-B (120; rote Punkte) ergänzt<br />
durch die Orte der CHAMP-Messungen (218, schwarze<br />
Kreuze) zwischen dem 28. (06:00 UTC) und 29. Juli (07:00<br />
UTC) <strong>2004</strong>.<br />
Geographic distribution of the first GPS occultation measurements<br />
performed by GRACE-B (120; red dots), supplemented<br />
by the locations of the CHAMP measurements<br />
(218; black crosses) between July 28 (06:00 UTC) and<br />
29 (07:00 UTC) <strong>2004</strong>.<br />
Auf CHAMP-Daten basierende hochaufgelöste<br />
Magnetfeldmodelle<br />
Ein weiteres Missionsziel von CHAMP ist die hochauflösende<br />
Vermessung des geomagnetischen Feldes. Nach<br />
einer kontinuierlichen Messphase von über fünf Jahren<br />
kann diese Aufgabe mit zunehmender Präzision erfüllt<br />
werden. Maßgeblich hierfür ist eine konstruktive Überlagerung<br />
von mehreren günstigen Umständen.<br />
Zum einen haben wir eine kontinuierlich länger werdende<br />
Datenreihe. Diese erlaubt es, die Feldverteilung immer<br />
genauer zu bestimmen. Es nimmt aber nicht nur die Datenmenge<br />
zu, sondern auch ihre Qualität. Dies ist zum ei-<br />
nen bedingt durch die abnehmende Bahnhöhe. CHAMP<br />
nähert sich immer mehr dem Messobjekt Erde und registriert<br />
damit mehr Details. Zum anderen befinden wir uns<br />
zurzeit in der abklingenden Phase des solaren Aktivitätszyklus’.<br />
Damit nehmen auch die Störungen der Magnetfeldmessungen<br />
durch Ströme in der Ionosphäre und Magnetosphäre<br />
ab. Diese positive Entwicklung hat dazu<br />
geführt, dass CHAMP jetzt Magnetfeldmessungen mit<br />
bisher nicht erreichter Auflösung ausführt.<br />
Basierend auf den ausgezeichneten Daten konnten einige<br />
bedeutende Ergebnisse erzielt werden. Vor allem seien hier<br />
die hochauflösenden Modelle des Erdfeldes erwähnt. Spezielle<br />
Anstrengungen wurden in die kontinuierliche<br />
Weiterentwickelung der Modellreihe „POtsdam Magnetic<br />
Model of the Earth“ (POMME) investiert. Die aktuelle<br />
Version des Modells, POMME 2, ist mit einem vergleichsweise<br />
großen Gewicht (50 %) in das von der IAGA<br />
herausgegebene „International Geomagnetic Reference<br />
Field“ (IGRF-<strong>2005</strong>) eingeflossen (Maus et al., <strong>2005</strong>).<br />
Wesentliche Verbesserungen in der Beschreibung des<br />
magnetischen Hauptfeldes waren möglich, nachdem ein<br />
neuer Ansatz für die Charakterisierung der äußeren Magnetfelder<br />
eingeführt wurde. Die wesentliche Änderung<br />
gegenüber früheren Ansätzen besteht darin, dass die parasitären,<br />
äußeren Felder nicht mehr im erdfesten System<br />
betrachtet werden, sondern in einem Koordinatensystem,<br />
das der Geometrie der magnetosphärischen Ströme angepasst<br />
ist. In diesem durch die Wechselwirkung von Sonnenwind<br />
und Erdmagnetfeld festgelegten Rahmen lassen<br />
sich die Effekte der Ströme mit wenigen Koeffizienten viel<br />
genauer beschreiben (Maus und Lühr, <strong>2005</strong>).<br />
Unter Berücksichtigung aller bekannten magnetischen<br />
Störeinflüsse, ionosphärischen Effekte, magnetosphärischen<br />
Ströme, Induktion im Erdinneren, magnetischen<br />
Signaturen der Ozeanströmung, wurde das Modell<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 14: Zwei Ausschnitte aus der Karte der Krustenmagnetisierung von CHAMP. Bei der erzielten Auflösung werden<br />
über die magnetischen Signaturen großräumige geologische Strukturen sichtbar. Im amerikanischen Sektor ist z. B. das<br />
Eisenerzlager von Kentucky (KT) besonders herausragend. Auch der Unterschied zwischen dem magnetisierten Kontinentalschild<br />
und dem strukturlosen Ozeanboden wird deutlich. In der rechten Bildhälfte ist zu erkennen, wie magnetische<br />
Anomalien tektonische Grenzen nachzeichnen. Dies wird besonders deutlich entlang des Java-Grabens. Negative<br />
Abweichungen, Feldabschwächungen, (blaue Flächen) deuten auf erhöhte Temperaturen im Untergrund, rote dagegen<br />
auf eine dicke kühle Kruste (Quelle: Maus et al., 2006, Geophys. J. Int.).<br />
Two detail maps of the crustal magnetisation, as derived from CHAMP. At this resolution the magnetic signatures can<br />
be related to large-scale geological feature. In the American sector the Kentucky iron ore deposit (KT) is particularly<br />
outstanding. Furthermore, here the contrast becomes quite clear between the magnetized continental shield and the<br />
featureless ocean bottom. In the right frame, showing the Indonesian region, we can see how magnetic anomalies mark<br />
the active tectonic zones (green lines). This is particularly evident along the Java trench. Negative deviations (blue patches)<br />
representing a weakening of the field, suggest an enhanced temperature of the crust. Red patches indicate a thick<br />
and cool crust (from Maus et al., <strong>2005</strong>, Geophys. J. Int.).<br />
POMME 2.5 entwickelt. Dieses bietet eine Auflösung bis<br />
zu Kugelfunktionsgraden 90, was einer räumlichen Auflösung<br />
von etwa 220 km (halbe Wellenlänge) entspricht<br />
(Maus et al., 2006). Bei der augenblicklichen Flughöhe<br />
von CHAMP (~350 km) ist eine Steigerung kaum möglich.<br />
Eine Kartierung der magnetischen Signaturen basierend<br />
auf POMME 2.5 zeigt eine Reihe von deutlichen<br />
Strukturen, die sich geologisch/tektonisch interpretieren<br />
lassen. Im rechten Teil der Abb. 14 erkennt man ganz deutlich,<br />
wie magnetische Signaturen die bedeutenden geologischen<br />
Provinzen markieren. Auch der Ozean-Kontinent-<br />
Kontrast wird hier deutlich (wenige Strukturen in den tiefen<br />
Ozeanbecken). Im rechten Teil sind es mehr die tektonisch<br />
aktiven Gebiete in der Umgebung von Indonesien,<br />
die von magnetischen Signaturen markiert werden.<br />
Besonders deutlich ist das Feldstärkedefizit entlang des<br />
Java-Grabens.<br />
Die Darstellung weiterer Forschungsergebnisse, die auf<br />
CHAMP-Magnetfeldmessungen beruhen und sich im<br />
Wesentlichen auf die äußeren Felder und das magnetische<br />
Wetter beziehen, sind im Beitrag des Dep. 2 in diesem<br />
Bericht zu finden. Basierend auf den bisherigen Erfahrungen<br />
mit CHAMP und der erwarteten Entwicklung der<br />
solaren Aktivität können wir davon ausgehen, dass die<br />
interessantesten Messungen für das Magnetfeld noch vor<br />
uns liegen.<br />
Ausblick<br />
Die bisher berechneten GRACE-Schwerefelder haben<br />
bereits eine bemerkenswert hohe Qualität und werden von<br />
der geowissenschaftlichen Nutzergemeinschaft bereits<br />
intensiv verwendet. Dies zeigt sich insbesondere auch an<br />
der großen Anzahl von Publikationen und Fachvorträgen<br />
auf internationalen Konferenzen. Trotzdem gibt es noch<br />
weiteres Verbesserungspotential, um insbesondere die vor<br />
dem Start vorhergesagte Genauigkeit zu erreichen. Daher<br />
werden weitere Untersuchungen folgen, die teilweise<br />
innerhalb der zweiten Phase des vom BMBF geförderten<br />
Geotechnologien-Programms „Erfassung des Systems<br />
Erde aus dem Weltraum“ bearbeitet werden. Diese werden<br />
sich mit der optimalen Parametrisierung der Instrumentendaten,<br />
der Verbesserung der Modellierung kurzperiodischer<br />
Massenvariationen in Atmosphäre und Ozeanen<br />
oder der Berücksichtigung bisher nicht-modellierter<br />
Effekte wie der post-glazialen Hebung oder täglicher<br />
hydrologischer Signale beschäftigen.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
61
62<br />
Der bisher günstige Treibstoffverbrauch, die geringe<br />
Düsenaktivität sowie der Verlauf der Sonnenaktivität<br />
machen einen Weiterbetrieb der GRACE-Mission bis mindestens<br />
2010 sehr wahrscheinlich. Die dabei abnehmende<br />
Bahnhöhe und damit steigende Sensitivität dieser Tandem-Mission<br />
sowie der ab Frühjahr 2006 geplante permanente<br />
Betrieb der Radiookkultationsmessungen auf<br />
beiden Satelliten werden weiter zum Erfolg der Mission<br />
beitragen.<br />
Hingegen wird die CHAMP-Mission, wenn die Bahn nicht<br />
noch einmal angehoben wird, leider im Frühjahr 2008 mit<br />
dem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre beendet sein. Bis<br />
dahin sollten aber noch weitere, für die Schwerefeldbestimmung<br />
wichtige Messdaten in niedriger Flughöhe<br />
gewonnen werden. Durch die Abnahme der solaren Aktivität<br />
kann man auch davon ausgehen, dass CHAMP noch<br />
viele interessanteste Messungen zur Bestimmung und<br />
Überwachung des Magnetfeldes liefern wird.<br />
Die herausragenden Ergebnisse insbesondere der GRACE-<br />
Mission waren Anlass für ein Schwerpunktprogramm<br />
„Massenvariationen und Massentransporte im System<br />
Erde“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
bereits bewilligt wurde und das ab Juli 2007 über sechs<br />
Jahre läuft. Hier sollen Wechselbeziehungen und Austauschmechanismen<br />
zwischen Atmosphäre, Ozeanen, Eiskappen,<br />
kontinentalen Wasserspeichern und fester Erde in<br />
einem integrierten, interdisziplinären Lösungsansatz aus<br />
den Schwerefeld- (CHAMP, GRACE, GOCE) und Altimetriemissionen<br />
(Envisat, Jason) gewonnen werden.<br />
Literatur<br />
Beyerle, G., T. Schmidt, G. Michalak, S. Heise, J. Wickert, and Ch. Reigber (<strong>2005</strong>)<br />
GPS radio occultation with GRACE: Atmospheric Profiling utilizing the zero difference<br />
technique, Geophys. Res. Lett., 32, L13806, doi: 10.1029/<strong>2005</strong>GL023109.<br />
Kanzow, T., F. Flechtner, A. Chave, P. Schwintzer, R. Schmidt and U. Send<br />
(<strong>2005</strong>) Seasonal variation of ocean bottom pressure derived from GRACE:<br />
Local validation and global patterns, Geophys. Res. Let., 110, C09001, doi:<br />
10.1029/<strong>2004</strong>JC002772.<br />
Maus, S. and H. Lühr (<strong>2005</strong>) Signature of the quiet-time magnetospheric magnetic<br />
field and its electromagnetic induction, Geophys. J. Int., doi:10:1111/j.1365-<br />
246X.<strong>2005</strong>.02691.x.<br />
Maus, S., S. McLean, D. Dater, H. Lühr, M. Rother, W. Mai, and S. Choi (<strong>2005</strong>)<br />
NGDC/<strong>GFZ</strong> candidate models for the 10th generation of IGRF, Earth Planets<br />
Space, 57, 1151-1156.<br />
Maus, S., M. Rother, K. Hemant, C. Stolle, H. Lühr, A. Kuvshinov, and N. Olsen<br />
(2006) Earth's lithospheric magnetic field determined to spherical harmonic degree<br />
90 from CHAMP satellite measurements, Geophys. J. Int., doi: 10.1111/j.1365-<br />
246X.<strong>2005</strong>.02833.x.<br />
Reigber, Ch., Schmidt, R. Flechtner, F., König, R., Meyer, Ul., Neumayer, K.H.,<br />
Schwintzer, P., Zhu, S.Y. (<strong>2005</strong>) An Earth gravity field model complete to degree<br />
and order 150 from GRACE: EIGEN-GRACE02S, J. Geodynamics, 39, 1-10, doi:<br />
10.1016/j.jog.<strong>2004</strong>.07.001.<br />
Schmidt, R., Schwintzer, P., Flechtner, F., Reigber, Ch., Güntner, A., Döll, P., Ramillien,<br />
G., Cazenave, A., Petrovic, S., Jochmann, H., Wünsch, J. (<strong>2005</strong>): GRACE<br />
observations of changes in continental water storage, Global and Planetary<br />
Change (im Druck).<br />
Schmidt, T., S. Heise, J. Wickert, G. Beyerle, and Ch. Reigber (<strong>2005</strong>) GPS radio<br />
occultation with CHAMP and SAC-C: global monitoring of thermal tropopause<br />
parameters, Atmospheric Chemistry and Physics, 5, 1473-1488.<br />
Wickert, J., G. Beyerle, R. König, S. Heise, L. Grunwaldt, G. Michalak, Ch. Reigber,<br />
T. Schmidt (<strong>2005</strong>) GPS radio occultation with CHAMP and GRACE: A first<br />
look at a new and promising satellite configuration for global atmospheric sounding,<br />
Annales Geophysicae, 23, 653-658.<br />
Wickert, J., T. Schmidt, G. Beyerle, R. König, Ch. Reigber, and N. Jakowski (<strong>2004</strong>)<br />
The radio occultation experiment aboard CHAMP: Operational data analysis and<br />
validation of vertical atmospheric profiles, J. Met. Soc. Japan, Special issue ’Application<br />
of GPS Remote Sensing to Meteorology and Related Fields’, 82(1B), 381-<br />
395.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
A comprehensive view of the Earth’s magnetic<br />
field from ground and space observations<br />
Mioara Mandea, Hermann Lühr, Monika Korte, Georgios Balasis, Hans-Joachim Linthe, Kumar Hemant, Eberhard<br />
Pulz, Patricia Ritter, Martin Rother, Claudia Stolle, Erwan Thébault, Ingo Wardinski<br />
Seit einigen Jahren gewinnen eine Reihe von Satelliten Beobachtungsdaten des Erdmagnetfelds in hoher Qualität. Das<br />
GeoForschungsZentrum Potsdam ist zum einen aktiv an dieser Art von Satellitenmissionen beteiligt und unterhält zum<br />
anderen eine wachsende Anzahl geomagnetischer Observatorien am Boden. Wir beschreiben hier die unterschiedlichen<br />
Charakteristika von Observatoriums- und Satellitendaten hinsichtlich Qualität, räumlicher Abdeckung und zeitlicher<br />
Verteilung. Es werden Beispiele präsentiert, wie aus der Kombination von an der Erdoberfläche gewonnenen Daten<br />
und Satellitenmessungen deutlich verbesserte Beschreibungen des Erdmagnetfelds gewonnen werden können. Damit<br />
eröffnen sich neue Möglichkeiten für Studien der Flüssigkeitsbewegung im Erdkern, der Leitfähigkeit des Erdmantels,<br />
der Zusammensetzung der Lithosphäre bis hin zur Dynamik von Stromsystemen in Ionosphäre und Magnetosphäre.<br />
In recent years, high-quality observations have been obtained<br />
from a number of geomagnetic satellites. GeoForschungsZentrum<br />
Potsdam (<strong>GFZ</strong>) is actively involved in<br />
these kinds of satellite missions, but is also involved in<br />
maintaining and extending ground-based geomagnetic<br />
field measurements using a number of observatories. We<br />
discuss the different characteristics of observatory and<br />
satellite data, like quality, spatial coverage and temporal<br />
distribution. Examples are presented about how the combination<br />
of ground-based data and satellite measurements<br />
can provide improved descriptions of the geomagnetic<br />
field, and how they offer new opportunities for studies ranging<br />
from core flow, mantle conductivity and lithospheric<br />
composition to the dynamics of ionospheric and magnetospheric<br />
currents.<br />
Introduction<br />
The Earth's magnetic field is mainly due to a geodynamo<br />
mechanism in the liquid, metallic outer core. The lithospheric<br />
contribution, due to rocks which acquired information<br />
about the magnetic field at the time of their solidification<br />
from the molten state, adds to the dominant core<br />
magnetic field. In addition, external fields represent a third<br />
contribution which is produced primarily by the interaction<br />
of the solar wind with the magnetosphere, and their<br />
intensities vary with the solar wind speed and the orientation<br />
of the embedded magnetic field. The solar wind<br />
modifies current systems in the magnetosphere and ionosphere<br />
surrounding the Earth, producing magnetic variations<br />
on varying time scales from a second to a solar cycle.<br />
Moreover, these highly variable external fields cause<br />
secondary, induced fields in oceans and electrically conductive<br />
regions of the lithosphere and the upper mantle.<br />
To fully describe the geomagnetic field it is necessary to<br />
either measure the intensity and two angles of direction or<br />
three orthogonal components. The angles are declination<br />
(the deviation of the local geomagnetic field lines from<br />
geographic north) and inclination (the angle of intersection<br />
with the Earth’s surface). Orthogonal components are<br />
commonly chosen to be X, Y and Z for the directions<br />
towards geographic north, east and vertically down, respectively.<br />
The unit used to describe the geomagnetic field<br />
is the nanoTesla (nT), with the Tesla in fact being the unit<br />
for magnetic flux density.<br />
When a measurement of the geomagnetic field is taken at<br />
any given point and time, the resulting value contains the<br />
superposition of fields having different origins, as discussed<br />
above and varying in magnitude. These are:<br />
1) the core field, generated in the fluid outer core, which<br />
ranges between 30000 nT at the equator to 65000 nT<br />
at the poles;<br />
2) the lithospheric field, generated by magnetized rocks,<br />
generally having a strength of the order of tens to a few<br />
hundreds of nT, but reaching a few thousand nT over<br />
strong anomalies;<br />
3) the external fields, generated by magnetospheric and<br />
ionospheric currents, and varying from fractions of a<br />
nT up to a few thousand nT during large magnetic<br />
storms;<br />
4) the electromagnetically induced field, generated by<br />
currents induced in the crust and the upper mantle by<br />
the time-varying external field, amounting up to some<br />
tens of nT.<br />
Separating these contributions directly is impossible<br />
(Mandea and Purucker, <strong>2005</strong>). In 1838 Gauss using spherical<br />
harmonic functions developed a method to describe<br />
the geomagnetic field globally, providing a rough separation<br />
between internal and external contributions to the<br />
field. Geomagnetic field models based on spherical harmonics<br />
are still widely used, but due to the multitude of<br />
sources, a strict separation of all contributions is not feasible.<br />
The geomagnetic field is also subject to temporal variations<br />
over a broad range of time scales, including complete<br />
reversals of the whole field on geological times. The<br />
so-called short-term variations are detectable over time<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
63
64<br />
scales spanning fractions of a second to decades. The very<br />
short period variations (seconds to hours) can safely be<br />
attributed to sources external to the Earth, while the longer-period<br />
variations (annual to decades) are due to both<br />
solar cycle variations with its harmonics and core field<br />
variation (known as secular variation). These different<br />
variations are superimposed and while it was previously<br />
thought that their main part is of external origin, recently<br />
the question of the shortest time scales of the core field<br />
observable at the Earth’s surface has again become controversial.<br />
Systematic observations of the geomagnetic field exist for<br />
almost two hundred years, providing information about its<br />
morphology and time-evolution. An example with one of<br />
the longest data series worldwide is the Adolf Schmidt<br />
Geomagnetic Observatory of <strong>GFZ</strong> Potsdam at Niemegk.<br />
Time variations, as shown in Fig. 1, are revealed by continuous<br />
magnetic records, monitored by geomagnetic<br />
observatories where the permanent installation of instruments<br />
ensures reliable measurements of the geomagnetic<br />
field. Additionally, so-called magnetic repeat-station measurements<br />
are regularly made at particular locations and<br />
distinct times to resolve the secular variation in specific<br />
areas as well as to increase the density of available groundbased<br />
magnetic data distribution. In addition, new satellite<br />
measurements, being made continuously since 1999,<br />
are greatly improving our knowledge of the geomagnetic<br />
field all over the globe. <strong>GFZ</strong> contributes to these with its<br />
CHAMP satellite, which is in operation since July 2000<br />
and is expected to continue until 2008. The <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
is unique in combining the expertise of measuring the geomagnetic<br />
field from both ground and space, to investigate<br />
a broad range of internal and external field variations.<br />
Here, we give a tour of the different kinds of measurements,<br />
with special emphasis on how ground and satellite<br />
measurements complement each other. More detailed<br />
scientific results on specific problems about the geomagnetic<br />
field are described in the part concerning Section 2.3<br />
activities of this report.<br />
Measuring the Earth’s Magnetic Field<br />
Magnetic observatories<br />
Historically, the role of magnetic observatories was to<br />
monitor the secular change of the geomagnetic field, and<br />
this remains one of their most important tasks. Some<br />
Fig. 1: Monthly mean values of the geomagnetic field (left) and its secular variation (right) recorded at the Niemegk<br />
observatory (since 1930) and its predecessors at Seddin (1906-1930) and Potsdam (1890-1906). The three components<br />
are in the directions of geographic north (X), east (Y) and vertically down (Z).<br />
Monatsmittelwerte des Erdmagnetfelds (links) und ihre Säkularvariation (rechts), gemessen am Observatorium Niemegk<br />
(seit 1930) und den Vorgängerstationen in Seddin (1906-1930) und Potsdam (1890-1906). Die drei Komponenten<br />
zeigen in Richtung geographisch Nord (X), Ost (Y) und vertikal nach unten (Z).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Fig. 2: Participants of the international colloquium celebrating the 75th anniversary of the Adolf Schmidt Geomagnetic<br />
Observatory Niemegk of <strong>GFZ</strong> Potsdam.<br />
Teilnehmer des internationalen Festkolloquiums aus An-lass des 75-jährigen Bestehens des Adolf-Schmidt-Observatoriums<br />
für Geomagnetismus des GeoForschungsZentrums Potsdam in Niemegk. (Fotos: R. Holme, E. Pulz, <strong>GFZ</strong>, und<br />
H.-D. Scherz)<br />
observatories were installed at the end of 19 th century. One<br />
of them was the Potsdam Magnetic Oservatory, which started<br />
regular operation on January 1, 1890. Today, the old<br />
building on Telegrafenberg hosts the Paleomagnetic Laboratory,<br />
maintained by Section 3.3 of <strong>GFZ</strong> Potsdam. Due<br />
to anthropogenic disturbances of the measurements, caused<br />
mainly by the electrified railway system, the observatory<br />
had to be moved to Seddin in 1906, some 20 km southwest<br />
of Potsdam. It operated there for only 20 years, until<br />
it had to be moved again for similar reasons. On July 30,<br />
1930 a new observatory was opened in Niemegk. The<br />
Adolf Schmidt Geomagnetic Observatory, run by <strong>GFZ</strong><br />
since 1992, celebrated its 75 th anniversary in <strong>2005</strong>, bringing<br />
together geomagnetists from around the world for a<br />
celebratory colloquium (Fig. 2). Today, more than 200 observatories<br />
are in operation worldwide, but not all of them<br />
satisfy the technical standard to participate in the INTER-<br />
MAGNET project, requiring a guaranteed level of data<br />
quality and near real-time data exchange (Fig. 3). To run<br />
a modern magnetic observatory generally involves continuous<br />
variation measurements of three field components<br />
(one-minute or even one-second data sampling) which<br />
are recorded automatically by fluxgate magnetometers.<br />
However, these instruments are subject to drifts arising<br />
from sources both within the instrument (e.g. temperature<br />
effects) and the stability of the instrument mounting.<br />
Moreover, due to the large difference in amplitude between<br />
the very strong, but only slowly varying core field<br />
and the much weaker but fast external variations, the latter<br />
can be determined with much higher accuracy if constant<br />
values are compensated for and only the variations<br />
are measured about a baseline. These measurements do<br />
not provide absolute values and the instruments are<br />
known as variometers. Absolute measurements of the full<br />
vector field, sufficient in number to control the instrumental<br />
drift, are necessary to calibrate the variometer<br />
recordings.<br />
A scalar measurement of the field intensity, obtained commonly<br />
by a proton magnetometer, is considered as absolute:<br />
it depends only on our knowledge of a physical constant<br />
(gyromagnetic ratio) and a measurement of fre-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
65
66<br />
Fig. 3: Global distribution of geomagnetic observatories (top) and amount of available observatory data (bottom).<br />
Only those marked in blue fulfill the INTERMAGNET quality standard with near real-time distribution of minute data.<br />
Some of the observatories marked in red only provide annual mean data. The distribution is highly non-uniform, with<br />
the northern hemisphere better covered than the southern hemisphere. The blue stars mark Niemegk observatory of<br />
<strong>GFZ</strong> and the stations currently run in cooperation with local institutions.<br />
Weltweite Verteilung geomagnetischer Observatorien (oben) und deren verfügbare Daten (unten), Stand 2000. Nur die<br />
blau markieren Observatorien erfüllen den INTERMAGNET-Standard mit Verfügbarkeit von Minutenwerten in quasi<br />
Echtzeit. Einige der rot markierten Stationen liefern nur Jahresmittelwerte. Die Verteilung ist sehr ungleichmäßig, mit<br />
deutlich besserer Abdeckung der Nordhalbkugel. Die blauen Sterne markieren das Observatorium Niemegk des Geo-<br />
ForschungsZentrums und die Observatorien, die zurzeit in Kooperation mit lokalen Instituten betrieben werden.<br />
quency, and it can be achieved with great accuracy. However,<br />
scalar magnetometers determine only the strength of<br />
the magnetic field and provide no information about its<br />
direction. Absolute measurements of the direction of the<br />
geomagnetic field, i.e. the angles of declination and inclination,<br />
are performed with an instrument known as a fluxgate-theodolite<br />
(DI-flux) that requires manual operation<br />
and takes about 30 minutes per measurement. In a landbased<br />
observatory, such absolute measurements are typi-<br />
cally made once to twice a week and are used to monitor<br />
the drift of the fluxgate variometers. So far no instrument<br />
exists to carry out the complete absolute measurements<br />
automatically. In an attempt to change this, the Niemegk<br />
observatory together with the Technical University of<br />
Braunschweig is currently developing an alternative<br />
instrument to carry out automatically the absolute threecomponent<br />
measurements of the magnetic field to calibrate<br />
variometer recordings (Fig. 4).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Fig. 4: Orienting a first prototype of an instrument under<br />
development at Niemegk observatory. This instrument<br />
eventually will allow for the automatic absolute determination<br />
of three field components.<br />
Der erste Prototyp eines am Observatorium Niemegk in<br />
Entwicklung befindlichen Messgeräts, das hier ausgerichtet<br />
wird. Dieses Gerät wird nach Fertigstellung die<br />
automatische Absolutmessung von drei Magnetfeldkomponenten<br />
ermöglichen. (Foto: E. Pulz, <strong>GFZ</strong>)<br />
Modern land-based magnetic observatories<br />
all use similar instrumentation to produce<br />
similar data products. The fundamental<br />
measurements recorded are oneminute<br />
values of the vector components<br />
and scalar intensity. The one-mi-nute data<br />
are important for studying variations in the<br />
geomagnetic field external to the Earth, in<br />
particular, the daily variation and magnetic<br />
storms. Data from 13 observatories distributed<br />
worldwide are used to produce the<br />
Kp global magnetic activity index. This<br />
index is the most commonly used parameter<br />
to characterise the level of magnetic<br />
disturbances. It is currently computed<br />
and distributed around the world by Niemegk<br />
observatory. Other indices of special<br />
or regional variations are derived from<br />
different subsets of observatory data.<br />
From the standard one-minute data, hourly,<br />
daily, monthly and annual mean values<br />
are produced. The monthly and annual<br />
mean values are useful to determine the<br />
secular variation originating in the Earth’s<br />
core. The quality of secular-variation estimates<br />
depends critically upon the longterm<br />
stability, i.e. the quality of the absolute<br />
measurements at each observatory.<br />
However, as mentioned earlier, not all<br />
existing magnetic observatories have the<br />
technical standard to achieve the desired<br />
data quality, and the global network of stations<br />
has large spatial gaps. <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
is increasing its efforts to improve the global<br />
data coverage by supporting observatories<br />
worldwide and installing new obser-<br />
vatories in cooperation with local institutions. Our involvement<br />
currently includes, besides Niemegk, the existing<br />
observories Wingst (Northern Germany) and Panagjurishte<br />
(Bulgaria), and the newly installed ones at Villa Remidios<br />
(Bolivia) and Keetmanshoop (Namibia), see Fig. 3.<br />
Magnetic field satellites<br />
Since the 1960s, the Earth’s magnetic field intensity has<br />
been measured intermittently by satellites. Only recently<br />
have there been a few missions dedicated to measuring<br />
the full vector field, using star cameras to establish<br />
precisely the direction of a triaxial fluxgate sensor in<br />
space. High-quality fluxgate sensors onboard spacecraft<br />
are instruments with a very high temporal resolution,<br />
but they suffer from small drifts of the order of some<br />
nT/yr. For a multi-year mission this requires absolute<br />
intensity measurements onboard satellites in order to<br />
calibrate the vector instrument (as well as for ground<br />
observatories). This is achieved by combining the measurements<br />
from all the different orientations a satellite<br />
aquires of the ambient magnetic field over a day. It is<br />
possible to perform a full in-orbit calibration of the fluxgate<br />
instrument at regular intervals (e.g. Olsen et al.,<br />
Fig. 5: The three satellites currently measuring the geomagnetic field from<br />
space: CHAMP (bottom), Ørsted (upper left) and SAC-C (upper right).<br />
Die drei Satelliten, die gegenwärtig das Erdmagnetfeld vektoriell aus dem<br />
Weltraum vermessen: CHAMP (unten), Ørsted (oben links) und SAC-C (oben<br />
rechts).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
67
68<br />
2003). Special attention has to be paid to the magnetic<br />
disturbances coming from the satellite. In order not to<br />
degrade the measurements both magnetic field instruments<br />
are kept remote from the spacecraft body by<br />
mounting them at the end of a few meter long non-magnetic<br />
boom (Fig. 5).<br />
The first satellite mission that provided valuable vector<br />
data for geomagnetic field modeling was MAGSAT (Langel<br />
et al., 1980), which resulted in magnetic measurements<br />
over a six month period between 1979 and 1980. The following<br />
20 years were without high-quality satellite magnetic<br />
field missions. The first satellite to improve the situation<br />
was Ørsted, launched in 1999, and still partially operational<br />
after 7 years. The satellite carries as its primary<br />
scientific instruments a tri-axial fluxgate magnetometer<br />
and a star camera for measuring the vector components of<br />
the geomagnetic field. Its position along the orbit is determined<br />
by using Global Positioning System (GPS) receivers.<br />
The satellite's main body carries the electronics while<br />
an 8-meter boom hosts the magnetic field instruments. It<br />
takes the Ørsted satellite about 100 minutes to orbit the<br />
Earth in its near-polar orbit. The local time of the orbit<br />
plane changes by 0.9 minutes per day, and the data are<br />
from an altitude range of 640 to 850 km. The same fluxgate<br />
and star camera package together with a scalar magnetometer<br />
were mounted on the SAC-C spacecraft, launched<br />
about two years after Ørsted. SAC-C has a circular<br />
orbit at an altitude of 702 km, and a fixed local time (LT),<br />
crossing the equator at 10:24 and 22:24 LT. This experiment<br />
has suffered from a malfunctioning star camera<br />
which has prevented the acquisition of any vector data.<br />
From development to operation, CHAMP (Challenging<br />
Minisatellite Payload) is a <strong>GFZ</strong> project. Launched in July<br />
2000 with its highly precise, multi-functional and complementary<br />
payload elements (magnetometer, accelerometer,<br />
star sensors, GPS receiver, laser retro reflector, iondrift<br />
meter) and its orbital characteristics (near polar, low<br />
altitude, long duration), CHAMP has generated simultaneously<br />
highly-precise gravity and magnetic field measurements<br />
for more than 5 years. CHAMP has a length of<br />
8.33 m (including the boom) and an initial mass of<br />
522 kg. With an orbital period of 93 minutes, and an initial<br />
altitude of 454 km, the satellite moves rapidly through<br />
local time, with a change of 5.45 minutes/day. Attitude stability<br />
relies on magneto-torquers and a cold-gas propulsion<br />
system. Its aerodynamic shape together with tri-axial<br />
attitude control ensures that a stable flight configuration<br />
is achieved in the relatively dense atmosphere at low-altitude.<br />
The two redundant magnetic fluxgate sensors are<br />
mounted together with the star cameras on an optical<br />
bench providing a mechanical stability between these systems<br />
of better than 20 arcsec. The optical bench is located<br />
about 2 meters away from the spacecraft's main body,<br />
and the Overhauser Magnetometer is mounted at the tip<br />
of the 4-meter boom. This configuration is a compromise<br />
between avoidance of magnetic interference from the spacecraft<br />
and cross-talk between the vector and scalar magnetometers.<br />
The almost circular and near-polar (87.3 deg.<br />
inclination) orbit allows for a homogeneous and almost<br />
complete global coverage of the Earth by gravity and magnetic<br />
field measurements.<br />
Magnetic data<br />
Three parameters are important when dealing with magnetic<br />
data: quality, spatial distribution, and temporal coverage.<br />
Data Quality<br />
Many magnetic observatories have operated for decades,<br />
some for more than 100 years. Up until the 1990s many<br />
observatories were still operating in the classical mode,<br />
with analogue recording and, consequently, requiring long<br />
periods for data processing and dissemination, as well as<br />
providing less accurate final data. Developments in technology<br />
since that time have allowed more and more observatories<br />
to change to digital recordings, while at the same<br />
time updated equipment has seen data quality gradually<br />
improve from 10 second sampling at 1 nT resolution to<br />
the current INTERMAGNET standard of 1 second sampling<br />
at 0.1 nT resolution. Data recorded in observatories<br />
in real time are known as variational or preliminary data,<br />
as they lack the absolute calibration and may have a baseline<br />
offset, which itself can have a slow drift. These preliminary<br />
data are useful for investigations concerned with<br />
relatively rapid changes in the magnetic field occurring<br />
over time periods of less than a couple of days, i.e. the<br />
external field contributions. However, for studies involving<br />
longer time scales and in particular, changes of the<br />
core field, absolute data time series are essential. These<br />
definitive data are obtained through data processing, with<br />
adjustments made for baseline drift based on the regularly<br />
performed absolute measurements at each observatory.<br />
These steps for obtaining definitive magnetic data are<br />
necessary to satisfy the minimum requirements of an<br />
INTERMAGNET Magnetic Observatory (IMO): longterm<br />
stability of the order of 5 nT/year and an accuracy of<br />
±10nT for 95 % of reported data and ± 5nT for the definitive<br />
data.<br />
With the launch of three satellites (Ørsted, CHAMP and<br />
SAC-C) since 1999, high-accuracy scalar and vector magnetic<br />
measurements have now become available from<br />
near-Earth orbits. The Ørsted Overhauser proton-precession<br />
magnetometer measures the scalar values of the magnetic<br />
field with an accuracy of < 1nT, while the fluxgate<br />
magnetometer together with the star camera provides vector<br />
data with a precision of < 3-5 nT. The same package is<br />
mounted on the SAC-C spacecraft, but the vector data cannot<br />
be used, as the star camera has given no information<br />
during the course of the mission, possibly because of a<br />
cabling problem on the boom. As a consequence, magnetic-field<br />
measurements from SAC-C are restricted to the<br />
1 Hz values from the scalar magnetometer, with an accuracy<br />
of better than 4 nT. This higher value is partially due<br />
to the uncertainty of the spacecraft fields.<br />
Currently, the best available magnetic satellite data are<br />
those produced by the CHAMP mission. The CHAMP scalar<br />
magnetometer provides an absolute in-flight calibra-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Fig. 6: Coverage of the Earth with CHAMP satellite magnetic data after one day (top) and one week (bottom).<br />
Abdeckung der Erdoberfläche durch magnetische Daten des CHAMP-Satelliten nach einem Tag (oben) und einer Woche<br />
(unten).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
69
70<br />
tion capability for the vector magnetic field measurements.<br />
A dedicated program ensuring the magnetic cleanliness<br />
of the spacecraft allows for an absolute accuracy<br />
of < 0.5 nT for the magnitude data. For the fluxgate magnetometers,<br />
the overall noise level is of the order of 50 pT.<br />
The scalar calibration using the absolute Overhauser<br />
observations is run on a daily basis, and the instrument<br />
parameters for the fluxgate data processing are updated<br />
every two weeks. The corrections applied to the data concern<br />
the scaling factors, field offsets, non-orthogonality<br />
and the stray fields from the satellite. A remaining uncertainty<br />
of the vector data is due to thermal bending of the<br />
optical bench. These bending angles have to be determined<br />
in special modelling procedures. Data from both the<br />
vector fluxgate magnetometer and the scalar Overhauser<br />
magnetometer are available to the worldwide community<br />
through the data center, ISDC, at <strong>GFZ</strong>.<br />
Spatial distribution<br />
The distribution of magnetic observatories over the globe<br />
(see Fig. 3) is highly non-uniform, with the northern<br />
hemisphere having better coverage than the southern<br />
hemisphere. The observatory distribution is a key parameter<br />
in determining the secular variation on the global<br />
scale. This is the reason why in some regions, for example<br />
the Pacific, the uncertainty in the secular variation is<br />
of the order of hundreds of nT/yr (Mandea and Macmillan,<br />
2000), while in better-covered regions such as Europe,<br />
it is a few nT/yr. One possibility to counterbalance this<br />
uneven geographical distribution is the use of an adequate<br />
weighting scheme (Langlais and Mandea, 2000). However,<br />
adequate weighting cannot make up for the lack of<br />
information in the regions sparsely covered by data. The<br />
only definitive way to remedy this issue is to establish<br />
additional observatories, in particular, in the southern<br />
hemisphere and to upgrade all existing observatories to<br />
the INTERMAGNET standard.<br />
Another possibility to improve our knowledge of the secular<br />
variation is to have well-distributed global measurements<br />
from satellites. The data provided by each of the<br />
three satellites currently in orbit ensure a good coverage<br />
of the Earth’s surface in a very short period of time. Fig. 6<br />
shows the orbit tracks for one day and for one week, respectively,<br />
for the CHAMP satellite. The coverage over one<br />
week already appears sufficient for a good data distribution.<br />
However, these plots are based on all available measurements,<br />
without considering data quality and selection<br />
criteria with respect to external disturbances. For core field<br />
and secular variation studies a selection of quiet time data<br />
is necessary as long as we do not understand all individual<br />
field sources in sufficient detail to separate them. This<br />
can lead to a drastic reduction in the amount of usable data.<br />
Temporal coverage<br />
Since the installation of the first magnetic observatory in<br />
1832 by Gauss, their number has continuously increased.<br />
However, the number of observatories providing hourly<br />
means or one-minute data (INTERMAGNET observato-<br />
ries) is lower than the total number. Some observatories<br />
only offer annual means as they do not have the modern<br />
equipment to produce high-resolution data (Fig. 3).<br />
The time span covered by satellite missions is quite short<br />
in comparison to observatory time series of the order of<br />
decades to more than a century. The first satellite providing<br />
magnetic vector data was MAGSAT in 1980, which<br />
was in operation for only 6 months. Since 1999/2000, there<br />
are three satellites providing high accuracy magnetic vector<br />
data. However, there is an important difference between<br />
observatory and satellite data: observatories provide<br />
continuous time series from one location, whereas a<br />
satellite records the field values while travelling through<br />
space. The data series thus contain both spatial and temporal<br />
variations, and the purely temporal resolution for a<br />
given location is worse than that of an observatory (at best<br />
1 sample/day).<br />
Joint analysis of observatory and satellite data<br />
The launch of the Danish satellite Ørsted marked the start<br />
of the international initiative Decade of Geopotential Field<br />
Research declared by the IUGG, which highlighted the<br />
importance of gravity and magnetic field measurements<br />
from space. The <strong>GFZ</strong> satellite CHAMP was launched<br />
shortly after Ørsted. Once more, we want to stress that<br />
there are important differences between observatory and<br />
satellite data. The separation of spatial and temporal signals<br />
is a challenging task for satellite data alone. Moreover,<br />
the ground-based and satellite data are taken at different<br />
distances to the various sources. Using the Ørsted<br />
and CHAMP measurements together with magnetic observatory<br />
data yields maximum information. Only the combination<br />
of satellite and ground-based data will improve<br />
our knowledge of the individual sources of the geomagnetic<br />
field enough to allow a highly accurate separation of<br />
sources over multi-year time intervals. However, considerable<br />
difficulties exist in carrying out joint analyses of<br />
ground-based and satellite data due to their different spatial<br />
and temporal information content. In the following, a<br />
few examples of different ways to take advantage of the<br />
combination of these measurements are given.<br />
Core field and secular variation<br />
IGRF models<br />
The best-known global geomagnetic field model is the<br />
International Geomagnetic Reference Field (IGRF). A<br />
new model in this series is produced every 5 years, from<br />
a range of measurements provided by magnetic observatories,<br />
ships, aircraft and satellites. Several candidate<br />
models, including one from the <strong>GFZ</strong> geomagnetism group<br />
(Maus et al., <strong>2005</strong>), are submitted each time to a dedicated<br />
working group of the International Association of Geomagnetism<br />
and Aeronomy (IAGA), which determines a<br />
final reference model. This model series, based on a classical<br />
spherical harmonic analysis of a vast amount of data,<br />
represents the magnetic field generated in the Earth’s core.<br />
Even in the present era of the GPS navigation system, the<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Fig. 7: Percentage change of the geomagnetic field intensity from 1980 to<br />
2001, as determined by the MAGSAT and CHAMP satellites<br />
Änderung der Intensität des Magnetfelds von 1980 bis 2001 in Prozent, hergeleitet<br />
aus den Messergebnissen der Satelliten MAGSAT und CHAMP<br />
IGRF models and particularly their description of declination<br />
still play an important role for navigation purposes.<br />
Magnetic compasses are used as backup systems on<br />
ships and aircraft, so the declination has to be known at<br />
all locations and times. IGRF declination information is<br />
even implemented in the GPS system for orientation support.<br />
The IGRF models also play an important role as a<br />
standard to eliminate the core field contributions in aeromagnetic<br />
surveys for geological studies or prospecting.<br />
The quality of models in this series has dramatically increased<br />
over the last two field generations.<br />
Indeed, since the 8 th generation (Mandea<br />
and Macmillan, 2000), the main-field<br />
models are currently defined up to spherical<br />
harmonic degree/order 13 (compared<br />
to degree 10 for all previous generations).<br />
The recent models (9 th and 10 th<br />
generation) represent the fruitful combination<br />
of satellite and observatory data.<br />
The satellite data on the one hand are needed<br />
to ensure a good distribution over the<br />
globe, while on the other, information<br />
about magnetically quiet conditions are<br />
provided by the observatories. Moreover,<br />
the continuous observatory data improve<br />
the secular variation estimates in the<br />
models. The use of both satellite and<br />
ground-based data has dramatically<br />
improved the quality of geomagnetic field<br />
models (Olsen et al., 2006).<br />
Secular variation models<br />
Modelling the secular variation on characteristic<br />
timescales of the order of a few<br />
decades can be significantly improved if<br />
we take advantage of all the available<br />
magnetic satellite data. We can compare<br />
the core field descriptions obtained from<br />
the Ørsted and CHAMP missions over the<br />
last few years to those from the MAGSAT<br />
mission of 1979-1980 (Hulot et al.,<br />
2000). It is obvious that the magnetic field<br />
does not change uniformly over the Earth<br />
(Fig. 7). While the overall strength of the<br />
dipole field is decreasing, there exist a<br />
few regions where the field strength is<br />
increasing. An extremly strong decrease<br />
is seen in two areas, in the South Atlantic<br />
and in the Meso-American region.<br />
More detailed information can be derived<br />
from a time-dependent model of the secular<br />
variation between 1980 and 2000, such<br />
as the one developed by Wardinski (<strong>2005</strong>).<br />
The endpoints of this time interval were<br />
chosen because of the availability of highquality<br />
field models derived from satellite<br />
measurements during these epochs.<br />
Using this a priori field information, the<br />
Gaussian coefficients are expanded in<br />
time from 1980 until 2000 as a function of cubic B-splines.<br />
Between the two endpoints, observatory annual and<br />
monthly mean values are used, as well as repeat station<br />
data. Satellite and ground-based data complement each<br />
other ideally, with the satellite data giving the optimal spatial<br />
resolution at both end-points and the ground-based<br />
data ensuring optimal temporal resolution in between. The<br />
model is used to study the question of shortest observable<br />
time-scales of the core field secular variation and to infer<br />
from it possible scenarios of fluid flow at the boundary<br />
Fig. 8: All available CHAMP data (X, Y, Z component) in a 1° x 1° longitude<br />
and latitude region centered over the Niemegk Observatory.<br />
Alle verfügbaren CHAMP-Daten (X-, Y- und Z-Komponente) für ein Gebiet<br />
von 1° x 1° Länge und Breite über dem Observatorium Niemegk.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
71
72<br />
between Earth’s outer core and mantle in order to gain a<br />
better understanding of the geodynamo process. Some<br />
more detail on these results is given in the part of Section<br />
2.3 in this report.<br />
Geomagnetic jerks<br />
Over a very short time span, a number of abrupt changes<br />
in the secular variation have been noted in the series of<br />
magnetic observatories. The cause of these so-called geomagnetic<br />
jerks is not completely known, but they may<br />
reflect the reconfiguration of hydromagnetic motions in<br />
the outer core over small scales and short time-intervals.<br />
These phenomena are difficult to study, because of their<br />
small amplitudes and the overlap of their frequency range<br />
with the effect of solar-dependent external variations.<br />
Moreover, the highly uneven coverage of the globe by<br />
magnetic observatories makes it difficult to study their<br />
geometry and evolution, and whether they are of a global<br />
nature.<br />
One way to overcome the problem of the uneven spatial<br />
distribution of time series is again to turn to satellite data.<br />
A good global coverage is obtained from satellite data in<br />
a short period of time, but satellite data are not very hel-<br />
Fig.9:Secular variation of the radial magnetic field at the core mantle boundary<br />
for epochs 1900, 1930, 1975 and 1990 using the Jackson et al. (2000)<br />
model. The extreme values (red/blue) are +/– 13 µT/yr.<br />
Säkularvariation des radialen Magnetfelds an der Kern-Mantel-Grenze für<br />
die Jahre 1900, 1930, 1975 und 1990 nach dem Modell von Jackson et al.<br />
(2000). Die Extremwerte (rot/blau) sind +/– 13 µT/a.<br />
pful if our interest is focused on a certain location over a<br />
longer period of time. Fig. 8 shows, as an example, all<br />
available CHAMP data over an area of 1° x 1° centered<br />
on the Niemegk Observatory. It is clear that the temporal<br />
resolution, even for a larger area at a fixed position, is not<br />
comparable with what observatories provide as continuous<br />
data. However, this time series can be used for interpolating<br />
the temporal behaviour of the magnetic field. This<br />
kind of plot will be a useful first step in studying secular<br />
variation, and possibly geomagnetic jerks, at a given position<br />
from satellite data.<br />
However, only the joint analysis of observatory and satellite<br />
data can really be useful for the global study of geomagnetic<br />
jerks. To circumvent the spatial and temporal<br />
distribution difficulties, the use of continuous field models<br />
derived from ground-based and satellite data, such as the<br />
Comprehensive Model by Sabaka et al. (2002, <strong>2004</strong>), is<br />
one possible solution. Chambodut and Mandea (<strong>2005</strong>) studied<br />
the temporal and spatial distribution of jerks detected<br />
in these models over the four last decades. The jerks<br />
around 1971, 1980 and 1991 are characterized by a clear<br />
bimodal behaviour of their occurrence date. So far, no<br />
geomagnetic jerk occured during the lifetime of the magnetic<br />
field satellites. A much better description of a jerk<br />
could be provided if it were to occur<br />
during the time of operation of one or preferably<br />
several satellites.<br />
South Atlantic Anomaly<br />
Another interesting feature of the core<br />
field is the so-called South Atlantic<br />
Anomaly. This is a large area of very low<br />
field intensity (less than 20000 nT) over<br />
South America, the southern Atlantic and<br />
southern Africa. Moreover, from MAG-<br />
SAT and CHAMP data we observed that<br />
the field there has been decreasing by<br />
some 8 % during the past 20 years (see<br />
Fig. 7). Recent studies have identified distinct<br />
patches of reversed magnetic flux at<br />
the poles and below Africa which could<br />
be related to the present day field decrease<br />
and might even be a hint that the geodynamo<br />
is heading towards a reversal<br />
(Hulot et al., 2002). The most prominent<br />
feature in this respect is the growing patch<br />
of reverse magnetic polarity beneath<br />
South Africa. To give an indication of<br />
recent changes, Fig. 9 shows the distribution<br />
and evolution of the radial magnetic<br />
field component at the core-mantle<br />
boundary during the past century. The<br />
model used here (Jackson et al., 2000)<br />
shows a region of reversed field direction<br />
(red area) which propagates north-eastward.<br />
At present this patch is just below<br />
South Africa. Moreover, a large longitudinal<br />
difference in field changes is observed,<br />
again with a maximum variation in<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Fig. 10: Two teams from <strong>GFZ</strong> Potsdam and Hermanus Magnetic Observatory<br />
(HMO, South Africa) carrying out magnetic repeat station measurements<br />
on the South Africa, Namibia and Botswana networks (red stars). Blue<br />
dots are the existing observatories Hermanus, Hartebeesthook and Tsumeb.<br />
The star marks the newly constructed observatory Keetmanshoop, a cooperative<br />
project between <strong>GFZ</strong> and HMO.<br />
Zwei Teams von Mitarbeitern des <strong>GFZ</strong> Potsdam und Hermanus Magnetic<br />
Observatory (HMO, Südafrika) führen an Stationen in Südafrika, Namibia<br />
und Botswana (rote Sterne) magnetische Säkularpunktmessungen durch. Die<br />
blauen Punkte markieren die bestehenden Observatorien Hermanus, Hartebeesthook<br />
und Tsumeb, der Stern stellt die Lage des in Kooperation von<br />
<strong>GFZ</strong> und HMO neu errichteten Observatoriums Keetmanshoop dar. (Fotos:<br />
M. Mandea und M. Korte, <strong>GFZ</strong>)<br />
this area. In order to better understand this<br />
behaviour, efforts have been started<br />
recently to re-establish the southern African<br />
repeat station network at a density last<br />
surveyed 7 years ago. In a co-operation<br />
between Hermanus Magnetic Observatory<br />
(South Africa) and <strong>GFZ</strong> Potsdam,<br />
absolute measurements for the three field<br />
components and continuous field variations<br />
were performed at 40 stations in fall<br />
<strong>2005</strong> (Fig. 10). This amount of new data,<br />
still in processing at the time of writing,<br />
will bring us useful information about the<br />
field morphology at the epoch of measurements.<br />
To constrain the core field temporal<br />
variations further, additional measurements<br />
campaigns are planned over<br />
the next years.<br />
The orientation of the geomagnetic field<br />
in southern Africa is also changing rapidly.<br />
In the northwest part of southern Africa<br />
the declination is propagating eastward<br />
(at Tsumeb) and in the south-east part it<br />
is heading westward (at Hermanus and<br />
Hartebeesthoek), as shown in Fig. 11.<br />
This causes a spatial gradient over the<br />
subcontinent which is presently increasing<br />
with time. A greater density of continuous<br />
observations is required in order<br />
to resolve the structure of the field orientation<br />
and its evolution. At the end of<br />
<strong>2005</strong>, again in cooperation with Herma-<br />
Fig. 11: Evolution of the geomagnetic declination at Hermanus, Hartebeesthook and Tsumeb in the southern African<br />
continent.<br />
Änderung der magnetischen Deklination in Hermanus, Hartebeesthook und Tsumeb, alle im südlichen Afrika.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
73
74<br />
Fig. 12: Construction of a measurement hut at the new<br />
geomagnetic observatory Keetmanshoop, Namibia.<br />
Aufbau einer Hütte für magnetische Messungen am neuen<br />
Observatorium Keetmanshoop in Namibia. (Foto: H.-J.<br />
Linthe, <strong>GFZ</strong>)<br />
nus Magnetic Observatory, a new magnetic observatory<br />
was installed in Keetmanshoop (Namibia), which will provide<br />
data from 2006 onward (Fig. 12).<br />
Lithospheric field<br />
Improved lithospheric field models are of great importance<br />
for geodynamics studies, but a high spatial data resolution<br />
is essential in order to develop them. Satellite data<br />
have strongly improved global lithospheric field descriptions<br />
(e.g. the MF4 model by Maus et al., 2006), but contain<br />
only the large-scale part of the lithospheric field due<br />
to the distance of the satellite from the Earth’s surface.<br />
Aeromagnetic surveys provide detailed pictures of magnetic<br />
anomalies, but are generally confined to quite limited<br />
regions, thus lacking the large-scale parts of the lithospheric<br />
field. Moreover, only field intensity but not the<br />
whole vector field information is gained in such surveys.<br />
The available ground vector data, on the other hand, are<br />
not distributed densely enough to provide sufficient<br />
information on the lithospheric field.<br />
It has already been mentioned that the combination of the<br />
different data types is not straightforward. However,<br />
recently a method for analysing magnetic data from different<br />
platforms has been developed and improved by Thé-<br />
Fig. 13: Vector maps of geomagnetic anomalies over Germany<br />
obtained by using ground, aeromagnetic and<br />
CHAMP satellite data. The north (X), east (Y) and vertical<br />
(Z) components of the magnetic field are shown from<br />
top to bottom.<br />
Karten der Magnetfeldanomalien über Deutschland aus<br />
der Kombination von Bodendaten, aeromagnetischen Daten<br />
und CHAMP-Satellitendaten. Es sind, von oben nach<br />
unten, die Nord- (X), Ost- (Y) und Vertikalkomponente (Z)<br />
des Magnetfelds dargestellt.<br />
bault et al. (<strong>2004</strong>). It is based on the solution of the Laplace<br />
equation within a spherical cone, and is referred to as<br />
Revised Spherical Cap Harmonic Analysis. It is designed<br />
for the inclusion of data from different altitudes, i.e. from<br />
ground, aeromagnetic and satellite, for a combined inversion.<br />
The method has already successfully been applied<br />
for regional modeling. The example shown in Fig. 13 is<br />
for Germany. For this area, data from the three German<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
observatories Fürstenfeldbruck, Niemegk and Wingst,<br />
German repeat station data, and the available aeromagnetic<br />
and CHAMP satellite measurements have been considered.<br />
The results are detailed vector maps of the lithospheric<br />
geomagnetic field, with the large-scale information<br />
coming mainly from the satellite data and the smallscale<br />
information mainly from the aeromagnetic, combined<br />
with the observatory and in particular the denser repeat<br />
station measurements, to give the full vector description.<br />
External field<br />
The development of new analysis techniques for data from<br />
satellites and observatories permits an improved separation<br />
of the field sources into those which are internal and<br />
external to the Earth’s surface and also into those above<br />
and below the orbits where the satellite observations are<br />
made. Thus, in theory, the ionospheric sources which are<br />
external to the Earth’s surface but below the satellites'<br />
orbits, can be isolated. Such a separation allows for better<br />
parameterization of both the main geomagnetic field and<br />
the external variations which are modulated by solar activity.<br />
In the following example, both satellite and groundbased<br />
data is used for studying the ionospheric contribution<br />
in magnetic field measurements. The most intense<br />
current system in the ionosphere is that of the horizontally<br />
flowing auroral electrojet in the auroral oval.<br />
The strength and latitudinal position of these current<br />
flows depend on many factors, for example on the solar<br />
zenith angle, solar wind activity, magnetospheric convection<br />
and substorm processes. The characteristics of<br />
the auroral electrojet reflect the dynamics and the processes<br />
at the magnetopause and in the outer magnetosphere.<br />
The electric energy is transported from the magnetosphere<br />
to the ionosphere by currents flowing along<br />
the field lines. Their intensity controls the electric field<br />
and partially the state of ionospheric conductivity, and<br />
with it the strength and location of the auroral electrojet<br />
(Campbell, 1997). As an example, Fig. 14 shows the horizontal<br />
ionospheric current density computed from mag-<br />
netic field measurements taken onboard the CHAMP<br />
satellite (Ritter et al., <strong>2004</strong>) and from the IMAGE<br />
ground-based magnetometer network (Amm and Viljannen,<br />
1999). For this purpose total field data sampled by<br />
the Overhauser Magnetometer on CHAMP and the horizontal<br />
magnetic field measurements of the IMAGE network<br />
were used. The high correlation shown in Fig. 14<br />
demonstrates the capability of ground-based observations<br />
at high latitudes to predict the strength of the electrojet<br />
signatures in the satellite magnetic field scalar<br />
data.<br />
Conclusion and outlook<br />
Fig. 14: The auroral electrojet above Scandinavia obtained from intensity<br />
measurements on the CHAMP satellite and horizontal magnetic field measurements<br />
by the IMAGE network at the Earth’s surface.<br />
Der polare Elektrojet über Skandinavien, hergeleitet aus Messungen der<br />
Magnetfeldintensität des Satelliten CHAMP und Aufzeichnungen der horizontalen<br />
Magnetfeldkomponenten an den Stationen des IMAGE-Netzwerks<br />
am Erdboden.<br />
The Earth’s magnetic field is used for probing the Earth’s<br />
lithosphere and deep interior and understanding solar-terrestrial<br />
relationships; it is also a tool for navigation, directional<br />
drilling, geological studies and mineral exploration.<br />
The geomagnetic field is shielding our habitat from the<br />
direct influences of the solar wind, which becomes apparent<br />
during strong geomagnetic storms when the shield is<br />
pushed Earth-ward under the influence of the high-speed<br />
solar wind. Satellite failures, problems in telecommunication<br />
and radio transmission or even regional power failures<br />
are often encountered as consequences of them. To<br />
map the geomagnetic field and both its spatial and temporal<br />
variations, it is essential to improve our understanding<br />
of the different processes contributing to it and to<br />
increase the predictability of the future field evolution.<br />
Data from ground observatories, special surveys over land<br />
and sea, and from satellites must be jointly used to achieve<br />
these goals.<br />
The data gathered by geomagnetic observatories form the<br />
backbone in tracking continuously the magnetic field variations;<br />
their data are made available in a variety of time<br />
frames ranging from near real-time to 5-year summary<br />
information. <strong>GFZ</strong> is contributing to the worldwide observatory<br />
network with its central observatory in Niemegk,<br />
from where observatories in Wingst (Northern Germany),<br />
Bolivia, Bulgaria and Namibia are operated in cooperation<br />
with local institutions. Further cooperations with the<br />
aim of bringing more observatories to the INTERMAG-<br />
NET standard and filling other gaps in the<br />
global network are planned.<br />
During the last few years, three new<br />
satellites including <strong>GFZ</strong>’s CHAMP were<br />
launched by different agencies to measure<br />
the Earth’s magnetic field from<br />
space. Their data are made available by<br />
each of the mission data centres. For<br />
scientists, the biggest benefit of the highquality<br />
and huge amount of magnetic<br />
measurements, from ground and space,<br />
is a fresh point of view of the hidden interior<br />
of the planet, and its place in the<br />
magnetic solar system.<br />
Our magnetic planet will remain under<br />
observation with ESA’s forthcoming<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
75
76<br />
Fig. 15: Artistic view of the upcoming ESA-mission SWARM that will consist<br />
of a three-satellite constellation measuring the geomagnetic field.<br />
Die kommende ESA-Mission SWARM wird mit einer Konstellation aus drei<br />
Satelliten das Erdmagnetfeld vermessen – modellhafte Darstellung.<br />
Swarm mission (Fig. 15). Three satellites will be launched<br />
in 2009 and are intended to measure the magnetic field<br />
and its variations far more accurately than ever before<br />
(Friis-Christensen et al., <strong>2004</strong>). Based on the expertise gained<br />
from CHAMP, <strong>GFZ</strong> is well prepared to play a leading<br />
role in this ambitious mission.<br />
Acknowledgments<br />
Parts of the work described here have been funded by the<br />
„BMBF/DFG Sonderprogramm GEOTECHNOLOGIEN“,<br />
the DFG „Schwerpunktprogramm Erdmagnetische Variationen“,<br />
or have been carried out within the „INKABA YE<br />
AFRICA“ project. The results presented were possible only<br />
by the data acquisition and processing work of CHAMP<br />
data, Sungchang Choi and Wolfgang Mai, and German<br />
repeat station and observatory data, Martin Fredow, Anneleen<br />
Glodeck, Ingrid Goldschmidt, Jürgen Haseloff, Carsten<br />
Müller, Hannelore Podewski, Stefan Rettig, Jutta<br />
Schulz, Manfred Schüler, and Kathrin Tornow.<br />
All maps were plotted using the GMT software (Wessel<br />
and Smith, 1991).<br />
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released, EOS Trans. AGU, 79 579, 1998.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
CONTINENT – Der Baikalsee: ein außergewöhnliches<br />
kontinentales Klimaarchiv<br />
Hedi Oberhänsli, Birgit Heim, François Demory, Jens Klump, Hermann Kaufmann, Norbert Nowaczyk, Ronald Conze<br />
und CONTINENT-Partner<br />
Lake Baikal represents one of the few Eurasian, continental, lacustrine sites with an extremely long, uninterrupted sedimentary<br />
record (spanning potentially 25 million years) that can be exploited for high-resolution palaeoclimate studies.<br />
Baikal is also close to the boundaries of two important weather systems - the Siberian high-pressure zone and the Asian<br />
monsoon zone. Over recent decades, scientists have become increasingly aware that weather systems in one region of<br />
the world can have significant effects on climate elsewhere, many thousands of miles away. By definition, remote influences<br />
such as these are termed teleconnections. Moreover, it is also increasingly apparent that the earth's climate can<br />
change very abruptly in contrast to current predictions that, for example, global warming will occur gradually over<br />
the next 50 to 100 years. It is therefore important that we are fully able to understand the extent and rate of change of<br />
past climate variability. Lake Baikal represents a site remote from oceanic influences, for long time ignored in highresolution<br />
climate studies. By reconstructing climate variability in continental Eurasia, we can contribute to the knowledge<br />
base of, for example, the importance of changes in oceanic circulation to climate in regions remote from oceans<br />
during known periods of instability.<br />
In CONTINENT (High Resolution CONTINENTal Paleoclimate Record in Lake Baikal) we used both biological and<br />
non-biological proxies to reconstruct climate variability in Eurasia during the interglacials known as the Holocene<br />
(10 kiloannum (ka = 1000 years) before present BP) and the Eemian (c. 110 to130 ka BP), and the preceding Terminations<br />
I and II phases. Of interest were also abrupt climatic changes, in particular their timing and extent. However,<br />
in order to do this with confidence we also investigated contemporary processes in the lake that are likely to affect<br />
each of the different climate proxies. Challenges identified include understanding: (i) biological processes in the photic<br />
zones, e.g. life cycle strategies of organisms dependent on ice-cover in the lake; (ii) processes influencing windblown<br />
and riverine input to the lake; (iii) transport of biological and non-biological particles through the water<br />
column, e.g. rates of transport, seasonality; and (iv) processes that affect final incorporation of sediment particles<br />
into the sedimentary record, e.g. grazing, dissolution of diatom tests, bacterial consumption of organic material, typical<br />
processes occurring at the water/sediment interface. In order to address these challenges, climate has been reconstructed<br />
at high resolution: on decadal to centennial scales. Using these results we have learned more about the<br />
influence of climate forcing factors and their feedbacks. CONTINENT provided an improved knowledge on the central<br />
Asian climate history, which helps toward a better understanding of European and Northern Hemisphere climate<br />
systems.<br />
Meteorologische Messreihen belegen, dass auch Zentraleurasien<br />
in den letzten 100 Jahren eine deutliche Erwärmung<br />
erfahren hat, die sich wahrscheinlich in die Zukunft<br />
fortsetzen wird (Todd und Mackay, <strong>2004</strong>). Diese Aussagen<br />
beruhen auf Eisdickenentwicklung am Baikalsee und<br />
dem Beginn des Eisaufbaus und Abschmelzens. Temperaturmessungen<br />
zeigen weiter, dass seit den 1980er Jahren<br />
ansteigende kontinentale Wintertemperaturen über<br />
Eurasien und Nordamerika zu einem großen Teil für die<br />
beobachtete generelle Erwärmung über der Nordhemisphäre<br />
verantwortlich sind, während der Nordatlantik<br />
leicht kühlere Werte zeigt. In Sibirien hat das zu extremen<br />
räumlich und zeitlich gestreuten Temperatur- und Feuchtigkeitsanomalien<br />
geführt.<br />
Weite Permafrostbereiche finden sich bereits klimatisch<br />
im Ungleichgewicht. Bleibt es bei diesem Klimatrend,<br />
würde das bedeuten, dass sich die Grenze des permanenten<br />
Dauerfrostes, die sich derzeit noch am Nordende des<br />
Baikalsees befindet, langsam aber stetig weiter nach Norden<br />
zurückzieht. Dies wird eine Vielzahl von ökologischen<br />
Veränderungen nach sich ziehen. Noch ungeklärt ist,<br />
inwieweit die Auftauprozesse in Permafrostböden, unter<br />
anderem durch einsetzende Kompostierung der organischen<br />
Substanzen, Treibhausgase in noch nicht einschätzbarem<br />
Ausmaß zur Klimaveränderung freisetzen<br />
werden. Dass sie ihre Bedeutung haben, deckt sich mit<br />
Modellen, denn deren Ergebnisse gehen von starken<br />
Zunahmen von Treibhausgas und partikulären Aerosolen<br />
aus. Aus klimatischen Modellierungen wird prognostiziert,<br />
dass in den nächsten Dekaden in Zentralasien die<br />
Wintertemperaturen um 2 bis 8 °C (globale Durchschnittstemperaturen<br />
1,5 bis 4,5 °C) ansteigen und die<br />
Niederschläge um 300 bis 600 mm/Jahr zunehmen könnten<br />
(IPCC, 2001; z. B. Abb. 1). Die für die nächsten 50 bis<br />
150 Jahre vorliegenden Prognosen sind allerdings mit großer<br />
Unsicherheit behaftet, weil Rückkopplungsprozesse<br />
nicht ausreichend bekannt sind. Ebenfalls sind in Zukunft<br />
mehr Extremereignisse zu erwarten. In Zentralsibirien<br />
würde das bedeuten, dass mehr Frühjahrs- und Sommerstürme<br />
auftreten, die zu extremen Sommergewittern führen<br />
und verstärkt massive Staubmassen aus den zentralasiatischen<br />
Wüsten nach Osten bis nach Nordamerika transportieren.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
77
78<br />
Abb. 1: Globale Temperaturänderungen, die in den letzten 150 Jahren gemessen wurden (unten links). Der rote Pfeil<br />
könnte die Richtung in die Zukunft weisen, wenn wir mit einer deutlichen Erwärmung rechnen. Das große Bild zeigt<br />
die Temperaturverteilung, basierend auf einer maximalen vorhergesagten Erwärmung, wie sie in 100 bis 200 Jahren<br />
zu erwarten wäre. Danach wäre im Baikalgebiet mit einer durchschnittlichen Temperaturzunahme von 5 bis 8 °C zu<br />
rechnen (ICPP, 2001).<br />
Global temperature changes as recorded during the last 150 years are shown in the inset to the lower left. The red arrow<br />
points toward increasing values indicating considerable warming during the coming decades though the extent of the<br />
increase is not yet clear. From the least conservative assumption (Scenario A2) global temperature changes have been<br />
proposed. The succession of colour changes makes obvious that major temperature increases are expected to occur in<br />
mid and high latitudes of the N Hemisphere. In the Baikal area, annual average temperature might rise according to<br />
this scenario as much as 5 to 8 °C during the following 200 years (ICPP, 2001).<br />
Unsere kurzen meteorologischen Datenreihen von 100 bis<br />
120 Jahren reichen allerdings nicht aus, um Ereignisse mit<br />
extremen Amplituden zu beleuchten, deren Prozesse auch<br />
zu verstehen und regionale Zusammenhänge aufzudecken.<br />
Daher müssen wir klimatische Studien aus den letzten<br />
Interglazialen (Warmzeiten) nutzen. Aus ihnen lernen<br />
wir, wie wir Extremereignisse einzustufen und deren Auswirkung<br />
und Nachhaltigkeit auf das gesamte Klimasystem<br />
einzuschätzen haben. Extreme Klimaereignisse können<br />
im Kontext der Folgewirkungen verstanden werden,<br />
wenn aus verschiedenen Räumen paläoklimatische Daten<br />
zusammengebracht werden. Zur ausgewogenen Modellvalidierung<br />
sollten ebenfalls Daten aus unterschiedlichsten<br />
Regionen zur Verfügung stehen. Gerade Untersuchungen<br />
der letzten Jahre weisen darauf hin, dass die klimatische<br />
Variabilität im Raum beträchtlich ist. Daten der<br />
letzten 30 Jahre zeigen für Sibirien, dass für die dort aufgetretenen<br />
extremen räumlichen und zeitlichen Temperatur-<br />
und Feuchtigkeitsanomalien die Prozesse bisher nicht<br />
hergeleitet werden können (IPCC, WMO/UNEP, 2001).<br />
Gute Gründe, den zentral in Eurasien gelegenen Baikalsee<br />
als Untersuchungsobjekt auszuwählen, sind die Interaktionen<br />
zwischen verschiedenen atmosphärischen Systemen,<br />
die im Baikalseegebiet studiert werden können<br />
(Abb. 2). Im Winter liegt das Zentrum der Sibirischen<br />
Hochdruckzelle über dem westlichem Baikalgebiet und der<br />
nordwestlichen Mongolei. Als Folge der Druckverteilung<br />
dringt nur wenig Feuchtigkeit aus dem Nordatlantik und<br />
Nordpazifik nach Zentral- und Ost-Sibirien vor, so dass die<br />
Winter in der Regel kalt und trocken sind; dies wird kontrolliert<br />
durch die Stärke der Hochdruckzelle und deren<br />
meridiane Position. Im Sommer dagegen wird die Feuchtigkeitsverteilung<br />
in der Baikalregion über die thermisch<br />
kontrollierte Tiefdruckzelle, mit Zentrum südwestlich des<br />
Tibetischen Plateaus, und über die Polarfront gesteuert.<br />
Deren Positionen und Dynamik kontrollieren den arktischen<br />
Vortex und die Spur der Westwinde, die feuchte Luft<br />
aus dem Nordatlantik bzw. dem Arktischen Meer nach<br />
Zentralsibirien bringen und so im Sommer zu Regen und<br />
zu starker Wolkenbedeckung über dem See führen. Zudem<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
wird das südliche Einzugsgebiet der Selenga, des größten<br />
Zuflusses des Baikalsees, im Sommer auch mit monsunalen<br />
Niederschlägen aus dem Nordwest-Pazifik beliefert.<br />
Entsprechend war diese exponierte klimatische Positionierung<br />
des Baikalsees auch die Motivation, eine der ersten<br />
Bohrungen im Rahmen des vom <strong>GFZ</strong> Potsdam koordinierten<br />
„International Continental Scientific Drilling Program“<br />
(ICDP) im Baikalsee abzuteufen (Abb.3). Zudem<br />
dokumentieren die Sedimente des ältesten Sees der Erde<br />
eine lückenlose Klimageschichte für die letzten 25 bis<br />
35 Millionen Jahre. Die Bohrung erwies sich als sehr<br />
erfolgreich und eröffnete die Möglichkeit, in einem 200 m<br />
langen Sedimentkern die Klimageschichte der letzten<br />
5 Millionen Jahre einschließlich der Nordhemisphärenvergletscherung,<br />
die sich vor ca. 2,7 Mio. Jahren etablierte,<br />
zu studieren (z. B., Williams et al, 1998; Kashiwaya,<br />
2003; Demske et al., 2002). Das CONTINENT-Projekt<br />
(High Resolution CONTINENTal Paleoclimate Record in<br />
Lake Baikal) kann als Weiterführung dieser ersten lakustrinen<br />
ICDP-Bohrung gesehen werden, denn CONTINENT<br />
als Folgeprojekt wird viele komplexe Prozesse, die beim<br />
ersten Anlauf noch nicht verstanden werden konnten, nun<br />
weiter klären (Z. B., Oberhänsli and Mackay, <strong>2005</strong>).<br />
Im EU-geförderten Projekt CONTINENT standen zwei<br />
Fragen im Zentrum:<br />
(i) Wie funktioniert das Ökosystem Baikalsee heute,<br />
und welche Prozesse sind Schlüssel zum Verständnis<br />
des Klimas der Vergangenheit?<br />
• Welche Prozesse sind für die Biologie in der photischen<br />
Zone relevant? Ist z. B. die Überlebensstrategie<br />
der Organismen von der Dauer und der Dicke der Eisbedeckung<br />
abhängig?<br />
• Wie funktioniert der Nährstoffkreislauf?<br />
• Welche Prozesse beeinflussen den allochthonen Eintrag<br />
(Aerosole oder Flussfracht) in den Baikalsee<br />
und welche die räumliche Verteilung der detritischen<br />
Partikel?<br />
• Was passiert während des Transports von biologischen<br />
and abiotischen Partikeln durch die Wassersäule, die<br />
im zentralen Becken bis 1650 m mächtig ist? Wie viel<br />
Material wird biologisch abgebaut, wo finden laterale<br />
Transporte statt?<br />
• Welche Prozesse können die Einbettung der Partikel<br />
an der Wasser-Sediment-Grenzfläche beeinflussen:<br />
Bioturbation und zoologisches Abweiden, bakterieller<br />
Abbau, chemische Lösung und Umwandlung an der<br />
Sediment-/Wassergrenzfläche?<br />
Abb. 2: Druckverteilung während des Winters und Sommers über Eurasien. Hauptmerkmale sind das Sibirische<br />
Hochdruckgebiet und das Tibetische Tiefdruckgebiet. Sie kontrollieren die Feuchtigkeit über Eurasien, die aus dem<br />
Nordatlantik, der Arktis (sommers und winters) und dem NW-Pazifik (hauptsächlich im Sommer) herangeführt werden.<br />
Pressure distributions over Eurasia during winter and summer. The major features are the Siberian High-Pressure Cell<br />
and the Tibetan Low-Pressure Cell, which control on atmospheric moisture distribution over Eurasia originating from<br />
the North Atlantic, and the Arctic Oceans (summer and less pronounced during winter) as well as from the NW Pacific<br />
(mostly during summer).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
79
80<br />
Abb.3:Für das ICDP-Bohrprogramm wurde mit dem Forschungsschiff<br />
„ULAN UDE“ (oben) die Bohrplattform zur<br />
Bohrungsstelle gebracht und mit dem Bohren begonnen,<br />
als der gesamte Bohrkomplex eingefroren war. Die Bohrung<br />
wurde beendet, als das Eis im frühen Sommer aufbrach.<br />
Für das CONTINENT-Programm (http://continent.gfz-potsdam.de)<br />
haben wir das Forschungsschiff<br />
„VERESHAGIN“ (unten) für das Aussetzen der Sedimentfallen,<br />
die biologische, physikalische und chemische<br />
Geländearbeit sowie für die seismischen Aufnahmen und<br />
zum Einholen von Sedimentkernen vom Limnologischen<br />
Institut in Irkutsk angemietet (Fotos: H. Oberhänsli, <strong>GFZ</strong>).<br />
For the ICDP deep drill hole the research vessel (RV)<br />
„ULAN UDE“ (above) was dragging a barge with drilling<br />
tower and equipment to the site. When the lake was<br />
frozen and ship position had stabilized drilling could be<br />
started and continued until the ice cover was breaking up.<br />
For the CONTINENT field studies (http://continent.gfzpotsdam.de),<br />
like deployment of sediment traps, biological,<br />
physical and chemical monitoring, seismic survey<br />
of surface sediment layers, and sediment coring we rented<br />
RV „VERESHAGIN“ (below) from the Limnological<br />
Institute, RAS, Irkutsk during the summer cruises from<br />
2001 to 2003.<br />
(ii) Welche Klimavariationen charakterisieren die letzten<br />
beiden Interglaziale (Warmzeiten) in Zentralsibirien?<br />
• Holozän (0 bis 10 ka BP) und Eem (entspricht der<br />
Kasantzevo-Warmzeit) (117 bis 127 ka BP)<br />
• mit den zugehörigen Übergängen aus den vorangehenden<br />
Glazialen (Terminationen I und II)<br />
Die Klimavariationen sollten in hoher zeitlicher Auflösung,<br />
von Jahrzehnten bis zu einem Jahrhundert, rekon-<br />
struiert werden. Darüber hinaus sollten die gefundenen<br />
Paläoklimavariationen mit Daten aus Westeuropa und<br />
Asien verglichen werden, um im räumlichen Vergleich<br />
Amplituden von kurzen Klimaereignissen und die Ausrichtung<br />
der Änderungen zu evaluieren.<br />
Wir erwarteten, dass sowohl die jahreszeitlichen Temperaturschwankungen,<br />
wie auch die wechselnden Niederschläge<br />
aus den Sedimentparametern herauszulesen sind.<br />
Wichtig war es uns, für beide Interglaziale Daten in Zeit<br />
und Raum zu bekommen. Deshalb wurden drei Bohrlokationen<br />
geplant und damit auch dem Monitoring der morphologischen<br />
und klimatischen Diversität des Sees Rechnung<br />
getragen (vgl. Abb. 4, 5).<br />
Wie funktioniert das Ökosystem Baikalsee?<br />
Der Baikalsee ist mit einer Tiefe von bis zu 1650 m der<br />
tiefste Süßwassersee der Welt. Der südsibirische See, ca.<br />
650 km lang und maximal 80 km breit, erstreckt sich über<br />
eine Oberfläche von 31.500 Quadratkilometern und hat<br />
eine durchschnittliche Wassertemperatur von 4 °C. Aufgrund<br />
seiner Tiefe ist er zugleich auch der größte Süßwasserkörper<br />
der Welt: er enthält ein Fünftel des Süßwassers<br />
aller Seen der Erde.<br />
Der Baikalsee besteht aus drei morphologisch durch<br />
Unterwasserrücken abgetrennten Becken von unterschiedlicher<br />
Tiefe (maximal: 1650 m, minimal: 910 m).<br />
Im August kann die Oberflächentemperatur 8 bis 10 °C<br />
erreichen, in Ufernähe oder kleinen Buchten sogar 14 bis<br />
18 °C.<br />
Der See ist dimiktisch. Das bedeutet, dass der See zeitweise<br />
geschichtet ist (mit Epilimnion und Hypolimnion).<br />
Der Wasserkörper wird also einmal im Jahr bis zu einer<br />
Tiefe von 250 m windbedingt umgewälzt und friert mindestens<br />
für die Hälfte des Jahres zu. Die Sommerschichtung<br />
dauert nur kurz (Ende Juli-Anfang September), doch<br />
dabei wird das Epilimnion (Deckschicht) bis zu 50 m<br />
mächtig. In Jahren mit langen Wintern und kühlen Sommern<br />
kann im Nordbecken die Schichtung auch ausbleiben<br />
(Kozhova and Izmest’eva, 1998). Der See ist ab Ende<br />
Dezember für die Hälfte des Jahres mit Eis bedeckt. Eisfrei<br />
wird das Südbecken ab Mitte Mai, das Nordbecken<br />
erst ab Mitte Juni (Kozhov 1963). Diese extrem jahreszeitlich<br />
geprägte limnologische Situation hat Auswirkungen<br />
auf die Primärproduktion und damit auf die gesamte<br />
Nahrungskette.<br />
Hier liegt der Schlüssel zur Frage: „Welche biologischen<br />
Seesedimentparameter liefern welche Klimainformationen,<br />
und was bewirkt und beeinflusst diese klimatische<br />
Signalbildung?“, die wir zuerst zu lösen hatten, bevor wir<br />
die Rekonstruktion der Klimavariationen in der Vergangenheit<br />
angehen konnten. Wir hatten ein ausgedehntes<br />
Monitoringprogramm vor Ort mit Expeditionen geplant,<br />
die im März (Insolation nimmt zu: wichtiger Zeitpunkt in<br />
der saisonalen Produktivität) und im Juli/August (Beginn<br />
des Sommerproduktionsmaximums) stattfanden. Nicht<br />
nur die autochthonen (d. h. Vor-Ort-) Prozesse bilden Kli-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
masignale im Sediment ab. Der Baikalsee ist über Flussfrachten<br />
und äolischen Transport das Auffangbecken für<br />
wechselnde allochthone (d. h. außerhalb des Systems<br />
generierte) Einträge, die ebenfalls Klimasignale (Klimaproxies)<br />
mit sich bringen.<br />
Monitoring für biologische, chemische und minerogene<br />
Parameter<br />
Geländedaten<br />
Während der Sommerexpeditionen von 2001 – 2003<br />
wurden biologische, geochemische, sedimentologische<br />
und physikalische Geländeuntersuchungen im Baikalsee<br />
durchgeführt (Abb. 4). Dazu wurden Stationen mit<br />
wechselnder Primärproduktion und terrigenem Eintrag<br />
ausgewählt. Die erfolgreiche Bohrung und Einholung<br />
der drei CONTINENT-Sedimentkerne gelang im Sommer<br />
2001 vom Forschungsschiff VERESHAGIN aus<br />
(Abb. 5).<br />
Die bio-optische Geländedatenaufnahme bestand in spektro-radiometrischen<br />
Messungen (GER Geländespektrometer)<br />
des photischen Bereiches mit gleichzeitiger Wasserprobennahme<br />
aus den entsprechenden Tiefen. Die<br />
Hauptparameter der limnologischen Geländedatenaufnahme<br />
wurden aus der Analyse der lipophilen Phytoplanktonpigmente<br />
(Chlorophylle und Carotinoide mittels<br />
High-Pressure-Liquid-Chromatography (HPLC)), sowie<br />
der Kieselalgenvergesellschaftung (Diatomeen) gewonnen.<br />
Nährstoffe und Schwebstoffgehalt und eine Vielzahl<br />
weiterer Parameter wurden ebenfalls analysiert. Temperatur-<br />
und Dichte-Stationsprofile (CTD-Sonde) bis in<br />
100 m Wassertiefe gaben Aufschluss über die Schichtungsverhältnisse<br />
der Wassersäule. Zusätzlich wurde mit<br />
multispektralen fluorometrischen Messungen (Moldaenke<br />
FluoroProbe) die Tiefenverteilung der verschiedenen<br />
taxonomischen Phytoplanktergruppen erfasst. Nach Kalibrierung<br />
der FluoroProbe auf die Phytoplanktonvergesellschaftung<br />
im Baikalsee (Diatomeen, Cryptomonaden,<br />
Blaualgen, etwas weniger gesichert Grünalgen) bestätigten<br />
die Daten aus den hochauflösenden Fluoreszenzprofilen<br />
die Konzentrationen der Phytoplankter aus dem<br />
regionalen und saisonalen Monitoring, die auf Zählungen<br />
der Phytoplanktergruppen und HPLC-Pigmentanalysen<br />
basierten. Neben Offenwasserstationen wurden gezielt<br />
Transekte, ausgehend von der Barguzin-Mündung und<br />
vom Selenga-Delta, in das Pelagial erstellt. Da auf den<br />
Forschungsfahrten horizontale Fluoreszenztransekte kontinuierlich<br />
gefahren wurden, erhöhte sich die Beobachtungsdichte<br />
signifikant. Der CONTINENT-Geländedatensatz<br />
stellte auch die Grundlage für die Evaluierung der<br />
Satellitendatenprodukte dar.<br />
Optische SeaWiFS-Satellitendaten<br />
Der spektral wirksame Wasserinhaltsstoff der obersten<br />
Gewässerschicht im Pelagial ist das Chlorophyll-a<br />
(Chl-a), ein guter Indikator für die Primärproduktion. Von<br />
radiometrisch hochaufgelösten Ocean-Colour-Satelliten<br />
werden in täglichen Aufnahmezyklen diese spektralen<br />
Signale der Weltmeere global erfasst und dem Nutzer als<br />
Chl-a-Standardprodukte zur Verfügung gestellt. Dieser<br />
nutzt die globalen Chl-a-Daten in den marinen, logistisch<br />
schwer zu erfassenden Gebieten zum Phytoplanktonmonitoring.<br />
Dieses Potential der optischen Gewässerfernerkundung,<br />
bezüglich flächenhafter<br />
hydrodynamischer und quantitativer Prozesse<br />
fehlende Informationen zu liefern,<br />
konnte jedoch bisher für den limnischen<br />
Bereich wenig ausgeschöpft werden.<br />
Daher haben wir in dieser ersten bio-optischen<br />
Satellitendatenanalyse des Baikalsees<br />
Satellitendatenprodukte entwickelt<br />
Abb. 4: Landsat TM-MOSAIK RGB742<br />
(UTM 48), Quelle: Baikal Online-GIS:<br />
http://dc108.gfz-potsdam.de/website/.<br />
Karte der Geländestationen:<br />
„Ground truthing“ 2001 – 2003 (weiße<br />
Punkte), Sedimentfallen (rote Punkte),<br />
Bohrstellen der Sedimentkerne (gelbe<br />
Punkte): Continent Ridge (Norden), Posolsky,<br />
Vydrino Shoulder (Süden).<br />
Landsat TM-MOSAIK RGB742 (UTM 48),<br />
source: Baikal Online-GIS: http://dc108.<br />
gfz-potsdam.de/website/. Sampling<br />
map: „Ground truthing“ 2001 – 2003<br />
(white dots), sediment traps (red dots),<br />
sediment coring sites (yellow dots): Continent<br />
Ridge (north), Posolsky Bank,<br />
Vydrino Shoulder (south).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
81
82<br />
Abb. 5: Aktivitäten im Gelände 2001 bis 2003: Side-scan-sonar SONIC 3 der Kollegen aus St. Petersburg (oben links),<br />
Geländespektrometer GER (unten links), Bekernung mit modifiziertem Kullenberglot (Prof. Meischner, Universität<br />
Göttingen) (oben rechts). 70 m Sedimentkerne gestapelt im Container (Mitte rechts). Susanne Fietz und Xavier Boes<br />
bei der Kernbeschreibung und Beprobung am <strong>GFZ</strong> Potsdam (unten rechts). In der Bildmitte das russische Forschungsschiff<br />
„Vereshagin“ (Fotos: J. Klump, <strong>GFZ</strong>).<br />
Activities during field trips summer 2001 to 2003: Side- scan-sonar SONIC 3 of the colleagues from St. Petersburg<br />
(upper left), GER spectrometers (lower left), modified Kullenberg corer (Prof. Meischner, University Göttingen; upper<br />
right). To the middle at the right side 70 m cored sediment packed in the container. To the right below Susanne Fietz<br />
and Xavier Boes are describing and sampling cores at <strong>GFZ</strong> Potsdam. In the central part the Russian research vessel<br />
„Vereshagin“.<br />
und evaluiert, und in unsere wissenschaftlichen Fragestellungen<br />
eingesetzt. Unsere Grundlagen waren High<br />
Resolution Picture Transmission (HRPT)-Satellitendaten<br />
des NASA-SeaWiFS-Instrumentes mit insgesamt 8 spektralen<br />
Aufnahmebereichen (Bänder) im Blauen, Grünen,<br />
Roten und Nahinfraroten und 1,3 km 2 räumlicher Auflösung<br />
pro Pixel. Ab Juni 2001 erhielten wir regelmäßig über<br />
18 Monate Rohdaten der HRPT-Empfangsstation in Ulan<br />
Baator (Mongolei). Die digitalen Rohdaten wurden von<br />
uns radiometrisch zu empfangenen Strahldichten am Sensor<br />
konvertiert. Dann musste das Hauptsignal der Atmosphäre<br />
herauskorrigiert und die spektralen wasserverlassenden<br />
Reflektanzen (entspricht der apparenten Gewässerfarbe)<br />
herausgerechnet werden (Heim et al., 2003). Nun<br />
musste noch untersucht werden, inwieweit für den sehr<br />
klaren Baikalsee die spektralen Variationen der Gewässerfarbe<br />
über empirische und globale Algorithmen zu<br />
Chl-a-Konzentrationen konvertiert werden können (Heim<br />
et al., <strong>2005</strong>; Heim <strong>2005</strong>). Des weiteren sollte aus den<br />
atmosphärenkorrigierten Satellitendaten die räumliche<br />
Ausdehnung der Flusseinträge lokalisiert und deren saisonale<br />
Dynamik beobachtet werden. Trotz der halbjährigen<br />
Eisbedeckung und häufiger Wolkenbedeckung, vor<br />
allem im späten Frühjahr und Sommer, konnten aus den<br />
Satellitendaten kurze Zeitserien im Sommerhalbjahr<br />
gewonnen werden.<br />
Sedimentfallen im südlichen und nördlichen Baikalsee<br />
Zur Erfassung der saisonalen Dynamik im Wasserkörper<br />
wurden zwei komplexe Verankerungen mit Sedimentfallen<br />
von März 2001 bis Juli 2003 ausgesetzt. Das in verschiedenen<br />
Wassertiefen aufgefangene partikuläre Material<br />
wird zur Quantifizierung der vertikalen Stoffflüsse für<br />
die verschiedenen Jahreszeiten genutzt. Daraus kann auf<br />
biologische Produktionsraten in der photischen Zone, aber<br />
auch auf biologische Abbauprozesse in tieferen Schichten<br />
des Wasserkörpers geschlossen werden.<br />
Eine Gerätekette wurde im Nordbecken und die andere im<br />
Süd-Zentralbecken verankert (Abb. 6). Sie bestanden aus<br />
9 bzw. 15 integrierenden Fallen, 2 sequenziellen Fallen,<br />
13 bzw. 17 Temperaturloggern, 1 Strömungsmesser und<br />
einem akustischen Auslösersystem. Aussetzen und Einholen<br />
geschah im Winter vom Eis (Südbecken) oder von<br />
dem Forschungsschiff VERESHAGIN. Die Datenaufnahme<br />
in den verschiedenen Wasserstockwerken erfolgte<br />
je nach Gerätebestückung im 60- oder 10-Minutentakt<br />
(Abb. 7). Die Beprobungsdauer in den sequenziellen Fallen<br />
wurde auf die biologische Dynamik abgestimmt und<br />
lag zwischen 10 Tagen und 2 Monaten. Die Verankerungen<br />
wurden jährlich eingeholt, dabei die Daten ausgele-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 6: Ausstattung der Sedimentfalle aus<br />
dem Nordbecken (EAWAG Zürich; Mike<br />
Sturm). Im Nordbecken wurden die Temperaturen<br />
alle 10 Minuten mit dem Brancker<br />
TR-1000 Logger bei 16, 174, 227, 389,<br />
550, 740, 795, und 868 m Wassertiefe registriert.<br />
Strömungsgeschwindigkeit und<br />
Richtung wurden in Bodennähe alle 30 Minuten<br />
mit einem Aanderaa-Strömungsmesser<br />
aufgezeichnet. Im Südbecken (Falle<br />
nicht gezeigt) wurde die Temperatur alle<br />
60 Minuten mit VEMCO-Minilogs bei 16,<br />
41, 75, 100, und 195 m Wassertiefe und alle<br />
10 Minuten mit Brancker TR-1000-Temperaturloggers<br />
bei 303, 350, 397, 455, 540,<br />
825, 1015, 1210, 1305, 1352, und 1396 m<br />
Wassertiefe aufgezeichnet. In Bodennähe<br />
(1398 m) wurden ebenfalls alle 30 Minuten<br />
Strömungsgeschwindigkeit und Richtung<br />
aufgezeichnet. Beide Verankerungen<br />
wurden während der CONTINENT-Sommerexpedition<br />
im Juli 2003 geborgen.<br />
Zusammen mit der PEEPER-Sonde, die<br />
Sauerstoff-, Stickstoff- und Kohlendioxidflüsse<br />
an der Sediment/Wasser-Grenzschicht<br />
aufzeichnet, sind Sauerstoff-Flussdaten<br />
für Frühjahr und Sommer 2001 aufgezeichnet<br />
(Maerki et al., <strong>2005</strong>; Foto: M.<br />
Sturm, EAWAG Zürich).<br />
Sediment trap deployed in the North Basin<br />
(EAWAG, Zurich; Mike Sturm). Temperature<br />
was recorded every 10 minutes using Brancker TR-1000 Loggers at 16, 174, 227, 389, 550, 740, 795, and 868 m<br />
water depth. Current speed and direction were recorded every 30 minutes with an Aanderaa current meter. In the South<br />
Basin (trap not shown), temperatures were recorded with VEMCO Minilogs at 16, 41, 75, 100, and 195 m at 60 minutes<br />
intervals and with Brancker TR-1000 temperature loggers at 303, 350, 397, 455, 540, 825, 1015, 1210, 1305, 1352,<br />
und 1396 m again at 10 minute intervals. Near-bottom (1398 m), current speed and direction were recorded every<br />
30 minutes. The PEEPER instrument registering O, N and CO2 fluxes at the sediment water interface is shown together<br />
with O2 data sequences for spring and summer 2001 (right) (Maerki et al., <strong>2005</strong>).<br />
sen, die Fallen beprobt und dann der gesamte Komplex<br />
erneut mit Probegefäßen bestückt und wiederum ausgesetzt.<br />
Des weitern wurden mittels einer PEEPER-Sonde<br />
die Stoffflüsse (Ammonium, Nitrat, Phosphate, Sauerstoff)<br />
zwischen der Sediment-Wasser-Grenzschicht und<br />
den obersten 5 cm Sediment gemessen, um die Nährstoffflüsse<br />
aus den Fallen zu komplettieren (Abb. 6, Maerki<br />
et al, <strong>2004</strong>).<br />
Biotische und abiotische Dynamik im Baikalsee<br />
Phytoplanktonverteilung im Baikalsee<br />
Für das CONTINENT-Projekt waren die saisonal sich<br />
ändernden Diatomeen- und Pigmentverteilungsmuster,<br />
die im Projektverlauf mit ökologisch gut definierten<br />
Bedingungen verknüpft werden konnten, von besonderem<br />
Interesse. Die schalenbildenden Diatomeen (Bacillariophycea)<br />
sind die häufigsten Phytoplankter im pelagialen<br />
Baikalsee. Sie teilen den photischen Bereich mit weiteren<br />
Mikrophytoplanktern (Eustigmatophycea, Chrysophycea,<br />
Cryptophycea) und autotrophen Picoplanktern (Auto-<br />
trophic Picoplankton APP: Eukaryonten und Cyanobakterien).<br />
Letztere Gruppen tragen keine Schalen und können<br />
demzufolge nicht wie Diatomeen im Sediment direkt<br />
nachgewiesen werden. Sie sind dagegen gut über Pigmente<br />
im Sediment nachzuweisen. Da jede Phytoplanktergruppe<br />
photosynthetische Schlüsselpigmente (Markerpigmente<br />
= MP) besitzt, können die Beiträge der einzelnen<br />
Phytoplanktergruppen auf Grund dieser aus den<br />
Geländedaten festgelegten Anteile zum totalen Chl-a-<br />
Gehalt über lineare Regressionen errechnet werden:<br />
Chl-a = a(MPBacillariophyceae+Chrysophyceae) +<br />
b(MPChlorophyta) + c(MPEustigmatophyceae) +<br />
d(MPCyanobakterielle APP);<br />
Dabei wurden die Schlüsselpigmentkombinationen über<br />
einen iterativen Ansatz bestimmt. Als Kriterien liegen die<br />
Bedeutung der milieuspezifischen Faktoren (a, b, c und d),<br />
die Koeffizienten des Bestimmtheitsgrades (r 2 ) und der<br />
totale Anteil an Chl-a in der beprobten Region zu Grunde.<br />
Dieses Konzept wurde mit mikroskopischen und quantitativen<br />
Bestimmungen des Phytoplanktons unterstützt.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
83
84<br />
Zur Absicherung der Interpretation der Pigmentdaten<br />
wurde die Pigmentzusammensetzung der Gruppen auch<br />
in Zuchtversuchen untersucht und mit Werten aus der Literatur<br />
verglichen (Fietz, <strong>2005</strong>). Über Chlorophylle sowie<br />
die drei Marker-Pigmente (MP) Fucoxanthin, Lutein und<br />
Zeaxanthin konnte daher sehr gut auf die heterogene Phytoplankter-Verteilung<br />
im Baikalsee geschlossen werden<br />
(Abb. 8).<br />
Die Verteilung der verschiedenen Diatomeen-Arten, die<br />
im Baikalsee einen eindeutigen Nord-Süd-Gradienten<br />
zeigt, wird über viele Faktoren - wenn auch in unterschiedlichem<br />
Grad - gesteuert und spiegelt so die Komplexität<br />
des Systems wider (Mackay et al., 2006). Wichtig<br />
sind folgende Faktoren:<br />
• Schneedicke auf dem Eis, Dauer der Eisbedeckung,<br />
Dauer der Bedeckung mit opakem (lichtundurchlässigem)<br />
Eis<br />
• Wassertemperatur im Juli,<br />
• Wassertrübung durch minerogene Suspensionsfracht,<br />
suspendiertes organisches Material<br />
• Zooplanktonkonzentration, Wassertiefe (entscheidend<br />
für Trophiestrukturen).<br />
Abb. 7: Das Temperaturprofil über die<br />
obersten 300 m Wassersäule im Frühjahr/Frühsommer<br />
zeigt deutlich die Advektions-<br />
und Turbulenzereignisse in Abhängigkeit<br />
des Anstiegs der Sonneneinstrahlung<br />
und damit sich erwärmender<br />
Oberflächenwassertemperaturen. (Wüest<br />
et al., <strong>2005</strong>).<br />
Temperature profiles across the topmost<br />
300 m of the surface water layer during<br />
the spring/early summer. Advection and<br />
turbulences are evidenced as a result of<br />
increasing insolation, thus increasing<br />
surface water temperature in late spring/<br />
early summer (Wüest et al., <strong>2005</strong>).<br />
Wie die Faktoren zeigen, sind einerseits<br />
Prozesse, die zu stark wechselnden Lichtverhältnissen<br />
in der photischen Zone führen,<br />
aber auch turbulente Umwälzungen,<br />
die Nährstoffe zur Wiederverwendung<br />
wieder nach oben bringen, ausschlaggebend<br />
für die Prosperität der geologisch<br />
wichtigsten Phytoplanktergruppe der Diatomeen<br />
(z. B. Abb. 9). Lichtverhältnisse im<br />
Winter und zum Teil auch im Sommer werden<br />
über Niederschläge kontrolliert (d. h.<br />
Ausmaß der Schneebedeckung, Ausmaß<br />
der Wolkenbedeckung, die die Intensität<br />
der auftreffenden Globalstrahlung beeinflusst,<br />
u. ä.). Durch ausgedehntes Monitoring<br />
während der letzten 10 Jahre ist weitgehend<br />
bekannt, welche Verhältnisse im<br />
Winter und im Sommer Arten begünstigen<br />
bzw. zurückdrängen (Jewson und Granin,<br />
<strong>2004</strong>, Mackay et al. 2006).<br />
Interessant ist, dass die absolute Wassertemperatur einen<br />
nicht so entscheidenden Faktor darstellt, weil diese in dem<br />
riesigen Wasserreservoir vor allem im Winter wenig<br />
schwankt und zudem immer nahe am Gefrierpunkt liegt.<br />
Auch im Sommer sind die Wassertemperaturen für die<br />
Plankterpopulation nicht im absoluten Wert bedeutend.<br />
Sie sind aber dafür entscheidend, ob und wo sich die spätsommerliche<br />
Schichtung oder die Umwälzungen unter der<br />
Eisschicht im Winter und im Frühjahr entwickeln können.<br />
Temperaturänderungen spielen also eine relative Rolle für<br />
die komplexe Hydrophysik des Baikalseesystems. Ein<br />
steuernder Faktor, der als wichtig identifiziert werden<br />
konnte, ist der Niederschlag, der wiederum von der atmosphärischen<br />
Zirkulation gesteuert wird.<br />
Biologische Faktoren (Nahrungsnetze, Interaktionen zwischen<br />
Populationen, community ecology; Abb. 9) nehmen<br />
zwar eine wichtige Rolle ein, sind aber bis jetzt kaum unter<br />
dem Aspekt der geologischen Anwendung untersucht worden.<br />
In dem Sinne könnten Biomarkerstudien trotz schnellen<br />
bakteriellen Abbaus gute Einblicke in Zooplankterpopulationen<br />
bringen. Derzeit sind im Rahmen von<br />
CONTINENT noch Untersuchungen in Arbeit, die dazu<br />
neue Perspektiven eröffnen werden.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 8: Chlorophyll-a-Konzentration auf die verschiedenen Phytoplanktongruppen aufgeteilt. Die Daten der vier Stationen<br />
(S-Becken = Vydrino, Posolsky, Z-Becken, N-Becken = Kontinent-Rücken) zeigen große Variationen über die<br />
drei Sommer 2001 bis 2003 (Fietz et al., <strong>2005</strong>). Links unten sind die Schlüsselpigmentverteilungen und rechts unten<br />
die Konzentrationen der verschiedenen Phytoplankter für die vier Stationen aufgezeichnet. Die Diatomeen stellen die<br />
dominante Gruppe in der Phytoplankterzusammensetzung.<br />
Chlorophyll-a distribution attributed to the different phytoplankton groups calculated with multiple linear regression<br />
techniques across the lake (4 stations: S Basin = Vydrino, Posolsky, C Basin, N Basin = Continent Ridge) during summer<br />
2001 to 2003 (upper panel, Fietz et al., <strong>2005</strong>) is indicating a strong interannual variability. To the left (below) the<br />
distribution of marker pigments and to the right the phytoplankton concentration at the 4 stations during the summer<br />
season. Diatoms are evidently the most abundant group.<br />
Für Phytoplankter, die keine Schalen ausbilden, ist die<br />
Nährstoffverfügbarkeit wichtig. Die Messkampagnen<br />
zeigten allerdings, dass Nährstofflimitierung, anders als<br />
in europäischen und nordamerikanischen Seen, kaum für<br />
Phosphor, sondern höchstens ausnahmsweise für Stickstoff<br />
gilt. Neben Nitrat and Ammonium zeigt z. B. im Sommer<br />
auch der anorganische Stickstoff eine Abreicherung<br />
im Selenga-Delta. Erstere Abnahmen sind der Denitrifizierung<br />
zuzuschreiben. Die N 2-Abnahme erklärt sich<br />
mit den während der Sommersaison vorherrschenden N-<br />
Abb. 9: Wichtigste biotische Prozesse in der photischen<br />
und aphotischen Zone: (i) Primärproduktion mit Nahrungskreislauf,<br />
(ii) Export des organischen Materials aus<br />
der photischen Zone mit wirksamen Abbauprozessen<br />
in der Wassersäule (iii) „New Production“ in der photischen<br />
Zone dank der wiederverwendbaren Nährstoffe<br />
(http://lepo.it.da.ut.ee/~olli/eutr/sedFig3.gif).<br />
Principal biotic processes occurring in the euphotic and<br />
aphotic zones: (i) Primary production and food web, (ii)<br />
Sedimentation through the water column: showing degradation<br />
processes of organic matter settling to the bottom,<br />
and (iii) new production in the photic zone using recycled<br />
nutrients (http://lepo.it.da.ut.ee/~olli/eutr/sedFig3.gif).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
85
86<br />
fixierenden, cyanobakteriellen Picoplanktern. Somit sind<br />
deren Pigmente ein ausgezeichneter Indikator für die<br />
Sommerproduktivität als Folge der Nährstoffsituation.<br />
Gemessen am gesamten Phytoplanktonvolumen sind die<br />
Anteile der cyanobakteriellen und eukaryotischen autotrophen<br />
Picoplankter am höchsten bei der Station Posolsky<br />
in der Nähe des Selenga-Deltas (61 %) und im südlichen<br />
Becken, in dem der Flusseintrag maximal ist, während<br />
sie am niedrigsten im nördlichen Becken (11 %) sind<br />
(Fietz <strong>2005</strong>, Fietz und Nicklisch, <strong>2004</strong>). Diese Unterschiede<br />
in der Häufigkeit bilden den Nährstoffgradienten<br />
für Stickstoff zwischen Süd- und Nordbecken ab und zeigen<br />
somit die unterschiedlichen Trophiestrukturen. Insgesamt<br />
ist die Phytoplankterproduktion im Winter geringer<br />
als während der eisfreien Zeit. Die totale Primärproduktion<br />
erreichte im Juli/August, der Hauptproduktionszeit,<br />
im nördlichen Becken eine über die Wasserkolonne<br />
integrierte Akkumulation von 0,3 g m –2 Tag –1 Kohlenstoff.<br />
Im wärmeren südlichen Becken liegt sie von Juli bis<br />
August bei 0,8 g m –2 Tag –1 Kohlenstoff. Allerdings treten<br />
alle 3 bis 5 Jahre im späten Winter „Melosirablüten“ auf.<br />
Dabei vermehrt sich die Diatome Aulacoseira baicalensis,<br />
früher Melosira genannt, im März-April und erreicht in<br />
1 bis 25 m Wassertiefe Biomassen von 4 bis 6 g/m 3 . Diese<br />
extremen Kieselalgenblüten sind über erhöhte Silizium-<br />
Konzentrationen gesteuert, die sich über komplexe biologische<br />
Interaktionen aus der Vorjahressituation ergeben.<br />
Während der „Melosira-Jahre“ dominiert im Sediment die<br />
Winterproduktion, während in den anderen Jahren größtenteils<br />
die Sommerproduktion für das Sedimentsignal<br />
ausschlaggebend ist (David Jewson; persönl. Mitt. <strong>2005</strong>).<br />
Satellitendaten-Auswertung: In situ Bioproduktion<br />
und Flusseintrag<br />
Die Gewässerfernerkundung kombiniert mit „Ground<br />
Truthing“ bewährte sich als eine ausgezeichnete Methode,<br />
die biologische und allochthone Dynamik im Oberflächenwasser<br />
des Baikalsees in Raum und Zeit nachzuvollziehen.<br />
Der riesige Seekomplex erwies sich als ein biooptisch<br />
vielseitiges Studienobjekt. Aus den morphologischen,<br />
klima- und einzugsgebietbedingten Gegebenheiten<br />
des Baikalsees hatte sich ein regionales Unterwasserlichtfeld<br />
der oberen Wasserschicht entwickelt, das den<br />
Baikalsee von den bio-optischen Rahmenbedingungen<br />
bisheriger Gewässerfernerkundungsstudien des marinen<br />
Bereiches, der Küstenfernerkundung, und der mesotrophen<br />
großen europäischen Seen unterscheidet. Die bio-<br />
Abb. 10: Atmosphärenkorrigierte wasserverlassende Reflektanzen, Baikalsee, 23. 07. 2002, dargestellt als SeaWiFS<br />
,Quasi True Colour‘, ein „Red Green Blue (Bänder:) 642“-Bild. Irradianzreflektanz-Messungen des Unterwasserlichtfeldes,<br />
Juli 2002, sowie die Information zur Phytoplankton-Dominanz* (*S. Fietz, IGB, Berlin) veranschaulichen<br />
die bio-optischen Provinzen (B. Heim, 2006).<br />
Atmospherically corrected water leaving reflectance, Lake Baikal 23/07/2002, presented as SeaWiFS ,Quasi True Colour‘,<br />
a „Red Green Blue (spectra:) 642“-picture. Irradiance reflectance measurements of the under water light field, July<br />
2002, and the phytoplankton dominances * (*S. Fietz, IGB, Berlin) are used to visualise the bio-optical provinces.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
optischen Rahmenbedingungen, die durch<br />
die ausgedehnten Gelände-Messkampagnen<br />
definiert werden konnten, sind die<br />
hohe Transparenz und der oligotrophe<br />
Status in den Beckenbereichen sowie die<br />
Besonderheit von sehr organikreichen<br />
Flusseinträgen aus den Sumpfgebieten<br />
des Hinterlandes.<br />
Die Evaluierung der empirischen globalen<br />
Chl-a-Algorithmen zeigte, dass eine<br />
standarisierte Atmosphärenkorrektur für<br />
den Baikalsee zu bedeutenden Überschätzungen<br />
von Chl-a bis zu Faktor 10<br />
führt. Diese Chl-a-Überschätzung in den<br />
Standard-Chl-a-Satellitenprodukten tritt<br />
in Bezug auf oligotrophe Seen weltweit<br />
auf und behindert die Nutzung dieser<br />
eigentlich frei zur Verfügung stehenden<br />
Daten. Über regionale Recherchen zur<br />
Atmosphärenschicht über dem Baikalsee<br />
konnte eine angepasste Atmosphärenkorrektur-Prozessierung<br />
für das Baikalseegebiet<br />
eingerichtet werden, die eine Korrektur<br />
zu realen spektralen Strahlungswerten<br />
(der wasserverlassenden Reflektanz)<br />
ermöglichte (Abb.10).<br />
Für den Baikalsee als oligotrophes System<br />
mit entsprechend sehr niedrigen Chla-Werten,<br />
die zwischen 0,7 und 2 µg l –1<br />
liegen, funktionierte der SeaWiFS-OC2-<br />
Chl-a-Algorithmus, der aus einem globalen<br />
Datensatz (2853 Messsätze) oligotropher<br />
mariner Gewässer entwickelt wurde (O’Reilly et<br />
al. 1998, 2000) am besten (Heim, <strong>2005</strong>). Die Evaluierung<br />
mit den Geländedatensätzen zeigte eine Ableitungsgenauigkeit<br />
im Rahmen des vorgegebenen NASA- und ESA-<br />
Qualitätsstandards für Chl-a-Ableitung aus optischen Satellitendaten<br />
einer gringeren Abweichung als ± 35 %.<br />
Die SeaWiFS-Chl-a-Daten offenbarten eine relativ<br />
homogene horizontale Verteilung Anfang des Sommers,<br />
die aufgrund der sich entwickelnden thermischen<br />
Schichtung im Juli/August in einer heterogenen Wirbelstruktur<br />
zerbricht. Durch diese in den Satellitendaten<br />
räumlich nachvollziehbare Heterogenität konnten wir<br />
überprüfen, ob die einzelnen Monitoringstationen in<br />
getrennten Produktivitätsprovinzen liegen und inwiefern<br />
die Ergebnisse der einzelnen Stationen miteinander<br />
betrachtet werden können. Gemittelte Konzentrationen<br />
der einzelnen Beckenbereiche aus den Chl-a-Zeitreihen<br />
der Jahre 2001 und 2002 zeigen deutlich einen Anstieg<br />
der Bioproduktion im Juli/August, der über das Zeitfenster<br />
der Geländekampagnen nicht mehr erfasst werden<br />
konnte (Abb. 11).<br />
Auch die Flusseinträge (Parameter Suspended Particulate<br />
Matter, SPM) konnten wir im ersten Jahr der Untersuchungen<br />
auf spektakuläre Weise verfolgen, denn im südlichen<br />
Einzugsgebiet des Baikalsees fand während der<br />
Abb. 11: Ausschnitte aus den aus atmosphärenkorrigierten SeaWiFS-Satellitendaten<br />
berechneten Chl-a-Karten des Baikalsees. Sie zeigen die räumliche<br />
Verteilung der Primärproduktivität. Die berechneten Chl-a-Werte widerspiegeln<br />
auch die Werte außerhalb der Expeditionszeit. Die Kurven im unteren Teil<br />
der Abbildung zeigen die Sommerproduktivität (2002) für verschiedene Gebiete<br />
im Baikalsee; blau: ultraoligotroph im zentralen Nordbecken; orange: oligotroph<br />
im Zentralbecken; grün: Südbecken (B. Heim, 2006).<br />
Chl-a maps of Lake Baikal calculated from atmospherically corrected Sea-<br />
WiFS satellite data provide spatial information on primary productivity. The<br />
calculated Chl-a data also provide information on the seasonal succession of<br />
productivity beyond the expedition time windows (summer 2002, CON02-8).<br />
The graph at the bottom displays summer (2002) productivity of different<br />
regions in Lake Baikal: blue: ultra-oligotrophe central North Basin; oranges:<br />
oligotrophe Central Basin; green: South Basin (B. Heim, 2006).<br />
Feldaufnahmen ein Jahrhundertgewitter statt. Die Belieferung<br />
des Sees mit Huminstoffen und minerogenem<br />
Detritus war demzufolge außergewöhnlich reichlich. Das<br />
optische Signal dieses organikreichen Flusseintrages<br />
bestand in einer deutlich verstärkten Absorption im blaugrünen<br />
Wellenbereich, der in den kurzwelligen SeaWiFS-<br />
Bändern sichtbar wurde und sich noch in einem Zeitraum<br />
von zwei Wochen nach dem katastrophalen Flutereignis<br />
hielt. Über diesen optischen Indikator konnte die Intensität<br />
und die außergewöhnliche räumliche Ausbreitung der<br />
Flusseinträge vor allem in das Südbecken nachvollzogen<br />
werden (Abb. 12). Für die Ableitung des am Baikalsee<br />
anzutreffenden organikreichen Flusseintrages wurde ausgehend<br />
von Schlussfolgerungen aus der Barguzin- und<br />
Selenga-Transektenbeprobung und den Schwebstoffgeländedaten<br />
von Juli 2001 ein empirischer Algorithmus<br />
generiert. Auch in den Zeiten der Schneeschmelze zeigten<br />
die SeaWiFS-Satellitendaten, dass über einen mehrwöchigen<br />
Zeitraum im Mai bedeutende Flusseinträge in<br />
das Südbecken stattfanden (Heim et al., <strong>2005</strong>).<br />
Wie werden die Signale aus der photischen Zone<br />
ins Sediment verbracht?<br />
Damit die Proxies aus den Sedimenten mit realistischen<br />
ökologischen Situationen in Verbindung gebracht und entsprechend<br />
quantifiziert werden können, mussten zuerst<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
87
88<br />
Abb. 12: Terrigener Eintrag (SPM in mg/L), dargestellt auf der SeaWiFS-Karte für den 19. 07. 2001. Der Eintrag aus<br />
dem Hinterland des Barguzin und der Selenga sowie aus umliegenden Gebirgsbächen ist erhöht, weil zwei Wochen früher<br />
ein Unwetter geherrscht hatte (B. Heim, 2006).<br />
SPM (suspended particulate matter) presented on a SeaWiFS map for 19 /07/2001 (SPM concentrations are in mg/L).<br />
Selenga, and Barguzin Rivers and local mountain rivers bring the terrigenous input. It is intensified due to heavy rainfall-events<br />
that occurred up-stream two weeks earlier (B. Heim, 2006).<br />
geeignete Transfermodelle erstellt werden. An zwei Beispielen<br />
wird gezeigt, warum die Suche nach den Transfermodellen<br />
so wichtig ist: (i) am Abbau der photosynthetischen<br />
Pigmente und (ii) an den Lösungsvorgängen<br />
an Diatomeen, die beide wichtige Proxygruppen darstellen.<br />
Monitoring-Daten zeigten, dass Bakterien im Sommer<br />
und im Winter unabhängig von der Populationsdichte bis<br />
30 % der täglichen Primärproduktion konsumieren. Der<br />
Abbau der photosynthetischen Pigmente in der Wassersäule<br />
wird zusätzlich zur bakteriellen Zersetzung auch<br />
über weitere Prozesse, wie Photooxidation und Zooplanktonabweidung<br />
kontrolliert. In zwei Tiefenprofilen<br />
von Sedimentfallen wurden die Abbauraten über 3 Jahre<br />
quantifiziert (Abb. 13). Der Baikalsee bildet insofern auch<br />
besondere Transfermodelle aus, da folgende Prozesse für<br />
ihn von großer Bedeutung sind: die euphotische Zone<br />
(> 1 % des Oberflächenlichtes) geht bis zu einer Tiefe von<br />
50 m, und bis zum Boden des Sees in über 1000 m Tiefe<br />
ist reichlich Sauerstoff vorhanden. Besonders dominant<br />
scheint die Zooplanktonabweidung zu sein. Das vorherrschende<br />
Zersetzungsprodukt der photosynthetischen Pigmente<br />
sind Phaeopigmente, vor allem das Phaeophorbid-a,<br />
die sich im Verdauungssystem der Meso- und Mikrozooplankter<br />
(Carpenter und Bergquist, 1985) bilden. Da keine<br />
Phaeophorbide in unseren Wasserproben nachgewiesen<br />
werden konnten, verlassen die Phaeopigmente in den relativ<br />
großen Kotpillen der Mesozooplankter rasch den photischen<br />
Bereich der Wassersäule. Dies bestätigen auch frü-<br />
here Beobachtungen am Baikalsee, in denen postuliert<br />
wurde, dass das Abweiden durch Zooplankton große<br />
Bedeutung im Nahrungsnetz hat (Koshov, 1963).<br />
Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Abnahme von<br />
Chl-a und Phaephorbid-a in den obersten Schichten exponentiell,<br />
aber unter 250 m Tiefe deutlich langsamer stattfindet.<br />
Setzt man die Konzentration von Chl-a und Phaephorbid-a<br />
in einer Tiefe von 40 m als 100 %, finden wir<br />
in 100 m Wassertiefe nur noch 57 %, bei 250 m noch<br />
27 %, und in Bodennähe auf 1400 m Tiefe noch 22 % der<br />
ursprünglichen Menge (Fietz et al., <strong>2005</strong>) (Abb. 13). Für<br />
die anderen Chlorophylle und die Carotinoide gelten ähnliche<br />
Abbauraten. Unterschiedliche, größenabhängige<br />
Pigment-Abbauraten wurden vor allem bei den Bacillariophyceae<br />
und Chrysophyceae, der chemotaxonomischen<br />
Gruppe mit den höchsten Anteilen an der Phytoplanktervergesellschaftung,<br />
beobachtet (Fietz et al., <strong>2005</strong>). Die<br />
generell geringeren Abbauraten in größeren Wassertiefen<br />
sind wahrscheinlich über die niedrigen Wassertemperaturen<br />
zu erklären. Alle unsere Geländebeobachtungen weisen<br />
darauf hin, dass die Ablagerung von photosynthetischen<br />
Pigmenten auf der Sedimentoberfläche im Baikalsee<br />
durch diese vielen Faktoren beeinflusst wird. Aber<br />
dank der gefundenen Transfermodelle, die aus den Beobachtungen<br />
abgeleitet wurden, können wir jetzt auf die<br />
ursprüngliche Phytoplanktervergesellschaftung schließen.<br />
Damit können die biotischen Sedimentproxies für<br />
ökologische Informationen und damit zur Rekonstruktion<br />
des Klimas genutzt werden.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 13: Häufigkeit des Chl-a, sowie des Abbauproduktes Pheophorbid-a und Pheophytin a in der Wassersäule (links)<br />
(Fietz, <strong>2005</strong>). Das Abbau-Modell ist in der Mitte dargestellt. Rechts sind die prozentualen Anteile der einzelnen Phytoplankter<br />
am Chl-a abgebildet. Die prozentualen Veränderungen in der Tiefe zwischen 600 und 800 m und 1000 und<br />
1200 m deuten auf horizontale Tiefenströmungen, denn dort befinden sich zum Zeitpunkt der Fallenbeprobung Wassermassen<br />
mit anderen Phytoplankterinhaltsstoffen.<br />
Abundance of Chl-a, the decay product Pheophorbid-a und Pheophytin a in the water column (left) (Fietz, <strong>2005</strong>). In<br />
the middle, the decay model for pigments is shown. Percentage of phytoplankton contributing to Chl-a is shown to the<br />
right. The variations in the abundance between 600 and 800 m, 1000 and 1200 m highlight levels of lateral water transport<br />
containing other phytoplankton assemblages then at the mooring station.<br />
Die Auflösungsprozesse an den Diatomeen sind ein weiterer<br />
entscheidender Prozess, der mit einberechnet werden<br />
muss. Die im Baikalsee beobachteten Auflösungsraten sind<br />
speziesabhängig und damit leicht zu korrigieren. Für<br />
Rekonstruktionen früher lebender Diatomeen-Populationen<br />
wurden Korrekturfaktoren für die einzelnen Diatomeen-Arten<br />
errechnet. Dazu wurde die Zusammensetzung<br />
der lebenden Populationen mit den Vergesellschaftungen<br />
aus verschiedenen Sedimentfallentiefen und dem heutigen<br />
Oberflächensediment verglichen. Am aggressivsten sind<br />
die Lösungsvorgänge allerdings an der Sediment-Wasser-<br />
Grenzfläche (Battarbee et al., <strong>2005</strong>). Obwohl die Lösungsresistenz<br />
selektiv ist und nur ca. 1 % der ursprünglichen<br />
Population erhalten bleibt, werden die meisten ökologisch<br />
informativen Arten im Sediment eingebettet und stehen uns<br />
heute für die Rekonstruktion des Klimas zur Verfügung.<br />
Diese dank langjährigem Monitoring gefundenen Transfermodelle<br />
sind nun Werkzeuge, die uns erlaubten, mit<br />
geringen Fehlern behaftete Rückschlüsse auf ursprüngliche<br />
Populationen zu machen und damit klimatische Veränderungen<br />
in der Vergangenheit zu quantifizieren.<br />
Einige Einblicke in Klimavariationen während<br />
der letzten beiden Warmzeiten<br />
Für die zweite Aufgabe des Projektes CONTINENT, der<br />
Aufdeckung der charakteristischen Klimavariationen,<br />
standen uns Sedimentkerne von drei ausgewählten Sta-<br />
tionen zur Verfügung. Dazu mussten wir geeignete Bohrstationen,<br />
an denen kontinuierliche und ungestörte Kerne<br />
geborgen werden konnten, auswählen. Die Suche nach solcherart<br />
geeigneten Bohrstationen wurde zuerst mit geophysikalischen<br />
Geländeaufnahmen an drei Punkten des<br />
Baikalsees vorangetrieben. Dazu wurde ein Subbottom-<br />
Profiler (3,5 kHz) sowie ein hochfrequenter Sparker (500<br />
bis 1000 Hz) zur Charakterisierung des Untergrundes mit<br />
einer Auflösung von 10 bis 50 cm bis in eine Sedimenttiefe<br />
von mehreren 10 Metern eingesetzt. Diese Aufnahmen<br />
erlaubten ungestörte Seesedimentabfolgen zu lokalisieren<br />
und dadurch tektonikbedingte Versätze und<br />
bodenströmungsbedingte Hiaten (Lücken in Sedimentabfolgen)<br />
zu umgehen. Dann wurde in Kombination mit dem<br />
abbildenden Side-Scan-Sonar (SONIC-3) mit 100 bzw.<br />
300 kHz-Auflösung überprüft, ob an den ausgewählten<br />
Stationen an der Sedimentwassergrenze Sedimentumlagerungen<br />
stattfinden (Abb. 14).<br />
Mit der Kombination dieser drei Methoden konnten im<br />
Nord- und Südbecken und südlich des Selenga-Deltas drei<br />
Kernstationen ausgemacht werden (vgl. gelbe Punkte<br />
Abb. 4), die uns tatsächlich kontinuierliche und minimal<br />
gestörte Abfolgen lieferten. Mit einem Kullenberg-Kolbenlot<br />
(modifiziert durch Prof. Meischner, Göttingen)<br />
wurden vom Forschungsschiff VERESHAGIN an jeder<br />
ausgewählten Station drei Kerne mit 12 cm Durchmesser<br />
und jeweils einem Vorlot gezogen und geborgen (vgl. oben<br />
rechts Abb. 5). Die Kernlänge lag zwischen 9 und 13 m.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
89
90 Abb. 14: Das seismische Profil, mit einem vergrößerten Ausschnitt aus dem hochauflösenden seismischen Profil, zeigt<br />
die wichtigsten Strukturen und die seismischen Einheiten, welche die wechselnde Sedimentologie am Kontinent-Rücken<br />
nachzeichnet (links). Eine perspektivische Ansicht auf den Kontinent-Rücken wurde auf der Basis der neuen bathymetrischen<br />
Karte (INTAS Project 99-1669, Debatist et al., 2002) konstruiert (rechts). Die gelben Pfeile zeigen Strömungsund<br />
mögliche Sedimenttransportrichtungen an. Die Topographie wurde der öffentlich zugänglichen SRTM-Datenbank<br />
entnommen. Das Bild wurde mit der Software IVS Fledermaus® erstellt (Charlet et al., <strong>2005</strong>).<br />
Seismic profile (to the left) across the Continent Ridge, with a close-up of high-resolution reflection seismic data, clearly<br />
shows the main structural characteristics and the different seismic units making up the sedimentary cover. 3-Dview<br />
on the Continent Ridge coring site (to the right). Bathymetry from INTAS Project 99-1669, Debatist et al., (2002).<br />
The yellow arrows indicate current directions and reflect possible sediment transport tracks. Topography from public<br />
SRTM database. Image created with IVS Fledermaus® (Charlet et al., <strong>2005</strong>).<br />
Abb. 15: Die synthetische Paläointensitätskurve<br />
(Baikal 200), die aus allen<br />
gemessenen Baikalkernen zusammengestellt<br />
wurde (Demory et al., <strong>2005</strong>), ist der<br />
Referenzkurve von ODP Site 984 (Channell,<br />
1999) gegenübergestellt. Für die<br />
Kompilation wurden die Daten vorgängig<br />
geglättet. Einige Korrelationen zwischen<br />
den beiden Kurven sind mit gestrichelten<br />
Linien hervorgehoben. Das Paläointensitätsminimum<br />
fällt wahrscheinlich in das<br />
Blake Event, eine Umpolung um ca. 119 ka<br />
(grau markiert).<br />
Paleointensity variations versus age, a<br />
synthetic curve „Baikal 200“ resulting<br />
from compilation of available curves from<br />
Lake Baikal is compared with the reference<br />
curve from ODP Site 984 (Channell,<br />
1999). For the compilation, data<br />
have been averaged using a sliding window<br />
of 2 ka (the variance is marked by the<br />
grey shadow). Dashed lines show some of<br />
the correlations. The grey lines show the<br />
location of the low paleointensities related to geomagnetic excursions. Note that the lowest paleointensities may fall<br />
into the Blake event at approx. 119 ka (Demory et al., <strong>2005</strong>).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Am <strong>GFZ</strong> Potsdam wurden die Kerne gemeinsam mit den<br />
Projektpartnern geöffnet, beschrieben und in Auflösung<br />
von 0,5 bis 2 cm Sedimentproben entnommen (unten<br />
rechts Abb. 5). Die erste vorläufige Korrelation der Kerne<br />
beruhte auf den Porositäts- und auf magnetischen Suszeptibilitätswerten.<br />
Dann musste eine für die klimatischen Rekonstruktionen<br />
zuverlässig anwendbare absolute Sedimentchronologie<br />
vorgelegt werden. Dieses Altersmodell für die vergangenen<br />
150.000 Jahre erstellten wir mittels radiometrischer<br />
Analysen ( 210 Pb, AMS- 14 C) und paläomagnetischer Messungen.<br />
Besonders geeignet für die Chronologie, die absolute<br />
Altersbestimmung, ist die Intensität der Magnetisierung<br />
der Seesedimente (Abb. 15). Sie hängt von zwei Faktoren<br />
ab:<br />
(i) von der Konzentration der magnetischen Partikel im Sediment.<br />
Diese ist von den Gesteinstypen im Einzugsgebiet,<br />
Verwitterungsprozessen, Transport- und damit verbundenen<br />
Fraktionierungsprozessen sowie den Redox-Verhältnissen<br />
im Ablagerungsmilieu, die über Erhalt oder Auflösung der<br />
magnetischen Partikel entscheiden, abhängig.<br />
(ii) von der Stärke des Erdmagnetfeldes zur Zeit der Ablagerung.<br />
Die magnetischen Partikel richten sich relativ<br />
schnell in der Wassersäule parallel zum aktuellen Magnetfeld<br />
aus und werden während der Ablagerung entsprechend<br />
von der umgebenden Sedimentmatrix fixiert. Der<br />
Ausrichtungsgrad ist dabei von der Größe der Partikel,<br />
d. h. vom Verhältnis magnetischer Moment zur Masse des<br />
Partikels, sowie von der Stärke des Magnetfeldes abhängig.<br />
Somit können im Sediment nicht nur die Lage und<br />
Richtungsänderungen des Erdmagnetfeldes aufgezeichnet<br />
werden, sondern auch seine Intensitätsschwankungen.<br />
Zur Kalibrierung werden meist nur die normierten relativen<br />
Änderungen ausgewertet. Zu einer solchen relativen<br />
Paläointensitätsbestimmung wird die Intensität der natürlichen<br />
Magnetisierung mit der Intensität einer später<br />
künstlich aufgeprägten Magnetisierung normiert. Da zur<br />
Magnetisierung ein Magnetfeld konstanter Richtung und<br />
Stärke verwendet wird, ist die damit produzierte Magnetisierung<br />
nur noch von der Konzentration der magnetischen<br />
Partikel abhängig. Das Intensitäts-Verhältnis von<br />
natürlicher zu künstlicher Magnetisierung spiegelt daher<br />
die relativen Änderungen des Erdmagnetfeldes zur Zeit<br />
der Sedimentation wider. Dieses gilt jedoch nur, wenn die<br />
magnetischen Komponenten nicht bei und/oder nach der<br />
Ablagerung durch chemische Prozesse verändert oder gar<br />
weggelöst wurden. Im Rahmen von Paläointensitätsbestimmungen<br />
werden daher meist umfangreiche Begleitmessungen<br />
durchgeführt, um derartige Fälle auszuschließen.<br />
Paläointensitätsbestimmungen werden seit etwa 10 bis<br />
15 Jahren systematisch durchgeführt.<br />
Mit Hilfe der Radiokarbonmethode (AMS 14 C) oder anderen<br />
Techniken (z. B. Thermo-Lumineszenz oder Optisch-<br />
Stimulierte-Lumineszenz) datierte Datenreihen zeigen<br />
häufig weltweit korrelierbare, vergleichbare Amplituden-<br />
variationen der Paläointensität, mit Perioden in der Größenordung<br />
von tausend bis zehntausend Jahren. Sie können<br />
somit zur Datierung von neu gewonnenen Bohrkernen,<br />
wie im Falle des Baikalsees herangezogen werden.<br />
Ausgeprägte Minima der Paläointensität sind zudem mit<br />
auffälligen Richtungsanomalien des Erdmagnetfeldes<br />
verbunden, die sich im Idealfall meist als kurzfristige, nur<br />
einige wenige tausend Jahre währende Umpolungen des<br />
Erdmagnetfeldes dokumentieren. Solche Ereignisse treten<br />
etwa alle 20.000 bis 50.000 Jahre auf. Sofern diese mit<br />
niedrigen Feldintensitäten verbundenen Richtungsänderungen<br />
im Sediment aufgezeichnet worden sind, können<br />
sie als weitere eindeutige Zeitmarkierung zur Datierung<br />
herangezogen werden. Für die Baikal-Chronologie liegt<br />
die Auflösung mittels charakteristscher Zeitmarken zwischen<br />
2000 und 4000 Jahren.<br />
Welche Klimabedingungen herrschten während der letzten<br />
beiden Interglaziale (Warmzeiten) in Zentralsibirien?<br />
In der Folge soll anhand von zwei Beispielen die Bedeutung<br />
der Temperatur- und der Feuchtigkeitsänderungen im<br />
regionalen klimatischen Umfeld erläutert werden.<br />
Einen tiefen Einblick in das Klimageschehen während historischer<br />
Zeit in Zentralsibirien erhielten wir durch die<br />
gezielte Untersuchung der wechselnden Diatomeenvergesellschaftungen<br />
(Mackay et al., <strong>2005</strong>). Für diese Untersuchung<br />
wurde ein mit Pb 210 und AMS- 14 C datierter Sedimentkurzkern<br />
aus dem Südbecken des Baikalsees verwendet.<br />
Zuerst wurden die Häufigkeiten der Diatomeenarten<br />
entsprechend ihrer Empfindlichkeit auf Lösungsvorgänge<br />
korrigiert. Nachdem die Diatomeenarten mittels<br />
einer Clusteranalyse gruppiert wurden, kristallisierten<br />
sich dabei drei Zeitzonen mit typischen Vergesellschaftungen<br />
heraus, nämlich aus den Zeiträumen 880 bis 1180<br />
Anno Domini (AD) (I), 1180 bis 1840 AD (II), und 1840<br />
bis 1994 AD (III). Das erste Zeitintervall, Zone I, entspricht<br />
der mittelalterlichen Warmzeit, gefolgt von der<br />
Kleinen Eiszeit, Zone II, und dem jüngsten Erwärmungstrend,<br />
Zone III (Abb. 16).<br />
Die Schlüsselarten, die ökologische Bedingungen, wie<br />
unterschiedliche Schneebedeckung der Eisdecke im Winter,<br />
oder sommerliche Schichtung der Wasserkolonne<br />
anzeigen, sind uns aus rezenten Studien bekannt (Abb. 16).<br />
Synedra acus, die häufigste Art in Zone I, ist eine weit verbreitete<br />
Form, die, im Gegensatz zu den endemischen Diatomeenarten,<br />
besonders gut bei hohem Lichtangebot<br />
gedeiht. Dies konnte bei Laborversuchen getestet und<br />
bestätigt werden. Worauf kann also ein bevorzugtes Auftreten<br />
der Diatomee Synedra acus hindeuten? Ein verstärktes<br />
günstiges Lichtangebot konnte vorliegen, wenn<br />
die Wolkenbedeckung im Frühjahr/ Sommer geringer als<br />
z. B. heute und damit die Sonneneinstrahlung beträchtlich<br />
erhöht war. Meteorologisch müsste folgender Kontext erstellt<br />
werden: Aus Studien in Westmonsun-beeinflussten<br />
Gebieten (Indien) ist bekannt, dass in Zeitzone I das Sommertief<br />
über dem Tibetischen Plateau stärker ausgeprägt<br />
war als heute. Das wirkte sich auf die Trajektorien der mit<br />
Feuchtigkeit beladenen Westwinde aus, die sich in der<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
91
92<br />
Abb. 16: Relative Häufigkeit von Diatomeen nach spezies-spezifischer Korrektur und Normierung auf 100 %. Das<br />
Schneeakkumulationsmodell beruht auf Korrekturfaktoren und Trainingsdatensätzen mit fünf korrigierten Arten. Die<br />
Diatomeenverteilungen deuten hin auf eine Erwärmung ab ca. 1750 AD, deutlich früher, als aus vielen Datensätzen<br />
für Europa nachvollzogen werden kann (Mackay et al., <strong>2005</strong>).<br />
Relative percentages of diatoms after correcting for dissolution and recalculated to sum to 100 %. The snow-accumulation<br />
model is based on diatom data using correction factors and training sets with five corrected taxa. From the diatom<br />
abundance pattern it becomes evident that warming starts as early as c. 1750 AD, which is significantly earlier<br />
then reported previously for Europe (Mackay et al., <strong>2005</strong>).<br />
Folge räumlich verschoben; das Baikalseegebiet erhielt<br />
darüber geringere Wolkenbedeckung, aber höhere Sonneneinstrahlung<br />
während der Hauptproduktionszeit der<br />
Phytoplankter.<br />
In Zone II, während der Kleinen Eiszeit, gewann die Diatomee<br />
Cyclotella minuta an Bedeutung. Diese Form ist eine<br />
typische Überlebenskünstlerin, wenn im Herbst und Winter<br />
aufgrund von Schneebedeckung auf der Eisdecke die<br />
Lichtverhältnisse minimal sind. Was bedeutet es also, wenn<br />
diese eher lichtfeindliche Diatomee zu den Klimabedingungen<br />
dieser Zeit ihre ökologisch besten Bedingungen<br />
hatte? In Zone II müsste die winterliche sibirische Hochdruckzelle<br />
sehr ausgeprägt gewesen sein. Wenn die Winddynamik<br />
minimal ist und die Winter sehr lang sind, kann<br />
dies eine erhöhte Schneeakkumulation in der Baikalregion<br />
bedeuten. Die Schneedicke in Abb. 16 wurde über ein<br />
Transfermodell errechnet (Mackay et al., 2003, 2006).<br />
In Zone III treten Phytoplankter bevorzugt auf, die heutzutage<br />
am Baikalsee ihr Maximum an Produktionsaktivität<br />
im Frühjahr haben. Diese Diatomeen sind auch generell<br />
wenig an die lichtabschirmende Schneeschicht auf<br />
dem Eis angepasst. Deshalb zeigt diese Diatomeenvergesellschaftung<br />
an, dass der Eisaufbruch früher beginnt als<br />
in den Zonen I und II und weist über die erhöhte Produktionsaktivität<br />
der Phytoplankter im Frühjahr auf die begin-<br />
nende globale Erwärmung hin. Interessant ist die Beobachtung,<br />
dass diese Erwärmung schon um 1750 und damit<br />
50 bis 100 Jahre früher als in Europa einsetzte.<br />
Welche Klimabedingungen herrschten im vergangenen<br />
Interglazial (der Eem- oder Kasantzevo-Warmzeit) in<br />
Zentralsibirien?<br />
Das vergangene Interglazial, d. h. die Warmzeit zwischen<br />
den letzten beiden Glazialen (Eiszeiten), ist für uns im<br />
Hinblick auf seine Erwärmungsgeschichte sehr interessant.<br />
Es wurde in früheren Arbeiten häufig als Analog für<br />
zukünftige Entwicklungen herangezogen, was sich allerdings<br />
als nicht länger haltbar herausgestellt hat. Pollendaten<br />
belegen Veränderungen im saisonalen Niederschlags-<br />
und Temperaturmuster, denn die Vegetation reagiert<br />
innerhalb von wenigen Dekaden, falls einer der Klimaparameter<br />
oder beide sich ändern. Heute liegen die<br />
mittleren Temperaturen im Baikalseegebiet bei 14 bis 16 °C<br />
im Sommer und bei –22 bis –26 °C im Winter. Mittlere<br />
Niederschlagsraten über dem See sind 160 bis 400 mm/<br />
Jahr, die in den umliegenden Gebirgen auf über 700 mm/<br />
Jahr ansteigen. Das Maximum der Niederschläge konzentriert<br />
sich in unserer Zeit auf die Sommerzeit.<br />
Aus den Pollendaten in den Seesedimentkernen wurden<br />
über Transfermodelle ehemalige Vegetationsbestände<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
(Biome) evaluiert (Prentice et al., 1996; Tarasov et al.,<br />
<strong>2005</strong>) und unter Verwendung der Best Modern Analog-<br />
Methode die klimatischen Faktoren des vorherigen Interglazials<br />
bestimmt (Guiot et al. 1989; Tarasov et al., <strong>2005</strong>).<br />
Die quantitative Rekonstruktion für saisonale Temperaturen<br />
und Niederschläge ist in der Abb. 17 zu sehen. Am<br />
Übergang vom Glazial zum Interglazial (ca. 130 bis<br />
128 ka BP) lagen die Temperaturen des kältesten Monates<br />
noch bei –38 °C, während die Temperaturen des wärmsten<br />
Monats 11 bis 13 °C betrugen. Die jährlichen Niederschläge<br />
wurden mit 300 mm veranschlagt. Diese Bedingungen<br />
waren ideal für Taigabestände. Durch einen Wechsel<br />
zu Tundravegetation manifestiert sich der Übergang<br />
zum Interglazial. Die Niederschläge nahmen deutlich zu<br />
(500 bis 600 mm/Jahr) und die Wintertemperaturen<br />
erreichten Werte wärmer als –22 °C, während die Sommertemperaturen<br />
bei 16 bis 17 °C lagen, wärmer als die<br />
heutigen Temperaturwerte. Dann folgte eine rasche<br />
Abkühlung vor 118.000 Jahren, begleitet durch einen drastischen<br />
Feuchtigkeitsrückgang. In der Folge verschwanden<br />
die Wälder und wurden durch Buschgras-Vergesellschaftungen<br />
ersetzt (118 bis 115 ka BP). Minimale und<br />
maximal Temperaturen waren deutlich zurückgegangen<br />
(Durchschnittstemperaturen im Winter bei –28 bis –30 °C,<br />
im Sommer bei 14 bis 15 °C), ebenso gingen die jährlichen<br />
Niederschläge bis 250 mm zurück.<br />
Zusammen mit der Temperatur- und Niederschlagsentwicklung<br />
ist in Abb. 17 das Profil der globalen Insolation<br />
und der Meerespiegelhöhe, die auf die Änderungen des<br />
Eiskappenvolumens zurückgeht, abgebildet. Der generelle<br />
Verlauf der Sommertemperaturkurve folgt der Insolationskurve<br />
für mittlere Breiten. Erkennbar ist eine parallele<br />
Absenkung des Meeresspiegels und Zunahme des Eisvolumens.<br />
Die Eismasse kontrolliert die klimatische Kontinentalität<br />
in Zentralasien (ein höherer Meeresspiegel<br />
resultierte aus reduzierten Eismassen, die sich in einer<br />
geringeren Kontinentalität auswirken). Nach Schätzungen<br />
von Lambeck und Chappell (2001) lag der Meeresspiegel<br />
vor 126.500 Jahren am höchsten. Zu Zeiten des Meeresspiegelhochstandes<br />
beobachten wir im Baikalsedimentkern<br />
die wärmsten Wintertemperaturen (–20 °C). Vor<br />
126.000 Jahren begannen die Wintertemperaturen wieder<br />
zu sinken und die Korrelation zwischen der Temperaturentwicklung<br />
und der Meerespiegelabsenkung zusammen<br />
mit der parallelen Zunahme des Eisvolumens wird vor<br />
118.000 Jahren besonders deutlich.<br />
Generell können wir aussagen, dass ein reduziertes Poleis-Volumen<br />
ausschlaggebende Folgen auf die atmosphärische<br />
Zirkulation hatte, da zu Zeiten maximaler Meeresspiegelstände<br />
die Winter in Sibirien wärmer als heute<br />
waren. Diese klimatischen Folgen in Sibirien zeigen sich<br />
Abb. 17: Klimatische Parameter (Tcold months, Twarm months, P annual) für den Pollendatensatz vom Continent-Rücken (Granoszewski<br />
et al., <strong>2005</strong>). Diese wurden mit der „Modern Analogue Method“ errechnet für das letzte Interglazial, Termination<br />
II und den Übergang zum frühen Weichselglazial. Mittelwerte (offene Kreise) sind zusammen mit Standardabweichungen<br />
aufgetragen (Tarasov et al., <strong>2005</strong>). Die klimatischen Parameter sind Meeresspiegeländerungen (Lambeck<br />
und Chappell, 2001) und δ 18 O-Werten aus Stalagmiten der Dongge-Höhle (China) (Yuan et al., <strong>2004</strong>) sowie der<br />
Modalkorngröße aus den Sedimenten vom Continent-Rücken zum Vergleich gegenübergestellt.<br />
Climate variables (Tcold months, Twarm months, P annual) reconstructed from Continent Ridge pollen record (Granoszewski<br />
et al., <strong>2005</strong>) using the modern analogue approach for the last Interglacial, Termination II and transition into the cold<br />
interval following Kasantzevo. Mean values (open circles) with standard deviations are shown (Tarasov et al., <strong>2005</strong>).<br />
For comparison we show sea level changes (Lambeck und Chappell, 2001), δ 18 O values from stalagmites of Dongge<br />
cave (China) (Yuan et al., <strong>2004</strong>) and modal grain sizes values from sediments of Continent Ridge.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
93
94<br />
deutlich in der Vegetationsentwicklung. Die sehr niedrige<br />
Winterinsolation, die aufgrund der veränderten Lage der<br />
Erdachse damals in Sibirien sogar niedriger war als heute,<br />
scheint dagegen keine übergeordneten direkten Effekte zu<br />
zeigen. Diese bedeutend wärmeren Winter als heute, die<br />
sich in Zeiten von Meeresspiegelhochständen entwickelten,<br />
können durch eine Kombination von Faktoren erklärt<br />
werden: z. B. durch höhere zyklonische Aktivität entlang<br />
der Polarfront, durch Zunahme des Einflusses der wärmenden<br />
Westwinde, durch generell wärmere atmosphärische<br />
Strömungen.<br />
Wir können annehmen, dass Veränderungen dieser Art,<br />
bedingt durch die Abschwächung der Sibirischen Hochdruckzelle,<br />
die winterliche Winddynamik im Baikalseegebiet<br />
reduzierte. Einsicht in die atmosphärische Dynamik<br />
in der Baikalregion haben wir über die Korngrößenverteilung<br />
der windverfrachteten Partikel im Sediment<br />
erhalten. Ein geeigneter Parameter ist die Modalgröße der<br />
Partikelfraktion zwischen 2 und 63 µm. Vergleicht man<br />
deren Größenverteilung in den Seesedimentkernen mit<br />
den Änderungen des Polareisvolumens, fällt folgendes<br />
auf: Bei Zunahme der Polareismasse steigt der Modalwert<br />
der Korngrößen, bei einer Reduzierung der Polvereisung<br />
liegt parallel ein Rückgang der Korngrößen vor (Abb. 17).<br />
Damit wird offensichtlich, dass während des interglazialen<br />
Wärmeoptimums die atmosphärische Dynamik, nicht<br />
aber unbedingt die Intensität, in der Baikalregion deutlich<br />
geringer war als während der kühleren Intervalle. Dies<br />
kann mit der meridionalen Verlagerung gekoppelt mit der<br />
Abschwächung der Sibirischen Hochdruckzelle erklärt<br />
werden. Wir nehmen an, dass die Korngrößenabnahme<br />
einem Anstieg der distaleren (= weiter entfernten und<br />
daher feineren) Staubkomponente entspricht. Wir können<br />
allerdings nicht ausschließen, dass ein Teil des Staubeintrags<br />
auch auf vermehrten distalen Sommereintrag<br />
zurückzuführen ist, wie das auch Modellberechnungen für<br />
zukünftige Erwärmungen voraussagen. Zeitgleiche Wechsel<br />
zeigen sich auch im Sommer in den Zirkulationsänderungen<br />
im monsunbeeinflussten Südostasien. Isotopenuntersuchungen<br />
an Stalagmiten in China (Dongge-Höhlensignal<br />
(Yuan et al. <strong>2004</strong>); (Abb. 17)) belegen eine δ 18 O-<br />
Zunahme vor 120.000 Jahren, was auf eine Abschwächung<br />
des monsunalen Einflusses deutet.<br />
Ausblick<br />
Nachdem es über viel Monitoring im Projekt gelungen<br />
war, die klimatischen Parameter, die Klimaproxies, für<br />
dieses große lakustrine System mit ozeanähnlichen boundary<br />
conditions zu kalibrieren, stand den ersten Rekonstruktionen<br />
der klimatischen Variationen für Sibirien in<br />
den Warmzeiten nichts mehr im Wege. Es zeigte sich, dass<br />
Feuchtigkeit neben Temperaturänderungen der entscheidende<br />
Faktor für die klimatische Signalbildung im Sediment<br />
ist. Aber noch sind nicht alle Daten ausgewertet. Aus<br />
heutigen Untersuchungen wissen wir, dass das Geschehen<br />
im Nordatlantik über die Nordatlantische Oszillation<br />
(NAO) die Wintertemperaturen der Nordhemisphäre weitestgehend<br />
bestimmt. Unsere Daten, die wir derzeit daraufhin<br />
untersuchen, scheinen auf ähnliche Weise auf Ein-<br />
flüsse aus dem Nordatlantik in der Eem/Kasantzevo-<br />
Warmzeit hinzuweisen. Aber jetzt schon wurde klar, dass<br />
ein Archiv nicht allein aus dem Punkt heraus verstanden<br />
werden kann, seine Geschichte muss auch im Raumbezug<br />
gewertet werden. Dazu werden wir in Zukunft „strategisch<br />
wichtige“ Archive untersuchen, die Aussagen zur longitudinalen<br />
und meridionalen Bewegung von Trajektorien<br />
und Hochdruck- und Tiefdrucksystemen über tausende<br />
Jahre zurück zulassen.<br />
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95
96<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Seismische Vorauserkundung im Tunnelbau<br />
mit konvertierten Oberflächenwellen<br />
Stefan Lüth, Rüdiger Giese, Peter Otto, Kay Krüger, Sylvio Mielitz, Günter Borm<br />
For a safe construction and operation of underground excavation it is essential to have access to as many data as possible<br />
about the soil and/or rock properties around the construction. Before the start of the construction, geological and<br />
geophysical investigations are to be performed from the surface above the planned excavation and from boreholes or<br />
smaller exploratory tunnels. Seismic measurements play an increasingly important role in geological prediction during<br />
tunnel construction. All systems currently in use are based on excitation and recording of seismic body waves and their<br />
reflections from structures ahead of the tunnel face which are extracted and used for the detection of heterogeneities.<br />
At the <strong>GFZ</strong> Potsdam, the Integrated Seismic Imaging System (ISIS) has been developed during recent years. The system<br />
consists of a pneumatic hammer as seismic source and three-component receivers implemented at the tips of anchor<br />
rods typically used for underground construction. The system software processes the measured data and is able to image<br />
the results in space together with other geological and geotechnical information. Test measurements in the Piora adit<br />
at the Gotthard base tunnel construction site as well as synthetic modelling have shown that surface waves which are<br />
excited at the tunnel wall and converted at the tunnel face provide the strongest signal for seismic prediction ahead of<br />
the tunnel face. This wave type is called RSSR-reflection. It travels as a surface wave from the source at the tunnel wall<br />
to the tunnel face where it converts to an S-wave. This wave is reflected at a heterogeneity ahead of the tunnel, returns<br />
to the tunnel face and converts back to a surface wave. The use of this wave type allows for a stable seismic prediction<br />
ahead of the tunnel face without much interference with the construction operations since no sources and receivers<br />
need to be placed at the tunnel face.<br />
Einleitung<br />
Eine wichtige Voraussetzung für den sicheren Bau und<br />
Betrieb von Untertagebauwerken ist eine möglichst genaue<br />
Kenntnis der Boden- bzw. Gesteinseigenschaften in der<br />
Umgebung des Bauwerks. Deshalb werden z. B. vor der<br />
Konstruktion eines Tunnels Erkundungsbohrungen bzw.<br />
Stollen abgeteuft und von der Erdoberfläche aus geologische<br />
und geophysikalische Untersuchungen durchgeführt.<br />
Diese Untersuchungen liefern jedoch nur ein unvollständiges<br />
Bild der geologischen und geotechnischen Bedingungen<br />
im Verlauf der geplanten Trasse, da Bohrungen in<br />
ihrer Zahl begrenzt sind und von der Erdoberfläche her ausgeführte<br />
Untersuchungen eine relativ geringe Auflösung<br />
besitzen. Deshalb sind seit einigen Jahren Erkundungssysteme<br />
in der Entwicklung, die es ermöglichen, mit Hilfe<br />
geophysikalischer Messungen während des Tunnelvortriebs<br />
die Lage von geologischen Gefahrenzonen im Vorfeld<br />
der Tunnelauffahrung zu bestimmen. Die herkömmlichen<br />
Systeme nutzen seismische Verfahren, die auf Grund<br />
der großen Reichweite und hohen Auflösung anderen geophysikalischen<br />
Verfahren überlegen sind. Sie arbeiten nach<br />
folgendem Grundprinzip: Seismische Raumwellen (Poder<br />
S-Wellen) werden entweder nahe der seitlichen Tunnelwand<br />
oder an der Tunnelortsbrust angeregt. Diese werden<br />
an geologischen Heterogenitäten reflektiert oder rückgestreut<br />
und von Empfängern aufgenommen, die um den<br />
Tunnel oder direkt an der Ortsbrust platziert werden. Eine<br />
räumliche Abbildung der Reflektoren erfolgt durch Reflektionstomographie<br />
bzw. Migration.<br />
Seit den frühen 90er Jahren sind weltweit verschiedene<br />
tunnelseismische Vorauserkundungssysteme eingesetzt<br />
worden. Für den Tunnelbau in Lockergesteinen wurde das<br />
sogenannte Sonic Softground Probing (SSP) entwickelt<br />
(Kneib et al., 2000). Dieses System nutzt einen hochfrequenten<br />
P-Wellen-Vibrator und Beschleunigungsaufnehmer,<br />
die beide im Schneidrad einer Tunnelbohrmaschine<br />
befestigt sind. Während des Bohrens werden die seismischen<br />
Messungen durchgeführt. SSP liefert ein reflexionsseismisches<br />
Abbild von P-Wellen-Reflektoren bis<br />
maximal 100 m vor der Tunnelortsbrust. Im Festgestein<br />
wird neben anderen das Tunnel Seismic Prediction (TSP)<br />
-System eingesetzt (Dickmann und Sander, 1996). Dieses<br />
System nutzt bis zu 30 in Bohrlöchern seitlich in der Tunnelwand<br />
platzierte Sprengstoffladungen als Quellen und<br />
zwei bis vier Drei-Komponenten-Beschleunigungsaufnehmer<br />
in Bohrlöchern. Sprengladungen und Empfänger<br />
sind in etwa 20 bis 50 m langen Profilen seitlich an der<br />
Tunnelwand angeordnet. Die Auswertung der Messungen<br />
besteht in der Identifizierung von Reflexionen von Störzonen<br />
vor der Ortsbrust anhand ihrer Laufzeitkurven in<br />
den Registrierungen.<br />
Das Integrierte Seismische Imaging System ISIS, das am<br />
GeoForschungsZentrum Potsdam entwickelt wurde, ist in<br />
den vergangenen Jahren vor allem zur tomographischen<br />
Erkundung des Tunnelumfeldes genutzt worden. Das<br />
Messsystem besteht aus einer nicht-explosiven seismischen<br />
Quelle (Impakthammer oder magnetostriktiver Sonar-Vibrator),<br />
die seitlich an der Tunnelwand angebracht<br />
wird und dort seismische Wellen anregt. Diese werden<br />
dann von Geophonen aufgenommen, die in den Spitzen<br />
von Gebirgsankern befestigt sind (Abb. 1). Für die tomographische<br />
Erkundung des Tunnelumfeldes wurden 10 bis<br />
40 Anker mit Drei-Komponenten-Geophonen auf ausge-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
97
98<br />
wählten Profilen installiert und entlang dieser Profile dann<br />
mit einer Quelle in dichtem Schusspunktabstand angeregt.<br />
Die gemessenen Datensätze wurden zur tomographischen<br />
Bestimmung von P- und S-Wellen-Geschwindigkeiten verwendet<br />
(Giese et al., <strong>2005</strong>), eignen sich aber auch grundsätzlich<br />
für reflexionsseismische Auswertung (Lüth et al.,<br />
<strong>2005</strong>).<br />
Wellentypen in der Tunnelseismik<br />
Um die bei tunnelseismischen Messungen registrierten<br />
Wellentypen zu verstehen, wurden an der Universität Kiel<br />
Modellrechnungen mit Hilfe einer Finite-Differenzen-<br />
Methode zur Lösung der Wellengleichung durchgeführt.<br />
Für die numerische Simulierung wurde ein Modell erstellt,<br />
das aus einem Tunnel mit einem Durchmesser von 10 m<br />
besteht, der von einem homogenen Festgestein umgeben<br />
ist (Bohlen et al., 2006). Vor der Ortsbrust des Tunnels<br />
befindet sich eine Störungszone, deren Inneres geringere<br />
seismische Geschwindigkeit hat als die Umgebung. Es<br />
wurde ein Schuss an der Tunnelwand simuliert, der von<br />
einer Reihe von Geophonen entlang eines Profils registriert<br />
wurde. An der Schussposition wurde mit einem<br />
Ricker-Wavelet mit einer dominanten Frequenz von 500 Hz<br />
angeregt. Die Auswertung der Simulationen besteht zunächst<br />
in einer Analyse des Wellenfeldes in Abhängigkeit<br />
der Zeit nach der Anregung. Zunächst zeigen sich die bei<br />
einer Anregung einer Punktquelle typischen P- und S-Wellen.<br />
Es wird eine Anregung senkrecht zur Tunnelwand<br />
simuliert, daher breiten sich P-Wellen vor allem senkrecht<br />
zur Tunnelwand aus, während S-Wellen sich vor allem<br />
parallel zur Tunnelachse ausbreiten. Mit der größten<br />
Amplitude lässt sich eine Rayleigh-Welle beobachten, die<br />
sich mit etwa 92 % der S-Wellen-Geschwindigkeit entlang<br />
der Tunnelwand ausbreitet. Erreicht diese Rayleigh-<br />
Welle die Tunnelortsbrust, wird ein großer Teil ihrer Energie<br />
in eine S-Welle umgewandelt, die sich von der Ortsbrust<br />
ausgehend weiter in Vortriebsrichtung ausbreitet.<br />
Ein Teil von ihr wird an der Störungszone vor der Ortsbrust<br />
reflektiert und kehrt als S-Welle zur Tunnelortsbrust<br />
zurück. Hier wird nun ein Teil der reflektierten S-Welle in<br />
eine Rayleigh-Welle zurück konvertiert, die sich dann entlang<br />
der Tunnelwand ausbreitet. In den simulierten Seismogrammen<br />
zeigt sich der hier beschriebene Typ von<br />
Reflexion als deutlicher Einsatz und einer Laufzeitkurve<br />
mit negativer Steigung. Die Laufzeit dieses Einsatzes wird<br />
mit zunehmendem Schuss-Empfänger-Abstand kleiner.<br />
Seinem Laufweg entsprechend wird dieser Wellentyp als<br />
RSSR-Reflexion bezeichnet (Abb. 2).<br />
Messungen im Piora-Sondierstollen des Gotthard-<br />
Basistunnels<br />
Als wichtiger Bestandteil des künftigen Europäischen Hochgeschwindigkeits-Schienennetzes<br />
wird der Gotthard-Basistunnel<br />
gebaut. Er wird mit seiner Fertigstellung voraussichtlich<br />
im Jahr 2015 eine Länge von 57 km erreichen und<br />
damit der längste Verkehrstunnel der Welt sein. Seine Trasse<br />
schneidet zahlreiche geologische Schwächezonen, die für<br />
den Bau des Tunnels besonders kritisch sind: das Tavetscher<br />
Abb. 1: (a) In der Tunnelwand befestigter Gebirgsanker mit Geophonkabel, (b) Kleinbagger mit Schlaghammer,<br />
(c) Verteilung der Geophon- und Schlagpunkte im Piora-Sondierstollen (von oben). Die Lage der Drei-Komponenten-<br />
Geophone wird durch graue invertierte Dreiecke angezeigt, die Hammerschlagpunkte durch schwarze Rauten. (Fotos:<br />
S. Mielitz, <strong>GFZ</strong>)<br />
(a) Anchor fixed in the tunnel wall with geophone cable, (b) small excavator with pneumatic hammer, de distribution<br />
of geophone and impact locations (top view). Three-component geophones are indicated by grey inverted triangles,<br />
impact locations by black diamonds.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 2: Seismogramme der numerischen<br />
Simulation eines tunnelseismischen Experiments.<br />
Es ist die Komponente senkrecht<br />
zur Tunnelwand dargestellt. Deutlich<br />
zu erkennen sind folgende Phasen:<br />
R – direkte Rayleigh-Welle, CR – einmal<br />
um den Tunnel zirkulierende Rayleigh-<br />
Welle, RR1 – Ortsbrustreflexion der<br />
direkten Rayleigh-Welle, RR2 – Ortsbrustreflexion<br />
der zirkulierenden Rayleigh-Welle,<br />
RSSR – Konvertierte und an<br />
einer Störungszone vor der Ortsbrust<br />
reflektierte S-Welle.<br />
Seismograms of a numerical simulation<br />
of tunnel seismic measurements. The<br />
component perpendicular to the tunnel<br />
wall is shown. The following phases can<br />
be identified: R – direct Rayleigh wave,<br />
CR – Rayleigh wave which circulated once around the tunnel, RR1 – tunnel face reflection of the Rayleigh wave, RR2<br />
– tunnel face reflection of the circulating Rayleigh wave, RSSR – converted and reflected S-wave from a fault zone<br />
ahead of the tunnel face.<br />
Zwischenmassiv, die Urseren-Garvera-Zone, sowie die Pioramulde<br />
(Abb. 3). Die Pioramulde liegt im Übergang vom<br />
Gotthardmassiv im Norden und der südlich angrenzenden<br />
Penninischen Gneiszone. Sie besteht aus sedimentären<br />
Ablagerungen mit darin enthaltenem Dolomit. Dieser ist in<br />
Folge einer metamorphen Überprägung während der alpinen<br />
Gebirgsfaltung teilweise zuckerkörnig ausgebildet. Um<br />
die Pioramulde im Hinblick auf eine mögliche Gefährdung<br />
der Tunnelbaustelle zu untersuchen, wurde vom AlpTran-<br />
sit Konsortium ein Sondierstollen gebohrt, der wenige Meter<br />
vor der Pioramulde endet. Von der Ortsbrust des Stollens<br />
wurden Sondierbohrungen in die Pioramulde abgeteuft,<br />
um die mechanischen Eigenschaften der Gesteine der<br />
Pioramulde zu untersuchen (Schneider, 1997).<br />
An der Ortsbrust dieses Sondierstollens wurden im März<br />
<strong>2005</strong> durch das <strong>GFZ</strong> Potsdam in Zusammenarbeit mit der<br />
Amberg Messtechnik AG seismische Messungen durch-<br />
Abb.3:Geologisches Längenprofil entlang des Gotthard-Basistunnels (GBT, Quelle: http://www.alptransit.ch) (oben),<br />
migrierte seismische Sektion der konvertierten und reflektierten Oberflächenwellen mit Ergebnissen der Sondierung<br />
Bo1.2 (unten). Entlang der Sondierung Bo1.2 ist schematisiert der RQD-Wert (Rock Quality Designation) dargestellt,<br />
der ein Maß für den Zustand des bei der<br />
Sondierung geförderten Kerns darstellt<br />
(aus Schneider, 1997). Hohe Werte deuten<br />
auf festen, ungeklüfteten Fels hin, niedrige<br />
Werte auf stärker geklüfteten Fels.<br />
Folgende Einheiten lassen sich den Farben<br />
zuordnen (beginnend an der Ortsbrust):<br />
rot: Betonzapfen zur Stabilisierung<br />
der Ortsbrust; pink: kakirisierte<br />
Störzone; grün: Pioramulde.<br />
Geological section along the Gotthard<br />
base tunnel (GBT, source: http://www.<br />
alptransit.ch) (top), migrated seismic section<br />
of the converted and reflected surface<br />
waves with RQD (rock quality designation)<br />
values of exploratory well 1.2.<br />
The RQD value is a measure for the stability<br />
of the rock delivered by investigation<br />
of the cores of the well (Schneider, 1997).<br />
High values indicate stable unfaulted<br />
rocks, low values indicate strongly faulted<br />
rocks. The following units can be identified<br />
according to the colours (starting<br />
from the tunnel face): red: concrete cone<br />
stabilising the tunnel face; magenta: cataclastic<br />
fault zone; green: Piora basin.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
99
100<br />
geführt, um die Anwendbarkeit der konvertierten und<br />
reflektierten Oberflächenwellen zur Detektion einer Störungszone<br />
zu untersuchen. Die Messanordnung bestand<br />
aus folgenden Komponenten: zwei Drei-Komponenten-<br />
Geophone in den Spitzen von Gebirgsankern, die ca.<br />
60 m hinter der Ortsbrust seitlich in die Tunnelwand<br />
gesetzt wurden, sowie 76 Schlagpunkte, an denen der<br />
<strong>GFZ</strong>-Impakthammer eingesetzt wurde (vgl. Abb. 1). Von<br />
den 76 Schlagpunkten sind 36 in einem Profil an der in<br />
Vortriebsrichtung linken Tunnelwand angeordnet. Der<br />
mittlere Punktabstand beträgt 1,5 bis 1,6 m. Fünf Punkte<br />
sind an der Ortsbrust, und 35 an der in Vortriebsrichtung<br />
rechten Tunnelwand. An jedem Schlagpunkt wurden<br />
16 Schläge angeregt und vertikal gestapelt. Die Verteilung<br />
von seismischen Empfängern und Hammerschlagpunkten<br />
sowie die unbearbeiteten seismischen Daten sind in<br />
Abb. 4 dargestellt. Die unbearbeiteten Daten werden von<br />
der direkten P- und der direkten Rayleigh-Welle beherrscht.<br />
Eine Rayleigh-Wellen-Reflexion ist innerhalb der<br />
Schlagpunktlinie zwischen Punkt 1 und 10 zu erkennen.<br />
Abb. 4: Messgeometrie des seismischen Experiments an der Ortsbrust des<br />
Piora-Sondierstollens (oben) und Rohdaten der Messungen (unten). Die<br />
Messdaten zeigen die dritte Komponente (senkrecht zur Tunnelwand) von<br />
Empfänger 1 (rotes invertiertes Dreieck). Die Signale von 76 Schlagpunkten<br />
(schwarze Rauten) wurden aufgezeichnet. Die Punkte 1 bis 36 liegen<br />
an der in Vortriebsrichtung linken Tunnelwand, Punkte 37 bis 41 an der<br />
Ortsbrust und Punkte 42 bis 76 an der in Vortriebsrichtung rechten Tunnelwand.<br />
RR0: Rayleigh-Wellen-Reflexion von einer Diskontinuität bei<br />
Schlagpunkt 16.<br />
Source and receiver point distribution of the seismic experiment in the Piora<br />
adit (top) and raw data of the measurements (bottom). The data show the<br />
component perpendicular to the tunnel wall of receiver 1 (red inverted triangle).<br />
The signals of 76 impact points (black diamonds) were recorded. The<br />
points 1 – 36 are on the left tunnel wall (looking towards the tunnel face),<br />
the points 37 – 41 are on the tunnel face, and the points 42 – 76 are on the<br />
right tunnel wall. RR0: Rayleigh wave reflection of a discontinuity near<br />
impact point 16.<br />
Die Datenbearbeitung unterdrückt die großen Amplituden<br />
der direkten P-, S- und Rayleigh-Wellen, verbessert das<br />
Verhältnis von Nutz- und Störsignalen und verstärkt<br />
Amplituden von Einsätzen mit größerer Laufzeit, um Verluste<br />
durch Dämpfung und sphärische Divergenz auszugleichen.<br />
Dazu werden folgende Prozesse durchgeführt:<br />
Median-Filterung, Bandpass-Filterung und zeitproportionale<br />
Skalierung der Amplituden. Das Ergebnis dieser<br />
Bearbeitung für die tunnelwandnormale Komponente des<br />
Empfängers 1 ist in Abb. 5 dargestellt. Die direkten P-, Sund<br />
Rayleigh-Wellen sind weitgehend unterdrückt. Reflektierte<br />
Rayleigh-Wellen von Diskontinuitäten entlang<br />
der Schlagpunktlinie und von der Ortsbrust des Sondierstollens<br />
sind zu erkennen. Nach den Einsätzen der Reflexionen<br />
von der Tunnelbrust treffen mit einer Verzögerung<br />
von etwa 20 ms dazu parallele Einsätze ein, die von RSSR-<br />
Reflexionen vor der Ortsbrust herrühren.<br />
Mit einem an der Kirchhoff-Migration orientierten Abbildungsverfahren<br />
(z. B. Schleicher et al., 1993) lassen<br />
sich die in den Seismogrammen erkennbaren<br />
RSSR-Reflexionen im Raum<br />
abbilden. Wir nennen dieses Verfahren<br />
RSSR-Migration. Hierfür werden im<br />
dreidimensionalen Raum Flächen gleicher<br />
Laufzeit (sog. Isochronen) für<br />
RSSR-Reflektionen berechnet und die in<br />
den Seismogrammen enthaltenen Amplituden<br />
auf diese Isochronen verteilt. Das<br />
Ergebnis ist dann ein räumliches Abbild<br />
von RSSR-Reflektoren. Bei einer stationären<br />
Tunnelbrust verbleibt eine hohe<br />
räumliche Unschärfe, da die ortsfeste<br />
Tunnelortsbrust als sekundäre Quelle<br />
betrachtet wird. Bei einem aktiven Tunnelvortrieb<br />
hingegen überlagern sich<br />
RSSR-Reflexionen von verschiedenen<br />
Ortsbrustpositionen konstruktiv, so dass<br />
eine bessere räumliche Auflösung von<br />
Reflektoren möglich ist (Abb. 6). In<br />
Abb. 7 sind die seismischen Daten mit<br />
den RSSR-Reflexionen und das Ergebnis<br />
der RSSR-Migration gegenüberge-<br />
stellt. Für die Migration wurden die von<br />
Empfänger 1 aufgezeichneten Schüsse<br />
42 bis 76 (Abb. 4) berücksichtigt. Etwa<br />
45 m vor der Ortsbrust liegt ein Reflektor,<br />
der mit dem Einsatz der Phase<br />
RSSR1 korreliert, etwa 20 m weiter in<br />
Vortriebsrichtung liegt ein weiterer Reflektor,<br />
der mit der Phase RSSR2 korreliert.<br />
Im Rahmen der Vorerkundung der Pioramulde<br />
durch das AlpTransit-Konsortium<br />
wurden von der Ortsbrust des Piora-Sondierstollens<br />
Erkundungsbohrungen abgeteuft<br />
und das dabei angetroffene Gestein<br />
charakterisiert. Folgende Einheiten<br />
wurden dabei angetroffen: ein 8 m mächtiger<br />
Betonzapfen, mit dem der Son-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 5: Daten nach Bearbeitung (Empfänger 1, tunnelwandnormale Komponente).<br />
R: Direkte Rayleigh-Welle, RR1: Rayleigh-Reflexion der Tunnelortsbrust,<br />
RSSR1: RSSR-Reflexion von Kakirit-Lage, RSSR2: RSSR-Reflexion<br />
vom Übergang der Kakirit-Lage zur Piora-Mulde.<br />
Seismic data after processing (receiver 1, perpendicular to the tunnel wall).<br />
R: direct Rayleigh wave, RR1: Rayleigh wave reflection from the tunnel face,<br />
RSSR1: RSSR reflection of cataclastic layer, RSSR2: RSSR reflection from<br />
the transition of the cataclastic layer to the Piora basin.<br />
dierstollen verfüllt wurde, Lucomagno-Gneise, eine ca.<br />
16 m mächtige kakiritische Störzone, sowie die Piora-<br />
Mulde, die durch einen Wechsel von sehr instabilem zuckerkörnigem<br />
Dolomit und festeren karbonatisch-sulfatischen<br />
Gesteinen geprägt ist (Schneider, 1997). Die Einheiten<br />
sind in Abb. 3 zusammen mit der RSSR-Migration<br />
der Aufzeichnungen von Empfänger 1 dargestellt. Erhöhte<br />
Reflexionsamplituden zeigen sowohl den Übergang<br />
vom Lucomagno-Gneis zum Kakirit als auch vom Kakirit<br />
zur Pioramulde.<br />
Zusammenfassung und Ausblick<br />
Das am <strong>GFZ</strong> Potsdam entwickelte Integrierte<br />
Seismische Imaging System ISIS<br />
besteht den aus Hardware-Komponenten<br />
sowie der Software, die zur Vorauserkundung<br />
im Tunnelbau erforderlich sind.<br />
Dazu zählen seismische Quellen, die<br />
wiederholbare und hochfrequente Signale<br />
anregen und Empfängersysteme, die<br />
zusammen mit im Tunnelbau üblichen<br />
Gebirgsankern verwendet werden können.<br />
Die Software leistet die zur Interpretation<br />
der gemessenen Daten notwendige<br />
Bearbeitung und Visualisierung und<br />
Aufzeichnung weiterer geologischer und<br />
geotechnischer Daten. Bei Messeinsätzen<br />
unter Verwendung dieses Systems<br />
wie auch bei der Auswertung der synthetischen<br />
Modellierung seismischer Wellen<br />
in der Tunnelseismik hat sich gezeigt,<br />
dass an der Tunnelwand entlang laufende<br />
Oberflächenwellen mit der größten Energieangeregt<br />
werden. Modellierungen zeigten auch, dass<br />
diese sich grundsätzlich dazu eignen, Reflektoren vor der<br />
Ortsbrust eines Tunnels zu erkennen. Die Reflexionen<br />
stammen von an der Ortsbrust zu S-Wellen konvertierten<br />
Oberflächenwellen, die nach der Reflexion zur Ortsbrust<br />
zurückkehren und dort wieder zu Oberflächenwellen<br />
konvertieren (RSSR-Reflexionen). Messungen des <strong>GFZ</strong><br />
Potsdam an der Ortsbrust des Piora-Sondierstollens an der<br />
Baustelle Gotthard-Basistunnels zeigten in den Messdaten<br />
Einsätze, die mit dem Auftreten von RSSR-Reflexio-<br />
Abb. 6: Prinzip der RSSR-Migration für zwei verschiedene Positionen der Tunnelortsbrust. Die seismische Quelle<br />
(schwarze Raute) und der Empfänger (invertiertes Dreieck) können an einer festen Position operieren und liegen mit<br />
der Tunnelachse in einer Ebene. Für die erste Ortsbrustposition (blaue Linie) sind die Strahlwege einer RSSR-Reflexion<br />
skizziert: Schwarze Pfeile zeigen Rayleigh-Wellen, blaue Pfeile zeigen S-Wellen. Die Isochrone einer RSSR-Reflexion<br />
wird durch einen Kreis um die Kante der Ortsbrust auf der Seite von Quelle und Empfänger repräsentiert. Es<br />
besteht eine starke räumliche Mehrdeutigkeit in der Lokalisierung des Reflektors. Wird die Messung nach einem gewissen<br />
Vortrieb wiederholt (rote Linie), wird die Mehrdeutigkeit bereits deutlich reduziert. Eine weitere Verbesserung in<br />
der Lokalisierung des Reflektors kann durch die Anordnung von Schlagpunkten und Empfängern um den Tunnel herum<br />
erreicht werden.<br />
Principle of the RSSR migration assuming two different tunnel face positions. The seismic source (black diamond) and the<br />
receiver (inverted triangle) can operate at<br />
a fixed location. The ray paths for an RSSR<br />
reflection are shown for the first tunnel<br />
face position (blue line): Black arrows<br />
indicate Rayleigh waves, blue arrows indicate<br />
S waves. The isochrone of a RSSR<br />
reflection is represented by a circle around<br />
the edge of the tunnel face on the side of<br />
the source-receiver profile. There is a<br />
strong spatial ambiguity for the location of<br />
the reflector. If the measurements are repeated<br />
after the tunnel has been drilled further<br />
(red line) the spatial ambiguity can be<br />
resolved. Furthermore, if sources and<br />
receivers are distributed at all azimuths<br />
around the tunnel axis the reflector can be<br />
located still more exactly.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
101
102<br />
Abb. 7: Datenbeispiel der tunnelwandnormalen Komponente eines Empfängers (oben) und migrierte Sektion der gezeigten<br />
Daten (unten). RR1: Reflektierte Oberflächenwelle von der Tunnelortsbrust, RSSR1: Konvertierte und reflektierte<br />
Oberflächenwelle vom Beginn der Kakirit-Schicht, RSSR2: Konvertierte und reflektierte Oberflächenwelle von der Pioramulde.<br />
Data example of the component perpendicular to the tunnel wall of receiver 1 (top) and migrated section of the data<br />
(bottom). RR1: reflected surface wave from the tunnel face, RSSR1: converted and reflected surface wave from the cataclastic<br />
layer, RSSR2: converted and reflected surface wave from the Piora basin.<br />
nen erklärt werden können. Es konnten RSSR-Reflexionen<br />
vom Beginn einer kakiritisierten Schicht sowie von<br />
deren Übergang zur Pioramulde nachgewiesen werden.<br />
Ein für die Überprüfung der Praxistauglichkeit des Systems<br />
notwendiger Schritt ist nun die Anwendung bei einem<br />
aktiven Tunnelvortrieb. Die bisher durchgeführten synthetischen<br />
Modellierungen wie auch die Testmessungen<br />
im Piora-Sondierstollen lassen erwarten, dass ein entsprechender<br />
Einsatz eine wesentliche Unterstützung bei<br />
der Detektion von Heterogenitäten vor dem Tunnel bedeutet.<br />
Da das System hinter der Ortsbrust seitlich an der Tunnelwand<br />
installiert wird, stört es nicht den Vortrieb an der<br />
Ortsbrust und kann unabhängig von der Vortriebsart<br />
genutzt werden. Da bei der Anregung an der Tunnelwand<br />
Oberflächenwellen mit größerer Energie angeregt werden<br />
als Raumwellen, kann bei diesem System grundsätzlich<br />
mit einem hohen Verhältnis von Nutz- zu Störsignalenergie<br />
und somit sehr stabilen Messergebnissen gerechnet<br />
werden.<br />
Literatur:<br />
Bohlen, T., Lorang, U., Rabbel, W., Müller, C., Giese, R., Lüth, S., 2006. Seismic<br />
prediction ahead of tunnel construction using Rayleigh to body wave conversion<br />
at the head face. Manuscript in preparation.<br />
Dickmann, T., and Sander, B., 1996. Drivage concurrent tunnel seismic prediction.<br />
Felsbau 14, 406-411.<br />
Giese, R., Klose, C., and Borm, G., <strong>2005</strong>. In-Situ seismic investigations of fault<br />
zones in the Leventina Gneiss Complex of the Swiss Central Alps: Geological<br />
Society Special Publication 240, 15-24.<br />
Kneib, G., Kassel, A., and Lorenz, K., 2000. Automated seismic prediction ahead<br />
of the tunnel boring machine. First Break, 295-302.<br />
Lüth, S., Buske, S., Giese, R., Goertz, A., <strong>2005</strong>. Fresnel volume migration of multicomponent<br />
data. Geophysics 70(6), 121-129.<br />
Schleicher, J., Tygel, M., and Hubral, P., 1993. 3-D true-amplitude finite-offset<br />
migration. Geophysics 67, 1112-1126.<br />
Schneider, T.R., 1997. Gotthard-Basistunnel: Neue geologische Erkenntnisse im<br />
Bereich des Tavetscher Zwischenmassivs und der Piora-Mulde. Schweizerischer<br />
Ingenieur- und Architekten-Verein, Dokumentation D 0143.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Technologieentwicklung im In-Situ-<br />
Geothermielabor Groß Schönebeck<br />
Ernst Huenges, Günter Zimmermann, Andreas Reinicke, Guido Blöcher, Heinz Gerd Holl, Björn Legarth, Ali Saadat,<br />
Inga Möck, Helmuth Winter, Wulf Brandt, Silke Köhler, Angelika Spalek, Mathias Poser, Jörg Schrötter, Rainer Becker<br />
Generation of electricity from geothermal heat is up to now limited to regions characterised by high temperature<br />
(T > 150 °C) at lower depths. Beside the temperature, adequate rock types are required which store and supply hot<br />
water. A reservoir rock with these profitable storage properties is represented by a 265 million years old sandstone<br />
horizon which can be found in North-Germany in 4000 m depth. Hot water in these sandstones possesses a sufficiently<br />
high temperature of 150 °C for electrical power production. To achieve the necessary productivity for economic use,<br />
new surface and subsurface technologies have to be developed. For this purpose <strong>GFZ</strong> Potsdam uses an abandoned well<br />
in Groß Schönebeck as an In-Situ geothermal laboratory. The investigated subsurface technologies include (I) reservoir<br />
stimulation with the generation of artificial fractures to enhance the flow rates and (II) mitigation strategies to<br />
preserve the initial conditions of the reservoir rock. The experiments demonstrated the enhancement of the productivity<br />
by a selective frac design. In a second deep well at this site Groß Schönebeck these results will be applied for the<br />
realisation of a doublet system (with a production well and an injection well) which will be coupled to a power plant<br />
to enable electrical power production.<br />
Zusammenfassung<br />
Die Erzeugung von Strom aus Erdwärme durch die Nutzung<br />
von Heißwässern beschränkt sich bisher auf Gebiete,<br />
die durch hohe Temperaturen (T > 150 °C) in geringen<br />
Tiefen der Erdkruste charakterisiert sind. Neben der Temperatur<br />
sind aber auch Gesteinstypen notwendig, die<br />
genug Heißwasser speichern und wieder abgeben können.<br />
Ein 265 Mio. Jahre alter Sandsteinhorizont, den man in<br />
Nord-Deutschland in 4.000 m Tiefe antrifft, stellt ein<br />
Reservoirgestein mit günstigen Speichereigenschaften<br />
dar. Die Heißwässer in diesem Sandstein besitzen eine zur<br />
Stromerzeugung ausreichende Temperatur von circa<br />
150 °C. Um die notwendige Produktivität zur wirtschaftlichen<br />
Nutzung zu erreichen, müssen über- und untertage<br />
neue Technologien entwickelt werden. Hierzu nutzt das<br />
GeoForschungZentrum Potsdam seit 2002 eine Altbohrung<br />
in Groß Schönebeck als In-Situ-Geothermielabor. Zu<br />
den erforschten Untertage-Technologien zählen (I) die<br />
Reservoirstimulation durch die Erzeugung künstlicher<br />
Risse, um die Förderraten von Heißwasser zu erhöhen,<br />
und (II) speicherschonende Aufschlussverfahren zur Erhaltung<br />
der initialen Speichereigenschaften der Reservoirgesteine.<br />
Die Experimente haben gezeigt, dass durch gezieltes<br />
Riss-Design die Fördermenge an Heißwasser wesentlich<br />
erhöht werden kann. In einer zweiten neuen Tiefbohrung<br />
am Standort Groß Schönebeck sollen nun diese<br />
Ergebnisse zur Realisierung einer Dublette (bestehend aus<br />
Förderbohrung und Injektionsbohrung) umgesetzt werden,<br />
durch die – gekoppelt an einen Kraftwerkskreislauf<br />
– Stromerzeugung ermöglicht werden soll.<br />
Einleitung<br />
Anspruchsvolle energie- und umweltpolitische Zielsetzungen<br />
stellen die Energieversorgung vor neue Herausforderungen:<br />
Der Energiemix der Zukunft soll ökologisch<br />
verträglich, ressourcensicher, wettbewerbsfähig und vor<br />
allem nachhaltig sein. Die Minderung von Emissionen und<br />
die deutliche Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien<br />
an der Stromversorgung stehen dabei im Vordergrund.<br />
Aus Erdwärme kann Energie in Form von technisch nutzbarer<br />
Wärme oder elektrischem Strom bedarfsgerecht hergestellt<br />
werden. Die Erde birgt dafür ein hohes, energiewirtschaftlich<br />
interessantes Potenzial. Die geothermische<br />
Fündigkeit ist dabei nicht auf vulkanische Gebiete<br />
beschränkt. Im Prinzip gibt es Erdwärme fast überall, auch<br />
in Mitteleuropa.<br />
Allerdings muss man hier in Tiefen von vier bis fünf Kilometern<br />
bohren, um ein Temperaturniveau zu erschließen,<br />
das hoch genug ist, um über Dampfturbinen effektiv elektrische<br />
Generatoren antreiben zu können. Dieses Potenzial<br />
kann erst dann genutzt werden, wenn die noch hohen<br />
Kosten und Risiken der Erschließung nachhaltig gesenkt<br />
werden. Die Herausforderung liegt in der Entwicklung von<br />
Technologien, die die Ergiebigkeit geothermischer Lagerstätten<br />
steigern und die Risiken bei der Lagerstättenerkundung<br />
senken.<br />
Eine Wärmequelle ist heißes Wasser aus der Erde. Heute<br />
nutzen noch die meisten größeren geothermischen Kraftwerke<br />
der Welt heißes oberflächennahes Wasser aus vulkanisch<br />
erhitzten Gesteinsschichten. Ähnliche hydrothermale<br />
Systeme kommen aber auch in nichtvulkanischen<br />
Regionen vor. Es gibt sie zum Beispiel im süddeutschen<br />
Raum und in der Norddeutschen Tiefebene. Praktisch<br />
überall im Untergrund stößt man ab 4.000 m Tiefe auf über<br />
150 °C heiße Gesteinsformationen. Sie enthalten das bei<br />
weitem größte Reservoir an geothermischer Energie, das<br />
derzeit technisch zugänglich ist. Hydrothermalsysteme<br />
oder trockene Hot-Dry-Rock-Systeme (HDR-Systeme),<br />
wie diese Formationen je nach Wasserführung genannt<br />
werden, stellen deshalb ein großes Zukunftspotenzial für<br />
die Energieversorgung dar. Trocken bedeutet hier, dass<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
103
104<br />
nicht ausreichend natürliches Wasser vorhanden ist, um es<br />
wie bei den hydrothermalen Lagerstätten über einen längeren<br />
Zeitraum an die Oberfläche zu pumpen.<br />
Oft haben diese Felsformationen jedoch zu kleine natürliche<br />
Risse, die einen zu geringen Wasserdurchsatz<br />
und keinen effektiven Wärmeaustausch ermöglichen. Mit<br />
speziellen Stimulationsmethoden müssen dann zusätzliche<br />
künstliche Risse erzeugt und die bestehenden<br />
erweitert werden. Eine solche Methode ist die hydraulische<br />
Stimulation der Klüfte und Risse: Das sogenannte<br />
Hydraulic Fracturing ist in der Erdöl- und Erdgasindustrie<br />
ein gängiges Verfahren (Economides et al., 2002; Entingh,<br />
2000). In den 1940er Jahren entwickelt und ständig<br />
weiter verbessert, wird es dort eingesetzt, um die Produktivität<br />
von Bohrungen gezielt zu erhöhen. Dem<br />
Hydraulic Fracturing kommt zunehmend auch in der Erdwärmenutzung<br />
eine Schlüsselrolle zu. Mit ihm kann die<br />
natürliche Wasserdurchlässigkeit des Reservoirgesteins<br />
so erhöht werden, dass die geothermische Energiepro-<br />
duktion ökonomisch interessant wird. Die Stimulationsmethoden<br />
der Kohlenwasserstoffexploration sind allerdings<br />
für die geothermische Nutzung von Warmwasservorkommen<br />
nur begrenzt anwendbar. Für die Anwendung<br />
in Geothermiebohrungen müssen sie weiterentwickelt und<br />
angepasst werden (Abb. 1).<br />
Die Entwicklung geeigneter Technologien zur Nutzung<br />
der Untergrundwärme bildet daher seit einigen Jahren<br />
einen der Forschungsschwerpunkte am GeoForschungs-<br />
Zentrum Potsdam. Im europäischen Rahmen wird sie auch<br />
im elsässischen Soultz-sous-Forêts zur Entwicklung des<br />
HDR-Verfahrens vorangetrieben. Die Forschungs- und<br />
Entwicklungsarbeiten verbinden interdisziplinäre Grundlagenforschung<br />
zur Charakterisierung potenzieller geothermischer<br />
Lagerstätten mit wirtschaftlichen und verfahrenstechnischen<br />
Betrachtungen des Betriebs geothermischer<br />
Anlagen. Die Forscher des <strong>GFZ</strong> Potsdam können<br />
vor allem bei der Untersuchung geologischer, geochemischer,<br />
geophysikalischer und geomechanischer Aspek-<br />
Abb.1: Prinzipskizze der geplanten geothermischen Stromerzeugung. Aus einer Produktionsbohrung fördert eine Pumpe<br />
heißes Tiefenwasser nach oben. Mit der Wärme wird in einem Verdampfer im Kraftwerkskreislauf eine Turbine zur<br />
Stromgenerierung betrieben. Eine bereits bei niedriger Temperatur siedende organische Flüssigkeit in einem zweiten<br />
Kreislaufsystem (Organic Rankine Cycle) treibt die Turbine an. Das vom zweiten Kreislauf gekühlte Tiefenwasser wird<br />
über eine Injektionsbohrung (blau) wieder in die Tiefe gepresst.<br />
Principle of the planned geothermal power generation. A pump delivers hot water from the depth through a production<br />
well. A circuit working with an organic liquid of low boiling point is heated by the hot water. The gas pressure produced<br />
drives a turbine and a generator (ORC). The cooled off water will be reinjected through a second borehole into<br />
the underground.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 2: Geologisches Blockbild der<br />
Umgebung der bestehenden Bohrung<br />
GrSk 3/90 (gelb). Legende: -1: Karbon,<br />
-2: Autun Vulkanit, -3: Eldena (6-1) bis<br />
Havel, -4: Mellin bis Eldena (7), -5:<br />
Werra Anhydrit bis Peckensen, -6: Zechstein<br />
1 bis 4, -7 mittlerer-unterer Buntsandstein,<br />
-8: Oberer Buntsandstein, -9:<br />
Unterer Muschelkalk, -10: Mittlerer<br />
Keuper bis Oberer Muschelkalk, -11:<br />
Oberer Keuper, -12: Lias, -13: Kreide,<br />
-14: Känozoikum<br />
Geological 3D image of the area near the<br />
existing well Groß Schönebeck 3/90<br />
te der Lagerstättenerschließung neueste Forschungsergebnisse<br />
anwenden. Hinzu kommt die Analyse und Bewertung<br />
des Gesamtsystems. Für hydraulische Experimente und<br />
Bohrlochmessungen verfügt das GeoForschungsZentrum<br />
über ein In-Situ-Forschungslabor in einer 4,3 km tiefen<br />
Geothermiebohrung im Nordosten Brandenburgs.<br />
Im November 2003 wurde dort in einem Großexperiment<br />
die Methode des massiven „Wasserfracs“ erstmals in<br />
150 °C heißen sedimentären Tiefengesteinen im Norddeutschen<br />
Becken getestet. Der Test hatte Erfolg: Nach dieser<br />
Riss-Stimulierung stieg die Produktivität der Bohrung in<br />
einen Bereich hinein, der die geothermische Stromerzeugung<br />
im Norddeutschen Becken nicht nur generell möglich,<br />
sondern auch energiewirtschaftlich interessant macht.<br />
Das Geothermielabor Groß Schönebeck<br />
Das <strong>GFZ</strong> entschied sich für Groß Schönebeck als Standort<br />
der Forschungsbohrung auf Basis von geologischen und<br />
bohrtechnischen Datenanalysen. Da eine mehrere Kilometer<br />
tiefe Bohrung sehr teuer ist, kamen nur bereits existierende<br />
Altbohrungen in Frage, die sich wieder öffnen lassen.<br />
Außerdem haben Altbohrungen den Vorteil, dass ihre Bohrakten<br />
bereits detailliert Auskunft über den Untergrund<br />
geben. Diese Akten umfassen Informationen über angetroffene<br />
Schichten, Gesteinsparameter, Zementationsprotokolle,<br />
Bohrberichte und andere wichtige Informationen.<br />
Es wurden die Bohrakten von mehr als fünfzig Altbohrungen<br />
recherchiert, die für die Durchführung von Stimulationsexperimenten<br />
und die angestrebte Nachnutzung<br />
zunächst geeignet schienen. Die Wahl fiel auf die 1990 abgeteufte<br />
Erdgasexplorationsbohrung E GrSk 3/90 in Groß<br />
Schönebeck. Da die Altbohrung wie üblich mit Zement verfüllt<br />
war, musste sie „aufgewältigt“ werden, d. h. dass der<br />
Zement durch Nachbohren entfernt wird. Dabei wurde die<br />
Bohrung um 54 Meter auf 4.294 Meter vertieft. Danach stand<br />
sie als In-Situ-Versuchs- und -Messlabor für die Durchführung<br />
von Bohrlochmessungen und Experimenten bereit.<br />
Die Bohrung erschließt geothermisch interessante Horizonte<br />
des Norddeutschen Beckens in Tiefen zwischen<br />
3.900 und 4.300 Metern bei Temperaturverhältnissen um<br />
150 °C. Bis zur Tiefe von 3.873 Metern ist sie mit nach<br />
unten abnehmenden Durchmessern teleskopartig verrohrt.<br />
An der Erdoberfläche hat sie einen Durchmesser von<br />
24,5 cm und im Bohrlochtiefsten 12,7 cm. Im Oktober<br />
2003 wurde die Bohrung nochmals vertieft, die Endteufe<br />
liegt seitdem bei 4.309 m.<br />
Für den Raum Groß Schönebeck (Umfeld der Bohrung<br />
Groß Schönebeck 3/90) wurde ein geologisches 3D-Modell<br />
entwickelt (Abb. 2), das das Störungsmuster und die geologischen<br />
Horizonte inklusive Zielhorizont des geothermalen<br />
Speichers in 4.000 m Tiefe zeigt.<br />
Für die Modellierung wurden bereits existierende Daten<br />
genutzt, bestehend aus 2D-Seismik- und Tiefbohrungsarchiven.<br />
Die reprozessierten und als Ausdruck vorliegenden<br />
2D-Seismikprofile wurden digitalisiert, die Bohrungsdaten<br />
waren aus vorhergehenden Arbeiten digital<br />
verfügbar. Insgesamt liegen nun 138 km 2D-Seismik und<br />
Informationen aus 15 Tiefbohrungen von je 4.000 m Teufe<br />
digital vor. Diese Daten wurden georeferenziert und<br />
– basierend auf der 2D-Seismik – wurden das Störungsmuster<br />
hergeleitet und nach strukturgeologischen Kriterien<br />
ein 3D-Störungsmodell berechnet. Das Störungsmuster<br />
besteht aus zwei Störungssystemen, die durch das<br />
Zechsteinsalz entkoppelt sind. Die Teufenlage und Oberflächenform<br />
der geologischen Horizonte wurde durch die<br />
Verrechnung der reflexionsseismischen Markerhorizonte<br />
mit den entsprechenden Teufenlagen gemäß der Bohrungen<br />
verrechnet. In dem bisher existierenden 3D-Modell<br />
wurden die Seismikhorizonte auf die Teufenlage aus den<br />
Bohrungen geeicht. Um die Varianz dieser unterschiedlichen<br />
Fehlergrenzen der Basisdaten zueinander statistisch<br />
zu erfassen und in die Berechnung mit einfließen zu<br />
lassen, wird derzeit ein Modell mit einer geostatistischen<br />
Methode entwickelt. Mit neu gewonnenen Daten können<br />
die 3D-Modelle auf ihre Aussagefähigkeit hin überprüft<br />
werden. Darüber hinaus wurde ein strukturelles 3D-Lithofaziesmodell<br />
für den geothermalen Speicher berechnet,<br />
das die störungsgebundene Verteilung von sedimentären<br />
Ablagerungstypen zeigt.<br />
Vor der Durchführung von Stimulationsexperimenten war<br />
es zunächst wichtig, den Ausgangszustand der Bohrung<br />
zu bestimmen. Dazu fanden 2001 hydraulische Tests und<br />
Bohrlochmessungen statt. Außerdem mussten Gesteinsproben<br />
anhand von Laborstudien und Bohrlochmessungen<br />
charakterisiert werden.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
105
106<br />
Stimulation steigert Produktivität<br />
Neben den Mindesttemperaturen von 150 °C ist die stabile<br />
Förderung großer Mengen von Thermalwasser eine<br />
zweite Grundvoraussetzung für die Energiegewinnung,<br />
denn das Wasser transportiert die Wärme zur Bohrung und<br />
schließlich ins Kraftwerk.<br />
Damit das funktioniert, muss der Gesteinskörper gut<br />
durchlässig sein, also einen hohen Anteil hydraulisch verbundener<br />
kleiner Hohlräume und Risse besitzen (Hot<br />
Fractured Rock). Das gewährleistet eine gute Durchströmung<br />
und einen hohen Wasserzufluss zur Bohrung. Wie<br />
schon erwähnt, ist allerdings in Tiefen mit Mindesttemperaturen<br />
um 150 °C die natürliche Permeabilität (Durchlässigkeit)<br />
der Gesteine nur gering. Sie müssen durch Stimulation<br />
künstlich aufgebrochen werden, um eine erhöhte<br />
Wasserzirkulation zu erreichen.<br />
Stimulationsexperimente haben zwei Ziele: Sie sollen im<br />
Tiefengestein ein weitreichendes Risssystem erzeugen,<br />
zugleich sollen sie einen Anschluss an wasserführende<br />
Klüfte herstellen, die von Natur aus vorhanden sind. Dazu<br />
wird in kurzer Zeit und unter hohem Druck ein Fluid, meistens<br />
Wasser, in eine Bohrung verpresst. Der Druck des<br />
hinein gepressten Fluids überschreitet dabei die im Gebirge<br />
vorherrschenden Spannungen. So erweitert er vorhandene<br />
Risse im Gestein, verbindet sie miteinander und<br />
erzeugt neue Klüfte (Hydraulic Fracturing). Im Verlauf<br />
des Experimentes werden die Injektionsraten stufenweise<br />
erhöht und das Fluid gegebenenfalls mit hochviskosen<br />
Zusätzen versetzt. Falls nötig, wird es auch zur Sicherung<br />
der Rissöffnung mit Stützmitteln versetzt. Das sind<br />
zum Beispiel Keramikkugeln von etwa 1 mm Durchmesser:<br />
Sie lagern sich in den hydraulisch erzeugten Rissen<br />
im Gestein ein und halten sie offen, wenn der Druck nachlässt.<br />
Durch die Stimulation entsteht ein weit verzweigtes Kluftsystem,<br />
das dem Thermalwasser neue Fließwege zur Förderbohrung<br />
schafft: Nun funktioniert es als Transportweg<br />
und als untertägiger Wärmetauscher mit großer Kontaktfläche.<br />
Stimulation der Sandsteine<br />
Die ersten – noch relativ sanften – Stimulationsexperimente<br />
in den Sandsteinhorizonten in 4.200 Metern Tiefe<br />
wurden noch weitgehend konventionell durchgeführt<br />
(Legarth et al. <strong>2005</strong>). Darunter versteht man ein Verfahren,<br />
das auf Erfahrungen aus der Erdöl- und Erdgas-Exploration<br />
basiert. Mehrere Hundert Kubikmeter einer hochviskosen<br />
Flüssigkeit, einem Spezialgel, wurden bei einem<br />
Überdruck von 17 Mpa injiziert und Stützmittel eingebracht.<br />
Tatsächlich zeigten Messungen nach der Stimulation<br />
einen erhöhten Zufluss an Grundwasser aus dem<br />
umgebenden Gestein. Ein Produktionstest wies entsprechend<br />
höhere Fließ- und Förderraten nach, ein erstes Indiz<br />
für den Erfolg des Experiments. Es bewies, dass schon<br />
geringe Druckanregungen Risse im Gebirge initiieren<br />
können.<br />
Die Tests waren auch ein operationeller Erfolg. Im offenen<br />
und unverrohrten Bohrlochbereich im tiefsten Abschnitt<br />
gelangen Experimente, die hohe Risiken bergen.<br />
Dazu gehört der erstmalige Einbau eines so genannten<br />
Packers in über 4 km Tiefe: Ein Packer ist ein Abdichtungssystem<br />
für das Injektionsrohr. Wichtig war vor allem<br />
nicht nur das Setzen des Packers: Nach dem Experiment,<br />
bei dem das System unter hoher Belastung stand, musste<br />
dieser wieder aus der Bohrung ausgebaut werden, um sie<br />
nicht für die folgenden Experimente zu verschließen.<br />
Anschließend wurde zur Abschätzung der hydraulischen<br />
Parameter, die durch die Stimulation verändert wurden,<br />
über rund zwei Monate ein Langzeitpumptest mit einem<br />
Fördervolumen von insgesamt 580 m 3 durchgeführt (Reinicke<br />
et al. <strong>2005</strong>). Über einen längeren Zeitraum und unter<br />
moderaten Druckbedingungen wurden die Durchlässigkeit<br />
der unterschiedlichen Gebirgshorizonte, die Ausdehnung<br />
des Reservoirs und die chemische Zusammensetzung des<br />
zu fördernden Tiefenwassers bestimmt. Durch den Vergleich<br />
mit den Daten vor den ersten Stimulationsversuchen<br />
konnte so abgeschätz werden, wie sich die Produktivität<br />
der Sandsteine durch die Stimulation verändert hat.<br />
Allerdings erwies sich die durch die Sandsteinstimulation<br />
erzeugte Produktivität als noch nicht ausreichend für eine<br />
wirtschaftliche Stromerzeugung. Daher wurde entschieden,<br />
die Experimente mit einer massiven Stimulation fortzusetzen.<br />
Massive Stimulationsexperimente<br />
Im Verlauf der nun folgenden massiven Stimulationsexperimente<br />
wurden insgesamt etwa 12.000 m 3 Wasser sukzessive<br />
mit steigender Injektionsrate und damit steigendem<br />
Druck in den Untergrund injiziert (Zimmermann<br />
et al. <strong>2005</strong>). Um hohe Fließraten bis 80 l/s realisieren zu<br />
können, wurden spezielle leistungsfähige Pumpaggregate<br />
bereitgestellt (Abb. 3). Die übertägigen Anlagenteile<br />
mit dem Bohrkopf und den Zuleitungen waren ausgelegt,<br />
Abb. 3: Hochleistungspumpen für den massiven Wasserfrac<br />
in der Geothermie-Forschungsbohrung Groß Schöne-beck<br />
bei Berlin, November 2003 (Foto: E. Huenges,<br />
<strong>GFZ</strong>)<br />
High capacity pumps for the massive water frac in the<br />
geothermal research well Groß Schönebeck near Berlin,<br />
November 2003<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4: Das Abbild der elektrischen Leitfähigkeit der Bohrlochwandungen (360°-FMI-Messung) in der Bohrung Groß<br />
Schönebeck 3/90 zeigt einen 120 m langen Riss nach der ersten massiven Wasserfracbehandlung.<br />
The image of the electrical conductivity of the borehole wall (360 degree FMI-measurements) in the well Groß Schönebeck<br />
3/90 shows a 120 m long fracture after the first massive waterfrac treatment.<br />
einem Druck von 50 MPa standzuhalten. Drei etwa 80 Meter<br />
tiefe Wasserbrunnen stellten die Wassermengen bereit.<br />
Das Wasser wurde in Behältern mit einer Kapazität von<br />
1.500 m 3 zwischengespeichert und chemisch aufbereitet,<br />
um die Verträglichkeit mit dem Tiefengestein und den Tiefenwässern<br />
zu gewährleisten. Dazu gehört eine Ansäuerung<br />
des Wassers, um Eisenhydroxyd-Ausfällungen im<br />
Tiefenreservoir zu vermeiden.<br />
Im ersten Abschnitt des Experimentes wurde ein Stufeninjektionstest<br />
gestartet. Dabei wurde sukzessive die Injektionsrate<br />
erhöht, zunächst bis 24 l/s; der Differenz-Druck<br />
stellte sich bei 17 MPa ein. Folgende Wirkung wurde deutlich<br />
beobachtet: Bereits ab einer Injektionsrate von 8 l/s<br />
verringerte sich mit weiter ansteigender Injektionsrate der<br />
Druckanstieg je Einheit der Injektionsrate. Entsprechend<br />
erhöhte sich die Injektivität. Es wurde also mehr Flüssigkeit<br />
je Druckeinheit im Untergrund verpresst, demnach<br />
öffneten sich dort bereits Risse und Klüfte.<br />
In einem anschließenden Test wurde untersucht, ob die<br />
Injektivitätssteigerung auch mit einer Produktivitätssteigerung<br />
verbunden ist. Während eines fünfstündigen Tests wurden<br />
250 m 3 Wasser aus der Tiefe gefördert. Im Vergleich zu<br />
den im Sommer 2002 durchgeführten Pumptests lag die<br />
Produktivität damit bereits um ein Vielfaches höher. Mit<br />
besonderen physikalischen (elektrischen, seismischen und<br />
passiv Radioaktivität aufzeichnenden) Bohrlochmesssonden<br />
wurden dann struktur- und gesteinbestimmende Messungen<br />
im offenen Bohrlochabschnitt durchgeführt. Als<br />
spezielle Messmethode kam auch ein Formation-Micro-<br />
Imager (FMI) zum Einsatz, der den elektrischen Widerstand<br />
der Bohrlochwand mit einer örtlichen Auflösung im Zentimeterbereich<br />
vermessen kann. Damit ergab sich ein Bild,<br />
das deutlich einen vertikalen Riss von etwa 150 m Länge<br />
im unteren, unverrohrten Abschnitt des Bohrlochs zeigt<br />
(Abb. 4) (Holl et al. <strong>2005</strong>). Weitere Messungen belegen,<br />
dass die Bohrung im tiefsten Abschnitt Gesteinsformationen<br />
des Rotliegend durchteuft hat (vgl. Abb. 2).<br />
Um das Risiko auszuschließen, dass bei weiteren massiven<br />
Stimulationsexperimenten das Bohrloch im noch<br />
unverrohrten Abschnitt im Tiefenbereich von 3.985 m bis<br />
4.300 m einstürzt, wurde ein Schutzstrang aus Rohren<br />
installiert. Dieser ist im so genannten Speicherbereich gelocht,<br />
damit das Wasser durch die Wand der Bohrung fließen<br />
kann. In der gesicherten Bohrung wurde dann das Testprogramm<br />
mit Stimulation, Fördertest und Stufeninjektion<br />
fortgesetzt (Abb. 5). Diese Tests konnten eine beachtliche<br />
Produktivität von etwa 14 m 3 /(h MPa) (beim Riss-<br />
Schließungsdruck) nachweisen (Abb. 6). Sie liegt damit<br />
erstmals in einem Bereich, der geothermische Stromerzeugung<br />
im Norddeutschen Becken nicht nur möglich,<br />
sondern energiewirtschaftlich interessant macht.<br />
Thermische Signatur der Stimulation im Reservoir<br />
Mit der faseroptischen DTS-Temperaturmesstechnik (Distributed<br />
Temperature Sensing) können Temperaturprofile<br />
quasi-kontinuierlich mit hoher zeitlicher Auflösung<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
107
108<br />
Abb. 5: Produktionstest 2003 in Groß Schönebeck (Foto:<br />
A. Saadat, <strong>GFZ</strong>)<br />
Drilling rig, production test 2003, Groß Schönebeck<br />
gemessen werden. Der Einsatz erfolgt entweder mit Bohrlochmesskabeln<br />
(wireline, z. B. Hurtig et al., 1993; Förster<br />
et al., 1997, Büttner and Huenges, 2003) oder indem der<br />
faseroptische Sensor hinter der Verrohrung fest in der Bohrung<br />
installiert wird (Henninges et al., <strong>2005</strong>). Für den Einsatz<br />
in Tiefbohrungen wurde in Kooperation mit der Industrie<br />
ein spezielles Bohrlochmesskabel entwickelt, welches<br />
für eine Einsatztemperatur bis 200 °C spezifiziert ist.<br />
Dieses Kabel kam in der Bohrung Groß Schönebeck 3/90<br />
zum Einsatz und stellte erstmalig DTS-Messdaten eines<br />
Wireline-Systems aus Tiefen bis 4.250 m zur Verfügung.<br />
Dabei wurde die Temperatur der kompletten Bohrlochstrecke<br />
vermessen. Ziel dabei war, den Prototyp des<br />
Kabels für die Charakterisierung der hydraulisch aktiven<br />
Zonen zu verwenden: Der interne Aufbau des stimulier-<br />
Abb. 6: Zunahme der Produktivität der Bohrung Groß Schönebeck durch<br />
hydraulisches Aufbrechen (Frac). Nach jeder Stimulationsbehandlung<br />
wurde die Produktivität getestet und daraus die hier dargestellten Indizes<br />
ermittelt. Der Produktivitätsindex vom Februar 2003 konnte nur als Mindestwert<br />
bestimmt werden. Der Wert vom Dezember 2003 wurde beim Rissschließungsdruck<br />
bestimmt.<br />
Enhancing productivity in Groß Schönebeck during hydraulic fracturing.<br />
The productivity tested after each stimulation treatment was the base for the<br />
shown indices. The productivity index of Febr. 2003 represents only the minimum<br />
value. The value at the Nov./Dec. bar 2003 reflects productivity after<br />
the fractures had closed.<br />
ten Bereiches sollte möglichst erfasst werden. Drei Monate<br />
nach dem zweiten massiven Wasserfrac wurden etwa<br />
100 m 3 kaltes Wasser in die Bohrung gepumpt und<br />
anschließend die Temperaturen mittels DTS-Technik und<br />
zusätzlichen Messfahrten einer p/T-Sonde zur Überprüfung<br />
und Kalibrierung des Prototyps gemessen.<br />
Abb. 7 zeigt das Ergebnis der ersten DTS-Messungen<br />
unmittelbar nach der Kaltwasserinjektion zusammen mit<br />
dem Temperaturprofil einer Bohrlochsondenfahrt zwei<br />
Monate danach. Betrachtet man den stimulierten Bereich<br />
genauer, so kann man neben einer schwachen zeitlichen<br />
Änderung zum ersten Mal deutlich die interne Strukturierung<br />
des stimulierten Bereiches erkennen. Zwei hydraulisch<br />
aktive Zonen (Ia, Ib) existierten bereits vor den massiven<br />
hydraulischen Stimulationen. Nach dem Experiment wurde<br />
eine dritte Zone (II) im Bereich des gelochten Liners nachgewiesen.<br />
Diese dritte Zone wurde durch die Stimulation<br />
innerhalb einer Zone von Konglomeraten und Vulkaniten<br />
erzeugt, die unterhalb der Rotliegend-Sandsteine liegen.<br />
Die hier dargestellten Ergebnisse belegen die Durchführbarkeit<br />
von Wireline-DTS-Messungen in Tiefen über 4 km<br />
und Temperaturen von 143 °C in salinaren Formationsfluiden.<br />
Damit können mit Hilfe dieser Technologie wichtige<br />
Eingangsgrößen für thermo-hydraulische Modellrechnungen<br />
über das aufgeschlossene Reservoir erhalten werden.<br />
Moderate Injektion in das Reservoir nach Stimulation<br />
Im Dezember <strong>2004</strong> wurde in der Forschungsbohrung Groß<br />
Schönebeck ein Injektionsexperiment durchgeführt, bei<br />
dem über 18 Tage konditioniertes Brunnenwasser<br />
mit einem Volumenfluss von<br />
2 l/s injiziert wurde (Abb. 8). Anschließend<br />
wurden die Bohrung eingeschlossen (shutin)<br />
und die Druckentwicklung beobachtet.<br />
Die Einschlussphase dauerte 76 Tage.<br />
Die Auswertungen der Druckkurven zeigen<br />
ein eindeutiges bilineares Fließregime<br />
an (4.Wurzel-t-Gesetz). Dieses Fließverhalten<br />
ist charakteristisch für einen<br />
vertikalen Riss mit einer begrenzten Riss-<br />
Leitfähigkeit. Der vertikale Riss wurde<br />
während der vorangegangenen massiven<br />
Stimulationsexperimente erzeugt und<br />
konnte mit Hilfe von bildgebenden Bohrlochmessverfahren<br />
über eine Mächtigkeit<br />
von ca. 160 m im Reservoir nachgewiesen<br />
werden. Zum Ende der Injektionsphase<br />
beginnt das Fließverhalten in ein<br />
pseudo-radiales Fließen überzugehen<br />
(ln-t-Gesetz) und zeigt das Abströmverhalten<br />
jenseits der horizontalen Ausdehnung<br />
des Risses an. Gleiches gilt für die<br />
Einschlussphase des Experiments.<br />
Die Auswertungen der Druckkurven deuten<br />
auf einen vertikalen Riss mit einer<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Rissleitfähigkeit von 1 Dm hin. Die Risshalblänge liegt<br />
bei etwa 250 m, bei einer angenommenen effektiven Risshöhe<br />
von ca. 43 m. Die zugehörige Transmissibilität liegt<br />
bei 4 x 10 –14 m 3 und kennzeichnet die Durchlässigkeit der<br />
Konglomerate und der Vulkanite. Das eigentliche Fluidreservoir<br />
(Elbe-Hauptsandstein) ist bei diesem moderaten<br />
Differenz-Druck nicht angeschlossen, was sich auch in<br />
dem nach dem Test durchgeführten Temperatur-Log verifizieren<br />
ließ.<br />
Das statische Temperatur-Profil kennzeichnet die Temperaturstörungen,<br />
die durch die massiven Frac-Experimente<br />
hervorgerufen wurden. Das dynamische Temperaturprofil<br />
wurde während der Förderung mit<br />
2 l/s gemessen und charakterisiert die<br />
aktiven Zuflussbereiche bei moderaten<br />
Differenzdrücken.<br />
Nachhaltige Thermalwasserproduktion<br />
– Implikationen aus hydraulischem<br />
Modell<br />
Mit Hilfe gekoppelter thermisch-hydraulischer<br />
Modellierung auf Basis des geologischen<br />
Modells und unter Einbeziehung<br />
der in den verschiedenen Experimenten<br />
erzielten Gesteinsparameter wurden<br />
Szenarien potenzieller nachhaltiger<br />
Thermalwasserproduktion aus dem Reservoir<br />
untersucht. Die thermisch-hydraulischen<br />
Modellierungen haben zum Ziel,<br />
das Reservoir der Bohrung Groß Schönebeck<br />
3/90 zu charakterisieren und ei-<br />
Abb.7:Temperaturmessungen in der Bohrung<br />
nach Kaltwasserinjektionen in stimulierte<br />
Horizonte im Vergleich mit Temperaturmessungen<br />
vor der Stimulation<br />
(Henninges et al., <strong>2005</strong>). Links: Temperatur-Tiefen-Zeit-Verlauf.<br />
Mitte: Temperaturmessungen<br />
zu verschiedenen Zeiten,<br />
A: nach Aufwältigung Oktober 2001,<br />
B:vor der massiven Stimulation 4. November<br />
2003, C: 5. März <strong>2004</strong> nach der massiven<br />
Stimulation und D: 28. April <strong>2004</strong>.<br />
Hydraulisch aktive Zonen sind bezeichnet<br />
als Ia, Ib, II (siehe Text). Rechts: Lithologie<br />
und Gamma Ray.<br />
Temperature measurements in the borehole<br />
after cold-water injection into stimulated<br />
horizons compared to temperature<br />
measurements before stimulation<br />
(Henninges et al., <strong>2005</strong>). Left: temperature-depth<br />
profiles; Centre: Temperature<br />
measurements at different times; A: After<br />
re-opening (Oct. 2001); B: before massive<br />
stimulation (Nov. 4, 2003); C: March 5,<br />
<strong>2004</strong> after massive stimulation; D: April<br />
28, <strong>2004</strong>; Hydraulic active zones are<br />
denoted as Ia, Ib, II (see text); Right:<br />
Lithology and Gamma Ray.<br />
nen nach thermischen und hydraulischen Gesichtspunkten<br />
idealen Standort für die geplante Förderbohrung abzuschätzen.<br />
Basierend auf den Ergebnissen der hydraulischen<br />
Tests (Reinicke et al., <strong>2005</strong>; Zimmermann et al.,<br />
<strong>2005</strong>, Huenges et al., <strong>2004</strong>), der Stimulationsexperimente<br />
(Legarth et al., <strong>2005</strong>) und Kernuntersuchungen (Lotz,<br />
<strong>2004</strong>; Trautwein, <strong>2005</strong>) wurden gekoppelte thermischhydraulische<br />
Modellierungen mit Hilfe des Finite-Elemente-Programms<br />
FeFlow (Diersch, 2002) durchgeführt.<br />
Zielsetzung dieser Modellierungen war es, quantitative<br />
Aussagen über die Produktivität, die Nachhaltigkeit und<br />
das thermische Verhalten des Reservoirs unter den geplanten<br />
Produktions- und Injektionsbedingungen (Dubletten-<br />
Abb. 8: Aufbau des Injektionsexperiments im Winter <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> (Foto:<br />
A. Saadat, bearb. Geothermie-Gruppe <strong>GFZ</strong>)<br />
Installation of the injection experiment in winter <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong><br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
109
110<br />
Abb. 9: Thermisch-hydraulische Modellierung eines Thermalwasserkreislaufes<br />
mit einer Rate von 75 m 3 /h (mit paralleler Ausrichtung künstlich<br />
erzeugter Fracs, wie in den Kästchen im linken Diagramm skizziert). Druckentwicklung<br />
(links) in der Injektionsbohrung sowie Temperaturverteilung<br />
einer Dublette mit 250 m Abstand nach 20 Jahren Förderung und Injektion.<br />
Risstransmissibilität im Frac wurde mit 1 Dm und die Transmissibilität im<br />
Fernbereich mit 0,1 Dm angenommen.<br />
Thermal hydraulic model of the thermal water loop (75 m 3 /h) (frac orientation<br />
parallel and perpendicular). Pressure vs. time within injection well (left)<br />
and temperature distribution of a doublet with 250 m distance of injection<br />
point to production point. Assumption for transmissibility of the fracture<br />
1 DM ans transmissibility of environ rocks 0.1 Dm.<br />
betrieb) zu erhalten. Zu diesem Zweck wurden verschiedene<br />
Szenarien simuliert, insbesondere der Abstand der<br />
beiden Bohrungen variiert, um den nach hydraulischen<br />
und thermischen Gesichtspunkten günstigsten Abstand<br />
der Bohrungen abzuschätzen (Abb. 9). Sind die beiden<br />
Bohrungen so angeordnet, dass die künstlich erzeugten<br />
Fracs in beiden Bohrungen parallel zueinander und senkrecht<br />
zur Verbindungslinie beider Bohrungen stehen, stellen<br />
sie ein ideales thermisch-hydraulisches System dar.<br />
Dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass die Bohrungen<br />
hydraulisch miteinander kommunizieren, aber gleichzeitig<br />
thermisch entkoppelt sind, um einen thermischen Kurzschluss<br />
auszuschließen.<br />
In Abb. 9 ist die Temperaturverteilung einer Dublette nach<br />
20 Jahren Förderung und Injektion dargestellt. Die Injektionstemperatur<br />
in das Reservoir beträgt<br />
70 °C. Das Reservoir besitzt eine mittlere<br />
Temperatur von 150 °C. Der Abstand der<br />
künstlich erzeugten Risse in beiden Bohrungen<br />
beträgt 250 m. Dabei stehen die<br />
künstlich erzeugten Fracs in den beiden<br />
Bohrungen parallel zueinander. Eine<br />
serielle Anordnung führt zu einem vorzeitigen<br />
ungewollten Kurzschluss im Thermalwasserkreislauf.<br />
Die parallele Anordnung<br />
stellt ein ideales Anströmverhalten<br />
hinsichtlich der Ausbreitung der Temperaturfront<br />
dar. Für die Reservoireigenschaften<br />
wurde ein poröses Medium ohne natür-<br />
liche Risse und Klüfte vorausgesetzt. Dieses<br />
entspricht dem jetzigen Stand der<br />
Erkenntnis, dass durch die hydraulischen<br />
Experimente keine natürlichen Klüfte<br />
Ausblick<br />
angeschlossen wurden (Zimmermann et<br />
al., <strong>2005</strong>; Legarth et al., <strong>2005</strong>).<br />
Aus dem Temperaturprofil in Abb. 9 ist<br />
ersichtlich, dass die Temperaturstörung der<br />
Injektionsbohrung unter den gegebenen<br />
Modellannahmen erst nach 20 Jahren die<br />
Förderbohrung erreicht hat. Um einen thermischen<br />
Kurzschluss über die Betriebsdauer<br />
von 20 Jahren auszuschließen, wird<br />
man als konservative Abschätzung für den<br />
Abstand beider Risssysteme mindestens<br />
ca. 250 m wählen. In dieser Abschätzung<br />
sind die prognostizierten konduktiven<br />
Trennflächensysteme im Umfeld der Lokation<br />
Groß Schönebeck, die nach den Planungen<br />
mit der zweiten Bohrung angeschlossen<br />
werden sollen, noch nicht berücksichtigt.<br />
Diese stellen bevorzugte<br />
Fließwege dar und beschleunigen die Ausbreitung<br />
der Temperaturstörung. Gleichzeitig<br />
aber erhöhen sie die Produktivität des<br />
Reservoirs, sodass der Thermalwasserkreislauf<br />
bei niedrigeren Injektionsdrücken<br />
als modelliert, d. h. bei moderatem Einsatz<br />
von Hilfsenergie, realisiert werden kann.<br />
Die Stimulation ist nur ein erster Schritt. Jetzt muss<br />
bewiesen werden, dass das Risssystem auch längere Zeit<br />
offen bleibt und den Transport großer Wassermengen<br />
garantiert. Der nächste Schritt zu einer geothermischen<br />
Energieerzeugung ist die erfolgreiche Zirkulation des<br />
Wassers zwischen zwei räumlich getrennten Bohrungen,<br />
die im Bereich des Reservoirs etwa einen halben Kilometer<br />
auseinander liegen. Dazu wird im Frühjahr 2006<br />
in Groß Schönebeck ein zweites Bohrloch abgeteuft<br />
(Abb. 10). Ein mehrere Monate dauerndes Zirkulationsexperiment<br />
soll zeigen, ob sich das erzeugte Risssystem<br />
zum dauerhaften Transport und Wärmeaustausch des im<br />
Untergrund vorhandenen Wassers eignet. Nur langfristig<br />
gesicherte Produktionsraten erlauben die nachhalti-<br />
Abb. 10: November <strong>2005</strong>, Vorbereitung des Bohrplatzes für die zweite Bohrung<br />
(Foto: A. Saadat,<strong>GFZ</strong>)<br />
November <strong>2005</strong>, preparation of the drill site fore the second borehole<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
ge Nutzung eines Heißwasserreservoirs. Erst dann lohnt<br />
sich die Investition in die Stromerzeugung.<br />
In Groß Schönebeck soll die vorhandene Altbohrung als<br />
Injektionsbohrung verwendet werden. Die bisherigen<br />
Experimente zeigen, dass sie sich wegen ihrer Injektivitätswerte<br />
gut dazu eignet. Zudem sprechen geometrische<br />
Gründe dafür, die neu abzuteufende Bohrung zur Förderung<br />
zu nutzen. Sie kann so angelegt werden, dass sie nicht<br />
senkrecht durch den Speicherbereich stößt, sondern darin<br />
abgelenkt wird. Das sorgt für einen längeren Verlauf in<br />
dieser für die Produktion entscheidenden Schicht und<br />
damit für größere Zuflussflächen.<br />
Die vielfältigen Visualisierungsmöglichkeiten der 3D-<br />
Modelle (beliebige Profilschnitte, Abdecken beliebiger<br />
Horizonte, Hervorheben bestimmter Störungsblöcke und<br />
Störungen, Eingabe bestehender und geplanter Bohrungsverläufe)<br />
dienen als Entscheidungshilfe für die geologische<br />
und technische Planung der Richtbohrarbeiten<br />
für die Bohrung Groß Schönebeck 4/05 wie in Abb. 11<br />
wiedergegeben.<br />
Kann eine ausreichende Produktivität nachgewiesen werden,<br />
dann soll in Groß Schönebeck in Kooperation mit Partnern<br />
aus der Industrie eine Strom produzierende Forschungsanlage<br />
errichtet werden. Sie soll vor allem verfahrenstechnische<br />
Fragen klären, dabei steht die Wirtschaftlichkeit<br />
geothermischer Stromerzeugung im Vordergrund.<br />
Die langfristige Zukunft der Geothermie in Mitteleuropa<br />
kann durchaus optimistisch eingeschätzt werden. Die<br />
kürzlich in Neustadt-Glewe in Betrieb genommene geothermische<br />
Kraft-Wärmekopplungsanlage zeigt, dass<br />
Stromerzeugung aus Erdwärme unter hiesigen geologischen<br />
Bedingungen realisierbar ist.<br />
Die Entwicklung der Geothermie in Deutschland kann zu<br />
einem wichtigen Beitrag für den weltweiten Ausbau regenerativer<br />
Energien werden, denn der geologische Untergrund<br />
hier ist typisch für Mitteleuropa und damit repräsentativ<br />
für viele Gebiete. Funktioniert diese Technologie<br />
also in Deutschland erfolgreich, dann kann sie weltweit<br />
auf Gebiete ähnlicher geologischer Struktur übertragen<br />
werden.<br />
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Abb. 11: Räumliche Darstellung des Bohrverlaufs der<br />
bestehenden (hinten) und geplanten Bohrung (vorne) mit<br />
Markierung der geologischen Horizonte. Der vertikale<br />
Maßstab (mit Skala in m) ist gegenüber dem horizontalen<br />
Maßstab um den Faktor 0,2 verkleinert.<br />
3D view of the borehole profiles of the existing (behind)<br />
and the planned boreholes (in front) showing the geological<br />
horizons. The vertical scale (in m) is reduced by factor<br />
0.2 compared to the horizontal scale.<br />
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<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
111
112<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Hochdruck-Mineralphysik mit Synchrotron-<br />
Strahlung – ein Zugang zu den Bedingungen<br />
des tiefen Erdinneren<br />
Hans J. Müller, Frank R. Schilling, Christian Lathe, Jörn Lauterjung<br />
A journey to the interior of the Earth: During the early 80's of the last century geoscientists worldwide discovered synchrotron<br />
radiation as a highly valuable tool for In-Situ investigations of geomaterials, i.e. experiments under simulated<br />
Earth's mantle conditions. MAX80, a single-stage multi-anvil DIA-system at HASYLAB, Hamburg and operated by<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam, was among the high-pressure pioneer apparatusses at a synchrotron beamline. Intensity and brilliance<br />
of synchrotron radiation makes transient X-ray difraction (XRD) possible. The maximum conditions are about 12 GPa /<br />
2000 K. To make Earth’s mantle transition zone conditions accessible, a more powerful double-stage multi-anvil,<br />
MAX200x, was installed at HASYLAB’s HARWI-I beamline. The the first experiments with synchrotron radiation were<br />
performed recently. This device bases on the experience gained with MAX80 and a similar apparatus at SPring-8, the<br />
Japanese third-generation synchrotron radiation facility. Both apparatusses are placed at disposal to the worldwide<br />
scientific user communities by <strong>GFZ</strong> Potsdam.<br />
The interpretation of seismic data from the Earth's deep interior requires measurements of physical properties of Earth<br />
materials under experimental simulated mantle conditions. Elastic wave velocity measurements at samples under<br />
In-Situ conditions in high-pressure devices can be performed by ultrasonic interferometry. Whereas the classical sweep<br />
method is very time-consuming, the newly developed ultrasonic data transfer function technique (DTF) is as fast as<br />
XRD, just a few seconds to record the digitized response of the system.<br />
Ultrasonic interferometry requires the exact sample length measurement under In-Situ conditions, because the interference<br />
pattern do not only depend on wave velocity but also on sample length. X-ray imaging using the brilliant synchrotron<br />
radiation, called X-radiography, produces grey-scale images of the sample under In-Situ conditions by converting<br />
the X-ray image to an optical image by the fluorescence of a Ce-YAG-crystal at high P, T. Saving the optical<br />
image by a CCD-camera after redirection by a mirrow also requires only few seconds. To quantify X-radiograpy, the<br />
images are evaluated by image processing. Because X-radiography requires a much larger beam diameter than XRD,<br />
fixed primary slits of MAX80 were exchanged by a 4-blade high precision slit system.<br />
Some recent results on the non-quenchable high-P/low-P clinoenstatite transition, on the quartz-coesite transition,<br />
on the standard-free pressure measurement and on innovative pressure generation techniques are given to demonstrate<br />
the recent and future potentials of high-pressure mineral physics using synchrotron radiation at DESY, Hamburg.<br />
Zusammenfassung<br />
Eine Reise ins Erdinnere: In den frühen 1980er Jahren<br />
erkannten die Geowissenschaftler weltweit die gewaltige<br />
Bedeutung von Synchrotron-Strahlung für In-Situ-Messungen<br />
an Geomaterialien, d. h. für Experimente unter<br />
simulierten Erdmantel-Bedingungen. MAX80, eine vom<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam am HASYLAB Hamburg betriebene, in<br />
Japan konstruierte, einstufige Viel-Stempel-DIA-Apparatur,<br />
ist eine der weltweit ersten an einem Synchrotron<br />
installierten Hochdruck-Apparaturen. Intensität und Brillanz<br />
der Synchrotron-Strahlung ermöglicht auch transiente<br />
Röntgen-Beugung (XRD). Die Maximal-Drücke und<br />
-Temperaturen liegen bei 12 GPa und 2000 K. Um die<br />
Bedingungen an der Übergangszone zwischen oberem<br />
und unterem Mantel im Labor erreichen zu können, wurde<br />
eine leistungsfähige doppelstufige Viel-Stempel Apparatur,<br />
MAX200x, an der HARWI-II-Beamline des HASY-<br />
LAB installiert, aufbauend auf Erfahrungen mit MAX80<br />
und einer ähnlichen Apparatur an der SPring-8, der japanischen<br />
Synchrotron-Strahlungs-Quelle der dritten Generation.<br />
MAX200x absolvierte kürzlich erfolgreich ihre<br />
ersten Experimente mit Synchrotron-Strahlung und steht<br />
wie MAX80 der weltweiten wissenschaftlichen Nutzergemeinschaft<br />
zur Verfügung.<br />
Die Interpretation seismischer Daten aus dem tiefen Erdinneren<br />
erfordert Messungen der physikalischen Eigenschaften<br />
von dafür repräsentativen Materialien unter experimentell<br />
simulierten Bedingungen des Erdmantels. Messungen<br />
der Ausbreitungs-Geschwindigkeiten elastischer<br />
Wellen an Proben unter In-Situ-Bedingungen innerhalb<br />
von Hochdruck-Apparaturen ermöglicht die Ultraschall-<br />
Interferometrie. Im Gegensatz zur sehr zeitraubenden klassischen<br />
sweep-Methode ist die neu entwickelte Ultraschall-<br />
Daten-Transfer-Funktions-Methode (DTF) ebenso schnell<br />
wie die Röntgenbeugung. Einige Sekunden genügen, um<br />
das digitalisierte Meßergebnis abzuspeichern.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
113
114<br />
Die Ultraschall-Interferometrie erfordert eine genaue<br />
Messung der Probenlänge unter In-Situ-Bedingungen,<br />
weil das Interferenz-Muster nicht nur von der Wellengeschwindigkeit<br />
in der Probe, sondern auch von der<br />
Probenlänge abhängt. Ein die brillante Synchrotron-<br />
Strahlung nutzendes Röntgen-Bild-Verfahren, genannt<br />
X-Radiographie, erzeugt, ähnlich wie bei der medizinischen<br />
Röntgendiagnostik, schwarz/weiße Halbtonbilder<br />
der Probe unter In-Situ-Bedingungen durch Umwandlung<br />
eines Röntgenbildes in ein sichtbares optisches Bild mit<br />
Hilfe der Fluoreszenz eines Ce-YAG-Kristalls. Dieses Bild<br />
wird durch einen Spiegel aus der Richtung des Röntgenstrahls<br />
abgelenkt und von einer CCD-Kamera aufgenommen.<br />
Auch dieses Verfahren benötigt nur einige Sekunden.<br />
Um quantitative Informationen aus dem Röntgenbild zu<br />
erlangen, wird es mit Hilfe digitaler Bildbearbeitung ausgewertet.<br />
Weil die X-Radiographie einen viel größeren<br />
Strahldurchmesser als die Röntgenbeugung erfordert,<br />
wurde die ursprünglich feste Primärblende der MAX80<br />
gegen eine 4-Blatt-Präzisions-Blende ausgetauscht.<br />
Eine Auswahl der neuesten Ergebnisse zum nicht quenchbaren<br />
Hoch-P/Niedrig-P-Klinoenstatit-Phasenübergang,<br />
zum Quarz-Coesit-Phasenübergang, zur standard-freien<br />
Druckmessung und zu innovativen Druck-Erzeugungs-<br />
Methoden werden vorgestellt, um das gegenwärtige und<br />
zukünftige Potential der Hochdruck-Geomaterial-Forschung<br />
mit Synchrotronstrahlung am DESY, Hamburg zu<br />
demonstrieren.<br />
Einleitung<br />
1864 beschrieb Jules Verne in seinem weltberühmten<br />
Roman „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ phantasievoll<br />
eine Reise ins Innere unseres Heimatplaneten. Sie<br />
beginnt mit einem Einstieg in den Krater des isländischen<br />
Vulkans Snaefellsjökull. Nachdem die Reisenden unterirdische<br />
Flüsse und Meere befahren hatten, gelangten sie<br />
unfreiwillig durch eine Sprengung in den Schlot des gerade<br />
ausbrechenden Vulkans auf der Insel Stromboli. So<br />
kehrten sie, weit vom Einstiegsort auf Island entfernt, zur<br />
Oberfläche zurück. Kürzlich war in den Medien eine mehr<br />
technologische Variante einer solchen Reise zu sehen.<br />
Wahrscheinlich vom Bathyscaph Trieste inspiriert, der<br />
1960 mit einer zweiköpfigen Besatzung im Marianengraben<br />
die Rekordtiefe von 10.740 m erreicht hatte, sollte<br />
eine massive Kapsel die Insassen vor Druck und Temperatur<br />
im Erdinneren schützen. Um das Eindringen zu<br />
ermöglichen, sollte das Material um die Kapsel mit Hilfe<br />
starker Laser geschmolzen werden. Beide Varianten sind<br />
anregend, technisch und wissenschaftlich so jedoch nicht<br />
möglich. Dennoch enthalten beide einen Kern von Wahrheit.<br />
Wie wir heute ziemlich sicher wissen, ist Wasser im<br />
Erdmantel in weit größerer Menge als in den Weltmeeren<br />
vorhanden. Aus der seismischen Tomographie und der<br />
Geochemie wissen wir von Transportvorgängen riesigen<br />
Ausmaßes mittels Subduktion zu großen Tiefen bis an die<br />
Kern-Mantel-Grenze, also bis zu 3000 km Tiefe, und entsprechendem<br />
Rücktransport zur Oberfläche, z. B. in Plumes.<br />
Der Mantel ist in seinem Aufbau und in seiner Mineralogie<br />
also keineswegs einfach und homogen, wie lange<br />
angenommen worden war. Es gibt erhebliche stoffliche,<br />
strukturelle und energetische Wechselwirkungen mit der<br />
Kruste und an der Kern-Mantel-Grenze. Die Plattentektonik<br />
ist das Ergebnis dynamischer Prozesse im Erdinneren.<br />
Ohne Verständnis der Dynamik des Mantels, d. h. der<br />
treibenden Kräfte hinter der beobachteten Kinematik,<br />
bleibt Krusten-Forschung zu Teilen nur empirisch und<br />
deskriptiv. Auch in naher Zukunft verfügbaren Tiefendaten<br />
planetarer Nachbarn sind eine weitere Chance und<br />
Herausforderung für die geowissenschaftliche Materialforschung<br />
bei extremen Drücken und Temperaturen. Die<br />
Erforschung des „Systems Erde“ ist undenkbar ohne die<br />
wissenschaftliche Erkundung des Erd-Mantels in seiner<br />
vollen Ausdehnung bis hin zur Kern-Mantel-Grenze.<br />
Welchen Zugang haben wir nun wirklich zum Erdinneren?<br />
Der direkte Zugang mittels Tiefbohrungen endet in<br />
ca. 15 km Tiefe. Diese Grenze ergibt sich in erster Linie<br />
aus der Temperaturzunahme. Die Spülungszirkulation, die<br />
nicht nur die Kühlung sondern auch insbesondere den<br />
Antrieb der Downhole-Motoren bewirkt, stößt an technologische<br />
Grenzen. Wegen zunehmender Torsion des Bohrstranges<br />
ist der Antrieb der Bohrwerkzeuge von der Oberfläche<br />
her nur für geringere Teufen einsetzbar. Die Natur<br />
hilft uns um den Preis einer gewissen Mehrdeutigkeit noch<br />
ein Stück weiter. Natürliche Exhumierung vordem subduzierter<br />
Gesteine ist bis etwa 30 bis 40 km Tiefe nachgewiesen<br />
worden. Neuerdings fand man mikrodiamanthaltige<br />
Gesteine aus wahrscheinlich sogar etwa 200 km<br />
Tiefe. In den zur Gewinnung von Natur-Diamanten abgebauten<br />
Kimberlit-Pipes wurden die Diamanten vermutlich<br />
in wenigen Stunden aus 150 bis 300 km Tiefe mittels Eruption<br />
an die Oberfläche gebracht. Nach Stand des Wissens<br />
gibt es keine kristallinen Proben aus größerer Tiefe. All<br />
unser „tieferreichendes“ Wissen gründet sich weitgehend<br />
auf indirekte Beobachtungen, v.a. seismische Daten, d. h.<br />
Messungen der Ausbreitungsgeschwindigkeit, Beugung<br />
und Reflexion von elastischen Wellen, die, ausgelöst von<br />
Erdbeben weltweit, den gesamten Erdkörper durchwandern.<br />
Das Ergebnis ist aber konkret nur die Verteilung der<br />
elastischen Eigenschaften in der Erde. Eine direkte strukturell-stoffliche<br />
Aussage ist nicht möglich. Dazu kann man<br />
nur durch die Kombination von experimenteller Simulation<br />
der Bedingungen in großer Tiefe und interdisziplinäre<br />
irdischer und planetarer Beobachtungen kommen. Deshalb<br />
ist es von erstrangiger Bedeutung, unter den experimentell<br />
simulierten In-Situ-Bedingungen (In-Situ bedeutet<br />
am Ursprungsort, d. h. Untersuchungen bei Bedingungen,<br />
die denen der Natur entsprechen) gleichzeitig die<br />
elastischen Eigenschaften und die Strukturdaten zu messen,<br />
um über den Vergleich mit den seismischen Daten aus<br />
großer Tiefe zu einer stofflich-strukturellen Aussage zu<br />
kommen.<br />
Anders als bei der klassischen Quench-Methode, d. h. der<br />
strukturellen Untersuchung von Hochdruck-Proben nach<br />
dem Versuch, außerhalb ihres eigentlichen Stabilitätsbereiches<br />
unter Nutzung der Metastabilität, arbeitet die<br />
moderne Mineralphysik in Echtzeit und unter In-Situ-<br />
Bedingungen. Ultraschall-Interferometrie erlaubt die Messung<br />
der elastischen Eigenschaften von kleinen Proben<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
innerhalb von Druckkammern mit hoher Genauigkeit.<br />
Synchrotronstrahlung – eine extrem intensive Röntgenstrahlung,<br />
die bei der Radial-Beschleunigung von Elektronen<br />
und Positronen in Speicherringen entsteht – gestattet<br />
in Echtzeit die simultane strukturelle Untersuchung der<br />
gleichen Proben. Durch die Kombination dieser drei verschiedenen<br />
Methoden – Seismologie, Ultraschall-Interferometrie,<br />
Röntgen-Phasenanalyse – ist ein leistungsfähiger<br />
virtueller Zugang zum Erdinneren gegeben. Sowohl<br />
transiente Messungen, also die messtechnische Protokollierung<br />
eines Phasenüberganges in Echtzeit, als auch<br />
insbesondere die Untersuchung nicht<br />
quenchbarer Phasen sind nur mit In-Situ-<br />
Verfahren möglich. Auch wenn es heute<br />
noch nicht absehbar ist, wie stark die<br />
experimentellen Möglichkeiten unser<br />
Bild vom Erdinneren und dem der planetaren<br />
Körper verändern werden, wissen<br />
wir doch, dass In-Situ-Experimente bei<br />
hohen Drücken und Temperaturen neue<br />
Einsichten in die Prozesse im Inneren der<br />
Erde und der Planeten liefern und wesentliche<br />
Erkenntnisse zur Lösung heute noch<br />
kontrovers diskutierter Vorgänge im<br />
Erdinneren beitragen werden.<br />
Druckerzeugung und Druckvervielfachung<br />
Eine Probe wird so lange komprimiert,<br />
bis Verdichtungsdruck und Gegendruck<br />
der Probe wieder im Gleichgewicht sind.<br />
Geschieht das in allen Punkten und Richtungen<br />
des Raumes gleichmäßig, ist ein<br />
hydrostatischer Druck gegeben. Plausiblerweise<br />
muss das verdichtende Werkzeug<br />
härter als die Probe sein. Da sich das<br />
Werkzeug zur Verdichtung bewegen<br />
muss, kann es nicht allseitig unterstützt<br />
sein. Somit werden Druck- und Zugspannungen<br />
im Werkzeug erzeugt, die bei<br />
Überschreiten der Maximalwerte zum<br />
Bruch führen. Um diese Grenze möglichst<br />
weit hinauszuschieben, kommt es bei der<br />
Konstruktion von Hochdruck-Zellen neben<br />
der Benutzung hochfester Materialien<br />
insbesondere auf eine konstruktive Begrenzung<br />
dieser Spannungen an.<br />
Abb. 1 zeigt die wahrscheinliche Druck<br />
und Temperaturverteilung im Erdinneren<br />
und die jeweiligen Grenzwerte der verschiedenen<br />
heute üblichen Druck-Kammern.<br />
Von den für die experimentelle<br />
Simulation von Mantelbedingungen in<br />
Frage kommenden fünf Systemen scheiden<br />
Belt- und Piston-Zylinder wegen<br />
ihres konstruktiv schwierigen bis unmöglichen<br />
Zuganges für den Synchrotron-<br />
Strahl weitgehend aus. Es verbleiben<br />
somit drei Möglichkeiten: Toroid-Zelle<br />
(Paris-Edinburgh-Zelle), Vielstempel-Apparatur (Multi-<br />
Anvil) und Diamant-Stempelkammer (DAC). Abb. 2 vergleicht<br />
die Grundprinzipien dieser drei Druckerzeugungs-<br />
Methoden (Mueller et al., 2002a). Trotz aller Verschiedenheit<br />
haben Toroid-Zelle und DAC eines gemeinsam –<br />
in erster Näherung sind beide ein-axiale Druck-Kammern.<br />
Hydrostatischer Druck wird nur durch das Fließverhalten<br />
der Dichtungsmaterialien ermöglicht.<br />
Bei der Toroid-Zelle wird der eigentlich ungehinderte seitliche<br />
Ausfluss des Einbaus durch die spezielle Matrizen-<br />
Abb. 1: Das tiefe Erdinnere (a) und die Hochdruck-Systeme zur experimentellen<br />
Simulation der In-Situ-Bedingungen (b) (geändert nach Schilling,<br />
<strong>2005</strong>; Kellogg et al., 1999; Luth, 1993, Mueller et al., 2002)<br />
The Earth’s deep interior (a) and the high-pressure systems for experimental<br />
simulation of In-Situ conditions (b) (modified from Schilling, <strong>2005</strong>; Kellogg<br />
et al., 1999; Luth, 1993, Mueller et al., 2002a)<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
115
116<br />
Abb. 2: Druckerzeugungs-Technik in a) Toroid-Kammer<br />
(Paris-Edinburgh-Cell), b) Diamant-Stempel-Kammer<br />
(DAC) und c) Multi-Anvil-Apparatur; rosa – Dichtung, rot<br />
– Probe (geändert nach Mao & Hemley, 1998; Sherman<br />
& Stadtmuller, 1987, Mueller et al., 2002a, 2002b)<br />
Pressure generation techniques in a) toroid- (Paris-Edinburgh-cell)<br />
apparatus, b) diamond anvil cell (DAC), and<br />
c) multi-anvil apparatus; pink - gasket, red - sample (modified<br />
from Mao & Hemley, 1998; Sherman & Stadtmuller,<br />
1987, Mueller et al., 2002a, 2002b)<br />
form und die innere Reibung des mineralischen Druckübertragungsmittels<br />
verhindert. Der größte Vorzug ist der<br />
lateral völlig ungehinderte Zugang für den Synchrotron-<br />
Strahl. Für die hier nicht weiter behandelte Neutronen-<br />
Beugung ist zusätzlich der freie Winkelbereich von 360°<br />
für die Detektoren entscheidend. Dem steht die Hauptbegrenzung<br />
gegenüber, dass eine wesentliche Überschreitung<br />
des nach langer Entwicklung heute erreichten Maximaldrucks<br />
von 12 GPa kaum denkbar erscheint. Im<br />
Gegensatz dazu steht der extreme Druck von bis zu<br />
300 GPa in Verbindung mit der weitgehenden Transparenz<br />
(nahes UV, sichtbares Licht, größter Teil des IR, Röntgen-<br />
Bereich) der Diamant-Stempel-Zellen, d. h. die Probe<br />
kann neben verschiedenen spektroskopischen Messungen<br />
sogar lichtmikroskopisch beobachtet werden, der Hauptvorteil<br />
der DAC. Wegen der geringen Größe des Druckraumes<br />
genügt zur lateralen Unterstützung ein einfacher<br />
Metallring oder neuerdings wegen des lateralen Synchrotron-Strahlungs-Zugangs<br />
auch einer aus einem Kompositwerkstoff.<br />
Die größten Nachteile ergeben sich gleichfalls<br />
aus dem geringen Probenvolumen von 10 –11 bis 10 –14<br />
m 3 und dementsprechend hohen Temperatur- und sekundären<br />
Spannungsgradienten. Die Probe wird mittels Laser<br />
punktuell erhitzt. Die dicht benachbarten Diamanten müssen<br />
kühl gehalten werden. Dementsprechend sind polykristalline<br />
Proben und Prozessuntersuchungen an Mehrkomponenten-Systemen<br />
weitgehend ausgeschlossen. Eine<br />
einfache geometrische Vergrößerung ist nicht möglich<br />
ohne das Grundprinzip aufzugeben.<br />
Im Gegensatz dazu basieren Vielstempel-Apparaturen<br />
(Yagi, 1988; Yagi et al., 1987a, b) prinzipiell auf der weitgehend<br />
allseitigen Unterstützung der Stempel. Sie sind<br />
vom Prinzip her also drei-axial. Somit gibt es keine grundsätzliche<br />
Begrenzung für Druck, Temperatur und Probenvolumen.<br />
Das heute übliche Probenvolumen liegt bei 10 –7<br />
bis 10 –8 m 3 . Es ist also tausendfach bis 10-millionenfach<br />
größer als bei der DAC. Die Hauptnachteile gegenüber der<br />
DAC sind heute noch der weit geringere Maximaldruck<br />
und der fehlende spektroskopische und optische Zugang<br />
Abb. 3: Kawai-Walker-Module in geöffnetem Zustand,<br />
a) <strong>GFZ</strong>, b) APS, Argonne (Fotos: M. Koch-Müller, <strong>GFZ</strong>;<br />
H.J. Mueller, <strong>GFZ</strong>)<br />
Kawai-Walker-modules in opened state, a) <strong>GFZ</strong>, b) APS,<br />
Argonne<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
zur Probe durch intransparente Stempel<br />
und Dichtungen. Einstufige Multi-Anvils<br />
erreichen mit Hartmetall-Stempeln etwa<br />
8 GPa, mit solchen aus kubischem Bornitrid<br />
10 bis 12 GPa. Zweistufige Systeme<br />
mit Kawai-Walker-Modul (Abb. 3)<br />
(jeweils 4 der 8 Zweit-Stufen-Stempel<br />
haben einen gemeinsamen Sitz um eine<br />
Spitze herum) kommen bis etwa 35 GPa.<br />
Wird ein DIA-System (6 Stempel werden<br />
gleichmäßig und rechtwinklig zueinander<br />
auf das Probenzentrum hin voran<br />
geschoben) mit einer dritten Stufe aus<br />
gesintertem Diamant ausgerüstet, sind<br />
etwa 60 GPa und mehr erreichbar. DIA-<br />
Systeme erreichen höhere Maximaldrücke<br />
wegen der gleichmäßigeren Stempelbelastung.<br />
Bei Benutzung einer Deformations-DIA<br />
(D-DIA), bei dem zusätzlich<br />
zur gleichmäßigen Kompression der<br />
DIA in einer Achse geregelt eine zusätzliche<br />
Kraft aufgebracht werden kann,<br />
wurden kürzlich schon in einem nur zweistufigen<br />
System fast 100 GPa erreicht.<br />
Das Grundprinzip der Mehrstufigkeit beruht auf dem<br />
Abbau der Lateralspannung an jeder Stufengrenze und der<br />
Erhöhung der praktischen Druckfestigkeit durch laterale<br />
Stützung. Weiterhin können die Materialien für die jeweilige<br />
Belastung optimiert werden, d. h. außen zäh und geringer<br />
druckfest, innen superhart und spröde. Vereinfacht<br />
ausgedrückt, je geringer die Druckeffizienz des Systems<br />
ist, d. h. je geringer der Innendruck bei gegebener verdichtender<br />
Kraft ist, desto besser werden die Stempel<br />
unterstützt und desto höher wird der ohne Bruch erreichbare<br />
Grenzdruck. Natürlich nimmt dabei der Gesamt-<br />
Kraftbedarf zu. Die Anlage wird also stärker, größer und<br />
schwerer.<br />
Abb. 4: Die Maschinentische von MAX200x werden von Fa. Max Voggenreiter<br />
in der Grube der HARWI-II Halle am DESY/HASYLAB montiert (Foto:<br />
H.J. Mueller, <strong>GFZ</strong>)<br />
The machine tables of MAX200x during assemblage in the pit of the HARWI-<br />
II hall at DESY / HASYLAB by Max Voggenreiter Co.<br />
Das Department 4 „Chemie der Erde“ des <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
betreibt am Speicherring DORIS des DESY-HASYLAB,<br />
ebenfalls eine Einrichtung der Helmholtz-Gemeinschaft,<br />
zwei DIA-Systeme: MAX80, ein System mit einer Stempel-Kantenlänge<br />
von 6 bis 3,5 mm in der ersten Stufe und<br />
einer 2.500 kN Presse, betrieben an einem Ablenkmagneten<br />
des DORIS-Speicherringes, und die neue MAX200x,<br />
ein System mit zur Zeit 70 mm Kantenlänge in der ersten<br />
Stufe und einer 17.500 kN Presse, betrieben am Wiggler<br />
HARWI-II, der zur Zeit im Weltmaßstab stärksten an<br />
einem Synchrotron installierten Presse. Die Aufstellung<br />
am Synchrotron potenziert die wissenschaftlichen Möglichkeiten<br />
für eine Druckerzeugungsanlage, ist jedoch<br />
Abb. 5: MAX80 und MAX200x vor Montage der Strahlenschutz-Umhausung (Fotos: E. Gantz, H.J. Mueller, <strong>GFZ</strong>)<br />
MAX80 and MAX200x still without hutch<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
117
118<br />
Abb. 6: Zweistufiger DIA-Messaufbau zur MAX200x,<br />
a) vor und b) nach dem Hochdruck-Versuch, c) deformierte<br />
Oktaeder und Dichtungen (Fotos: H.J. Mueller, <strong>GFZ</strong>)<br />
Double-stage DIA set-up of MAX200x, a) prior and b)<br />
after the high-pressure run, c) deformed octahedron and<br />
gaskets<br />
technisch weit anspruchsvoller als eine klassische Aufstellung<br />
für Quench-Experimente. Neben den Problemen<br />
des Strahlenschutzes für Bediener und Umwelt muss die<br />
gesamte Anlage nämlich zur Ausrichtung des Synchrotron-Strahles<br />
auf verschiedene Teile der Probe mit einer<br />
Genauigkeit von ≤ 10 µm reproduzierbar im Raum manipuliert<br />
werden können. Das hohe Gewicht – bei MAX200x<br />
sind das immerhin ca. 30 t – macht die Aufgabe schwierig.<br />
Die Anlage steht auf 3 Maschinentischen. Der untere<br />
Rotations-Tisch bewegt die Anlage um ± 15° mit einer<br />
Genauigkeit von 0,01° bei einer Geschwindigkeit von<br />
5°/min . Darauf sitzt der Hubtisch für eine Bewegung von<br />
± 125 mm bei einer Geschwindigkeit von 20 mm/min. Als<br />
letztes unmittelbar unter der Presse kommt der Horizontaltisch<br />
für eine Lateralbewegung von ± 50 mm bei einer<br />
Geschwindigkeit von ebenfalls 20 mm/min. Wegen der<br />
vom Speicherring vorgegebenen Strahlhöhe musste diese<br />
Einrichtung unterflur in einer Grube angeordnet erden<br />
(vgl. Abb. 4).<br />
MAX80, eine der ersten Multi-Anvils an einem Synchrotron,<br />
wird seit mehr als einem Jahrzehnt neben der<br />
Eigennutzung der weltweiten Nutzergemeinde zur Verfügung<br />
gestellt. Die brandneue MAX200x wird im Laufe<br />
des Jahres 2006 diesem erfolgreichen Beispiel folgen,<br />
ebenfalls der wissenschaftlichen Community zur Verfügung<br />
stehen und die wissenschaftliche Ausbeute vervielfachen.<br />
Abb. 5 zeigt beide Anlagen der Anschaulichkeit<br />
halber während der Installation, also noch ohne Strahlenschutz-Umhausung.<br />
Abbildung 6 demonstriert die<br />
verschiedenen Stadien eines zwei-stufigen Versuchs an<br />
der MAX200x.<br />
Röntgenbeugung (XRD)<br />
Der Name MAX für die beiden Multi-Anvils des <strong>GFZ</strong><br />
Potsdsam leitet sich von „Multi Anvil X-ray diffraction“<br />
ab. Wie einleitend bemerkt ist die Röntgenbeugung unter<br />
In-Situ-Bedingungen das primäre Ziel. Nur so kommt man<br />
für strukturelle Untersuchungen von den Einschränkungen<br />
der Quench-Methode frei. Da die üblicherweise verwendeten<br />
Hartmetall-Stempel (Wolframkarbid in Kobalt<br />
gebunden) für Röntgenstrahlen hochabsorbierend sind,<br />
wird der durch die Primärblende auf etwa 0,1 mal 0,1 mm<br />
ausgeschnittene weiße (großer Wellenlängen-Bereich,<br />
analog zu weißem, sichtbarem Licht) Synchrotron-Strahl<br />
durch die von den Gaskets (vgl. Abb. 2) offengehaltenen<br />
Spalte zwischen den Stempeln zur Probe geleitet. Der<br />
ungebeugte Strahl verlässt die Anlage auf der gegenüberliegenden<br />
Seite in gleicher Weise und wird im so genannten<br />
Beam Stop absorbiert. Der Fächer des gebeugten<br />
Strahls verlässt die Anlage ebenfalls durch einen Spalt<br />
zwischen den Stempeln. Zwei in großem Abstand voneinander<br />
angebrachte Detektorblenden werden so justiert,<br />
dass nur die im Probenzentrum gebeugten Strahlen auf<br />
den Germanium-Festkörper-Detektor fallen. Das so gewonnene<br />
Beugungs-Spektrum wird über einen PC ausgelesen.<br />
Wegen der hohen Intensität der Synchrotron-Strahlung<br />
genügen Expositionszeiten von weniger als eine<br />
Minute, mit eingeschränkter Genauigkeit schon einige<br />
Sekunden, um Veränderungen in der Kristall-Struktur zu<br />
detektieren. Transiente Messungen sind also möglich.<br />
Neben der hier beschriebenen energiedispersiven Röntgenbeugung<br />
können auch winkeldispersive Röntgenbeugungs-Experimente<br />
durchgeführt werden. Dazu wird ein<br />
Doppel-Kristall-Monochromator mit Si(311)-Einkristallen<br />
benutzt. Ein CCD-Detektor von 133 mm Durchmesser<br />
fängt die vier Beugungs-Fächer auf, die von den vier<br />
Schlitzen zwischen den Stempeln aus den Beugungs-Ringen<br />
ausgeschnitten werden. Da als Ergebnis der Monochromatisierung<br />
(nur ein ganz schmaler Frequenzbereich<br />
wird benutzt) der größte Teil des weißen Spektrums zurückgehalten<br />
wird, steigt die Expositionszeit am Ablenk-<br />
Magneten in den Stundenbereich. Das Verfahren wird für<br />
die Linien-Verfeinerung bei Präzisions-Untersuchungen<br />
eingesetzt.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Druckmessung<br />
Mineralphysikalische Hochdruck-Daten wären ohne Angabe<br />
des Druckes, bei dem gemessen wurde, weitgehend<br />
wertlos. Wegen der o. g. lateralen Stempel-Unterstützung<br />
hilft eine Messung der Kraft und anschließende Berechnung<br />
– Kraft pro Fläche – nicht weiter. Der klassische Weg<br />
für Multi-Anvil-Systeme ist die Kalibrierung mit Hilfe der<br />
Änderung des elektrischen Widerstandes bei verschiedenen<br />
Phasenübergängen (Abbildung 7) bis 33 GPa.<br />
Generell besteht das Problem, dass nur punktuell und nicht<br />
parallel während des eigentlichen Versuchs gemessen wird,<br />
weil die Drücke bei gegebener Kraft zwischen einzelnen<br />
Versuchen erheblich schwanken können, nämlich bis zu<br />
10 %. Am Synchrotron steht die wesentlich leistungsfähigere<br />
Methode der Messung der Kompression der Elementarzelle<br />
von Eichsubstanzen mittels XRD zur Verfügung.<br />
Damit ist eine kontinuierliche Druckmessung während<br />
jedes Druckversuches möglich, weil dazu lediglich eine<br />
kleine Menge des Druckstandards mit in den Messaufbau<br />
eingefügt und der Synchrotron-Strahl darauf fokussiert<br />
werden muss. Wegen seiner geringen Röntgendichte, leichten<br />
Verformbarkeit und einfachen Verfügbarkeit wird meist<br />
NaCl benutzt. Insbesondere bei höheren Temperaturen wird<br />
Au, Pt und MgO bevorzugt. Das Verfahren setzt die genaue<br />
Kenntnis der Zustandsgleichung des benutzten Druck-Standards<br />
voraus (Decker, 1971). Die Abbildungen 8 und 9 zeigen<br />
die Ergebnisse von auf diese Art ausgeführten Druckmessungen.<br />
Bei MAX200x (Abb. 8) wurde ein Standard-<br />
Zwei-Stufen-Einbau 10/5 (10 mm Oktaeder-Einbau-Länge<br />
und 5 mm Stempel-Stirnflächen-Länge) mit 8 Hartmetallwürfeln<br />
von 32 mm Kantenlänge benutzt. Die Probe war<br />
nicht vorverdichtet. Abbildung 9 gestattet einen Vergleich<br />
des mit der MAX80 erreichten Drucks bei einem Standard-<br />
Einstufen-Versuch mit 6 mm Stempeln mit den Daten eines<br />
Zwei-Stufen-Versuchs bei gleicher Kantenlänge der Primärstempel.<br />
Dazu wurde entsprechend Utsumi et al. (1986)<br />
und Wang & Utsumi (<strong>2005</strong>) eine zweite Stufe mit kegel-<br />
Abb. 7: Druck-Kalibrierung mit Hilfe elektrischer Widerstands-Messung<br />
bei Phasenübergängen (geändert nach<br />
Barlog, <strong>2005</strong>)<br />
Pressure calibration using electrical resistance measurement<br />
at phase transitions (modified from Barlog, <strong>2005</strong>)<br />
Abb. 8: Druck-Kalibrierung mit Hilfe von XRD und NaCl-<br />
Zustandsgleichung nach Decker (1971) – MAX200x mit<br />
zwei-stufigem 10/5-Messaufbau in einfachem Bor-Epoxid-<br />
Oktaeder (Mueller et al., 2006)<br />
Pressure calibration using XRD and EoS for NaCl by<br />
Decker (1971) – MAX200x with double-stage 10/5-set-up<br />
in a simple boron epoxy octahedron (Mueller et al., 2006)<br />
Abb. 9: Druck-Verdoppelung durch Sub-Stempel-Konfiguration<br />
(Versuch 125) – Druck-Kalibrierung mit Hilfe<br />
von XRD und NaCl-Zustandsgleichung nach Decker<br />
(1971) – MAX80 (Mueller et al., 2006)<br />
Pressure-doubling by sub-anvil configuration (run 125)<br />
– pressure calibration using XRD and EoS for NaCl by<br />
Decker (1971) – MAX80 (Mueller et al., 2006)<br />
förmigen Stempeln in den würfelförmigen Messaufbau eingefügt.<br />
Im Gegensatz zur Literaturangabe wurde statt der<br />
dort benutzten Stempel aus gesintertem polykristallinen<br />
Diamant nur einfache feinkörnige Hartmetall-Stempel<br />
benutzt. Die Probe war ebenfalls nicht vorverdichtet. Dennoch<br />
erbrachte schon dieser erste, noch nicht optimierte Versuchsaufbau<br />
bereits eine Verdoppelung des erreichten<br />
Maximaldrucks (Mueller et al., 2006). Das verdeutlicht hinlänglich,<br />
welches Potential in der Mehrstufigkeit von Multi-<br />
Anvil-Apparaturen steckt.<br />
Temperatur-Erzeugung und Messung<br />
Die experimentelle Simulation von In-Situ-Bedingungen<br />
des tiefen Erdinneren erfordert neben hohen Drücken auch<br />
hohe Temperaturen. In Multi-Anvil-Anlagen erreicht man<br />
das durch elektrische Widerstandsheizung. Ein rohrför-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
119
120<br />
miger Heizer umgibt dazu die Probe. Wegen geringer<br />
Röntgen-Absorption, geringen elektrischen Widerstandes,<br />
guter Verformbarkeit sowie guter Bearbeitbarkeit ist<br />
Graphit das meistverbreitete Material. Da sich bei höheren<br />
Drücken und Temperaturen Graphit aber in Diamant<br />
umwandelt, werden dann LaCrO 3,verschiedene Karbide<br />
oder Rhenium-Blech verwendet. Für reine XRD-Messungen<br />
genügt die Phasen-Anschnitt-Steuerung der Leistungsquelle.<br />
Für Ultraschall-Interferometrie ist diese Technik<br />
nicht geeignet, weil das Ausschneiden von Teilen des<br />
sinusförmigen Heizstromes breitbandige Störfelder verursacht.<br />
In diesem Sinne ist Gleichstrom-Heizung optimal,<br />
erfordert aber aufwendige Abschirmung und Isolation<br />
des Thermoelementes, um Verfälschungen der Thermospannung<br />
auszuschließen. Die modernste und leistungsfähigste<br />
Methode ist die variable Hochfrequenz-Heizung.<br />
Man benutzt dazu eine Frequenz außerhalb des für<br />
die Messung kritischen Bereiches, z. B. einige Kiloherz.<br />
Diese wird in einem Schwingkreis erzeugt, anschließend<br />
geregelt verstärkt und dann mit einem Transformator dem<br />
Verbraucher elektrisch angepasst. MAX80 ist mit Phasen-<br />
Anschnitt-Steuerung und Gleichstrom-Heizung, MAX200x<br />
mit Gleichstrom- und Hochfrequenz-Heizung ausgestattet.<br />
Die Temperatur-Messung ist nicht besonders synchrotronspezifisch.<br />
Sie erfolgt mit Hilfe des Seebeck-Effektes, d. h.<br />
mittels Thermoelementen, die durch die Gaskets nach<br />
außen geführt werden. Der thermoelektrische Effekt ist<br />
aber druckabhängig (z. B. Li et al., 2002), was bisher meist<br />
vernachlässigt wird. Eine völlig neue Möglichkeit zur<br />
Temperaturmessung (Getting, <strong>2005</strong>) ergibt sich auf der<br />
Basis des Johnson-Rauschens, d. h. ein Widerstand erzeugt<br />
ein Spannungs-Rauschen, dessen Leistung der thermodynamischen<br />
Temperatur proportional ist. Damit zeichnet<br />
sich eine absolute Temperatur-Messung<br />
unter Hochdruckbedingungen ab. Da die<br />
Messung letztlich auf der Wärmeschwingung<br />
der Atome selbst beruht, werden alle<br />
sekundären Beeinflussungen ausgeschlossen.<br />
Daraus ergibt sich eine deutlich größere<br />
Genauigkeit. Die ersten Geräte befinden<br />
sich in Erprobung.<br />
Am Synchrotron ergibt sich für jede Temperatur-Messmethode<br />
der Vorteil, dass mit<br />
Abb. 10: Schematische Darstellung des<br />
Ultraschall-Laufweges bei MAX80 und<br />
die resultierenden Oszillogramme – einfallende<br />
Ultraschall-Welle und reflektierte<br />
Wellen an jeder Trennfläche (Vertikalverschiebung<br />
und 45°-Winkel der<br />
Reflektionen sind unreal und dienen<br />
nur der Demonstration (Mueller et al.,<br />
2002b)<br />
Schematic sketch of ultrasonic travel path<br />
at MAX80 and the resulting oscillogram<br />
– incident ultrasonic wave and reflected<br />
waves at each interface (offset and 45°<br />
angle of the reflections are only for<br />
demonstration) (Mueller et al., 2002b)<br />
Hilfe der Röntgen-Radiographie (siehe unten) unter In-<br />
Situ-Bedingungen die genaue Position der Messstelle auch<br />
bei erheblicher Probenverformung stets kontrolliert werden<br />
kann.<br />
Messung seismischer Geschwindigkeiten in Hochdruck-Apparaturen<br />
mittels Ultraschall-Interferometrie<br />
Die in der Petrophysik für verschiedene Druck-Kammer-<br />
Typen sehr erfolgreichen Laufzeit-Methoden zur Bestimmung<br />
der seismischen Geschwindigkeiten (Kern, 1982;<br />
Mueller, 1995; Mueller & Raab, 1997; Mueller & Massonne,<br />
2001; Ramelow, <strong>2005</strong>) sind für die Hochdruck-<br />
Mineralphysik meist ungeeignet, weil das Verhältnis von<br />
Probenlänge zur Länge der Vorlaufstrecke durch die massive<br />
Druckerzeugungs-Technik zu ungünstig ist. Die so<br />
erreichbare Genauigkeit wäre ungenügend. Die für Gasdruck-Kammern<br />
übliche Unterbringung der Ultraschall-<br />
Schwinger im Druckraum scheidet wegen deren geringer<br />
Festigkeit und des druckbedingten massiven Absinkens<br />
des Konversionsfaktors der Ultraschall-Wandler aus. Sie<br />
werden daher in druckfreien Hohlräumen hinter den Stempeln<br />
untergebracht. Im Gegensatz zur erstgenannten Methode<br />
wertet die Ultraschall-Interferometrie die Überlagerung<br />
von reflektierten elastischen Wellen aus. Eine<br />
Reflexion tritt an einer Grenzfläche immer dann ein, wenn<br />
sich die akustische Impedanz, d.h. das Produkt von Dichte<br />
und Wellengeschwindigkeit, signifikant ändert. Unabhängig<br />
von der Länge der Vorlaufstrecke funktioniert das<br />
Verfahren also so lange mit hoher Genauigkeit, wie am<br />
Empfangs-Schwinger noch eine auswertbare Welle eintrifft.<br />
Das Optimierungsziel ist also, dass die Reflexionen<br />
vor Erreichen der Probe möglichst schwach sein sollten;<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
am Probenende sollte die Energie möglichst vollständig<br />
reflektiert werden. Konkurrierende Erwägungen der Festigkeit,<br />
Wärmeleitung, elektrischen Isolation u. a. setzen<br />
dem praktische Grenzen. Abbildung 10 zeigt schematisch<br />
alle Reflexionen innerhalb eines Mess-Aufbaus der<br />
MAX80.<br />
Grundsätzlich sind Geschwindigkeitsmessungen in jedem<br />
Teilstück möglich. Für die Messung der elastischen Geschwindigkeiten<br />
in der Probe sind die von beiden Probengrenzflächen<br />
reflektierten Wellen wichtig. Diese werden<br />
für jede Frequenz innerhalb des ausgewerteten Frequenzbereiches<br />
separat überlagert und interferieren miteinander.<br />
Da sich die Wellenlänge mit der Frequenz ändert,<br />
kommt es periodisch zur Ausbildung von konstruktiver<br />
(verstärkender) und destruktiver (schwächender) Interferenz.<br />
Das äußert sich in einer periodischen Schwächung<br />
und Überhöhung des resultierenden Signals durch destruktive<br />
und konstruktive Interferenz (Abb. 11). Der<br />
Abstand zwischen diesen Minima und Maxima ∆f ist bei<br />
bekannter Probenlänge l ein Maß für die Wellengeschwindigkeit<br />
v.<br />
v<br />
∆f = (1)<br />
2l<br />
Wegen der großen Periodizität lässt sich dieser Abstand<br />
als Mittelwert sehr genau messen (Abb. 12). Deshalb ist<br />
die Interferometrie um bis zu drei Größenordnungen<br />
genauer als die Bestimmung der seismischen Geschwindigkeiten<br />
mit der Laufzeit-Methode (Birch, 1960, 1961;<br />
Schreiber et al., 1973; Li et al., 1998).<br />
Abb. 11: Konstruktive und destruktive<br />
Interferenz von zwei Wellenzügen (Mueller<br />
et al., 2002c)<br />
Constructive and destructive interference<br />
of two wavelets (Mueller et al., 2002c)<br />
Da die Wellenlänge der elastischen Wellen<br />
zur Vermeidung von Messfehlern<br />
deutlich kleiner als die Probengröße, aber<br />
größer als die Mineral-Körner polykristalliner<br />
Proben sein muss, ergibt sich ein<br />
nutzbarer Ultraschall-Wellenbereich zwischen<br />
10 7 und 10 8 Hz. Erzeugung und<br />
Empfang der Ultraschallwellen basieren<br />
auf dem Piezo-Effekt, d.h. der Eigenschaft<br />
bestimmter polarer Kristalle, sich<br />
bei Anlegen einer elektrischen Spannung<br />
zu verformen bzw. bei Verformung an der<br />
Oberfläche elektrische Spannungen zu<br />
erzeugen. Wegen Konversionseffektivität<br />
und Temperaturbeständigkeit wird in der<br />
Hochdruck-Mineralphysik meist LiNbO 3<br />
verwendet. Zur Sicherung der benötigten<br />
Breitbandigkeit, d. h. Unterdrückung<br />
der Resonanzüberhöhung, werden die<br />
Schwinger stark bedämpft. In der Digitaltechnik<br />
läuft die Messung praktisch so<br />
ab, dass ein durchstimmbarer Sinusgenerator<br />
einen elektrischen Wellenzug der<br />
Frequenz x zum Schwinger schickt. Das<br />
nach Ende der Laufzeit empfangene Signal wird verstärkt,<br />
digitalisiert und auf einer Festplatte abgelegt. Der Generator<br />
wird auf die Frequenz x+1 eingestellt und der Vor-<br />
Abb. 12: Die Laufzeitkurven sind als Funktion der Frequenz<br />
bei 7,7 GPa dargestellt. Die Erfassung aller auftretenden<br />
konstruktiven und destruktiven Interferenzen<br />
gestattet die Bestimmung der Laufzeit in der Probe als<br />
Regressions-Gerade für die horizontale Punkt-Folge zwischen<br />
den Kurven entgegengesetzter Krümmung. (Mueller<br />
et al., <strong>2005</strong>a)<br />
Travel-time curves are plotted as a function of frequency<br />
at 7.7 GPa. Picking all available constructive and destructive<br />
interferences as a function of frequency allows for<br />
the determination of the travel time inside the sample as a<br />
regression result for the horizontal point sequence between<br />
the curves of opposite curvature. (Mueller et al., <strong>2005</strong>a)<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
121
122<br />
gang wiederholt sich bis zur oberen Grenzfrequenz. Das<br />
Ergebnis der Messung sind die Antworten der Messstrecke<br />
auf jede der eingestellten monochromatischen Wellenzüge<br />
zwischen oberer und unterer Grenzfrequenz. Das<br />
ist die so genannte Sweep-Methode. Wird, wie z. Zt. an<br />
der MAX80 üblich, zwischen 5 und 65 MHz mit einer Stufung<br />
von 100 kHz gemessen, ergeben sich 601 Wellen-<br />
Dateien. Das Abfahren dieses Bereiches und die Speicherung<br />
der Ergebnisse dauert ca. 30 Minuten, für beide Wellentypen<br />
(v p und v s) also insgesamt ca. eine Stunde. Damit<br />
war die Ultraschall-Interferometrie der zeitlich limitierende<br />
Faktor der Versuche. Die Anlage wurde dabei thermisch<br />
sehr belastet. Die Expositionszeit-Vorteile der<br />
hochintensiven Synchrotron-Strahlung gehen verloren.<br />
Transiente Messungen sind so nur sehr eingeschränkt<br />
möglich.<br />
Eine neue Methode zur transienten Messung von<br />
seismischen Geschwindigkeiten – die Ultraschall-<br />
Daten-Transfer-Funktions-Technik (DTF)<br />
Die Lösung des zeitlichen Problems der Sweep-Methode<br />
wäre, wenn all diese Einzelmessungen parallel zur gleichen<br />
Zeit ausgeführt werden könnten. Das gibt es seit kurzem<br />
tatsächlich. Es ist die DTF-Methode. Eine erste mineralphysikalische<br />
Anwendung dieser Technik wurde von Li<br />
et al. (2002) publiziert. Unabhängig davon wurde eine ähnliche<br />
Methode im Dep. 4 des <strong>GFZ</strong> Potsdam für die Belange<br />
der <strong>GFZ</strong>-Mineralphysik entwickelt (Mueller et al.,<br />
<strong>2005</strong>b). Dazu wird eine Anregungsfunktion berechnet, die<br />
alle Frequenzen im gesamten erforderlichen Bereich<br />
gleichmäßig anregt. Das ist allgemein die Fourier-Transformierte<br />
des Frequenzbereiches im Zeitbereich. Praktisch<br />
wird es komplizierter, weil das Einschwing-Verhalten<br />
des Ultraschall-Wandlers, seine Resonanzkurve und<br />
die Kennwerte des Arbiträrgenerators, der die errechnete<br />
Funktion in ein elektrisches Signal umwandelt, berück-<br />
sichtigt werden müssen. Die Lösung ist eine modifizierte<br />
„raised cosine function“, die mit einem Digital-Filter hergestellt<br />
wird (Abb. 13). Die Antwort der Messstrecke auf<br />
diese Anregung ist die Daten-Transfer-Funktion, die analog<br />
zur Anregung die Antwort auf alle monochromatischen<br />
Wellenzüge zwischen den beiden Grenzfrequenzen enthält<br />
(Abb. 14). Mit deren Abspeicherung, was beim Stand<br />
der Technik je nach Auflösung zwischen 2 und etwa<br />
30 Sekunden erfordert, ist die Messung abgeschlossen.<br />
Werden Triple-Mode-Transducer benutzt, also solche, die<br />
gleichzeitig Kompressions- und Scherwellen erzeugen und<br />
empfangen, besitzt dies in einigen Sekunden aufgezeichnete<br />
Signal den Informationsgehalt von einer Stunde Messung<br />
mit der Sweep-Methode. Zur Reproduktion der Ergebnisse<br />
für jede einzelne Frequenz wird die Daten-Transfer-<br />
Funktion mit den Einzel-Frequenzen gefaltet. Das entspricht<br />
der Multiplikation der Fourier-Transformierten.<br />
f • g ↔ F ⊗ G (2)<br />
Der Zeitaufwand wird also vom Experiment zur mathematischen<br />
Auswertung verlagert. Die weitere Datenverarbeitung<br />
entspricht der der Sweep-Methode. Die DTF-<br />
Technik erfordert eine extreme Auflösung der gespeicherten<br />
DTF. Diese Funktion (DTF) ist die Überlagerung<br />
einer unendlichen Menge von monochromatischen Antworten<br />
zwischen den beiden Grenzfrequenzen. Die Auflösung<br />
muss also so hoch sein, dass auch die schwächste<br />
darin enthaltene Einzel-Frequenz nach der Faltung noch<br />
auflösbar ist. Anderenfalls wird die reproduzierte monochromatische<br />
Antwort verfälscht (Abb. 15). Da die Fourier-Transformation<br />
numerisch mit Hilfe des Algorithmus<br />
der schnellen diskreten Fourier-Transformation (FFT)<br />
abgewickelt wird, muss wegen Abbruch-Effekten im<br />
Randbereich das abgespeicherte Signal auch noch mindestens<br />
mit 3-facher Länge des Auswertungs-Bereiches<br />
Abb. 13: Vergleich der Transfer-Funktion H(ω) des idealen Nyquist-Impulses und des raised-cosinus Impulses<br />
mit verschiedenen Abkling-Faktoren einschließlich ihrer Impuls-Antworten (inverse Fourier-Transformierte von H) im<br />
Zeit-Bereich. Ein raised-cosinus Impulse mit dem Abkling-Faktor α = 0 ist ein idealer Nyquist-Impuls) (Mueller et al.,<br />
<strong>2005</strong>b)<br />
Comparison of transfer function H(ω) of the ideal Nyquist pulse and the raised-cosine pulse with different roll-off factors,<br />
as well as their impulse responses (inverse Fourier transform of H) in spatial domain. A raised-cosine pulse with<br />
roll-off factor α = 0 is an ideal Nyquist pulse (Mueller et al., <strong>2005</strong>b)<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 14: Ultraschall-Daten-Transfer-Funktion einer<br />
Klinoenstatit-Probe bei 1 GPa – MAX80 (Mueller et al.,<br />
2003)<br />
Ultrasonic data transfer function of a clinoenstatite sample<br />
at 1 GPa – MAX80 (Mueller et al., 2003)<br />
gespeichert werden. Erst die DTF-Methode macht die<br />
Ultraschall-Interferometrie uneingeschränkt synchrotron-adäquat<br />
und für transiente Messungen tauglich.<br />
Röntgen-Radiographie<br />
Abb.15:Reproduktion eines monochromatischen Ultraschallsignals aus der<br />
Daten-Transfer-Funktion durch Faltung in Abhängigkeit von der Auflösung<br />
der DTF – 65.000 Datenpunkte sind für eine unverfälschte Reproduktion<br />
nicht ausreichend (Mueller et al., 2006)<br />
Reproduction of a monochromatic ultrasonic signal from the data transfer<br />
function by convolution in dependence on DTF-resolution – 65,000 data<br />
points are insufficient for a true reproduction (Mueller et al., 2006)<br />
Ultraschall-Interferometrie erfordert eine sehr genaue Längenmessung<br />
unter In-Situ-Bedingungen, weil der gemessene<br />
kritische Frequenz-Abstand ∆f von Wellengeschwindigkeit<br />
und Probenlänge abhängt. Am Synchrotron ist das möglich<br />
durch Erstellen eines Röntgen-Schattenbildes der Probe<br />
und ihres Umfeldes. Geschieht das mit weißer Synchrotron-<br />
Strahlung, wie an der MAX80, wird dazu als Primärblende<br />
eine schrittmotor-gesteuerte 4-Blatt-Präzisions-Blende benutzt.<br />
Diese wird für die Röntgen-Radiographie (engl.<br />
X-radiography) horizontal bis zur Schlitzweite zwischen den<br />
Hartmetallstempeln und vertikal bis etwas über die Probenlänge<br />
hinaus aufgefahren. Da alle Blenden-Blätter reproduzierbar<br />
und unabhängig voneinander bewegt werden können<br />
ist somit auch eine beliebige Verschiebung des Bestrahlungsfeldes<br />
möglich. Wegen der größeren Strahlungsintensität<br />
am Hard Wiggler wird bei der MAX200x monochromatische<br />
Strahlung für die X-Radiographie benutzt werden.<br />
Nach Passieren der Hochdruck-Zelle wird das Röntgen-<br />
Schatten-Bild durch Fluoreszenz in einem 0,1 mm dicken<br />
Ce:YAG-Kristall (vom Institut für Kristallzüchtung IKZ,<br />
Berlin zur Verfügung gestellt) teilweise in<br />
ein entsprechendes Lichtbild von etwa<br />
540 nm Wellenlänge (hellgrün) umgewandelt.<br />
Eine möglichst geringe Dicke des Kristalls<br />
ist bedeutsam, um die Erwärmung<br />
durch Röntgenabsorption zu begrenzen.<br />
Die Erwärmung erfolgt im Volumen, die<br />
Kühlung neben der Wärmeleitung zur Fassung<br />
durch die Oberfläche zur umgebenden<br />
Luft. Je dünner der Kristall ist, desto<br />
größer ist sein Oberflächen/Volumen-Verhältnis.<br />
Außerdem wird das optische Bild<br />
schärfer, da es ebenfalls im Volumen des<br />
Kristalls entsteht. Ein Al-beschichteter<br />
Spiegel entkoppelt das optische Bild<br />
vom nichtkonvertierten Röntgen-Schatten-<br />
Bild, welches analog zur XRD im Beam-<br />
Stop absorbiert wird. Eine CCD-Kamera<br />
fängt das lichtoptische Bild nach Vergrößerung<br />
durch ein lichtstarkes Makroobjektiv<br />
ein. Es wird dann außerhalb der<br />
Strahlenschutz-Umhausung auf einem<br />
PC gespeichert. Die maximale optische<br />
Auflösung von ca. 1 µm wird bestimmt<br />
durch die Wellenlänge des grünen Lichts<br />
von etwa 0,5 µm und die Apertur des<br />
Objektivs von weniger als 0,5. Der minimale<br />
Objekt-Abstand von ca. 4 cm ist ein<br />
stark limitierender Faktor für die Objektivauswahl.<br />
Alle Bauteile aus optischem<br />
Glas und insbesondere der CCD-chip der<br />
Kamera müssen zur Vermeidung von<br />
Strahlen-Schäden außerhalb des direkten<br />
Strahls gehalten und gegen Streustrahlung<br />
abgeschirmt werden (Mueller<br />
et al., <strong>2005</strong>a, 2006). Abbildung 16 zeigt<br />
ein Schema der X-Radiographie an<br />
den Multi-Anvil-Anlagen MAX80 und<br />
MAX200x.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
123
124<br />
Abb.16:X-Radiographie für Multi-Anvil-Apparaturen (geändert nach Mueller<br />
et al., <strong>2005</strong>a)<br />
X-radiography scheme for multi-anvil cells (modified from Mueller et al.,<br />
<strong>2005</strong>a)<br />
Abb. 17: Proben-Längen-Messung einer Klinoenstatit-Probe unter In-situ-<br />
Bedingungen mittels X-Radiographie und Bildanalyse (Mueller et al., <strong>2005</strong>c,<br />
2006)<br />
In-Situ sample length measurement of a clinoenstatite sample by X-radiography<br />
and image processing (Mueller et al., <strong>2005</strong>c, 2006)<br />
Die abgespeicherten optischen Bilder werden zur Messung<br />
der Probenlänge entlang einer vordefinierten Linie einer<br />
Schwärzungsanalyse mittels digitaler Bildanalyse unterzogen.<br />
Dazu wird das Farbbild zunächst in ein schwarz/weiß<br />
Halbton-Bild umgerechnet. Weil sich die Röntgendichte der<br />
meisten an die Probe grenzenden Bauteile wenig unterscheidet,<br />
werden 5 µm dicke Gold-Folien als Marker<br />
und zugleich Ultraschall-Ankopplungs-Medium benutzt.<br />
Abbildung 17 zeigt das Abbild einer Klinoenstatit-Probe<br />
zwischen der Al 2O 3-Laufstrecke (oben) und dem NaCl-<br />
Reflektor (unten) und das Ergebnis der Bildanalyse. Der<br />
dunkle Bereich innerhalb des NaCl dicht an der Grenzfläche<br />
zur Klinoenstatit-Probe ist das Thermoelement.<br />
Unabhängig von der Längenmessung für die Ultraschall-<br />
Interferometrie hat die Röntgen-Radiograpie entscheidende<br />
Vorteile, z. B. bei der Messung der Probenverformung<br />
in Deformations-Experimenten mit röngenstrahlen-transparenten<br />
Stempeln und<br />
bei der In-Situ-Viskositätsmessung von<br />
Schmelzen mit Hilfe der Kugel-Fall-<br />
Methode.<br />
Standardfreie Druckmessung mit<br />
Ultraschall-Interferometrie<br />
Die Zuverlässigkeit der Druck-Standards<br />
ist eine Schlüsselfrage jeglicher Hochdruck-Forschung.<br />
Schon seit längerer<br />
Zeit gibt es Anzeichen dafür und Diskussionen<br />
darüber, dass alle Standards bei<br />
höheren Drücken eine Unsicherheit von<br />
10 bis 20 % haben könnten. Im Zuge der<br />
sich ständig zu höheren Drücken verlagernden<br />
geowissenschaftlichen Fragestellungen<br />
ist das äußerst unbefriedigend.<br />
Die unabhängige und simultane Messung<br />
der dynamischen Kompressibilität mittels<br />
Ultraschall-Interferometrie und der statischen<br />
Kompressibilität mit Hilfe der<br />
XRD-basierten druckinduzierten Volumenkompression<br />
an einer Probe eröffnet<br />
die Möglichkeit der standardfreien Druck-<br />
Kalibrierung und demzufolge der absoluten<br />
Druckmessung, weil alle dazu benötigten<br />
Parameter auf direktem Wege und<br />
unabhängig voneinander bestimmt werden,<br />
d. h. irgendwelche zusätzlichen<br />
Daten, wie z. B. die Volumenabhängigkeit<br />
des Grüneisen-Parameters u. a., sind<br />
nicht erforderlich. NaCl wurde gleichzeitig<br />
als Druckstandard entsprechend der<br />
Decker-Zustandsgleichung (Decker, 1971)<br />
und als Probe für die Ultraschall-Interferometrie<br />
benutzt. Die nur am Synchrotron<br />
mögliche Röntgen-Radiographie-Längenmessung<br />
hatte dabei entscheidende Bedeutung,<br />
weil Verformungsmodelle, wie<br />
Cook’s Methode (Cook, 1957; Kung et<br />
al., 2001a, b), untauglich sind, da die Probendeformation<br />
stark und vor allem nicht<br />
hydrostatisch, d. h. ungleichmäßig in den Achsen des Raumes,<br />
ist.<br />
1 + αγT P dP<br />
S = 1 + ∫ (3)<br />
3h0 0 ⎧ 1 4 1 ⎫<br />
⎜ – ⎜<br />
⎩ t2 3 t p 2<br />
s ⎭<br />
S: lineare Kompression<br />
α: linearer thermischer Ausdehnungskoeffizient<br />
γ: thermodynamischer Grüneisen-Parameter<br />
T: absolute Temperatur<br />
P: Druck<br />
ρ 0:Dichte bei Normaldruck<br />
l 0: Probenlänge bei Normaldruck<br />
t p, t s: Ausbreitungsgeschwindigkeiten elastischer Kompressions-<br />
und Scherwellen entlang der Probe<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 18: Elastische Wellengeschwindigkeiten v p and v s von<br />
polykristallinem NaCl unter Hochdruck. Die Versuche 2.2<br />
und 3.10 benutzen einen 8-mm-Einbau für 6 mm Stempel-<br />
Stirnfläche; Versuch 3.27 benutzt einen 5,5-mm-Einbau<br />
für 3,5 mm Stempel-Stirnfläche (Mueller et al., 2003,<br />
<strong>2005</strong>a)<br />
Elastic wave velocities v p and v s of polycrystalline NaCl<br />
at high pressure. Runs 2.2 and 3.10 use 8 mm set-ups for<br />
6 mm anvil truncation; run 3.27 uses a 5.5 mm set-up for<br />
3.5 mm anvil truncation. (Mueller et al., 2003, <strong>2005</strong>a)<br />
Abbildung 18 zeigt die Werte der Ultraschall-Ausbreitungs-Geschwindigkeiten<br />
der verschiedenen Hochdruck-<br />
Experimente.<br />
Daraus wird mit<br />
K S = ρ (v p 2 – 4/3 vs 2 ) (4)<br />
κ = 1/K S<br />
(5)<br />
der adiabatische Kompressionsmodulus K S und die entsprechende<br />
Kompressibilität κ S berechnet. Abbildung 19<br />
vergleicht die daraus mit verschiedenen Dichte-Fit-<br />
Methoden errechnete dynamische Kompressibilität mit<br />
der aus statischen Kompressionsexperimenten (Birch,<br />
1986). Dabei zeigt sich bei etwa 1,2 GPa die erste Überschneidung<br />
als wahrscheinliches Ergebnis nicht-intrinsischer<br />
Kompression (Schließung von Mikro-Rissen) bei<br />
den statischen Kompressionsexperimenten. Danach laufen<br />
die Kurven mit steigendem Druck weitgehend parallel.<br />
Bei 5,3 GPa tritt die zweite und bedeutsamere Über-<br />
Abb. 19: Kompressibilität von NaCl, gemessen mittels<br />
Ultraschall-Interferometrie und statischer Kompression:<br />
Zur Berechnung der Kompressibilität aus den elastischen<br />
Wellengeschwindigkeiten wird die Dichte als Funktion des<br />
Druckes benötigt. Die In-Situ-Dichte wurde aus der Analyse<br />
der Probendeformation (Deformations-Fit) bestimmt,<br />
unter Benutzung von veröffentlichten Zustandsgleichungen<br />
(EoS Fit) und durch sukzessive Approximation. Die<br />
X-Achse bezieht sich auf den Druck-Standard nach Decker<br />
(1971). (Mueller et al., 2003, <strong>2005</strong>a)<br />
Compressibility of NaCl measured by ultrasonic interferometry<br />
and static compression: The calculation of compressibility<br />
from elastic wave velocities require the density<br />
as a function of pressure. The In-situ density was determined<br />
by analyzing the sample deformation (deformation<br />
fit), using published EoS (EoS fit) and successive approximation.<br />
The X-axis is related to the Decker (1971) pressure<br />
scale. (Mueller et al., 2003, <strong>2005</strong>a)<br />
schneidung ein, da die Kurven mit steigendem Druck eine<br />
zunehmende Abweichung zeigen. Beim Maximaldruck<br />
von 7,71 GPa unserer Experimente ist die statische Kompressibilität<br />
6,6 % höher als unser Messwert. Das bestä-<br />
Abb. 20: Mittels Ultraschall-Interferometrie gemessener<br />
Druck im Vergleich mit der Druckskale nach Decker<br />
(1971) bezogen auf die Zustandsgleichung nach Birch<br />
(1986). (Mueller et al., 2003, <strong>2005</strong>a)<br />
Pressure measured by ultrasonic interferometry vs.<br />
Decker (1971) pressure scale related to the EoS by Birch<br />
(1986). (Mueller et al., 2003, <strong>2005</strong>a)<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
125
126<br />
tigt die weithin diskutierte Vermutung und deutet auf<br />
beträchtliche Abweichungen bei höheren Drücken hin.<br />
Abbildung 20 vergleicht die Drücke entsprechend Decker<br />
(1971) mit unseren aus Ultraschallmessungen abgeleiteten<br />
Werten. Diese Daten wurden bis zur fünften Potenz<br />
polynominell gefittet:<br />
p us = 0,34611 + 0,6807 p De + 0,01921 pDe 2<br />
p us = + 0,00246 pDe 3 + 8,4777 . 10 –4 pDe 4 (6)<br />
p us = + 5,75971 . 10 –5 pDe 5<br />
wobei p us der aus unseren Ultraschall-Messungen abgeleitete<br />
Druck und pDe der Druck entsprechend Decker<br />
(1971) ist.<br />
Quarz-Coesit-Phasenübergang – transiente Messungen<br />
Die Hochdruckphase Coesit des SiO 2 spielt eine bedeutsame<br />
Rolle bei der Interpretation des Subduktionsprozesses<br />
von Krustenmaterial. Coesit wurde von Chopin, 1984 und<br />
Gillet et al., 1984 in Gesteinen des Dora Meira-Massivs in<br />
den West-Alpen sowie von Schreyer, 1995 u. a. auch in anderen<br />
vorher subduzierten kontinentalen Gesteinen gefunden.<br />
Daher ist der Quarz-Coesit-Phasenübergang von grundsätzlicher<br />
Bedeutung für das Verständnis der Prozesse in<br />
der subduzierenden Kruste. Hinzu kommt, dass die Natur<br />
Abb. 21: v p und v p von Quarz und Coesit – 8 mm und<br />
6 mm Einbauten. (Mueller et al., 2006)<br />
v p and v s for quartz and coesite – 8 mm and 6 mm cubes.<br />
(Mueller et al., 2006)<br />
des Quarz-Coesit-Phasenübergangs kontrovers diskutiert<br />
wird, weil Hochdruck-XRD-Untersuchungen auf eine<br />
Zwischenphase während des Transformations-Prozesses<br />
hindeuten (Zinn et al., 1997). Lathe et al. (<strong>2005</strong>) untersuchten<br />
mit der MAX80 den Einfluss geringer Mengen von<br />
H 2O auf die Reaktionskinetik. Das Ergebnis ist bedeutsam<br />
in Hinblick auf die Ableitung der maximalen Versenkungs-<br />
Tiefe von Gesteinen aus dem Auftreten von Coesit bzw. aus<br />
den Spuren seiner Rückumwandlung zu Quarz.<br />
Als Ausgangsmaterial für die Ultraschall-Hochdruck-<br />
Experimente wurde natürlicher, gleichkörniger Quarzit<br />
mit einem SiO 2-Gehalt von mehr als 99 Gewichts-Prozent<br />
(Schilling, 1999) benutzt. Auf einer Präzisions-Rundschleif-Maschine<br />
wurden daraus entsprechend den standardisierten<br />
Messaufbauten Probenzylinder von 2,4 mm<br />
Durchmesser und 1,6 mm Länge bzw. 2 mm Durchmesser<br />
und 1,2 mm Länge hergestellt. Zur optimalen Ultraschall-Ankopplung<br />
wurden die Stirnflächen poliert. Die<br />
Experimente wurden entsprechend mit den Standard-Einbauten<br />
für 6 mm und 4 mm Stempel-Stirnflächen-Kantenlänge<br />
durchgeführt. Abbildung 21 zeigt die Ergebnisse<br />
für die Wellengeschwindigkeiten.<br />
Ein minimaler Druck von 4,5 GPa erwies sich als notwendig,<br />
um den Phasenübergang von Quarz nach Coesit<br />
zu starten. Die mit Synchrotron-Strahlung aufgenommenen<br />
XRD-Daten zeigten bei 800 °C einen vollständigen<br />
Umsatz in weniger als 2 Minuten. Das war viel zu schnell<br />
für die benutzte Minimum-Sweep-Technik. Deshalb wird<br />
der Frequenz-Bereich minimiert und die Frequenz-Stufung<br />
maximiert um die für den Sweep benötigte Zeit zu<br />
verkürzen, weil die leistungsfähigere DTF-Technik zum<br />
Zeitpunkt der Experimente noch nicht zur Verfügung<br />
stand. Das bedeutet jedoch, dass die Genauigkeit zugunsten<br />
der Geschwindigkeit der Messung eingeschränkt<br />
wird, weil die Periodizität und Mittelung des interferometrischen<br />
Verfahrens eingeschränkt oder geopfert wird.<br />
Die optimale Reaktions-Kinetik wurde bei einer Temperatur<br />
von 720 °C bis 750 °C gefunden. Bei niedrigeren<br />
Temperaturen startete die Reaktion entweder überhaupt<br />
nicht oder stoppte bei etwa 50 % Umsatz zu Coesit. Die<br />
Druckmessung, durchgeführt unter Benutzung des NaCl-<br />
Reflektor als XRD-Druck-Standard, offenbarte die Ursache<br />
dafür. Die temperatur-induzierte Erweichung des Bor-<br />
Epoxid-Harz-Würfels führt zu einem Stress-Abbau im<br />
gesamten Reaktionsraum. Hinzu kommt die mit dem Phasenübergang<br />
verbundene Volumen-Kontraktion der Probe.<br />
Beides führt zu einem dramatischen Druckabbau, der die<br />
Reaktion stoppt. Die Veränderung der Materialeigenschaften<br />
des Bor-Epoxid-Harzes erwies sich als so nachhaltig,<br />
dass selbst eine Erhöhung der Pressenkraft auf<br />
850 kN nicht ausreichte, um einen Druck von 4,5 GPa –<br />
wie vor dem Phasenübergang – zu erreichen.<br />
Um höhere Drücke nach dem Phasenübergang erreichen<br />
zu können, wurde ein Experiment mit 6 mm Bor-Epoxid-<br />
Harz-Würfel für eine Stempel-Stirnflächen-Kantenlänge<br />
von 4 mm und den kleineren Quarz-Proben durchgeführt.<br />
Zusätzlich wurden künstliche Gasket-Leisten aus Komposit-Material<br />
benutzt, sonst nur üblich bei zweistufigen<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 22: Transiente Messungen am Quarz-Coesit-Phasenübergang<br />
– XRD und vp Laufzeit. (Mueller et al.,<br />
2006)<br />
Transient measurements at the quartz-to-coesite transition<br />
– XRD and vp travel time. (Mueller et al., 2006)<br />
Multi-Anvil-Apparaturen, um der Bor-Epoxid-Harz-<br />
Würfel-Deformation entgegenzuwirken (Mueller et al.,<br />
2003, <strong>2005</strong>a).<br />
Abbildung 21 zeigt die v p- und v s-Daten auch dieser Versuche.<br />
Nun konnten zwar mehr Datenpunkte für Coesit<br />
gemessen werden, aber sogar mit dem kleineren Einbau und<br />
der lateralen Unterstützung konnte kein Maximaldruck von<br />
10 GPa erreicht werden, wie ohne Wärmebehandlung.<br />
Abbildung 22 gestattet den Vergleich der transienten v p-<br />
Daten mit den Ergebnissen der gleichzeitig durchgeführten<br />
XRD-Messungen. Diese erste transiente Ultraschall-Interferometrie-Technik<br />
arbeitete mit einem Frequenz-Sweep<br />
von etwas mehr als 2 MHz und einer Frequenz-Stufung von<br />
300 kHz. Die dabei beobachtete Verschiebung eines Maximums<br />
der konstruktiven Interferenz entspricht einer Zunahme<br />
von vp von etwa 6,5 km/s auf ca. 7,5 km/s mit Hinweisen<br />
auf einen temporären Zwischenzustand. Entsprechende<br />
höherauflösende DTF-Experimente sind in Vorbereitung.<br />
Nicht-quenchbarer Phasenübergang in Klinoenstatit<br />
– Mehr-Phasen-Hochdruck-Experimente<br />
Durch In-Situ-Experimente mit Synchrotron-Strahlung ist<br />
es möglich, auch nicht-quenchbare Phasen zu untersu-<br />
chen. Als erstes System untersuchten wir den Hochdruck-<br />
Klinoenstatit (MgSiO 3, HCEn)/Niederdruck-Klinoenstatit<br />
(LCEn) – Phasenübergang unter Hochdruck-Hochtemperatur-Bedingungen<br />
mit In-Situ-XRD. Pyroxene gehören<br />
zu den häufigsten gesteinsbildenden Mineralen in Kruste<br />
und oberem Mantel. Ausgehend von der Analyse natürlicher<br />
ultramafischer Hochdruck-Gesteine (e. g., Bozhilov<br />
et al., 1999) wurden Pyroxene als die zweitwichtigste<br />
Phase im oberen Mantel eingeschätzt, mit Anteilen von<br />
bis zu 25 Volumen-Prozent (Ringwood, 1975). Woodland<br />
& Angel (1997) vermuteten den orthorhombisch-Hochdruck-Monoklin-Phasenübergang<br />
in Ca-armen Pyroxenen<br />
als Ursache für die „seismische X-Diskontinuität“<br />
(Revenaugh & Jordan, 1991). Das Wissen um die physikalischen<br />
und chemischen Eigenschaften des Mantels ist<br />
eine Vorbedingung für das Verständnis solcher für das<br />
System Erde wesentlicher Prozesse, wie Subduktion und<br />
Schmelze. Man hatte zunächst einen Zusammenhang zwischen<br />
der „X-Diskontinuität“ und der Hydratation des<br />
die subduzierende ozeanische Lithosphäre umgebenden<br />
Mantels vermutet. Das steht jedoch dazu im Widerspruch,<br />
dass man die Diskontinuität unterhalb der subduzierenden<br />
Platte stets deutlicher fand als darüber, wo die Konzentration<br />
von Wasser und anderen Volatilen durch aufwärts<br />
gerichtete Wanderung viel höher ist. Dieser Widerspruch<br />
wird durch die Hochdruck-Ergebnisse aufgelöst, weil der<br />
orthorhombisch→hoch-P-monoklin-Phasenübergang in<br />
Ca-armen Pyroxenen keinerlei Änderung des Chemismus<br />
mehr erfordert (Woodland & Angel, 1997).<br />
Enstatit, das reine Magnesiumsilikat-Endglied mit Pyroxen-<br />
Stöchiometrie, MgSiO 3, existiert mindestens in fünf Phasen<br />
mit Pyroxen-Struktur. Protoenstatit (PEn, Raumgruppe<br />
Pbcn) ist stabil bei Temperaturen oberhalb 1000 °C bei Normaldruck.<br />
In Richtung zu niedrigen Temperaturen transformiert<br />
PEn zu Orthoenstatit (OEn, Raumgruppe Pbca). Der<br />
Übergang von OEn zu Hochdruck-Klinoenstatit (LCEn,<br />
Raumgruppe P2 1/c) wurde zuerst von Turner et al. (1960)<br />
publiziert bei 0,5 GPa and 500 °C. Pacalo & Gasparik<br />
(1990) bewiesen die Stabilität von Hochdruck-Klinoenstatit<br />
(HCEn, Raumgruppe C2/c) bei für den oberen Mantel<br />
charakteristischen Bedingungen 8,0 GPa und 900 °C. Angel<br />
et al. (1992) publizierten auf der Grundlage von Einkristall-<br />
XRD die Klinoenstatit-Transformation von der P2 1/c- zur<br />
C2/c-Struktur bei ca. 5,5 bis 8,0 GPa und Normaltemperatur.<br />
Sie bestimmten auch die Struktur von HCEn und schlussfolgerten<br />
aus ihren Ergebnissen, dass der LCEn-HCEn-<br />
Übergang nicht quenchbar sei, weil er bei Dekompression<br />
bei Normaltemperatur in die P2 1/c-Struktur zurückfällt.<br />
Abbildung 23 zeigt das MgSiO 3-Phasendiagramm im<br />
Druck-Temperatur-Bereich 5 bis 9 GPa und 20 °C bis<br />
1.200 °C. Unsere Experimente starteten mit reinem LCEn-<br />
Pulver. Durch Druckerhöhung auf 6,5 GPa bei Normaltemperatur<br />
wurde reiner HCEn gebildet und der Phasenübergang<br />
mittels In-Situ-XRD nachgewiesen. Die Überführung<br />
zu LCEn wurde durch stufenweise Steigerung der Temperatur<br />
in Schritten von 50 K durchgeführt und ebenfalls mit<br />
Synchrotron-Strahlung detektiert (Abb. 24). Abbildung 25<br />
gibt einen Überblick unserer Experimente und vergleicht<br />
unsere Phasengrenze mit den Daten von Angel & Hugh-<br />
Jones (1994). Unsere Ergebnisse repräsentieren die Mini-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
127
128<br />
Abb. 23: p-T-Diagramm für MgSiO 3 – Zusammenfassung<br />
der experimentellen Daten von Angel et al. (1992), Angel<br />
and Hugh-Jones (1994), Kanzaki (1991), Pacalo and Gasparik<br />
(1990), Ulmer and Stalder (2001), und Mueller et<br />
al. (2002d). (Mueller et al., 2002d)<br />
p-T-diagram for MgSiO 3 showing summary of experimental<br />
data by Angel et al. (1992), Angel and Hugh-Jones<br />
(1994), Kanzaki (1991), Pacalo and Gasparik (1990),<br />
Ulmer and Stalder (2001), and Mueller et al. (2002d).<br />
(Mueller et al., 2002d)<br />
mum-Druck-Bedingungen der HCEn-LCEn-Phasengrenze,<br />
beschrieben durch P (GPa) = 0,0021 (GPa/°C) T (°C) +<br />
6,048 (GPa).<br />
Die Regressionsanalyse (Belsley et al., 1980; Holland &<br />
Redfern, 1997) wurde zur Strukturverfeinerung der energiedispersiven<br />
XRD benutzt. Diese Methode basiert auf<br />
der Minimierung der Differenzen zwischen den gemessenen<br />
d hkl und ihren berechneten Werten und wurde durchgeführt<br />
unter Nutzung des Programms UnitCell vom<br />
Department of Earth Sciences der Cambridge University.<br />
Abbildung 26 vergleicht unsere Elementarzell-Parameter<br />
mit Literaturdaten. Unsere Daten stimmen mit den Ergebnissen<br />
von Shinmei et al. (1999) aus einer ähnlichen Multi-<br />
Anvil-Anlage bei deutlich kleinerer Standardabweichung<br />
unserer Daten sehr gut überein und bei Drücken unterhalb<br />
7 GPa sogar mit denen von Angel & Hugh-Jones (1994)<br />
aus einer DAC bei Benutzung von synthetischen CEn-Einkristallen.<br />
Zur Durchführung von Ultraschall-Messungen wurde bei<br />
Normaldruck synthetisiertes LCEn-Pulver in der MAX80<br />
heiss-isostatisch gepresst (HIP) (Liebermann et al., 1975)<br />
bei 0,4 GPa und 1.400 °C für 2 Stunden um Proben mit<br />
weniger als 0,8 % Porosität zu erhalten. Ohne diese Maßnahme<br />
würde der hochfrequente Ultraschall gestreut und<br />
Geschwindigkeits-Messungen wären unmöglich. Die elastischen<br />
Wellengeschwindigkeiten, v p und v s, der CEn-<br />
Probe wurden unter In-Situ-Bedingungen sowohl mit der<br />
Sweep- als auch mit der DTF-Technik gemessen (Mueller<br />
et al., <strong>2005</strong>b).<br />
Entsprechend der üblichen Methode zur Durchführung<br />
petrologischer Hochdruck-Experimente wurden die ersten<br />
Ultraschall-Experimente ebenfalls prograd durchgeführt,<br />
d. h. Druck und Temperatur nehmen während des Experiments<br />
zu. Kung et al., <strong>2004</strong> beschrieb und<br />
begründete die entgegengesetzte Strategie,<br />
weil anderenfalls bei weitgehend<br />
porenfreien Proben, wie sie bei Ultraschall-Messungen<br />
benutzt werden, die<br />
Gefahr bestünde, das die gemessenen<br />
Phasengrenzen durch unrelaxierten<br />
Stress innerhalb der Proben scheinbar<br />
verschoben werden würden. Deshalb<br />
führten wir auch ein Experiment dieser<br />
Art aus. Abbildung 27 illustriert die p-T-<br />
Pfade unserer Experimente im Phasendia-<br />
Abb.24:XRD-Daten für HCEn und LCEn<br />
bei 6,6 GPa und 250 °C/300 °C. Wegen<br />
ihrer sehr geringen Energie-Verschiebung<br />
haben die stärkeren Peaks nur eine<br />
begrenzte Bedeutung für den Phasennachweis.<br />
Mehrere kleinere Peaks gestatten<br />
die Phasen-Identifikation. (Mueller et<br />
al., 2002d)<br />
XRD-data for HCEn and LCEn at 6.6 GPa<br />
and 250 °C/ 300 °C. The stronger peaks<br />
have a limited significance for phase<br />
detection because the energy shift is very<br />
small. Using several smaller peaks enable<br />
the phase identification. (Mueller et<br />
al., 2002d)<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
gramm MgSiO 3 (Angel & Hugh-Jones, 1994; Mueller et<br />
al., <strong>2005</strong>b).<br />
Abbildung 28 zeigt die Messergebnisse für die Ultraschall-Wellengeschwindigkeiten<br />
aus zwei Versuchen.<br />
Nach dem prograden Passieren der Phasengrenze bei<br />
6,4 GPa wurde die Temperatur weiterhin bis 700 °C erhöht,<br />
um das entgegengesetzte Passieren der Phasengrenze zu<br />
HCEn beim anschließenden Druckanstieg auf 7,5 GPa<br />
auszuschließen. Run 3/52 erfasst die Druck-Abhängigkeit<br />
der Geschwindigkeit in LCEn bei konstanter Temperatur<br />
von 700 °C zu 0,8 km/(s GPa) für v p und 0,7 km/(s GPa)<br />
für v s. Die Messungen wurden mit der Sweep-Technik auf<br />
beiden Druck-Niveaus ausgeführt. Die DTF-Technik<br />
Abb. 25: Schema der Experimente zur<br />
Bestimmung der HCEn-LCEn Phasengrenze.<br />
Die Volllinie entspricht den von<br />
Angel und Hugh-Jones (1994) veröffentlichten<br />
Daten. Die punktierte Linie repräsentiert<br />
unsere Ergebnisse der Maximum-<br />
Temperatur-Bedingungen der HCEn-<br />
LCEn Phasengrenze. (Mueller et al.,<br />
2002d, <strong>2005</strong>b)<br />
Scheme of experimental runs to determine<br />
the HCEn-LCEn phase boundary. The<br />
dotted line represents the data published<br />
by Angel and Hugh-Jones (1994). The<br />
solid line represents our results of the<br />
maximum temperature conditions of the<br />
HCEn-LCEn phase boundary. (Mueller<br />
et al., 2002d, <strong>2005</strong>b)<br />
wurde zum Vergleich ebenfalls an diesen Punkten benutzt<br />
und zusätzlich dazwischen. Die Daten belegen die gute<br />
Übereinstimmung der Messergebnisse beider Methoden<br />
(Mueller et al, <strong>2005</strong>b).<br />
Versuch 3/112 ist eine multiphasiges retrogrades Experiment<br />
im HCEn-Stabilitätsfeld. Nach Erhöhung des Druckes<br />
bis 7,2 GPa wird die Temperatur sehr langsam mit<br />
1 K pro Minute gesteigert bis 875 °C. Als Ergebnis der<br />
thermischen Ausdehnung steigt der Druck dabei auf<br />
11,3 GPa. Danach wird die Temperatur genau so langsam<br />
wieder verringert. Die Ultraschall-Messungen werden<br />
wegen der bei vorher höheren Temperatur erfolgten Stress-<br />
Relaxation nur während dieses zweiten Versuchs-Seg-<br />
Abb. 26: Veränderung der HCEn Elementar-Zell-Parameter<br />
mit dem Druck<br />
bei Normaltemperatur und bei hohen<br />
Temperaturen dicht an der HCEn-LCEn-<br />
Phasengrenze. Schema der Experimente<br />
zur Bestimmung der HCEn-LCEn-Phasengrenze.<br />
Die Ergebnisse dieser Arbeit<br />
( ■) werden verglichen mit denen von<br />
Shinmei et al. (1999) ( ■) und Angel und<br />
Hugh-Jones (1994) ( ▲) veröffentlichten<br />
Daten. Die eingezeichneten Geraden<br />
repräsentieren die Ergebnisse der linearen<br />
Regression nach der Methode der<br />
kleinsten Quadrate für unsere Daten und<br />
die der Vergleichsautoren. (Mueller et al.<br />
(<strong>2005</strong>b)<br />
Variation of HCEn unit cell parameters<br />
with pressure at RT and at elevated temperatures<br />
close to the HCEn-LCEn<br />
phase boundary. The results of this study<br />
( ■) are compared with the data published<br />
by Shinmei et al. (1999) ( ■) and Angel<br />
and Hugh-Jones (1994) ( ▲) The lines<br />
represent the least square linear best fit<br />
for the data sets of this study and of<br />
the comparative authors. (Mueller et al.<br />
(<strong>2005</strong>b)<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
129
130<br />
Abb. 27: p-T-Pfad für Ultraschall-Messungen mit Klinoenstatit<br />
(MgSiO 3 – Hochdruck HCEn) – Niederdruck-<br />
Klinoenstatit (LCEn). (Mueller et al. (2006)<br />
p-T-paths for ultrasonic measurements with clinoenstatite<br />
(MgSiO 3 – high-pressure HCEn) – low-pressure clinoenstatite<br />
(LCEn). (Mueller et al. (2006)<br />
Abb. 28: Kompressions- und Scherwellen-Geschwindigkeiten v s and v s in<br />
Klinoenstatit bei verschiedenen p- und T-Bedingungen. (Mueller et al.<br />
(2006)<br />
Compressional and shear wave velocities, v p and v s, in clinoenstatite at<br />
various p- and T-conditions (HIP samples). (Mueller et al. (2006)<br />
Abb. 29: Druck-bedingte Verkürzung einer Klinoenstatit-Probe – aufgezeichnet<br />
mittels X-Radiographie unter In-Situ-Bedingungen. (Mueller et al.,<br />
<strong>2005</strong>c, 2006)<br />
Pressure-induced length decrease of a clinoenstatite sample – monitored by<br />
X-radiography under In-Situ conditions. (Mueller et al., <strong>2005</strong>c, 2006)<br />
ments ausgeführt. Die Ergebnisse für v p und v s zeigen die<br />
kombinierte p-T-Abhängigkeit entlang des in Abb. 27<br />
gezeigten Versuchspfades. Nach Erreichen der Normaltemperatur<br />
wird der Druck auf 6,1 GPa verringert. Während<br />
dieses Versuchssegments wurden v p und v s für eine<br />
stress-relaxierte Probe in Abhängigkeit vom Druck bei<br />
Normaltemperatur gemessen. Die Werte der Druckabhängigkeit<br />
für HCEn bei Normaltemperatur wurden<br />
bestimmt mit 0,089 km/(s GPa) für v p und mit 0,02 km/<br />
(s GPa) für v s. Die Ergebnisse stimmen mit den Daten von<br />
Kung et al. (<strong>2004</strong>) überein. Nach diesem Segment wurde<br />
ein erneuter Temperatur-Zyklus mit 2 K pro Minute gestartet.<br />
Die etwas höhere Temperatur-Steigerungs-Rate ist für<br />
alle späteren Versuchszyklen akzeptabel, weil die Probe<br />
nach Durchlaufen des ersten Versuchszyklus bereits<br />
stress-relaxiert ist. Der langsame Druckabfall verursacht<br />
keinen bedeutsamen neuen Stress in der Probe. Run 3/112<br />
wurde bei 320 °C unplanmäßig durch blow out (Austritt<br />
des Druckübertragungsmittels) beendet. Weitere derartige<br />
Experimente sind in der Vorbereitung. Abbildung 29<br />
zeigt die druckinduzierte Probenverkürzung<br />
einer Klinoenstatit-Probe mit X-<br />
Radiographie erfasst.<br />
Der LCEn-HCEn-Phasenübergang ist<br />
eine bedeutsame Reaktion für tiefe<br />
Bereiche kalter, da schnell subduzierter<br />
Platten, wo der Temperaturanstieg verzögert<br />
ist. Unsere vorläufigen Ergebnisse<br />
deuten auf einen Geschwindigkeits-Abfall<br />
von weniger als 0,5 % in<br />
einem kalten, pyrolitischen Mantel.<br />
Während des Phasenüberganges kann es<br />
zu einer Veränderung des rheologischen<br />
Verhaltens durch Deformations-Plastizität<br />
(e. g. Poirier, 1982; Schmidt et al.,<br />
2002) kommen. Daher sollte die reduzierte<br />
Scherfestigkeit beim CEn-Phasenübergang<br />
zu deutlich reduzierter Viskosität<br />
CEn-haltiger Gesteine führen und<br />
damit die Rheologie des lithosphärischen<br />
Mantels von abtauchenden Platten beeinflussen.<br />
Rückschau und Ausblick<br />
Der Aufbau der <strong>GFZ</strong>-Hochdruck-Mineralphysik<br />
mit in Europa einzigartigen<br />
experimentellen Möglichkeiten ist ohne<br />
engste nationale und internationale<br />
Kooperation undenkbar. Die Helmholtz-<br />
Gemeinschaft garantiert engste Zusammenarbeit<br />
zwischen DESY und <strong>GFZ</strong><br />
Potsdam sowie mit dem Partner-Institut<br />
GKSS in der HARWI-Halle. Auf internationaler<br />
Ebene hat COMPRES (Consortium<br />
for Materials Properties Research<br />
in Earth Sciences) die ausschlaggebende<br />
Bedeutung für unmittelbaren<br />
und unverzüglichen Informations-Austausch,<br />
wissenschaftliche Schwerpunkt-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 30: Weltweite Entwicklung der Leuchtstärke von Röntgen-Strahlungs-Quellen<br />
im 20sten Jahrhundert. (geändert nach DESY Hamburg,<br />
2006)<br />
International brilliance increase of X-ray sources during the 20th century.<br />
(modified from DESY Hamburg, 2006)<br />
Definition, Unterstützung neuer Technologien sowie<br />
effektiven Zugang zu den Strahlungs-Quellen. Die uneigennützige<br />
und freimütige Hilfe der Hochdruck-Mineralphysik-Teams<br />
von SUNY, APS und SPring-8 verhalf<br />
uns zu einem Schnellstart ohne Irr- und Umwege.<br />
Die Hochdruck-Mineralphysik an intensiven Strahlungsquellen<br />
steht vor einer bedeutenden neuen Etappe<br />
ihrer Entwicklung. Es zeichnen sich völlig neue, weit<br />
leistungsfähigere Druckerzeugungs-Anlagen, Strahlungsquellen<br />
mit um Größenordnungen höherer Brillanz<br />
(Abb. 30) und damit in Zusammenhang stehende neuartige<br />
Messmethoden ab. Um nur einige zu nennen: es wird<br />
mehrstufige großvolumige Druckerzeugungs-Anlagen<br />
unter Nutzung binderfreien polykristallinen Diamants<br />
oder großer Einkristalle, abgeschieden aus der Gasphase<br />
sowie verstärkte Nutzung optimierter Komposit-<br />
Werkstoffe geben; die Konstruktion wird zunehmend<br />
rechnergestützt optimiert; Hochbrillanz-Synchrotrons<br />
Literatur:<br />
erlauben das mühelose Durchdringen<br />
von Probenkapseln und damit Experimente<br />
mit volatilen Phasen sowie insbesondere<br />
punktuelles Messen der elastischen<br />
Wellengeschwindigkeiten mit<br />
Hilfe inelastischer Röntgen-Kernstreuung.<br />
Neuartige Druckerzeugungs-Anlagen<br />
und leistungsfähige Spallations-<br />
Quellen werden die Möglichkeiten der<br />
Hochdruck-Mineralphysik an Neutronen-Quellen<br />
qualitativ und quantitativ<br />
potenzieren und damit völlig neue Einblicke<br />
in die Verteilung von Wasser und<br />
anderen Volatilen sowie in die Textur-<br />
Entwicklung unter extremen Hochdruck-Hochtemperatur-Bedingungen<br />
ermöglichen. Die synchrone Anwendung<br />
von ultrakurzen Laser-Impulsen<br />
und ultrakurzen hochintensiven Röntgen-Impulsen<br />
aus neuen Linearbeschleunigern<br />
wird die dynamische Hochdruck-Erzeugung<br />
revolutionieren und<br />
extreme Strahlendosen ohne Proben-<br />
Desintegration oder Degradation erlauben.<br />
Mit PETRA III entsteht am DESY<br />
z. Zt. das weltweit brillanteste Synchrotron,<br />
mit dem Freie-Elektronen-Röntgen-Laser<br />
XFEL die weltweit leistungsfähigste<br />
Impuls-Röntgen-Quelle auf der<br />
Basis eines supraleitenden Linearbeschleunigers.<br />
Die Zusammenarbeit im<br />
Rahmen der Helmholtz-Gemeinschaft<br />
erlaubt es uns, diese Entwicklungen für<br />
spannende zukunftsorientierte Geomaterial-Forschung<br />
zu nutzen.<br />
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studies of the quartz-coesite phase transition. Phys. Chem. Earth, 22, 105-111.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
133
134<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Neue experimentelle Entwicklungen an der<br />
<strong>GFZ</strong>-Ionensonde zur quantitativen Bestimmung<br />
volatiler Elemente<br />
Dieter Rhede und Michael Wiedenbeck<br />
The concentration of carbon in silicate samples at the µg/g level represents a key parameter in global element cycling<br />
models. Obtaining accurate data for this element, however, has proven a formidable challenge for analytical geochemistry.<br />
Here we describe a new approach based on secondary ion mass spectrometry (SIMS) which has demonstrated<br />
that the carbon solubility in broad spectrum of mantle minerals is extremely low, i.e. in the low µg/g range or less. Key<br />
to this success was the use of ion implantation, a technology commonly applied in the semi-conductor industry but little<br />
used in the geosciences, for the production of the all-essential calibration samples. Equally challenging for the analysts<br />
is the quantitative determination of hydrogen in nominally anhydrous minerals. SIMS is one of a small number of<br />
analytical techniques which is able to address this topic, but it faces limitations imposed by vacuum quality and instrument<br />
background. Here we describe in-house designed technical improvements to our Cameca ims 6f instrument which<br />
have significantly improved our limit of detection for hydrogen such that the presence of 500 ng/g H 2 can now be detected<br />
with confidence.<br />
Die Sekundärionenmassenspektrometrie (SIMS) ist eine<br />
der wichtigsten Mikromessmethoden in den Geowissenschaften.<br />
Sie wird vor allem für die absolute Bestimmung<br />
von Spurenelementen im Konzentrationsbereich von einigen<br />
10 ng/g bis zu einigen 1000 µg/g im Mikrometerbereich<br />
eingesetzt. Die SIMS ermöglicht die In-Situ-Bestimmung<br />
von Isotopenverhältnissen, wofür es bisher kaum<br />
andere zuverlässigen Messverfahren gibt. Insbesondere<br />
die Isotopie leichter Elemente wie diejenigen von Li, Be<br />
und B, mit deren Hilfe wir Stoffkreislaufprozesse in Erdkruste<br />
und Erdmantel untersuchen, oder die Isotopie schwerer<br />
Elemente wie Uran und Blei zur Altersbestimmung sind<br />
wichtige Einsatzgebiete für die SIMS. Theoretisch besteht<br />
die Möglichkeit, die Konzentration der meisten Elemente<br />
im ng/g-Bereich zu bestimmen, jedoch gibt es bei einigen<br />
Elementen, z. B. Kohlenstoff und Wasserstoff, immer noch<br />
beträchtliche Schwierigkeiten bei der Quantifizierung. Im<br />
Folgenden sollen am Beispiel dieser beiden Elemente die<br />
grundlegenden Probleme und die erfolgreichen Entwicklungsarbeiten<br />
zu deren Überwindung am GeoForschungs-<br />
Zentrum Potsdam dargestellt werden.<br />
Das SIMS-Messverfahren beruht darauf, dass zunächst<br />
Primärionen erzeugt werden, die im Hochvakuum auf eine<br />
Probenoberfläche geschossen werden. Dabei wird von der<br />
Oberfläche Material abgetragen, welches zum Teil ionisiert<br />
wird. Diese Sekundärionen werden anschließend in<br />
einem Sektorfeldmassenspektrometer analysiert.<br />
Auf der Primär-Seite des Geräts (Abb. 1) werden 16 O – bzw.<br />
133 Cs + -Ionen erzeugt und in einem elektrischen Feld auf<br />
hohe Geschwindigkeit (ca. 1.000 km/s) beschleunigt. Mit<br />
einer Ionenoptik wird dieser Primärionenstrahl auf die gut<br />
polierte Oberfläche der Messprobe fokussiert, bei einem<br />
Strahldurchmesser zwischen 5 bis 30 µm. Hier wird die<br />
ganze Energie der Primärionen in den obersten etwa<br />
100 nm an das Probenmaterial abgegeben, was zu einer<br />
gezielten Erosion der Probenoberfläche führt. Einige Prozent<br />
der durch diese Wechselwirkung freigesetzten Atome<br />
in der Probe werden dabei ionisiert und in einem starken<br />
elektrischen Feld beschleunigt. Um die Ionen der relevanten<br />
Elemente von allen anderen entstandenen Ionen<br />
sicher zu trennen, wird dieser Sekundärionenstrahl durch<br />
einen Sektorfeldmagneten geführt, der die einzelnen<br />
Abb. 1: Überblick SIMS-Gerät „Cameca ims 6f“ in Potsdam<br />
(Foto: M. Wiedenbeck, <strong>GFZ</strong> Potsdam).<br />
General view of the Potsdam Cameca ims 6f instrument.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
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136<br />
Ionen nach dem Verhältnis von Masse zu Ladung (m/e)<br />
voneinander separiert. Ein hochempfindliches Detektorsystem<br />
übernimmt anschließend die Zählung der Ionen.<br />
Da das ganze Verfahren im Ultrahochvakuum (UHV, d. h.<br />
bei einem Druck von < 10 –7 Pa) durchgeführt wird, müssen<br />
die Proben UHV-beständig sein.<br />
Das <strong>GFZ</strong> Potsdam betreibt seit 1998 ein SIMS-Gerät der<br />
Firma CAMECA von Typ „ims 6f“ und hat sich dabei auf<br />
die Quantifizierung von „schwierigen“ Elementen spezialisiert.<br />
Bestimmung von Kohlenstoff<br />
Die Gesamtkonzentration von Kohlenstoff im oberen Erdmantel<br />
beträgt je nach Modellrechnung zwischen einigen<br />
100 bis über 1.000 µg/g. Obwohl Kohlenstoff damit nur als<br />
Spurenelement im Erdmantel vorkommt, bildet er dennoch<br />
das größte Kohlenstoffreservoir unseres Planeten. Es stellt<br />
sich die Frage, wo und in welcher Form sich Kohlenstoff<br />
im Erdmantel befindet. Ist er als Spurenelement in Silikatund<br />
Oxidmineralen enthalten, die die weitaus häufigste<br />
Komponenten des Mantels bilden oder ist er vorwiegend<br />
in viel selteneren Karbonaten gebunden, die im Prinzip stabile<br />
Mineralphasen im Erdmantel bilden könnten? Die Antwort<br />
auf diese Frage würde z. B. einen direkten Hinweis<br />
auf die CO 2-Entgasungsgeschichte unseres Planeten liefern.<br />
In Zusammenarbeit mit Prof. Hans Keppler (Uni Bayreuth)<br />
und seiner Gruppe beschäftigten wir uns daher mit<br />
der Entwicklung geeigneter Nachweisverfahren für die<br />
Bestimmung von Kohlenstoffspuren in Silikaten.<br />
Der quantitative Nachweis von geringsten Spuren an Kohlenstoff<br />
ist ein schwieriges Unterfangen, da Kohlenstoff<br />
an der Erdoberfläche ein sehr häufiges Element ist. Somit<br />
ist die Herstellung einer „sauberen“ Probenoberfläche<br />
nahezu unmöglich, da CO 2 aus der Atmosphäre sofort zu<br />
einer Belegung, d. h. einer Kontamination der Probenoberfläche<br />
führt. Weiterhin können sich organische Verbindungen<br />
aus dem Restgas der Massenspektrometereinrichtung<br />
auf der Probe niederschlagen. Aufgrund dieses<br />
Kontaminationsproblems müssten alle bisherigen Unter-<br />
Abb. 2: Mikroskopaufnahme synthetischer Olivinkristalle<br />
(Mg 2SiO 4), die in einer 13 C-gesättigten Schmelze<br />
gezüchtet wurden (Foto: H. Keppler, Uni Bayreuth).<br />
Photomicrograph of synthetic olivine crystals produced<br />
from a 13 C saturated melt.<br />
suchungen zu diesem Thema mit größter Vorsicht interpretiert<br />
werden. Eine wesentliche Aufgabe war es sicherzustellen,<br />
dass das gemessene Kohlenstoffsignal wirklich<br />
aus der Probe kommt und nicht durch Kontamination der<br />
Probenoberfläche hervorgerufen wird.<br />
Ein erster Schritt zur Lösung des Problems war der Austausch<br />
aller schmiermittelhaltigen Gerätekomponenten<br />
wie z. B. der Vorvakuumpumpen an unserer SIMS-Anlage<br />
durch den Ersatz ölfreier Bauteile. Damit konnten über<br />
einen längeren Zeitraum hin die noch im Vakuumteil des<br />
Gerätes befindlichen organischen Restkomponenten deutlich<br />
reduziert werden. Aber es waren noch weitere Entwicklungsarbeiten<br />
notwendig. Anstatt mit dem gewöhnlichen<br />
Isotop 12 C, das etwa 99 % des gesamten natürlichen<br />
Kohlenstoffs ausmacht, wurden synthetische Messproben<br />
mit dem selteneren Isotop 13 C angereichert. Die Züchtung<br />
synthetischer, kohlenstoffgesättigter Olivinkristalle bei<br />
hohen, dem Erdmantel entsprechenden Drücken und Temperaturen<br />
erfolgte durch die Arbeitsgruppe in Tübingen in<br />
Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Geoinstitut in Bayreuth<br />
(Abb. 2).<br />
Mithilfe der SIMS-Isotopenmessung konnte man nun<br />
unterscheiden, ob der gemessene Kohlenstoff tatsächlichaus<br />
der Probe ( 13 C) kommt oder von einer Kontaminationsquelle<br />
( 12 C) an deren Oberfläche.<br />
Messungen mit der SIMS stellen im eigentlichen Sinn kein<br />
absolutes Messverfahren dar. Daher müssen zur Quantifizierung<br />
der Konzentrationen Referenzproben mit genau<br />
bekannten Konzentrationen, aber auch ähnlicher chemischer<br />
Zusammensetzung und kristallographischer Struktur,<br />
dagegen gemessen werden. Da es solche Referenzproben<br />
nicht gab, adaptierten wir eine in der Halbleiterindustrie<br />
übliche Methode zur Herstellung solchen Materials.<br />
Dazu nimmt man einen kohlenstofffreien Olivinkristall<br />
und beschießt ihn in einem Teilchenbeschleuniger mit<br />
einer bekannten Dosis an 13 C. Dadurch wird der Kohlenstoff<br />
in die Oberfläche implantiert und man erhält ein<br />
Referenzmaterial mit definiertem Kohlenstoffgehalt und<br />
ansonsten gleicher stofflicher Zusammensetzung und<br />
kristallographischer Struktur wie die unbekannte Probe<br />
(Abb. 3). Damit war es erstmalig möglich, den Kohlenstoffgehalt<br />
eines Olivins quantitativ zu bestimmen und<br />
gleichzeitig zwischen Oberflächen- und Volumenanteil zu<br />
unterscheiden. Damit konnte nachgewiesen werden, dass<br />
die Sättigungskonzentration für Kohlenstoff im Olivin,<br />
dem am häufigsten vorkommenden Silikat im oberen Erdmantel,<br />
bei nur wenigen µg/g oder sogar noch darunter<br />
liegt (Keppler et al., 2003). Geht man von der modellierten<br />
Gesamtkonzentration an Kohlenstoff im Erdmantel<br />
aus, und wäre dieser Kohlenstoff überwiegend in Silikaten<br />
gebunden, dann müssten die Kohlenstoffkonzentrationen<br />
in ihnen um 2 bis 3 Größenordnungen größer sein<br />
als wir gemessen haben. Daraus folgt, dass der Kohlenstoff<br />
im Erdmantel vorwiegend in seltenen, aber sehr<br />
kohlenstoffreichen Mineralphasen wie in Karbonaten<br />
gebunden sein muß. Hochdruckkarbonate wurden bisher<br />
in natürlichen Mantelgesteinen nicht nachgewiesen, sieht<br />
man von karbonatischen Mikroeinschlüssen in Diaman-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 3: Tiefenprofil einer Referenzprobe, die mit einer bekanntem 13 C-Dosis<br />
implantiert wurde. Die Fläche unter der 13 C-Kurve und der 13 C-Fluss des<br />
Partikelbeschleunigers wird für die Kalibrierung von Kohlenstoff in Olivin<br />
verwendet. 12 C wurde bestimmt, um eine Korrektur für die vorhandene Oberflächenkontamination<br />
durchführen zu können.<br />
An example of a SIMS depth profile measured on a reference material<br />
implanted with a known dose of 13 C. The required calibration of the relative<br />
sensitivity factor for carbon in olivine can be calculated from the area<br />
under the 13 C curve and the known dose of 13 C. The 12 C isotope is used to<br />
correct for the presence of surficial carbon contamination on the sample.<br />
ten einmal ab. Tatsächlich haben Untersuchungen an Karbonaten,<br />
die in Höchstdruckapparaturen synthetisiert worden<br />
sind gezeigt, dass diese bei sehr hohen Drucken stabil<br />
sein können, dass sie aber bei Druckentlastung schnell<br />
instabil werden und CO 2 freisetzen können.<br />
Bestimmung von Kristallwasser<br />
Die richtige und reproduzierbare mikroanalytische Bestimmung<br />
von Kristallwasser im Bereich von wenigen µg/g<br />
ist schon seit langem eine große analytische Herausforderung<br />
in den Geowissenschaften, ohne dass bisher allseits<br />
befriedigende Lösungen gefunden wurden (Koga et al,<br />
2003, Kurosawa et al., 1997, Deloule et al, 1995). Sehr<br />
viele Untersuchungen konzentrieren sich auf die infrarotspektroskopische<br />
Bestimmung von Kristallwasser in nominell<br />
wasserfreien Silikaten, um Hinweise zur P-T-Abhängigkeit<br />
und zum Mechanismus des Einbaus von Wasser in<br />
das Kristallgitter zu erhalten. Da SIMS die Möglichkeit der<br />
Bestimmung von geringsten Wasserstoffgehalten bietet,<br />
kann man damit Kristallwasser bzw. OH – -Gruppen im<br />
Mikromaßstab direkt bestimmen. Das Ziel unserer Untersuchungen<br />
bestand darin, einerseits durch Gerätemodifikationen<br />
einen minimalen 1 H-Sekundärionenuntergrund<br />
zu erreichen und andererseits die analytischen Messbedingungen<br />
zu optimieren, um niedrigste Nachweisgrenzen<br />
für H 2O zu erreichen. Gleichzeitig sollten aber auch reproduzierbare,<br />
quantitative Analysen im Bereich < 50 µg/g<br />
routinemäßig möglich sein. In einem ersten Schritt konzentrierten<br />
wir uns dabei auf die Bestimmung der Wasserstoffkonzentration<br />
mittels 16 O – -Primärionen, im Anschluss<br />
daran sollte auch die Anregung mit 133 Cs + -Primärionen<br />
optimiert werden (Rhede und Wiedenbeck, 2006).<br />
Die an der CAMECA ims 6f serienmäßig<br />
vorhandene Probenschleuse besitzt nur<br />
zwei Probenpositionen, so dass während<br />
der Messung ein Probenhalter in der Vorvakuumschleuse<br />
und maximal ein zweiter<br />
in der Messkammer positioniert werden<br />
kann. Da aber in der Regel mehrere<br />
Probenwechsel am Tag erforderlich sind,<br />
können die Proben vor einer Messung nur<br />
eine sehr begrenzte Zeit im Vorvakuum<br />
entgasen, bevor sie in die Messkammer<br />
eingeschleust werden. Das dadurch bedingte<br />
„schlechte“ Vakuum (mit einem<br />
Druck von im Bereich von 10 –5 Pa) in der<br />
Probenschleuse „verschlechtert“ beim<br />
Probenwechsel auch das Vakuum in der<br />
Messkammer erheblich, wodurch der<br />
Signaluntergrund für Wasserstoff stark<br />
ansteigt. Verbesserungen konnten hier<br />
nur durch umfangreiche konstruktive<br />
Änderungen erreicht werden, die wir selber<br />
durchgeführt haben. Dazu war es notwendig,<br />
eine relativ große Probenvorratskammer<br />
zu entwickeln, die ständig<br />
evakuiert bleibt. Der Probenwechsel sollte<br />
über eine kleinere Vorschleuse erfolgen,<br />
die dann sehr rasch auf UHV abgepumpt<br />
werden kann (Abb. 4). Zusätzlich<br />
zur Möglichkeit, mehrere Proben über Tage zu lagern und<br />
zu entgasen, sollten auch häufig verwendete Referenzproben<br />
dauerhaft in der Probenvorratskammer verbleiben<br />
können. Eine solche Kammer mit 12 Probenpositionen<br />
wurde als optimale Größe angesehen und in den <strong>GFZ</strong>-<br />
Werkstätten konstruiert. Sie besteht aus einem 16-Positionenkarussel,<br />
das auf einer UHV-Drehdurchführung<br />
montiert ist, deren Achse parallel zur Probentransportrichtung<br />
zeigt. Das Karussell besteht aus vier identischen<br />
Cu-Blöcken, die jeweils drei Probenhalter aufnehmen<br />
können. Jede vierte Position auf dem Karussell ist nicht<br />
belegt, um mittels einer Transportstange den Probenwechsel<br />
in die Messkammer zu ermöglichen. Zur Reduzierung<br />
der Entwicklungskosten wurde die serienmäßige<br />
vorhandene Transportstange an ihrem ursprünglichen<br />
Platz belassen und die 2-Positionenkammer von CAMECA<br />
als Vorschleuse weiter verwendet. Eine zusätzliche Transportstange<br />
verbindet nun die Vorschleuse mit der Probenvorratskammer.<br />
Des weiteren wurden in der Vorratskammer<br />
und der Vorschleuse IR-Heizlampen und Thermoelemente<br />
integriert, um Proben individuell heizen und deren<br />
Temperatur in-situ messen zu können. Ein speziell entwickelter<br />
Cu-Tank für flüssigen Stickstoff zur Kühlung der<br />
Proben in der Vorratskammer vervollständigt heute den<br />
Geräteumbau.<br />
Der Einsatz eines mit flüssigem Stickstoff gekühlten Probentisches<br />
(Wiedenbeck et al., <strong>2004</strong>) sollte einerseits den<br />
1 H-Sekundärionenuntergrund verringern und andererseits<br />
die Untersuchung von Flüssigkeitseinschlüssen ermöglichen.<br />
Außerdem wurde durch die Reduzierung der Probenentgasung<br />
eine Verbesserung der Vakuumbedingungen<br />
in unmittelbarer Nähe der Sekundärionenentstehung<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
137
138<br />
erwartet, die zu niedrigeren Wasserstoffuntergrundsignalen<br />
führen sollte. Während der Testphase des neuen Probentisches<br />
traten jedoch Probleme auf. Beim Abkühlen<br />
des Tisches mit flüssigem Stickstoff kam es zu Verformungen,<br />
die einen Wechsel der Probe von der Vorschleuse<br />
in die Messkammer verhinderten. Deshalb waren bisher<br />
nur Testmessungen möglich, die jedoch gezeigt haben,<br />
dass unsere Erwartungen bezüglich der Vakuumbedingungen<br />
und der Reduzierung des Wasserstoffuntergrundsignals<br />
erfüllt werden können. Wir werden versuchen, dieses<br />
Problem in Zukunft zu beheben. Eine weitere Reduzierung<br />
der störenden Restgase in unmittelbarer Umgebung<br />
der Messprobe konnte durch den Einsatz einer<br />
Extraktionsplatte (Getter) aus einer Zirkonlegierung erreicht<br />
werden. Bei sehr geringen Konzentrationen (< 20 µg/g<br />
H 2O) verkürzt sich die Messzeit damit um Faktor 5.<br />
Probenpräparation: Zur Entwicklung der Wasserbestimmung<br />
mit SIMS wurden natürliche Granatkristalle in<br />
Edelsteinqualität als Referenzmaterial verwendet. Deren<br />
Wassergehalte liegen zwischen 17 und 870 µg/g, die mit<br />
anderen unabhängigen Methoden bestimmt wurden (Maldener<br />
et al, 2003). Ein synthetischer Olivinkristall mit ca.<br />
8 µg/g H 2O (bestimmt mit FTIR, Koch-Müller, pers. Mitteilung),<br />
der 12 Stunden lang bei 1.100 °C getempert<br />
wurde, diente als zusätzliche Referenzprobe. Alle „unbekannten“<br />
Proben und Referenzmaterialien wurden auf<br />
jeweils einer Quarzglasscheibe unter Verwendung von<br />
möglichst wenig Epoxidharz eingebettet und poliert. Die<br />
Proben wurden anschließend im Ultraschallbad in hochreinem<br />
Ethanol gereinigt, bei 70 °C im Vakuum getrock-<br />
Abb. 4: CAMECA ims 6f mit neuer Probenkammer und<br />
veränderter Vorschleuse (Foto: M. Wiedenbeck, <strong>GFZ</strong>)<br />
View of the ultra-high vacuum storage chamber, which was<br />
developed at the <strong>GFZ</strong> Potsdam.<br />
net, danach mit ca. 30 nm Gold beschichtet, dann sofort<br />
in die Probenkammer angebaut und bei Druck < 3 x 10 –7 Pa<br />
mindestens 3 Tage lang entgast. Vor jeder Messperiode<br />
war es notwendig, das gesamte Gerät mindestens 48 h lang<br />
bei ca. 100 °C auszuheizen, um das an den Kammer-innenwänden<br />
adsorbierte H 2O zu entfernen. Mit dem neuen<br />
Schleusensystem und einem speziellen Kühlfinger, der<br />
permanent mit flüssigen Stickstoff gefüllt war (Abb. 1),<br />
wurde immer ein Ultrahochvakuum bei einem Druck von<br />
< 5 x 10 –8 Pa in der Messkammer während der Messungen<br />
erreicht.<br />
Messbedingungen: Ein 50 nA-Strahl von 16 O – -Primärionen<br />
wird auf 22,5 kV beschleunigt und auf der Probenoberfläche<br />
mit einem Durchmesser von 30 µm fokussiert.<br />
Dieser Primärionenstrahl wird dann über einen Bereich<br />
von 80 x 80 µm gerastert. Eine Energiefilterung der Sekundärionen<br />
erfolgt durch –150 V-Probenoffset und ein<br />
100 eV breites Energiefenster. Ein zusätzliches elektronisches<br />
Fenster mit einer Größe von 20 x 20 µm, zentriert<br />
über die Mitte des Rasters, stellt sicher, dass nur aus der<br />
Kratermitte emittierte Ionen gezählt werden. Störende<br />
Einflüsse der Kraterränder können damit eliminiert werden.<br />
Pro Zyklus wird bei 1 H 10 s und bei 30 Si zwei Sekunden<br />
lang gezählt. Die Sputterzeit, die bis zum Erreichen<br />
der Gleichgewichtsbedingungen (d. h. konstantes 1 H+/ 30 Si+)<br />
notwendig ist, hängt vom H 2O-Gehalt der Probe ab (bis<br />
zu 120 min bei geringen Konzentrationen). Zur Erstellung<br />
der Kalibrierkurven werden immer die letzten 50 Zyklen<br />
jeder Messung gemittelt.<br />
Die 133 Cs + -Primärionen werden auf 17,5 kV beschleunigt<br />
und der 2 nA-Strahl zu einem ≈ 10 µm großen Fleck fokussiert<br />
und über eine Fläche von 35 x 35 µm gerastert. Negativ<br />
geladene Sekundärionen werden von der auf –7,5 kV<br />
liegenden Probe extrahiert und die auftretenden positiven<br />
Aufladungen durch einen Elektronenstrahl kompensiert.<br />
Die Messungen wurden mit einer Massenauflösung von<br />
M/∆M ≈ 3000, einem Energiefenster von 50 eV und ohne<br />
Probenoffset durchgeführt. Durch Anwendung einer<br />
100 µm-Feldblende werden nur Sekundärionen aus einem<br />
Bereich mit ≈ 8 µm Durchmesser gezählt.<br />
Die Kalibrierungskurven, die mit 16 O – und 133 Cs + -Primärionen<br />
bei den oben beschriebenen Messbedingungen<br />
erhalten wurden, sind über den gesamten H 2O-Bereich<br />
sehr gut linear (Abb. 5). Bei beiden Verfahren streuten die<br />
einzelnen Punktanalysen für die meisten Proben im<br />
Bereich von ≈ 20 %, wobei nicht eindeutig zwischen der<br />
externen Reproduzierbarkeit der Methode und einer realen<br />
Inhomogenität der Proben im 10 µm-Bereich unterschieden<br />
werden kann. Mehrmalige, unabhängige Messreihen<br />
mit 16 O – -Primärionen zeigten wie sensibel die Rekalibrierung<br />
der relativen Ionenausbeute ist. Trotz identischer<br />
Einstellungen des Geräts und bei gleichen Vakuumbedingungen<br />
wurden Unterschiede in der Steigung der<br />
Kalibrierungsgeraden von bis zu 13 %. Für den synthetischen<br />
Olivin variierte der gemessene H 2O-Gehalt innerhalb<br />
einer Messperiode um 25 %; der absolute H 2O-Wert<br />
für alle Messungen betrug 10 ± 3 µg/g. Im Vergleich dazu<br />
wurde mit 133 Cs + -Primärionen ein H 2O-Gehalt von 7 ±<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
A<br />
B<br />
Abb.5:SIMS-Kalibrierungskurven für H 2O-Gehalte mit verschiedenen Primärionen;<br />
(A) „best-fit“ Kurven für 16 O – -Primärionen von drei unabhängigen<br />
Messreihen und (B) für 133 Cs + -Primärionen. Die Messdaten zeigen eine<br />
lineare Korrelation der Wasserstoffkonzentration über mehrere Größenordnungen.<br />
SIMS calibration curves for H 2O abundances with obtained using different<br />
primary ion beams; (A) for 16 O – primary ions showing best fit curves for<br />
three independent analytical sessions and (B) for 133 Cs + ions. These data are<br />
consistent with a linear calibration over several orders of magnitude in H<br />
concentration.<br />
2 µg/g bestimmt. Diese Daten ermöglichen<br />
eine Abschätzung einer Nachweisgrenze<br />
von 3 bis 4 µg/g H 2O auf einer analysierten<br />
Fläche von wenigen µm Durchmesser,<br />
die mit unserem Gerät erreicht<br />
werden kann.<br />
Für die Bestimmung sehr geringer H 2O-<br />
Gehalte ist ein extrem niedriges Untergrundsignal<br />
für Wasserstoff wichtig. Die<br />
Abb. 6: Abhängigkeit des Gleichgewichtsverhältnisses<br />
1 H + / 30 Si + vom Primärstrom<br />
für zwei Referenzproben (Granate)<br />
mit unterschiedlichen H 2O Gehalten.<br />
Beam-current dependence of the steady<br />
state 1 H + / 30 Si + ratio from two garnet reference<br />
samples with different H 2O contents.<br />
Hauptquellen für den Untergrund sind<br />
Kollisionen der Ionen mit Restgasteilchen<br />
nahe der Probenoberfläche, die Adsorption<br />
von Restgas auf der Probenoberfläche<br />
und die Absputterung von Wasserstoff<br />
von der Extraktionsplatte. An zwei Proben<br />
(170 µg/g H 2O und 17 µg/g H 2O) wurden<br />
die Wechselwirkungen zwischen Restgasdruck<br />
und der 1 H + -Zählrate bei verschiedenen<br />
Primärionenströmen und jeweils<br />
bei Gleichgewichtsbedingungen untersucht.<br />
Die Ergebnisse zeigen, dass bei sehr<br />
geringen Konzentrationen eine Erhöhung<br />
des Primärionenstroms das Untergrundsignal<br />
verringert (Abb. 6). Um den Mechanismus<br />
dieser Restgasadsorption besser<br />
zu verstehen, wurden mit 16 O – - und<br />
133 Cs + -Primärionen zeitabhängige Untersuchungen<br />
durchgeführt. Nach dem Erreichen<br />
einer konstanten Zählrate für 1 H +<br />
und 30 Si + wurde der Sputterprozess unterschiedlich<br />
lang unterbrochen, wodurch<br />
unter anderem auch Wasserstoff an der zu<br />
messenden Oberfläche adsorbiert wurde.<br />
Es zeigte sich, dass die mit 16 O – gesputterten<br />
Oberflächen eine sehr starke Aktivierung<br />
für die Adsorption von Wasserstoff<br />
aufwiesen. Selbst bei einem Druck<br />
von nur 3 x 10 –8 Pa war die Oberfläche<br />
innerhalb von 15 min vollständig mit Wasserstoff<br />
gesättigt (Abb. 7). Beim Einsatz<br />
von 133 Cs + -Primärionen wurde diese starke<br />
Adsorptionseigenschaft der Oberfläche<br />
für Wasserstoff nicht beobachtet, ein<br />
Hinweis darauf, dass eine Aufladung der<br />
Oberfläche bei nicht leitenden Proben<br />
eine große Rolle für die Wasserstoffadsorption<br />
im UHV spielen könnte. Es<br />
darf nicht vergessen werden, dass die 1 H + -<br />
Zählrate gegenüber Variationen der Beschleunigungsspannung<br />
des zur Ladungskompensation<br />
notwendigen Elektronen-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
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140<br />
Abb. 7: Ergebnisse der Zeitabhängigkeit der 1 H + -Intensität für Olivin, für<br />
eine ansteigende Adsorptionsdauer (Strahl aus) und dem anschließenden<br />
Abfall der 1 H + -Intensität nach der Restgasadsoption. Die Messung wurde<br />
mit einem 16 O – Primärstrom von 4 nA durchgeführt.<br />
Results from a time series experiment for 1 H + measured on olivine showing<br />
spikes and subsequent decay of the H secondary ion signal associated with<br />
gas adsorption during beam-off („Strahl aus“) periods of increasing duration<br />
given in minutes. This experiment used a 4 nA 16 O – primary beam.<br />
strahls empfindlich reagiert. Daher ist eine sorgfältige<br />
Kalibrierung unumgänglich. Bei unseren Messbedingungen<br />
konnte für den Olivin, bei einer Zählrate von<br />
15 Ionen/s, ein elektroneninduzierter 1 H-Untergrundwert<br />
von 0,4 Ionen/s bestimmt werden.<br />
Literatur:<br />
Deloule, E., Paillat, O., Pichavant, M.und Scaillet, B. (1995)<br />
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Maldener, J., Hösch, A., Langer, K. und Rauch, F. (2003)<br />
Hydrogen in some natural garnets studied by nuclear reaction<br />
analysis and vibrational spectroscopy. Phys. Chem.<br />
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Keppler, H., Wiedenbeck, M. und Shcheka, S.S. (2003) Carbon<br />
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the Earth's mantle. Nature 424, 414-416.<br />
Koga, K., Hauri, E., Hirschmann, M. und Bell, D. (2003)<br />
Hydrogen concentration analyses using SIMS and FTIR:<br />
Comparison and calibration for nominally anhydrous minerals.<br />
G3-Geochem. Geophys. Geosys. 4, 1-20.<br />
Kurosawa, M., Yurimoto, H. und Sueno, S.(1997) Patterns<br />
in the hydrogen and trace element compositions of mantle<br />
olivines. Phys. Chem. Minerals 24, 385-395.<br />
Rhede, D. und Wiedenbeck, M. (2006) SIMS quantification<br />
of very low hydrogen contents. App. Surf. Sci. (im<br />
Druck).<br />
Wiedenbeck, M., Rhede, D., Lieckefett, R. und Witzki, H.<br />
(<strong>2004</strong>) Cryogenic SIMS and its applications in the earth<br />
sciences. App. Surf. Sci. 231-232, 888-892.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Risikokarten für Deutschland: erste Ergebnisse<br />
vom „Center for Disaster Management and<br />
Risk Reduction Technologies“ (CEDIM)<br />
Annegret Thieken1 , Heidi Kreibich1 , Petra Köhler1 , Matthias Müller1 , Gottfried Grünthal1 , Patrick Heneka2 , Thomas<br />
Hofherr2 , Rutger Wahlström1 , Lorenz Kleist2 , Bruno Büchele2 , Andres Kron2 , Sergiy Tyagunov2 , Joachim Wächter1 , Bruno<br />
Merz1 , Christoph Kottmeier2 , Bodo Ruck2 , Franz Nestmann2 , Lothar Stempniewski2 , Jochen Zschau1 1 2 GeoForschungsZentrum Potsdam, Universität Karlsruhe<br />
The Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM) was founded in 2002 and is a joint<br />
venture between the <strong>GFZ</strong> Potsdam and the Technical University of Karlsruhe. CEDIM aims at understanding hazards<br />
and risks, detecting upcoming hazardous events early and coping with the consequences of disasters at a better level.<br />
In the project „Risk Map Germany“ the objectives are to develop methodologies for mapping different hazards and<br />
risks on a nationwide scale and to quantitatively compare risks due to earthquakes, storms and floods.<br />
The paper outlines the concepts of risk analysis that is used within the project „Risk Map Germany“. Basically, „risk“<br />
is defined as the probability that a given loss will occur and thus encompasses three aspects: hazard, exposure and<br />
vulnerability. Then data processing and management is outlined. First results for the assessment of earthquake, storm<br />
and flood risks are presented. Finally, the „CEDIM Risk Explorer“, a web-based map service that summarises all project<br />
results is presented.<br />
Abb. 1: Teilprojekte im CEDIM-Projekt „Risikokarte Deutschland“<br />
Subprojects of the CEDIM-Project „Risk Map Germany“<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
141
142<br />
CEDIM – Center for Disaster Management and<br />
Risk Reduction Technology<br />
CEDIM wurde im November 2002 gemeinsam vom Geo-<br />
ForschungsZentrum Potsdam und der Universität Karlsruhe<br />
gegründet. An diesem virtuellen Institut sind sechs<br />
Sektionen des <strong>GFZ</strong> und elf Institute der Universität Karlsruhe<br />
beteiligt (http://www.cedim.de).<br />
Wesentliches Ziel der Forschungsarbeiten in CEDIM ist<br />
es, Risiken durch Naturgefahren und mensch-gemachte<br />
Gefahren besser zu verstehen, früher zu erkennen und die<br />
Folgen von Katastrophen besser zu beherrschen. Dazu ist<br />
die Zusammenarbeit verschiedener, in der Katastrophenforschung<br />
tätiger wissenschaftlicher Disziplinen notwendig.<br />
In CEDIM reicht dieser Verbund von den Geowissenschaften<br />
und der Meteorologie über die Ingenieurwissenschaften,<br />
die Regionalplanung und die Informatik bis<br />
hin zu den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Durch<br />
die gemeinsame Weiterentwicklung der wissenschaftlichen<br />
Grundlagen sowie durch die Entwicklung neuer<br />
Technologien, beispielsweise von Visualisierungstechniken<br />
und Implementierungen von Informationssystemen,<br />
sollen mögliche Schäden infolge von Katastrophen signifikant<br />
reduziert werden.<br />
In einem ersten Projekt werden Methoden und Werkzeuge<br />
zur Risikokartierung in Deutschland erarbeitet, und<br />
zwar für Gefährdungen durch Hochwasser, Stürme, Starkbeben,<br />
Weltraumwetter und „Anthropogene Katastrophen“.<br />
Für keine dieser Gefahren existiert zurzeit eine<br />
deutschlandweite Karte mit quantitativen Risikoangaben.<br />
Alle Teilprojekte des CEDIM-Projektes „Risikokarte<br />
Deutschland“ sind in Abb. 1 zusammengestellt.<br />
In diesem Beitrag wird zunächst das im Projekt „Risikokarte<br />
Deutschland“ verfolgte Konzept der Risikoanalyse<br />
erläutert. Danach werden beispielhaft Eingangsdaten und<br />
Ergebnisse präsentiert. Abschließend wird das Softwaretool<br />
„CEDIM Risk Explorer“ vorgestellt, in dem alle Projektergebnisse<br />
aufbereitet und präsentiert werden können.<br />
Konzept der Risikoanalyse im CEDIM-Projekt<br />
„Risikokarte Deutschland“<br />
Ein Ziel im Projekt „Risikokarte Deutschland“ war es, die<br />
Risiken, die durch die Naturgefahren Sturm, Hochwasser<br />
und Erdbeben entstehen, miteinander vergleichbar darzustellen.<br />
Um dieses Ziel zu erreichen, wurde folgendes<br />
Konzept für die Risikoanalyse erarbeitet, das am Beispiel<br />
der Naturgefahr Hochwasser in Abb. 2 schematisch dargestellt<br />
ist: In den Ingenieurwissenschaften und bei technischen<br />
Risikoanalysen wird der Begriff Risiko häufig als<br />
Wahrscheinlichkeit definiert, mit der ein bestimmter<br />
Schaden eintritt bzw. überschritten wird (z. B. Kaplan and<br />
Garrick, 1981; Crichton, 1999; CEDIM, <strong>2005</strong>; Grünthal<br />
et al., 2006). Diese Definition liegt auch den Arbeiten im<br />
CEDIM-Projekt „Risikokarte Deutschland“ zugrunde. In<br />
diesem Kontext beinhaltet Risiko drei verschiedene<br />
Aspekte: Gefährdung, Vulnerabilität (im Sinne von Schadensanfälligkeit)<br />
und (Vermögens-)Wert der potenziell<br />
betroffenen Objekte (Risikoelemente).<br />
Gefährdungsabschätzungen werden für jede Naturgefahr<br />
getrennt durchgeführt und beinhalten räumliche Szenarien<br />
mit Intensitätsaussagen, zum Beispiel Überflutungstiefen<br />
für Hochwasser, Böenwindgeschwindigkeiten für<br />
Stürme und makroseismische Intensitäten für Erdbeben<br />
(Büchele et al., 2006; Heneka et al., 2006; Tyagunov et al.,<br />
2006). Für quantitative Risikoabschätzungen muss jedem<br />
Szenario außerdem eine Überschreitungswahrscheinlichkeit<br />
oder Wiederkehrperiode zugeordnet werden (vgl.<br />
Abb. 2).<br />
Das Wiederkehrintervall beschreibt die Zeitdauer, die im<br />
langjährigen statistischen Mittel zwischen Ereignissen<br />
derselben Größenordnung liegt und ist der Reziprokwert<br />
der Überschreitungswahrscheinlichkeit:<br />
1<br />
T = ___ (1)<br />
P ü<br />
mit T: Jährlichkeit oder Wiederkehrintervall und P ü: Überschreitungswahrscheinlichkeit.<br />
Abb. 2: Elemente einer quantitativen Risikoanalyse, dargestellt am Beispiel Hochwasser (Quelle: Merz & Thieken,<br />
<strong>2004</strong>.)<br />
Elements of a quantitative risk analysis, taking flooding as an example (Source: Merz & Thieken, <strong>2004</strong>).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Da die Auswirkungen der meisten Naturkatastrophen in<br />
Deutschland weniger durch eine große Zahl von Opfern<br />
als vielmehr durch Schäden an Vermögenswerten und der<br />
öffentlichen Infrastruktur sowie durch Produktionsausfälle<br />
charakterisiert werden, stehen im Projekt „Risikokarte<br />
Deutschland“ wirtschaftliche Schäden im Vordergrund.<br />
Dabei wird prinzipiell zwischen direkten Kosten (Reparatur-<br />
und Wiederherstellungskosten, Kosten für Hilfeleistungen)<br />
und indirekten Kosten (Kapitalkosten, Umzugskosten,<br />
Einkommensverluste, Mietverluste, Arbeitslosigkeit)<br />
unterschieden, die für verschiedene Sektoren<br />
oder Risikoelemente (Privathaushalte, Unternehmen, Infrastruktur,<br />
Land-/Forstwirtschaft etc.) abgeschätzt werden<br />
können. Für die Risikoanalyse in CEDIM wurden zunächst<br />
direkte ökonomische Schäden an Wohngebäuden –<br />
definiert als Wiederherstellungskosten für das Referenzjahr<br />
2000 – als Risikoindikator ausgewählt. Darüber hinaus<br />
wurden in den Teilprojekten „Infrastruktur“ und „Man-<br />
Made Hazards“ Auswirkungen von extremen Ereignissen<br />
auf kritische Infrastrukturen in Deutschland untersucht.<br />
Um verschiedene Risiken vergleichen zu können, ist es<br />
essentiell, dass alle Schadensabschätzungen auf demselben<br />
Kostenansatz (z. B. Zeitwerte oder Wiederherstellungswerte)<br />
und Werteinventar basieren. Um dies zu gewährleisten,<br />
wurde ein einheitliches Inventar der potentiell gefährdeten<br />
Vermögenswerte entwickelt. Diese Festlegung impliziert,<br />
dass die verwendeten Schadenmodelle nur Schadensgrade<br />
berechnen, d. h. den Schaden als Prozentanteil des Gesamtwertes<br />
des geschädigten Objekts liefern. Der monetäre Schaden<br />
wird danach durch Multiplikation der Schadensgrade<br />
mit dem entsprechenden Vermögensbestand ermittelt.<br />
Risikoaussagen entstehen durch die Berechnung von Schäden<br />
für mehrere Gefährdungsszenarien, denen jeweils eine<br />
Überschreitungswahrscheinlichkeit oder ein Wiederkehrintervall<br />
zugeordnet ist. Diese Risikokurve quantifiziert das<br />
Risiko über die gesamte Bandbreite von denkbaren Ereignissen.<br />
Aufgrund der Unsicherheit der Schadenabschätzung<br />
werden Risikoaussagen im Allgemeinen aggregiert<br />
(z. B. pro Gemeinde). Für Planungen und Risikobewertungen<br />
wird oftmals nicht die gesamte Risikokurve ausgewertet,<br />
sondern es wird stattdessen der Schadenserwartungswert<br />
E(D) berechnet, der z. B. für Hochwasser folgendermaßen<br />
definiert werden kann (s. Merz & Thieken, <strong>2004</strong>):<br />
∞<br />
R = E〈D = ∫ D(q)f(q)dq (2)<br />
qD<br />
wobei q den jährlichen maximalen Abfluss, f(q) die kontinuierliche<br />
Verteilungsfunktion von q und D(q) den zu<br />
erwartenden Schaden beschreibt. q D ist der Abfluss, ab<br />
dem Hochwasserschäden auftreten. Wenn nur wenige Szenarien<br />
betrachtet werden, wird der Schadenerwartungswert<br />
folgendermaßen ermittelt:<br />
∞<br />
R = E〈D = ∑ ∆ PjD j<br />
j = 1<br />
(3)<br />
wobei D j und ∆P j den mittleren Hochwasserschaden und das<br />
Wahrscheinlichkeitsinkrement für das j-te Intervall angeben<br />
und m die Anzahl der Wahrscheinlichkeitsinkremente ist.<br />
Die Berechnung für andere Risiken erfolgt analog.<br />
Extreme Ereignisse tragen aufgrund ihrer Seltenheit nur<br />
wenig zum Schadenerwartungswert bei (Merz & Thieken,<br />
<strong>2004</strong>). Risikobewertungen, die nur auf dem Schadenerwartungswert<br />
basieren, tendieren demnach dazu, extreme<br />
Ereignisse zu vernachlässigen. Es wird daher empfohlen,<br />
die gesamte Risikokurve in die Bewertung einzubeziehen.<br />
Datengrundlagen und Datenbereitstellung<br />
Um die Vergleichbarkeit der Risikoanalysen zu gewährleisten,<br />
wurde eine gemeinsame Datenbasis erstellt. Diese<br />
besteht sowohl aus akquirierten Datensätzen als auch aus<br />
eigenen Berechnungen zu den Vermögenswerten. Die<br />
Bereitstellung der Daten erfolgt über einen internetbasierten<br />
Server, der im Nachfolgenden beschrieben wird.<br />
CEDIM Data Center<br />
Die Projektgruppe „Datenmanagement und GIS“ am<br />
Daten- und Rechenzentrum des <strong>GFZ</strong> Potsdam hat eine<br />
Informationsinfrastruktur für das CEDIM-Projekt „Risikokarte<br />
Deutschland“ aufgebaut. Diese stellt die Basis<br />
eines gemeinsamen Daten- und Informationsmanagements<br />
für die Erarbeitung einer katastrophenübergreifenden,<br />
integrierten digitalen Risikokarte Deutschland dar (Köhler<br />
et al., 2006).<br />
Ein einheitlicher Datenbestand, der von allen Teilprojekten<br />
gleichermaßen verwendet wird, ist Voraussetzung für<br />
die Vergleichbarkeit der abgeschätzten Risiken. Über das<br />
„CEDIM Data Center“, einen internetbasierten Geodatenserver,<br />
werden die Daten den am Projekt „Risikokarte<br />
Deutschland“ beteiligten Mitarbeitern zur Verfügung gestellt.<br />
Im Data Center besteht für die Wissenschaftler die<br />
Möglichkeit, Informationen über vorhandene Daten (Metadaten)<br />
einzusehen, Daten am Bildschirm zu visualisieren<br />
und deren Eignung für die jeweilige Aufgabe zu prüfen.<br />
Exportierte Datensätze können im lokalen GIS weiterverarbeitet<br />
werden.<br />
Die vielfältigen Datenbestände wurden von diversen<br />
öffentlichen und privaten Datenanbietern akquiriert. Die<br />
Daten wurden über aufwändige Harmonisierungs- und<br />
Integrationsprozesse zusammengeführt und werden zentral<br />
verwaltet. Diese Datenbasis umfasst Geobasisdaten<br />
als grundlegende Referenz raumbezogener Sachverhalte<br />
und Beziehungen, relevante Fachdaten z. B. zur Landnutzung<br />
und statistische Daten (INFAS Geodaten, 2001) zur<br />
Demographie, Gebäudecharakteristik, Kaufkraft etc. Sie<br />
sind wesentliche Grundlage für die Arbeiten der einzelnen<br />
Teilprojekte (vgl. Abb. 1).<br />
Abschätzung der Vermögenswerte von Wohngebäuden in<br />
Deutschland<br />
Während Eingangsdaten und Methoden der Gefährdungs-<br />
und Vulnerabilitätsanalysen für die verschiede-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
143
144<br />
nen Naturgefahren variieren, muss für einen konsistenten<br />
Vergleich von Risiken eine einheitliche Datenbasis<br />
über die potenziell exponierten Werte verwendet werden.<br />
Um Vermögenswerte der Wohngebäude in ganz Deutschland<br />
zu ermitteln, wurde eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe<br />
gebildet. Diese entwickelte eine Methode zur<br />
Abschätzung der Wohngebäudewerte auf Basis von Normalherstellungskosten<br />
(NHK), INFAS-Geodaten zur<br />
Anzahl und Art der Gebäude pro Gemeinde und weiteren<br />
statistischen Daten, z. B. den Wohnflächen pro Landkreis.<br />
In einem ersten Berechnungsschritt wurde für die Gebäude<br />
nach Angaben von INFAS die Wohnfläche pro Gebäudetyp<br />
und Gemeinde mit Hilfe von Daten des Bundesamtes<br />
für Bauswesen und Raumordnung (BBR, 2003) und<br />
des Statistischen Bundesamtes (<strong>2004</strong>) berechnet. In einem<br />
zweiten Schritt wurde die Wohnfläche pro INFAS-Gebäudetyp<br />
auf NHK-Gebäudetypen aufgeteilt. Danach wurden<br />
mit Hilfe der Normalherstellungskosten (BMVBW, 2001)<br />
und der Korrekturfaktoren pro Bundesland und Gemeindegröße<br />
monetäre Größen pro Gebäudetyp und Gemeinde<br />
ermittelt (s. Kleist et al., 2006).<br />
Mit diesem Ansatz wurden Berechnungen für ganz Deutschland<br />
durchgeführt, d. h. pro Gemeinde liegt ein Wert für<br />
das Gesamtwohnvermögen und das Pro-Kopf-Wohnvermögen<br />
vor. Abb. 3 zeigt die geographische Verteilung des<br />
Pro-Kopf-Wohnvermögens in Deutschlands Gemeinden<br />
für das Referenzjahr 2000. Das mittlere Pro-Kopf-Wohnvermögen<br />
beträgt 42.820 €, wobei ein deutlicher Nord-<br />
Süd-Unterschied zu erkennen ist.<br />
Da für die meisten Risikoanalysen Aussagen auf<br />
Gemeindeebene für eine Verschneidung mit Gefährdungsszenarien<br />
zu grob sind, wurde außerdem eine Disaggregierung<br />
der Wohngebäudewerte innerhalb der<br />
Gemeindegrenzen auf Basis der CORINE-Landnutzungsdaten<br />
vorgenommen. Mit dem verwendeten Ansatz<br />
von Gallego (2001) kann die Bevölkerung pro Gemeinde<br />
wie folgt auf CORINE-Landnutzungselemente verteilt<br />
werden:<br />
Xm = ∑ ScmYcm c<br />
Y cm = U cW m<br />
Abb. 3: Pro-Kopf-Wohnvermögen auf Gemeindeebene in Deutschland<br />
(Angabe in [€/Einwohner] für das Referenzjahr 2000).<br />
Per-Capita Asset Value of residential buildings at the community level in<br />
Germany (Data are given in [€/Inhabitant] for the reference year 2000).<br />
(4)<br />
(5)<br />
X m: Bevölkerung in Gemeinde m<br />
S cm: Fläche der Landnutzungsklasse c in Gemeinde m<br />
Y cm: Bevölkerungsdichte in Landnutzungsklasse c in<br />
Gemeinde m<br />
U c: Quasi-Median der Bevölkerungsdichte in Landnutzungsklasse<br />
c (iterativ ermittelt)<br />
W m: Korrekturfaktor für Gemeinde m<br />
Die Bevölkerungsdichte U c wurde von Gallego (2001) für<br />
sechs Landnutzungsklassen und drei verschiedene Gemeindetypen<br />
ermittelt. Für die korrekte Wiedergabe der<br />
Gesamtbevölkerung pro Gemeinde ist für<br />
jede Gemeinde der Korrekturfaktor W m<br />
zu bestimmen.<br />
Für die Disaggregierung wurden Gemeindegrenzen<br />
und CORINE-Landnutzungsklassen<br />
verschnitten. Jedem CO-<br />
RINE-Element wurde die entsprechende<br />
Bevölkerungsdichte Y cm zugewiesen.<br />
Durch Multiplikation von Bevölkerungsdichte<br />
und der Fläche des Elementes<br />
konnte die Gesamtbevölkerung in diesem<br />
Element ermittelt werden. Das Wohnvermögen<br />
des Elementes wurde bestimmt,<br />
indem die Bevölkerung mit dem Pro-<br />
Kopf-Wohnvermögen der zugehörigen<br />
Gemeinde multipliziert wurde. Abschließend<br />
wurde ein spezifisches Wohnvermögen<br />
in [€/m 2 ] berechnet, indem das<br />
Wohnvermögen des Elementes durch die<br />
Fläche des Elementes dividiert wurde. Die<br />
resultierende Karte kann schließlich mit<br />
Gefährdungsszenarien verschnitten werden,<br />
um exponierte Werte zu bestimmen.<br />
Abb. 4 zeigt das auf Gemeindeebene<br />
aggregierte bzw. das mit den Landnutzungsdaten<br />
CORINE disaggregierte Einheitswohnvermögen<br />
[€/m 2 ] in Deutschland.<br />
Durch die Disaggregierung kann die<br />
räumliche Verteilung des Wohnvermögens<br />
besser dargestellt werden. Bei einer<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4:A: Choroplethenkarte des auf Gemeindeebene aggregierten Einheitswohnvermögens in Deutschland B: Dasymetrische<br />
Karte des Wohnvermögens, d. h. mit Landnutzungsdaten disaggregiertes Einheitswohnvermögen. Die Werte<br />
sind in €/m 2 angegeben (Referenzjahr: 2000).<br />
A: Choroplethic map of unit assets of residential buildings per community in Germany. B: Dasymetric map of unit<br />
assets of residential buildings by use of CORINE land cover data. Data are given in €/m 2 (Reference year: 2000).<br />
Verschneidung mit Gefährdungsszenarien liefern die<br />
räumlich disaggregierten Werte genauere Ergebnisse<br />
(Thieken et al., 2006). Die Karten in Abb. 3 und Abb. 4<br />
werden als Eingangsdaten für die Risikoanalyse der einzelnen<br />
Naturgefahren verwendet.<br />
Risikoanalysen für verschiedene Naturgefahren<br />
Risikoanalyse Erdbeben<br />
Internationale Erfahrungen, einschließlich tragischer<br />
Lektionen aus den großen Erdbeben der jüngsten Vergangenheit<br />
zeigen, dass sich das seismische Risiko durch<br />
das weltweit zunehmende Wachstum von Ballungsräumen<br />
rapide erhöht. Adäquate Gegenmaßnahmen zur Risikominderung<br />
werden bisher nur in unzureichendem Ausmaß<br />
getroffen. Weitgehend unterschätzt wird das Erdbebenrisiko<br />
in Ländern mit niedriger und mittlerer seismischer<br />
Aktivität, da in Betracht zu ziehen ist, dass das Risiko nicht<br />
nur vom Gefährdungsgrad abhängig ist, sondern insbesondere<br />
auch von der Gesamtsumme der gefährdeten von<br />
Menschen geschaffenen Werte und ihrer Schadensanfälligkeit<br />
gegenüber seismischen Einwirkungen.<br />
In seismisch gefährdeten Gebieten zu leben bedeutet, dass<br />
die seismische Gefährdung unabwendbar ist. Es ist unmöglich,<br />
diese Naturgefährdung zu vermindern. Die Bereitstellung<br />
von verlässlichen seismologischen und ingenieur-seismologischen<br />
Informationen für Planungs- und<br />
Konstruktionszwecke als Ergebnis von Erdbebengefährdungeinschätzungen<br />
stellt einen wichtigen Faktor dar, der<br />
zur Leistungsfähigkeit von Risikomanagementprogrammen<br />
beiträgt. Zur Methodik von Erdbebengefährdungseinschätzungen<br />
hat sich in den letzten Jahren ein grundlegender<br />
Wandel vollzogen, angesichts dessen jegliche<br />
früheren Einschätzungen der Erdbebengefährdung einer<br />
dringenden Revision bedürfen.<br />
Das Teilprojekt „Erdbebenrisiko“ setzt sich zusammen aus<br />
der Gruppe von Mitarbeitern der Sektion 5.3 des Geo-<br />
ForschungsZentrums Potsdam, die schwerpunktmäßig die<br />
Gefährdungsaspekte bearbeitet, und der Gruppe der Universität<br />
Karlsruhe (TH), die in ständigem Dialog mit der<br />
<strong>GFZ</strong>-Gruppe die Bau- und Schadensaspekte analysiert.<br />
Als gemeinsames Produkt beider Teams entsteht eine Erdbeben-Risikokarte<br />
für Deutschland.<br />
Die Erdbebengefährdung wurde auf Basis der existierenden<br />
D-A-CH-Karte für eine Nicht-Überschreitungswahrscheinlichkeit<br />
von 90 % in 50 Jahren abgeleitet (Grünthal<br />
et al., 1998). Weiterhin wurden Vulnerabilitätsverteilungsmodelle<br />
für ausgewählte repräsentative Kommunen mit<br />
unterschiedlichen Einwohnerzahlen konstruiert. Dafür<br />
wurden Schadens-Wahrscheinlichkeits-Matrizen sowie<br />
Fragilitäts- und Vulnerabilitätskurven für unterschiedliche<br />
Gebäudetypen entsprechend der Vulnerabilitätsklassifikation<br />
der Europäischen Makroseismischen Skala<br />
EMS-98 erstellt (Grünthal, 1998) und auf die INFAS-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
145
146<br />
Daten zum Gebäudebestand angewendet. Diese Auswertungen<br />
lieferten die Basis für Schadenskurven für Kommunen<br />
unterschiedlicher Größe sowie für Abschätzungen<br />
von potentiellen Schadensverteilungen abhängig vom seismischen<br />
Input.<br />
Mit diesem Ansatz wurden potentielle Schäden am<br />
existierenden Gebäudebestand von Kommunen in ganz<br />
Deutschland analysiert, und die räumliche Verteilung des<br />
Risikopotentials für das Gesamtgebiet Deutschlands<br />
wurde aus der Kombination von seismischer Gefährdung,<br />
Vulnerabilitäten des Gebäudebestands und den Werten der<br />
gefährdeten Gebäude grob abgeschätzt.<br />
Die wichtigsten Ergebnisse und Karten des Teilprojektes<br />
„Erdbebenrisiko“ sind in Wahlström et al. (<strong>2004</strong>), Tyagunov<br />
et al. (2006) sowie im Teilbericht der Sektion 5.3<br />
in diesem Berichtband ausführlich dargestellt.<br />
Insgesamt wurde in diesem Projekt eine Methodik zur groben<br />
Abschätzung der Erdbebengefährdung sowie der seismischen<br />
Schäden entwickelt. Die gewonnenen Resultate<br />
zeigen die Anwendbarkeit des entwickelten Ansatzes hinsichtlich<br />
der Erdbebenrisikoanalyse im regionalen und<br />
nationalen Maßstab. Mit einigen Modifikationen kann die<br />
Methodik für die Schadens- und Verlustabschätzung für<br />
einzelne seismische Ereignisse und die Entwicklung von<br />
Erdbebenszenarien verwendet werden.<br />
Auf der Grundlage der gesammelten Informationen über<br />
den Gebäudebestand der ausgewählten repräsentativen<br />
Kommunen wurden die Vulnerabilitätsstrukturmodelle<br />
für fünf Bevölkerungsklassen zusammengestellt. Es wird<br />
angenommen, dass diese Modelle repräsentativ und anwendbar<br />
auf alle Kommunen in erdbebengefährdeten<br />
Gebieten Deutschlands sind. Die Ergebnisse der Abstimmung<br />
zeigen, dass die Modelle zur groben Abschätzung<br />
der monetären Verluste bei zukünftigen Erdbeben verwendet<br />
werden können.<br />
Aus den Arbeiten sind folgende Karten entstanden:<br />
• Eine Karte des spezifischen Schadens (mean damage<br />
ratio) für den vorhandenen Gebäudebestand deutscher<br />
Kommunen wurde produziert.<br />
• Eine Karte der Verteilung des Erdbebenrisikopotentials<br />
für das Territorium der Bundesrepublik Deutschland<br />
wurde als Kombination aus der Erdbebengefährdung<br />
und Vulnerabilität von Bauwerken sowie den<br />
Gebäudewerten erstellt.<br />
Die erzielten Ergebnisse entsprechen dem betrachteten<br />
Erdbebengefährdungsniveau für eine Nichtüberschreitenswahrscheinlichkeit<br />
von 90 % in 50 Jahren. Die Karten<br />
stellen eine erste Näherung zur Abschätzung der Erdbebenrisikoverteilung<br />
in Deutschland dar.<br />
Von Erdbeben betroffene Gebiete nehmen beträchtliche<br />
Teile Deutschlands ein. Die besonders von Erdbeben betroffenen<br />
Gebiete sind teils dicht besiedelt, industrialisiert und<br />
weisen eine hohe Konzentration an Infrastruktur auf mit<br />
besonderer Herausforderung für künftige Katastrophenvorsorgemaßnahmen<br />
und Risikominderungsaktivitäten.<br />
Für Deutschland stellt sich das typische Problem, dass kleine<br />
Eintreffenswahrscheinlichkeiten potentiell schwerwiegende<br />
finanzielle Verluste hervorrufen. Dadurch sind Erdbeben-Risikoanalysen<br />
unentbehrlich für Planer, Versicherer<br />
und Entscheidungsträger zur Vorsorge bei möglichen<br />
künftigen seismischen Ereignissen größeren Ausmaßes,<br />
wie diese in der Historie mehrfach aufgetreten sind. Hinsichtlich<br />
der Karten und weiterer Details zur Erdbebenrisikokartierung<br />
Deutschlands sei auf die Berichterstattung der<br />
Sektion 5.3 in diesem Berichtband verwiesen.<br />
Ermittlung des Sturmschadensrisikos für Wohngebäude<br />
in Deutschland und Erstellung einer hochaufgelösten<br />
Risikokarte<br />
Winterstürme fordern in Deutschland Jahr für Jahr Tote<br />
und Verletzte und verursachen insbesondere an Wohngebäuden<br />
Schäden in mehrstelliger Millionenhöhe. Laut<br />
Versicherungswirtschaft stellt Sturm in unseren Breitengraden<br />
die teuerste Naturgefahr dar, und es muss in Hinblick<br />
auf den Klimawandel mit intensiveren und häufigeren<br />
Stürmen gerechnet werden.<br />
Die Quantifizierung des Sturmschadensrisikos (Schadenserwartungswerte)<br />
ist für Vorsorge, Anpassungs- und<br />
Bewältigungsmaßnahmen unerlässlich. Im vorliegenden<br />
Vorhaben wird deshalb eine Sturmschadensrisikokarte für<br />
Wohngebäude für ganz Deutschland erstellt. Eine solche<br />
bundesweite Risikokartierung wurde bisher noch nicht<br />
durchgeführt und verlässliche Angaben über das Sturmrisiko<br />
in hoher räumlicher Auflösung fehlen gänzlich.<br />
Das Projekt besteht aus zwei eng miteinander verzahnten<br />
Teilprojekten. Das Teilprojekt am Institut für Meteorologie<br />
und Klimaforschung (Universität Karlsruhe/Forschungszentrum<br />
Karlsruhe) befasst sich mit der Sturmgefährdung;<br />
am Laboratorium für Gebäude- und Umweltaerodynamik<br />
des Instituts für Hydromechanik (Universität<br />
Karlsruhe) werden die Berechnungen zur Vulnerabilität<br />
von Gebäudestrukturen und zum Sturmschadensrisiko<br />
durchgeführt.<br />
Die Ziele des Projekts sind, ein Verfahren zur bundesweiten<br />
Abschätzung des Sturmschadensrisikos in hoher räumlicher<br />
Auflösung zu entwickeln, Sturmgefährdungskarten<br />
für beliebige Überschreitungswahrscheinlichkeiten mit<br />
einer Auflösung von 1 x 1 km 2 zu erstellen sowie die Schadensanfälligkeit<br />
von existierenden Wohngebäuden zu<br />
modellieren.<br />
Im Projekt wurden folgende Arbeiten durchgeführt:<br />
Mit Hilfe von Wetterdaten des Deutschen Wetterdienstes<br />
(DWD) wurden die stärksten Sturmereignisse der letzten<br />
30 Jahre detektiert. Für die räumlich hoch aufgelöste<br />
Starkwindsimulation dieser Sturmereignisse wurde das<br />
numerische Modell KAMM (Karlsruher Atmosphärisches<br />
Mesoscaliges Modell) modifiziert. Die Anfangsfelder<br />
für das Modell wurden mittels eines Tools aus<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
ERA-40 Daten des ECMWF gewonnen. Mit extremwertstatistischen<br />
Methoden wurde dann an jedem Punkt des<br />
1 km x 1 km Rasters eine Verteilungsfunktion (Gumbel)<br />
angepasst, mit der Aussagen über die Auftretenswahrscheinlichkeiten<br />
bestimmter Windgeschwindigkeiten an<br />
einem bestimmten Ort gemacht werden können.<br />
Die Vulnerabilität von privaten Wohngebäuden wurde mit<br />
Schadensfunktionen abgeschätzt. Dazu wurde ein theoretisches<br />
Modell erstellt und mit Schadensdaten vergangener<br />
Sturmereignisse der SV-Gebäudeversicherung Baden-<br />
Württemberg kalibriert und validiert. Dieses Modell ermöglicht<br />
die Berechnung der Anzahl der betroffenen<br />
Gebäude und der Schadenshöhe innerhalb einer Gemeinde<br />
in Abhängigkeit der Windgeschwindigkeiten und der<br />
Ortslage.<br />
Die Verknüpfung von Sturmgefährdung, Vulnerabilität<br />
und betroffenen Werten resultiert in der Risikoabschätzung.<br />
Dazu wurden mit Hilfe von Monte-Carlo-Methoden<br />
für jede Gemeinde spezifische Schadens-Häufigkeitskurven<br />
(Risikokurven) erstellt. Es lassen sich für jährliche<br />
Überschreitenswahrscheinlichkeiten bis pmin = 0,005<br />
(das entspricht einer mittleren Wiederkehrperiode von<br />
200 Jahren) die zu erwartenden Schäden inklusive einer<br />
Angabe der Unsicherheiten ablesen.<br />
Mit dieser Vorgehensweise konnten folgende Ergebnisse<br />
erzielt werden:<br />
Die Starkwindgefährdungskarte für Baden-Württemberg<br />
(Abb. 5) veranschaulicht die stark von den orographischen<br />
Gegebenheiten geprägte Gefährdung im südwestdeutschen<br />
Raum. Diese führen zu großen räumlichen Unterschieden<br />
in der Auftretenswahrscheinlichkeit bestimmter Windgeschwindigkeiten.<br />
Windgeschwindigkeiten von 45 m/s, die<br />
am Feldberg in fast jedem Jahr auftreten, erwartet man in<br />
Freiburg nur alle 200 Jahre. Allgemein liegen die Werte in<br />
dem zu erwartenden Bereich. Während Geschwindigkeitsmaxima<br />
an Flanken, Kanten und Kuppen auftreten, befinden<br />
sich die Minima meist in kleinen und engen Tälern.<br />
Das Schadensrisiko für bestimmte Gebiete innerhalb<br />
Baden-Württembergs ist in Abbildung 6 dargestellt. Die<br />
statistisch am stärksten betroffenen Gebiete liegen entlang<br />
des östlichen Schwarzwaldes und der nord-westlichen<br />
Schwäbischen Alb.<br />
Des Weiteren wurden fiktive Sturmszenarien berechnet.<br />
Bei einem Sturmszenario mit 10 % höheren Windgeschwindigkeiten<br />
als beim Orkan „Lothar“ (26. 12. 1999)<br />
muss für Baden-Württemberg mit der dreifachen Schadenshöhe<br />
und der doppelten Anzahl der betroffenen<br />
Gebäude gerechnet werden.<br />
Methodenentwicklung für eine verbesserte Hochwasserrisikoabschätzung<br />
Trotz der Tatsache, dass Hochwasserereignisse natürliche<br />
Erscheinungen sind, die schon immer aufgetreten sind und<br />
auch zukünftig immer wieder auftreten werden, ist in den<br />
Abb. 5: Starkwindgefährdungskarte für Baden-Württemberg.<br />
Dargestellt ist die Böenwindgeschwindigkeit die mit<br />
einer jährlichen Wahrscheinlichkeit von 2 % erreicht oder<br />
überschritten wird.<br />
Storm hazard map for Baden-Württemberg. The map<br />
shows the wind gust velocity which is equaled or exceeded<br />
with an annual probability of 2 %.<br />
Abb.6:Sturmschadensrisikokarte für Baden-Württemberg.<br />
Dargestellt ist der Schaden, der mit einer jährlichen Wahrscheinlichkeit<br />
von 1 % erreicht oder überschritten wird.<br />
Storm damage risk map for Baden-Württemberg. The<br />
map shows the damage which is equaled or exceeded with<br />
an annual probability of 1 %.<br />
letzten Jahrzehnten ein Anstieg der durch Hochwasser verursachten<br />
Schäden zu verzeichnen. Ein wesentlicher Faktor<br />
ist hierbei die Siedlungsentwicklung der letzten Jahre<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
147
148<br />
Abb. 7a, b: Schäden an der Verkehrsinfrastruktur durch Hochwassereinwirkung (Bulgarien, Juli <strong>2005</strong>, Fotos: A. Thieken,<br />
<strong>GFZ</strong>)<br />
Damage to public infrastructure caused by a severe flood event (Bulgaria, July <strong>2005</strong>)<br />
und Jahrzehnte, die zu einem ständigen Wertezuwachs in<br />
gewässernahen Bereichen geführt hat. In Deutschland verursachten<br />
zum Beispiel die Rheinhochwasser der Jahre<br />
1993 und 1995 insgesamt 810 Mio. €, das 1997er Oderhochwasser<br />
330 Mio. €, das Pfingsthochwasser 1999 an<br />
der Donau 412 Mio. € und das Augusthochwasser 2002<br />
an der Elbe und Donau 11.800 Mio. € Schaden (Kron,<br />
<strong>2004</strong>). Der Bedarf an verbesserten Methoden zur Einschätzung<br />
des Hochwasserrisikos und an räumlichen<br />
Daten, insbesondere an Gefahren- und Risikokarten, für die<br />
Verbesserung des Risikomanagements ist offensichtlich.<br />
Somit lag der Fokus des Teilprojektes „Hochwasserrisiko“<br />
auf der Entwicklung verbesserter Methoden zur Gefahrenund<br />
Vulnerabilitätsabschätzung sowie der Hochwasserrisikokartierung.<br />
Die Methodenentwicklung und ihre Implementierung<br />
in operationelle Werkzeuge wurden in ausgewählten<br />
Testgebieten durchgeführt. Die entwickelten Methoden<br />
sind auf andere Flüsse übertragbar (Abb. 7a,b).<br />
Entsprechend dem Konzept der Risikoanalyse (vgl. Abb. 2)<br />
wird der Bereich Hochwasser in den Teilprojekten „Hydrologie“,<br />
„Hydraulik“, „mikroskalige Schadenabschätzung“<br />
(Institut für Wasserwirtschaft und Kulturtechnik der Universität<br />
Karlsruhe) und „mesoskalige Schadenabschät-<br />
zung“ (Sektion Ingenieurhydrologie am GeoForschungs-<br />
Zentrum Potsdam) bearbeitet.<br />
In der Hydrologie wurde das Regionalisierungsmodell für<br />
Hochwasserabfluss-Kennwerte in Baden-Württemberg<br />
(LfU, 1999; 2001) für den Extrembereich, das heißt für<br />
Wiederkehrintervalle zwischen 200 und 10.000 Jahren,<br />
erweitert. Die Validierung erfolgte durch den Vergleich der<br />
berechneten Hochwasserabfluss-Kennwerte mit den Ergebnissen<br />
extremwertstatistischer Analysen an verfügbaren<br />
Pegelstellen und mit den Ergebnissen einer Niederschlags-Abflussmodellierung<br />
im Einzugsgebiet der Fils.<br />
Im hydraulischen Teil des Projektes wurde als Referenzszenario<br />
für Extremereignisse das Hochwasser im Jahr<br />
1824 am Neckar modelliert, und das Hochwassersimulationsmodell<br />
Neckar für Extremsituationen erweitert. Die<br />
Unsicherheiten in der Berechnung der Wasserstände und<br />
als Folge auch die Auswirkungen auf die berechneten<br />
Hochwasserschäden wurden analysiert.<br />
Für die mikroskalige Schadenabschätzung wurde auf<br />
Basis des Hochwassersimulationsmodells für den Neckar<br />
eine spezifische Modellkomponente zur Schadenabschät-<br />
Abb. 8: Mittlere Schadensätze für Wohngebäude und Hausrat für verschiedene Teildatensätze<br />
Mean damage ratios of buildings and contents for different sub-samples<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 9: Mittlere Wohngebäudezusammensetzung in Deutschland<br />
Mean residential building structure in Germany<br />
zung entwickelt, so dass ein praktisches, GIS-basiertes<br />
Tool zur Hochwasserschadenanalyse bereitgestellt werden<br />
konnte. Da Voruntersuchungen gezeigt hatten, dass<br />
die Variabilität in den Schadendaten und somit die Unsicherheit<br />
bei der Schadenabschätzung um so geringer wird,<br />
je mehr spezifizierende Einflussfaktoren berücksichtigt<br />
werden, wurde für die mesoskalige Schadenabschätzung<br />
ein multifaktorielles regelbasiertes Schadenabschätzungsmodell<br />
entwickelt.<br />
Um die Zusammenhänge zwischen den Ereignisfaktoren<br />
und dem resultierenden Schaden besser zu verstehen, und<br />
daraus ein multifaktorielles Schadensmodell für private<br />
Haushalte zu entwickeln, wurden zunächst<br />
Schadendaten nach dem Hochwasser<br />
2002 analysiert, die wichtigsten<br />
schadenbeeinflussenden Faktoren identifiziert<br />
und Indikatoren, z. B. für Hochwasservorsorge<br />
und Kontamination gebildet.<br />
Als wichtige Faktoren wurden der<br />
Wasserstand, der Gebäudetyp, die Gebäudequalität,<br />
Vorsorge und Kontamination<br />
identifiziert. Die 1697 Einzelschäden wurden<br />
zunächst in Teildatensätze eingeteilt,<br />
entsprechend den Faktoren Wasserstand<br />
(bis 20 cm, 21 bis 60 cm, 61 bis 100 cm,<br />
101 bis 150 cm, über 150 cm), Gebäudetyp<br />
(Einfamilienhaus, Reihen-/Doppelhaus,<br />
Mehrfamilienhaus) und Gebäudequalität<br />
(mittel, sehr gut). Da nicht alle<br />
Teildatensätze für „sehr gute Gebäude-<br />
qualität“ besetzt waren, wurden die statistischen<br />
Kenngrößen für die mittlere Gebäudequalität<br />
berechnet, und für die sehr<br />
gute Gebäudequalität wurden durchschnittliche<br />
„Aufschläge“ (Skalierungsfaktoren)<br />
abgeschätzt (Abb. 8). Entsprechend<br />
wurden auch Zu- und Abschläge<br />
(Skalierungsfaktoren) für die Fälle<br />
„keine Kontamination – keine Vorsorge“,<br />
bis „keine Kontamination – sehr gute Vorsorge“<br />
und „starke Kontamination – keine<br />
Vorsorge“ berechnet. Um diese auf einzelne<br />
Gebäude bezogenen Werte auf<br />
die Mesoskala zu übertragen, wurde die<br />
Wohngebäudestruktur mit Hilfe der<br />
INFAS-GEOdaten (2001) analysiert und<br />
in fünf Typen unterteilt (Abb. 9). Für jede<br />
Kombination von Einflussfaktoren in den<br />
fünf Gebäudestrukturtypen werden mittlere<br />
Schadenssätze berechnet, was die<br />
deutschlandweite Anwendung des Schadenmodells<br />
ermöglicht.<br />
Zusammenführung der Ergebnisse<br />
im CEDIM Risk Explorer<br />
Um alle Projektergebnisse einheitlich<br />
aufzubereiten und in einem System zu<br />
veröffentlichen, wurde ein Konzept für<br />
einen internetbasierten Kartenservice<br />
erarbeitet. Dafür wurde zunächst die vorhandene Client-<br />
Server-Struktur des CEDIM Data Center (s. o.) genutzt<br />
und parallel zum bestehenden Geodatenservice ein neuer<br />
Kartenservice „CEDIM Risk Explorer“ aufgesetzt, der<br />
ebenfalls auf dem Internet Map Service ArcIMS von ESRI<br />
beruht (Abb. 10). Für den Kartenservice wurde eine der<br />
neuen Bestimmung angepasste grafische Oberfläche<br />
erzeugt. Außerdem wurden die Funktionalitäten angepasst<br />
und z. B. um eine Druckfunktion ergänzt.<br />
Die in CEDIM erarbeiteten Karten werden im CEDIM<br />
Risk Explorer nach Gefahren-, Vulnerabilitäts- und Risikokarten<br />
sowie nach den Katastrophentypen eingeteilt.<br />
Abb. 10: Client-Server-Struktur des digitalen Risikoatlas (Prototyp)<br />
Client-Server-Structure of the digital risk atlas (Prototype)<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
149
150<br />
Abb. 11: Gestaltung des „CEDIM Risk Explorer“ Inhaltsverzeichnis, Kartenfenster, Werkzeugleiste<br />
Layout of the CEDIM Risk Explorer – table of contents, map window, toolbar<br />
Einzelne Karten können für die Visualisierung ausgewählt<br />
und miteinander kombiniert werden. Die Abb. 11 zeigt ein<br />
Beispiel. Durch das Software Tool „CEDIM Risk Explorer“<br />
wurde ein nutzerorientiertes Werkzeug geschaffen,<br />
mit dem zukünftige Daten und Ergebnisse verschiedener<br />
CEDIM-Projekte konsequent aufgenommen und dargestellt<br />
werden können.<br />
Ausblick<br />
Im CEDIM-Projekt „Risikokarte Deutschland“ wurden<br />
neue Methoden zur großskaligen Abschätzung von Risiken<br />
durch die Naturgefahren Erdbeben, Sturm und Hochwasser<br />
entwickelt. Diese erlauben es, regionale Gefahrenund<br />
Risikokarten zu erstellen. Während die Arbeiten im<br />
Teilprojekt „Erdbebenrisiko“ weitgehend abgeschlossen<br />
sind, wird im Teilprojekt „Sturmrisiko“ das Verfahren, das<br />
für Baden-Württemberg entwickelt wurde, weiter vereinfacht,<br />
damit es auf ganz Deutschland angewendet werden<br />
kann. Für die Abschätzung des Hochwasserrisikos liegt<br />
ein mesoskaliges Schadenmodell vor, dass es erlaubt,<br />
großräumige Schadenabschätzungen durchzuführen. Aufgrund<br />
der Komplexität der Prozesse und der erforderlichen<br />
Genauigkeit ist die Erstellung großräumiger Hochwasserszenarien<br />
eine zukünftige Aufgabe dieses Teilprojektes.<br />
Wenn für alle Naturgefahren großräumige Abschätzungen<br />
vorliegen, kann ein quantitativer Vergleich der drei<br />
Naturgefahren für Deutschland durchgeführt werden.<br />
Literatur:<br />
BBR (Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung): INKAR 2003 – Indikatoren<br />
und Karten zur Raumentwicklung 2003, CD-ROM, Bonn, 2003.<br />
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Büchele, B., Kreibich, H., Kron, A., Thieken, A.H., Ihringer, J., Oberle, P., Merz,<br />
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Tallinn, Estonia, Working Paper No. 21, 1-10, 2001.<br />
Grünthal, G. (Editor): 1998, European Macroseismic Scale 1998 (EMS-98),<br />
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99 pp., Luxembourg.<br />
Grünthal, G., Mayer-Rosa, D. and Lenhardt, W. A.: 1998, Abschätzung der Erdbebengefährdung<br />
für die D-A-CH-Staaten – Deutschland, Österreich, Schweiz,<br />
Bautechnik 75, 10, 753-767.<br />
Grünthal, G., Thieken, A.H., Schwarz, J., Radtke, K., Smolka, A., Merz, B.: Comparative<br />
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– Natural Hazards, 38(1-2): 21-44, DOI: DO00018598, 2006.<br />
Heneka, P., Hofherr, T., Ruck, B., Kottmeier, Ch : Development of a striom damage<br />
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– Submitted to NHESS, 2006.<br />
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assessment for Germany, Submitted to NHESS, 2006.<br />
Köhler, P., Müller, M., Sanders, M., Wächter, J.: Data management and GIS in<br />
CEDIM: From integrated spatial data to the mapping of risk. – Submitted to<br />
NHESS, 2006.<br />
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LfU (Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg): Hochwasserabfluss-<br />
Wahrscheinlichkeiten in Baden-Württemberg. Oberirdische Gewässer/Gewässerökologie<br />
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LfU (Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg): Hochwasserabfluss-<br />
Wahrscheinlichkeiten in Baden-Württemberg – CD. Oberirdische Gewässer/<br />
Gewässerökologie 69, Karlsruhe, 2001.<br />
Merz, B., A.H. Thieken: Flood risk analysis: Concepts and challenges. – Österreichische<br />
Wasser- und Abfallwirtschaft, 56(3-4): 27-34, <strong>2004</strong>.<br />
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Thieken, A.H., M. Müller, L. Kleist, I. Seifert, D. Borst, U. Werner: Regionalisation<br />
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Tjagunov, S., G. Grünthal, R. Wahlström, L. Stempniewski, J. Zschau: Seismic risk<br />
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Wahlström, R., S. Tjagunov, G. Grünthal, L. Stempniewski, J. Zschau, M. Müller<br />
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In : Malzahn, D. & T. Plapp (Hrsg.): Disasters and Society – from Hazard Assessment<br />
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<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
151
152<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Das Industrie-Partnerschaftprogramm (IPP):<br />
Internationale Kooperation zur Erforschung<br />
von Kohlenwasserstoffsystemen<br />
Brian Horsfield, Volker Dieckmann, Rolando di Primio, Heinz Wilkes, Andrea Vieth<br />
Global energy requirements are growing rapidly driven mainly by the industrialisation of third world countries. The<br />
increasing energy demand is still being largely covered by fossil fuels, although it is evident that new energy sources<br />
will be required in the future. Improving petroleum exploration efficiency and recovery rates are, hence, of critical<br />
importance in ensuring the supply of fossil fuels. Additionally, growing environmental concerns and energy saving policies<br />
require a focus on clean energy sources. With that perspective in mind, finding high quality petroleum and especially<br />
natural gas is of major interest, as evident from the European Union programme supporting research on the formation<br />
and production of conventional and non-conventional gas reservoirs.<br />
The Industry Partnership Programme (IPP) at <strong>GFZ</strong> Potsdam offers the petroleum industry the possibility to work towards<br />
achieving these goals by actively participating in our research programme. The main principle here is not to offer research<br />
on demand, but to co-operatively define areas of scientific collaboration. Such an industry involvement in research<br />
is of special interest for the field Fluid Dynamics and Basin Evolution, which is one of the three main research<br />
themes of our group. Our IPP projects focus on furthering the understanding of the processes controlling the generation,<br />
distribution and degradation of petroleum and are, hence, of direct relevance for the main goals of petroleum<br />
exploration. 12 companies are currently taking part in one or more projects. Participation in our IPP programme allows<br />
the petroleum industry to be actively involved in the forefront of research. Current ongoing projects include investigations<br />
on the prediction of petroleum phase and composition, the use of petroleum asphaltenes as a representative of<br />
source rock organic matter, the early generation of natural gas, and petroleum biodegradation in reservoirs.<br />
Energie und Umwelt<br />
Der globale Energiebedarf wächst kontinuierlich infolge<br />
zunehmender Industrialisierung in der Dritten Welt und<br />
der weltweiten Verbesserung des Lebensstandards. Dabei<br />
wird die Nachfrage auch weiterhin überwiegend durch<br />
fossile Energieträger gedeckt. In Deutschland werden<br />
80 % der benötigten Energie durch die Verbrennung von<br />
Erdgas, Erdöl und Kohle und nur 20 % durch Wasserkraft,<br />
Atom-, Wind-, Sonnen- und geothermische Energie bereitgestellt.<br />
Man geht davon aus, dass die Weltwirtschaft<br />
mindestens in den nächsten 50, wahrscheinlicher aber<br />
100 Jahren stark auf fossile Energieträger angewiesen sein<br />
wird. Nichtsdestoweniger wird immer klarer, dass etwa<br />
bis zum Jahre 2020 neue Energiequellen erschlossen werden<br />
müssen, da zu diesem Zeitpunkt die Nachfrage das<br />
abnehmende Angebot fossiler Energiequellen übersteigen<br />
wird. Europa im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen<br />
wegen seiner Pläne zum Ausstieg aus der Atomenergie<br />
müssen daher die Verfügbarkeit fossiler Energieträger<br />
sicherstellen, bis andere Energiequellen eine wettbewerbsfähige<br />
Alternative bieten. In der nahen Zukunft<br />
wird es darauf ankommen, die Explorations- und Produktionseffizienz<br />
insbesondere in Nicht-OPEC Ländern<br />
zu erhöhen. Weitere Informationen zu diesem Thema findet<br />
der Leser in einem kürzlich erschienenen Übersichtsartikel<br />
(Welte, <strong>2004</strong>).<br />
Neben dem Ziel, den industriellen Energiebedarf abzudecken,<br />
muss die moderne Kohlenwasserstoffexploration<br />
und -produktion in besonderer Weise die Bedürfnisse des<br />
Umweltschutzes und der nachhaltigen Nutzung von<br />
Ressourcen berücksichtigen. Aus dieser Perspektive ist<br />
der Fund stark schwefelhaltigen Öls im Gegensatz zu<br />
schwefelarmem Öl oder der Fund von Erdöl anstatt von<br />
Erdgas sehr unterschiedlich zu bewerten. Besonders zu<br />
erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass Erdgas als<br />
die saubere Energiequelle für das Europa des 21. Jahrhunderts<br />
angesehen wird, da es bei gleichem Energieinhalt<br />
im Vergleich zur Verbrennung von Kohle nur die Hälfte<br />
und im Vergleich zur Verbrennung von Erdöl nur zwei Drittel<br />
des Treibhausgases CO 2 freisetzt. Deshalb wurde die<br />
Forschungsförderung der Europäischen Union auf die<br />
Erforschung der Entstehung und Ausbeutung konventioneller<br />
und unkonventioneller Gaslagerstätten ausgerichtet.<br />
Partnerschaft mit der Industrie<br />
Das <strong>GFZ</strong> Potsdam beschäftigt sich mit gekoppelten Energie-<br />
und Umweltaspekten in seinem Industrie-Partnerschafts-Programm,<br />
kurz IPP, das durch die Unternehmen<br />
Wintershall und RWE-DEA aus Deutschland, ExxonMobil,<br />
Chevron und ConocoPhillips aus den USA, Petrobras<br />
Brasilien, BG Großbritannien, ENI-Agip Italien, Hydro<br />
und Statoil aus Norwegen, Shell Niederlande und Total<br />
Frankreich finanziert wird. Das seit drei Jahren laufende<br />
Programm ist weltweit eines der größten seiner Art.<br />
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich weltweit verschiedene<br />
Formen von Industriekooperationen entwi-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
153
154<br />
ckelt. In den meisten Fällen werden dabei<br />
Forschungsziele ausschließlich an den<br />
Bedürfnissen der Unternehmen ausgerichtet<br />
oder direkt von den Unternehmen<br />
vorgegeben. Dem breiten Spektrum an<br />
wissenschaftlichen Themen und dem<br />
Zusammenspiel verschiedener Disziplinen<br />
werden solche Kooperationen aber<br />
nicht gerecht, da oft nur einzelne, häufig<br />
tagesaktuelle Fragestellungen bearbeitet<br />
werden und keine langfristigen Strategien<br />
verfolgt werden können.<br />
Das IPP des <strong>GFZ</strong> Potsdam gründet sich<br />
hingegen auf einer partnerschaftlichen<br />
Zusammenarbeit. Die verschiedenen Forschungsprojekte<br />
sind in das Forschungsprogramm<br />
des <strong>GFZ</strong> eingebettet und sind<br />
somit Bestandteile unseres vordefinierten<br />
Gesamtforschungskonzepts. Die Ergebnisse<br />
sind nicht nur für die Unternehmen<br />
nutzbar, sondern führen oft zu entscheidenden<br />
Fortschritten in unserem<br />
Forschungsschwerpunkt „Fluidentwicklung<br />
und Dynamik sedimentärer Becken“.<br />
In Hinblick auf die Erdölindustrie wird<br />
Exploration mehr und mehr in Regionen<br />
betrieben, wo es zunehmend schwieriger<br />
wird, Erdöl und -gas zu finden. Gerade<br />
deshalb müssen alle chemischen, physikalischen<br />
und biologischen Prozesse, die<br />
die Entstehung, Migration, Lagerstättenbildung<br />
und den Abbau des Erdöls kontrollieren,<br />
äußerst präzise verstanden<br />
werden. Unsere IPP-Projekte werden vor<br />
allem deshalb in erheblichem Umfang<br />
durch die Industrie unterstützt, weil sie sich all diesen<br />
Themen unter Nutzung der aktuellsten und modernsten<br />
Forschungsansätze und Vorgehensweisen widmen.<br />
Forschung mit der (und nicht für die) Industrie ist eine entscheidende<br />
Komponente zum Erreichen unserer wissenschaftlichen<br />
Ziele. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Erstens<br />
eröffnet uns das IPP den Zugang zu wertvollem Probenmaterial<br />
und geologischer Information für unsere Forschung,<br />
die uns sonst nicht zur Verfügung stünden. Zweitens<br />
ermöglichen die finanziellen Mittel, die durch das<br />
IPP bereitstehen, jungen Wissenschaftlern, ihre Forschung<br />
als Postdocs fortzusetzen oder eine Doktorarbeit durchzuführen<br />
und sich so weiterzubilden. Und nicht zuletzt<br />
erhalten unsere jungen Wissenschaftler die nötigen Kontakte,<br />
um eine Karriere in der Industrie zu beginnen.<br />
Ein zweites wichtiges Element unserer IPP Aktivitäten ist<br />
neben der Forschung die Ausbildung. <strong>GFZ</strong>-Schulen, die<br />
unter der Schirmherrschaft des Marie-Curie-Centre of<br />
Excellence Eurobasin durchgeführt werden, beinhalten<br />
Lehrangebote, die Mitarbeiter aus der Industrie, der akademischen<br />
Forschung und Studenten auf den neuesten<br />
Stand bringen und als Ergänzung der Forschungsakti-<br />
Abb. 1: Die Deckung des Energiebedarfs wird zunehmend schwieriger. Um<br />
die Erfolgsaussichten zu verbessern, oder, in anderen Worten, um das Explorationsrisiko<br />
zu minimieren, ist die Erdölindustrie bestrebt, über konzeptionelle<br />
und technische Fortschritte auf dem Laufenden zu bleiben und neue<br />
Schlüsseltechnologien in die tägliche Praxis zu implementieren. „Den<br />
aktuellen Kenntnisstand erreichen“, „das neue Knowhow innerhalb der<br />
Firma anwenden“ und „auf dem Stand bleiben“ sind die drei wesentlichen<br />
Entwicklungsstufen, an denen das <strong>GFZ</strong> Potsdam und seine Kooperationpartner<br />
beteiligt sind. Das Industrie Partnerschaft Programm (IPP) ist das<br />
Forschungsportal des <strong>GFZ</strong>, das hochaktuelle Ansätze in die Industrie vermittelt.<br />
Replenishing energy reserves is becoming more and more difficult. In order<br />
to enhance the chance of success, in other words to minimize the exploration<br />
risk, the petroleum industry seeks to keep abreast of emerging conceptual<br />
and technical advances, and implement key elements into its business<br />
practice. „Getting up to date“, „Applying knowledge within the company“<br />
and „Staying up to date“ are the three stages of development. <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
and its cooperation partners are involved in all three. The Industry Partnership<br />
Program (IPP) is <strong>GFZ</strong> Potsdam's research portal, bringing cutting<br />
edge ideas into the industry.<br />
vitäten des IPP anzusehen sind („Stay up to Date“) (Abb. 1).<br />
Kurse zum Thema Petroleum System Evaluation: Fluid<br />
Compositional Prediction wurden bereits in Berlin<br />
und Perth (Australien) durchgeführt und sind für die<br />
Zukunft in Südamerika und China geplant. Außerdem<br />
werden allgemein zugängliche Informationsbriefe für die<br />
Industrie herausgegeben (http://www.gfz-potsdam.de/<br />
pb4/pg3/index.html).<br />
Die Grundlagen<br />
Bei der Suche nach Erdöl und Erdgas in einem Explorationsgebiet<br />
sind im Wesentlichen drei Fragestellungen von<br />
größter Bedeutung (Abb. 2):<br />
• Gibt es ein Kohlenwasserstoffmuttergestein?<br />
• Gibt es ein Trägergestein, welches die Migration von<br />
Kohlenwasserstoffen erlaubt?<br />
• Gibt es eine Lagerstättenstruktur, welche die Akkumulation<br />
von Kohlenwasserstoffen erlaubt?<br />
Die erfolgreiche Auffindung von Lagerstätten hängt ganz<br />
entscheidend von der genauen Kenntnis der Entstehung,<br />
der Verteilung, den Eigenschaften und den Veränderungen<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 2: Vier grundlegende Elemente müssen<br />
vorhanden sein, damit es zur Entstehung<br />
von Öl- und Gaslagerstätten kommen<br />
kann: ein Muttergestein, in dem Erdöl<br />
und/oder Erdgas gebildet wird, ein Träger-<br />
bzw. Reservoirgestein, durch das Öl<br />
und Gas aufgrund von Auftriebskräften<br />
migrieren, ein undurchlässiges Deckgestein,<br />
das den Verbleib der Kohlenwasserstoffe<br />
in der Lagerstätte gewährleistet,<br />
sowie eine geologische Falle, in der Erdöl<br />
und Erdgas akkumulieren können. Die<br />
Geschwindigkeit der Kohlenwasserstoffbildung,<br />
die Trennung von Öl und Gas<br />
während der Migration und der biologische<br />
Abbau von Erdöl in Lagerstätten werden<br />
in IPP Projekten untersucht.<br />
Petroleum formation requires four fundamental elements to be present or fulfilled: a source rock in which oil is generated<br />
and from which it is expelled, a carrier/reservoir rock into which the petroleum flows, and through which its<br />
migrates under the action of buoyancy, a seal to retain the oil within the reservoir and a geological trap in which the<br />
petroleum can accumulate. The speed of generation, segregation of oil and gas during migration, and the biological<br />
alteration of oil in traps are being addressed in IPP research projects.<br />
der entsprechenden Sedimente im Zuge der geologischen<br />
Entwicklung eines Sedimentbeckens ab. Darüber hinaus<br />
müssen bestimmte Druck- und Temperaturbedingungen im<br />
Untergrund erfüllt sein, damit Kohlenwasserstoffe entstehen,<br />
migrieren und akkumulieren können (Abb. 2). Die<br />
Rolle der Temperatur im Untergrund muss<br />
dabei hervorgehoben werden. Ihr Einfluss<br />
auf Sedimente ist der Antrieb für die verschiedensten<br />
thermischen und mikrobiellen<br />
Umwandlungsprozesse im sedimentären<br />
organischen Material in Muttergesteinen<br />
oder Lagerstätten.<br />
Genese<br />
Allgemein kann man zwischen thermischen<br />
und biochemischen Prozessen, die<br />
zur Bildung von Erdöl und Erdgas führen,<br />
unterscheiden. Erdöl und Erdgas werden<br />
aus organischer Substanz überwiegend<br />
pflanzlichen Ursprungs (Landpflanzen/<br />
Algen) gebildet. Dieses Material ist nach<br />
dem Absterben der verschiedenen Lebensformen<br />
durch sauerstoffarme Bedingungen<br />
in feinkörnigen Tonsteinen nicht verwittert,<br />
sondern in gewissen Grenzen erhalten<br />
geblieben. Erdöl und Erdgas sind dabei<br />
nichts anderes als Kohlenwasserstoffe,<br />
welche durch mikrobielle oder thermische<br />
Prozesse aus dem sedimentären organischen<br />
Material freigesetzt worden sind.<br />
Die thermische Umwandlung von festem<br />
organischem Material zu flüssigen oder<br />
gasförmigen Kohlenwasserstoffen setzt<br />
bei etwa 70 bis 120 °C ein. Der Beginn der<br />
Kohlenwasserstoffbildung wird von den<br />
Eigenschaften des ursprünglich eingela-<br />
gerten organischen Materials, insbesondere seiner Stabilität,<br />
kontrolliert. Wichtige Kenngrößen sind der Ursprung<br />
des organischen Materials aus Pflanzen und/oder Algen, die<br />
Umweltbedingungen während der Ablagerung sowie das<br />
Ausmaß der Absenkung in Bereiche höherer Temperaturen.<br />
Abb. 3: Die Kohlenwasserstoffbildung wird im Labor durch Aufheizexperimente<br />
mit unreifen Muttergesteinen simuliert. Die Ergebnisse werden zur<br />
Berechnung von Aktivierungsenergien (E a) und Frequenzfaktoren (A) benutzt,<br />
die im Prinzip die Stärke der chemischen Bindungen widerspiegeln,<br />
die im Verlauf der Kohlenwasserstoffbildung gebrochen werden müssen. Die<br />
Anwendung dieser Parameter auf die Aufheizgeschichte von Sedimentbecken<br />
ermöglicht die Ermittlung der Erdöl- und Erdgasbildungsraten. Das<br />
Foto zeigt die Vorbereitung eines solchen Experiments in unserem Pyrolyselabor<br />
(Foto: K. Günter, <strong>GFZ</strong>).<br />
Petroleum generation is simulated via the heating of immature source rock<br />
samples in the laboratory. The results are used to calculate activation energies<br />
(E a) and frequency factors (A) which essentially define the strengths of<br />
the chemical bonds that have to be broken in order for generation to proceed.<br />
These parameters, when applied to the heating history of source rocks in sedimentary<br />
basins, allow rates of generation to be calculated. The picture shows<br />
the preparation of such an experiment in our pyrolysis laboratory.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
155
156<br />
Erdöl und Erdgas werden durch die Spaltung chemischer<br />
Bindungen im sedimentären organischen Material<br />
während der Absenkung des Sediments gebildet.<br />
Diese Prozesse können in Laborexperimenten – so<br />
genannten Pyrolyseexperimenten – simuliert werden<br />
und durch die Anwendung chemisch-physikalischer<br />
Gesetzmäßigkeiten – den Gesetzen der Reaktionskinetik<br />
– für natürliche Ablagerungsräume rekonstruiert<br />
werden (Abb. 3).<br />
Migration<br />
Sobald Kohlenwasserstoffe in einem Muttergestein in<br />
hinreichender Menge gebildet worden sind, setzen sie<br />
sich aufgrund des hohen Drucks und der Auftriebskräfte<br />
in Bewegung. Bei diesem als Migration bezeichneten Prozess<br />
wandern die verschiedenartigen Kohlenwasserstoffgemische<br />
durch poröse und permeable Trägersteine entlang<br />
der Deckgesteine in flachere Regionen. Die Migrationswege<br />
werden im Wesentlichen von der Struktur des<br />
auflagernden dichten Deckgesteins kontrolliert. Die<br />
Erdöl- und Erdgasgemische wandern dabei aus dem<br />
Hochtemperatur-Hochdruck-Bereich der Muttergesteine<br />
in Zonen mit relativ niedrigen Temperaturen und Drü-<br />
cken. Die konstante Abnahme von Temperatur und Druck<br />
während der Migration der Öl- oder Gasphasen hat einen<br />
entscheidenden Einfluss auf die Zusammensetzung und<br />
den Phasenzustand. So kann sich ein einphasiges Fluid<br />
(Gas oder Öl) in eine flüssige und eine gasförmige Phase<br />
trennen; der umgekehrte Vorgang ist ebenfalls möglich.<br />
Wann und wo diese Separationsprozesse stattfinden, ist<br />
im Wesentlichen von der Zusammensetzung des ursprünglich<br />
gebildeten Erdöls/Erdgases und den regionalen<br />
Druck- und Temperaturbedingungen abhängig (Abb. 4).<br />
Akkumulation<br />
Abb. 4: Einphasige Kohlenwasserstofffluide können sich in eine flüssige und<br />
eine gasförmige Phase trennen, wenn der Migrationsweg in Bereiche niedrigen<br />
Drucks und niedriger Temperatur führt. Ob jeweils ein Ein- oder Zweiphasensystem<br />
vorliegt, hängt auch von der Zusammensetzung des Fluids ab.<br />
Gas (rot) und Öl (grün) können gegebenenfalls in getrennten Fallen akkumulieren,<br />
wie das hier dargestellte Ergebnis einer Beckenmodellierung<br />
zeigt. Pfeile zeigen migrierende Fluide an.<br />
Petroleums may segregate into fluid and gaseous phases if their migration<br />
pathways lead into low pressure and low temperature levels. Whether a single<br />
or two-phase system exists is also dependent on the composition of the<br />
petroleum. Gases (red) and oils (green) may eventually accumulate separately,<br />
as shown in this output from a petroleum system model. Arrows indicate<br />
migrating fluids.<br />
Die Lagerstätten von Erdöl und Erdgas sind an Fallenstrukturen<br />
gebunden, welche eine weitere Migration der<br />
Kohlenwasserstoffe stoppen. Es kann sich dabei um tektonische<br />
Faltungen und Störungszonen oder aber auch<br />
durch Faziesänderungen entstandene poröse Sedimentlinsen<br />
und -kanäle handeln. Weil die Kohlenwasserstoffe diesen<br />
Strukturen nur schlecht entweichen können, werden sie<br />
hier oft nachhaltig verändert. Im Zuge der weiteren geologischen<br />
Entwicklung können Lagerstätten z. B. in größere<br />
Teufen abgesenkt oder in flachere Zonen angehoben werden.<br />
Dadurch können nach der Akkumulation der Kohlenwasserstoffe<br />
in der Lagerstätte Umwandlungen<br />
von Öl zu Gas oder auch mikrobielle<br />
Abbauprozesse stattfinden.<br />
Im Folgenden werden die Hauptprojekte<br />
dargestellt.<br />
Vorhersage der Erdöl- und Erdgaszusammensetzung<br />
Hintergrund<br />
Die Bildung und Zusammensetzung von<br />
Erdöl und Erdgas in der Natur wird durch<br />
eine Reihe von Prozessen gesteuert. Aus<br />
der Kenntnis der Art des eingelagerten<br />
organischen Materials können die Muttergesteine<br />
grob klassifiziert und erste Einschätzungen<br />
bezüglich der zu erwartenden<br />
Erdöle und Erdgase gemacht werden<br />
(Abb. 5). Während konventionelle Klassifizierungen<br />
sich im wesentlichen nach der<br />
Menge der generierten Kohlenwasserstoffe<br />
richten, wurde im <strong>GFZ</strong> Potsdam und in<br />
den IPP-Projekten eine Klassifizierung<br />
nach Organofaziestypen etabliert, die direkten<br />
Bezug auf die Zusammensetzung<br />
der entsprechenden Produkte nimmt. In<br />
Zusammenhang damit steht die Vorhersage<br />
des Phasenverhaltens und somit der<br />
Veränderung der Kohlenwasserstoffzusammensetzung<br />
während der Migration.<br />
Von entscheidender Bedeutung sowohl für<br />
Zeitpunkt und Ort dieser Prozesse als auch<br />
für die Produkte der Phasenseparierung<br />
ist die ursprüngliche Zusammensetzung<br />
der Gemische. Neben den Druck- und<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 5: Die Analyse von Muttergesteinen aus unterschiedlichen Explorationsgebieten in aller Welt zeigt, dass<br />
deutliche Unterschiede in der Zusammensetzung der gebildeten Kohlenwasserstoffe zu erwarten sind. Die chemische<br />
Zusammensetzung des organischen Materials im Muttergestein, die weitgehend von der Art der Pflanzen<br />
und Algen im Ablagerungsgebiet abhängt, bestimmt ihrerseits die Art des Erdöls oder Erdgases, das gebildet<br />
wird. Das Dreieck belegt, dass unterschiedliche Öl- und Gastypen durch Pyrolyseexperimente erkannt werden<br />
können. Das zweite Diagramm, das die Ergebnisse anderer Aufheizexperimente und Zustandsgleichungen verwendet,<br />
zeigt die Reaktion unterschiedlicher Erdöl- und Erdgastypen auf Veränderungen von Druck und Temperatur.<br />
Analysis of source rocks from different exploration areas from all over the world shows that significant differences in<br />
the composition of the newly formed hydrocarbons are to be expected. The organic chemical composition of the organic<br />
matter in the source rock, governed largely by the types of plants and algae living in and around the site of deposition,<br />
determine the types of petroleum that source rock may generate during deep burial. The triangle shows that different<br />
basic petroleum types can be recognised by laboratory heating experiments. The second diagram, constructed<br />
from other laboratory heating experiments and petroleum engineering equations of state, shows how the different types<br />
of petroleum respond to changing pressure and temperature.<br />
Temperaturbedingungen in einem Sedimentbecken spielt<br />
die Gaszusammensetzung eine übergeordnete Rolle.<br />
Wichtigster Gradmesser ist der Methananteil in der Gasfraktion<br />
und der Gasanteil in dem Produktgemisch.<br />
Obwohl in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Vorhersage<br />
der Erdölzusammensetzung große Fortschritte<br />
gemacht wurden, ist es nur sehr eingeschränkt gelungen,<br />
die Gaszusammensetzung in geologischen Systemen korrekt<br />
vorherzusagen, da eklatante Unterschiede zwischen<br />
Laboruntersuchungen und der Natur zu beobachten sind.<br />
Ziel<br />
In diesem Projekt sollen die Kohlenwasserstoffgenese aus<br />
unterschiedlichsten Muttergesteinstypen untersucht und<br />
erste Modelle zur genauen Vorhersage des Phasenverhaltens<br />
und der Qualität von Erdöl und Erdgas in Lagerstätten<br />
entwickelt werden.<br />
Ergebnisse und Schlussfolgerungen<br />
Es wurden in diesem Projekt erstmals Muttergesteine<br />
unterschiedlichster geographischer Herkunft (Brasilien,<br />
Norwegen, Italien, Westafrika) unter dem Gesichtspunkt<br />
des Phasenverhaltens untersucht. Hierauf aufbauend<br />
wurde ein global gültiges Konzept zur Vorhersage der<br />
Erdöl- und Erdgaszusammensetzung entwickelt. Die geologischen<br />
Rahmenbedingungen reichen dabei von passiven<br />
Kontinentalrändern über deltaische Gebiete bis hin zu<br />
Riftbecken. Der Bogen spannt sich von Muttergesteinen<br />
lakustriner und mariner Ablagerungsräume bis hin zu<br />
Sedimenten terrestrischen Ursprungs<br />
Die Ergebnisse der Untersuchungen dokumentieren<br />
einen systematischen Zusammenhang zwischen dem<br />
Gas-zu-Öl-Verhältnis (GOR) und dem Methananteil<br />
in der Gasfraktion unter natürlichen und künstlichen<br />
Randbedingungen beobachtet, obwohl insbesondere<br />
der Methananteil in den Produkten aus den Laborexperimenten<br />
deutlich niedriger war. Durch die Anwendung<br />
von neuronalen Netzwerken ist es gelungen, die<br />
Ergebnisse der künstlichen Reifungsexperimente so zu<br />
korrigieren, dass daraus prädiktive kompositionelle<br />
Modelle der Erdölentstehung formuliert werden konnten,<br />
die in numerische Beckensimulationen implementiert<br />
werden können. Die gute Übereinstimmung zwischen<br />
den Vorhersagen und den natürlichen Erdölei-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
157
158<br />
Abb. 6: Ergebnisse von Phasenvorhersagen. Für dieses Untersuchungsgebiet<br />
zeigt ein Vergleich die gute Übereinstimmung der Vorhersagen mit den<br />
Eigenschaften, die für natürliche Proben ermittelt wurden. Die Vorhersage<br />
des Gas-Öl-Verhältnisses (gas-oil ratio GOR) ist in den meisten Fällen gut.<br />
Darüber hinaus ist die Vorhersage von API-Dichte und Sättigungsdruck als<br />
wichtigen Qualitätsindikatoren ausgezeichnet.<br />
Results of phase predictions. For the study area the predictions are compared<br />
with properties determined on natural samples, and the correlation is<br />
generally very good. The prediction of GOR (gas-oil ratio) is good in most<br />
cases and, in addition, predictions of API densities and saturation pressures<br />
as important quality parameters are excellent.<br />
genschaften in verschiedenen Untersuchungsgebieten<br />
belegen die globale Gültigkeit der Forschungsergebnisse<br />
(Abb. 6).<br />
Asphaltene als geochemische Marker<br />
Hintergrund<br />
Das Hauptinteresse unserer Forschung<br />
liegt auf den Asphaltenen, die mit den<br />
gesättigten und aromatischen Kohlenwasserstoffen<br />
die Hauptbestandteile von<br />
Erdöl darstellen. Sie repräsentieren die<br />
makromolekulare Fraktion der Erdöle<br />
und scheinen besonders geeignet, strukturelle<br />
Merkmale der Muttergesteine zu<br />
archivieren und zu transportieren. Diese<br />
Ähnlichkeiten mit den Muttergesteinen<br />
zu untersuchen ist von großer Bedeutung,<br />
da mit zunehmender Exploration in Gebieten<br />
mit extremen klimatischen Bedingungen<br />
und insbesondere in Offshore-<br />
Gebieten mit Wassertiefen von mehr als<br />
1.000 m die Anzahl der Bohrungen aus<br />
wirtschaftlichen Gründen reduziert wird<br />
und somit die Muttergesteine, die in den<br />
meisten Fällen unterhalb der Lagerstätten<br />
liegen, nicht mehr erbohrt werden. Ohne<br />
Proben aus dem Muttergestein und weitere<br />
Informationen über die Muttergesteine<br />
ist die konventionelle Vorhersage<br />
der Kohlenwasserstoffbildung nicht mög-<br />
lich, was das wirtschaftliche Risiko<br />
zusätzlich erhöht. Die Forschung in diesen<br />
extremen Explorationsgebieten hat<br />
sich deshalb auf die erbohrten Erdöl- und<br />
Erdgaslagerstätten konzentriert, da auch<br />
diese wichtige Informationen über das<br />
Ablagerungsmilieu und die Qualität der<br />
Muttergesteine enthalten können (Abb. 7).<br />
Ziel<br />
In diesem Projekt sollen durch die Untersuchung<br />
von Erdölen und ihren Asphaltenfraktionen<br />
Modelle entwickelt werden,<br />
die auf die Organofazies und die<br />
Umwandlungseigenschaften tiefer Muttergesteine<br />
schließen lassen und eine<br />
numerische Beschreibung in Beckenmodellen<br />
ermöglichen.<br />
Ergebnisse und Schlussfolgerungen<br />
Von den beteiligten Erdölfirmen wurden<br />
ausgesuchte Proben- und Datensätze so<br />
genannter natürlicher Laboratorien zu Verfügung<br />
gestellt, in denen der geologische<br />
und geochemische Kenntnisstand sehr<br />
hoch ist. Die verschiedenen Elemente<br />
eines Erdölsystems sind in diesen Gebieten sehr gut<br />
erforscht und können somit in einen guten Bezug zueinander<br />
gebracht werden. Verschiedene Offshoregebiete wur-<br />
Abb. 7: Asphaltene sind außerordentlich komplexe Erdölbestandteile, die<br />
Informationen über das organische Material enthalten, aus dem das Öl<br />
gebildet wurde. Daher kann das Verhältnis von Öl und Gas während der<br />
Kohlenwasserstoffbildung aus einem Muttergestein durch die Pyrolyse von<br />
Asphaltenen abgeschätzt werden.<br />
Asphaltenes are extremely complex components of the petroleum carrying<br />
information about the parent organic matter from which the whole<br />
petroleum was generated. Thus, the ratio of gas to oil generated by the<br />
kerogen in a source rock can be estimated from the pyrolysis of asphaltenes.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
den als Untersuchungsgebiet ausgewählt und Proben unterschiedlichster<br />
geographischer Herkunft und aus verschiedenen<br />
Ablagerungsräumen konnten für das Forschungsprojekt<br />
zur Verfügung gestellt werden.<br />
Unsere Arbeiten haben zu einem Durchbruch in der Beurteilung<br />
heterogener Muttergesteine geführt. Es konnten<br />
verlässliche Modelle entwickelt werden, welche den<br />
natürlichen Organofaziesvariationen und somit den unterschiedlichen<br />
Eigenschaften des gebildeten Erdöls und<br />
Erdgases Rechnung tragen. Dies erlaubt eine wesentlich<br />
bessere Beschreibung der Fenster der Kohlenwasserstoffgenese<br />
in numerischen Beckenmodellen. Für die Nordsee<br />
wurde darüber hinaus gezeigt, dass das Ölfenster in deutlich<br />
größere Teufen reicht und deutlich breiter ist, als bisher<br />
angenommen. In Simulationsexperimenten, in denen<br />
außerdem die Zusammensetzung der Kohlenwasserstoffe,<br />
die aus den Asphaltenen gebildet wurden, detektiert<br />
wurde, zeigte sich eine außergewöhnlich gute Übereinstimmung<br />
mit der molekularen Zusammensetzung natürlicher<br />
Erdöle. Das Verhältnis von aromatischen zu gesättigten<br />
Kohlenwasserstoffen in unseren Experimenten entspricht<br />
nahezu dem in der Natur. Diese Übereinstimmung<br />
von Pyrolyseprodukten aus Muttergesteinskerogen und<br />
den natürlichen Ölen konnte bisher nicht gezeigt werden.<br />
Somit kann mit der Untersuchung der Asphaltene eines<br />
Erdöls die Qualität der Vorhersagen, auch ohne Untersuchung<br />
des Muttergesteins, stark verbessert werden. Eine<br />
Konsequenz dieser Arbeiten ist die verbesserte Vorhersage<br />
der so genannten API-Dichte eines Öles, des internationalen<br />
Maßstabs für die Qualität und den Wert eines produzierten<br />
Öls (Abb. 8).<br />
Frühe Gasbildung<br />
Hintergrund<br />
Konventionelle Untersuchungen zur Bildung von Kohlenwasserstoffen<br />
konzentrieren sich im Wesentlichen auf<br />
sedimentäres organisches Material, welches in großen<br />
Teufen von über 2.500 m in den Sedimenten eingelagert<br />
ist. Nur hier, so die konventionelle Annahme, sind die<br />
Bedingungen vorhanden, die zu einer ökonomisch ausreichenden<br />
Bildung von Kohlenwasserstoffen aus sedimentärem<br />
organischem Material führen können. Da die<br />
Reaktionen in den Muttergesteinen vor allem durch hohe<br />
Temperaturen angetrieben werden, werden reaktionskinetische<br />
Modelle angewendet, um die Umwandlung von<br />
Kohlenwasserstoffen in Raum und Zeit nachzuzeichnen.<br />
Ein weiteres Phänomen stellen mikrobielle Prozesse dar,<br />
durch die sedimentäres organisches Material in Methan<br />
Abb.8:Profil des Tampen Spur-Gebiets in der norwegischen Nordsee. Erdöleigenschaften wurden auf der Basis sowohl<br />
der konventionellen Muttergesteinskinetik als auch der Asphaltenkinetik berechnet. Die Vorhersage der API-Dichte<br />
auf der Basis der Asphaltenkinetik führt zu Werten, die den in diesem Explorationsgebiet gemessenen sehr ähnlich<br />
sind.<br />
Profile through the Tampen Spur area in the Norwegian North Sea. Petroleum properties were calculated using both<br />
conventional source rock kinetics and that from petroleum asphaltenes. Predictions of density (API Gravity) based on<br />
asphaltene kinetics closely resemble those of the petroleums in the area.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
159
160<br />
Abb. 9: Nach konventionellen Konzepten ist die mikrobielle Gasbildung auf frühdiagenetische und die thermische Gasbildung<br />
auf frühkatagenetische Prozesse in Sedimentbecken beschränkt. Zwischen den Zonen, in denen diese Prozesse<br />
stattfinden, gibt es eine weitgehend unerforschte Zone – die „graue Zone“ – für die mikrobielle und thermische Prozesse<br />
bislang ausgeschlossen wurden. Im IPP-Projekt „Shallow Gas“ untersuchen wir genau diese Zone, weil neue<br />
Forschungsergebnisse gezeigt haben, dass gerade hier thermische und mikrobielle Prozesse überlappend stattfinden<br />
können.<br />
Conventional concept of microbial and thermal gas generation in nature. According to this concept, microbial gas generation<br />
is limited to early diagenetic processes in shallow parts of sedimentary basins while thermal gas forms only<br />
during early catagenesis in deeper parts sedimentary basins. Between these two zones lies a largely unexplored zone<br />
– the so called grey zone – in which neither thermal nor microbial alterations are supposed to be active. With the IPP<br />
– Shallow Gas project we study precisely this zone because recent research results have shown that thermal and microbial<br />
processes can overlap.<br />
umgewandelt werden kann. Diese Prozesse laufen, nach<br />
konventionellen Vorstellungen, nur bei niedrigen Temperaturen<br />
und in geringen Teufen ab, da mit der Zunahme der<br />
Temperatur in größeren Teufen lebensfeindliche Bedingungen<br />
für Mikroorganismen herrschen und weiterhin wichtige<br />
Substrate für den mikrobiellen Metabolismus fehlen.<br />
Zwischen diesen Zonen der abiotischen und biotischen<br />
Umwandlung des organischen Materials befindet sich ein<br />
großer Bereich, der hinsichtlich seines Potentials zur Bildung<br />
von Kohlenwasserstoffen weitgehend unerforscht ist<br />
(Abb. 9). Diese Zone, die bis zu mehrere Kilometer mächtig<br />
sein kann, ist in das Blickfeld der Forschung gerückt,<br />
da auch hier enorme Mengen organischen Materials enthalten<br />
sind und erhalten wurden.<br />
Sowohl der Vergleich numerischer Vorhersagen als auch<br />
die Existenz thermischer Gase in Sedimenten aus dieser<br />
Zone und der Nachweis intensiver mikrobieller Aktivitäten<br />
in großen Teufen haben deutlich gezeigt, dass die<br />
konventionellen Annahmen und Modelle unzureichend<br />
sind.<br />
Ziel<br />
In diesem Projekt sollen geochemische Prozesse identifiziert,<br />
untersucht und numerisch beschrieben werden, die<br />
zur frühen thermischen Umwandlung oberhalb des konventionellen<br />
thermischen und/oder zur späten mikrobiellen<br />
Umwandlung von sedimentärem organischem Material<br />
unterhalb des konventionellen mikrobiellen Gasfensters<br />
führen können.<br />
Ergebnisse und Schlussfolgerungen<br />
Die Umwandlung organischen Materials in Sedimenten<br />
führt zur Bildung von Kohlenwasserstoffen – also Erdöl<br />
und Erdgas – und zur Freisetzung von anorganischen<br />
Gasen wie Kohlendioxid und Wasserstoff. Eine mathematische<br />
Beschreibung dieser Prozesse erfolgt mit reak-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
tionskinetischen Modellen, welche es erlauben, aus den<br />
Ergebnissen von Pyrolyseexperimenten kinetische Parameter<br />
abzuleiten. Diese kinetischen Modelle beschreiben<br />
mittels Aktivierungsenergie und Frequenzfaktor die Spaltung<br />
chemischer Bindungen im makromolekularen organischen<br />
Material. Obwohl theoretisch jede einzelne chemische<br />
Verbindung durch ein individuelles Aktivierungsenergie-Frequenzfaktor-Paar<br />
beschrieben werden sollte,<br />
hat es sich seit nunmehr 20 Jahren durchgesetzt, kinetische<br />
Modelle zu entwickeln, die eine deutliche Vereinfachung<br />
der tatsächlichen Prozesse darstellen. Auf die Vorhersage<br />
der Gasbildung aus marinen und lakustrinen Muttergesteinen<br />
scheinen diese Vereinfachungen keinen nennenswerten<br />
Einfluss zu haben. In terrestrischen Ablagerungsräumen<br />
hingegen schlägt der Vergleich zwischen<br />
natürlichen Gasvorkommen und den konventionellen Vorhersagen<br />
oft fehl, da natürliche Kohlenwasserstoffe in<br />
wesentlich flacheren Sedimenten auftreten als durch numerische<br />
Modelle vorhergesagt (Abb. 10). Aus diesem<br />
Grund wurde ein neues reaktionskinetisches Modell entwickelt,<br />
welches insbesondere Reaktionen mathematisch<br />
erfasst, die nicht in der Hauptphase, sondern in der frühen<br />
Phase der Umwandlung organischen Materials ablaufen.<br />
Die Anwendung dieses Modells in einem natürlichen System<br />
und der Abgleich der Vorhersagen mit natürlichen<br />
Kohlenwasserstoffvorkommen zeigen, dass die thermische<br />
Umwandlung organischen Materials viel früher einsetzt<br />
als bisher angenommen. Da die Umwandlung des<br />
Kerogens bereits bei Temperaturen von unter 80 °C einsetzte,<br />
ergeben sich auch neue Perspektiven im Hinblick<br />
auf die Verfügbarkeit von Substraten für die mikrobielle<br />
Gasbildung. In den ermittelten Temperaturbereichen können<br />
Mikroorganismen aktiv sein und beispielsweise<br />
Methan produzieren, was durch die thermische Bildung<br />
von z. B. Kohlendioxid und Wasserstoff in relativ großen<br />
Teufen von weit über 1.000 m begünstigt wird.<br />
Die Ergebnisse dieses Projektes verdeutlichen, dass eine<br />
wesentlich größere Menge organischen Materials in Sedimentbecken<br />
an der Bildung von Kohlenwasserstoffen<br />
beteiligt ist als ursprünglich angenommen. Somit kann<br />
von einer wesentlich größeren Menge freier Kohlenwasserstoffe<br />
ausgegangen werden, was sowohl unter explorationsgeologischen<br />
Gesichtspunkten als auch für die Erforschung<br />
des weltweiten Kohlenstoffkreislaufs von essentieller<br />
Bedeutung ist.<br />
Abb. 10: (a) Abhängigkeit der Gaszusammensetzung von der thermischen Reife und (b) Vorhersage der thermischen<br />
Gasbildung auf der Basis konventioneller Modelle. In natürlichen Systemen tritt thermisches Gas bereits bei niedriger<br />
Reife auf, während konventionelle Modelle die Bildung thermischen Gases erst bei höherer Reife vorhersagen. Vorhersagen<br />
auf der Basis der von uns weiterentwi-ckelten Modelle stimmen deutlich besser mit den natürlichen Gegebenheiten<br />
überein.<br />
(a) Dependence of gas composition on thermal maturity and (b) predictions of thermal gas generation based on conventional<br />
models. In nature, thermal gas seems to become evident at relatively low maturity levels, while predictions<br />
indicate gas generation only at elevated maturities. Our improved models provide a better match with nature.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
161
162<br />
Biodegradation<br />
Hintergrund<br />
Viele geologische Prozesse werden durch die Einwirkung<br />
oder Präsenz von Mikroorganismen beeinflusst, zum Beispiel<br />
die Verwitterung von Gesteinen oder die Umwandlung<br />
organischen Materials in Sedimenten. Eine außerordentlich<br />
negative Rolle im Hinblick auf die Exploration<br />
und Förderung hochwertiger Erdöle und Erdgase haben<br />
Mikroorganismen in Lagerstätten. Hier bauen sie qualitativ<br />
wichtige Erdöl- und Erdgasbestandteile ab und führen<br />
zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Qualität und Fördereigenschaften,<br />
aber auch der ursprünglich akkumulierten<br />
Volumina. Insbesondere die API-Dichte, als internationaler<br />
Maßstab für die Qualität und den Wert eines<br />
produzierten Öls, sinkt mit zunehmendem Einfluss der<br />
mikrobiellen Aktivität. Dieses Phänomen, welches man<br />
als Biodegradation bezeichnet, betrifft etwa 80 % der<br />
weltweit bekannten Erdöllagerstätten. Im Wesentlichen<br />
sind flach liegende, also generell logistisch attraktive<br />
Lagerstätten betroffen, da die Biodegradation nur bei Temperaturen<br />
bis 80 °C stattfinden kann. Da es genau diese<br />
flachen Lagerstätten sind, die eine immer größere wirtschaftliche<br />
Rolle spielen, ist die Vorhersage des Ausmaßes<br />
der Biodegradationsprozesse in einer Lagerstätte<br />
unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiche Explorationsaktivitäten.<br />
Ziel<br />
In diesem Projekt sollen die Effekte der mikrobiellen Aktivitäten<br />
an Erdölen unterschiedlicher Herkunft untersucht<br />
und regional gültige Reaktionsmechanismen zur besseren<br />
Qualitätsvorhersage beschrieben werden.<br />
Ergebnisse und Schlussfolgerungen<br />
Die Ergebnisse dieses Projektes zeigen, dass es entgegen<br />
konventionellen Annahmen keine allgemein gültigen Muster<br />
für die progressive Biodegradation in Erdölsystemen<br />
gibt. Die Biodegradation läuft scheinbar nicht stufenweise<br />
ab, sondern wird vielmehr über den gleichzeitigen, aber<br />
unterschiedlich schnellen Abbau verschiedener Kohlenwasserstoffe<br />
kontrolliert. Da unterschiedliche Mikroorganismen<br />
im Hinblick auf die von ihnen abgebauten Erdölbestandteile<br />
ausgesprochene Spezialisten sind, kann davon<br />
ausgegangen werden, dass die Mikroflora einer Lagerstätte<br />
entscheidenden Anteil an den qualitativen Veränderungen<br />
der Erdöle hat. Weil Mikroorganismen unabdingbar<br />
einen wässrigen Lebensraum benötigen, ist der so<br />
genannte Öl-Wasserkontakt, der sich an der Basis der<br />
Ölsäule befindet, eine bevorzugte Zone für die Biodegradation.<br />
Die Ergebnisse unserer Untersuchungen belegen,<br />
dass die unterschiedliche Bioverfügbarkeit verschiedener<br />
Erdölbestandteile im Wasser eine wichtige Rolle bei der<br />
Biodegradation von Kohlenwasserstoffen in Lagerstätten<br />
spielt. Die Erkenntnis, dass unterschiedliche Erdölbestandteile<br />
gleichzeitig, aber mit unterschiedlichen Raten<br />
abgebaut werden, hat die Entwicklung neuer molekularer<br />
Parameter zur Beschreibung der Abbauvorgänge ermöglicht.<br />
Dadurch ist es auch möglich geworden, die Erdölqualität<br />
in Abhängigkeit vom Ausmaß der Biodegradation<br />
besser vorherzusagen.<br />
Literatur:<br />
Welte, D.H. (<strong>2004</strong>) Fossile Kohlenwasserstoffe – Wirklichkeit und Wahrnehmung<br />
heute und morgen. Nova Acta Leopoldina NF 91, Nr. 339, 265-285.<br />
Publikationen mit Industrierelevanz:<br />
Dieckmann, V. (<strong>2005</strong>). Modelling petroleum formation from heterogeneous<br />
source rocks: The influence of frequency factors on activation energy distribution<br />
and geological prediction. Marine and Petroleum Geology, 22, 375-390.<br />
Haberer, R.M., Mangelsdorf, K., Dieckmann, V., Fuhrmann, A., Wilkes, H. and Horsfield,<br />
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<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
163
164<br />
Schutz gegen Wind und Schnee: Die neue <strong>GFZ</strong>-Satellitenempfangsantenne in Ny Ålesund auf Spitzbergen bekommt<br />
eine Antennenkuppel (Foto: C. Falck, <strong>GFZ</strong>).<br />
Protection from wind and snow: The new <strong>GFZ</strong> satellite receiving antenna at Ny Ålesund on Spitsbergen gets a radome.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Department 1<br />
Geodäsie und Fernerkundung<br />
Globale Prozesse können den Lebensraum des Menschen<br />
auch innerhalb kurzer Zeiträume verändern. Ereignisse<br />
wie der Tsunami im Indischen Ozean vom 26.12.<strong>2004</strong><br />
oder die Überschwemmungen in New Orleans vom August<br />
<strong>2005</strong>, Erdbeben, Vulkanismus, die gegenwärtige starke<br />
Abnahme des Magnetfeldes, Tageslängenänderungen,<br />
Grundwasserverschiebungen und Änderungen im Massenhaushalt<br />
polarer Eisflächen sind unmittelbarer Ausdruck<br />
dieser Dynamik und zeigen direkt auch ihre gesellschaftliche<br />
Relevanz. Ihre Wirkung wird in der Variabilität<br />
des Gravitationsfeldes und des Magnetfeldes der<br />
Erde, der Veränderlichkeit der Erdrotation und in großräumigen<br />
Deformationen des Erdkörpers sichtbar. Permanente<br />
Überwachung und Erfassung von großen, aber<br />
auch von sehr kleinen Veränderungen erfordern ein umfassendes<br />
globales Erdbeobachtungssystem, das sowohl<br />
Ereignisse von sehr kurzer Dauer (Erdbeben, Vulkanausbrüche,<br />
Hangrutschungen, etc.) als auch Prozesse, die sich<br />
über Jahrhunderte oder gar Jahrmillionen erstrecken<br />
(postglaziale Landhebung, Plattenverschiebungen, etc.),<br />
erkennen kann. Die zugrundeliegenden Prozesse finden<br />
ihren Ausdruck in der seismologischen Struktur des Erdinnern<br />
und seiner stofflichen Zusammensetzung. Wesentliche<br />
Voraussetzung zum Verständnis des Systems Erde und<br />
seiner Dynamik ist die Kenntnis dieser Prozesse und<br />
Strukturen. Zu einem solchen System kann die Geodäsie<br />
und Fernerkundung einen ganz bedeutenden Beitrag liefern,<br />
denn die geodätischen Weltraumverfahren, die Satellitenmissionen<br />
und terrestrischen Beobachtungsmethoden<br />
ermöglichen es heute, das System Erde mit einer noch<br />
nie erreichten Genauigkeit zu erfassen.<br />
Global gewonnene, lange Zeiträume überdeckende Datenreihen<br />
von diesen Phänomenen sind von ausschlaggebender<br />
Bedeutung für eine gesicherte Prozessmodellierung<br />
(Geomonitoring). Zielvorgabe für diese Aufgabe ist es,<br />
eine die Kontinente, Ozeane und großen Eisflächen überdeckende<br />
integrierte Geomonitoring-<br />
Infrastruktur zu schaffen, diese im Verbund<br />
mit Teilstrukturen von internationalen<br />
Partnern und Diensten operationell zu<br />
betreiben und die damit erfassten Datenreihen<br />
in räumlich-zeitlich hochauflösende<br />
Modelle umzusetzen. Nur auf dieser<br />
Basis lassen sich Bezugssysteme und<br />
Modellgrößen mit größtmöglicher<br />
Genauigkeit und zeitlicher Frequenz<br />
bestimmen und überwachen.<br />
Die Vision eines solchen geodätischen<br />
Erdbeobachtungssystems, d. h. eines<br />
Global Geodetic Observing Systems<br />
(GGOS: Projekt der International Association<br />
of Geodesy (IAG)) zur Erfassung<br />
globaler Prozesse und Veränderungen umfasst daher als<br />
Erstes eine globale Beobachtungsinfrastruktur (Abb. 1.1).<br />
Sie muss aus drei unterschiedlichen Komponenten bestehen:<br />
(1) aus einem globalen, Kontinente überdeckenden<br />
Netz von integrierten geodätisch-geophysikalischen Permanentstationen<br />
mit Beobachtungstechniken wie VLBI<br />
(Very Long Baseline Interferometry), SLR/LLR (Satellite<br />
and Lunar Laser Ranging), DORIS (Doppler Orbitography<br />
and Radiopositioning Integrated by Satellite) und<br />
insbesondere GNSS (Global Navigation Satellite Systems:<br />
GPS, GLONASS und in Zukunft GALILEO) sowie<br />
gravimetrischen, seismischen, meteorologischen und<br />
anderen Sensoren, (2) aus Satellitenmissionen und ganzen<br />
Satellitenkonstellationen mit geeigneten Sensoren für<br />
das Monitoring des Schwere- und Magnetfeldes, der Meeres-<br />
und Eisoberflächen und der Deformation der Erdoberfläche<br />
und schließlich (3) aus einer Verdichtung dieser<br />
satellitengestützten Datensätze mit terrestrischen, flugzeug-<br />
und schiffgestützten Instrumenten. Diese integrierte<br />
Geomonitoring-Infrastruktur kann nur in einer engen<br />
Kooperation vieler internationaler Partner und Dienste<br />
operationell betrieben und weiter verbessert werden.<br />
Schließlich müssen als Teil dieser Vision die von einem<br />
GGOS gesammelten, ständig wachsenden Datenmengen<br />
mit neuesten Informationstechnologien erfasst, archiviert<br />
und immer näher an Echtzeit an die Nutzer verteilt werden.<br />
Äußerst effiziente Programmsysteme und Prozessierungseinheiten<br />
sind dann für die Modellierung und Interpretation<br />
der Schwerefelder, Magnetfelder, Deformationsfelder,<br />
Erdrotationsparameter und deren zeitliche<br />
Veränderungen erforderlich.<br />
Mit dieser national und international vernetzten Infrastruktur,<br />
den GNSS und anderen geodätischen Weltraumtechniken,<br />
den Schwerefeld- und Magnetfeldmissionen<br />
CHAMP, GRACE, GOCE, SWARM, den Ozean- und Eis-<br />
Abb. 1.1: Monitoring und Modellierung der Prozesse im System Erde.<br />
Monitoring and modelling of the processes in the Earth system.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
165
166<br />
überwachungssatelliten ERS-2, JASON-1, ENVISAT,<br />
ICESAT, CRYOSAT-2 und den SAR/InSAR/optischen<br />
Satelliten TerraSAR-X, TanDEM-X und EnMAP werden<br />
neben der mehr grundlagenorientierten Modellbildung zu<br />
Prozessen im Erdkern, Erdmantel und der Kruste auch<br />
eine Vielzahl praktischer Anwendungen ermöglicht. Hierzu<br />
gehören die laufende Bereitstellung eines für die Präzisionsvermessung,<br />
die terrestrische und interplanetare<br />
Navigation essentiellen fundamentalen globalen Bezugssystems<br />
mit Millimetergenauigkeit, einer Höhenbezugsfläche<br />
(Geoid) ebenfalls mit Millimetergenauigkeit für die<br />
hochgenaue interkontinentale Höhenübertragung, die<br />
Überwachung des Meeresspiegelanstiegs und die Nutzung<br />
von GPS und GALILEO für das Nivellement mit Satelliten<br />
und die Präzisionszeitübertragung. Daneben können<br />
die Zirkulation der Ozeane, Tiefenströmungen, Wärmeaustausch<br />
an der Ozeanoberfläche und in großen Feuchtgebieten,<br />
Veränderungen im Massenhaushalt der großen<br />
Eisflächen, Veränderungen im globalen Grundwasserhaushalt<br />
und die Änderung des mittleren Meeresspiegels<br />
mit hoher Genauigkeit beobachtet und überwacht werden.<br />
Die kontinuierliche Auswertung von Satellitenmessungen<br />
zum Schwerefeld, Magnetfeld, zur Deformation der Erde<br />
und zur Atmosphäre liefert wichtige Elemente zur Überwachung<br />
und kurzfristigen Vorhersage des irdischen Wetters,<br />
des Weltraumwetters und zu Frühwarnsystemen und<br />
trägt damit wesentlich zum Schutz von Menschenleben<br />
und von technischen Systemen bei.<br />
Die im Folgenden beschriebenen Arbeiten zeigen, dass das<br />
Department 1 des <strong>GFZ</strong> Potsdam mit einer breiten Palette<br />
von nationalen, europäischen und internationalen Aktivitäten<br />
zu den Zielen eines „Global Geodetic Observing<br />
System“ (GGOS) beiträgt. Diese Aktivitäten reichen von<br />
der Beobachtungsinfrastruktur (globale Beobachtungsnetze,<br />
Satellitenmissionen) über die effiziente und hochgenaue<br />
Analyse dieser Beobachtungen und deren Kombination<br />
bis hin zur Modellierung und Interpretation.<br />
Internationale Dienste, GPS-/GALILEO-Technologien<br />
<strong>GFZ</strong>-Beiträge zum International GNSS Service<br />
Das Department 1 trägt maßgeblich zur Infrastruktur des<br />
Internationalen GNSS Service (IGS) bei (GNSS = Global<br />
Navigation Satellite System). Dies beinhaltet u. a. die Analysekoordination<br />
und Kombination der IGS-Kernprodukte,<br />
die Leitung des „Tide Gauge Benchmark Project for<br />
Sea Level Monitoring“ (TIGA), die Bereitstellung und<br />
Betreuung von 17 Permanentstationen im IGS-Netz, den<br />
Betrieb eines operationellen Datenzentrums und schließlich<br />
den Betrieb eines IGS-Analysezentrums.<br />
Abb. 1.2a: Die Qualität der <strong>GFZ</strong>-Satellitenbahnvorhersagen<br />
konnte durch Fixierung der Phasenmehrdeutigkeiten<br />
von 10 auf 5 cm verbessert werden.<br />
Quality of <strong>GFZ</strong> orbit predictions was improved from<br />
10 cm to 5 cm by ambiguity-fixing.<br />
Abb. 1.2b: Stationsgeschwindigkeiten, abgeleitet aus 12 Jahren globaler GPS-Daten (1993-<strong>2005</strong>). Zum Vergleich sind<br />
die Geschwindigkeiten des internationalen Referenzsystems ITRF2000 und des aus geophysikalischen Daten gewonnenen<br />
Modells NUVEL-1A angegeben.<br />
Site velocities from 12 years of global GPS data (1993-<strong>2005</strong>). For comparison the velocities from the international<br />
reference frame ITRF2000 and from the geophysically derived model NUVEL-1A are given.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Die am <strong>GFZ</strong>-Analysezentrum erzeugten Produkte beinhalten<br />
hochgenaue Bahnen der GPS-Satelliten, Satellitenund<br />
Stationsuhren, Stationspositionen, Polkoordinaten<br />
und Erdrotationsschwankungen sowie Troposphärenparameter.<br />
Diese Produkte gehen in die IGS-Kombinationslösungen<br />
ein, die von einem großen Nutzerkreis beispielsweise<br />
für Positionierung und Zeitsynchronisation verwendet<br />
werden. Durch die Implementierung einer effektiveren<br />
und robusteren Strategie können jetzt mehr als<br />
95 % der Phasenmehrdeutigkeiten im globalen Stationsnetz<br />
fixiert werden, was zu Verbesserungen in den Produkten,<br />
u. a. bei den Satellitenbahnvorhersagen (Abb. 1.2a)<br />
für Echtzeitanwendungen führt.<br />
Für die Überwachung des Internationalen Terrestrischen<br />
Referenzsystems wurde die Anzahl der Stationen weiter<br />
erhöht. Das Ausgleichen aller globalen GPS-Daten der<br />
letzten 12 Jahre liefert Stationsbewegungen (Abb. 1.2b)<br />
mit hoher Genauigkeit und damit tektonische Plattenbewegungen,<br />
die sehr gut mit geophysikalischen Modellen<br />
für die stabilen Plattenbereiche übereinstimmen und die<br />
zu Modellverbesserungen an Plattenrändern beitragen<br />
können.<br />
Um präzise (< 1 mm/Jahr) vertikale Bewegungsgenauigkeiten,<br />
wie sie für Meeresspiegelüberwachungen benötigt<br />
werden, aus GPS-Zeitreihen ableiten zu können, ist die<br />
Maßstabsstabilität des terrestrischen Referenzsystems<br />
entscheidend. Es konnte nachgewiesen werden, dass<br />
Maßstabsänderungen, die mit Veränderungen in der Satellitenkonstellation<br />
einhergehen, auf fehlerhafte Parameter<br />
der Satellitenantennen zurückzuführen sind. Mit den am<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam neu bestimmten Antennenparametern<br />
konnte die Maßstabsbestimmung wesentlich stabilisiert<br />
werden (Abb. 1.3). Die vom <strong>GFZ</strong> abgeleiteten Antennenmodelle<br />
sind gemeinsam mit denen der Technischen Universität<br />
München zu einem neuen Modell des IGS<br />
zusammengeführt worden.<br />
Abb. 1.3: Differenzen im Maßstab des globalen GPS-<br />
Stationsnetzes relativ zum System ITRF2000 unter Nutzung<br />
von Antennenparametern des IGS sowie der <strong>GFZ</strong>-<br />
Lösung mit verbesserten satellitenspezifischen Antennenparametern<br />
(<strong>GFZ</strong>S). Die plötzliche Maßstabsänderung<br />
im Jahr 2000 tritt bei Verwendung von <strong>GFZ</strong>S nicht<br />
mehr auf.<br />
Scale differences of global GPS networks relative to<br />
ITRF2000 for solutions with the standard IGS antenna<br />
parameters and with the improved satellite-specific antenna<br />
parameters from <strong>GFZ</strong> (<strong>GFZ</strong>S). A sudden scale change<br />
during the year 2000 is not present anymore in the new<br />
solution.<br />
Globales GPS-Netz<br />
Das globale GPS-Bodennetz wurde vom <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
eingerichtet, um internationale geodynamische Dienste<br />
und eigene Großprojekte zu unterstützen. Die erste Station<br />
wurde 1994 in Kitab (Usbekistan) in Betrieb genommen<br />
und fungiert bis heute als IGS „Core-Station“. In den<br />
darauf folgenden Jahren wurden weitere Permanentstationen<br />
in Zentralasien, Südamerika und Südostasien eingerichtet.<br />
Diese Erweiterung fand im Rahmen von <strong>GFZ</strong>-<br />
Projekten in der Tienshan-Pamir-Region, des Sonderforschungsbereichs<br />
„Deformationsprozesse in den Anden“<br />
und des GPS-Deformationsnetzes GEODYSSEA statt.<br />
Gegenwärtig besteht das globale GPS-Bodennetz des<br />
GeoForschungsZentrums aus 31 kontinuierlich arbeitenden<br />
Stationen (Abb.1.4), deren Daten in zahlreichen wissenschaftlichen<br />
Vorhaben genutzt werden.<br />
Anfänglich wurden die dekodierten Beobachtungen an die<br />
IGS-Zentren innerhalb von 48 Stunden geliefert. Um die<br />
Satellitenmissionen CHAMP und GRACE zu unterstützen<br />
und die Sondierung der Atmosphäre in Nahezu-Echtzeit<br />
zu ermöglichen, müssen Daten schon nach etwa<br />
20 bis 40 Minuten den Nutzern zur Verfügung stehen.<br />
Aus diesem Anlass wurde in Kooperation mit dem Jet Propulsion<br />
Laboratory (JPL) der NASA ein sogenanntes<br />
High-Rate/Low-Latency (HR/LL) GPS-Bodennetz für die<br />
CHAMP- und GRACE-Satellitenmissionen eingerichtet.<br />
Gegenwärtig erfordern einige Projekte die Bereitstellung<br />
der Daten mit maximalen Verzögerungen von nur fünf<br />
Minuten (Metop/GRAS) und eine Datenverfügbarkeit von<br />
weit über 90 %. Das Frühwarnsystem GITEWS (German-<br />
Indian Ocean Tsunami Early Warning System) stellt noch<br />
strengere Anforderungen – geplant ist Data-Streaming in<br />
Echtzeit. Daher lagen in den letzten zwei Jahren die<br />
Schwerpunkte der Entwicklungsarbeiten auf Real-Time-<br />
Systemkomponenten und sehr zuverlässigen autonomen<br />
modularen Feldsystemen. Ein Prototyp-Netz aus elf der<br />
globalen <strong>GFZ</strong>-Stationen für GPS-Data-Streaming in Echtzeit<br />
wurde auf Basis des HR/LL-Netzes eingerichtet. Die<br />
Real-Time-Daten können im jeweiligen Empfänger-Format<br />
zur Verfügung gestellt werden. Mit dem Betrieb dieses<br />
Prototyp-Netzes leistet das <strong>GFZ</strong> einen bedeutenden<br />
Beitrag zum Real-Time-Pilotprojekt des IGS.<br />
GPS Antennenphasenzentrumsvariationen und -offsets<br />
GPS-Messungen beziehen sich jeweils auf das elektromagnetische<br />
Phasenzentrum der Empfangs- bzw. Sendeantenne.<br />
Dieses fällt jedoch in der Regel nicht mit dem<br />
mechanischen Referenzpunkt (z. B. Zentrum der Antennenunterkante<br />
im Falle der Empfangsantenne, Massenzentrum<br />
im Falle des Satelliten) zusammen. Der Abstand<br />
zwischen dem mechanischen Referenzpunkt und dem<br />
mittleren elektromagnetischen Referenzpunkt wird als<br />
Antennenoffset bezeichnet (siehe Abb. 1.5). Zusätzlich zu<br />
diesem mittleren Offset hängt die Lage des elektromagnetischen<br />
Referenzpunktes noch von der Richtung des<br />
empfangenen Signals ab. Diese Abhängigkeit ist die sogenannte<br />
Antennenphasenzentrumsvariation (Phase Center<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
167
168<br />
Abb. 1.4: Das globale GPS-Bodennetz des <strong>GFZ</strong> Potsdam.<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam’s global GPS network.<br />
Variation, PCV). PCV und Offsets für Empfängerantennen<br />
relativ zu einer Referenzantenne können aus GPS-<br />
Beobachtungen zweier Stationen mit geringem Abstand<br />
(etwa 10 Meter) bestimmt werden.<br />
Absolute Kalibrierwerte werden einerseits durch Labormessungen<br />
in einer anechoischen Kammer, andererseits<br />
durch Feldmessungen mit einer auf einem Messroboter<br />
befestigten Antenne gewonnen. Dieses Verfahren wurde<br />
Abb. 1.5: Geometrie einer GPS-Empfangsantenne; als<br />
Antennenoffset wird der Abstand zwischen dem mechanischen<br />
Referenzpunkt und dem mittleren Phasenzentrum<br />
bezeichnet. Phasenzentrumsvariationen beschreiben die<br />
Lage des Phasenzentrums in Abhängigkeit der Richtung<br />
des empfangenen Signals. Entsprechendes gilt für die Sendeantenne<br />
des Satelliten.<br />
Geometry of a GPS receiver antenna, the antenna offset<br />
is defined by the distance between the antenna reference<br />
point and the mean phase center. Phase center variations<br />
describe the location of the antenna phase center in dependence<br />
of the received signal. The geometry for the satellite<br />
transmitter antenna is analog.<br />
von der Universität Hannover und der Firma Geo++ entwickelt.<br />
Werden diese absoluten PCV für die Empfängerantennen<br />
in der Auswertung eines globalen Netzes verwendet,<br />
so können PCV und Offsets für die Satellitenantennen<br />
als zusätzliche Parameter geschätzt werden.<br />
In Kooperation mit der Technischen Universität München<br />
(TUM) hat das <strong>GFZ</strong> Potsdam aus reprozessierten GPS-<br />
Daten der letzten elf Jahre Satellitenantennen-PCV für die<br />
verschiedenen Satellitentypen (Block-I, BlockII/IIA,<br />
Block IIR-A und Block IIR-B) sowie vertikale Antennenoffsets<br />
für jeden individuellen Satelliten bestimmt. Die<br />
jeweiligen Mittelwerte der beiden Analysezentren sind in<br />
Abb. 1.6 dargestellt. Obwohl für die Parameterschätzung<br />
unterschiedliche Beobachtungsnetze, Softwarepakete und<br />
Auswertestrategien verwendet wurden, ist die Übereinstimmung<br />
der von <strong>GFZ</strong> und TUM bestimmten Parameter<br />
hervorragend. Insbesondere zeigen die neuesten GPS-<br />
Satelliten des Blocks IIR-B die größten Phasenzentrumsvariationen,<br />
deren Vernachlässigung systematische Fehler<br />
in den entsprechenden Auswertungen verursachen würde.<br />
Die Variationen der vertikalen Antennenoffsets innerhalb<br />
eines Satellitentyps wiederum zeigen, dass sich die einzelnen<br />
Satelliten signifikant voneinander unterscheiden<br />
und diese Unterschiede für hochgenaue Analysen berücksichtigt<br />
werden müssen.<br />
Werden diese absoluten PCV und Offsets für globale GPS-<br />
Lösungen verwendet, so ergeben sich deutliche Verbesserungen<br />
gegenüber dem relativen Modell. So wird beispielsweise<br />
die interne Konsistenz der Satellitenbahnen<br />
verbessert und die Maßstabsänderung gegenüber dem<br />
Referenzsystem ITRF2000 um mehr als die Hälfte verringert.<br />
Inzwischen hat sich der IGS (International GPS<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 1.6: Mittelwerte der von <strong>GFZ</strong> und TUM bestimmten Satellitenantennen-Phasenzentrumsvariationen und -offsets:<br />
(a) blockspezifische Phasenzentrumsvariationen, (b) satellitenspezifische vertikale Offsets.<br />
Mean values of the satellite antenna phase center variations and offsets estimated by <strong>GFZ</strong> and TUM: (a) block-specific<br />
phase center variations, (b) satellite-specific vertical offsets.<br />
Service for Geodynamics) ebenfalls dazu entschieden,<br />
von einer relativen Antennenkalibrierung (lediglich für<br />
Empfängerantennen) zu einem absoluten Modell (Empfänger-<br />
und Satellitenantennen) zu wechseln. Der Übergang<br />
auf das von <strong>GFZ</strong> und TUM bestimmte Modell ist für<br />
Mitte 2006 geplant.<br />
Globale GPS-Reprozessierung<br />
Seit mehr als zehn Jahren werden GPS-Beobachtungen<br />
des IGS-Stationsnetzes jeweils zeitnah von den IGS-Analysezentren<br />
ausgewertet. Im Lauf der vergangenen Jahre<br />
gab es zahlreiche Weiterentwicklungen und Verbesserungen<br />
der hierfür verwendeten Modelle und Auswertestrategien.<br />
Besonders die Modellierung der Satellitenbahnen<br />
ist deutlich vorangeschritten. Die aus diesen GPS-Auswertungen<br />
resultierenden Parameterzeitreihen (z. B. Satellitenbahnen,<br />
Erdrotationsparameter, Stationskoordinaten,<br />
Troposphärenparameter) sind inhomogen und eine geophysikalische<br />
Interpretation schwierig. Abhilfe schafft<br />
hier eine komplette Neuverarbeitung, die jedoch aufgrund<br />
Abb. 1.7: Stationsnetz für GPS-Reprozessierung, Stationen des IGS Referenzrahmens<br />
sind in rot dargestellt.<br />
Tracking network used for the GPS reprocessing, IGS reference frame stations<br />
are indicated by red dots.<br />
des großen Datenvolumens und des enormen Rechenaufwands<br />
bisher nur von wenigen Einrichtungen in Angriff<br />
genommen wurde.<br />
In Zusammenarbeit mit dem Institut für Planetare Geodäsie<br />
der Technischen Universität Dresden und der Forschungseinrichtung<br />
Satellitengeodäsie der Technischen<br />
Universität München wurden im Rahmen eines von der<br />
Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts<br />
in den letzten drei Jahren die Voraussetzungen für eine<br />
derartige Reprozessierung geschaffen. Hierfür wurde die<br />
am Astronomischen Institut der Universität Bern entwickelte<br />
Bernese GPS Software 5.0 verwendet. Die komplette<br />
Verarbeitung des aus etwa 200 Stationen bestehenden<br />
Netzes (siehe Abb. 1.7) für einen Beobachtungszeitraum<br />
von 12 Jahren nahm ca. zwei Monate Rechenzeit in<br />
Anspruch (LINUX-Cluster).<br />
In Abb. 1.8 sind die Koordinatenwiederholbarkeiten der<br />
wöchentlichen Koordinatenlösungen des CODE-Analysezentrums<br />
und der neu verarbeiteten Lösung dargestellt.<br />
Die CODE-Zeitreihe zeigt Anfang 1998<br />
einen deutlichen Genauigkeitsgewinn<br />
durch Verwendung eines verbesserten<br />
Referenzrahmens. Anfang 2002 führte<br />
eine verfeinerte Strategie zur Lösung der<br />
Phasenmehrdeutigkeiten zu einer weiteren,<br />
deutlich sichtbaren Verbesserung.<br />
Die reprozessierte Zeitreihe weist hingegen<br />
ein homogenes Genauigkeitsniveau<br />
auf, da die verbesserten Auswertemodelle<br />
für den gesamten Zeitraum verwendet<br />
wurden. Ähnliche Genauigkeitsverbesserungen<br />
zeigen sich auch bei den Satellitenbahnen.<br />
In Abb. 1.9 ist die interne Konsistenz<br />
der Satellitenbahnen in Form der<br />
wöchentlichen mittleren Bahngenauigkeit<br />
dargestellt. Besonders deutlich ist die<br />
Verbesserung für Block IIR-A-Satelliten<br />
im Jahr 1998. Der vertikale Antennenoffset<br />
dieses Satellitentyps war zunächst<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
169
170<br />
Abb. 1.8: Koordinatenwiederholbarkeit der Wochenlösungen des CODE-<br />
Analysezentrums und der reprozessierten Zeitreihe. Wichtige Änderungen<br />
in der CODE-Verarbeitungsstrategie sind durch senkrechte Linien markiert.<br />
Coordinate repeatability of the weekly solutions from the CODE analysis<br />
center and the reprocessed time series. Important changes in the CODE processing<br />
scheme are indicated by vertical lines.<br />
unbekannt und wurde daher dem der Block II/IIA-Satelliten<br />
gleichgesetzt. Ab Anfang 1999 wurde ein neu<br />
bestimmter Wert verwendet, der zu einer deutlichen Verbesserung<br />
in der Bahnqualität führte. Die reprozessierten<br />
Satellitenbahnen sind von diesem Effekt nicht betroffen,<br />
hier zeigt sich lediglich zu Beginn der Block IIR-A-Zeitreihe<br />
eine etwas schlechtere Qualität, da die Signale des<br />
entsprechenden Satelliten anfänglich noch nicht von allen<br />
Beobachtungsstationen erfasst wurden. Innerhalb des IGS<br />
wurde die Wichtigkeit derartiger GPS-Reprozessierungen<br />
durch die Gründung einer entsprechenden Arbeitsgruppe<br />
gewürdigt. Der Beginn einer vom IGS koordinierten<br />
Reprozessierung, an der auch das <strong>GFZ</strong><br />
mit zwei verschiedenen Lösungen teilnehmen<br />
wird (hier beschriebene Lösung<br />
sowie Lösung des <strong>GFZ</strong>-IGS-Analysezentrums),<br />
ist für 2006 geplant.<br />
Analysedienst für den International<br />
Laser Ranging Service<br />
Seit November 2003 läuft das Pilotprojekt<br />
„Positioning & Earth Orientation“<br />
des International Laser Ranging Service<br />
(ILRS). Die sechs Analysezentren, die<br />
Agenzia Spaziale Italiana (ASI), das Bundesamt<br />
für Kartographie und Geodäsie<br />
(BKG), das Deutsche Geodätische Forschungsinstitut<br />
(DGFI), das <strong>GFZ</strong>, das<br />
Joint Center for Earth Systems Technologies<br />
(JCET) und der National Environment<br />
Research Council Space Geodesy<br />
Facility (NSGF), berechnen jeden Dienstag<br />
Stationskoordinaten und Erdorientierungsparameter<br />
aus Satellite Laser Ranging (SLR)-Beobachtungen<br />
zu den Satelliten LAGEOS-1 und -2 und ETA-<br />
LON-1 und -2. Die individuellen Lösungen werden von<br />
den zwei Kombinationszentren des ILRS zusammengeführt<br />
und offiziell am Mittwoch bereitgestellt. Mittlerweile<br />
wurden mehr als 100 Lösungen abgeliefert. Lediglich<br />
eine Lösung konnte aufgrund einer Stromabschaltung<br />
nicht rechtzeitig fertiggestellt werden. Dies entspricht einer<br />
Zuverlässigkeit unseres Dienstes von mehr als 99 Prozent.<br />
Auch die Qualität der Lösungen ist gut. In Tab. 1.1 sind<br />
die Abstände der individuellen Beiträge zur kombinierten<br />
Abb. 1.9: Mittlere wöchentliche Bahngenauigkeit der verschiedenen GPS Satellitentypen: (a) jeweils zeitnah mit den<br />
momentan aktuellen Modellen verarbeitete Zeitreihe des CODE-Analysezentrums, (b) reprozessierte Zeitreihe.<br />
Mean weekly orbit accuracy of the different types of GPS satellites: (a) near real-time time series of the CODE analysis<br />
center processed with the latest models available at that date, (b) reprocessed time series.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Tabelle 1.1:Residuen zur kombinierten Lösung des Wochenprodukts 050611 als Weighted Root Mean Squares (WRMS).<br />
Residuals for the combined weekly solution 050611 as weighted root mean squares (WRMS).<br />
Institut Position X-Pol Y-Pol Tageslänge<br />
(mm) (10 –6 ") (10 –6 ") (10 –6 s)<br />
ASI 6,7 148 173 35<br />
BKG 5,7 66 262 31<br />
DGFI 10,8 466 441 126<br />
<strong>GFZ</strong> 5,5 229 272 53<br />
JCET 8,6 207 288 30<br />
NSGF 13,1 283 309 –<br />
Abb. 1.10: Qualität der Bahnanpassung und Anzahl der Beobachtungen der<br />
historischen Lösungen.<br />
Orbital fits and number of observations of the historical solutions.<br />
Lösung einer zufällig herausgegriffenen Woche zusammengestellt.<br />
Einige der Analysezentren werteten <strong>2005</strong> historische<br />
SLR-Beobachtungen bis zurück zum Jahr 1993, also kurz<br />
nach dem Start von LAGEOS-2 aus. Ziel war die Bereitstellung<br />
einer kombinierten Lösung der SLR-Technik als<br />
Beitrag zur Berechnung des neuen International Terrestrial<br />
Reference Frame <strong>2004</strong> (ITRF<strong>2004</strong>). Die Qualität der<br />
<strong>GFZ</strong>-Lösungen zeigt Abb. 1.10, in der die Güte der Bahnanpassungen<br />
und die Anzahl der Beobachtungen für alle<br />
Wochenlösungen dargestellt sind. Im Mittel liegt die<br />
Modellierungsgenauigkeit bei ca. 1 cm über den gesamten<br />
Analysezeitraum. Die Anzahl der Beobachtungen ist<br />
ständig gewachsen und sorgt damit für stabile Wochenlösungen.<br />
Die SLR-Technik trägt wesentlich zur Maßstabsbestimmung<br />
des terrestrischen Referenzrahmens bei<br />
(z. B. ITRF<strong>2004</strong>).<br />
ICGEM – International Centre for Global Earth Models<br />
Das vom Department 1 eingerichtete ICGEM ist eines von<br />
sechs Zentren des International Gravity Field Service<br />
(IGFS) der International Association of Geodesy (IAG).<br />
Der IGFS ist ein neuer zentraler Dienst der IAG. Er besteht<br />
aus den folgenden sechs Zentren: International Gravity<br />
Bureau (BGI), International Geoid Service (IGeS), Inter-<br />
national Center for Earth Tides (ICET),<br />
International Centre for Global Earth<br />
Models (ICGEM), International DEM<br />
Service (IDEMS) und dem IGFS Technical<br />
Centre.<br />
Zu den Aufgaben des ICGEM gehören<br />
insbesondere das Sammeln und Bereitstellen<br />
globaler Schwerefeldmodelle.<br />
Gegenwärtig stehen 94 Schwerefeldmodelle<br />
einschließlich einer Liste der zugehörigen<br />
Publikationen zur Verfügung.<br />
Die Modelle und alle notwendigen Hindergrundinformationen<br />
werden in einem<br />
einheitlichen Format vorgehalten, das<br />
selbsterklärend und offen für zukünftige<br />
Anforderungen, wie z. B. Zeitreihen von<br />
Koeffizienten ist. Eine automatisierte<br />
Evaluierungsprozedur für diese globalen<br />
Schwerefeldmodelle wird für die Bewertung<br />
der im Department 1 berechneten Schwerefeldmodelle<br />
genutzt. Der Zugang zu diesen Prozeduren soll auch<br />
für andere Nutzer geöffnet werden. Die interaktive Visu-<br />
Abb.1.11:Die interaktive Visualisierung (Modell: EIGEN-<br />
CG03C).<br />
The interactive visualisation (model: EIGEN-CG03C).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
171
172<br />
alisierung von Schwerefeldfunktionalen der Modelle und<br />
Differenzen von Modellen steht bereits online zur Verfügung<br />
(http://icgem.gfz-potsdam.de/ICGEM/ICGEM.<br />
html). Geoidundulationen können farblich codiert und<br />
illuminiert auf eine frei interaktiv drehbare oder um die<br />
Polachse rotierende Kugel projiziert werden (Abb. 1.11).<br />
Über ein Web-Interface können auch verschiedene Funktionale<br />
der Schwerefeldmodelle auf wählbaren Gitterpunkten<br />
berechnet werden. Das berechnete Gitter steht<br />
nach wenigen Sekunden zum Download zur Verfügung.<br />
GPS-Reflektionsmessungen mit dem OpenGPS-Empfänger<br />
GNSS-Signale im Frequenzbereich des L-Bandes (1,2 und<br />
1,6 GHz) weisen eine hohe Reflektivität an Wasser-, Eisund<br />
Schneeoberflächen auf, so dass ein Teil der einfallenden<br />
Satellitensignale wieder abgestrahlt wird. Diese an<br />
vielen Orten der Erde frei verfügbaren reflektierten Signale<br />
lassen sich trotz der zum Teil geringen Signalpegel<br />
für altimetrische Zwecke nutzen. Mit einem am <strong>GFZ</strong><br />
modifizierten GPS-Empfänger konnten in einer Messkampagne<br />
vom 21. bis 24. 09. <strong>2004</strong> vom Königsstuhl auf<br />
der Insel Rügen aus einer Höhe von 118 m Höhenmessungen<br />
der vorgelagerten Ostseeoberfläche gewonnen<br />
werden. Im Gegensatz zu einem konventionellen Gezeitenpegel<br />
können die Ozeanhöhendaten mit einem boden-<br />
Abb. 1.12: Minütlich modellierte Verteilung von GPS-Reflexionspunkten<br />
(grau) für einen Zeitraum von 8 Stunden (oben) und Ausschnitt eines mit 50<br />
Werten pro Sekunde gemessenen Höhenprofils (unten).<br />
Top: Distribution of GPS reflection events, predicted in a 1-min-sampling<br />
within a 8-hour timespan (grey). Bottom: Extract of a measured height profil<br />
with 50 data samples per second.<br />
basierten GPS-Reflektometrieempfänger von einem Standort<br />
gemessen werden, der vor Wellen und Stürmen geschützt<br />
ist. So sind ungestörte Langzeitbeobachtungen<br />
möglich. Weil eine Vielzahl von GPS-Satelliten zur Messung<br />
parallel genutzt werden können, decken die Reflektionspunkte<br />
einen großen Bereich ab (Abb. 1.12). Relative<br />
Höhenschwankungen können mit einer Genauigkeit<br />
von wenigen Zentimetern und einer zeitlichen Auflösung<br />
von 50 Hz erfasst werden. Im Gegensatz zu konventionellen<br />
Pegeldaten weisen die GPS-Reflektometriedaten<br />
eine einheitliche Bezugshöhe/Höhenreferenz auf (z. B.<br />
ITRF2000).<br />
Wie gewinnt man diese altimetrischen Höheninformationen?<br />
Einfache geometrische Überlegungen zeigen, dass<br />
der Weg, den das reflektierte GPS-Signal zur Empfängerantenne<br />
zurücklegt, länger ist, als der Weg des direkt empfangenen<br />
GPS-Signals. Diese Wegverlängerung ist abhängig<br />
von der GPS-Empfängerhöhe und der Position des<br />
beobachteten GPS-Satelliten. Da sich die Position des<br />
GPS-Satelliten kontinuierlich ändert, ändert sich auch<br />
ständig der Wegunterschied zwischen dem direkten und<br />
reflektierten Signal. An der Empfängerantenne kommt es<br />
dann zu Interferenzen zwischen dem direkten und reflektierten<br />
GPS-Signal, die periodische Amplitudenschwankungen<br />
verursachen. Bei der GPS-Reflektometrie können<br />
aus den gemessenen Amplitudenschwankungen und der<br />
bekannten Geometrie von GPS-Empfänger<br />
und GPS-Satellit relative Höhenschwankungen<br />
der Wasseroberfläche am<br />
Ort der Reflexion abgeleitet werden. Der<br />
OpenGPS-L1-Empfänger, der auf einer<br />
open-source Empfängersoftware, handelsüblicher<br />
PC-Hardware und einem<br />
modifizierten kommerziell erhältlichen<br />
Einfrequenz-GPS-Modul basiert, kann<br />
diese Amplitudenschwankungen mit<br />
hoher zeitlicher Auflösung von 50 Messungen<br />
pro Sekunde aufzeichnen und<br />
so mit Hilfe der Trägerphasenänderung<br />
die gezeigten Höhenprofile mit wenigen<br />
Zentimetern Genauigkeit gewinnen<br />
(Abb. 1.13). Obwohl in der Regel die signifikanten<br />
Wellenhöhen der Ostsee die<br />
Wellenlänge des GPS-Signals deutlich<br />
überstiegen, konnten unter flachen Beobachtungswinkeln<br />
von weniger als 8° aufgrund<br />
des Rayleigh-Kriteriums kohärente<br />
Reflexionen beobachtet und relative<br />
Höhenänderungen erfolgreich abgeleitet<br />
werden.<br />
Unter Federführung des <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
fand vom 22. 07. bis 13. 08. <strong>2005</strong> eine<br />
internationale, multidiszipinär ausgerichtete<br />
Expedition in die Tienshan-Gebirgsketten<br />
Kirgisistans zum Inylshik-Gletschersystem<br />
statt. Dort wurden erste<br />
Monitoring-Aufgaben mit Hilfe des<br />
OpenGPS-Empfängers durchgeführt. Die<br />
seit zwei Jahrzehnten beobachtete Re-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
gression der Vergletscherung in dieser Region verändert<br />
die Dynamik der Gletscher. Eine Zunahme von Schlammlawinen<br />
und Dammbrüchen ist die Folge. Untersuchungsschwerpunkt<br />
war der vom Süd-Inylshik aufgestau-<br />
Abb. 1.13: (A) Mit dem OpenGPS-Empfänger<br />
gemessene ungefilterte Korrelationswerte,<br />
(B) daraus abgeleitete Phasenwerte<br />
φ. (C) Höhenänderungen am<br />
Reflektionspunkt, aus der bekannten<br />
Geometrie von Empfänger, Satellit,<br />
Reflektionspunkt und den Phasenwerten<br />
berechnet.<br />
(A) Unfiltered correlation data measured<br />
by the OpenGPS receiver, (B) derived<br />
phase values φ. (C) Relative height change<br />
at the reflection point, derived from the<br />
varying phase data and from the known<br />
geometry of receiver, satellite and reflection<br />
point.<br />
te und vom Nord-Inylshik gespeiste Merzbacherssee<br />
(Abb. 1.14). In den Sommermonaten<br />
haben Dammbrüche dort in den<br />
vergangenen Jahren regelmäßig massive<br />
Schäden an der Infrastruktur unterhalb<br />
des Gletscherausflusses hervorgerufen.<br />
Kurz vor der Expedition ist der Damm<br />
erneut gebrochen, aufgrund des heißen<br />
Sommers früher als gewöhnlich. Die verschiedenen<br />
früheren Füllhöhen des mittlerweile<br />
wieder teilgefüllten Sees kann<br />
man im oberen Bild von Abb. 1.15 anhand<br />
der verschiedenen Uferlinien erkennen.<br />
Der OpenGPS-Empfänger konnte am<br />
Ostufer des Merzbachersees in einer Höhe von 3.271 m<br />
auf anstehendem Gestein, 43 m oberhalb der eisbedeckten<br />
Seeoberfläche, installiert werden (Abb. 1.16). Mit<br />
einer um 45° Richtung Westen verkippten GPS-Antenne<br />
Abb. 1.14: Karte des Nord- und Süd-Inylshik-Gletschersystems, dem größten Gletschersystem der Tienshan-Region in<br />
Kirgisistan, Zentralasien, mit einer Gesamtlänge von mehr als 65 km und einer Fläche von mehr als 815 km 2 .<br />
The North- and the South-Inylshik glacier system, the largest glacier system of the Tienshan region in Kyrgyzstan, Central<br />
Asia, has a total length of more than 65 km and comprises an area of more than 815 km 2 .<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
173
174<br />
Abb. 1.15: Ostufer des Merzbachersees am 24.07.<strong>2005</strong>,<br />
aufgenommen während des Transporthubschrauberanflugs<br />
(oben) und gleiche Lokation am 26.07.<strong>2005</strong>, aufgenommen<br />
auf dem Weg zur OpenGPS-Messlokation mit<br />
Blick nach Süden Richtung Eisbarriere des Süd-Inylshiks<br />
(unten) (Fotos: A. Helm, <strong>GFZ</strong>).<br />
Top: East shoreline of the Merzbacher lake on July 24,<br />
<strong>2005</strong>. The aerial view was taken during the transfer with<br />
the helicopter. Bottom: Same location on July 26, photo<br />
taken on the way to the OpenGPS measurement location.<br />
The ice dam of the South-Inylshik can be seen in south<br />
direction.<br />
konnten im Zeitraum vom 27.07. bis 10.08. täglich mehrere<br />
Höhenprofile gewonnen werden. Ein zweiter Dammbruch<br />
konnte am 01.08. beobachtet werden, woraufhin der<br />
Seespiegel erneut um mehr als 20 m bis auf den Seegrund<br />
gefallen ist. Erste Auswertungen der Reflektometriedaten<br />
erfassen nicht nur den absoluten Höhenabfall, sondern lassen<br />
auch die veränderte Topographie der reflektierenden<br />
Seeoberfläche erkennen (Abb. 1.17). Bis zum Ende des<br />
Experiments konnte kein erneutes Wiederauffüllen beobachtet<br />
werden.<br />
Die Methode der GPS-Reflektometrie bietet damit die<br />
Möglichkeit, im ufer- und küstennahen Bereich See- und<br />
Meeresspiegeländerungen – wichtige klimarelevante Faktoren<br />
– zu überwachen. Durch den kommenden Aus- und<br />
Aufbau der russischen und europäischen GNSS-Systeme<br />
GLONASS und GALILEO wird die Zahl der zur Verfügung<br />
stehenden GNSS-Signale weiter erhöht. Die Methode<br />
lässt sich aber nicht nur für bodengestützte Fernerkun-<br />
Abb. 1.16: Während der Kalibrationsmessung im Norduferbereich<br />
des Merzbachersees mit einem Trimble 4000<br />
GPS-Empfänger stieg der Wasserspiegel am 30.07.<strong>2005</strong><br />
um 4 cm/Std. an (oben). Bei der Wiederholungsmessung<br />
am 01.08. fiel der Wasserspiegel um 5 cm/Std. Eine dritte<br />
Wiederholungsmessung am 3. August <strong>2005</strong> konnte nicht<br />
mehr durchgeführt werden, da der Wasserspiegel bereits<br />
um mehrere Meter gefallen war und der aktuelle Uferbereich<br />
nicht mehr zugänglich war (unten) (Fotos: A. Helm,<br />
<strong>GFZ</strong>).<br />
Top: During the calibration measurement with a Trimble<br />
4000 GPS receiver at the northern shoreline of the Merzbacher<br />
lake the water level rised on July 30, <strong>2005</strong> with a<br />
rate of 4 cm/h. During a second calibration measurement<br />
on August 1 at the same location the water level dropped<br />
with a rate of 5 cm/h. Bottom: On August 3 the water level<br />
already dropped several meter. Thus, a third measurement<br />
could not be conducted anymore and access to the new<br />
shoreline was not possible anymore without risc.<br />
dung einsetzen, sondern wird zurzeit auch für eine weltraumgestützte<br />
globale Überwachung des Meeresspiegels<br />
weiterentwickelt.<br />
Das TOR-Experiment auf TerraSAR-X<br />
Für die Erdfernerkundung gewinnen heute satellitengestützte<br />
Radarverfahren an Bedeutung. Der deutsche Satellit<br />
TerraSAR-X repräsentiert dabei eine neue Generation<br />
von Flugkörpern. Die Abkürzung SAR steht für „Synthetic<br />
Aperture Radar“ – Radar mit synthetischer Apertur.<br />
Mittels relativ kleiner Radarantennen wird eine hohe Auf-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb 1.17: Aus den am 30.07. (oben) und<br />
03.08.<strong>2005</strong> (unten) berührungslos gemessenen<br />
GPS-Reflexionsdaten lassen sich<br />
die gezeigten Höhenprofile des Merzbachersees<br />
ableiten. Aus den absoluten Höhen<br />
beider Profile lässt sich das Absinken<br />
des Wasserspiegels in diesem Zeitraum<br />
mit 14 m abschätzen.<br />
From the remotely measured GPS reflection<br />
data on July 30 (top) and August 3,<br />
<strong>2005</strong> (bottom) the shown height profiles<br />
of lake Merzbacher can be calculated.<br />
From the absolute heights of both profils<br />
a water level drop of 14 m can be estimated<br />
within the observed time interval.<br />
lösung erzielt, die sonst nur mit wesentlich<br />
größeren Durchmessern (Aperturen)<br />
erreichbar ist. Der „Trick“ des SAR-Verfahrens<br />
besteht darin, die Momentaufnahme<br />
einer großen stationären Antenne durch viele, mit<br />
Hilfe einer kleinen, phasengesteuerten Antenne gewonnene<br />
Aufnahmen zu ersetzen. Dabei wird jedes Objekt im<br />
Sendestrahl im Verlauf der Aufnahme unter verschiedenen<br />
Blickwinkeln angestrahlt. Bei genauer Kenntnis der<br />
Bahn des Radarsenders kann anschließend aus den<br />
gewonnenen Intensitäten und Phasenlagen ein Bild synthetisiert<br />
werden, das dem einer großen Antenne entspricht.<br />
TerraSAR-X trägt als Hauptnutzlast ein Radar-Phasenarray,<br />
das bei einer Frequenz von 9,65 GHz, d. h. im sogenannten<br />
X-Band arbeitet. Testflüge mit X-Band Radaranlagen<br />
an Bord des Space Shuttle (X-SAR 1994, SRTM<br />
2000) waren bisher auf wenige Tage begrenzt, so dass die<br />
wiederholte Aufnahme eines Gebiets über längere Zeiträume<br />
hinweg unmöglich war. Im Gegensatz dazu soll<br />
TerraSAR-X eine Missionsdauer von fünf Jahren erreichen<br />
und aufgrund seiner hohen Bahnneigung von 97,4°<br />
nahezu alle Gebiete der Erde erfassen. Der Satellit wird<br />
im Rahmen einer Public Private Partnership zwischen dem<br />
Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR)<br />
und der EADS Astrium GmbH realisiert und soll 2006<br />
vom Startplatz Baikonur in seine Erdumlaufbahn gebracht<br />
werden.<br />
Das <strong>GFZ</strong> Potsdam betreibt auf TerraSAR-X das TOR-<br />
Experiment als Sekundärnutzlast, welches zur Verbesse-<br />
Abb. 1.18: Oben: Wasserspiegel des Merzbachersees am<br />
30.07.<strong>2005</strong>, gesehen vom GPS-Empfängerstandort.<br />
Mitte: Am 05.08.<strong>2005</strong> ist der Wasserspiegel des Merzbachersees<br />
fast bis zum Seegrund gefallen. Unten: Am<br />
10.08.<strong>2005</strong> hat der stetige Wasserzulauf des Nordinylshik-<br />
Gletschers ein voll ausgebildetes Flussbett geschaffen<br />
(Fotos: A. Helm, <strong>GFZ</strong>).<br />
Top:Water level of lake Merzbacher on July 30, <strong>2005</strong>, seen<br />
from the OpenGPS receiver location. Middle: On August 5,<br />
<strong>2005</strong> the water level already dropped to the lake bottom.<br />
Bottom:On August 10 the steady water inflow of the North-<br />
Inylshik glacier created a fully developed river channel.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
175
176<br />
Abb. 1.19: Der Satellit TerraSAR-X in Flugkonfiguration<br />
mit ausgeklapptem X-Band Downlink-Ausleger. Die flache<br />
Radarantenne befindet sich an der Unterseite des<br />
Raumflugkörpers und zeigt zur Erdoberfläche (Quelle:<br />
DLR).<br />
The TerraSAR-X spacecraft in flight configuration with the<br />
X-band downlink boom deployed. The flat radar antenna<br />
at the lower part of the satellite body is facing towards the<br />
Earth surface.<br />
rung der wissenschaftlichen Nutzung der SAR-Daten<br />
sowie zur Sondierung der Erdatmosphäre dienen soll. Das<br />
Hauptziel besteht dabei in einer auf wenige Zentimeter<br />
genauen Bahnbestimmung des Satelliten. TOR (Tracking,<br />
Occultation and Ranging) enthält einen Zweifrequenz-<br />
GPS-Empfänger mit insgesamt vier Antennen sowie einen<br />
Laserretroreflektor. Der von der US-Firma BroadReach<br />
Engineering Inc. hergestellte GPS-Empfänger ist im Wesentlichen<br />
identisch mit dem auf CHAMP eingesetzten<br />
„BlackJack“ Instrument, das vom Jet Propulsion Laboratory<br />
in Pasadena entwickelt wurde und das seit dem Start<br />
von CHAMP Juli 2000 ausgezeichnete Daten liefert.<br />
Abb. 1.21: Links: Laserretroreflektor für TerraSAR-X,<br />
rechts: Signalverteilung im Fernfeld, Skala: 2 Bogensekunden<br />
pro Unterteilung (Foto: L. Grunwaldt, <strong>GFZ</strong>).<br />
Left side:Laser retroreflector for TerraSAR-X, right side:farfield<br />
signal distribution, scale is 2 arcseconds per division.<br />
Abb. 1.20: Die GPS-Navigationsantennen zur präzisen<br />
Bahnbestimmung auf Choke-Ringen montiert (Foto:<br />
EADS Astrium).<br />
The GPS navigation antennas for precise orbit determination<br />
mounted on choke rings.<br />
Damit eine Bahngenauigkeit von wenigen Zentimetern<br />
erreicht werden kann, dürfen die GPS-Signale die Navigationsantennen<br />
nur auf direktem Weg erreichen. Reflexionen<br />
an Teilen des Satellitenkörpers würden die Messwerte<br />
verfälschen und zu Ungenauigkeiten führen. Daher<br />
fertigte und qualifizierte das GeoForschungsZentrum für<br />
TerraSAR-X spezielle Antennenaufbauten. Diese sogenannten<br />
Choke-Ringe sollen störende GPS-Signalreflexionen<br />
weitgehend unterdrücken (Abb. 1.20).<br />
Zwei weitere TOR-Antennen werden zur vertikalen Sondierung<br />
der Erdatmosphäre genutzt und empfangen die<br />
Signale von GPS-Satelliten, welche für TerraSAR-X gerade<br />
am Horizont auf- bzw. untergehen. Die Verzögerung<br />
des Radiosignals beim Durchstrahlen der Troposphäre<br />
wird zur Ableitung von weltweiten Temperatur- und Feuchteprofilen<br />
genutzt. Dieses Radiookkultationsverfahren<br />
funktioniert auf CHAMP seit 2001 sehr erfolgreich.<br />
Der Laserretroreflektor ist an der Unterseite des Satelliten<br />
angebracht und dient zur externen Kalibrierung bzw.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Validierung der mittels GPS vermessenen Bahn. Die im<br />
weltweiten Netz des International Laser Ranging Service<br />
arbeitenden Laserbodenstationen vermessen dabei Teilstücke<br />
der Satellitenbahn zentimetergenau durch Laufzeitmessung<br />
ultrakurzer Lichtimpulse und bieten somit<br />
eine vom GPS unabhängige hochgenaue Referenz zur<br />
Qualitätsanalyse der GPS-Bahnen. Der am <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
entwickelte und bereits auf den Missionen CHAMP sowie<br />
GRACE-A und -B erfolgreich eingesetzte Reflektor ist<br />
nur ca. 10 cm groß (Abb. 1.21). Die Besonderheiten des<br />
Reflektors bestehen zum einen in der geringen Anzahl der<br />
eingesetzten Prismen, wodurch das reflektierte Signal sehr<br />
„scharf“ wird, zum anderen in einem speziellen Verfahren<br />
zur Kompensation des Einflusses der Satellitengeschwindigkeit<br />
auf die Richtung des Rückkehrsignals. Durch spezielle<br />
Formgebung der Reflexprismen wird das am Reflektor<br />
auf TerraSAR-X reflektierte Licht im Fernfeld dort<br />
konzentriert, wo sich die Laserstation befindet. Ohne diesen<br />
Kunstgriff würde ein großer Teil des Signals für die<br />
Messung verlorengehen.<br />
Das GeoForschungsZentrum besitzt aus seinen Arbeiten<br />
zur präzisen Bahnbestimmung der Missionen CHAMP<br />
und GRACE eine jahrelange Erfahrung auf dem Gebiet<br />
der GPS-gestützten Bahnen, die extern durch Lasermessungen<br />
validiert werden. Zusammen mit dem TOR-Experiment<br />
auf TerraSAR-X sollen die so verbesserten Radardaten<br />
zur Registrierung von Landsenkungen, bei der Überwachung<br />
und der Modellierung lokaler geologischer<br />
Gefährdungen, wie Hangrutschungen und Felsstürzen,<br />
sowie zur Erforschung der Eisdynamik eingesetzt werden.<br />
Das Schwerefeld der Erde<br />
Entwicklung der räumlichen Auflösung auf Basis moderner<br />
Schwerefeldmodelle<br />
Ein wesentlicher Aspekt der Missionen CHAMP und<br />
GRACE ist die Verbesserung der räumlichen Auflösung<br />
des statischen Schwerefeldes, die gegenüber der Zeit vor<br />
CHAMP deutlich um bis zu zwei Größenordnungen<br />
gesteigert werden konnte. Abb. 1.22 zeigt hierzu beispielhaft<br />
Schwereanomalien (Abweichungen vom Normalschwerefeld)<br />
über Europa aus dem Schwerefeldmodell<br />
GRIM5-S1, einer Kombination aus Satellitendaten<br />
der Zeit vor CHAMP, aus einem rein aus CHAMP-Beobachtungen<br />
abgeleiteten Modell (EIGEN-CHAMP03S),<br />
einem gegenüber CHAMP höher auflösenden GRACE-<br />
Abb. 1.22: Verbesserung der räumlichen Auflösung globaler Erdschwerefeldmodelle bestimmt aus Daten verschiedener<br />
geodätischer Satelliten (GRIM5-S1 Modell), nur aus CHAMP-Beobachtungen (EIGEN-CHAMP03S), nur aus<br />
GRACE-Daten (EIGEN-GRACE03S) und die mit GOCE erwartete Auflösung. Dargestellt sind Abweichungen der<br />
Schwere gegenüber mittleren Werten (Schwereanomalien) in mGal, wobei 1 mGal = 10 –5 m/s 2 .<br />
Improvement of the spatial resolution of static global gravity field models from geodetic satellite data (GRIM5-S1<br />
model), from CHAMP-only (EIGEN-CHAMP03S), from GRACE-only data and the to-be expected resolution from<br />
GOCE. Displayed are the deviations of gravity with respect to mean values (gravity anomalies) in mGal, where 1 mGal<br />
= 10 –5 m/s 2 .<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
177
178<br />
Produkt (EIGEN-GRACE03S) sowie einer Projektion,<br />
wie sie aus der Analyse der GOCE-Missionsdaten in 2007<br />
erwartet wird. Gegenüber der Zeit vor CHAMP werden<br />
auf Basis von CHAMP- und insbesondere GRACE-Daten<br />
deutlich kleinere Schwerefeldstrukturen aufgelöst, wie sie<br />
beispielsweise durch Gebirge hervorgerufen werden<br />
(Ural, Atlas, Alpen). Mit GRACE-Daten lassen sich Strukturen<br />
mit einem Durchmesser größer als 150 km erfassen,<br />
die GOCE-Mission soll Strukturen bis 80 km Durchmesser<br />
auflösen.<br />
Hochauflösende Schwerefeldmodelle aus der Kombination<br />
von Satelliten- und Oberflächendaten<br />
Eine höhere räumliche Auflösung globaler Modelle allein<br />
aus Satellitendaten, d. h. kleiner als 150 km (GRACE)<br />
bzw. kleiner als 80 km (GOCE), ist derzeit nicht erreichbar.<br />
Dagegen liefern Oberflächenmessverfahren wie Gravimetrie<br />
und Satellitenaltimetrie regionale Schwerefeldmodelle<br />
sehr hoher Auflösung im räumlich kurzwelligen<br />
Bereich unterhalb ca. 200 km. Zur Berechnung maximal<br />
auflösender Schwerefeldmodelle werden Satelliten- und<br />
Oberflächenschweredaten kombiniert, um Schwerefeldmodelle<br />
zu generieren, die sowohl im lang- als auch im<br />
kurzwelligen Spektralbereich eine hohe Genauigkeit besitzen.<br />
Abb. 1.23 verdeutlicht, wie die Auflösung von satellitenbasierten<br />
Schwerefeldmodellen durch eine Kombi-<br />
Abb. 1.23: Geoidundulationen (links) und Schwereanomalien (rechts) globaler<br />
Schwerefeldmodelle.<br />
Geoid undulations (left) and gravity anomalies (right) of global gravity field<br />
models.<br />
nation mit Oberflächendaten gesteigert wird. Derartige<br />
Kombinationsmodelle werden am <strong>GFZ</strong> Potsdam seit zehn<br />
Jahren berechnet, wobei mit den verfügbaren CHAMPund<br />
GRACE-Daten jedoch neue Herausforderungen im<br />
Hinblick auf eine optimale Kombination der verschiedenen<br />
Datentypen entstanden sind. Dies liegt einmal an der<br />
wesentlich höheren räumlichen Auflösung der neuen<br />
Satellitendaten, die wegen ihrer Sensitivität im Wesentlichen<br />
den langwelligen Anteil des Schwerefeldmodells<br />
bestimmen. Hier ist der optimale Übergangsbereich zu<br />
bestimmen, ab dem die Oberflächendaten die homogenen<br />
Satellitendaten ergänzen. Andererseits erlaubt die Verfügbarkeit<br />
neuer langwelliger Schwerefeldmodelle allein<br />
aus CHAMP- und GRACE-Daten eine verbesserte Aufbereitung<br />
und auch Homogenisierung der verschiedenen<br />
terrestrischen Datensätze bzw. macht diese notwendig.<br />
Ein Aspekt hierbei ist die Aufdeckung systematischer Einflüsse<br />
in den Oberflächendaten, die mit den neuartigen<br />
Satellitenmodellen viel klarer sichtbar werden und korrigiert<br />
werden müssen.<br />
Ein kürzlich am <strong>GFZ</strong> berechnetes Kombinationsmodell<br />
EIGEN-CG03C setzt sich zusammen aus GRACE-Daten<br />
(376 Tage; Februar bis Mai 2003, Juli bis Dezember 2003<br />
und Februar bis Juli <strong>2004</strong>), CHAMP-Daten (860 Tage; Oktober<br />
2000 bis Juni 2003) sowie aus Geoidundulationen<br />
und Schwereanomalien an der Erdoberfläche. Abb. 1.24<br />
zeigt die geografische Verteilung der verschiedenen<br />
für EIGEN-CG03C benutzten<br />
Oberflächendatensätze, die beispielsweise<br />
von der National Imagery and Mapping<br />
Agency (NIMA) und dem Alfred-Wegener-Institut<br />
veröffentlicht wurden und<br />
von den Herkunftsinstitutionen jeweils<br />
aus einer Vielzahl von Einzelmesskampagnen<br />
(Altimetrie und Gravimetrie)<br />
aufbereitet wurden.<br />
Das Schwerefeldmodell EIGEN-CG03C<br />
wurde in einem aus mehreren Schritten<br />
bestehenden Verfahren berechnet, das auf<br />
der Kombination von Normalgleichungen<br />
für die Kugelfunktionskoeffizienten<br />
beruht. Das Zusammenfügen der Teillösungen<br />
ergab das endgültige Modell<br />
EIGEN-CG03C, das aus Kugelfunktionskoeffizienten<br />
bis Grad und Ordnung<br />
360 besteht (Abb. 1.25). Es besitzt damit<br />
eine räumliche Auflösung von ca. 50 km<br />
auf der Erdoberfläche. Dies entspricht in<br />
etwa der dreifachen Auflösung der<br />
aktuellen CHAMP- und GRACE-Modelle.<br />
Die Genauigkeit von EIGEN-CG03C<br />
beträgt 3 cm bzw. 0,4 mGal bei einer<br />
Auflösung von 200 km und 30 cm bzw.<br />
8 mGal in der vollen Auflösung. Die Koeffizienten<br />
und weitere Informationen können<br />
von den Internetseiten des GRACE-<br />
Projekts (http://www.gfz-potsdam.de/<br />
pb1/op/grace/results) heruntergeladen<br />
werden.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 1.24: Die geografische Verteilung der in das Kombinationsmodell<br />
EIGEN-CG03C eingegangenen Oberflächendatensätze (1: Schwereanomalien<br />
im Nordpolarbereich, 2: Schwereanomalien für Nordamerika, 3: Schwereanomalien<br />
in der Antarktis, 4: Schwereanomalien auf den Ozeanen und<br />
im Küstenbereich, 5: Geoidundulationen über den Ozeanen und 6: Schwereanomalien<br />
auf dem Festland).<br />
The geographical distribution of the surface data sets as used for the combined<br />
model EIGEN-CG03C (1: gravity anomalies in the Arctic, 2: North<br />
America, 3: the Antarctic, 4: oceans and coastal zones, 5: geoid heights<br />
above oceans, 6: gravity anomalies above continents).<br />
Abb. 1.25: Schwereanomalien (mGal) des Kombinationsmodells EIGEN-<br />
CG03C.<br />
Gravity anomalies (mGal) of the combination model EIGEN-CG03C.<br />
Abb. 1.26: Der GOCE-Satellit (Quelle: ESA).<br />
The GOCE satellite.<br />
Die ESA-Satellitenmission GOCE<br />
Die Satellitenmission GOCE („Gravity<br />
Field and Steady-State Ocean Circulation<br />
Explorer“) ist die erste „Earth Explorer<br />
Core Mission“ der ESA im Rahmen<br />
des „Living Planet Programme“. Gleichzeitig<br />
ist GOCE (Abb. 1.26) nach<br />
CHAMP und GRACE der dritte speziell<br />
zur globalen und hochgenauen<br />
Erfassung des Erdschwerefeldes konzipierte<br />
Satellit.<br />
Bislang können Informationen über die<br />
globale Struktur des Erdschwerefeldes<br />
nur durch die Analyse von Störungen der<br />
Satellitenbahnkurven abgeleitet werden,<br />
z. B. aus GPS-Messungen (CHAMP)<br />
oder aus gegenseitigen Distanzmessungen<br />
zwischen zwei hintereinander fliegenden<br />
Satelliten (GRACE). Bei der<br />
GOCE-Mission wird nun erstmals die<br />
Aufzeichnung von direkten Messsignalen<br />
des Erdschwerefeldes auf einem<br />
Satelliten realisiert: Weil sich alle Satelliten<br />
bzw. ihre Massenzentren im Orbit im<br />
Zustand der Schwerelosigkeit befinden,<br />
ist Schwerkraft, die einen Satelliten auf<br />
seiner Bahn hält, an Bord nicht messbar.<br />
Möglich ist jedoch die Messung der<br />
Schwerkraftdifferenzen zwischen dem<br />
Massenzentrum und wenige Dezimeter<br />
davon entfernten Messpunkten. Dies wird<br />
auf GOCE mit hochgenauen, elektrostatischen<br />
Beschleunigungsmessern, sogenannten<br />
Akzelerometern realisiert, Weiterentwicklungen<br />
der in CHAMP und<br />
GRACE verwendeten Beschleunigungsmesser.<br />
Im Satelliten GOCE bilden die<br />
drei senkrecht zueinander stehenden<br />
Paare von dreiachsigen Akzelerometern<br />
das sogenannte Satellitengradiometer<br />
(Satellite Gravity Gradiometer – SGG),<br />
dessen Schwerpunkt im Massenzentrum<br />
liegt (siehe Abb. 1.27).<br />
Abb. 1.27: Das Herzstück des GOCE-Gradiometers bei<br />
der Montage: Die drei Akzelerometer-Paare (Foto: ESA).<br />
The core of the GOCE gradiometer – the three accelerometer<br />
pairs.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
179
180<br />
Die Messungen der Schwerefeldgradienten dieses Satellitengradiometers,<br />
zusammen mit klassischen Bahnstörungsanalysen<br />
auf der Basis der gleichzeitig durchgeführten GPS-<br />
Messungen, gestatten eine bisher unerreichte Genauigkeit<br />
bei der Bestimmung des globalen Schwerefeldes. Das Ziel<br />
der GOCE-Mission ist die Bestimmung des Geoids (Äquipotentialfläche<br />
des Erdschwerefeldes) mit einer Genauigkeit<br />
von ein bis zwei Zentimetern und die Erfassung der<br />
Anomalien des Erdschwerefeldes mit einer Genauigkeit von<br />
1 mGal (1 mGal = 10 –5 m/s 2 ) bei einer räumlichen Auflösung<br />
besser als 100 km. GOCE wird voraussichtlich Anfang 2007<br />
vom russischen Kosmodrom Plesetsk gestartet. Die von der<br />
GOCE-Mission erwarteten hochgenauen Informationen<br />
über das Schwerefeld werden zu einem besseren Verständnis<br />
von geophysikalischen Prozessen im Erdinneren beitragen,<br />
wie z. B. die mit Vulkanismus und Erdbeben verbundenen<br />
physikalischen Vorgänge. Außerdem werden von<br />
GOCE Beiträge zur Erforschung der Ozeanzirkulationen,<br />
der postglazialen Landhebungen, von Eismassenbilanzen<br />
und von Meerespiegeländerungen erwartet.<br />
Im Rahmen des GOCE-Projekts haben zehn europäische<br />
geowissenschaftliche und geodätische Forschungseinrichtungen<br />
das „European GOCE Gravity Consortium“ (EGG-<br />
C) gegründet. Unter der Leitung dieses Konsortiums wird<br />
seit einigen Jahren die „GOCE High-Level Processing<br />
Facility“ (GOCE-HPF) aufgebaut, ein über ganz Europa<br />
verteiltes Datenverarbeitungssystem zur Schwerefeldbestimmung.<br />
Nach dem Start des Satelliten wird die HPF im<br />
Auftrag der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA die Prozessierung<br />
der GOCE-Messdaten durchführen. Dabei ist<br />
vorgesehen, die GOCE-Messungen gleichzeitig nach verschiedenen<br />
Algorithmen auszuwerten. Das <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
bildet einen Teil des EGG-C und ist innerhalb der HPF in<br />
Zusammenarbeit mit dem Centre National d’Etudes Spatiales<br />
(CNES) in Toulouse, Frankreich für die Bestimmung<br />
des Erdschwerefelds direkt aus den GOCE-Messungen<br />
(„direct method“) zuständig. Dazu sind vom GeoForschungsZentrum<br />
Techniken für die Verarbeitung der Gradiometer-<br />
und GPS-Messungen sowie deren Filterung und<br />
Gewichtung entwickelt worden. Außerdem wurden die bei<br />
CHAMP und GRACE erfolgreich angewandten Techniken<br />
der Schwerefeldbestimmung aus Bahnstörungen auf der<br />
Basis von GPS-Messungen an die erwarteten Bedingungen<br />
der GOCE-Mission angepasst.<br />
Ein wichtiger Meilenstein beim Aufbau der HPF war der<br />
erfolgreiche „Acceptance Review 1 Test“ im Sommer <strong>2005</strong><br />
– ein vollständiger Leistungstest aller Datenübertragungs-,<br />
Archivierungs- und Prozessierungssysteme unter den<br />
zeitlich realistischen Anforderungen des späteren Missionsbetriebs.<br />
Da es noch keine realen Messungen eines<br />
Satellitengradiometers gibt, wurde dieser Test mit simulierten<br />
Messdaten durchgeführt – ein in der Satellitengeodäsie<br />
bewährtes Verfahren zum Testen komplexer Softwaresysteme.<br />
Dafür standen 30 Tage mit dem Erdschwerefeldmodell<br />
EGM96 simulierte GOCE-Messdaten von der<br />
ESA zur Verfügung. Die Schwerefeldbestimmung an diesen<br />
Daten ergab das in die Simulation hineingesteckte<br />
Schwerefeldmodell mit einer Genauigkeit, die dem Missionsziel<br />
von GOCE entspricht.<br />
Beobachtungen mit Supraleitgravimetern – Station<br />
Sutherland in Südafrika<br />
Das Supraleitgravimeter (SG) an der vom <strong>GFZ</strong> betriebenen<br />
Station Sutherland (SAGOS) in Südafrika registriert<br />
seit 2000 kontinuierlich Schwerevariationen in hoher Qualität.<br />
Die Station ist Bestandteil des Global Geodynamic<br />
Project (GGP), das weltweit 20 SG-Stationen umfasst. Die<br />
Daten werden sowohl im <strong>GFZ</strong> Potsdam als auch von internationalen<br />
Institutionen ausgewertet. Aus den am <strong>GFZ</strong><br />
durchgeführten Datenanalysen sollen zwei Ergebnisse vorgestellt<br />
werden.<br />
Abb. 1.28: „Dual Sphere“ Supraleitgravimeter-Installation<br />
an der Station Sutherland, (Foto: Neumeyer,<br />
<strong>GFZ</strong>).<br />
„Dual Sphere“ Superconducting Gravimeter installation<br />
at station Sutherland.<br />
Abb. 1.29: Eingang des „South African Geodynamic<br />
Observatory Sutherland“, SAGOS (Foto: Neumeyer, <strong>GFZ</strong>).<br />
Entrance of „South African Geodynamic Observatory<br />
Sutherland“, SAGOS.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Vergleich der zeitlichen Variationen des Erdschwerefeldes<br />
abgeleitet aus SG-Registrierungen, GRACE-Beobachtungen<br />
und globalen hydrologischen Modellen<br />
Die zeitlichen Variationen des Erdschwerefelds, die aus<br />
GRACE-Beobachtungen gewonnen werden, haben eine<br />
Schwereauflösung von ca. 1 µGal bei einer räumlichen<br />
Abb.1.30:Blick vom SAGOS zu den astronomischen<br />
Beobachtungskuppeln des<br />
„South African Astronomical Observatory“<br />
(SAAO) in Sutherland (Foto: Neumeyer,<br />
<strong>GFZ</strong>).<br />
View from SAGOS to astronomical observation<br />
domes at „South African Astronomical<br />
Observatory“ (SAAO) Sutherland.<br />
Auflösung (λ/2) von 1.330 km (l max = 15)<br />
sowie eine zeitliche Auflösung von einem<br />
Monat. Für eine Kombination dieser aus<br />
GRACE abgeleiteten zeitlichen Variationen<br />
des Schwerefeldes mit Bodenmessungen<br />
sind nur Supraleitgravimeter geeignet, da diese<br />
die geforderte Langzeitstabilität (korrigierbare lineare<br />
Drift von wenigen µGal pro Jahr) und Schwereauflösung<br />
(~ 0,1µGal im Zeitbereich) besitzen.<br />
Damit Schwerevariationen, die aus GRACE-Beobachtungen<br />
abgeleitet wurden, mit den Supraleitgravimeter-Mes-<br />
Abb. 1.31: Schwerevariationen (δgm), die aus SG- und<br />
GRACE-Beobachtungen sowie dem globalen hydrologischen<br />
Model H96 an den SG-Stationen MO, WE, ME, SU,<br />
WU und MA abgeleitet wurden.<br />
Gravity variations (δgm) derived from SG, GRACE and<br />
H96-model at SG sites MO, WE, ME, SU, WU and MA.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
181
182<br />
sungen verglichen werden können, werden aus beiden Zeitreihen<br />
die gleichen bekannten Schwerevariationen herausgerechnet.<br />
Deshalb sind Erd- und Ozeangezeiten, Polgezeiten<br />
sowie Auflasten der Atmosphäre und des Ozeans<br />
in beiden Vergleichsdatensätzen nicht enthalten. Als Ursache<br />
für die verbleibenden Schwerevariationen werden vornehmlich<br />
hydrologische Einflüsse angenommen. Deshalb<br />
wurden zusätzlich Schwerevariationen aus dem globalen<br />
hydrologischen Modell H96 (NOAA Climate Prediction<br />
Center) ermittelt und verglichen. Für den Vergleich wurden<br />
sechs Supraleitgravimeter-Stationen Sutherland, Südafrika<br />
(SU), Moxa, Deutschland (MO), Wettzell, Deutschland<br />
(WE), Metsahovi, Finnland (ME), Matsushiro, Japan<br />
(MA) und Wuhan, China (WU) ausgewählt (Abb. 1.31).<br />
Neben den GRACE-Lösungen des <strong>GFZ</strong> wurden die Lösungen<br />
der University of Texas, Center for Space Research<br />
(UTCSR) mit den räumlichen Auflösungen λ/2 =<br />
2.000 km ((l max = 10), λ/2 = 1.330 km ((l max = 15) und λ/2<br />
= 1.000 km ((l max = 20) verglichen. Der Vergleich zeigt<br />
eine Übereinstimmung der Schwerevariationen, die aus<br />
SG (δgm SG), GRACE (δgm G-<strong>GFZ</strong> und δgm G-UTCSR) und dem<br />
hydrologischen Modell H6 (δgm H96) abgeleitet wurden. Es<br />
konnte gezeigt werden, dass aus SG-Messungen abgeleitete<br />
Schwerevariationen, die auf Punktmessungen beruhen,<br />
dann für ein großes Gebiet repräsentativ sind, wenn<br />
die lokalen Effekte (vornehmlich hydrologische) reduziert<br />
werden. Um dies zu verdeutlichen, wurden die SG-Schwerevariationen<br />
auch ohne Reduktion des lokalen Grundwassereinflusses<br />
für die Stationen MO, ME und WE dargestellt<br />
(δgm SG-gwl).<br />
Translatorische Schwingung des inneren Erdkerns (Slichter-Triplett)<br />
Nach der Theorie von Slichter (1961) werden Moden der<br />
freien Oszillation der Erde durch translatorische Schwingungen<br />
des inneren Erdkerns hervorgerufen. Beim Slich-<br />
Abb. 1.32: Detektion des Slichter-Triplett.<br />
Detection of the Slichter-Triplet.<br />
ter-Triplett (den drei Slichter-Moden) handelt es sich um<br />
solche vornehmlich durch die Erdrotation aufgespalteten<br />
Moden, die durch eine translatorische Schwingung des<br />
innern Erdkerns verursacht werden. Seit der ersten Vermutung<br />
dieser Schwingung wurden zahlreiche Schweremessungen<br />
von unterschiedlichen Gravimetern untersucht,<br />
leider bisher ohne anerkanntes positives Ergebnis.<br />
Die durchgeführte Analyse ist ein Beitrag zur signifikanten<br />
Detektion dieses Tripplets. Für die Analyse wurden<br />
Daten der GGP-Stationen verwendet und einer einheitlichen<br />
Bearbeitung unterzogen. Zunächst wurden die<br />
Daten auf eine Abtastrate von fünf Minuten gefiltert und<br />
reduziert sowie ein aus Modellparametern berechnetes<br />
Schweregezeitensignal subtrahiert. Anschließend wurden<br />
die Schwereeinflüsse der Polbewegung (mit den C04-Daten<br />
des IERS) und der Ozeanauflast (Verwendung der<br />
Kataloge NAO99b und FES99) subtrahiert. Die Korrektur<br />
des Schwereeinflusses des Luftdrucks erfolgte mit<br />
Hilfe der frequenzabhängigen Admittanz zwischen Luftdruck<br />
und Schweresignal. Eine abschließend durchgeführte<br />
Erdgezeitenanalyse bestimmte aus den verbleibenden<br />
Residuen die lokalen Erdgezeitenparameter, um die<br />
oben erwähnten Modellparameter an die Station anzupassen.<br />
Für die Signalanalyse zur Detektion der Moden wurden<br />
die Residuen auf den interessanten Frequenzbereich von<br />
2,5 cpd (cycles per day) bis 8,5 cpd bandpassgefiltert. Eine<br />
Multistationslösung (Courtier 2000) wurde verwendet,<br />
um die Residuen der sieben am weitesten verteilten Stationen<br />
(Boulder, Colorado; Canberra, Australien; Matsushiro,<br />
Japan; Membach, Belgien; Metsahovi, Finnland;<br />
Sutherland, Südafrika und Wien, Österreich) zusammenzuführen.<br />
Die eigentliche Frequenzanalyse wurde mit dem<br />
Goertzel-Algorithmus (eine Erweiterung der Fast Fourier<br />
Transform, die eine höhere Frequenzauflösung ermöglicht)<br />
durchgeführt. Ein Vergleich der als<br />
signifikant erkannten Amplituden (Signifikanzschwelle<br />
von etwa 70 % im Testverfahren)<br />
mit einem theoretischen Aufspaltungsverhältnis<br />
ergab als Ergebnis<br />
das in Abb. 1.32 dargestellte Triplett.<br />
Atmosphärensondierung<br />
Boden- und satellitengestützte Fernerkundung<br />
der Erdatmosphäre mit GPS-<br />
Signalen<br />
Parallel zur Etablierung des U.S.-amerikanischen<br />
Satellitennavigationssystems<br />
GPS (Global Positioning System) für präzise<br />
Navigation mit verschiedensten<br />
Anwendungen in Wirtschaft, Militärwesen<br />
und Wissenschaft, entwickelten sich<br />
GPS-basierte Methoden zur Atmosphärenfernerkundung.<br />
Grundprinzip dieser<br />
Techniken ist die Ableitung atmosphärischer<br />
Parameter (z. B. Brechungsvermögen,<br />
Luftdruck, Temperatur, Wasser-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 1.33: Globale und regional verdichtete GPS-/GALILEO-Bodennetzwerke bilden zusammen mit einer Konstellation<br />
niedrigfliegender Satelliten (ausgerüstet mit GPS-/GALILEO-Empfängern) und den Navigationssatelliten ein geodätisch-basiertes<br />
System zur globalen Sondierung der elektrisch neutralen und ionisierten Erdatmosphäre.<br />
Global and regionally densified GPS/GALILEO ground networks constitute, together with a constellation of low Earth<br />
orbiting satellites (equipped with GPS/GALILEO receivers) and the navigation satellites, a geodetically based system<br />
for global sounding of the electrically neutral and ionized Earth atmosphere.<br />
dampf und Elektronendichte) aus Veränderungen der<br />
GPS-Signale beim Durchgang durch die elektrisch neutralen<br />
und ionisierten Erdatmosphärenschichten. Wesentliche<br />
Eigenschaften sind: Wetterunabhängigkeit, hohe<br />
Genauigkeit bei hoher vertikaler Auflösung, Kalibrierungsfreiheit<br />
und vergleichsweise kostengünstige Umsetzung.<br />
Bodengestützte Techniken erlauben eine regional<br />
hoch aufgelöste Ableitung des gasförmigen atmosphärischen<br />
Wassergehalts, der Gesamtanzahl der freien<br />
Elektronen (vertikal integrierte Säulen) sowie entsprechender<br />
3D-Verteilungen mit hoher zeitlicher Auflösung.<br />
Die weltraumgestützte GPS-Radiookkultationsmethode<br />
wird zur Vertikalsondierung atmosphärischer und ionosphärischer<br />
Parameter im globalen Maßstab an Bord<br />
niedrigfliegender Satelliten, wie z. B. CHAMP und GRACE<br />
eingesetzt. Daher sind boden- und weltraumgestützte Techniken<br />
komplementär bezüglich der räumlichen und zeitlichen<br />
Auflösung. Die Eigenschaften der GPS-Fernerkundungsmethoden<br />
erlauben vielfältige Anwendungen in<br />
der Atmosphären-/Ionosphärenforschung und haben ein<br />
großes Potential zur Verbesserung regionaler und globaler<br />
numerischer Wettervorhersagen, zur Beobachtung von<br />
Weltraumwettereffekten und zur Beobachtung von klimatisch<br />
bedingten Änderungen der Erdatmosphäre. Gegenstand<br />
gegenwärtiger Forschung ist weiterhin die Auswertung<br />
von an Meeres- oder Eisoberflächen reflektierten<br />
GPS-Signalen zur Ableitung charakteristischer Eigenschaften<br />
der reflektierenden Oberflächen, wie z. B. Meeresspiegelschwankungen,<br />
Wellenhöhen und -richtungen<br />
oder Eisbedeckung. Bei zukünftiger Nutzung aus dem<br />
Weltraum ergibt sich eine völlig neue Methode zur Beobachtung<br />
der Ozeane und Polargebiete im globalen Maßstab.<br />
In naher Zukunft wird das GPS-System durch das<br />
europäische GALILEO-Satellitennavigationssystem ergänzt.<br />
Damit wird sich die Zahl der Signalquellen für die<br />
Atmosphärensondierung etwa verdoppeln. Abb. 1.33 zeigt<br />
eine mögliche zukünftige Konstellation der Verfahren zur<br />
GPS-/GALILEO-basierten Atmosphärenfernerkundung.<br />
Das <strong>GFZ</strong> Potsdam nutzt seit 1997 GPS-Bodenmessungen<br />
des sich ständig erweiternden globalen Bodennetzes<br />
des IGS (International GNSS Service, gegenwärtig ca.<br />
300 Stationen, davon 180 am <strong>GFZ</strong> ausgewertet) zur Ableitung<br />
des vertikal integrierten Wasserdampfgehaltes der<br />
Atmosphäre (Wasserdampfsäule). Zusätzlich werden seit<br />
2000 die Daten eines regional verdichteten GPS-Netzes,<br />
gegenwärtig ca. 280 Stationen, in die Auswertung einbezogen.<br />
Für 220 dieser Stationen erfolgen die Analysen<br />
kontinuierlich und die Ergebnisse werden mit geringer<br />
zeitlicher Verzögerung in Nahezu-Echtzeit zur Verfügung<br />
gestellt. Erste Untersuchungen zur Auswirkung von GPS-<br />
Daten auf regionale numerische Wettervorhersagen wurden<br />
vom Deutschen Wetterdienst durchgeführt und zeigten<br />
z. B. etwa 2 % Verbesserung für die 12h-Vorhersage<br />
der relativen Feuchte. Der Einfluss auf die Niederschlagsvorhersage<br />
ist nicht eindeutig nachweisbar. Für<br />
einige Fallstudien, z. B. das Elbehochwasser, konnten<br />
jedoch signifikante Verbesserungen mit GPS-Daten demonstriert<br />
werden (Abb. 1.34).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
183
184<br />
Abb 1.34: Tatsächliche Niederschlagsverteilung über<br />
Deutschland (synop, oben), abgeleitet aus Wetterradardaten<br />
während des Elbehochwassers (08. 08. 2002, 18:00<br />
UTC). Zugehörige 12h-Vorhersage des Deutschen Wetterdienstes<br />
ohne GPS-Bodendaten (opr, Mitte) und mit<br />
GPS-Daten von ca. 100 Stationen (gps, unten). Eine Verbesserung<br />
der Lage und der Intensität der Niederschlagszelle<br />
im Bereich des Erzgebirges konnte durch<br />
zusätzliche Verwendung von GPS-Daten erreicht werden.<br />
Actual precipitation distribution over Germany (synop,<br />
top), derived from weather radar data during the Elbe<br />
flood (August 8, 2002, 18:00 UTC). Corresponding 12-h<br />
forecast of the German Weather Service without GPS<br />
ground data (opr, centre) and with GPS data of approximately<br />
100 stations (gps, bottom). An improvement of<br />
location and intensity of rain segments in the region of the<br />
Erz Mountains is possible by adding GPS data.<br />
Bereits seit 2001 wird die GPS-Radiookkultationsmethode<br />
an Bord von CHAMP kontinuierlich angewendet. Mit<br />
bisher über 400.000 Okkultationsmessungen ist der von<br />
CHAMP bereitgestellte Datensatz weltweit einzigartig. Er<br />
wird von zahlreichen internationalen Forschungsgruppen<br />
genutzt. Weiterhin bildet er die Grundlage zur Vorbereitung<br />
neuer operationeller GPS-Okkultationsmissionen,<br />
deren Start für das Frühjahr 2006 vorgesehen ist, wie die<br />
U.S./taiwanesische Satellitenmission COSMIC und die<br />
polumlaufende Komponente des europäischen Wettersatellitensystems<br />
METOP, auf der sich ebenfalls GPS-Empfänger<br />
zur Atmosphärensondierung befinden.<br />
Erste Okkultationsmessungen von GRACE wurden Mitte<br />
<strong>2004</strong> aufgezeichnet und Ende September <strong>2005</strong> folgte erstmals<br />
eine größere Anzahl von Messungen. Zusammen mit<br />
CHAMP konnte die täglich verfügbare Zahl global verteilter<br />
Okkultationsmessungen somit etwa verdoppelt<br />
werden. Die Daueraktivierung der GRACE-Okkultationen<br />
wird für Anfang 2006 erwartet. Die Datenqualität von<br />
GRACE ist mit der von CHAMP vergleichbar (siehe<br />
Abb. 1.35).<br />
Die CHAMP-Daten werden routinemäßig ausgewertet<br />
und entsprechende Datenprodukte (global verteilte Vertikalprofile<br />
des atmosphärischen Brechungsvermögens,<br />
der Temperatur, des Wasserdampfs und der Elektronendichte)<br />
über das <strong>GFZ</strong>-Datenzentrum bereitgestellt<br />
(Abb. 1.36). Die Qualität der Atmosphärendaten wird<br />
durch ständige Vergleiche mit globalen Wetteranalysen<br />
und Messungen des globalen Netzes von Radiosondenstationen<br />
(Wetterballone) gewährleistet.<br />
Herzstück der operationellen <strong>GFZ</strong>-Bodeninfrastruktur für<br />
den Datenempfang ist eine polare Satellitenempfangsantenne.<br />
Diese ist Voraussetzung für die weltweit erstmals am<br />
<strong>GFZ</strong> mit CHAMP demonstrierte kontinuierliche Bereitstellung<br />
von Nahezu-Echtzeit-GPS-Okkultationsdaten für<br />
globale Wettervorhersagezentren. Ziel eines national<br />
geförderten Forschungsprojekts (GEOTECHNOLOGIEN)<br />
wird die weitere Verringerung der Bereitstellungsverzögerung<br />
und die Verbesserung von globalen Wettervorhersagen<br />
mit CHAMP- und auch GRACE-Daten sein.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 1.35: Vergleich von GPS-Okkultationsmessungen<br />
von CHAMP und GRACE<br />
mit meteorologischen Analysen des Europäischen<br />
Zentrums für Mittelfristvorhersage<br />
(ECMWF) für den 23. bis 30.09.<strong>2005</strong>.<br />
Dargestellt sind mittlere prozentuale Abweichung<br />
zwischen CHAMP bzw. GRACE<br />
und ECMWF (blau) und die entsprechende<br />
Standardabweichung (rot) für mehr als<br />
1.000 Messungen beider Satelliten. Verglichen<br />
wurde das atmosphärische Brechnungsvermögen<br />
(Refraktivität N), eine<br />
Größe, die von den Wetterdiensten für die<br />
Datenassimilation genutzt wird. Aus den<br />
Abweichungen kann auf Schwachstellen<br />
der Analysen geschlossen werden.<br />
Comparison of CHAMP and GRACE GPS<br />
occultation measurements with meteorological<br />
analysis of the European Centre<br />
for Medium-Range Weather Forecasts<br />
(ECMWF) for September 23-30, <strong>2005</strong>.<br />
The mean deviation in percent between<br />
CHAMP, respectively GRACE, and the<br />
ECMWF (blue) and the corresponding<br />
standard deviation (red) for more than<br />
1,000 measurements of both satellites are illustrated. The atmospheric bending capacity (refractivity N), a parameter<br />
being used by weather services for data assimilation, was compared. From these deviations, weak spots of the analysis<br />
can be concluded.<br />
Am Europäischen Zentrum für Mittelfristvorhersage<br />
(ECMWF) konnten mit CHAMP-Daten erste Verbesserungen<br />
der globalen Wettervorhersage, vor allem für die<br />
Vorhersage auf der Südhalbkugel demonstriert werden.<br />
Bemerkenswert ist dabei, dass bei Verwendung einer relativ<br />
kleinen Anzahl von CHAMP-Messungen (12.500 im<br />
Vergleich zu ca. 2,5 Millionen anderer Daten) bereits eine<br />
signifikante Verbesserung bei der Vorhersage erreicht<br />
werden konnte.<br />
Am <strong>GFZ</strong> selbst erfolgen klimatologische Untersuchungen<br />
mit den CHAMP-Daten zu Veränderungen von Tropopauseneigenschaften<br />
und zu atmosphärischen Wellenphänomenen<br />
(Schwerewellen, Abb. 1.37), die sich in das<br />
DFG-Schwerpunktprogramm im Rahmen des internationalen<br />
CAWSES-Atmosphärenforschungsprogramms einordnen<br />
(Climate and Weather of the Sun-Earth-System).<br />
Gegenwärtig wird beispielsweise untersucht, ob es einen<br />
solaren Einfluss auf die Häufigkeit der Wellenphänome-<br />
Abb. 1.36: Globale Verteilung der mittleren spezifischen Feuchte in einer Höhe von ca. 4 km (600 hPa Druckniveau)<br />
für den Nordsommer <strong>2004</strong> (01.06. bis 31.08.), abgeleitet aus ca. 11.200 CHAMP-Okkultationsmessungen.<br />
Global distribution of mean specific humidity in an altitude of approximately 4 km (600 hPa pressure level) for the northern<br />
summer <strong>2004</strong> (June 1 to August 31, <strong>2004</strong>), derived from approximately 11,200 CHAMP occultation measurements.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
185
186<br />
ne und somit auf Wetter und Klima gibt. Die nach wie vor<br />
schwierige globale Charakterisierung derartiger Phänomene<br />
ist für die Klima- und Wettermodellierung bzw.<br />
-vorhersage von erheblicher Bedeutung. Die GPS-Radiookkultation<br />
kann hier aufgrund der hohe vertikalen Auflösung<br />
und des globalen Charakters der Messungen einen<br />
wertvollen Beitrag leisten.<br />
Hervorzuheben sind weiterhin <strong>GFZ</strong>-Untersuchungen zur<br />
globalen Erfassung von Tropopausenparametern (z. B.<br />
Druck, Höhe, Temperatur). Auch hierfür sind GPS-Okkultationsmessungen<br />
besonders geeignet (siehe Artikel<br />
„CHAMP und GRACE – erfolgreiche Schwerefeld- und<br />
Klimamissionen“ in diesem Bericht). Die globale Erwärmung<br />
ist mit einer Ausdehnung der Erdatmosphäre verbunden,<br />
die auch zu einer globalen Anhebung der Tropopause<br />
führt und mit CHAMP sichtbar gemacht werden<br />
kann. Aktuelle Studien zeigen, dass diese Tropopausenerhöhung<br />
neben Beobachtungen auf der<br />
Erdoberfläche als zusätzlicher Indikator<br />
für Klimaänderungen dienen kann. Teilweise<br />
kann sogar ein deutlich klareres und<br />
signifikanteres Klimasignal erhalten<br />
werden als aus Änderungen der Erdoberflächentemperatur.<br />
Statistisch signifikante<br />
Aussagen sind jedoch erst nach der<br />
Analyse von Datensätzen, die sich über<br />
klimatologisch relevante Zeiträume<br />
erstrecken, zu erwarten.<br />
Beobachtung des Meeresspiegels<br />
TIGA – Prozessierung von GPS-Daten an<br />
Pegelstationen<br />
Gezeitenpegel, wie sie in vielen Häfen<br />
und Küstenabschnitten betrieben werden,<br />
haben eine überragende Bedeutung für<br />
die Beobachtung langfristiger Änderungen<br />
des Meeresspiegels, da hiermit z. B.<br />
klimatisch bedingte Änderungen verfolgt<br />
Abb. 1.37: Globale Verteilung der mittleren<br />
(2001 bis <strong>2005</strong>) Energie von atmosphärischen<br />
Schwerewellen von Dezember<br />
bis Februar (Südsommer), abgeleitet aus<br />
CHAMP-Messungen im Rahmen des<br />
CAWSES-Projektes (siehe Text). Die<br />
Parametrisierung der Schwerewellenaktivität<br />
für die globale Wetter- und Klimamodellierung<br />
ist derzeit eine Herausforderung<br />
in der Atmosphärenforschung.<br />
Global distribution of mean (2001-<strong>2005</strong>)<br />
energy of atmospheric gravity waves from<br />
December until February (southern summer),<br />
derived from CHAMP measurements<br />
within the framework of the CAW-<br />
SES project. The parametrization of gravity<br />
wave activity for global weather and<br />
climate modelling is a challenge for<br />
atmosphere research.<br />
werden können. Während über viele Jahrzehnte hydrographische<br />
Dienste und Behörden die Pegelstationen<br />
unterhalten haben, werden sie heute häufig von wissenschaftlichen<br />
Einrichtungen und internationalen Initiativen<br />
betrieben (z. B. GEO/GEOSS, WMO, GGOS, UNES-<br />
CO/GLOSS). Für die wissenschaftliche Nutzung der<br />
Pegelmessungen ist eine unabhängige und kontinuierliche<br />
Überwachung des Höhenbezugs der Messungen notwendig,<br />
um vertikale Höhenänderungen der Pegelstation zu<br />
korrigieren. Mit GPS-Messungen können neben den langfristigen<br />
auch kleinskalige zeitliche Änderungen, z. B.<br />
durch wechselnde Auflastdeformationen hervorgerufen,<br />
erfasst werden.<br />
Aus GPS abgeleitete Koordinaten werden heute in hoher<br />
Qualität und Kontinuität vom International GNSS Service<br />
(IGS), zu dem auch das <strong>GFZ</strong> seit 1991 beiträgt, zur Verfügung<br />
gestellt. Wöchentliche Lösungen mit bis zu 280<br />
Abb. 1.38: Verteilung der am TIGA-Projekt teilnehmenden (grün) und in<br />
Kürze zu installierenden (rot) Stationen.<br />
Distribution of stations participating in TIGA (green) and soon to be installed<br />
(red).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
weltweit verteilten Stationen werden mit nur geringer zeitlicher<br />
Verzögerung aus den Teillösungen von mehreren<br />
Analysezentren kombiniert. Untersuchungen am <strong>GFZ</strong> und<br />
anderen Forschungseinrichtungen haben aber gezeigt,<br />
dass diese Produkte nur eingeschränkt für die Kombination<br />
mit Pegelmessungen nutzbar sind.<br />
Vom IGS wurde 2001 die Einrichtung eines Pilotprojekts<br />
„Tide Gauge Benchmark Monitoring Pilot Project“ (TIGA)<br />
beschlossen, das sich dieser Thematik widmet. Dieses<br />
Pilotprojekt unter der Leitung des <strong>GFZ</strong> Potsdam hat sich<br />
seit dieser Zeit erfolgreich entwickelt. Aktuell stellen<br />
über 100 Stationen die GPS-Daten, Pegeldaten und die<br />
notwendigen Verbindungsmessungen zur Verfügung<br />
(http://op.gfz-potsdam.de/tiga/). Das Hauptziel von<br />
TIGA ist die Prozessierung und Neuprozessierung von<br />
GPS-Daten an Pegelstationen, allerdings mit einer hohen<br />
zeitlichen Verzögerung. So wird sichergestellt, dass eine<br />
möglichst große Anzahl von Stationen ausgewertet werden<br />
kann und dass im Rahmen der Neuprozessierung auch<br />
Inhomogenitäten in den bisher vom IGS verbreiteten Zeitserien<br />
vermieden werden können. Insgesamt tragen zu<br />
dem Pilotprojekt sechs Analysezentren bei. Im Hinblick<br />
auf eine bestmögliche Konsistenz aller Koordinaten der<br />
GPS-Stationen und daran angeschlossenen Pegel ist eine<br />
Kombination der Lösungen aller Analysezentren nötig.<br />
Nur dadurch kann gewährleistet werden, dass die abgeleiteten<br />
Zeitreihen der Stationskoordinaten für alle Stationen<br />
in einem einheitlichen globalen Referenzsystem<br />
gegeben, untereinander konsistent und vergleichbar sind.<br />
Bisher stand im Rahmen des TIGA-Projekts keine derartige<br />
Kombination zur Verfügung sondern lediglich die<br />
individuellen Lösungen der einzelnen Analysezentren.<br />
Deshalb wurde am <strong>GFZ</strong> Ende <strong>2005</strong> damit begonnen, die<br />
Einzellösungen der Analysezentren auf einer wöchentlichen<br />
Basis zu kombinieren. Die ersten Tests beschränkten<br />
sich auf Daten eines Jahres (23.12.2001 bis 28.12.2002).<br />
Von den sechs Analysezentren wurden zunächst nur vier<br />
in die Kombination einbezogen. Die beiden anderen Lösungen<br />
weisen einige Besonderheiten auf, die im Hinblick<br />
auf etwaige negative Auswirkungen auf das Kombinationsergebnis<br />
noch näher untersucht werden müssen. Die<br />
berücksichtigten Analysezentren sind das <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
mit einer globalen Stationsüberdeckung, eine Lösung für<br />
die Region Australien-Pazifik-Antarktis der GeoScience<br />
Australia (AUSLIG), eine Atlantik-Lösung des Deutschen<br />
Geodätischen Forschungsinstituts (DGFI) und das Bundesamt<br />
für Kartographie und Geodäsie (BKG) mit einer<br />
Lösung europäischer Stationen. Die Qualität einer individuellen<br />
Lösung lässt sich sehr gut anhand der Wiederholbarkeiten<br />
der Stationskoordinaten beurteilen. Diese drücken<br />
aus, wie gut das zugrunde liegende Referenzsystem<br />
von Woche zu Woche realisiert wurde und wie stabil diese<br />
Realisierung über den gesamten Zeitraum ist (Abb. 1.39).<br />
Insgesamt zeigt sich, dass die Lage mit einer Genauigkeit<br />
von 2 bis 3 mm realisiert werden kann, während für die<br />
Höhe nur etwa eine Genauigkeit von 7 mm erreicht wird.<br />
Die Wiederholbarkeit der Höhe ist für GPS-Lösungen<br />
typischerweise etwa um einen Faktor drei schlechter als<br />
Abb. 1.39: Vergleich der Wiederholbarkeiten der Stationskoordinaten<br />
für die einzelnen Analysezentren und die<br />
wöchentliche Kombination (aufgeteilt in die drei Komponenten<br />
Nord, Ost und Höhe).<br />
Repeatabilities of station coordinates for the different analysis<br />
centers and the combined solution with the three components<br />
north, east and height.<br />
die Lage. Allerdings stellen die unterschiedlichen Skalenfaktoren<br />
in den einzelnen GPS-Lösungen ein Problem<br />
dar (Abb. 1.40). Sie resultieren aus den unterschiedlichen<br />
Verarbeitungsstrategien und -modellen und hängen auch<br />
von der Netzgröße ab. Diese Skalierungsdifferenzen führen<br />
dazu, dass die Kombination keine optimalen Höhenkomponenten<br />
liefert. Daher soll zukünftig der Maßstab<br />
des kombinierten globalen Netzes durch lediglich eine<br />
Einzellösung (idealerweise einer globalen Lösung, z. B.<br />
<strong>GFZ</strong>) definiert werden, während für alle anderen Einzellösungen<br />
ein Skalierungsfaktor geschätzt wird. Durch die-<br />
Abb. 1.40: Skalierungsfaktoren der einzelnen Analysezentren<br />
gegenüber der jeweiligen wöchentlichen Kombinationslösung<br />
aller Analysezentren. 1 ppb entspricht dabei<br />
einer Höhenänderung von ca. 6 mm auf der Erdoberfläche.<br />
Scaling between the networks of the individual analysis<br />
centres and the combined solution for each week. 1 ppb<br />
corresponds to about 6 mm difference in height at the Earth's<br />
surface.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
187
188<br />
ses Vorgehen wird garantiert, dass der Maßstab der Kombinationslösung<br />
nicht als Mischung verschiedener, sich<br />
widersprechender Realisierungen entsteht und dadurch<br />
die Stabilität der Höhenkomponente leidet.<br />
GPS-Bojen<br />
Das <strong>GFZ</strong> Potsdam betreibt seit 2002 ein Messnetz von<br />
Bojen und Bodendrucksensoren im Bereich der Nordsee.<br />
Hauptziel ist die Überwachung und die Kalibration von<br />
Radaraltimetern. Über das auf der zentralen Boje befindliche<br />
GPS wird die Höhe der Meeresoberfläche mit Zentimetergenauigkeit<br />
in dem gleichen Referenzsystem<br />
bestimmt, in dem auch die Messungen der Altimetersatelliten<br />
erfolgen. Eine zeitgleich mit der Boje messende<br />
GPS-Referenzstation befindet sich in ca. 45 km Entfernung<br />
in List auf Sylt. Dadurch ist ein annahmefreier Vergleich<br />
der aus Altimetrie- und GPS-Daten berechneten<br />
Meereshöhe möglich. Die 10 Hz GPS-Messungen werden<br />
über Bojenneigung und Eintauchtiefe auf die Wasseroberfläche<br />
reduziert. Die auf diese Weise errechneten<br />
Daten repräsentieren den Verlauf der Wellen, aus dem<br />
durch geeignete Filterung die Meeresspiegelhöhe und die<br />
signifikante Wellenhöhe abgeleitet werden können. Weiterhin<br />
wurden für die Auswertung wichtige meteorologische<br />
Datenreihen gesammelt (Windgeschwindigkeit, Luftdruck,<br />
Luft- und Wassertemperatur, Salzgehalt etc.).<br />
Abb. 1.41: Im Dezember <strong>2005</strong> im Indischen Ozean ausgebrachte<br />
GPS-Boje für das Tsunami-Frühwarnsystem<br />
(Foto: T. Schöne, <strong>GFZ</strong>).<br />
GPS buoy deployed in the Indian ocean for the tsunami<br />
early warning system in December <strong>2005</strong>.<br />
Abb. 1.42: Blick ins Innere der GPS-Boje (Foto: T. Schöne,<br />
<strong>GFZ</strong>).<br />
View into the GPS buoy.<br />
Auf dem Meeresboden unter der GPS-Boje und an drei<br />
weiteren Stellen in der näheren Umgebung wurden Druckpegel<br />
verankert, die zusätzliche Informationen über die<br />
Meeresspiegeloberfläche und ihre Neigung liefern. Diese<br />
relativen Pegelmessungen ermöglichen eine Höhenkorrektur<br />
für Satellitenüberflüge, die nicht exakt über der<br />
Bojenposition erfolgen.<br />
Auch im Rahmen des Aufbaus eines Tsunami-Frühwarnsystems<br />
im Indischen Ozean wird diese Technologie eingesetzt.<br />
Gemeinsam mit Bodendrucksensoren und Ozeanbodenseismometern<br />
bilden sie ein System, mit dem<br />
effektiv und hochgenau kleinste Änderungen des Meeresspiegels<br />
detektiert werden können. Über ein Warnzentrum<br />
werden die Daten später allgemein zur Verfügung<br />
gestellt und dienen der Überwachung des Indischen Ozeans.<br />
Insgesamt sollen bis zu zehn Systeme gebaut und im<br />
Indischen Ozean ausgebracht werden.<br />
Satellitenaltimetrie – hochgenaue Bestimmung<br />
mittlerer Meeresspiegelhöhen<br />
Änderungen des Meeresspiegels sind in der Erdgeschichte<br />
auf verschiedenen Zeitskalen zu beobachten. Sie sind<br />
einerseits ein hoch sensibler Indikator für Klimaänderungen,<br />
andererseits beeinflussen sie die Bewohner und Ökosysteme<br />
der Küstenbereiche. Daher besteht unabhängig<br />
davon, ob es sich bei den derzeitigen Änderungen um<br />
natürliche oder anthropogene Prozesse handelt, ein besonderes<br />
Interesse, den mittleren Meeresspiegel mit hoher<br />
Genauigkeit zu bestimmen und die möglichen Ursachen<br />
für seine Variation zu untersuchen.<br />
In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Satellitenaltimetrie<br />
bei der Bestimmung von Meeresspielgeländerungen<br />
eine zunehmend wichtige Rolle eingenommen. Von Satelliten<br />
aus kann z. B. eine starke regionale Variabilität beobachtet<br />
werden, die auch dekadische Zeitskalen aufweist.<br />
Dabei haben sich die Genauigkeiten der Messungen über<br />
die Jahre deutlich verbessert. Während in den ersten Jahren<br />
die radialen Bahnfehler und das Messrauschen Fehler<br />
in der Meereshöhe im Dezimeterbereich verursachten,<br />
weisen die heutigen Missionen nur noch Fehler im Zentimeterbereich<br />
auf. Trotz dieser enormen technischen Ent-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
wicklung divergieren die Abschätzungen<br />
des globalen Meeresspiegeltrends aus<br />
Altimeterdaten je nach verwendeten<br />
Kalibrierungen und Korrekturalgorithmen<br />
noch signifikant. Eines unserer Ziele<br />
ist es daher, die besten Kalibrations- und<br />
Korrekturalgorithmen auszuwählen und<br />
sie gegebenenfalls zu optimieren. Optimierte<br />
Altimeterdaten erlauben die hochgenaue<br />
Bestimmung von mittleren Meeresspiegelhöhen<br />
und deren zeitliche Variabilität.<br />
Durch die Verknüpfung mit den<br />
neuen und hochgenauen Schwerefeldern<br />
der GRACE-Mission ergibt sich zudem<br />
die Möglichkeit zu unterscheiden, ob<br />
Änderungen des Meeresspiegels in der<br />
Massen- und/oder der Dichtebilanz des<br />
Ozeans ihren Ursprung haben.<br />
Optimierung der Altimeterdaten<br />
Sowohl für Untersuchungen des globalen<br />
Meeresspiegelanstiegs, insbesondere der<br />
Massenänderungen im Ozean, als auch<br />
der mittleren Meerestopographie werden<br />
sehr hohe Anforderung an die Genauigkeit<br />
der Altimeterdaten gestellt. Vorhandene<br />
Kalibrations- und Korrekturalgorithmen<br />
wurden daher für die verschiedenen<br />
Missionen mit statistischen<br />
Methoden systematisch untersucht,<br />
wobei fortwährend neu entwickelte Algorithmen<br />
integriert wurden. Speziell aus<br />
dem Vergleich verschiedener zeitlich überlappender Missionen<br />
(TOPEX, ERS-2, Jason-1) konnten Inkonsistenzen<br />
in den bisher verwendeten Korrekturalgorithmen festgestellt<br />
werden. Aus diesen Ergebnissen resultierten beispielsweise<br />
Verbesserungen in der Ionosphärenkorrektur<br />
für die ERS-2-Daten und im „sea state bias“ für die<br />
TOPEX-Daten. Deutliche Verbesserungen in den Altimetrie-Resultaten<br />
konnten durch eine vereinheitlichte Neuberechnung<br />
der Satellitenbahnen von ERS-1, ERS-2 und<br />
TOPEX auf Grundlage der GRACE-Schwerefelder<br />
erreicht werden. Erste Untersuchungen der ebenfalls neu<br />
berechneten GEOSAT-Satellitenbahnen zeigen auch für<br />
diese relativ alten Daten deutliche Verbesserungen.<br />
Ein großes Verbesserungspotential besteht noch für Daten<br />
aus Gebieten mit Meereisbedeckung. Das von der Meeresoberfläche<br />
zum Satelliten reflektierte Signal wird<br />
durch das Eis verformt, wodurch die mittels Standardalgorithmen<br />
ermittelten Meereshöhen einen relativ großen<br />
Fehler aufweisen können (Abb. 1.43). Zur Verbesserung<br />
solcher Daten aus gerade für die Klimaforschung interessanten<br />
Gebieten wurde ein sogenannter Waveform-Simulator<br />
für Eis und Schnee entwickelt. Mithilfe dieses Simulators<br />
sollen in Zukunft die Prozessierungsalgorithmen an<br />
solche speziellen Situationen angepasst und die vorhandenen<br />
Daten reprozessiert werden. Ein weiteres aussichtsreiches<br />
Anwendungsgebiet des Waveform-Simulators<br />
liegt in der GPS-Altimetrie.<br />
Abb. 1.43: Zeitlicher Verlauf der Intensität des vom Satelliten empfangenen<br />
Signals nach Reflektion an verschiedenen Oberflächen (Wasser, Eis und Wasser<br />
mit Meereis) simuliert mit dem am <strong>GFZ</strong> Potsdam entwickelten Waveform-Simulator.<br />
Radar signal power as a function of time received by the satellite after reflection<br />
from different surfaces (water, ice and water covered by ice floes) as<br />
simulated by <strong>GFZ</strong> Potsdam's waveform simulator.<br />
Mittlere Meeresspiegelhöhen und Ozeantopographie<br />
Aus den optimierten Altimeterdaten wurde ein konsistentes<br />
Modell des mittleren Meeresspiegels (Mean Sea Surface<br />
Height) sowie seiner Fehler abgeleitet. Solche Modelle<br />
des mittleren Meeresspiegels sind eine wesentliche Voraussetzung<br />
für die Schätzung von räumlich hoch aufgelösten<br />
kombinierten Schwerefeldmodellen. Diese zusätzliche<br />
Information stellt damit für viele geowissenschaftliche<br />
Anwendungen eine wesentliche Ergänzung zu den<br />
Daten der CHAMP- und GRACE-Missionen dar.<br />
Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeiten am GeoForschungsZentrum<br />
liegt auf der Kombination der Radaraltimetrie<br />
mit den aus GRACE-Daten abgeleiteten Schwerefeldmodellen.<br />
Das Resultat dieser Kombination, die dynamische<br />
Ozeantopographie kann einerseits durch den<br />
Vergleich mit in situ gemessenen Ozeantemperaturen und<br />
-salzgehalten sowie mit den Ergebnissen von Ozeanzirkulationsmodellen<br />
zur Validierung der verwendeten Schwerefeldmodelle<br />
herangezogen werden. Zum anderen ist die<br />
Kenntnis der mittleren dynamischen Ozeantopographie<br />
selbst grundlegend für verschiedene Untersuchungen in<br />
der Meeres- und Klimaforschung. So ermöglicht eine Verbesserung<br />
der mittleren dynamischen Ozeantopographie<br />
eine genauere Bestimmung ozeanischer Massen- und<br />
Wärmetransporte. Zusätzlich ist sie eine wichtige Eingangsgröße<br />
für numerische Ozeanzirkulationsmodelle.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
189
190<br />
a) b)<br />
Abb. 1.44: Dynamische Ozeantopographie a) aus Radaraltimetrie und EIGEN-GRACE03S und b) abgeleitet aus In-<br />
Situ-Messungen (WOCE-Klimatologie, Koltermann und Gouretski, <strong>2004</strong>).<br />
Ocean dynamic topography derived a) from radar altimetry and EIGEN-GRACE03S and b) from in-situ measurements<br />
(WOCE-climatology, Koltermann und Gouretski, <strong>2004</strong>).<br />
Für die Kombination der räumlich höher aufgelösten Altimeterdaten<br />
mit den Schwerefeldmodellen wurden unterschiedliche<br />
räumliche Filter mit verschiedenen Filterweiten<br />
getestet. Um die Qualität der Satellitenlösung zu beurteilen,<br />
wurde sie mit einer dynamischen Topographie, die im Rahmen<br />
des internationalen World Ocean Circulation Experiment<br />
(WOCE) erstellte wurde, verglichen. Der Vergleich der<br />
Datensätze zeigt, dass die neuen, am <strong>GFZ</strong> Potsdam geschätzten<br />
GRACE-Schwerefeldmodelle (EIGEN-GRACE_03S)<br />
räumliche Skalen größer als 400 km auflösen können – ein<br />
gewaltiger Fortschritt gegenüber allen vorherigen Lösungen,<br />
die auf Satellitendaten basieren. Dies kann sowohl für die<br />
Ozeantopographie als auch für die geostrophische Zirkulation<br />
in den oberen Ozeanschichten (Abb. 1.44 und 1.45)<br />
gezeigt werden. Die zonal ausgerichteten Oberflächenströ-<br />
a) b)<br />
mungen lassen sich sogar für kleinere räumliche Skalen<br />
bestimmen. Vergleiche mit einer aus In-Situ-Daten berechneten<br />
dynamischen Ozeantopographie erlauben die Eingrenzung<br />
von Problemzonen (z. B. Hawai), geben aber auch<br />
Hinweise auf barotrope Strömungen, die aus den In-Situ-<br />
Daten allein nicht abgeleitet werden können.<br />
Änderungen des Meeresspiegels – Masse oder Temperatur?<br />
Damit eine qualifizierte Aussage über die zukünftigen<br />
Änderungen des Meeresspiegels möglich wird, müssen<br />
die Ursachen für die beobachteten Phänomene untersucht<br />
und verstanden werden. Der Meeresspiegelanstieg hat im<br />
Wesentlichen zwei Ursachen: (1) Änderungen der Dichte<br />
des Meerwassers, die überwiegend auf die Änderungen<br />
Abb. 1.45: Geostrophische Oberflächenströmung im Nordatlantik a) aus Radaraltimetrie und EIGEN-GRACE03S und<br />
b) In-Situ-Messungen (WOCE-Klimatologie).<br />
Geostrophic surface circulation in the North Atlantic Ocean calculated a) from radar altimetry and EIGEN-GRACE03S<br />
and b) from in-situ measurements (WOCE climatology).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
im Wärmehaushalt zurückgeführt werden können und (2)<br />
den Eintrag von Wassermassen z. B. durch das Schmelzen<br />
von Gletschern und polaren Eismassen. Der Verlauf<br />
dieser beiden Faktoren, ihre Wechselwirkungen und ihre<br />
regionalen Auswirkungen sind nur unzureichend geklärt.<br />
Die Untersuchung der zeitvariablen Schwerefelddaten aus<br />
GRACE zusammen mit den absoluten Änderungen des<br />
Meeresspiegels eröffnet erstmalig die Möglichkeit, die<br />
typischen räumlich-zeitlichen Skalen der beiden Komponenten<br />
zu untersuchen.<br />
Bei den aus GRACE abgeleiteten Massenschwankungen<br />
über dem Ozean handelt es sich um einen neuartigen<br />
Datensatz, der sich nur sehr eingeschränkt mit unabhängigen<br />
Messungen validieren lässt. Ein Vergleichsdatensatz<br />
lässt sich aus Zeitreihen des absoluten und des dichteabhängigen<br />
Meeresspiegels erstellen. Ersterer kann aus<br />
Altimetermessungen, zweiterer aus vertikalen Temperatur-<br />
und Salzgehaltsprofilen bestimmt werden. Um zeitlich<br />
und räumlich gut aufgelöste Informationen über die<br />
Dichteverteilung im Weltozean zu erhalten, wird seit 2000<br />
an dem internationalen ARGO-Projekt (Array for Real<br />
time Geostrophic Oceanography) gearbeitet. Es besteht<br />
aus einer Flotte von autonomen Driftern, die sich überwiegend<br />
auf einer Tiefe von 2.000 m aufhalten und alle<br />
zehn Tage an die Oberfläche steigen, um von dort ihre<br />
Daten an einen Satelliten zu senden. Für den Atlantischen<br />
Ozean liegen bereits für 2003 und <strong>2004</strong> genügend Daten<br />
vor, um den Anteil von Änderungen der Dichte an denen<br />
des Meeresspiegels monatlich bestimmen zu können.<br />
Erste Vergleiche der drei Datensätze zeigen eine qualitative<br />
Übereinstimmung zwischen den einerseits aus<br />
GRACE-Daten und andererseits aus Altimeter- und In-<br />
Situ-Daten abgeleiteten Massenvariationen im Atlantik.<br />
Erdrotation<br />
Prozesse im Erdkern und Erdrotationsvariationen<br />
Die Kenntnis des geomagnetischen Felds in der Kern-<br />
Mantel-Übergangszone ist Voraussetzung für eine Model-<br />
lierung des Einflusses von Prozessen im Erdkern auf die<br />
Erdrotation. Eine direkte Bestimmung von kurzperiodischen<br />
bis dekadischen Feldvariationen mit Dynamomodellen<br />
ist momentan nicht möglich. Mit Hilfe einer im<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam entwickelten Methode der strengen Inversion<br />
globaler geomagnetischer Daten („nichtharmonische<br />
Feldfortsetzung“) gelingt es aber, das geomagnetische<br />
Feld nahe der Kern-Mantel-Grenze (KMG) aus dem beobachteten<br />
Feld auch unter der Annahme zu bestimmen, dass<br />
zwischen der Erdoberfläche und dem Zielort der Feldfortsetzung<br />
elektrisch leitfähige Schichten liegen, die die<br />
Feldvariationen beeinflussen. Die entsprechenden Untersuchungen<br />
wurden mit neuen satellitengestützten und<br />
zeitlich höher als bisher aufgelösten Felddaten (Monatsmittel)<br />
fortgesetzt. Abbildung 1.46 zeigt ein Beispiel einer<br />
Feldfortsetzung mit neuen Daten.<br />
Während in früheren Untersuchungen vorwiegend die<br />
Einsatzmöglichkeiten und Grenzen der Methode in<br />
Abhängigkeit von verschiedenen Leitfähigkeitsmodellen<br />
bestimmt wurden, liegen nun die Schwerpunkte auf der<br />
Bestimmung physikalischer Größen und dem Studium des<br />
Zeitverhaltens des Magnetfeldes an der KMG. Die dazu<br />
notwendigen Untersuchungen wurden in Kooperation mit<br />
den Sektionen 2.3 und 5.3 des GeoForschungsZentrums<br />
durchgeführt.<br />
Durch Inversion einer Näherung der Induktionsgleichung,<br />
der sogenannten frozen-flux Gleichung, wurde<br />
das Geschwindigkeitsfeld des flüssigen Kerns an dessen<br />
Oberfläche im Zeitraum von 1980 bis 2000 berechnet.<br />
Früher wurden die dazu notwendigen Magnetfelder<br />
an der KMG durch eine harmonische Feldfortsetzung<br />
bestimmt, die nur in Nichtleitern anwendbar ist. Die<br />
Ergebnisse mit der neuen Methode wurden nach zwei<br />
Aspekten untersucht. Es war von Interesse, ob sich die<br />
neue Feldfortsetzungsmethode auf die Bestimmung der<br />
Kerngeschwindigkeit auswirkt und welche Bewegungsstrukturen<br />
auf der Kernoberfläche erkennbar sind.<br />
Abb. 1.47 zeigt ein Beispiel des Geschwindigkeitsfeldes<br />
für das Jahr 1991.<br />
Abb. 1.46: Zwei Bilder der Radialkomponente Br des geomagnetischen Feldes als Beispiel für die Feldfortsetzungsmethode<br />
mit neuen Daten des <strong>GFZ</strong> Potsdam. Die detaillierten Strukturen an der KMG entstehen, weil höhere Grade<br />
der Kugelfunktionsentwicklung bei der Fortsetzung mehr verstärkt werden als niedrige.<br />
Two maps of the radial component Br of the geomagnetic field as an example for the field continuation with new data<br />
of <strong>GFZ</strong> Potsdam. The more detailed structures at the core-mantle boundary (CMG) are produced because higher degrees<br />
of the spherical harmonic expansion are stronger amplified than lower ones.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
191
Abb. 1.47: Geschwindigkeitsfelder an der KMG für das Jahr 1991 für verschiedene Grade (n) der Kugelfunktionsentwicklung<br />
des geomagnetischen Feldes, aus dem sie berechnet wurden. Linke Säule: Geschwindigkeitsfelder aus dem<br />
Magnetfeld, das durch nichtharmonische Fortsetzung zur KMG bestimmt wurde. Rechte Säule: Differenzen der<br />
Geschwindigkeitsfelder aus den Magnetfeldern, die durch nichtharmonische bzw. harmonische Fortsetzung zur KMG<br />
berechnet wurden.<br />
CMB velocity fields for the epoch 1991 for different degrees (n) of the geomagnetic field, from which they are inferred.<br />
Left column: Velocity field based on the geomagnetic field determined by non-harmonic downward continuation to the<br />
CMB. Right column: Difference of velocity fields derived from the geomagnetic fields calculated by non-harmonic and<br />
harmonic downward continuation to the CMB, respectively.<br />
192 Anhand des Beispiels sind einige wichtige Ergebnisse<br />
erkennbar. Die Differenzen zwischen den Geschwindigkeitsfeldern<br />
aus beiden Fortsetzungsmethoden sind<br />
global unterschiedlich verteilt und nicht einfach durch<br />
einen konstanten Betrag oder Faktor beschreibbar. Sie<br />
ändern sich außerdem mit der Zeit. Das Resultat der<br />
Inversion hängt erwartungsgemäß auch vom Grad n der<br />
benutzten Kugelfunktionsentwicklung des Magnetfeldes<br />
ab. Eine umfangreiche Analyse dieses Einflusses<br />
anhand aller Ergebnisse hat gezeigt, dass die Frage der<br />
Abgrenzung des internen Hauptfeldes vom Krustenfeld<br />
durch die Zuordnung zu den Graden der Feldentwicklungen<br />
möglicherweise nicht allein durch Strukturuntersuchungen<br />
mit dem Oberflächenfeld geklärt werden<br />
kann. Schließlich sind auch bestimmte Strukturen<br />
der Erdkernbewegung erkennbar, wie eine äquatoriale<br />
Westdrift und eine Wirbelstruktur in der nördlichen<br />
Hemisphäre, deren Zuordnung zu bestimmten dynamischen<br />
Vorgängen im Erdkern Gegenstand zukünftiger<br />
Untersuchungen sein kann.<br />
Mit Hilfe der Geschwindigkeitsfelder wurde der Relativdrehimpuls<br />
des Erdkerns und aus diesem dann die Tageslängenvariationen<br />
(∆LOD) bestimmt, die von den Erdkernbewegungen<br />
erzeugt werden. Die dahinter stehende<br />
Physik ist das Drehimpulsgleichgewicht zwischen Erdkern<br />
und -mantel für eine kräftefreie Erde. Für die Berechnung<br />
des Relativdrehimpulses wurde die Kernbewegung<br />
durch starre Rotation (unendlich) dünner axialer Zylinderringe<br />
approximiert, deren Rotationsgeschwindigkeit<br />
dem zonalen Anteil des Kernoberflächengeschwindigkeitsfeldes<br />
gleichgesetzt wird. Abgesehen von dieser<br />
Annahme benutzt das verwendete Standardmodell weitere<br />
grobe Vereinfachungen: Die Dichte des Kerns wird als<br />
konstant angenommen, der Innenkern existiert in diesem<br />
Standardmodell nicht und die Benutzung des zonalen<br />
Oberflächengeschwindigkeitsfeldes ist nur möglich,<br />
wenn dieses äquatorsymmetrisch ist.<br />
In unseren Untersuchungen wurde für den Zeitraum 1980<br />
bis 2000 die Abhängigkeit der ∆LOD von der Feldfortset-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
zungsmethode und dem Grad der Kugelfunktionsentwicklung<br />
des Magnetfeldes untersucht, aus dem das Geschwindigkeitsfeld<br />
berechnet wurde. Die Ergebnisse und die<br />
beobachteten Variationen sind in Abb. 1.48 dargestellt.<br />
Das Resultat ließ eine erste Schlussfolgerung zu: die<br />
∆LOD-Kurven sind im Allgemeinen glatter für die nichtharmonische<br />
Feldfortsetzung und ein im Vergleich zu den<br />
IERS-Werten optimaler Verlauf wird mit dem Grad 12 der<br />
Magnetfeldentwicklung erreicht.<br />
Abb. 1.48: Geglättete tägliche ∆LOD<br />
(IERS) im Vergleich zu den ∆LOD, die<br />
vom Geschwindigkeitsfeld an der KMG<br />
abgeleitet wurden. Es wurden Kugelfunktionsentwicklungen<br />
unterschiedlichen<br />
Grades und verschiedene Methoden der<br />
Fortsetzung des Magnetfeldes benutzt.<br />
Smoothed daily ∆LOD data (IERS) compared<br />
with ∆LOD derived from CMB<br />
velocity field: Spherical-harmonic<br />
expansions of different degree and different<br />
methods of downward continuation<br />
of the geomagnetic field are applied (nonharmonic,<br />
harmonic).<br />
Mit der Abb. 1.49 kann man schließlich überprüfen, ob<br />
die für die Theorie notwendige Voraussetzung der Äquatorsymmetrie<br />
erfüllt ist. Die Abbildung zeigt, dass die<br />
Annahme nur annähernd gilt und die ∆LOD daher nur eine<br />
entsprechende Näherung darstellen.<br />
Noch nicht geklärt sind die internen Ursachen der dekadischen<br />
Polbewegungsvariationen. Hierbei scheint eine<br />
Polbewegung des Innenkerns relativ zum Mantel eine<br />
Rolle zu spielen. In den letzten zwei Jahren wurde die<br />
Abb. 1.49: u φ-Komponente des zonalen toroidalen Geschwindigkeitsfeldes an der KMG in Abhängigkeit von der Zeit<br />
und der Ko-Breite (Poldistanz) zwecks Überprüfung der Annahme zur Äquatorsymmetrie von u φ.<br />
u φ component of the zonal toroidal velocity field at the CMB in dependence on the time and the co-latitude (polar distance)<br />
for checking the assumption of equatorial symmetry.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
193
194<br />
Nachweisbarkeit einer Eigenschwingung des Pols des<br />
Innenkerns (free wobble) mit einer Periode zwischen fünf<br />
und sechs Jahren untersucht. Diese Bewegung wirkt sich<br />
zwar theoretisch auf die Polbewegung und das Schwerefeld<br />
aus, die Untersuchungen lieferten wegen der kleinen<br />
Signale jedoch ein Negativresultat.<br />
Erdmodellierung<br />
Ein neues globales Dichtemodell der Kruste und des oberen<br />
Mantels<br />
Die Ableitung eines neuen globalen Dichtemodells der<br />
Kruste und des oberen Mantels ist eine der wichtigsten<br />
Aufgaben des Forschungsprogramms „Erde im Wandel“.<br />
Die Kenntnis dieser Strukturen ist nicht nur entscheidend<br />
für das Verständnis der nahen Oberfläche, sondern auch<br />
für die Erforschung der tieferen Gebiete, weil deren<br />
Auswirkungen zum großen Teil von den Einflüssen der<br />
Lithosphäre und der Manteldynamik überdeckt werden.<br />
Das Schwerefeld der Erde ist sehr sensibel bezüglich der<br />
Struktur der Erde und der dynamischen Prozesse in ihrem<br />
Innern, deshalb wird es als grundlegende Randbedingung<br />
in diesen Untersuchungen genutzt. Die Daten des Schwe-<br />
a)<br />
b)<br />
Abb. 1.50: Die Hauptkrustenschichten: (A) Sedimentdicke (obere Grenzschicht);<br />
(B) Tiefe der Kruste-Mantelgrenze (untere Grenzschicht).<br />
Global image of the main crustal layers: (A) thickness of sediments; (B)<br />
depth to the bottom of the crust.<br />
refeldmodells müssen allerdings zusätzlich mit seismischer<br />
und geologischer Information kombiniert werden.<br />
Das erste Ziel der Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet<br />
ist die Ableitung eines neuen globalen Modells der Kruste.<br />
Der Umfang des zur Verfügung stehenden seismischen<br />
Datenmaterials ist während der letzten zehn Jahre enorm<br />
gewachsen. Auf der Grundlage dieser Daten haben wir ein<br />
globales Krustenmodell abgeleitet, welches im Gegensatz<br />
zu bereits existierenden globalen Modellen niedriger Auflösung<br />
wie CRUST2.0 auf Originaldaten basiert. Abbildung<br />
1.50 zeigt zwei Hauptgrenzflächen der Kruste (Sedimente/feste<br />
Kruste und Kruste/Mantel). Am stärksten wirken<br />
sich die Verbesserungen des aktuellen Modells in<br />
Nordamerika und Eurasien aus. Hier betragen die Differenzen<br />
zu CRUST5.1 und CRUST2.0 in der Tiefe der<br />
Mohorovičić-Diskontinuität ±15 km.<br />
Das Schwerefeld der Kruste wurde berechnet und vom<br />
gemessenen Feld subtrahiert, so dass man die verbleibenden<br />
Mantel-Schwereanomalien erhält (Abb. 1.51a). Auf<br />
die gleiche Art und Weise wurde die Resttopografie<br />
berechnet, d. h. der Teil der Topografie, der durch die Inhomogenitäten<br />
in der Krustendichte einschließlich der Variation<br />
der Krustendicke nicht oder überkompensiert ist.<br />
Aus diesen beiden Größen wurde im nächsten Schritt<br />
zusammen mit Daten der seismischen<br />
Tomografie ein Dichtemodell für den<br />
Mantel abgeleitet. Die mittlere Dichteverteilung<br />
innerhalb des oberen Mantels<br />
wurde durch gemeinsame Inversion dieser<br />
Daten berechnet und ist in Abb. 1.51b<br />
dargestellt.<br />
Im nächsten Modellierungsschritt wurde<br />
der Einfluss verschiedener Faktoren wie<br />
Temperatur und Variationen in der stofflichen<br />
Zusammensetzung untersucht.<br />
Gestützt auf die Verteilung der seismischen<br />
Geschwindigkeit und unter<br />
Berücksichtigung der entsprechenden<br />
Mineralphysik, können die Temperaturvariationen<br />
im oberen Mantel geschätzt<br />
werden. Die zuverlässigsten Ergebnisse<br />
erhält man für Nordamerika, wo die seismische<br />
Tomografie und das Temperaturmodell<br />
von Goes und Van der Lee (2002)<br />
verwendet wurden. Die durch Temperaturvariationen<br />
erzeugte Schwere im oberen<br />
Mantel wurde bestimmt und vom<br />
Gesamtfeld des Mantels abgezogen. Die<br />
resultierenden Anomalien auf Basis der<br />
Mantelzusammensetzung sind in Abb.<br />
1.52 dargestellt. Die residuale dynamische<br />
Topografie wurde auf der Grundlage<br />
der gleichen Krustendaten berechnet.<br />
Die resultierende Dichtestruktur nach gemeinsamer<br />
Inversion aller Daten ist in<br />
Abb. 1.53 dargestellt.<br />
Die Anomalie A entspricht der alten kontinentalen<br />
Wurzel (kanadischer Schild).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
a)<br />
b)<br />
Die Zone der niedrigen Dichte ergibt sich nach Abzug des<br />
thermischen Effekts und steht mit dem Material des abgereicherten<br />
Mantels (depleted mantle) im Zusammenhang.<br />
a)<br />
Abb. 1.51: (A) Mantel-Schwereanomalien<br />
(gemessene Schwere minus Krusteneffekt).<br />
(B) Dichteanomalien im oberen<br />
Mantel (gemittelt von 10 bis 100 km) – ein<br />
Ergebnis der gemeinsamen Inversion von<br />
Restschwere (siehe A), Resttopografie<br />
und seismischen Daten.<br />
(A) Residual mantle gravity anomalies<br />
obtained after removal of the crustal<br />
effect from the observed gravity. (B) Density<br />
anomalies in the upper mantle (averaged<br />
for 50-100 km depths) – a result of<br />
the joint inversion of the residual gravity<br />
(see A), residual topography and seismological<br />
data.<br />
Die horizontale Verschiebung der Wurzel<br />
könnte ein Ergebnis des „basal drag“ sein,<br />
der durch die Mantelkonvektion hervorgerufen<br />
wird. Die ausgedehnte positive<br />
Anomalie B-C-D ist deutlich in zwei Teile<br />
unterteilt. Die Anomalie B befindet sich<br />
hauptsächlich unter dem Golf von Mexiko,<br />
direkt unter der Kruste. Sie resultiert<br />
im Wesentlichen aus der Schweremodellierung<br />
und ist in den seismischen Daten<br />
fast unsichtbar. Sie ist möglicherweise<br />
verantwortlich für eine schnelle Subduktion<br />
dieses jungen Sedimentbeckens. Die<br />
Anomalien C und D liegen in größeren<br />
Tiefen (100 bis 200 km) und haben wahrscheinlich<br />
einen unterschiedlichen Ursprung.<br />
Die Anomalie D könnte einen<br />
Überrest der ostwärts gerichteten Subduktion der Farallon-Platte<br />
(Van der Lee und Nolet, 1997; Zhao, <strong>2004</strong>)<br />
widerspiegeln.<br />
Abb. 1.52: Mantel-Schwereanomalien für Nordamerika. (A) Gesamtschwerefeld; (B) Schwereanomalien verursacht durch<br />
Variationen der stofflichen Zusammensetzung (Schwerefeld A minus Schwereanomalien verursacht durch Temperaturvariationen<br />
im oberen Mantel). Die Linien 1 und 2 zeigen den Verlauf der Querschnitte in Abb. 1.53.<br />
Residual mantle anomalies for North America. (A) „total“ field; (B) „compositional“ gravity anomalies obtained after<br />
removal of the effect of temperature variations in the upper mantle from the field A. Lines 1 and 2 show the location of<br />
sections with mantle density anomalies in Fig. 1.53.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
b)<br />
195
196<br />
a)<br />
b)<br />
Abb. 1.53: Dichtestruktur der Lithosphäre und des oberen Mantels unter<br />
Nordamerika. (A) Gesamte Dichteanomalien. (B) Dichteanomalien aus<br />
der stofflichen Zusammensetzung nach Reduktion des thermischen Einflusses,<br />
geschätzt aus Daten der seismischen Tomografie. Die Lage der<br />
Querschnitte 1 und 2 und der größten Anomalien (A-D) sind in Abb. 1.52<br />
dargestellt.<br />
Density structure of the lithosphere and upper mantle under North America.<br />
(A) total density anomaly. (B) compositional density anomaly after removing<br />
of the thermal effect estimated from seismic tomography data. Position<br />
of the sections 1 and 2 and location of the main anomalies (A-D) are shown<br />
in Fig. 1.52.<br />
Nachdem die Modelle für die Kruste und den oberen Mantel<br />
vorliegen, können wir mit der Modellierung der gesamten<br />
Mantelstruktur beginnen. Die neuen Lithosphärenmodelle<br />
sind hierbei besonders in kontinentalen Gebieten<br />
wichtig, wo sie erstmals eine zuverlässige Schätzung der<br />
dynamischen Topografie ermöglichen, eine der wichtigsten<br />
Randbedingungen bei der Modellierung der Mantelkonvektion.<br />
Abbildung 1.54 zeigt ein erstes Dichtemodell<br />
des gesamten Mantels, das auf der Grundlage<br />
einer gemeinsamen Inversion von<br />
Schweredaten und seismischen Daten berechnet<br />
wurde. Anhand dieses Modells<br />
wurden die Mantelflussgeschwindigkeiten<br />
geschätzt. Wichtig ist dabei, dass die<br />
horizontalen Variationen der Viskosität,<br />
welche aus Mantelflussgeschwindigkeiten<br />
und den Gleichungen der Mineralphysik<br />
bestimmt wurden, berücksichtigt<br />
wurden. Die nächste Aufgabe besteht<br />
darin, die Modellparameter auszugleichen,<br />
sodass die Modelle bestmöglich mit<br />
den beobachteten GPS-Plattengeschwindigkeiten<br />
und dem gemessenen Geopotential<br />
(Schwere und Geoid) in Übereinstimmung<br />
gebracht werden.<br />
Struktur und Dynamik des Tienschan<br />
Der Tienschan in Zentralasien ist der<br />
größte und aktivste interkontinentale Gebirgsgürtel<br />
der Erde. Die hohe heute gemessene<br />
und aus der Geschichte bekannte<br />
seismische Aktivität lässt eine rasante<br />
Krustendeformation in diesem Gebiet<br />
erwarten. Dies ist eine Folge der hohen<br />
Geschwindigkeit, mit der sich Indien<br />
und Eurasien auf einander zu bewegen<br />
(Abb. 1.55), wobei der Tienschan mindestens<br />
die Hälfte davon absorbiert.<br />
Diese Situation ist absolut einzigartig für<br />
interkontinentale Gebirgsgürtel. Der Mechanismus,<br />
der die Verkürzung der Kruste<br />
in diesem Gebiet steuert, ist bis heute<br />
unklar. Die Diskrepanz zwischen den Verkürzungsraten<br />
von ca. 20 mm/Jahr (aus<br />
GPS-Messungen) und ca. 10 mm/Jahr (aus<br />
seismischen Momenten großer Krustenbeben<br />
abgeleitet) ist beachtlich. Um die<br />
Struktur der Kruste und des oberen Mantels<br />
zu modellieren und Typ und Intensität<br />
der tektonischen Prozesse, welche für die<br />
starke Krustendeformation in dieser Region<br />
verantwortlich sind, genau zu bestimmen,<br />
haben wir Schweredaten der<br />
neuen Satelliten-Missionen CHAMP und<br />
GRACE, regionale GPS-Beobachtungen<br />
und neue seismische Daten analysiert.<br />
Die Dynamik der Erde wird maßgeblich<br />
von Dichteanomalien bestimmt. Gleichzeitig<br />
erzeugen alle tektonischen Prozesse<br />
Dichtestörungen (wie die Topografie), die jeweils spezifisch<br />
sind. Als wichtigste Randbedingung bei der Konstruktion<br />
eines dynamischen Modells in dieser Region<br />
kann deshalb das Schwerefeld genutzt werden. Zentralasien<br />
ist eine der Regionen, in denen die älteren Schwerefeldmodelle<br />
(z. B. EGM96) große Fehler aufweisen.<br />
Wegen der politischen Grenzen müssen Geodäten und<br />
Geophysiker zudem verschiedene Datensätze, die extrem<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
a) b)<br />
Abb. 1.54: (A) Ein erstes Dichtemodell des gesamten Mantels, berechnet auf der Grundlage einer gemeinsamen Inversion<br />
von Schweredaten und seismischen Daten (Querschnitt 105° West bis 75° Ost). Die Pfeile zeigen die Mantelflussgeschwindigkeiten.<br />
(B) Das abgeleitete nichtisostatische Geoid, berechnet anhand von Dichteanomalien und dynamischen<br />
Deformationen der Oberfläche.<br />
(A) Initial density model of the whole mantle which is based on a joint inversion of the gravity and seismological data<br />
(cross-section 105 W-75 E). Arrows show mantle flow velocities. (B) calculated non-isostatic geoid, which is produced<br />
by the density anomalies and dynamic deformations of the surface.<br />
inhomogen sind, vereinigen. Die neuen CHAMP- und<br />
GRACE-Missionen liefern erstmalig homogene und qualitativ<br />
hochwertige Schweredaten, welche die gesamte<br />
Erde gleichmäßig überdecken. Das neue Schwerefeldmodell,<br />
das unter Einbeziehung aller verfügbaren terrestrischen<br />
und satellitengestützten Daten berechnet wurde, ist<br />
in Abb. 1.56 dargestellt. Die Differenzen zwischen dem<br />
neuen und alten Schweremodell (EGM96) betragen bis zu<br />
±100 mGal. Unter der Annahme, dass diese Differenzen<br />
hauptsächlich auf Fehler im alten Modell zurückzuführen<br />
sind, war das alte Modell als Randbedingung für die<br />
Modellierung des Tienschan-Gebiets nicht geeignet. Obwohl<br />
sich die Dichteinhomogenitäten, die durch Anomalien<br />
in der Temperatur und der stofflichen Zusammenset-<br />
zung hervorgerufen werden, direkt im gemessenen Schwerefeld<br />
abbilden, ist ihre Bestimmung ohne zusätzliche<br />
Information über die Lithosphärenstruktur unmöglich.<br />
Seismische Daten liefern solche Randbedingungen. Um<br />
ein Abbild der tiefen Strukturen des Tienschan zu erhalten,<br />
haben wir – in Zusammenarbeit mit dem IPE, Moskau<br />
(Vinnik et al., <strong>2004</strong>) – P- und S-Receiver-Functions<br />
für nahezu 40 lokale seismologische Breitbandstationen<br />
gemeinsam invertiert (Abb. 1.55). Diese Methode erfasst<br />
zwar Änderungen der Geschwindigkeit mit der Tiefe<br />
innerhalb der Kruste und im obersten Mantel, aber die<br />
absoluten Werte der Geschwindigkeit werden ungenügend<br />
bestimmt. Um diesen Nachteil zu umgehen, haben wir die<br />
Abb. 1.55: Die Topografie Asiens und die Lage des untersuchten Gebiets im zentralen Tienschan (links). Schwarze Pfeile:<br />
GPS-Plattengeschwindigkeiten; rote Sterne: Epizentren von starken Erdbeben (M > 5); schwarze Kreuze: Lage der<br />
seismischen Stationen (rechts).<br />
Topography of Asia and location of the study area Central Tien Shan (left). Black arrows: GPS plate velocities; red<br />
stars: epicentres of strong earthquakes (M > 5); black crosses: location of seismic stations (right).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
197
198<br />
Abb. 1.56: Neues Schwerefeldmodell basierend auf neuen Satellitendaten (CHAMP und GRACE) und existierenden<br />
terrestrischen Daten (links). Differenz zwischen dem neuen und dem alten (EGM96) Schwerefeldmodell in mGal<br />
(rechts).<br />
New gravity model based on the new satellite missions (CHAMP and GRACE) and existing terrestrial data (left). Difference<br />
between the new and old (EGM 96) gravity model in mGal (right).<br />
P- und S-Receiver-Functions gemeinsam mit den Residuen<br />
von teleseismischen P- und S-Laufzeitgeschwindigkeiten<br />
invertiert. Durch diese Vorgehensweise war es möglich, ein<br />
zuverlässiges dreidimensionales P- und S-Geschwindigkeitsmodell<br />
für die Kruste und den obersten Mantel zu<br />
bestimmen. Abb. 1.57 zeigt die mittleren seismischen<br />
Geschwindigkeiten V s in der mittleren und unteren Kruste.<br />
Das Gebiet niedriger Geschwindigkeiten (Low-Velocity-<br />
Zone, LVZ) in Abb. 1.57 (links) steht deutlich in Beziehung<br />
zur Verteilung der seismischen Aktivität: starke Erdbeben<br />
treten nur außerhalb dieses Gebiets oder an seinen Grenzen<br />
auf. Das Fehlen starker Erdbeben zusammen mit dem<br />
ungewöhnlich niedrigen Schermodul weist darauf hin, dass<br />
(1) die mittlere Kruste von entscheidender Bedeutung für<br />
die Entstehung starker Erdbeben ist und (2) die mittlere<br />
Kruste der Low-Velocity-Zone des Tienschan zu schwach<br />
ist, um genug Energie für starke Erdbeben aufnehmen zu<br />
können. Die Low-Velocity-Zone im obersten Mantel stimmt<br />
gut mit den basaltischen Aufschlüssen (ca. 50 Ma alt) überein.<br />
Diese Zone könnte also im Zusammenhang mit heißem<br />
Mantelmaterial stehen, das als Folge der magmatischen<br />
Intrusion (oder sogar eines Mantel-Plumes) entsteht.<br />
Das neue Schwerefeldmodell und die neuen seismischen<br />
Messungen wurden gemeinsam ausgewertet, um ein Dich-<br />
Abb. 1.57: Mittlere seismische Geschwindigkeiten (V s) in der mittleren Kruste (10 bis 35 km). Rote Sterne markieren<br />
die Epizentren starker Erdbeben (M > 5), Dreiecke die Lage der seismischen Stationen (links). Mittlere Geschwindigkeiten<br />
in der Unterkruste (75 bis 90 km). Schattierte Gebiete zeigen Gebiete mit basaltischen Aufschlüssen (rechts).<br />
Average seismic velocities (V s) in the mid-crust (10 to 35 km). Red stars show epicentres of strong earthquakes (M > 5),<br />
triangles the positions of the seismic stations (left). Average velocities in the subcrustal layer (75 to 90 km). Shaded<br />
areas show positions of basaltic outcrops (right).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 1.58: Alternative geodynamische Modelle. Oben:<br />
Einfache Verkürzung der Kruste. Unten: Partielle Subduktion<br />
der Tarim-Lithosphäre unter den Tienschan.<br />
Alternative geodynamic models. Top:Simple crustal shortening.<br />
Bottom: Partial subduction of the Tarim lithosphere<br />
under Tien Shan.<br />
temodell des oberen Mantels zu berechnen. Dieses Modell<br />
wurde verwendet, um Abweichungen der Lithosphäre vom<br />
isostatischen Gleichgewicht zu schätzen, die wichtig sind<br />
für das Verständnis des Mechanismus der Krustenverkürzung.<br />
Die Kruste ist deutlich dicker am südlichen Rand des<br />
Tienschan und außergewöhnlich dünn im zentralen Teil.<br />
Dies spricht offensichtlich für das geodynamische<br />
Modell, welches eine Unterkruste (oder sogar partielle<br />
Subduktion) der Tarim-Lithosphäre unter dem Tienschan<br />
(Abb. 1.58) einbezieht. Die gleiche Schlussfolgerung<br />
lässt sich aus den isostatischen Anomalien aus<br />
Abb. 1.59 (links) ziehen. Das Muster der isostatischen<br />
Anomalien stimmt gut mit der Verteilung der Seismizität<br />
überein.<br />
Die Mantel-Schwereanomalien, die nach Subtraktion des<br />
Krusteneffektes verbleiben (Abb. 1.59, rechts), stützen die<br />
Idee eines heißen Mantels niedriger Dichte unter dem zentralen<br />
Teil von Tienschan. Einige Diskrepanzen mit den<br />
seismischen Geschwindigkeiten im obersten Mantel<br />
(Abb. 1.57, rechts) deuten darauf hin, dass dieses Material<br />
geringerer Dichte wesentlich tiefer, d. h. unterhalb<br />
90 km liegt.<br />
Zusammenfassend haben wir eine sehr starke Abweichung<br />
der Tienschan-Lithosphäre vom isostatischen<br />
Gleichgewicht festgestellt. Das Modell der einfachen<br />
Krustenverkürzung funktioniert nicht im untersuchten<br />
Gebiet. Die beste Anpassung erhält man für ein Modell,<br />
bei dem sich die Tarim-Platte teilweise unter den Tienschan<br />
schiebt. Man muss also eine partielle Aufspaltung<br />
der Lithosphäre annehmen, wenn die gegenwärtige Bewegungsrate<br />
über die gesamte Zeit der Tienschan-<br />
Geschichte die gleiche geblieben ist. Es wurden zudem<br />
große Dichte-Geschwindigkeits-Anomalien im oberen<br />
Mantel des zentralen Teils des untersuchten Gebiets<br />
gefunden. Diese Anomalien könnten das Ergebnis eines<br />
magmatischen „Underplating“ im Frühstadium der tektonischen<br />
Entwicklung sein. Die schwache Lithosphäre,<br />
die ein Ergebnis der magmatischen Intrusion ist, könnte<br />
das Aufsteigen des Gebirges nach der Kollision von<br />
Indien und Eurasien bewirkt haben.<br />
Abb. 1.59: Isostatische Anomalien des Schwerefeldes. Kreise zeigen die Epizentren der Erdbeben (alle, starke und<br />
schwache) (links). Verbleibende Mantel-Schwereanomalien nach Subtraktion des Krusten-Effektes vom gemessenen<br />
Schwerefeld (rechts).<br />
Isostatic anomalies of the gravity field. Circles show epicentres of earthquakes (all, strong and weak) (left). Residual<br />
mantle anomalies obtained after removing of the crustal effect from the observed gravity field (right).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
199
200<br />
Glaziale Isostasie, Meeresspiegeländerung und<br />
Mantelviskosität<br />
Postglaziale Meeresspiegelindikatoren<br />
Die Rekonstruktion der Meeresspiegelhöhe für die letzen<br />
18.000 Jahre ist ein wichtiges Hilfsmittel, um die postglaziale<br />
Relaxation der Erde nach dem Abtauen der letzten<br />
pleistozänen Eisschilde auf der Nordhemisphäre zu<br />
bestimmen. Zur Rekonstruktion dienen fossile Fundstücke,<br />
die nahe den ehemaligen Küstenlinien sedimentiert<br />
wurden. Nach Höhen- und Altersbestimmung bilden sie<br />
Meeresspiegelindikatoren (sea-level indicators bzw. SLI),<br />
die zunächst zur Rekonstruktion der Relaxationskurve für<br />
eine bestimmte Region verwendet und ggf. weiter hinsichtlich<br />
der Viskositätsverteilung im Erdmantel oder der<br />
pleistozänen Vereisungsgeschichte invertiert werden können.<br />
Die zur Archivierung der SLI dienende Datenbank wurde<br />
in den letzten Jahren kontinuierlich erweitert und enthält<br />
derzeit Angaben zu ca. 14.000 SLI (Abb. 1.60). Neben den<br />
geographischen Koordinaten, der Höhe über dem heutigen<br />
Meeresspiegel und dem Alter enthält die Datenbank<br />
entsprechend den Originalpublikationen u. a. auch Angaben<br />
zum Material und den Sedimentationsbedingungen<br />
der SLI, die gezielt mit Hilfe der Fuzzy-Logik analysiert<br />
werden können. Diese Analysemethode macht es möglich,<br />
SLI anhand der in der Datenbank gespeicherten Angaben<br />
individuell zu gewichten und damit die postglaziale Relaxation<br />
der Erde genauer zu bestimmen. Mit dieser Methode<br />
kann auch unterschieden werden, ob es sich bei einem<br />
SLI um muschelähnliches Material handelt, was auf eine<br />
untere Schranke des früheren Meeresspiegels hinweist,<br />
oder um einen treibholzähnlichen Fund, was ein Indikator<br />
für eine obere Schranke des früheren Meeresspiegels<br />
ist. (Abb. 1.61).<br />
Modellierung globaler Meeresspiegeländerungen<br />
Die Kombination eines globalen Modells der pleistozänen<br />
Eisbedeckung mit einem Modell der Viskositätsverteilung<br />
kann u. a. dazu verwendet werden, die zeitlichen<br />
Änderungen der Paläotopographie nach der letzten Verei-<br />
Abb.1.60:Globale Verteilung der in einer<br />
Datenbank am <strong>GFZ</strong> Potsdam gespeicherten<br />
Meeresspiegelindikatoren. Die<br />
Farben bezeichnen die unterschiedenen<br />
Regionen: Fennoskandien (dunkelblau),<br />
Britannien (hellblau), Barentssee (dunkelgrün),<br />
Nordamerika (hellgrün), Äquatorialregion<br />
(gelb), Antarktis und Patagonien<br />
(rosa).<br />
Global distribution of sea-level indicators<br />
stored in the <strong>GFZ</strong> data bank. The colours<br />
indicate the regions distinguished: Fennoscandia<br />
(dark blue), Britain (light<br />
blue), Barents Sea (dark green), North<br />
America (light green), equatorial region<br />
(yellow), Antarctica and Patagonia (pink).<br />
Abb. 1.61: Höhe des Meeresspiegelindikators bezüglich<br />
des heutigen Meeresspiegels als Funktion seines kalibrierten<br />
Alters für die Region Churchill (Hudson Bay).<br />
Blaue Symbole bezeichnen muschelähnliche Funde, was<br />
auf eine untere Schranke des früheren Meeresspiegels hinweist.<br />
Rote Symbole bezeichnen treibholzähnliche Funde,<br />
was auf eine obere Schranke des früheren Meeresspiegels<br />
hinweist. Die durchgezogene Linie ist die mit Hilfe der<br />
Fuzzy-Logik bestimmte optimale postglaziale Relaxationskurve<br />
(Exponentialfunktion). Das orange Band zeigt<br />
den Bereich möglicher Exponentialfunktionen innerhalb<br />
einer vorgegebenen Abweichung.<br />
Height of sea-level indicator with respect to present-day<br />
sea level as a function of its calibrated age for the region<br />
Churchill (Hudson Bay). Blue symbols denote samples like<br />
shell, which indicates a lower bound for the former sea<br />
level. Red symbols denote samples like driftwood, which<br />
indicates an upper bound for the former sea level. The<br />
solid line is the best-fitting post-glacial relaxation curve<br />
(exponential function) determined using fuzzy logic. The<br />
orange band shows the range of possible exponential functions<br />
within a predefined misfit.<br />
sung zu modellien (Abb. 1.62). Eine wichtige Anwendung<br />
ist die Berechnung des glazial-isostatisch induzierten<br />
Anteils in den gegenwärtigen Meeresspiegeländerungen.<br />
Dazu wurde zunächst eine globale Verteilung ungestörter<br />
Pegelstationen festgelegt. Es wurden Stationen ausgewählt,<br />
die weitgehend frei von tektonisch oder antropogen<br />
bedingten Vertikalbewegungen, Luftdruckschwan-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
kungen und hydrologischen Effekten sind. Zur Erleichterung<br />
der Auswahl wurde hierzu das Trendanalyse-Diagramm<br />
entwickelt, was eine schnelle Identifizierung von<br />
zeitlichen Variationen des Trends gestattet. Für die Pegel-<br />
Abb. 1.62: Rekonstruktion der Paläotopographie<br />
für Fennoskandien und den<br />
Zeitpunkt 10.000 Jahre vor heute basierend<br />
auf einem optimierten Viskositätsund<br />
Eismodell.<br />
Reconstruction of the palaeotopography<br />
for Fennoscandia and the time epoch<br />
10,000 years before present based on an<br />
optimized viscosity and ice model.<br />
station Churchill (Hudson Bay) sind beispielsweise<br />
starke Trendänderungen um<br />
1970 und 1990 zu erkennen (Abb. 1.63),<br />
die auf Störungen unbekannter Ursache<br />
hinweisen. Für die 121 ungestörten Stationen<br />
wurden dann aus den entsprechenden<br />
Zeitreihen zunächst die beobachteten<br />
linearen Trends der Meeresspiegeländerungen<br />
bestimmt. Nach Reduktion<br />
hinsichtlich des glazial-isostatisch<br />
induzierten Anteils ergab sich daraus ein<br />
mittlerer globaler Meeresspiegelanstieg<br />
von 1,46 ±0,20 mm/a. Für Fennoskandien,<br />
wo die Stationsdichte hoch und der glazial-isostatisch<br />
induzierte Anteil dominant ist, ergab sich nach<br />
der Reduktion ein etwas niedrigerer Wert von 1,23<br />
±0,68 mm/a.<br />
Mantelviskosität unter Island<br />
Island ist aufgrund seiner besonderen<br />
Lage auf dem Mittelatlantischen Rücken<br />
für geodynamische Studien eine attraktive<br />
Region. Wegen der erhöhten Untergrundtemperatur<br />
ist unter der Insel eine<br />
niedrige Viskosität des Erdmantels zu<br />
erwarten. Charakteristisch für Island sind<br />
rezente Eiskappen, von denen der Vatnajökull<br />
mit einem mittleren Radius von ca.<br />
Abb. 1.63: Trendanalyse-Diagramm für<br />
Monatsmittel der Meeresspiegelhöhe in<br />
Churchill (Hudson Bay). Das obere Feld<br />
zeigt den ursprünglichen Datensatz. Das<br />
untere Feld zeigt Konturen der mittleren<br />
Änderungsrate der Meeresspiegelhöhe als<br />
Funktion des Mittelpunktes und der Länge<br />
des berücksichtigten Zeitintervalls. Durch<br />
Pfeile hervorgehobene Werte weisen auf<br />
zurückliegende Abschätzungen der mittleren<br />
Änderungsrate hin.<br />
Trend-analysis diagram for monthly<br />
means of the sea-level height at Churchill<br />
(Hudson Bay). The top panel shows the<br />
original data set. The bottom panel shows<br />
contours of the mean rate of change of<br />
sea-level height as a function of the midepoch<br />
and length of the time interval considered.<br />
Values highlighted by arrows<br />
indicate previous estimates of the mean<br />
rate of change.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
201
202<br />
50 km am größten ist. Als Folge des seit ca. 1900 andauernden<br />
Eisrückgangs sowie der erniedrigten Mantelviskosität<br />
ist in der Umgebung des Vatnajökull eine Landhebung<br />
zu erwarten, die hinsichtlich der Viskositätsverteilung<br />
im Erdmantel invertiert werden kann. Zur Bestimmung<br />
der Hebungsrate wurden seit 1991 unter der Leitung<br />
von L. Sjöberg (Royal Institute of Technology, Stockholm)<br />
südöstlich der Eiskappe an einer Reihe von Stationen<br />
(Abb. 1.64) bis zu vier GPS-Kampagnen durchgeführt.<br />
Zur Inversion der beobachteten Hebungsraten<br />
wurde ein kreisförmiges Eismodell vorausgesetzt, sowie<br />
Abb.1.65:Beobachtete (rote Kreise mit Fehlerbalken) und<br />
vorhergesagte Hebungsraten (farbige Linien) als Funktionen<br />
des Abstandes vom Eiszentrum für das kreisförmige<br />
Eismodell und eine Lastgeschichte, die einen Eisverlust<br />
von ca. 2 km 3 pro Jahr während der vergangenen<br />
100 Jahre simuliert. Die Bereiche der Werte für die Lithosphärenmächtigkeit,<br />
H L, die Asthenosphärenmächtigkeit,<br />
H A, und die Asthenosphärenviskosität, ηA, die zu ähnlich<br />
guten Anpassungen führen, weisen auf die Mehrdeutigkeit<br />
der Inversion hin.<br />
Observed (red circles with error bars) and predicted uplift<br />
rates (coloured lines) as functions of the distance from the<br />
ice centre for the circular ice model and a loading history<br />
simulating an ice loss of about 2 km 3 per year during<br />
the past 100 years. The ranges of values for the lithosphere<br />
thickness, H L, the asthenosphere thickness, H A, and the<br />
asthenosphere viscosity, ηA, resulting in similarly close<br />
fits indicate the ambiguity of the inversion.<br />
eine Lastgeschichte, die einen Eisverlust<br />
von 2 km 3 pro Jahr während der vergangenen<br />
100 Jahre simuliert. Als Viskosität<br />
des oberen und unteren Mantels wurde<br />
1 . 10 20 Pa s bzw. 1 . 10 22 Pa s angenommen.<br />
Freie Parameter sind die Lithosphärenmächtigkeit,<br />
die Asthenosphärenmächtigkeit<br />
und die Asthenosphärenviskosität. Nahezu gleich<br />
gute Anpassungen ergeben sich für 16 bis 46 km und 129<br />
bis 384 km für die Lithosphären- bzw. Asthenosphärenmächtigkeit<br />
und 1 . 10 18 bis 1 . 10 19 Pa s für die Asthenosphärenviskosität<br />
(Abb. 1.65), was auf die Mehrdeutigkeit<br />
der Inversion hinweist.<br />
Geoidmodellierung<br />
Abb. 1.64: Lagen der GPS-Stationen<br />
südöstlich der Vatnajökull-Eiskappe<br />
(Island) und Umriss des für die Inversion<br />
verwendeten kreisförmigen Eismodells.<br />
Locations of GPS stations south-east of<br />
the Vatnajökull ice cap (Iceland) and outline<br />
of the circular ice model used for the<br />
inversion.<br />
Eismassenänderung und Glazialisostasie<br />
Mit dem Satellitenpaar GRACE können zum ersten Mal<br />
globale zeitliche Variationen des Schwerefelds untersucht<br />
werden. Nach und nach lassen sich aus der Zeitreihe der<br />
monatlichen Schwerefelder immer verlässlichere lineare<br />
Trends berechnen, die z. B. Rückschlüsse auf die langzeitlichen<br />
Massenänderungen der großen Eisschilde<br />
ermöglichen.<br />
Über der Antarktis und über Grönland wird die heutige<br />
Geoidänderung im Wesentlichen durch zwei Prozesse verursacht.<br />
Einmal durch ein Ungleichgewicht zwischen dem<br />
Schneefall auf dem Kontinent und dem Abfluss durch<br />
Gletscher und Eisströme, und andererseits durch die glazialisostatische<br />
Ausgleichsbewegung der Erde und dem<br />
damit verbundenen Zufluss von Mantelmaterial in die<br />
Gebiete früherer Eislasten. Der Einfluss einer unausgeglichenen<br />
Eismassenbilanz auf das Geoid lässt sich relativ<br />
einfach berechen. Die Bestimmung der Erdantwort auf<br />
eine vergangene Eisbedeckung erfordert dagegen ein<br />
komplexes visko-elastisches Erdmodell. Zusätzlich müssen<br />
Annahmen über die Viskositätsstruktur des Mantels<br />
und die Enteisungsgeschichte getroffen werden, die nicht<br />
ausreichend bekannt sind.<br />
Die Zeitreihe aus den GRACE-Monatslösungen wurde<br />
verschiedenen statistischen Verfahren und Filtermethoden<br />
unterworfen (Abb. 1.66). Abbildungen 1.67 und 1.68<br />
zeigen Vergleiche der modellierten und beobachteten<br />
Geoidänderung über Grönland und über der Antarktis.<br />
Vor allem in der Westantarktis lassen sich erste Übereinstimmungen<br />
zwischen den GRACE-Beobachtungen<br />
und den Vorhersagen erkennen. Dort verursacht das<br />
beschleunigte Zurückweichen von Gletschern und Eis-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
strömen mit dem Abfluss in die Amundsen-See einen<br />
Massenverlust, der bereits im Trend der Schwerefelder<br />
sichtbar ist.<br />
Abb. 1.66: Statistische Prüfung von Trend<br />
und jährlicher Periode in den sphärischharmonischen<br />
Koeffizienten zweier<br />
GRACE-Lösungen: CSR (Center for Space<br />
Research) und <strong>GFZ</strong> Potsdam (Beobachtungszeitraum:<br />
~ 2 Jahre). Rot kennzeichnet<br />
signifikante Bereiche.<br />
Statistical test of trend and annual period<br />
in the spherical harmonic coefficients<br />
of two GRACE solutions: CSR (Center for<br />
Space Reseach) and <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
(observation period: ~ 2 years). In red are<br />
significant domains.<br />
Konvektion im Erdmantel<br />
Ein wichtiger Beitrag zum Verständnis<br />
der Dynamik des Erdinnern wird durch<br />
die Modellierung des statischen Geoids<br />
geleistet. Das Geoid wird im Rahmen der<br />
CHAMP-, GRACE- und, in Zukunft,<br />
auch der GOCE-Mission mit zunehmender<br />
Genauigkeit vermessen. Ein Vergleich<br />
mit Modellierungen erlaubt es<br />
unter anderem, die Viskositätsverteilung<br />
im Erdmantel genauer abzuschätzen.<br />
Das statische Geoid wird durch die Topographie<br />
und die Lithosphärenstruktur,<br />
aber auch zu großen Teilen durch den<br />
Konvektionsprozess im Erdmantel verursacht.<br />
Das am GeoForschungsZentrum<br />
entwickelte Modell der Mantelkonvektion<br />
beschreibt und löst die zugrunde liegenden<br />
Gleichungen mit Hilfe spektraler<br />
Finite-Elemente. Diese Repräsentation<br />
erlaubt es auch sehr große laterale Viskositätsvariationen<br />
in das Erdmodell zu<br />
integrieren. So können hochviskose (elastische) Lithosphärenstrukturen,<br />
wie z. B. Kratone, in den viskosen Erdmantel<br />
eingebettet werden. Für die Beschreibung der Erde<br />
können durch seismische Tomographie<br />
bestimmte Dichteanomalien in das<br />
Modell integriert werden. Damit kann der<br />
Einfluss realistischer Strukturen auf die<br />
Fließgeschwindigkeit im Erdmantel und<br />
das statische Geoid untersucht werden.<br />
Ein erstes numerisches Experiment für<br />
eine zweidimensionale Erdstruktur zeigt<br />
Abb. 1.69.<br />
Abb. 1.67: Geoidänderung in mm/a für<br />
Grönland. (a) Vorhergesagter Beitrag, der<br />
durch heutige Massenänderungen und die<br />
glazialisostatische Ausgleichsbewegung<br />
hervorgerufen wird. (b) GRACE-Beobachtung<br />
(<strong>GFZ</strong>, Release 3).<br />
Geoid change in mm/a for Greenland. (a)<br />
Predicted contribution of present time mass<br />
changes and glacial-isostatic adjustment.<br />
(b) GRACE observation (<strong>GFZ</strong>, release 3).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
203
204<br />
a) b)<br />
Abb. 1.68: Geoidänderung in mm/a für die Antarktis. (a) Vorhergesagter Anteil, der durch heutige Massenänderung<br />
und die glazialisostatische Ausgleichsbewegung hervorgerufen wird. (b) GRACE-Beobachtung (CSR, Release 1 constrained).<br />
Geoid change in mm/a for Antarctica. (a) Predicted contribution due to present-day mass changes and glacial-isostatic<br />
adjustment. (b) GRACE observation (CSR, release 1 constrained).<br />
a) b)<br />
Abb. 1.69: (a) Erdmodell mit zweidimensionaler axialsymmetrischer Viskositätsstruktur. Dunkelgrau kennzeichnet sind<br />
kratonische Strukturen. Rot und blau stellen eine langwellige positive bzw. negative Dichteanomalie im unteren Mantel<br />
dar. (b) Mantelfluss aufgrund der Dichteanomalie aus (a). Die Farbskala zeigt die normalisierte vertikale Flussgeschwindigkeit<br />
an. Der Mantelfluss ist auf die Gebiete außerhalb des hochviskosen Kratons beschränkt.<br />
(a) Earth model with two-dimensional axisymmetric viscosity structure. Dark grey indicates cratonic structures. Red<br />
and blue represent a positive and negative long-wavelength mass anomaly in the lower mantle, respectively. (b) Mantle<br />
flow due to the mass anomaly shown in (a). The colour scale represents the normalized vertical flow velocity. The<br />
mantle flow is confined to the outside of the craton due to its high viscosity.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Fernerkundung<br />
Die Fernerkundung stellt eine Schlüsseltechnologie für<br />
die Erdbeobachtung dar. Sie trägt entscheidend dazu bei,<br />
den Kostenaufwand für die flächenhafte und multitemporale<br />
Datengewinnung zu minimieren. Sie schafft eine flächenbezogene<br />
Datenbasis für vielfältige Zwecke, die z. B.<br />
in Geoinformationssystemen genutzt werden kann. Am<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam werden dazu neue Konzepte und Algorithmen<br />
entwickelt, die den raumbezogenen und spektralen<br />
Informationsgehalt unterschiedlicher Satelliten- und Flugzeugsensoren<br />
analysieren. Die methodischen Entwicklungen<br />
orientieren sich im Wesentlichen an den beiden<br />
Schwerpunktthemen Umwelt und Naturgefahren. Die Ergebnisse<br />
finden Eingang in die Arbeiten verschiedener<br />
Großprojekte am GeoForschungsZentrum sowie innerhalb<br />
der Helmholtz-Gemeinschaft und unterstreichen<br />
damit den interdisziplinären Charakter und Nutzen der<br />
Fernerkundung. Neben diesen methodischen Arbeiten bilden<br />
die Machbarkeitsstudie des Hyperspektralsatelliten<br />
EnMAP und zukünftige Einsatzmöglichkeiten dieses Satelliten<br />
einen weiteren Schwerpunkt.<br />
Landdegradation<br />
Rund siebzig Prozent aller Trockengebiete außerhalb der<br />
vollariden Wüsten sind vom Rückgang der Boden- und<br />
Pflanzenbedeckung und damit von einer zunehmenden<br />
Degradation des Landes betroffen. Klimaschwankungen<br />
und nicht nachhaltige menschliche Aktivitäten wie Übernutzung,<br />
Überweidung und Abholzung sind wesentliche<br />
Ursachen für die komplexen Desertifikationsprozesse. In<br />
der 1996 in Kraft getretenen UN-Konvention zur Bekämpfung<br />
der Wüstenbildung (UN Convention to Combat<br />
Desertification UNCCD) wird daher die Notwendigkeit<br />
betont, verstärkt die Prozesse der Landdegradation und<br />
Desertifikation zu erforschen.<br />
Eine Voraussetzung für die Bekämpfung der Desertifikation<br />
ist die genaue Kenntnis über das Ausmaß der degradierten<br />
Gebiete und neuer, potentiell gefährdeter Gebiete.<br />
Die Fernerkundung bietet die Möglichkeit, entsprechendes<br />
thematisches Kartenmaterial im globalen, regionalen<br />
und lokalen Maßstab flächenhaft und kostengünstig<br />
zu liefern. Untersucht wird insbesondere das Potential der<br />
abbildenden Spektroskopie für die Bestimmung von<br />
boden- und vegetationsspezifischen Parametern, die mit<br />
Landdegradationsprozessen verknüpft sind. Derartig<br />
abgeleitete quantitative Parameter können vielfältig, beispielsweise<br />
als Eingangsgrößen für Erosions- und Desertifikationsmodelle<br />
zur Überwachung von Landdegradationsprozessen<br />
eingesetzt werden. Ihre Integration in global<br />
anwendbare Landdegradationsindizes ermöglicht die<br />
Bestimmung des Ausmaßes der Degradation. Daneben<br />
fließen sie in die Gewinnung von Indikatoren für die Charakterisierung<br />
spezifischer Oberflächeneigenschaften in<br />
Bezug auf Wasserzyklus, Erosionsprozesse und die Pflanzenproduktion<br />
in Trockengebieten ein.<br />
Im Rahmen von verschiedenen laufenden Projekten<br />
wurden in zwei Regionen Testgebiete eingerichtet, im<br />
Tagebaugebiet Welzow-Süd bei Cottbus und im Naturpark<br />
Cabo de Gata-Níjar in der Provinz Almeria, Spanien.<br />
Erfassung physikalischer und geochemischer Bodenparameter<br />
Im Rahmen des Projekts „Quantifizierung oberflächennaher<br />
Prozesse zur Charakterisierung von trockenheitsinduzierten<br />
Veränderungen von Bodeneigenschaften, Erosion,<br />
und Wasserhaushalt“ konnte durch die Kombination<br />
von Feld- und Laborexperimenten, Fernerkundungsmethoden<br />
und Modellierungsarbeiten das Prozessverständnis<br />
verbessert und Prognosemethoden weiterentwickelt<br />
werden. Es wurde ein interdisziplinärer Ansatz mit Hilfe<br />
von drei Fachgebieten entwickelt: Fernerkundung, Bodenkunde<br />
(Brandenburg Technische Universität, BTU Cottbus)<br />
und Hydrologiemodellierung (Ingenieurhydrologie,<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam). Die Methoden sind in einem Areal der<br />
Niederlausitzer Bergbaufolgelandschaft erprobt worden.<br />
Das Studiengebiet umfasst eine 2002 errichtete Rekultivierungsfläche<br />
im Tagebaugebiet Welzow-Süd. Die Fläche<br />
ist vor anthropogenen Einflüssen weitgehend geschützt<br />
und bietet ideale Voraussetzungen für die Untersuchung<br />
von Bodeneigenschaften und Erosionserscheinungen. Die<br />
Fläche von insgesamt 16 ha weist eine deutliche Neigung<br />
in südlicher Richtung auf. Im Wesentlichen befinden sich<br />
drei verschiedene Substrate in dem Gebiet: Tertiärsand im<br />
Norden (sauer, keine Vegetation), Quartärsand im südlichen<br />
Bereich sowie zwei aufgeschüttete Tonhügel mit<br />
ausgeprägtem Vegetationsbestand. Gerade in den Sanden<br />
ergeben sich durch das Fehlen der Vegetation gute Bedingungen,<br />
um Reflektanzmessungen mit Bodenparametern<br />
in Beziehung zu setzen.<br />
Bei Untersuchungen zur Erosion, einem wichtigen Prozess<br />
bei der Entstehung von degradierten Böden, spielt die<br />
Bodenfeuchte, insbesondere deren räumliche Variabilität<br />
eine entscheidende Rolle. Um die Bodenfeuchte für größere<br />
Einzugsgebiete zu messen, bietet sich die Fernerkundung<br />
als Messverfahren an. Mit Feldspektrometern<br />
wurden ausgewählte Bodenparzellen im Untersuchungs-<br />
Abb. 1.70: Reflektanzspektren einer Tertiärsandprobe von<br />
der Rekultivierungsfläche im Tagebau Welzow-Süd. Die<br />
angegebenen Bodenfeuchtewerte wurden gravimetrisch<br />
bestimmt.<br />
Reflectance spectra of tertiary sand samples of the recultivation<br />
zone in the lignite mine Welzow-Süd. The stated<br />
soil moisture values were determined gravimetrically.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
205
206<br />
Abb. 1.71: Oberflächennahe Bodenfeuchte vom 30.07.<strong>2004</strong>, ermittelt aus (a)<br />
Hydrologie-Feldmessungen mit FDR-Sonde (Frequenz-Domain-Reflektometrie)<br />
und (b) HyMap-basierter Auswertung auf Grundlage des Ratio-Merkmals<br />
(1288 vs. 1515 nm). Die Regression basiert auf Quartärsand, dessen<br />
Vorkommen durch die gestrichelte Linie markiert ist.<br />
Surface soil moisture from July 30th <strong>2004</strong> determined from (a) Hydrology<br />
field measurements with FDR sensor and (b) HyMap-based ratio calculation<br />
(1288 vs. 1515 nm) based on the regression function for quaternary<br />
sand. The dashed line shows the part of the area being covered with quaternary<br />
sand.<br />
gebiet gemessen und zusätzlich Proben davon aufbereitet<br />
und untersucht. Die gravimetrisch erfassten Bodenfeuchtewerte<br />
wurden anschließend mit den spektralen Eigenschaften<br />
der Reflektanzmessungen verglichen und normiert.<br />
(Abb. 1.70).<br />
In den Sommern 2003 bis <strong>2005</strong> fanden jeweils hyperspektrale<br />
Befliegungen des Testgebiets mit dem HyMap-<br />
Sensor statt. Die aus den Labor- und Feldarbeiten<br />
ermittelten Methoden zur Quantifizierung der Bodenfeuchte<br />
wurden auf die spektrale Auflösung des Sensors<br />
angepasst und erzielten durch Kalibrierung auf<br />
einzelne Substrate gute Ergebnisse. In der Studie konnte<br />
gezeigt werden, dass die Erfassung der Bodenfeuchte<br />
in ariden Gebieten mit optischen spektral hochauflösenden<br />
Fernerkundungsdaten ein großes Potential besitzt<br />
(Abb. 1.71).<br />
Spektrale Überwachung eines semiariden<br />
mediterranen Ökosystems<br />
Der Naturpark Cabo de Gata-Níjar in der<br />
Provinz Almeria in Südost-Spanien ist<br />
Untersuchungsgegenstand des in Kooperation<br />
mit der Universität Almeria<br />
durchgeführten Monitoring-Programms<br />
INCAMAR. Das Gebiet gehört seit 1997<br />
zu den UNESCO-Biosphärenreservaten<br />
und beinhaltet eine hohe Biodiversität.<br />
Viele endemische Tier- und Pflanzenarten<br />
sind von Umweltveränderungen bedroht.<br />
In dem Park werden daher detaillierte<br />
Untersuchungen zur Vegetationsdynamik<br />
und Krustenbildung, sowie zum Wasserzyklus<br />
und zu Erosionsprozessen durchgeführt.<br />
Für das Monitoringprogramm<br />
wurden im Sommer 2003 typische Parzellen<br />
definiert, die verschiedene Stufen<br />
der Bodenentwicklung und der biologischen<br />
Aktivität beinhalten (Abb. 1.72).<br />
Diese werden regelmäßig mit Hilfe von<br />
Feldmessungen und Bildanalysen auf<br />
Veränderungen hin untersucht. Bei der<br />
Ursachenforschung wird im Hinblick auf spektrale Abweichungen<br />
zwischen einjährigen (Trocken- und Regenzeit)<br />
und mehrjährigen Ereignissen unterschieden.<br />
Ein weiteres Ziel der Arbeit ist die Entwicklung von Desertifikations-Indikatoren,<br />
die auf Fernerkundungsdaten basieren<br />
und speziell für trockene Gebiete geeignet sind. So<br />
repräsentiert die aktuelle Vegetationsbedeckung einen der<br />
wichtigsten Parameter zur Bestimmung der Erosion und<br />
Landdegradation. Als Beispiel ist in Abb. 1.73 die Vegetationsbedeckung<br />
für Juli 2003 und Mai <strong>2004</strong> im Landwirtschaftsgebiet<br />
des Parks dargestellt, die mit Hilfe des<br />
NDVI (Normalised Difference Vegetation Index) berechnet<br />
wurde. Vergleicht man dieses Ergebnis mit Feldbeobachtungen,<br />
so fällt auf, dass der Vegetationsanteil meist<br />
unterschätzt wird. Dies liegt an den spektralen Charakteristika<br />
der mediterranen Vegetation, die sich von heimi-<br />
Abb. 1.72: Links: Parzelle F, ursprüngliches Gebiet, wenig degeneriert, vulkanischer Boden (Foto: Univ. Almeria).<br />
Rechts: Parzelle B, landwirtschaftliches Gebiet, degeneriert, vulkanischer Boden.<br />
Left: Parcel F, natural area, little degraded, volcanic soils. Right: Parcel B, agricultural area, degraded, volcanic soils.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
schen Arten deutlich im Sichtbaren und Nahen Infrarot<br />
Bereich (VNIR) unterscheidet. Deshalb wird derzeit ein<br />
Programm zur automatischen Erkennung und Identifizierung<br />
mediterraner Vegetation entwickelt. Verwendet werden<br />
dazu spektrale Vegetationsmerkmale aus dem Kurzwelligen<br />
Infrarot (SWIR-2) Bereich (2,05 µm bis<br />
2,45 µm), der u. a. durch Absorptionen von Zellulose und<br />
Lignin geprägt ist.<br />
EU Projekt DeSurvey<br />
April <strong>2005</strong> startete das integrierte EU-Projekt DeSurvey<br />
(A Surveillance System for Assessing and Monitoring of<br />
Desertification) mit dem Ziel, ein System zur Bewertung<br />
und Überwachung von Landdegradations- und Desertifikationsprozessen<br />
zu entwickeln. Der Beitrag des <strong>GFZ</strong><br />
Potsdam innerhalb des aus 39 internationalen Partnern<br />
bestehenden Konsortiums beinhaltet die Entwicklung und<br />
Anwendung von neuen Methoden zur Quantifizierung<br />
von Bodenparametern aus Hyperspektraldaten, wie z. B.<br />
Bodeneisengehalt und organische Bodensubstanz, die für<br />
die Landdegradation relevant sind. Charakteristische Reflexionsmerkmale<br />
der zu untersuchenden Bodeninhaltsstoffe<br />
werden dazu mit Ergebnissen physikalischer und<br />
chemischer Laboranalysen korreliert. Aus den so gewonnenen<br />
Daten sollen Methoden entwickelt werden, die auch<br />
bei Fernerkundungsdatensätzen unterschiedlicher Bodenauflösung<br />
anwendbar sind.<br />
Abb. 1.74 zeigt die Arbeitsschritte zur Bestimmung des<br />
Bodeneisengehalts und präsentiert das vorläufige und<br />
noch nicht verifizierte Ergebnis für das Untersuchungsgebiet<br />
Cabo de Gata in Südost-Spanien. Als Grundlage<br />
dienten hyperspektrale HyMap-Daten vom 11. 07. 2003,<br />
die hier in Echtfarben dargestellt sind (Abb. 1.74a). Während<br />
der Geländekampagne 2003 wurden von einem Feld<br />
mit ausgeprägtem Wechsel von kalkreichem zu eisenreichem<br />
Boden Proben genommen. Die Probenentnahmepunkte<br />
wurden anhand der GPS-Koordinaten in den Bilddaten<br />
lokalisiert (Abb. 1.74b) und die dazugehörigen Bildspektren<br />
extrahiert. Für die Korrelationsanalyse zwischen<br />
diesen Bildspektren der Punkte A bis H und den Ergebnissen<br />
der Laboranalyse (Abb. 1.74c) wurde die aufge-<br />
spannte Fläche zwischen dem 2. und 14. Spektralband der<br />
HyMap-Daten (Abb. 1.74d) verwendet. Eine konkave<br />
Krümmung der Spektralkurve in diesem Spektralbereich<br />
wird durch die Absorption von Fe 2+ - und Fe 3+ -Ionen hervorgerufen<br />
und korreliert mit dem Eisengehalt im Boden.<br />
Über die so bestimmte Korrelationsgleichung kann für<br />
jedes Bildpixel der Eisengehalt berechnet und graphisch<br />
in Form einer Karte dargestellt werden (Abb. 1.74e). Die<br />
Validation der Ergebnisse ist noch nicht abgeschlossen,<br />
die berechneten Wertebereiche für den Eisengehalt stimmen<br />
jedoch weitgehend mit den Feldbeobachtungen überein.<br />
Im Sommer <strong>2005</strong> fanden erste Feldversuche in drei Testgebieten<br />
in der Nähe von Almeria statt (Abb. 1.75b). Hier<br />
wurden jeweils Bodenreflexionsspektren gemessen, Bodenproben<br />
gesammelt und ein neu entwickeltes Skalierungsexperiment<br />
durchgeführt. In den Untersuchungsgebieten<br />
wurde dazu jeweils ein 1 m x 1 m großes Messfeld<br />
abgesteckt und in vier Messhöhen mit unterschiedlicher<br />
Bodenauflösung gemessen (Abb. 1.75a und c). Da diese<br />
gemessenen Spektren immer eine Mischung der verschiedenen<br />
Bodenmaterialien widerspiegeln, wurden zusätzlich<br />
auch die reinen Materialien unabhängig von einer<br />
vorgegebenen Bodenauflösung gemessen. So können aus<br />
den Mischspektren die Mischungsverhältnisse bestimmt<br />
werden. Die Skalierungsebenen des Experiments sollen<br />
zeigen, ob die entwickelten Modelle zur Bestimmung verschiedener<br />
Bodenparameter bei Fernerkundungsdaten unterschiedlicher<br />
Bodenauflösung anwendbar sind.<br />
Klassifizierung der Fruchtartenverteilung aus Fernerkundungsdaten<br />
Die Landnutzung im Einzugsgebiet eines Gewässers spielt<br />
eine wesentliche Rolle bei der Modellierung der Gewässergüte<br />
in Flusseinzugsgebieten im Sinne der EU-Wasserrahmenrichtlinie,<br />
insbesondere bei der Erfassung der<br />
chemischen Qualitätsparameter. Im Haveleinzugsgebiet<br />
stammen die wichtigsten diffusen Nährstoffeinträge aus<br />
der Landwirtschaft. Sie nimmt im Gebiet große Flächenanteile<br />
ein. Daraus ergibt sich die Forderung nach einer<br />
Analyse der Landnutzung in großer räumlicher Differen-<br />
Abb. 1.73: Photosynthetisch aktive Vegetationsbedeckung berechnet auf Basis des NDVI (Normalised Difference Vegetation<br />
Index) aus hyperspektralen HyMap-Daten.<br />
Photosynthetic vegetation cover determined on the basis of NDVI from hyperspectral HyMap data.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
207
208<br />
Abb. 1.74: Bestimmung des Bodeneisengehalts; a) Untersuchungsgebiete in Cabo de Gata-Nijar Naturpark (HyMap<br />
Daten vom 11.07.2003, Echtfarbendarstellung), b) Bodenprobenentnahmepunkte, c) Laboranalyse der Bodenproben,<br />
d) Spektren der Bodenproben A und G mit gekennzeichnetem Flächenmerkmal (pos. und neg.), das für die Korrelation<br />
genutzt wird, e) vorläufige Bodeneisenkarte.<br />
Determination of the soil iron content: a) Test site in Cabo de Gata-Nijar Natural Parc (HyMap data from 11.07.2003,<br />
real color composite), b) soil sampling points, c) Laboratory analysis of the soil samples, d) Spectra of soil sample A<br />
and G with indicated area feature (pos. and neg.) that is used for the correlation, e) preliminary soil iron map.<br />
ziertheit und hoher zeitlicher Auflösung. Die Fernerkundung<br />
hat mit der wiederholten zeitlichen Abbildung großer<br />
Landschaftsausschnitte in hoher räumlicher Auflösung<br />
beträchtliche Potentiale zur Lösung dieser Aufgabe.<br />
Jede Verwendung von Fernerkundungsdaten und der Einsatz<br />
von Fernerkundungsmethoden ist an einen bestimmten<br />
Arbeitsalgorithmus geknüpft. Dabei spielt das Erstellen<br />
einer Klassifikationsvorschrift zur Bildclusterung eine<br />
zentrale Rolle. In der Regel ist diese gegenwärtig nicht<br />
nur an einen Klassifizierungsalgorithmus gebunden, sondern<br />
in hohem Maß auch an den verwendeten Datensatz.<br />
Die Übertragung eines einmal erstellten Klassifikators auf<br />
andere Datensätze scheitert fast immer an der Charakteristik<br />
der ursprünglich verwendeten Daten. Bei Fruchtartenklassifikationen<br />
in der Landwirtschaft ist das entscheidende<br />
Hindernis die ungenügende Objektivität der<br />
Klassen bezüglich des phänologischen Zustands der in den<br />
verwendeten Aufnahmen abgebildeten Pflanzenbestände.<br />
Während dieser Effekt in kleinräumigen Betrachtungen<br />
keine Rolle spielt (Witterung) oder durch die Verwendung<br />
von mehreren Beispielsflächen unterschiedlicher Bodenausstattung<br />
ausgeglichen wird, führt die von veränderten<br />
Boden- und Witterungsbedingungen modifizierte spektrale<br />
Charakteristik der Kultur in anderen Anbaugebieten<br />
als dem Erstellungsraum zu Fehlklassifizierungen.<br />
Dieses Problem stellt den Ansatzpunkt für die jetzt entwickelte<br />
Methode dar. Es wurde mit multitemporalen Daten<br />
ein universeller, übertragungsfähiger Klassifikator erstellt,<br />
der den Monitoringcharakter des multitemporalen Ansatzes<br />
verstärken wird. Grundidee für diesen Klassifikator ist<br />
die Erstellung spektraler Normkurven der Pflanzenentwicklung<br />
von Kulturen (Abb. 1.76). Steht eine große<br />
Anzahl von Satellitenszenen zur Verfügung, die das gleiche<br />
Gebiet über einen langen Zeitraum zu verschiedenen<br />
Phasen der phänologischen Entwicklung abbildet, erlaubt<br />
dies anhand der Anbauinformation von Beispielbetrieben<br />
die Analyse des Spektralverhaltens von Ackerkulturen in<br />
jedem phänologischen Zustand. Die so gewonnenen<br />
Wachstumskurven verknüpfen jeden phänologischen<br />
Zustand im Lauf des Wachstums- und Reifeprozesses mit<br />
der für diesen Zustand typischen Spektralinformation. Sie<br />
erlauben eine Klassifikation von Ackerkulturen unabhängig<br />
von der sonst üblichen Abgrenzung von Beispielsflächen<br />
im zu klassifizierenden Satellitenbild.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 1.75: Skalierungsexperiment: a) schematische Skizze des Experiments, b) Lage der drei Untersuchungsgebiete in<br />
der Umgebung von Almeria, c) El Cautivo: Zur Messung der Spektren aus 2,50 m Höhe wurde eine Leiter genutzt<br />
(~ 100 cm Bodenauflösung GSD, Foto: <strong>GFZ</strong>).<br />
Upscaling experiment: a) schematic scheme of the experiment, b) location of the three investigation area in vicinity of<br />
Almeria, c) a ladder is used to acquire spectra from 2.5 m height (~ 100 cm GSD).<br />
Routinemäßig werden Fernerkundungsdaten hinsichtlich<br />
ihrer spektralen, radiometrischen und geometrischen Auflösung<br />
korrigiert. Die das eigentliche Potential der Daten<br />
bestimmende zeitliche Auflösung bleibt jedoch in der<br />
Regel unbeachtet. Witterungsbedingte Bewertungen werden<br />
meist in die Interpretation verlagert. Dieses Manko<br />
wird in dem hier entwickelten Ansatz behoben und witterungsspezifische<br />
Korrekturen in die Datenaufbereitung<br />
integriert. Schon vor der Klassifizierung muss der eigentliche<br />
Aufnahmezeitpunkt der zu klassifizierenden Daten<br />
– unter Hinzuziehung agrarmeteorologischer Informatio-<br />
nen sowie von Kenntnissen über die Abläufe der Normjahre<br />
der Phänologie für die einzelnen Kulturen – in das<br />
jeweils kulturspezifische phänologische Normjahr eingepasst<br />
werden. Aus den Normkurven der Kulturen werden<br />
die dem abgebildeten phänologischen Zustand entsprechenden<br />
Spektraleigenschaften der Kultur entnommen<br />
und damit ohne Hinzuziehung von zusätzlichen Testflächen<br />
aus dem Bild die Anbausituation klassifiziert.<br />
Ein Beispiel für die auf diesem Weg erreichte Zuordnungsgenauigkeit<br />
der Früchte im Vergleich zu den tatsächlich<br />
angebauten zeigt die Abb. 1.77<br />
für 1995. In diesem Jahr stehen vier Aufnahmetermine<br />
zur Klassifizierung zur<br />
Verfügung, die auch in ihrer zeitlichen<br />
Abb. 1.76: Aus Anbauinformationen von<br />
Beispielbetrieben und Satellitendaten<br />
gewonnene Spektralinformation für Winterweizen<br />
und daraus abgeleitete Normkurve<br />
der phänologischen Entwicklung<br />
der Kultur.<br />
Spectral information of winter wheat,<br />
acquired from satellite images based on<br />
cultivation information of typical agrarian<br />
companies, and standard curve of phenological<br />
development of this crop type.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
209
210<br />
Abb. 1.77: Vergleich der Klassenzuweisung und der Anbaudaten für die Ackerflächen der Agrargenossenschaft Hohennauen<br />
im Jahr 1995.<br />
Comparison of classification result and cultivation information of agrarian company Hohennauen in 1995.<br />
Verteilung günstig liegen. Deshalb entsprechen fast alle<br />
Flächen in ihrer Zuordnung der Realität. Die Anzahl der<br />
Szenen pro Jahr für den auszuwertenden Zeitraum von<br />
1994 bis 2000 schwankt allerdings zwischen zwei (1998)<br />
und fünf (1996). Es sind also oft zu wenige und in Bezug<br />
auf die Aufnahmezeitpunkte oftmals Szenen mit redundanter<br />
Information. Demzufolge müssen die Ergebniserwartungen<br />
für die einzelnen Jahre unterschiedlich ausfallen.<br />
Die Trennung in Dauer-, Winter- und Sommerkulturen<br />
führt meist zu guten Ergebnissen, lediglich Zwischenfrüchte<br />
erzeugen Fehlzuweisungen. Fehler treten auch bei<br />
der Trennung von einigen Winter- und Sommerkulturen<br />
untereinander auf. Die Ähnlichkeit der je nach Bildkombination<br />
im Jahr nutzbaren Spektralinformation lässt sich<br />
als Problem an der Trennbarkeit von Zuckerrüben, Mais<br />
und Kartoffeln erkennen. Um diese Trennung zu erreichen,<br />
wäre ein Bild von Ende September notwendig, wenn<br />
der Erntebeginn die bis dahin gleiche Entwicklung der drei<br />
Kulturen beendet. Diese notwendige Bedingung wird in<br />
den meisten betrachteten Jahren nicht erfüllt. Für Winterfrüchte<br />
treten ähnliche Probleme in anderen Jahren auf,<br />
insbesondere in Jahren, in denen Trockenheit im Mai und<br />
Juni zu einer vorschnellen Abreifung des Wintergetreides<br />
auf sandigen Böden führt.<br />
Das Verfahren stellt einen wesentlichen Fortschritt zum<br />
bisherigen Vorgehen auf Trainingsflächenbasis dar. Es ist<br />
zumindest im Havelgebiet immer wieder ohne weitere<br />
Kenntnis von Anbauinformationen anwendbar, lediglich<br />
die exakte phänologische Datierung der dann verwendeten<br />
Aufnahmen ist erforderlich. Gegenüber der normalerweise<br />
in die Modellierungen eingehenden Zufallsverteilung<br />
von Kulturen oder Gleichbesetzung aller Flächen<br />
mit einer Kultur erlaubt die im Ergebnis dieser Klassifizierung<br />
entstehende realitätsnahe Raum- und Zeitverteilung<br />
der Kulturen eine erheblich exaktere Bilanzierung<br />
von Stoffströmen. Für andere Gebiete mit abweichenden<br />
Niederschlags- und Bodenbedingungen ist die Anpassung<br />
der phänologischen Datierung der Kurven erforderlich,<br />
wobei die Kurvenform weiter verwendbar sein sollte.<br />
Die Einbeziehung von Fuzzyinformationen wie den<br />
Zusammenhang von Bodengüte und Frucht (Anbaueignung<br />
eines Bodens für eine Frucht), die Wasserverfügbarkeit<br />
am Standort (in Abhängigkeit von Speicherver-<br />
mögen des Bodens, Grundwasseranschluss und Niederschlag)<br />
und die Summe der Niederschläge bis zum Aufnahmezeitpunkt<br />
(Trockenheitsindikator) in die Klassifizierung<br />
erscheint sinnvoll. Als optimal zur Trennung<br />
aller Kulturen hat sich im Ergebnis der Untersuchungen<br />
die Bildkombination „Anfang/Mitte April – Mitte<br />
Mai – Anfang Juli – Mitte August – Mitte September“<br />
erwiesen.<br />
Urbane Räume<br />
Die Berücksichtigung ökologischer Belange bei stadtplanerischen<br />
Bauvorhaben und Planungen gewinnt zunehmend<br />
an Bedeutung. Das Erfassen der dazu notwendigen<br />
aktuellen Datengrundlagen ist mit einem hohen Zeit- und<br />
Kostenaufwand verbunden. Daher nimmt die Entwicklung<br />
neuer automatischer Erfassungsmethoden einen<br />
hohen Stellenwert ein. Am <strong>GFZ</strong> Potsdam werden derzeit<br />
Konzepte zur Nutzung hyperspektraler Flugzeugscannerdaten<br />
für die Modellierung städtischer Biotope entwickelt,<br />
mit dem Ziel, flächendeckend und automatisch die Art und<br />
Verteilung sowie den Zustand städtischer Biotope in verschiedenen<br />
Testgebieten (Dresden, Potsdam und Berlin)<br />
zu erfassen und quantitativ zu beschreiben. Da Biotope<br />
eine definierte Mischung aus unterschiedlichen Einzelelementen,<br />
wie Häuser, Parks und Straßen darstellen, ist<br />
die materialspezifische Identifikation von städtischen<br />
Oberflächenmaterialien eine wesentliche Voraussetzung.<br />
Die Materialdiagnostik ist auf Basis der Hyperspektraltechnik<br />
möglich. Die Ergebnisse wurden bereits in einem<br />
vorangegangenen <strong>Zweijahresbericht</strong> vorgestellt und diskutiert.<br />
Die Materialdiagnostik stellt den arbeits- und zeitintensivsten<br />
Teil der Prozessierungskette dar. Dazu müssen alle<br />
spektralen Varianten der im Bild vorkommenden Materialien<br />
(Endmember) definiert werden. Problematisch<br />
erweist sich hierbei, dass in urbanen Gebieten aufgrund<br />
von Alterungsprozessen, unterschiedlichen Dachformen<br />
und Beleuchtungsverhältnissen eine sehr hohe Anzahl an<br />
spektralen Variationen existiert. Abb. 1.78 zeigt einige<br />
Variationen für das Material Dachziegel. Dennoch wurde<br />
der Versuch unternommen, diesen Prozessierungsschritt<br />
weitgehend zu automatisieren.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 1.78: Spektrale Varianten von Dachziegeln bedingt<br />
durch Alter und Beleuchtung.<br />
Spectral variations of tiles due to illumination and age.<br />
Grundlage bilden Hyperspektraldaten des flugzeuggetragenen<br />
HyMap-Sensors. Auf der Basis von sechs unterschiedlichen<br />
Bildszenen wurden mehrere zehntausend<br />
Beispielspektren gewonnen, die einen repräsentativen<br />
Querschnitt der spektralen Variationen von 43 verschiedenen<br />
urbanen Oberflächenmaterialien darstellen. Zur<br />
Identifizierung ist es zunächst notwenig, repräsentative<br />
Merkmale für die einzelnen Materialklassen zu definieren.<br />
Da dies von Hand kaum noch zu bewerkstelligen ist,<br />
werden die Spektren einer neu entwickelten computergestützten<br />
Analyse unterzogen. Dazu werden für jedes Einzelspektrum<br />
etwa 130.000 Merkmale (Formparameter)<br />
bestimmt, die eventuell zur Differenzierung der Klassen<br />
sinnvoll sind. Jedes Merkmal wird anschließend einzeln<br />
bewertet in wie weit es zwei Klassen trennt, wobei die<br />
besten zehn pro Merkmalstyp vermerkt werden. Gesucht<br />
Abb. 1.79: HyMap-Bildszene (Dresden) und automatisch identifizierte Dachmaterialien.<br />
HyMap image (Dresden) and automatically identified roof materials.<br />
werden jedoch die Merkmale, die eine optimale Trennung<br />
aller Materialien erlauben. Dazu werden in einer abschließenden<br />
Optimierung die 1.000 besten Merkmale bestimmt.<br />
Mit Hilfe eines ebenfalls neu entwickelten Klassifizierungssystems,<br />
dass die Verwendung einer unbegrenzten<br />
Merkmalsanzahl erlaubt, werden die verschiedenen Materialien<br />
in einem Bild identifiziert. Da Mischpixel eine<br />
spektrale Verwechslung durchaus noch möglich machen,<br />
werden die identifizierten Objekte einer räumlichen<br />
Formbewertung unterzogen.<br />
Abb. 1.79 zeigt das Ergebnis der automatischen Identifizierung<br />
verschiedener Dachmaterialien am Beispiel der<br />
Stadt Dresden. Eine abschließende spektrale Clusteranalyse<br />
der extrahierten Objektpixel liefert letztendlich die<br />
für die weitere Datenprozessierung notwendigen repräsentativen<br />
Endmember in Form der Clusterschwerpunkte.<br />
Mit diesem neuen Ansatz lassen sich nach ersten Tests<br />
mehr als 80 % der im Bild vorkommenden bedeutenden<br />
Endmember automatisch bestimmen. Mit dem Einsatz<br />
von Thermaldaten (ARES-Sensor) und der Integration von<br />
3D-Stadtmodellen sollen die Ergebnisse in Zukunft weiter<br />
verbessert werden.<br />
EnMAP – Environmental Monitoring and Analysis Program<br />
Der technische Fortschritt gestattet es heute, optische<br />
Satelliten mit einer großen Anzahl von Spektralkanälen<br />
zu realisieren. Diese so genannten „Hyperspektralsensoren“<br />
stehen für eine neue Ära in der satellitengestützten<br />
Erdbeobachtung und liefern ortsaufgelöste Signaturen der<br />
Erdoberfläche vom sichtbaren bis zum infraroten Spektralbereich.<br />
So lassen sich bisher unzugängliche Ökosys-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
211
212<br />
temparameter und biophysikalische, biochemische und<br />
geochemische Variablen regelmäßig und mit hoher Genauigkeit<br />
bestimmen. Aufbauend auf diesen Datensätzen werden<br />
qualitativ hochwertige Datenprodukte zur Erstellung<br />
verbesserter Modelle und zum erweiterten Verständnis<br />
weltweiter biosphärischer und geosphärischer Prozesse<br />
gewonnen und in operativen Dienstleistungen angeboten.<br />
2003 erging vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt<br />
(DLR) der Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen<br />
für eine nationale Satellitenmission in der Erderkundung.<br />
Von den neun eingereichten Missionsvorschlägen wurden<br />
der Hyperspektralsatellit EnMAP (Environmental Map-<br />
Abb. 1.80: Der Hyperspektralsatellit EnMAP (Quelle:<br />
Kayser-Threde GmbH).<br />
Hyperspectral Imager EnMAP – Environmental Mapping<br />
and Analysis Program.<br />
ping and Analysis Program, Abb. 1.80) und das SAR-Interferometer<br />
TanDEM-X (TerraSAR Add-on for Digital Elevation<br />
Measurements) ausgewählt. Unter der wissenschaftlichen<br />
Leitung des <strong>GFZ</strong> Potsdam, mit Unterstützung<br />
der industriellen Partner Kayser-Threde, der GAF AG und<br />
VISTA, wurde eine Machbarkeitsstudie (Phase A) für<br />
EnMAP durchgeführt, deren Ergebnisse international evaluiert<br />
worden sind. In Kürze soll nun entschieden werden,<br />
welche nationale Erdbeobachtungsmission nach Terra-<br />
SAR-X ausgewählt wird.<br />
Die definierten Sensorparameter, insbesondere die spektrale<br />
Auslegung, basieren auf den Anforderungen verschiedener<br />
Nutzergruppen. Sie sind durch eine Reihe aufwändiger<br />
Simulationsrechnungen ermittelt worden, mit<br />
dem Ziel, die Leistungsfähigkeit des Systems bzw. die<br />
gegenseitig abhängigen Sensorparameter im Rahmen der<br />
technischen Machbarkeit zu optimieren. Dazu wurde ein<br />
Simulationswerkzeug geschaffen, mit dessen Hilfe verschiedene<br />
Sensoreinstellungen anwendungsorientiert analysiert<br />
und bewertet werden können.<br />
In einem ersten Schritt wurden dazu Feldspektren mit<br />
Hilfe eines Atmosphärenmodells in Strahldichtewerte<br />
transformiert. Als Eingabe dienten verschiedene Gasparameter<br />
sowie die Koordinaten des Sensors im Verhältnis<br />
zur Erdoberfläche. Anschließend wurden die Spektren mit<br />
sensorspezifischen Responsefunktionen gefiltert, wobei<br />
Position und Breite der Spektralbänder variierten. Die<br />
Abb. 1.81: Vergleich des Informationsgewinns bei kontinuierlich spektraler Aufzeichnung (hyperspektral) gegenüber<br />
der Datenaufzeichnung mit wenigen spektralen Bändern (multispektral).<br />
Comparison of information return using contiguous bands (hyperspectral) versus the detection based on few distinct<br />
bands (multispectral).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
endgültigen Simulationsspektren ergaben sich nach einer<br />
weiteren Faltung mit unterschiedlichen, vordefinierten<br />
Signal-Rauschverhältnissen (SNR). Zur optimalen Auslegung<br />
der Detektoren wurden dabei Spektren von Mineralen,<br />
die typischerweise auf der Erdoberfläche auftreten,<br />
wie auch Spektren von Pigmenten und Wasserinhaltsstoffen<br />
verwendet und deren Trennbarkeit über einen automatischen<br />
Klassifizierungsansatz ermittelt.<br />
Die Parameter von EnMAP sind so ausgelegt, dass die von<br />
der Erdoberfläche reflektierte Strahlung vom Sichtbaren<br />
bis Kurzwelligen Infrarot (420 nm bis 2.450 nm) mit einer<br />
spektralen Auflösung von 10 nm und einem hohem Signal/Rausch-Verhältnis<br />
in über 200 Spektralkanälen aufgezeichnet<br />
wird (Abb. 1.81). Bei einer Bodenauflösung<br />
von 30 m x 30 m Pixelgröße wird die Streifenbreite eines<br />
Bildes 30 km betragen. Der Bordspeicher des Instruments<br />
erlaubt die kontinuierliche Aufnahme von 1.000 km Bildlänge<br />
und die Aufzeichnung von 5.000 km/Tag. Durch die<br />
seitliche Schwenkbarkeit des Satelliten von ±30° kann<br />
jedes Bodenelement im Rhythmus von vier Tagen abgetastet<br />
werden. Damit wird EnMAP der erste Satellitensensor<br />
sein, der global diagnostische Daten für unterschiedliche<br />
Bereiche wie die Geosphäre (Abb. 1.82) und<br />
die Biosphäre zur Verfügung stellt.<br />
Abb. 1.82: Mineralidentifikation und Kartierung direkt<br />
aus Hyperspektraldaten.<br />
Mineral identification and mapping based on hyperspectral<br />
data.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
213
214<br />
<strong>GFZ</strong>-Wissenschaftlerin vor dem Seismogramm des Nias-Bebens vom 29. März <strong>2005</strong>. Mit einer Magnitude von M W = 8,7<br />
war es das bisher schwerste Folgebeben des Sumatra-Tsunamibebens vom Dezember <strong>2004</strong> (Foto: Matzerath, ddp).<br />
<strong>GFZ</strong> scientist explaining the seismogram of the Nias earthquake of March 29, <strong>2005</strong>. With a magnitude of M W = 8.7,<br />
this was the strongest follow-up event of the Sumatra tsunami quake of December <strong>2004</strong>.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Department 2<br />
Physik der Erde<br />
Die Brennpunkte der Forschungsarbeiten im Department 2<br />
„Physik der Erde“ sind geodynamische Prozesse und ihre<br />
Bedeutung für die Entwicklung des Systems Erde. Zu diesen<br />
Prozessen gehören u. a. die Entstehung von aktiven<br />
und passiven Kontinentalrändern, die Bildung großer<br />
Scherzonen, Mantel-Plumes, Hotspot-Aktivitäten und Vulkanismus,<br />
Gebirgsbildung und Erdbeben sowie Veränderungen<br />
im Magnetfeld der Erde. In enger Verbindung mit<br />
anderen Disziplinen entwickelt und setzt das Department 2<br />
geophysikalische Methoden ein, um einerseits solche Prozesse<br />
hochauflösend abzubilden, andererseits ihre Einwirkungen<br />
auf den menschlichen Lebensraum im Hinblick<br />
auf deren wachsende Vulnerabilität zu analysieren.<br />
Da geodynamische Prozesse nicht isoliert existieren, sondern<br />
in enger Wechselwirkung mit anderen Prozessen stehen,<br />
z. T. im Erdinneren, im Ozean, in der Atmosphäre, in<br />
der Ionosphäre und/oder auch im anthropogenen Bereich,<br />
ist deren integrative Bearbeitung mit intensiver Kooperation<br />
über die Sektionsgrenzen hinweg eine zentrale Aufgabe.<br />
Das Department hat daher seit vielen Jahren an großen<br />
interdisziplinären Gemeinschaftsprojekten teil. Zu<br />
diesen gehört u. a. das Department übergreifende Satellitenprojekt<br />
CHAMP, in dem die Sektion 2.3 für die Messung<br />
des Magnetfeldes und dessen Modellierung verantwortlich<br />
ist, das vom <strong>GFZ</strong> Potsdam geleitete und <strong>2004</strong><br />
abgeschlossene Projekt „Deutsches Forschungsnetz Naturkatastrophen“<br />
(DFNK) und das im September 2002<br />
gemeinsam vom <strong>GFZ</strong> Potsdam und der Universität Karlsruhe<br />
eingerichtete „Center for Disaster Management and<br />
Risk Reduction Technology“ (CEDIM), in dem sechs Sektionen<br />
des GeoForschungsZentrums gemeinsam das Ziel<br />
verfolgen, Risiken durch Naturgefahren und vom Menschen<br />
verursachte Gefahren besser zu verstehen, sie früher<br />
zu erkennen und die Folgen von Katastrophen besser<br />
zu beherrschen.<br />
Ereignisse wie die Tsunami-Katastrophe vom Dezember<br />
<strong>2004</strong> im Indischen Ozean, der Hurrikan Katrina oder<br />
das Erdbeben in Pakistan/Indien <strong>2005</strong> haben erneut vor<br />
Augen geführt, dass die Begrenzung und Reduzierung von<br />
Naturrisiken zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen<br />
unserer Zeit gehören. Im Falle der Tsunami-<br />
Katastrophe haben das <strong>GFZ</strong> Potsdam und ein Konsortium<br />
weiterer deutscher Forschungseinrichtungen sehr schnell<br />
reagiert und bereits Anfang Januar <strong>2005</strong> der Bundesregierung<br />
ein Konzept zum Aufbau eines Frühwarnsystems<br />
vorgelegt. Ziel ist die Implementierung eines wirksamen<br />
Tsunami-Frühwarnsystems für den Indischen Ozean, das<br />
später auf den Mittelmeerraum und den Atlantik ausgedehnt<br />
werden kann. Das Tsunami-Frühwarnsystem ist Teil<br />
eines Early-Warning-Systems, das auch andere Naturkatastrophen<br />
wie z. B. Erdbeben und Vulkanausbrüche erfassen<br />
soll.<br />
Auch der inzwischen abgeschlossene SFB Anden gehört<br />
zu den großen Gemeinschaftsprojekten, an denen das<br />
Department maßgeblich beteiligt war. Hier stand eine<br />
prominente Subduktion ozeanischer unter kontinentaler<br />
Lithosphäre auf dem Prüfstein. Dem Department 2 ist es<br />
in diesem Rahmen u. a. gelungen, die Kombination aktiver<br />
Seismik mit passiver Seismik und Magnetotellurik zu<br />
einem Instrument der hochauflösenden Tiefensondierung<br />
zu entwickeln, das wegen seiner Effektivität in Zukunft<br />
mehr und mehr eingesetzt werden wird. Die besondere<br />
Effektivität dieses Instruments leitet sich ab aus dem<br />
Zusammenwirken neuer hochauflösender seismischer<br />
Verfahren mit der in der Sektion 2.4 weiterentwickelten<br />
„Receiver-Function“-Methode und einem Sondierungsverfahren,<br />
das zur Seismik komplementäre Informationen<br />
liefert, nämlich die elektrische Leitfähigkeit.<br />
Die Sektionen<br />
Zentrales Anliegen der Sektion 2.1 ist es, die im Zusammenhang<br />
mit Erdbeben- und Vulkankatastrophen stehenden<br />
Wirkungsketten vom jeweiligen Extremereignis bis<br />
hin zur Wirkung auf den Menschen und seine Infrastruktur<br />
umfassend zu analysieren und daraus verbesserte Möglichkeiten<br />
der Katastrophenminderung abzuleiten. Gemeinsam<br />
mit der Sektion 1.4 wurde beispielsweise nach<br />
dem verheerenden Erdbeben vom 26.12.2003 in Bam, im<br />
Südosten Irans, mit der D-InSAR-Messtechnik (Differential-Interferometric-Synthetic-Aperture-Radar)<br />
und der<br />
kontinuierlichen GPS-Messtechnik (Global Positioning<br />
System) die durch das Erdbeben verursachte Krustendeformation<br />
im Detail analysiert. Daraus abgeleitete Bodenverschiebungsdaten<br />
konnten wichtige Information über<br />
die Herdparameter des Bebens liefern.<br />
Forschungsschwerpunkte in der Sektion 2.2 sind das Studium<br />
tektonischer und geodynamischer Prozesse mit seismischen/seismologischen<br />
Methoden sowie deren integrative<br />
Interpretation und Modellierung. Ein wichtiger Aspekt<br />
ist hierbei, durch ein entsprechendes Experiment-Design<br />
Strukturen und Prozesse von plattentektonischen Skalenlängen<br />
bis in den Zehner-Meterbereich aufzulösen. Dabei<br />
stehen Prozesse an aktiven und passiven Plattengrenzen,<br />
große Scherzonen, sowie Plumes und Hotspots im Vordergrund.<br />
Die Arbeiten in der Sektion 2.3 sind auf zwei Ziele ausgerichtet:<br />
(1) auf geologisch orientierte methodische Entwicklungen<br />
zur Abbildung von vertikalen Scherzonen der<br />
Lithosphäre. Hierbei kommt es vor allem auf die Bestimmung<br />
der Tiefenerstreckung, der Geometrie und der „Füllung“<br />
dieser Scherzonen an. Als Methode wird in diesem<br />
Zusammenhang die elektromagnetische Tiefensondierung<br />
weiterentwickelt und (2) auf das Magnetfeld der<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
215
216<br />
Erde, seine räumliche und zeitliche Änderung, seine Aufteilung<br />
in das Haupt- oder Kernfeld, das Krustenfeld und<br />
seine externen Anteile aus der Ionosphäre und Magnetosphäre.<br />
Dies sind Forschungsgegenstände sowohl der geomagnetischen<br />
Observatorien Niemegk und Wingst als<br />
auch der kontinuierlichen Messungen des <strong>GFZ</strong>-Satelliten<br />
CHAMP.<br />
In der Sektion 2.4 werden aus Erdbebenregistrierungen<br />
Informationen über den Erdbebenherd und Strukturen im<br />
Erdinneren erhalten. Dazu werden ein globales Netz moderner<br />
Erdbebenstationen (GEOFON) betrieben und zusätzlich<br />
temporäre passive (d. h. natürliche Erdbeben aufzeichnende)<br />
Experimente mit den Stationen des <strong>GFZ</strong><br />
Gerätepools durchgeführt. Im Datenarchiv von GEOFON<br />
stehen alle Originaldaten der permanenten Stationen im<br />
Internet zur Verfügung. Ebenso werden die Originaldaten<br />
der temporären Experimente im Internet<br />
nach der Auswertung der Öffentlichkeit<br />
angeboten.<br />
Ein allen Sektionen des Departments gemeinsames<br />
Ziel ist es, den Erdbeben-<br />
Deformationsprozess im Detail zu untersuchen.<br />
Thematisch stehen dabei die geophysikalische<br />
Abbildung von Scherzonen,<br />
detaillierte Untersuchungen des Erdbeben-Herdvorgangs<br />
sowie die Mechanismen<br />
und Auswirkungen des Spannungstransfers<br />
in der Lithosphäre im<br />
Vordergrund.<br />
Task Force für Erdbeben<br />
Am frühen Morgen des 05.12.<strong>2004</strong> gegen<br />
2:52 Uhr Ortszeit erschütterte ein Erdbeben<br />
der Stärke M L = 5,4 Baden-Württemberg,<br />
das Elsass und die Nordschweiz.<br />
Der Landeserdbebendienst Baden-Württemberg<br />
(LED) am Landesamt für Geologie,<br />
Rohstoffe und Bergbau Baden-<br />
Württemberg (LGRB) ermittelte das<br />
Hypozentrum bei Waldkirch (48° 05´ N,<br />
8° 02' E) in einer Teufe von ca. 10 km<br />
(Abb. 2.1). Menschen kamen nicht zu<br />
Schaden, Gebäudeschäden waren nach<br />
Brüstle (pers. Mitt. <strong>2005</strong>) wegen der vorwiegend<br />
festen geologischen Untergrundbedingungen<br />
(Granite, Gneise, Buntsandstein),<br />
der gediegenen Bauweise im<br />
Schwarzwald (Abb. 2.2) und des hochfrequenten<br />
Charakters des Bebens meist<br />
nur gering. Es war das stärkste Beben in<br />
Baden-Württemberg seit dem 80 km entfernten<br />
Albstadt-Erdbeben (M L = 5,7) auf<br />
der Schwäbischen Alb am 03. 09. 1978<br />
(Scherbaum & Stoll, 1983).<br />
Als Herdmechanismus ergibt sich nach<br />
Stammler & Klinge (2006) eine Blattverschiebung<br />
mit schwachem Abschiebungs-<br />
anteil. Ob die Elztalstörung oder eine etwa senkrecht dazu<br />
verlaufende Querstörung (Franzke et al., 2003) das Beben<br />
verursachte, wird sich nach der weitergehenden Analyse<br />
der Nachbeben erweisen.<br />
Entsprechend einer vertraglichen Regelung zwischen dem<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam und dem LGRB wurde unmittelbar nach<br />
dem Beben das seismische Stationsnetz des LED durch<br />
12 kurzperiodische Stationen der Deutschen Task Force<br />
(TF) für Erdbeben im Zeitraum vom 06.12.<strong>2004</strong> bis<br />
14.01.<strong>2005</strong> lokal verdichtet. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften<br />
und Rohstoffe ergänzte dieses Netz durch<br />
zwei Breitbandstationen (Abb. 2.3) im gleichen Zeitraum.<br />
Die von der TF registrierten Daten wurden dem LED zur<br />
Auswertung zur Verfügung gestellt. Insgesamt sind viele<br />
hundert Nachbeben registriert worden, davon sind 160<br />
seismologisch auswertbar (M L > 0,5). Für spezielle Ana-<br />
Abb. 2.1: Tektonische Karte, abgeleitet aus Fernerkundungsdaten mit dem<br />
Beben vom 5. Dezember <strong>2004</strong>. Die Herdflächenlösung von Stammler & Klinge<br />
(2006) zeigt eine Blattverschiebung als Herdmechanismus.<br />
Tectonic map derived from optical remote sensing data, the epicentre of the<br />
<strong>2004</strong> Waldkirch-earthquake. The fault-plane solution given by Stammler &<br />
Klinge (2006) shows that the focal mechanism is of strike-slip type.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 2.2: Temporäre Station Disselhof in einem typischen Bauernhof im<br />
Schwarzwald (Foto: <strong>GFZ</strong> Grosser).<br />
Temporary station Disselhof, a typical farm house in the Black Forest region.<br />
lysen im Rahmen einer Diplomarbeit zum Waldkirch-<br />
Beben und seinen Nachbeben sind 80 Ereignisse ausgewählt<br />
worden (Brüstle, pers. Mitt. 2006). Ein Teil des<br />
Datensatzes ging an das Geophysikalische Institut der<br />
Universität Stuttgart und dient nach Joswig (pers. Mitt.<br />
<strong>2005</strong>) zum Test von Verfahren und Programmen zur Ereignisidentifikation.<br />
Zeitabhängige Krustendeformation nach starken<br />
Erdbeben<br />
Während der letzten Jahre hat die Modellierungsgruppe<br />
der Sektion 2.1 einen neuen Ansatz zur numerischen<br />
Bearbeitung von ko- und postseismischer Deformation<br />
entwickelt. Wang (1999) stellte die grundlegenden Strukturen<br />
der Methodik zu stabiler und effizienter<br />
numerischer Verarbeitung der<br />
Greenschen Funktionen im mehrschichtigen<br />
Halbraum dar. Wangs Ansatz ist<br />
später zur Lösung elastischer (Wang et<br />
al., 2003), poroelastischer (Wang and<br />
Kümpel, 2003) und viskoelastischer<br />
(Wang et al., 2006) Probleme verwendet<br />
worden. Außerdem wurde in zwei jüngeren<br />
Veröffentlichungen (Wang, <strong>2005</strong>a,<br />
<strong>2005</strong>b) ein neuer konsistenter Ansatz<br />
Abb. 2.3: Lokales seismisches Netz zur<br />
Registrierung der Nachbeben des Waldkirch-Erdbebens<br />
installiert vom GeoForschungsZentrum<br />
Potsdam, dem Landesamt<br />
für Geologie, Rohstoffe und Bergbau<br />
Baden-Württemberg und der Bundesanstalt<br />
für Geowissenschaften und Rohstoffe<br />
Hannover.<br />
Local seismic network for the registration<br />
of the aftershocks of the Waldkirch-earthquake.<br />
It was installed by the GeoForschungsZentrum<br />
Potsdam, the Landesamt<br />
für Geologie, Rohstoffe und Bergbau<br />
Baden-Württemberg, and the Federal<br />
Institute for Geosciences and Natural<br />
Resources in Hannover.<br />
vorgestellt, der gravitative Effekte mit<br />
der Approximation einer flachen Erde<br />
einbezieht.<br />
Den Programmen zur Kalkulation koseismischer<br />
Deformationen einer mehrschichtigen<br />
elastischen Kruste EDGRN/<br />
EDCMP, veröffentlicht im Jahr 2003 und<br />
innerhalb der internationalen wissenschaftlichen<br />
Gemeinschaft breit genutzt<br />
(z. B. Fialko et al., <strong>2005</strong>; Hearn & Bürgmann,<br />
<strong>2005</strong>), folgte PSGRN/PSCMP<br />
(Wang et al., 2006), ein sehr leistungsfähiges<br />
Werkzeug zur Kalkulation ko- und<br />
postseismischer Deformation in einem<br />
mehrschichtigen viskoelastisch-gravitativen<br />
Halbraum. Es bietet eine Kombination<br />
von Schnelligkeit, Genauigkeit und<br />
Flexibilität, die von kaum einem anderen Programm<br />
erreicht wird.<br />
In mehreren Projekten wurden die neu entwickelten Programme<br />
auf Deformationsdaten angewandt. Eine Studie<br />
untersucht die Evolution des Coulomb-Spannungsfeldes<br />
entlang der Nordanatolischen Verwerfungszone (NAV).<br />
Dazu wurden die Effekte von zehn Erdbeben mit einer<br />
Magnitude Ms > 6,5, die dort im Zeitraum von 1939 bis<br />
heute stattfanden (Lorenzo-Martín et al., 2006b) betrachtet.<br />
Die Auslösung dieser Ereignisse durch Spannungsübertragung<br />
wurden mit einem optimierten Verfahren<br />
geprüft: Es wurde eine Erdbebenserie (kumulative Triggerung)<br />
anstelle von einzelnen Ereignispaaren betrachtet,<br />
ein horizontal geschichtetes Medium benutzt und vor<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
217
218<br />
allem die zeitabhängigen Effekte viskoelastischer Spannungsumlagerung<br />
mit einbezogen. Die gegenwärtige<br />
Situation ist in Abb. 2.4a dargestellt. Der größte Teil der<br />
Region weist hohe Spannungswerte auf. Die lokale Seismizität<br />
(M > 2) zwischen 0 und 17 km Tiefe (KOERI,<br />
<strong>2005</strong>) entspricht in großen Bereichen der berechneten<br />
Coulomb-Spannungsänderung, d. h. die hohe Aktivität<br />
korreliert mit Gebieten hoher Spannung (0,3 MPa) westlich<br />
des 1999er-I . zmit-Bruchs und ist im allgemeinen größer<br />
in Gebieten mit Spannungen > 0,1 MPa. Der Effekt<br />
regionaler tektonischer Spannungen (Abb. 2.4b, für zehn<br />
Jahre) ist gering gegenüber dem Effekt von Spannungsänderungen<br />
durch postseismische Spannungsumlagerung.<br />
(Abb. 2.4c und d). Unsere Ergebnisse demonstrieren,<br />
dass die gegenwärtige Spannungsverteilung in der<br />
Marmara-Region nicht durch tektonische Aufladung, sondern<br />
durch viskoelastische Spannungsumlagerung dominiert<br />
wird.<br />
Die Möglichkeit der Triggerung des Düzce- durch das<br />
I . zmit-Beben durch Spannungsumlagerung wurde ebenfalls<br />
untersucht. Im Allgemeinen wird eine positive Coulomb-Spannung<br />
als Kriterium zur Auslösung angesehen.<br />
Da die Herdflächenlösungen beider Ereignisse sehr ver-<br />
schieden sind, wurde eine 3D-Analyse der Spannungsverhältnisse<br />
auf der Bruchfläche des Düzce-Bebens erstellt.<br />
Dazu wurden die Herdparameter des I . zmit-Bebens variiert:<br />
die räumliche Lage um ±5 km, der Herdmechanismus<br />
um ±10°. Es zeigte sich, dass die Größe des Bereichs positiver<br />
Coulomb-Spannung nur in etwa 50 % der 729 Modelle<br />
einen nennenswerten Anteil der Bruchfläche erfasst.<br />
Das heißt, dass zum einen unter diesen komplizierten Verhältnissen<br />
eine 3D-Analyse mit der Tensor-Transformation<br />
der Spannungen unerlässlich ist, dass zum anderen<br />
die Auslösung des Düzce-Bebens durch das Izmit-Beben<br />
nicht sicher ist und dass im Umkehrschluss eine solche<br />
Analyse genutzt werden kann, um die Herdparameter<br />
eines Bebens stärker einzugrenzen.<br />
Erdbebengefährdung in Städten<br />
Die Abschätzung der möglichen Bodenbewegung im Falle<br />
eines Erdbebens ist besonders für dicht besiedelte Gegenden<br />
(Megastädte) von enormer Wichtigkeit. Dabei hängt<br />
die maximal zu erwartende Bodenbewegung nicht nur von<br />
der Stärke des Bebens, sondern auch von den Untergrundbedingungen<br />
entlang des Laufwegs der Erdbebenwellen<br />
ab. Besonders aufmerksam sollten die Untergrund-<br />
Abb. 2.4: Änderung der Coulombspannung in 10 km Tiefe auf optimal orientierten Verwerfungsflächen (Farbskala, 10 MPa<br />
uni-axiale Kompression, N120° E orientiertes regionales Spannungsfeld) und auf gegebenen Verwerfungen (gefüllte Kreise).<br />
Das gesamte Spannungsfeld ist in (a) dargestellt; (b) zeigt die Änderung der Coulombspannung durch stetige zehnjährige<br />
tektonische Aufladung; (c) und (d) zeigen den kumulativen Effekt viscoelastischer Spannungsumlagerung gegenwärtig<br />
und im Jahr 2010. Das westliche Ende der 1999 I . zmit Erdbeben wird durch eine Doppellinie dargestellt. Kleine<br />
Kreise in (a) stellen die lokale M > 2 Seismizität von 2000 bis <strong>2004</strong> zwischen 0 und 17 km Tiefe dar. Grüne Vierecke zeigen<br />
die seismische Stationen des Kandilli Observatory and Earthquake Research Institute (KOERI).<br />
Coulomb stress change at 10 km depth on optimally oriented fault planes (colour field, 10 MPa uniaxial compression,<br />
N120° E oriented regional stress field), and on given faults (filled circles). The total stress field is displayed in (a); (b)<br />
shows the change in Coulomb stresses due to 10 years of steady tectonic loading; (c) and (d) show the cumulative effect<br />
of viscoelastic relaxation, for the present time and in 2010, respectively. The double line displays the western end of<br />
the 1999 I . zmit rupture. Small white dots in (a) show the local M ≥ 2 seismicity for the period 2000-<strong>2004</strong> at depths between<br />
0 and 17 km. Green squares display the location of the Kandilli Observatory and Earthquake Research Institute<br />
(KOERI) seismic stations.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
strukturen im direkten Umfeld des Gebietes daraufhin<br />
untersucht werden, ob Erdbebenwellen möglicherweise<br />
verstärkt werden und wenn ja, in welchen Frequenzbereichen.<br />
Falls die Eigenfrequenzen von Gebäuden in diese<br />
Bereiche fallen, muss mit größeren Schäden gerechnet<br />
werden.<br />
Abb. 2.5: Scherwellengeschwindigkeitsverlauf mit der<br />
Tiefe in der Nähe von Pulheim (Deutschland). Aus einer<br />
Vielzahl von möglichen Modellen (dünne graue Linien)<br />
findet die Inversionsmethode das Modell (gestrichelt), das<br />
an beide Ausgangsdaten (oben rechts: Dispersionskurve;<br />
darunter: HVSRN) gleich gut angepasst werden kann (gepunktete<br />
Linien in den beiden Teilbildern; der graue Bereich<br />
gibt die Streuung der Messdaten wieder). Zusätzlich<br />
werden gezeigt: Messergebnisse nach Budny, 1984 (dünne<br />
schwarze Linie); frühere Ergebnisse nach Parolai et al.,<br />
2006b (dicke graue Linie), wobei nur die Dispersionskurve<br />
invertiert wurde, was zu einer größeren Unsicherheit<br />
in der Gesamtmächtigkeit der Sedimente führte. Oben<br />
rechts: Dispersionskurve der Fundamentalschwingung<br />
(grau).<br />
Shear wave velocity-depth profile close to Pulheim (Germany).<br />
From a multitude of models (thin grey lines) the<br />
inversion method finds the one (dashed) best fitting both<br />
data sets (top inset: dispersion curve, below: HVSRN;<br />
dotted lines are related to the best-fitting model, grey area<br />
reflects the standard deviation). In addition are shown:<br />
data after Budny, 1984 (thin dark line); previous inversion<br />
results after Parolai et al., 2006b (thick grey line),<br />
in which only the dispersion curve was used leading to<br />
larger uncertainties in the estimate of the total thickness<br />
of the sediments. Top right: Fundamental mode dispersion<br />
curve.<br />
Unser Augenmerk liegt in der Verbesserung bzw. Entwicklung<br />
von Analysemethoden zur Abschätzung solcher<br />
Standorteffekte. Im Rahmen verschiedener Projekte (z. B.<br />
Deutsches Forschungsnetz Naturkatastrophen, DFNK:<br />
Parolai et al. <strong>2005</strong>a, Richwalski et al., 2006, Fäcke et al.,<br />
2006) haben wir diese Methoden erfolgreich angewendet<br />
und führen nun die Arbeiten weiter (z. B. CEDIM: Megacity<br />
Istanbul; INGV-DPC<strong>2004</strong>-2006: Potenza, Italien).<br />
Die von uns bevorzugte Analysemethode beruht auf dem<br />
spektralen Verhältnis der horizontalen zu vertikalen Fourierspektren,<br />
die aus Erdbebendaten (HVSRE, Horizontal-to-Vertical<br />
Spectral Ratio Earthquake) oder dem seismischen<br />
Hintergrundrauschen (HVSRN, Horizontal-to-<br />
Vertical Spectral Ratio Noise) berechnet werden. Da die<br />
theoretischen Grundlagen dieser Methode noch debattiert<br />
werden, sind empirische und numerische Studien von<br />
großer Wichtigkeit. Die Auswertung von Nachbeben des<br />
Izmit-Bebens von 1999 zeigte zum Beispiel, dass HVSRE<br />
die Bodenverstärkung bei Frequenzen oberhalb der Fundamentalfrequenz<br />
des Bodens unterschätzt (Parolai et al.,<br />
<strong>2004</strong>a). Wir konnten mit Modellrechnungen zeigen, dass<br />
dies dem Einfluss von Wellen zuzuschreiben ist, die an der<br />
Grenzfläche zwischen Festgestein und Lockersedimenten<br />
konvertiert werden (Parolai und Richwalski, <strong>2004</strong>).<br />
Darüber hinaus haben wir Standards festgelegt, wie die<br />
Größe zur Beschreibung der Dämpfung der Bodenbewegung<br />
durch Lockersedimente (k-Faktor) mit größerer Genauigkeit<br />
bestimmt werden kann (Parolai und Bindi,<br />
<strong>2004</strong>). Je nach Begrenztheit des untersuchten Frequenzbandes<br />
und der Lage der Eigenresonanzen der Sedimente<br />
wird k nämlich über- oder unterschätzt, was dann zu<br />
fehlerhaften Vorhersagen der maximalen Bodenbeschleunigung<br />
führen kann.<br />
Durch die Entwicklung eines innovativen Inversionsverfahrens<br />
können wir nun mit Hilfe sogenannter Microarrays<br />
(8 bis 12 Seismometer verteilt im Zielgebiet) den Verlauf<br />
der Scherwellengeschwindigkeit mit der Tiefe bestimmen<br />
(Parolai et al., <strong>2005</strong>b; Picozzi et al., <strong>2005</strong>). Als Ausgangsdatenmaterial<br />
dient das Hintergrundrauschen, das<br />
aus dispersiven Oberfächenwellen besteht. Durch gleichzeitige<br />
Inversion der Dispersionskurve, die auch den Einfluss<br />
höherer Moden enthält, und der HVSRN-Kurve<br />
erhält man ein Profil wie in Abb. 2.5 gezeigt. Benötigt man<br />
Informationen aus einem größeren Gebiet und liegen<br />
bestimmte Daten bereits vor, z. B. eine Schätzung der<br />
Gesamtmächtigkeit der Sedimente, kann sogar das in<br />
Abb. 2.6 gezeigte 3D-Geschwindigkeitsfeld aus Einzelmessungen<br />
abgeleitet werden. Diese Daten bilden außerdem<br />
die Grundlage für eine 3D Finite Differenzen Modellierung<br />
der möglichen Bodenbewegung im Falle eines<br />
Bebens.<br />
Zurzeit wird die Erdbebengefährdung in Istanbul (Türkei),<br />
Köln, Potenza und Gubbio (Italien) untersucht – Gebiete,<br />
die sich durch dichte Besiedlung auszeichnen, bzw. wegen<br />
Vorarbeiten als Testgebiete ideal sind. Für die Nordwest-<br />
Türkei konnte mit Hilfe von Nachbebendaten des Izmit-<br />
Bebens von 1999 die Dämpfungseigenschaft der Kruste<br />
untersucht werden (Bindi et al., 2006a; 2006b). Abb. 2.7<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
219
220<br />
Abb. 2.6: 3D-Modell der Scherwellengeschwindigkeit für den Raum Köln<br />
und den Erftsprung.<br />
3D model of shear wave velocity for the area of Cologne and the Erft fault<br />
system.<br />
zeigt, dass die Kruste Zonen höherer und niedrigerer<br />
Dämpfung aufweist, deren Größe und Lage frequenzabhängig<br />
ist. In Istanbul selbst wurden bereits an über<br />
30 Standorten des Rapid Response Systems Messungen<br />
des Hintergrundrauschens durchgeführt, in Kooperation<br />
mit dem Kandilli Observatorium und der Bogazici Universität.<br />
Diese Messungen werden zur Charakterisierung<br />
der Standorteffekte an den Stationen dienen und sollen auf<br />
das gesamte Beschleunigungsmessnetz der Stadt ausgeweitet<br />
werden. Ebenso wurden Microarray-Messungen<br />
Abb. 2.7: Räumliche Verteilung der Dämpfung in der West-Türkei.<br />
Spatial distribution of attenuation in western Turkey.<br />
(Abb. 2.8) durchgeführt. In verschiedenen<br />
Tiefen werden Beschleunigungsaufnehmer<br />
installiert, die helfen sollen,<br />
nicht-lineare Effekte beim Durchlauf der<br />
Erdbebenwellen zu entdecken und auszuwerten.<br />
Die weitere Auswertung der im Rahmen<br />
des DFNK gewonnen Daten für den Raum<br />
Köln führte zu einer Validierung der<br />
HVSRN mit Hilfe von Erdbebendaten<br />
(Parolai et al., <strong>2004</strong>b). Dadurch ist es nun<br />
möglich, diese Ergebnisse innovativ in die<br />
probabilistische Gefährdungsanalyse einfließen<br />
zu lassen (Parolai et al., 2006a).<br />
Die Stadt Potenza (Italien) ist ein weiterer<br />
Forschungsschwerpunkt. Dort wird<br />
ein temporäres seismisches Netzwerk<br />
installiert und das Hintergrundrauschen<br />
(auch innerhalb von Gebäuden) in<br />
Kooperation mit der Universität Basilicata gemessen.<br />
Mikroarray-Messungen und Messungen in einem Bohrloch<br />
ergänzen die gewonnenen Daten zur Mikrozonierung.<br />
Gubbio (Italien) zeichnet sich durch Sedimente aus,<br />
die die Schwingungsdauer der Erdbebenwellen bei<br />
bestimmten Frequenzen extrem verlängern. Es wurde<br />
bereits ein seismisches Netzwerk installiert (Pacor et al.,<br />
2006), ergänzt durch Messungen des Hintergrundrauschens<br />
mit Mikroarrays. Die Arbeiten werden in Kooperation<br />
mit verschiedenen italienischen Universitäten und<br />
dem Instituto Nazionale di Geofisica e<br />
Vulcanologia (INGV) durchgeführt.<br />
Erdbeben und Geothermalfelder<br />
Fluide spielen bei der Entstehung von<br />
Erdbeben eine wichtige Rolle. Es gibt<br />
viele Modelle, aber nur wenige Feldbeobachtungen.<br />
In verschiedenen Gebieten<br />
(Landers, Marmara-Gebiet, verschiedene<br />
Schwarmbebengebiete) wurde eine auffällige<br />
Korrelation zwischen Erdbeben-Clustern<br />
und der Lage von Geothermalfeldern<br />
beobachtet. Durch gezielte Experimente an<br />
solchen Beben-Clustern soll untersucht<br />
werden, ob es einen physikalischen Zusammenhang<br />
zwischen räumlichen und zeitlichen<br />
Variationen der Porendruckverteilung<br />
in den Geothermalfeldern und der<br />
Mikroseismizität gibt. Hierzu sollen zur<br />
Charakterisierung der Erdbeben-Cluster<br />
jeweils temporäre seismische Netze installiert<br />
werden. Zeitgleich soll versucht werden,<br />
den Druck in dem dazugehörigen Geothermalsystem<br />
zu überwachen.<br />
Geothermalsystem Bursa, Türkei<br />
Erste Testmessungen wurden im Zeitraum<br />
November 2003 bis April <strong>2004</strong> an dem<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 2.8: Microarray-Messungen in Istanbul (Foto: <strong>GFZ</strong><br />
Parolai).<br />
Micro array measurements in Istanbul.<br />
Geothermalsystem Bursa durchgeführt. An einem 400 m<br />
und einem 700 m tiefen Bohrloch wurden jeweils Drucksensoren<br />
am Bohrkopf installiert (Abb. 2.9). Die Druckregistrierungen<br />
in der 700 m Bohrung sind von regelmäßigen<br />
Einbrüchen des Kopfdruckes von 8 auf 4 bar gekennzeichnet.<br />
Da diese jedoch nur tagsüber und nicht an Wochenenden<br />
auftraten, wurde das Signal als ein Hinweis auf einen<br />
bislang unbekannten Nutzer des Thermalwassers interpretiert.<br />
Die 400 m tiefe Bohrung erwies sich – obwohl mitten<br />
in einer Millionenstadt gelegen – als die Lokation mit dem<br />
besten Signal-Rausch-Verhältnis aller in den letzten Jahren<br />
untersuchten Thermalquellen. Die außerordentlich hohe<br />
Datenqualität wird auch durch die Existenz der selten in<br />
Grundwasserzeitreihen nachzuweisenden Erdgezeitenbänder<br />
Q 1 und N 2 dokumentiert (siehe Abb. 2.10).<br />
Geothermalsystem Armutlu-Halbinsel,<br />
Türkei<br />
Derzeit wird ein Experiment zur simultanen<br />
Erfassung der Mikroseismizität und<br />
des Fluiddrucks in Geothermalsystemen<br />
auf der Armutlu-Halbinsel (südlich von<br />
Istanbul) durchgeführt (Abb. 2.11). Dieses<br />
Gebiet ist wesentlich durch drei Merkmale<br />
gekennzeichnet: 1. Das westliche<br />
Ende der Bruchfläche des 1999er Izmit-<br />
Bebens befindet sich wahrscheinlich<br />
nahe Yalova (Delouis et al. 2002; Cakir<br />
et al., 2003). Dort gab es bereits vor diesem<br />
Beben ein deutliches Beben-Cluster,<br />
welches während der Nachbebenzeit noch<br />
stärker ausgeprägt war und auch gegenwärtig<br />
noch aktiv ist (Baris et al., 2002;<br />
Karabulut et al., 2002). 2. In unmittelbarer<br />
Nähe befindet sich das seit der Antike<br />
genutzte Thermalfeld Yalova Termal<br />
südwestlich von Yalova (Abb. 2.12). Neben<br />
Blattverschiebungen gibt es in dieser<br />
Region auch Erdbeben mit Abschiebungscharakter<br />
(Bohnhof u. a. 2006), was auch<br />
durch Geländebefunde bestätigt wurde<br />
Abb. 2.9: Fluid-Druck-Messung am Bohrkopf einer 700 m<br />
tiefen Geothermiebohrung im Stadtgebiet von Bursa, NW<br />
Türkei. Der Relativdruck beträgt ca. 8 bar (Foto: <strong>GFZ</strong><br />
Woith).<br />
Fluid-pressure-monitoring at the well-head of a 700 m<br />
deep borehole in the city of Bursa, NW Turkey. The wellhead<br />
pressure is about 8 bar.<br />
(Eisenlohr, 1995). 3. Das Bruchsystem ist in<br />
diesem Gebiet geprägt durch die Aufspaltung der<br />
Nord-Anatolischen Verwerfung (NAV) in mindestens<br />
drei Hauptzweige, einem nördlichen Zweig, der südlich<br />
vorbei an den Prinzen-Inseln und Istanbul in die<br />
Ganos-Verwerfung mündet, einen mittleren Zweig, der<br />
die Halbinsel Armutlu vom Golf von Izmit trennt und<br />
durch die Dardanellen verlängert wird und einem<br />
südlichen Zweig, der Iznik-Mekecze-Verwerfung, die<br />
nahe Akyazi von der NAV abzweigt, das südliche Ufer<br />
des Iznik-Sees tangiert und in den Golf von Gemlik<br />
mündet.<br />
Abb. 2.10: Erdgezeiten (man beachte insbesondere die Gezeitenbänder Q 1<br />
und N 2) in den Druckregistrierungen am Bohrkopf einer 400 m tiefen Bohrung<br />
in Bursa. Dieser natürliche Spannungssensor ist extrem empfindlich<br />
und sollte daher gut geeignet sein, tektonisch induzierte Spannungsänderungen<br />
zu erkennen.<br />
Earth tides (note the tidal bands Q 1 and N 2) in the fluid pressure monitored<br />
at the well-head of a 400 m deep borehole in Bursa qualify the site as extremely<br />
sensitive to detect tectonically induced strain changes.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
221
222<br />
Abb. 2.11: Armutlu-Halbinsel mit Blick nach Norden auf<br />
das Marmarameer. Die rote Linie zeigt das westliche<br />
Bruchende des 1999er Izmit-Erdbebens (Foto: <strong>GFZ</strong><br />
Grosser).<br />
Armutlu peninsula (view to the north). The red line<br />
depicts the westernmost end of the 1999 Izmit earthquake<br />
rupture.<br />
Diese drei Hauptstörungen sind die Ursache vergangener<br />
wie zukünftiger Erdbeben, die Istanbul bedrohen. Neben<br />
dem Thermalfeld Yalova gibt es in diesem Gebiet noch<br />
warme/heiße Quellen bei Armutlu, Gemlik, Keramet am<br />
Iznik-See, Orhangazi und Soguzak (Eisenlohr, 1995; Woith<br />
et al., 2000) mit Austrittstemperaturen zwischen 25 bis<br />
75 °C. Wegen der Existenz von Pull-Apart-Becken in der<br />
Marmara-See, im Golf von Izmit und Gemlik aber auch<br />
östlich davon und den relativ heißen Thermalquellen muss<br />
eine Dehnungstektonik postuliert werden. Diese Hypothese<br />
soll durch GPS-Wiederholungsmessungen an einem<br />
Teil der 1999 von Bürgmann et al. (2002) besetzten GPS-<br />
Punkte beginnend im Jahr 2006 überprüft werden.<br />
Im Zeitraum September/November <strong>2005</strong> wurde ein temporäres<br />
seismisches Netz (12 kurzperiodische Seismo-<br />
Abb. 2.12: Quellfassung der Hauptquelle von Yalova Termal<br />
(Foto: <strong>GFZ</strong> Woith). Die Wassertemperatur liegt bei ca.<br />
62 °C und wird zusammen mit dem Wasserstand kontinuierlich<br />
erfasst.<br />
Main spring of the Yalova termal area (photo: <strong>GFZ</strong> Woith).<br />
Water temperature (ca. 62 °C) and water level are monitored<br />
continuously.<br />
meter des <strong>GFZ</strong> und 10 Breitbandseismometer der Kocaeli-Universität)<br />
auf der Armutlu-Halbinsel, am südlichen<br />
Ufer des Golfes von Gemlik und nördlich des Golfes von<br />
Izmit installiert (Abb. 2.13). Einige seismologische Stationen<br />
des Kandilli Observatoriums der Bosporus Universität<br />
Istanbul sind integriert. Das Land-Seismometer-<br />
Netz wird durch 10 Ozeanboden-Seismometer (OBS)<br />
seit Mitte November <strong>2005</strong> ergänzt. Dieses OBS-Netz<br />
schließt an japanischen OBS-Registrierungen an, die im<br />
Jahre 2000 südlich von Istanbul gemacht worden sind<br />
(Sato et al. <strong>2004</strong>) und soll zunächst für zwei Monate<br />
registrieren. Mit dem jetzt installierten Netz kann die<br />
Mikroseismizität auf den genannten Verwerfungen bzw.<br />
in den Erdbeben-Clustern präziser als bisher möglich<br />
bestimmt werden. Darüber hinaus kann der Anteil der<br />
seismisch aktiven Normalverwerfungen, Riedelbrüche<br />
und Blockrotationen in diesem durch<br />
große Blattverschiebungen geprägten<br />
Gebiet ermittelt werden. An den Thermalfeldern<br />
Armutlu, Gemlik und Yalova<br />
wurden Druck- und Temperatursensoren<br />
angebracht. Die tektonischen Ergebnisse<br />
von Eisenlohr (1995) sollen durch<br />
Analysen von Fernerkundungsdaten erweitert<br />
und präzisiert werden (Wetzel,<br />
pers. Mitt. <strong>2005</strong>).<br />
Abb. 2.13: Temporäres seismisches und<br />
hydrogeologisches Netzwerk auf der<br />
Armutlu-Halbinsel und angrenzender<br />
Gebiete. Dreiecke zeigen permanente<br />
seismische Stationen; blaue Kreise die<br />
Lage von Thermalquellen.<br />
Temporary seismic and hydrogeological<br />
network installed on the Armutlu peninsula<br />
and adjacent areas. Triangles depict<br />
permanent seismic stations; blue circles<br />
show thermal springs.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Vulkanismus und Erdbeben<br />
Einer mittlerweile allgemein akzeptierten Theorie zufolge<br />
bewirken Erdbeben eine Umlagerung der Spannungen in<br />
der Kruste und können somit weitere Erdbeben fördern<br />
bzw. verhindern. Obwohl zahlreiche Fachbereiche der Erdbebenforschung<br />
durch diese Theorie der Spannungs-Umlagerung<br />
regelrecht revolutioniert wurden, sind derartige<br />
Prozesse in der Vulkanologie noch neu und weitgehend<br />
unerforscht.<br />
Die Hinweise mehren sich jedoch, dass auch Vulkane über<br />
ähnliche Prozesse mit Erdbeben kommunizieren. Beispielsweise<br />
ereigneten sich die plinianischen Eruptionen<br />
des Santa Maria in Guatemala sowie des Mt. Pelée auf<br />
Martinique im Jahre 1902 nur kurz nach mehreren Erdbeben<br />
der Magnitude M > 8 in Mittelamerika (Abb. 2.14).<br />
Einen Monat nach dem großen Erdbeben von 1907 in<br />
Japan mit geschätzter Magnitude M = 8,2 eruptierte der<br />
Mount Fiji. Eruptionen am Vesuv in Italien korrelieren<br />
zeitlich mit Erdbeben im südlichen Apennin. Die Eruption<br />
des Ätna (Italien) 2002/2003 war ein komplexes Wechselspiel<br />
von Erdbeben, aseismischen Störungsversätzen<br />
und Eruptionen. Auch nach den großen Erdbeben an der<br />
Sumatra-Andaman-Subduktionszone (M = 9,3 am 26.12.<br />
<strong>2004</strong> und M = 8,7 am 28.03.<strong>2005</strong>) lebten einige Vulkane<br />
erneut auf. So eruptierte beispielsweise der Talang Vulkan<br />
am 12.04.<strong>2005</strong>, und Barren Island am 28.05.<strong>2005</strong>. Ein<br />
Erdbebencluster deutet möglicherweise auf eine weitere<br />
Eruption Ende Januar an einem submarinen Vulkan bei<br />
den Nicobaren (8° N, 94° E) hin. Die gewaltige Eruption<br />
am Pinatubo in Indonesien folgte einem M = 7,7 Erdbe-<br />
Abb.2.14:Auf mehrere starke Erdbeben folgten besonders<br />
explosive vulkanische Aktivitäten. Das Foto zeigt die Stadt<br />
St. Pierre auf der Karibikinsel Martinique, die infolge der<br />
1902er-Eruption zerstört wurde. Von 20.000 Einwohnern<br />
überlebten nur zwei (aus: Heilprin 1908, The eruption of<br />
Mt. Pelee).<br />
A number of large earthquakes were followed by highly<br />
explosive volcanic activity. This photo shows the city of St.<br />
Pierre on Martinique, completely destroyed by the 1902<br />
eruption. Only 2 out of 20 000 inhabitants survived.<br />
ben an der nahegelegenen Luzon Verwerfung, und die<br />
Doppeleruption von Karymsky und Akademia Nauk im<br />
südlichen Kamtschatka folgte nur drei Tage nach einem<br />
M = 7,1 Erdbeben ca. 20 km entfernt. In Chile zeigten Vulkane,<br />
die man bis dahin als inaktiv glaubte, eine deutliche<br />
Aktivität als Reaktion auf Subduktionserdbeben.<br />
Da in einigen Beispielen Vulkaneruptionen größeren Erdbeben<br />
folgen, und anderswo Erdbeben Vulkaneruptionen<br />
folgen, scheint die Interaktion zwischen Vulkanen und<br />
Erdbeben beidseitig zu wirken. So ereigneten sich in<br />
Island die beiden letzten großen M > 6 Erdbeben (17.06.<br />
und 21.06.2000) kurz nach der Hekla-Eruption (28.02.<br />
2000). Die Analyse der Kataloge für Erdbeben und Vulkaneruptionen<br />
bestätigte vielfach, dass die zeitliche Korrelation<br />
zwischen Vulkanen und tektonischen Erdbeben<br />
statistisch von Bedeutung sind.<br />
Laborvulkane auf Hawaii<br />
Voruntersuchungen fanden in internationaler Kooperation<br />
mit den Universitäten Miami und Stanford (USA) an den<br />
Laborvulkanen Hawaiis statt und zeigen nicht nur eine<br />
Kopplung zwischen Erdbeben und Eruptionen, sondern<br />
auch eine direkte Korrelation zwischen der Spannungsänderung<br />
infolge eines Erdbebens und der Richtung späterer<br />
Eruptionen und Intrusionen. Die voluminösesten<br />
Eruptionsphasen wurden nach großen Erdbeben verzeichnet,<br />
wie beispielsweise nach dem M = 7,9 Pahala Erdbeben<br />
von 1868, oder dem M = 7,5 Kalapana Erdbeben von<br />
1975. Für Hawaii lassen diese Spannungsuntersuchungen<br />
detaillierte Prognosen zu, wo nach welchem Erdbeben eine<br />
Eruption wahrscheinlich ist und umgekehrt (Abb. 2.15).<br />
Sind diese Erkenntnisse und Mechanismen auf andere Vulkane<br />
übertragbar und im Rahmen der Gefahrenabschätzung<br />
anzuwenden?<br />
Die zentralen Fragen, wie und welche Spannungsumlagerungen<br />
zu Eruptionen führen, sind noch nicht geklärt.<br />
So ist unklar, ob das Magma infolge kompressiver Spannungen<br />
ausgequetscht wird oder ob die tektonische Dekompression<br />
bewirkt, dass gasreiche Phasen in magmatischen<br />
und hydrothermalen Feldern aufsteigen und zu einer<br />
Druckerhöhung führen. Dynamische Spannungen sind<br />
direkt an die seismischen Wellen (Oberflächenwellen und<br />
Raumwellen) gekoppelt. Beispielsweise wurde nach dem<br />
Magnitude M = 7,4 Landers Erdbeben (Kalifornien, USA)<br />
von 1992 nachgewiesen, dass dynamische Spannungsveränderungen,<br />
die mit den seismischen Wellen selbst<br />
assoziiert waren, sowohl Erdbeben, als auch vulkanische<br />
Aktivität in der Long Valley Caldera triggerten. Die<br />
genaue Wirkungsweise ist jedoch unklar. Möglicherweise<br />
lösen die seismischen Wellen kleine Gasblasen im Magma,<br />
was bei deren Aufstieg einen deutlichen Druckanstieg<br />
erzeugen würde. Statische Spannungsveränderungen durchlaufen<br />
die elastische Kruste in einem Zeitintervall zwischen<br />
kurz vor dem Erdbeben und kurz nach dem Passieren<br />
der seismischen Wellen. Die Spannungsveränderungen<br />
in der elastischen Kruste werden zudem durch eine<br />
langsame, viskose Erholungsphase (Relaxation) von fließfähigen<br />
Materialien beeinflusst. Viskoelastische Eigen-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
223
224<br />
Abb. 2.15: Beispieluntersuchungen für den Mauna Loa Vulkan, Hawaii. Durch Radar-Satellitendaten werden Oberflächendeformationen<br />
gemessen. Diese werden invertiert (hier durch eine Gangintrusion), womit schließlich die Coulomb-Spannungsänderung<br />
berechenbar ist. Die Spannungen werden hauptsächlich an der Vulkan-Südostflanke aufgebaut.<br />
Tatsächlich finden die meisten neuen Beben hier statt.<br />
Case scenario Mauna Loa volcano, Hawaii. Surface deformation is measured by space geodetic measurements. The<br />
deformation signal is inverted and the best fit solution (here: dike intrusion) is used as input parameter in forward<br />
models of Coulomb stress field changes. The predicted stress changes are maximum at the volcano's southeast flank.<br />
Indeed, most new earthquakes occur at the southeast flank.<br />
schaften werden u. a. in der unteren Kruste, im oberen<br />
Mantel, oder in thermisch aufgeheizten Bereichen in Vulkanen<br />
vermutet – Prozesse die in Zukunft gezielt untersucht<br />
werden und im Rahmen einer prognostischen Studie<br />
helfen sollen, Vulkangefahren nach starken Erdbeben<br />
einzuschätzen.<br />
MERAMEX – Geophysikalische Untersuchungen der<br />
Sunda-Subduktionszone in Indonesien<br />
Das interdisziplinäre Verbundprojekt SUNDAARC, das<br />
im Rahmen des BMBF/DFG-Sonderprogramms „Geotechnologien<br />
– Kontinentränder: Brennpunkte im Nutzungs-<br />
Abb. 2.16: Lage des SUNDAARC-Untersuchungsgebietes mit der Sunda-Straße, Zentraljava und den Vulkanen Krakatau,<br />
Merapi und Kelut.<br />
Map of the SUNDAARC investigation area with Sunda Strait, Centraljava and the volcanoes Krakatau, Merapi and Kelut.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
und Gefährdungspotenzial der Erde“ angelegt wurde, verfolgt<br />
das Ziel, den Vulkanismus und seine Einbindung in<br />
den Subduktionsprozess entlang eines Teils des aktiven<br />
Kontinentrandes des Sunda-Inselbogens in Indonesien zu<br />
untersuchen sowie die internen Prozesse und externen<br />
Einflüsse auf die vulkanische Aktivität und seine Beziehungen<br />
zum regionalen Stressfeld besser zu verstehen<br />
(Abb. 2.16).<br />
Partner des SUNDAARC-Projekts auf indonesischer Seite<br />
sind:<br />
• Directorate General of Geology and Mineral Resources<br />
(DGGMR – co-ordination), Jakarta; Directorate<br />
of Volcanology and Geological Hazard Mitigation<br />
(DVGHM, Bandung; Geological Research and Development<br />
Center (GRDC), Bandung;<br />
• Marine Geology Institute (MGI), Bandung; Research<br />
Center of Geotechnology (LIPI), Bandung; Agency for<br />
the Assessment and Application of Technology (BPPT),<br />
Jakarta; Meteorological and Geophysical Agency<br />
(BMG), Jakarta;<br />
• National Coordination Agency for Surveys and Mapping<br />
(BAKOSURTANAL), Cibinong;<br />
• Gadjah Mada University (UGM), Yogyakarta;<br />
• Bandung Institute of Technology (ITB), Bandung;<br />
• University of Diponegoro (UNDIP), Semarang;<br />
• University of Lampung (UNILA); Lampung<br />
• Mines and Energy Services, Serang, Province of Banten.<br />
SUNDAARC unterteilt sich in die Teilprojekte: i) KRAK-<br />
MON (Krakatau-Vulkankomplex Monitoring; BGR); ii)<br />
DEVACOM (Regionale Entwicklung von Hochrisikovulkanen<br />
an aktiven Kontinenträndern; LMU München) und<br />
iii) MERAMEX (Merapi Amphibisches Experiment; <strong>GFZ</strong><br />
(Sekt. 2.1, 2.4), IFM-GEOMAR, Univ. Kiel).<br />
In Subduktionszonen findet ein komplexes Zusammenspiel<br />
von tektonischen Prozessen in Raum und Zeit statt,<br />
die die gesamte Lithosphäre beeinflussen und verändern.<br />
Dabei spielen Fluide und Schmelzen eine entscheidende<br />
Rolle. Eine genauere Kenntnis der Subduktionsprozesse<br />
und des damit verbundenen Vulkanismus im Sundabogen<br />
wird zu einer besseren Gefährdungs- und damit Risikoeinschätzung<br />
von Naturgefahren führen.<br />
Um ein detailliertes Geschwindigkeitsstrukturmodell für<br />
den Unterbau des Merapi zu bekommen, wurde in einem<br />
inzwischen abgeschlossenen Projekt mittels teleseismischer<br />
Erdbebenwellen eine Strukturanalyse des tieferen<br />
Untergrundes bis hinab in den Erdmantel versucht. Die<br />
hierbei eingesetzte Methode der Receiver-Function, basierend<br />
auf der Analyse von P zu S konvertierten Scherwellen,<br />
ließ aufgrund der Kleinräumigkeit des seismischen<br />
Netzwerkes, sowie der geometrischen Einflüsse des<br />
Vulkangebäudes auf Signale mit Frequenzen > 0,2 Hz nur<br />
wenige Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des tieferen<br />
Untergrundes bis hinab zu der unter dem Merapi abtauchenden<br />
Lithosphärenplatte zu und ergaben somit keine<br />
detaillierte Auflösung der Tiefenstruktur.<br />
Das Teilprojekt MERAMEX knüpft an diese Fragestellung<br />
an. Es konzentriert sich auf die Wechselbeziehungen<br />
zwischen den Subduktionszonen-Prozessen und dem<br />
Bogenvulkanismus, wie er etwa anhand des aktiven Stratovulkans<br />
Merapi auf Zentraljava zu beobachten ist. Die<br />
Aktivitäten unterteilen sich in einen „aktiv-seismischen“<br />
Part, bei dem see- und landseitig die Signale eines Luftpulser<br />
Arrays registriert wurden und einen passiven seismologischen<br />
Part. Die Offshore-Aktivitäten wurden im<br />
Rahmen der Fahrten SO176 und SO179 des Forschungsschiffs<br />
SONNE durchgeführt. Im „passiv-seismischen“<br />
Part wurde die regionale seismische Aktivität im Raum<br />
von Zentraljava und den Karimun Jawa Inseln, Java-See,<br />
landseitig mit einem seismischen Netz aus 120 seismischen<br />
Stationen aus dem Gerätepool des <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
bzw. von der Universität Kiel über einen Zeitraum von<br />
fünf Monaten erfasst. Parallel registrierten seeseitig 14 OBS/<br />
Abb. 2.17: Seismometer Stationsnetz des MERAMEX Projekts.<br />
Registriert wurde im Zeitraum Mai bis Oktober<br />
<strong>2004</strong>.<br />
Seismometer station network of the MERAMEX Project.<br />
Running time of the stations was in the time between May<br />
until October <strong>2004</strong>.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
225
226<br />
OBH Geräte vom IFM-GEOMAR. Das temporäre seismologische<br />
Netz (Abb. 2.17) deckte ein Gebiet von<br />
150 km x 200 km ab, bei einem mittleren Stationsabstand<br />
von 20 km (landseitig) und 40 km bis 90 km (seeseitig).<br />
Zurzeit wird die registrierte Seismizität in einem Bebenkatalog<br />
zusammengefasst. Dieser lässt erkennen, dass für<br />
eine tomographische Modellierung mindestens drei bis<br />
vier lokale Beben pro Tag genutzt werden können. Außerdem<br />
stehen eine Anzahl regionaler und teleseismischer<br />
Ereignisse für die Analyse zur Verfügung. Die lokalen<br />
Beben kommen dabei überwiegend aus der Kopplungszone.<br />
Als Besonderheit konnten zwei Beben aus ca.<br />
600 km Tiefe registriert werden.<br />
Ein Hauptmerkmal des Untersuchungsgebietes ist eine<br />
ca. 100 km breite Zone geringer seismischer Aktivität<br />
um 110° Ost, an deren westlichen und östlichen Übergängen<br />
wiederum eine Häufung von Hypozentren zu<br />
beobachten ist. Diese so genannte ‚seismische Lücke‘<br />
korreliert mit einem abrupten Wechsel in den vorderen<br />
Inselbogenstrukturen. Ein durchgehend ausgebildeter<br />
Akkretionskeil bzw. äußeres Hoch und Forearc-Becken,<br />
wie sie weiter westlich vor Sumatra und West-Java zu<br />
erkennen sind, haben sich vor Zentraljava nicht entwickelt.<br />
Markante Anzeichen weisen auf eine Änderung der<br />
Tektonik und einen Übergang von einem akkretionären<br />
(vor West-Java) zu einem nicht-akkretionären/erosiven<br />
System (vor Zentral- und Ostjava) hin. Eines der Ziele<br />
der marinen Untersuchungen der Fahrten SO176 und<br />
SO179 ist die Analyse dieses Übergangs und der damit<br />
einhergehenden tektonischen Mechanismen. Seismische<br />
und tomographische Analysen der neu gewonnenen Erdbeben-<br />
und Refraktionsdaten sollen die Geometrie des<br />
Subduktionssystems modellieren und mögliche Variationen<br />
in der Neigung der abtauchenden Platte aufdecken.<br />
Da die Airgun-Schüsse der Offshore-Refraktionsprofile<br />
gleichzeitig auch von den Landstationen registriert<br />
wurden, soll diese amphibische Studie zu einem<br />
dreidimensionalen Modell der Vorderbogenstruktur und<br />
des Untergrundes unter dem Merapi bis hin zur abtauchenden<br />
Platte führen. Dies wird zu einem besseren<br />
Verständnis der Subduktionsdynamik und möglicher<br />
Zusammenhänge zwischen der Subduktion von ozeanischen<br />
Plateaus, Subduktionserosion und vulkanischen<br />
Prozessen führen.<br />
Das Monitoring der natürlichen Seismizität und deren Verteilung<br />
im Subduktionsbereich erlaubt die dreidimensionale<br />
Auflösung der gesamten Lithosphäre oberhalb der<br />
Benioff-Fläche mit Hilfe tomographischer Verfahren und<br />
damit auch des gesamten Aufstiegspfadbereichs der Fluide<br />
und Schmelzen von ihrer Entstehung beim Austritt aus<br />
Abb. 2.18: Ergebnis der tomographischen Untersuchung für P- und S-Wellen. Für die Analyse wurden mehr als 13.000<br />
P und S Laufzeiten von mehr als 292 Ereignissen verwendet. Die Farbangaben in den Karten und Tiefenschnitten beziehen<br />
sich auf Prozentwerte.<br />
Results of the tomography analysis for P and S waves. In total more than 13 000 P and S arrival times from 292 events<br />
were used for this study. The colours in the maps and cross sections show values in percent.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 2.19: Modell des Aufstiegs von Fluiden und partiellen Schmelzen von<br />
der abtauchenden Platte in über 100 km Tiefe bis an die Oberfläche. Schwarze<br />
Punkte stellen lokalisierte Erdbeben dar.<br />
Model of ascent of fluids and partial melts coming from the down going slab<br />
beneath 100 km depth up to the surface. Located earthquakes are marked<br />
with black dots.<br />
der abtauchenden ozeanischen Platte bis in die obersten<br />
Krustenstockwerke. Die Methode der Dämpfungstomographie<br />
(Qp), die in den letzten Jahren mit Datensätzen<br />
des SFB 267 aus den zentralen Anden entwickelt worden<br />
ist, eignet sich hervorragend, diese Subduktionsprozesse<br />
dreidimensional abzubilden. Erste vorläufige Analysen<br />
sind sehr viel versprechend. So zeigen die lokalisierten<br />
Beben den Verlauf der Benioff-Zone als ca. 30 km dicke<br />
Doppelschicht im Tiefenbereich von 80 bis 150 km. Die<br />
abtauchende ozeanische Platte verläuft nahezu horizontal<br />
bis zu einer Entfernung von 150 km vom Trench. Zwischen<br />
150 und 250 km Entfernung beträgt der Subduktionswinkel<br />
etwa 45°. Dahinter lässt sich mit ISC-Daten<br />
ein steiles Einfallen nach Norden mit einem Winkel<br />
um 70° für den Bereich bis 600 km Tiefe abschätzen. Erste<br />
laufzeittomographische Untersuchungen (Abb. 2.18)<br />
ergeben eine ausgeprägte Zone erniedrigter Geschwindigkeit<br />
(bis –15 % vom Referenzmodell AK 135) in der<br />
Kruste zwischen dem Merapi und dem Vulkan Lawu an<br />
der Grenze zu Ostjava, die bis in den oberen Mantel reicht.<br />
An seismische Stationen oberhalb dieser anomalen Zone<br />
(MLA) lassen sich insbesondere bei den registrierten<br />
Scherwellensignalen starke Dämpfungseffekte beobachten,<br />
was ein Hinweis sein kann für Fluide bzw. partielle<br />
Schmelzen in diesem Krustenbereich. Die Lage der Anomalie<br />
korreliert sehr gut mit einer negativen Bouguer-<br />
Anomalie in diesem Bereich in der Schwerekarte für Java,<br />
was für ein Dichtedefizit in der Kruste spricht. Die beiden<br />
Vulkane Merapi und Lawu liegen offensichtlich direkt<br />
über dem vorderen Randbereich der tomographischen<br />
Anomalie und nicht über dem Zentralbereich. Dies<br />
ließe sich erklären durch einen massiven Aufstieg von<br />
Fluiden entlang der Grenze zwischen dem rigiden Forearc-Bereich,<br />
der sich durch hohe seismische Geschwindigkeiten<br />
auszeichnet und dem Backarc-Bereich mit<br />
niedrigen Geschwindigkeiten (Abb. 2.19). Mehr Klarheit<br />
wird in Zukunft die Nutzung des umfangreicheren Bebenkataloges<br />
und insbesondere die Anwendung der Methode<br />
der Dämpfungstomographie (Qp), sowie eine gemeinsame<br />
Interpretation aller Teilergebnisse des Projektes ergeben.<br />
Katastrophenvorbeugung in Afghanistan<br />
Naturkatastrophen stellen eine besondere<br />
Bedrohung für Menschen in ärmeren<br />
Regionen der Welt dar und verhindern<br />
oftmals eine gesicherte Entwicklung<br />
in den betroffenen Ländern. Afghanistan,<br />
schon mehrfach durch seine<br />
exponierte geopolitische Lage in der<br />
Vergangenheit von Konflikten betroffen,<br />
ist besonders anfällig für Naturkatastrophen<br />
wie Dürren, Überflutungen,<br />
Hangrutschungen, Sandstürme und insbesondere<br />
Erdbeben, die allein in den<br />
vergangenen 15 Jahren mehr als 9.000<br />
Menschenleben kosteten. Die meisten<br />
Erdbeben finden im Hindukush-Gebirge<br />
im Nord Osten des Landes statt. Erdbeben<br />
der Stärke M = 4 treten fast<br />
wöchentlich auf, Beben der Stärke M = 8 sind historisch<br />
belegt.<br />
Kabul gehört momentan zu den am schnellsten, leider<br />
aber unkontrolliert, wachsenden Großstädten mit einer<br />
geschätzten Bevölkerung von mehr als drei Millionen<br />
Menschen. Gleichzeitig besteht eine hohe seismische<br />
Gefährdung, die aus historischen Erdbeben abgeleitet<br />
werden kann. Neben einer als unsicher einzuschätzenden<br />
traditionellen Bauweise entstehen in der jüngsten Zeit<br />
Hochhäuser, die keiner internationalen Baunorm entsprechen<br />
und deren Standort nicht die lokalen Untergrundbedingungen<br />
berücksichtigt. Ein großer Teil der<br />
Gebäude von Kabul werden in ein Sedimentbecken<br />
gebaut (Abb. 2.20), d. h. bei Starkbeben muss mit erheblichen<br />
Standorteffekten gerechnet werden, wie auch Erdbeben<br />
im Jahr 2002 gezeigt haben. Obwohl das M = 7,4<br />
Nahrin-Erdbeben vom 03.03.2002 ca. 250 km von Kabul<br />
entfernt war und in einer Tiefe von mehr als 200 km stattfand,<br />
starben mindestens 13 Personen in Kabul, was aufgrund<br />
der Entfernung und der Tiefe des Erdbebens nicht<br />
hätte passieren dürfen.<br />
Nach einer Evaluierungs-Mission in 2003 und einer<br />
umfangreichen Bedarfserhebung in enger Absprache mit<br />
afghanischen Instituten wurde von mehreren Einrichtungen<br />
aus Deutschland das Projekt „Disaster Prevention and<br />
Preparedness in Afghanistan“ beim Auswärtigen Amt<br />
beantragt und nach Bewilligung durchgeführt. Projektpartner<br />
waren:<br />
• GeoForschungsZentrum Potsdam: Einschätzung der<br />
Erdbebengefährdung<br />
• Universität Bonn: Geographische Methoden in der<br />
Katastrophenvorbeugung<br />
• Universität Braunschweig: Hydrologie und Klimatologie<br />
• Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe<br />
Hannover: Hydrogeologie<br />
• InWEnt Berlin (Internationale Weiterbildung und Entwicklung):<br />
Projektleitung<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
227
228<br />
Abb. 2.20: Kabul ist in einem Sedimentbecken gewachsen,<br />
an dem an machen Orten festes Gestein ansteht. Die Mächtigkeit<br />
der Sedimente kann räumlich stark variieren und<br />
mit lokalen Standorteffekten und Verstärkungen der Bodenbewegung<br />
im Erdbebenfall muss gerechnet werden<br />
(Foto: <strong>GFZ</strong> Milkereit).<br />
Kabul is located inside a sedimentary basin surrounded<br />
by mountains composed by pre-tertiary metamorphic and<br />
sedimentary rocks. The thickness of the sedimentary cover<br />
was estimated to reach hundred of meters but is generally<br />
unknown. Outcroping hard rock indicates the variability<br />
of the sedimentary cover and the morphology of the bedrock<br />
which may cause site effects during an earthquake.<br />
Projektpartner aus Afghanistan waren die Universität<br />
Kabul und das Polytechnische Institut Kabul. Im Rahmen<br />
des Projektes wurde vom <strong>GFZ</strong> und dem CEDIM Institut<br />
der Universität Karlsruhe ein Lehrmodul mit umfangreichen<br />
gedruckten und elektronischen Unterlagen entwickelt,<br />
Vorlesungen und Übungen in Kabul durchgeführt<br />
und Projekte in Kabul zur Mikrozonierung des Kabulbeckens<br />
und zur Seismologie initiiert. Zusätzlich wurden<br />
vier Wissenschaftler aus Kabul zu dem internationalen<br />
Trainingskurs „Seismologie und seismische Gefährdungseinschätzung,<br />
<strong>2004</strong>“ nach Potsdam eingeladen.<br />
Zur Einschätzung der Erdbebengefährdung wurden vier<br />
Kurse entwickelt:<br />
1. Erdbebeninformation aus dem Internet<br />
Im Fall eines Starkbebens in Afghanistan könnte von<br />
afghanischer Seite keine schnelle Aussage über Ort und<br />
Stärke des Erdbebens getroffen werden, da Afghanistan<br />
zurzeit über kein eigenes seismologisches Netz verfügt.<br />
Entsprechende Daten sind aber z. T. im Internet vorhanden<br />
(z. B. GEOFON Webseite des <strong>GFZ</strong>), wo Informationen<br />
über aktuelle Erdbeben bereitstehen oder aber Informationen<br />
über vergangene Erdbeben oder die seismische<br />
Gefährdung (GSHAP Webseite des <strong>GFZ</strong>) abgefragt werden<br />
und in Lehrprogramme der Universitäten integriert<br />
werden können. Das Rechenzentrum der Universität<br />
Kabul ist mit finanzieller Hilfe des DAAD, der TU Berlin<br />
und der NATO (Silkroad project) an das Internet angeschlossen,<br />
im Rahmen unseres Projektes wurde der<br />
Anschluss des Instituts für Geowissenschaften an das<br />
Rechenzentrum über WLAN realisiert, so dass aktuelle<br />
Daten und Informationen den Wissenschaftlern zur Verfügung<br />
stehen.<br />
2. Mikrozonierung<br />
Kabul ist in einem Sedimentbecken aus tertiären-quartären<br />
Ablagerungen gewachsen, das von älteren metamorphen<br />
Gebirgen umgeben ist. Die Mächtigkeit der Sedimente<br />
kann auf einige hundert Meter abgeschätzt werden.<br />
Es konnte ein mobiles seismologisches Gerät für die<br />
instrumentelle Mikrozonierung beschafft werden, das den<br />
Universitäten in Kabul für Lehre und Forschung überlassen<br />
wurde. Erste Messungen der natürlichen seismischen<br />
Bodenunruhe wurden auf dem Gelände der Universität<br />
Kabul durchgeführt und ausgewertet (Abb. 2.21). Die nach<br />
der H/V-Methode bestimmte tiefste Resonanzfrequenz der<br />
Sedimente am Messort und die Größe des spektralen Verhältnisses<br />
der horizontalen und vertikalen Amplitude bilden<br />
wichtige Eckparameter für eine detaillierte Mikrozonierung<br />
von Kabul. In den nächsten Jahren sollen entsprechende<br />
Messungen von afghanischen Wissenschaftlern<br />
im Kabulbecken mit einem Raster von ca. 1 km x 1 km<br />
durchgeführt und in Zusammenarbeit mit dem <strong>GFZ</strong> ausgewertet<br />
werden.<br />
3. Praxis der seismologischen Erdbebenbeobachtung<br />
Die ehemals vorhandene seismologische Station der Universität<br />
Kabul ist in den Kriegswirren vergangener Jahre<br />
zerstört worden. Als Wiederbeginn der Seismologie in<br />
Afghanistan konnte mit Projektgeldern eine seismologische<br />
Breitbandstation beschafft und installiert werden. Die<br />
Station mit der international reservierten Kennung KBU<br />
gehört zum GEOFON Messnetz und ist über die Satellitenverbindung<br />
des Rechenzentrums der Universität Kabul<br />
an das Internet und damit auch an das <strong>GFZ</strong> angeschlossen.<br />
Das Seismometer vom Typ STS2 wurde entgegen<br />
üblicher Praxis aus Sicherheitsüberlegungen nicht an<br />
Abb. 2.21: Die Bestimmung der Grundresonanzfrequenz<br />
der Sedimente auf dem Gelände der Universität Kabul mit<br />
der H/V-Methode nach Nakamura aus Messungen der<br />
natürlichen Bodenunruhe.<br />
Estimation of the fundamental frequency of the sedimentary<br />
cover with the H/V-method following Nakamura, here<br />
for one measurement point of transient noise on the campus<br />
of the Kabul university.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 2.22: Das Seismometer der Station KBU ist auf dem<br />
Gelände der Kabul Universität installiert. Es befindet sich<br />
in vier Meter Tiefe in einer speziellen Kammer außerhalb<br />
des Instituts für Geowissenschaften. Die Versorgungs- und<br />
Computerleitungen verlaufen unterirdisch zum Datenerfassungsrechner<br />
im Institut. Die Verbindung zum Rechenzentrum<br />
der Universität Kabul wird über eine WLAN<br />
Funkstrecke realisiert, von dort aus erfolgt die Anbindung<br />
an das Internet (Foto: <strong>GFZ</strong> Milkereit).<br />
The seismometer of the station KBU is installed on the<br />
campus area of the Kabul University. In a vault the seismometer<br />
is installed in 4 meter depth in order to protect<br />
it from environmental influence, power supply and computer<br />
lines are beneath the ground. For the connection<br />
with the computing center of the Kabul University a WLAN<br />
connection has been set up.<br />
einem Ort geringer Bodenunruhe außerhalb<br />
der Stadt, sondern auf dem Gelände<br />
der Universität Kabul in der Nähe des<br />
Instituts für Geowissenschaften installiert<br />
(Abb. 2.22). Es befindet sich in vier<br />
Meter Tiefe und ist somit gegen direkte<br />
Noise-Quellen und Umwelteinflüsse<br />
geschützt.<br />
Die erste Bewährungsprobe der eingesetzten<br />
Technik hat die Station bestanden.<br />
In der Nacht vom 12. auf den 13.12.<strong>2005</strong><br />
wurden die Bewohner von Kabul von<br />
einem Erdbeben der Stärke M = 6,4 geweckt<br />
(Abb. 2.23). Die Universität Kabul<br />
konnte aufgrund der eigenen Daten und<br />
zusätzlicher Informationen aus dem<br />
Internet die Medien und das zuständige<br />
Ministerium über den Ort und die Stärke<br />
des Erdbebens informieren. Da die Aussagen<br />
einer seismologischen Auswertung<br />
mit nur einer Station beschränkt sind,<br />
können die Seismologen aus Afghanistan<br />
auf Daten von seismologischen Stationen<br />
in einem weiteren Umkreis zugreifen<br />
(Abb. 2.24). Es wird erwartet, dass mit<br />
diesem virtuellen Messnetz alle Erdbeben<br />
der Stärke M > 4 auf dem Territorium<br />
von Afghanistan erfasst und geortet werden<br />
können. In der Zukunft sollte der Auf-<br />
Abb. 2.23: Seismogramm von der Station Kabul (KBU)<br />
vom 12.12.<strong>2005</strong>.<br />
Seismogram of the station Kabul from 12.12.<strong>2005</strong>. A M 6.4<br />
earthquake happened some 250 km north of Kabul estimated<br />
by the time difference between P- and S-waves.<br />
bau eines regionalen Messnetzes in Afghanistan vorangetrieben<br />
werden, bis dahin kann aber die jetzt vorhandene<br />
Infrastruktur für Forschung und Lehre genutzt werden.<br />
4. Einschätzung der Vulnerabilität<br />
Die Einschätzung der Vulnerabilität erfordert zum einen<br />
Kenntnisse über die seismische Gefährdung und zum<br />
anderen die Bewertung der Gebäude gegenüber einer<br />
Belastung im Erdbebenfall. Den Wissenschaftlern aus<br />
Abb. 2.24: Verteilung der Nachbarstationen der Station KBU, auf die Wissenschaftler<br />
der Universität Kabul im Moment routinemäßig zugreifen können.<br />
Distribution of broadband seismological stations near Afghanistan with<br />
online availability of the data. Stations of the GEOFON network are indicated<br />
as red, stations from other organisations are in white.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
229
230<br />
Afghanistan wurde die Arbeitsweise zur Erfassung der<br />
Vulnerabilität im Rahmen des Projektes vermittelt. Aufgrund<br />
der Sicherheitslage in Kabul wurde während des<br />
Projektes davon Abstand genommen, extensive Begehungen<br />
des Stadtgebietes durchzuführen.<br />
Trainingskurse „Seismologie und seismische Gefährdungseinschätzung“<br />
<strong>2004</strong> und <strong>2005</strong> organisierte das Department 2 wieder<br />
jeweils einen 5-wöchigen Trainingskurs zur Seismologie<br />
und seismischen Gefährdungseinschätzung. Die Kurse<br />
vermitteln sowohl eine theoretische Grundausbildung als<br />
auch praktisches Training, insbesondere für Geowissenschaftler<br />
und Techniker aus Entwicklungsländern. Die<br />
vom <strong>GFZ</strong> Potsdam organisierten und teilfinanzierten Kurse<br />
wurden durch Zuwendungen des Auswärtigen Amtes, des<br />
Büros der Vereinten Nationen für humanitäre Hilfe (OCHA)<br />
in Genf, der UNESCO in Paris, InWEnt Berlin und des<br />
DPPI (Disaster Preparedness and Prevention Initiative) in<br />
Brüssel unterstützt. Weitere Zuwendungen erfolgten für<br />
den Kurs <strong>2005</strong> durch das deutsche Tsunami-Frühwarnsystem,<br />
damit kurzfristig sechs Wissenschaftler aus Indonesien<br />
an dem Kurs teilnehmen konnten.<br />
Normalerweise finden die Kurse abwechselnd in Potsdam,<br />
im darauf folgenden Jahr in einem anderen Land statt. Vor-<br />
gesehen war, den Kurs <strong>2005</strong> in Kirgisien am ZAIAG (Zentralasiatisches<br />
Institut für Angewandte Geowissenschaften)<br />
in Bishkek durchzuführen. Aufgrund der politischen<br />
Veränderungen zu Beginn des Jahres <strong>2005</strong> in Kirgisien<br />
wurde kurzfristig beschlossen, einen zweiten Kurs in Potsdam<br />
folgen zu lassen. Der Kurs in Kirgisien wird jetzt für<br />
2006 geplant.<br />
Beide Trainingskurse in Potsdam umfassten sowohl Einführungsvorlesungen<br />
in die Ursachen und Auswirkungen<br />
von Erdbeben sowie deren systematische Überwachung<br />
und Analyse, als auch umfangreiche praktische Übungen.<br />
Ziel ist die Vermittlung der Arbeitsmethoden für eine verbesserte<br />
Gefährdungseinschätzung in den Ländern der<br />
Teilnehmer. Zum Ende beider Kurse wurde den Teilnehmern<br />
die Möglichkeit zu einem Spezialisierungstraining<br />
eröffnet. Jeweils die Hälfte der Teilnehmer nahm in Potsdam<br />
am Kurs zur Einschätzung der lokalen Erdbebengefährdung<br />
(Mikrozonierung), bzw. in Erlangen am Kurs<br />
zum Betrieb seismischer Stationsnetze und deren routinemäßige<br />
Auswertung teil.<br />
Der Kurs <strong>2004</strong> (Abb. 2.25) fand in der Zeit vom 19. September<br />
bis zum 24. Oktober in Potsdam/Michendorf statt.<br />
Die 30 Teilnehmer kamen aus 25 Ländern (Afghanistan (4),<br />
Algerien, Aserbeidschan, Bosnien (2), Kolumbien, Kuba,<br />
Ägypten, Fiji Inseln, Georgien, Guatemala, Ungarn, Indo-<br />
Abb. 2.25: Szenen aus dem Potsdamer Internationalen Trainingskurs, <strong>2004</strong> zum Thema „Seismologie und seismische<br />
Gefährdungseinschätzung“ (Fotos: <strong>GFZ</strong>).<br />
Scenes from the Potsdam International Training Course of the year <strong>2004</strong> on the topic „Seismology, Seismic Data Analysis,<br />
Hazard Assessment and Risk Mitigation“.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 2.26: Im Berichtszeitraum fand auch der Internationale Trainingskurs <strong>2005</strong> in Potsdam statt, zum ersten Mal aber<br />
fast ausschließlich in Räumlichkeiten auf dem Telegrafenberg (Fotos: <strong>GFZ</strong>).<br />
Scenes from the Potsdam International Training Course of the year <strong>2005</strong> on the topic „Seismology, Seismic Data Analysis,<br />
Hazard Assessment and Risk Mitigation“.<br />
nesien, Iran, Mazedonien, Madagaskar, Moldawien, Montenegro,<br />
Marokko, Nepal, Philippinen, Serbien, Syrien,<br />
Türkei (2), Usbekistan und Sambia). Die Teilnehmer waren<br />
unter 96 Bewerbern aus 56 Ländern ausgewählt worden.<br />
Insgesamt gab es 20 Lektoren (davon neun vom <strong>GFZ</strong>) aus<br />
fünf Ländern.<br />
Der Kurs <strong>2005</strong> (Abb. 2.26) in Deutschland wurde in der<br />
Zeit vom 28. August bis zum 1. Oktober in Potsdam<br />
durchgeführt. Im Gegensatz zu den vorherigen Kursen<br />
fanden die Vorlesungen und Übungen zum überwiegenden<br />
Teil direkt in Räumlichkeiten des <strong>GFZ</strong> auf dem Telegrafenberg<br />
statt. Es waren 25 Teilnehmer aus 16 Ländern<br />
(Albanien, Bangladesch, Bulgarien, Kuba, Ghana, Indien,<br />
Indonesien (6), Iran (2), Kenia, Mazedonien, Rumänien,<br />
Sri Lanka, Syrien, Thailand, Trinidad, Türkei (3)<br />
und Venezuela). Unter 61 Bewerbungen aus 36 Ländern<br />
wurden die Teilnehmer ausgewählt. In diesem Jahr wurde<br />
wegen der Aktualität ein Schwerpunkt auf die Anrainerstaaten<br />
des Indischen Ozeans gelegt. Insgesamt haben<br />
28 Lektoren aus fünf Ländern, davon 16 vom <strong>GFZ</strong>, die<br />
Vorlesungen und Übungen durchgeführt. An den beiden<br />
letzten Tagen des Kurses gab es für die Teilnehmer die<br />
Möglichkeit im Rahmen eines speziellen Workshops das<br />
deutsche Tsunami-Frühwarnsystem für den Indischen<br />
Ozean kennen zu lernen und mit den Experten direkt zu<br />
diskutieren.<br />
Die Teilnehmer beider Trainingskurse erhielten neben kostenloser<br />
Software für die Auswertung digitaler Erdbebenaufzeichnungen,<br />
die Kalibrierung von Seismographen, die<br />
Quantifizierung lokaler Standorteffekte und die Abschätzung<br />
der Erdbebengefährdung auch die derzeit modernsten<br />
Lehrbücher und Praxisanleitungen zu den Themenkreisen<br />
des Kurses. Dazu gehört auch das vom <strong>GFZ</strong> herausgegebene<br />
zweibändige IASPEI „New Manual of Seismological<br />
Observatory Practice“.<br />
DEPAS – Deutscher Pool für amphibische Seismologie<br />
Im Rahmen der Evaluierung des Forschungsbereiches<br />
„Erde und Umwelt“ der Helmholtz-Gemeinschaft wurde<br />
angeregt, dass das AWI Bremerhaven und das <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
enger auf dem Gebiet der onshore-offshore Forschung<br />
kooperieren sollten. Hier liegt in der Zukunft ein<br />
immenses Forschungspotenzial. Beide Einrichtungen stellten<br />
Mitte <strong>2004</strong> an das GEOTECHNOLOGIE-Programm<br />
(Kontinentränder) einen gemeinsamen Antrag auf Förderung<br />
eines kombinierten seismologischen Instrumentenpools,<br />
der künftig von beiden Institutionen als ein Werkzeug<br />
für die gesamte deutsche „Geo-community“ vorgehalten<br />
werden sollte. Nach positiver Begutachtung des<br />
Antrages wurden für die Antragsteller Mittel bereitgestellt,<br />
die die Beschaffung von 35 Ozeanbodenseismome-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
231
232<br />
Abb. 2.27: DEPAS Landstation. Links: Datenlogger<br />
(Earthdata), rechts: Seismometer (GURALP 60s).<br />
DEPAS land-station. Left:Data-logger (Earthdata), right:<br />
Seismometer (GURALP 60s).<br />
tern (OBS) am AWI und 65 Landstationen<br />
am <strong>GFZ</strong> ermöglichten – die Landkomponente<br />
von DEPAS soll im Endausbau<br />
100 Stationen umfassen. Am <strong>GFZ</strong> ist<br />
die Landkomponente von DEPAS technisch<br />
und logistisch in den geophysikalischen<br />
Gerätepool (GIPP) integriert. Im<br />
September <strong>2005</strong> erfolgte bereits der erste<br />
Einsatz von 45 Einheiten für ein amphibisches<br />
Projekt in der Ägäis. Für das Jahr<br />
2006 liegen bereits mehrere Anträge vor,<br />
so dass DEPAS bereits unmittelbar nach<br />
seiner Verfügbarkeit auf große Resonanz<br />
stößt.<br />
INKABA ye AFRICA<br />
Im Rahmen des INKABA ye AFRICA Programms<br />
wurden <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> umfangreiche<br />
geophysikalische Untersuchungen im Gebiet<br />
des Agulhas-Karoo Plateaus durchgeführt.<br />
Mit aktiven seismischen und magnetotellurischen<br />
Messungen werden detaillierte<br />
Informationen über die tektonischen<br />
Prozesse der letzten 3,5 Milliarden Jahre,<br />
insbesondere bezüglich des Akkretionsprozesses<br />
sowie des Aufbrechens des<br />
Superkontinents Gondwana gesammelt.<br />
So sind in mehreren Phasen im Laufe der<br />
Erdgeschichte Kontinentalmassen mit dem<br />
alten Kontinentalkern des Kaapvaal Kraton<br />
kollidiert und heute als Faltengürtel<br />
(Namaqua-Natal Mobile Belt und Cape<br />
Fold Belt) fest mit dem afrikanischen Kontinent<br />
verschweißt. Entlang einer solchen<br />
Kollisionszone befinden sich zwei geophysikalische<br />
Anomalien, die Beattie Magnetikanomalie<br />
(BMA) und der Southern<br />
Cape Conductive Belt (SCCB). Sie zählen<br />
mit über 1.000 km zu den längsten der Erde<br />
und setzen sich vermutlich sogar in Südamerika<br />
und in der Antarktis fort.<br />
Magnetotellurische Messungen<br />
Die BMA wurde schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts<br />
von Beattie (1909) entdeckt. Mehr als ein halbes<br />
Jahrhundert später schlossen van Zijl, de Beer und Gough<br />
(1982) aus Magnetometer-Arraymessungen auf die Existenz<br />
eines ca. 100 km breiten Leitfähigkeitsgürtels, der<br />
SCCB. Als Ursache für beide Anomalien wurde aufgrund<br />
der räumlichen Korrelation ein 30 km breiter und bis in<br />
den Erdmantel reichender Block serpentinisierter ozeanischer<br />
Kruste postuliert. Diese Interpretation findet sich in<br />
verschiedenen geologischen Querschnitten und in tektonischen<br />
Rekonstruktionen Gondwanas. Aus heutiger Sicht<br />
scheint diese Auslegung der Daten aber wenig gesichert,<br />
da die geringe Stationsdichte keine detaillierten strukturellen<br />
Aussagen zulässt und das Karoo-Becken mit seiner<br />
dicken Sedimentüberdeckung keine direkten geologischen<br />
Beobachtungen ermöglicht.<br />
Abb. 2.28: Lagekarte der 82 magnetotellurischen Messstationen (weiße<br />
Kreuze). Das 150 km lange Profil reicht von Prince Albert bis nach Fraserburg.<br />
Map of 82 magnetotelluric sites (white crosses) along a 150 km long profile<br />
from Prince Albert in the South to Fraserburg in the North. BMA: Beattie<br />
Magnetic Anomaly, SCCB: Southern Cape Conductive Belt.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 2.29: Verteilung des elektrischen Widerstandes in der Erdkruste im<br />
Bereich der BMA und des SCCB. Rot/gelb: Zonen erhöhter Leitfähigkeit (niedrige<br />
Widerstände). Ein oberflächennahes hoch leitfähiges Band lässt sich<br />
in den ersten 2 bis 5 km entlang des gesamten Profils erkennen. Aufgrund<br />
von nahe gelegenen Bohrungen, die auf das Profil projiziert wurden (graue<br />
Dreiecke), können diese Anomalien der Whitehill-Formation mit ihren kohlenstoffreichen<br />
Schwarzschiefern (schwarze Sterne) zugeordnet werden. Die<br />
BMA scheint mit einer Zone erhöhter Leitfähigkeit in 5 bis 12 km Tiefe zu<br />
korrelieren (B). Weiter im Norden befinden sich unter dem Great Escarpment<br />
zwei weitere tiefe (8 bis 20 km) Leitfähigkeitsanomalien.<br />
An image of the electrical resistivity distribution of the Earth's crust across<br />
the BMA and SCCB. Red/ yellow: Zones of high conductivity. A shallow subhorizontal<br />
conductivity band is shown in the upper 5 km across the entire<br />
profile. Stratigraphic information from boreholes which were projected onto<br />
the profile (grey triangles) reveals black carbonaceous shales of the Whitehill<br />
Formation in 2-5 km depth. This layer correlates with the sub-horizontal<br />
conductivity band (black asterisks). The BMA seems to be associated with<br />
a zone of high conductivity in 5-12 km depth (B). Further to the North we<br />
observe two deep conductivity anomalies (8-20 km) beneath the onset of the<br />
Great Escarpment (C).<br />
Im Frühjahr <strong>2004</strong> wurden entlang eines 150 km langen<br />
Profils von Prince Albert bis Fraserburg neue magnetotellurische<br />
Messungen vom <strong>GFZ</strong> an 82 Stationen durchgeführt<br />
(Abb. 2.28). Das Profil, das in etwa senkrecht zu<br />
den beiden geophysikalischen Anomalien verläuft, wurde<br />
mit einem Stationsabstand von ~ 2 km vermessen. Reflexions-<br />
und refraktionsseismische sowie steilwinkelseismische<br />
Messungen fanden ebenfalls entlang dieses Profils<br />
im Frühjahr und Herbst <strong>2005</strong> statt (Abb. 2.30). Das<br />
Leitfähigkeitsmodell, das aus einer zweidimensionalen<br />
Inversionsrechnung der Messdaten entlang des Profils<br />
bestimmt wurde, ist in Abb. 2.29 dargestellt (Weckmann<br />
et al, 2006). Rote und gelbe Farben entsprechen geringen<br />
elektrischen Widerständen (hohe Leitfähigkeiten), während<br />
blaue Farben Regionen mit hohen elektrischen Widerständen<br />
(geringe Leitfähigkeiten) kennzeichnen. Markiert<br />
sind außerdem die Lage des Maximums der BMA<br />
und des SCCB sowie die Projektionen von nahe gelegenen<br />
Tiefbohrungen auf das Profil (graue Dreiecke).<br />
Auffallend ist zunächst, dass das Leitfähigkeitsmodell<br />
wesentlich mehr Strukturen aufweist, als dies aufgrund<br />
der alten Daten und darauf basierender geologischer Querschnitte<br />
anzunehmen war. Oberflächennah ist eine hoch<br />
leitfähige sub-horizontale Schicht in 2 bis 5 km Tiefe<br />
(Abb. 2.29 A) erkennbar. Mit der Lage der BMA scheint<br />
eine weitere sub-vertikale Zone hoher Leitfähigkeiten zu<br />
korrelieren, die von 5 bis 12 km Tiefe reicht und nach<br />
Süden einfällt (B). Zusätzlich sind weiter im Norden zwei<br />
tief reichende (8 bis 20 km) leitfähige Strukturen zu erken-<br />
nen, die sich unterhalb des Great Escarpments<br />
befinden (C). Zur Interpretation<br />
der oberflächennahen Anomalie (A) können<br />
Informationen aus tiefen Bohrungen<br />
hinzugezogen werden. In vier nahe gelegenen<br />
Bohrungen wurden in verschiedenen<br />
Tiefen (2 bis 5 km) die sog. Whitehill<br />
Formation angetroffen, die aus kohlenstoffreichen<br />
Schwarzschiefern besteht.<br />
Eine Projektion dieser Bohrungen (graue<br />
Dreiecke in Abb. 2.29) und die Lage der<br />
Schwarzschieferfunde (schwarze Sterne)<br />
auf das Profil zeigt, dass diese Schicht gut<br />
mit dem geringmächtigen, oberflächennahen<br />
leitfähigen Band des Modells in Abb.<br />
2.29 korreliert. Die Deutung der tiefer<br />
gelegenen Anomalien gestaltet sich<br />
schwieriger, da hier keine direkten Beobachtungen<br />
möglich sind. Vermutlich handelt<br />
es sich um große Scherzonen in der<br />
Kruste. Diese Interpretation wird gestützt<br />
von weiter im Osten (Natal-Sektor) kartierten<br />
großen Scherzonen, die vier tektonische<br />
Einheiten voneinander trennen<br />
und vermutlich großen Einfluss auf die<br />
Akkretionsprozesse des Superkontinents<br />
Gondwana hatten. Weiter westlich, im<br />
Bereich unseres Untersuchungsgebiets,<br />
sind diese Scherzonen von den dicken<br />
Karoo-Sedimenten überdeckt. Für die<br />
Leitfähigkeitsanomalien im nördlichen<br />
Abschnitt unsers Modells ist es ebenfalls denkbar, dass sie<br />
große mineralisierte Synformen abbilden, wie sie weiter<br />
nordwestlich im Namaqualand angetroffen werden.<br />
Seismische Messungen<br />
Ziel der seismischen Messungen war es, ein Modell der<br />
tieferen krustalen Strukturen abzuleiten. So wurde der<br />
Ozean-Kontinentübergang im Bereich des Cape Fold<br />
Belts-Agulhas Plateaus untersucht. Ein weiterer Schwerpunkt<br />
der landseitigen seismischen Messungen war die<br />
Untersuchung der BMA und des SCCB. Im April <strong>2005</strong><br />
wurden auf zwei, diese Anomalien überquerenden Profilen<br />
(deckungsgleich mit denen der magnetotellurischen<br />
Messungen, siehe Abb. 2.28) seismische Messungen<br />
durchgeführt (Abb. 2.30). Auf jedem Profil wurden 50 seismische<br />
Landstationen und 25 seismische Ozeanbodenstationen<br />
in Kooperation mit dem AWI aufgestellt. Auf<br />
den ca. 200 bis 250 km langen Abschnitten an Land wurden<br />
an 13 Schusspunkten seismische Wellen angeregt, die<br />
land- und seeseitig an allen Stationen registriert wurden.<br />
Seeseitig wurden Airguns als seismische Quellen verwendet,<br />
die wiederum von allen Stationen (land- und seeseitig)<br />
aufgezeichnet wurden. Somit entstand ein Datensatz,<br />
dessen Auswertung die Erstellung eines großräumigen<br />
Strukturmodells der Erdkruste und des obersten Erdmantels<br />
entlang beider Profile erlaubt.<br />
Für die Auswertung der Landschüsse, registriert mit den<br />
Landstationen wurden die Wellenlaufzeiten von der seis-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
233
234<br />
Abb. 2.30: Lagekarte mit den Profilen Frazerburg (links) und Graaf-Reinet (rechts, onshore Teil). Schwarze Symbole:<br />
seismische Stationen; rote Symbole: Schusspunkte.<br />
Map of the location of the two seismic profiles Frazerburg (left) and Graaf-Reinet (right, onshore part) in the Agulhas-<br />
Karoo region. Black stars: seismic stations; red stars: shot points.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 2.31: Beispiel eines tomographischen P-Wellengeschwindigkeitsmodells (links Süden, rechts Norden), abgeleitet<br />
aus den Laufzeiten der direkten P-Wellen entlang des Frazerburg Profils. Der obere Bereich (einige km) zeigt geringe<br />
Geschwindigkeiten, die durch Sedimente erklärt werden können. Der mittlere Krustenbereich ist komplex aufgebaut,<br />
die Moho wurde bei ca. 40 km Tiefe gefunden. Die BMA (bei ca. 100 km) konnte nicht klar abgebildet werden. Hellere<br />
Bereiche stellen Regionen dar, die nicht aufgelöst werden konnten.<br />
Example of the tomographic P-wave velocity model (left South, right North), derived from travel times of refracted<br />
waves of the Frazerburg line. The uppermost few kilometres have low velocities and represent sediments. The middle<br />
crust is characterized by complex velocity structures. The Moho is at around 40 km depth. The Beattie anomaly<br />
(~ 100 km model) is not clearly imaged. Pale colours indicate regions with poor or no ray coverage.<br />
mischen Quelle zu der jeweiligen seismischen Station<br />
bestimmt. Mit Hilfe dieser Daten konnte unter Verwendung<br />
von tomographischen Verfahren ein P-Wellen Geschwindigkeitsmodell<br />
der Erdkruste abgeleitet werden<br />
(Abb. 2.31). Dieses vorläufige Modell ist durch ausgeprägte,<br />
oberflächennahe Schichten mit geringeren Geschwindigkeiten<br />
(Sedimente) und komplexeren Strukturen<br />
im Mittel- und Unterkrustenbereich gekennzeichnet.<br />
Durch die geplante gemeinsame Auswertung mit den<br />
seeseitigen Daten wird die Abbildung der Strukturen<br />
im Übergangsbereich zum Ozean und des oberen Mantels<br />
möglich sein. Die Feldexperimente wurden vom<br />
<strong>GFZ</strong> finanziert; die Messgeräte wurden vom Geophysikalischen<br />
Instrumentenpool des <strong>GFZ</strong> Potsdam bereitgestellt.<br />
Erweiterte thermomechanische Modellierung<br />
Die Deformation und der Fluss von Gasen und Flüssigkeiten<br />
in der Lithosphäre werden durch mechanische Prozesse<br />
bestimmt. Zentrale mechanische Eigenschaften hängen<br />
wiederum stark u. a. von Temperatur und chemischer<br />
Zusammensetzung ab. Das resultierende komplizierte System<br />
stark gekoppelter nichtlinearer thermischer, mechanischer,<br />
chemischer und physikalischer Prozesse formt die<br />
Struktur der Lithosphäre und bestimmt deren geologische<br />
Entwicklung. Aufgrund jüngerer Fortschritte in der Physik<br />
und der Chemie und mit der Hilfe moderner Hochleistungsrechner<br />
ist die Modellierung dieses Systems heutzutage<br />
möglich geworden. Diese so genannte „erweiterte<br />
thermomechanische Modellierung“ war in den letzten<br />
Jahren verstärkt Forschungsgegenstand am <strong>GFZ</strong>.<br />
Sedimentation und Deformation der Lithosphäre an Pullappart<br />
Becken<br />
Eine Transform-Störung ist eine Plattengrenze, an der<br />
zwei Lithosphärenplatten horizontal aneinander vorbei-<br />
gleiten. Die dabei auftretende dreidimensionale Verformung<br />
macht eine numerische Modellierung sehr aufwändig.<br />
Bisherige Simulationen waren daher auf unrealistische<br />
Modelle mit vereinfachter Rheologie beschränkt. Die<br />
erste thermomechanische Studie einer kontinentalen<br />
Transform-Störung mit Berücksichtigung einer realistischen<br />
Rheologie (Sobolev et al., <strong>2005</strong>a) konzentrierte sich<br />
auf die Modellierung des Dead Sea Transform (DST) im<br />
mittleren Osten. Wir stellen einige Resultate der Arbeit<br />
vor, welche diese Studie erweitert und sich mit fundamentalen<br />
Fragen nach dem Ursprung von tiefen Sedimentbecken<br />
im Zusammenhang mit kontinentalen Transform-Störungen,<br />
sogenannte Pull-appart Becken, beschäftigt.<br />
Diese Pull-appart Becken sind Senken, die als Ergebnis<br />
einer Extension der Kruste entstehen, und zwar in solchen<br />
Gebieten, in denen die Richtung des Fault overstepping<br />
mit der Bewegungsrichtung an der Scherzone übereinstimmt<br />
(Abb. 2.32a). Das herausragende klassische<br />
Beispiel für ein Pull-appart Becken ist das 150 km lange<br />
Dead Sea Becken an der DST. Hier hat sich in den letzten<br />
15 bis 17 Millionen Jahren mehr als acht Kilometer Sedimentbedeckung<br />
angesammelt. Es war bisher unklar,<br />
wodurch die Länge eines Pull-appart Beckens sowie die<br />
Dicke seiner Sedimente bestimmt werden und wie sich die<br />
dazugehörende Verformung unterhalb des Beckens verteilt.<br />
Mittels eines 3-D- (plus Zeit) thermomechanischen Modells<br />
(Abb. 2.32b, 2.33) eines Pull-appart Beckens, welches<br />
an einem Overstepping einer aktiven Transformstörung<br />
gebildet wurde, wurden diese Fragen angegangen<br />
(Petrunin and Sobolev, 2006). Die Modellierung zeigte,<br />
dass für eine gegebene Verschiebung und Reibung in den<br />
Verwerfungen die Dicke der spröden Schicht der bedeutendste<br />
Parameter für die Beckenlänge, Dicke der Sedimente<br />
und das Deformationsmuster unter dem Becken<br />
darstellt, und diese wiederum durch die Temperatur und<br />
Zusammensetzung der Lithosphäre bestimmt wird. Die<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
235
236<br />
ungewöhnlich große Länge und Sedimentdicke des Dead<br />
Sea Beckens kann mit 100 km Strike-slip Bewegung und<br />
einem dicken (20 bis 22 km, lokal bis 27 km) spröden Teil<br />
der kalten Lithosphäre unter dem Becken erklärt werden.<br />
Die Modellierung zeigt weiterhin eine Hebung der Moho<br />
von nicht mehr als 3 km unter schmalen (10 bis 15 km)<br />
Pull-appart Becken, wie dem Dead Sea Becken, welche<br />
in kalter Lithosphäre gebildet wurden. Es wurde ebenfalls<br />
gefolgert, dass sich ein Pull-appart Becken nur bilden<br />
kann, wenn eine mehrere Kilometer dicke Entkopplungszone<br />
zwischen der spröden Kruste und dem oberen Mantel<br />
existiert (siehe Abb. 2.33). Die Modellierung zeigt, dass<br />
dies für das Dead Sea Becken nicht der Fall sein würde,<br />
falls der Wärmefluss an der Oberfläche tatsächlich nur<br />
40 mW/m 2 beträgt. Dies könnte ein Hinweis darauf sein,<br />
dass der Oberflächenwärmefluss signifikant unterschätzt<br />
wurde (um 10 bis 20 mW/m 2 ), in Übereinstimmung mit<br />
kürzlich überarbeiteten Messungen in Jordanien (Förster<br />
et al, <strong>2004</strong>).<br />
Abb. 2.32: (a) Konzeptionelles Modell<br />
eines Pull-appart Beckens, das an einem<br />
Overstepping einer Transformstörung<br />
entsteht. (b) Modell Setup.<br />
(a) Conceptual model of a pull-apart<br />
basin formed at an overstepping of a<br />
transform fault. (b) Model setup.<br />
Das allgemeine Modell für ein Pullappart<br />
Becken (Abb. 2.32a, 2.33) wurde<br />
kürzlich für die DST angepasst (Petrunin<br />
und Sobolev, in Vorbereitung). In diesem<br />
vereinfachten 3-D Modell (Abb. 2.34)<br />
haben wir eine 2-D Struktur der Kruste<br />
und Temperatur in Konsistenz mit Resultaten<br />
aus dem DESERT Projekt (siehe<br />
Bericht 2002/<strong>2004</strong>) und ähnlich derjenigen<br />
in der Modellierungsstudie zum DST<br />
(Sobolev et al., <strong>2005</strong>a) angenommen. Zusätzlich<br />
nahmen wir an, dass sich an der<br />
nördlichen Modellgrenze eine Schwächezone<br />
befindet, deren Lage nicht mit<br />
der Spur jener Transformstörung übereinstimmt,<br />
welche im Modell ohne diese<br />
Zone erzeugt wird. Das Vorhandensein<br />
dieser schwachen Grenzzone zwingt die<br />
Verwerfung, nach links zu springen, mit<br />
der Konsequenz einer Strike-slip Verschiebung<br />
von 105 km, wie in Abb. 2.34<br />
dargestellt. Außer dieser implementierten<br />
Heterogenität am Rand der Modellbox<br />
wurden keine weiteren lokalisierten Heterogenitäten<br />
oder Verwerfungen vorgegeben.<br />
Abb. 2.34 zeigt, dass zwei Systeme von<br />
sich überlappenden Verwerfungen subparallel<br />
zur Strike-slip Richtung in der<br />
Modell-Lithosphäre entstehen. Eine Verwerfung<br />
zeichnet die Region mit minimaler<br />
Stärke der Lithosphäre nach (ohne<br />
vorgegebene schwache Grenzzone), und<br />
die andere führt die schwache Grenzzone innerhalb der<br />
Modellbox fort. Wo sich diese beiden größeren Verwerfungen<br />
überlappen, findet eine starke verwerfungs-parallele<br />
Extension statt, was zu einem Absenken der Kruste<br />
führt. Diese modellierte Struktur ist ähnlich derjenigen<br />
des Dead Sea Beckens, es ist jedoch klar, dass eine sehr<br />
viel höhere Auflösung im 3-D Modell erforderlich ist, um<br />
so wichtige Eigenschaften der Dead Sea Tektonik, wie beispielsweise<br />
transversale Verwerfungen innerhalb des Pullappart<br />
Beckens zu reproduzieren.<br />
Eine neue Sicht auf einen Hawaii Plume<br />
Die hawaiianischen Inseln sind das Ergebnis des produktivsten<br />
aktiven Mantel-Plumes – d. h. eines Aufstrombereichs<br />
heißen Magmas aus dem Tiefen Erdmantel – der<br />
bekannt ist. Sein Magmafluss wurde kürzlich auf etwa<br />
0,3 Kubikkilometer pro Jahr geschätzt. Eine so enorme<br />
Produktivität kann nicht ausschließlich durch erhöhte<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 2.33: (a) bis (c) Wachsendes Pull-apart Sedimentbecken (braun) mit der Verteilung der transform-parallelen Extension<br />
an verschiedenen Querschnitten. (d) Maximale Dicke der Sedimentfüllung nach 100 km Strike-slip Verschiebung<br />
gegenüber der Dicke der spröden Kruste. Jeder Punkt stellt ein bestimmtes Modell dar (Petrunin and Sobolev, 2006).<br />
Die Kästchen zeigen die plausibelsten Bedingungen für das Dead Sea Becken und das Golf von Aqaba Becken, basierend<br />
auf beobachteten Tiefen der maximalen Seismizität. Die durchgezogenen Linien entsprechen dem vereinfachten<br />
analytischen Modell, schattierte Gebiete zeigen die charakteristische Abweichung der numerischen Lösung vom analytischen<br />
Modell.<br />
(a)-(c) Growing pull-apart sedimentary basin (brown) together with distribution of transform parallel extensional strain<br />
shown at a number of cross-sections. (d) Maximum thickness of sediment fill after 100 km of strike-slip displacement<br />
versus thickness of the brittle layer. Each point indicates a particular model (Petrunin and Sobolev, 2006). Boxes show<br />
the most plausible conditions for the Dead Sea basin and Gulf of Aqaba basin based on observed depths of the maximum<br />
seismicity. Solid line corresponds to the simplified analytical model and the shaded domain indicates characteristic<br />
deviation of numerical solutions from the analytical model.<br />
Plume-Temperatur (ungefähr 300 °C höher als gewöhnliche<br />
Manteltemperatur) erklärt werden, wie in früheren<br />
Studien behauptet wurde. Eine neue Erklärung wird durch<br />
eine kombinierte geochemisch-geophysikalische Studie<br />
geliefert, welche kürzlich in Nature publiziert wurde (Sobolev<br />
et al., <strong>2005</strong>b). Geochemiker vom Max-Planck-Institut<br />
in Mainz haben gezeigt, dass die ungewöhnlich hohen<br />
Nickel- und Silikatanteile in den meisten hawaiianischen<br />
Magmen darauf hindeuten, dass mehr als die Hälfte der<br />
Schmelzen aus einer Quelle stammen, die von sogenannter<br />
„reziklierter“ ozeanischer Kruste dominiert wird. Dies<br />
ist ozeanische Kruste, welche in den Mantel subduziert,<br />
vor langer Zeit in Eklogit umgewandelt und dann von dem<br />
aufsteigenden Mantel-Plume mitgerissen und wieder aufgeschmolzen<br />
wurde.<br />
Die physikalischen Folgen dieses Modells wurden am<br />
<strong>GFZ</strong> analysiert. Es wurde gezeigt, dass ein Plume mit die-<br />
ser ozeanischen Kruste einen um den Faktor 2,5 höheren<br />
Magmafluss hervorbringt, als ein Hochtemperatur-<br />
Plume, der keine ozeanische Kruste enthält. Das neue<br />
Modell (Abb. 2.35) erklärt die aktuelle hohe magmatische<br />
Produktivität des hawaiianischen Plume bestens und<br />
ist auch konsistent mit der anomalen Topographie des<br />
Meeresbodens, dem Hawaiian Swell. Darüber hinaus<br />
erklärt der vorausgesagte hohe Anteil an partieller<br />
Schmelze in der ozeanischen Kruste in 130 bis 170 km<br />
Tiefe innerhalb des hawaiianischen Plume bemerkenswert<br />
gut die seismische Niedergeschwindigkeitszone, die<br />
in diesen Tiefen unterhalb des südlichen Teils der hawaiianischen<br />
Inseln vom <strong>GFZ</strong> Forschungsteam beobachtet<br />
wurde (Li et al., 2000). Die Modellierung zeigt auch, dass<br />
bei Abwesenheit von ozeanischer Kruste in dem hawaiianischen<br />
Plume nur ein geringer Teil (falls überhaupt) der<br />
hawaiianischen Inseln oberhalb des Meeresspiegels verbleiben<br />
würde.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
237
238<br />
Abb. 2.34: (a) Setup des 3-D Dead Sea Modells (niedrige Auflösung) gemäß Petrunin und Sobolev (in Vorbereitung).<br />
(b) Berechnete Verteilung der Shear strain rate (logarithmische Skala) nach 105 km linksseitiger Strike-slip Bewegung<br />
während 17 Millionen Jahren. (c) Berechnete Topographie des Grundes. Sowohl die berechnete Verteilung der Gräben<br />
als auch die Sedimentfüllung stimmen gut mit den Beobachtungen überein, (d) trotz grober Auflösung entlang des Versatzes<br />
für dieses Modell.<br />
(a) Setup of the 3-D Dead Sea (low-resolution) model after Petrunin and Sobolev (in preparation). (b) Calculated distribution<br />
of the shear strain rate (in logarithmic scale) after 105 km of left-lateral strike-slip motion during 17 Myr. (c)<br />
Calculated topography of the basement. The load of sediments was considered in the calculation. Both calculated distribution<br />
of faults and sediment fill matches well the observations (d), despite of rather poor along-strike resolution of<br />
this model.<br />
Magnetotellurische Messungen an der San Andreas<br />
Verwerfung<br />
Zum Verständnis geodynamischer Prozesse an großen<br />
Scherzonen wie der San Andreas Verwerfung in Kalifornien<br />
kann die Magnetotellurik (MT) als eine Methode der<br />
geophysikalischen Tiefensondierung einen wichtigen Beitrag<br />
leisten. Denn nur mit Hilfe der MT lassen sich Abbil-<br />
der von der elektrischen Leitfähigkeitsverteilung auf einem<br />
Tiefenmaßstab, der die gesamten Erdkruste und den oberen<br />
Mantel einschließt, gewinnen. Aus der Geometrie von<br />
Leitfähigkeitsanomalien lassen sich anschließend strukturelle<br />
Aussagen ableiten. Anomal hohe Leitfähigkeiten<br />
können z. B. von salinaren Fluiden im Porenraum der<br />
Gesteine, Graphitisierungen entlang von Scherbahnen oder<br />
auch von partiellen Schmelzen herrühren.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 2.35: Illustration des neuen Modells für den Hawaii<br />
Plume.<br />
Cartoon illustrating new model of the Hawaii plume by<br />
Sobolev et al., <strong>2005</strong>b.<br />
Im Frühjahr <strong>2005</strong> wurden an der San Andreas Verwerfung<br />
neue magnetotellurische Messungen vom <strong>GFZ</strong> und der<br />
University of California, Riverside, an 86 Punkten durchgeführt<br />
(blaue Sterne und rote Kreise in Abb. 2.36). Der<br />
Großteil der Stationen wurde entlang eines 50 km langen<br />
Profils senkrecht zum Verlauf der durch aktive Seismizität<br />
gekennzeichneten Störungslinie (rote Punkte in Abb. 2.36)<br />
errichtet. Auf diesem Profil wurden auch reflexions- und<br />
refraktionsseismische Messungen durchgeführt. Im Zentrum<br />
des Messgebietes befindet sich außerdem das San<br />
Andreas Fault Observatory at Depth (SAFOD, gelber<br />
Stern in Abb. 2.36), wo eine abgelenkte Kernbohrung<br />
abgeteuft wird, die im August <strong>2005</strong> die San Andreas Verwerfung<br />
in einer Tiefe von etwa 3 km durchschnitt. Von<br />
den Ergebnissen der Bohrung und begleitenden Bohrlochmessungen<br />
sowie Bohrkernen erwartet man Erkenntnisse<br />
über die In-Situ-Bedingungen an einer interkontinentalen<br />
Plattengrenze.<br />
Erkenntnisse über größere Tiefen erlangt man durch indirekte<br />
Methoden, wie die Magnetotellurik. Ein vorläufiges<br />
Leitfähigkeitsmodell, das aus einer zweidimensionalen<br />
Inversionsrechnung der Messdaten entlang des Profils<br />
bestimmt wurde, ist in Abb. 2.37 dargestellt. Rote Farben<br />
entsprechen hohen elektrischen Leitfähigkeiten, blaue Farben<br />
kennzeichnen Regionen mit hohen elektrischen Widerständen.<br />
Markiert sind außerdem die Lage der SAFOD<br />
Hauptbohrung, die Lage der San Andreas Verwerfung an<br />
der Erdoberfläche (SAF), sowie die östlich gelegene Coast<br />
Range Fault (CRF), welche den Übergang von der Coast<br />
Range Province in die Sedimente der Great Valley Sequenz<br />
kennzeichnet.<br />
Die schwarzen Punkte unterhalb der SAF (Abb. 2.37)<br />
kennzeichnen die Hypozentren von Mikrobeben, welche<br />
die aktive Verwerfung markieren und offensichtlich in<br />
räumlicher Beziehung zu einem schlecht leitfähigen Körper<br />
westlich der Störung stehen, bei dem es sich vermutlich<br />
um einen Granitkörper (Salinian Granite) handelt. Die<br />
meisten Mikrobeben treten in dem Tiefenbereich von ca.<br />
2 bis 10 km auf. Die schon von früheren magnetotellurischen<br />
Untersuchungen bekannte erhöhte Leitfähigkeit im<br />
Bereich der Störung (Fault Zone Conductor, FZC), die für<br />
die obersten 2 km der Kruste westlich der SAF charakteristisch<br />
ist, scheint dagegen ein Gebiet einzunehmen, in<br />
Abb. 2.36: Lagekarte magnetotellurischer<br />
Messstationen. Das Arbeitsgebiet<br />
befindet sich in der Nähe von Parkfield,<br />
Kalifornien. Blaue Sterne kennzeichnen<br />
langperiodische (LMT) und rote<br />
Kreise Breitband-Registrierungen (BMT).<br />
Grüne Punkte zeigen frühere MT Messungen<br />
von Unsworth et al. Die Seismizität<br />
entlang der San Andreas Verwerfung<br />
ist durch rote Punkte gekennzeichnet.<br />
SAFOD bezeichnet Lage der Forschungsbohrung<br />
des San Andreas Fault Observatory<br />
at Depth.<br />
Map of magnetotelluric sites in the vicinity<br />
of Parkfield, CA. Blue asterisks and red<br />
circles indicate locations of long-period<br />
and broadband magnetotelluric stations.<br />
Green dots indicate MT sites of Unsworth<br />
et al. The Seismicity at the San Andreas Fault zone is indicated by red dots. SAFOD indicates the location of the borehole<br />
of the San Andreas Fault Observatory at Depth.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
239
240<br />
Abb. 2.37: Verteilung des elektrischen<br />
Widerstandes im Bereich der San Andreas<br />
Verwerfung. Zonen erhöhter Leitfähigkeit<br />
(niedrige Widerstände) sind im<br />
Modell mit roten und gelben Farben<br />
gekennzeichnet. Im Bereich der oberen<br />
Kruste an den beiden Modellrändern<br />
werden diese vermutlich durch die sedimentäre<br />
Überdeckung des Grundgebirges<br />
hervorgerufen, während der Scherzonenleiter<br />
(FZC) im Bereich der San<br />
Andreas Störung (SAF) als Anreicherung<br />
von Fluiden im Porenraum zerrütteter<br />
Gesteine interpretiert wird. Schlecht leitfähige<br />
Strukturen (blau) westlich der<br />
SAF dürften auf einen Granitkörper<br />
(Salinian Granite) zurückzuführen sein.<br />
Im Bereich der Mittel- und Unterkruste<br />
findet man eine 20 km breite Zone erhöhter<br />
Leitfähigkeiten, wobei die höchsten Leitfähigkeiten direkt unterhalb der SAF auftreten.<br />
An image of the electrical resistivity distribution beneath the San Andreas Fault zone. Zones of high conductivity are<br />
shown in red and yellow colours. Such regions at both sides of the model in the upper crust probably correspond to<br />
sedimentary sequences. The Fault Zone Conductor (FZC) in the vicinity of the SAF is interpreted in terms of saline fluids<br />
within the increased pore space of fractured rocks. Resistive structures west of the SAF are likely related to a block<br />
of Salinian Granite. A 20 km wide region in the middle and lower crust is imaged as conductive, the highest conductivities<br />
are found directly beneath the surface trace of the SAF. SAF San Andreas Fault; CRF Coast Range Fault; SAFOD<br />
San Andreas Fault Observatory at depth; FZC Fault zone conductor. Red dots indicate seismicity.<br />
dem keine Beben auftreten. Es ist unklar, ob das Fehlen<br />
von Beben mit dem Vorkommen von Fluiden im Porenraum<br />
der zerrütteten Gesteine, welche für die hohen elektrischen<br />
Leitfähigkeiten ursächlich sind, kausal korreliert<br />
oder ob die Beben an einen lithologischen Kontrast gebunden<br />
sind.<br />
In größeren Tiefen unterhalb von 10 km weist die Kruste<br />
eine 20 km breite Zone mit niedrigen elektrischen Widerständen<br />
auf. Außerdem gibt es Anzeichen für die Existenz<br />
eines tieferen (lower) Fault Zone Leiters mit Widerständen<br />
von unter 10 Ωm. Es ist allerdings schwierig, die Geometrie<br />
und den elektrischen Widerstand dieser Anomalie<br />
eindeutig zu fassen, da der Effekt des darin induzierten<br />
Stromsystems an der Erdoberfläche im Bereich der Messgenauigkeit<br />
und damit an der Grenze der Auflösbarkeit<br />
liegt.<br />
Das hier gezeigte Modell ist Ausgangspunkt weitergehender<br />
Modellierungs- und Inversionsrechnungen, wobei<br />
wir uns insbesondere auf das Auflösen von Strukturen in<br />
der Unterkruste konzentrieren wollen. Weiterhin ist die<br />
Ableitung eines 3D-Leitfähigkeitsmodells aus dem flächenhaft<br />
gemessenen Datensatz geplant sowie die Integration<br />
des Leitfähigkeitsmodells mit anderen physikalischen<br />
Parametern wie dem seismischen Geschwindigkeitsmodell<br />
entlang der gemeinsamen Profillinie. Mit<br />
Hilfe eines neuen, viel versprechenden Ansatzes soll versucht<br />
werden, durch eine gemeinsame Interpretation der<br />
komplementären Parameter, elektrische Leitfähigkeit und<br />
seismische Geschwindigkeit, eine eindeutigere lithologische<br />
Klassifizierung der abgebildeten Strukturen zu<br />
erreichen.<br />
Die neuen magnetotellurischen Experimente wurden von<br />
der deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des<br />
Schwerpunktprogramms „International Continental Drilling<br />
Programme“ (ICDP) gefördert. Die Messgeräte wurden<br />
vom Geophysikalischen Instrumentenpool des <strong>GFZ</strong><br />
bereitgestellt.<br />
Die Kollision der afrikanischen und der eurasischen<br />
Lithosphärenplatten im Gebiet der Ägäis<br />
Das Ägäische Meer ist eines der tektonisch kompliziertesten<br />
Gebiete der Erde. Es ist deshalb auch das Gebiet in<br />
Europa mit der größten Erdbebebhäufigkeit. Neben verheerenden<br />
Erdbeben fanden dort über die Jahrtausende<br />
immer wieder Vulkanausbrüche und Tsunamis statt. Wegen<br />
seiner Lage im Backarc-Bereich der aktiven Subduktion<br />
der afrikanischen Platte unter die eurasische Platte<br />
(Abb. 2.38) und wegen des Auftretens zweier aufeinander<br />
folgender Extensionsstadien im Ägäischen Meer seit dem<br />
Oligozän, gehört es zu einem der interessantesten Gebiete<br />
für die Erforschung der Plattentektonik. Wir haben eine<br />
gemeinsame seismische P und S Receiver Funktion Analyse<br />
durchgeführt, um die Struktur der Kruste und des oberen<br />
Mantels unterhalb des gesamten Ägäischen Meeres,<br />
des griechischen Festlandes und von Kreta abzubilden.<br />
Daraus kann abgelesen werden, wie sich die beiden Platten<br />
bei der Kollision deformieren. Zu diesem Zweck wurden<br />
P und S Receiver Funktionen von teleseismischen<br />
Ereignissen berechnet, die an 65 temporären bzw. permanenten<br />
seismischen Stationen unterschiedlicher Netzwerke<br />
(GEOFON, Nationalobservatorium Athen, Cyclades<br />
network, Mediterranean network und Seisfaultgreece Experiment)<br />
aufgezeichnet worden sind (Abb. 2.38). Mit der<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Methode der Receiver Funktionen ist es möglich, seismische<br />
Diskontinuitäten bis in mehrere hundert Kilometer<br />
Tiefe zu kartieren.<br />
Die gemeinsamen Daten von P und S Receiver<br />
Funktionen weisen eine dichte<br />
Überdeckung im südlichen und zentralen<br />
Ägäischen Meer auf, während von den<br />
P Receiver Funktionen allein hier keine<br />
flächendeckende Informationen ohne<br />
Meeresboden-Stationen (OBS) gewonnen<br />
werden können. Die gemeinsame<br />
Betrachtung von P und S Receiver Funk-<br />
Abb. 2.39: Tiefenkarte der eurasischen<br />
Moho ermittelt aus P und S Receiver<br />
Funktionen. Die Moho-Tiefen in der Türkei<br />
sind von Saundres et al. (1998) übernommen.<br />
Unter dem griechischen Festland<br />
und der Nordägäis ist die Moho<br />
mächtiger als unter der Südägäis, wo die<br />
Krustenmächtigkeit durch Dehnungsvorgänge<br />
reduziert ist.<br />
Depth map of the Eurasian Moho obtained<br />
from P and S receiver functions. The<br />
Moho depths in Turkey are from Saundres<br />
et al. (1998). The crust is thicker beneath<br />
mainland Greece and the northern Aegean<br />
than beneath the southern Aegean<br />
because of stretching there.<br />
Abb. 2.38: Die wichtigsten tektonischen<br />
Elemente der Ägäis. Die Pfeile zeigen die<br />
Richtung der Plattenbewegung relativ zu<br />
Eurasien an (McClusky et al. 2000). Die<br />
seismischen Stationen, die in dieser Studie<br />
benutzt wurden, sind durch Sterne<br />
dargestellt.<br />
Main tectonic features in the Aegean area.<br />
The arrows indicate the direction of the<br />
motion relative to Eurasia (McClusky et<br />
al. 2000). The seismic stations used in this<br />
study are represented by stars.<br />
tionen führte unter anderem zu detaillierten<br />
Informationen über die starken Variationen<br />
der Krustenmächtigkeit im Untersuchungsgebiet<br />
(Abb. 2.39). Eine normale<br />
Krustenmächtigkeit von ungefähr<br />
28 bis 30 Kilometer wird unter dem östlichen<br />
Teil des griechischen Festlandes<br />
beobachtet, während die Kruste unterhalb<br />
Nord- und Westgriechenlands auf bis zu<br />
40 km zunimmt. Im nördlichen Ägäischen<br />
Meer variiert die Krustenmächtigkeit<br />
zwischen 25 bis 28 km. Diese Krustenverdünnung<br />
entspricht einem Ausdehnungsfaktor<br />
von 20 bis 25 %. Eine sehr<br />
geringe Krustenmächtigkeit von ca. 20 km<br />
bzw. ein Ausdehnungsfaktor von 40 bis<br />
45 % im kretischen Meer zeigt, dass der<br />
südliche Teil der Ägäis offenbar am stärksten<br />
von der Ausdehnungstektonik betroffen ist. Die Tiefenlage<br />
der Ägäischen Moho unterhalb Kretas ändert sich<br />
von 25 km im Osten auf 33 km im Westen und ist ein<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
241
242<br />
Abb. 2.40: Angenäherter Verlauf der eurasischen Moho und der darunter liegenden afrikanischen Moho entlang dreier<br />
Profile A, B und C, beobachtet mit Hilfe von S Receiver Funktionen.<br />
Approximate depth distribution of the Eurasian Moho and underlying African Moho along three profiles derived from<br />
S receiver functions.<br />
Beweis dafür, dass verschiedene Teile Kretas unterschiedlich<br />
auf die Ausdehnung reagiert haben. Anhand<br />
der S Receiver Funktionen kann die subduzierte afrikanische<br />
Lithosphäre bis unter das nördliche Griechenland<br />
verfolgt werden (Abb. 2.40), wo die abtauchende Platte<br />
jedoch nicht mehr durch lokale Seismizität abgebildet<br />
wird. Diese Ergebnisse führen zu einer durchschnitt-<br />
lichen Mohotiefe von 40 km für die subduzierte ozeanische<br />
Platte unterhalb Südkretas, des Westpeloponnes<br />
und des Südostens von Rhodos, die bis auf 160 km unterhalb<br />
des vulkanischen Bogens zunimmt (Abb. 2.41). Die<br />
ozeanische Moho kann bis in eine Tiefe von 220 km unterhalb<br />
des nördlichen Griechenland zuverlässig beobachtet<br />
werden.<br />
Die mittels der S Receiver Funktion<br />
Methode gewonnenen neuen Informationen<br />
über die ozeanische und kontinentale<br />
Lithosphäre zeigen die Lithosphären-<br />
Asthenosphärengrenze (LAB) für das<br />
gesamte Untersuchungsgebiet und erlauben<br />
dabei Beobachtungen mit einer Auflösung,<br />
wie sie bisher nur für die Moho<br />
erreicht wurde (Abb. 2.42). Unterhalb des<br />
Abb. 2.41: Karte der Tiefe der afrikanischen<br />
Moho abgeleitet aus P und S Receiver<br />
Funktionen. Die Mohotiefen direkt an<br />
den Stationen (Dreiecke) wurden aus<br />
P Receiver Funktionen berechnet. Die Mohotiefen<br />
dazwischen wurden aus S Receiver<br />
Funktionen ermittelt. In den weißen<br />
Bereichen waren nicht genügend Daten<br />
vorhanden.<br />
Depth map of the African Moho derived<br />
from P and S receiver functions. Moho<br />
depths directly at the stations (triangles)<br />
have been derived from P receiver functions.<br />
Moho depths in between have been<br />
derived from S receiver functions. White<br />
regions have insufficient data.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 2.42: Untergrenze der afrikanischen und eurasischen Lithosphärenplatten (LAB) entlang zweier Profile durch die<br />
Ägäis aus summierten S Receiver Funktionen. Negative Amplituden (schwarz) zeigen eine Abnahme der Geschwindigkeit<br />
mit der Tiefe. Unter dem griechischen Festland ist die eurasische LAB flacher als die afrikanische LAB. Die<br />
beobachtete afrikanische Moho ist mit dünn gestrichelter Linie markiert.<br />
Lithosphere-asthenosphere boundary (LAB) estimated by stacked S receiver functions along two profiles. Negative<br />
amplitudes of S receiver functions (in black) show a velocity decreases with depth. Under continental Greece, this<br />
negative phase is at a shallower depth than the African LAB. The observed African Moho is shown with thin dashed<br />
line.<br />
Abb.2.43:Die LAB-Tiefenkarte der Ägäis<br />
ermittelt aus der S Receiverfunktion Analyse.<br />
Die dicke rote Linie stellt die Grenze<br />
zwischen der beobachteten kontinentalen<br />
eurasischen Lithosphäre und der<br />
ozeanischen afrikanischen Lithosphäre<br />
dar.<br />
The LAB depth map obtained from S<br />
receiver function analysis in the Aegean.<br />
The heavy red line is a boundary separating<br />
the observed continental Eurasian<br />
Lithosphere from the oceanic African<br />
Lithosphere.<br />
griechischen Festlandes beträgt die Tiefe<br />
der eurasischen LAB etwa 150 km<br />
(Abb. 2.43). Unterhalb von Südkreta<br />
beträgt die Mächtigkeit der afrikanischen<br />
Lithosphäre 100 km. Sie nimmt Richtung<br />
Norden bis auf 225 km unterhalb des vulkanischen<br />
Bogens zu. Die starke Dehnung der südlichen<br />
Ägäis, die eine wesentliche Antriebskraft für die Tektonik<br />
in dem gesamten Gebiet ist, kann eventuell auf ein ‚Roll<br />
Back‘ der afrikanischen subduzierten Platte bis ca. 100 km<br />
Tiefe zurückgeführt werden. In größeren Tiefen wird diese<br />
Platte flach und ist bis unter das griechische Festland zu<br />
verfolgen.<br />
Abb. 2.44: Das Amphitheater von Milet. In der Antike lag<br />
es an der Küste; heute ist das Meer dort verschwunden –<br />
ein Beweis für die andauernde Dynamik der Ägäis (Foto:<br />
U. Kind).<br />
The Amphitheater of Milet. It was located at the coast in<br />
the antiquity; today the sea is gone – an indication of the<br />
ongoing dynamics of the Aegean.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
243
244<br />
Seismische Überwachung des massiven Thuringikum-Injektionsexperiments<br />
an der Kontinentalen<br />
Tiefbohrung<br />
Die Kontinentale Tiefbohrung (KTB) bei Windischeschenbach<br />
im Südosten Deutschlands liegt nahe der westlichen<br />
Grenze der Böhmischen Masse an der Kontaktzone zwischen<br />
Saxo-Thuringikum und Moldanubikum. Zwischen<br />
1987 und 1994 wurden hier eine 9,1 km tiefe Haupt- und<br />
eine 4 km tiefe Vorbohrung abgeteuft, die an der Oberfläche<br />
lediglich einen Abstand von 200 m aufweisen. Diese<br />
Konfiguration stellt ein einmaliges Labor zur Untersuchung<br />
physikalischer Gesteinsparameter in situ dar (Emmermann<br />
und Lauterjung 1997). Um Mechanismen des<br />
Fluidtransports zu untersuchen und das Spannungsfeld in<br />
der oberen Kruste zu bestimmen, wurden bereits 1994<br />
(Zoback und Harjes, 1997) und 2000 (Baisch et. al. 2002)<br />
zwei Injektionsversuche über einen Zeitraum von mehreren<br />
Tagen bis Wochen durchgeführt.<br />
Im Anschluss daran wurde 2002 mit einem Langzeit-Pumpversuch<br />
begonnen, der aus zwei Hauptexperimenten bestand.<br />
Im ersten Abschnitt wurden Fluide aus dem prominenten<br />
Reflektor SE2 in einer Tiefe von 4.000 km aus<br />
der Vorbohrung gefördert. Innerhalb eines Jahres produzierte<br />
die Vorbohrung aus diesem Tiefenbereich (120 °C)<br />
22.300 m 3 saline, krustale Wässer mit einer Förderrate von<br />
58 l/min. Nach einer Ruhepause wurde im Juni <strong>2004</strong> das<br />
Experiment umgedreht und über eine Zeitraum von 10 Monaten<br />
84.600 m 3 Wasser im SE2 Reflektor verpresst. Bei<br />
Injektionsraten von 200 l/min wurde ein Kopfdruck um<br />
100 bar aufgebaut.<br />
Im September <strong>2004</strong>, als das Injektionsvolumen in etwa der<br />
im ersten Experiment abgepumpten Flüssigkeitsmenge<br />
entsprach, konnten wir eine zunächst schwache aber<br />
zunehmend mikroseismische Aktivität beobachten. Bereits<br />
sehr kleine positive Porendruckänderungen (kleiner 1 bar<br />
an den Lokationen der Erdbeben) lösten dabei eine beträchtliche<br />
Zunahme der Seismizität aus (Shapiro et. al<br />
2006). Diese induzierte Seismizität wurde mit den Stationen<br />
eines hochempfindlichen, seismischen Online-Überwachungssystems<br />
aufgezeichnet. Das seismische Netz<br />
bestand aus einer Bohrlochsonde, die zwischen Tiefen von<br />
2 km bis 3,5 km in der Hauptbohrung betrieben wurde, und<br />
11 oberflächennahe Stationen in der Umgebung der KTB.<br />
Erdbeben online: GEOFON und die Folgen des<br />
Sumatra Bebens<br />
Mit Hilfe des Erdbeben-Informationssystems GEOFON<br />
wird am <strong>GFZ</strong> die globale Seismizität zeitnah überwacht,<br />
um die entdeckten Ereignisse so genau wie möglich automatisch<br />
zu lokalisieren, zu quantifizieren und über das<br />
Internet zu publizieren. Die seismologischen „Rohdaten“,<br />
kontinuierliche Datenströme von weltweit installierten<br />
Seismometerstationen, werden bisher fast ausschließlich<br />
ebenfalls über das Internet erfasst. Das verwendete seismologische<br />
Netz („GEOFON Extended Virtual Network“<br />
– GEVN) besteht aus fast 50 GEOFON-Stationen des <strong>GFZ</strong><br />
und seiner Partner im GEOFON-Projekt sowie einer großen<br />
Anzahl von Stationen aus Partner-Netzen, die mittels<br />
der am <strong>GFZ</strong> entwickelten SeedLink Software über das<br />
Internet vernetzt sind. In der Nacht vom 25. zum 26.12.<strong>2005</strong><br />
bestand das GEVN aus etwa 120 operationalen Stationen,<br />
Abb. 2.45: Seismologisches Netz an der<br />
KTB zur Überwachung der induzierten<br />
Seismizität während des Langzeitpumpexperiments<br />
2002 bis <strong>2005</strong>. In der<br />
Hauptbohrung (HBR) wurde ein 3d-Geophon<br />
in Tiefen von 2 km bis 3,5km betrieben.<br />
Die Kommunikation im Online-Netz<br />
basierte auf WLAN-Technik. Die weißen<br />
Linien entsprechen den WLAN-Verbindungen,<br />
mit denen die Außenstationen<br />
online eingebunden waren. Die<br />
5 Außenstationen waren zur Reduzierung<br />
der Bodenunruhe in flachen Bohrungen<br />
zwischen 20 m und 40 m Tiefe installiert.<br />
Seismological on-line network at the KTB<br />
location for monitoring induced seismicity<br />
during the long-term injection experiment<br />
between 2002 and <strong>2005</strong>. HBR is the<br />
location of the main hole sonde with a 3dgeophone<br />
operated in depths between<br />
2 km and 3.5 km. The on-line communication<br />
of the net was based on WLAN technique.<br />
White lines indicate WLAN links to<br />
on-line stations operated in shallow bore<br />
holes at depths of 20 m and 40 m.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
überwiegend in Europa und dem Mittelmeerraum. Trotz<br />
dieser global nicht optimalen Stationsverteilung gelang es<br />
dem GEOFON-Erdbeben-Informationssystem bereits nach<br />
12 Minuten eine ziemlich genaue automatische Lösung<br />
ins Internet zu stellen und per Email und SMS-Meldungen<br />
an die zahlreichen Nutzer des Informationsservice zu<br />
verbreiten (Abb. 2.49).<br />
Zu dieser Zeit (26. 12. <strong>2004</strong>, 01:11 UTC), als die primären<br />
seismischen Wellen noch gar nicht bis Mitteleuropa<br />
vorgedrungen waren und sich die Tsunami-Welle noch<br />
weit vor der Küste von Sumatra befand, war dies offenbar<br />
die erste öffentlich zugängliche Information über dieses<br />
Beben. Das erste Bulletin des Pacific Tsunami Warning<br />
Center in Honolulu wurde erst drei Minuten später veröffentlicht.<br />
Dennoch war diese erste Information – wegen<br />
dem nur aus den Primärwellen abgeleiteten und damit für<br />
Starkbeben zu niedrigen Magnitudenwert von 6,9 (m b) –<br />
nicht zur Tsunami-Warnung geeignet. Für eine genauere<br />
Bestimmung des Magnitudenwertes und damit auch der<br />
Abschätzung der Tsunami-Gefahr musste man, nach dem<br />
damaligen Wissensstand, die Ankunft der Oberflächenwellen<br />
abwarten, die von Sumatra nach Europa fast eine<br />
Stunde brauchten.<br />
In der Folge der Tsunami-Tragödie wurden die Bemühungen<br />
für eine globale Erdbebenüberwachung verstärkt.<br />
Das GEVN wurde erheblich erweitert (Abb. 2.50a), u. a.<br />
um öffentlich zugängliche Stationen im Raum des Indi-<br />
Abb. 2.46: Entwicklung der induzierten<br />
Seismizität im Verlauf des Pumpexperiments<br />
<strong>2004</strong>/<strong>2005</strong>. Anzahl der Ereignisse<br />
pro Tag und kumulative Entwicklung der<br />
Seismizität beobachtet an den Oberflächenstationen<br />
(a) und in der Bohrlochsonde<br />
(b). S-P Laufzeitdifferenzen der<br />
beobachteten Ereignisse mit der Bohrlochsonde<br />
(c). Gleiche Laufzeitdifferenzen<br />
bedeuten gleiche Entfernung der<br />
Ereignisse zum Sensor. Zwischen dem 78.<br />
und 187. Tag war die Bohrlochsonde nur<br />
auf 1.950 m Tiefe installiert. Verpresstes<br />
Volumen und Entwicklung des Kopfdrucks<br />
über den Verlauf des gesamten<br />
Injektionsexperiments (d).<br />
Rate of induced events observed at the<br />
surface stations (a) and the sensor in the<br />
KTB main borehole (b) during the longterm<br />
injection experiment in <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong>.<br />
Traveltime difference between S and P<br />
onsets at the main hole sonde (c). Rate of<br />
well-head pressure and injection volume<br />
(d). Between days 78 and 187, the main<br />
hole sensor was installed in only 1950 m<br />
depth.<br />
schen Ozeans (IRIS-Netz USA, nationale<br />
Netze von Malaysia und Australien).<br />
Zudem wurde neue Software für die Datenverarbeitung<br />
in Nahe-Echtzeit implementiert.<br />
Im Rahmen des German-Indian<br />
Ocean Tsunami Early Warning System – GITEWS – wurden<br />
bereits in <strong>2005</strong> vier neue GEOFON-Stationen mit<br />
Satellitenkommunikation in Indonesien installiert und der<br />
Zugriff auf ca. 20 ebenfalls neu installierte japanische und<br />
indonesische Stationen in Indonesien realisiert. Die Vollständigkeit<br />
und Genauigkeit der Überwachung der globalen<br />
Erdbebentätigkeit mit Hilfe des GEOFON-Erdbeben-<br />
Informationssystems ist damit erheblich verbessert worden<br />
und eine zeitnahe Information vor allem auch für<br />
Beben in Südostasien konnte realisiert werden. Abb. 2.50b<br />
zeigt die automatisch bestimmten Lokationen aller Erdbeben<br />
in der zweiten Jahreshälfte <strong>2005</strong> in Abhängigkeit<br />
von Veröffentlichungszeiten und der Magnitude. Wegen<br />
der großen Stationsdichte sind die Bearbeitungszeiten in<br />
Europa und dem Mittelmeerraum naturgemäß am kleinsten,<br />
bestimmte Gegenden in Indonesien kommen aber<br />
auch schon in den Bereich von weniger als 10 Minuten.<br />
Ein Ableger des GEOFON-Erdbeben-Informationssystems<br />
wurde im Rahmen von GITEWS am Indonesischen<br />
Meteorologischen Dienst in Jakarta installiert und versorgt<br />
Indonesien mit schnellen (< 10 Minuten) Erdbebenmeldungen<br />
aus der Region.<br />
In Folge des Tsunami sind bereits einige Forschungsprojekte<br />
entstanden. Das dringendste zu lösende Problem ist<br />
eine schnelle verlässliche Magnitudenbestimmung. Dabei<br />
muss beachtet werden, dass die Bruchausbreitung viele<br />
Minuten dauern kann (~ 10 Minuten im Falle des Sumatra<br />
Bebens) und nach bisherigen Methoden keine verläss-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
245
246<br />
liche Magnitude vor Ende der Bruchausbreitung oder<br />
sogar vor der Registrierung teleseismischer Oberflächenwellen<br />
bestimmt werden konnte. Bormann und Wylegalla<br />
(<strong>2005</strong>) haben aber eine Methode entwickelt, mit der aus<br />
Breitbanddaten eine schnelle (innerhalb weniger Minuten)<br />
näherungsweise Magnitude, auch bei sehr starken<br />
Beben abgeschätzt werden kann. Diese Methode soll<br />
demnächst implementiert und routinemäßig benutzt werden.<br />
Weiter wurde am <strong>GFZ</strong> von Yuan et al. (<strong>2005</strong>) eine<br />
neue Methode entwickelt, mit der aus seismischen Breitbandregistrierungen<br />
von Küstenstationen eine Tsunamiwelle<br />
direkt registriert werden kann. Die Wasserwelle<br />
führt zu Neigungsänderungen an der Küste, die von den<br />
Horizontalkomponenten der Breitbandstationen registriert<br />
werden können (Abb. 2.52). Damit können aus den<br />
Küsten- und Inselstationen des gut organisierten globalen<br />
seismischen Netzes Real-Time-Informationen über Tsunamis<br />
gewonnen werden.<br />
Ein anderes Forschungsprojekt ist die Echtzeit-Beobachtung<br />
der Bruchausbreitung von Erdbeben, die von großer<br />
Bedeutung für die Abschätzung des Tsunamipotentials des<br />
Abb. 2.47: Lokalisierte Mikroerdbeben<br />
während des Injektionsexperiments<br />
<strong>2004</strong>/<strong>2005</strong>. Epizentraldarstellung von<br />
146 Mikrobeben mit mehr als 10 beobachteten<br />
P und S Phasen. Die weißen<br />
Dreiecke stellen die online Stationen des<br />
Überwachungsnetzes dar. Der schwarze<br />
Stern kennzeichnet die Position der Vorbohrung<br />
an der Erdoberfläche. Der<br />
Radius des inneren roten Kreises beträgt<br />
500 m. Die Anordnung der Epizentren<br />
liegt parallel zum Streichen der Fränkischen<br />
Linie. In den Hypozentraldarstellungen<br />
kennzeichnet die gelbe Linie die<br />
Lage der Hauptbohrung und der grüne<br />
Stern den Injektionspunkt. Die induzierten<br />
Beben liegen im Bereich des markanten<br />
SE2 Reflektors.<br />
Location of 146 induced microevents in<br />
plane view. Only events with more than<br />
10 observed P and S phases are shown.<br />
White trangles indicate on-line stations.<br />
The black star marks the surface position<br />
of the pilot hole. The radius of the inner<br />
red circle is 500 m. The alignment of the<br />
epicentres is nearly parallel to the Franconian<br />
Lineament. The yellow line in the<br />
hypocenter projections marks the position<br />
of the main hole and the green star<br />
the injection point of the fluids. The induced<br />
seismicity is concentrated within the<br />
prominent SE2 reflector.<br />
Bebens ist. Dazu gibt es eine Methode<br />
von Krüger und Ohrnberger (<strong>2005</strong>), die<br />
teleseismische Stationsarrays nutzt. Wir<br />
bestimmen aus der Polarisation von<br />
lokalen, regionalen und teleseismischen<br />
Stationen die Bruchausbreitung nahezu<br />
in Echtzeit (Abb. 2.53), und beabsichtigen diese Methode<br />
ebenfalls in das Tsunami-Warnsystem zu implementieren.<br />
Eine neue Methode zur Bestimmung der Mächtigkeit<br />
von Lithosphärenplatten<br />
Es gibt eine Reihe unterschiedlicher Definitionen für die<br />
Lithosphäre (Anderson, 1995). Sie war ursprünglich mechanisch<br />
definiert als eine elastische Platte, die sich über<br />
einer viskos-elastischen Asthenosphäre befindet (Barrell,<br />
1914). Die Lithosphären-Asthenosphären-Grenze (LAB)<br />
wird oft als Übergangszone von einer höheren zu einer<br />
niedrigeren seismischen Geschwindigkeit angesehen,<br />
deren Tiefenlage nur grob abgeschätzt werden kann. Die<br />
LAB wird auch als eine thermische Grenzfläche bei einer<br />
Temperatur von ~ 1200 °C oder als eine elektromagnetische<br />
Grenzfläche von niedriger zu hoher Leitfähigkeit<br />
definiert. Eine entscheidende Rolle spielt die Lithosphäre<br />
jedoch in der Plattentektonik. Hier wird angenommen,<br />
dass Lithosphärenplatten sich über tausende von Kilometern<br />
horizontal bewegen können und dadurch letztendlich<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
für alle geologischen Erscheinungsformen der Erdoberfläche<br />
verantwortlich sind. Daher kann der Lithosphäre in<br />
der Plattentektonik eine bedeutend wichtigere Rolle zugesprochen<br />
werden als der Erdkruste.<br />
Abb. 2.49: Links: Ausbreitung der primären seismischen<br />
Wellen beim Sumatra-Beben am 26.12.<strong>2004</strong> nach Bruchbeginn<br />
um 00:58:50 UTC und ihre Registrierung an Stationen<br />
des GEVN (GEOFON Extended Virtual Network).<br />
Rechts: Vergleich der Veröffentlichungszeiten von automatischen<br />
und manuellen Erdbebenmeldungen verschiedener<br />
Institutionen im Internet.<br />
Left: Propagation of primary seismic waves of the Sumatra<br />
Earthquake after the rupture start at 26.12.<strong>2004</strong>,<br />
Abb. 2.48: Foto des KTB Bohrturms (Foto: <strong>GFZ</strong><br />
Asch).<br />
Photo of the KTB drilling derrick.<br />
Direkte seismische Beobachtungen der Lithosphäre mit<br />
hoher Auflösung sind allerdings schwierig. Als Oberkante<br />
einer Zone relativ niedriger Geschwindigkeit (Asthenosphäre)<br />
kann die LAB nur schlecht mit der Weitwinkel-<br />
Technik beobachtet werden, eine sehr erfolgreiche Technik<br />
zur Untersuchung der Kruste-Mantel-Grenze. Gutenberg<br />
(1954) schloss aus der Beobachtung von Raumwellen<br />
auf die Existenz einer Zone erniedrigter Geschwindigkeit<br />
im oberen Erdmantel. Die entsprechende seismische<br />
Diskontinuität wurde nach ihm Gutenberg-Diskontinuität<br />
benannt, die oft mit der LAB gleichgesetzt wird.<br />
Die meisten Beobachtungen der Lithosphäre wurden aber<br />
aus der Dispersion von Oberflächenwellen gewonnen. Wegen<br />
der niedrigen Auflösung der Oberflächenwellen lässt<br />
sich die LAB nur als eine breite Übergangszone abbilden,<br />
und ihre genaue Tiefe ist schwierig zu bestimmen. Ein wesentliches<br />
Ergebnis der Oberflächenwellenstudien ist eine<br />
größere Mächtigkeit der Lithosphäre unter Kontinenten<br />
als unter Ozeanen (Gung et al. 2003). Die Mächtigkeit der<br />
Lithosphäre variiert von wenigen Kilometern an den<br />
mittelozeanischen Rücken bis zu 200 km unter alten kontinentalen<br />
Schilden und beträgt im globalen Mittel etwa<br />
80 bis 100 km.<br />
In den letzten Jahren ist die S Receiver Function (SRF)<br />
Technik entwickelt worden (Farra and Vinnik, 2000; Li<br />
et al., <strong>2004</strong>; Yuan et al., 2006), die benutzt werden kann,<br />
um die LAB mit hoher Auflösung zu beobachten. Die SRF<br />
Technik analysiert S-zu-P konvertierte Wellen, die an den<br />
seismischen Diskontinuitäten unter einer Station erzeugt<br />
werden. Sie wurde aus der bekannten P Receiver Function<br />
(PRF) Methode entwickelt (Langston, 1977; Vinnik, 1977),<br />
Origin Time: 00:58:50 UTC Mw = 9.0<br />
Germany: <strong>GFZ</strong> 01:10:57 +12 min mb = 6.9<br />
Italy: INGV +16 min mb = 6.9<br />
Germany: LED +18 min mb = 7.1<br />
Switzerland: SED +19 min mb = 6.1<br />
Norway: NEWS +20 min mb = 5.5<br />
NOR +22 min mb = 6.3<br />
France: RNS +31 min mb = 6.4<br />
Slovakia: BRA +32 min mb = 6.6<br />
Europe/<br />
ORFEUS: ODC +65 min mb = 7.3<br />
France: LDG +731 min mb = 5.9<br />
International Centres<br />
(Manual Analysis)<br />
USA: NEIC +79 min Ms = 8.5<br />
Europe/EMSC: EMSC +97 min Mw = 8.9<br />
Pacific Tsunami Warning Center<br />
USA: PTWC +15 min Mw = 8.0<br />
00:58:50 UTC and their registration at stations of the GEVN (GEOFON Extended Virtual Network). Right: Comparison<br />
of publication times of automatic and manual earthquake alerts issued by different institutions in the Internet.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
247
248<br />
Abb. 2.50: a) Stationsverteilung des<br />
„GEOFON Extended Virtual Network“<br />
(Stand Ende <strong>2005</strong>: ca. 250 Stationen).<br />
Die roten Dreiecke zeigen die über Internet<br />
mit dem Datenzentrum vernetzten<br />
GEOFON-Stationen, die gelben Kreise<br />
die kompatiblen Stationen der GEVN<br />
Partnernetze. b) Globale Verteilung der in<br />
der zweiten Jahreshälfte <strong>2005</strong> vom GEO-<br />
FON-Erdbebeninformationssystem bestimmten<br />
Erdbeben-Epizentren. Die Farbskala<br />
zeigt die Verzögerungszeiten bis zur<br />
ersten Veröffentlichung der automatisch<br />
bestimmten Erdbebenparameter im Internet.<br />
Die Symbolgröße ist ein Maß für die<br />
Magnitudenwerte.<br />
a) Station distribution of the „GEOFON<br />
Extended Virtual Network“ (status end of<br />
<strong>2005</strong>: almost 250 Stations). The red triangles<br />
show those GEOFON stations,<br />
which are accessible via Internet from the<br />
data center, the yellow circles the compatible<br />
stations of the GEVN partner networks.<br />
b) Global distribution of earthquake<br />
epicenters determined by the<br />
GEOFON earthquake information system<br />
in the second half of <strong>2005</strong>. The colour<br />
code shows the delay times until the first appearance of the automatically determined earthquake parameters in the<br />
Internet. The symbol size is related to the magnitude values.<br />
die mit P-zu-S konvertierten Wellen arbeitet. P-zu-S konvertierte<br />
Wellen von der LAB werden häufig durch multiple<br />
Reflexionen in der Kruste überlagert und sind in<br />
vielen Fällen ungeeignet für LAB Beobachtungen. In den<br />
S Receiver Functions sind die multiplen Reflexionen<br />
jedoch von den Primärkonversionen zeitlich getrennt.<br />
Deshalb ist die SRF Technik für die Untersuchung der<br />
LAB sehr viel versprechend. Das Ziel unserer Arbeiten in<br />
diesem Zusammenhang ist es, die Mächtigkeit der Lithosphäre<br />
global zu kartieren. Davon versprechen wir uns<br />
zahlreiche neue Erkenntnisse über die globale Plattentektonik,<br />
da die Struktur der gesamten Lithosphäre, d. h. bis<br />
zu ihrer Unterkante, bisher kaum bekannt ist. Im Folgenden<br />
zeigen wir einige Beispiele einer solchen hoch auflösenden,<br />
bisher unerreichten Abbildung der Lithosphärenunterkante.<br />
Abb. 2.51a: Links: Geophysikalisches Observatorium in Gunungsitoli auf der Insel Nias vor der Küste Nord-Sumatras.<br />
Rechts: Installation einer neuen GEOFON-Station in Gunungsitoli im Rahmen des Tsunami-Frühwarnsystems<br />
(GITEWS). Die Daten werden über die existierende Satellitenverbindung einer meteorologischen Station ins Datenzentrum<br />
nach Jakarta übertragen (Fotos J. Saul <strong>GFZ</strong>).<br />
Left: Geophysical observatory in Gunungsitoli on Nias island off-shore Northern Sumatra. Right: Installation of a new<br />
GEOFON station in Gunungsitoli in the framework of the German-Indian Ocean Tsunami Early Warning System<br />
(GITEWS). The data are transmitted in real-time to the data center in Jakarta using the existing satellite link of a<br />
co-located meteorological station.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 2.51b: Sicher ist sicher! Vorsichtige Flussüberquerung<br />
auf der Insel Nias, Indonesien (Foto J. Saul<br />
<strong>GFZ</strong>).<br />
Saftey first! Careful river crossing on Nias island, Indonesia.<br />
Li et al. (<strong>2004</strong>) haben mit der SRF Methode die ozeanische<br />
Lithosphäre unter Hawaii abgebildet. Sie fanden eine<br />
graduelle Verdünnung der Lithosphäre entlang der Inselkette<br />
von der Hauptinsel Hawaii (~ 100 km Mächtigkeit)<br />
bis nach Kauai im Nordwesten (~ 60 km Mächtigkeit).<br />
Diese Beobachtung wird als Verjüngung (Rejuvenation)<br />
der Lithosphäre beim Überfahren des Hawaii Hotspots<br />
durch die pazifische Platte gedeutet.<br />
Kumar et al. (<strong>2005</strong>a) haben die LAB unter Island und<br />
Grönland kartiert (Abb. 2.54). Die Lithosphäre unter dem<br />
größten Teil Islands und großen Teilen Zentralgrönlands<br />
ist ungefähr 80 km mächtig. Diese Beobachtungen in<br />
Island stehen im Widerspruch zur geschätzten Mächtigkeit<br />
der elastischen Lithosphäre aus nacheiszeitlichen<br />
Abb. 2.52: Vergleich eines langperiodisch gefilterten<br />
Beschleunigungsseismogramms mit Wasserpegelmessungen<br />
des Tsunami an einer Messstation auf Diego Garcia<br />
(a) und den Kokos Inseln (b). Die Seismogramme sind in<br />
die Richtung der Maximalamplituden rotiert (N150° O für<br />
DGAR and N60° O für COCO). Die Zeitachse beginnt zur<br />
Herdzeit des Bebens.<br />
Comparison of long-period acceleration seismograms<br />
with tide gauge data at stations on Diego Garcia (a) and<br />
Cocos islands (b), recording the tsunami. The seismograms<br />
are rotated into the direction of the maximum amplitudes<br />
(N150° E for DGAR and N60° E for COCO). The<br />
time axis starts at the origin time of the earthquake.<br />
Abb. 2.53: Konzept für die Bestimmung des Bruchverlaufs des Sumatra Bebens durch Polarisationsanalyse<br />
an Einzelstationen im regionalen Bereich. Die P-Wellen-Seismogramme werden für jede Station (Dreiecke) analysiert,<br />
um die Variation des Backazimuts mit fortschreitender Zeit zu bestimmen (dünner roter Pfeil). Daraus<br />
kann dann die Bruchausbreitung vom Epizentrum aus bestimmt werden (dicker roter Pfeil). Wegen der Kürze der<br />
P-Wellen-Coda (~ 4 min) vor dem Eintreffen der S-Welle konnte nur etwa die Hälfte der Bruchlänge mit regionalen<br />
Daten bestimmt werden. Für eine<br />
Bestimmung der gesamten Länge muss<br />
man weiter entfernte Stationen hinzunehmen.<br />
Concept of determination of rupture propagation<br />
process of the Sumatra earthquake<br />
by polarisation analysis at single<br />
stations at regional distances. P wave<br />
seismograms at each station (triangles)<br />
are analysed to determine the variations<br />
of back-azimuths with increase of time<br />
(indicated by thin red arrows). The rupture<br />
propagation is then determined (red<br />
thick arrow) starting at the epicentre<br />
(star). Only half of the rupture length was<br />
determined because of a short window of<br />
P wave coda (~ 4 min) used prior to the<br />
arrival of S wave. To determine the whole<br />
rupture length we have to use more distant<br />
stations.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
249
250<br />
Abb. 2.54: (a) Karte des NW Atlantik<br />
mit den Regionen, in denen die Tiefe der<br />
Lithosphäre durch S Receiver Functions<br />
ermittelt wurde. Die dünnste Lithosphäre<br />
(40 bis 60 km) wurde bei den Jan Mayen<br />
Inseln gefunden. Entlang der Westküste<br />
Grönlands beträgt die Mächtigkeit der<br />
Lithosphäre 100 bis 120 km in Übereinstimmung<br />
mit früheren Untersuchungen.<br />
In der Region F (Ostgrönland) ist die<br />
Lithosphäre nur 70 km mächtig. Dort wird<br />
die Spur des Island Plumes vermutet (rote<br />
gestrichelte Linie). (b) Ausgewählte S Receiver<br />
Functions entlang der Plume Spur.<br />
Die Buchstaben am oberen Rand korrespondieren<br />
mit den Regionen in (a). Die Verdünnung<br />
der Lithosphäre in Ostgrönland<br />
(Region F) ist sichtbar.<br />
(a) Bathymetric map of the NW Atlantic<br />
with regions marked where the depth of<br />
the lithosphere was obtained by S receiver<br />
functions. The thinnest lithosphere<br />
(40-60 km) is found at Jan Mayen. Most<br />
of Iceland and large parts of Greenland<br />
have an 80 km thick lithosphere. Along the<br />
west coast of Greenland the lithosphere<br />
is 100-120 km thick. The lithosphere is<br />
only 70 km thick in region F in eastern<br />
Greenland, where the track of the Iceland<br />
plume is proposed (red dashed line).<br />
(b) Selected S receiver functions aligned along the plume trace. The characters on the top of the figure mark the regions<br />
described in (a). The thinning of the lithosphere in eastern Greenland (region F) is clearly visible.<br />
Hebungsdaten, die auf 10 bis 20 km Mächtigkeit hindeuten.<br />
Die große Diskrepanz ist zurzeit noch ungeklärt.<br />
Kumar et al. (<strong>2005</strong>b) haben die LAB im Tien Shan und<br />
Westtibet abgebildet (Abb. 2.55). Die Mächtigkeit der<br />
Lithosphäre schwankt zwischen 90 und 120 km unter dem<br />
Tien Shan und erhöht sich auf einen Wert von 160 km unter<br />
dem Tarim Becken. Südlich des Tarim-Beckens kann die<br />
LAB der asiatischen Lithosphäre bis in eine Tiefe von<br />
270 km unter dem zentralen Pamir und Karakorum verfolgt<br />
werden, während die indische Lithosphäre unter dem Karakoram<br />
von 130 km bis 170 km in Richtung Norden abtaucht.<br />
Die Beobachtungen zeigen ein Szenario der kontinentalen<br />
Kollision und Subduktion in Übereinstimmung mit der<br />
Seismizität und der Oberflächenwellen-Tomographie.<br />
Kumar et al. (2006) beobachteten eine dicke tibetanische<br />
Lithosphäre (> 150 km) in Zentral- und Nordtibet und<br />
einen vertikalen Sprung von ~ 50 km zwischen der indischen<br />
und der asiatischen Lithosphäre (Abb. 2.56). Die<br />
Beobachtung einer gut definierten, mächtigen Lithosphäre<br />
unter dem gesamten Plateau stimmt nicht mit Modellen<br />
der Delamination einer verdickten Mantellithosphäre<br />
in Nordtibet überein (z. B. Houseman et al., 1981), die<br />
eine sehr dünne asiatische Lithosphäre voraussagen würden.<br />
Diese Ergebnisse schlagen eine Subduktion der indischen<br />
Lithosphäre in Südtibet und eine relativ geringe<br />
Zunahme der Mächtigkeit der tibetanischen Lithosphäre<br />
nach Süden in Zentral- und Nordtibet durch Subduktion<br />
der asiatischen Lithosphäre vor.<br />
Vom Kern bis ins Weltall:Beobachtung und Untersuchung<br />
des Erdmagnetfelds<br />
Das Ziel der Arbeiten der Sektion 2.3 ist ein besseres Verständnis<br />
der räumlichen und zeitlichen Variabilität des<br />
Erdmagnetfelds und deren Ursachen. Dabei werden die<br />
Untersuchungen anhand von Magnetfeldbeobachtungen<br />
an der Erdoberfläche (Bodenmessungen) und von Satelliten<br />
aus durchgeführt. Das zentrale Problem besteht darin,<br />
dass alle gemessenen Magnetfelddaten Anteile verschiedener<br />
Quellen enthalten:<br />
• des vom Geodynamo im äußeren Erdkern erzeugten<br />
Haupt- oder Kernfelds,<br />
• des auf der permanenten Magnetisierung von Gesteinen<br />
basierenden Krustenfelds,<br />
• der von verschiedenen Stromsystemen in der Ionosphäre<br />
und Magnetosphäre erzeugten Felder, die aufgrund<br />
ihrer außerhalb der Erde liegenden Quellen zusammenfassend<br />
als externe Felder bezeichnet werden, sowie<br />
• der in Erdkruste, Erdmantel und Ozeanen durch Variation<br />
der primären Felder induzierten sekundären Felder.<br />
Eine detaillierte Zusammenfassung des Standes<br />
der Forschung auf diesem Gebiet wurde von Mandea<br />
und Purucker (<strong>2005</strong>) veröffentlicht.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Vor der wissenschaftlichen Modellierung und Interpretation<br />
steht zunächst die Gewinnung weltweiter, qualitativ<br />
hochwertiger Beobachtungen des Erdmagnetfelds, an der<br />
das <strong>GFZ</strong> Potsdam engagiert beteiligt ist.<br />
Beobachtung der Kapriolen des Magnetfelds<br />
Bodenmessungen<br />
Seit der Gründung des <strong>GFZ</strong> Potsdam gehört das Adolf-<br />
Schmidt-Observatorium für Geomagnetismus in Niemegk<br />
zur Sektion 2.3. Das Observatorium konnte <strong>2005</strong><br />
auf sein 75-jähriges Bestehen am Standort Niemegk<br />
zurückblicken, was am 7. September mit einem Festkolloquium<br />
mit Fachvorträgen und internationaler Beteiligung<br />
gewürdigt wurde (Abb. 2.57). Insgesamt, mit den<br />
Vorgängerstationen in Seddin und Potsdam, reicht die fast<br />
ununterbrochene Datenreihe sogar bis 1890 zurück und<br />
Abb. 2.55: (a) Position der seismischen<br />
Stationen (blaue Dreiecke) in der topographischen<br />
Karte von Karakorum und<br />
Tien Shan. Hauptüberschiebungen und<br />
Blattverschiebungen: MPT – Main Pamir<br />
Thrust, MKT – Main Karakoram Thrust,<br />
MMT – Main Mantle Thrust, MBT – Main<br />
Boundary Thrust, TFF – Talasso-Ferghana<br />
Fault, KF – Karakoram Fault and ATF<br />
– Altyn-Tagh Fault. (b) Seismische Sektion<br />
entlang des N-S Profils AB (rote<br />
gestrichelte Linie in a) geplottet über<br />
einer tomographischen Abbildung der<br />
Region (Friederich, 2003). Punkte zeigen<br />
Erdbebenhypozentren (Engdahl et al.,<br />
1998) entlang einer 100 km breiten Zone<br />
um die Linie AB. Im oberen Teil der Abbildung<br />
ist die Topographie entlang des Profils<br />
dargestellt.<br />
(a) Location of seismic stations (inverted<br />
blue triangles) on the topographic map of<br />
Karakoram and Tien Shan. Major thrust<br />
and strike-slip faults: MPT – Main Pamir<br />
Thrust, MKT – Main Karakoram Thrust,<br />
MMT – Main Mantle Thrust, MBT – Main<br />
Boundary Thrust, TFF – Talasso-Ferghana<br />
Fault, KF – Karakoram Fault and ATF<br />
– Altyn-Tagh Fault. (b) Seismic section<br />
along the profile AB extending south to<br />
north (red dashed line in a) overlaid on<br />
the tomographic image (Friederich, 2003)<br />
of the region. Dots are the earthquake<br />
hypocenters (Engdahl et al., 1998) along<br />
the line in a 100 km wide zone. The top<br />
panel indicates the topography along the<br />
profile.<br />
gehört damit zu den längsten weltweit. Lange, kontinuierliche<br />
Zeitreihen von Magnetfelddaten sind von entscheidender<br />
Bedeutung für das Verständnis der langsamen<br />
Säkularvariation des magnetischen Kernfelds. Neben der<br />
Messung und Aufbereitung der an magnetischen Observatorien<br />
üblichen Datenprodukte obliegt dem Observatorium<br />
Niemegk im Auftrag der International Association<br />
of Geomagnetism and Aeronomy (IAGA) die Berechnung<br />
und Veröffentlichung des kp-Index, einer häufig verwendeten<br />
Maßzahl für die magnetische Aktivität.<br />
In den letzten Jahren wurden die Aktivitäten des Observatoriums<br />
Niemegk international ausgeweitet, um eine<br />
bessere globale Verteilung magnetischer Bodendaten zu<br />
erzielen. Die im Folgenden beschriebenen Projekte sind<br />
in Abb. 2.58 zusammenfassend dargestellt. Schon seit 2000<br />
wird das Erdmagnetische Observatorium Wingst, zwischen<br />
Hamburg und Cuxhaven, in Kooperation des <strong>GFZ</strong> Pots-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
251
252<br />
Abb. 2.56: (a) Topographische Karte von Tibet mit seismischen Stationen. Die wichtigsten tektonischen Störungszonen<br />
sind markiert: ZS – Yarlung-Zangbo Suture, BNS – Bangong-Nujiang Suture, JRS – Jinsha River Suture und KF – Kunlun<br />
fault. (b) Summierte S-Receiver Functions entlang der Profile AB, CD und EF in (a). Die linke Ordinate kennzeichnet<br />
die Verzögerungszeit der LAB, die rechte Ordinate die approximierte Tiefenskala. Die Tiefe der Moho-Diskontinuität<br />
schwankt zwischen 60 und 80 km unter Tibet. Die LAB variiert zwischen 150 und 210 km, mit einem Sprung<br />
von ca. 50 km südlich der BNS. (c) Skizze der Kollision der Indischen und Asiatischen Lithosphärenplatten, zusammenfassend<br />
nach Ergebnissen von S Receiver Functions (S-rf) und P Receiver Functions (P-rf) Analysen. Die Beobachtungen<br />
weisen auf eine Subduktion der indischen und der asiatischen Lithosphäre hin. Die Indische Platte taucht südlich<br />
der BNS in den Mantel ab. Die asiatische Lithosphäre scheint in einem früheren, flacheren Zustand der Subduktion<br />
zu sein und trägt vermutlich zum Wachstum des tibetanischen Plateaus bei (Tapponnier, 2001). Die oberen Grenzen<br />
der indischen und asiatischen Mantel-Lithosphäre wurde mit P Receiver Functions (Kosarev et al., 1999; Kind et<br />
al., 2002) ermittelt, während die Unterkante aus S Receiver Functions bestimmt wurde. Die Mohotiefe, bestimmt aus<br />
P und S Receiver Functions, verläuft relativ glatt zwischen 80 und 60 km (Yuan et al., 1997, Kind et al., 2002). Gestrichelte<br />
Linien zeigen eine Zone hoher Scherwellengeschwindigkeit aus einer Tomographiestudie von Griot et al. (1998),<br />
nach Tapponnier et al. (2001).<br />
(a) Topographic map of Tibet with locations of seismic stations. The main tectonic boundaries dividing Tibet into different<br />
terranes are marked, ZS – Yarlung-Zangbo Suture, BNS – Bangong-Nujiang Suture, JRS – Jinsha River Suture and<br />
KF – Kunlun fault. (b) Stacked S-receiver functions along profiles AB, CD and EF in (a). The left ordinate marks the<br />
arrival time, the right ordinate is the approximate depth scale. The Moho depth varies between 60 and 80 km across<br />
Tibet. The LAB depth varies between 150 and 210 km, with a step of about 50 km south of the BNS. (c) Sketch illustrating<br />
the collision of the Indian and Asian lithospheric plates summarizing the results of S receiver function (S-rf) analysis<br />
and earlier P receiver function (P-rf) results. The observations suggest subduction of both the Indian and Asian<br />
lithospheres. The Indian plate is penetrating into the mantle south of the BNS. The Asian subduction appears to be at a<br />
lithospheric scale, probably contributing to the growth of the Tibetan plateau (Tapponnier, 2001). The upper boundaries<br />
of the Indian and Asian lithospheres are constrained by the P receiver functions (Kosarev et al., 1999; Kind et al., 2002),<br />
while the lower boundaries are determined by S receiver functions. The Moho depth, constrained by P and S receiver<br />
functions, varies smoothly between 80 and 60 km (Yuan et al., 1997; Kind et al., 2002). Green dashed lines indicate a<br />
zone of high shear wave velocity from the tomography study of Griot et al. (1998), after Tapponnier et al. (2001).<br />
dam mit dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie<br />
betrieben. Mit Ausscheiden des dortigen Observators<br />
in den Ruhestand obliegt die Datengewinnung und<br />
-verarbeitung seit <strong>2004</strong> dem Observatorium Niemegk.<br />
Seit 2002 besteht eine Kooperation mit der Universität<br />
Mayor de San Andres, La Paz (Bolivien) zum Betrieb eines<br />
2003 neu eingerichteten Observatoriums Villa Remedios.<br />
Nach anfänglichen Schwierigkeiten und Problemen mit<br />
den Messgeräten konnte <strong>2005</strong> ein zuverlässiger Betrieb<br />
dieses Observatoriums entsprechend den aktuellen Qualitätsanforderungen<br />
erreicht werden, wozu unter anderem<br />
eine erneute Schulung zweier bolivianischer Kollegen am<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 2.57: Teilnehmer des Festkolloquiums anlässlich<br />
des 75-jährigen Bestehens des Adolf-Schmidt-<br />
Observatoriums für Geomagnetismus des GeoForschungsZentrums<br />
Potsdam am Standort Niemegk (Foto:<br />
H.-D. Scherz).<br />
Participants of the colloquium celebrating the 75 anniversary<br />
of the Geomagnetic Adolf-Schmidt-Observatory<br />
of <strong>GFZ</strong> Potsdam at the location of Niemegk.<br />
Abb. 2.58: Beiträge des GeoForschungsZentrums Potsdam zu geomagnetischen Bodenmessungen weltweit: Vom Adolf-<br />
Schmidt-Observatorium Niemegk (rot) werden zunehmend weitere Observatorien weltweit in Kooperation mit anderen<br />
Institutionen betrieben (lila). In blau die weiteren am internationalen Datenverbund INTERMAGNET teilnehmenden<br />
Observatorien. Die grauen Linien zeigen die aktuelle Verteilung der magnetischen Deklination in Grad. Zusätzlich führt<br />
das Observatorium Niemegk Säkularpunktmessungen in Deutschland (rot), durch, die seit <strong>2004</strong> in den Rahmen des<br />
europäischen MagNetE-Projekts (grün) fallen, sowie seit <strong>2005</strong> in Kooperation mit dem Hermanus Magnetic Observatory<br />
auch im südlichen Afrika (lila, INKABA ye AFRICA Projekt).<br />
Contributions of <strong>GFZ</strong> Potsdam to global geomagnetic ground measurements: Geomagnetic Adolf-Schmidt-Observatory<br />
in Niemegk (red) is operating an increasing number of observatories worldwide in cooperation with other institutions<br />
(purple). Blue dots are further geomagnetic observatories contributing to the international INTERMAGNET data<br />
exchange and the grey lines show the current distribution of magnetic declination in degrees. Moreover, the Niemegk<br />
observatory carries out repeat station measurements in Germany (red), since <strong>2004</strong> in the framework of the European<br />
MagNetE project (green), and since <strong>2005</strong> also in southern Africa in cooperation with Hermanus Magnetic Observatory<br />
(purple, INKABA ye AFRICA project).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
253
254<br />
Observatorium Niemegk beitrug. Im Jahr <strong>2005</strong> wurde darüber<br />
hinaus das Observatorium Panagjurishte des Geophysikalischen<br />
Instituts der Bulgarischen Akademie der<br />
Wissenschaften vom <strong>GFZ</strong> Potsdam mit modernen Geräten<br />
ausgestattet, damit deren Messwerte den heutigen<br />
Standards entsprechen. In Keetmanshoop, Namibia,<br />
wurde Ende des Jahres <strong>2005</strong> in Kooperation mit dem Hermanus<br />
Magnetic Observatory, Südafrika, ein weiteres geomagnetisches<br />
Observatorium neu errichtet (Abb. 2.59).<br />
Neben magnetischen Observatorien, deren Daten kontinuierlich<br />
und aktuell der Wissenschaft zur Verfügung stehen,<br />
werden in einigen Ländern in definierten Zeitabständen<br />
zusätzliche Bodenmessungen, so genannte Säkularpunktmessungen,<br />
durchgeführt. Sie dienen insbesondere der<br />
regionalen Kartierung der Deklination des Magnetfelds für<br />
praktische Zwecke. Andererseits können sie wertvolle<br />
Informationen zur Struktur der Säkularvariation und damit<br />
über den Geodynamo liefern, wenn sie auf die richtige<br />
Weise durchgeführt werden. Unsere Arbeiten haben gezeigt,<br />
dass globale Magnetfeldmodelle die Säkularvariation in<br />
Europa nicht vollständig beschreiben. Es gibt regionale<br />
Abweichungen, die möglicherweise auf Induktionseffekte<br />
des variierenden Hauptfelds in der Lithosphäre zurückzuführen<br />
sein könnten. Ob solche Effekte die beobachtete<br />
Säkularvariation beeinflussen, konnte bisher weder nachgewiesen<br />
noch widerlegt werden. Ein merklicher Einfluss<br />
solcher Effekte müsste bei der Interpretation der Säkularvariation<br />
im Hinblick auf den Geodynamoprozess berücksichtigt<br />
werden. Eine höhere räumliche Datendichte ist<br />
nötig, um diese Abweichungen zu verstehen.<br />
Europa ist der Kontinent mit der höchsten Dichte an geomagnetischen<br />
Bodenmessungen. Da jedoch Säkularpunktvermessungen<br />
früher unabhängig voneinander in den einzelnen<br />
Ländern durchgeführt wurden, sind die älteren<br />
Daten aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen Qualität und<br />
raum-zeitlichen Verteilung kaum zur genaueren Untersuchung<br />
dieser regionalen Strukturen geeignet. Erst 2003<br />
wurden auf einem vom Observatorium Niemegk initiierten<br />
europäischen Workshop Richtlinien zur Vereinheitlichung<br />
dieser Messungen in Europa erarbeitet. <strong>2004</strong> fand<br />
die erste koordinierte Säkularpunkvermessung im Rahmen<br />
dieses MagNetE (Magnetic Network of Europe) Projekts<br />
auf dem neuen europäischen Punktnetz statt, zu dem<br />
das Observatorium Niemegk mit schon früher vermessenen<br />
44 Punkten in Deutschland beiträgt. Folgemessungen<br />
sind in zweijährigem Abstand geplant.<br />
Die stärkste Abnahme des Erdmagnetfelds ist in der<br />
Gegend des südlichen Afrika und Atlantik zu beobachten.<br />
Auch die Richtungsänderung des Magnetfelds unterscheidet<br />
sich dort regional stark. Hier befindet sich ein Gebiet<br />
mit einem dem normalen Dipolfeld gegenläufigen magnetischen<br />
Fluss an der Kern-Mantel-Grenze, eine Beobachtung,<br />
die als mögliches Vorzeichen einer bevorstehenden<br />
Feldumkehr interpretiert wird. Gleichzeitig gibt es in<br />
dieser Region wenig magnetische Observatorien. Die drei<br />
seit längerem bestehenden Observatorien Hermanus,<br />
Hartebeesthook und Tsumeb in Südafrika bzw. Namibia<br />
liegen jeweils mehr als 1.000 km voneinander entfernt. Im<br />
Rahmen des INKABA ye AFRICA-Projekts wurde <strong>2005</strong><br />
in Kooperation mit dem Hermanus Magnetic Observato-<br />
Abb. 2.59: Magnetfeldmessungen im südlichen Afrika. Die oberen Bilder zeigen die Durchführung von Messungen<br />
an Säkularpunkten. Unten ist der Aufbau einer thermisch isolierten Kiste für die kontinuierlich registrierenden<br />
Geräte am neuen Observatorium Keetmanshoop, Namibia, zu sehen (Fotos: M. Mandea, M. Korte und H.-J. Linthe,<br />
<strong>GFZ</strong>).<br />
Magnetic field measurements in Southern Africa. The upper photos show two of the repeat stations. In the lower picture<br />
a thermally insulated box for the recording instruments of the new observatory Keetmanshoop, Namibia, is constructed.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
y eine Messkampagne an 40 Säkularpunkten – verteilt<br />
über Südafrika, Namibia und Botswana – durchgeführt,<br />
die als Auftakt zur regelmäßigen Beobachtung der Säkularvariation<br />
an diesen Punkten dienen soll (Abb. 2.59). Die<br />
qualitativ hochwertigen Daten und geplanten Folgemessungen<br />
an den Stationen versprechen wertvolle Informationen<br />
über die detaillierte Säkularvariation und der für<br />
sie ursächlichen Vorgänge tief im Innern der Erde.<br />
Der Satellit CHAMP<br />
Seit dem Start des Satelliten CHAMP am 15.07.2000 verfügt<br />
das <strong>GFZ</strong> über die Möglichkeit, das geomagnetische<br />
Feld auch vom Weltraum aus zu registrieren. Auf seiner<br />
niedrigen, polaren Umlaufbahn ermöglicht der Satellit<br />
Magnetfeldmessungen mit bisher nicht erreichter Auflösung.<br />
Im Juli des letzten Jahres wurde im Rahmen eines<br />
Symposiums am <strong>GFZ</strong> auf die ersten fünf Jahre der erfolgreichen<br />
Mission zurückgeblickt. Mit Blick auf die Orbitentwicklung<br />
und den guten Zustand der Instrumente kann<br />
mit einer Lebensdauer von drei weiteren Jahren gerechnet<br />
werden.<br />
Der erfolgreiche Betrieb des Satelliten und seiner Datenübertragung<br />
beruht zu einem großen Teil auf der Erfahrung<br />
und dem sorgfältigen Betrieb des Raumfahrzeugs<br />
durch das DLR. Die am <strong>GFZ</strong> durchgeführte Datenprozessierung<br />
wurde aus Mitteln des GEOTECHNOLO-<br />
GIEN-Programms unterstützt und kann nach einer Verlängerung<br />
der Förderung für weitere drei Jahre fortgesetzt<br />
werden. Unser Ziel ist es, die CHAMP-Mission zeitlich<br />
so nahe wie möglich an die Nachfolge-Mission Swarm<br />
heran betreiben zu können.<br />
Die ESA-Magnetfeldmission Swarm<br />
Die European Space Agency (ESA) hat<br />
im Mai <strong>2004</strong> die Multi-Satellitenmission<br />
Swarm im Rahmen ihres Erdbeobachtungsprogramms<br />
als „Opportunity Mission“<br />
zur hochgenauen Erforschung des<br />
Erdmagnetfelds ausgewählt. Die Konstellation<br />
umfasst drei Raumfahrzeuge, die<br />
in genau vorgegebener Formation fliegen.<br />
Ein Satellitenpaar wird in 450 km Höhe<br />
auf Kreisbahnen nebeneinander fliegen.<br />
Am Äquator sind sie 150 km getrennt,<br />
und an den Polen überkreuzen sie sich.<br />
Ein weiter Satellit wird in 530 km Höhe,<br />
ebenfalls auf einer polaren Kreisbahn<br />
seine Messungen vornehmen.<br />
Im Rahmen von der ESA finanzierten<br />
Machbarkeitsstudien wurden im Vorfeld<br />
Mess-Szenarien der Multi-Satelliten-<br />
Konfiguration simuliert. Als Ergebnis<br />
dieser Studien, die unter Leitung des<br />
Danish Space Research Institute und mit<br />
signifikanter Beteiligung des <strong>GFZ</strong> durchgeführt<br />
wurden, war die erreichbare Auflösung<br />
der Magnetfeldmessungen bei<br />
Nutzung einer optimalen Satelliten-Konstellation gefragt.<br />
Die äußerst positiven und überzeugenden Ergebnisse der<br />
Studie (Olsen et al., <strong>2004</strong>) haben sicher eine wichtige Rolle<br />
bei der Auswahl der Swarm-Mission aus einem Angebot<br />
von sechs Vorschlägen gespielt. Wesentliche Beiträge des<br />
<strong>GFZ</strong> zu den Vorstudien haben ihren Niederschlag in Veröffentlichungen<br />
gefunden (z. B. Friis-Christensen et al.,<br />
2006; Maus et al., 2006; Olsen et al., 2006).<br />
Abb. 2.60 zeigt schematisch die Verteilung der drei<br />
CHAMP-ähnlichen Satelliten im Orbit. Ende <strong>2005</strong> hat<br />
ESA den Zuschlag für den Bau der Satelliten an ein<br />
Industrieteam unter Leitung von Astrium, Friedrichshafen,<br />
vergeben. Das <strong>GFZ</strong> ist an dem Konsortium beteiligt<br />
und wird mit seinen CHAMP-Erfahrungen wesentlich<br />
zur Qualität der Satelliten beitragen können. Der Start<br />
der drei Raumfahrzeuge ist für 2010 vorgesehen. Daran<br />
schließt sich eine Messphase von mindestens vier Jahren<br />
an. Die Swarm-Mission im Anschluss an Ørsted und<br />
CHAMP ist als Beitrag der Magnetfeldforschung zu der<br />
IUGG Initiative Decade of Geopotential Studies zu<br />
sehen. Damit werden die empfohlenen Magnetfeldregistrierungen<br />
aus dem All über mehr als einen Solarzyklus<br />
realisiert.<br />
In ESA-finanzierten, vorbereitenden Studien wurde nachgewiesen,<br />
dass die Konstellation von mehreren Satelliten<br />
es erstmalig erlaubt, bestimmte Phänomene an Hand ihrer<br />
magnetischen Signaturen nachzuweisen. In zwei Studien,<br />
die während der Phase A vom <strong>GFZ</strong> Potsdam durchgeführt<br />
wurden, konnte gezeigt werden, mit welcher Genauigkeit<br />
sich ionosphärische Ströme und Ozeanzirkulationen mit<br />
der Swarm-Mission nachweisen lassen.<br />
Abb. 2.60: Schematische Darstellung der Bahnkonfiguration der drei<br />
Swarm-Satelliten. Mit einer solchen Konstellation lassen sich die Details<br />
des geomagnetischen Felds besonders gut auflösen.<br />
Sketch of the Swarm three-satellite orbit configuration. This formation is<br />
optimal to resolve the details of the geomagnetic field.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
255
256<br />
Abb. 2.61: Vergleich einer vorgegebenen Stromverteilung mit den aus der Swarm-Konstellation berechneten Stromdichten.<br />
Die Karten zeigen die Verteilung der feld-parallelen Ströme (FACs) in der nördlichen Polarregion. Links:<br />
Modell-Ströme für mittlere magnetische Aktivität, Mitte: aus hypothetischen Swarm-Daten berechnete Stromdichten<br />
für ca. 30 Überflüge, rechts: Differenz zwischen berechneten und vorgegebenen Strömen. Der Vergleich zeigt eine gute<br />
Überseinstimmung. Es ergeben sich keine systematischen Abweichungen.<br />
Comparison of input model currents and current densities derived from the Swarm constellation. The maps show the<br />
distribution of field-aligned currents in the northern polar region. Left: Model current distribution for moderate magnetic<br />
activity, middle: current densities computed from hypothetic Swarm data for about 30 orbits, right: differences<br />
between derived and input currents. The small differences confirm the high quality of the determined currents. There<br />
are no systematic deviations.<br />
Elektrische Ströme, die entlang der magnetischen Feldlinien<br />
fließen, spielen eine entscheidende Rolle bei der<br />
Übertragung von Energie aus dem Sonnenwind in die<br />
Hochatmosphäre polarer Breiten. An magnetisch gestörten<br />
Tagen kann dieser Energieeintrag lokal den der Sonnenstrahlung<br />
übersteigen. Diese feldparallelen Ströme,<br />
kurz FACs genannt, können durch die Mehrpunkt-Messungen<br />
in der Ionosphäre eindeutig quantifiziert werden.<br />
Wie in der ESA-geförderten Studie gezeigt werden konnte,<br />
lassen sich Vektoroperationen mit quasi gleichzeitigen<br />
aber räumlich getrennten Magnetfeldmessungen ausfüh-<br />
ren. Wendet man hierauf das ampèresche Gesetz an, bekommt<br />
man eindeutige Werte für den Strom, der die umspannte<br />
Fläche durchfließt. Die im Abstand von etwa<br />
100 km fliegenden Satelliten A und B nehmen zum Zeitpunkt<br />
t1 gleichzeitig Messdaten auf. Ein weiteres Messpaar,<br />
registriert fünf Sekunden später zur Zeit t2, komplettiert<br />
das erforderliche Quartett. Durch geeignete Auswertung<br />
der Daten lassen sich die FACs, die das Quadrat<br />
durchfließen, eindeutig bestimmen. Die Swarm-Mission<br />
bietet damit erstmalig die Möglichkeit, diese für die Dynamik<br />
der Hochatmosphäre wichtigen Ströme zuverlässig<br />
zu ermitteln. Abb. 2.61 zeigt an einem Beispiel, gewon-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
nen aus Modellrechnungen, mit welcher Präzision sich die<br />
feldparallele Stromdichte reproduzieren lässt (Ritter and<br />
Lühr, 2006).<br />
Das Erdmagnetfeld als Summe komplizierter Prozesse<br />
Neuigkeiten vom Geodynamo<br />
Ein wichtiges Ziel der Arbeit der Sektion 2.3., Erdmagnetfeld,<br />
ist ein besseres Verständnis des Geodynamoprozesses.<br />
Die Änderungen des magnetischen Hauptfelds, genannt<br />
Säkularvariation, liefern wichtige Informationen darüber.<br />
Die Variationen des Geodynamos finden auf einem breiten<br />
Spektrum von Zeitskalen statt, von abrupten Variationen –<br />
so genannten geomagnetischen Jerks – bis hin zu Exkursionen<br />
und Umkehrungen des gesamten Magnetfelds.<br />
Anhand von Satelliten- und Observatoriums- sowie Säku-<br />
larpunktdaten lassen sich die kurzperiodischen Variationen<br />
mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung studieren.<br />
Globale, durch Inversionsverfahren auf den Daten basierende<br />
Magnetfeldmodelle werden entwickelt, um die Geodynamoprozesse<br />
zu beschreiben und zu interpretieren.<br />
Mit dem in den Vorjahren entwickelten besseren Verständnis<br />
der externen und im Ozean induzierten Feldanteile<br />
konnte auch die Beschreibung des Kernfelds aus den<br />
Daten des Satelliten CHAMP entscheidend verbessert werden.<br />
Das „POtsdam Magnetic Model of the Earth“,<br />
POMME (Maus et al., <strong>2005</strong>a) beschreibt das Kernfeld und<br />
insbesondere dessen momentane Säkularvariation mit nie<br />
zuvor erreichter Genauigkeit.<br />
Zu den Arbeiten der Sektion 2.3. gehörten im Rahmen des<br />
DFG-Schwerpunktprogramms „Erdmagnetische Variationen“<br />
durchgeführte detaillierte Untersuchungen der<br />
Abb. 2.62: Radiale Komponente des Magnetfelds an der Kern-Mantel-Grenze für den Zeitraum um 1990. In den blauen<br />
Bereichen weisen die Magnetfeldlinien in den Kern hinein, während sie in den roten Bereichen heraustreten.<br />
Radial component of the magnet field at the core-mantle boundary for the epoch 1990. The field lines are directed<br />
inward in the blue and outward in the red areas respectively.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
257
258<br />
Säkularvariation des Erdmagnetfelds im Zeitraum 1980<br />
bis 2000. Die beiden Endpunkte des Zeitintervalls sind so<br />
gewählt, dass sie mit den Satellitenmissionen MAGSAT,<br />
1980, und CHAMP, ØRSTED, seit 2000, zusammenfallen.<br />
Die Methode, die bei diesem Vorhaben im Rahmen<br />
einer Doktorarbeit (Wardinski, <strong>2005</strong>) entwickelt wurde,<br />
besteht darin, eine räumlich und zeitlich kontinuierliche<br />
Beschreibung des Erdmagnetfelds aus den Daten von ortsgebundenen<br />
magnetischen Observatorien und Säkularpunkten<br />
abzuleiten. Die Hauptfeldmodelle der Satellitenmissionen<br />
für 1980 und 2000 dienen dabei als Randbedingungen<br />
für das zeitliche Modell des Erdmagnetfelds.<br />
So lassen sich die Informationen aus der hohen räumlichen<br />
Dichte der Satellitendaten und die zeitlich kontinuierlichen,<br />
aber räumlich limitierten Bodendaten zu einer kontinuierlichen<br />
raum-zeitlichen Beschreibung des Hauptfelds<br />
und seiner Säkularvariation der letzten 20 Jahre mit<br />
höchstmöglicher Auflösung vereinen. Abb. 2.62 zeigt die<br />
radiale Komponente des Magnetfelds an der Kern-Mantel-Grenze,<br />
dabei stellt sich das Feld im Wesentlichen als<br />
dipolar dar. Die Kernfragen dieser Untersuchung sind auf<br />
das Verstehen der kurzzeitigen Säkularvariation des Erdmagnetfelds,<br />
insbesondere der Geomagnetischen Jerks,<br />
und der Prozesse, die mit diesen einhergehen, ausgerichtet.<br />
Geomagnetische Jerks sind abrupte Änderungen in der<br />
Säkularvariation, die besonders deutlich in der Ost-Komponente<br />
des Magnetfelds zu beobachten sind. Inwieweit<br />
Jerks ein weltweites Phänomen sind, ist noch nicht geklärt,<br />
da zumindest zeitliche Verschiebungen im Auftreten in<br />
verschiedenen Regionen, insbesondere zwischen der Nordund<br />
Südhalbkugel, beobachtet werden (Chambodut and<br />
Mandea, <strong>2005</strong>) und auch die Darstellung von Jerks an der<br />
Kern-Mantel-Grenze starke regionale Unterschiede aufweist<br />
(Dormy and Mandea, <strong>2005</strong>).<br />
Die beobachtete Säkularvariation ist im Zeitraum 1980 bis<br />
2000 sehr facettenreich. So wurden drei geomagnetische<br />
Jerks beobachtet; einer auf der Südhalbkugel (1983), die<br />
zwei anderen auf der Nordhalbkugel (1991 und 1999). Die<br />
Ursachen dieses Phänomens sind weitgehend unklar, doch<br />
liegt die Vermutung nahe, dass sie entweder mit Prozessen<br />
an der Kern-Mantel-Grenze oder mit den magnetischen<br />
Filtereigenschaften des Mantels zusammenhängen.<br />
Eine Möglichkeit, Prozesse an der Kern-Mantel-Grenze<br />
genauer zu untersuchen, besteht darin, das zeitliche<br />
Modell des Erdmagnetfelds und der Säkularvariation für<br />
die Fluidbewegung des flüssigen Erdkerns an seiner Grenze<br />
zum Mantel zu invertieren. Dabei verwendet man die<br />
Induktionsgleichung unter Vernachlässigung der magnetischen<br />
Diffusion. Das ist die sogenannte Frozen Flux<br />
Hypothese, die im wesentlichen besagt, dass die beobachtete<br />
zeitliche Änderung des Magnetfelds einzig durch<br />
die Advektion der Magnetfeldlinien bestimmt ist, dass die<br />
Magnetfeldlinien im flüssigen Eisen des äußeren Kerns<br />
eingefroren sind. Diese Annahme ist nur für Zeitskalen<br />
kürzer als 100 Jahre gültig. Weitere Annahmen sind erforderlich,<br />
um zu einer robusten Abschätzung der Fluidbewegung<br />
an der Kern-Mantel-Grenze zu gelangen. Eine der<br />
meistverwendeten Annahmen ist, dass die Fluidbewegung<br />
in einer Fläche tangential zum äußeren Kern geostrophisch<br />
ist, d. h. entscheidend für die Fluidbewegung sind<br />
die Druckgradientkraft und die Corioliskraft. Diese Annahme<br />
findet auch Anwendung in der Meterologie bei der<br />
Berechnung der Trajektorien von Tief- und Hochdruckgebieten.<br />
Die vorläufigen Resultate der Analyse der Fluidbewegung<br />
zeigen, dass die Morphologie der Fluidbewegung<br />
sich im Zeitraum 1980 bis 2000 nur wenig ändert<br />
(Abb. 2.63), aber die Morphologie der Beschleunigung,<br />
Abb. 2.63: Fluidbewegung an der Kern-Mantel-Grenze für den Zeitraum um 1990. Die Vektorpfeile stellen Geschwindigkeit<br />
und Richtung der Bewegung dar. Die roten Bereiche markieren Zonen mit abtauchender Bewegung, wohingegen<br />
die blauen Bereiche Zonen mit emporstrebender Bewegung kennzeichnen. Die Struktur des Geschwindigkeitsfelds<br />
ändert sich während des Zeitraums 1980 bis 2000 kaum.<br />
Tangential geostrophic fluid flow for 1990. The vectors describe the velocity and direction of the fluid motion at the<br />
core-mantle boundary. The colour scale shows the intensity of the horizontal divergence, upwelling (blue) and downwelling<br />
(red) of the fluid flow. The pattern of the fluid flow changes only marginally during the period 1980 to 2000.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
kurz bevor geomagnetische Jerks beobachtet werden,<br />
große Änderungen zeigt. Dieses Ergebnis bedarf weiterer<br />
Untersuchung. Aber auch Untersuchungen der Variation<br />
der Tageslänge von Holme und DeViron (<strong>2005</strong>) weisen<br />
darauf hin, das geomagnetische Jerks mit Beschleunigungen<br />
der Bewegung des Erdkerns einhergehen.<br />
Da das gesamte Spektrum der Hauptfeldvariationen Teil<br />
des Geodynamoprozesses ist, ist auch die Untersuchung<br />
der länger periodischen Eigenschaften der Säkularvariation<br />
für ein besseres Verständnis wichtig. Direkte Beobachtungen<br />
des Erdmagnetfelds reichen bis ins 16. Jahrhundert<br />
zurück. Die Magnetfeldstärke konnte allerdings<br />
erst seit 1840 bestimmt werden, als Carl Friedrich Gauß<br />
ein entsprechendes Messverfahren entwickelte. Diese<br />
Beobachtungen decken also nur einen kleinen Teil des<br />
Spektrums der Magnetfeldvariationen ab. Informationen<br />
über länger periodische Variationen können aus archäound<br />
paläomagnetischen Daten gewonnen werden. Gebranntes<br />
archäologisches Material, vulkanisches Gestein und<br />
Sedimente können Magnetfeldrichtung und -stärke zur<br />
Zeit ihrer Entstehung gewissermaßen einfrieren. Die Anzahl<br />
solcher verfügbaren Datensätze von verschiedenen<br />
Orten weltweit steigt ständig. Einzelne, regionale Datensätze<br />
lassen nur begrenzt Rückschlüsse auf die globalen<br />
Prozesse zu. Wir haben die aktuellen Modellierungsmethoden,<br />
wie sie für Observatoriums- und Satellitendaten<br />
verwendet werden, auf global verteilte archäo- und paläomagnetische<br />
Daten der letzten 7.000 Jahre angewandt<br />
(Korte et al., <strong>2005</strong>; Korte and Constable, <strong>2005</strong>a), um<br />
gegenwärtige kontinuierliche Magnetfeldbeschreibungen<br />
zu verlängern und so das Spektrum der global untersuchbaren<br />
Charakteristika der Säkularvariation zu erweitern.<br />
Das Modell CALS7K (model from Continuous Archäoand<br />
Lake Sediment data of the past 7k years) hat aufgrund<br />
der schlechteren globalen Verteilung und größeren Unsicherheiten<br />
der Daten zwangsläufig eine schlechtere Auflösung<br />
als aktuelle Modelle, beschreibt aber zuverlässig<br />
die großräumige Säkularvariation im Periodenbereich von<br />
Jahrhunderten bis Jahrtausenden. Das Modell wird gegenwärtig<br />
verwendet, um die globale Verteilung und eventuell<br />
vorhandene Periodizitäten zu studieren und um Rückschlüsse<br />
über die Flüssigkeitsbewegungen im äußeren<br />
Erdkern zu ziehen. Die äquivalente Modellierungsmethode<br />
ermöglicht den direkten Vergleich mit Resultaten aus<br />
Studien des aktuellen Magnetfelds und der kurzperiodischen<br />
Säkularvariation.<br />
Eines der wichtigsten Ergebnisse, die bisher aus CALS7K<br />
gewonnen wurden, ist die Beschreibung der Entwicklung<br />
des Dipolmoments seit 5.000 v. Chr. mit guter zeitlicher<br />
Auflösung (Abb. 2.64). Da ein einfaches, gegenüber der<br />
Drehachse der Erde leicht geneigtes Dipolfeld über 90 %<br />
des an der Erdoberfläche beobachteten Magnetfelds beschreibt,<br />
ist das Dipolmoment ein Maß für die globale<br />
Stärke des Erdmagnetfelds. Seit dem Beginn der Intensitätsmessungen<br />
1840 hat das Dipolmoment um 10 % abgenommen.<br />
Diese starke Abnahme des Magnetfelds ist beun-<br />
Abb. 2.64: Das geomagnetische Dipolmoment der letzten 7.000 Jahre und seine zeitliche Änderung. Erst die neue<br />
globale Modellierung CALS7K (rote Kurve) hat gezeigt, dass frühere Abschätzungen des Dipolmoments nur aus<br />
Archäo-Intensitätsdaten (VADMs) zu hoch liegen (Symbole). Im vergrößert dargestellten rechten Teil der Abbildung<br />
ist die gute Übereinstimmung mit dem auf historischen und aktuellen Daten basierenden Dipolmoment des GUFM-<br />
Modells (blau, Jackson et al., 2000) zu sehen. Die Abweichung (innerhalb der Fehlergrenzen) zwischen CALS7K und<br />
GUFM ist auf die beschränkte zeitliche Auflösung des CALS7K Modells zurückzuführen. Das Ergebnis der globalen<br />
Modellierung liefert jedoch eine wesentlich bessere zeitliche Auflösung als die früheren, über 500 bis 1.000 Jahre<br />
gemittelten VADM-Abschätzungen. Die<br />
hohe Variabilität des Dipolmoments wird<br />
besonders in den Ab- und Zunahmeraten<br />
(unten) deutlich.<br />
The geomagnetic dipole moment of the<br />
past 7000 years and its temporal change.<br />
The new global model CALS7K (red)<br />
shows that previous VADM results purely<br />
from archaeointensity data (symbols) are<br />
systematically biased high. The expanded<br />
right part of the figure confirms the good<br />
agreement between CALS7K and GUFM,<br />
a model based on historical data (blue,<br />
Jackson et al., 2000). The deviation of the<br />
two models (within the error estimates) is<br />
due to the limited temporal resolution of<br />
CALS7K. However, the temporal resolution<br />
in the global modelling approach is<br />
highly improved compared to VADM estimates,<br />
which are averaged over 500 to<br />
1000 years. The high variability of the<br />
dipole moment becomes most obvious<br />
when looking at rates of change (lower<br />
panel).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
259
260<br />
ruhigend, da das Feld unseren Lebensraum vor dem Einfluss<br />
des Sonnenwinds schützt. Bei starken magnetischen<br />
Stürmen und einer Verstärkung des Sonnenwinds nach<br />
Sonneneruptionen sind schon heute in hohen Breiten Ausfälle<br />
von Satelliten, Stromausfälle und Beeinträchtigungen<br />
des Flugverkehrs durch Probleme im Funkverkehr und<br />
erhöhte Strahlungsdosen zu beobachten. Eine weitere<br />
deutliche Abnahme des Magnetfelds würde in Zukunft<br />
zu einer globalen Zunahme solcher Probleme führen.<br />
Auch gibt es Spekulationen, dass die starke Abnahme der<br />
Beginn einer Feldumkehr sein könnte, wie sie zuletzt vor<br />
780.000 Jahren stattgefunden hat. Die Variationen des<br />
Dipolmoments in der Vergangenheit können Hinweise auf<br />
zu erwartende Änderungen geben. Bisher waren die Änderungen<br />
des Dipolmoments der letzten Jahrtausende nur<br />
aus der Beschreibung durch virtuelle axiale Dipolmomente,<br />
VADMs, bekannt. VADMs werden aus einzelnen<br />
Paläointensitätsmessungen gewonnen, sind gegenüber<br />
dem echten Dipolmoment jedoch als Einzelergebnisse<br />
stark durch Nicht-Dipolanteile des Felds verfälscht. Es<br />
wurde angenommen, dass durch Mittelung über global<br />
verteilte Ergebnisse und einige hundert bis tausend Jahre<br />
diese Einflüsse vernachlässigbar werden und solch ein<br />
gemitteltes VADM die Stärke des Dipolmoments repräsentiert.<br />
Das globale Modell CALS7K hat gezeigt, dass<br />
VADMs das Dipolmoment der letzten Jahrtausende systematisch<br />
überschätzt haben (Korte and Constable, <strong>2005</strong>b).<br />
Damit liegt der derzeitige Wert des Dipolmoments in der<br />
gleichen Größenordnung wie der Mittelwert der letzten<br />
7.000 Jahre. Es hat eine lange Zeit gegeben, in der das<br />
Dipolmoment deutlich schwächer war, und es variiert auch<br />
deutlich stärker als die VADMs erkennen lassen. Die generelle<br />
Abnahme hält seit ca. 2.000 Jahren an. Die mittlere<br />
Abnahmerate über diesen Zeitraum ist mit 1,5 % pro Jahrhundert<br />
jedoch deutlich niedriger als die derzeitige Rate,<br />
die im Vergleich der letzten Jahrtausende ebenfalls nicht<br />
außergewöhnlich stark ist. Eine Feldumkehr schon in<br />
weniger als 2.000 Jahren, wie sie sich durch lineare Extrapolation<br />
der derzeitigen Abnahmerate ergäbe, erscheint<br />
damit unwahrscheinlich.<br />
Das CALS7K Modell und insbesondere die verbesserte<br />
Beschreibung des Dipolmoments sind nicht nur für das<br />
Verständnis des Geodynamoprozesses von Bedeutung.<br />
Abb. 2.65: Verteilung des elektrischen Widerstands im Erdmantel. Das Modell beruht auf einer 1D Inversion von scheinbaren<br />
Widerständen und Phasen, die aus elektromagnetischen Transferfunktionen basierend auf CHAMP-Daten über<br />
4 Jahre gewonnen wurden. Die Anpassung des Modells an die Widerstände und Phasen ist links dargestellt. Das Modell<br />
zeigt, dass der Widerstand in der Tiefe von 410 km auf etwa 20 bis 30 Ωm abfällt. Die zweite Übergangszone liegt in<br />
einer Tiefe von 750 km, wo sich der Widerstand sogar bis auf 1 bis 2 Ωm reduziert.<br />
1D inversion resistivity model for apparent resistivities and phases inferred from CHAMP estimates of induction transfer<br />
functions, based on 4 years of measurements. The fit of the model to resistivities and phases is given by the solid<br />
lines (left). The model shows that at the 410 km boundary the resistivity drops to around 20-30 Ωm. The second transition<br />
zone is at around 750 km where the resistivity is reduced further to about 1-2 Ωm.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Anhand von Archiven kosmogener Nuklide, z. B. 10 Be in<br />
Eisbohrkernen oder 14 C, werden Variabilität der Sonneneinstrahlung<br />
und des Klimas der Vergangenheit untersucht.<br />
Die Produktionsraten solcher Nuklide hängen aber<br />
daneben auch von der Stärke des Erdmagnetfelds ab. Das<br />
Modell wird inzwischen an verschiedenen Instituten verwendet,<br />
um Stärke und Variabilität des Magnetfelds in solchen<br />
Studien zu berücksichtigen.<br />
Die Leitfähigkeit des Erdmantels<br />
Wie einleitend erwähnt, tragen auch in der Erdkruste und<br />
im Mantel induzierte Felder zu dem beobachteten Magnetfeldsignal<br />
bei. Studien der elektromagnetischen Induktion<br />
aus Satelliten- und Bodendaten können Erkenntnisse<br />
über Verteilung und Änderung der elektrischen Leitfähigkeit<br />
des Erdmantels liefern, welche zur Untersuchung von<br />
geodynamischen Prozessen wie dem Abtauchen tektonischer<br />
Platten, dem Aufsteigen von Mantel-Plumes und der<br />
Konvektion anomal heißen Mantelmaterials dienen kann.<br />
Dazu ist die Analyse der schnellen zeitlichen Magnetfeldvariationen<br />
nötig, wobei das Verständnis der Geometrie<br />
der Quellenfelder in der Magnetosphäre von entscheidender<br />
Bedeutung ist. Im Gegensatz zu Observatorien,<br />
die große Teile der Erdoberfläche und insbesondere<br />
die Ozeane nicht abdecken können, liefern Satelliten praktisch<br />
über den ganzen Globus verteilte Daten. Da jedoch<br />
die Anzahl der Magnetfeldsatelliten gering ist, werden<br />
räumlich komplexe externe Stromquellen zu jeder einzelnen<br />
Zeit nur relativ schlecht durch die Satelliten erfasst.<br />
Arbeiten, die im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms<br />
„Erdmagnetische Variationen“ in Sektion 2.3<br />
durchgeführt wurden, zeigten, dass frühere Ergebnisse von<br />
elektromagnetischen Transferfunktionen nur aus CHAMP-<br />
Abb. 2.66: Vorläufige digitale magnetische Anomaliekarte der Erde.<br />
Preliminary digital magnetic anomaly map of the Earth.<br />
Satellitendaten systematische Lokalzeitabhängigkeiten aufweisen,<br />
die auf eine unvollständige Beschreibung der<br />
Quellfeldgeometrie hinweisen (Balasis et al., <strong>2004</strong>). Wiederum<br />
ergänzen sich die reinen und langen Zeitreihen<br />
magnetischer Observatoriendaten und die raum-zeitlich<br />
verteilten Satellitendaten hervorragend, doch stellt auch<br />
hier die gleichzeitige Analyse ein nicht unerhebliches Problem<br />
dar. Die derzeitigen Arbeiten lieferten bereits eine<br />
bessere Beschreibung der magnetosphärischen Quellen<br />
sowie ein erstes, vorläufiges 1D-Modell der Leitfähigkeit<br />
des Erdmantels (Abb. 2.65, Balasis et al., <strong>2004</strong>).<br />
Auf dem Weg zu einer globalen magnetischen Anomaliekarte<br />
Seit eine ausreichende Anzahl an magnetischen Satellitendaten<br />
zur Verfügung steht, wurde in der Sektion 2.3<br />
eine sich stetig verbessernde Reihe von Modellen der<br />
Magnetisierung der Erdkruste entwickelt, die ausschließlich<br />
auf Satellitendaten beruht. Gesucht sind hier die statischen<br />
Feldanteile nach geeigneter Datenauswahl und<br />
weitgehender Elimination der Einflüsse externer Felder in<br />
den Daten. Das neueste dieser Modelle ist MF4 (Maus et<br />
al., <strong>2005</strong>b). Da die Daten vom Satelliten etwa 400 km oberhalb<br />
der Erdoberfläche gewonnen werden, enthalten sie<br />
keine Information über die detaillierte Struktur des Krustenfelds,<br />
d. h. lokale Anomalien mit Ausdehnung von<br />
weniger als etwa 400 km. Diese werden nur durch aeromagnetische<br />
Kartierungen erfasst, die jedoch lediglich für<br />
bestimmte Regionen durchgeführt werden und nur die<br />
Intensität des Erdmagnetfelds beschreiben, nicht aber die<br />
Richtungen. Eine Kombination von Satelliten-, Bodenund<br />
aeromagnetischen Daten ist notwendig, um Informationen<br />
über das kleinräumige Vektorfeld der Krustenmagnetisierung<br />
zu erhalten.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
261
262<br />
Das internationale WDMAM-Projekt (World Digital Magnetic<br />
Anomaly Map) hat die Erstellung einer weltweiten<br />
digitalen Karte der detaillierten Krustenmagnetisierung<br />
zum Ziel. Solch eine Karte wird für die Untersuchung<br />
großräumiger geologischer Strukturen und Prozesse sowie<br />
der tektonischen Entwicklung von Kontinenten und ozeanischen<br />
Gebieten nützlich sein und kann helfen, nationale<br />
Grenzen überschreitende geowissenschaftliche und<br />
politische Aspekte zu klären. Dieses Projekt besteht aus<br />
zwei Hauptaufgaben: Erstens müssen alle aeromagnetischen<br />
Kartierungen zusammengetragen werden, die zum<br />
Teil sehr kleinräumig, oft nicht frei verfügbar und unterschiedlich<br />
in Format und Informationsgehalt sind. Zweitens<br />
müssen geeignete Methoden entwickelt werden, die<br />
verschiedenen Daten vom Erdboden bis zur Satellitenhöhe<br />
mit ihrem unterschiedlichen Informationsgehalt gemeinsam<br />
zu einem Modell zu invertieren. An beiden Aufgaben<br />
war und ist das <strong>GFZ</strong> Potsdam maßgeblich beteiligt.<br />
Seit <strong>2005</strong> werden die Arbeiten auf diesem Gebiet aus dem<br />
GEOTECHNOLOGIEN-Programm unterstützt. Eine<br />
erste, vorläufige digitale Karte, welche die derzeit verfügbaren<br />
aeromagnetischen Datensätze kombiniert, konnte<br />
<strong>2005</strong> vorgestellt werden (Abb. 2.66). Zur gemeinsamen<br />
Invertierung aller Daten wurde eine verbesserte Methode<br />
der regionalen Variante der Kugelfunktionsanalyse, genannt<br />
R-SCHA (Revised Spherical Cap Harmonic Ananlysis),<br />
entwickelt (Thébault et al., <strong>2004</strong>). Mit dieser<br />
Methode lässt sich das detaillierte Krustenfeld für den gesamten<br />
Bereich zwischen Erdoberfläche und Satellitenhöhe<br />
mit einer bodennahen Auflösung von bis zu 30 km<br />
regional beschreiben, wie in Abb. 2.67 für Europa exem-<br />
plarisch dargestellt. Solche einzelnen Karten, mit denen<br />
auch Unterschiede in der räumlichen Auflösung unterschiedlicher<br />
aeromagnetischer Kartierungen optimal berücksichtigt<br />
werden können, sollen später zu einer weltweiten<br />
Karte kombiniert werden.<br />
Magnetische Signaturen ionosphärischer Instabilitäten –<br />
Störzonen für GPS-Navigation<br />
In der Ionosphäre niedriger Breiten kommt es einige Stunden<br />
nach Sonnenuntergang zur Ausbildung von Plasmainstabilitäten.<br />
Durchqueren GPS-Signale diese Gebiete,<br />
kommt es zur starken Degradation oder gar zum Verlust<br />
des Navigationssignals (Basu et al., 2002). Wegen der<br />
zunehmenden Bedeutung der satellitengestützten Navigation<br />
und speziell im Hinblick auf das europäische Galileo-System,<br />
findet das Studium der ionosphärischen Störungen<br />
zunehmendes Interesse.<br />
Mit Hilfe der hochauflösenden CHAMP-Messungen konnte<br />
erstmalig experimentell nachgewiesen werden, dass die<br />
Plasmainstabilitäten, auch Spread-F genannt, magnetische<br />
Signaturen aufweisen (Lühr et al., 2002). In einer<br />
anschließenden, DFG-geförderten statistischen Studie wurden<br />
die hochaufgelösten CHAMP-Magnetfelddaten von<br />
vier Jahren (2001 bis <strong>2004</strong>) nach den Signaturen der Instabilität<br />
systematisch durchforstet. Der daraus hervorgegangene<br />
Ereignis-Datensatz bietet eine exzellente Grundlage<br />
für statistische Analysen des Spread-F-Phänomens (Stolle<br />
et al., 2006). Eine Frage, die sich aufdrängt, ist die Verteilung<br />
von Gebieten, in denen Störungen des GPS-Sig-<br />
Abb.2.67:Vertikalkomponente des magnetischen Krustenfelds in Europa, beschrieben durch ein hochauflösendes regionales<br />
Modell aus der Kombination von aeromagnetischen Daten mit Ergebnissen von Boden- und Satellitenmessungen.<br />
Vertical component of the magnetic crustal field in Europe, described by a high-resolution regional model combining<br />
aeromagnetic, ground and satellite data.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 2.68: Globale Verteilung der in CHAMP-Daten beobachteten magnetischen<br />
Signaturen von Spread-F-Ereignissen zwischen 2001 und <strong>2004</strong>.<br />
Diese ionosphärischen Instabilitäten sind verantwortlich für starke Störungen<br />
des GPS-Signals. Die Instabilitäten treten bevorzugt nördlich und<br />
südlich des geomagnetischen Äquators auf. Eine spezielle Häufung ihres<br />
Vorkommens ist über dem südamerikanischen/atlantischen Gebiet zu erkennen.<br />
Global distribution of all Spread-F related magnetic signatures detected in<br />
CHAMP data between 2001 and <strong>2004</strong> and for geomagnetic quiet periods<br />
with Kp < 3. These ionospheric instabilities are responsible for strong interferences<br />
in the GPS signal. The signatures are detected north and south<br />
along the geomagnetic equator with a high occurrence rate over the South<br />
American/Atlantic sector.<br />
nals häufig zu erwarten sind. Abb. 2.68 zeigt die globale<br />
Verteilung aller von CHAMP registrierten Signaturen der<br />
Instabilität während des oben erwähnten Zeitintervalls.<br />
Darauf ist zu erkennen, dass sich die Störzonen nördlich<br />
und südlich entlang des geomagnetischen Äquators ausbilden.<br />
Eine besondere Häufung findet<br />
man über dem südamerikanischen/atlantischen<br />
Sektor. Weit weniger Ereignisse<br />
wurden über dem indischen Subkontinent<br />
detektiert.<br />
Der umfangreiche Datensatz von etwa<br />
10.000 positiven Detektionen erlaubt es<br />
nach Bedingungen zu suchen, die die Entstehung<br />
der Instabilität begünstigen oder<br />
behindern. Die statistische Analyse hat<br />
eine bisher nicht bekannte starke saisonale<br />
und längenabhängige Variation der<br />
Auftretenswahrscheinlichkeit ergeben.<br />
Abb. 2.69 zeigt, wie sich die Häufigkeitsrate<br />
der Signaturen während eines<br />
Jahres über die geographischen Längen<br />
verteilt. Besonders auffällig sind hierbei<br />
hohe Raten von bis zu 80 % in den Monaten<br />
Dezember und Januar im südamerikanisch/atlantischen<br />
Bereich. Im Gegensatz<br />
dazu wurden in dieser Region in den<br />
Monaten Mai bis August kaum Instabilitäten<br />
beobachtet. Weiterhin hohe Häufigkeitsraten<br />
treten in den Monaten um<br />
die Tag- und Nachtgleichen im afrikanischen<br />
Sektor auf, der wiederum um den<br />
Jahreswechsel nur sehr gering von Spread-<br />
F betroffen ist. Bemerkenswert ist auch<br />
die recht gleichmäßige Verteilung im<br />
September/Oktober über alle Längenbereiche.<br />
Aus all diesen Ergebnissen lassen<br />
sich wichtige Rückschlüsse auf die Empfangsqualitäten<br />
von GPS-Signalen an<br />
bestimmten Orten und zu gewissen Zeiten<br />
ziehen.<br />
Als nächstes ist vorgesehen, die relevanten<br />
elektromagnetischen Prozesse zu<br />
erforschen, um das Vorkommen und die<br />
Entwicklung von störenden ionosphärischen<br />
Instabilitäten besser zu verstehen<br />
und vorhersagen zu können.<br />
Studium der Hochatmosphäre mit dem<br />
Satelliten CHAMP<br />
Mit zunehmender Auflösung der Magnetfeldmessungen<br />
erkennt man, dass das<br />
geomagnetische Feld bisher nicht<br />
bekannte Einflüsse auf eine Reihe von<br />
Prozessen in der Umgebung unseres Planeten<br />
hat. Für ein verbessertes Verständnis<br />
dieser Vorgänge sind daher gleichzeitige<br />
Messungen mehrerer Größen von<br />
entscheidender Bedeutung. Der Satellit<br />
CHAMP bietet derartige Beobachtungssätze. Besonders<br />
großen Einfluss hat das irdische Magnetfeld auf die Bewegung<br />
der geladenen Teilchen in der uns umgebenden Ionosphäre<br />
und der Magnetosphäre und damit auf die Ströme,<br />
die in diesen Gebieten fließen. Für geladene Teilchen, die<br />
Abb.2.69: Längenabhängige Variation der ionosphärischen Instabilitäten<br />
im Verlauf eines Jahres. Besonders hohe Häufigkeitsraten treten um den Jahreswechsel<br />
über dem südamerikanisch/atlantischen Gebiet mit bis zu 80 %<br />
auf. Im Sommer ist dieses Gebiet frei von Störungen. Die Umrisse der Kontinente<br />
sind am oberen Rand zur besseren Orientierung angebracht.<br />
Longitudinal variation of the ionospheric instabilities over the course of a<br />
year. Very high occurrence rates of up to 80 % are observed in the South<br />
American/Atlantic sector around the December solstice. During summer<br />
this region is free of disturbances. The map of continents above the diagram<br />
may help to localise the affected regions.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
263
264<br />
Abb. 2.70: Links: Verteilung der feinskaligen, feld-parallelen Ströme (FACs) in den polaren Gebieten beider Hemisphären.<br />
Die überwiegende Zahl derartiger Ströme wurde von CHAMP auf der Tagseite zu Lokalzeiten zwischen 5 und<br />
18 Uhr beobachtet. Rechts: Differenz der Luftdichte zwischen den Messungen von CHAMP und dem Atmosphärenmodell<br />
MSIS in Prozent. Auffallend sind die beobachteten Dichtemaxima auf der Tagseite an den Orten wo sich auch<br />
die feinskaligen FACs konzentrieren. Diese Art von Strömen bewirkt offensichtlich eine Aufheizung der Hochatmosphäre.<br />
Left: Distribution of small-scale field-aligned currents (FACs) in the polar regions of both hemispheres. The majority<br />
of these FACs are detected by CHAMP on the dayside within the 5 to 18 local time sector. Right: Relative difference<br />
in percent between CHAMP air density measurements and atmospheric model (MSIS) values. Outstanding are the<br />
observed maxima on the dayside at locations that coincide with the concentration of small-scale FACs. These currents<br />
obviously make important contributions in heating the upper atmosphere.<br />
von außen kommen, wie zum Beispiel der Sonnenwind,<br />
wirkt das Magnetfeld wie ein Schutzschild. Trotz dieser<br />
Eigenschaft vermag der Sonnenwind an aktiven Tagen<br />
eine große Menge Energie auf das System Erde zu übertragen.<br />
Diese Energie verteilt sich nicht gleichmäßig über<br />
die Erdoberfläche, sondern wird in Form von Strömen entlang<br />
der Magnetfeldlinien in die Hochatmosphäre hoher<br />
Breiten geleitet und dort in Wärme umgewandelt. Diese<br />
feldparallelen Ströme, kurz FACs genannt, sind auch die<br />
Ursache der herrlichen Polarlichter, die man häufig in<br />
polaren Gebieten antrifft.<br />
Neuere Beobachtungen von CHAMP belegen, dass die<br />
FACs nicht immer als großräumiges, kontinuierliches<br />
Stromband auftreten, sondern sich häufig in viele Stromfilamente<br />
mit typischen Durchmessern von einem Kilometer<br />
aufspalten. Dank der guten zeitlichen Auflösung<br />
von 50 Messungen pro Sekunde kann CHAMP bei seiner<br />
Umlaufgeschwindigkeit von 7,6 km/s derartige Strukturen<br />
noch sicher auflösen. Für die Jahre 2002 und 2003<br />
wurden die CHAMP-Daten systematisch nach intensiven<br />
feinskaligen FACs durchforstet. In etwa 10 % der Umläufe<br />
waren derartige Stromstrukturen zu finden. Wie man<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
der linken Seite der Abb. 2.70 entnehmen<br />
kann, konzentrieren sich diese Ströme in<br />
hohen magnetischen Breiten oberhalb<br />
von 60° ringförmig um die Magnetpole<br />
in beiden Hemisphären. Eine besonders<br />
große Häufigkeit ist auf der Tagseite zwischen<br />
6 und 18 Uhr Lokalzeit zu beobachten.<br />
Auf der Nachtseite findet man<br />
gelegentlich auch derartige Ereignisse,<br />
aber sehr viel seltener.<br />
Bisher konnte nicht zweifelsfrei geklärt<br />
werden, welcher physikalische Prozess<br />
für die Filamentierung der feld-parallelen<br />
Ströme verantwortlich ist. Dennoch sind<br />
die Ströme von erheblicher Bedeutung,<br />
da sie wegen ihrer kurzen Skalenlängen<br />
besonders effektiv ihre elektrische Energie<br />
in Wärme umwandeln und damit die<br />
Hochatmosphäre lokal aufheizen. Wie<br />
von Lühr et al. (<strong>2004</strong>) gezeigt wurde,<br />
geschieht dies bevorzugt im Mittagssektor<br />
in etwa 75° Breite. Eine mögliche<br />
Indikation für die ionosphärische Heizung<br />
ist die Elektronentemperatur. Die<br />
beobachtete, sehr enge Korrelation zwischen<br />
dem Antreffen von feinskaligen<br />
FACs und einer deutlich erhöhten Elektronentemperatur<br />
ist ein Hinweis auf die<br />
Bedeutung der Stromfilamente für den<br />
Energieeintrag.<br />
Mit seinem Akzelerometer hat CHAMP<br />
ein Instrument an Bord, mit dem sich die<br />
Abbremsung des Satelliten und damit die<br />
Dichte der Restatmosphäre bestimmen<br />
lässt. Dieses neuartige Messverfahren<br />
wurde in den zurückliegenden zwei Jahren intensiv genutzt,<br />
um die Eigenschaften der Thermosphäre (100 bis<br />
1.000 km Höhe) genauer zu studieren. Ein Ziel des von<br />
der Humboldt Stiftung geförderten Projekts war die Überprüfung,<br />
inwieweit die gängigen Atmosphärenmodelle,<br />
z. B. MSIS (Mass Spectrometer and Incoherent Scatter)<br />
die realen Gegebenheiten widerspiegeln. Diese Modelle<br />
finden breite Anwendung, unter anderem bei der Vorausberechnung<br />
von Satellitenbahnen. Ihre Zuverlässigkeit ist<br />
daher von erheblicher praktischer Bedeutung.<br />
In einer statistischen Studie haben Liu et al. (<strong>2005</strong>) CHAMP-<br />
Luftdichtemessungen des gesamten Jahres 2002 mit den<br />
Vorhersagen des MSIS-Modells verglichen. Für magnetisch<br />
ruhige Tage und in mittleren Breiten ergab sich eine<br />
befriedigende Übereinstimmung. Dennoch findet man in<br />
gewissen Gebieten auch hier signifikante Unterschiede.<br />
Dies ist ganz anders in hohen Breiten. Die Unterschiede<br />
zwischen Beobachtung und Modell betragen bis zu 30 %<br />
in nord- und südpolaren Bereichen, wie man den Diagrammen<br />
auf der rechten Seite der Abb. 2.70 entnehmen<br />
kann. Besonders auffällig sind starke Dichteerhöhungen<br />
in der Umgebung des Mittagssektors in Breiten zwischen<br />
70° und 80°. Diese Anomalien sind offensichtlich nicht<br />
Abb. 2.71: Schematische Darstellung zur Fokussierung der feld-parallelen<br />
Ströme in der Cusp. Der Scheitelpunkt der geomagnetischen Feldlinien, auch<br />
Cusp-Region genannt, befindet sich in etwa 75° magnetischer Breite im<br />
Mittagssektor. Die einfließenden Ströme bewirken eine Heizung der Hochatmosphäre.<br />
The focussing of the field-aligned currents in the cusp is schematically<br />
shown. The funnel-shaped concentration of geomagnetic field lines, also called<br />
cusp, has its footprint in the ionosphere at about 75° magnetic latitude<br />
in the noon sector. The energy coming in through the FACs is heating the<br />
upper atmosphere.<br />
im Modell enthalten. Eine weitere, aber nicht so ausgeprägte<br />
Unterschätzung der Luftdichte finden wir auf der<br />
Nachtseite der Polarlichtzone. Interessanterweise decken<br />
sich die Gebiete erhöhter Luftdichte recht gut mit der Verteilung<br />
der feinskaligen FACs (linke Seite der Abb.). Auch<br />
die Luftdichtemessungen legen den Schluss nahe, dass die<br />
filamentartigen Ströme die Atmosphäre in ca. 100 km<br />
Höhe aufheizen. Durch die Temperaturerhöhung expandiert<br />
die Atmosphäre, und CHAMP durchquert daher in<br />
diesem Gebieten Luftschichten erhöhter Dichte, die man<br />
sonst nur in geringeren Höhen antrifft. In der so genannten<br />
Cusp-Region laufen die geomagnetischen Feldlinien<br />
trichterförmig zusammen. Wie man der Prinzipskizze in<br />
Abb. 2.71 entnehmen kann, werden hier offensichtlich<br />
Ströme aus weiten Bereichen der Magnetosphäre trichterförmig<br />
auf engem Raum in der Hochatmosphäre konzentriert,<br />
was ein Grund für die lokale Aufheizung sein<br />
könnte.<br />
In niedrigen Breiten finden wir auch eine unerwartete Verteilung<br />
der Luftdichte. Die höchste Dichte trifft man nicht<br />
am subsolaren Punkt an, wie von den Modellen suggeriert,<br />
sondern in Bändern nördlich und südlich des geomagnetischen<br />
Äquators (Liu et al., <strong>2005</strong>). Es gibt offen-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
265
266<br />
sichtlich neben der Sonne noch einen weiteren Mechanismus,<br />
der wesentlich zur Heizung der Atmosphäre beiträgt<br />
und der über das geomagnetische Feld gesteuert wird.<br />
Die Dichtemaxima folgen dem Verlauf des magnetischen<br />
Äquators auf beiden Seiten in einem Abstand von etwa<br />
25° Breite. Bis heute ist nicht zweifelsfrei geklärt, welcher<br />
Prozess für diese zusätzliche Heizung verantwortlich<br />
ist. Es besteht aber Einvernehmen darüber, dass es sich<br />
hier um eine Wechselwirkung zwischen den geladenen<br />
und neutralen Gasteilchen der Hochatmosphäre handeln<br />
muss.<br />
Die Messungen des Satelliten CHAMP haben erstmalig<br />
die Rolle des Magnetfelds für die Dynamik der Hochatmosphäre<br />
deutlich gezeigt. Diese Art von Effekten ist bisher<br />
in keinem der gängigen Atmosphärenmodelle berücksichtigt.<br />
Die Mehrpunktmessungen der Mission Swarm<br />
werden sicherlich weitere Erkenntnisse liefern.<br />
Literatur:<br />
Anderson, D. L. (1995): Lithosphere, asthenosphere, and perisphere, Rev. Geophys.,<br />
33, 125-149.<br />
Baisch, S., M. Bohnhoff, L. Ceranna, Y. Tu, and H.P. Harjes (2002): Probing<br />
the crust to 9 km depth: Fluid injection experiments and induced seismicity at<br />
the KTB superdeep drilling hole, Germany, Bull. Seismol. Soc. Am., 92,<br />
2369-2380.<br />
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<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
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Küstenhebung durch Erdbeben: Herausgehobene Brandungsplattform der Insel Santa Maria, Süd-Chile, wie sie bereits<br />
von Charles Darwin 1835 beobachtet wurden (Foto: Melnick).<br />
Coastal uplift due to earthquakes: Exposed abrasion platforms of the Santa Maria island, southern Chile, as already<br />
observed by Charles Darwin 1835.<br />
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Department 3<br />
Geodynamik<br />
Tektonische Prozesse und Massenverlagerungen aller Art<br />
in der Erdkruste und dem oberen Erdmantel sind unmittelbarer<br />
Ausdruck der Dynamik der Kontinente und damit<br />
bestimmend für den menschlichen Lebensraum. In ähnlicher<br />
Weise gestalten die Klimaentwicklung und die<br />
Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Hydrosphäre<br />
und Lithosphäre die Existenzbedingungen an der Erdoberfläche.<br />
Im Archiv Erdkruste sind die Produkte dieser<br />
geodynamischen und exogenen Prozesse als ähnliche und<br />
wiederkehrende Muster gespeichert. Ziel des Departments<br />
Geodynamik ist ihre Analyse mittels eines breiten<br />
Methodenspektrums. Der Schwerpunkt der Forschung<br />
liegt einerseits auf dem Studium der Entwicklung von<br />
Deformation, Massen- und Stofftransport in und auf der<br />
kontinentalen Kruste. Zum anderen konzentrieren sich die<br />
Arbeiten auf die Auflösung der jüngeren Klimaentwicklung<br />
und ihrer Steuerungsmechanismen.<br />
Seit den 60er-Jahren vollzieht sich in den Geowissenschaften<br />
ein Umbruch von konventionellen, eher beschreibenden<br />
Ansätzen, zu einer quantifizierenden Wissenschaft.<br />
Die wichtigsten Impulse entstammen dabei dem Konzept<br />
der Plattentektonik als vereinheitlichende geowissenschaftliche<br />
Theorie. Begleitet wurde dies durch die Entwicklung<br />
moderner Methoden der hochauflösenden Analytik<br />
auf der atomaren Ebene, Beobachtungen im Feldmaßstab<br />
und mathematische Modelle zur Abbildung und<br />
Simulation der relevanten Prozesse. Die damit quantitativ<br />
stofflich und physikalisch untersuchten Phänomene reichen<br />
von der Lithosphärendeformation, über die Sedimentgeologie<br />
und Klimaforschung, der Entwicklung von<br />
Lagerstätten bis hin zu Fragen der Naturgefahren im<br />
Zusammenhang mit den Bewegungen der Platten.<br />
Konvergente kontinentale Ränder nehmen dabei eine herausragende<br />
Stellung ein: hier konzentriert sich der menschliche<br />
Lebensraum mit der höchsten Bevölkerungsdichte<br />
und den höchsten Wachstumsraten. Zugleich sind sie die<br />
Zonen mit dem höchsten Nutzungs- und Gefährdungspotenzial<br />
für den menschlichen Lebensraum. Geodynamische<br />
Prozesse sind wegen der hohen Raten und Geschwindigkeiten<br />
an konvergenten kontinentalen Rändern wie in<br />
einem natürlichen Labor unmittelbar messbar und der<br />
Analyse zugänglich. Die Kollision ozeanischer Kruste mit<br />
kontinentaler Kruste steuert viele der wichtigsten Prozesse<br />
auf der Erde: die stärkste Erdbebenaktivität, die Entstehung<br />
von Tsunamis, einen vorwiegend explosiven Vulkanismus,<br />
die Bildung bedeutender mineralischer Lagerstätten<br />
sowie die Deformation und Umwandlung kontinentaler<br />
Gesteine. Nahezu alle Teile der kontinentalen<br />
Erdkruste sind hier gebildet oder im Verlauf der Erdgeschichte<br />
umgestaltet worden. Viele der entscheidenden<br />
Prozesse sind jedoch noch nicht ausreichend verstanden.<br />
Gemeinsamer Kernpunkt aller Fragen ist dabei ein voll-<br />
ständiges Verständnis der zugrunde liegenden Massenund<br />
Energietransfers, die offenbar sehr verschiedenen<br />
Mustern unterworfen sein können. Das Erfassen von so<br />
genannten transienten Geoprozessen, die nicht kontinuierlich<br />
ablaufen sondern in diskreten Schritten auf einer<br />
breiten zeitlichen und räumlichen Skala, tritt immer stärker<br />
in den Vordergrund.<br />
Konvergente Plattenränder: Massentransfer und<br />
Deformationsprozesse<br />
Konvergente Plattenränder sind die dynamischsten Regionen<br />
unseres Planeten. An ihnen sind aktive Prozesse der Bildung<br />
von Gebirgen ebenso fokussiert wie über 90 % der<br />
globalen Seismizität. Die Entwicklung von konvergenten<br />
Plattenrändern wird neben magmatischem Materialtransfer<br />
vor allem durch den tektonischen und erosiven Massenfluss<br />
gesteuert. Nach neueren Vermutungen kann dieser Materialfluss<br />
möglicherweise für sehr viele charakteristische<br />
Unterschiede im Verhalten konvergenter Plattenränder bis<br />
hin zu der dort auftretenden Seismizität verantwortlich sein.<br />
Eine Schlüsselrolle kommt dabei den mechanischen Eigenschaften<br />
des Plattenrandes und der Plattengrenzfläche zu,<br />
die die Entwicklung des gesamten Orogens mit beeinflussen.<br />
Daher sind in der Sektion 3.1 alle Elemente von konvergenten<br />
Plattenrändern, von der Deformationsfront am<br />
Tiefseegraben über das Gebirge bis hin zu den Vorlandbecken,<br />
Gegenstand der Forschung. Laufende Studien der<br />
Sektion 3.1 am konvergenten Kontinentrand Südamerikas,<br />
der wegen seiner Variabilität in dieser Hinsicht als herausragendes<br />
natürliches Labor gilt, sollen diese Zusammenhänge<br />
mit einem Spektrum von feldgestützten Vermessungen<br />
sowie analogen und numerischen Experimenten auf<br />
eine quantitative Basis stellen. Ziel ist ein grundsätzliches<br />
Verständnis der Schlüsselprozesse und Steuerfaktoren für<br />
Massentransfer und langfristige Deformation einerseits<br />
sowie für kurzzeitige Prozesse wie Erdbeben und Oberflächendeformation<br />
andererseits.<br />
Aktive Prozesse am Kontinentrand in Chile<br />
In Süd-Chile fand bei 38° 10' S am 22. 05. 1960 das stärkste<br />
historisch aufgezeichnete Erdbeben statt (Mw = 9,5).<br />
Es hatte eine Bruchlänge von ca. 1.000 km und verursachte<br />
einen bis zu 15 m hohen Tsunami, sowie eine koseismische<br />
Verschiebung von 40 m. Mit dem Projekt TIPTEQ<br />
(from The Incoming Plate to mega-Thrust EarthQuake<br />
processes, Abb. 3.1) untersuchen wir die Steuerfaktoren<br />
für Subduktionsbeben und die Prozesse in der seismogenen<br />
Koppelzone konvergenter Plattenränder sowie ihre<br />
Wirkung auf die damit verbundenen Prozesse an der Erdoberfläche<br />
im Bereich dieses Bebens. Dazu verwenden wir<br />
in insgesamt 13 Teilprojekten eine Vielzahl von Methoden,<br />
u. a. Geologie und Neotektonik, Reflexionsseismik,<br />
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Abb. 3.1: Lokationskarte des Projekts<br />
TIPTEQ in Südchile (TIPTEQ Re-search<br />
Group, in prep.)<br />
Location map of the project TIPTEQ in<br />
southern Chile (TIPTEQ Research<br />
Group, in prep.)<br />
numerische Simulationen von fluidgesteuerten<br />
Prozessen sowie Experimente<br />
mit Analogmaterialien im Labor.<br />
Ein erstes strukturelles Abbild der gesamten<br />
seismogenen Koppelzone im<br />
Untergrund wird die Reflexionsseismik<br />
liefern. Dazu hat <strong>2005</strong> ein großes seismisches<br />
Experiment stattgefunden, das entlang<br />
einer ca. 100 km langen Profillinie<br />
zwischen Küste und Zentraltal künstlich<br />
erzeugte Sprengungen registriert hat.<br />
Erste Auswertungen zeigen sehr deutliche<br />
Strukturen, ähnlich wie im Pilotexperiment<br />
SPOC (Abb. 3.2; Krawczyk &<br />
SPOC Team 2003). Diese Signaturen<br />
werden als aufgestapeltes Material interpretiert,<br />
das von der ozeanischen Platte<br />
unter den Kontinent transportiert und dort<br />
von unten angelagert wurde (Krawczyk et<br />
al., subm.) Die schmale Zone, in welcher<br />
Material zwischen der kontinentalen<br />
Oberplatte und der abtauchenden Unter-<br />
Abb. 3.2: Schematisches Abbild der Subduktionszone in Süd-Chile (oben) und seismischer Profilschnitt (unten) (Krawczyk<br />
et al., subm.)<br />
Schematic image of the subduction zone in southern Chile (above) and seismic profile (Krawczyk et al., subm.)<br />
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Abb. 3.3: Datierung der Spät-Pleistozänen und Holozänen Hebungsprozesse und Landformen der Insel Santa Maria<br />
(Melnick et al., in press; Fotos: D. Melnick, H. Echtler).<br />
Age dating of Late Pleistocene and Holocene uplift processes and morphology of the Santa Maria island, off Chile<br />
(Melnick et al., in press).<br />
platte in große Tiefen transportiert wird, ist der so genannte<br />
Subduktionskanal. Die Existenz eines Subduktionskanals<br />
in Südchile verhindert, dass die Sedimente, die auf<br />
der ozeanischen Platte angeliefert werden, frontal am Kontinent<br />
anlagern, so dass sich kein großer Akkretionskeil<br />
aus Sedimenten am Tiefseegraben bildet.<br />
In Südchile werden die basale Materialanlagerung an die<br />
Oberplatte und die Existenz eines aktiven Subduktionska-<br />
nals außerdem durch die Hebung der Küste angezeigt. Die<br />
Deformation und die Auswirkung des Subduktionsprozesses<br />
in der seismogenen Koppelzone auf die Oberfläche der<br />
Oberplatte wurden auf der Isla Santa Maria exemplarisch<br />
untersucht (Melnick et al., in press). Die Insel zeigt im westlichen<br />
Hauptteil eine nach Osten geneigte und verkippte<br />
Oberfläche, die von Spät-Pleistozänen, ~ 53.000 bis 31.000<br />
Jahre alten küstennahen marinen Sandsteinen sowie verfestigten<br />
Dünensanden unterlagert wird (Abb. 3.3).<br />
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Abb. 3.4: GPS-Messpunkt in Nord-Chile mit GPS-Antenne,<br />
GPS-Empfänger und Solar-Panels (Foto: <strong>GFZ</strong>).<br />
GPS measuring point in Northern Chile with GPS antenna,<br />
GPS receiver and solar panels.<br />
In den tieferen Lagen zeigen die Strandterrassen eine kontinuierliche<br />
Hebung auch über das gesamte Holozän (~ die<br />
letzten 10.000 Jahre). Die genaue Datierung dieser Sequenzen,<br />
in Korrelation mit den Meeresspiegelschwankungen in<br />
diesen Zeiträumen, ergibt eine relativ stete Verkippung und<br />
eine mittlere Hebungsrate von ~ 2 mm/Jahr über die letzten<br />
50.000 Jahre. Dieser Prozess erfolgte über Hebungen von<br />
jeweils bis zu 3 m während einzelner Starkbeben und wird<br />
zudem durch herausgehobene Brandungsplattformen angezeigt,<br />
wie sie bereits von Charles Darwin 1835 während seiner<br />
Anwesenheit auf der Insel beobachtet wurden (Darwin,<br />
1851). Zusammen mit seismischen Daten zeigen diese<br />
Ergebnisse, dass die Deformation der Oberfläche direkt mit<br />
den Prozessen in der Subduktionszone gekoppelt ist.<br />
Modellierung postseismischer Deformation in Chile<br />
mittels GPS-Daten<br />
Ein wesentlicher Steuerfaktor gebirgsbildender Prozesse<br />
an Subduktionszonen ist die Viskosität des oberen Mantels<br />
und der unteren Kruste. Aussagen über die Viskosität<br />
in diesem Bereich können aus postglazialen isostatischen<br />
Ausgleichsbewegungen und visko-elastischen Relaxationsvorgängen<br />
nach großen Subduktionsbeben abgeleitet<br />
werden. Die Bodenbewegungen können mit Satellitengestützten<br />
Messmethoden, z. B. GPS, hochgenau bestimmt<br />
werden.<br />
Das großräumige GPS-Netz SAGA (South American<br />
Geodynamic Activities), welches die zentralen und südlichen<br />
Anden überdeckt, wurde in wichtigen Regionen<br />
verdichtet, so dass insbesondere die andauernde postseismische<br />
Deformation in dieser Region mit einer höheren<br />
räumlichen Auflösung erfasst werden kann. Die angestrebte<br />
räumliche Auflösung liegt bei 50 km. Im Oktober<br />
und November <strong>2005</strong> wurden etwa 130 Punkte des SAGA-<br />
Netzes in Chile und weitere 24 Punkte in Argentinien<br />
erneut erfolgreich ausgemessen (Abb. 3.4).<br />
Die bereits durch frühere Messungen bestimmten postseismischen<br />
Deformationen im Bereich des großen Chile-<br />
Erdbebens von 1960 wurden genutzt, um visko-elastische<br />
Relaxationsvorgänge zu modellieren und rheologische<br />
Parameter der Unterkruste und des oberen Mantels abzuleiten.<br />
Grundsätzlich können diese Deformationen durch<br />
eine postseismische Verschiebung unterhalb der seismogenen<br />
Zone oder durch visko-elastische Ausgleichsprozesse<br />
erklärt werden. Die visko-elastische Relaxation<br />
bezieht sich auf die untere Kruste und den oberen Mantel.<br />
Aseismische Verschiebungen und visko-elastisches Fließen<br />
sind zwei Mechanismen, die in der Tiefe wirken, so<br />
dass es außerordentlich schwierig ist, mit Hilfe von Beobachtungen<br />
an der Erdoberfläche zwischen diesen Mechanismen<br />
zu unterscheiden. Auf der Grundlage der vorliegenden<br />
Daten ist es erstmalig gelungen, zwischen den oben<br />
genannten Mechanismen zu unterscheiden und die Viskosität<br />
unabhängig von bisherigen Modellen abzuschätzen.<br />
Die Modellierungen wurden mit dem komplexen FEM<br />
(Finite Elemente Methode)-Softwarepaket ANSYS durch-<br />
Abb. 3.5: a) Setup des 3D-FEM-Modells zur Abschätzung der Viskosität des oberen Erdmantels und der Unterkruste aus<br />
den gemessenen postseismischen Deformationen nach dem großen Chile-Erdbeben von 1960. b) Das dreidimensionale<br />
FEM-Modell besteht aus 28.500 Elementen und 125.000 Knoten. c) Die Vektoren zeigen die gemessenen postseismischen<br />
Punktverschiebungen (blaue Vektoren) und die modellierten Oberflächendeformationen (rote Vektoren). Das Model<br />
kann bei Einführung einer Viskosität von 4 x 1019 Pa s am besten an die Beobachtungen angepasst werden.<br />
a) Set-up of the 3D FEM model for the assessment of the viscosity of the upper mantle and lower crust from measured<br />
post-seismic deformation after the big Chile earthquake of 1960. b) The three-dimensional FEM model consists of<br />
28 500 elements and 125 000 knots. c) The vectors show the measured post-seismic point displacements (blue vectors)<br />
and the modelled surface deformation (red vectors). Adopting a viscosity of 4 x 1019 Pa s, the model is best adjusted<br />
to the observations.<br />
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geführt. Ausgehend von ‚state of the art‘ 3D-Strukturmodellen<br />
wurden visko-elastische Bereiche eingeführt, in<br />
denen die Viskosität der zu bestimmende Parameter war.<br />
Das Modell bestand aus einer elastischen Kruste und<br />
einem elastischen Slab, unter denen sich eine oder mehrere<br />
Schichten befanden, deren Ausdehnung und Viskosität<br />
bestimmt wurden (Abb. 3.5a und 3.5b. Bei der Vorwärtsmodellierung<br />
wurde sowohl die Viskosität als auch<br />
die Geometrie, die Dicke der kontinentalen und ozeanischen<br />
Kruste, die Rigidität, die koseismische Slipverteilung<br />
sowie andere Parameter variiert. Dabei haben Änderungen<br />
in der Viskosität besonders sensibel auf die Modellergebnisse<br />
reagiert. Die gemessene Deformation konnte<br />
am besten reproduziert werden, wenn in das Modell eine<br />
Viskosität von 4 x 1019 Pa s eingeführt wurde (Abb. 3.5c).<br />
Darüber hinaus konnte der Einfluss der Viskosität auf die<br />
interseismische Deformation abgeschätzt werden; dieser<br />
erreicht nach 100 Jahren bis zu 7 mm. Die Änderung in<br />
der Deformationsrate nimmt mit dem Abstand vom Trench<br />
zu. Die Schwerpunkte für zukünftige und ergänzende Arbeiten<br />
sind die Ableitung und Modellierung der transienten,<br />
im Zusammenhang mit Erdbeben stehenden Deformationsprozesse.<br />
Physikalische Experimente zur Geodynamik konvergenter<br />
Plattenränder<br />
Mit physikalischen Experimenten, die im Geodynamiklabor<br />
des <strong>GFZ</strong> mit einem hoch auflösenden Monitoringsystem<br />
aufgezeichnet werden, lassen sich Deformationsvorgänge<br />
an konvergenten Plattenrändern, die sich in der<br />
Natur in geologischen Zeiträumen abspielen, schnell und<br />
effizient simulieren (Abb. 3.6). Gegenwärtig werden im<br />
Geodynamiklabor geophysikalische Methoden mit der<br />
Analogmodellierung vereint, mit dem Ziel, Strukturen in<br />
den Analogmodellen seismisch abzubilden und die Übertragbarkeit<br />
auf natürliche Systeme zu erforschen. Außerdem<br />
soll die Analyse von Oberflächendeformationsmustern<br />
in verschiedenen räumlichen und zeitlichen Größenordnungen<br />
(Meter bis 100er Kilometer, Jahre bis Jahrmillionen)<br />
dem Verständnis der Skalenabhängigkeit von<br />
Deformationsmechanismen und -prozessen dienen.<br />
Ein Vergleich von Laborergebnissen mit Beobachtungen<br />
in den Zentralanden soll die Übertragbarkeit auf die Natur<br />
überprüfen. Im Zusammenhang mit dem Projekt TIPTEQ<br />
werden dazu die Massentransferprozesse im Subduktionskanal<br />
und die von Subduktionsbeben hervorgerufene<br />
Deformation in der Oberplatte untersucht. Der Materialtransport<br />
in Subduktionskanälen steuert den Wachstumsmodus<br />
der Oberplatte und kann in der Natur nur indirekt<br />
beobachtet werden. Daher wurden Subduktionsszenarien<br />
mit unterschiedlichen Subduktionskanälen im<br />
Labor simuliert. Subduktionskanäle, die zu einem Materialzuwachs<br />
der Oberplatte führen, sind immer unterhalb<br />
der Oberplatte lokalisiert und geben zeitweise Material an<br />
die Oberplatte ab (Abb. 3.7).<br />
Bei der Subduktionserosion erleidet die Oberplatte einen<br />
Materialverlust, weil Material von ihrer Basis in den Subduktionskanal<br />
inkorporiert wird. Obwohl Zyklizitäten in<br />
Abb. 3.6: Durchführung und Monitoring eines physikalischen<br />
Experiments im Geodynamiklabor (Foto: Lohrmann).<br />
Performance and monitoring of a physical experiment in<br />
the geodynamic laboratory.<br />
Deformation und Massenfluss im Subduktionskanal<br />
beobachtet werden, tritt kein wiederholbares Deformationsmuster<br />
innerhalb einzelner Zyklen auf. Daher besitzen<br />
kurzzeitige Beobachtungen keine Aussagekraft für<br />
den geologisch langzeitigen, permanenten Massenfluss.<br />
Die kurzzeitigen Beobachtungen geben allerdings Aufschluss<br />
über die starke Variabilität und Komplexität des<br />
Materialflusses. Nur mit diesem Prozessverständnis ist es<br />
möglich, die geophysikalischen Abbilder von natürlichen<br />
Systemen zu interpretieren, da sie, abhängig von der Beobachtungsmethode,<br />
Strukturen abbilden, welche in unterschiedlichen<br />
Zeiträumen angelegt wurden.<br />
Am chilenischen Kontinentalrand lassen sich so vor allem<br />
mit Hilfe reflexionsseismischer Profile (Abb. 3.2) in Kombination<br />
mit der Erdbebenaktivität Strukturen identifizieren,<br />
die die Existenz von einem rezent aktiven Subduktionskanal<br />
belegen. Die mechanischen Eigenschaften des<br />
Subduktionskanals haben erhebliche Bedeutung für den<br />
tektonischen Massenfluss, das Krustenwachstum, wie<br />
auch für das Muster der Erdbebenaktivität und das Heben<br />
und Senken der Erdoberfläche.<br />
Die mit den Prozessen in der seismogenen Koppelzone<br />
verbundenen Erdbeben treten meist zyklisch auf. Da diese<br />
Zyklen länger als ein menschliches Leben sind, werden<br />
sie im Labor simuliert und im Zeitraffer untersucht. Dieses<br />
Verfahren ermöglicht außerdem, die tiefen Erdbebenprozesse<br />
mit Deformationen der Oberfläche in Beziehung<br />
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Abb. 3.7: Untersuchung von Subduktionskanalprozessen. Oben: Experimentelles Setup für Sedimentakkretion (links) und<br />
Subduktionserosion (rechts). Mitte: Kurzzeitprozesse im Subduktionskanal. Rote und grüne Farben illustrieren die Magnitude<br />
der Störungsaktivität. Unten: Vergleich des akkretiven und erosiven Subduktionskanals (Lohrmann et al., subm.)<br />
Investigation of subduction channel processes. Top: experimental set-up for sediment accretion (left) and subduction<br />
erosion (right). Middle: short-term processes within the subduction channel. Red and green colours illustrate the magnitude<br />
of fault activity. Bottom: Comparison between accretive and erosive subduction channels (Lohrmann et al., subm.)<br />
Abb. 3.8: Simulation von Subduktionsbeben. Oben: Aus Beobachtungen in der Natur abgeleitete Konzepte zur Oberflächendeformation<br />
im seismischen Zyklus. Mitte: Verschiebungspfade während eines simulierten Subduktionsbebens<br />
im Profil. Die Verschiebungspfade auf der Oberfläche werden in Zukunft durch hochauflösende Kameras entlang einer<br />
virtuellen Umlaufbahn beobachtet, um diese direkt mit Fernerkundungsdaten vergleichen zu können. Unten: Rasterelektronenmikroskop-Aufnahmen<br />
von Reis, der zur Simulation von Stick-Slip-Verhalten entlang der Koppelzone<br />
benutzt wird.<br />
Simulation of subduction earthquakes. Top: Concepts of surface deformation during the seismic cycle as derived by<br />
high-resolution observations in nature. Centre: Displacement field during a simulated subduction earthquake in cross<br />
section. The surface displacement field in map view will be monitored by high-resolution cameras arranged along a<br />
virtual orbit to directly compare simulated deformation with remote sensing data from nature. Bottom: SEM images<br />
of rice used to simulate stick-slip behaviour along the coupling zone. ➤<br />
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zu setzen und Vorhersagestrategien für die Risikoverteilung<br />
zu entwickeln. Während die koseismische Deformation<br />
überwiegend elastisch ist, also nicht zur Langzeitdeformation<br />
beiträgt, wird interseismisch sowohl elastische<br />
als auch permanente Deformation in der Oberplatte auf-<br />
genommen. Letztere trägt über mehrere Erdbebenzyklen<br />
hinweg dazu bei, den Kontinentalrand zu formen.<br />
Die Simulation von Subduktionsbeben muss sowohl Reibungseigenschaften<br />
als auch elastische und viskose Mate-<br />
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rialparameter einschließen. Die Reibungseigenschaften<br />
spielen insbesondere entlang der Plattengrenzfläche eine<br />
entscheidende Rolle. Die Deformation innerhalb der Koppelzone<br />
zeichnet sich durch Reibungsinstabilitäten (Stick-<br />
Slip) aus, die Ausdruck einer dynamischen Schwächung<br />
sind. In unseren Experimenten wird z. B. Reis für die<br />
Simulation von Reibungsinstabilitäten verwendet. Je nach<br />
regionaler Temperaturverteilung wird die Koppelzone entlang<br />
der Plattengrenzfläche nach unten durch einen<br />
Bereich stabilen Gleitens oder plastischen Kriechens<br />
begrenzt, der durch dynamische Stärkung gekennzeichnet<br />
ist. Dieser Bereich wird in unseren Modellen entweder<br />
durch granulare Materialien (z. B. Zucker) oder viskoelastische<br />
Materialien (z. B. Silikonöle) simuliert. Der Kontinentrand<br />
besteht in der Simulation neben den in der Koppelzone<br />
benutzten Materialien aus Gummigranulat zur<br />
Erhöhung seiner Elastizität und Lokalisierung der Deformation<br />
in der Oberplatte (Abb. 3.8).<br />
Tektonische Zyklen in Vorlandbecken<br />
Vorlandbecken, wie das Nordalpine Molasse- oder das<br />
Südalpine Pobecken, entstehen durch die Kollision zweier<br />
Kontinente. Die veränderte Auflast während der Kollision<br />
führt zu einem Verbiegen der beteiligten Lithosphärenplatten<br />
und somit zur Beckenbildung. Da solche Vorlandbecken<br />
nach passiven Kontinenträndern das größte Kohlenwasserstoffpotenzial<br />
aufweisen, ist ein besseres Ver-<br />
Abb. 3.9: Oben: Schematisches Profil durch einen Falten- und Überschiebungsgürtel<br />
und die assoziierte Vorsenke. Unten: Basierend auf skalierten<br />
Analogexperimenten, welche die Entwicklung von Kollisionsorogenen simulieren,<br />
wurde die zeitliche Entwicklung der Vorsenkengeometrie berechnet.<br />
Deutlich lassen sich die drei Sedimentationsräume Vorsenke (Foredeep),<br />
Forebulge und Backbulge unterscheiden. Die Schwankungen der Isolinien<br />
spiegeln das zyklische Wachstum des Kollisionsorogens wieder und deuten<br />
somit das Auftreten von Trans- und Regressionen an.<br />
Top: Schematic profile through a fold and thrust belt and the adjacent foreland<br />
basin. Bottom: Based on the evolution of scaled sandbox experiments,<br />
which were aimed at simulating the evolution of collisional orogens, the respective<br />
geometry of the foreland basin was calculated. The resulting map<br />
shows clearly the three depozones, i.e. the foredeep, the forebulge and the<br />
backbulge. The cyclic change of the isolines, which indicate trans- and<br />
regressions, correspond to a likewise change in orogenic growth. Thus, while<br />
analysing the stratigraphic record within foreland basins tectonic activity,<br />
i.e. the initiation of major thrusts should be taken into account.<br />
ständnis ihrer räumlich-zeitlichen Entwicklung von großer<br />
Bedeutung. In früheren Studien zur Entwicklung von<br />
Vorlandbecken wurde jeweils ein kontinuierlich wachsendes<br />
Kollisionsorogen angenommen. Ergebnisse unserer<br />
skalierten physikalischen Experimente sowie analytischen<br />
Flexurmodellierungen zeigen jedoch, dass dieses<br />
kontinuierliche Wachstum durch Phasen erhöhter Wachstumsraten<br />
unterbrochen wird. Letztere gehen auf die Initiierung<br />
orogenweiter Überschiebungen zurück (Abb. 3.9).<br />
Die sich daraus ergebende Auflastveränderung bewirkt<br />
eine Änderung der Vorsenkengeometrie, welche zum Voroder<br />
Rückschreiten der marinen Küstenlinie innerhalb der<br />
Vorsenke führen kann. Diese tektonisch induzierten Meeresspiegelschwankungen<br />
lassen sich momentan nur schwer<br />
von solchen unterscheiden, welche durch Klimaveränderungen<br />
entstanden, so dass hier weiterer Forschungsbedarf<br />
besteht. Insgesamt zeigt sich, dass die räumlich-zeitliche<br />
Entwicklung von Vorlandbecken und ihrer Sedimentationsräume<br />
durch das Zusammenwirken, aber auch durch<br />
Rückkopplungen zwischen weiteren Faktoren, wie der Festigkeit<br />
und der Elastizität der beiden Kontinentplatten,<br />
sowie von Erosion und Sedimentation gesteuert wird.<br />
Scherzonen und Erdbeben<br />
Scherzonen sind lateral eng begrenzte Bereiche verschiedener<br />
Länge, die die Erdkruste in Fragmente variabler<br />
Größe zerlegen. Als ausgedehnte Plattengrenzen reichen<br />
sie bis in den Erdmantel hinein und fokussieren<br />
die seismische Aktivität der Erde.<br />
Die während eines Erdbebenzyklus in<br />
wechselnden Regionen einer Scherzone<br />
ablaufenden physikalischen und chemischen<br />
Prozesse sind noch weitgehend<br />
unbekannt. Bisher wurden weder Vorläuferphänomene<br />
beschrieben, die eine<br />
deterministische Vorhersage von Erdbeben<br />
erlauben, noch gibt es befriedigende<br />
Modelle, die zur vollständigen Beschreibung<br />
der transienten postseismischen<br />
und interseismischen Deformation von<br />
Scherzonen und ihrer Umgebung geeignet<br />
erscheinen.<br />
Herdprozesse von Erdbeben lassen sich<br />
durch eine Verbindung von seismologischen<br />
Beobachtungen, Strukturuntersuchungen<br />
und Laborexperimenten entschlüsseln.<br />
Der Herdmechanismus kann<br />
entweder durch Riss- oder Dislokationsmodelle<br />
oder als instabiler Reibungsprozess<br />
beschrieben werden. Diese Modelle<br />
sagen prinzipiell voraus, dass eine dynamische<br />
Bruchausbreitung erst nach einer<br />
Nukleationsphase erfolgen kann, innerhalb<br />
derer sich der Bruch über eine kritische<br />
Distanz ausbreitet, um sich dann mit<br />
ca. 70 bis 80 % (in Einzelfällen möglicherweise<br />
mit mehr als 100 %) der Scherwellengeschwindigkeit<br />
im Gestein fortzusetzen.<br />
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Bruchentstehung und Bruchausbreitung<br />
In Deformationsexperimenten werden unter hohem Druck<br />
Mikrorisse in Gesteinen erzeugt. Akustische Ereignisse<br />
(AE) während der Rissbildung können geortet werden und<br />
erlauben so eine hochgenaue Bestimmung der Nukleationszone<br />
des Bruches. Die Entstehung und Entwicklung<br />
eines Bruches in intaktem Gestein wurde experimentell<br />
unter verschiedenen Belastungsarten untersucht. Hierzu<br />
wurden mechanische Daten aus Deformationsexperimenten<br />
mit mikrostrukturellen Untersuchungen und fortgeschrittenen<br />
Verfahren zur Analyse der beim Bruch abgestrahlten<br />
akustischen Emissionen miteinander kombiniert.<br />
Aus den Experimenten, die an verschiedenen Gesteinen<br />
(Granit, Sandstein Kalkstein, Steinsalz) durchgeführt<br />
wurden, ergibt sich ein konsistentes Bild der Nukleation<br />
und des Wachstums von Zug- und Scherbrüchen.<br />
Dabei lassen sich schematisch drei Stadien der Bruchentwicklung<br />
unterscheiden (Abb. 3.10): 1. Unter Belastung<br />
entstehen im Gestein zahlreiche und relativ homogen verteilte<br />
Mikrorisse. Bereits vorhandene Risse dehnen sich<br />
aus. In der Mikrostruktur sind Scherrisse kaum nachweisbar.<br />
2. In einem räumlich eng begrenzten Riss-Cluster<br />
(Nuklationszone) kommt es zur Wechselwirkung zwischen<br />
Mikrorissen, lokaler Spannungskonzentration und<br />
zum Versagen von Materialbrücken. Der Scherbruch<br />
wächst ins intakte Gestein und wird von einer Auflockerungszone<br />
(Prozesszone) umgeben. 3. Der Bruch tritt<br />
abrupt ein und wird von einem Spannungsabfall bis auf<br />
den Reibungswiderstand der Bruchfläche begleitet. Dabei<br />
werden in der Scherzone Gesteinsfragmente zerbrochen,<br />
rotiert und kompaktiert. Die Verteilung der Mikrorisse und<br />
der Hypozentren der akustischen Emissionen dokumentiert<br />
eine Konzentration der Verformung beim Übergang<br />
vom Bruch zum Reibungsgleiten.<br />
Die Ergebnisse der Experimente erlauben es, die komplexe<br />
Mikromechanik von Nukleationsprozessen bei Erdbeben,<br />
wie z. B. das Abscheren von Materialbrücken oder<br />
Barrieren in einer Scherzone, besser zu verstehen. Der<br />
dynamische Verlauf von Bruchvorgängen weist auf verschiedenen<br />
räumlichen Skalen strukturelle Parallelen auf.<br />
Zum Beispiel sind unabhängig vom Maßstab in der Prozesszone,<br />
d. h. der Auflockerungszone, die einen Scherbruch<br />
im Gestein umgibt, häufig einzelne eng lokalisierte<br />
Scherbänder nachweisbar, auf die sich diskrete Anteile<br />
der Verschiebung verteilen. Ein Vergleich von im Labor<br />
erzeugten Scherzonen mit Scherzonen mittlerer Größe,<br />
wie sie z. B. in Minen auftreten, und mit Feldbeobachtungen<br />
an Plattengrenzen zeigt, dass die Ausdehnung der<br />
Prozesszone, die kritische Verschiebungslänge und die<br />
Energiefreisetzungsrate vielfach mit der Dimension der<br />
Scherzone korrelieren (Abb. 3.11).<br />
Duktile Bruchprozesse<br />
Auch bei hohen Temperaturen und Drücken können Verformungsprozesse<br />
in der Natur weitgehend transient verlaufen.<br />
Insbesondere kann plastische Verformung über<br />
lange Zeiträume bzw. bei hohen Verformungsbeträgen zu<br />
Instabilitäten führen. Diese duktilen Bruchprozesse sind<br />
möglicherweise eine der Ursachen für die Entstehung von<br />
Pseudotachyliten, die Lokalisierung von Scherbändern und<br />
das Vorkommen seismischer Tremore in der Unterkruste<br />
sowie eventuell auch für die Existenz von Tiefbeben.<br />
Zum Verständnis der mikrophysikalischen Prozesse bei<br />
der Entstehung von Hochtemperaturinstabilitäten wurden<br />
Laboruntersuchungen an feinkörnigen, synthetischen<br />
Feldspataggregaten durchgeführt. Die Versuche erfolgten<br />
bei 400 MPa Umgebungsdruck, Temperaturen von 950 °C<br />
bis 1200 °C und drei verschiedenen Scherverformungsraten<br />
in einer Hochdruck-Hochtemperatur-Torsionsapparatur.<br />
In diesen Experimenten konnte in vielen Fällen<br />
spontanes Scherbruchversagen nach Scherverformungen<br />
von 2,7 bis 4,8 beobachtet werden (Abb. 3.12). Die Deformation<br />
der Proben bis zum Bruch zeigte Newton-viskoses<br />
Verhalten, d. h. eine lineare Spannungsabhängigkeit<br />
von der Verformungsrate (n = 1, Abb. 3.13). Bevor es zur<br />
Bruchbildung kommt, weist die Mikrostruktur des deformierten<br />
Materials intergranulare Hohlräume auf, die<br />
durch Korngrenzgleiten entstehen und wachsen. Die<br />
Geschwindigkeit der plastischen Verformungsprozesse<br />
(z. B. Korngrenzdiffusion) reicht nicht aus, um die Porenräume<br />
selbst bei hohem Umgebungsdruck und hoher Temperatur<br />
zu schließen (Abb. 3.14a bis d). Die Wechselwirkung<br />
und Vereinigung der Hohlräume führt zu Rissstrukturen,<br />
die schließlich zum makroskopischen Bruch führen.<br />
Mit diesen Experimenten gelang erstmalig der Nachweis,<br />
dass duktile Rissbildung auch bei hohen Drücken<br />
und Temperaturen zum makroskopischen Bruch führen<br />
kann. Dies kann u. a. als ein möglicher Mechanismus für<br />
die Entstehung von tiefen Erdbeben an Plattengrenzen<br />
betrachtet werden.<br />
Seismotektonik,Spannungsfeld und Deformation<br />
an Plattengrenzen<br />
Nordanatolische Seitenverschiebung (Türkei)<br />
An der stark segmentierten Nordanatolischen Seitenverschiebung<br />
in der West-Türkei wird die Nachbebentätigkeit<br />
als Folge der großen Erdbeben von Izmit und<br />
Düzce untersucht. Die Nordanatolische Seitenverschiebung<br />
(NAFZ) ist mit mehr als 1.000 km Länge eine der großen<br />
intrakontinentalen Plattenrandstörungen auf der Erde.<br />
Aus geologischen und geodätischen Messungen ergeben<br />
sich an dieser Plattengrenze Relativverschiebungen von<br />
20 bis 25 mm pro Jahr. Diese finden entlang einer schmalen<br />
Naht zwischen dem Anatolischen Block im Süden und<br />
Eurasien im Norden statt. Seit 1939 wurde eine westwärts<br />
gerichtete Abfolge von Starkbeben entlang der NAFZ festgestellt,<br />
in deren Verlauf quasi der gesamte Bereich von Ost-<br />
Anatolien bis kurz vor Istanbul gerissen ist. Die Erdbeben<br />
von Izmit und Düzce im August und November 1999 sind<br />
die bisher letzten starken Erdebeben in diesem Zusammenhang.<br />
Beide weisen eine rechtslaterale Seitenverschiebung<br />
auf, die in Einklang mit dem horizontalen Geschwindigkeitsfeld<br />
an der Erdoberfläche steht. Wir haben die Verteilung<br />
der Herdmechanismen von 446 Nachbeben des Izmit-<br />
Erdbebens untersucht, aus der sich eine Gliederung der<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
279
280<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 3.10: Oben Mitte: Ummantelte Gesteinsprobe mit akustischen Aufnehmern. Die Risse sind bei Belastungsbeginn<br />
statistisch in der Probe verteilt (oben links) und erst unmittelbar an der Belastungsgrenze entsteht ein Riss-Cluster,<br />
dass sich schließlich zum Scherbruch entwickelt (oben rechts). Unten: Die Last-Zeit-Kurve des Experiments<br />
(schwarz) ist verschiedenen statistischen Parametern (Korrelationskoeffizient c, räumliche Verteilung d, b-Wert, AE<br />
Aktivität) gegenübergestellt, die alle signifikante Veränderungen vor und während des Nukleationsprozesses durchlaufen.<br />
Die Nukleationsphase wird durch ein Maximum des Korrelationskoeffizienten c angezeigt (grauer Pfeil).<br />
Top: sample inside rubber jacket with AE sensors glued to the rock. Top left: AE hypocenters located during initial loading<br />
indicate distributed cracking. Top right: AE hypocenter locations recorded at peak stress indicating nucleation<br />
of a shear fracture. Bottom left and right: Temporal variation of AE parameters during a fracture experiment on a granite<br />
sample. Loading curve (black), correlation coefficient c, fractal dimension d, slope of frequency-amplitude distribution<br />
b and activity of located AE. Nucleation is indicated by a maximum of the correlation coefficient c (grey arrow).<br />
Izmit-Ruptur in vier Segmente ergibt: Im Epizentralbereich<br />
des Bebens und am östlichen Ende der Ruptur – hier fand<br />
drei Monate später das Düzce-Erdbeben statt – dominierten<br />
Seitenverschiebungen und teilweise auch Abschiebungen.<br />
Der dazwischen liegende Bereich hingegen wies einheitlich<br />
Ost-West-gerichtete Abschiebungen auf und deutet<br />
auf die Existenz eines Pull-apart Beckens hin. In der<br />
Abb. 3.12: Ansicht einer tordierten Feldspatprobe (Schersinn<br />
ist rechts-lateral). Dargestellt sind die Orientierungen<br />
der Scherfoliation, des makroskopischen Scherbruchs<br />
sowie der Hauptspannungsrichtungen.<br />
Samples deformed to high strain suddenly failed at a critical<br />
shear strain of about 3 to 5. Final failure occurs by<br />
coalescence and interaction of cavities and fissures. The<br />
fissures and the helidoical macroscopic fracture are oriented<br />
about 30° to the maximum principal stress δ 1. The corresponding<br />
coefficient of internal friction µ is about 0.6,<br />
indicating a shear-type failure mode.<br />
Abb. 3.11: Übersicht über Herdparameter<br />
seismischer Ereignisse, die im Labor,<br />
bei Bohrloch-Injektionen, in Minen und<br />
an großen Plattenrandstörungen (1999<br />
Izmit Erdbeben) bestimmt wurden. Die<br />
Magnitude (M w), das seismische Moment<br />
(M 0), die Energiefreisetzungsrate (G c)<br />
und die kritische Verschiebungsweite (D c)<br />
korrelieren mit der Dimension der Prozesszone<br />
(r c) und der Bruchlänge.<br />
Scale-dependent source parameters of<br />
seismic events from lab experiments,<br />
well-injection tests, deep mines and the<br />
1999 Izmit earthquake. Magnitude (M w),<br />
seismic moment (M 0), energy release rate<br />
and critical slip distance (D c) correlate<br />
with process zone size (r c) and rupture<br />
length.<br />
Bucht von Izmit (Marmara-Meer), dem westlichsten Teil<br />
der Ruptur, ist eine räumliche Aufzweigung der Nachbebenaktivität<br />
zu erkennen, wobei einzelne aktive Segmente<br />
ein hohes Maß an ähnlichen Herdmechanismen aufweisen.<br />
Die aus der Verteilung von Herdmechanismen abgeleitete<br />
Segmentierung entlang der Izmit-Ruptur korreliert mit der<br />
aus koseismischem Versatz bestimmten Unterteilung ent-<br />
Abb. 3.13: Spannungs-Verformungsdaten bei einer Scherverformung<br />
von 3 und bei verschiedenen Temperaturen in<br />
doppelt-logarithmischer Darstellung. Der mittlere Spannungsexponent<br />
ist etwa n = 1, was auf (makroskopisch)<br />
linear viskoses Fließen hindeutet.<br />
Calculation of the macroscopic stress sensitivity yields a<br />
stress exponent of n ~ 1, indicating linear viscous diffusioncontrolled<br />
creep as dominant deformation mechanism.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
281
282<br />
Abb. 3.14: Entwicklung von Hohlräumen durch Korngrenzgleiten bei hoher plastischer Verformung von γ≈4 (T = 1150<br />
°C, P = 400 MPa). Die Verbindung von Porenräumen führt zu konjugierten Rissstrukturen in regelmäßigen Abständen<br />
und schließlich zum Scherbruch. Die eingezeichneten Rechtecke geben die Position der jeweils nächst höheren Vergrößerung<br />
an.<br />
High-temperature fractures growing by coalescence of intergranular cavities. Cavities nucleate preferentially at grain<br />
triple junctions. Shear sense is right lateral.<br />
lang der NAFZ in diesem Bereich (Abb. 3.15, rote Linien):<br />
Gebiete mit hohem Versatz weisen hauptsächlich Seitenverschiebungscharakter<br />
auf, wohingegen Barrieren mit<br />
geringem Versatz zum großen Teil EW-gerichtete Abschiebungen<br />
zeigen.<br />
Aus der Untersuchung des lokalen Spannungsfeldes und<br />
seiner raum-zeitlichen Entwicklung vor und nach dem<br />
Erdbeben von Izmit ergibt sich eine deutliche Rotation der<br />
Hauptspannungsrichtungen im Zusammenhang mit diesem<br />
Ereignis. So ist z. B. im Bereich Izmit-Sapanca die<br />
maximale horizontale Hauptspannungsrichtung nach dem<br />
Erdbeben um 8° gegen den Uhrzeigersinn gedreht. Am<br />
östlichen Ende der Ruptur hingegen (Karadere-Düzce<br />
Gebiet) sind die Hauptspannungen um mehr als 20° im<br />
Uhrzeigersinn rotiert.<br />
Dead Sea Transform<br />
Die Dead Sea Transform trennt die Arabische Platte von<br />
der Sinai-Mikroplatte und erstreckt sich über 1.000 km<br />
vom Extensionsgebiet im Roten Meer im Süden bis zur<br />
Taurus-Zagros Kollisionszone im Norden (Abb. 3.16).<br />
Seit dem Miozän beträgt der sinistrale Versatz an dieser<br />
Plattengrenze mehr als 100 km. Im Rahmen des DESERT<br />
Projektes wurden drei Segmente der Dead Sea Transform<br />
hinsichtlich ihrer Struktur, Kinematik und Fluid-Gestein-<br />
Wechselwirkung untersucht und miteinander verglichen.<br />
Die strukturellen Untersuchungen belegen ein relativ konstantes<br />
Paläospannungsfeld mit einer NW-SE Kompressions-<br />
und einer NE-SW Dehnungsrichtung für alle untersuchten<br />
Segmente. Die verschiedenen Segmente der Dead<br />
Sea Transform sind hinsichtlich ihres Deformationsalters,<br />
Drücken und Temperaturen (< 250 °C) sehr ähnlich, weisen<br />
aber erhebliche Unterschiede in der Fluidzufuhr und<br />
bei der Verheilung und Zementation von Bruchstrukturen<br />
auf.<br />
Die untersuchten Bruchzonen des südlichen Araba-Segments<br />
(Jordanien) sind locker und ohne erkennbare Bindung<br />
gepackt, während die Bruchzonen der nördlichen<br />
Serghaya und Ghab Segmente (Syrien) durch umfassen-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 3.15: Oben: Topographische Karte des Izmit-Segmentes der Nordanatolischen Seitenverschiebung (nach Fielding<br />
et al., 1999). Rote gestrichelte Linien indizieren die simplifizierte Oberflächenruptur des Izmit-Bebens (nach Barka et<br />
al., 2002). Unten: Verteilung der 446 hier untersuchten Herdmechanismen von Izmit-Nachbeben. Die nummerierten<br />
Bereiche markieren Segmente einheitlicher Herdmechanismen entlang der Ruptur des Hauptbebens (Bohnhoff et al.,<br />
in press).<br />
Top: Topographic map of the Izmit segment of the North Anatolian Fault Zone (after Fielding et al., 1999). Red dotted<br />
lines indicate the simplified surface rupture of the Izmit event (after Barka et al., 2002). The bold red dot indicates the<br />
epicenter of the Izmit mainshock. Bottom: Distribution of the 446 focal mechanisms analyzed in this study and segmentation<br />
identified based on special clustering of focal mechanisms (Bohnhoff et al., in press).<br />
de vermutlich rezente (< 1200 Jahre) Verheilungsprozesse<br />
(Zementation) gekennzeichnet sind. Mit Hilfe geochemischer<br />
Gesteinsanalysen konnte gezeigt werden, dass<br />
überwiegend meteorische Wässer für die Zementation der<br />
Bruchzonen verantwortlich sind. Der Zufluss meteorischer<br />
Wässer wird vermutlich durch Unterschiede in der<br />
Morphologie und im Klima (arides Klima und Wüste in<br />
Jordanien; Mittelmeerklima und Berge in Syrien) beeinflusst.<br />
Numerische Modellierung der Deformation an einer Plattengrenze<br />
Am Beispiel des chilenischen Kontinentalrandes wurden<br />
numerische Modellstudien zu schiefer Subduktion durchgeführt,<br />
um grundsätzliche Erkenntnisse über die Mechanismen<br />
und Steuerfaktoren der Deformationsmuster an<br />
aktiven Kontinentalrändern zu erlangen. Am chilenischen<br />
Kontinentalrand erzeugt die Partitionierung (Aufteilung)<br />
der Deformation im Fore-Arc der Oberplatte eine Verschiebungskomponente<br />
parallel zum Plattenrand. Damit<br />
verbunden ist die Aktivität großer Seitenverschiebungen,<br />
wie die Atacama- und West-Fissure-Störungszonen im<br />
Norden Chiles (AFZ bzw. PFZ) und die Liquiñe-Ofqui Störungszone<br />
im Süden (LOFZ). Die senkrecht zum Plattenrand<br />
orientierte Bewegungskomponente führt in vielen<br />
Fällen zu Verkürzungs- und Überschiebungsstrukturen.<br />
Die Ergebnisse der numerischen Modellierungen zeigen,<br />
dass die parallel zum Plattenrand wirkende Komponente<br />
der Deformation tatsächlich in einer großen Scherzone<br />
lokalisiert wird. Diese Scherzone entwickelt sich i. d. R.<br />
über der unteren Begrenzung der Koppelzone zwischen<br />
Ober- und Unterplatte (Abb. 3.17b, c). Dies stimmt mit<br />
Feldbeobachtungen überein. Im Modell entwickelt sich<br />
nur dann eine Scherzone parallel zur Plattengrenze, wenn<br />
der Reibungskoeffizient in der Grenzfläche zwischen<br />
Ober- und Unterplatte am unteren Ende der Koppelzone<br />
(Abb. 3.17a) sprunghaft abnimmt.<br />
Verglichen mit GPS-Messungen ist die senkrecht zum<br />
Plattenrand orientierte Komponente der Deformation in<br />
den numerischen Modellen generell zu klein (Abb. 3.17c,<br />
d). Dies weist darauf hin, dass auch die nach Westen gerichtete<br />
Bewegung der südamerikanischen Platte in der Konvergenzrate<br />
berücksichtigt werden muss. Einen großen<br />
Einfluss auf die Deformation des Fore-Arcs haben die Festigkeit<br />
des Materials der Oberplatte und die Reibungseigenschaften<br />
der Grenzfläche im Bereich der seismischen<br />
Koppelzone zwischen den konvergierenden Platten. Weitere<br />
wichtige Parameter, die eine Partitionierung der Verformung<br />
am Plattenrand maßgeblich beeinflussen, sind<br />
die Schiefe der Plattenkonvergenz, die Konvergenzrate<br />
und der Abtauchwinkel der subduzierten Unterplatte.<br />
Postseismische Deformation und die Viskosität der Unterkruste<br />
– Laborexperimente<br />
Die genaue Kenntnis der Spannungsverhältnisse und der<br />
Verformungsprozesse in der unteren Erdkruste und im<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
283
284<br />
Abb. 3.16: (oben links) Ghab Störungssegment in Syrien. Das römische Aquädukt wurde durch Erdbeben linkslateral<br />
um 13,6 m versetzt; (oben rechts) Serghaya Störung in Syrien. Übergangsbereich zwischen Störungskern und störungsbezogener<br />
Deformationszone; (unten links) Serghaya Störung. Mit Kalzit verheilte Bruchflächen im Bereich der<br />
störungsbezogenen Deformation; (unten rechts) Kathodolumineszenzaufnahme von Verheilungsprozessen in einer<br />
Störungsbrekzie. Kontakt zwischen Matrix und zwei Generationen von Kluftkalziten.<br />
(Top left) Ghab fault segment in Syria. Earthquakes caused a 13.6 m total left-lateral displacement of an ancient Roman<br />
aqueduct (Meghraoui at al. 2003); (top right) Serghaya fault segment. Transition between altered fault core and damage<br />
zone; (bottom left) Fault-related damage zone with calcite cemented fractures; (bottom right) Cathodoluminescence<br />
image of healing processes in a fault breccia. Contact area between matrix and two generations of undeformed vein<br />
cement.<br />
oberen Erdmantel ist zum Verständnis tektonischer Prozesse<br />
wichtig. Die post- und interseismische Spannungsumlagerung<br />
und Deformation an Plattengrenzen und großen<br />
Scherzonen wird entscheidend durch die plastische<br />
Verformung tiefer Krustenstockwerke und des oberen<br />
Mantels beeinflusst. Zur Abschätzung der Viskosität von<br />
Unterkruste und oberem Mantel werden derzeit hauptsächlich<br />
zwei Verfahren benutzt. Zum einen wird die<br />
Deformation in großer Tiefe auf der Grundlage postseismischer<br />
Oberflächenbewegungen modelliert, die mittels<br />
Satelliten-gestützter Messungen (GPS, InSAR) in den<br />
letzten Jahren hochgenau bestimmt werden konnte. Andererseits<br />
können präzise Hochtemperatur-Deformationsmessungen<br />
aus Laborexperimenten genutzt werden, um<br />
Stoffgesetze zu formulieren, die Viskosität und Materialverhalten<br />
der Gesteine beschreiben. Eine Extrapolation<br />
der Labordaten zu natürlichen Bedingungen erlaubt dann<br />
die Berechnung der In-Situ-Viskosität für bestimmte<br />
Krustenzusammensetzungen und thermodynamische<br />
Randbedingungen.<br />
Allgemein hängt das Deformationsverhalten von Gesteinen<br />
neben Chemismus und Gefüge entscheidend von der<br />
Temperatur und dem Wassergehalt sowie in der Erdkruste<br />
untergeordnet auch vom Druck ab. Neuere<br />
Erkenntnisse zeigen, dass schon Spurenanteile von Wasser<br />
die Gesteinsfestigkeit sehr stark vermindern. Diese<br />
Spurenanteile von Wasser sind auch in den nominell wasserfreien<br />
typischen Mineralen der Unterkruste, wie z. B.<br />
Feldspat, vorhanden. Die Viskosität eines Gesteins hängt<br />
dabei in Form eines Potenzgesetzes vom Wasserpartialdruck<br />
bzw. der Wasserfugazität ab. Laborversuche an<br />
synthetischen, feinkörnigen und wassergesättigten Feldspataggregaten<br />
ergaben einen Fugazitätsexponenten von<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 3.17: (a) Modellaufbau des numerischen 3D-Experimentes zur Untersuchung der Deformationsmuster bei schiefer<br />
Subduktion. Das Modell hat eine NS Ausdehnung von ca. 850 km und eine EW Ausdehnung von ca. 600 km. Für<br />
die Veranschaulichung der Ergebnisse wird nur der mittlere Teil des Modells mit einer Länge von 450 km Länge verwendet.<br />
(b) Horizontale plastische Deformation des Fore-Arc Keils im Norden Chiles, Deformation in NS Richtung zur<br />
Verdeutlichung des Deformationsmusters 25-fach überhöht dargestellt. (c) siehe b, Modell für den südlichen Teil Chiles.<br />
(d, e) Verschiebungsraten parallel und senkrecht zum Plattenrand, Vergleich von numerischem Modell (rote Linie)<br />
mit GPS Daten für (d) Nord-Chile und (e) Süd-Chile.<br />
(a) Model set up of the 3D numerical experiments investigating styles of deformation for oblique subduction. NS extension<br />
of the model is about 850 km and 600 km in EW direction. (b) Horizontal plastic strain of the forearc wedge of<br />
the model for northern Chile, NS shortening 25 times exaggerated. (c) see b, southern model. Displacement rates<br />
parallel and normal to plate-boundary. Model prediction is compared to GPS data for (d) northern Chile (e) southern<br />
Chile.<br />
ca. 1, d. h. die Verformungsrate ist linear mit der Wasserfugazität<br />
korreliert. Thermodynamische Überlegungen<br />
zeigen, dass in Feldspäten die Hydrolyse von Sauerstoffbindungen<br />
als wesentliche Ursache für die Viskositätsreduzierung<br />
in der Anwesenheit von Wasser angesehen<br />
werden kann.<br />
Die Druckabhängigkeit der Gesteinsviskosität wird maßgeblich<br />
durch das Aktivierungsvolumen des vorherr-<br />
schenden Deformationsprozesses bestimmt. Versuche an<br />
trockenen und wasserhaltigen Anorthit-Aggregaten ergaben<br />
Werte von 24 cm 3 mol –1 bzw. 38 cm 3 mol –1 . Die Extrapolation<br />
der Labordaten für Diffusionskriechen zu natürlichen<br />
Bedingungen ist in Abb. 3.18 im Vergleich zu<br />
Ergebnissen an Olivin und Klinopyroxen in Form von<br />
Spannungs-Tiefenprofilen dargestellt. Für wassergesättigte<br />
Bedingungen ist Feldspat deutlich weicher als Pyroxen<br />
und Olivin.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
285
286<br />
Abb. 3.18: Spannungs-Tiefenprofile für die kontinentale Kruste, extrapoliert<br />
aus Fließgesetzen für synthetischen Feldspat (An), Pyroxen (CPx) und Olivin<br />
(Ol). Die Daten sind für Korngrenz-Diffusionskriechen bei einer Verformungsrate<br />
von 10 –12 s –1 und20 µm Korngröße berechnet. Trockene Gesteine<br />
sind wesentlich härter als wassergesättigte Aggregate. Spannungsberechnungen<br />
für Anorthit unter Berücksichtigung der Aktivierungsenergie<br />
und der Wasserfugazitätsabhängikeit (dicke durchgezogene Linien) ergeben<br />
ca. 3-fach größere Werte als ohne (dünne Linien).<br />
Stress-depth profiles for the continental crust from extrapolated flow laws of<br />
synthetic feldspar (An), pyroxene (CPx), and olivine (Ol) rocks. Grain boundary<br />
diffusion creep data are plotted for 20 µm grain size and 10 –12 s –1 strain<br />
rate. The extrapolation indicates the effect of activation volume and water<br />
fugacity on strength. Thick solid lines are based on flow laws for anorthite<br />
aggregates from this study. Thin solid lines represent flow laws for anorthite<br />
from a previous study (Rybacki and Dresen, 2000) that do not include V and<br />
r estimates. Short broken lines represent (Sleaford Bay) clinopyroxenite (Hier-<br />
Majumder et al., <strong>2005</strong>). Data for olivine are taken from Mei and Kohlstedt<br />
(2000a, 2000b) (dash-dot lines) and Karato and Jung (2003) (dash-dot-dot<br />
lines). Temperature calculation corresponds to surface heat flow of 80 mWm –2<br />
(Chapman and Furlong, 1992). Fugacities were determined assuming quartzfayalite-magnetite<br />
(QFM)-buffered conditions in the continental crust. NF, SS,<br />
and TF denote frictional strength of normal faults, strike slip faults, and thrust<br />
faults, respectively, using Byerlee’s law (Byerlee, 1978) for a mean crustal<br />
density of 2.7 gcm –3 and assuming hydrostatic pore pressure.<br />
Gesteinsphysik und Geomechanik<br />
Mechanisches Verhalten Stützmittel führender<br />
und selbstgestützter Risse unter<br />
In-Situ-Bedingungen<br />
Zur Verbesserung der Produktivität von<br />
Fluidlagerstätten werden hydraulische<br />
Stimulationsmaßnahmen durchgeführt,<br />
mit dem Ziel, die Permeabilität der Speichergesteine<br />
zu erhöhen. Hierzu wird ein<br />
hochpermeabler Riss im Reservoir erzeugt,<br />
in den Stützmittel (Proppants)<br />
verpresst werden, die ihn offen halten<br />
(Abb. 3.19). Bei vielen dieser Maßnahmen<br />
bleibt die Verbesserung der Produktivität<br />
hinter den Erwartungen bzw.<br />
Berechnungen zurück. Einen wesentlichen<br />
Einfluss auf die Produktivität hat<br />
der so genannte Fracture Face Skin<br />
(FFS). Der FFS beschreibt die reduzierte<br />
Gesteinspermeabilität in der direkten<br />
Umgebung des Risses senkrecht zur<br />
Rissfläche, die den hydraulischen Widerstand<br />
für das einströmende Fluid erhöht.<br />
Neben anderen Effekten kann die Interaktion<br />
zwischen Proppant und Gesteinsmatrix<br />
zu einem mechanischen FFS führen.<br />
Hierbei verursachen das Verpressen<br />
von Stützmitteln sowie die Zerstörung<br />
von Proppants und Gesteinsmatrix eine<br />
Kompaktion und Produktion von<br />
Feinstmaterial. Durch diese mechanischen<br />
Effekte wird die Permeabilität in<br />
der direkten Umgebung des Risses vermindert.<br />
In einem am <strong>GFZ</strong> entwickelten experimentellen<br />
Aufbau wurde der FFS-Effekt<br />
an Rissen in einer Probe von Bentheimer<br />
Sandstein gemessen. Ein Versuch setzt<br />
sich dabei aus drei Einzeltests zusammen.<br />
Zuerst wird die initiale Permeabilität der<br />
Probe bei ansteigender Differenzspannung<br />
(P Diff) bis 50 MPa bestimmt<br />
(Ummantelungsdruck (P c) = 10 MPa). Im<br />
zweiten Schritt wird ein Zugriss durch<br />
einen 3-Punkt-Biege-Versuch in der Probe<br />
erzeugt. Schließlich wird dieser Riss mit<br />
2 lbs/ft 2 Low Strength Proppants gefüllt.<br />
Die Probe wird erneut bis 50 MPa P Diff<br />
triaxial belastet und die Permeabilität<br />
ermittelt. Die akustischen Emissionen<br />
(AE) werden dabei kontinuierlich registriert<br />
und lokalisiert.<br />
Abb. 3.19: Schnitt durch einen mit Stützmittel<br />
(Proppant) gefüllten Riss in einem<br />
Bohrloch.<br />
View into a proppant filled vertical fracture<br />
in a borehole.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 3.20 zeigt die Permeabilität und<br />
die AE-Events bzw. die AE-Dichte<br />
(jeweils als Projektion in die ZY-Ebene)<br />
für vier Belastungsstufen. Die Permeabilitätswerte<br />
(k 1) des Gesteins ohne Riss liegen<br />
im Druckintervall 5 bis 50 MPa um<br />
1250 mD und zeigen im Rahmen des Fehlers<br />
keine Veränderung. Im Gegensatz<br />
dazu liegt die Permeabilität (k 2) von Proben,<br />
die einen mit Proppants gefüllten<br />
Riss enthalten, bei 125 mD bis 105 mD.<br />
Die AE-Aktivität zeigt, dass die Zerstörung<br />
von Gesteinsmatrix und Proppants<br />
bereits bei geringer Belastung P Diff (~ 5<br />
MPa) an den Rissflächen einsetzt. Die<br />
AE-Events konzentrieren sich zuerst auf<br />
den Kontakt der Gesteinsmatrix mit der<br />
Proppant-Füllung, mit steigender Belastung<br />
wandert die Aktivität in die Proppant<br />
Packung. Durch mikroskopische Untersuchungen<br />
nach Testende wurden sowohl<br />
zerstörtes Matrixmaterial als auch zerstörte<br />
Proppants identifiziert.<br />
Bei diesem Bespiel handelt es sich um<br />
einen ersten Test. Für allgemeine Aussagen<br />
müssen weitere modifizierte Versuche<br />
durchgeführt werden. Als wesentliches Zwischenergebnis<br />
zeigt sich, dass es an der Rissfläche bereits bei geringen<br />
Differenzialspannungen zu Zerstörungen kommt und<br />
hierbei Feinstmaterial produziert wird, das die Permeabilität<br />
des Gesteinsmatrix-Proppant-Systems reduziert.<br />
Elastische Wellengeschwindigkeiten und Rissdichte von<br />
Gesteinen<br />
Die elastischen Eigenschaften von Gesteinen, insbesondere<br />
die Ausbreitung elastischer Wellen im Gestein werden<br />
durch die druck- und belastungsabhängige Präsenz<br />
von Brüchen und Mikrorissen entscheidend beeinflusst.<br />
Der Einfluss der Rissporosität auf die elastischen Wellengeschwindigkeiten<br />
wird am Beispiel von Basalt- und Granitproben<br />
untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass mit<br />
ansteigendem isostatischem Druck bis 120 MPa vorhandene<br />
Mikrorisse zunehmend geschlossen werden und die<br />
P-Wellengeschwindigkeiten um mehr als 50 % in den<br />
Basaltproben und um weniger als 20 % in den Granitproben<br />
steigen. Die Analyse der Herdmechanismen von akustischen<br />
Emissionen weist darauf hin, dass die Risse und<br />
Abb. 3.21: Rissdichte in (a) Basalt und (b) Granit invertiert<br />
aus der belastungsabhängigen elastischen P-Wellengeschwindigkeit<br />
mit Hilfe des Models von Soga et al.<br />
(1978). Γ H ist die Rissdichte parallel zur Belastungsrichtung<br />
und zur vertikalen Probenachse, Γ V ist die Rissdichte<br />
senkrecht zur Probenachse.<br />
Crack density inverted from P-wave velocity data using<br />
the model of Soga et al., (1978) for Basalt (a) and Granite<br />
(b). Γ H is the density of cracks oriented parallel to the<br />
vertical sample axis compression direction, Γ V is the density<br />
of cracks oriented normal to the sample axis.<br />
Abb. 3.20: a) Vergleich der initialen Permeabilität (k 1) einer Bentheimer<br />
Sandstein Probe mit der Permeabilität derselben Probe mit einem durch<br />
Proppants verfüllten Riss (k 2) bei 10 MPa Ummantelungsdruck. b) Darstellung<br />
der AE-Events bzw. die AE-Dichte als Projektion in die ZY-Ebene bei<br />
Belastung der Probe mit Proppant gefülltem Riss.<br />
Comparison of initial permeability (k 1) of a) Bentheim sandstone sample<br />
with permeability of the same sample with a propped fracture (k 2) at 10 MPa<br />
confinement b) Plot of AE-Locations and AE-Density projected in the<br />
ZY-plane during loading of the sample with a propped fracture.<br />
andere Poren mit steigendem Druck zunehmend kollabieren.<br />
Die druckabhängigen Rissdichten wurden mit verschiedenen<br />
Modellansätzen aus den veränderlichen Ge-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
287
288<br />
schwindigkeiten und elastischen Parametern ermittelt. Bei<br />
Atmosphärendruck stimmen sie mit Abschätzungen der<br />
Rissdichte aus der Mikrostruktur überein.<br />
Bei triaxialer Belastung der Proben entwickelt sich eine<br />
starke Anisotropie der elastischen Wellenausbreitung, die<br />
mit einer bevorzugten Orientierung der induzierten<br />
Mikrorisse korrespondiert (Abb. 3.21). Mit zunehmender<br />
Rissdichte nehmen die P- und S- Wellengeschwindigkeiten<br />
stark ab. Die Quellmechanismen der bei der Rissbildung<br />
bzw. bei Rissöffnung erzeugten akustischen Emissionen<br />
weisen auf eine komplexe mixed-mode Bruchausbreitung<br />
hin.<br />
Numerische Modellierung des Risswachstums<br />
Die Bruchbildung in Gesteinen ist ein komplexer Prozess,<br />
der von der Nukleation über das Risswachstum bis zum<br />
makroskopischen Bruch führt. Zur vollständigen<br />
Beschreibung dieses Prozesses muss der Wachstumspfad<br />
von Rissen bekannt sein. Um diesen Vorgang besser zu<br />
verstehen, wurden die Ergebnisse von Laborexperimenten<br />
mit numerischen Simulationen verglichen. In triaxialen<br />
Experimenten wurden zunächst Einzelscherrisse in<br />
Granitzylindern erzeugt. Der makroskopische Rissverlauf<br />
Abb. 3.22: Numerische Analyse von Mischrisswachstum in einer Scheibe mit<br />
einem geneigten Einzelriss unter einaxialem Druck: a) Finite Elemente Diskretisierung;<br />
b) Initialer Scherrissverlauf und neue Zugrissfortschrittsrichtung<br />
θ; c) Konturplot der vertikalen Druckspannung σ yy; d) gewichtete<br />
Energiefreisetzungsrate gegen den Ausbreitungswinkel des zukünftigen<br />
Zugrisses.<br />
Numerical analysis of mixed-mode cracking in a plate with a tilted single<br />
crack under uniaxial compressive stress (a) Finite Element mesh (b) initial<br />
shear crack and new potential tensile crack propagation path (angle theta)<br />
(c) contour plot of stress component and (d) weighted energy release rate<br />
versus angle of propagation of the future tensile crack.<br />
in diesen Proben war vom Umgebungsdruck abhängig.<br />
Mit einem neu entwickelten numerischen Simulations-<br />
Tool wurde das beobachtete Risswachstum im Modell<br />
reproduziert. Hierzu wurde zunächst die komplexe Ausbreitung<br />
eines gemischten Zug- und Scherrisses (mixedmode)<br />
mit der Extended Finite Elemente (X-FEM) Methode<br />
untersucht. Bei der Entwicklung des Modells wurde<br />
die in Abb. 3.22a dargestellte Scheibe mit einem schrägen<br />
Einzelriss unter einaxialem Druck betrachtet. Zur<br />
Bestimmung der Rissfortschrittsrichtung wurde das modifizierte<br />
Kriterium der maximalen Energiefreisetzungsrate<br />
(Shen und Stephansson, 1994) in das bestehende 2D-<br />
X-FEM Modell implementiert. Dieses Kriterium berücksichtigt,<br />
dass der kritische Spannungsintensitätsfaktor<br />
für den Scherbruch K IIc normalerweise wesentlich größer<br />
ist als der kritische Spannungsintensitätsfaktor für den<br />
Zugbruch K Ic. In Abb. 3.22b ist der initiale Riss und mögliche<br />
Rissfortschrittsrichtungen schematisch dargestellt.<br />
Abb. 3.22c zeigt den Spannungsverlauf der vertikalen<br />
Druckspannung σ yy am initialen Scherriss. In Abb. 3.22d<br />
ist der Verlauf der gewichteten Energiefreisetzungsrate für<br />
ein Verhältnis K IIc/K Ic = 10 in Abhängigkeit des Rissfortschrittswinkels<br />
θ dargestellt. Der Rissfortschritt erfolgt in<br />
Richtung der maximalen, gewichteten Energiefreisetzungsrate.<br />
Bei dem hier gewählten Beispiel wächst der<br />
neu gebildete Zugriss an den Spitzen des<br />
initialen Scherrisses unter 90°.<br />
Klimadynamik und Sedimente<br />
Am <strong>GFZ</strong> Potsdam werden mit modernen<br />
geowissenschaftlichen Analysemethoden<br />
in der Sektion 3.3 Klimarekonstruktionen<br />
an Sedimenten durchgeführt. Diese ermöglichen<br />
in Kombination mit archäologischen<br />
und historischen Quellen, die<br />
Reaktionen antiker Gesellschaften auf<br />
Veränderungen des Klimas nachzuvollziehen.<br />
Dies ist ein relativ neuer Forschungsansatz,<br />
doch aktuelle, jährlich bis<br />
dekadisch aufgelöste Klimazeitreihen erbrachten<br />
in den letzten Jahren verblüffende<br />
Erkenntnisse. So verraten geochemische<br />
Analysen von Seesedimenten auf<br />
der mexikanischen Yucatan-Halbinsel in<br />
Kombination mit laminierten marinen<br />
Sedimenten vor der Küste Venezuelas,<br />
dass der Untergang der klassischen Maya<br />
Kultur mit einer allgemeinen Trockenheit<br />
in der Region und punktierten, wenige<br />
Jahre andauernden Dürrephasen einherging.<br />
Der Zusammenbruch des Akkadischen<br />
Reiches in Mesopotamien vor<br />
4.200 Jahren, der Niedergang der Mochica-Kultur<br />
an den Küsten Perus vor 1.500<br />
Jahren, das Ende der Tiwanaku-Zivilisation<br />
im Hochland Boliviens und Perus vor<br />
einem Jahrtausend und das Ende chinesischer<br />
Dynastien – all diese Entwicklungen<br />
lassen sich mit lang anhaltenden<br />
Dürren in Verbindung bringen. Mögen<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
auch in allen diesen Fällen noch andere Faktoren eine<br />
große Rolle gespielt haben – Kriege, Überbevölkerung,<br />
Umweltzerstörung – so hatte doch stets eine drastische<br />
Klimaänderung entscheidenden Anteil am Untergang früher<br />
Hochkulturen. Im Folgenden wird anhand von Sedimenten<br />
des Roten Meers die Klimaentwicklung der<br />
Region Naher Osten auch im Hinblick auf die kulturelle<br />
Entwicklung diskutiert. Ferner wird das Klimaarchiv des<br />
Sees El'gygytgyn in Nordsibirien vorgestellt, welches im<br />
kommenden Jahr im Rahmen des Schwerpunktprogramms<br />
ICDP erbohrt werden soll, um die Klimageschichte<br />
der sibirischen Arktis während der letzten 3,6<br />
Millionen Jahre zu rekonstruieren.<br />
Sedimente des Roten und Schwarzen Meeres als<br />
Klimaarchive<br />
Multidekadische bis säkulare Klimavariabilität und die<br />
Nordatlantische/Arktische Oszillation<br />
Die Nordatlantische/Arktische Oszillation (NAO/AO)<br />
beschreibt ein überregionales vor allem winterwirksames<br />
Klimaphänomen, das einen signifikanten Anteil an der<br />
interannuellen und dekadischen Klimavariabilität der<br />
mittleren und hohen Breiten der Nordhemisphäre ausmacht.<br />
Auf längeren Zeitskalen ist die Bedeutung dieses<br />
Klimaphänomens jedoch nicht ausreichend untersucht.<br />
Durch instrumentelle Klimadaten ist belegt, dass das Klimageschehen<br />
sowohl in der Region des nördlichen Roten<br />
Meeres als auch im Nordosten Anatoliens durch die<br />
NAO/AO mitbestimmt wird. Während Phasen höherer<br />
Luftdruckunterschiede zwischen dem Islandhoch und<br />
dem Azorentief (positiver NAO) erhält Nordostanatolien<br />
relativ weniger Niederschlag (Turqes und Erlat, 2003),<br />
wohingegen im Bereich des nordöstlichen Roten Meeres<br />
vor allem die Staubsturmaktivität im Winter merklich<br />
nachlässt. Gleichzeitig kommt es im Bereich östliches<br />
Mittelmeer und nördliches Rotes Meer zu verstärkter Luftmassen-Subsidenz<br />
und damit zu erhöhter Verdunstung, die<br />
zu einer Destabilisierung der Wasserschichtung führt<br />
Abb. 3.23: Schematische Darstellung der Meeresoberflächen- und Niederschlagsanomalien<br />
während einer positiven NAO/AO Phase. Arbeitsgebiete<br />
im (1) südwestlichen Schwarzen Meer und (2) dem nördlichen Golf von<br />
Aqaba, Rotes Meer.<br />
Modern sea surface temperature and precipitation anomalies associated with<br />
positive NAO/AO. Area of investigation in (1) the southwestern Black Sea<br />
and (2) the northern Gulf of Aqaba, Red Sea.<br />
(Eshel und Farrell 2000; Zangvil et al. 2003, Abb. 3.23).<br />
Über die Bestimmung geeigneter Umweltkenngrößen an<br />
Sedimentabfolgen aus diesen Bereichen können langfristige<br />
Änderungen dieser Anomalien identifiziert werden.<br />
Das Rote Meer ist ein von Wüste umgebenes Randmeer,<br />
das durch die Straße von Bab el Mandeb (Tiefe 137 m)<br />
vom Indischen Ozean abgetrennt wird. Der Golf von<br />
Aqaba wiederum schließt im Nordosten über eine weitere<br />
Schwelle, der Straße von Tiran, an das nördliche Rote<br />
Meer an. Das im Süden oberflächennah einströmende<br />
Wasser sinkt im Norden durch sehr hohe Verdunstungsraten<br />
und Abkühlung in tiefere Wasserstockwerke ab, fließt<br />
dort zurück und verlässt das Rote Meer als extrem salzhaltiges<br />
Tiefenwasser. Aufgrund der weitgehend isolierten<br />
Lage des Roten Meeres führen Schwankungen des<br />
globalen Meeresspiegels sowie regionale und überregionale<br />
Änderungen der atmosphärischen Zirkulation zu<br />
besonders starken Veränderungen der lokalen Umweltbedingungen.<br />
Dieses und die besondere Qualität der vorhandenen<br />
Sedimentabfolgen machen das nördliche Rote<br />
Meer und im Speziellen den Golf von Aqaba zu einem hervorragenden<br />
Paläoumweltarchiv. Das letzte glaziale Maximum,<br />
vor etwa 19 bis 23.000 Jahren, dokumentiert sich<br />
in den marinen Sedimenten des nördlichen Roten Meeres<br />
in einer so genannten aplanktischen Zone. Durch die<br />
extrem hohen Salzgehalte (> 50 ‰) wurden die Toleranzgrenzen<br />
der meisten marinen Organismengruppen<br />
überschritten (z. B. Arz et al. 2003a). Erst mit dem stufenweisen<br />
Abschmelzen der Eiskappen und dem damit<br />
ansteigenden Meeresspiegel normalisierte sich das Ökosystem<br />
des nördlichen Roten Meeres. Der Beginn unserer<br />
Warmzeit ist im Nahen Osten als länger anhaltende<br />
Feuchtphase dokumentiert (Arz et al. 2003b). Diesem<br />
Langzeittrend sind eine Vielzahl von kürzeren hydroklimatischen<br />
Schwankungen aufgesetzt, die als quasiperiodische<br />
Änderungen (~ 800, ~ 500 und ~ 350 Jahre) z. B.<br />
im äolischen Eintrag und dem Grad der vertikalen Durchmischung<br />
der Wassersäule im nördlichen Golf von Aqaba<br />
zu erkennen sind (Abb. 3.24).<br />
Im Schwarzen Meer äußern sich längerfristige<br />
Verschiebungen im Niederschlagsmuster<br />
in einer deutlichen Änderung<br />
des Sedimenteintrags über die größeren<br />
Flusssysteme wie z. B. dem Sakarya,<br />
der die nordostanatolische Region<br />
zum Schwarze Meer hin entwässert<br />
(Abb. 3.25). Durch besonders starke<br />
Schichtungsverhältnisse im Schwarzen<br />
Meer – oberflächennah ist der Salzgehalt<br />
und damit die Dichte des Wassers<br />
durch den starken Süßwasserzustrom<br />
deutlich geringer als in den durch<br />
Zustrom salzreicheren Wassers aus dem<br />
Mittelmeer gekennzeichneten tieferen<br />
Stockwerken – herrschen hier seit annähernd<br />
8.000 Jahren am Meeresboden<br />
sauerstofffreie, lebensfeindliche Bedingungen,<br />
die eine besonders gute Erhaltung<br />
der Ablagerungen ermöglichen.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
289
290<br />
Abb. 3.24: Kurzfristige holozäne Klimaschwankungen während der letzten 7.500 Jahre dokumentiert in Sedimenten<br />
des nördlichen Golfes von Aqaba (Lamy et al. in press). Links: Schwankungen im Eintrag äolischen Materials (gelb)<br />
und Änderungen der Stratifizierung der Wassersäule (rot). Rechts: Kernlokation, Bathymetrie (nach Ehrhardt et al.<br />
<strong>2004</strong>) und schematische Darstellung der Zirkulation des Golfes von Aqaba.<br />
Multicentennial Holocene climate variability for the last 7.500 years reconstructed from the northern Gulf of Aqaba<br />
sediments (Lamy et al. in press). Left panel: Changes in the eolian input (yellow) and water column stratification (red).<br />
Right panel: Core location, bathymetry (after Ehrhardt et al. <strong>2004</strong>), and schematic representation of the Gulf of Aqaba<br />
circulation.<br />
Die analysierten Sedimentkerne zeigen eine deutliche<br />
Feinschichtung, die regelmäßig durch homogene, tonreiche<br />
Lagen unterbrochen werden (Abb. 3.25), welche<br />
während erhöhter Niederschläge im Einzugsgebiet des<br />
Sakaryas eingetragen werden. Änderungen in der Häufigkeit<br />
dieser Tonlagen können als Änderungen im<br />
Niederschlagsregime des Hinterlandes interpretiert werden.<br />
Auch in diesen Klimaarchiven sind, ähnlich wie<br />
Abb. 3.25: Kurzfristige holozäne Klimaschwankungen während der letzten 8.000 Jahre, dokumentiert in Sedimenten des<br />
südwestlichen Schwarzen Meeres (Lamy et al. in press). Rechts: Lage der bearbeiteten Sedimentkerne im südwestlichen<br />
Schwarzen Meer mit Satellitenaufnahmen des Arbeitsgebiets, in dem der Sedimenteintrag des Sakarya als helle Fahne zu<br />
erkennen ist. Links: Helligkeit des laminierten Sediments als Graustufenkurve und Röntgenaufnahme eines Kernausschnitts.<br />
In Blau ist die Variabilität der Tonlagenhäufigkeit während der letzten 8.000 Jahre dargestellt.<br />
Short-term Holocene climate fluctuation during the past 8.000 years reconstructed from sediment cores of the southwestern<br />
Black Sea (Lamy et al. in press). Right panel: Area of investigation with core locations and satellite image showing<br />
the sediment veil of the Sakarya River. Left panel: Sediment lightness as grayscale record and radiograph of a<br />
core section. In blue colors the clay layer frequency for the last 8.000 years is shown.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 3.26: Dokumentation eines Dürreereignisses im Shaban Tief, nördliches Rotes Meer. Links oben: Lokation<br />
des untersuchten Sedimentkerns und die Bathymetrie des Shaban Tiefs mit heutiger Lage der Grenzfläche zwischen<br />
Meerwasser und Sole (rote Linie). Links unten: Radiographie der teils laminierten Sedimente des Shaban Tiefs<br />
mit Alterskontrollpunkten. Rechts: Paläoumweltdaten, die die kurzzeitige Anomalie um 4.200 Jahren v. H. dokumentieren.<br />
Evidence for a drought event from the Shaban Deep, northern Red Sea. Left, upper panel: Sediment core location and<br />
the bathymetry of the Shaban Deep with the present sea-water/brine interface (red line). Left, lower panel: Radiograph<br />
of the partly laminated sediments of the Shaban Deep with age control points. Right: Environmental proxy data indicating<br />
the short-term climate anomaly at around 4.200 years B. P.<br />
in den Daten aus dem nördlichen Roten Meer, eine Vielzahl<br />
von säkularen hydroklimatischen Schwankungen<br />
zu erkennen (Abb. 3.25).<br />
Durch den Vergleich mit anderen Paläoklimadaten aus der<br />
zirkumatlantischen Region werden geographische Muster<br />
erkennbar, die auf eine großskalige Verschiebung der<br />
atmosphärischen Zirkulation und eine Wirksamkeit des<br />
interannuellen Klimaphänomens der Nordatlantischen<br />
Oszillation (NAO) auch auf längeren Zeitskalen hinweisen<br />
(Lamy et al., in press).<br />
Klimaänderungen im nördlichen Roten Meer und der Einbruch<br />
der Hochkulturen im Nahen Osten<br />
Eine Besonderheit stellen die Paläoklimaaufzeichnungen<br />
aus dem nördlichen Roten Meer um 4.200 Jahre v. H. dar.<br />
Archäologische Funde aus dem Zweistromland und dem<br />
alten Ägypten deuten auf ein abruptes Ende der damaligen<br />
Hochkulturen etwa zu diesem Zeitpunkt hin (Weiss et<br />
al. 1993). Untersuchungen an marinen Sedimenten aus<br />
dem Golf von Oman zeigen, dass einer der plausibelsten<br />
Gründe für den Untergang des Akkadischen Imperiums<br />
eine lang anhaltende Dürre gewesen sein könnte (Cullen<br />
et al. 2000).<br />
Sedimente aus dem Shaban Tief, einem jungen, tektonisch<br />
entstandenen Solebecken im zentralen nördlichen<br />
Roten Meer, dokumentieren, dass zu dieser Zeit eine deutliche<br />
Änderung der Umweltbedingungen und Ablagerungsverhältnisse<br />
im Roten Meer stattgefunden hat. Als<br />
relativ kleines untermeerisches Becken von wenigen<br />
Kilometern Durchmesser, ist das Shaban Tief heutzutage<br />
mit einer extrem salzreichen Sole (siebenmal salziger als<br />
das normale Meerwasser) gefüllt. Weitgehend sauerstofffreie<br />
Verhältnisse führen auch hier durch die Abwesenheit<br />
jeglicher Meeresbodenbewohner zu einer<br />
Abb. 3.27: Schematische Darstellung der Zirkulation im<br />
Roten Meer und des Zustandes des Shaban Tiefs (A) vor<br />
dem Dürre-Ereignis um ca. 4.200 Jahren v. H. und (B)<br />
während des Dürre-Ereignisses.<br />
Sketch showing the circulation of the Red Sea and conditions<br />
in the Shaban Deep (A) before the drought event at<br />
about 4200 years B. P. and (B) during the drought event.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
291
292<br />
besonders guten Erhaltung der Ablagerungen. Unter diesen<br />
so genannten anoxischen Bedingungen entstanden bis<br />
vor etwa 4.200 Jahren laminierte Sedimente. Vor 4.200<br />
Jahren treten jedoch nicht laminierte suboxische Sedimente<br />
auf (Abb. 3.26).<br />
Dieser Wechsel geht mit dem kurzzeitigen Einwandern<br />
benthischer Foraminiferen einher. Auffällig ist aber vor<br />
allem, dass in diesem Zeitintervall die Salinität des Oberflächenwassers<br />
deutlich ansteigt, was auf außergewöhnlich<br />
hohe Verdunstungsraten über dem nördlichen Roten<br />
Meer hinweist. Mit der erhöhten Salinität und damit auch<br />
höheren Dichte des Oberflächenwassers ist wahrscheinlich<br />
eine verstärkte Tiefenwasserbildung einhergegangen.<br />
Reger zirkulierendes Tiefenwasser wiederum führte wahrscheinlich<br />
zu einer Erosion des Solekörpers und zu der<br />
vorübergehenden Aufhebung der anoxischen Verhältnisse<br />
im Shaban Tief (Abb. 3.27). Die Paläoklimadaten aus dem<br />
Shaban Tief belegen somit, dass klimatisch anomale Verhältnisse<br />
in der Region höchstwahrscheinlich zum Kollabieren<br />
einiger Hochkulturen mit beigetragen haben (Arz<br />
et al., in press).<br />
Das paläoklimatische Potenzial der Sedimente<br />
des El’gygytgyn Sees, Nordostsibirien<br />
Der See El’gygytgyn (Tschuktschensprache für: weißer<br />
See, Abb. 3.28), mit einem Durchmesser von etwa 12 km<br />
und einer Wassertiefe von 175 m, liegt auf 67° 30' N, 172°<br />
05' E und 492 m ü. NN, im Inneren eines Impaktkraters<br />
von etwa 18 km Durchmesser (Abb. 3.29). Dieser entstand<br />
vor 3,6 Mio. Jahren durch den Einschlag eines Asteroiden<br />
in ausgedehnte kretazische Vulkanite, vorwiegend Ignimbrite<br />
und Rhyolite. Aufgrund der Lage am nördlichen<br />
Polarkreis liegen die rezenten mittleren Julitemperaturen<br />
bei +4 bis +8 °C, die mittleren Januartemperaturen bei<br />
–32 bis –36 °C. Dies hat zur Folge, dass der See lediglich<br />
in den Sommermonaten von Anfang Juli bis Mitte September<br />
eisfrei ist (Abb. 3.29b), was ihm seinen Namen<br />
gab. Seismische Untersuchungen des Alfred-Wegener-<br />
Instituts im Jahre 2000 haben gezeigt, dass der See eine<br />
Sedimentabfolge von etwa 300 m beinhaltet (Niessen et<br />
al. 2006). 2007 oder 2008 sollen im Rahmen des ICDP<br />
mehrere Kernbohrungen erfolgen, die diese Sedimente bis<br />
in die Impaktbrekzie durchteufen sollen (http://elgygytgyn.icdp-online.org).<br />
1998 und 2003 wurden im Rahmen von Voruntersuchungen<br />
dieses ICDP-Projekts vom Alfred-Wegener-Institut,<br />
der Universität Leipzig, der Universität Amherst, Massa-<br />
chusetts, U.S.A. und dem NEISRI Magadan, Russland,<br />
zwei 13 und 16 m lange Kernprofile (PG1351 und Lz1024)<br />
gewonnen. Des Weiteren wurden auch die im Kraterrand<br />
anstehenden Vulkanite und die Sedimente von Bächen, die<br />
während des Sommers in den See fließen, beprobt. Die<br />
paläo- und gesteinsmagnetischen Untersuchungen dieses<br />
Materials finden vorwiegend am <strong>GFZ</strong>, Sektion 3.3 statt<br />
(Nowaczyk et al. 2002, Nowaczyk et al. 2006). Zur Interpretation<br />
dieser Daten wurden noch Ergebnisse geochemischer<br />
Untersuchungen herangezogen (Melles et al.<br />
2006, Minyuk et al. 2006).<br />
Als wichtigster Parameter wurde bisher an allen Proben<br />
die magnetische Suszeptibilität gemessen. Sie ist ein Maß<br />
für den Gehalt an magnetischen Mineralen. Für die<br />
El’gygytgyn Sedimente konnte gezeigt werden, dass dies<br />
vorwiegend Magnetit (Fe 3O 4) und zu einem geringen Prozentsatz<br />
Hämatit (Fe 2O 3) ist (Nowaczyk et al. 2002). Mit<br />
Hilfe von zwei Messungen der Sättigungsmagnetisierung<br />
bei verschiedenen Feldstärken und Richtungen (S-ratio)<br />
lässt sich das Verhältnis von Magnetit zu Hämatit semiquantitativ<br />
bestimmen. Ein S-ratio von 1 entspricht vereinfacht<br />
100 % Magnetit und 0 % Hämatit, ein S-ratio von<br />
0 entspricht 0 % Magnetit und 100 % Hämatit, wobei die<br />
Umrechnung nicht linear ist. Da Magnetit unter anoxischen<br />
Bedingungen wesentlich leichter löslich ist als<br />
Hämatit, kann das S-ratio im Falle vom El’gygytgyn<br />
auch als redox-sensitiver Parameter interpretiert werden<br />
(Nowaczyk et al. 2006), wobei S-ratios nahe 1 oxische Verhältnisse<br />
repräsentieren und deutlich niedrigere Werte (0,8<br />
bis 0,7) anoxische Verhältnisse.<br />
Die anstehenden Vulkanite sind durch sehr hohe Suszeptibilitäten<br />
von meist 1.000 bis 100.000 x 10 –6 gekennzeichnet<br />
(Abb. 3.30, oben). Niedrigere Werte ergaben sich<br />
vorwiegend für stark verwitterte Handstücke. Auch die<br />
Bachsedimente haben noch relativ hohe Werte von 1.000<br />
bis 10.000 x 10 –6 (Abb. 3.30, Mitte). Man hätte daher auch<br />
für die Seesedimente entsprechend hohe Werte erwarten<br />
müssen. Die gemessenen Suszeptibilitäten, einmal hochauflösend<br />
in 1 mm Schritten direkt an den Kernhälften<br />
bestimmt und zum zweiten anhand der 2 x 2 x 1,5 cm großer<br />
Paläomagnetikproben, liegen jedoch nur zwischen<br />
60 und 4.000 x 10 –6 , wobei ca. 60 % der Sedimente unterhalb<br />
von 800 x 10 –6 liegen (Abb. 3.30, unten). Mit Verdünnung<br />
aufgrund im See gebildeter, biogener Sedimentkomponenten<br />
– im Falle vom El’gygytgyn vorwiegend den<br />
kieselige Überreste von Algen – sowie Sortierungsprozessen,<br />
lassen sich die gemessenen niedrigen Suszeptibilitäten<br />
der Sedimente vom Seeboden allein nicht erklären.<br />
Abb. 3.28: Panorama des El’gygytgyn Sees in Nordostsibirien (Foto S. Quart, Uni Leipzig).<br />
Panorama of the Lake El’gygytgyn in NE Siberia.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 3.29: Lage des El’gygytgyn Impaktkraters und ein Satellitenphoto von Nordostsibirien mit dem noch zugefrorenen<br />
See inmitten der bereits schneefreien arktischen Tundra Ende Juni 2002.<br />
Location map of the El’gygytgyn impact crater and a Satellite image of NE Siberia in late June 2002 showing the icecovered<br />
lake within the Arctic tundra, already free from snow.<br />
Nimmt man alle verfügbaren Daten zusammen, lassen sich<br />
zwei Extremsituationen skizzieren (Abb. 3.31), zwischen<br />
denen sich das limnologische System des El’gygytgyn hin<br />
und her bewegt. Das eine Szenario (Abb. 3.31, links) entspricht<br />
in etwa der gegenwärtigen Situation, dem Holozän,<br />
einem Interglazial. Im Winter, mit völliger Dunkelheit<br />
im Dezember, ist der See komplett zugefroren. Im<br />
Sommer, mit bis zu 24 Stunden Sonnenscheindauer, ist<br />
der See für mehrere Monate völlig eisfrei. Der Wasserkörper<br />
wird durchmischt und es liegen damit oxische Verhältnisse<br />
am Seeboden vor. Dies hat zur Folge, dass organisches<br />
Material, wie das von abgestorbenen Algen, weitgehend<br />
zersetzt wird, was sich in einem relativ geringen<br />
Gehalt an TOC (total organic Carbon) von 0,4 % äußert.<br />
Das silikatische Gerüst von Diatomeen, das aus Opal<br />
(amorphes SiO 2) besteht, bleibt aber erhalten. Der Gehalt<br />
an Opal warmzeitlicher (interglazialer) Sedimente beträgt<br />
Abb. 3.30: Häufigkeitsverteilungen der magnetischen<br />
Suszeptibilität von im El'gygytgyn Kraterbereich anstehenden<br />
Gesteinen (oben), Sedimenten aus Bächen, die in<br />
den See fließen (Mitte) und Seesedimenten der letzten ca.<br />
320.000 Jahre (unten). Seesedimente mit Suszeptibilitäten<br />
von weniger (mehr) als etwa 800 x 10 –6 stammen in der<br />
Regel aus anoxischen (oxischen) Phasen des Sees.<br />
Relative frequencies of magnetic susceptibility values<br />
obtained from hard rocks outcropping within the El'gygytgyn<br />
crater (top), from sediments sampled from creeks<br />
draining into the lake (middle), and from sediments<br />
recovered from the lake floor, covering the last about<br />
320 000 years (bottom). Lake sediments with values less<br />
(more) than about 800 x 10 –6 represent anoxic (oxic) phases<br />
of the lake.<br />
über 20 %. Außerdem begünstigt das sauerstoffreiche<br />
Wasser die Erhaltung von Eisenoxiden wie Magnetit, der<br />
bei hinreichender Konzentration die magnetische Suszeptibilität<br />
von Sedimenten allein bestimmt. Die magnetische<br />
Suszeptibilität der Seesedimente, die unter diesen<br />
(oxischen) Bedingungen abgelagert wurden, ist dem entsprechend<br />
hoch und liegt mit 1.000 bis 3.000 x 10 –6 etwa<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
293
294<br />
Abb. 3.31: Die zwei Extremsituationen des El’gygytgyn Sees in Form von Jahresabläufen (J: Januar bis D: Dezember)<br />
für Interglaziale (links) und Glaziale (rechts). Extremwerte der Juni-Insolation und Alter nach Berger & Loutre (1991):<br />
Holozän = 11.000 Jahre, LGM: letztes glaziales Maximum = 24.000 Jahre; Sauerstoffisotopenstadium 5d = 115.000<br />
Jahre, Eem = 128.000 Jahre.<br />
The two extreme Situations as derived for Lake El’gygytgyn, displayed as annual sequences (J: January to D: December)<br />
for interglacials (left) and galcials (right). Extreme amplitudes and ages of June insolation after Berger &<br />
Loutre (1991): Holocene = 11 000 years, LGM: Last Glacial Maximum = 24 000 years; Oxygen isotope stage 5d =<br />
115 000 years, Eemian = 128 000 years.<br />
in der Schwankungsbreite der Bachsedimente (Abb. 3.30).<br />
Das S-ratio liegt bei 1.<br />
Dem gegenüber muss während der Glaziale mit etwa 15 %<br />
geringerer Sommerinsolation (Abb. 3.31, oben) davon<br />
ausgegangen werden, dass der See im Sommer nicht mehr<br />
vollständig eisfrei war oder nur sehr kurzfristig auftaute<br />
(Abb. 3.31, rechts). Möglicherweise war die Eisdecke<br />
sogar für mehrere Jahre komplett geschlossen. Dies verhindert<br />
jedoch nicht das Wachstum vom Algen, da Eis<br />
lichtdurchlässig ist, insbesondere wenn kein Schnee auf<br />
dem Eis liegt, weil es entweder nur geringen Winterniederschlag<br />
(Schnee) gibt, oder dieser durch starke Winde<br />
fortgeweht wird. Hinzu kommt, dass die Wassertemperatur<br />
unterhalb des Eises unabhängig von der Außentemperatur<br />
immer mindestens 0 °C (oder mehr) beträgt und auch<br />
die Sonnenscheindauer im Sommer nach wie vor bis zu<br />
24 Stunden betrug. So kommt es, dass selbst während der<br />
Hochglaziale relativ viel Algenwachstum möglich war,<br />
was an einem Opalgehalt von immer noch 6 bis 8 % abzulesen<br />
ist. Dies ist noch ein Drittel dessen, was in den<br />
Warmzeiten sedimentiert wurde.<br />
Im Unterschied zum Opalgehalt ist der Gehalt der Seesedimente<br />
an organischem Kohlenstoff wesentlich höher,<br />
nämlich bis zu 2,5 %, also etwa sechsmal soviel wie während<br />
der Warmzeiten. Dieser scheinbare Widerspruch lässt<br />
sich dadurch erklären, dass der Wasserkörper des Sees<br />
durchgehend geschichtet war und sich dadurch anoxische<br />
Verhältnisse am Seeboden ausbilden konnten. Das heißt,<br />
dass die organischen Anteile abgestorbener Algen, die in<br />
den obersten oxischen Schichten des Sees lebten, nach<br />
dem Absinken auf den Seeboden dort nicht zersetzt wurden.<br />
Andererseits werden unter anoxischen Bedingungen<br />
aber Eisenoxide, bevorzugt Magnetit sehr leicht aufgelöst.<br />
Dies wird bestätigt durch die extrem geringen Werte der<br />
magnetischen Suszeptibilität (50 bis 500 x 10 –6 ) von Schichten,<br />
die anoxische Phasen des Sees und damit kalte Klimaphasen<br />
repräsentieren. Das nicht-lineare, redox-sensitive<br />
S-ratio weist ebenfalls auf Magnetitlösung hin, da es<br />
in den anoxischen Schichten auf 0,8 bis 0,7 absinkt. Insgesamt<br />
lässt sich daraus abschätzen, dass während der<br />
anoxischen Phasen kalter Klimate 90 bis 99 % der Magnetitpartikel<br />
gelöst wurden.<br />
Über den Titangehalt (TiO 2), als Indikator lithogenen Eintrags,<br />
kann dies bestätigt werden. Der Titangehalt ist allgemein<br />
mit der Bioproduktivität (Opalgehalt) antikorreliert<br />
(Abb. 3.32), das heißt, der lithogene Eintrag wird<br />
durch biogene Sedimentanteile mehr (Warmzeiten) oder<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
weniger (Kaltzeiten) verdünnt. Da die magnetische Suszeptibilität<br />
an die lithogene Phase gekoppelt ist, sollte sie<br />
also mit der TiO 2-Kurve parallel laufen. Statt dessen ist<br />
sie aber zu dieser antikorreliert, da eben in Kaltphasen des<br />
Klimas der See durchgehend geschichtet und an seinem<br />
Grund anoxisch war, was zu den beschriebenen massiven<br />
Verlusten an Magnetit führte. Letzteres hat vor allem zur<br />
Folge, dass eine paläomagnetische Datierung über Intensitätsvariationen<br />
nicht möglich ist.<br />
Auffallend ist jedoch die Tatsache, dass die magnetische<br />
Suszeptibilität und auch andere Parameter eine deutliche,<br />
langperiodische Periodizität aufweisen. Aus Datierungen<br />
über Infrarot stimulierte Lumineszenz (IRSL)<br />
ergab sich eine klare Korrelation zu Orbitalparametern<br />
der Erde, die die Insolation und damit zumindest die<br />
langfristigen Klimazyklen in der Größenordnung von<br />
20.000 bis 400.000 Jahre steuern. In Abb. 3.32, unten,<br />
ist daher auch die Sommerinsolation (Juni) der Nordhemisphäre<br />
nach Berger & Loutre (1991) dargestellt, mit<br />
der die stratigraphischen Daten der El’gygytgyn Sedi-<br />
mente in Beziehung gesetzt wurden. Dabei wurden, wie<br />
es sich bei diesem Verfahren als realistisch erwiesen hat,<br />
Insolationsmaxima mit dem Beginn der Warmphasen,<br />
gleich der Basis von oxischen Schichtpaketen mit hoher<br />
Suszeptibilität und niedrigem TOC-Gehalt, sowie Insolationsminima<br />
mit dem Beginn der Kaltphasen, gleich<br />
der Basis anoxischer, TOC-reicher Lagen mit niedriger<br />
Suszeptibilität, gleichgesetzt. Das so erhaltene Altersmodell<br />
deckt sich sehr gut mit den IRSL-Datierungen<br />
(Nowaczyk et al. 2006) und ergibt ein Alter von ca.<br />
250.000 Jahren für die Basis des Kernprofils PG1351<br />
(Abb. 3.32). Die aus dem Altersmodell abgeleitete Sedimentationsrate<br />
liegt bei 20 bis 40 mm pro tausend Jahre.<br />
Die langperiodischen Amplitudenvariationen der magnetischen<br />
Suszeptibilität folgen nun in nahezu idealer<br />
Weise der Nordhemisphäreninsolation. Damit ist klar,<br />
dass sich die großen Klimazyklen der Erde in den magnetischen<br />
Eigenschaften der El’gygytgyn Sedimente<br />
mehr oder weniger direkt, als Folge des klimatisch<br />
bedingten Wechsels von oxischen und anoxischen Phasen<br />
des unteren Wasserkörpers abbilden.<br />
Abb. 3.32: Klimatisch-sedimentologische Schlüsselparameter des Kerns PG1351 aus dem El’gygytgyn See sowie die<br />
Nordhemisphären Juni-Insolation als Funktion der Zeit (nach Nowaczyk et al. 2006). Maxima im TOC-Gehalt (total<br />
organic Carbon) parallel zu Minima in der magnetischen Suszeptibilität markieren ausgeprägte anoxische Phasen des<br />
Sees aufgrund eines geschichteten Wasserkörpers während der Glaziale.<br />
Sedimentological parameters from Lake El’gygytgyn core PG1351 that represent climatic key paramters, together with<br />
the northern hemisphere June insolation versus time (after Nowaczyk et al. 2006). Maxima in TOC content (total organic<br />
Carbon) parallel to minima in magnetic susceptibility mark pronounced anoxic phases of the lake during glacials<br />
due to a layered water body.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
295
296<br />
Neben den langperiodischen Klimaphasen sind aber auch<br />
kurzfristige Klimaänderungen wie zum Beispiel die Jüngere<br />
Dryas, eine Wiederabkühlung des Klimas am Ende<br />
der letzten Eiszeit bei etwa 11.000 Jahre vor heute, in der<br />
Variation der Suszeptibilität dokumentiert. Auch lassen<br />
sich bei älteren Wechseln von Glazialen zu Interglazialen<br />
stufenartige Erwärmungen mit sporadischen Rückschlägen<br />
zu kälteren Phasen ableiten. Dies sind interessante<br />
paläoklimatische Aspekte, die noch weiter im Detail zu<br />
untersuchen sind. Die bislang untersuchten Kerne,<br />
PG1351 mit 250.000 Jahre Basisalter (Abb. 3.32) und<br />
Lz1024 (in Arbeit) mit ca. 320.000 Jahre Basisalter, repräsentieren<br />
bereits die längsten Paläoklimaarchive der kontinentalen<br />
Nordhalbkugel. Die im Rahmen der zukünftigen<br />
ICDP-Bohrungen zu erwartenden 3,6 Mio. Jahre langen<br />
Sedimentsequenzen werden daher ein einzigartiges<br />
Klimaarchiv darstellen. Dies ist von besonderer Bedeutung,<br />
da sonst Klimastudien nur basierend auf marinen<br />
ODP-Bohrungen oder den Eiskernen von Grönland und<br />
der Antarktis erarbeitet wurden. Eisschilde als Klimaarchiv<br />
sind zudem dadurch beeinträchtigt, dass aufgrund der<br />
vorhandenen Fließtektonik ältere Zeitabschnitte mit<br />
abnehmender Zeitauflösung dokumentiert sind und auch<br />
ein Maximalalter nicht überschritten werden kann.<br />
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<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
297
298<br />
Das Oberkarbon an der Westküste Irlands bei den „Cliffs of Mohar“. Die Untersuchung von Ammoniumgehalten und<br />
Stickstoffisotopen in diesen Sedimentgesteinen sind Bestandteil eines Forschungsvorhabens im DFG-Schwerpunktprojekt<br />
„Dynamik sedimentärer Beckensysteme unter wechselnden Spannungsregimen am Beispiel des zentraleuropäischen<br />
Beckensystems“ (Foto: V. Lüders, <strong>GFZ</strong>).<br />
The upper Carboniferous strata at the „Cliffs of Mohar“, westcoast of Ireland. Studies of ammonia content and nitrogen<br />
isotopic composition in these sedimentary rocks are part of a scinetific project funded by the DFG in the priority program<br />
„Dynamics of sedimentary systems under varying stress conditions by example of the Central European Basin-System“.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Department 4<br />
Chemie der Erde<br />
Geodynamische Prozesse sind als räumlich begrenzte<br />
Abläufe Antrieb für Deformationsprozesse, Erdbeben und<br />
für alle geogenen Stoffkreisläufe, die den Lebensraum<br />
Erde aufrechterhalten. Stoffkreisläufe sind der Motor für<br />
die Entstehung von Ressourcen, wie mineralische Lagerstätten,<br />
Kohlenwasserstoffvorkommen und Grundwasser.<br />
Um Antrieb und Steuerungsmechanismen von geodynamischen<br />
Prozessen und Stoffkreisläufen zu identifizieren<br />
und deren Risiko- und Ressourcenpotentiale abschätzen<br />
zu können, werden neben geophysikalisch-geodätischen<br />
Messkampagnen in geodynamischen Schlüsselregionen<br />
der Erde – vor allem an aktiven und passiven Kontinenträndern<br />
(„Labor Erde“) – Laborexperimente entwickelt<br />
(„Erde im Labor“). Diese simulieren Prozesse unter Normalbedingungen<br />
bis zu hohen Drücken und Temperaturen<br />
und entschlüsseln Materialeigenschaften, Reaktionen zwischen<br />
Mineralen, Schmelzen und Fluiden, sowie die damit<br />
verbundenen Transportprozesse in allen Skalenbereichen<br />
bis hinunter in den atomaren Maßstab. Der Einsatz mikround<br />
isotopenanalytischer Methoden erlaubt dabei die<br />
Quantifizierung von Stoffumsätzen und die Bestimmung<br />
der Chronologie geodynamischer Prozesse. Numerische<br />
Modellierungen verknüpfen diese Daten ganz unterschiedlicher<br />
Art und Dimension über verschiedene Skalenlängen.<br />
In diesem Kontext ist auch die Neu- und Weiterentwicklung<br />
innovativer Mess- und Auswertetechnologien<br />
von essentieller Bedeutung.<br />
Ein Schlüssel zum Verständnis des Systems Erde ist die<br />
Kenntnis der physikalischen Eigenschaften von Geomaterialien<br />
bei hohen Drücken und Temperaturen. Unter dem<br />
Stichwort „Erde im Labor“ werden am <strong>GFZ</strong> Materialeigenschaften<br />
von Gesteinen und Mineralen bei simulierten<br />
Bedingungen des Erdinneren untersucht. Dabei stehen die<br />
für das Prozessverständnis wichtigen Größen, wie die<br />
Wärmetransporteigenschaften, und die für die Interpretation<br />
der indirekten geophysikalischen Tiefensondierungen<br />
benötigten Größen, wie elastische Eigenschaften, Dichte<br />
und elektrischer Widerstand, im Mittelpunkt. Die am <strong>GFZ</strong><br />
verfügbaren und z. T. selbst entwickelten Apparaturen und<br />
experimentellen Einrichtungen stehen auch externen<br />
Arbeitsgruppen für materialwissenschaftliche Fragestellungen<br />
in Physik, Chemie und bei der Entwicklung von<br />
neuen Materialien zur Verfügung.<br />
Gase und Fluide können eine Schlüsselrolle für das Verständnis<br />
derjenigen Prozesse spielen, die in Verwerfungsund<br />
Störungszonen auftreten. Ungewöhnliche Zusammensetzungen<br />
oberflächennaher Gase und Fluide entlang aktiver<br />
Störungen sind weltweit belegt, doch sind ihr Ursprung,<br />
die Verteilung in der Tiefe und ein möglicher Zusammenhang<br />
z. B. mit seismischer Aktivität bisher wenig verstanden.<br />
Angesichts der Bedeutung, die das Vorhandensein<br />
von Fluiden in Störzonen auf das rheologische Ver-<br />
halten der oberen Kruste, das Erdwärmepotential, die<br />
Natur geophysikalischer Signale und die Grundwasservorräte<br />
hat, sind die Kenntnisse zu thermo-hydro-mechanischen<br />
Kopplungen und nichtlinearen Prozessen im kristallinen<br />
Untergrund auch heute noch sehr dürftig. Um solche<br />
Untersuchungen erfolgreich durchzuführen, beteiligen<br />
wir uns intensiv an wissenschaftlichen Tiefbohrungen<br />
im Rahmen des internationalen kontinentalen Bohrprogramms<br />
(ICDP) und des Integrated Ocean Drilling Program<br />
(IODP).<br />
In den letzen beiden Jahren wurden im Department 4<br />
Aspekte und Phänomene des Kohlenstoffkreislaufs in der<br />
festen Erde intensiv untersucht. Die Menge an Kohlenstoff<br />
in diesem Kreislauf ist zehntausendmal größer als<br />
die aller lebenden Biomasse und Ressourcen an fossilen<br />
Brennstoffen (Kohle, Erdöl, Erdgas, Gashydrate) zusammen.<br />
Obwohl äußerst dynamisch, laufen die Prozesse mit<br />
unvorstellbar geringen Geschwindigkeiten ab, wenn man<br />
die menschliche Zeitskala als Vergleich heranzieht. Dieser<br />
globale Kohlenstoffkreislauf umfasst den Kreislauf<br />
des Lebens in Vergangenheit und Gegenwart. Er ist im<br />
Wesentlichen für die Entstehung fossiler Brennstoffe verantwortlich,<br />
die den industriellen Energiebedarf abdecken.<br />
Der Kohlenstoffkreislauf ist sowohl eine Senke für<br />
Kohlendioxid als auch eine Quelle von Treibhausgasen.<br />
Im Rahmen unseres Forschungsprogramms wurden hochmoderne<br />
organisch-geochemische Laboratorien aufgebaut.<br />
Integrierte Lehr- und Forschungsprogramme in Zusammenarbeit<br />
mit der Industrie, der Technischen Universität<br />
Berlin und Institutionen der Forschungsförderung (z. B.<br />
DFG) wurden initiiert.<br />
Bor und Lithium als Monitore von Massentransfer<br />
in Subduktionszonen<br />
Bor und Lithium besitzen jeweils zwei Isotope, 11 B, 10 B<br />
und 7 Li, 6 Li, die in der Natur in einem Verhältnis von etwa<br />
4:1 bzw. 12:1 auftreten. Auf Grund der sehr großen Massenunterschiede<br />
von 10 bzw. 17 % zwischen den beiden<br />
Isotopen gibt es eine große Isotopen-Variation in Gesteinen<br />
und natürlichen Fluiden mit einer Bandbreite von<br />
jeweils über 50 ‰. Die B- und Li-isotopische Zusammensetzung<br />
in Fluiden, Schmelzen und Gesteinen im Bereich<br />
von Subduktionszonen haben somit ein großes Potential<br />
als geochemische Tracer zur Quantifizierung von Massentransferprozessen<br />
im Bereich konvergenter Plattengrenzen.<br />
Die Anreicherung von Bor in Magmen von Inselbögen<br />
(IAB) bis zu 60 ppm im Vergleich zu MORB mit weniger<br />
als 1,5 ppm und auch Mantel mit weniger als 0,1 ppm deutet<br />
darauf hin, dass Bor über die Subduktion von alterierter<br />
ozeanischer Kruste und von Sedimenten, die beide<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
299
300<br />
Abb. 4.1: Schematischer Querschnitt durch eine Subduktionszone mit B- und<br />
Li-Gehalten und δ 11 B- und δ 7 Li-Werten verschiedener Reservoirs (Mantel,<br />
mittelozeanische Rückenbasalte (MORB), Sedimente, Inselbogenbasalte<br />
(IAB), etc.) im Bereich von Subduktionszonen (Zusammenfassung der<br />
Literaturdaten in Wunder et al., <strong>2005</strong>; 2006).<br />
Schematic cross section through a subduction zone with values of B- and Liconcentrations<br />
and δ 11 B- und δ 7 Li-values of various natural reservoirs<br />
(mantle, mid ocean ridge basalts (MORB), sediments, island arc basalts<br />
(IAB), etc.) in the range of subduction zones (summary of literature data in<br />
Wunder et al., <strong>2005</strong>; 2006).<br />
angereichert sind an Bor, in den Mantelkeil transportiert<br />
wird. Dort werden die IAB produziert und Bor somit letztendlich<br />
über diese Schmelzen oder Fluide zurück an die<br />
Erdoberfläche transportiert.<br />
Abb.4.2:Veränderung der Bor-Isotopie für Inselbogenmagmen von vier verschiedenen<br />
Subduktionszonen aufgetragen jeweils mit zunehmender Tiefe<br />
zur Wadadati-Benioffzone oder anders ausgedrückt, mit zunehmender Entfernung<br />
zum Trench. Izu-Bonin: Ishikawa and Nakamura (1994); Kurilen:<br />
Ishikawa and Tera (1997); Ost-Kamchatka: Ishikawa et al. (2001); Zentralanden:<br />
Rosner et al. (2003).<br />
Variation of δ 11 B-values of volcanic arc magmas of four different subduction<br />
zones versus depth of the Wadati-Benioffzone, or differently expressed, with<br />
distance to the trench. Izu-Bonin: Ishikawa and Nakamura (1994); Kuriles:<br />
Ishikawa and Tera (1997); Eastern Kamchatka: Ishikawa et al. (2001); Central<br />
Andes: Rosner et al. (2003).<br />
In IAB wird beobachtet, dass sowohl<br />
Bor-Gehalte als auch δ 11 B-Werte mit<br />
zunehmender Entfernung vom Trench<br />
abnehmen. Diese Änderung spiegelt möglicherweise<br />
Rayleigh-Fraktionierungs-<br />
Prozesse, wie sie zwischen OH-haltigen<br />
Mineralen und Fluid in der abtauchenden<br />
Platte stattfinden, wider. Demnach würden<br />
die verschiedenen δ 11 B-„Cross-arc“-<br />
Trends der einzelnen Subduktionszonen<br />
aus deren unterschiedlichen thermischen<br />
Strukturen resultieren, die wiederum Zeit<br />
und Ort der Entwässerungs- und damit<br />
auch der Fraktionierungsprozesse in einer<br />
Subduktionzone kontrollieren. Die<br />
Veränderung der B-Isotopen-Verhältnisse<br />
über einen Inselbogen zeigen somit<br />
möglicherweise, wie sich die Temperaturen<br />
in einer Subduktionszone mit<br />
der Tiefe verändern. Auch Li zeigt<br />
eine Anreicherung der Gehalte in IAB<br />
im Vergleich zu MORB. Die Li-Isotopen-Werte<br />
unterscheiden sich jedoch<br />
kaum von denen der MORB-Werte und<br />
man findet in der Regel auch keine Variation<br />
der δ 7 Li-Werte über den Inselbogen:<br />
Es fehlt also die typische Slabsignatur,<br />
wie sie für Bor und seine Isotope<br />
sichtbar ist.<br />
Ein quantitatives Verständnis des geochemischen Verhaltens<br />
in Prozessen unter Beteiligung von Fluiden ist notwendig,<br />
um Bor, Lithium und ihre Isotope als geochemische<br />
Tracer benutzen zu können und somit Unterschiede<br />
zu erklären. Es wurden deshalb experimentell<br />
bestimmt (a) die B-isotopische<br />
Fraktionierung zwischen Glimmer, einem<br />
typischen OH-haltigen Slabmineral, und<br />
Fluid bei neutralen und basischen Bedingungen<br />
bei 0,4 und 3,0 GPa und 400 bis<br />
700 °C und (b) die Li-isotopische Fraktionierung<br />
zwischen Klinopyroxen, einem<br />
typischen Mantelmineral, und Fluid bei<br />
3,0 GPa und 500 bis 900 °C.<br />
(a) Zeitabhängige Experimente zur B-<br />
Isotopen Fraktionierung zwischen Glimmer<br />
und Fluid bei nahe neutralen Bedingungen<br />
liefern eine Fraktionierung<br />
∆ 11 B Glimmer-Fluid von –11 ‰ bei 500 °C und<br />
-6,5 ‰ bei 700 °C. Diese Daten korrelieren<br />
sehr gut mit B-Isotopen-Fraktionierungen<br />
zwischen Phasen unterschiedlicher<br />
B-Koordination und sind konsistent<br />
mit dem B-Koordinationswechsel<br />
von [4]-fach in Glimmern nach [3]-fach<br />
in Fluiden. Für Experimente mit basischen<br />
Lösungen sind die Fraktionierungen<br />
signifikant kleiner, nämlich –4,8 ‰<br />
bei 500 und –7,4 ‰ bei 400 °C und korrelieren<br />
mit Tourmalin(B [3] )-Fluid(B [3] )-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb.4.3:Experimentell bestimmte B-Isotopen Fraktionierung zwischen B-Glimmer und Fluiden (bei 3,0 GPa) als Funktion<br />
der Zeit bei 500 °C (a) und 700 °C (b) für etwa neutrale Fluide. Die schwarzen Kreise symbolisieren die isotopischen<br />
Ausgangszusammensetzungen; offene Kreise entsprechen ∆ 11 B (Glimmer-Fluid)-Werte der zeitabhängigen Experimente;<br />
offene Quadrate sind Syntheseexperimente. Die Linien verdeutlichen die zeitabhängige Einstellung von Gleichgewichtswerten<br />
(Wunder et al., <strong>2005</strong>).<br />
Experimentally determined B-isotopic fractionation between B-mica and fluid (at 3,0 GPa )as a function of run duration<br />
at 500 °C (a) and at 700 °C (b) for near neutral fluids. Black circles show the isotopic composition at starting conditions;<br />
open circles denote ∆ 11 B (mica-fluid)-values of time-dependent experiments; open squares are synthesis experiments:<br />
Solid lines approximate time-dependent equilibrium curves (Wunder et al., <strong>2005</strong>).<br />
Daten. Das spricht für identische B-Koordination in Glimmer<br />
und Fluiden in diesen Experimenten und damit, in<br />
Übereinstimmung mit früheren In-Situ-Raman-Untersuchungen<br />
in Diamantzellen an B-haltigen Fluiden, für eine<br />
überwiegend vorherrschende [4]-fache B-Koordination in<br />
den stark basischen Fluiden.<br />
Die Experimente zwischen Klinopyroxen und Fluid zeigen,<br />
dass in Analogie zu Bor, das schwere Li-Isotop 7 Li<br />
bevorzugt ins Fluid fraktioniert und die Fraktionierung Tabhängig<br />
ist, mit Werten zwischen ca. 1 ‰ bei 900 °C und<br />
ca. 4 ‰ bei 500 °C. Die T-Abhängigkeit der Li-Isotopen<br />
Fraktionierung ist allerdings deutlich weniger ausgeprägt<br />
als für Bor.<br />
Unsere Experimente zeigen, das bei allen P-T-Bedingungen<br />
und für unterschiedliche Fluide die schweren Isotope<br />
Abb. 4.4: Experimentell bestimmte B-Isotopen Fraktionierung<br />
zwischen Mineralen, Schmelzen und Fluiden aufgetragen<br />
gegen die inverse Temperatur. Lineare Regression<br />
der Ergebnisse von Experimenten unter Beteiligung<br />
von Phasen unterschiedlicher B-Koordination ergibt die<br />
Gleichung ∆ 11 B = –10,69 * (1000/T[K])+3,88, R 2 = 0,992<br />
(durchgezogene Linie); die gestrichelte Linie stellt die T-<br />
Abhängigkeit der B-Isotopen Fraktionierung zwischen<br />
Phasen gleicher B-Koordination dar (Wunder et al.,<br />
<strong>2005</strong>).<br />
Experimentally determined B-isotopic fractionation between<br />
mineral, melts and fluids versus reciprocal temperature.<br />
Linear regression of experimental results for phases<br />
of different B-coordination results in ∆ 11 B = –10.69 *<br />
(1000/T[K])+3.88, R 2 = 0.992 (solid line): the dashed line<br />
is the T-dependence of B-isotopic fractionation between<br />
phases of identical B-coordination (Wunder et al., <strong>2005</strong>).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
301
302<br />
Abb. 4.5: Experimentell bestimmte Li-Isotopen Fraktionierung<br />
zwischen Klinopyroxen und Fluiden (LiCl-, und<br />
LiOH-Fluiden) aufgetragen gegen die inverse Temperatur.<br />
Die Größe der Fraktionierung ist gleich bei Verwendung<br />
von schwach basischen und chloridischen Fluiden, was<br />
dafür spricht, dass energetisch ähnliche Li-Wasser-Cluster<br />
in diesen Fluiden bei den experimentellen Bedingungen<br />
vorliegen (Wunder et al., 2006).<br />
Experimentally determined Li-isotopic fractionation between<br />
clinopyroxene and fluid (LiCl-, and LiOH-fluid) versus<br />
the inverse temperature. The value of fractionation is<br />
identical for using the weakly basic and chloridic fluid,<br />
which indicates that energetically not different Li-water<br />
cluster exist in these fluid at the conditions of the experiments<br />
(Wunder et al., 2006).<br />
von Bor und Lithium ins Fluid, die leichten Isotope in die<br />
Festkörper fraktionieren. Zudem nimmt die Stärke der<br />
Fraktionierung mit zunehmender Temperatur ab. Das<br />
bedeutet für die Natur, dass das aus einer subduzierten<br />
Platte freiwerdende Fluid, z. B. durch den kontinuierlichen<br />
Zerfall von Li, B-haltigen Glimmer, an 11 B und 7 Li angereichert<br />
ist. Mit zunehmender Tiefe wird auf Grund von<br />
Rayleigh-Fraktionierung das Fluid, das dem Slab entweicht,<br />
kontinuierlich leichter. Wenn solche Fluide dann<br />
unverändert durch den Mantelkeil bis in Bereiche der<br />
Magmenbildung aufsteigen, erkennt man diese Slab-Signatur<br />
in den Inselbogenmagmen wieder. Da Mantelminerale<br />
das im Fluid gelöste Bor nur in sub-ppm-Mengen aufnehmen,<br />
bleibt die isotopische Slabsignatur (Abnahme der<br />
11 B/ 10 B-Verhältnisse und der absoluten B-Gehalte mit der<br />
Tiefe) beim Aufstieg durch den Mantelkeil erhalten. Im<br />
Gegensatz zu Bor besitzt Lithium auf Grund der nahezu<br />
identischen Ionenradien von Mg und Li eine deutlich<br />
höhere chemische Affinität sich in Mantelminerale wie<br />
Olivin oder Pyroxenen einzubauen. Li-haltiges Fluid, das<br />
aus einem Slab entweicht, wird demnach mit dem Mantelgestein<br />
reagieren und das Fluid wird sich bezüglich der<br />
Li-Isotopie, wie experimentell festgestellt, verändern. Das<br />
führt dazu, dass die typische Slab-Signatur für Li-Isotope<br />
verloren geht. Dieses unterschiedliche Verhalten von Bor<br />
und Lithium führt somit zu einer Entkopplung ihrer chemischen<br />
Kreisläufe.<br />
Die Fraktionierung von Brom, Bor sowie der Borund<br />
Chlor-Isotope zwischen koexistierenden fluiden<br />
Phasen in Hydrothermalsystemen<br />
Geologische Fluide bestehen typischerweise nicht aus reinem<br />
H 2O sondern enthalten signifikante Mengen an gelösten<br />
Stoffen. Neben CO 2, CH 4 und verschiedenen Stickstoff-<br />
und Schwefelspezies bestimmen insbesondere<br />
gelöste Salze wie NaCl oder KCl die physikochemischen<br />
Eigenschaften dieser Fluide. Im reinen H 2O-System ist die<br />
Koexistenz zweier fluider Phasen (Dampf und Flüssigkeit)<br />
und damit eine Fluidentmischung auf Druck- und Temperaturbedingungen<br />
unterhalb des kritischen Punktes von<br />
reinem H 2O beschränkt (22,1 MPa/374 °C). In H 2O-Salz-<br />
Systemen dehnt sich jedoch das 2-Phasenfeld, in dem zwei<br />
fluide Phasen mit unterschiedlichen physikochemischen<br />
Eigenschaften koexistieren, zu deutlich höheren Druckund<br />
Temperaturbedingungen aus. Hohe Temperaturen bei<br />
niedrigen Drücken begünstigen dabei in diesen Systemen<br />
eine Fluidentmischung. Solche Druck-Temperaturbedingungen<br />
sind ganz typisch für Hydrothermalsysteme, wie<br />
sie sich an Mittelozeanischen Rücken, in vulkanischen<br />
Systemen und um flach intrudierte Plutone entwickeln.<br />
Die Hydrothermalsysteme an den Mittelozeanischen<br />
Rücken verzahnen dabei die Chemie der Ozeane mit der<br />
des Mantels und der ozeanischen Kruste während solche<br />
in vulkanischen Systemen, die von meteorischen oder ozeanischen<br />
Fluiden gespeist werden, eine effiziente Kühlung<br />
der vulkanischen Systeme darstellen und ökonomisch<br />
wichtige Geothermalsysteme bilden können. Hydrothermalsysteme<br />
um flach intrudierte Plutone sind maßgeblich<br />
an der Entstehung von Erzlagerstätten wie des Porphyry<br />
Copper oder epithermalen Typs beteiligt. Die Bestimmung<br />
der Herkunft und Zusammensetzung der fluiden Phasen<br />
in geologischen Systemen ist demnach nicht nur von geochemischem<br />
sondern auch ökonomischem Interesse. Da<br />
in diesen Hydrothermalsystemen Fluide ihre physikochemischen<br />
Eigenschaften nicht nur durch Mischung mit<br />
anderen Fluiden oder durch Wechselwirkungen mit den<br />
sie umgebenden Gesteinen verändern können, sondern<br />
auch durch Fluidentmischung, ist es wichtig, das geochemische<br />
Verhalten potentieller geochemischer Fluidtracer<br />
während einer Fluidentmischung zu kennen.<br />
Potentielle Tracer in fluidgesteuerten bzw. fluiddominerten<br />
Prozessen sind Bor mit seinen beiden Isotopen 11 B und<br />
10 B und die Halogene Chlor mit seinen Isotopen 37 Cl und<br />
35 Cl und Brom. Allerdings ist ihr Verhalten in fluidentmischenden<br />
Hydrothermalsystemen nur unzureichend bekannt.<br />
Um dieses Verhalten zu untersuchen, wurde ihre<br />
Fraktionierung zwischen koexistierenden fluiden Phasen<br />
experimentell bestimmt. Die Experimente wurden in einem<br />
großvolumigen Hydrothermalautoklaven entlang von Isothermen<br />
durchgeführt. Dieser Autoklav ermöglicht eine<br />
quasi-isobare Beprobung der koexistierenden fluiden Phasen.<br />
Die Fraktionierung von Bor und seiner Isotope 10 B<br />
und 11 B sowie der Chlor-Isotope 35 Cl und 37 Cl wurde im<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
System H2O-NaCl-B 2O 3 bei 400 °C/23 bis 28 MPa und<br />
450 °C/38 bis 42 MPa untersucht. Die Fraktionierung<br />
von Brom wurde bei 380, 400, 430 und 450 °C und 23 bis<br />
42 MPa im System H 2O-NaCl-NaBr untersucht.<br />
Die Bor Konzentrationen sind in der Flüssigkeit generell<br />
höher als im koexistierenden Dampf und zeigen, dass Bor<br />
bevorzugt in die Flüssigkeit fraktioniert (Abb. 4.6a). Verglichen<br />
mit den extremen Unterschieden in den NaCl-<br />
Gehalten ist die Fraktionierung von Bor zwischen Flüssigkeit<br />
und Dampf jedoch nur sehr klein (Abb. 4.6b).<br />
Berechnete Verteilungskoeffizienten D B Flüssigkeit-Dampf (=<br />
c B Flüssigkeit /cB Dampf ) sind kleiner als 2,5 unter allen experimentellen<br />
Bedingungen. Die Daten zeigen, dass die Bor-Fraktionierung<br />
mit sich öffnendem Solvus, d. h. mit abnehmendem<br />
Druck und zunehmendem Dichtekontrast zwischen<br />
Flüssigkeit und Dampf, zunimmt. Maximale Bor-Fraktionierung<br />
zwischen Flüssigkeit und Dampf erfolgt daher bei<br />
Salzsättigung, also bei Bedingungen mit den größten<br />
physikochemischen Unterschieden zwischen Flüssigkeit<br />
und Dampf. Die Extrapolation der experimentellen<br />
Daten bis zur Salzsättigung<br />
ergibt eine maximale Bor Fraktionierung<br />
von D B Flüssigkeit-Dampf = 1,8 bei 450 °C und<br />
D B Flüssigkeit-Dampf = 2,7 bei 400 °C (Abb. 4.6b).<br />
Wie Bor selbst zeigen auch die Bor-Isotope<br />
eine einheitliche, wenn auch schwache<br />
Fraktionierung zwischen Flüssigkeit<br />
und Dampf, wobei das schwerere Isotop<br />
11 B bevorzugt in den Dampf fraktioniert<br />
(Abb. 4.6c). Die berechnete Bor-<br />
Isotopenfraktionierung ∆ 11 B Dampf-Flüssigkeit<br />
= [( 11 B/ 10 B) Dampf – ( 11 B/ 10 B) Flüssigkeit]/( 11 B/<br />
10 B)Standard}*1.000 reicht von 0,2 (± 0,7)<br />
bis 0,9 (± 0,5) ‰ bei 450 °C und von<br />
0,1 (± 0,6) bis 0,7 (± 0,6) ‰ bei 400 °C<br />
(Abb. 4.6d). Wie beim Bor deuten die<br />
Daten auch bei den Bor-Isotopen eine<br />
zunehmende Fraktionierung mit sich öffnendem<br />
Solvus an. Die Extrapolation der<br />
Daten bis zur Salzsättigung ergibt eine<br />
maximale Bor-Isotopenfraktionierung von<br />
∆ 11 B Dampf-Flüssigkeit = 1,5 (± 0,7) ‰ bei 450 °C<br />
und ∆ 11 B Dampf-Flüssigkeit = 1,3 (± 0,6) ‰ bei<br />
400 °C. Die Bor Isotopenfraktionierung<br />
ist eine Funktion der Bor Speziation (trigonal<br />
versus tetragonal) in den koexistierenden<br />
Phasen. Da im Dampf das Bor trigonal<br />
koordiniert ist, deutet die geringe<br />
Bor-Isotopenfraktionierung darauf hin,<br />
dass in der Flüssigkeit ähnliche trigonale<br />
Bor-Spezies vorliegen.<br />
Um zu untersuchen, wie sich die Bor und<br />
Bor-Isotopensignaturen der fluiden Phasen<br />
in einem fluidentmischenden, ozeanischen<br />
Hydrothermalsystem verändern,<br />
wurde die Fluidentmischung von Meerwasser<br />
entlang zweier adiabatischer Aufstiegswege<br />
(Fluid 1 und Fluid 2) modelliert<br />
(Abb. 4.7a). Fluid 1 ist dampfdomi-<br />
niert und entmischt geringe Mengen Flüssigkeit (Kondensation)<br />
während Fluid 2 flüssigkeitdominiert ist und<br />
geringe Mengen an Dampf entmischt (Kochen). Die<br />
Modellierungen im offenen System (Rayleigh Fraktionierung)<br />
zeigen, dass sich trotz der sehr kleinen Fraktionierung<br />
von Bor und seinen Isotopen zwischen Dampf und<br />
Flüssigkeit die Bor- und Bor-Isotopensignatur in Fluid 1<br />
für hohe Fraktionierungsgrade extrem ändert. Die Borund<br />
Bor-Isotopensignatur in Fluid 2 verändert sich nur<br />
unwesentlich während der Fluidentmischung. Ein Vergleich<br />
der Ergebnisse der Modellierung mit natürlichen Fluiden<br />
aus ozeanischen Hydrothermalsystemen zeigt jedoch,<br />
dass die beobachteten Bor- und Bor-Isotopensignaturen<br />
der natürlichen Fluide nicht mit den modellierten Trends<br />
übereinstimmen (Abb. 4.7b). Dies bedeutet, dass in natürlichen<br />
Systemen andere Prozesse die Bor-Geochemie kontrollieren<br />
müssen.<br />
Im Gegensatz zu den Bor Isotopen zeigen die Chlor-Isotope<br />
keinerlei Fraktionierung zwischen Dampf und Flüs-<br />
Abb. 4.6: (a) Bor Konzentrationen in koexistierendem Dampf und Flüssigkeit<br />
bei 450 und 400 °C. Bor fraktioniert in die Flüssigkeit. (b) Verteilungskoeffizienten<br />
D B Flüssigkeit-Dampf als Funktion der Druckdifferenz zum kritischen<br />
Punkt bei 450 und 400 °C sowie Extrapolation der Daten auf Salzsättigung.<br />
(c) 11 B/ 10 B-Verhältnisse in koexistierendem Dampf und Flüssigkeit<br />
bei 450 und 400 °C. Das schwerere 11 B fraktioniert in den Dampf. (d)<br />
Berechnete Isotopenfraktionierung ∆ 11 B Dampf-Flüssigkeit als Funktion der Druckdifferenz<br />
zum kritischen Punkt bei 450 und 400 °C sowie Extrapolation der<br />
Daten auf Salzsättigung.<br />
(a) Boron concentration in coexisting vapour and liquid at 450 and 400 °C.<br />
Bor fractionates into the liquid. (b) Distribution coefficients D B liquid-vapour as<br />
function of the pressure difference to the critical point at 450 and 400 °C<br />
and extrapolation of the data to salt saturation. (c) 11 B/ 10 B ratios in coexisting<br />
vapour and liquid at 450 and 400 °C. The heavier 11 B fractionates into<br />
the vapour. (d) Calculated isotope fractionation ∆ 11 B vapour-liquid as function of<br />
the pressure difference to the critical point at 450 and 400 °C and extrapolation<br />
of the data to salt saturation.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
303
304<br />
Abb. 4.7: (a) Modellierung des Effekts einer Fluidentmischung auf die Borund<br />
Bor- Isotopensignatur von Meerwasser im Dampf dominierten (Fluid<br />
1) bzw. Flüssigkeit dominierten (Fluid 2) System. (b) Vergleich der Modellierung<br />
mit Bor- und Bor-Isotopensignaturen natürlicher Vent Fluide.<br />
(a) Modelling the effect of fluid phase separation on the boron and boron<br />
isotope signature of seawater in vapour dominated (Fluid 1) and liquid dominated<br />
(Fluid 2) systems. (b) Comparison of the model calculations with boron<br />
and boron isotope signatures of natural vent fluids.<br />
sigkeit (Abb. 4.8a). Die berechnete Chlor-Isotopenfraktionierung<br />
∆ 37 Cl Dampf-Flüssigkeit = δ 37 Cl Dampf – δ 37 Cl Flüssigkeit<br />
schwankt zwischen –0,37 (± 0,24) und 0,27 (± 0,24) ‰<br />
bei 450 °C und –0,16 (± 0,24) und 0,32 (± 0,24) ‰ bei<br />
400 °C (Abb. 4.8b). Die Daten deuten darauf hin, dass sich<br />
die Chlor-Isotope zumindest bei den experimentell untersuchten<br />
Druck-Temperaturbedingungen konservativ verhalten<br />
und als geochemische Tracer in fluidentmischenden<br />
Systemen verwendet werden können.<br />
Wie NaCl zeigt auch NaBr eine extreme Fraktionierung<br />
zwischen Dampf und Flüssigkeit (Abb. 4.9a). Berechnete<br />
Verteilungskoeffizienten D Br Flüssigkeit-Dampf (= cBr Flüssigkeit /<br />
c Br Dampf ) sind generell größer als die entsprechenden<br />
D Cl Flüssigkeit-Dampf Werte und zeigen, dass Brom gegenüber<br />
Chlor in der Flüssigkeit angereichert wird. Die Aus-<br />
Abb. 4.8: (a) δ 37 Cl in koexistierendem Dampf und Flüssigkeit bei 450 und<br />
400 °C. Im Rahmen der analytischen Fehler besitzen Dampf und Flüssigkeit<br />
eine identische Chlor Isotopie. (b) Berechnete Chlor Isotopenfraktionierung<br />
δ 37 Cl Dampf-Flüssigkeit als Funktion der Druckdifferenz zum kritischen<br />
Punkt bei 450 und 400 °C.<br />
(a) δ 37 Cl in coexisting vapour and liquid at 450 and 400 °C. Within analytical<br />
error, vapour and liquid have identical chlorine isotopic composition.<br />
(b) Calculated chlorine isotope fractionation δ 37 Cl vapour-liquid as function of<br />
the pressure difference to the critical point at 450 and 400 °C.<br />
tauschkoeffizienten K D(Br-Cl) Flüssigkeit-Dampf für<br />
die Reaktion Br Dampf + Cl Flüssigkeit = Br Flüssigkeit<br />
+ Cl Dampf liegen zwischen 0,94 ± 0,08 und<br />
1,66 ± 0,14 (Abb. 4.9b). Sie korrelieren<br />
positiv mit D Cl Flüssigkeit-Dampf und deuten darauf<br />
hin, dass die Brom-Chlor Fraktionierung<br />
mit sich öffnendem Solvus zunimmt.<br />
Eine empirische Anpassung der<br />
Form K D(Br-Cl) Flüssigkeit-Dampf = a*ln[b*(DCl Flüs-<br />
sigkeit-Dampf –1) + e 1/a ] an die experimentellen<br />
Daten ergibt a = 0,349 und b = 1,697. Mit<br />
Hilfe dieser Gleichung und D Cl Flüssigkeit-Dampf<br />
aus den bekannten Phasenbeziehungen<br />
im H 2O-NaCl System wurde modelliert,<br />
wie sich die Br/Cl-Signatur eines hydrothermalen<br />
Fluids mit initialer Meerwasser-Zusammensetzung<br />
ändert, welches<br />
im geschlossenen bzw. offenen System<br />
adiabatisch aufsteigt und kontinuierlich<br />
geringe Mengen an Flüssigkeit kondensiert<br />
(Abb. 4.10). Die Modellierungen<br />
zeigen, dass eine Fluidentmischung in<br />
solchen Hydrothermalsystemen die Br/Cl-Signatur der<br />
Fluide extrem verändern kann. Die Ergebnisse stimmen<br />
sehr gut mit den Br/Cl-Signaturen niedrig salinarer Vent-<br />
Fluide vom 9 bis 10° N East Pacific Rise überein. Sie zeigen,<br />
dass die Br/Cl-Signatur von Fluiden a priori nicht als<br />
konservativer Tracer genutzt werden kann.<br />
Der Effekt von Metamiktisierung und Rekristallisation<br />
von Zirkon auf die Elementfreisetzung in<br />
wässrige Fluide<br />
Das akzessorische Mineral Zirkon (ZrSiO 4) ist eine der<br />
wichtigsten Quellen geochronologischer und geochemischer<br />
Informationen zur Entschlüsselung von geologischen<br />
Prozessen in der Lithosphäre. Bei der Kristallisation<br />
von Zirkon können U, Th und andere Spurenelemente<br />
im Gitter eingebaut werden. Für die U-<br />
Pb-Altersdatierung an Gesteinen ist dabei<br />
wesentlich, dass seine Struktur für Pb 2+<br />
inkompatibel und damit der Bleigehalt<br />
natürlicher Zirkone normalerweise radiogen<br />
ist. Weiterhin kommt Zirkon in den<br />
meisten magmatischen, sedimentären<br />
und metamorphen Gesteinen vor und ist<br />
das häufigste Zr-Mineral in der Erdkruste.<br />
Zirkon besitzt zudem eine bemerkenswerte<br />
chemische und mechanische Stabilität<br />
unter vielen geologischen Bedingungen,<br />
so dass viele der ältesten bekannten<br />
Gesteine der Erde mittels dieses Minerals<br />
datiert werden konnten.<br />
Trotzdem verhält sich Zirkon nicht völlig<br />
inert, wobei vor allem Metamiktisierung<br />
zu einer Verringerung der chemischen<br />
und mechanischen Stabilität führt. Metamiktisierung<br />
bezeichnet den Übergang<br />
vom kristallinen zum amorphen Zustand<br />
durch die Entstehung von Gitterdefekten<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.9: (a) Brom-Konzentrationen in koexistierendem Dampf und Flüssigkeit<br />
bei 450, 430, 400 und 380 °C. Wie Chlor fraktioniert Brom sehr stark<br />
in die Flüssigkeit. (b) Berechnete Austauschkoeffizienten K D(Br-Cl) Flüssigkeit-Dampf<br />
für die Reaktion Br Dampf + Cl Flüssigkeit = Br Flüssigkeit + Cl Dampf als Funktion von D Cl Flüs-<br />
sigkeit-Dampf . Berechnete KD(Br-Cl) Flüssigkeit-Dampf sind generell > 1 und belegen bevorzugte<br />
Fraktionierung von Brom gegenüber Chlor in die Flüssigkeit.<br />
(a) Bromine concentration in coexisting vapour and liquid at 450, 430, 400<br />
and 380 °C. Like chlorine, bromine strongly fractionates into the liquid. (b)<br />
Calculated exchange coefficients K D(Br-Cl) liquid-vapour for the reaction Br vapour +<br />
Cl liquid = Br liquid + Cl vapour as function of D Cl liquid-vapour . Calculated KD(Br-Cl) liquid-vapour<br />
are general > 1 and prove preferential fractionation of bromine over chlorine<br />
into the liquid.<br />
infolge des Zerfalls eingebauter radioaktiver Elemente (U,<br />
Th) und deren Tochterisotope. Beispielsweise wurden<br />
weltweit in schwach metamorphen archaischen und paläozoischen<br />
Gesteinen detritische Zirkonkörner gefunden,<br />
die angelöst waren oder kleine aufgewachsene Zirkonkri-<br />
Abb. 4.10: Modellierung der Br/Cl Signatur eines hydrothermalen<br />
Fluids mit initialer Meerwasser-Zusammensetzung<br />
während des adiabatischen Aufstieges im geschlossenen<br />
bzw. offenen System. Fluidentmischung kann die<br />
Br/Cl Signatur von Fluiden extrem verändern. Die Ergebnisse<br />
stimmen mit Br/Cl Signaturen niedrig salinarer Vent<br />
Fluide vom 9 bis 10° N East Pacific Rise überein.<br />
Modelling the Br/Cl signature of a hydrothermal fluid with<br />
initial seawater composition during closed and open system<br />
adiabatic ascent. Fluid phase separation can significantly<br />
alter the Br/Cl signature of fluids. The results agree<br />
with Br/Cl signatures of low-salinity vent fluids from 9 to<br />
10° N East Pacific Rise.<br />
stalle besaßen (Dempster et al., <strong>2004</strong>;<br />
Rasmussen <strong>2005</strong>). Eine mögliche Deutung<br />
dieser auf den ersten Blick überraschenden<br />
erhöhten Zirkonium-Mobilität<br />
bei relativ niedrigen Temperaturen<br />
(< 350 °C) ist die seit langem bekannte<br />
höhere Anfälligkeit metamikter Bereiche<br />
in Zirkonen für die Alteration durch wässrige<br />
Fluide. Die meisten bisherigen experimentellen<br />
Arbeiten zur hydrothermalen<br />
Alteration von Zirkon befassten sich mit<br />
der Charakterisierung der festen Reaktionsprodukte.<br />
Dagegen existieren bisher<br />
nur sehr wenige Daten zu Löslichkeit und<br />
Auflösungskinetik von Zirkon in wässrigen<br />
Fluiden, und die Elementfreisetzung<br />
in Abhängigkeit vom Metamiktisierungsgrad<br />
wurde bisher nicht quantifiziert.<br />
Aus diesem Grund untersuchten wir die<br />
zeitliche Entwicklung der Zr-Konzentration<br />
und, falls messbar, auch der U- und<br />
Pb-Konzentrationen in H 2O-HCl-Fluiden<br />
während der chemischen Wechselwirkung<br />
mit Zirkonen unterschiedlicher<br />
Metamiktisierung. In einigen Experimenten<br />
wurde Quarz zugesetzt, um den Einfluss der SiO 2-<br />
Sättigung des Fluids auf die Elementmobilisierung und<br />
die Kinetik des Rekristallisationsprozesses zu untersuchen.<br />
Für die Versuche wurden von Wissenschaftlern der<br />
Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz und der Memorial<br />
University of Newfoundland, St. John’s, Kanada sehr<br />
gut charakterisierte natürliche und synthetische Zirkone<br />
zur Verfügung gestellt.<br />
Abb. 4.11: Schematische Darstellung des Versuchsaufbaus.<br />
Die Bestimmung der Elementgehalte im Fluid<br />
erfolgt in situ mittels modifizierter hydrothermaler Diamantstempelkammer<br />
und Synchrotronstrahlungs-Röntgenfluoreszenz.<br />
Schematic diagram of the experimental configuration. The<br />
element concentrations in the fluid are determined in situ<br />
using a modified hydrothermal diamond-anvil cell and<br />
synchrotron radiation-XRF analyses.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
305
306<br />
Die zeitaufgelösten Messungen der Zr-, U- und Pb-<br />
Konzentrationen im Fluid erfolgten in situ bei Temperaturen<br />
zwischen 200 und 500 °C und Drücken zwischen<br />
2 und 500 MPa mit einer am <strong>GFZ</strong> Potsdam gebauten<br />
speziellen hydrothermalen Diamantstempelkammer<br />
und Synchrotronstrahlungs-Röntgenfluoreszenzanalysen<br />
(SY-RFA) (Abb. 4.11). Die Messungen wurden an der<br />
SY-RFA-Mikrosonde des Hamburger Synchrotronstrahlungslabors<br />
(HASYLAB) am Deutschen Elektronensynchrotron<br />
(DESY) durchgeführt. An der Cornell High<br />
Energy Synchrotron Source, (Ithaca, New York, USA)<br />
wurde speziell für In-Situ-Experimente mit hydrothermalen<br />
Diamantstempelkammern eine Kapillare mit langem<br />
Arbeitsabstand zur Verstärkung der Flussdichte und zur<br />
Fokussierung des Synchrotron-Röntgenstrahls auf 11 µm<br />
Abb. 4.12: Rekristallisation von ursprünglich stark metamiktem<br />
Zirkon (Probe N17) in H 2O+HCl. a) bis c) Probenkammer<br />
(Durchmesser ≈ 300 µm) einer hydrothermalen<br />
Diamantstempelzelle während eines Heizversuchs mit<br />
stark metamiktem Zirkon N17 in 3,8 m HCl. Bei 300 °C<br />
ist im mikroskopischen Bild eine rasche Verfärbung der<br />
ursprünglich fast farblosen und isotropen Zirkonprobe<br />
erkennbar, welche deutlich das Einsetzen massiver Rekristallisation<br />
anzeigt. d) Elektronenbeugungsbild des amorphen<br />
Ausgangsmaterials. e) Elektronenbeugungsbild und<br />
f) TEM-Bild derselben Probe nach Rekristallisation in<br />
7,0 m HCl bei 450 °C. g) Raman-Spektren von Zirkon N17<br />
bei 22 °C vor und nach Rekristallisation in H 2O+HCl im<br />
Vergleich mit dem Raman-Spektrum eines synthetischen<br />
Zirkon-Einkristalls. Zuordnung der Ramanbanden:<br />
v 2(SiO 4) – symmetrische SiO 4-Biegeschwingung, v 3(SiO 4)<br />
– antisymmetrische SiO 4-Streckschwingung. Die Halbwertsbreite<br />
(FWHM) insbesondere der v 3(SiO 4)-Ramanbande<br />
hängt von der Nahordnung ab und wird mit zunehmender<br />
Metamiktisierung größer. Die Bande bei ≈ 425 cm –1<br />
(Pfeil) kann weder Zirkon, monoklinem oder tetragonalem<br />
ZrO 2, noch Quarz zugeordnet werden.<br />
Recrystallisation of initially strongly metamict zircon<br />
(sample N17) in H 2O+HCl. a) to c) Plan view of the sample<br />
chamber (diameter ≈ 300 µm) of a hydrothermal diamond-anvil<br />
cell during heating of zircon N17 in 3.8 m HCl.<br />
Optically, the onset of massive recrystallisation is recognizable<br />
by rapid darkening of the previously almost colorless<br />
and isotropic sample at 300 °C. d) Electron diffraction<br />
pattern of the amorphous starting material, e) Electron<br />
diffraction pattern and f) TEM image of zircon N17<br />
after recrystallisation in 7.0 m HCl at 450 °C. g) Raman<br />
spectra of zircon N17 at 22 °C before and after recrystallisation<br />
in H 2O+HCl. A spectrum of fully crystalline synthetic<br />
zircon is given for reference. Assignment of Raman<br />
bands: v 2(SiO 4) – symmetric SiO 4 bending, v 3(SiO 4) – antisymmetric<br />
SiO 4 stretching. The full width at half maximum<br />
(FWHM) particularly of the v 3(SiO 4) Raman band is a<br />
function of short-range order and increases with metamictisation.<br />
The origin of the shoulder at ≈ 425 cm –1 (thick<br />
arrow) is unknown. It cannot be assigned to zircon, quartz,<br />
and monoclinic or tetragonal ZrO 2.<br />
entwickelt und angefertigt. Damit konnten am SY-RFA-<br />
Messplatz des HASYLAB für solche Versuche die unteren<br />
Nachweisgrenzen für Zr, U und Pb um eine Größenordnung<br />
auf 1 bis 5 ppm gesenkt werden.<br />
Nach den Hydrothermalversuchen wurden der verbleibende<br />
amorphe Anteil und die Korngröße der rekristallisierten<br />
Zirkone mittels Raman-Spektroskopie und Transmissions-Elektronenmikroskopie<br />
bestimmt (Abb. 4.12).<br />
Der ursprünglich fast amorphe Zirkon N17 rekristallisierte<br />
in H 2O-HCl-Fluiden bei etwa 280 bis 300 °C<br />
(Abb. 4.12a-c). Die Rekristallisation bewirkte einen starken<br />
Abfall der Zr-Konzentration im Fluid, wohingegen aus<br />
dem metamikten Zirkon gelöstes U und Pb nicht wieder<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.13: Zr-, U- und Pb-Molalitäten im Fluid vor, während<br />
und nach Rekristallisation von ursprünglich fast<br />
amorphem Zirkon N17 als Funktion der vergangenen Zeit<br />
seit t 0 (Erreichen der ersten angegebenen Temperatur).<br />
Rote Symbole – Experiment mit Zusatz von Quarz (SiO 2gesättigtes<br />
Fluid). Blaue Symbole – Experiment ohne<br />
Zusatz von Quarz.<br />
Temporal evolution of the Zr, U, and Pb molalities in the<br />
fluid before, during, and after recrystallisation of initially<br />
nearly amorphous zircon N17. Red symbols – silicasaturated<br />
fluid (quartz present), blue symbols – quartz<br />
absent. t 0 – time at which the first experimental temperature<br />
was attained.<br />
Abb. 4.14: Zr-Molalität in H 2O-HCl-Fluiden als Funktion<br />
der Temperatur bei Hydrothermalexperimenten mit Zirkoneinkristallen<br />
(orangefarbene Symbole), stark metamiktem<br />
Zirkon N17 (grüne Symbole) und rekristallisierendem<br />
oder rekristallisiertem Zirkon N17 (blaue Symbole).<br />
Q – Experimente mit SiO 2-gesättigten Fluiden.<br />
Zr concentration in H 2O+HCl fluids as a function of temperature<br />
during interaction with fully crystalline zircon<br />
(diamonds), slightly metamict zircon (circles), strongly<br />
radiation-damaged zircon N17 (green squares), and<br />
recrystallising or recrystallized zircon N17 (blue squares).<br />
Q – experiments at silica saturation of the fluid.<br />
in den rekristallisierenden Zirkon eingebaut wurde<br />
(Abb. 4.13). In Anwesenheit eines SiO 2-gesättigten H 2O-<br />
HCl-Fluids setzte die Rekristallisation der Probe N17<br />
jedoch erst bei höheren Temperaturen ein und verlief<br />
wesentlich langsamer. Auch nach Erhöhung der Temperatur<br />
auf 450 °C war der Rekristallisationsprozess nach<br />
zusätzlichen 2,5 h weniger weit fortgeschritten als bei<br />
einem Experiment mit vergleichbarer HCl-Konzentration<br />
ohne Zusatz von Quarz (Abb. 4.13, 4.12 g). Außerdem war<br />
die U-Konzentration im SiO 2-gesättigten Fluid wesentlich<br />
niedriger und sank jeweils nach 2 h weiter ab (Abb. 4.13),<br />
wahrscheinlich infolge Ausfällung als separate Phase oder<br />
infolge des Einbaus als USiO 4-Komponente im Zirkon.<br />
Unterhalb der Rekristallisationstemperatur von Zirkon<br />
N17 war die Zr-Molalität im Fluid etwa zwei Größenordnungen<br />
höher als die aus nicht oder schwach metamikten<br />
Zirkonen freigesetzte Zr-Konzentration bei ähnlicher<br />
HCl-Konzentration (Pfeil in Abb. 4.14). Bei SiO 2-Sättigung<br />
betrug diese Differenz etwa 1,5 Größenordnungen.<br />
Bei höheren Temperaturen, d. h. nach weitgehender<br />
Rekristallisation des amorphen Anteils, war der Unterschied<br />
in der Zr-Konzentration im Fluid wesentlich geringer.<br />
Unsere experimentellen Ergebnisse unterstützen damit<br />
die Hypothese, dass die erhöhte Zr-Mobilität in schwach<br />
metamorphen Gesteinen durch bevorzugte Auflösung<br />
metamikter Partien detritischer Zirkone durch chloridische<br />
Fluide verursacht wird. Die aus metamikten Zirkonen<br />
freigesetzte sehr hohe Zr-Konzentration im Fluid ist<br />
jedoch übersättigt, d. h. nicht im Gleichgewicht mit kristallinem<br />
Zirkon. Damit erscheint ein langer Transportweg<br />
für Zr in diesen Gesteinen unwahrscheinlich.<br />
Spurenelementanalytik von Schmelz- und Flüssigkeitseinschlüssen<br />
in Mineralen mittels Synchrotronstrahlungs-induzierterRöntgenfluoreszenzanalytik<br />
Schmelz- und Flüssigkeitseinschlüsse in Mineralen werden<br />
während des Mineralwachstums gebildet. Sofern das<br />
Mineral vom Zeitpunkt der Bildung bis zur Heraushebung<br />
an die Erdoberfläche stabil bleibt, können auf diese Art<br />
die Schmelzen und/oder Lösungen (Fluide) der gesteinsbildenden<br />
Prozesse konserviert werden. Solche Einschlüsse<br />
sind die einzigen direkten Informationsquellen<br />
für Schmelzen und Flüssigkeiten in der Erdkruste. Häufig<br />
sind viele Generationen von Schmelzen oder Fluiden<br />
in einem Mineral eingeschlossen. Die Abfolge der eingeschlossenen<br />
Phasen kann anhand von Wachstumszonen in<br />
Mineralen oder mittels der Homogenisierungstemperatur<br />
der Einschlüsse abgeleitet werden. Die chemische Analyse<br />
einer Abfolge gut charakterisierter Einzeleinschlüsse<br />
ermöglicht die Rekonstruktion der Entwicklung von Krustengesteinen<br />
und eröffnet einen Blick auf Elementanreicherungen<br />
und Elementtransport in der oberen Erdkruste.<br />
Zusätzliche Informationen liefern Tochterkristalle, die<br />
häufig in Einschlüssen auftreten, aber mittels konventioneller<br />
Methoden nur selten identifiziert werden können.<br />
Die chemische Analyse der Tochterkristalle ermöglicht<br />
ihre Identifikation und liefert weitere Informationen<br />
bezüglich des Bildungsmilieus der Einschlüsse.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
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308<br />
In Zusammenarbeit mit dem Hamburger Synchrotronstrahlungslabor<br />
am Deutschen Elektronen-Synchrotron<br />
wurde eine Methode entwickelt, mit der die Zusammensetzung<br />
von Einzeleinschlüssen qualitativ und quantitativ<br />
bestimmbar ist. Dazu wird die Probe mit weißer Synchrotronstrahlung<br />
beleuchtet, die charakteristische Fluoreszenz<br />
der Elemente in der Probe bewirkt. Die so entstandene<br />
Röntgenfluoreszenz wird in einem energiedispersiven<br />
Halbleiterdetektor nachgewiesen. Die Positionen<br />
der Röntgenfluoreszenzlinien in dem aufgenommenen<br />
Spektrum geben Hinweise auf die vorhandenen Elemente<br />
und die Intensität der Fluoreszenzlinie auf die Konzentration<br />
des Elementes innerhalb der Probe. Es wurde ein<br />
Verfahren entwickelt, dass die Berechnung der Konzentrationen<br />
in Einschlüssen mit Hilfe von Monte Carlo<br />
Simulationen ohne die Verwendung von Kalibrationsstandards<br />
ermöglicht (Rickers et al., <strong>2004</strong>). Mit dem ver-<br />
Abb. 4.15: Mikrofotos von Einschlüssen silikatischer Schmelzen und Flüssigkeiten,<br />
die in verschiedenen Stadien der Entwicklungsgeschichte des<br />
Ehrenfriedersdorf-Komplexes in Quarz eingeschlossen wurden. (a) Typ-A<br />
Schmelzeinschluss, der aus Flüssigkeit, Dampf und einer Vielzahl von Tochterkristallen<br />
besteht. (b) Typ-B Schmelzeinschluss. (c) Dampfreicher Flüssigkeitseinschluss<br />
aus Dampf und Flüssigkeit des pegmatitischen Stadiums.<br />
(d) Flüssigkeitseinschluss des frühen hydrothermalen Stadiums. Die perfekte<br />
Negativkristallform von Quarz ist an der Stelle gestört, an der sich<br />
transparente Tochterkristalle von unregelmäßiger Form befinden, die<br />
höchstwahrscheinlich Mischkristalle des Systems Montebrasit-Amblygonit<br />
sind. (e) Großer Flüssigkeitseinschluss des frühen hydrothermalen Stadiums,<br />
der aus Dampf, Flüssigkeit und einem kleinen opaken Kristall von Kassiterit<br />
(Zinnstein) besteht. (f) Hochsalinarer Einschluss des späten hydrothermalen<br />
Stadiums. Dieser Einschluss beinhaltet unter anderem einen<br />
Tochterkristall von Zinkblende.<br />
Microphotographs of silicate melt and fluid inclusions trapped in quartz at<br />
various stages of the evolution of the Ehrenfriedersdorf Complex. (a) Type-<br />
A melt inclusion containing liquid, vapour, and a large number of daughter<br />
crystals. (b) Type-B melt inclusion. (c) Vapour-rich inclusion of the pegmatite<br />
stage containing vapour and liquid. (d) Fluid inclusion of the early hydrothermal<br />
stage. The ideal negative crystal shape of quartz of the inclusion is<br />
disturbed at that part where it hosts a transparent daughter crystal of irregular<br />
shape, possibly montebrasite-amblygonite solid solutions. (e) Big fluid<br />
inclusion of the early hydrothermal stage consisting of vapour, liquid and a<br />
small opaque crystal of cassiterite. (f) Hypersaline fluid inclusion of the<br />
later hydrothermal stage hosting several daughter crystals including sphalerite. <br />
wendeten Experimentaufbau an Strahl L am HASYLAB<br />
in Hamburg, können Elemente einer Ordnungszahl zwischen<br />
17 und 92 simultan nachgewiesen werden, die untere<br />
Nachweisgrenze liegt bei einer minimalen Ortsauflösung<br />
von 10 µm element- und probenabhängig im ppm bis<br />
sub-ppm Bereich. Synchrotronstrahlungs-induzierte Röntgenfluoreszenzanalytik<br />
(SXRF) hat gegenüber herkömmlichen<br />
Analyseverfahren den Vorteil, dass sie zerstörungsfrei<br />
ist und dass durch die hohe Intensität der einfallenden<br />
Strahlung eingeschlossene Volumina (entweder<br />
innerhalb von Mineralen oder innerhalb von Versuchsapparaturen)<br />
untersucht werden können. Die Genauigkeit<br />
der quantitativen Analyse von Schmelz- und Flüssigkeitseinschlüssen<br />
wurde anhand von synthetisch hergestellten<br />
Flüssigkeitseinschlüssen in Quarz für die Elemente<br />
Sn, Cu, Cs und Rb geprüft und liegt zwischen 10 und<br />
30 %. Hohe Abweichungen von über 20 % wurden ausschließlich<br />
für Konzentrationsbereiche<br />
nahe der unteren Nachweisgrenze festgestellt.<br />
Erste Anwendung fand die entwickelte<br />
Methode bei der Erforschung des variskischen<br />
Ehrenfriedersdorf-Komplexes,<br />
eine granitische Intrusion in die Oberkruste,<br />
die durch das Vorkommen zahlreicher<br />
Pegmatite und hydrothermaler<br />
Zinn-Wolfram-Lagerstätten charakterisiert<br />
ist. Die Pegmatite zeichnen sich<br />
durch vielfältige Schmelz- und Flüssigkeitseinschlüsse<br />
vom pegmatitischen<br />
zum hydrothermalen Entwicklungsstadium<br />
aus (Thomas, 1982; Thomas et al.,<br />
2000; 2003). Im pegmatitischen Stadium<br />
koexistieren zwei Typen von wasserreichen,<br />
silikatischen Schmelzen, die durch<br />
Entmischung aus einer Schmelze hervorgegangen<br />
sind, sowie mindestens eine fluide<br />
Phase (Abb. 4.15). Mit abnehmender<br />
Temperatur nimmt die Bedeutung der<br />
Flüssigkeitseinschlüsse zu. Es treten Phasenseparationen<br />
auf, die zu einer gasreichen<br />
und einer flüssigkeitsreichen fluiden<br />
Phase führen (Abb. 4.15). Um den vermuteten<br />
genetischen Zusammenhang<br />
zwischen Sn-reichen Graniten, Pegmatiten<br />
und hydrothermalen Zinn-Wolfram-<br />
Lagerstätten nachzuweisen, wurde die<br />
qualitative und quantitative Analytik von<br />
Einzeleinschlüssen durchgeführt.<br />
Elementverteilungsbilder von einzelnen<br />
Flüssigkeitseinschlüssen dokumentieren<br />
die vorhandenen Elemente innerhalb des<br />
Einschlusses und machen zusätzlich<br />
Mikrokristalle sichtbar, die mittels optischer<br />
Mikroskopie nicht zu erkennen sind<br />
(Abb. 4.16a). Dadurch, dass Elemente in<br />
diesen Mikrokristallen konzentriert sind,<br />
werden sie nachweisbar, sofern das Anregungsvolumen<br />
ausreichend klein ist. In<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.16: Spurenelementverteilungsbilder von Flüssigkeitseinschlüssen: (a) Flüssigkeitseinschluss des frühen hydrothermalen<br />
Stadiums. Der Einschluss ist in einem 100 µm dicken Quarz-Träger eingeschlossen. Die Größe der Pixel<br />
beträgt 10 x 10 µm 2 . (b) Flüssigkeitseinschluss des späten hydrothermalen Stadiums. Der Einschluss ist in einem Quarz-<br />
Träger (300 µm dick). Die Größe der Pixel beträgt 5 x 5 µm 2 . Die relative Intensität ist als Farbskala dargestellt, die<br />
von Schwarz (0) nach Weiß (1) changiert. Die SXRF-Spektren auf der rechten Bildseite entsprechen den Punkten, die<br />
durch die Pfeile markiert sind.<br />
Trace element distribution maps of fluid inclusions. (a) Fluid inclusion from the early hydrothermal stage hosted in a<br />
quartz chip of 100 µm in thickness. Pixel size is 10 x 10 µm 2 . (b) Fluid inclusion from the late hydrothermal stage hosted<br />
in a quartz chip of 300 µm in thickness. Pixel size is 5 x 5 µm 2 . Relative intensity is given from 0 (black) to 1 (white)<br />
and not to scale. SXRF spectra at the right refer to analyses at spots indicated by arrows.<br />
den Flüssigkeitseinschlüssen des frühen hydrothermalen<br />
Stadiums konnten in der Flüssigkeit Rb und Cs nachgewiesen<br />
werden. Die Elementverteilungsbilder zeigen darüber<br />
hinaus zwei Tochterkristalle unterschiedlicher<br />
Zusammensetzung (Cu, Fe, Nb, Sn, Ta und W sowie Fe,<br />
Zn, As, Sn und Sb; 4.16a). In einem Flüssigkeitseinschluss<br />
des späten hydrothermalen Stadiums wurden in der<br />
Lösung Mn, Fe, Zn, Br, Rb, Cd und Cs nachgewiesen (Abb.<br />
4.16b). Es konnten drei Tochterkristalle unterschiedlicher<br />
Spurenelementzusammensetzung identifiziert werden<br />
(Sn und As, Ag sowie Sb). Die Elementverteilungsbilder<br />
verdeutlichen außerdem, dass kein Spurenelement in der<br />
Gasphase der Einschlüsse angereichert ist.<br />
Die quantitative Analyse von Schmelz- und Flüssigkeitseinschlüssen<br />
unterschiedlicher Stadien erlaubt eine Interpretation<br />
hinsichtlich der chemischen Entwicklung des<br />
magmatischen Komplexes. Abb. 4.17 zeigt exemplarisch<br />
das Verhalten der Elemente Sn, Cu und Zn in den Schmelzen<br />
und den fluiden Phasen des Ehrenfriedersdorf-Kom-<br />
plexes. In den pegmatitischen Schmelzen gibt es eine deutliche<br />
Anreicherung von Sn, die mit der Temperatur positiv<br />
korreliert ist. Zink und Cu in den pegmatitischen<br />
Schmelzen sind sehr gering konzentriert. In den fluiden<br />
Phasen gibt es für die drei Elemente unterschiedliche Muster<br />
mit der Temperatur. Dies lässt auf eine teilweise Entkopplung<br />
der Elemente in den Lösungen schließen. Zinn<br />
in Fluiden zeigt zwei Maxima, eines bei Temperaturen im<br />
pegmatitischen Bereich und eines im hydrothermalen bei<br />
450 °C. Das Maximum des hydrothermalen Stadiums ist<br />
mit der maximalen Cu-Anreicherung korreliert. In Einschlüssen<br />
dieses Stadiums konnte W in Tochterkristallen<br />
nachgewiesen werden (Abb. 4.16a). Diese Muster stehen<br />
in Einklang mit einer frühen pegmatitischen Sn-Anreicherung<br />
und einer zweiten, hydrothermalen Sn-W-Cu-<br />
Anreicherung. Zink steigt kontinuierlich mit abnehmender<br />
Temperatur und erreicht bei ca. 380 °C Konzentrationen<br />
über 1.000 ppm in den Lösungen. Dies steht in Einklang<br />
mit späthydrothermal gebildeten Zinkblenden in<br />
Ehrenfriedersdorf.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
309
310<br />
Abb. 4.17: Temperaturabhängigkeit der Zinn- (a), der Kupfer- (b) und der Zink-Konzentration (c) in Typ-A und Typ-B<br />
Schmelz- und Flüssigkeitseinschlüssen. Der Einsatz in (c) ist eine vergrößernde Darstellung der Zn Konzentrationen<br />
in beiden Schmelztypen bei niedrigen Konzentrationen und zeigt die relative Anreicherung von Zn in Typ-B gegenüber<br />
Typ-A Schmelzen. Daten aus Rickers et al. (2006).<br />
(a) Tin concentrations in type-A and type-B melt and fluid inclusions versus temperature. Arrows tentatively trace the<br />
evolution of both melts types, indicating overall enrichment of Sn in type-B melts. (b) Copper concentrations in melt<br />
and fluid inclusions versus temperature. (c) Zinc concentrations in type-A and type-B melt and fluid inclusions versus<br />
temperature. Inset is a blow-up of Zn concentrations for both melts types at low Zn contents and shows the relative<br />
enrichment of Zn in type-B relative to type-A melts. Data from Rickers et al. (2006).<br />
Anhand der Analytik von gut charakterisierten Einzeleinschlüssen<br />
konnten die Phasen, die zu der Bildung der<br />
Lagerstätten geführt haben, identifiziert und die chemische<br />
Entwicklung des magmatischen Komplexes entschlüsselt<br />
werden. Dadurch konnte das Potential der entwickelten<br />
Analysemethode exemplarisch gezeigt und für<br />
diesen Forschungsbereich etabliert werden.<br />
Auflösungs-Ausfällungsprozesse und Mikroporositäten<br />
in Mineralen<br />
Auflösungs-Ausfällungsprozesse spielen eine wichtige<br />
Rolle bei Fluid-Gesteins-Wechselwirkungen unter hohen<br />
Temperaturen. Dabei wird in Gegenwart von Fluiden als<br />
Transportmittel eine Mineralphase ihre Zusammenset-<br />
zung ändern oder auch gänzlich durch eine neue Phase<br />
ersetzt werden. Als Resultat einer chemischen Reaktion<br />
werden eine oder mehrere energetisch günstigere Phasen<br />
unter den herrschenden P-T-Bedingungen gebildet. Eine<br />
wichtige Eigenschaft dieses Prozesses ist die Ausbildung<br />
einer durchgängigen Mikro- oder Nanoporosität in der<br />
verdrängten Mineralstruktur, die nur mit einem Transmissionselektronenmikroskop<br />
(TEM) identifiziert werden<br />
kann. Dabei werden neue Mikrophasen im veränderten<br />
Wirtsmineral erzeugt, die alle Merkmale der Kristallisation<br />
aus einer fluiden Phase zeigen. Bei diesem Prozess<br />
wird Material sehr schnell innerhalb des Wirtsminerals<br />
transportiert, mit Transportraten, die mindestens zehn<br />
Größenordnungen schneller sind als diejenigen von einfacher<br />
Festkörperdiffusion durch ein Kristallgitter. Solche<br />
Abb. 4.18: Rückstreuelektronen-Aufnahmen von Fluorapatit nach Reaktion mit HCl bei folgenden experimentellen<br />
Bedingungen: (a) AM34 (600 °C, 500 MPa, 3 Wochen, 1 N HCl) und (b) (600 °C, 500 MPa, 9 Wochen, 1 N HCl). Die<br />
dunklen Gebiete reagierten mit der HCl-Lösung und weisen geringere Gehalte an Y, REE, Si, Na, S und Cl auf, d. h.<br />
sie wurden metasomatisiert. Die hellen Körner sind Monazit.<br />
BSE photographs of fluorapatite reacted with HCl including experiments: (a) AM34 (600 °C; 500 MPa; 3 weeks; 1 N<br />
HCl) and (b) AM46 (600 °C; 500 MPa; 9 weeks; 1 N HCl). Dark regions have reacted with the HCl solution and are<br />
depleted in (Y+REE)+Si+Na+S+Cl, i. e. have been metasomatised. Bright grains are monazite.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
durch Fluide produzierten Mikrophasen können durch<br />
Ostwald-Reifung wachsen. Material, das nicht für die Bildung<br />
der Mikrophasen verbraucht wird, wird via Fluid<br />
über die Mikroporosität abgeführt. In gleicher Weise kann<br />
für die Bildung von Mikrophasen Material von außen her<br />
via Fluid herantransportiert werden. Die Ausbildung und<br />
Persistenz solcher Mikroporositäten ist von entscheidender<br />
Bedeutung für den Prozess und für die Interpretation<br />
von Materialtransport in Gesteinen.<br />
Auflösung-Ausfällung über Fluid und die Bildung<br />
von Mikroporosität wird am Beispiel der Bildung von<br />
Monazit [(La,Ce,Nd)PO 4] in einem Apatitwirtskristall<br />
[Ca 10(PO 4) 6(F,Cl)] bei 600 °C und 500 MPa experimentell<br />
gezeigt. 20 mg 20 bis 200 µm große Fluorapatitkristalle<br />
und 5 mg einer 1 normalen HCl-Lösung wurden in Platinkapseln<br />
eingeschweißt und hydrothermal behandelt.<br />
Die Reaktionsprodukte zeigen, dass jedes Apatitkorn mit<br />
dem Fluid partiell reagiert hat (Abb. 4.18a), unter Bildung<br />
eines anders zusammengesetzten Apatitsaums, der relativ<br />
zum unreagierten Apatitkern dunkelgrau erscheint, weil<br />
er die Spurenelemente (Y+REE)+Si+Na+S+Cl während<br />
der Reaktion verloren hat. Der reagierte Teil des Apatits<br />
enthält Mikrokristalle von Monazit (helle Punkte, Größe<br />
~ 1µm), die gehäuft an der Reaktionsfront zwischen neuem<br />
und altem Apatit auftreten. Im Apatitkern erscheinen sie<br />
nicht. Messungen mit der Elektronenstrahlmikrosonde<br />
über die Reaktionsfront zeigen eine sehr scharfe chemische<br />
Grenze zwischen den beiden Apatitgenerationen.<br />
Wenn man die Reaktionszeit von drei auf neun Wochen<br />
verdreifacht, nimmt die Zahl der Monazitkristalle bei<br />
gleichzeitigem Größerwerden ab, wobei das Volumen des<br />
metasomatisch veränderten Apatits annähernd gleich<br />
bleibt.<br />
Mithilfe der Focussed-Ion-Beam Methode wurden 7 x 15<br />
x 0.1 µm große Folien quer zur Reaktionsfront geschnitten<br />
und unter dem TEM untersucht (Abb. 4.19). Diesseits<br />
der Reaktionsfront, im metasomatisch veränderten Apa-<br />
tit, erscheinen charakteristische, parallel orientierte, 5 bis<br />
20 nm breite Nanokanäle (Abb. 4.20a, b) als Spuren der<br />
Transportwege der fluiden Phase. Elektronenbeugungsaufnahmen<br />
über die Reaktionsfront hinweg zeigen identische<br />
Beugungsmuster für den Apatit diesseits und jenseits<br />
der Reaktionsfront. (Abb. 4.20c). Im metasomatisch<br />
veränderten Apatit finden sich Mikrokristalle von Monazit<br />
(Abb. 4.20a) die in Hohlräumen (Mikroporositäten) an<br />
oder direkt hinter der Reaktionsfront kristallisieren. Sie<br />
zeigen keine bevorzugte Orientierung relativ zum Apatitwirt.<br />
Die Mikroporositäten sind zum Teil oder gänzlich<br />
mit amorphem Material gefüllt, das während des Wachstums<br />
der Monazite aus dem Fluid ausgefällt wurde. Die<br />
Zusammensetzung dieses amorphen Materials ist dem des<br />
Apatits sehr ähnlich. Die Monaziteinschlüsse sind immer<br />
von vielen Mikrokanälen umgeben (Abb. 4.20a). Metasomatisierter<br />
Apatit zeigt häufig leicht missorientierte<br />
Gittersegmente (Schnitt Nr. 3 aus Abb. 4.19a; Abb. 4.21a)<br />
die als ausgeheilte Nanokanäle interpretiert werden.<br />
Unreagierter Apatit zeigt dies nicht (Schnitt Nr. 4 aus<br />
Abb. 4.19a; Abb. 4.21b).<br />
Diese Beobachtungen sind wichtig für die Interpretation<br />
von Massentransport in Gesteinen. Es ist allgemein akzeptiert,<br />
dass Fluide entlang von Korngrenzen transportiert<br />
werden. Es wurde hier gezeigt, dass sie Material auf einer<br />
Skala von hunderten von Mikrometern in die Mineralphasen<br />
hinein und aus ihnen heraus transportieren können,<br />
aufgrund der Bildung von Mikroporositäten, die<br />
wiederum aus Auflösungs-Ausfällungsprozessen resultieren.<br />
Die Transportwege für Fluide sind viel größer, als<br />
bisher angenommen, und sehr viel mehr Gesteinsvolumen<br />
wird von Fluid durchströmt, als nur durch Transport entlang<br />
von Korngrenzen. Es ist bisher unklar, wie lange solche<br />
transienten Mikroporositäten in Gesteinen existieren<br />
können. Sie werden jedenfalls solange existieren, wie ein<br />
chemisches Ungleichgewicht zwischen Fluid und Mineral<br />
den Prozess aufrechterhält. Ist das Gleichgewicht<br />
erreicht wird nichts mehr aufgelöst, ausgefällt und trans-<br />
Abb. 4.19: (a) Rückstreuelektronen-Aufnahme eines Fluorapatitkorns von Experiment AM34 mit Kennzeichnung der<br />
Gebiete, aus denen die TEM-Folien 1, 2, 3 und 4 entnommen wurden. (b) Vergrößerter Ausschnitt des Gebiets, aus dem<br />
die TEM-Folie 2 entnommen wurde. Die genaue Position der Folie war zwischen den zwei Kreuzen.<br />
(a) shows a BSE photograph of a fluorapatite grain from experiment AM34 and indicates the exact locations where<br />
TEM foils 1, 2, 3, and 4 were sampled. (b) shows a close-up of the area where TEM foil 2 was cut and later removed.<br />
The exact location of the foil was between the two x marks.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
311
312<br />
Abb. 4.20: (a) Subparallele Nano-Kanäle und Gruppen von Monazitkörnern in einem Hohlraum, der mit amorpher<br />
Substanz gefüllt ist, die beim Abschrecken entstanden ist. Aufnahme eines Bereichs in TEM-Folie 2 (Experiment AM34)<br />
an der Grenze der Reaktionszone zum nicht reagierten Fluorapatit (gestrichelte Linie und Pfeil). (b) Vergrößerte Aufnahme<br />
der Nano-Kanäle. (c) Netzebenenabbildung der Grenzfläche zwischen reagiertem und nicht reagiertem Fluorapatit,<br />
aufgenommen aus dem Bereich innerhalb des gestrichelten Kreises. (d) Vergrößerte Aufnahme des Hohlraums,<br />
welcher mit einer Gruppe von Monazitkörnern und beim Abschrecken entstandener amorpher Substanz gefüllt ist. Der<br />
Hohlraum ist von Nano-Kanälen umgeben. (e) HRTEM-Aufnahme entlang des Hohlraumrandes mit einer unregelmäßigen<br />
Grenzfläche.<br />
(a) Series of sub-parallel nano-channels and group of monazite grains in a cavity filled with an amorphous quenched<br />
material. The photo is taken from a region of TEM foil 2 (AM34) located at the boundary between the reacted and unreacted<br />
fluorapatite (dotted line and arrow) (cf. Figs. 2a and 2b). A close-up of the nano-channels is shown in (b). (c)<br />
Lattice fringe image of the interface between the reacted and the unreacted fluorapatite taken from the region within<br />
the dashed circle. (d) Close-up of the void, which is filled with a quenched amorphous fluid and a cluster of monazite<br />
grains. The void is surrounded by an array of nano-channels. (e) HRTEM image along the void rim with an irregular<br />
interface.<br />
portiert, und die Mikroporosität kann durch Rekristallisation<br />
verschwinden, bis neues Fluid infiltriert. In trockenen<br />
Gesteinen kann sich ein Gleichgewicht nur durch<br />
Volumendiffusion in Festkörpern einstellen – ein sehr viel<br />
langsamerer Prozess.<br />
Bedeutende Fortschritte bei der Bestimmung von<br />
Wasser in Gläsern und Schmelzeinschlüssen mit<br />
der Raman-Spektroskopie<br />
Die Bestimmung von Wasser (H 2O, D 2O) mittels konfokaler<br />
Mikro-Raman-Spektroskopie in natürlichen Gläsern<br />
hat sich durch die Entwicklungsarbeiten am <strong>GFZ</strong> (Thomas,<br />
2000) zu einer etablierten Routinemethode entwickelt<br />
(Thomas, 2002; Thomas et al. <strong>2005</strong>, 2006; Chabiron<br />
et al. <strong>2004</strong>; Zajacz et al. <strong>2005</strong>; Di Muro et al. 2006). Diese<br />
Technik kann für die genaue und schnelle Bestimmung<br />
des gebundenen Gesamt-Wassers (H 2O T) in Gläsern in<br />
einem breiten Konzentrationsbereich von etwa 0,1 bis weit<br />
über 35 Gew.% (~ 50 Mol% H 2O) bei hoher Präzision<br />
(< 10 %) eingesetzt werden, wobei die untere Nachweisgrenze<br />
noch nicht ausgelotet ist. Damit sind auch quantitative<br />
Untersuchungen zur Speziation des Wassers<br />
(H 2O m/OH) (Chabiron et al., <strong>2004</strong>; Di Muro et al. 2006)<br />
und des schweren Wassers D 2O m/OD (Thomas et al, 2006)<br />
möglich. Die laterale Auflösung von etwa 2 µm, die sich<br />
durch die konfokale Technik ergibt, ermöglicht die Untersuchung<br />
von sehr kleinen Objekten, wie wir sie beispielsweise<br />
in Form von Schmelzeinschlüssen in gesteinsbildenden<br />
Mineralen antreffen. Sie erlaubt dadurch auch<br />
die Aufnahme von Konzentrationsprofilen wie z. B. Diffusionsprofile<br />
in Gläsern, H 2O-Verteilung in Einschlüssen,<br />
Änderung des Wassereinbaues in Nadeln von Tiefseeschwämmen.<br />
Der Vorteil der Raman-Spektroskopie<br />
gegenüber der Infrarot-Spektroskopie liegt in der Einfachheit<br />
der Probenpräparation, dem großen Messbereich<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.21: (a) HRTEM-Aufnahme einer Reaktionszone im Fluorapatit von Experiment AM34. (b) HRTEM-Aufnahme<br />
eines nicht reagierten Bereichs im Fluorapatit von Experiment AM34.<br />
(a) HRTEM image of fluorapatite from a reacted region in experiment AM34 whereas (b) shows an HRTEM image of<br />
non-reacted region, i.e. the original fluorapatite, in experiment AM34.<br />
und in der Unabhängigkeit von der Matrix. Auf Schmelzeinschlüsse<br />
angewandt heißt das, es kann der Wassergehalt<br />
von Gläsern bestimmt werden, deren Zusammensetzung<br />
von granitisch bis basaltisch reicht. Kenntnisse über<br />
die Zusammensetzung und Dichte sind keine Voraussetzung<br />
für diese Bestimmungen mehr. Obwohl es bereits mit<br />
der Einführung der Methode im Jahr 2000 klar war, wurde<br />
jedoch von anderen Bearbeitern immer wieder übersehen,<br />
dass das Raman-Signal im Frequenzbereich von 2.800 bis<br />
3.980 cm –1 direkt proportional zur H 2O T-Konzentration ist.<br />
Da die Integralintensität linear mit der Konzentration<br />
ansteigt, ist eine Quantifizierung mit Hilfe des Intensitätsverhältnisses<br />
Σ(H 2O+OH)/(Si-O) nicht erforderlich.<br />
Auf diesen sehr wichtigen Umstand wurde unlängst noch<br />
einmal ausdrücklich hingewiesen (Thomas et al. 2006),<br />
da sich daraus eine sehr einfache, genaue und Matrixunabhängige<br />
Bestimmungsmethode ergibt: die „Komparator-Methode“<br />
zur Bestimmung des Wassers. Für diese<br />
Methode ist eine Kalibrierung nicht mehr notwendig. Es<br />
werden nur noch einige gut untersuchte Referenzproben<br />
für den gesamten Konzentrationsbereich zum Vergleich<br />
gebraucht. Man kommt gegebenenfalls auch nur mit<br />
einem Bezugsglas aus. Damit vereinfacht sich die analytische<br />
Bestimmung des Wassers mittels Raman-Spektroskopie<br />
nochmals drastisch. Die Raman-Technik zur quantitativen<br />
Wasserbestimmung tritt aus ihrem Schattendasein<br />
heraus und wird zur Methode der Wahl.<br />
Ein weiterer Vorteil gegenüber der Infrarot-Spektroskopie<br />
ist, dass mit der konfokalen Raman-Technik der Wassergehalt<br />
von Schmelzeinschlüssen bestimmt werden kann,<br />
die sich im Volumen weit von der Oberfläche entfernt in<br />
einer Mineral-Matrix befinden. Erst dadurch wird es möglich<br />
wasserreiche, instabile Gläser/Einschlussgläser zu<br />
untersuchen, die an der Oberfläche durch die Präparation<br />
(Schleifen, Polieren) oder auch spontan und irreversibel<br />
zerstört werden würden (Thomas et al. 2006).<br />
Abb. 4.22: Die Abbildung zeigt einen volatil-reichen<br />
Schmelzeinschluss im Pegmatitquarz von Zwiesel bei<br />
Bodenmais. Nach der Homogenisierung bei 650 °C unter<br />
einem Druck von 3 kbar zerfällt das homogene, jedoch<br />
metastabile Glas während des Abschreckens in vier Phasen.<br />
Bei Raumtemperatur beobachtet man dann ein peralkalines,<br />
wasserreiches Glas, eine wässrige Lösung sowie<br />
flüssiges und gasförmiges CO 2. Die Phasen sind nach<br />
Dichte sortiert im Einschluss angeordnet.<br />
The figure shows a volatile-rich melt inclusion in pegmatite<br />
quartz from Zwiesel near Bodenmais. After homogenization<br />
at 650 °C and a pressure of 3 kbar the<br />
homogenous, however, metastable glass disintegrates<br />
during quenching into four phases. At room-temperature<br />
we observe a peralkaline water-rich glass, an aqueous<br />
solution as well as liquid and gaseous carbon dioxide.<br />
The phases in the inclusion are arranged according<br />
density.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
313
314<br />
Bei Untersuchungen an extrem wasserreichen Schmelzeinschlüssen<br />
in Pegmatitmineralen (siehe Abb. 4.22), die<br />
erst mit der Entwicklung der Raman-Methode möglich<br />
wurden, fand man Einschlussphasen mit bis zu 70 Gew.%<br />
Wasser. Ihrem physiko-chemischen Verhalten nach können<br />
diese Einschlüsse als Hochtemperatur-Gel-Einschlüsse<br />
interpretiert werden. Die Untersuchung dieser Einschlüsse<br />
öffnet ein neues Fenster in die Kolloid- und<br />
Lagerstättenforschung, da solche Phasen das Potenzial<br />
besitzen, große Mengen an Spurenelementen und lagerstättenrelevanter<br />
Metalle zu extrahieren, zu speichern und<br />
zu transportieren. Außerdem können solche Phasen sehr<br />
effektiv als Ionenaustauschmedien fungieren. Diese neuen<br />
Entwicklungen in der Raman-Spektroskopie zur Bestimmung<br />
des Wassers in Gläsern setzt neue Impulse für die<br />
experimentelle Petrologie: Bisher war der Konzentrationsbereich<br />
bis etwa 10 Gew.% H 2O analytisch beherrschbar<br />
(SIMS, FTIR), nun kann der gesamte Konzentrationsbereich,<br />
der in der Natur von Bedeutung ist, abgedeckt<br />
werden.<br />
Experimentelle Untersuchungen liefern Hinweise<br />
auf mögliche größere Wassergehalte im Erdmantel<br />
Geodynamische Prozesse im konvektiven Erdmantel, wie<br />
beispielsweise das Schmelzverhalten der Mantelgesteine,<br />
die Transporteigenschaften von Materie entlang von Korngrenzen<br />
und die Verformungseigenschaften der Mantelgesteine<br />
können durch Wasser wesentlich beeinflusst werden.<br />
Experimentelle, petrologische und theoretische Studien<br />
zur Speicherfähigkeit von Wasser in Erdmantelmineralen<br />
stehen daher im Brennpunkt aktueller Forschungen.<br />
Petrologisch-geochemische Untersuchungen belegen,<br />
dass Wasser in natürlichen, nominal wasserfreien<br />
Mineralen wie Olivin, Pyroxen und Granat, den hauptsächlichen<br />
Bausteinen des oberen Erdmantels, in Spuren<br />
Abb. 4.23: Polarisierte Infrarot-Spektren von Olivin, aufgenommen parallel<br />
der drei Kristallachsen a, b und c. Die Absorptionsbanden werden<br />
Schwingungen von strukturell eingebauten OH-Gruppen zugeordnet, die im<br />
Zusammenhang mit Kationenleerstellen stehen.<br />
Polarised infrared spectra of olivine, taken parallel to the crystal axes a, b<br />
und c. The bands are assigned to vibrations of structurally bound OH-groups,<br />
which are connected with cation vacancies.<br />
als strukturell gebundenes Hydroxyl eingebaut wird.<br />
Die Gehalte liegen dabei meist im Bereich von 10 bis<br />
3.000 Gew. ppm H 2O. In experimentellen Studien wurde<br />
der in der Natur beobachtete Wassereinbau in Silikate und<br />
Oxide simuliert und bestätigt. Mit steigendem Druck<br />
steigt meist die Löslichkeit von H 2O in den Mineralen.<br />
Experimente, die in Druckbereichen durchgeführt wurden,<br />
die uns „petrologisch“ nicht zugänglich sind, zeigten,<br />
dass im Modelsystem des Erdmantels MgO-SiO 2 bei<br />
Zugabe von H 2O extrem wasserreiche Minerale synthetisiert<br />
werden können und thermodynamisch stabil existieren.<br />
Im Druckbereich von 10 bis 30 GPa (300 bis 900 km<br />
Erdtiefe) und relativ niedrigen Temperaturen können die<br />
Wassergehalte dieser Minerale bis zu 20 Gew.% betragen.<br />
Ob diese Phasen tatsächlich im Erdmantel existieren, ist<br />
bisher nicht bekannt. Wenn ja, könnten sie Wasser entlang<br />
von Subduktionszonen bis in große Tiefen bringen. Der<br />
thermische Abbau dieser Phasen in heißeren Regionen des<br />
Erdmantels könnte sogar die seismologisch beobachteten<br />
Tiefbeben erklären. Für das bessere Verständnis des globalen<br />
Wasserzyklus und seine Auswirkungen auf Erdmantelprozesse<br />
ist es daher erforderlich, sowohl natürlich<br />
vorkommende Minerale als auch synthetische, potentielle<br />
Minerale des Erdmantels zu untersuchen. Die zentralen<br />
Fragen sind dabei: Wieviel Wasser kann in solchen Mineralen<br />
gespeichert werden, wie wird der Wasserstoff in die<br />
Struktur eingebaut und welche Parameter kontrollieren die<br />
H-Konzentrationen.<br />
Nachfolgend werden zwei Studien, die sich mit dieser Problematik<br />
beschäftigen, vorgestellt.<br />
Eine petrologisch-geochemische Untersuchung beschäftigt<br />
sich mit der Quantifizierung und Lokalisierung von<br />
strukturell eingebauten Hydroxylgruppen in natürlichen<br />
Olivinen aus dem an Diamanten reichen Kimberlitschlot<br />
von Udachnaya, Sibierien. Die Olivine<br />
stammen aus 75 bis 150 km Tiefe. Der Einbau<br />
der Hydroxylgruppen wurde mit der<br />
Fourier Transform Infrarot-Spektroskopie<br />
(FTIR) untersucht (Abb. 4.23). In Kombination<br />
mit einem Mikroskop kann man<br />
so bis zu 30 µm kleine Kristalle untersuchen.<br />
Unter Verwendung von Synchrotron-IR-Strahlung<br />
(am Bessy II-Speicherring<br />
in Berlin) konnten wir die lokale Auflösung<br />
sogar auf 8 x 8 µm erhöhen.<br />
Quantifiziert wurde der Wassergehalt mit<br />
der Sekundärionen Massenspektrometrie<br />
(SIMS). Im Vergleich zu Olivinen aus<br />
basaltischen Gesteinen, die nur 1 bis<br />
2 Gew.ppm H 2O eingebaut haben, sind<br />
die Olivine aus dem Kimberlitschlot mit<br />
ca. 400 Gew.ppm H 2O vergleichsweise<br />
wasserreich. Die FTIR-Spektren zeigen,<br />
dass der strukturelle Einbau des Wassers<br />
in das Kristallgitter des Olivins sehr komplex<br />
ist. Typische Infrarot-Spektren dieser<br />
Minerale zeigen an die 20 verschiedene<br />
OH-Banden, deren Intensität zudem<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
stark richtungsabhängig ist. Unsere Studien belegen, dass<br />
der Einbau der Wasserstoffatome an Leerstellen auf dem<br />
M1 Oktaederplatz gekoppelt ist (Abb. 4.24). Experimentelle<br />
Studien lassen vermuten, dass Olivin, der in noch größeren<br />
Tiefen gebildet wurde, das 10- bis 20-fache dieser<br />
Wassergehalte aufweist.<br />
Die zweite Studie beschäftigt sich mit der Synthese, Kristallchemie<br />
und Stabilität von Superhydrous Phase B,<br />
Mg 10Si 3O 14(OH) 4, einer potentielle Phase im tiefen Erdmantel<br />
(Koch-Müller et al., <strong>2005</strong>). Zusammen mit Kollegen<br />
am Geophysical Laboratory der Carnegie Institution of<br />
Washington, D.C. synthetisierten wir Superhydrous Phase<br />
B (shy B) bei 22 GPa und Temperaturen von 1.200 und<br />
1.400 °C. Wir konnten zeigen, dass shy B in zwei verschiedenen<br />
Modifikationen existiert. Bei hohen Temperaturen<br />
(1.400 °C) bildet sich eine ungeordnete Struktur hinsichtlich<br />
der Verteilung der Kationen und Wasserstoff, die bei niedrigeren<br />
Temperaturen (1.200 °C) in eine stark geordnete<br />
Struktur übergeht. Abb. 4.25 zeigt Infrarot-Spektren der<br />
stark geordneten Struktur. Sie belegen, dass Wasserstoff im<br />
Gegensatz zur ungeordneten Struktur in mehr als einem<br />
Strukturplatz eingebaut wird. An Hand der Richtungsabhängigkeit<br />
der Intensität der Absorptionsbanden entwickelten<br />
wir ein Modell für den Einbau von Wasserstoff in diese<br />
Struktur (Abb. 4.25). Der Wassergehalt dieser möglichen<br />
Phase des tieferen Erdmantels beträgt 5 bis 6 Gew.% H 2O.<br />
Es ist nun die Aufgabe der Geomaterialforschung, diese<br />
sehr wasserreiche Phase als mögliche Einschlüsse in Diamanten<br />
oder auch Zirkon in Kimberliten zu finden. Dies<br />
wäre ein sehr wichtiger Schritt hin zum besseren Verständnis<br />
geodynamischer, vom Wassergehalt beeinflusster<br />
Prozesse im Erdmantel.<br />
Datierung alter Krustenwässer mit Edelgasen<br />
Am <strong>GFZ</strong> wurde eine on-line Entgasungsanlage für die<br />
quantitative Extraktion von in Wasserproben gelöster<br />
Edelgase weiterentwickelt und neu aufgebaut.<br />
Mit der anschließenden massenspektrometrischen<br />
Bestimmung der im<br />
Wasser gelösten radiogenen, nukleogenen<br />
und fissiogenen Edelgasisotope 4 He,<br />
20, 21, 22 Ne, 36, 38, 40 Ar, 84, 86 Kr und 129, 132, 134, 136 Xe<br />
Abb. 4.25: Polarisierte Einkristall-Spektren<br />
der OH-Banden in shy B (1.200 °C)<br />
(links). Sie zeigen, dass im Gegensatz zur<br />
ungeordneten Phase, in dieser stark<br />
geordneten Phase Wasserstoff in mehr als<br />
einem Strukturplatz eingebaut ist. Projektionen<br />
der Orientierungen der OH-<br />
Gruppen in der geordneten Phase<br />
(rechts).<br />
Polarised single crystal spectra of the<br />
OH-bands of shy B (1200 °C) showing<br />
that hydrogen is incorporated in more<br />
than one site (left). Projections of the proposed<br />
orientations of the OH groups in<br />
the strongly ordered sample (right).<br />
Abb. 4.24: Teil der Olivinstruktur mit den in dieser Studie<br />
lokalisierten Wasserstoffatomen (schwarze Kugeln). Der<br />
Wasserstoffeinbau steht in Verbindung mit Leerstellen auf<br />
M1 und die Atome können sowohl an O(2) als auch an<br />
O(1) Sauerstoffe gebunden sein.<br />
Part of the olivine structure showing the proposed hydrogen<br />
atoms (black balls) associated with vacant M1 sites<br />
and bonded to O(2) and to O(1) oxygens.<br />
kann z. B. die Verweilzeit der Wässer im Untergrund<br />
bestimmt werden. Der Zeitrahmen dieser Datierungsmethode<br />
erstreckt sich hierbei von ca. tausend bis zu mehreren<br />
Milliarden Jahren. In der Praxis wurden Wässer von<br />
bis zu einigen zehner Millionen Jahren untersucht. Die<br />
zusätzliche Edelgasgehaltsbestimmung in Porenfluiden<br />
frisch erbohrter Gesteine ermöglicht auch den Zugang zu<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
315
316<br />
Abb. 4.26: Beprobung von Fluiden zur Edelgasanalytik in<br />
einer 3,6 km tiefen Goldmine in Südafrika (Foto: J. Lippmann-Pipke).<br />
Noble gas sampling at 3,6 km depth in a South African<br />
gold mine.<br />
immobilen Porenlösungen in nicht wasserleitenden<br />
Gesteinsformationen. Damit können der Wasser- und<br />
Stofftransport bilanziert, Neubildungsraten sowie laterale<br />
Wasserflüsse quantifiziert und die Intensität von Kluftwasserzirkulationen<br />
abgeschätzt werden.<br />
Erste Anwendungen am <strong>GFZ</strong> umfassten die Untersuchung<br />
ultratiefer Kluftwasserzutritte in südafrikanischen Goldminen<br />
(Abb. 4.26), der Wässer aus dem einjährigen Pumptest<br />
an der KTB-Vorbohrung sowie von Mineral- und Geothermalwässern<br />
aus Bursa (Türkei), nahe der nordanatolischen<br />
Störungszone.<br />
Ein übergeordnetes Ziel dieses Forschungsfeldes ist es,<br />
mit Hilfe von Laborexperimenten, Nahfelduntersuchungen<br />
sowie regionalen Informationen die Prozesse der Entgasung<br />
von Gesteinen auf unterschiedlichen zeitlichen<br />
und räumlichen Skalen zu studieren. In Laborexperimenten<br />
werden Gesteinsproben im Grammbereich im Vakuum<br />
zermahlen bzw. bei Temperaturen bis zu 1.750 °C aufgeschmolzen<br />
und die freigesetzten Edelgase massenspektrometrisch<br />
bestimmt. Die regionalen Informationen<br />
stammen aus der Analyse von Kluftwasserzutritten bzw.<br />
krustalen Wässern, die im Verlauf von Tausenden bzw.<br />
Millionen von Jahren die aus Gesteinen freigesetzten<br />
Edelgase akkumuliert haben. Nahfelduntersuchungen zur<br />
Freisetzung von Gasen aufgrund seismischer Ereignisse<br />
sollen im Rahmen des ICDP-DAFSAM-Projektes (Drilling<br />
Active Faults in South African Mines) durchgeführt<br />
werden (Abb. 4.27).<br />
In 3,6 km Tiefe wird zurzeit in einem südafrikanischen<br />
Goldbergwerk eigens ein ca. 40 m langes, quasi horizontales<br />
Bohrloch quer durch eine tektonische Störungszone<br />
gebohrt. An deren Verlauf werden in den nächsten ein bis<br />
drei Jahren durch Bergbautätigkeiten ausgelöste seismische<br />
Ereignisse bis zu einer Stärke von Magnitude 3 erwartet.<br />
Das Bohrloch wird mit einem System von Kapillaren<br />
ausgestattet, durch die kontinuierlich Bohrlochgas abgesaugt<br />
und in Echtzeit mit einem Quadrupol-Massenspektrometer<br />
analysiert wird. Während eines seismischen<br />
Ereignisses erwarten wir Konzentrationsänderungen aufgrund<br />
spontaner Freisetzung von Gasen u. a. aus Flüssigkeitseinschlüssen<br />
oder Gesteinsklüften, die sonst nur während<br />
sehr langer Zeiträume durch Alteration oder Diffusion<br />
entweichen würden. Von Gaskonzentrationsänderungen<br />
gesteuert, sollen zudem automatisch Glasampullen<br />
mit Bohrlochgas für spätere Laboruntersuchungen befüllt<br />
werden.<br />
Die Verknüpfung von Gasanalyse- und Datierungsergebnissen<br />
ultratiefer südafrikanischer Minenwässer mit der<br />
tiefen kontinentalen Biosphäre ist ein wissenschaftlich<br />
sehr spannendes Thema, ähneln die dortigen Umweltbedingungen<br />
vermutlich doch denen der ersten belebten Biosphäre<br />
unseres Planeten.<br />
Abb. 4.27: Untertage in der Tau Tona Goldmine bei Johannesburg<br />
zur Vorbereitung des ICDP-DAFSAM-Bohrprojekts<br />
(Foto: J. Lippmann-Pipke).<br />
Underground in the Tau Tona gold mine near Johannesburg<br />
to prepare the ICDP-DAFSAM drilling project.<br />
Das KTB-Tiefenlabor in Windischeschenbach –<br />
neue geohydraulische Experimente erfolgreich<br />
abgeschlossen<br />
Eine Serie neuartiger hydraulischer Langzeittests in<br />
Deutschlands übertiefen Forschungsbohrungen (KTB) in<br />
Windischeschenbach (Oberpfalz) hatten das Ziel, Energie-<br />
und Fluidtransportprozesse in der oberen kristallinen<br />
Kruste zu untersuchen. Die zwei benachbarten KTB-Tiefbohrungen<br />
(Vorbohrung KTB-VB, 4.000,1 m und Hauptbohrung<br />
KTB-HB, 9.101 m) erlaubten die In-Situ-<br />
Bestimmung hydraulischer Parameter eines ausgedehnten<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.28: KTB-Lokation von einem Leichtflugzeug aus fotografiert. Links<br />
oben ist der noch vorhandene und als Touristenattraktion genutzte Bohrturm<br />
der Hauptbohrung. Rechts oben im Bild befindet sich in 200 m Entfernung<br />
die Vorbohrung (Foto: Emile Kühr, 2003).<br />
Arial view of the KTB-Location. On the left is the drill site of the main hole<br />
with the big drill rig still in place and nowadays used as tourists attraction.<br />
On the right is the drill site of the pilot hole at 200 m distance.<br />
tektonischen Störungssystems (SE2) und erstmalig die<br />
Gewinnung unkontaminierter krustaler Tiefenwässer in<br />
4.000 m Tiefe (Abb. 4.28).<br />
Ein 12-monatiger Produktions/Pumptest brachte in 2002/03<br />
weltweit einmalig viele Millionen Jahre alte Tiefenwässer<br />
(22.300 m 3 ) zutage. Diese Wässer wurden von zahlreichen<br />
Arbeitsgruppen des KTB-VB Science Teams intensiv<br />
untersucht. Die Ergebnisse sind kürzlich in einem Sonderband<br />
von GEOFLUIDS veröffentlicht worden (Erzinger<br />
und Stober, <strong>2005</strong>, siehe auch: <strong>GFZ</strong>-<strong>Zweijahresbericht</strong><br />
2002/03, 319 ff).<br />
In <strong>2004</strong>/05 folgte dann während einer zweiten Versuchsphase<br />
ein massiver Injektionstest, bei dem über 11 Monate<br />
lang 84.600 m 3 Oberflächenwasser mit einer durchschnittlichen<br />
Rate von 200 l/min in die SE2-Störungszone<br />
in ca. 4.000 m Tiefe eingepumpt wurde. Der Druckaufbau<br />
war mit 95 bis 120 bar überraschend gering. Aus<br />
den Injektionsparametern konnte errechnet werden, dass<br />
die Störungszone eine Gesamtpermeabilität von 2 x 10 –15 m 2<br />
aufweist.<br />
Induzierte seismische Erdbebensignale traten nach drei<br />
Monaten Pumpzeit im September <strong>2004</strong> erstmalig auf. Bis<br />
zum Versuchsende wurden über 3.000 seismische Ereignisse<br />
mit einem Bohrlochseismometer in der KTB-HB<br />
registriert. Ein Seismometernetz an der Oberfläche registrierte<br />
etwa 150 eindeutige Ereignisse (Abb. 4.29).<br />
Die seismischen Hypozentren, die durch das Injektionsexperiment<br />
induziert wurden, traten in etwa 1 km Entfernung<br />
um den Injektionsort auf. (Abb. 4.30). Der zeitliche<br />
Versatz mit der die seismischen Ereignisse auftraten, lässt<br />
sich mit dem Einfluss des vorangegangenen<br />
Pumptests erklären. Man könnte<br />
sagen, dass das Störungssystem zunächst<br />
wieder mit Wasser aufgefüllt werden<br />
musste bevor die Porendruckänderungen<br />
ausreichend waren, um Seismizität zu<br />
induzieren. Und tatsächlich entspricht die<br />
eingepresste Wassermenge nach drei Monaten<br />
ziemlich genau derjenigen, die ein<br />
Jahr zuvor entnommen wurde (Abb. 4.29).<br />
Diese Interpretation lässt sich auch mit<br />
der Beobachtung eines Wasserspiegelanstiegs<br />
in der KTB-HB untermauern. Die<br />
beiden Bohrungen sind eindeutig hydraulisch<br />
miteinander verbunden und die<br />
KTB-HB wurde im Oktober <strong>2004</strong> sogar<br />
artesisch, ein Zustand der bis heute (Januar<br />
2006) anhält.<br />
Weitere geophysikalische Untersuchungen<br />
umfassten großräumige Gleichstrommessungen,<br />
oberflächennahe Neigungsmessungen<br />
und aktive seismische Reflexionsmessungen,<br />
um festzustellen, ob die<br />
erzwungenen hydraulischen Druckveränderungen<br />
in 4.000 m Tiefe auch von der<br />
Oberfläche aus abgebildet werden können.<br />
Nach ersten Auswertungen der Daten der zweiten Versuchsphase<br />
durch das Science Team lässt sich vorläufig<br />
festhalten:<br />
• Die aufgetretene Seismizität konnte durch unerwartete<br />
geringe Porendruckänderungen induziert werden.<br />
• Die geringe Reflektivität der Kruste ist positiv mit ihrer<br />
hydraulischen Permeabilität korreliert.<br />
• Die Gesamtpermeabilität des SE2-Reflektors ist unerwartet<br />
und mindestens doppelt so groß wie die seiner<br />
Umgebung.<br />
• Zumindest bis zu Drücken unter 100 bar weist die Störungszone<br />
nichtlineare hydraulische Eigenschaften<br />
auf. Ein Resultat, welches möglicherweise für kontinentale<br />
Störungssysteme allgemein gültig ist.<br />
• Das 4 km tiefe SE2-Störungssystem ist hydraulisch<br />
offen und es scheint mechanisch stabiler zu sein als<br />
die sie umgebenden Gesteinsformationen.<br />
Diese Ergebnisse ermuntern das Science Team in naher<br />
Zukunft auch die noch viel stärker ausgeprägte SE1-Störungszone<br />
in mehr als 7.000 m Tiefe zu studieren. Ein Vorhaben,<br />
welches zurzeit weltweit nur an der KTB-Lokation<br />
möglich ist.<br />
Ein Fenster zur beginnenden kontinentalen Krustengenese:<br />
Zoisitführende Hochdruckpegmatite<br />
trondhjemitischer Zusammensetzung<br />
Die Anatexis von Hochdruckmetabasiten ist der zentrale<br />
Prozess bei der Entstehung der Tonalit-Trondhjemit-Granodiorit-Serien<br />
(TTG), die große Bereiche der kontinentalen<br />
archaischen Kruste einnehmen, und stellt den ersten<br />
Schritt in der Fraktionierung der kontinentalen von der<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
317
318<br />
Abb. 4.29: Mikroseismizität während des KTB <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> Injektionsexperiments (a) aufgenommen mit seismischen<br />
Oberflächenstationen und (b) durch ein Geophon in der KTB-Hauptbohrung (die Angaben in dieser Teilabbildung zeigen<br />
die Tiefe, in welcher das Geophon montiert war). Die wechselnde Einbautiefe des Bohrlochgeophons lässt sich eindeutig<br />
an den unterschiedlichen Ankunftszeiten der S- und P-Wellen erkennen (c). Teilabbildung (d) zeigt den Injektionsdruck<br />
und die kumulative eingepresste Wassermenge.<br />
Microseismicity during the KTB <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> injection experiment (a) as recorded by the surface stations and (b) by the<br />
geophone in the main borehole (the numbers on the plot show depth locations of the geophone). Changes in the locations<br />
of the borehole geophone are clearly seen from the plot of differences of the S and P wave arrival times (c). Plot<br />
(d) gives the injection pressure along with the cumulative volume of the injected water (from Shapiro et al, <strong>2005</strong>).<br />
ozeanischen Kruste dar. Sie ist zudem verantwortlich für<br />
die Bildung adakitischer Schmelzen in der subduzierten<br />
ozeanischen Kruste. Diese adakitischen Schmelzen können<br />
den oberhalb der subduzierten Platte liegenden Mantelkeil<br />
metasomatisch überprägen und so eine wichtige<br />
Rolle bei der Entstehung der typischen subduktionsbezogenen,<br />
kalk-alkalinen Magmen spielen. Die Kenntnis der<br />
geochemischen und petrologischen Charakteristika der<br />
Anatexis von Hochdruckmetabasiten ist somit nicht nur<br />
essentiell für das Verständnis der archaischen kontinentalen<br />
Krustenbildung sondern auch für die Interpretation<br />
rezenter magmenbildender Prozesse in Subduktionszonen.<br />
Hochdruckpegmatite mit tonalitischer bis trondhjemitischer<br />
Zusammensetzung in Eklogiten bieten die einzigartige<br />
Gelegenheit, die Anatexis von Hochdruckmetabasiten<br />
in situ zu studieren und stellen ein natürliches Fenster<br />
zur beginnenden kontinentalen Krustengenese dar. Solche<br />
Hochdruckpegmatite sind von zahlreichen Lokalitäten<br />
bekannt, u. a. Saualpe (Kärnten, Österreich), Zentralmassiv<br />
(Frankreich), Eklogitprovinz (Norwegen), Catalina<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.30: Horizontaler Schnitt einer Tiefenmigration (ISO89-3D) in vier km<br />
Tiefe zusammen mit Projektionen der seismischen Hypozentren, die während<br />
des Injektionsexperiments <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> induziert wurden. Die Intensitäten der<br />
seismischen Reflektion sind in blau-weißen Farben dargestellt. Helle Farben<br />
entsprechen hohen Reflexionsintensitäten. Das weiße und das graue Quadrat<br />
stellt die jeweilige Lokation der Vor- und Hauptbohrung dar.<br />
A 4 km depth horizontal slice of the depth migrated ISO89-3D image plotted<br />
along with the projections of the seismic hypocentres induced by the<br />
injection experiment of <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong>. The white and gray squares are the locations<br />
of the main and pilot boreholes, respectively (from Shapiro et al, 2006).<br />
Schist (Kalifornien, USA), Cabo Ortegal (Spanien) und<br />
Münchberger Gneismasse (Bayern, Deutschland). Exemplarisch<br />
wurden die Hochdruckpegmatite der Münchber-<br />
ger Gneismasse geochemisch und petrologisch<br />
untersucht. Die Münchberger<br />
Gneismasse ist Teil der zentralen europäischen<br />
Varisziden und stellt einen invertierten<br />
Deckenstapel dar. Sie wird von<br />
vier großen lithologischen Einheiten aufgebaut<br />
(Abb. 4.31a). Die tektonisch höchste<br />
Einheit, die Hangendserie, besteht aus<br />
Amphiboliten, phengitführenden Gneisen<br />
sowie reliktischen Eklogitkörpern.<br />
Die untersuchten Hochdruckpegmatite<br />
stammen von dem größten dieser Eklogitkörper,<br />
dem Weissenstein-Eklogit<br />
(Abb. 4.31a).<br />
Die Eklogite des Weissenstein besitzen<br />
generell ozeanische Spurenelementsignaturen,<br />
die in der Regel Mittelozeanischen<br />
Rückenbasalten (MORB) entsprechen,<br />
vereinzelt aber auch eine Ähnlichkeit<br />
mit Back-Arc Tholeiiten aufweisen.<br />
Anatexis und Pegmatitbildung in den<br />
Weissenstein-Eklogiten sind somit ein<br />
perfektes Analogon zu Schmelzprozessen<br />
in der subduzierten ozeanischen<br />
Kruste. Die Weissenstein-Eklogite sind<br />
ganz überwiegend „trockene“ Quarz-<br />
Eklogite mit Klinopyroxen, Granat,<br />
Quarz und Rutil, nur vereinzelt kommen<br />
die OH-haltigen Phasen Zoisit und Phengit<br />
vor. Die Hochdruckpegmatite in den<br />
Weissenstein-Eklogiten bilden mehrere<br />
dm- bis m-große, isolierte Körper und<br />
machen modal etwa 1 Vol.% des gesamten<br />
Weissenstein-Eklogitkörpers aus. Ihr<br />
charakteristisches Merkmal sind cm- bis<br />
dm-große, euhedrale prismatische Zoisitkristalle, die<br />
modal etwa 5 bis 20 Vol.% der einzelnen Pegmatitkörper<br />
ausmachen. Sie sind in einer Matrix aus graphischen Pla-<br />
Abb. 4.31: (a) Vereinfachte geologische Karte der Münchberger Gneismasse. Die Proben der Zoisitpegmatite<br />
stammen vom Weissenstein-Eklogitkörper (weißer Kreis). (b) Foto eines Zoisitpegmatit Handstückes. Zoisitkristalle<br />
(Zo) sind in einer Plagioklas-Quarz (Plag-Qz) Matrix eingebettet (Am: Amphibol).<br />
(a) Simplified geological map of the Münchberg Massif, central Germany. The zoisite-pegmatite samples come from<br />
the Weissenstein eclogite body (white circle). (b) Photograph of a zoisite-pegmatite hand specimen. Zoisite crystals (Zo)<br />
are embedded in a plagioclase-quartz (Plag-Qz) matrix (Am: amphibole).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
319
320<br />
gioklas-Quarz-Verwachsungen eingebettet. Diese Matrix<br />
bildet modal den Hauptbestandteil (bis > 90 Vol.%) der<br />
Pegmatite und besitzt ein Plagioklas zu Quarz Verhältnis<br />
von etwa 3 zu 1 (Abb. 4.31b). Nebenbestandteile (< 1<br />
Vol.%) sind Amphibol und Klinozoisit.<br />
Die Zoisitkristalle besitzen einen einheitlichen Wachstumszonarbau,<br />
der drei Stadien der Zoisitkristallisation<br />
sowie der Pegmatitentwicklung widerspiegelt (Abb. 4.32):<br />
In Stadium 1 kristallisiert eisenreicher Zoisit 1 [X Fe Zoisit 1 =<br />
0,17; X Fe = Fe/(Fe+Al-2)], der jedoch nur noch in reliktischen<br />
Kernen zu beobachten ist. In Stadium 2 reagiert Zoisit<br />
1 mit der Schmelze, wird partiell von dieser resorbiert<br />
und ein eisenärmerer Zoisit 2 [X Fe Zoisit 2 = 0,12] kristallisiert.<br />
In Stadium 3 werden sowohl Zoisit 1 als auch Zoisit<br />
2 von der Schmelze partiell resorbiert und eisenarmer<br />
Zoisit 3 [X Fe Zoisit 3 = 0,10] kristallisiert. Während der Stadien<br />
2 und 3 kristallisieren zudem Klinozoisit, albitreicher<br />
Plagioklas und Amphibol. Die Plagioklas-Quarz-Matrix<br />
kristallisiert im Anschluss an Zoisit 3 und stellt den<br />
Schlusspunkt der magmatischen Entwicklung der Pegmatite<br />
dar. Gefüge, Mineralchemie, Phasenbeziehungen<br />
der Pegmatite in Verbindung mit Schmelzbeziehungen im<br />
MORB und Trondhjemit-System sowie den bekannten<br />
metamorphen Druck- und Temperaturbedingungen der<br />
Münchberger Gneismasse erlauben es, die Druck-Temperatur-Entwicklung<br />
der Pegmatite zu rekonstruieren<br />
(Abb. 4.32b): Zoisitabbau im Eklogit bei etwa 2,8 GPa/<br />
750 °C führt zur Bildung geringer Mengen trondhjemitischer<br />
Entwässerungsschmelzen, die sowohl an H 2O als<br />
auch an Zoisit gesättigt sind. Diese Schmelzen sammeln<br />
sich lokal in Schmelztaschen und kristallisieren bei etwa<br />
2,5 GPa/730 °C zu Zoisit 1 als Liquidusphase (Stadium 1).<br />
Bei etwa 1,4 GPa/650 bis 700 °C wird das gesamte System<br />
thermisch gestört, Zoisit 1 resorbiert und Zoisit 2 kristallisiert<br />
(Stadium 2). Kristallisation von Zoisit 3 und der<br />
Plagioklas-Quarz-Matrix erfolgte bei etwa 1,0 GPa/620<br />
bis 650 °C (Stadium 3). Die Daten zeigen, dass die trondhjemitischen<br />
Schmelztaschen während der gesamten Heraushebung<br />
von ~ 2,8 bis 1,0 GPa, also über rund 60 km,<br />
einen stabilen, integralen Bestandteil des Eklogitkörpers<br />
bildeten.<br />
Um die Gesamtchemie der Pegmatite und damit der<br />
ursprünglichen trondhjemitischen Schmelze zu bestimmen,<br />
wurde die Hauptelementchemie der Pegmatitminerale<br />
mit der Mikrosonde gemessen. Die Spurenelementgehalte<br />
der Pegmatitminerale i) Zoisit, ii) Plagioklas und<br />
iii) Amphibol wurden mittels ICP-MS (Inductively Coupled<br />
Plasma Mass Spectrometry) an Mineralseparaten<br />
Abb. 4.32: (a) Schemazeichnung der magmatischen Entwicklung der Zoisite (gezeichnet parallel [010]). Der Eisengehalt<br />
in Zoisit [X Fe = Fe/(Fe+Al- 2)] spiegelt drei Wachstumsstadien wider. Während der Stadien 2 und 3 kristallisiert<br />
zusätzlich Klinozoisit und albitreicher Plagioklas. (b) P-T Entwicklung der Zoisitpegmatite abgeleitet aus den Eisengehalten<br />
der unterschiedlichen Zoisitwachstumsstadien, koexistierenden albitreichem Plagioklas und Klinozoisit während<br />
der Stadien 2 und 3 sowie den Phasenbeziehungen im MORB und Trondhjemit System. Isoplethen (dünne gepunktete<br />
Linien) sind für Eisengehalte in Zoisit von X Fe Zoisit = 0,17, 0,12 und 0,10 entsprechend den Eisengehalten der Zoisitwachstumszone<br />
1 bis 3. Die Linie A-B repräsentiert das Entwässerungsschmelzen von Zoisit. Das Fragezeichen stellt<br />
die Störung des Systems während Stadium 2 dar. Die schwache Aufheizung während Stadium 2, die durch den S-förmigen<br />
P-T Pfad angedeutet wird, ist jedoch spekulativ.<br />
(a) Schematic drawing of the magmatic evolution of zoisite (viewed parallel [010]). Iron content [X Fe = Fe/(Fe+Al- 2)]<br />
in zoisite displays three growth stages. During stages 2 and 3 clinozoisite and albite-rich plagioclase crystallized also.<br />
(b) P-T evolution of the zoisite-pegmatites as derived from the iron content of the different growth stages of zoisite, coprecipitated<br />
albite-rich plagioclase and clinozoisite during stages 2 and 3, and phase relations in MORB and trondhjemite<br />
system. Isopleths (thin stippled lines) are for X Fe zoisite = 0.17, 0.12, and 0.10 as observed in zoisite growth stages<br />
1 to 3. Line A-B is the dehydration melting of zoisite. The question mark indicates the perturbation of the system during<br />
pegmatite stage 2. The slight re-heating during pegmatite stage 2 as suggested by the s-shaped P-T path is, however,<br />
speculative.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
analysiert. Um das Verhalten der Spurenelemente während<br />
der Pegmatitkristallisation zu untersuchen, wurden<br />
zusätzlich die Spurenelementgehalte der Zoisitwachstumszonen<br />
1 bis 3 in situ mittels LA-ICP-MS (Laser Ablation-ICP-MS)<br />
bestimmt.<br />
i) Alle Zoisitseparate zeigen einheitliche Spurenelementmuster,<br />
abgesehen von leicht streuenden Cs, Rb und Ba<br />
Gehalten (Abb. 4.33a). Die Muster sind an den inkompatiblen<br />
Elementen angereichert und besitzen ausgeprägte<br />
negative Nb-Ta- und Zr-Hf-Anomalien sowie schwach<br />
negative bzw. positive Strontium- und Blei-Anomalien.<br />
Die Nb/Ta-Verhältnisse in den Zoisiten sind etwa 1,1 während<br />
die Zr/Hf-Verhältnisse zwischen 18,8 und 22,4 schwanken.<br />
Die Elemente der Seltenen Erden (SEE) in den Zoisiten<br />
zeigen gerade, an den leichten SEE angereicherte<br />
Muster mit Chondrit normierten La/Lu = 24 bis 44, La/Gd<br />
= 1,3 bis 1,8 und Gd/Lu = 19 bis 24. Die in situ bestimmten<br />
Spurenelementgehalte in den Zoisitwachstumsstadien<br />
1 bis 3 zeigen nahezu identische Muster in allen drei<br />
Stadien (Abb. 4.33b), die mit denen der Zoisitseparate<br />
übereinstimmen. Sie sind an den inkompatiblen Elementen<br />
angereichert und zeigen positive Blei- und negative<br />
Strontium- und Hafnium-Anomalien. Die SEE in Zoisit 1<br />
bis 3 zeigen gerade, an den leichten SEE angereicherte<br />
Muster mit Chondrit normierten La/Lu = 43 bis 59, La/Gd<br />
= 1,9 bis 2,0 und Gd/Lu = 22 bis 30. Die nahezu identischen<br />
Spurenelementmuster der Zoisitwachstumsstadien<br />
1 bis 3 zeigen, dass der Spurenelementhaushalt der Pegmatite<br />
während der gesamten Kristallisation unverändert<br />
geblieben sein muss. Sie geben keinen Hinweis auf eine<br />
Infiltration externer Fluide oder Schmelzen in die<br />
Schmelztaschen. Dies belegt, dass die beobachtete Störung<br />
während Stadium 2 nicht chemischer sondern thermischer<br />
Ursache gewesen sein muss.<br />
ii) Die Spurenelementgehalte der Plagioklase zeigen<br />
eine starke Streuung zwischen den einzelnen Proben<br />
(Abb. 4.33c). Abgesehen von dieser Streuung, die am deutlichsten<br />
in den SEE zu sehen ist, charakterisieren generell<br />
positive Barium-, Blei- und Strontium-Anomalien die Plagioklas-Spurenelementmuster.<br />
Die Nb/Ta-Verhältnisse in<br />
Plagioklas sind mit 0,75 bis 0,99 vergleichbar mit denen<br />
in Zoisit. Ihre Zr/Hf-Verhältnisse reichen von 15,4 bis 42,3.<br />
iii) Die Amphibolseparate besitzen nahezu identische,<br />
generell niedrige Spurenelementgehalte (Abb. 4.33d).<br />
Verglichen mit den Zoisitseparaten besitzen die Amphi-<br />
Abb. 4.33: N-MORB normalisiertes Spurenelement- und SEE-Muster der Zoisitseparate (a), Zoisitwachstumsstadien<br />
1 bis 3 (b), Plagioklasseparate (c) und Amphibolseparate (d), bestimmt mit der ICP-MS (a, c, d) und LA-ICP-MS (b).<br />
Unterschiedliche Symbole und Farben in a, c und d beziehen sich auf unterschiedliche Pegmatitproben.<br />
N-MORB normalized trace and rare earth element patterns of zoisite separates (a), zoisite growth stages 1 to 3 (b),<br />
plagioclase separates (c) and amphibole separates (d) as determined by ICP-MS (a, c, d) and LA-ICP-MS (b). Different<br />
symbols and colours in a, c and d refer to different pegmatite samples.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
321
322<br />
bole höhere Cs-, Rb-, Ba-, Nb-, Ta-, Zr- und Hf-Gehalte<br />
und deutlich niedrigere Th- und U-Gehalte. Die Nb/Ta-<br />
Verhältnisse der Amphibole sind mit 17,3 und 21,5 signifikant<br />
höher als in Zoisit und Plagioklas, wohingegen ihre<br />
Zr/Hf-Verhältnisse mit 21,2 und 27,4 vergleichbar mit<br />
denen in Zoisit und Plagioklas sind. Die SEE in den<br />
Amphibolen zeigen gerade, an den schweren SEE angereicherte<br />
Muster mit Chondrit normierten La/Lu = 0,27<br />
und 0,089, La/Gd = 0,49 und 0,13 und Gd/Lu = 0,55 und<br />
0,69.<br />
Ausgehend von den durchschnittlichen Haupt- und Spurenelementgehalten<br />
der Pegmatitminerale sowie ihrer<br />
Modalgehalte wurde die Gesamtzusammensetzung der<br />
Zoisitpegmatite berechnet. Ihre Hauptelementchemie ist<br />
69,3 Gew.% SiO 2, 18,51 Gew.% Al 2O 3, 5,09 Gew.% CaO,<br />
5,95 Gew.% Na 2O und 0,51 Gew.% Fe 2O 3. TiO 2, MgO und<br />
K 2O sind jeweils < 0,15 Gew.%. Die Zoisitpegmatite<br />
unterscheiden sich damit von typischen TTGs und Adakiten<br />
durch deutlich niedrigere TiO 2, Fe 2O 3, MgO and K 2O<br />
Gehalte. Mit mehr als 15 Gew.% Al 2O 3 bei etwa 70 Gew.%<br />
SiO 2 erfüllen sie jedoch das Hauptelementkriterium für<br />
Trondhjemite.<br />
Aufgrund seines hohen Modalgehalts und seiner hohen<br />
Spurenelementgehalte kontrolliert Zoisit die Spurenelementchemie<br />
der Pegmatite und das berechnete Spurenelementmuster<br />
ähnelt dem von Zoisit (Abb. 4.34). Es ist<br />
an den inkompatiblen Elementen angereichert mit positiven<br />
Barium- und Blei-Anomalien und ausgeprägt negativen<br />
Nb-Ta- und Zr-Hf-Anomalien. Die Anreicherung der<br />
inkompatiblen Elemente ist in Übereinstimmung mit typischen<br />
TTGs, allerdings zeigen die Zoisitpegmatite eine<br />
stärkere Anreicherung der mittleren SEE sowie eine stärkere<br />
Verarmung der schweren SEE und eine deutlich ausgeprägtere<br />
negative Nb-Ta Anomalie. In guter Übereinstimmung<br />
mit typischen TTGs besitzen die Zoisitpegmatite<br />
niedrige Nb/Ta-Verhältnisse. Das berechnete Nb/Ta-<br />
Abb. 4.34: Berechnetes N-MORB normalisiertes Spurenelementmuster<br />
für den Gesamtzoisitpegmatit verglichen<br />
mit der Zusammensetzungsspanne typischer TTGs (grauer<br />
Bereich).<br />
Calculated N-MORB normalized trace element pattern of<br />
bulk zoisite-pegmatite compared to compositional range<br />
of typical TTGs (grey area).<br />
Verhältnis ist mit ~ 1,6 allerdings extrem klein. Die berechnete<br />
Spurenelementchemie der Zoisitpegmatite ist generell<br />
konsistent mit den Spurenelementkriterien für Trondhjemite:<br />
Sr > 300 ppm, Y < 20 ppm, Yb < 1,8 ppm und Nb<br />
≤ 10 ppm.<br />
Die geochemischen und petrologischen Untersuchungen<br />
der zoisitführenden Hochdruckpegmatite der Münchberger<br />
Gneismasse erlauben einige wichtige Aussagen zur<br />
Anatexis von Hochdruckmetabasiten und zur Genese von<br />
TTGs und Adakiten: i) Die Bildung der Hochdruckpegmatite<br />
in den Eklogiten der Hangendserie der Münchberger<br />
Gneismasse war ein Fluid konservierender Prozess.<br />
Fluide, die bei dem Abbau von Zoisit freigesetzt wurden,<br />
führten unmittelbar zur Bildung trondhjemitischer Schmelzen<br />
und wurden in diesen Schmelzen gebunden. Die Kristallisation<br />
der Schmelzen setzte diese Fluide wieder frei,<br />
die dann zu einer Amphibolitisierung der Eklogite führten.<br />
Obwohl es klare Anzeichen für eine weitverbreitete<br />
Schmelzbildung in den Eklogiten gibt, gibt es keinerlei<br />
Hinweise auf eine großräumige Migration wässriger Fluide<br />
oder Schmelzen. ii) Der Abbau von Zoisit in Eklogiten<br />
führt zu Entwässerungsschmelzen, die den Haupt- und<br />
Spurenelementkriterien für Trondhjemite entsprechen,<br />
allerdings deutlich geringere Magnesium- und Eisengehalte<br />
aufweisen. Obwohl die zoisitführenden Hochdruckpegmatite<br />
ein exzellentes Model für die Entstehung von<br />
TTGs und Adakiten sind, simulieren sie nur den Beginn<br />
des Schmelzprozesses. Höhere Schmelzgrade würden<br />
mehr Klinopyroxen involvieren und die Magnesium- und<br />
Eisengehalte der Schmelze erhöhen. iii) Die niedrigen<br />
Nb/Ta-Verhältnisse der TTGs werden normalerweise auf<br />
die Anatexis von Amphiboliten zurückgeführt. Die Eklogite<br />
des Weissenstein sind amphibolfrei, dennoch ist<br />
das berechnete Nb/Ta-Verhältnis der trondhjemitischen<br />
Schmelzen sehr klein. Dies bedeutet, dass auch Zoisitabbau<br />
in amphibolfreien, rutilführenden Eklogiten zu<br />
trondhjemitischen Schmelzen mit niedrigen Nb/Ta-Verhältnissen<br />
führen kann.<br />
Mikro- und Nanoeinschlüsse in Diamanten: kleine<br />
Fenster ermöglichen tiefe Einblicke in den Aufbau<br />
des Erdmantels<br />
Diamanten sind nicht nur „a girl’s best friend“, wie es<br />
Marilyn Monroe einmal zum Ausdruck brachte. Bei Geowissenschaftlern<br />
sind Diamanten mindestens ebenso<br />
beliebt. Der Grund hierfür liegt aber nicht in der Reinheit<br />
und der Brillanz der Diamanten, im Gegenteil, es sind die<br />
Einschlüsse, die den Geowissenschaftler begeistern. Einschlüsse<br />
in Diamanten, seien es mineralische Einschlüsse<br />
oder Gas-Flüssigkeitseinschlüsse, erlauben Rückschlüsse<br />
auf die Zusammensetzung des Mantelgesteins, in dem sich<br />
der Diamant gebildet hat und auf die Fluide, aus denen der<br />
Diamant auskristallisiert ist. Die extreme Festigkeit von<br />
Diamant in Verbindung mit seiner geringen Reaktivität in<br />
einer silikatischen Umgebung ermöglichen es den Einschlüssen,<br />
ihre ursprüngliche Zusammensetzung zu behalten,<br />
auch wenn sich die Druck- und Temperaturbedingungen<br />
während des Transports zur Erdoberfläche geändert<br />
haben. Diamanten können mit ihren Einschlüssen einen<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
sehr weiten Bereich des Erdmantels beproben. Er reicht<br />
nach bisherigem Stand des Wissens von 150 km bis in<br />
1.700 km Tiefe (Hayman et al.<strong>2005</strong>).<br />
Bislang war man bei der Untersuchung von mineralischen<br />
Einschlüssen in Diamanten auf solche im Mikrometerbereich<br />
angewiesen. Häufig wurden die Diamanten verbrannt<br />
und die Einschlüsse blieben in der Asche zurück.<br />
Diese Einschlüsse konnte man mit der Elektronenstrahlmikrosonde<br />
chemisch untersuchen. Große Einschlüsse<br />
sind aber relativ selten im Gegensatz zu Nanoeinschlüssen.<br />
Für kleinere Einschlüsse liefern IR- und Raman-<br />
Spektroskopie Hinweise auf ihre Zusammensetzung und<br />
Mineralparagenesen. Solche Daten sind häufig aber nicht<br />
eindeutig, da es zu Überlappungen der Signale kommen<br />
kann. Es fehlt die Information über die Mikrostruktur<br />
eines solchen Einschlusses.<br />
Mit Hilfe eines Transmissionselektronenmikroskops (TEM)<br />
ist man heute jedoch in der Lage, die chemischen, kristallographischen<br />
und mikrostrukturellen Informationen,<br />
die ein Mikro- oder Nanoeinschluss enthält, zu entschlüsseln.<br />
Leider war es in der Vergangenheit nahezu<br />
unmöglich, geeignete Diamantproben für TEM-Untersuchungen<br />
zu präparieren. Der extreme Festigkeitskontrast<br />
zwischen Diamant und seinen Einschlüssen führte dazu,<br />
dass die in jedem Fall weicheren Einschlüsse beim Dünnen<br />
der Probe weitgehend zerstört wurden. Diese Schwierigkeit<br />
konnte jedoch mit der Focused Ion Beam FIB Probenpräparation<br />
überwunden werden. Ein solches Gerät<br />
wird seit ca. 3 1/2 Jahren am <strong>GFZ</strong> mit großem Erfolg<br />
betrieben. Mit Hilfe dieser in den Geowissenschaften bislang<br />
einzigen Anlage weltweit, wurden zahlreiche Diamantproben<br />
aus Kasachstan, Sibirien, der Ukraine, Süd-<br />
afrika, Kanada und Brasilien präpariert und am <strong>GFZ</strong><br />
gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Russland, der Ukraine,<br />
Israel, USA und Brasilien mit dem TEM untersucht.<br />
Die Untersuchungen lassen sich in drei Gruppen gliedern:<br />
• Einschlüsse in Mikrodiamanten (Kasachstan, Ukraine),<br />
• Einschlüsse in Diamanten aus Sibirien, Südafrika,<br />
Kanada und Brasilien,<br />
• Carbonados – schwarze Diamanten aus Brasilien.<br />
Fluid-Einschlüsse in Mikrodiamanten aus Kasachstan<br />
Der Mechanismus der Entstehung von Diamanten im Erdmantel<br />
ist noch immer umstritten. Es gibt Argumente, die<br />
für ein Wachstum aus der Schmelze oder ein Wachstum<br />
aus einem Fluid sprechen. Die Entdeckung von Mikrodiamanten<br />
in Ultra-Hochdruckgesteinen der kontinentalen<br />
Erdkruste hat diese Debatte erneut angeheizt. In einer<br />
TEM-Probe eines Mikrodiamanten aus dem Kokchetav<br />
Massiv in Kasachstan beobachteten wir ca. 50 bis 100 nm<br />
große Fluid-Einschlüsse, die noch geschlossen waren.<br />
Solche Einschlüsse kann man dann erhalten, wenn die Diamantproben<br />
für die TEM-Untersuchungen relativ dick<br />
(200 bis 300 nm) präpariert werden. Üblich sind Probendicken<br />
von 100 nm und weniger. Diamanten sind aber<br />
wegen ihrer ausgezeichneten Elektronentransparenz auch<br />
in dicken Schichten noch gut durchstrahlbar. Einen noch<br />
gefüllten Einschluss erkennt man im Elektronenmikroskop<br />
daran, dass es bei fokussiertem Strahl zu Dichtefluktuationen,<br />
verbunden mit Änderungen im Helligkeitskontrast,<br />
kommt. Diese Dichtefluktuationen erzeugen unterschiedlichen<br />
Massenabsorptionskontrast. Der Einschluss<br />
gleicht dann einer lebenden, sich bewegenden Zelle<br />
(Abb. 4.35).<br />
Abb. 4.35: TEM Hellfeld-Aufnahme eines Fluid-Einschlusses in einem Mikrodiamanten aus Kasachstan. a) Noch<br />
geschlossener Fluid-Einschluss erkennbar an Kontrastvariationen, die durch Dichtefluktuationen erzeugt werden. b)<br />
Der gleiche Einschluss nach der Öffnung mit Hilfe des Elektronenstrahls zeigt keine Kontrastvariationen mehr, da das<br />
Fluid in das Vakuum des Systems entwichen ist. Zurück bleibt ein amorpher Rest.<br />
TEM bright field image of a fluid inclusion bubble in a microdiamond from Kasachstan. a) Closed fluid inclusion bubble<br />
with contrast variations due to density fluctuations. b) Same fluid inclusion bubble after perforation of the diamond<br />
container by electron sputtering. The fluid has escaped into the vacuum leaving a quench product in the cavity.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
323
324<br />
Ein Röntgenspektrum der durch den Elektronenstrahl<br />
erzeugten Röntgenfluoreszenzstrahlung aus dem Einschluss<br />
ergibt qualitativ eine Zusammensetzung des Fluids<br />
aus Kohlenstoff, Sauerstoff, Schwefel, Chlor, Kalium,<br />
Calcium und Eisen. Durch Fokussierung des Elektronenstrahls<br />
auf den Einschluss kann dieser geöffnet werden<br />
und die gasförmigen und flüssigen Komponenten können<br />
in das Vakuum des TEM entweichen. Eine zweite Analyse<br />
unter identischen Bedingungen ergibt dann, dass Sauerstoff,<br />
Schwefel und das Chlor nahezu verschwunden<br />
sind. Aus dem Verlust des Chlor-Anteils wird geschlossen,<br />
dassdas Fluid eine wässrige Komponente gehabt haben<br />
muss, Chlor hat in der Verbindung HCl vorgelegen. Ebenso<br />
kann aus dem Verlust des Schwefels und des Sauerstoffs<br />
nach dem Öffnen des Einschlusses auf die Anwesenheit von<br />
H 2SO 4 im Fluid geschlossen werden. Der Verlust des Sauerstoffs<br />
deutet aber auch auf die Anwesenheit von CO 2 im<br />
Fluid hin. Die Untersuchung zeigt, dass das Fluid, aus dem<br />
der Mikrodiamant gewachsen ist, folgende Zusammensetzung<br />
hatte: C, H, O, Cl, S, Ca, Fe, und K. Damit konnte<br />
nachgewiesen werden, dass diese Mikrodiamanten aus<br />
einem Fluid und nicht aus einer Schmelze entstanden sind.<br />
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurde in Terra Nova<br />
publiziert (Dobrzhinetskaya et al., <strong>2005</strong>).<br />
Nanoeinschlüsse in Diamanten aus Sibirien und Kanada<br />
In einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit israelischen<br />
Wissenschaftlern wurden Diamanten aus Kanada<br />
und Sibirien untersucht. Diese Diamanten zeichnen sich<br />
dadurch aus, dass sie einen sehr hohen Anteil an Gas-Flüssigkeitseinschlüssen<br />
aufweisen, die zu einer ausgeprägten<br />
Trübung der Diamanten führen. Die Einschlüsse wurden<br />
Abb. 4.36: TEM Hellfeld Aufnahme eines Phlogopit-Einschlusses<br />
in einem Diamanten. Der Phlogopit ist gekennzeichnet<br />
durch dunkle Beugungskontraste. Die hellen Stellen<br />
sind dünnere Bereiche, die mit einem Fluid gefüllt<br />
waren.<br />
TEM bright field image of a phlogopite inclusion in diamond.<br />
Phlogopite is characterized by diffraction contrast.<br />
The bright areas are due to reduced foil thickness, filled<br />
with a fluid prior to the perforation of the inclusion during<br />
specimen preparation.<br />
mit der Mikrosonde, IR-Spektroskopie und TEM untersucht.<br />
Die meisten Mikro- und Nanoeinschlüsse enthalten<br />
danach mehrere feste Phasen wie beispielsweise Karbonate,<br />
Halide, Apatit, Pyroxen und einen Si-reichen<br />
Glimmer (6,8 bis 7,7 Atome pro Formeleinheit) mit einer<br />
Zusammensetzung zwischen Phlogopit und Seladonit<br />
(Abb. 436).<br />
Die TEM Untersuchungen ergeben, zusammen mit den<br />
Mikrosondenmessungen und den IR-spektroskopisch<br />
gemessenen Volatilen, folgendes Resultat: Der Diamant<br />
hat während seines Wachstums in den Mikroeinschlüssen<br />
ein dichtes, superkritisches Fluid einheitlicher Zusammensetzung<br />
eingeschlossen. Aus dem superkritischen Fluid<br />
sind feste Phasen bei der Abkühlung in einem sekundären<br />
Prozess auskristallisiert. Diese sekundären Mineraleinschlüsse<br />
unterscheiden sich wesentlich von den primären,<br />
peridotitischen oder eklogitischen Mineraleinschlüssen<br />
wie zum Beispiel Pyrop, Olivin und Pyroxene. Es sind dies<br />
Karbonate, Phosphate, Halide, Sulfide und Schichtsilikate,<br />
die aus einem primären „high density fluid“ HDF, welches<br />
beim Wachstum der Diamanten unter hohem Druck<br />
eingeschlossen worden ist, mit Wasser und CO 2 auskristallisiert<br />
sind. Es ist angereichert an inkompatiblen Elementen<br />
wie Chlor, Kalium, Phosphor, Barium und Strontium.<br />
Der hohe interne Druck (1,5 bis 2 GPa) bleibt auch<br />
nach dem Aufstieg der Diamanten an die Erdoberfläche<br />
erhalten (Navon, 1999). Es ist dies die erste Beobachtung,<br />
dass Karbonate zusammen mit Haliden in den Mikroeinschlüssen<br />
vorkommen. Diese Beobachtung stützt die<br />
Annahme, dass der Diamant aus einem Fluid, welches<br />
Chlor und Karbonat enthält, entstanden sein muss (Klein-<br />
BenDavid et al. 2006).<br />
Carbonados, schwarze Diamanten<br />
Schwarze Diamanten sind trotz ihrer zum Teil beachtlichen<br />
Größe als Schmucksteine völlig uninteressant. Sie<br />
sind jedoch die besten Schleifmittel, die es gibt. Carbonados<br />
sind polykristalline Diamanten mit hoher Porosität,<br />
die bisher nie in direkter Verbindung mit Kimberliten<br />
gefunden wurden. Sie sind weiterhin gekennzeichnet<br />
durch eine ungewöhnliche Vielfalt an Einschlüssen, wie<br />
zum Beispiel Florenzit (SEE-Phosphat), Orthoklas, Quarz,<br />
Kaolinit und Metalle (Fe, Fe-Ni, Sn, Ag, Cu). Die für kimberlitische<br />
Diamanten charakteristischen Einschlüsse, wie<br />
pyropreicher Granat, Olivin und chromreicher Pyroxen,<br />
wurden bisher jedoch nie in Carbonados gefunden. Die<br />
Entstehung der Carbonados wird noch immer kontrovers<br />
diskutiert. Es wird angenommen, dass wegen der Anreicherung<br />
leichter Kohlenstoff-Isotope (δ 13 C liegt im<br />
Bereich von –23 ‰ bis –30 ‰) organisches Material durch<br />
eine kalte Subduktion in den Mantel verfrachtet wurde.<br />
Aus diesem organischen Material soll dann im Stabilitätsbereich<br />
des Diamants polykristalliner Diamant kristallisiert<br />
sein. Eine andere Hypothese geht davon aus, dass<br />
eine kohlenstoffhaltige Matrix durch radioaktive Bestrahlung<br />
zu Diamant umgewandelt worden ist. Eine Umwandlung<br />
von organischer Materie in Diamant durch Stoßwellenmetamorphose,<br />
wie sie beim Einschlag eines Meteoriten<br />
zu erwarten wäre, wird ebenfalls als Ursache für die<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.37: Das lichtoptische Bild zeigt einen typischen<br />
Carbonado Polykristall, aufgeklebt auf einen Aluminiumträger.<br />
Optical micrograph of a typical carbonado polycrystal<br />
mounted onto a sample holder.<br />
Entstehung von Carbonados diskutiert. Für keine dieser<br />
Hypothesen wurden bisher schlüssige Beweise erbracht.<br />
In einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit der Universidade<br />
Federal de Minas Gerais in Belo Horizonte, Brasilien<br />
wurden alluviale Diamanten (Carbonados) aus Brasilien<br />
am <strong>GFZ</strong> mit dem TEM untersucht. Die Carbonados<br />
stammen aus dem Sao Francisco Kraton (Macaubas River)<br />
in Minas Gerais, Brasilien. Der Kraton enthält die ältesten<br />
Gesteine Südamerikas mit einem Alter von ca. 3,2 Milliarden<br />
Jahren. Ein typischer Carbonado ist in Abb. 4.37 zu<br />
sehen.<br />
Der größte am <strong>GFZ</strong> untersuchte Carbonado wiegt 0,7<br />
Gramm und wurde mit Hilfe eines Lasers von einem Diamantschleifer<br />
in Jerusalem in zwei Teile<br />
geschnitten. Ihm sei an dieser Stelle für<br />
seine kostenlose Unterstützung gedankt.<br />
Eine Schnittfläche wurde dann am <strong>GFZ</strong><br />
mit einer Diamantschleifmaschine anpoliert.<br />
Die optische Untersuchung der<br />
polierten Fläche zeigt, dass der Stein aus<br />
polykristallinen Domänen mit unterschiedlicher<br />
Korngröße aufgebaut ist.<br />
Mittels fokussierender Ionenstrahltechnik<br />
wurden aus dem Zentrum und mehreren<br />
Randbereichen Folien zur Untersuchung<br />
mit dem TEM präpariert. Insgesamt<br />
wurden fünf Steine unterschiedlicher<br />
Größe untersucht, wobei die Proben<br />
entweder aus dem Inneren der Probe<br />
stammen oder von der Oberfläche aus<br />
präpariert wurden. Die TEM-Untersuchungen<br />
lieferten folgende Ergebnisse:<br />
Carbonados sind immer polykristallin mit<br />
Korngrößen in der Regel < 10 Mikrometer.<br />
Sie weisen alle eine hohe Porosität<br />
auf. Die Korngrenzen zeigen einen unge-<br />
wöhnlichen, auffällig gezackten Verlauf (Abb. 4.38). Das<br />
Korngefüge gleicht einem Puzzle. Die Versetzungsdichte<br />
ist uneinheitlich und häufig sind die Versetzungen in<br />
Kleinwinkelkorngrenzen angeordnet, was auf eine Temperung<br />
der Probe bei hohen Temperaturen hindeutet.<br />
In manchen Körnern beobachtet man kleine, plättchenförmige<br />
Strukturen, die meist kleiner sind als 50 nm<br />
(Abb. 3.39). Diese Plättchen sind Anreicherungen von<br />
Stickstoff im Diamant. Sie sind ein Hinweis darauf, dass<br />
der Diamant für lange Zeit bei hohen Temperaturen im<br />
Mantel verweilt haben muss, denn nur dann kommt es zu<br />
einer Aggregation von Stickstoff zu paarweise angeordnetem<br />
Stickstoff über Stickstoff in Tetraeder-Anordnung<br />
zu den Plättchen. Dieser Vorgang verlangt eine zunehmende<br />
Verweildauer des Diamanten bei hohen Temperaturen<br />
im Mantel. Darauf deutet auch die Anwesenheit von<br />
Kleinwinkelkorngrenzen hin.<br />
Generell sind Einschlüsse in Carbonados sehr zahlreich.<br />
Es gibt sehr viele sekundäre Einschlüsse, die keine Mantelbedingungen<br />
repräsentieren, wie zum Beispiel Sulfate<br />
(Ba-Sulfat, Ca-Sulfat), Sulfide (PbS), Quarz, Kaolinit,<br />
Florenzit, Glimmer, Apatit und Fe-Oxide. Diese Einschlüsse<br />
treten ausschließlich in Hohlräumen und Poren,<br />
meist entlang von Korngrenzen auf. Die Poren sind oft<br />
miteinander verbunden. Diese Einschlüsse liefern jedoch<br />
keine Hinweise auf die Genese der Carbonados. Sie haben<br />
sich zusammen mit Fluiden gebildet, die den Stein durchdrungen<br />
haben. Es gibt aber eine zweite Gruppe von viel<br />
kleineren Einschlüssen innerhalb der Körner, die deutliche<br />
Hinweise auf die Bildung der Carbonados liefern.<br />
Diese Einschlüsse kommen isoliert im Kristall vor. Solche<br />
Einschlüsse bestehen jeweils aus festen Phasen und<br />
einer flüssigen oder gasförmigen Phase. Als feste Phasen<br />
wurden beobachtet: Karbonate (Ba-Karbonat, Ca-Karbonat),<br />
Chloride (KCl), Silikate (Ca, Al, K, Fe, Ti) und Sulfide.<br />
Diese Einschlüsse sind in der Regel deutlich kleiner<br />
Abb. 4.38: TEM-Hellfeld-Abbildung eines typischen Korngefüges in Carbonados.<br />
Man beachte die ungewöhnlich gezackten und winkeligen Korngrenzen.<br />
TEM bright field image of characteristic grain texture in Carbonado. Note<br />
the unusual zig-zag arrangement of the grain boundaries.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
325
326<br />
Abb. 4.39: TEM-Hellfeld-Abbildung von plattenförmigen Einschlüssen,<br />
gefüllt mit Stickstoff in Körnern eines Carbonado.<br />
TEM bright field image of N-rich platelets in grains of a Carbonado polycrystal.<br />
als 500 nm und entsprechen in ihrer Paragenese genau<br />
denen aus kimberlitischen Diamanten. Dort beobachtet<br />
man ebenfalls Silikate, Chloride und Karbonate oftmals<br />
zusammen im gleichen Einschluss. Aus dieser Beobachtung<br />
und dem Auftreten von Stickstoff-Plättchen muss<br />
gefolgert werden, dass Carbonados im Erdmantel unter<br />
ähnlichen Bedingungen wie „normale“ Diamanten gebildet<br />
worden sind. Eine Entstehung durch radioaktive<br />
Bestrahlung oder durch einen Impakt kann daher für diese<br />
Carbonados ausgeschlossen werden. Unsere Beobachtung<br />
stützt hingegen die Bildung aus subduziertem, organischen<br />
Material. Die ungewöhnliche Morphologie ihrer<br />
Korngrenzen und die große Porosität sind die wesentlichen<br />
Unterschiede zu kimberlitischen Diamanten. Die<br />
Gründe hierfür sind noch nicht verstanden und sind<br />
Gegenstand weiterer Untersuchungen.<br />
Aus den bisherigen Untersuchungen an Diamanten unterschiedlichster<br />
Herkunft (Sibirien, Südafrika, Kanada,<br />
Brasilien, Ukraine, Kasachstan) und verschiedenster Morphologie<br />
und Größe können einige grundsätzliche Schlussfolgerungen<br />
gezogen werden. Die Mikroeinschlüsse sind<br />
in der Regel die Einschlüsse, die den jeweiligen Ort der<br />
Entstehung des Diamanten im Erdmantel repräsentieren<br />
und charakterisieren (peridotitische Einschlüsse oder<br />
eklogitische Einschlüsse). Die peridotitischen oder eklogitischen<br />
Einschlüsse liefern uns Hinweise auf die Druckund<br />
Temperaturbedingungen, unter denen sich Diamant<br />
gebildet hat. Die Nanoeinschlüsse hingegen, mit ihrem<br />
ausgeprägten silikatischen, sulfidischen, karbonatischen<br />
Charakter, sind aus einem Fluid bei Änderung von Druck<br />
und Temperatur während des Aufstiegs<br />
des Diamanten zur Erdoberfläche auskristallisiert.<br />
Dabei hat der Diamant das<br />
Fluid während seines Wachstums eingeschlossen.<br />
Dieses Fluid stellt somit das<br />
Medium dar, aus dem der Diamant auskristallisierte.<br />
Interessanterweise ist die<br />
Zusammensetzung dieses Mediums für<br />
alle Lokalitäten nahezu identisch. Diese<br />
Erkenntnis soll durch weitere Untersuchungen<br />
in der Zukunft untermauert werden.<br />
In diesem Zusammenhang sind die<br />
Diamanten aus Juina (Mato Grosso, Brasilien),<br />
die uns von Dr. Kaminsky (Kanada)<br />
zur Verfügung gestellt wurden, von<br />
ganz besonderem Interesse.<br />
Akustisches Monitoring von metamorphen<br />
Dehydrationsreaktionen:<br />
Experimente im Modellsystem Diasporit<br />
Wasserreiche Fluide sind wesentlich für<br />
Transport und Umverteilung von Material<br />
in der Erdkruste und spielen eine entscheidende<br />
Rolle bei Reaktions- und<br />
Deformationsprozessen. Die physikalischen<br />
Eigenschaften eines Gesteins werden<br />
durch die Menge und Verteilung von<br />
fluiden Phasen stark beeinflusst. In-Situ-<br />
Messungen zur Änderung petrophysikalischer Eigenschaften<br />
unter transienten P-T-Bedingungen der mittleren<br />
und unteren Kruste sind notwendig, um die Beziehungen<br />
zwischen Fluiddruck, Fluidvernetzung und den Materialparametern<br />
des Gesteins zu untersuchen. Diese Daten werden<br />
für numerische Modellierungen von z. B. Subduktionsprozessen<br />
benötigt und führen zu einer quantitativen<br />
Interpretation geophysikalischer Felddaten.<br />
Während der prograden Gesteinsmetamorphose werden<br />
mit zunehmender Temperatur und Tiefe wasserreiche Fluide<br />
durch den Abbau OH-haltiger Minerale generiert.<br />
Umgekehrt wird bei Abkühlung und Dekompression eines<br />
Gesteines Wasser, sofern verfügbar, wieder von Mineralen<br />
gebunden (retrograde Gesteinsmetamorphose). Reaktionen<br />
dieser Art sind immer gekoppelt mit Porositäts- und<br />
Permeabilitätsänderungen und zeigen eine komplexe<br />
Wechselwirkung mit der Deformation. Das Schließen von<br />
Porenraum kann zu hohen Poren- und lokalen Überdrücken<br />
führen, die beim spontanen Abbau Seismizität induzieren<br />
können. In Scherzonen spielt deswegen das Wechselspiel<br />
zwischen porositätschaffenden, fluidfreisetzenden<br />
Reaktionen und porositätreduzierender Deformation<br />
eine entscheidende Rolle für den seismischen Zyklus.<br />
Die Auswirkungen von fluidfreisetzenden Reaktionen auf<br />
die physikalischen und rheologischen Eigenschaften von<br />
Gesteinen bei P-T-Bedingungen der mittleren und unteren<br />
Kruste werden experimentell untersucht. Hierzu wurde<br />
zunächst ein einfaches Modellsystem, ein Metabauxit<br />
gewählt.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.40: (a) Zylindrische Probe eines Metabauxits aus SW-Anatolien, vorwiegend bestehend aus feinkörnigem Diaspor<br />
und Ti-haltigem Hämatit. (b) Gemessene seismische Anisotropie (V P, V S) in Diasporit bei Raumbedingungen.<br />
(a) Cylinder of metabauxite sample from SW-Anatolia (Turkey) mainly consisting of fine-grained diaspore and Ti-hematite.<br />
(b) Seismic anisotropy (V P, V S) measured in diasporite at ambient conditions.<br />
Der verwendete Metabauxit ist ein feinkörniges, dichtes<br />
und rissfreies Gestein und besteht zu ≈ 70 vol.% aus Diaspor<br />
und ≈ 25 vol.% aus Ti-Hämatit (Abb. 4.40a). Es zeigt<br />
während prograder Metamorphose eine diskontinuierliche<br />
Dehydratation bei relativ niedrigen P-<br />
T-Bedingungen (Abb. 4.41), welche für<br />
Subduktionsprozesse in der Kopplungszone<br />
typisch sind. Während der Umwandlung<br />
von Diaspor (α-AlOOH) nach<br />
Korund (α-Al 2O 3) wird im Metabauxit 7<br />
bis 9 Gew.% Wasser freigesetzt. Ein Vorteil<br />
des Diaspor-Korund-Modellsystems<br />
ist seine schnelle Reaktionskinetik im<br />
Vergleich mit der Dehydratisierung von<br />
OH-führenden Fe-Mg-Al-Silikaten wie<br />
Glimmer, Chlorit und Amphibol in weiter<br />
verbreiteten komplexeren metamorphen<br />
Gesteinen.<br />
Mittels mikroanalytischer Methoden<br />
wurde zunächst die Mineralchemie und<br />
Textur des Ausgangsdiasporits charakterisiert.<br />
Messungen der seismischen Geschwindigkeiten<br />
bei Raumbedingungen<br />
Abb. 4.41: Position des Diaspor-Korund-<br />
Gleichgewichtes im P-T-Diagramm berechnet<br />
für eine Wasseraktivität von 1,0<br />
(rote Kurve) und 0,5 (blaue Kurve).<br />
Pressure-temperature diagram showing<br />
the position of the diaspore-corundum<br />
equilibrium for a water activity of 1.0 (red<br />
curve) and 0.5 (blue curve).<br />
im Ultraschallbereich ergaben eine deutliche seismische<br />
Anisotropie, welche für die P-Wellen 7,8 % und die S-<br />
Wellen 8,8 % beträgt (Abb. 4.40b). Dies ist ein unerwartetes<br />
Ergebnis, da die Probe optisch keine deutliche Foli-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
327
328<br />
ation oder Lineation zeigt. Theoretische Arbeiten sagen<br />
jedoch vorher, dass für Diaspor auf Grund seiner orthorhombischen<br />
Kristallstruktur eine starke seismische Anisotropie<br />
zu erwarten wäre. Die gemessene Anisotropie wird<br />
wahrscheinlich durch eine kristallographische Einregelung<br />
der Diaspor-Kristalle verursacht. Dies soll weiter mit<br />
EBSD-Analysen (Electron Backscatter Diffraction) untersucht<br />
werden. Die für die Experimente benutzten zylindrischen<br />
Diasporitproben wurden so angefertigt, dass die<br />
Isotropie-Ebene (Vp = ≈ 8.200 m/s) parallel zur Längsachse<br />
der Zylinder lag (Abb. 4.40).<br />
Die Diasporit-Dehydratisierungs-Experimente wurden in<br />
Zusammenarbeit mit der Gesteinsdeformations-Gruppe<br />
an der ETH Zürich in einer Paterson-Gas-Apparatur bei<br />
hydrostatischem Druck von 200 MPa durchgeführt. Die<br />
Heizrate betrug 1 °C/min bei undrainierten als auch bei<br />
drainierten Experimenten. Beide Serien von Experimenten<br />
ergaben einsetzende akustische Emissionen (AE) bei<br />
Abb. 4.42: Zwei unterschiedliche Typen von „ultrasonic waveforms“,<br />
registriert während der Dehydratisierung von Diasporit bei 470 °C und<br />
200 MPa.<br />
Two different types of waveforms captured during dehydration of diasporite<br />
at ca. 470 °C and 200 MPa.<br />
ca. 400 °C und weitere, mehr ausgeprägte AE bei ca.<br />
470 °C. Da das Diaspor-Korund-Gleichgewicht bei<br />
200 MPa und 400 °C nur sehr gering überschritten wird<br />
(Abb. 4.41), ist unklar, ob die ersten AE bei 400 °C auf<br />
der Dehydratation von Diaspor beruhen. Die charakteristischen<br />
AE bei 470 °C sind sicher auf entwässernden Diaspor<br />
zurückzuführen. Die benötigte thermische Überschreitung<br />
für das Einsetzen der Reaktion ist in guter Übereinstimmung<br />
mit Gleichgewichtsdaten, die wir in Hydrothermal-<br />
und Piston-Zylinder-Apparaturen durchgeführt<br />
haben. Die Diasporit-Entwässerung ist auch am Temperatur-Verlauf<br />
in der Probe erkennbar: bei ca. 430 °C nimmt<br />
die Temperatur kurzfristig ab; eine Folge der endothermen<br />
Gleichgewichtsreaktion.<br />
Es ist nicht eindeutig, welcher Prozess die AEs bei ca.<br />
400 °C induziert. Es kann nicht ausgeschlossen werden,<br />
dass die Entwässerung kleiner Mengen von Diaspor schon<br />
bei 400 °C beginnt, da bei reduzierten H 2O-Aktivitäten<br />
das Stabilitäts-Feld von Diaspor sich<br />
zu niedrigeren Temperaturen verschiebt<br />
(Abb. 4.41). In diesem Fall wäre unterschiedliches<br />
Dehydratisierungsverhalten<br />
bei undrainierten und drainierten Experimenten<br />
zu erwarten, was experimentell<br />
aber nicht festgestellt wurde. Eine weitere<br />
Möglichkeit wäre, dass diese AE mit<br />
Fluid-Freisetzungen durch Phasen gekoppelt<br />
sind, die in sehr untergeordneten<br />
Mengen vorkommen. Kleinste Mengen<br />
von Hellglimmer und Chloritoid sind mit<br />
der Mikrosonde im der Ausgangsdiasporit<br />
detektiert worden. Dass Abbau submikroskopischer<br />
Phasen die AE bei 400 °C<br />
erzeugt, ist wenig wahrscheinlich, da<br />
elektronenmikroskopische Untersuchungen<br />
„saubere“ Korngrenzen zeigen und<br />
Flüssigkeitseinschlüsse nicht vorkommen.<br />
Es wurden zwei unterschiedliche „waveforms“<br />
bei den AE registriert. Der vorherrschende<br />
Typ besteht aus einem kurzen<br />
Ereignis (Abb. 4.42a), das wahrscheinlich<br />
durch die Bildung von kleineren<br />
Rissen verursacht wird. Weniger häufig<br />
wurden viel länger andauernde AE<br />
mit deutlich höherer Energie registriert<br />
(Abb. 4.42b). Diese zeigen stärkere Entwässerungsereignisse<br />
an, wobei signifikante<br />
Mengen von Fluid schlagartig aus<br />
der Probe entweichen konnten.<br />
Mikrososondenuntersuchungen und Aufnahmen<br />
mit rückgestreuten Elektronen<br />
lassen erkennen, dass sich im Anfangsstadium<br />
der Diasporitentwässerung Risse<br />
bilden, erkennbar an einer erhöhten Porosität.<br />
(Abb. 4.43a). Korund wird bevorzugt<br />
in unmittelbarer Nähe dieser Risse<br />
gebildet. Die Korund-Bildung wird hier<br />
begünstigt, weil das freigesetzte Wasser<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.43: Rückgestreute Elektronen<br />
(RSE) Bilder. Die Produkte bestehen<br />
überwiegend aus Korund und Diaspor<br />
(beide grau) und Ti-Hämatit (weiß). Porosität<br />
ist schwarz. (a) Teilweise dehydratisierter<br />
Diasporit mit Bildung von 20 bis<br />
30 µm breiten Rissen, gekennzeichnet<br />
durch erhöhte Porosität und feinkörnige<br />
Korund-Bildung (nicht sichtbar). Drainiertes<br />
Experiment mit einer Heizrate von<br />
1 °C/ min, P = 200 MPa, abgeschlossen<br />
bei T = 540 °C. (b) Größtenteils in Korund<br />
umgewandelter Diasporit mit Bildung einer<br />
durchgehenden Porosität im nichtdrainierten<br />
Experiment. Heizrate = 1 °C/min,<br />
P = 200 MPa, Experiment abgeschlossen<br />
bei T = 590 °C.<br />
BSE pictures of run products of diasporite<br />
dehydration experiments. Products are<br />
composed mainly of corundum and diaspore<br />
(both grey) and Ti-hematite (white).<br />
Porosity is black. (a) Partly dehydrated<br />
diasporite with formation of 20 – 30 µm<br />
wide cracks marked by enhanced porosity<br />
and growth of corundum (not visible).<br />
Drained experiment, heating rate =<br />
1 °C/min, P = 200 MPa, final T = 540 °C.<br />
(b) Diasporite largely tranformed into a<br />
corundum rock with development of pervasive<br />
porisity in undrained experiment.<br />
Heating rate = 1 °C/min; P = 200 MPa;<br />
final T = 590 °C.<br />
besser entweichen kann und die Wasseraktivität<br />
reduziert wird. In drainierten<br />
Experimenten findet bevorzugt Rissbildung<br />
statt. In undrainierten Experimenten<br />
bildet sich typischerweise durchdringende<br />
Porosität (Abb. 4.43b). Dies ist eine<br />
Folge der hohen Fluiddrücke, welche<br />
bewirken, dass bei der Reduzierung des<br />
festen Gesteinsvolumens als Folge der Reaktion (–20 vol.%)<br />
die Porosität erhalten bleibt. Eine ähnliche durchdringende<br />
Porosität wurde auch in Experimenten in der Piston-<br />
Zylinderapparatur beobachtet, wo natürliche Diasporit-<br />
Proben, eingeschlossen in Goldkapseln, P-T-Bedingungen<br />
innerhalb des Korund-Stabilitätsfeldes ausgesetzt<br />
wurden. Eine erhöhte Porosität mit hydraulischer Rissbil-<br />
Abb. 4.44: Metabauxit von der Diaspor-Korund-Übergangszone<br />
von Naxos (Griechenland) mit mehreren Generationen<br />
„Hydrofractures“, die mit Korund gefüllt sind.<br />
Älteste Risse bestehen aus Chloritoid (schwarz). Die<br />
Matrix besteht aus feinkörnigem Diaspor (gelb), Chloritoid<br />
(grün) und Korund (blau).<br />
Metabauxite sample from the diaspore-corundum transition<br />
zone of Naxos (Greece) displaying several generations<br />
of corundum-filled (blue) hydrofractures. Oldest<br />
fractures are filled with chloritoid (black). Matrix is composed<br />
of fine-grained diaspore (yellowish), chloritoid<br />
(green) and corundum (blue).<br />
dung wurde in natürlichen Metabauxiten (Naxos, Griechenland)<br />
während der Diasporit-Korundit-Transformation<br />
beobachtet. In diesen regionalmetamorphen Bauxiten<br />
deuten verschiedene Generationen hydraulischer<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
329
330<br />
Risse auf ein zyklisches Entweichen des gebundenen Wassers<br />
hin, ganz ähnlich wie in den Experimenten reproduziert.<br />
(Abb. 4.44). Die Rissbildung in den natürlichen<br />
Gesteinen wurde höchstwahrscheinlich ebenfalls von<br />
Mikroseismizität begleitet.<br />
Die Experimente zeigen eindeutig, dass Dehydratisierungsreaktionen<br />
Mikrorisse generieren und Mikroseismizität<br />
induzieren können. Bislang wurde nur unter isotroper<br />
Belastung experimentiert; weitere Experimente unter<br />
deviatorischer Belastung sind geplant, um den Einfluss<br />
von Deformation auf die Freisetzung und das Entweichen<br />
von Fluiden zu untersuchen. Bei den akustischen Experimenten<br />
wurde eine Abnahme der seismischen Geschwindigkeit<br />
während des Maximums der Fluidfreisetzung<br />
registriert. Diese Änderung sowie die der elektrischen<br />
Leitfähigkeit während der Fluidfreisetzung durch metamorphe<br />
Reaktionen sollen durch weitere Experimente<br />
quantifiziert werden.<br />
Wärmetransporteigenschaften<br />
Wenn wir die dynamischen Prozesse auf Planeten unseres<br />
Sonnensystems oder in entfernten Galaxien verstehen<br />
wollen, müssen wir die zugrunde liegenden Prozesse identifizieren<br />
und die für die Beschreibung notwendigen Materialeigenschaften<br />
als Funktion der Zusammensetzung,<br />
Temperatur und Druck quantitativ verstehen. Die meisten<br />
plattentektonischen Prozesse werden nach unserem heutigen<br />
Verständnis von Temperaturausgleichsprozessen<br />
im Erdinneren angetrieben.<br />
Trotz des Alters von mehreren<br />
Milliarden Jahren besitzt unser Planet im<br />
Inneren noch eine gewaltige Wärmemenge<br />
aus seiner Entstehungszeit. Durch die<br />
gravitative Trennung des schweren Erdkerns<br />
vom leichteren Material des Erdmantels<br />
wurden große Wärmemengen<br />
freigesetzt. Die wesentlich höhere Radioaktivität<br />
in der Anfangszeit unseres Planeten<br />
hat zu einer großen Wärmefreisetzung<br />
geführt, die z. T. noch in der Erde<br />
gespeichert ist. Reaktionswärme an der<br />
Kern-Mantel-Grenze und Kristallisationsenthalpie<br />
des wachsenden festen<br />
Erdkerns auf Kosten des flüssigen äußeren<br />
Kerns führen zu einer weiteren Temperaturerhöhung<br />
in der sich langsam<br />
abkühlenden Erde. Der resultierende<br />
große Temperaturgradient wird durch<br />
Wärmetransport ausgeglichen. Der über<br />
tausend Kilometer mächtige „isolierende<br />
Mantel“ führt zu einem Hitzestau an der<br />
Kern-Mantelgrenze.<br />
Es ist heute weitgehend unbestritten, dass<br />
Temperaturausgleichsprozesse für den<br />
Antrieb der Plattentektonik verantwortlich<br />
sind, obwohl die näheren Zusammenhänge<br />
noch nicht vollständig verstanden<br />
sind. Deshalb ist die quantitative<br />
Kenntnis der den Wärmetransporteigenschaften zugrunde<br />
liegenden Prozesse und Mechanismen eine wichtige<br />
Voraussetzung, um die dynamischen Vorgänge unseres<br />
Planeten zu verstehen. Gute und verlässliche Daten als<br />
Funktion der Temperatur und des Druckes sind dabei von<br />
fundamentaler Bedeutung – aber kaum bekannt. In den<br />
gesteinsbildenden Mineralen dominieren Phononen (Gitterschwingungen)<br />
und Photonen (Lichtquanten) den Wärmetransport.<br />
Im Wesentlichen sind die mineralphysikalischen<br />
und theoretischen Untersuchungen bisher auf hochreine<br />
Einkristalle – vor allem Elemente – bei tiefen Temperaturen<br />
beschränkt.<br />
Wärmetransport im Erdmantel<br />
In Zusammenarbeit mit der Universität Montpellier und<br />
dem Humboldt-Preisträger Prof. Tom Shankland (Los Alamos<br />
Ntl. Laboratories, USA) wurden Untersuchungen<br />
zum Wärmetransport des Erdmantels durchgeführt. Ein<br />
besonderes Augenmerk wurde dabei auf den Wärmetransport<br />
über Strahlung gelegt. Dazu wurden an Olivinen und<br />
Olivin-dominierten Gesteinen – Duniten – Messungen<br />
zum Wärmetransport als Funktion der Temperatur und<br />
numerische Berechnungen durchgeführt.<br />
In Abb. 4.45 ist die Änderung der Temperaturleitfähigkeit<br />
zweier Dunite mit der Temperatur dargestellt. Dunite sind<br />
Gesteine des Erdmantels und bestehen im Wesentlichen<br />
aus Olivin. Aus den anisotropen (richtungsabhängigen)<br />
Abb.4.45:Wärmetransport in Duniten (Olivingestein) als Funktion der Temperatur<br />
T. Bei niederen Temperaturen wird das Wärmetransportverhalten<br />
durch Gitterschwingungen (Phononen) dominiert und zeigt sich in einer<br />
Abnahme der Temperaturleitfähigkeit (∝ 1/T). Bei höheren Temperaturen<br />
wird zusätzlich ein radiativer Wärmetransport beobachtet, der zu einer<br />
Zunahme der Temperaturleitfähigkeit mit der Temperatur führt (∝ T 3 ).<br />
Heat transfer in dunites (olivine bearing rocks) as a function of temperature<br />
T. At low temperature heat transfer is dominated by a phonon process,<br />
which results in a decrease of thermal diffusivity with increasing temperature<br />
(∝ 1/T). At higher temperature an additional radiative contribution<br />
increases thermal diffusivity (∝ T 3 ). (Gibert et al., <strong>2005</strong>)<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb.4.46:Mit zunehmender Probenlänge nimmt bei semitransparenten<br />
Proben wie Olivin der radiative Anteil der<br />
Temperaturleitfähigkeit D zu und nähert sich für große<br />
Probenlängen der Temperaturleitfähigkeit D∞. Bezogen<br />
ist die Probenlänge in dieser Abbildung auf die mittlere<br />
freie Weglänge der Photonen, dem reziproken Wert der<br />
mittleren optischen Absorption. (Gibert et al., <strong>2005</strong>)<br />
With increasing sample length the radiative contribution<br />
of thermal diffusivity D increases. For infinite sample<br />
dimensions the value for radiative thermal diffusivity merges<br />
to D∞. In this diagram the sample length is related to<br />
the mean free path length of photons, the reciprocal of<br />
mean optical absorption. (Gibert et al., <strong>2005</strong>)<br />
Wärmetransporteigenschaften von Olivineinkristallen<br />
wurde der Wärmetransport der Dunite berechnet. Bei<br />
Temperaturen unterhalb ca. 700 K (ca. 427 °C) wird das<br />
Wärmetransportverhalten von Phononen – Gitterschwin-<br />
gungen – dominiert, dies wird in der Abnahme der Temperaturleitfähigkeit<br />
sichtbar. Bei höheren Temperaturen<br />
wird eine Zunahme der Temperaturleitfähigkeit beobachtet<br />
die auf einen Wärmetransport über Strahlung hinweist.<br />
Bei Temperaturen oberhalb 1.000 °C (ca. 1.273 K) findet<br />
20 % des Wärmetransports über Strahlung statt. Die<br />
Ergebnisse zeigen, dass bei der Modellierung von Wärmetransportvorgängen<br />
im Erdmantel der Strahlungswärmetransport<br />
berücksichtigt werden muss, da im Erdmantel<br />
Temperaturen oberhalb 1.000 °C erwartet werden.<br />
Angaben über die Werte für den Wärmetransport über<br />
Strahlung unter anderem bei Olivin variieren in der Literatur<br />
gewaltig. Mit unserer Arbeit (Gibert et al., <strong>2005</strong>)<br />
haben wir für Olivin gezeigt, wie der Wärmetransport über<br />
Strahlung von der Probengeometrie abhängt. In Abb. 4.46<br />
ist ein entsprechendes Diagramm dargestellt. Die unterschiedlichen<br />
Literaturangaben lassen sich im Wesentlichen<br />
auf unterschiedliche Probengeometrien zurückführen.<br />
Mit unserem Datensatz können jetzt, für unterschiedliche<br />
Probegrößen, richtungsabhängig und als Funktion<br />
der Temperatur, die Wärmetransporteigenschaften für Olivin<br />
angegeben werden.<br />
Wärmetransport in Karbonaten<br />
Karbonate gehören zu den häufigsten Mineralen der Erdkruste.<br />
Ihre Wärmetransporteigenschaften sind deshalb<br />
Basisdaten unter anderem für die Modellierung von Reservoiren,<br />
die Geothermie oder die Abkühlgeschichte magmatischer<br />
Intrusionen in Raum und Zeit.<br />
Die Wärmetransporteigenschaften verschiedener Karbonate<br />
wurden als Funktion der Temperatur in verschiede-<br />
Abb. 4.47: Wärmetransporteigenschaften von Karbonaten als Funktion der Temperatur. In dieser Abbildung sind<br />
die aus den richtungsabhängig bestimmten und nach Voigt-Reuss-Hill gemittelten Temperaturleitfähigkeiten dargestellt.<br />
Die Abnahme der Temperaturleitfähigkeit kann auf eine Zunahme von Phononen-Phononen-Wechselwirkungen<br />
zurückgeführt werden. Mit zunehmender Masse des Kations nimmt dabei die Temperaturleitfähigkeit ab<br />
(m Mg < m Ca < m Zn).<br />
Thermal transport properties of carbonates as a function of temperature. From the anisotropic determined thermal diffusivities,<br />
the average diffusivity is calculated according to Voigt-Reuss-Hill averaging scheme. The decrease in thermal<br />
diffusivity with increasing temperature is related to the increase of phonon-phonon-interactions. With increasing<br />
mass of the cation the thermal diffusivity decreases (m Mg < m Ca < m Zn).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
331
332<br />
Abb. 4.48: Temperaturleitfähigkeit im System Kalzit Ca[CO 3]-Magnesit Mg[CO 3]. Die Struktur des Dolomits kann als<br />
eine Wechsellagerung von Kalzit- und Magnesitlagen aufgefasst werden. Ähnlich wie bei der elektrischen Leitfähigkeit<br />
kann senkrecht zur Stapelfolge die Temperaturleitfähigkeit als Serienschaltung (arithmetisches Mittel) und in Richtung<br />
der Stapel als Parallelschaltung (geometrisches Mittel) aufgefasst werden. Darüber hinaus wird beobachtet, dass bereits<br />
geringe Mengen Eisen zu einer deutlichen Verringerung des Wärmetransportvermögens führen.<br />
Thermal diffusivity in the pseudobinary system calcite Ca[CO 3]-magnesite Mg[CO 3]. The structure of dolomite can be<br />
treated as a sequence of sheets of calcite and magnesite. Similar to electrical conductivity, the thermal diffusivity can<br />
be treated as a resistors in parallel (arithmetic mean) or in series (geometric mean), if the sheets are oriented parallel<br />
or perpendicular, respectively. Already a small amount of iron leads to a significant reduction in thermal diffusivity.<br />
Abb. 4.49: Die für die geowissenschaftliche Grundlagenforschung entwickelten Apparaturen werden auch für materialwissenschaftliche<br />
Fragestellungen eingesetzt. Ein Ergebnis aus der Kooperation zwischen der TU Clausthal und dem<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam – „Particle Filled Polymers“, B. Weidenfeller, F. R. Schilling, Institute of Polymer Sciences and Plastic<br />
Processes, Univ. of Clausthal Zellerfeld, <strong>GFZ</strong> Potsdam. Links: Faserverstärkter Kunststoff. Rechts: Talk in Kunststoffmatrix.<br />
Experiments designed for basic reasearch are more and more used for applied sciences. Here is one example from the<br />
collaboration on „Particle Filled Polymers“, B. Weidenfeller, Institute of Polymer Sciences and Plastic Processes, Univ.<br />
of Clausthal Zellerfeld, and F. R. Schilling, <strong>GFZ</strong> Potsdam. Left: fibre reinforced plastic, right: talc in a plastic matrix<br />
to systematically vary the physical properties of the composite. (Knowledge based multifunctional material).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
nen Richtungen bestimmt. In Abb. 4.47 sind die Temperaturleitfähigkeiten<br />
für vier verschiedene Karbonate dargestellt.<br />
Es dominiert ein Phononenmechanismus das<br />
Wärmetransportverhalten im angegeben Temperaturbereich.<br />
Durch die Zunahme der Phononen-Phononen-<br />
Wechselwirkungen mit zunehmender Temperatur nimmt<br />
die Temperaturleitfähigkeit ab. Mit zunehmender Masse<br />
des Kations nimmt die Temperaturleitfähigkeit ab, da bei<br />
Mineralen mit größerer Masse die Phononen stärker<br />
gestreut werden.<br />
Die Temperaturleitfähigkeit im pseudobinären System<br />
Kalzit Ca[CO 3]-Magnesit Mg[CO 3] ist in Abb. 4.48 dargestellt.<br />
Die Eigenschaften des Dolomits lassen sich aus<br />
den Eigenschaften der Endglieder Kalzit und Magnesit<br />
ableiten. Dabei können – ähnlich wie bei elektrischen<br />
Widerständen – die Wärmewiderstände in Serie oder Parallel<br />
geschaltet werden. Durch den größeren Streuquerschnitt<br />
für Phononen von Eisen gegenüber Kalzium und<br />
Magnesium, wird durch geringe Eisenverunreinigungen<br />
(ca. 1 %) die Temperaturleitfähigkeit von Dolomit deutlich<br />
reduziert (Abb. 4.48).<br />
Physikalische Eigenschaften von Mineral/Glas-Kunststoff-Werkstoffen<br />
Am <strong>GFZ</strong> Potsdam wurde in den letzten Jahren eine einzigartige<br />
Kombination geomaterialwissenschaftlicher<br />
Experimente entwickelt und aufgebaut. Dadurch ergeben<br />
sich faszinierende Einblicke in die dynamischen Vorgänge<br />
im Inneren unseres erstaunlich aktiven Planeten. Die<br />
bei diesen Untersuchungen gewonnene Expertise wird in<br />
zunehmendem Maße von der Industrie und im Bereich der<br />
angewandten Forschung arbeitenden Einrichtungen national<br />
und international wahrgenommen und für die gezielte<br />
Entwicklung moderner Werkstoffe eingesetzt.<br />
Die physikalischen Eigenschaften von Mineral/Glas-Kunststoff-Werkstoffen<br />
wurde mit den für die Grundlagenforschung<br />
entwickelten Apparaturen bestimmt und mit<br />
Methoden bearbeitet und interpretiert, die für die<br />
Gesteinsphysik entwickelt wurden. Dadurch<br />
können die physikalischen Eigenschaften<br />
dieser „knowledge based multifunctional<br />
materials“ systematisch variiert<br />
werden und das Verhalten der Composites<br />
vorhergesagt werden.<br />
Messungen von Schallgeschwindigkeiten<br />
im Labor mittels Gigahertz-<br />
Ultraschallinterferometrie<br />
Messungen und Interpretationen der<br />
Laufzeiten seismischer Schallwellen sind<br />
die wichtigsten Methoden zur Entschlüsselung<br />
des Aufbaus des Erdinneren. So<br />
deuten z. B. Geschwindigkeitssprünge<br />
der seismischen Wellen von einigen Prozent<br />
auf abrupte Änderungen der Phasen<br />
und/oder des Chemismus in 410 bzw. 660<br />
km Tiefe hin. Es ist jedoch nicht möglich,<br />
allein aus den seismischen Geschwindigkeitsänderungen<br />
auf die chemische Zusammensetzung und die Phasen der<br />
Minerale im Erdmantel zu schließen. Hierfür müssen<br />
zusätzlich Geschwindigkeitsmessungen an Mantel-relevanten<br />
Mineralen im Labor durchgeführt werden. Das Ziel<br />
ist es, einen genügend großen und verlässlichen Datensatz<br />
von longitudinalen und transversalen Schallwellengeschwindigkeiten<br />
V P und V S, elastischen Konstanten C ij<br />
sowie Kompressions- und Schermoduli K s und G bei<br />
erhöhten Druck- und/oder Temperaturbedingungen zu<br />
erhalten. Diese Ergebnisse können dann benutzt werden,<br />
um Geschwindigkeitsprofile von Mineralgemengen wie<br />
sie etwa im oberen Erdmantel (Olivin und Pyroxen), in der<br />
Übergangszone (Spinelle und Granate) und im unteren<br />
Erdmantel (Perovskit und Magnesiumwüstit) vorkommen,<br />
zu modellieren und mit seismischen Daten zu vergleichen.<br />
Eine Methode, Schallwellengeschwindigkeiten zu messen,<br />
ist die Ultraschall-Interferometrie. Hierbei wird die<br />
Laufzeit eines Schallpulses durch eine Probe gemessen<br />
und daraus die Geschwindigkeit der Schallwellen bestimmt.<br />
Diese Methode bietet folgende Vorteile: 1. Es können dunkle<br />
oder opake Proben, die optischen Methoden wie Brillouin-Streuung<br />
nicht zugänglich sind, untersucht werden.<br />
Dies ist ein besonders wichtiger Punkt, da viele Mantelrelevante<br />
Minerale, wie Magnesiumwüstit (Mg,Fe)O oder<br />
Ringwoodit γ(Mg,Fe) 2SiO 4, Eisen in verschiedenen Wertigkeitsstufen<br />
enthalten und deshalb lichtabsorbierend<br />
sind. 2. Wegen der sehr hohen Frequenzen im GHz-<br />
Bereich ist es möglich, kleinste Proben mit einer Dicke<br />
von ca. 40 µm zu untersuchen. 3. Die GHz-Interferometrie<br />
kann in Diamanthochdruckzellen angewendet werden.<br />
Dies bietet uns die Möglichkeit, die elastischen Eigenschaften<br />
von Mineralen als Funktion des Druckes und der<br />
Temperatur zu bestimmen. In Abb. 4.50 ist das Prinzip dieser<br />
Methode schematisch dargestellt.<br />
Ein ca. 1,5 µm dünner Piezo aus ZnO liefert Ultraschallwellen<br />
im GHz-Bereich. Diese Schallwellen durchlaufen<br />
den Übertragungsstab, den Diamanten und treffen dann<br />
Abb. 4.50: Prinzip der Schallgeschwindigkeitsbestimmung in einer Diamantzelle.<br />
Die Überlagerung der an der Vorder- und Rückseite der Probe<br />
reflektierten Schallwellen (mit 1 und 2 gekennzeichnet) ergibt ein Interferenzmuster<br />
aus der die Laufzeit der Schallwellen durch die Probe berechnet<br />
werden kann.<br />
Principle of GHz-interferometry: Superposition of sound waves reflected at<br />
the front and back end of the sample results in an interference pattern from<br />
which the round trip travel-time can be calculated.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
333
334<br />
Abb. 4.51: (a) Interferenzspektrum von Transversalwellen für Gahnit bei 8 GPa. (b) Bestimmung der Laufzeit.<br />
(a) Interference pattern of transversal sound waves for gahnite at 8 GPa. (b) Determination of round trip travel time<br />
for gahnite at 8 GPa.<br />
auf die Probe. Aus der Überlagerung der an der Vorderund<br />
Rückseite der Probe reflektierten Schallwellen ergibt<br />
sich in Interferenzspektrum, aus dem die Laufzeit der<br />
hochfrequenten Wellen in der Probe berechnet werden<br />
kann. In Abb. 4.51a und b sind eine Interferenzkurve und<br />
die daraus berechnete Laufzeit der Schallwellen für Gahnit<br />
bei 8 GPa dargestellt.<br />
Spinelle<br />
Oxide mit Spinellstruktur bilden einen wichtigen Bestandteil<br />
im oberen Erdmantel sowie im unteren Bereich der<br />
Übergangszone (‚γ-Spinell’). Die Kenntnis der Abhängigkeit<br />
der Schallwellengeschwindigkeit von der chemischen<br />
Zusammensetzung bei Spinellen ist somit entscheidend<br />
für das Verständnis des elastischen Verhaltens<br />
des oberen Erdmantels. Messungen an Granaten und Olivinen<br />
(Chen et al., 1996) oder an Magnesiowüstit (Jacobsen<br />
et al., 2002; Reichmann et al., 2000) zeigten eine deut-<br />
liche Abnahme der Geschwindigkeiten mit zunehmendem<br />
Eisenanteil. Es ist nun von besonderem Interesse, wie sich<br />
das Vorhandensein der Übergangselemente wie Eisen und<br />
Zink auf die elastischen Eigenschaften von Mineralen mit<br />
Spinellstruktur auswirkt. Wir haben deshalb die Schallgeschwindigkeiten<br />
der Spinelle Gahnit (ZnAl 2O 4) (Reichmann<br />
and Jacobsen, <strong>2005</strong>) sowie Franklinit (ZnFe 2O 4)<br />
mittels Gigahertz (GHz)-Ultraschallinterferometrie untersucht.<br />
Im Fall von Gahnit sitzt Zink auf der tetraedrischen<br />
Position während Franklinit Zink und Eisen auf dem<br />
tetraedrischen bzw. oktaedrischen Gitterplatz aufweist.<br />
In Abb. 4.52a und b sind die elastischen Einkristallkonstanten<br />
C 11 = ρ (V P [100] ) 2 , C44 = ρ (V S [100] ) 2 und 1/3(C11 + 4C 44<br />
+ 2C 12) = ρ (V P [111] ) 2 von Gahnit und Franklinit erstmalig<br />
als Funktion des Druckes dargestellt. Es sind ρ Dichte und<br />
V P [100] , VP [111] und VS [100] longitudinale Schallwellengeschwindigkeiten<br />
in [100] und [111] sowie die transversale<br />
Geschwindigkeit in [100] Richtung.<br />
Abb. 4.52: Die elastischen Einkristallkonstanten C ij von Gahnit und Franklinit als Funktion des Druckes.<br />
The elastic single crystal constants C ij of gahnite and franklinite as function of pressure.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb.4.53:Scher- und adiabatisches Kompressionsmodul G und K S von Gahnit,<br />
Franklinit und Magnetit als Funktion des Druckes.<br />
Shear and adiabatic bulk modulus G und K S as a function of pressure of gahnite,<br />
franklinte and magnetite.<br />
In den Abbildungen wird deutlich, dass C 44 von Gahnit<br />
eine (geringe) positive Druckabhängigkeit besitzt, während<br />
dC 44/dP von Franklinit negativ ist. Eine ähnlich negative<br />
Steigung von C 44 wurde bei Magnetit festgestellt.<br />
Diese Befunde deuten darauf hin, dass Gahnit bis zu sehr<br />
hohen Drücken keinen Phasenübergang durchläuft, was<br />
experimentell (Levy et al., 2001) bestätigt wurde. Demgegenüber<br />
lässt die negative C 44-Druckabhängigkeit von<br />
Franklinit eine Phasentransformation bei höheren Drücken<br />
vermuten, ähnlich wie bei Magnetit. Auch dies ist<br />
experimentell nachgewiesen worden (Levy et al., 2000).<br />
Die Auswirkungen von Zink bzw. Eisen auf die Druckabhängigkeit<br />
der Scher- und adiabatischen Kompressionsmoduli<br />
(G bzw. K S) sind in Abb. 4.53 dargestellt<br />
(Scher- und Kompressionsmoduli<br />
sind Volumeneigenschaften, hängen<br />
Abb. 4.54: Die seismische Geschwindigkeit<br />
V Φ = (K S/ρ) 1/2 als Funktion der Dichte<br />
für Minerale mit Spinellstruktur. Minerale<br />
mit zwei Übergangselementen auf<br />
den Kationenplätzen zeigen eine deutliche<br />
stärkere Dichteabhängigkeit als solche<br />
mit nur einem oder keinem Übergangselement.<br />
Die gestrichelte Linie ist<br />
ein linearer Fit an die Datenpunkte von<br />
FeCrO 2, Fe 3O 4, ZnCr 2O 4 und ZnFe 2O 4.<br />
Die durchgezogen Linie ist ein linearer<br />
Fit an die übrigen Datenpunkte.<br />
The seismic velocity as a function of density<br />
for spinel structures. Minerals with<br />
two transition elements on the cation sites<br />
exhibit a significant higher density<br />
dependence than those wit only one or no<br />
transition elements. The dashed line is a<br />
linear fit to the data of FeCrO 2, Fe 3O 4,<br />
ZnCr 2O 4 and ZnFe 2O 4. The solid line is a<br />
linear fit to the remaining data.<br />
Birchs Regel<br />
also nicht von der Orientierung der<br />
Kristalle ab).<br />
Das Mineral Gahnit besitzt ein etwa 22 %<br />
größeres Kompressionsmodul K S und ein<br />
ca. 40 % größeres Schermodul G als Franklinit<br />
und Magnetit. Wie in Abb. 4.53<br />
ersichtlich, sind die Steigungen des Kompressionsmoduls<br />
dK S/dP von Gahnit,<br />
Franklinit und Magnetit etwa gleich groß,<br />
während dG/dP von Magnetit und Franklinit<br />
kleiner ist als das von Gahnit. Das<br />
Vorhandensein von 3-d Elementen auf beiden<br />
Kationenplätzen hat einen ungleich<br />
größeren Einfluss auf das Schermodul als<br />
auf das Kompressionsmodul, was Auswirkungen<br />
auf die seismischen Profile des<br />
Erdmantels haben kann. Dies macht<br />
wiederum deutlich, wie wichtig es ist, die<br />
elastischen Eigenschaften von Mineralen,<br />
die Übergangselemente enthalten, als<br />
Funktion des Druckes zu untersuchen.<br />
Birch (1961a, b) schlug vor, dass die seismische<br />
Geschwindigkeit V Φ = (K S/ρ)1/2 (ρ = Dichte) von Mineralen<br />
mit gleicher Struktur eine negative Dichteabhängigkeit<br />
zeigt. In Abb. 4.54 ist für eine Reihe von Mineralen<br />
mit Spinellstruktur V Φ als Funktion der Dichte aufgetragen.<br />
Die Daten zeigen deutlich, dass Spinelle mit keinem<br />
oder nur einem Übergangselement auf dem Kationenplatz<br />
eine negative lineare Dichteabhängigkeit besitzen. Minerale<br />
mit zwei 3-d Elementen jedoch folgen nicht diesem<br />
Trend, sondern zeigen eine deutlich höhere Dichteabhängigkeit.<br />
Dies liegt zum Teil daran, dass die Coulomb-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
335
336<br />
Wechselwirkung bei den Übergangsmetallen eine geringere<br />
Rolle spielt und stattdessen die kovalente Bindung<br />
mehr zum Tragen kommt.<br />
Die Birch-Systematik zeigt, dass die seismische Geschwindigkeit<br />
von Spinellen mit zwei Übergangselementen<br />
auf den Kationenplätzen im Vergleich zu Spinellen mit<br />
keinem oder nur einem Übergangsmetall erheblich überschätzt<br />
wird. Dies unterstreicht wiederum den starken<br />
Effekt, den Übergangselemente auf das elastische Verhalten<br />
von Mineralen haben können.<br />
ICDP-Bohrung SAFOD (San Andreas Fault<br />
Observatory at Depth) – zur Geochemie von<br />
Gasen in seismisch aktiven Störungszonen<br />
Das grundlegende Verständnis der physikalischen und<br />
chemischen Prozesse, welche entlang von Störungszonen<br />
an aktiven Plattengrenzen auftreten und sich z. B. in Erdbeben<br />
äußern, ist immer noch überraschend gering. Für<br />
Untersuchungen dieser Prozesse am Ort ihres Ursprungs<br />
sind Tiefbohrungen unerlässlich. Daher wurden 2002 und<br />
<strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> an dem wohl weltweit bekanntesten aktiven<br />
Verwerfungssystem, der San Andreas Störung (SAF) in<br />
Kalifornien, im Rahmen von ICDP (International Continental<br />
Drilling Program) zwei Bohrungen niedergebracht.<br />
Die 2,2 km tiefe senkrechte Vorbohrung (SAFOD-PH)<br />
sowie die 4,0 km tiefe abgelenkte Hauptbohrung (SAFOD-<br />
MH), welche die Hauptstörung in <strong>2005</strong> durchstieß<br />
(Abb. 4.55).<br />
Während die Vorbohrung unterhalb von 770 m quartärer<br />
und tertiärer Sedimentgesteine bis zur Bohrlochendteufe<br />
von 2.170 m ausschließlich kretazische Granite durchteufte,<br />
traf die Hauptbohrung unterhalb von ca. 1.880 m<br />
Abb. 4.55: Schema der beiden SAFOD Bohrungen (Vorbohrung = PH,<br />
Hauptbohrung = MH), die im Rahmen von ICDP 2002 sowie <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong><br />
nahe der Stadt Parkfield, Kalifornien, abgeteuft wurden.<br />
Sketch of both SAFOD wells (Pilot Hole, Main Hole), drilled in 2002 and<br />
<strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> near the town Parkfield California within the frame of ICDP.<br />
erneut auf Sedimente und verblieb in diesen bis zur Endteufe<br />
von 3.990 m. Nach Beendigung der Bohrmaßnahmen<br />
durchgeführte geophysikalische Untersuchungen in<br />
der Hauptbohrung zeigen Deformationen der Bohrlochverrohrung<br />
bei 3.310 m, dem wahrscheinlichen momentan<br />
aktiven Teil der Hauptstörung. Untersuchungen an den<br />
erbohrten Gesteinen lokalisieren den Übergang von der<br />
Pazifischen Platte (SW der SAF) in die Nordamerikanische<br />
Platte (NÖ der SAF) in einem Bereich zwischen ca.<br />
3.100 m und 3.400 m.<br />
Während der Bohrkampagne erfolgte vor Ort ein ausgedehntes<br />
Bohrlochmessprogramm, die Gewinnung von<br />
Bohrkernen, die Probenahme sowie Dokumentation und<br />
Erstuntersuchung von Bohrklein sowie die Echtzeitanalyse<br />
der Spülungsgase mit anschließenden Isotopenuntersuchungen<br />
an Gasproben im <strong>GFZ</strong> Potsdam. Gase und Fluide<br />
könnten eine Schlüsselrolle für das Verständnis der<br />
Prozesse spielen, die an Verwerfungszonen auftreten. Eine<br />
oftmals ungewöhnliche Zusammensetzung von Gasen<br />
und Fluiden entlang aktiver Störungen sind durch Oberflächenuntersuchungen<br />
weltweit belegt, doch ist deren<br />
Ursprung, ihre Verteilung in der Tiefe und ein möglicher<br />
Zusammenhang mit seismischen Aktivitäten kaum verstanden.<br />
Informationen über die Verteilung der Gase in der Tiefe<br />
sowie deren Herkunft bietet die Analyse der in der Bohrspülung<br />
gelösten Gase. Diese werden aus der zirkulierenden<br />
Spülung extrahiert, in einen Messcontainer gepumpt<br />
und kontinuierlich in Echtzeit analysiert (Abb. 4.56).<br />
Die Echtzeitanalyse der Spülungsgase beim Abteufen der<br />
SAFOD-Bohrungen identifizierte im unteren sedimentären<br />
Bohrlochabschnitt der Hauptbohrung zwei Zonen mit<br />
erhöhten Gasgehalten, in 2.700 bis 2.900<br />
m und unterhalb von 3.550 m Tiefe. Als<br />
gasförmige Hauptbestandteile finden sich<br />
in diesen Abschnitten Kohlenwasserstoffe,<br />
H 2 und CO 2, gleichzeitig tritt dort<br />
erhöhte 222 Rn-Aktivität auf. Die Heliumgehalte<br />
sind dagegen vergleichsweise<br />
niedrig. Eine solche Gaszusammensetzung<br />
ist in Sedimenten generell nicht<br />
ungewöhnlich. Die Gase treten als zirkulierende<br />
Tiefenfluide durch permeables<br />
Gestein in das Bohrloch ein, wie es die<br />
erhöhte Radonaktivität in diesen Abschnitten<br />
belegt (Abb. 4.57).<br />
Beide Zonen weisen jedoch eine unterschiedliche<br />
Zusammensetzung der Gase<br />
auf. Die obere Zone hat relativ höhere<br />
Gehalte an H 2, während der untere<br />
Abschnitt an CO 2 und Kohlenwasserstoffen<br />
angereichert ist. Untersuchungen zur<br />
Isotopenzusammensetzung des Heliums<br />
zeigen weiterhin für beide Zonen nur<br />
einen geringen Anteil von Helium mit<br />
„Mantelursprung“. Bis zu einer Tiefe von<br />
~ 3.200 m beträgt der Anteil von Mantel-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.56: Aufbau des Experiments zur Untersuchung der Spülungsgase in Echtzeit.<br />
Setup of the real-time mud gas monitoring experiment.<br />
helium weniger als 5 %, während er unterhalb von ~ 3.420<br />
m auf ~ 10 % anwächst. Der unterschiedliche Anteil an<br />
Helium mit Mantelursprung demonstriert, dass die verschiedene<br />
Gaszusammensetzung in beiden Hauptzutrittszonen<br />
nicht nur auf lithologische Bedingungen zurückzuführen<br />
ist. Die San Andreas Störung fungiert daher zumindest<br />
partiell als Barriere für horizontale Fluidmigration.<br />
Der allgemein geringe Anteil an Mantelhelium zeigt an,<br />
dass der vertikale Aufstieg von Fluiden und Gasen aus großer<br />
Tiefe innerhalb der aktiven Störungszone eher untergeordnet<br />
ist. Im Gegensatz dazu weisen zwei nahegelegene<br />
Öl- bzw. Wasser-Bohrungen deutlich höhere Anteile an<br />
Mantelhelium von bis zu 25 % auf.<br />
Die Radonaktivität in Bereich von ca. 3.100 m bis ca.<br />
3.550 m Tiefe ist gering und liefert somit ebenfalls keinen<br />
deutlichen Hinweis auf eine aktive Fluidzirkulation. Auch<br />
die übrigen Gase treten nur in kleinen Konzentrationen<br />
auf, so dass allgemein die Durchlässigkeit der Gesteine<br />
für Gase und Fluide in diesem Abschnitt als gering angesehen<br />
wird. Erhöhte Gaskonzentrationen finden sich lediglich<br />
zwischen 3.150 m bis 3.200 m sowie in unmittelbarer<br />
Nähe der SAF in 3.340 m Tiefe. Diese Gasansammlungen<br />
bestehen fast ausschließlich aus Kohlenwasserstoffen,<br />
im oberen Abschnitt enthält das Gas zusätzlich<br />
auch CO 2. In diesen Bohrlochabschnitt wurden karbonathaltige<br />
Gesteine durchteuft, so dass CO 2 möglicherweise<br />
durch den Bohrprozess freigesetzt wurde. Die in<br />
unmittelbarer Nachbarschaft der SAF gefundenen Gas-<br />
ansammlungen, befindet sich in einer relativ porösen<br />
Sandsteinlage, umgeben von gering durchlässigen, tonigen<br />
Lagen. Diese sind zum Teil reich an organischem<br />
Material, welches generell als Quelle der Kohlenwasserstoffe<br />
anzusehen ist. Es handelt sich also vermutlich eher<br />
um eine lithologisch bedingte Gasakkumulation, welche<br />
in keinem direkten Zusammenhang zur SAF steht.<br />
In der überwiegend sedimentären Zone der Hauptbohrung<br />
(von 1.900 m bis 3.995 m) überraschten die ungewöhnlich<br />
hohen Wasserstoffgehalte von bis zu 6 vol.%, die zum<br />
allergrößten Teil natürlichen Ursprungs sein müssen. Es<br />
gibt ältere Beobachtungen, dass in der Bodenluft oberhalb<br />
von aktiven Störungszonen erhöhte Wasserstoffgehalte<br />
auftreten können. Es scheint möglich, dass der Wasserstoff<br />
durch thermisch-chemische Zersetzung von Wasser<br />
an bei Scherprozessen neu gebildeten Mineraloberflächen<br />
(insbesondere Quarz) produziert werden kann. Entsprechende<br />
Laborversuche um diesen Prozess zu überprüfen<br />
sind geplant.<br />
Recycling versus Neubildung von Kruste am aktiven<br />
Kontinentalrand der Zentralen Anden (18 bis<br />
40° S) – isotopengeochemische Indikatoren<br />
Entstehung, Wachstum und stoffliche Differenzierung der<br />
Kontinente aus dem vorgegebenen Stoffbestand des oberen<br />
Erdmantels ist ein zentrales Thema geologischer und<br />
geochemischer Forschung. Speziell die unterschiedlichen<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
337
338<br />
Abb. 4.57: Tiefenverteilung der am häufigsten auftretenden nichtatmosphärischen Gase (CO 2, H 2, CH 4) sowie die 222 Rn-<br />
Aktivität an der SAFOD-Hauptbohrung.<br />
Gas distribution vs. depth of the most abundant non-atmospheric gases (CO 2, H 2, CH 4) and 222 Rn activity at the SAFOD-<br />
Main Hole.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Signaturen radiogener Isotope, v. a. von Nd, Sr und Pb, in<br />
Mantel und kontinentaler Kruste, ermöglichen eine Unterscheidung<br />
zwischen „juvenilem“ Krustenmaterial, das aus<br />
Mantelschmelzen neu gebildet wird und Krustenmaterial,<br />
welches aus der Aufarbeitung älterer Kruste entsteht.<br />
Subduktion und Magmenbildung an aktiven Kontinentalrändern<br />
werden als wichtige geodynamische Prozesse<br />
angesehen, bei denen juvenile kontinentale Kruste gebildet<br />
wird. Die zentralen Anden gelten als Paradebeispiel<br />
eines aktiven Kontinentalrands und dort entstand das<br />
zweitgrößte kontinentale Plateau nach Tibet. Jedoch zeigen<br />
unsere umfangreichen Studien zum Krustenaufbau in<br />
den zentralen Anden, dass Neubildung kontinentaler<br />
Kruste seit über einer Milliarde Jahre eine sehr untergeordnete<br />
Rolle gespielt hat (Lucassen et al, <strong>2004</strong>; <strong>2005</strong>).<br />
Die zentralen Anden erlebten seit dem späten Proterozoikum<br />
sehr lange Phasen von subduktionsinduziertem<br />
Magmatismus (Abb. 4.58). Während des Altpaläozoikums<br />
(~ 560 bis 440 Ma) bildete sich dort ein Orogen vom Kordillerentyp<br />
– dem heutigen Andenorogen ähnlich – mit<br />
bedeutender Verdickung der kontinentalen Kruste und<br />
großräumiger Aufschmelzung mittlerer Krustenbereiche.<br />
Letztere wird durch die weite Verbreitung von felsischen<br />
Migmatiten in tiefen Krustenanschnitten (~ 15 bis 20 km)<br />
und Granitintrusionen in den flacheren Anschnitten<br />
des exhumierten Orogens dokumentiert (Lucassen und<br />
Franz, <strong>2005</strong>). Das gegenwärtige, im wesentlichem miozäne<br />
(~ 20 Ma) bis rezente Andenorogen, mit der Ausbildung<br />
des Hochplateaus im Bereich der noch aktiven Vulkanzone<br />
(CVZ, Abb. 4.58), zeigt eine ähnliche thermische<br />
Struktur der Kruste. Aus geophysikalischen Daten und der<br />
chemischen und isotopischen Zusammensetzung felsischer<br />
Ignimbrite (Lindsay et al, 2001; Babeyko et al,<br />
2002), lässt sich eine weiträumige Aufschmelzung mittlerer<br />
Krustenbereiche ableiten. Der Magmatismus in<br />
beiden Orogenen ist in seiner Zusammensetzung<br />
gemischt, mit wenig juvenilem Material und hohen Anteilen<br />
von ~ 2 Milliarden Jahre alter proterozoischer Kruste<br />
(Abb. 4.59), welche zum Teil schon im Altpaläozoikum<br />
aufgearbeitet wurde (Abb. Anden 4.59 und Abb. 4.60).<br />
Bedeutende Volumen juveniler magmatischer Gesteine<br />
sind nur aus dem jurassisch bis kretazischen Magmenbogen<br />
und der känozoischen südlichen Vulkanzone (SVZ;<br />
Abb. 4.58) bekannt. Den Rahmen der mesozoischen bis<br />
rezenten Magmenbögen bildet früh- bis spätpaläozoisches<br />
Basement (Abb. 4.58), welches aber keinen oder nur geringen<br />
Einfluss auf die Zusammensetzung der magmatischen<br />
Gesteine hat (Abb. 4.60). Die juvenilen mesozoischen bis<br />
rezenten Gesteine repräsentieren die Zusammensetzung<br />
eines verarmten „sub-arc“ Mantels (Lucassen et al, 2002),<br />
die über eine große Nord-Süd-Erstreckung und über einen<br />
beachtlichen Zeitraum (~ 200 Ma) einheitlich erscheint<br />
(Abb. 4.60).<br />
Die Dominanz von Recycling, Aufarbeitung vorhandener<br />
Kruste oder stabiler Neubildung von juveniler Kruste<br />
hängt von den jeweiligen tektonischen Rahmenbedingungen<br />
ab. Kompression und Krustenverdickung im magmatischen<br />
Bogen, wie im Altpaläozoikum und Känozoikum<br />
Abb. 4.58: Karte des westlichen Südamerika zwischen<br />
~ 16 bis 40° S mit der Position der Magmenbögen in Jura<br />
und Kreide (grüne Signatur) sowie rezent (gelbe Signatur).<br />
Gegenwärtig aktiv ist die Central Volcanic Zone (CVZ) und<br />
die Southern Volcanic Zone (SVZ). Zwischen der CVZ und<br />
SVZ gibt es zurzeit keine magmatische Aktivität. Die Südgrenze<br />
der CVZ entspricht der südlichen Ausdehnung des<br />
känozoischen Hochplateaus. Die Schraffur zeigt die ungefähre<br />
Verbreitung von paläozoischem Basement an, dass<br />
durch die (Alt)Paläozoische Orogenese geprägt wurde; der<br />
Übergang zum Brasilianischen Schild im Osten (gestrichelte<br />
Linie) ist nicht genau bekannt.<br />
Map of western South America (~ 16° bis 40° S) showing<br />
the locations of the Jurassic and Cretaceous magmatic arc<br />
(green) and the presently active magmatic arc (yellow; CVZ<br />
= Central Volcanic Zone; SVZ = Southern Volcanic Zone).<br />
There is presently no magmatic activity between CVZ and<br />
SVZ. The southern end of the CVZ coincides with the southern<br />
extension of the Cenozoic high plateau. The hatched<br />
area indicates the approximate distribution of Palaeozoic<br />
basement and remnants of the Palaeozoic orogeny. The<br />
transition between the Palaeozoic basement and the Brazilian<br />
Shield (bold, stippled line) is tentatively drawn.<br />
der zentralen Anden, fördern die Hybridisierung von<br />
Schmelzen aus dem Mantel innerhalb der Kruste bzw. die<br />
Entstehung von Krustenschmelzen. Basaltisches Material<br />
aus dem Mantel wird an der Basis der verdickten Kruste<br />
angelagert, als dichter mafischer Eklogit delaminiert<br />
und in den Mantel zurückgeführt. Vulkanische Gesteine<br />
an der Oberfläche sind starker Abtragung ausgesetzt, verursacht<br />
durch den großen topographischen Gradienten in<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
339
340<br />
Abb. 4.59: Nd-Isotopen-Modellalter (TDM in Ga) von Gesteinen der kontinentalen Kruste zeigen das Alter der Extraktion<br />
der krustenbildenden Mantelschmelzen an, bezogen auf die zeitliche Entwicklung der Nd-Isotopie in der Mantelquelle.<br />
Die paläozoischen metamorphen, magmatischen und sedimentären Gesteine (18 bis 40° S) und känozoische<br />
Ignimbrite aus der CVZ zeigen Nd-Modellalter mit einem Maximum zwischen 1,7 und 2 Ga, einer Periode bedeutenden<br />
Wachstums kontinentaler Kruste. Die U-Pb-Alter von Zirkonen aus einen spätkänozoischem Ignimbrit der CVZ<br />
sind ein Beispiel für ererbte, in diesem Fall neoproterozoische Alter. Offensichtlich ist die proterozoische Kruste bedeutender<br />
Materiallieferant für nachfolgende magmatische und sedimentäre Prozesse im altpaläozoischen sowie im känozoischen<br />
Orogen.<br />
Nd model ages (TDM in Ga) indicate the separation of continental crust-forming melts from their mantle source, referring<br />
to the Nd isotopic evolution of the mantle. Many Palaeozoic metamorphic, magmatic, and sedimentary rocks (18°<br />
bis 40° S) and Cenozoic ignimbrite from the CVZ show Nd model ages between 1.7 to 2 Ga, which coincides with the<br />
ages of important growth of the continents. The U-Pb ages on zircon are an example for inherited ages, in this case a<br />
Neoproterozoic age, in late Cenozoic ignimbrite of the CVZ. Proterozoic crust is recycled in magmatic and sedimentary<br />
processes in the early Palaeozoic as well as the Cenozoic orogens.)<br />
einem Gebirge, das heißt, ein großer Teil der im sub-arc<br />
Mantel produzierten Schmelzen trägt nicht zur Krustenbildung<br />
bei. Im Gegensatz dazu fördert Extension und<br />
Transpression im magmatischen Bogen, wie in Jura und<br />
Unterkreide in den zentralen und südlichen Anden vorherrschend,<br />
das Eindringen mantel-derivater Schmelzen<br />
in die Kruste. Hier differenzieren sie als Batholite oder<br />
werden als Vulkanite in extensionalen Becken abgelagert,<br />
das heißt, die Schmelzen tragen zur Krustenneubildung<br />
bei.<br />
Die Wechselbeziehung magmatischer Prozesse<br />
und Riftentwicklung an passiven Kontinenträndern:<br />
Das Fallbeispiel Namibia (Südatlantik)<br />
Die Öffnung des Südatlantiks steht im Zusammenhang mit<br />
dem Aufbrechen des Superkontinents Gondwana und wird<br />
begleitet von sehr intensivem, syntektonischem Magmatismus,<br />
was zur Hypothese des „aktiven Rifting“ geführt<br />
hat. Diese Hypothese sieht die Krustendehnung und den<br />
Aufbruch als dynamische Folge aufsteigender Magmen<br />
aus dem tiefen Erdmantel an. Alternativ erklärt das Modell<br />
des „passiven Riftings“ die Ursache des Aufbrechens von<br />
Kontinenten genau gegensätzlich: Dehnung und Extension<br />
der Kruste führen zur Schmelzbildung im oberen<br />
Mantel durch Druckentlastung. Die Wechselbeziehung<br />
zwischen Magmatismus und Tektonik ist für das Verständnis<br />
der Plattentektonik und des Stoffaustauschs zwi-<br />
schen Erdmantel und Kruste von großer Bedeutung. Sie<br />
hat aber auch ganz entscheidende Konsequenzen für die<br />
thermische Entwicklung neuer Kontinentränder und damit<br />
auch für deren Kohlenwasserstoffpotential. Magmatische<br />
Gangschwärme können Schlüsselinformationen geben<br />
über die Dehnungsrichtung und das Alter krustaler Bruchstrukturen<br />
sowie über den Stoffbestand, die Herkunft und<br />
Bildungsbedingungen der intrudierten Magmen.<br />
In einem gemeinsamen Projekt untersucht das <strong>GFZ</strong> (Sektionen<br />
4.2 und 1.4) zusammen mit dem Geological Survey<br />
von Namibia den „Henties Bay-Outjo Gangschwarm“<br />
(HOD) in Namibia, einen der größten Gangschwärme an<br />
den Kontinenträndern des Südatlantiks (Abb. 4.61). Erst<br />
durch den Einsatz von hochauflösenden Aeromagnetikund<br />
Satellitendaten war es möglich, den HOD-Gangschwarm<br />
im Detail zu kartieren, auch unter einer Abdeckung<br />
von Wüstensand und Vegetation (Abb. 4.62). Für<br />
die fernerkundlichen Arbeiten wurden Daten von Landsat<br />
TM 7 (ETM+) verwendet, die eine räumliche Auflösung<br />
im panchromatischen Kanal von 15 m x 15 m liefern.<br />
Die Bodenauflösung der Aeromagnetikdaten beträgt<br />
ca. 50 m x 50 m. In einem Gebiet von über 100.000 km 2<br />
wurden Richtung, Dichte (Anzahl pro Flächeneinheit)<br />
sowie Länge der magmatischen Gänge erfasst und einer<br />
statistischen Analyse unterworfen (Hahne, <strong>2004</strong>). Die<br />
Auswertung dieser Daten deutet darauf hin, dass im gesamten<br />
Gebiet des HOD ein Spannungszustand der Krus-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.60: Nd (epsilon Nd)- und Sr-Isotopenzusammensetzung<br />
von Gesteinen des<br />
verarmten Mantels (rotes Feld) und typischer<br />
Gesteine der kontinentalen Kruste<br />
(blaues Feld). Das paläozoische Basement<br />
repräsentiert die regionale Krustenzusammensetzung<br />
in den Anden. Die<br />
känozoischen CVZ Andesite sind hybride<br />
Gesteine (Mischungen von verarmtem<br />
Mantel und kontinentaler Kruste. Die<br />
Zusammensetzung der CVZ Ignimbrite<br />
zeigt einen hohen Anteil an proterozoischer<br />
überprägter kontinentalen Kruste.<br />
Dagegen sind die Gesteine des jurassischunterkretazischen<br />
Magmenbogens und<br />
die der känozoische SVZ (rotes Feld) nicht<br />
oder nur schwach durch die kontinentale<br />
Kruste beeinflusst. Sie stellen juvenile<br />
Hinzufügungen zur lokalen Kruste dar.<br />
Nd (in epsilon notation) and Sr isotopic composition of rocks from a depleted mantle (red field) and typical rocks from<br />
the continental crust (blue field). The composition of the Andean crust is represented by the Palaeozoic basement. The<br />
Cenozoic CVZ and sites show a hybrid composition of mixtures between melts from the depleted mantle and the regional<br />
continental crust. The compositions of the CVZ ignimbrite indicate a high proportion of Proterozoic continental<br />
crust in these rocks. The Jurassic to lower Cretaceous magmatic rocks and the Cenozoic SVZ igneous rocks (red field)<br />
are from a depleted sub-arc mantle source. They represent juvenile additions to the local crust.)<br />
te mit Dehnungskomponenten sowohl in SW-NO- als auch<br />
NW-SO-Richtung geherrscht hat. Allerdings änderte sich<br />
das Spannungsfeld vom küstennahen zum küstenfernen<br />
Bereich des Gebietes. Küstennah dominierte dank der Vorzeichnung<br />
des neoproterozoischen Damara-Faltengürtels<br />
die Nordwest-Südost-Richtung (Abb. 4.63). Die Anzahl<br />
und Mächtigkeit der Gänge in diesem Bereich deuten auf<br />
einen Spreizungsbetrag von bis zu drei Prozent hin. Im<br />
Bereich fern der Küste hemmte der Angola Kraton das<br />
weitere Fortschreiten des Riftings, die Anzahl der Gänge<br />
nimmt ab und die Richtungsverteilung wird diffus.<br />
Geochemische Untersuchungen weisen die Gänge des<br />
HOD als überwiegend tholeiitische Basalte aus. Es wurden<br />
übereinstimmende Charakteristika in der Spurenelementverteilung<br />
der HOD-Gänge und der low-Ti Serie der<br />
Etendenka-Paraná-Flutbasalte nachgewiesen. Dadurch<br />
und durch radiometrische Altersbestimmung wird die<br />
Hypothese bestätigt, dass der HOD-Gangschwarm die<br />
Förderkanäle für ein inzwischen erodiertes Flutbasaltplateau<br />
darstellt (Trumbull et al, <strong>2004</strong>). Aus Apatit-Spaltspurdaten<br />
wird eine ehemalige Mächtigkeit dieses Basaltplateaus<br />
von bis zu 4.000 m im Küstenbereich modelliert,<br />
die nach Osten ins Landesinnere abnimmt.<br />
Die Ergebnisse dieser Studien sprechen<br />
für die Magmenbildung und Krustenextension<br />
in NW-Namibia und gegen das<br />
Abb. 4.61: Die regionale Karte zeigt Afrika<br />
und Südamerika vor der Öffnung des<br />
Südatlantiks mit der Lage der Kratone<br />
(rot) und Faltengürtel (grau) auf den Kontinenten<br />
sowie der heutigen Verbreitung<br />
der Paraná- und Etendeka-Flutbasalte<br />
(lila). Der HOD Gangschwarm ist einer<br />
der größten Gangschwärme an den Kontinenträndern<br />
des Südatlantik.<br />
A map of Africa and South America before<br />
opening of the South Atlantic about 130<br />
My ago, showing the division of the continents<br />
into cratons (red) and fold belts<br />
(grey) and the present extent of Paraná-<br />
Etendeka flood basalts (purple). The<br />
HOD swarm is one of the largest along<br />
the margins of the South Atlantic.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
341
342<br />
Abb. 4.62: Ein Teil der Basaltgänge des HOD in vergleichenden Abbildungen der Aeromagnetik- (links) und Satellitendaten<br />
(rechts). Gänge sind wegen Sandbedeckung auf dem Satellitenbild (ETM+, Kanäle 7, 4 & 1 (RGB)) nur teilweise<br />
sichtbar. Auf dem Aeromagnetikbild treten auch die nicht an der Oberfläche exponierten Bereiche der Gänge<br />
deutlich hervor. Damit wird auch das jüngere Relativalter der NO-streichenden gegenüber den NW-streichenden Gängen<br />
sichtbar.<br />
Comparison of aeromagnetic (left) and satellite images (right) of basaltic dikes in a part of the HOD. The dikes are<br />
only partly visible in the satellite image whereas the aeromagnetic map reveals many more.<br />
Abb. 4.63: Beispiel eines Basaltganges der HOD im Gelände. Aus der Richtung<br />
des Ganges können größte (σ1) und kleinste (σ3) Hauptnormalenspannung<br />
abgeleitet werden. Die Spreizung eines Ganges erfolgt parallel zu<br />
σ3, die horizontale Ausbreitung (Längsachse) parallel zu σ1, hier NO-SW<br />
(Foto: <strong>GFZ</strong> Hahne).<br />
Example of a basaltic dike in the field. The orientation of dikes permits identification<br />
of the maximum (σ1) and minimum (σ3) normal stress components.<br />
Dilation of a dike is parallel to (σ3) and the propagation direction<br />
(long axis) is parallel to (σ), in this case NE-SW.<br />
Modell „passives Rifting“. Der aus der Gangdichte abgeleitete<br />
Spreizungsbetrag von < 5 % ist zu gering um einen<br />
Schmelzprozess im oberen Mantel durch Druckentlastung<br />
auszulösen, und die unterschiedliche Verteilung der Gangrichtungen<br />
spricht gegen eine Steuerung durch vorge-<br />
zeichnete Bruchstrukturen in der Kruste.<br />
Argumente für das Modell „aktives Rifting“<br />
sind die sehr großen Mengen geförderter<br />
Magmen sowie geochemische Hinweise<br />
auf eine tiefe Mantelquelle für die<br />
Ringkomplexe im Bereich des HOD<br />
(Trumbull et al, 2003).<br />
Der Glückstadtgraben – ein wichtiges<br />
Strukturelement im Zentraleuropäischen<br />
Becken<br />
Das Zentraleuropäische Beckensystem<br />
wurde in den letzten 100 Jahren insbesondere<br />
durch die Erdöl- und Erdgasindustrie<br />
intensiv erkundet. Es umfasst<br />
neben Norddeutschland Teile der Niederlande,<br />
die Nordsee, das Dänische und Polnische<br />
Becken (Abb. 4.64).<br />
Seit nahezu vier Jahren wird die wissenschaftliche<br />
Untersuchung dieses Raums<br />
durch die DFG im Rahmen des Schwerpunktprogramms<br />
1135 „Sedimentbeckendynamik“<br />
gefördert, das gleichzeitig in<br />
das Förderprogramm „GEOTECHNO-<br />
LOGIEN“ eingebunden ist. Eine ganz<br />
wesentliche Grundlage dafür war die<br />
Bereitschaft der Erdöl- und Erdgasindustrie, über ihre<br />
wissenschaftliche Koordinationsstelle, die DGMK, geologische<br />
und geophysikalische Daten zur wissenschaftlichen<br />
Bearbeitung freizugeben, z. B. Bohrdaten und<br />
seismische Linien.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Das Zentraleuropäische Beckensystem entstand an der<br />
Wende Karbon/Perm vor ca. 280 Mio. Jahren. Seit dieser<br />
Zeit hat sich der Raum immer wieder abgesenkt, so dass<br />
sich bis heute z. T. mehr als 10 km Sedimentfüllung angesammelt<br />
hat, die die gesamte geologische Geschichte in<br />
vielen Details widerspiegelt. Dabei haben in der langen<br />
Geschichte ganz unterschiedliche Prozesse auf den Raum<br />
eingewirkt. So kam es in Teilräumen wiederholt zur erneuten<br />
Dehnung, während andere Teilräume oder Zeiten<br />
durch Einengung, d. h. Inversion, gekennzeichnet waren.<br />
Insofern stellt das Zentraleuropäische Beckensystem eine<br />
der komplexesten Beckenstrukturen dar, die wir kennen.<br />
Insbesondere während der späten Trias, vor etwas mehr<br />
als 200 Mio. Jahren, erfuhr das Gebiet eine erneute Dehnung,<br />
wobei eine Reihe von lokalisierten Dehnungsstrukturen,<br />
Gräben, zwischen Nordsee und Ostdeutschland entstanden.<br />
Abb. 4.64 zeigt die Sedimentmächtigkeiten der<br />
Trias, die weitgehend der ursprünglichen Ausbreitung des<br />
Beckensystems entspricht, zusammen mit den lokal neu<br />
entstandenen, relativ kleinen Grabenstrukturen sowie<br />
Strukturen, die durch Mobilisation permischen Salzes entstanden.<br />
Die Mobilisierung dieses z. T. mehrere tausend<br />
Meter mächtigen permischen Salzes erfolgte zu unterschiedlichen<br />
Zeiten, wobei die mehr oder weniger N-S<br />
ausgerichteten Strukturen parallel der Gräben der Trias<br />
zuzuordnen sind, während die am Südrand mehr O-W ausgerichteten<br />
Strukturen zu einer wesentlich späteren Inversionsphase<br />
des Beckens gehören.<br />
Von den verschiedenen triassischen Grabenstrukturen<br />
wurde insbesondere der Glückstadtgraben in Schleswig-<br />
Holstein untersucht. Hier treten die größten Absenkungsbeträge<br />
und damit Sedimentmächtigkeiten auf und außerdem<br />
lagen hier die besten von der Industrie und der BGR<br />
zur Verfügung gestellten Daten vor. Auf der Grundlage<br />
dieser Daten wurde ein dreidimensionales Modell zur<br />
Geschichte dieses Raums entwickelt, das von der Trias bis<br />
in die jüngste Zeit reicht. Abb. 4.65 zeigt einige Zeitschnitte<br />
aus dieser Entwicklungsgeschichte. In der obersten<br />
Trias (Keuper) kommt es zu einer sehr schnellen<br />
Absenkung des zentralen Glückstadtgrabens, wobei die<br />
Mobilisierung des Salzes eine zentrale Rolle spielt. Es<br />
spricht sehr viel dafür, dass die aufsteigenden Salzstöcke<br />
sogar die Oberfläche durchbrachen und dass das austretende<br />
Salz in den Keupersedimenten neu abgelagert<br />
wurde. Dies zeigt sich in Abb. 4.65 daran, dass das<br />
ursprünglich gleichmäßig verteilte Salz sich in Salzwällen<br />
anreichert, während es aus den dazwischen liegenden<br />
Bereichen praktisch vollständig verschwindet.<br />
Interessanter als diese durchaus spektakuläre initiale<br />
Phase ist jedoch die weitere Entwicklung, nachdem die<br />
Anfangsdehnung abgeklungen ist. Die Salzbewegungen<br />
breiten sich nach Osten und Westen im Lauf der Zeit immer<br />
weiter aus und werden dabei wiederholt durch tektonische<br />
Ereignisse, die im Gesamtrahmen des Beckens ablaufen,<br />
beschleunigt. Insgesamt zeichnet sich jedoch ab, dass die<br />
vor mehr als 200 Mio. Jahren entstandene initiale Störung<br />
Abb. 4.64: Der triassische Subsidenzraum des Zentraleuropäischen Beckens mit zugehörigen kleineren Grabenstrukturen<br />
und den heute vorhandenen Salzstrukturen.<br />
The Triassic subsidence centre of the Central European Basin System including local Graben structures and present<br />
day salt structures. After Van Horn, 1987; Ziegler, 1990; Britze and Japsen, 1991; Vejbaek and Britze, 1994; Lockhorst<br />
et al., 1998; Pharaoh, 1999; Baldschuhn et al., 2001; Bayer et al., 1999, 2002; Evans et al., 2003; Scheck et al., 2003;<br />
Dadlez, 2003; Sliaupa, <strong>2004</strong>; Lamarche and Scheck-Wenderoth, <strong>2005</strong>.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
343
344<br />
sich noch heute auswirkt und sich die Salzbewegung vom<br />
initialen Subsidenzraum in die Nachbarräume ausbreitet.<br />
Tatsächlich ist bekannt, dass z. B. ein Salzstock bei Bad<br />
Segeberg aktuell mit ca. 2 mm pro Jahr aufsteigt.<br />
Der Glückstadtgraben erweist sich als ein Musterbeispiel<br />
oder „natürliches Labor“, an dem der Einfluss einer ererbten<br />
alten Struktur die weitere Entwicklung über lange Zeit<br />
beeinflusst oder sogar maßgeblich bestimmt. Dies betrifft<br />
in erster Linie die Initialisierung und wiederholte Reaktivierung<br />
von Salzbewegungen und damit zusammenhängende<br />
Prozesse wie Änderungen des Reliefs und Grundwasserversalzung,<br />
die noch heute wirksam sind. Hier bie-<br />
tet sich auch für weitere Untersuchungen ein spannender<br />
Bezug zwischen klassischer Geologie und aktuogeologischen<br />
Prozessen.<br />
Die Diagenese triassischer Speichergesteine im<br />
Zentralgraben Nordsee<br />
Im Rahmen des SPP-Projekts „Organische und anorganische<br />
Prozesse und Wechselwirkungen in den Überdruckbereichen<br />
sedimentärer Becken am Beispiel des Zentralgrabens<br />
der Nordsee“ wurden in fünf Bohrungen Reservoirgesteine<br />
untersucht, die bis etwa 4.800 m Tiefe versenkt<br />
wurden. Dabei handelt es sich um triassische Spei-<br />
Abb. 4.65: Zeitliche Entwicklung der Salzmächtigkeit im Glückstadt Graben von der Trias (a) bis heute (b). In den weiß<br />
dargestellten Bereichen ist das Salz vollständig abgewandert. Ausgehend vom ursprünglichen Graben breitete sich dieser<br />
Bereich zunehmend lateral aus, ein Prozess der auch heute noch anhält (Maystrenko, <strong>2005</strong>, Maystrenko et al. <strong>2005</strong>,<br />
in press).<br />
Temporal evolution of salt structures in the Glückstadt area from the Triassic (a) to present (b). In the white areas salt<br />
is almost totally depleted. Starting from the central Graben area, salt movements proceed laterally, a process which<br />
still continues (Maystrenko, <strong>2005</strong>, Maystrenko et al. <strong>2005</strong>, in press).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
chergesteine der Skagerrak-Formation aus dem Zentralgraben<br />
der Nordsee, die aus einer Wechsellagerung von<br />
fluvialen Rinnensanden mit tonigen Schwemmebenensedimenten<br />
im Meterbereich aufgebaut sind. Die Untersuchung<br />
der Sandsteinproben erfolgte mit petrographischen<br />
Methoden, die durch geochemische Untersuchungen<br />
ergänzt wurden. Neben optischer Mikroskopie kamen<br />
Rasterelektronen-Mikroskopie, Elektronenstrahl-Mikrosondenanalytik,<br />
Kathodolumineszenz-Mikroskopie und<br />
Röntgendiffraktometrie zum Einsatz. Die Sandsteine bestehen<br />
überwiegend aus Quarzkomponenten mit wechselnden<br />
Anteilen an Feldspäten und Lithoklasten (Abb. 4.67).<br />
Die untersuchten Explorationsbohrungen wurden in der<br />
Regel auf strukturellen Hochlagen abgeteuft, die erwarten<br />
lassen, dass während der Versenkung der Sedimente<br />
Kohlenwasserstoffe aus den Muttergesteinen in die Speicher<br />
migriert sind.<br />
Wichtige frühdiagenetische Prozesse in den terrestrischen<br />
Ablagerungen der Trias sind die Bildung dünner Tonmineralüberzüge<br />
auf den Oberflächen der Körner und die<br />
Ausfällung von Eisenhydroxiden/Eisenoxiden, ebenfalls<br />
vorwiegend an Kornoberflächen. Im Porenraum der Sandsteine<br />
wurden teilweise eodiagenetische Karbonate und/<br />
oder Sulfate, untergeordnet auch Quarz- und Feldspatzemente<br />
ausgefällt. Mit Abschluss der Gesteine von Einflüssen<br />
durch Oberflächenwässer beginnt die mesodiagenetische<br />
Entwicklung. In den Sandsteinen ist die Mesodiagenese<br />
durch die Lösung von K-Feldspat und/oder frühdiagenetischem<br />
Karbonatzement sowie die Zementation<br />
durch Quarz bestimmt. Untergeordnet wird Albit neu<br />
gebildet. Die Lösung von Feldspat (Abb. 4.68) ist offensichtlich.<br />
Auch wenn texturelle Kriterien zur Bewertung<br />
von Lösungsprozessen nicht immer eindeutig sind, gibt es<br />
doch Hinweise darauf, dass Minerallösung durch aggressive<br />
Fluide eine wichtige Rolle spielen. Die Bildung von<br />
Kohlendioxid und organischer Säuren in Verbindung mit<br />
der Kohlenwasserstoffgenese kann das Lösungspotential<br />
des Porenfluids in Bezug auf Feldspat- und Karbonatlöslichkeit<br />
erhöhen und zu den beobachteten Lösungsprozessen<br />
beigetragen haben. Übergroße Poren, in denen<br />
mesodiagenetische Zemente gewachsen sind, belegen die<br />
Lösung von detritischen Komponenten.<br />
Abb. 4.66: Angelöstes Feldspatkorn.<br />
Partially dissolved feldspar.<br />
Abb. 4.67: Unter Karbonatzement erhaltener Hämatit.<br />
Hematite preserved by carbonate cement.<br />
Abb. 4.68: Chloritisierte Tonmineralüberzüge.<br />
Grain-coating clay minerals transformed to chlorite.<br />
Weiterhin kommt es zur Reduktion von Hämatit (Abb. 4.67)<br />
und wahrscheinlich werden durch die Umverteilung des<br />
Eisens aus dem Hämatit Fe-Karbonate ausgefällt und/oder<br />
eisenreiche Chlorite gebildet (Abb. 4.68). Die Reduktion<br />
von Hämatit steht im Zusammenhang mit der Migration<br />
von Kohlenwasserstoffen oder deren Vorläufer, die wahrscheinlich<br />
über Störungen in die Sandsteine gelangt sind.<br />
In den zwischengelagerten Tonsteinen kommt es während<br />
der Mesodiagenese vor allem zur Illitisierung und untergeordnet<br />
zur Chloritisierung der Tonminerale.<br />
In einem weiteren Schritt wurde mit der Modellierung der<br />
Wechselwirkung zwischen Porenfluid und Mineralen<br />
begonnen, mit dem Ziel, die Prozesse zu quantifizieren<br />
und Zusammenhänge zwischen Mineraldiagenese und<br />
Reifung organischen Materials aufzuzeigen. Aufgrund der<br />
nur eingeschränkt zur Verfügung stehenden thermodynamischen<br />
Daten ist die Modellierung insbesondere der Tonmineralreaktionen<br />
nur stark vereinfacht möglich. Trotzdem<br />
zeigen die Modellierungen der Umwandlung von<br />
Smektit in Chlorit, dass die Reaktion nur dann ablaufen<br />
kann, wenn reduziertes Eisen als Reaktionspartner zur<br />
Verfügung steht, und dabei ist die Reduktion von Eisen<br />
durch Methan einer der plausibelsten Mechanismen. So<br />
konnte die Umwandlung von Beidelit und Saponit in Ripidolit<br />
modelliert werden (Abb. 4.69).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
345
346<br />
Abb. 4.69: Veränderung der Mineralzusammensetzung infolge von Eisenreduktion<br />
durch in das Gestein hinein migrierendes Methan bei gleichzeitiger<br />
Erwärmung infolge zunehmender Versenkung.<br />
Change in mineral composition resulting from iron reduction caused by<br />
methane migrating into the reservoir rock in combination with heating due<br />
to burial.<br />
Weiterhin zeigen die Modellierungen, dass die in den Proben<br />
beobachtete Lösung von Feldspäten und frühdiagenetischen<br />
Karbonatzementen durch in das Reservoirge-<br />
Abb. 4.70: Lage salinarer Oberflächenaustritte im NE-deutschen Becken<br />
(Schirrmeister, 1996) sowie flacher Salzwasservorkommen (0 bis 300 m)<br />
nach Grube et al. (2000). Die gestrichelte rote Linie kennzeichnet die Lage<br />
des Profils in Abb. 4.71.<br />
Map of saline waters occuring at the surface (Schirmeister, 1996) and near<br />
surface occurence of salt water (0 – 300 m) below surface (Grube et al., 2000).<br />
The dashed red line indicates the position of the cross section in Fig. 4.71.<br />
stein hinein migrierendes Kohlendioxid<br />
stark begünstigt wird. Wird dieser Prozess<br />
nicht bei der Modellierung berücksichtigt,<br />
sind unwahrscheinlich hohe<br />
Porenflussraten notwendig, um die beobachteten<br />
Lösungsprozesse zu erklären.<br />
Die Komplexität der Mineralparagenese<br />
in den triassischen Speichergesteinen<br />
erschwert die Modellierung der Gesteins-<br />
Fluid-Interaktion. Trotzdem zeigen die<br />
Modellierungen, dass organische Reaktionsprodukte<br />
einen wesentlichen Beitrag<br />
zur diagenetischen Veränderung der<br />
Gesteine leisten.<br />
Tiefreichende Grundwasserströmungen<br />
im NE-deutschen Becken<br />
Im Norddeutschen Becken haben Botaniker<br />
schon seit dem 18. Jahrhundert das<br />
Auftreten salzliebender Pflanzen im<br />
Binnenland beobachtet. Die Standorte<br />
dieser Pflanzengemeinschaften erwiesen<br />
sich dabei nicht immer als persistent, sondern<br />
verlagerten sich z. T. über längere<br />
Zeiträume. In Abb. 4.70 sind bekannte<br />
Oberflächenaustritte salinarer Wässer zusammen mit der<br />
Verbreitung flach liegender (0 bis 300 m Tiefe) salinarer<br />
Grundwässer im Ostteil des Norddeutschen Beckens dargestellt.<br />
Das oberflächennahe Auftreten<br />
stark salzhaltiger Wässer hat einerseits<br />
eine ökonomische Bedeutung bezüglich<br />
der Grundwassernutzung, andererseits<br />
stellen sich grundlegende Fragen hinsichtlich<br />
der physikalischen Mechanismen,<br />
Aspekte, die in einem Verbundprojekt<br />
des DFG-SPP 1135 „Becken-Dynamik“<br />
untersucht werden. Beteiligt sind<br />
einerseits die FU-Berlin, die BTU-Cottbus<br />
und das <strong>GFZ</strong> mit Untersuchungen zur<br />
Wasserchemie, andererseits das <strong>GFZ</strong>, das<br />
WIAS und die WASY GmbH (Berlin) mit<br />
der Modellierung der Prozesse.<br />
Chemische und Isotopendaten weisen auf<br />
eine Vermischung von Tiefen- und Oberflächenwässern<br />
hin und unterstützen<br />
damit die hier dargestellten Modellierungsergebnisse.<br />
Die entlang der Elbe und<br />
der Havel großflächig auftretende oberflächennahe<br />
Versalzung des Grundwassers<br />
kann zu einem großen Teil auf den<br />
hydrostatisch, d. h. durch die Geländetopografie,<br />
getriebenen Grundwasserfluss<br />
zurückgeführt werden. Allerdings reicht<br />
diese Erklärung nicht aus, um Details der<br />
Verbreitung salinarer Wässer und insbesondere<br />
die Oberflächenaustritte zu erklären.<br />
Diese werden erst im Rahmen eines<br />
voll gekoppelten Grundwassermodells<br />
verständlich, bei dem neben dem hydro-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.71: Verteilung des Salzgehaltes (g/l) und der Temperatur (°C) entlang einer Profillinie bei vollständig nichtlinear<br />
gekoppeltem Transport. Die Pfeile kennzeichnen das Zirkulationssystem. Überhöhung 10:1.<br />
Distribution of salt content (mg/l) and temperature (°C) in a cross section modelled with a fully coupled non-linear<br />
system. Arrows indicate the circulation system.<br />
statisch getriebenen Fluss auch Dichteänderungen durch<br />
die Temperatur und den Salzgehalt berücksichtigt werden.<br />
Dabei spielen insbesondere auch die im Untergrund vorhandenen<br />
Salzstrukturen eine Rolle, die einerseits das Temperaturfeld<br />
verändern, andererseits durch Salzlösung ebenfalls<br />
die Dichte des Grundwassers beeinflussen. Abb. 4.71<br />
zeigt eine Modellierung entlang eines W-E verlaufenden<br />
Profils (vgl. Abb. 4.70), bei dem infolge der nichtlinearen<br />
Koppelung zwischen den Prozessen eine freie Konvektion<br />
entsteht, die lokal Salzwasser in den Bereich der Oberfläche<br />
transportiert. Analog treten Veränderungen im Temperaturfeld<br />
auf, wobei die Konvektionszellen in diesem<br />
Modell räumlich stabil sind, d. h. sich nicht verlagern.<br />
An diesem Punkt stößt man auf Probleme, die im Rahmen<br />
der nichtlinearen Modellierung immer wieder diskutiert<br />
werden. Die Lösung hängt in starkem Maß von der Wahl<br />
des diskreten Netzes ab. Abb. 4.72 zeigt für einen<br />
beschränkten Ausschnitt der Profillinie ein Momentanbild,<br />
das auf der Basis eines am WIAS erarbeiteten Netzes<br />
für ein FV-Verfahren erarbeitet wurde. In diesem Fall<br />
bewegen sich die Konvektionszellen periodisch unter dem<br />
Einfluss eines E-W gerichteten hydrostatischen Flusses in<br />
der Zeit, was sich in der Abbildung an Hand ihre Asymmetrie<br />
zeigt. Allerdings wurde hier die nichtlineare Koppelung<br />
nicht vollständig in allen Teilen erfüllt, es fehlen<br />
die Temperatur- und Dichteabhängigkeit der Viskosität<br />
des Wassers, die als wichtige Größen in die Permeabilität<br />
der Gesteine eingehen. Fügt man diese Größen in die<br />
Modellierung ein, so wird diese instabil. Erst ein Netz, das<br />
wesentlich strengere Regularitätsanforderungen erfüllt,<br />
führt im Rahmen der FE-Modellierung wieder zu stabi-<br />
Abb. 4.72: Konvektionsregime in einem Teilausschnitt der Abb. 4.70 mit einem modifizierten Netz (s. Text).<br />
Details of convection within part of Fig. 4.70 by use of a modified grid (s. text for discussion).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
347
348<br />
len, qualitativ vergleichbaren Ergebnissen. Dies lässt sich<br />
so erklären, dass die zeitliche Veränderung quasi eine zeitlich<br />
veränderliche Anisotropie in das System einführt und<br />
damit indirekt die Geometrie des Netzes verändert. Es fehlen<br />
aber robuste Regeln, wie eine ganze Reihe von Parametern<br />
aufeinander abzustimmen sind, um wenigstens<br />
eine physikalisch sinnvolle Lösung zu erzielen, von einer<br />
realitätsnahen völlig abgesehen. Für letztere wäre es darüber<br />
hinaus unerlässlich, eine dreidimensionale Modellierung<br />
durchzuführen, die aber unrealistisch ist, solange<br />
die Vernetzungsprobleme in 2-D nicht hinreichend verstanden<br />
sind.<br />
Geochemische Indikatoren für hydrothermale<br />
Alteration in Sedimenten der ICDP-Bohrung<br />
YAX-1 in der Chicxulub Impakt Struktur<br />
Die Einschläge von Großmeteoriten auf der Erde und die<br />
damit verbundene Freisetzung großer Mengen thermischer<br />
Energie können die Ursache für hydrothermale Fluidzirkulation<br />
innerhalb der Kraterstruktur und der sie<br />
umgebenden Gesteine sein. Im Zuge der hydrothermalen<br />
Alteration kommt es lokal zur Bildung wirtschaftlich<br />
bedeutender Lagerstätten. Neben dem Absatz von Alterationsmineralen<br />
können die Einschläge von Großmeteoriten<br />
in Sedimente auch zur Generierung großer Mengen<br />
von Gasen (CO 2, SO 2) führen, die klimatische Veränderungen<br />
hervorgerufen haben können.<br />
Eine der größten Kraterstrukturen ist der Chicxulub Krater<br />
auf der Yucatán-Halbinsel in Mexico mit einem Durchmesser<br />
von ca. 180 km. Der Meteoriteneinschlag erfolgte<br />
vor 65 Millionen Jahren und führte zur Umwandlung<br />
von mehr als 10 5 km 3 kontinentaler Krustengesteine. Darüber<br />
hinaus wird vermutet, dass der Meteoriteneinschlag<br />
auch für das Aussterben von 75 Prozent der damals auf<br />
der Erde lebenden Spezies zu Lande und im Meer verantwortlich<br />
ist. Im Rahmen des ICDP-Tiefbohrprogramms<br />
wurde eine 1.511 m tiefe Bohrung (Yaxcopoil-1) im Rand<br />
der Kraterstruktur abgeteuft. Die abgekernten Gesteine<br />
umfassen überlagernde tertiäre Karbonate sowie tektonisch<br />
beanspruchte kretazische Karbonate und Evaporite<br />
unter einer ca. 100 m mächtigen Bedeckung schmelzeführender<br />
Impaktite. Innerhalb der Plattformkarbonate<br />
und Evaporite treten zahlreiche Klüfte auf, die neben überwiegender<br />
Calcitführung (Abb. 4.73a) lokal auch quarzführend<br />
sind (Abb. 4.73b). Auffällig ist auch das mit<br />
zunehmender Teufe häufige Auftreten organischer Substanz,<br />
die sowohl innerhalb der Sedimente in Zwischenlagen<br />
als auch auf Klüften auftritt (Abb. 4.73c).<br />
Die Gehalte an organischem Kohlenstoff in der organischen<br />
Substanz (TOC) schwanken zwischen 0,16 und<br />
6,8 %. Die organische Petrologie zeigt eine klare Vorherrschaft<br />
aquatischer Mazerale wie Alginit und Lamalginit<br />
an. Wasserstoffindexwerte variieren stark von 14 bis<br />
797 mg HC/g TOC, weisen aber insgesamt auf eine gute<br />
Erhaltung des organischen Materials hin (Abb. 4.74).<br />
Molekulare Parameter (Pristan/Phytan < 1; Dibenzothiophen/Phenanthren<br />
> 1) stehen mit einer Ablagerung unter<br />
reduzierenden Bedingungen in einem Karbonat-System<br />
im Einklang (Abb. 4.74). Die nahezu völlige Abwesenheit<br />
von Diasteranen zeigt tonfreie Sedimente an. Diese Merkmale<br />
unterscheiden sich von denen bekannter Erdölmuttergesteine<br />
in Mexiko. Wie bei Karbonaten häufig beob-<br />
Abb. 4.73: A: Calcitkluft im Plattformkarbonat, YAX-1,<br />
1.0005,27 m. B: Quarzkluft im Plattformkarbonat, YAX-1,<br />
998,27 m. C: Lagen organischer Substanz in Karbonat,<br />
die durch Impakt induzierte Scherzonen versetzt<br />
sind.<br />
A: Fissure in marine carbonate filled with calcite, YAX-1,<br />
10005.27 m. B: A: Fissure in marine carbonate filled with<br />
quartz, YAX-1, 998.27 m. C: Layers rich in organic matter<br />
displaced by impact-related shear zones, YAX-1,<br />
1418.23 m.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.74: Teufenplots ausgewählter organisch-geochemischer Parameter für die ICDP-Bohrung YAX-1. TOC, Gehalt an<br />
organischem Kohlenstoff; HI, Wasserstoffindex aus der Rock-Eval-Pyrolyse; T max, Temperatur der maximalen Pyrolyseausbeute<br />
aus der Rock-Eval-Pyrolyse; Pr/Ph, Pristan/Phytan-Verhältnis; DBT/Phen, Dibenzothiophen/Phenanthren-Verhältnis;<br />
20S/(20S+20R), Hopan-Isomerisierung an C-22; % Rc [MPI], aus dem Methylphenanthrenindex berechnete Vitrinitreflektion.<br />
Depth plots of selected organic geochemical parameters for the ICDP drill hole YAX-1. TOC, total organic carbon; HI,<br />
hydrogen index from Rock-Eval pyrolysis; T max, temperature of maximum pyrolysis yield from Rock-Eval pyrolysis;<br />
Pr/Ph, pristane/phytane ratio; DBT/Phen, dibenzothiophene/phenanthrene ratio; 20S/(20S+20R), hopane isomerisation<br />
at C-20; %Rc [MPI], vitrinite reflectance calculated from the methlyphenanthrene index.<br />
achtet, sind die Mengen an Bitumen relativ hoch und liegen<br />
in der gleichen Größenordnung wie die des Kerogens.<br />
Pyrolyse-Gaschromatographie des Kerogens führte zu<br />
aliphatischen, aromatischen und thiophenischen Strukturelementen.<br />
Hohe Anteile an 1,2,3,4-Tetramethylbenzol<br />
verweisen dabei auf anoxische Bedingungen im lichtführenden<br />
Teil der Wassersäule.<br />
Flüssigkeitseinschlüsse in Kluftcalciten sind entweder<br />
einphasig, d. h. sie beinhalten lediglich eine wässrige Einschlussfüllung<br />
oder zweiphasig, wobei neben einer wässrigen<br />
Phase eine kleine Wasserdampfblase in den Einschlüssen<br />
auftritt. Mikrothermometrische Untersuchungen<br />
ergaben Salinitäten der Einschlussfüllungen zwischen<br />
7,5 und 7,9 Gew.% NaCl Äquivalent. Die mikrothermometrisch<br />
bestimmten Salinitäten liegen deutlich über der<br />
von Meerwasser (ca. 3,2 Gew.% NaCl Äquivalent) und<br />
belegen, dass zirkulierendes Meerwasser, das durch den<br />
Impakt erhitzt wurde, nicht die primäre Quelle der mineralbildenden<br />
Lösungen war. Die Homogenisierungstemperaturen<br />
von Zweiphaseneinschlüssen in Kluftcalciten<br />
und Anhydriten deuten auf Bildungstemperaturen zwischen<br />
75 °C und 110 °C hin, wobei kein teufenabhängiger<br />
Temperaturgradient erkennbar ist. Quarzmineralisa-<br />
tionen im Teufenbereich 990 bis 1.000,53 m beinhalten<br />
Flüssigkeitseinschlüsse, die sich von denen in Calciten<br />
deutlich unterscheiden. Neben 2-phasigen wässrigen Einschlüssen<br />
mit großen Wasserdampfblasen, die zusätzlich<br />
ein Halit-Tochterkristall beinhalten können, treten polyphase<br />
Flüssigkeitseinschlüsse mit einem geringen Anteil<br />
wässriger Phase, einer dunklen Gasphase sowie zumindest<br />
einer festen Phase auf (Abb. 4.75).<br />
Die Salinität wässriger Zweiphaseneinschlüsse beträgt 14<br />
bis 35 Gew.% NaCl Äquivalent. Die Homogenisierungstemperaturen<br />
liegen zwischen 220 °C und 285 °C. Synchrotron-Röntgen-Fluoreszenz-Analysen<br />
der wässrigen<br />
Einschlussfüllungen ergaben ungewöhnlich hohe Konzentrationen<br />
an Metallen wie V, Fe, Ni, Cu, Zn, Cd, Sb und<br />
Pb, deren Herkunft nicht geklärt ist. Polyphase Flüssigkeitseinschlüsse<br />
in Kluftquarzen beinhalten Kohlenwasserstoffe<br />
(Ethane und Propan), die mit Raman-Spektroskopie<br />
nachgewiesen werden konnten.<br />
Die Ergebnisse der mikrothermometrischen Untersuchungen<br />
belegen, dass keine zeitlich einheitliche Fluidmigration<br />
in den kretazischen Sedimenten der Bohrung<br />
YAX-1 erfolgt ist. Die Bildung von Quarzkluftfüllungen<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
349
350<br />
Abb. 4.75: A: Primärer Flüssigkeitseinschluss mit einem Halit-Tochterkristall in Quarz, YAX-1, 1.000,53 m. B: Polyphaser,<br />
Kohlenwasserstoff-haltiger Flüssigkeitseinschluss in Quarz, YAX-1, 1.000,53 m.<br />
A: Primary fluid inclusion with a halite daughter crystal in quartz. YAX-1, 1000.53 m. B: Polyphase hydrocarbonsbearing<br />
inclusion in quartz, YAX-1, 1000.53 m.<br />
im Teufenbereich 990 bis 1.000,53 m ist möglicherweise<br />
auf eine frühe, impaktinduzierte Fluidmigration zurückzuführen,<br />
wobei auch eine Freisetzung von Kohlenwasserstoffen<br />
erfolgte, die vermutlich bei der thermischen<br />
Überprägung von organischer Substanz in kretazischen<br />
Sedimenten im inneren der Kraterstruktur freigesetzt worden<br />
sind. Inwieweit eine Freisetzung von Kohlenwasserstoffen<br />
in die Atmosphäre erfolgte und somit möglicherweise<br />
mit zu klimatischen Veränderungen beigetragen hat,<br />
kann zurzeit nicht abgeschätzt werden.<br />
Im Gegensatz dazu steht die Bildung von Kluftcalciten<br />
nicht im Zusammenhang mit einer direkt durch den Impakt<br />
induzierten großräumigen Fluidmigration. Der Absatz<br />
dieser Minerale erfolgte bei deutlich niedrigeren Temperaturen<br />
aus Lösungen mit geringerer Salinität. Die Sauerstoff-<br />
und Kohlenstoffisotopenverhältnisse von Plattformkarbonaten<br />
der Bohrung YAX-1 sind typisch für diagenetische<br />
Karbonate. Die δ 18 O und δ 13 C Werte der Kluftcalcite<br />
sind denen der Plattformkarbonate sehr ähnlich.<br />
Dies lässt darauf schließen, dass sich die Calcit-bildenden<br />
Lösungen mit dem Nebengesteinskarbonaten nahezu<br />
equilibriert haben. Die mikrothermometrisch ermittelten<br />
Bildungstemperaturen der Kluftcalcite belegen, dass der<br />
Mineralabsatz aus Lösungen erfolgte, die auf über 100 °C<br />
erwärmt worden sind. Solch hohe Temperaturen wurden<br />
unter Annahme eines normalen geothermischen Gradienten<br />
von 30 °C/km durch diagenetische Prozesse nicht<br />
erreicht. Es ist daher eher wahrscheinlich, dass der Absatz<br />
der Kluftcalcite aus salinaren Formationswässern erfolgte,<br />
die infolge einer lang anhaltenden konduktiven Wärmeaktivität<br />
nach dem Impakt auf Temperaturen oberhalb<br />
100 °C erwärmt worden sind. Als Folge einer kontinuierlichen<br />
Erwärmung der Plattformkarbonate und Evaporite<br />
kann auch die Migration von Bitumen stattgefunden<br />
haben. Niedrige T max-Werte (Mittelwert 424 °C; n = 25)<br />
scheinen eine relativ geringe thermische Reife des organischen<br />
Materials anzuzeigen (Abb. 4.74). Molekulare<br />
Reifeparameter ergeben kein einheitliches Bild, verweisen<br />
aber insgesamt auf eine höhere Reife. Im Teufenin-<br />
tervall zwischen 1.300 und 1.500 m hat die Hopanisomerisierung<br />
an C-22 den Gleichgewichtswert von 0,6 erreicht<br />
(Abb. 4.74). Die aus dem Methylphenanthrenindex<br />
berechneten Vitrinitreflektionswerte (Abb. 4.74) liegen in<br />
einem ähnlichen Bereich wie die für drei Proben aus 1.085,<br />
1.346 und 1.508 m Teufe direkt gemessen Werte (0,9 und<br />
1 % R o). Insgesamt zeigen die verfügbaren organischen<br />
Reifeparameter eine Vitrinitreflektionsäquivalent von<br />
etwa 0,8 % R an. Bei normaler Absenkung eines Sedimentbeckens<br />
entspricht dies einer Temperatur von 110 bis<br />
120 °C. Das Bitumen ist ungewöhnlich reich an polaren<br />
Verbindungen und Asphaltenen und ähnelt damit eher<br />
hydrothermalen Erdölen als Bitumina und Erdölen, die<br />
durch konventionelle katagetische Prozesse aus Muttergesteinen<br />
gebildet werden. Zusammenfassend lässt sich<br />
feststellen, dass die thermische Reife des organischen<br />
Materials höher ist, als dies im Hinblick auf die Teufe zu<br />
erwarten wäre. Daher ist von einer nennenswerten Impaktbedingten<br />
thermischen Überprägung des organischen<br />
Materials auf Grund konduktiven Wärmeflusses und/oder<br />
hydrothermaler Aktivität auszugehen.<br />
Vorhersage von Erdölphase und Zusammensetzung<br />
Das Phasenverhalten von Erdöl ist abhängig von der<br />
Zusammensetzung sowie den sich während der Migration<br />
vom Entstehungsort zum Reservoir verändernden Druckund<br />
Temperaturbedingungen. Die genaue Vorhersage von<br />
diesen drei Parametern ist von ausschlaggebender Bedeutung<br />
für die Evaluierung der Qualität, des Typs und Volumen<br />
des Fluids in der Lagerstätte mittels der numerischen<br />
Simulation der Entwicklung eines sedimentären Beckens.<br />
In den meisten Explorationsgebieten beruhen solche Voraussagen<br />
der Fluideigenschaften auf konzeptionellen<br />
Modellen und Datenextrapolationen. Um das Risiko eines<br />
Misserfolgs zu minimieren, ist die Richtigkeit dieser Vorhersagen<br />
gerade im Vorfeld größerer Bohrkampagnen,<br />
von enorm hoher Bedeutung. Eine wichtige Möglichkeit,<br />
um das Phasenverhalten zu bestimmen, ist die Anwendung<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
neuester Beckenmodellierungssoftware, in die PVT-<br />
Simulatoren und kompositionelle kinetische Modelle<br />
integriert werden können.<br />
Im Rahmen des Industrie Partnerschaft Programms IPP<br />
wurde innerhalb des Projekts „Vorhersage von Erdölphase<br />
und Zusammensetzung“ die Rolle des Muttergesteins<br />
auf die Kohlenwasserstoffzusammensetzung und das Phasenverhalten<br />
der generierten Fluide untersucht. Von den<br />
beteiligten Industriepartnern ConocoPhillips, ENI, Hydro,<br />
Petrobras, Shell und Statoil wurden zu diesem Zweck<br />
umfangreiche regionale Datensätze zur Verfügung gestellt.<br />
Diese umfassten zum einen unreife Muttergesteine verschiedener<br />
Kerogentypen, die für künstliche Reifeexperimente<br />
gebraucht wurden, zum anderen Fluide einer Reifesequenz,<br />
umfangreiche kompositionelle Datensätze der<br />
Reservoirfluide (sogenannte PVT-Datensätze) sowie regionale<br />
Datensätze für die Beckenmodellierung. Die PVT-<br />
Daten wurden zunächst im regionalen und geologischen<br />
Kontext interpretiert. Bisherige regionale Studien haben<br />
bereits gezeigt, dass solche Daten entscheidende Hinweise<br />
für das Aufsuchen von Erdöl und Erdgas liefern können<br />
(di Primio, 2002).<br />
Die im Rahmen dieser Studie durchgeführten Erdölgeneseexperimente<br />
haben gezeigt, dass nur mittels geschlossener<br />
Pyrolyse, und insbesondere der MSSV-Pyrolysetechnik<br />
(Horsfield et al., 1989), die in der Natur ablau-<br />
fenden Prozesse wirklich sinnvoll rekonstruiert werden<br />
können. Die kompositionelle Information aus diesen Experimenten<br />
musste in von Reservoiringenieuren genutzte<br />
PVT-Datenformate übersetzt und auf die dazugehörigen<br />
natürlichen Erdölfunde geeicht werden. Dabei zeigte sich,<br />
dass für alle untersuchten Studiengebiete eine genaue Vorhersage<br />
des Gas-zu-Öl-Verhältnisses (GOR, Gas to Oil<br />
Ratio) der generierten Fluide direkt aus den experimentellen<br />
Ergebnissen möglich war. Für eine Vorhersage des<br />
Phasenverhaltens dieser Fluide reicht aber diese grobe<br />
Information nicht aus. Die detaillierte Zusammensetzung<br />
der Gasphase sowie eine allgemeine Beschreibung der<br />
Ölphase sind hier, ähnlich wie bei den einfachsten PVT-<br />
Datensätzen, wichtig. Während die Ölzusammensetzung<br />
jeweils direkt aus den Experimenten bestimmt werden<br />
konnte, zeigte sich die Vorhersage der Gaszusammensetzung,<br />
wie erwartet, als problematisch.<br />
Die grundsätzlichen Probleme in der Reproduktion natürlicher<br />
Gaszusammensetzungen mittels Laborexperimenten<br />
an Erdölmuttergesteinen sind mehrfach in der Literatur<br />
berichtet worden (Mango, 1992; Mango, 1996; Mango,<br />
2001). Verschiedene Theorien zur Erklärung dieses Phänomens<br />
sind auch publiziert worden (Michels et al., 2002;<br />
Price & Schoell, 1995; Snowdon, 2001), wobei trotzdem<br />
keine definitive Klärung erzielt worden ist. Die Datensätze,<br />
die dem Projekt zur Verfügung standen, erlaubten einen<br />
direkten Vergleich von im Labor generierten Gaszusam-<br />
Abb. 4.76: Korrelation zwischen Gaszusammensetzung und Gas to Oil Ratio für die verschiedenen natürlichen Probenserien.<br />
Correlation between gas composition and Gas to Oil Ratio of the individual sample series.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
351
352<br />
mensetzungen mit korrespondierenden natürlichen Fluiden<br />
(korreliert anhand des GORs). Dabei zeigte sich, dass<br />
die experimentell generierten Gase im Vergleich zu den<br />
natürlichen Fluiden immer durch erhöhte Anteile an Ethan<br />
und Propan auffielen. Ein solch „nasses“ Gas verändert<br />
das Phasenverhalten von Erdöl in entscheidender Art und<br />
Weise: nasses Gas löst sich sehr gut in Öl, was zu einer<br />
Verringerung des Sättigungsdrucks der fludien Phase<br />
führt. Somit ändert sich auch die Volumetrie der entstehenden<br />
Phasen bei einsetzender Phasentrennung im Zug<br />
der Migration von Bereichen hohen Druckes und Temperatur<br />
(Muttergesteine) zu Zonen niedrigeren Druckes und<br />
Temperatur (Reservoire). Bei gleichen Proportionen von<br />
Gas und Öl in einem gegebenen Erdöl kann die unterschiedliche<br />
Zusammensetzung der Gasphase (trocken,<br />
sprich methanreich oder nass) zu Unterschieden im Sättigungsdruck<br />
von bis zu 200 bar führen.<br />
Aus den experimentellen Ergebnissen konnten wir feststellen,<br />
dass die Gaszusammensetzung der generierten Fluide<br />
sich systematisch mit den experimentellen Aufheizbedingungen<br />
veränderte. Es zeigte sich, dass mit abnehmender<br />
Heizrate das generierte Gas methanreicher („trockener“)<br />
wurde. Demnach ist die generell beobachtete nasse Gaszusammensetzung<br />
von Pyrolyseexperimenten nur ein Artefakt<br />
der Laborbedingungen. Da aber natürliche Heizraten im<br />
Labor nicht reproduziert werden können, bleibt die korrekte<br />
Vorhersage der Gaszusammensetzung ein Problem.<br />
Lösungsansätze erzielten wir unter Verwendung der natürlichen<br />
Probenserien und Daten des Projektes (Abb. 4.76).<br />
Die Gaszusammensetzung der einzelnen Probenserien<br />
zeigte eine exzellente Korrelation zum GOR der Proben<br />
wie in Abb. 4.76 dargestellt. Das Verhältnis von Methan<br />
zur Summe der nassen Gase Ethan bis Pentan zeigte als<br />
Funktion des GORs der Proben Korrelationskoeffizienten,<br />
die in der Regel über 0,98 lagen. Besonders interessant<br />
war die Beobachtung, dass diese Korrelationen für<br />
jedes Explorationsgebiet unterschiedlich waren, wobei<br />
ähnliche Trends für Produkte von Muttergesteinen von<br />
ähnlicher organischer Fazies sichtbar wurden. Da, wie<br />
oben erwähnt, eine Vorhersage des GOR direkt aus den<br />
experimentellen Ergebnissen möglich ist, eröffneten diese<br />
Korrelationen eine Möglichkeit, die fehlerhaften Gaszusammensetzungen<br />
aus dem Labor zu korrigieren. Ein neuronales<br />
Netzwerk wurde trainiert, anhand der verfügbaren<br />
natürlichen und laborgenerierten Datensätze die experimentellen<br />
Gaszusammensetzungen zu korrigieren. Die<br />
so korrigierten Zusammensetzungen wurden verwendet,<br />
um kompositionelle kinetische Modelle, die in 2Dund<br />
3D-Beckenstudien getestet wurden, zu erstellen.<br />
Abb. 4.77 zeigt ein Beispiel einer gelungenen Vorhersage<br />
der Rohöleigenschaften in einem 3D-Model.<br />
Die in diesem Projekt erzielten Ergebnisse erlauben nun<br />
erstmalig die Verwendung experimenteller Ergebnisse für<br />
die kompositionelle Vorhersage von natürlichen Erdölen,<br />
Abb. 4.77: Vergleich von vorhergesagten und beobachteten Rohöleigenschaften in einem der 6 untersuchten Studiengebiete.<br />
In grün werden Akkumulationen gezeigt, rote und grüne Linien zeigen die Migrationsbahnen von jeweils Gas<br />
und Öl.<br />
Comparison between predicted and observed petroleum properties in one of 6 study areas. Predicted accumulations<br />
in green. Red and green lines indicate gas and oil migration pathways respectively.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
sowie die Modellierung des davon abhängigen Phasenverhaltens<br />
(Abb. 4.77). Die Simulationsergebnisse zeigten,<br />
dass eine genaue Vorhersage der zu erwartenden<br />
Erdölzusammensetzung und Qualität vor der Bohrung<br />
möglich ist.<br />
Frühe Gasbildung<br />
Die Suche und Auffindung sauberer Energieträger zur<br />
langfristigen und umweltschonenden Sicherung der weltweiten<br />
Energieversorgung ist eine der vordringlichsten<br />
Aufgaben für zukünftige Forschungs- und Explorationsprojekte.<br />
Die Suche und Förderung von<br />
Gas steht dabei im Vordergrund, da natürliches<br />
Gas von allen fossilen Brennstoffen<br />
am umweltschohnendsten und effizientesten<br />
in Energie umgewandelt werden<br />
kann. Gas kann in der Natur durch die<br />
thermische Umwandlung in relativ großen<br />
Teufen oder durch mikrobielle Aktivitäten<br />
in flachen Sedimenten aus sedimentärem<br />
organischem Material gebildet<br />
werden. Aufgrund der großen Mengen<br />
organischen Materials können die Gasmengen<br />
so groß sein, dass sie Lagerstätten<br />
bilden, die teilweise Jahrzehnte lang<br />
ganze Städte und Länder mit Energie versorgen<br />
können.<br />
Um die Auffindung dieses interessanten<br />
Energieträgers zu verbessern, wird versucht,<br />
die Bildung von Gas in der Natur<br />
mittels numerischer Modelle und ihre<br />
Integration in computergesteuerte Beckenmodelle<br />
für geologische Zeiträume<br />
zu simulieren. Hierfür stehen zum einen<br />
konventionelle reaktionskinetische Modelle<br />
zur Verfügung, von denen man<br />
annimmt, dass sie die Bildung von Gas<br />
aus thermischen Prozessen ausreichend<br />
gut beschreiben. Zum anderen werden<br />
empirische Modelle und Beobachtungen<br />
genutzt, um die Bildung und das Vorkommen<br />
mikrobiellen Gases in einem<br />
Sedimentbecken zu rekonstruieren.<br />
Berücksichtigt man die Modelle zur Bildung<br />
der verschiedenen Gastypen in<br />
Sedimentbecken, wird aber schnell deutlich,<br />
dass es eine Zone gibt, in der die konventionellen<br />
Modelle weder die Bildung<br />
von thermischem Gas noch die Bildung<br />
von mikrobiellem Gas vorhersagen.<br />
Gleicht man diese Vorhersagen mit natürlichen<br />
Gasvorkommen ab, so wird deutlich,<br />
dass in der Natur die Bildung mikrobiellen<br />
Gases in größeren Teufen und die<br />
Bildung thermischen Gases bei niedrigen<br />
Temperaturen dramatisch unterschätzt<br />
werden. So zeigt zum Beispiel der Vergleich<br />
thermischer Gasvorkommen in Se-<br />
dimenten niedriger Reife und die Vorhersage der Gasgenese<br />
unter Anwendung konventioneller reaktionskinetischer<br />
Modelle, dass die Diskrepanz zwischen Natur und<br />
Simulation bei mehr als 1.000 m liegen kann (Abb. 4.78a).<br />
Ähnliches gilt für mikrobielle Gasvorkommen, die in einigen<br />
Gebieten deutlich tiefer liegen, als durch traditionelle<br />
Modelle vorgegeben (Abb. 4.78b).<br />
Die Konsequenz dieser Beobachtungen ist, dass die weltweite<br />
Gasprospektivität in unerforschten oder marginal<br />
erforschten Gebieten, in denen volumetrische Vorhersagen<br />
nur unter Anwendung numerischer Modelle möglich<br />
Abb. 4.78: Vergleich von natürlichen Gasvorkommen und Vorhersagen der<br />
Gasbildung auf der Basis reaktionskinetischer Modelle (a) und die Teufenverteilung<br />
verschiedener Gastypen (thermisch-mikrobiell) (b). Es fällt auf,<br />
dass die Modelle zur Vorhersage der thermischen Gasbildung das thermische<br />
Gas, welches in Sedimenten niedriger Reife gefunden wird, nicht vorhersagen<br />
können (a) und dass mikrobielles Gas sogar in Teufen über 4.000 m<br />
aufgespürt werden kann.<br />
Comparison between natural gas occurrence and predictions based on kinetic<br />
models (a) and the distribution of different gas types with depth (thermal-microbial)<br />
(b). It is obvious that the predictions of thermal gas formation<br />
do not fit to natural gas in low mature sediments (a) and that microbial<br />
gas occurs even at depths greater than 4000 m.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
353
354<br />
sind, dramatisch unterschätzt wird. Aus diesem Grund hat<br />
sich auf Initiative der Sektion 4.3 des <strong>GFZ</strong> Potsdam ein<br />
Konsortium aus acht verschiedenen weltweit führenden<br />
Explorationsunternehmen zusammengeschlossen. Es wurden<br />
zwei Arbeitsgebiete ausgewählt, die als natürliche<br />
Laboratorien der thermischen und mikrobiellen Gasbildung<br />
angesehen werden können. Die Auswahl richtete<br />
sich im Wesentlichen nach der Verfügbarkeit von Probenmaterial<br />
und geologischen Informationen, aber auch<br />
nach der Reife der Gebiete bezüglich der Explorationsaktivitäten.<br />
Insbesondere für die Erforschung mikrobieller<br />
Gasbildungsprozesse musste sichergestellt werden,<br />
dass die Probennahme bestimmten mikrobiologischen<br />
Anforderungen gerecht wurde. Daraus ergab sich, dass<br />
das Mackenzie Delta im Norden Kanadas für die Erforschung<br />
der frühen thermischen Gasbildung und das<br />
Arbeitsgebiet des Projektes DEBITS in Neuseeland für<br />
die Erforschung der tiefen mikrobiellen Gasbildung ausgewählt<br />
wurde.<br />
Es hat sich durch jahrelange Forschung etabliert, dass die<br />
Bildung von Kohlenwasserstoffen durch die Gesetze der<br />
Reaktionskinetik beschrieben werden können. Es wird<br />
davon ausgegangen, dass die Bildung von Kohlenwasserstoffen<br />
im Zuge der Absenkung sedimentären organischen<br />
Materials durch das Aufbrechen chemischer Bindungen<br />
im Kerogen abläuft. Da sedimentäres organisches Material<br />
sehr heterogen ist, kommt es zu Reaktionen an ver-<br />
schiedenartigsten Bindungen, die deutliche Stabilitätsunterschiede<br />
aufweisen. Die Stabilität dieser Bindungen<br />
kann durch zwei wichtige Parameter, die Aktivierungsenergie<br />
und den Frequenzfaktor beschrieben werden.<br />
Diese Parameter beschreiben mathematisch, unter welchen<br />
Zeit- und Temperaturbedingungen die Reaktionen<br />
ablaufen. Die kinetischen Parameter können durch Simulationsexperimente,<br />
bei denen unreife Muttergesteine<br />
unter definierten Zeit-Temperaturbedingungen aufgeheizt<br />
werden, berechnet werden.<br />
Da die Bildung von Kohlenwasserstoffen nicht schlagartig<br />
abläuft, sondern ein mehr oder weniger breites Temperaturintervall<br />
einnimmt, kann davon ausgegangen werden,<br />
dass eine Vielzahl der verschiedenen Bindungen während<br />
der Umwandlungsprozesse aufbricht. Die Stabilität<br />
jeder chemischen Bindung, die in diese Umwandlungsprozesse<br />
eingebunden ist, sollte theoretisch durch ein individuelles<br />
Aktivierungsenergie-Frequenzfaktorpaar beschrieben<br />
werden. Da die Anzahl der verschieden Bindungen<br />
aber unwahrscheinlich groß ist und die einzelnen<br />
Bindungen auch noch gar nicht bekannt sind, stellen die<br />
etablierten kinetischen Modelle eine deutliche Vereinfachung<br />
der tatsächlichen Prozesse dar. So werden die verschiedenen<br />
Reaktionen in eine überschaubare Gruppe von<br />
Pseudoreaktionen unterteilt und aus dem breiten Spektrum<br />
der verschiedenen Frequenzfaktoren ein einzelner durchschnittlicher<br />
Frequenzfaktor bestimmt (Abb. 4.79). Die-<br />
Abb. 4.79: Integration verschiedener kinetischer Modelle in ein computergestütztes Modell zur Beckensimulation. Auf der<br />
Basis konventioneller Modelle setzt die Umwandlung des organischen Materials (blau – orange – rot) erst bei Teufen über<br />
5.000 m ein. Die Anwendung des erweiterten Modells in der unteren Simulation zeigt eine deutliche Verschiebung des<br />
Gasgenesbeginns und stimmt mit den Beobachtungen in der Natur überein (rechte Bildhälfte).<br />
Integration of different kinetic models in numerical basin simulations. Based on conventional models the transformation<br />
of organic matter starts at depths greater than 5000 m. The application of enhanced kinetic models results in an<br />
obvious shift of the gas generation onset and fits to the observations in nature (right hand side).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
ses Modell hat jahrzehntelang Anwendung in der Industrie<br />
gefunden und wurde nach der Beschreibung der<br />
Gesamtkohlenwasserstoffbildung auch auf komplexere<br />
Modelle übertragen. Letztere sollen die kompositionellen<br />
Eigenschaften, wie Öl- und Gas-Bildung rekonstruieren.<br />
Während für Muttergesteine mariner oder lakustriner Herkunft,<br />
also relativ homogenem sedimentärem organischen<br />
Material, die Zuverlässigkeit der Modelle bestätigt werden<br />
konnte, zeigen die schlechten Vorhersagen der Gasbildung<br />
aus Sedimenten terrestrischen Ursprungs, dass sie<br />
nicht ausreichen. Diese Einschränkung, die dramatische<br />
Folgen für die Exploration z. B. in Deltagebieten hat,<br />
kommt insbesondere durch die unzureichenden Vorhersagen<br />
der Gasbildung in der frühen Umwandlungsphase zum<br />
Ausdruck. Weder die Frage ob ein gashöffiges Muttergestein<br />
tief genug abgesenkt worden ist, um Gas zu bilden,<br />
noch die Menge gebildeten Gases kann befriedigend<br />
geklärt werden. Die Vereinfachung des kinetischen Models,<br />
insbesondere die Auswahl nur eines Frequenzfaktors für<br />
alle Reaktionen, impliziert, dass dieser Frequenzfaktor für<br />
einige Bindungen gültig, für andere Bindungen aber völlig<br />
falsch ist. Die Wahl eines durchschnittlichen Frequenzfaktors<br />
resultiert dabei in einer sehr guten Beschreibung<br />
der maximalen Genesephase, führt aber bei der<br />
Bewertung der initialen Phase zu völlig falschen kinetischen<br />
Beschreibungen.<br />
Aus diesem Grund wurde ein neues kinetisches Model für<br />
die Vorhersage der Gasbildung aus heterogenen, terrestrischen<br />
Muttergesteinen entwickelt. Diese Model basiert<br />
auf der individuellen kinetischen Berechnung verschiedener<br />
Umwandlungsstufen und Genesestufen bei der Bildung<br />
gasförmiger Kohlenwasserstoffe. Das Resultat sind<br />
individuelle Paare aus Aktivierungsenergien und Frequenzfaktoren,<br />
welche eine realistische Bewertung der<br />
gesamten Gasbildungsprozesse zulassen (Abb. 4.79b).<br />
Ganz entscheidenden Einfluss hat dieses neue Model auf<br />
die initiale Phase der Gasbildung. Bei der Extrapolation<br />
geologischer Temperaturbedingungen wird deutlich, dass<br />
der Beginn der Gasbildung für wesentlich niedrigere Reifen<br />
und Temperaturen vorhergesagt wird, als durch konventionelle<br />
Modelle. Im Mackenzie Delta bedeutet diese<br />
verbesserte Vorhersage eine Verschiebung des Gas-Fensters<br />
um 2.000 m von 5.000 m auf 3.000 m Teufe. Zum<br />
ersten Mal gelingt es, die natürlichen Gasvorkommen mit<br />
den Vorhersagen aus numerischen Modellen in Einklang<br />
zu bringen (Abb. 4.79).<br />
Die Ergebnisse bezüglich der thermischen Prozesse bringt<br />
diese Form der Gasbildung wesentlich näher an die Zone<br />
der mikrobiellen Prozesse, insbesondere der Zone der<br />
mikrobiellen Gasbildung. Dieses Zusammenrücken der<br />
thermischen und mikrobiellen Umwandlungsprozesse<br />
wird zusätzlich durch neue Konzepte der mikrobiellen<br />
Gasbildung aus anaeroben Prozessen im tiefen Untergrund<br />
unterstützt.<br />
Damit mikrobielle anaerobe Gasbildung im Untergrund<br />
ablaufen kann, müssen Substrate zur Verfügung stehen,<br />
welche von bestimmten Bakterien zu Gas, insbesondere<br />
Methan, umgewandelt werden können. Hierbei unterscheidet<br />
man die Azetat-Fermentation und die CO 2-<br />
Reduktion, Prozesse, bei denen im wesentlichen Azetat<br />
und CO 2 zusammen mit Wasserstoff durch mikrobielle<br />
Aktivitäten umgewandelt werden können. Die konventionellen<br />
Konzepte der mikrobiellen Gasbildung gehen<br />
davon aus, dass die Substrate im Wesentlichen in gelöster<br />
Form im Porenwasser der Sedimente bereitgestellt werden.<br />
Ab einer bestimmten Teufe kann deshalb davon ausgegangen<br />
werden, das diese Substrate, aufgrund der intensiven<br />
Aktivitäten aufgebraucht sind und somit den Bakterien<br />
und der mikrobiellen Gasbildung jegliche Lebensgrundlage<br />
entzogen wird. Zusätzlich sollen die steigenden<br />
Temperaturen im Untergrund den Bakterien so zusetzen,<br />
dass unterhalb einer Teufe von wenigen 100 Metern<br />
davon ausgegangen wird, dass keinerlei mikrobielle Gasbildung<br />
mehr möglich ist.<br />
Relativ neue mikrobiologische Untersuchungen haben<br />
allerdings gezeigt, dass hohe Temperaturen für anaerobe<br />
mikrobielle Aktivitäten kein großes Problem darstellen.<br />
Selbst bei Temperaturen über 110 °C können wärmeliebende<br />
Bakterien organische Moleküle zu Methan umwandeln.<br />
Komplexer ist hingegen die Verfügbarkeit von Substraten.<br />
CO 2 oder Wasserstoff aus biochemischen Prozessen<br />
in flachen Sedimenten können in der Tat nicht mehr<br />
geliefert werden. Es ist aber bekannt, das beide Komponenten,<br />
neben Kohlenwasserstoffen, Abbauprodukte thermischer<br />
Prozesse sind. Während thermisch gebildetes CO 2<br />
in der Natur auch in großen Mengen nachgewiesen werden<br />
kann, sind die Mengen an Wasserstoff aus diesen<br />
Umwandlungsprozessen vergleichbar klein, bzw. sind<br />
nicht in großen Mengen auffindbar.<br />
Auch die Prozesse, die zur Bildung von Wasserstoff aus<br />
der thermischen Umwandlung organischen Materials führen,<br />
sind weitgehend unerforscht. Es wird allerdings davon<br />
ausgegangen, dass Aromatisierungs- und Kondensationsprozesse<br />
eine wichtige Quelle von Wasserstoff sein könnten.<br />
Diese Prozesse sind auch während der Inkohlung<br />
organischen Materials zu beobachten und bilden den<br />
Mittelpunkt der Forschungsaktivitäten zur tiefen mikrobiellen<br />
Gasbildung in diesem Projekt. Erste Ergebnisse<br />
zeigen in der Tat, dass insbesondere in der frühen<br />
Umwandlungsphase organischen Materials Aromatisierungs-/Kondensationsprozesse<br />
eine Rolle spielen und vor<br />
allem in organischem Material terrestrischer Herkunft<br />
offensichtlich sind.<br />
Ein Beispiel für den starken Einfluss von Aromatisierungprozessen<br />
auf die strukturellen Veränderungen in<br />
organischem Material während der Inkohlung können in<br />
dem Neuseeländischen Kohleband beobachtet werden,<br />
welches in Abb. 4.80 dargestellt ist. Der Anstieg des HI<br />
als Gradmesser für das Kohlenwasserstoffgenesepotential<br />
mit der Inkohlung im Bereich niedriger Reifen, lässt auf<br />
intensive Aromatisierungs-/Kondensationsprozesse zwischen<br />
Kerogen und Bitumen in den Sedimenten schließen.<br />
Als Ergebnis dieser Prozesse kann davon ausgegangen<br />
werden, dass den Bakterien selbst in großen Teufen genug<br />
Substrat und Wasserstoff zur Verfügung steht, um Methan<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
355
356<br />
Abb. 4.80: Neuseeländisches Kohleband. Der HI (mgHC/ gTOC) als Gradmesser des Kohlenwasserstoffgenesepotentials<br />
steigt in Zonen niedriger Reife an und fällt erst bei höherer Inkohlung aufgrund der fortschreitenden Kohlenwasserstoffbildung<br />
ab.<br />
The NewZealand Coalband. The HI (mgHC/gTOC) as an indicator of the hydrocarbon generation potential increases<br />
in zones of low maturity and decreases at higher levels of maturity.<br />
zu generieren. Da diese Prozesse selbst bei Temperaturen<br />
über 80 °C ablaufen können, bedeutet dieses Konzept, dass<br />
es sogar zu einer Überlappung zwischen flachen thermischen<br />
und tiefen mikrobiellen Gasgeneseprozessen kommen<br />
kann.<br />
Südafrikanische Gassysteme<br />
Grosse Mengen organischen Materials sind im Zuge der Erdgeschichte<br />
in sedimentären Becken erhalten geblieben.<br />
Während der Versenkung solcher organisch-reicher Schichten<br />
führt die thermische Belastung zur Entstehung von Kohlenwasserstoffen,<br />
die aus dem Gestein getrieben werden und<br />
zu flacheren Schichten oder sogar bis zur Oberfläche migrieren<br />
können. Somit sind sedimentäre Becken eine wichtige<br />
Quelle von Treibhausgasen, die sowohl in thermischen als<br />
auch biogenen Prozessen entstehen können. Am Meeresboden<br />
sind Indikationen für Gasleckage häufig. Schlammvulkane,<br />
Karbonathügel und sogenannte „pock marks“ (flache,<br />
5 bis 50 m große schalenförmige Krater) sind weltweit beobachtet<br />
worden (Dimitrov, 2002; Kelley et al., 1994; Limonov<br />
et al., 1997). In vielen Fällen sind diese Oberflächenerscheinungen<br />
mit dem Vorkommen von Gashydraten in<br />
Zusammenhang gebracht worden (Kvenvolden, 1993; Milkov,<br />
2000), obwohl noch Unklarheit darüber besteht, ob die<br />
ursprünglichen Quellen des Gases thermogener oder biogener<br />
Natur sind. Auch in seismischen Datensätzen sind oft<br />
typische Anzeichen für Gasleckage zu finden. Obwohl<br />
detaillierte Beobachtungen über das Vorkommen solcher<br />
Indikatoren vielfach publiziert worden sind, fehlt noch eine<br />
genaue Untersuchung ihres Vorkommens im Laufe der Sedi-<br />
mentbeckenentwicklung, ihrer Relation zu Wärmeflussanomalien<br />
oder strukturellen Elementen, sowie zum Zusammenhang<br />
mit den aktiven Erdölsystemen.<br />
Das Orange River Becken wurde als Teil des INKABA ye<br />
AFRICA-Projekts für eine detaillierte Untersuchung der<br />
Dynamik von Gasgenese, -migration und -leckage auf der<br />
Skala eines gesamten sedimentären Beckens ausgesucht<br />
(Abb. 4.81). Das Orange Becken ist durch das Vorkommen<br />
der gesamten Palette von Gasleckageindikatoren<br />
gekennzeichnet. Schlammvulkane und sogar mögliche<br />
Anzeichen des Vorkommens von Gashydraten sind beschrieben<br />
worden (Ben Avraham et al., 2002).<br />
2D-seismische Datensätze und Bohrlochdaten wurden<br />
vom AWI Bremerhaven und der Petroleum Agency South<br />
Africa (PASA) für diese Studie bereitgestellt. An einem<br />
ersten Datensatz aus dem südlichen Teil des Beckens sind<br />
Gasleckageindikatoren detailliert kartiert worden. Dabei<br />
haben wir sowohl Gasschornsteine sowie oberflächennahe<br />
Amplitudeneffekte beobachtet, die auf gasgesättigte<br />
Schichten hindeuten. Zusätzlich ist in einem Fall ein möglicher<br />
fossiler Schlammvulkan identifiziert worden, welcher<br />
eine zeitliche Einordnung aktiver Gasleckage in der<br />
Vergangenheit erlaubt. Basierend auf der Interpretation<br />
der seismischen Daten ist ein Modell der Entwicklung des<br />
Beckens erstellt und die geologische Geschichte numerisch<br />
simuliert worden.<br />
Das Becken entstand als Resultat der Öffnung des Südatlantiks<br />
im Jura. Nach der Riftphase war das Orange<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.81: Lage des Untersuchungsgebietes<br />
und Stratigraphie.<br />
Location and stratigraphy of the study<br />
area.<br />
Becken durch kontinuierliche Subsidenz<br />
gekennzeichnet, die sich durch die<br />
stetige Agradation kretazischer Schichten<br />
bemerkbar macht. An der Wende<br />
Kreide-Tertiär fand landwärts eine<br />
Hebung und damit verbundene Erosion<br />
landnaher Schichten statt, die bis zur<br />
Gegenwart anhält. Diese veränderten<br />
Bedingungen sind als deutliche Progradation<br />
tertiärer Schichten über die kretazische<br />
Schelfkante hinaus sichtbar.<br />
Die Auswirkungen dieser Ablagerungsgeschichte<br />
auf das vorhandene Erdölsystem<br />
wurden durch eine Beckensimulation<br />
untersucht.<br />
Nach Kalibrierung des Modells an vorhandene<br />
Daten (Temperatur und Vitrinitreflexion),<br />
wurden auch die Genese<br />
und Migration von Kohlenwasserstoffen<br />
als Funktion der Wärmeflussgeschichte<br />
simuliert. Hierbei wurden die Eigenschaften<br />
der modellierten Sedimente im<br />
Rahmen der natürlichen Variabilität<br />
variiert, bis eine guten Übereinstimmung<br />
der vorhergesagten Leckage mit<br />
den kartierten Gasleckageindikatoren<br />
erzielt worden war (Abb. 4.82). Die so<br />
modellierten Migrationswege entsprechen<br />
in ihrer räumlichen Verteilung den<br />
beobachteten Gegebenheiten. Der errechnete<br />
gegenwärtige Gasfluss am<br />
Meeresboden des Untersuchungsgebiets<br />
passt sehr gut mit gemessenen Daten aus<br />
beispielsweise dem englischen Schelf<br />
(Judd et al., 1997) zusammen, und deutet<br />
darauf hin, dass eine Bilanzierung der<br />
Gasemissionen aus sedimentären Becken<br />
über geologische Zeiträume möglich<br />
ist.<br />
Modellierung des Norwegischen<br />
Kontinentalrandes und der südwestlichen<br />
Barentssee<br />
Im Rahmen von EUROMARGINS (ein<br />
DFG- und ESF-gefördertes Programm)<br />
untersuchen Wissenschaftler aus mehreren<br />
europäischen Ländern verschiedene<br />
Aspekte der Entwicklung europäischer<br />
Kontinentalränder. Das am <strong>GFZ</strong> durchgeführte<br />
Teilprojekt hat sich die Rekonstruktion<br />
der tektono-sedimentären Entwicklung<br />
im offshore-Bereich von Norwegen<br />
und der dort vorhandenen Kohlenwasserstoffsysteme<br />
zum Ziel gesetzt.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
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358<br />
Abb. 4.82: a) Gas-Schornstein, pock mark und Amplitudeneffekt am Meeresboden wie aus der Seismik ersichtlich, b)<br />
kartierte Indikatoren für Gasleckage, c) modellierte Migrationswege der gasförmigen Kohlenwasserstoffe in Trägergesteinen,<br />
und d) modellierter Austritt thermogenen Gases am Meeresboden.<br />
a) Gas chimney, pock mark and amplitude effects as visible in the seismic section, b) mapped gas leakage indications,<br />
c) modelled gas migration pathways in the carrier system, and d) modelled gas leakage at the seafloor.<br />
Abb.4.83:Aktivitäten im Rahmen von EM16: SW Barentssee:<br />
thermische Geschichte, Belastung durch Eis und<br />
Beckeninversion mit Hebung; Vøring Margin: Strukturmodell<br />
mit Bilanzierung der Deformation.<br />
Activities in EM16: SW Barents Sea: Thermal History, Ice<br />
Loading and Inversion of an exhumed basin. Vøring Margin:<br />
3D Structural model, 2D structural restoration.<br />
Die Arbeitsgruppe setzt hierzu zwei Schwerpunkte: Einerseits<br />
wird die geodynamische Entwicklung des passiven<br />
Kontinentalrands Norwegens (Abb. 4.83) untersucht und<br />
andererseits die Wirkung tektonischer Bewegungen auf<br />
die Genese, Migration, Leckage und Sequestrierung von<br />
natürlichen Kohlenwasserstoffen sowie die damit verbundenen<br />
Rückkopplungsprozesse zur Klimaentwicklung.<br />
3D-Modell des Vøring-Beckens am atlantischen Kontinentalrand<br />
Norwegens<br />
Der passive Kontinentalrand Norwegens (Abb. 4.84) wurde<br />
von mehreren Dehnungsphasen erfasst, bevor es zum letztendlichen<br />
Aufbrechen der kontinentalen Kruste mit Bildung<br />
ozeanischer Kruste zwischen Grönland und Norwegen<br />
im frühen Eozän kam. Diese vorangehenden Dehnungsprozesse<br />
führten zur Bildung tiefer Sedimentbecken<br />
auf der kontinentalen Kruste vom Perm bis ins Känozoikum.<br />
Ein Verständnis der Entwicklung dieser Sedimentbecken,<br />
der Verlagerung von Depotzentren mit der Zeit<br />
und der anschließenden Überprägung durch jüngere Deformationsphasen<br />
erlaubt übertragbare Schlussfolgerungen<br />
zur Entwicklung von passiven Kontinentalrändern, ist<br />
jedoch auch essentiell, um die Aussagen zur Entwicklung<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.84: a) 3D Modell des Norwegischen Kontinentalrands, Blick auf die Basis Tertiär. b) Profil quer zum Kontinentalrand,<br />
das die komplexe interne Struktur der Kruste vom kontinentalen zum ozeanischen Bereich veranschaulicht.<br />
a) 3D model of the Norwegian continental margin, view on base Tertiary. b) Profile across the margin imaging the<br />
complex internal structure of the crust from the continental to the oceanic domain.<br />
dort vorkommender Kohlenwasserstoffsysteme machen<br />
zu können.<br />
Insbesondere können Änderungen der Temperatur- und<br />
Druckbedingungen dazu führen, dass Erdöl und Ergas<br />
nicht nur generiert, sondern auch umverteilt bzw. sogar<br />
freigesetzt wird, wodurch sich Rückkopplungsprozesse<br />
zur Klimaentwicklung ergeben können. In Zusammenarbeit<br />
mit den Universitäten von Oslo, Bergen und Amsterdam,<br />
sowie des Norwegischen Petroleum-Direktorats<br />
wurde ein dreidimensionales Strukturmodell einer Schlüsselregion<br />
des norwegischen Kontinentalrands, des Vøring-<br />
Beckens konstruiert. Hierzu waren eine Vielzahl geologischer<br />
und geophysikalischer Daten widerspruchsfrei zu<br />
integrieren, um die Strukturen dieses Kontinentalrands zu<br />
visualisieren. Das Modell ist einerseits die Basis für eine<br />
Strukturanalyse und gleichzeitig die Grundlage für verschiedene<br />
Modellierungansätze zur Rekonstruktion der<br />
Beckengeschichte.<br />
Modellierung der Genese, Migration und Freisetzung von<br />
Kohlenwasserstoffen in der Barentssee<br />
Dieser Aspekt des Projekts untersucht die Auswirkungen<br />
von tektonischer Hebung und postglazialen Ausgleichsbewegungen<br />
auf die Genese, Migration, Leckage und<br />
Sequestrierung von Treibhausgasen und den daraus resultierenden<br />
Einfluss auf das Erdklima im Känozoikum. Das<br />
dafür gewählte Untersuchungsgebiet, das Hammerfest-<br />
Becken in der südwestlichen Barentssee, war besonders<br />
stark von känozoischen Hebungen und damit verbundener<br />
Erosion betroffen, was zu einer Destabilisierung und<br />
möglicherweise Freisetzung von Kohlenwasserstoffen<br />
geführt hat. Die Studie wird somit nicht nur neue Erkenntnisse<br />
für die neuerdings wieder aufgenommene Erdölexploration<br />
in diesen arktischen Gebieten bringen, sondern<br />
auch mögliche Rückkopplungsprozesse zwischen Klimaentwicklung<br />
und der Freisetzung von Treibhausgasen<br />
sowie der Bildung und Freisetzung von Gashydraten aus<br />
fossilen Lagerstätten beleuchten. Erste Ergebnisse weisen<br />
darauf hin, dass die Hebung und damit verbundene Exhumierung<br />
des Hammerfest-Beckens in Zusammenhang mit<br />
den pleistozänen Vereisungen stattgefunden hat. Zurzeit<br />
werden verschiedene Eismodelle berücksichtigt, um die<br />
Druck- und Temperaturentwicklung und die daraus folgenden<br />
Phasenänderungen der Kohlenwasserstoffe des<br />
Snøhvit-Gasfelds zu rekonstruieren.<br />
Leben in „extremen“ Ablagerungsräumen<br />
Aufgrund der Bedeutung des Anteils der „Tiefen Biosphäre“<br />
an der Gesamtbiomasse der Erde, sind die rezenten<br />
mikrobiellen Prozesse von grundlegender Bedeutung<br />
für das Ökosystem Erde. Allerdings ist die Detektion und<br />
Charakterisierung von mikrobiellem Leben in marinen<br />
und terrestrischen tiefliegenden Lebensräumen immer<br />
noch eine Herausforderung. Obwohl in zahlreichen Studien<br />
in mehreren hundert bis tausend Metern Teufe Zellzahlen<br />
von 105 bis 106 Zellen/cm 3 nachgewiesen wurden<br />
(D’Hondt et al., <strong>2004</strong>; Parkes et al., 2000), ist eine genau-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
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360<br />
Abb. 4.85: Untersuchungsgebiet in der SW-Barentssee mit Lage des modellierten Profils und entsprechendes 2D-<br />
Beckenmodell im Hammerfest-Becken. Die modellierte Temperatur und Reifegeschichte dieses Beckens zeigt ein signifikantes<br />
thermisches Ungleichgewicht das vermutlich auf känozoische Erosion während der Eiszeiten zurückzuführen<br />
ist.<br />
Field area, the SW Barents Sea, location of modelled section and 2D Basin Model. Temperature and maturity calibration<br />
of the Hammerfest Basin reveals a significant thermal disequilibrium. That probably results from Cenozoic Ice Age<br />
erosion.<br />
ere Sicht auf die Zusammensetzung dieser mikrobiellen<br />
Gemeinschaften nach wie vor erforderlich. Vor allem<br />
deren Charakterisierung auf molekularer Basis – mit<br />
Schwerpunkt auf intakten Membranlipiden, wie z. B.<br />
Phospholipiden (PL), die als sogenannte „life marker“<br />
angesehen werden können – in unterschiedlichen Ablagerungsräumen<br />
kann zur Klärung der Verteilung lebender<br />
Organismen und insbesondere deren Anpassung und<br />
quantitativer Ausdehnung beitragen (Zink & Mangelsdorf,<br />
<strong>2004</strong>).<br />
Um diese Prozesse zu erforschen, wurden und werden tiefliegende<br />
Sedimente (bis zu mehreren hundert Metern)<br />
aus verschiedensten Ablagerungsräumen untersucht: Nankai<br />
Graben (ODP Leg 190, vor der Küste Japans), Upwelling-Zone<br />
vor Chile/Peru (R/V SONNE Expedition;<br />
Leg 201), Hydrate Ridge (Leg 204, vor der Küste Oregons),<br />
Mallik-Forschungsbohrung durch Permafrost- und<br />
Gashydratzonen, Mackenzie River Delta, Nord-Kanada<br />
und als Vergleichsmaterial lakustrine Sedimente aus dem<br />
Baikalsee, dem Aralsee und aus deutschen Seen. Aktuell<br />
wird eine Sedimentserie aus dem Porcupine-Becken vor<br />
Irland (ODP Leg 307) im Hinblick auf Signale von mikrobiellen<br />
Gemeinschaften untersucht. Insbesondere soll<br />
geklärt werden, ob durch abiotische Prozesse, wie die ther-<br />
mische Umwandlung von abgelagertem organischem<br />
Material oder die Leckage von Kohlenwasserstoffen, Verbindungen<br />
freigesetzt werden, die als Nahrung für die tiefe<br />
Biosphäre dienen können. Dazu werden neben den Lipiden<br />
auch die Isotopensignale der Kohlenwasserstoffgase<br />
analysiert, um deren thermische bzw. biologische Herkunft<br />
zu definieren.<br />
Während die lakustrinen Sedimente hohe Konzentrationen<br />
an bakteriellen, leicht abbaubaren, estergebundenen<br />
Phospholipiden enthalten, liegen die Konzentrationen in<br />
den tiefliegenden Sedimenten oft dicht an der Nachweisgrenze<br />
(ODP, Mallik). PL aus ODP Leg 201 Sedimenten<br />
(Site 1226, 1230) erreichen maximale Konzentrationen<br />
von nur 1,2 µg/gSed, deren Verteilungsmuster sind allerdings<br />
oft vergleichbar mit denen aus Oberflächenproben.<br />
Es hat sich aber gezeigt, dass sowohl die Mallik- als auch<br />
die meisten ODP-Sedimentproben von ethergebundenen<br />
Phospholipiden dominiert werden. Im Baikalsee wiederum<br />
(bis 1.630 m Wassertiefe) wurden Konzentrationen<br />
von bis zu 10,6 µg/gSed verschiedener estergebundener<br />
PL-Gruppen im ersten Meter des Sediments nachgewiesen.<br />
Die Zusammensetzung der PL-Gruppen scheint teilweise<br />
eine an die Umwelt angepasste mikrobielle Gemeinschaft<br />
zu reflektieren, insbesondere die hier häufigen<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb.4.86:Modellierte Druck- und Temperaturänderungen während der Heraushebung des Hammerfest-Beckens. Inset:<br />
hochaufgelöste 1D-Absenkungsgeschichte für das Snøhvit-Gasfeld mit Eiszyklen. Eine Vorwärtsmodellierung der Eisbedeckung<br />
ergab ungewöhnliche Druckvariationen sowohl im tiefen Erdölsystem als auch in der flachen Gashydratzone.<br />
Modelled pressure and temperature fluctuations during exhumation for the Hammerfest Basin. Inset, high resolution<br />
burial history for the Snøhvit gas field with ice sheets. Forward modelling of ice sheet loading indicates unusual pressure<br />
fluctuations both in the deep petroleum system regime and near-surface gas hydrate environment. We are currently<br />
investigating these outcomes.<br />
Acylphosphatidylglycerole mit drei statt zwei Fettsäuren<br />
sind nur aus einigen wenigen Bakterien bekannt.<br />
Hohe Umsetzungsraten des organischen Materials in der<br />
Wassersäule und im ersten Zentimeter des Sediments lassen<br />
auf intensiven Abbau auch von Phospholipiden schließen,<br />
so dass die identifizierten PL höchstwahrscheinlich<br />
Bestandteile lebender Bakterien darstellen.<br />
Die über den See verteilten Kerne<br />
weisen deutliche Unterschiede in den PL-<br />
Konzentrationen mit der Teufe auf, so dass<br />
sogar z. T. ein Rückgang von ca. 90 %<br />
innerhalb der ersten 60 cm des Sediments<br />
auftritt. Diese Änderungen lassen sich<br />
entweder auf Änderungen in der bakteriellen<br />
Biomasse oder auf Biodegradation<br />
von PL zurückführen. Ein Vergleich von<br />
PL-Mengen und mikrobiellen Lebendzellzahlen<br />
für zwei Kurzkerne ergibt die<br />
gleiche Größenordnung bezüglich der<br />
lebenden Biomasse.<br />
Außerdem wurden zwei Gruppen mikrobieller<br />
Lipide, vermutlich von Archaeen<br />
stammend, sowohl im Baikal-See als auch<br />
in marinen ODP und den terrestrischen<br />
Mallik-Sedimenten nachgewiesen. Beide<br />
Komponentenserien werden als Etherlipide<br />
mit einer großen Bandbreite an Seitenkettenlängen<br />
interpretiert: eine Grup-<br />
pe wurde als Lysophosphatidylglycerol(LPG)ether identifiziert,<br />
die andere vorläufig als Glykophospholipidether.<br />
Im Gegensatz zu estergebundenen Lipiden, scheinen diese<br />
weniger anfällig gegenüber Abbauprozessen zu sein, vor<br />
allem LPGether sind auch in tieferen Sedimentlagen noch<br />
angereichert. Außerdem spricht deren verbreitetes und<br />
teufenunabhängiges Auftreten im marinen tieferen Unter-<br />
Abb. 4.87: Änderung im Membranlipidmuster des hyperthermophilen<br />
Archaeons Pyrococcus glycovorans (Wachstumstemperatur 95 bis 105 °C)<br />
aufgrund von erhöhtem Druck (Kultivierung durch G. Barbier, Universität<br />
Brest).<br />
Change in membrane lipid pattern of the hyperthermophilic archaeon /Pyrococcus<br />
glycovorans (growth temperature 95-105 °C) as response to enhanced<br />
pressure (cultivation by G. Barbier, University Brest).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
361
362<br />
grund – insbesondere in Leg 201 Sedimenten – für eine<br />
erhöhte Abbauresistenz.<br />
Um diese mikrobiellen Lipidmuster in Sedimenten besser<br />
nachvollziehen zu können, wurde die Anpassung an hohe<br />
Drücke, Temperaturen und Substratwechsel, die sich in der<br />
molekularen Zusammensetzung der mikrobiellen chemischen<br />
Zellkomponenten widerspiegelt, an verschiedenen<br />
Kulturen untersucht. Insgesamt bewirkten all diese Änderungen<br />
der Umgebungsbedingungen deutliche Variationen<br />
in den Kopfgruppen der Phospholipide und z. T. auch<br />
in den Fettsäureseitenketten (Mangelsdorf et al., <strong>2005</strong>).<br />
Diese neuen Erkenntnisse haben verdeutlicht, wie flexibel<br />
Mikroorganismen auf einen Wechsel in ihrem (extremen)<br />
Lebensraum reagieren können (Abb. 4.87).<br />
Die Nahrungsgrundlagen für mikrobielles Leben<br />
in tiefen terrestrischen Systemen<br />
Die in den letzten Jahren gewachsene Erkenntnis, dass<br />
mikrobielles Leben tief unterhalb der Erdoberfläche existiert<br />
(Parkes et al., 2000; Pedersen, 2000), führte zu einer<br />
völlig neuen Sichtweise darauf, wie tief und unter welchen<br />
Bedingungen Leben auf der Erde möglich ist. Eine der<br />
entscheidenden Fragen in diesem relativ neuen Wissenschaftsfeld<br />
ist, wie mikrobielles Leben in solch tiefen und<br />
alten Formationen überleben kann. Es wird angenommen,<br />
dass eine fermentative Umwandlung des in die Sedimente<br />
eingebetteten organischen Materials durch die Mikroben<br />
selbst zur kontinuierlichen Freisetzung von Nährstoffen<br />
führt. Eine weitere Quelle könnte allerdings auch die<br />
thermische Reifung des organischen Materials sein. Denn<br />
es ist bekannt, dass dabei potentielle Substrate – wie Wasserstoff,<br />
Kohlendioxid, Methanol, und Acetat – freigesetzt<br />
werden, was den Ablauf von autotrophen Reaktionen wie<br />
der Methanogenese und der Acetogenese ermöglicht und<br />
damit eine Kopplung zwischen geologischen und biologischen<br />
Prozessen bedeuten würde.<br />
Die DEBITS (Deep Biosphere in Terrestrial Systems)-<br />
Bohrung auf Neuseeland (Abb. 4.88) bietet die Möglichkeit,<br />
derartige Prozesse zu untersuchen. Der erbohrte Kern<br />
umfasst eine Sedimentabfolge von mehreren Lagen, die<br />
reich an organischem Material unterschiedlicher Reife<br />
sind, eingebettet in Ton-, Silt- und Sandschichten. Die an<br />
organischen Stoffen reichen Lagen dienen dabei vermutlich<br />
als potentielle substratliefernde Schichten, während<br />
die grobkörnigeren Ton-, Silt- und Sandschichten potentielle<br />
Lebensräume für die Mikroben darstellen. Darüber<br />
hinaus werden Proben einer vollständigen Reifesequenz<br />
(Torfe bis reife Braunkohlen) aus verschiedenen neuseeländischen<br />
Becken untersucht, um den Einfluss der Fazies<br />
auf die Reife zu untersuchen und um das Substratpotential<br />
dieser Kohlen mit steigender Reife abzuschätzen.<br />
Ziele der DEBITS-Studie sind zum einen die Charakterisierung<br />
des Lebensraums von tiefen mikrobiellen Populationen<br />
vor dem Hintergrund unterschiedlicher Sedimentlithologien<br />
mit variablen Gehalten an organischem<br />
Kohlenstoff (potentielle Substratfreisetzung) und zum<br />
anderen die Entwicklung eines Bohrverfahrens im terres-<br />
trischen Bereich zur Erbohrung von möglichst kontaminationsfreiem<br />
oder zumindest kontaminationskontrolliertem<br />
Kernmaterial für biogeochemische Untersuchungen.<br />
Eine der Grundvoraussetzung biogeochemischer Untersuchungen<br />
ist, dass das Kernmaterial tiefer gelegener<br />
Sedimentabschnitte frei von mikrobieller Oberflächenkontamination<br />
ist. Die angewandten Bohrverfahren im terrestrischen<br />
Bereich (hier das Rotationsbohrverfahren)<br />
stellen dabei eine besondere Herausforderung dar. Um die<br />
Eindringtiefe der Bohrflüssigkeit in das Kernmaterial und<br />
damit die potentielle Kontamination mit Mikroorganismen<br />
von der Oberfläche zu dokumentieren, wurden der<br />
Bohrspülung vor Beginn und kontinuierlich während der<br />
Bohrung fluoreszierende Mikropartikel (in der Größe von<br />
Mikroorganismen 0,5µm) beigefügt. Nach Gewinnung<br />
des Kernmaterials wurden Proben von der äußeren und<br />
inneren Kernsektion genommen und unter dem Fluoreszenzmikroskop<br />
hinsichtlich ihrer Mikropartikelkontamination<br />
untersucht. Die mikroskopischen Untersuchungen<br />
ergaben eine variable Abfolge von kontaminierten und<br />
nicht kontaminierten Kernabschnitten, scheinbar unabhängig<br />
von der Sedimentlithologie. Dennoch ermöglichte<br />
das entwickelte Bohrverfahren die Gewinnung vieler<br />
unkontaminierter Kernabschnitte, die dann für die weiteren<br />
mikrobiologischen und biogeochemischen Untersuchungen<br />
herangezogen werden konnten.<br />
Die molekular organisch-geochemische Analyse der Kohlen<br />
aus der Reifesequenz haben anhand der Biomarkerverteilung<br />
bisher ergeben, dass die verschiedenen Beckenfazies<br />
sehr großen Einfluss auf das organische Ausgangsmaterial<br />
haben und somit auch auf das Substrat-Potential<br />
für Mikroorganismen. Insbesondere der in den neuseeländischen<br />
Kohlen z. T. hohe Anteil an aromatischen Biomarkern<br />
und mit zunehmender Reife an generierten Aromaten<br />
wird als potentielle Wasserstoffquelle für bestimmte<br />
Mikroorganismen interpretiert.<br />
Zur Detektierung von lebenden Mikroorganismen in den<br />
tieferen Zonen der DEBITS-Bohrung werden spezifische<br />
Biomarker, die so genannten Phospholipide verwendet, die<br />
nur in lebenden Organismen über längere Zeiträume stabil<br />
sind. Die Lipiduntersuchung ausgewählter Übergänge von<br />
Lagen, reich an organischem Material, zu grobkörnigeren<br />
Ton-, Silt- und Sandschichten lassen vermuten, dass die<br />
Mikroben das klastische Material nahe der Schichten mit<br />
organischem Material (potentielle Substratlieferanten) als<br />
Lebensraum bevorzugen. Eine Erklärung für diese Beobachtung<br />
könnte der größere Porenraum in diesen Lithologien<br />
sein, der metabolische Austauschprozesse der Mikroorganismen<br />
im Porenwasser erlaubt. Die Nähe zu den<br />
Schichten, die reich an organischem Material sind, weist<br />
dabei auf eine Substratfreisetzung aus diesen Schichten in<br />
die angrenzenden Lagen hin (Beispiel siehe Abb. 4.88).<br />
Mechanismen und Effekte des biologischen Erdölabbaus<br />
Biologischer Abbau von Kohlenwasserstoffen in Erdölund<br />
Erdgaslagerstätten ist ein weit verbreitetes Phänomen<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.88: Foto der DEBITS Bohrlokation nahe des Ortes Huntly auf der Nordinsel Neuseelands, Foto eines Kernsegmentes<br />
mit Fragmenten organischen Materials eingebettet in tonige Sedimentschichten und Diagramm der Phospholipidverteilung<br />
als Indikator für lebende Mikroorganismen relativ zur Lithologie und zum TOC-Gehalt. Das Verteilungsmuster<br />
scheint einen Ausgleich zwischen der Umgebung der (substratliefernden) Schicht, die reich an organischem<br />
Material ist, und ausreichendem Porenraum anzudeuten.<br />
Photo of the DEBITS drilling location near the village of Huntly on the North Island of New Zealand, Photo of a subcore<br />
with coaly fragments imbedded into a claystone sequence, and distribution diagram of phospholipids indicating<br />
the presence of viable microorganisms, relative to different lithologies and TOC contents. The distribution pattern points<br />
to a compromise between the vicinity to the organic carbon rich „feeder“ lithology and sufficient pore space.<br />
mit negativen technischen, wirtschaftlichen und ökologischen<br />
Folgen. Es ist seit langem bekannt, dass der biologische<br />
Abbau zu einer Erhöhung der Dichte und der Viskosität<br />
ebenso wie zu einer Erhöhung der Gehalte an<br />
Schwefel, Schwermetallen und organischen Säuren in den<br />
betroffenen Erdölen führt. Wegen des Fehlens von Sauerstoff<br />
in den Lagerstätten müssen die Abbauprozesse unter<br />
anaeroben Bedingungen ablaufen. Aus diesem Grund war<br />
die Aufklärung von Mechanismen des anaeroben biologischen<br />
Kohlenwasserstoffabbaus ein wichtiger Beitrag im<br />
Hinblick auf das Verständnis solcher Prozesse in natürlichen<br />
Ökosystemen, zu denen auch die Erdöl- und Erdgaslagerstätten<br />
gehören (z. B. Wilkes et al., 2003). Einen<br />
Überblick über den Prozess des biologischen Erdölabbaus<br />
in Lagerstätten vermittelt Abb. 4.89.<br />
Generell wird davon ausgegangen, dass die Veränderungen<br />
der Erdölzusammensetzung im Wesentlichen durch die<br />
unterschiedliche Abbaubarkeit verschiedener Erdölbestandteile<br />
zu Stande kommen. Auf der Basis empirischer<br />
Daten wurden Klassifizierungsschemata entwickelt, mit<br />
deren Hilfe Erdöle entsprechend dem Ausmaß der Biodegradation<br />
bewertet werden können (Peters und Moldowan,<br />
1993; Wenger et al., 2001). Unsere Untersuchungen zum<br />
Einfluss der biologischen Abbauprozesse auf die Zusammensetzung<br />
und damit auf die Eigenschaften des Erdöls<br />
haben nun gezeigt, dass solche verallgemeinerten Abbauschemata<br />
nur mit großen Einschränkungen anwendbar sind.<br />
Die detaillierte Analyse biodegradierter Erdöle unterschiedlicher<br />
geographischer Herkunft (Nordsee; Kanada;<br />
Ägypten; Westafrika) zeigt, dass jedes Erdölsystem charakteristische<br />
Muster in der Abfolge des Abbaus verschiedener<br />
Erdölbestandteile aufweist. Besonders wichtig<br />
ist die Erkenntnis, dass der Abbau verschiedener Erdölbestandteile<br />
nicht, wie bislang angenommen, stufenweise<br />
verläuft, sondern dass die verschiedenen Erdölbestandteile<br />
gleichzeitig, aber mit sehr unterschiedlichen Raten<br />
abgebaut werden. Hierfür können im Wesentlichen zwei<br />
Gründe verantwortlich gemacht werden. Es ist bekannt,<br />
dass anaerobe kohlenwasserstoffabbauende Mikroorganismen<br />
ausgesprochene Spezialisten sind, die jeweils nur<br />
ein sehr geringes Spektrum der im Erdöl vorhandenen Einzelverbindungen<br />
verwerten können (Widdel und Rabus,<br />
2001). Daher wird der Verlauf der Abbauprozesse in einem<br />
Erdölsystem von der jeweiligen Zusammensetzung der<br />
mikrobiellen Gemeinschaft abhängen. Über die geologischen<br />
Faktoren, die die Lebensbedingungen in einer<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
363
364<br />
Abb.4.89:Überblick über den Prozess des<br />
biologischen Erdölabbaus: Mikrobielles<br />
Leben in Erdöllagerstätten erfordert<br />
zwingend flüssiges Wasser. Daher finden<br />
biologische Abbauvorgänge bevorzugt an<br />
der Grenze von Öl- und Wasserphase statt,<br />
wodurch es zu vertikalen Gradienten in<br />
der Erdölzusammensetzung kommt. Physikalisch-chemische<br />
Faktoren und Prozesse<br />
(diffusiver Transport, Sorptionseigenschaften,<br />
Verteilungsverhalten, Wasserlöslichkeit)<br />
kontrollieren die unterschiedliche<br />
Bioverfügbarkeit einzelner<br />
Erdölbestandteile. Mikroorganismen passen<br />
ihr Verhalten an die Eigenschaften der<br />
jeweils bevorzugten Substrate an. Sind<br />
diese gut wasserlöslich, treiben ihre Abbauer<br />
frei in der Wasserphase („non-attached<br />
bacteria“), sind sie dagegen schlecht<br />
wasserlöslich, halten sich ihre Abbauer<br />
nahe am Öl-Wasser-Kontakt auf („attached<br />
bacteria“). Für den Verlauf der Abbauvorgänge<br />
sind weitere Faktoren wie<br />
z. B. die Verfügbarkeit von Elektronenakzeptoren<br />
(Sulfat, CO 2) von Bedeutung. Es<br />
wird auf Grund empirischer Befunde allgemein<br />
angenommen, dass 80 bis 90 °C<br />
die Temperaturobergrenze für biologischen<br />
Abbau von Kohlenwasserstoffen<br />
in Lagerstätten darstellt. Der Grund hierfür<br />
ist allerdings unklar, da mikrobielles<br />
Leben bei weit höheren Temperaturen<br />
(>110 °C) möglich ist.<br />
Conceptional overview of petroleum biodegradation. Microbial life in reservoirs is only possible in the presence of<br />
liquid water. Therefore, biodegradation takes mainly place at the oil-water-contact, resulting in vertical gradients of<br />
oil composition. Physicochemical factors and processes (diffusive transport, sorption behaviour, partition behaviour,<br />
water solubility) control the different bioavailability of individual oil constituents. Microorganisms adapt their behaviour<br />
to the properties of preferred substrates. Degraders of highly water soluble substrates thrive in the water phase<br />
(„non-attached bacteria“) while degraders of substrates of low water solubility stay in close vicinity to the oil-watercontact<br />
(„attached bacteria“). With respect to the overall process other factors such as the availability of electron<br />
acceptors (sulphate, CO 2) are also very important. Based on empirical observations it is generally assumed that 80 –<br />
90 °C represent the upper temperature limit for biodegradation of hydrocarbons in reservoirs. The reason for this, however,<br />
is not clear since microbial life is possible at significantly higher temperatures (> 110 °C).<br />
Lagerstätte und damit die Zusammensetzung der Mikroflora<br />
steuern, ist bislang allerdings nur sehr wenig bekannt.<br />
Hieraus ergibt sich erheblicher Forschungsbedarf für zukünftige<br />
Untersuchungen. Der zweite wichtige Faktor ist<br />
die Bioverfügbarkeit einzelner Erdölbestandteile. Da kohlenwasserstoffabbauende<br />
Mikroorganismen in der Wasserphase<br />
einer Lagerstätte leben, können sie nur solche<br />
Ölbestandteile verwerten, die in gelöster Form im Wasser<br />
vorliegen (Abb. 4.89). Alle physikalisch-chemischen Prozesse,<br />
die den Transport in die Wasserphase und die Konzentration<br />
dort bestimmen, haben daher einen Einfluss auf<br />
die Bioverfügbarkeit und somit auch auf die Abbauraten.<br />
Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen haben wir<br />
eine Methode entwickelt, mit der erstmals die relativen<br />
Abbauraten individueller Erdölbestandteile für einzelne<br />
Lagerstätten ermittelt werden können. Abb. 4.90 erläutert<br />
dies am Beispiel der n-Alkane.<br />
Auf Grundlage dieser Erkenntnisse zur Wirkung biologischer<br />
Abbauprozesse auf die Änderung der Erdölzusammensetzung<br />
können neue konzeptionelle Modelle zur besseren<br />
Vorhersage von Erdöleigenschaften entwickelt werden.<br />
Häufig verwendete molekulare Indikatoren für die<br />
Abbauprozesse und wichtige Kenngrößen zur Charakterisierung<br />
der Erdölqualität sind oft widersprüchlich. Eine<br />
der wichtigsten Kenngrößen ist die so genannte API-Dichte<br />
(genauere Erläuterungen finden sich in der Legende zu<br />
Abb. 4.91), deren Werte mit fortschreitender Biodegradation<br />
sinken. Als molekulare Indikatoren finden vornehmlich<br />
die Konzentrationsverhältnisse ausgewählter Erdölbestandteile<br />
Verwendung. Unsere Untersuchungen zeigen,<br />
dass widersprüchliche Ergebnisse eine Folge inadäquater<br />
molekularer Parameter sind. Daher haben wir einen<br />
neuen molekularen Parameter entwickelt, der auf der<br />
Quantifizierung von mehr als 50 Erdölbestandteilen<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.90: Abhängigkeit der relativen Abbauraten von n-Alkanen von der<br />
Kettenlänge. Der diffusive Transport und die Wasserlöslichkeit von n-Alkanen<br />
nehmen mit zunehmender Kettenlänge ab, so dass die Bioverfügbarkeit<br />
sinkt. Die Abb. vergleicht Ergebnisse für Erdölsysteme im West-Shetland-<br />
Becken und im Mackenzie-Delta. In beiden Fällen nimmt die relative Abbaurate<br />
mit der Kettenlänge ab. Es wird jedoch auch deutlich, dass in den<br />
beiden Erdölsystemen unterschiedliche Kettenlängenbereiche besonders<br />
schnell abgebaut werden.<br />
Dependence of relative degradation rates of n-alkanes on chain length.<br />
Diffusive transport and water solubility of n-alkanes decrease with increasing<br />
chain length resulting in reduced bioavailability. The graph compares<br />
results for petroleum systems in the West Shetland Basin and in<br />
the Mackenzie Delta. In both cases, relative degradation rates decrease<br />
with increasing chain length. It can also be seen, that the chain length<br />
range of most rapidly degraded n-alkanes differs in the two petroleum<br />
systems.<br />
basiert. Abb. 4.91 zeigt, dass mit diesem<br />
Parameter die Erdölqualität (API-Dichte)<br />
auf der Basis chemischer Analysen ausgezeichnet<br />
vorhergesagt werden kann.<br />
Anwendung substanzspezifischer<br />
Isotopenverhältnisse in geochemischen<br />
Fragestellungen<br />
Mit der technischen Entwicklung von<br />
GC-IRMS-Systemen ist es seit einigen<br />
Jahren möglich, die Kohlenstoff- und<br />
Wasserstoffisotopenverhältnisse für einzelne<br />
Verbindungen in komplexen Stoffgemischen<br />
zu bestimmen. Die Bestimmung<br />
der substanzspezifischen Kohlenstoffisotopenverhältnisse<br />
umfasst die<br />
gaschromatographische Trennung der<br />
komplexen Gemische, die anschließende<br />
Oxidation der einzelnen Verbindungen zu<br />
CO 2 und H 2O und die massenspezifische<br />
Detektion des CO 2 sowie Berechnung des<br />
δ 13 C-Wertes im Verhältnis zum international<br />
definierten Standard PeeDee<br />
Belemnit (Abb. 4.92).<br />
Die Isotopenverhältnisse organischer<br />
Substanzen sind abhängig von der Herkunft<br />
des Materials sowie von der Art und<br />
der Intensität biochemischer Prozesse.<br />
An der Lokation eines aktiven Gasaustritts<br />
im Forearc-Becken des Sunda-<br />
Bogens südlich von Java konnten anhand<br />
Abb. 4.91: Vergleich der vorhergesagten und gemessenen API-Dichten für Erdöle unterschiedlicher geographischer<br />
Herkunft. Die API-Dichte berechnet sich aus der gemessenen Dichte gemäß der Formel: API-Dichte = (141,5/spezifische<br />
Dichte) – 131,5. Die untersuchten<br />
Erdöle sind in unterschiedlichem Ausmaß<br />
von biologischen Abbauprozessen beeinflusst.<br />
Das Bestimmtheitsmaß (R 2 = 0,96)<br />
dokumentiert die Qualität der vorhergesagten<br />
Werte. Die mittlere Abweichung<br />
der vorhergesagten von der gemessen<br />
API-Dichte ist 1,2 und damit weit besser<br />
als bei bisherigen Methoden zur Vorhersage<br />
der Ölqualität.<br />
Comparison of predicted and measured<br />
API gravities for crude oils of different<br />
geographical origin. The API gravity is<br />
calculated from the measured gravity<br />
according to the formula: API gravity =<br />
(141.5/specific gravity) – 131.5. The<br />
investigated oils have been degraded to<br />
different extents. The coefficient of correlation<br />
(R 2 = 0.96) documents the high<br />
quality of the predicted values. The<br />
mean deviation of the predicted from the<br />
measured API gravity is 1.2 and hence<br />
much better than for previously reported<br />
methods for the prediction of oil<br />
quality.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
365
366<br />
Abb. 4.92: Schematische Darstellung der Funktionsweise eines GC-IRMS-Systems zur Bestimmung substanzspezifischer<br />
Kohlenstoffisotopenverhältnisse. Die Trennung des komplexen Stoffgemisches erfolgt gaschromatographisch. Bei<br />
einer Temperatur von 940 °C werden die getrennten Substanzen katalytisch zu CO 2 und H 2O oxidiert. Der Reduktionsreaktor<br />
dient der Eliminierung von Stickoxiden, in der Wasserfalle werden Wassermoleküle über eine Nafion ® -<br />
Membran aus dem Trägergas entfernt. Das verbleibende CO 2 wird nach der Ionisierung massenspezifisch detektiert<br />
und aus dem Verhältnis von 44 CO 2 zu 45 CO 2 kann der δ 13 C Wert berechnet werden.<br />
Schematic view of a GC-IRMS-system for compound-specific isotope analysis. The separation of complex mixtures is<br />
done by gas chromatography. At a temperature of 940 °C separated compounds are oxidized to CO 2 and H 2O catalytically.<br />
The reduction interface eliminates nitrogen oxides and the water is separated from the carrier gas by a Nafion ®<br />
membrane in the water removal device. The remaining CO 2 is ionized and detected in the mass spectrometer. From the<br />
ratio of 44 CO 2 to 45 CO 2 the δ 13 C value can be calculated.<br />
geochemischer und isotopenchemischer Untersuchungen<br />
die wesentlichen geobiochemischen Prozesse identifiziert<br />
werden. Die beprobten Sedimente waren stark mit Methan<br />
angereichert, dessen Isotopenverhältnis von –71 ‰ PDB<br />
auf einen bakteriellen Ursprung hinweist (Wiedicke et al.,<br />
2002). Mit der Abnahme der Methankonzentration in der<br />
Wassersäule zeigt sich eine Anreicherung des Methans bis<br />
zu –59 ‰ PDB, was auf anaerobe Oxidation des Methans<br />
schließen lässt. Bestätigt wird die anaerobe Methanoxidation<br />
durch die Anwesenheit und isotopische Zusammen-<br />
Abb. 4.93: Gaschromatogramm der aus den authigenen<br />
Carbonaten vom Sunda-Bogen extrahierten Aliphatenfraktion.<br />
Die Biomarker Crocetan und PMI sind markiert<br />
und die mittels GC-IRMS bestimmten δ 13 C-Werte hinzugefügt.<br />
Gas chromatographic results from the aliphatic fraction<br />
that was extracted from the authigenic carbonates from<br />
the Sunda Arc. The biomarkers crocetane and PMI are<br />
marked in red and the δ 13 C values that were detected by<br />
GC-IRMS, are also given.<br />
setzung der authigenen Carbonate am Standort. In den<br />
Carbonaten konnten wir Crocetan (2,6,11,15-Tetramethylhexadecan)<br />
und PMI (2,6,10,15,19-Pentamethylicosan)<br />
nachweisen und deren isotopische Zusammensetzung<br />
bestimmen (Abb. 4.93). Beide Substanzen sind typische<br />
Biomarker für Archaeen, die Mikroorganismen, die an der<br />
anaeroben Methanoxidation beteiligt sind. Die leichte Isotopensignatur<br />
beider Substanzen zeigt eindeutig die Herkunft<br />
aus dem leichten Methan am Standort.<br />
Aktuelle Untersuchungen beschäftigen sich mit der Quantifizierung<br />
des biologischen Abbaus von Erdölbestandteilen<br />
in verschiedenen Lagerstätten. Durch die Biodegradation<br />
des Erdöls in Lagerstätten ändert sich die Zusammensetzung<br />
des Erdöls und verringert sich der ökonomische<br />
Wert. Der biologische Abbau von Kohlenwasserstoffen<br />
ist mit einer Änderung der Isotopenverhältnisse<br />
(Isotopenfraktionierung) des Substrats verbunden. Die<br />
leichten Isotopomere werden bevorzugt umgesetzt und die<br />
schweren Isotopomere reichern sich im Residuum an (Isotopenfraktionierung).<br />
Aus der Intensität der gemessenen<br />
Fraktionierung kann auf das Ausmaß des biologischen<br />
Abbaus geschlossen werden. Dieses Konzept wurde<br />
erfolgreich angewendet zur Bestimmung der Intensität des<br />
biologischen Abbaus leichtflüchtiger Kohlenwasserstoffe<br />
im Gullfaks-Ölfeld in der norwegischen Nordsee (Vieth<br />
und Wilkes, <strong>2005</strong>). Für die n-Alkane von n-C 4 bis n-C 7<br />
zeigt sich ein Rückgang der Isotopenfraktionierung mit<br />
zunehmender Anzahl von Kohlenstoffatomen im Molekül,<br />
was einerseits als Abnahme der Abbauintensität mit<br />
zunehmender Kettenlänge, andererseits aber auch als so<br />
genannter Verdünnungseffekt beurteilt werden kann. Da<br />
die Reaktion, die zur Isotopenfraktionierung führt, nur an<br />
einem Kohlenstoffatom wirksam ist, wird der Isotopeneffekt<br />
für das gesamte Molekül mit zunehmender Anzahl an<br />
Kohlenstoffatomen geringer. Toluol zeigt in den Proben<br />
des Gullfaks-Ölfeldes keine Isotopenfraktionierung, wird<br />
also nicht abgebaut. Dies überrascht insofern, als zahlrei-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 4.94: Lage der Bohrungen im Gullfaks-Ölfeld in der norwegischen Nordsee; der biologische Effekt auf die Ölzusammensetzung<br />
nimmt nach Westen zu. Der Rückgang der Konzentration korreliert mit dem Anstieg der δ 13 C-Werte für<br />
n-Hexan. Aus den δ 13 C-Werten und einem Fraktionierungsfaktor, der in einem Laborversuch für n-Hexan bestimmt<br />
wurde, kann der prozentuale biologische Abbau berechnet werden (Rayleigh-Gleichung).<br />
Location of the boreholes within the Gullfaks oil field, offshore Norway; the effect of biodegradation increases to the<br />
west. The decrease in concentration is correlated to an enrichment in 13C of the residual n-hexane. Using the δ 13 C<br />
values and the laboratory-derived isotope fractionation factor, the percentage of biodegradation can be calculated<br />
(Rayleigh equation).<br />
che Studien den sehr guten Abbau von Toluol unter anaeroben<br />
Bedingungen beschreiben, doch scheinen diese<br />
Mikroorganismen in der Biozönose des Gullfaks-Ölfelds<br />
zu fehlen. Eine Quantifizierung des biologischen Abbaus<br />
einzelner Komponenten ist möglich anhand der Änderung<br />
der Isotopenverhältnisse und unter Berücksichtigung<br />
eines im Laborversuch bestimmten Fraktionierungsfaktors<br />
für die Einzelkomponente. Die Ergebnisse der Quantifizierung<br />
des biologischen Abbaus von n-Hexan zeigt<br />
Abb. 4.94.<br />
Seismisch getriggerte mikrobielle Methanbildung<br />
– ein Hinweis auf dynamische Prozesse innerhalb<br />
der Tiefen Biosphäre<br />
Die Untersuchung mikrobieller Lebensgemeinschaften<br />
im Bereich von ozeanischen Hydrothermalsystemen und<br />
sedimentären Beckenbereichen hinsichtlich ihrer Zusammensetzung<br />
und Dynamik ist ein seit mehreren Jahrzehnten<br />
intensiv beforschter Themenkomplex der Biogeochemie.<br />
Ähnlich ausgerichtete Untersuchungen in kristallinen<br />
Grundgebirgsbereichen von Kontinenten wurden<br />
international erst vor ca. 10 Jahren begonnen.<br />
Der Nachweis seismisch getriggerter mikrobieller Methanbildung<br />
im freien Quellgas der Wettinquelle, Bad<br />
Brambach (Bräuer et al., <strong>2005</strong>) ist ein erster Befund dafür,<br />
dass mit dynamischen Prozessen innerhalb der tiefen kontinentalen<br />
Biosphäre zu rechnen ist.<br />
Grundlage dieser Aussage ist eine über mehrere Jahre<br />
angelegte Messreihe. Das Untersuchungsgebiet liegt im<br />
Grenzbereich zwischen der Tschechischen Republik<br />
(NW-Böhmen) und der Bundesrepublik Deutschland<br />
(Vogtland, Fichtelgebirge) und ist sowohl seismisch als<br />
auch hydrothermal aktiv. Die Ortslage Bad Brambach<br />
befindet sich im Bereich des Fichtelgebirge/Smirciny-<br />
Granitmassivs (spätvariszisch). Das Wasser der Wettinquelle<br />
wird für therapeutische Zwecke genutzt. Es handelt<br />
sich um einen Radon-führenden Na-Ca-HCO 3-SO 4 Säuerling.<br />
Das freie Quellgas enthält hauptsächlich Kohlendioxid<br />
(99,7 vol.%). Außerdem sind u. a. Spuren von Stickstoff<br />
(0,3 vol.%), Sauerstoff (≈ 150 ppmv), Argon (≈ 100<br />
ppmv), Helium (≈ 2,5 ppmv), Wasserstoff (≈ 1 ppmv) und<br />
Methan (≈ 35 ppmv) nachweisbar. Die Analyse der Spurenkomponenten<br />
war nur deshalb möglich, weil das CO 2<br />
vor der Messung mit KOH entfernt wurde, was zur Anreichung<br />
der Spurenkomponenten im Restgas führte. Die<br />
Schüttung der Mineralquelle schwankt zwischen 100 und<br />
270 l/h.<br />
Das gas- und isotopengeochemische Monitoring startete<br />
Anfang Mai 2000 und lief bis Oktober 2003. Es wurde<br />
u. a. die Gaszusammensetzung gemessen sowie die δ 13 C-<br />
Werte des Methans analysiert. Am 28. 08. 2000, also knapp<br />
vier Monate nach Beginn, setzte eine über vier Monate<br />
andauernde Schwarmbebenserie im Epizentralgebiet<br />
Novy Kostel ein. Das Zentrum des Bebengebiets liegt ca.<br />
10 km östlich von der Wettinquelle. Es wurden mehr als<br />
10.000 Beben im Magnitudenbereich > 0 (Maximalmagnitude<br />
3,3) registriert. Die seismische Aktivität lief in neun<br />
Perioden ab, wobei die Hypozentren in Tiefen zwischen<br />
7,5 und 10,5 km wanderten. Schwarmbeben unterscheidet<br />
man von tektonischen Beben vor allem dadurch, dass<br />
eine Vielzahl von Beben unterschiedlicher Magnituden<br />
auftreten, ohne dass ein Hauptbeben erkennbar ist. Dieser<br />
Typ von Seismizität ist weltweit vor allem in Vulkan- und<br />
Hydrothermalgebieten verbreitet.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
367
368<br />
Abb. 4.95: Zeitreihe der Methankonzentration und der assoziierten Kohlenstoffisotopenverhältnisse von Methan von<br />
der Wettinquelle, Bad Brambach im Zeitraum Mai 2000 bis Oktober 2003. Der grau gefärbte Bereich kennzeichnet den<br />
Zeitraum der NW-Böhmen Schwarmperiode 2000 (vgl. auch eingefügte Abbildung).<br />
Time series of methane concentrations and the associated methane δ 13 C values of the Wettinquelle, Bad Brambach between<br />
May 2000 and October 2003. The grey-signed range marks the period of seism city of the NW Bohemia swarm<br />
2000 that can be seen in the inlet picture in more detail.<br />
Beginnend ca. 60 Tage nach dem Einsetzen der seismisch<br />
aktiven Periode 2000 wurde an der Wettinquelle ein deutlicher<br />
Anstieg der Methankonzentration (von ≈ 40 auf<br />
≈ 250 ppmv) beobachtet. Gleichzeitig mit dem Anstieg<br />
der Methankonzentration fielen die δ 13 C CH4-Werte von<br />
≈ –50 ‰ auf ≈ –70 ‰ ab (Abb. 4.95). Das ist ein Beleg<br />
dafür, dass mikrobiell gebildetes Methan zugeführt wird.<br />
Zirka zwei Jahre lang wurde wiederholt ein Anstieg der<br />
Methankonzentration bei gleichzeitigem Abfall der<br />
δ 13 C CH4-Werte nachgewiesen.<br />
Pedersen (1997) wies die Existenz von Mikroorganismen<br />
(autotrope Methanogene) in tiefen granitischen Aquiferen<br />
in Südschweden nach. Die Organismen nutzen Wasserstoff<br />
als Elektronenquelle und produzieren Methan aus H 2<br />
und CO 2. Die Schlüsselfrage zum weiteren Verständnis<br />
dieser mikrobiologischen Aktivität ist die Verfügbarkeit<br />
von Wasserstoff im kristallinen Gestein. Granite haben<br />
meist überdurchschnittlich hohe U-, Th- und K-Gehalte,<br />
die zu einer erhöhten natürlichen Radioaktivität führen.<br />
Diese Energiequelle nutzend, kann Wasserstoff durch<br />
Radiolyse von Wasser produziert werden. Die acht<br />
Wochen nach Beginn der Schwarmbeben einsetzende<br />
Zunahme der Methankonzentration ist, wie die gleichzeitig<br />
nachgewiesene Abnahme der δ 13 C CH4-Werte belegt,<br />
durch Zumischung von mikrobiell gebildetem Methan<br />
verursacht. Dabei wird der infolge seismisch bedingter<br />
Änderungen des lokalen Spannungsfeldes aus dem Granit<br />
freigesetzte Wasserstoff zur mikrobiellen Reduktion<br />
von CO 2 verwendet und somit weitgehend verbraucht.<br />
Unklar ist zurzeit u. a. noch in welcher Tiefe die Prozesse<br />
ablaufen und wie das Methan produzierende Ökosystem<br />
von Mikroorganismen zusammengesetzt ist.<br />
Interaktionen zwischen seismischen Prozessen, Fluiden<br />
und mikrobiologischer Aktivität sind ein international<br />
weitgehend neues Gebiet. Unabhängig von ihrem Wert für<br />
die Seismologie dürfte diese Forschungsrichtung zukünftig<br />
eine große Bedeutung für die Erforschung und das Verständnis<br />
dynamischer Prozesse im Bereich der tiefen Biosphäre<br />
in kontinentalen Grundgebirgseinheiten bekommen.<br />
Folgeuntersuchungen, die eine weitere Klärung bringen<br />
sollen, sind angelaufen. Die Arbeiten werden in<br />
Zusammenarbeit von mehreren Einrichtungen durchge-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
führt. Neben dem <strong>GFZ</strong> Potsdam, Sektion Organische Geochemie,<br />
sind daran das UFZ Leipzig-Halle, Department<br />
Hydrogeologie, die TU Bergakademie Freiberg, Arbeitsgruppe<br />
Mikrobiologie, die BGR Hannover und die Sächsische<br />
Akademie der Wissenschaften beteiligt.<br />
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<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
371
372<br />
Zusammenbau des Bohrlochkopfes für das moderate Injektionsexperiment im Dezember <strong>2004</strong> in der Geothermie-Forschungsbohrung<br />
Groß Schönebeck 3/90 (Foto: M. Poser, <strong>GFZ</strong>).<br />
Setup of the well head to be used for the injection experiment in the research borehole Groß Schönebeck 3/90.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Department 5<br />
Geoengineering<br />
Die Arbeiten des Departments 5 „Geoengineering“ tragen<br />
zu einem nachhaltigen Umgang mit dem Lebensraum<br />
Erde bei. Dies betrifft besonders die Themenfelder Gestaltung,<br />
Sicherung und Nutzung der Erdoberfläche und<br />
des Untergrundes als Verkehrs- und Wirtschaftsraum (Sektion<br />
5.1 „Umweltgeotechnik“), die Gewinnung erneuerbarer<br />
Energien aus Erdwärme (Sektion 5.2 „Geothermie“)<br />
sowie die Vorsorge vor Georisiken (Sektion 5.3 „Ingenieurseismologie“und<br />
Sektion 5.4 „Ingenieurhydrologie“).<br />
Umweltgeotechnik<br />
In der Sektion „Umweltgeotechnik“ werden Forschungsarbeiten<br />
zu Entwicklung und Einsatz von Monitortechnologien<br />
und Sicherheitsmethoden für das Geo- und Reservoir-Engineering<br />
durchgeführt. Diese konzentrierten sich<br />
in der Berichtsperiode <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> auf die geologische<br />
Speicherung von Kohlendioxid (CO 2), auf die unterirdische<br />
seismische Vorauserkundung beim Tunnelbau sowie<br />
auf das ingenieur-geophysikalische Monitoring von Deichen<br />
bei Hochwasser.<br />
Geologische Speicherung von CO 2<br />
In Deutschland decken Öl, Gas und Kohle heute fast 85 %<br />
des Energiebedarfs. Hierbei werden jährlich ca. 850 Millionen<br />
Tonnen CO 2 durch die Verbrennung fossiler Energierohstoffe<br />
in die Atmosphäre emittiert. Eine erfolgversprechende<br />
Möglichkeit zur Reduktion dieser Emissionen<br />
ist CCS Carbon Capture and Storage, die Abtrennung des<br />
CO 2 vor oder nach der Verbrennung und seine Einlagerung<br />
in tiefe Grundwasserspeicher (saline Aquifere) oder<br />
ausgeförderte Öl- und Gaslagerstätten (Borm, G. und Förster,<br />
A., <strong>2005</strong>).<br />
Mehrere Gemeinschaftsprojekte wurden von der EU europaweit<br />
und in Deutschland sowohl vom Bundesministerium<br />
für Wirtschaft und Technologie BMWi als auch vom<br />
Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF<br />
gestartet, um die Abtrennung des CO 2 aus Verbrennungsprozessen<br />
und die Möglichkeit seiner Rückführung in den<br />
geologischen Untergrund zu erforschen.<br />
Integriertes EU-Projekt CO 2SINK<br />
In ihrem 6. Forschungsrahmenprogramm fördert die Europäische<br />
Union das integrierte Projekt CO 2SINK (CO 2 Storage<br />
by Injection Into the Natural Reservoir Ketzin,<br />
http://www.co2sink.org), das vom GeoForschungsZentrum<br />
Potsdam koordiniert wird. Europaweit ist es das erste<br />
Projekt auf dem Festland zur umfassenden Erforschung<br />
der geologischen Speicherung von CO 2. Im Zentrum der<br />
wissenschaftlichen Untersuchungen stehen die Erschließung<br />
des Speichers, die Einbringung des CO 2 und die<br />
Beobachtung und Kontrolle der chemischen und physikalischen<br />
Prozesse im unterirdischen Reservoir. Weitere<br />
Ziele sind Erstellung und Test numerischer Modelle, Entwicklung<br />
von Risikobewertungsstrategien und öffentliche<br />
Akzeptanz.<br />
CO 2SINK startete am 01. 04. <strong>2004</strong> und hat eine Laufzeit<br />
von fünf Jahren. Darin wird eine Pilotanlage zur unterirdischen<br />
Speicherung von CO 2 in einem tiefen salinen<br />
Aquifer im brandenburgischen Ketzin (Abb. 5.1) vorbereitet.<br />
Der Speicherhorizont befindet sich in über 700 m<br />
Tiefe und ist nach oben durch undurchlässigen Tonstein<br />
abgedichtet. In Kooperation mit 15 universitären und industriellen<br />
Partnern aus 8 Ländern wurden geologische,<br />
geochemische und geophysikalische Voruntersuchungen<br />
des geplanten Speicherstandortes durchgeführt (CO 2SINK,<br />
<strong>2005</strong>).<br />
Der geplante Geospeicher liegt nahe der Stadt Ketzin im<br />
Havelland, etwa 30 Kilometer westlich von Berlin. Der<br />
Injektionsort ist die Obertageanlage des ehemaligen Erdgasspeichers<br />
der Verbundnetz Gas AG in Ketzin. Dieser<br />
hat gegenüber anderen Lokationen erhebliche Vorteile:<br />
Die vorhandene Infrastruktur an der Erdoberfläche kann<br />
für das Projekt genutzt werden und reduziert so die Entwicklungskosten<br />
für den Speicherplatz. Die Geologie der<br />
Struktur ist gut bekannt und repräsentativ für weite Teile<br />
Europas, was die Übertragbarkeit der Ergebnisse wesentlich<br />
erleichtert. Die lokale Politik unterstützt das Projekt,<br />
und die Genehmigungsbehörden sind direkt in die Projektvorbereitung<br />
eingebunden (Abb. 5.2).<br />
Die Speicherung von CO 2 soll auf dem östlichen Strukturteil<br />
der aufgewölbten Doppelstruktur (Doppelantiklinale)<br />
Roskow-Ketzin erfolgen (Abb. 5.3). Darin strömt<br />
das Gas durch Auftrieb in Richtung Kuppe und reichert<br />
sich dort an. Durch die Gasinjektion wird ein Teil des<br />
Porenwassers im Gestein verdrängt. Längerfristig wird<br />
Abb. 5.1: CO 2SINK-Projekt, Speicherstandort Ketzin<br />
(Foto: VNG).<br />
Project CO 2SINK, aerial view of the Ketzin site.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
373
374<br />
Abb. 5.2: Bohrturm an der Lokation Ketzin (Foto: L. Wohlgemuth,<br />
<strong>GFZ</strong>).<br />
Drill rig at the Ketzin site.<br />
Abb. 5.3: Karte der Roskow-Ketzin-Doppelstruktur mit Detailkarte Topbereich<br />
Ketzin-Antiklinale. Dargestellt sind die Tiefenlage des seismischen<br />
Reflektors K2 (etwa 80 m oberhalb der Stuttgart-Formation) und die Lage<br />
des CO 2SINK-Bohrplatzes (gelber Punkt). Die Detailkarte zeigt die Erstreckung<br />
der 3D-Seismik und die Oberflächenmessstationen zur Erfassung der<br />
natürlichen CO 2-Flusses (grüne Dreiecke).<br />
Map of the Roskow-Ketzin double anticline with detail of the top of the Ketzin<br />
Anticline. The location of the CO 2SINK drill-site (yellow dot) and the<br />
isobaths of the seismic reflector K2 are shown (about 80 m above the Stuttgart<br />
formation). The detail map depicts the area of the 3D-seismic survey<br />
as well as the surface stations to monitor the natural CO 2 flux (green triangles).<br />
sich ein Teil des CO 2 im Wasser lösen. Zur Abschätzung<br />
der Ausbreitungsgeschwindigkeit und der räumlichen<br />
Ausdehnung des CO 2 werden auch numerische Modelle<br />
entwickelt, die zur Optimierung des Injektionsprozesses,<br />
des Monitoringkonzeptes und zur Prognose des Langzeitverhaltens<br />
eingesetzt werden. Die Kalibrierung und<br />
Verifizierung der Modelle erfolgt mit Hilfe von Laboruntersuchungen<br />
und In-Situ-Messungen im Untergrund.<br />
Sie bilden die Basis für die Abschätzung des Risikos einer<br />
Leckage.<br />
Um die Ausbreitung des CO 2 im Untergrund zu beobachten,<br />
werden neben einer Injektionsbohrung zwei Beobachtungsbohrungen<br />
niedergebracht, die für geochemische<br />
Untersuchungen, seismische Durchschallungs-Messungen<br />
und zur Durchführung geoelektrischer Tomographie<br />
genutzt werden. Die Messungen werden vor, während und<br />
nach der Injektion in Zeitabständen wiederholt, die methodenabhängig<br />
sind (sogenannte time-lapse-Messungen).<br />
Die Kombination seismischer und elektrischer time-lapse-<br />
Methoden ermöglicht die Erfassung von zeitlichen Entwicklungen<br />
des Reservoirs – z. B. der Verteilung der CO 2-<br />
Sättigung – auf verschiedenen Zeit- und Längenskalen.<br />
Seit April <strong>2004</strong> werden am Standort kontinuierliche Oberflächenmessungen<br />
zur Erfassung des natürlichen CO 2-<br />
Flusses oberhalb des vorgesehenen Untergrundspeichers<br />
durchgeführt. Um die Ausgangssituation vor Beginn der<br />
CO 2-Injektion zu erfassen und zusätzliche Informationen<br />
über die Struktur des Untergrundes zu<br />
erhalten, wurde im Herbst <strong>2005</strong> eine seismische<br />
3D-Erkundung (Abb. 5.4) durchgeführt<br />
(„baseline“), die derzeit ausgewertet<br />
wird.<br />
Bei der Evaluierung des ersten Projektjahres<br />
am 01. 06. <strong>2005</strong> bestätigten die Gutachter<br />
der EU, dass CO 2SINK seine Ziele<br />
im gesetzten Zeit- und Kostenrahmen<br />
erfüllen kann und ohne Abstriche weiter<br />
gefördert werden soll.<br />
CO 2SINK ist auch ein CSLF-Projekt<br />
(„International Carbon Sequestration<br />
Leadership Forum“, http://www.cslforum.org).<br />
Das Testgelände in der Nähe der<br />
Hauptstadt Berlin bietet die einzigartige<br />
Möglichkeit, ein Pilotprojekt zur Speicherung<br />
von CO 2 mitten in Europa zu entwickeln.<br />
Es soll dazu beitragen, die öffentliche<br />
Akzeptanz für eine geologische<br />
Speicherung von CO 2 als Option für den<br />
Klimaschutz zu gewinnen und zu stärken.<br />
Am 29./30. Sept. <strong>2005</strong> fand am <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
der „1st International Workshop on<br />
CSLF Pilot Projects“ des Internationalen<br />
„Carbon Sequestration Leadership<br />
Forum CSLF“ statt, an dem 150 Wissenschaftler<br />
aus 20 Nationen teilnahmen<br />
(Abb. 5.5).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 5.4: Anregung seismischer Impulse durch Fallgewicht<br />
(Foto: S. Lüth, <strong>GFZ</strong> ).<br />
Excitation of seismic pulses by weight-drop.<br />
Verbundprojekt CO 2SINK-CORTIS im BMWi-Programm<br />
COORETEC<br />
CO 2SINK ist der Kern eines umfassenden Forschungsprogramms<br />
zur Untersuchung der vollständigen Verfahrenskette<br />
von der Quelle bis zur Senke des CO 2. Für eine<br />
realitätsnahe Untersuchung der CO 2-Speicherung werden<br />
ca. 60.000 Tonnen CO 2 für zunächst zwei Jahre benötigt.<br />
Diese soll das vom <strong>GFZ</strong> Potsdam koordinierte Teilprojekt<br />
CO 2SINK-CORTIS (CO 2 Recovery, Transportation, and<br />
Intermediate Storage) im BMWi-Programm COORETEC<br />
(http://www.cooretec.de) sicherstellen. Es wird vom<br />
BMWi und der Industrie gefördert, startete am 01. 12. <strong>2005</strong><br />
und hat eine Laufzeit von drei Jahren.<br />
CO 2SINK-CORTIS soll sich auf die übertägigen Aspekte<br />
der CO 2-Injektion und auf die Bereitstellung von<br />
60.000 Tonnen CO 2 für 24 Monate ab Ende 2006 konzentrieren.<br />
Hierzu gehören Abtrennung und Transport des<br />
Gases zum Injektionsort, Ermittlung des optimalen Injektionszustands<br />
(Druck, Temperatur, Gasqualität), Auswahl,<br />
Planung und Beschaffung der Anlagenkomponenten sowie<br />
Vorbereitung und Durchführung des Injektionsbetriebs.<br />
Abb. 5.5: Teilnehmer am „1st International Workshop on CSLF Pilot Projects“,<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam, Sept. 29, <strong>2005</strong> (Foto: E. Gantz, <strong>GFZ</strong>).<br />
Participants of the „1st International Workshop on CSLF Pilot Projects“,<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam, Sept. 29, <strong>2005</strong>.<br />
Zahlreiche Optionen zur CO 2-Bereitstellung wurden untersucht<br />
und hinsichtlich des technischen und finanziellen<br />
Aufwands sowie einer termingerechten Realisierbarkeit<br />
bewertet. Weitere Vorarbeiten wurden zur Klärung des<br />
Injektionsregimes durchgeführt, speziell zur Frage, mit<br />
welchem Druck und welcher Temperatur das CO 2 in den<br />
Speicher einzubringen ist. Das CO 2 soll in Ketzin gasförmig<br />
mit einem Druck von 66 bis 74 bar und einer Temperatur<br />
von 29 bis 45 °C injiziert werden. Da es als Flüssigkeit<br />
(bei 12 bar, –35 °C) angeliefert wird, müssen Druck<br />
und Temperatur für die Injektion unter technischen und<br />
wirtschaftlichen Gesichtspunkten optimiert werden.<br />
Verbundprojekt COSMOS im BMBF/DFG-Programm<br />
GEOTECHNOLOGIEN<br />
Unter Koordination des <strong>GFZ</strong> Potsdam wurde ein Antrag<br />
an das BMBF im Sonderprogramm „GEOTECHNOLO-<br />
GIEN“ (http://www.geotechnologien.de/forschung/<br />
untergrund.pdf) entwickelt, mit dem das Projekt „COS-<br />
MOS – CO 2 Speicherung, Monitoring und Sicherheitstechnologie“<br />
eingeworben werden konnte. Hieran sind<br />
neben dem <strong>GFZ</strong> die Universitäten Karlsruhe und Freiberg<br />
sowie zwei Energiekonzerne beteiligt. Das Projekt startete<br />
am 01. 04. <strong>2005</strong> und hat eine Laufzeit von drei Jahren.<br />
Ein wesentliches Ziel ist die Entwicklung von CO 2 -Injektionsbohrungskomponenten<br />
und CO 2-resistenten Zementen<br />
sowie Untersuchungen zur Integrität der abdichtenden<br />
Schichten bei Einwirkung von CO 2. Außerdem sollen In-<br />
Situ-Bohrlochmessungen durchgeführt werden, um technische<br />
Standards für eine optimale Injektion sowie zur<br />
Diagnose und Lösung der dabei anfallenden Probleme zu<br />
entwickeln, Speicherstrategien zu verbessern und Simulationsmodelle<br />
zu verifizieren. Hierbei wird ein neues<br />
Konzept für eine sogenannte intelligente Bohrung (smart<br />
casing) realisiert, bei dem permanente elektrische Sensoren<br />
– Elektroden und Sonden – hinter der Verrohrung in<br />
die Zementierung der Injektions- und Beobachtungsbohrungen<br />
eingebracht werden (Abb. 5.6).<br />
Diese Sensoren dienen sowohl der Überwachung<br />
der Bohrlochintegrität als auch<br />
dem Monitoring der CO 2-Ausbreitung im<br />
Untergrund. Neben der Bestimmung der<br />
Temperaturänderung sind die Erfassung<br />
mikroseismischer Ereignisse und elektrischer<br />
Reservoireigenschaften geplant.<br />
Außerdem soll während der CO 2-Injektion<br />
eine kontinuierliche Erfassung des<br />
Injektiondrucks in situ erfolgen. Die Auswirkungen<br />
des CO 2 auf die Verrohrung<br />
und Zementierung sind zu untersuchen.<br />
Das Konzept für die Ausführung der Bohrungen<br />
ist mit dem brandenburgischen<br />
Landesamt für Geologie und Bergbau<br />
abgestimmt, das Genehmigungsverfahren<br />
ist eingeleitet. Das Projekt kooperiert<br />
mit CO 2SINK und profitiert von dessen<br />
starker industrieller und wissenschaftlicher<br />
Beteiligung. CO 2SINK bietet für<br />
COSMOS den Zugang zum Testfeld mit<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
375
376<br />
Abb. 5.6: Schematische Darstellung des Smart-Casing-Konzepts mit den Details eines mikroseismischen Moduls (triaxialer<br />
Empfänger).<br />
Schematic of the smart-casing concept with details of a microseismic triple axis sensor.<br />
Infrastruktur, Bohrlöchern usw., und die Forschungs- und<br />
Entwicklungsziele von COSMOS ergänzen die von<br />
CO 2SINK sinnvoll.<br />
CO 2 Capture Programme CCP<br />
Das CO 2 Capture Project CCP (http://www.co2captureproject.org)<br />
wird von der EU, dem US Department of<br />
Energy und dem Norwegian Research Council KLIMA-<br />
TEK-Programm, zusammen mit acht internationalen Ölkonzernen<br />
gefördert. In diesem Programm unternahm das<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam umfangreiche triaxiale Hochdrucktests mit<br />
Fluiddurchströmung im Labor zur Untersuchung des Einflusses<br />
der Injektion von CO 2 auf die physikalischen<br />
Eigenschaften von Speichergesteinen aus tiefen salinen<br />
Aquiferen. Die Experimente wurden an verschiedenen<br />
Gesteinsproben unter simulierten In-Situ-Druck- und<br />
Temperaturbedingungen durchgeführt. Die Messungen<br />
der physikalischen und chemischen Effekte, die aus der<br />
Wechselwirkung der Gesteine mit Salzlösung und superkritischem<br />
CO 2 resultieren, erfolgten in einer triaxialen<br />
Hochdruckzelle und in Autoklaven. Auch wurden Experimente<br />
zu Fluid/Gesteins-Wechselwirkungen an gemahlenem<br />
Gesteinsmaterial zur Homogenisierung der Proben<br />
und zur Erhöhung der den Fluiden ausgesetzten Proben-<br />
oberflächen und damit der Reaktionsgeschwindigkeiten<br />
durchgeführt (Schütt et al., <strong>2005</strong>).<br />
Tunnelseismische Vorauserkundung<br />
Weltweit befindet sich der Untertagebau im Aufwind. In<br />
stark bevölkerten Gebieten bleibt als letzter verfügbarer<br />
Raum für Infrastrukturen vielfach nur noch der Untergrund.<br />
In den Städten erzwingen restriktive Randbedingungen<br />
infolge Flächenknappheit, immer stärkeren Lärmund<br />
Umweltschutzauflagen sowie mangelnder Akzeptanzbereitschaft<br />
der Bevölkerung gegenüber Baubelästigungen<br />
das Ausweichen in die Tiefe durch den Bau von<br />
U-Bahnen, Straßentunneln, Rohrleitungen, Parkkavernen<br />
und sogar ganzen Bahnhöfen.<br />
Auch die Basistunnel der neuen transeuropäischen Eisenbahnhochgeschwindigkeitsstrecken<br />
durch die Alpen sind<br />
technische Herausforderungen ersten Ranges mit ihren<br />
großen Längen, hohen Gebirgsüberlagerungen, den damit<br />
verbundenen hohen Temperaturen und Spannungen, und<br />
besonders komplexen geotechnischen Bauvorgängen.<br />
Anforderungen dieses Umfangs wurden bisher noch nirgendwo<br />
auf der Erde bewältigt und lösen richtungsweisende<br />
Impulse in der Grundlagen- und angewandten For-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
davor liegt die sog. Piora-Mulde, die sich<br />
durch hohen Wassergehalt und geringe<br />
mechanische Stabilität ausprägt. Die<br />
Messungen sollten zeigen, ob sich der<br />
Übergang vom Lukmanier-Gneiss zur<br />
Piora-Mulde seismisch nachweisen lässt.<br />
Zur Anregung wurden für das TSP-System<br />
20 Sprengladungen zu je 100 g in ca.<br />
2 m tiefen Bohrlöchern verwendet. Für<br />
das ISIS-System wurden Anregungen mit<br />
dem am <strong>GFZ</strong> entwickelten pneumati-<br />
Abb.5.7:Geologisch-geotechnisches Profil am Piora-Sondierstollen des Gottschen Impakthammer erzeugt. Für die<br />
hard-Basistunnels mit Positionierung der seismischen Auslage.<br />
Registrierung kamen jeweils zwei Geo-<br />
Geological-geotechnical profile of the Piora adit of the Gotthard base tunphonanker des <strong>GFZ</strong> Potsdam und zwei<br />
nel with positioning of the seismic layout.<br />
Piezo-Akzelerometer von AMT zum Einsatz.<br />
Die Abb. 5.9 zeigt ein „receiver gather“<br />
eines der Empfänger nach der Datenbearbeitung mit<br />
dem Software-Modul von ISIS. Die Datenbearbeitung<br />
bestand aus einer Entfernung direkter P-, S- und Rayleigh-<br />
Wellen mittels eines Medianfilters, eines Bandpassfilters<br />
und einer laufzeitabhängigen Amplitudenkorrektur.<br />
Abb. 5.8: Seismische Messungen im Piora-Sondierstollen<br />
(Foto: S. Mielitz, <strong>GFZ</strong>).<br />
Seismic measurements in the Piora adit.<br />
schung aus wie z. B. die hochauflösende<br />
seismische Vorauserkundung während<br />
eines Tunnelvortriebs.<br />
Integriertes Seismisches Imaging System<br />
ISIS für den Tunnelbau<br />
Für Erkundung und Monitoring untertage<br />
führte das <strong>GFZ</strong> beim Bau des Gotthard-Basistunnels<br />
in den Schweizer Zentralalpen<br />
hochauflösende seismische<br />
Messungen zur Vorhersage geologischer<br />
Störungszonen durch (Giese et al, <strong>2005</strong>).<br />
Damit konnte das vom <strong>GFZ</strong> entwickelte<br />
Integrierte Seismische Imaging System<br />
ISIS in der Praxis erfolgreich erprobt werden<br />
(Borm, G. und Giese, R., <strong>2004</strong>).<br />
Im Piora-Sondierstollen der Baustelle<br />
zum Gotthard-Basistunnel Süd (Abb. 5.7,<br />
5.8) wurden im März <strong>2005</strong> reflexionsseismische<br />
Messungen in Zusammenarbeit<br />
mit der Firma Amberg Messtechnik<br />
AG (AMT) und dem GGA-Institut Hannover<br />
durchgeführt.<br />
Die Messungen erfolgten an der Ortsbrust<br />
des Sondierstollens; 30 bis 40 m<br />
Die bearbeiteten Daten zeigen von der Ortsbrust des<br />
Tunnels reflektierte Tunneloberflächenwellen (Pfeil 1 in<br />
Abb. 5.9) und Rayleigh-Wellen, die an der Ortsbrust zu<br />
Scherungswellen konvertiert sind, weiter in Tunnelvortriebsrichtung<br />
gelaufen sind, reflektiert wurden und<br />
dann als rekonvertierte Oberflächenwellen wieder an<br />
der Tunnelwand zurückkommen. Diese Einsätze haben<br />
eine negative Scheingeschwindigkeit, und ihre Laufzeit<br />
wird mit zunehmendem Abstand von Quelle und Empfänger<br />
kleiner (Pfeil 2 in Abb. 5.9). Die seismische<br />
Abb. 5.9: Seismogramme der Hammerschläge nach der Datenbearbeitung.<br />
Receiver gather von RCV-ISIS, Z-Komponente.<br />
Seismograms of the hammer impacts after processing, receiver gather of<br />
RCV-ISIS, Z (vertical) component.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
377
378<br />
Abb. 5.10: Migration der Seismogramme. a) Kirchhoff SS Migration von Empfänger 2 und Schuss 1 bis 36. Für die<br />
Migration wurde ein homogenes Geschwindigkeitsmodell (V s = 2.900 km/S) verwendet. b) Kirchhoff SS Migration von<br />
Empfänger 1 und Schuss 42 bis 76. Außerdem sind zwei Erkundungsbohrungen eingezeichnet, entlang derer der RQD-<br />
Wert (Rock Quality Designation) codiert ist. Violette Bereiche bedeuten niedrige RQD-Werte (hohe Kernverluste, Bruchzonen),<br />
rote Bereiche hohe RQD-Werte (relativ geringe Kernverluste, kompaktes Gebirge.<br />
Migrated sections of the seismograms. a) Kirchhoff SS migration of receiver 2 and shots 1 through 36. A homogeneous<br />
velocity model (v s = 2900 km/s) was used. b) Kirchhoff SS migration of receiver 1 and shots 42 through 76. Two exploratory<br />
wells are shown along which the RQD value is indicated (RQD: Rock Quality Designation). Magenta indicates<br />
low RQD values (high core losses, fault zones), red indicates high RQD values (relatively low losses of drillcore, stable<br />
rock mass).<br />
Abbildung dieser Reflektionen mit Hilfe einer Kirchhoff<br />
Migration ergibt eine Reflektivitätsverteilung vor<br />
der Ortsbrust, in der markante Diskontinuitäten, wie in<br />
diesem Fall die Piora-Mulde, deutlich erkannt werden<br />
können (Abb. 5.10).<br />
Beim Wissenschaftssommer im September <strong>2004</strong> in Stuttgart<br />
wurde das Seismische Imaging Systems ISIS der<br />
Öffentlichkeit vorgestellt (Abb. 5.11).<br />
Abb. 5.11: Antransport eines Kalksteins am Stuttgarter<br />
Schloss zur Demonstration von ISIS beim Wissenschaftssommer<br />
<strong>2004</strong> (mit freundlicher Unterstützung der Ed.<br />
Züblin AG).<br />
Delivery of a limestone at the Stuttgart Castle for the<br />
demonstration of ISIS during the Science Summer <strong>2004</strong><br />
(kindly supported by Ed. Züblin AG).<br />
Das BMBF/DFG-Sonderprogramm GEOTECHNOLO-<br />
GIEN, die GeoUnion und das Konsortium Deutsche Meeresforschung<br />
luden zu einem Parlamentarischen Abend<br />
am 24. 11. <strong>2004</strong> im Haus der Bundespressekonferenz ein.<br />
Auch hier war das <strong>GFZ</strong> Potsdam mit einem Ausstellungsstand<br />
zu ISIS „Verkehrsplanung mit Weitblick – Tunnelbau<br />
mit modernen Vorauserkundungsmethoden“ vertreten.<br />
Geophysikalisches Monitoring von Deichen bei<br />
Hochwasser<br />
In Kooperation mit der Universität Karlsruhe wurden im<br />
Rahmen des BMBF-Projekts „Versagen von Deichen und<br />
Dämmen auf und mit Lehmzonen bei Hochwasser“ neue<br />
Methoden der hochauflösenden seismischen Messung zur<br />
Abbildung der Durchfeuchtung eines Lehmdeiches bei<br />
Hochwasser entwickelt, um die Versagenswahrscheinlichkeit<br />
des Deiches bei verschiedenen Flutszenarien ermitteln<br />
zu können. Die Durchfeuchtungsprozesse in Deichen<br />
wurden an idealisierten Modelldeichen untersucht. Dazu<br />
sollten die Strukturen im Inneren des Deichkörpers hinsichtlich<br />
ihrer Materialzusammensetzung sowie Wassergehalt<br />
und Lagerungsdichte bestimmt werden. Um eine<br />
möglichst hohe Auflösung zu erhalten, wurde als seismische<br />
Quelle ein magnetostriktiver Minivibrator verwendet,<br />
der Frequenzen bis zu 6 kHz anregen kann.<br />
Zur Vorbereitung wurde am <strong>GFZ</strong> Potsdam an einem<br />
Versuchsdeich (Abb. 5.12) das seismische System getestet<br />
und hinsichtlich der Versuchsbedingungen optimiert.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 5.12: Versuchsdeich mit seismischer Quelle und Empfängern<br />
am GeoForschungsZentrum Potsdam (Länge 5 m,<br />
Breite 0,3 m, Höhe 1,2 m; Foto: K. Jaksch, <strong>GFZ</strong>).<br />
Model dike with the seismic source and receivers at the<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam (length 0.3 m, width 5 m, height 1.2 m).<br />
Der Versuchsdeich wurde mit einem annähernd homogenen<br />
Lehmmaterial verfüllt und auf einer Seite abgeschlossen,<br />
um das Fluten mit Wasser zu ermöglichen.<br />
Vor den Messungen wurden Tests der seismischen Sweep-<br />
Quelle durchgeführt, um einen möglichst hohen Energieeintrag<br />
in den gewünschten Frequenzbereichen zu erreichen<br />
und Oberflächenwellen zu unterdrücken. Das obere<br />
Diagramm in Abb. 5.13 zeigt ein Sweep-Signal, mit dem<br />
der Vibrator angeregt wird, mit Frequenzen von 100 bis<br />
6.100 Hz und konstanten Amplituden. Im unteren Diagramm<br />
erkennt man aus dem Kopfsignal, das direkt an<br />
der Ankopplungsfläche aufgezeichnet<br />
wurde, wie sich die Amplituden des<br />
Sweeps durch die Materialeigenschaften<br />
des Deiches und die Übertragungseigenschaften<br />
des Vibrators ändern.<br />
Ein langfristiger Durchfeuchtungsversuch<br />
mit einem konstanten Wasserstand<br />
von einem Meter (Abb. 5.12) wurde<br />
begonnen. Anfangs in Stunden- und später<br />
in Tagesabständen wurden seismische<br />
Messungen durchgeführt, um den zeitlichen<br />
Durchfeuchtungsverlauf zu erfassen.<br />
Die Untersuchungen haben gezeigt,<br />
dass die fortschreitende Durchfeuchtung<br />
des Versuchsdeiches sich in deutlichen<br />
Veränderungen der Amplituden des<br />
Sweep-Signals auswirkt. Ein wesentliches<br />
Ziel der Untersuchungen ist die Herleitung<br />
von Beziehungen zwischen den<br />
seismischen Messgrößen (z. B. Geschwindigkeiten<br />
und Dämpfungen) und<br />
den bodenmechanischen Parametern. An<br />
Modelldeichen des Instituts für Wasser<br />
und Gewässerentwicklung (IWG), Bereich<br />
Wasserwirtschaft und Kulturtechnik,<br />
der Universität Karlsruhe mit Wasserstandssteuerung<br />
zur Simulation von<br />
Hochwasserszenarien wurden geotechnische, hydraulische<br />
und seismische Untersuchungen durchgeführt. Dazu<br />
wurden vier Deiche aufgebaut, bei denen das Bodenmaterial,<br />
die Böschungen und die Hochwasserszenarien variiert<br />
wurden. Das Schuss- und Empfänger-Array bestand<br />
aus drei parallelen Messlinien mit 3-Komponenten-Geophonen.<br />
Abb. 5.14 zeigt die Messkonfiguration.<br />
Bis Ende April <strong>2005</strong> wurden die seismischen Messungen<br />
an den großmaßstäblichen Modelldeichen im Theodor-<br />
Rehbock-Laboratorium des IWG der Universität Karlsruhe<br />
durchgeführt. Soweit möglich, wurden die verschiedenen<br />
Hochwasserszenarien begleitend gemessen.<br />
Dazu wurde an zwei Modelldeichen mit unterschiedlicher<br />
Materialzusammensetzung gemessen. Über die gesamte<br />
Messzeit bewährte sich die vom <strong>GFZ</strong> Potsdam entwickelte<br />
Messtechnik, wie z. B. die speicherprogrammierbare<br />
Steuerung des Positionierungswagens und die<br />
Anpressvorrichtung der Quelle unter Dauerbelastung<br />
(Abb. 5.15).<br />
Für die Signalaufzeichnung wurden vier 24-kanalige und<br />
bis zu 55 zweikanalige Summit Aufzeichnungsgeräte eingesetzt.<br />
In Tests während der Trockenphase des Modelldeiches<br />
vor dem ersten Einstau wurde das für die Messungen<br />
benutzte Sweep-Signal festgelegt: Sweep-Dauer<br />
0,5 s, Frequenzband 300 bis 6.300 Hz. Eine softwaregesteuerte<br />
Regelung des Sweep begrenzt die auftretenden<br />
Beschleunigungswerte und verteilt die eingebrachte Energie<br />
gleichmäßig über das Frequenzband.<br />
Die Dauer eines Messdurchlaufs für 54 Quellpunkte betrug<br />
bis zu drei Stunden. Mit zunehmender Durchfeuchtung des<br />
Abb. 5.13: Anwendung des Echzeit-Regelungssystems auf einen linearen<br />
Sweep (Frequenzband 100 bis 6.100 Hz). Alle Sweepfrequenzen des geregelten<br />
Sweeps (grüner Graph) werden mit ungefähr gleichen Amplituden<br />
angeregt. Beim ungeregelten Sweep (blauer Graph) sind hingegen die Resonanzfrequenzen<br />
deutlich zu erkennen.<br />
Application of the real-time control system at the linear sweep (here 100 to<br />
6100 Hz) leads to the regulated sweep signal (green graph). All frequencies<br />
were stimulated nearly with the same amplitudes, whereas at the unregulated<br />
sweep (blue graph) the resonant frequencies are clearly seen.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
379
380<br />
Deiches und größeren Stauhöhen verringerten sich die<br />
Anzahl der Quellpunkte und die Messdauer. Die Auswertungen<br />
der Messungen zeigten eine gute Qualität der seismischen<br />
Daten. Die Messungen im trockenen Zustand<br />
zeigten ein komplexes Wellenfeld, das von direkten Kompressionswellen,<br />
Oberflächenwellen sowie<br />
reflektierten und refraktierten Wellen<br />
der Deichmodellbegrenzungen dominiert<br />
wird. Im Nahbereich der Quelle wird das<br />
gesamte angeregte Frequenzspektrum in<br />
den Boden eingetragen. Im Verlauf einer<br />
Hochwasserperiode kann man darin eine<br />
Zunahme der Dämpfung und Abnahme<br />
der seismischen Wellengeschwindigkeiten<br />
mit zunehmender Durchfeuchtung des<br />
Deiches erkennen.<br />
Die Förderung dieses Projektes durch das<br />
BMBF lief planmäßig zum 31. 12. <strong>2005</strong><br />
aus. Am <strong>GFZ</strong> Potsdam wird es im Rahmen<br />
einer Dissertation bearbeitet, die in<br />
den kommenden Monaten fertiggestellt<br />
werden soll.<br />
Geothermie<br />
Explorationsgeologie im Geoengineering<br />
Die Anwendung und Weiterentwicklung<br />
von Methoden zur Auffindung, Charakterisierung<br />
und Nutzbarmachung unterirdischer<br />
Ressourcen ist ein wesentlicher<br />
Schwerpunkt geowissenschaftlicher Forschung<br />
in der Sektion Geothermie. Re-<br />
Abb. 5.14: Messanordnungen der Quell- und 3-Komponenten-Geophonpunkgionalspezifischeexplorationsgeologite für die Modelldeichversuche am IWG der Universität Karlsruhe. sche Arbeiten erfolgen sowohl im For-<br />
Seismic survey consisting of source points and 3-component-geophoschungsthema „Geoengineering“, das<br />
nes for the model dikes at the test facility at the IWG, Universtität Karls- sich u. a. mit der geologischen Speicheruhe.rung<br />
von CO2 befasst, als auch im Forschungsthema<br />
„Geothermische Technologieentwicklung“,<br />
das den Ausbau des In-Situ-Geothermielabors<br />
Groß Schönebeck zu einer geothermischen<br />
Anlage für die Stromgewinnung vorsieht.<br />
Abb.5.15: Der automatische Messwagen mit Sweep-Quelle<br />
im Einsatz auf dem IWG-Deichmodell der Universität<br />
Karlsruhe (Foto: K. Jaksch, <strong>GFZ</strong>).<br />
The monitoring car with the seismic source in use at the<br />
test facility at the Theodor-Rehbock-Laboratory (IWG,<br />
Universtität Karlsruhe).<br />
In Abb. 5.16 sind explorationsgeologische Themenfelder,<br />
die in der Sektion Geothermie bearbeitet wurden, dargestellt.<br />
Die Erfassung und Interpretation geologischer<br />
Strukturen, die Charakterisierung von Reservoiren und<br />
Caprocks standen neben der Erarbeitung von regionalen<br />
und lokalen thermischen Beckenmodellen sowie von<br />
hydrogeologischen Modellen des flachen Untergrundes<br />
im Zentrum der Forschung. Die wissenschaftliche Bearbeitung<br />
dieser Themen erfordert die Interpretation von<br />
Bohrlochmessungen und den Aufbau und die Nutzung von<br />
Datenbanken und Geoinformationssystemen.<br />
Geographisch war ein Großteil der Arbeiten im Gebiet des<br />
Nordostdeutschen Beckens nördlich von Berlin angesiedelt<br />
und vor allem auf Bohraufschlüsse konzentriert. So<br />
wurde z. B. der terrestrische Wärmestrom, der einen wichtigen<br />
Parameter für die Charakterisierung des geothermischen<br />
Potentials eines Gebietes darstellt und ein wesentlicher<br />
Bestandteil der geothermischen Exploration ist, an<br />
zwölf Bohrlokationen neu bestimmt (Abb. 5.17).<br />
Die Forschung zum Wärmestrom im Norddeutschen Becken<br />
umfasste Labormessungen der Wärmeleitfähigkeit<br />
Abb. 5.16: Schwerpunkte der Explorationsgeologie.<br />
Main issues of exploration geology.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 5.17: Verteilung von Salzstrukturen im Nordostdeutschen<br />
Becken (nach Lokhorst, 1998) und Bohrungen, von<br />
denen neue Werte des terrestrischen Wärmestrom vorliegen<br />
(aus Lotz, <strong>2004</strong>). Die Lokation Ketzin ist der Standort für<br />
die CO 2-Speicherung im CO 2SINK-Projekt. Die Lokation<br />
Groß Schönebeck ist der Standort für die <strong>GFZ</strong>-Geothermiebohrung<br />
Gt GrSk 4/05, die 2006 zur Entwicklung eines<br />
„Enhanced Geothermal Systems“ abgeteuft wird.<br />
Size and distribution of salt structures in the area of the<br />
Northeast German Basin (after Lokhorst, 1998). Boreholes,<br />
in which heat-flow density was determined (Lotz,<br />
<strong>2004</strong>) are shown. The Ketzin site (storage site of<br />
CO 2SINK) and the Groß Schönebeck site (site of the geothermal<br />
borehole Gt GrSk 4/05 for developing an Enhanced<br />
Geothermal System) are also shown.<br />
von Gesteinen des Prä-Perm und des Perm (Rotliegend-<br />
Sedimente und Vulkanite), die durch Bohrungen aufgeschlossen<br />
sind, die Bestimmung der Gesteinsporosität<br />
sowie die Bestimmung der Gehalte an U, Th und K im Labor<br />
und durch Bohrlochmessungen der natürlichen Radioaktivität.<br />
Daraus wurde die radiogene Wärmeproduktion von<br />
Gesteinen des Devons bis Quartärs abgeleitet. Da in vielen<br />
Bohrungen die Messungen der natürlichen Radioaktivität<br />
in Gamma-Einheiten vorliegen, war es notwendig, eine<br />
empirische Beziehung zur Umrechnung dieser Einheiten in<br />
moderne API-Einheiten (Abb. 5.18) zu entwickeln.<br />
Mit Hilfe der empirischen Gleichung aus Abb. 5.18 können<br />
ältere, in der Erdöl-Erdgas-Exploration gemessene<br />
Logs in explorative Arbeiten quantitativ einbezogen werden.<br />
Für das Nordostdeutsche Becken wurde basierend auf<br />
Gamma-Logs eine Bilanzierung des Anteils der Wärmestromdichte<br />
in der sedimentären Beckenfüllung vorgenommen.<br />
Diese kann bis zu 7 mW/m 2 betragen.<br />
Werte der Wärmeleitfähigkeit von über 300 Proben liefern<br />
auf der Basis gut dokumentierter Messungen eine<br />
neue Datengrundlage für die Bestimmung der Wärmestromdichte,<br />
für thermische Beckenmodellierungen und<br />
für Modellierungen von regionalen Wärmetransportprozessen.<br />
Dabei zeigt sich vor allem für die intensiv beprobten<br />
Rotliegend-Sedimente ein enger Zusammenhang von<br />
Wärmeleitfähigkeit und Fazies bzw. Diagenese/Zementation<br />
der Gesteine. Die Wärmeleitfähigkeiten derselben<br />
stratigraphischen und lithologischen Einheit können dabei<br />
um mehr als 2 W/m/K variieren.<br />
Im Nordostdeutschen Becken sind die strukturgeologischen<br />
Verhältnisse durch Salzdome und Salzkissen modifiziert.<br />
Auf Grund von großen Kontrasten in der Wärmeleitfähigkeit<br />
zwischen Salz und Umgebungsgestein bilden<br />
diese Strukturen thermische Anomalien, die sich auch in<br />
der Höhe der Wärmestromdichte widerspiegeln. Die Reichweite<br />
dieser Störungen im thermischen Feld wurde erstmalig<br />
durch Modellrechnungen umfassend quantifiziert<br />
(Abb. 5.19). Auf der Basis dieser Modelle war eine Kor-<br />
Abb. 5.18: Beispiel für eine aus der Bohrlochmessung der<br />
natürlichen Radioaktivität (in Gamma-Einheiten, blaue<br />
Kurve) bestimmte Wärmeproduktion (rote Kurve). Die<br />
Berechnung erfolgte nach der empirischen Formel A<br />
[µW/m 3 ] = 0,0783 (GR[GEc]-5,66). Punkte zeigen Wärmeproduktionsraten<br />
aus Labormessungen (aus Norden &<br />
Förster, im Druck).<br />
Borehole example of radiogenic heat production (red<br />
curve) determined from a gamma-ray log (measured in<br />
gamma units, blue curve) using the empirical equation A<br />
[µW/m 3 ] = 0.0783 (GR[GEc]-5.66) (from Norden & Förster,<br />
in press).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
381
382<br />
Abb. 5.19: Beispiel eines lokalen thermischen Modells (Salzstruktur Gransee). A) Darstellung der 60 mW/m 2 -Wärmestromdichte-Isofläche<br />
im Bereich von 1 bis 11 km Tiefe mit dem Gitternetz der Modellierung, B) Profilschnitt parallel<br />
von x durch die Salzstruktur (aus Lotz, <strong>2004</strong>).<br />
Example of a local-scale thermal model (salt structure Gransee). A) 3D plot of the 60 mW/m 2 heat flow surface in the<br />
depth range of 1 to 11 km. Grid of the modeling is shown. B) Cross section in x direction showing the heat-flow distribution<br />
in z direction (from Lotz, <strong>2004</strong>).<br />
rektur der in der Nähe dieser Strukturen gemessenen Wärmestromdichte<br />
auf „Normal“-Bedingungen möglich.<br />
Um das regionale thermische Tiefenfeld zu quantifizieren<br />
und die Sensitivität des Wärmestroms in Hinsicht auf Parameteränderungen<br />
zu untersuchen, wurden verschiedene<br />
Szenarien des Krustenaufbaus und der Lithosphärenmächtigkeit<br />
entlang eines 2D-Profils (Abb. 5.20) thermisch<br />
berechnet. Es konnte unter anderem gezeigt werden,<br />
dass die bis zu 2.000 m mächtigen Vulkanit-Komplexe<br />
mit ihrer teilweise hohen Wärmeproduktion (3 bis<br />
6 µW/m 3 ) einen signifikanten Einfluss auf die Wärmestromdichte-Verteilung<br />
ausüben.<br />
Das Norddeutsche Becken bietet neben den günstigen<br />
Bedingungen für die Nutzung der Erdwärme auch ein geeignetes<br />
geologisches Umfeld für die Speicherung von CO 2. Im<br />
Frühjahr <strong>2004</strong> starteten die Vorbereitungsarbeiten für eine<br />
in 2006 geplante Injektion von CO 2 in die Struktur Ketzin<br />
(vgl. Abb. 5.17). Diese Arbeiten sind Bestandteil des vom<br />
6. Forschungsrahmenprogramm (FP6) der Europäischen<br />
Union und der Industrie geförderten CO 2SINK-Projekts.<br />
In der Struktur Ketzin wurde früher Erdgas der Verbundnetz<br />
Gas AG Leipzig in einer Sandsteinschicht in einer<br />
Tiefe von 250 bis 400 m gelagert. Die CO 2-Speicherung<br />
im Rahmen des CO 2SINK-Projekts soll jedoch in einer<br />
tieferen Sandsteinschicht, in der Stuttgart-Formation, die<br />
ca. 80 m mächtig ist, erfolgen. Ein dreidimensionales geologisches<br />
Strukturmodell wurde für die Roskow-Ketzin-<br />
Doppelantiklinale erarbeitet, das auf 2D-seismischen Daten<br />
sowie Daten aus zahlreichen Explorationsbohrungen, die<br />
im Rahmen vorangegangener industrieller Erkundungen<br />
abgeteuft wurden, basiert. Als Teil des Modells wurden<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 5.20: Geologischer Schnitt durch das Nordostdeutsche Becken und angrenzende Gebiete, für den thermische<br />
Modelle berechnet wurden. Gezeigt werden verschiedene Szenarien der Tiefenlage der Lithosphäre/Asthenosphäre-<br />
Grenze (LAB). Nummeriert und farbkodiert sind geologische Einheiten, die sich in Bezug auf Zusammensetzung und<br />
thermische Eigenschaften unterscheiden (aus Lotz, <strong>2004</strong>).<br />
Cross section of the Northeast German Basin and adjacent areas used as conceptual model for thermal modelling. Different<br />
scenarios of the lithosphere/asthenosphere boundary depth (LAB) are shown. Numbered circles denote geological<br />
units (colorcoded) of different composition and thermal properties (from Lotz, <strong>2004</strong>).<br />
für die geplanten CO 2SINK-Bohrungen (Abb. 5.21) geologische<br />
Vorprofile erstellt.<br />
Der CO 2SINK-Speicher (die Stuttgart-Formation) ist eine<br />
geologische Einheit von ausgeprägter Heterogenität. Klastische<br />
Sedimentgesteine, die in Überflutungsgebieten<br />
(Überflutungsfazies) abgelagert wurden, wechseln mit Ablagerungen,<br />
die in Rinnen sedimentiert sind (sandige Rinnenfazies).<br />
Diese Sandsteine vom Grauwacken-Typ bilden<br />
auf Grund sehr guter hydraulischer Eigenschaften die<br />
eigentlichen Reservoirzonen für die CO 2-Speicherung.<br />
Um die Heterogenität der Stuttgart-Formation quantitativ<br />
zu erfassen, wurde zur Reservoircharakterisierung eine<br />
geostatistische Modellierung der möglichen Rinnensandsteingeometrien<br />
(Abb. 5.22) in Zusammenarbeit mit dem<br />
Geological Survey of Denmark and Greenland (GEUS)<br />
durchgeführt.<br />
Die Charakterisierung von Reservoir- und Caprock-Gesteinen<br />
ist für das Verständnis einer sicheren CO 2-Speicherung<br />
notwendig. Erste mineralogische und geochemische<br />
Analysen der Caprock-Gesteine in Ketzin (Abb. 5.23)<br />
zeigten typische Tonsteingefüge in diesen Gesteinen.<br />
Mehr oder weniger gerundete Quarze sind in eine dichte,<br />
oft blättchenförmige Grundmasse aus Ton- und Glimmermineralen<br />
eingebettet. Große und durchgängige Porenräume<br />
sind nicht zu erkennen. Oft ist eine deutliche<br />
Schichtung von rein sandigen und tonigen Partien zu beobachten.<br />
Durchgängige Porenräume sind in diesen dichten<br />
tonigen Partien nicht zu erwarten, was sie zu idealen Abdecker-Gesteinen<br />
für Reservoire macht.<br />
Gesteinsphysikalische Parameter für das Engineering von<br />
Tiefenreservoiren<br />
Die Injektion von CO 2-haltigen Wässern in tiefe Gesteinsformationen,<br />
das Einbringen von Stützmitteln in hydraulisch<br />
frisch aufgebrochene Reservoire, die Infiltration von<br />
Bohrspülungen in Reservoirgestein und das Langzeitdurchströmen<br />
eines geothermischen Reservoirs mit Tiefenwässern<br />
beeinflussen die physikalischen Gesteinseigenschaften.<br />
Diese Änderungen können auch experimentell<br />
im Labor bestimmt werden.<br />
Mit der triaxialen Hochdruckpresse wurden am <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
mechanische Parameter des Bentheimer Sandsteins<br />
bestimmt. Ein Schwerpunkt war die Bestimmung des<br />
Skempton-Koeffizienten (Änderung des Porendrucks<br />
dividiert durch die Änderung des äußeren Umschließungsdrucks).<br />
Die Experimente zeigen, dass der Skempton-Koeffizient<br />
einer Probe bei Veränderungen des äußeren<br />
Stressfeldes nicht konstant ist. Bei Erhöhung des<br />
Umschließungsdruckes sinkt der Skempton-Koeffizient.<br />
Durch die Vorbelastung der Probe werden die Einflüsse<br />
von bleibenden Deformationen minimiert. Das Modell<br />
zeigt, dass gerade die Porenraumgeometrie (runde Poren<br />
bis irreguläre Poren) in direktem Zusammenhang mit<br />
deren Deformationsverhalten steht.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
383
384<br />
Abb. 5.21: Karte der Roskow-Ketzin-Doppelstruktur mit der CO 2SINK-Bohrlokation (gefülltes Quadrat) sowie der Lage<br />
von Altbohrungen (Punkte). Tiefenlage des seismischen K2-Reflektors in Metern (verändert nach Förster et al., im<br />
Druck).<br />
Map of the Roskow-Ketzin double structure with the location of the CO 2SINK drill site (filled square) and previous<br />
wells (dots). Depth of the K2 seismic reflector in meters (adapted from Förster et al., in press).<br />
Mit der triaxialen Hochdruckpresse wurden auch geophysikalische<br />
und geochemische Vorgänge in Sandsteinen<br />
untersucht, wenn diese im Kontakt mit Salzlösungen und<br />
mit CO 2 stehen. Es erfolgt eine kontinuierliche geophysikalische<br />
und geomechanische Datenaufnahme in Form<br />
Abb. 5.22: Modell-Geometrie der Stuttgart-Formation am Standort Ketzin<br />
für einen Block von 10 km x 10 km x 80 m Größe. Hochpermeable Sandsteinstränge<br />
wechseln mit gering-permeabler, tonig-siltiger Überflutungsfazies<br />
(blau) (aus Förster et al., im Druck).<br />
Architecture of the Stuttgart Formation at Ketzin, modelled in a 10 km x 10<br />
km x 80 m block. Sandstone channels of high permeability alternate with floodplain<br />
facies mudstones and siltstones (blue) (from Förster et al., in press).<br />
von seismischen Geschwindigkeiten, spezifischem elektrischen<br />
Widerstand und Deformation. Fluidproben, die<br />
mit dem Gestein in Wechselwirkung standen, wurden zur<br />
chemischen Analyse genommen. Signifikante Änderungen<br />
petrophysikalischer Eigenschaften konnten zusammen<br />
mit Patch-Versuchen zur Charakterisierung<br />
der Fluid-Gestein-Wechselwirkung<br />
interpretiert werden (Schütt et a.,<br />
<strong>2005</strong>).<br />
Solche Untersuchungen finden auch Eingang<br />
in die Entwicklung einer Apparatur<br />
zur Durchführung von Langzeitdurchströmungsversuchen<br />
zur Einschätzung<br />
des Langzeitverhaltens geothermischer<br />
Reservoire. Ziel ist die Ableitung einer<br />
wissenschaftlich begründeten Aussage<br />
über die zeitliche Entwicklung der Produktivität<br />
des betreffenden Reservoirgesteins.<br />
Hierzu wurden zwei identische<br />
Messapparaturen konzipiert, welche die<br />
simultane Messung der physikalischen<br />
Gesteinsparameter Permeabilität, elektrische<br />
Leitfähigkeit, Kompressions- und<br />
Scherwellengeschwindigkeit sowie fluidchemische<br />
Untersuchungen unter relevanten<br />
Druck- und Temperaturbedingungen<br />
ermöglichen.<br />
Zur Errichtung einer geothermischen<br />
Nutzungsanlage hat die Schaffung künst-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 5.23: Bohrkerne aus der Weser-Formation, dem unmittelbaren Caprock für den CO 2-Speicher in Ketzin. Untere<br />
Reihe: Sekundärelektronenbilder.<br />
Drill core samples from the Weser Formation, which is the immediate cap rock of the CO 2-injection formation at Ketzin.<br />
Lower row: Secondary-electron images.<br />
Abb. 5.24: Skempton-Koeffizient (Änderung des Porendrucks<br />
Pp dividiert durch Änderung des äußeren Umschließungsdrucks<br />
Pc) einer Probe des Bentheimer Sandsteins<br />
(Blöcher et al., pers. Mitt.) Die Druckänderung<br />
beträgt 0,1 MPa/min. Dargestellt sind gleitende Mittel<br />
über 10 Minuten. Messung bei Druckbelastung: up; Druckentlastung:<br />
down)<br />
Skempton-coefficient (change of pore pressure divided by<br />
change of confining pressure) of a Bentheim sandstone<br />
sample (Blöcher et al., pers. comm.) Pressure change is<br />
0.1MPa/min. Shown are 10-minute-running averages.<br />
Measurements during pressure increase are marked with<br />
„up“; measurements during pressure decrease are marked<br />
with „down“.<br />
licher Risse eine besondere Bedeutung. In der Konzeption<br />
ist das Einbringen von Mitteln zur Abstützung der Rissoberfläche<br />
nach Druckentlastung eine wichtige Option.<br />
Daher wurde die Schädigung einer künstlichen Rissoberfläche<br />
einer Rotliegend-Sandsteinprobe durch ungleichmäßige<br />
Stützmittelverteilung untersucht. Im Fokus der<br />
Untersuchungen standen die mechanischen Auswirkungen<br />
einer geringen Konzentration von Stützmitteln im<br />
Riss. Die Simulation der Spannungs-Bedingungen für eine<br />
Tiefe von 4 km an einer Rotliegendprobe aus Flechtingen<br />
ergab, dass deutliche Schädigungen der Rissoberfläche<br />
durch Eindringen der Stützmittel in die Gesteinsmatrix,<br />
Produktion von Feinmaterial am Kontakt und die Zerstörung<br />
des Stützmittels selbst beobachtet wurden. Der Vergleich<br />
mit dem Standard-Test (nach API) für das verwendete<br />
Stützmittel ergab, dass der prozentuale Anteil des<br />
erzeugten Feinmaterials etwa gleich groß, die effektive<br />
Spannung im API-Test aber doppelt so groß ist. Die Zerstörungen<br />
waren umso stärker, je geringer die Stützmittelkonzentration<br />
(kleiner als geschlossen einlagig) war. Die<br />
Mobilisierung und Transport von Feinmaterial beschränkte<br />
sich auf die Stützmittellage, weil aus technischen Gründen<br />
nur der Riss durchströmt werden konnte. Bei einer<br />
Strömung aus der Gesteinsmatrix in den Riss ist eine<br />
Mobilisierung der Gesteinsbruchstücke wahrscheinlich.<br />
In einer separaten Versuchsanlage wurde die einaxiale<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
385
386<br />
Abb. 5.25: Dünnschliffe eines Bentheimer Sandsteins 1,25 x 1,25 mm 2 . Links: Korngerüst und Druckverteilung in den<br />
Poren farbig hinterlegt. Rechts: die durch das numerische Modell ermittelten Porendrücke und Stressverteilung im<br />
Korngerüst (Blöcher et al., pers. Mitt.).<br />
Thin section of Bentheim sandstone 1,25 x 1,25 mm 2 . Left: grain structure and pressure distribution in pores. Right:<br />
Responding pore pressure and mean stress in a numerical simulation (Blöcher et al., pers. comm.).<br />
Abb.5.26:K-Feldspat vor Einwirkung (links) bzw. nach Einwirkung (rechts)<br />
CO 2-beladener Wässer.<br />
K-feldspar before treatment (left) and after treatment (right) with CO 2-bearing<br />
water.<br />
Bruchfestigkeit von Stützmittel-Einzelkörnern bestimmt<br />
und damit eine Datenbasis für keramische Stützmittel<br />
geschaffen.<br />
Um die Einsatzfähigkeit von Spülungen für die Geothermie-Bohrung<br />
in Großschönebeck beurteilen zu können,<br />
wurde in Kooperation mit der Bergakademie Freiberg ein<br />
Untersuchungsprogramm gestartet. Als Basisdaten wurden<br />
im <strong>GFZ</strong> Potsdam an Rotliegend-Bohrkernen die Dichte,<br />
Porosität, Permeabilität und deren Druckabhängigkeit<br />
bestimmt. Die Aufgabe einer speicherschonenden Spülung<br />
ist der Aufbau eines sogenannten Filterkuchens an<br />
der Bohrlochwand, der weitere Infiltrationen während des<br />
Bohrvorgangs verhindern soll. Das Programm wird mit<br />
High-Tech-Spülungssystemen aus der Industrie (Baroid,<br />
MI Swaco) durchgeführt.<br />
Gashydrat-Projekt in Mallik, Kanada<br />
Im Rahmen des Mallik-2002-Forschungsbohrprogramms<br />
wurden drei Bohrungen, die ein kontinentales Gashydratvorkommen<br />
unter Permafrost im Nordwesten Kanadas<br />
durchteufen, vom <strong>GFZ</strong> Potsdam mit faseroptischen Messkabeln<br />
zur ortsverteilten Temperaturmessung ausgestat-<br />
tet. Hierbei ist es von besonderem Interesse,<br />
die In-Situ-Wärmeleitfähigkeit zu<br />
bestimmen. Da bei der Bildung und der<br />
Zersetzung von Gashydraten latente<br />
Wärme umgesetzt wird, sind diese Prozesse<br />
immer mit dem Transport von<br />
Wärme verbunden. Um solche Bildungsund<br />
Zersetzungsprozesse in der Natur<br />
quantifizieren zu können, ist eine detaillierte<br />
Kenntnis der thermischen Eigenschaften<br />
von gashydratführenden Gesteinen<br />
notwendig. Da der Einfluss von<br />
Hydratvorkommen auf die thermischen<br />
Eigenschaften poröser Gesteine bisher<br />
weitgehend unbekannt ist, wurde der Einfluss<br />
von Methanhydrat auf den Wärmetransport untersucht.<br />
Die In-Situ-Wärmeleitfähigkeit wurde mit zwei unterschiedlichen<br />
Methoden aus den vorliegenden Bohrlochmessdaten<br />
hergeleitet: Einerseits wurden Wärmeleitfähigkeitsprofile<br />
aus den gemessenen geothermischen Gradienten<br />
und der lokalen Wärmeflussdichte auf der Grundlage<br />
der Fourier’schen Wärmeleitungsgleichung berechnet.<br />
Andererseits wurde die Gesteinszusammensetzung<br />
anhand von Bohrlochmessdaten bestimmt und die effektive<br />
Wärmeleitfähigkeit der hydratführenden Sedimente<br />
durch Anwendung von Mischungsgesetzmodellen berechnet.<br />
Die Ergebnisse des geometrischen Modells stimmen am<br />
besten mit den Wärmeleitfähigkeitsprofilen überein, die<br />
aus geothermischen Daten abgeleitet wurden. Daher kann<br />
das geometrische Modell zur Abschätzung der Wärmeleitfähigkeit<br />
von gashydratführenden Sedimenten des Mallik-Typs<br />
angewendet werden. Die erbohrten Sedimente<br />
zeigen geringe Wärmeleitfähigkeitskontraste zwischen<br />
der Porenfüllung und der Gesteinsmatrix und enthalten<br />
fein verteilt auftretendes Gashydrat mit Sättigungen bis<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 5.27: Schema einer „Fracture-Face-Zone“ (Rissoberfläche nach Stützmitteleinwirkung, Legarth et al., <strong>2005</strong>).<br />
Scheme of a fracture face zone (Legarth et al., <strong>2005</strong>).<br />
Abb. 5.29: Bohrturm an der Lokation Mallik, NW-Kanada<br />
(Foto: <strong>GFZ</strong> Potsdam).<br />
Drill rig at the Mallik site, NW-Canada.<br />
Abb. 5.28: Filterkuchen auf einer Rotliegend-Sandstein-Oberfläche<br />
nach Einwirkung einer High-Tec-Bohrspülung<br />
(Raab et al., pers. Mitt.)<br />
Filtercake on the surface of a Rotliegend sandstone after<br />
infiltration of a high-tec borefluid (Raab et al., pers. comm.)<br />
zu 90 %. Mittlere Werte der Wärmeleitfähigkeit der hydratführenden<br />
Intervalle liegen zwischen 2,35 W/m/K und<br />
2,77 W/m/K. Die Ergebnisse zeigen, dass Veränderungen<br />
der Wärmeleitfähigkeit wesentlich durch lithologische<br />
Wechsel verursacht werden und der Einfluss der Hydratsättigung<br />
auf die effektive Wärmeleitfähigkeit des<br />
Gesteins nur von untergeordneter Bedeutung ist. Die verbesserte<br />
Kenntnis der Wärmeleitfähigkeit gashydratführender<br />
Sedimente ermöglicht die Berechnung der dynamischen<br />
Wärmetransportprozesse bei Bildung und Zerfall<br />
von Gashydraten.<br />
Ingenieurseismologie<br />
Die Forschungsarbeiten der Sektion 5.3 „Ingenieurseismologie“<br />
konzentrieren sich auf ingenieurtechnisch umsetzbare,<br />
angewandte seismologische Forschungsthemen<br />
wie z. B. probabilistische Einschätzungen der Erdbebengefährdung,<br />
deren Überführung in Regelwerke zum erdbebengerechten<br />
Konstruktionsentwurf sowie in Erdbebenrisikoaussagen<br />
als Grundlage für ein Risikomanagement.<br />
Hinzu kommen seismologische und ingenieurseismologische<br />
Grundlagenuntersuchungen, wie die Bereitstellung<br />
geeigneter Ausgangsdaten, z. B. von Dämpfungsbeziehungen<br />
von potentiell schadenverursachenden Er-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
387
388<br />
Abb. 5.30: Vergleich von Wärmeleitfähigkeitsprofilen, die aus Mischungsgesetzmodellen<br />
und geothermischen Daten (Mallik 5L-38-Bohrung, September<br />
2003) berechnet wurden, zusammen mit den 95 % Konfidenzintervallen.<br />
Zur besseren Vergleichbarkeit sind die Daten als 5-Meter-Mittelwerte<br />
dargestellt. Verändert nach Henninges et al. (<strong>2005</strong>).<br />
Comparison of thermal-conductivity profiles calculated from mixing-law<br />
models and 5-m average temperature gradients (Mallik 5L-38 well, September<br />
2003), together with 95% confidence interval limits. For better<br />
comparability, the mixing law conductivities are correspondingly displayed<br />
as 5-m arithmetic average values. Modified from Henninges et al.<br />
(<strong>2005</strong>).<br />
schütterungsparametern, der Vulnerabilitätsanalyse<br />
von Bauten, numerischen<br />
Modellierungen zum Bebengenerierungspotential<br />
von geologischen Bruchstörungen<br />
sowie Analysen zum bebenauslösenden<br />
Spannungsfeld in der Erdkruste.<br />
Seismische Risikokartierung Deutschlands<br />
Im gemeinsam von <strong>GFZ</strong> Potsdam und der<br />
Universität Karlsruhe betriebenen virtuellen<br />
Institut CEDIM (Centre for Disaster<br />
Management and Risk Reduction<br />
Technology) wurde im Projekt „Risikokartierung<br />
Deutschland“ das Erdbebenrisiko<br />
landesweit berechnet und kartenmäßig<br />
dargestellt (vgl. dazu auch die Arbeit<br />
„Risikokarten für Deutschland“ in diesem<br />
Bericht). Verschiedene der seismisch<br />
aktivsten Zonen in Europa nördlich der<br />
Alpen befinden sich in Deutschland<br />
und im Grenzgebiet zu Deutschland<br />
(Abb. 5.31). Dort traten in historischer<br />
Zeit Momentmagnituden von M W > 6 und<br />
bis M W = 6,9 auf, denen Erschütterungsintensitäten<br />
von VIII-IX und IX entsprechen.<br />
Da verschiedene dieser aktiven<br />
Seismizitätszonen eine hohe Bevölkerungsdichte<br />
und einen hohen Grad der<br />
Industrialisierung aufweisen und damit<br />
die Erdbebengefährdung mit einer hohen<br />
Konzentration von Werten zusammentrifft,<br />
ist die Analyse der Einflüsse von<br />
Erdbeben auf eine derart exponierte<br />
Infrastruktur sehr wichtig.<br />
Eine Methodik zur Berechnung des seismischen<br />
Risikos geht aus von intensitätsbasierten<br />
probabilistischen seismischen<br />
Gefährdungseinschätzungen, Vulnerabilitätsmodellen<br />
auf der Grundlage der<br />
räumlichen Verteilung von Wohngebäuden<br />
unterschiedlichster Bauweisen bzw.<br />
Abb. 5.31: Zeitgenössischer Kupferstich,<br />
der die Wirkungen des Bielefeld-Bebens<br />
von 1612 zeigt: verängstigte Bürger<br />
(Mitte), herunterfallendes Zinngeschirr<br />
(links) und (rechts) beschädigte Bauten,<br />
wie ein Stadttorturm und das Bielefelder<br />
Franziskaner-Kloster, die erhebliche<br />
Mauerrisse aufweisen (vgl. Grünthal,<br />
<strong>2004</strong>).<br />
Contemporary engraving showing the<br />
effects of the 1612 Bielefeld earthquake:<br />
frightened people (middle), falling pewter<br />
wave (left) and (right) damaged buildings<br />
like a city gate tower and the Bielefeld<br />
Franciscans monastery, both evidencing<br />
considerable fissures in the walls (cf.<br />
Grünthal, <strong>2004</strong>).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 5.32: Epizentren katalogisierter Erdbeben (Grünthal & Wahlström,<br />
2003).<br />
Epicentres of catalogued earthquakes (Grünthal & Wahlström, 2003).<br />
-typen sowie den Wiederherstellungskosten solcher Wohngebäude<br />
spezifiziert für alle kommunalen Strukturen. Die<br />
grenzüberschreitenden Erdbebendaten in Form einer europäischen<br />
Datenbasis (Abb. 5.32) wurden am <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
von Grünthal und Wahlström (2003) erarbeitet. Ebenso<br />
wurden die Erdbebengefährdungsdaten von früheren Analysen<br />
am <strong>GFZ</strong> verwendet, die für den Erschütterungsparameter<br />
der makroseismischen Intensität kalibriert und für<br />
eine Nichtüberschreitenswahrscheinlichkeit von 90 % in<br />
50 Jahren berechnet sind (Abb. 5.33). Die Erdbebengefährdungsdaten,<br />
die primär für einen Gitterpunktabstand<br />
von 0,1° x 0,1° vorliegen, werden anhand von Interpolationen<br />
jeder der 13.490 separaten administrativen Kommunen<br />
in Deutschland zugeordnet.<br />
Für die Abschätzung der Häufigkeitsverteilung von<br />
Gebäuden bestimmter Verletzbarkeitsklassen wurde eine<br />
repräsentative Methodik entwickelt. Verschiedene Prototyp-Kommunen,<br />
die unterschiedlichen Klassen von Kommunen<br />
bezüglich ihrer Einwohnerzahl entsprechen, wurden<br />
anhand von Vor-Ort-Analysen im Hinblick auf ihre<br />
Vulnerabilitätsstruktur untersucht. Fünf Einwohnerklassen<br />
umfassen Orte mit weniger als 300 Einwohnern, 300<br />
bis 3.000, 3.000 bis 30.000, 30.000 bis 300.000 und mehr<br />
als 300.000. Zusatzinformationen konnten aus veröffentlichtem<br />
Material und der nationalen INFAS-Datenbank<br />
entnommen werden.<br />
Zur notwendigen Unterteilung von Verletzbarkeiten wurden<br />
die im Rahmen der Europäischen Makroseismischen<br />
Skala (EMS-98; Grünthal, 1998) erarbeiteten<br />
und international bewährten Vulnerabilitätsklassen<br />
zugrunde gelegt und<br />
deren repräsentative Häufigkeitsverteilungen<br />
in den fünf Kommunenklassen<br />
ermittelt.<br />
Schadenswahrscheinlichkeitsmatrizen<br />
wurden erarbeitet, die den erwarteten<br />
Schaden in Prozent der Zerstörung für<br />
verschiedene Kombinationen von Vulnerabilitätsklassen<br />
und makroseismische<br />
Intensitäten angeben. Diese sind in Abb.<br />
5.34 als Vulnerabilitäts- bzw. Fragilitätskurven<br />
dargestellt. Die Vulnerabilitätsklassenverteilung<br />
in Verbindung mit den<br />
Schadensmatrizen ergibt typische Schadenskurven<br />
für die Kommunengrößenklassen<br />
(Abb. 5.35). In einem nächsten<br />
Arbeitsschritt werden die makroseismischen<br />
Intensitäten für das betrachtete<br />
Gefährdungsniveau (bzw. Eintreffenswahrscheinlichkeit)<br />
mit den zugehörigen<br />
Werten der Fragilitätskurven kombiniert.<br />
Werden diese ortsbezogenen Daten<br />
wiederum mit den Wiederherstellungskosten<br />
verknüpft, folgt als Resultat die<br />
Erdbebenrisikokarte in Form von monetären<br />
Verlustaussagen (Abb. 5.36). Bisher<br />
wurden nur Wohnhäuser in die Analysen<br />
einbezogen. Die Angaben zum Werteinventar<br />
(Asset) in den einzelnen Kommunen sind von der<br />
Asset-Gruppe in CEDIM bereitgestellt worden.<br />
Den relativ geringen Schadenserwartungen für größere<br />
Städte (diese weisen infolge massiver Kriegseinwirkungen<br />
in stärkerem Ausmaß resistentere neuere Bauten auf als die<br />
Mehrzahl kleinerer Städte) stehen i. d. R. dennoch erhöhte<br />
Risikowerte gegenüber, die durch die im Gegensatz zu kleineren<br />
Kommunen erhöhten Wertekonzentrationen bedingt<br />
sind. Für die bevölkerungsreicheren Kommunen ist damit<br />
deren relativ zur Umgebung erniedrigte Vulnerabilität überkompensiert<br />
durch deren höhere totale Wertekonzentration.<br />
Für das gewählte Wahrscheinlichkeitsniveau von 10 %<br />
Überschreitenswahrscheinlichkeit in 50 Jahren ergeben<br />
sich damit erwartete Verlust von mehreren Hundert Millionen<br />
Euro in den am meisten gefährdeten größeren Kommunen.<br />
Die 15 Kommunen mit dem größten erwarteten<br />
Erdbebenrisiko sind in Tabelle 1 zusammengefasst.<br />
Dieses methodische Vorgehen zur Abschätzung des seismischen<br />
Risikos wurde anhand beobachteter Schadenswerte<br />
von Beben der letzten 30 Jahre in Deutschland und<br />
im grenznahen benachbarten Ausland kalibriert. Obwohl<br />
nur Wohnbauten betrachtet wurden und keine sonstigen,<br />
gegenüber Erdbeben verletzbaren Objekte, gibt die vorliegende<br />
Risikokarte bereits einen guten Eindruck vom<br />
insgesamt zu erwartenden Erdbebenrisiko, zumal Wohngebäude,<br />
sowohl seitens ihres Werteinventars als auch vom<br />
sozialen Standpunkt aus betrachtet, in ihrer Summe die<br />
größte gesamtgesellschaftliche Bedeutung besitzen.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
389
390<br />
Abb. 5.33: Erdbebengefährdung in Deutschland in Form berechneter Intensitätswerte für eine Nichtüberschreitenswahrscheinlichkeit<br />
von 90 % in 50 Jahren; mit Karte der Epizentren tektonischer Erdbeben (Grünthal et al., 1998).<br />
Earthquake hazard in Germany in terms of European Macroseismic Scale intensities for a non-exceedence probability<br />
of 90 % in 50 years; epicentres of tectonic earthquakes (Grünthal et al., 1998).<br />
Vergleichende Bewertung des Naturgefahrenrisikos für<br />
die Stadt Köln – Erdbeben, Hochwasser und Stürme<br />
Die am <strong>GFZ</strong> vorgenommenen Untersuchungen zur Abschätzung<br />
der Erdbebengefährdung finden ihre Umsetzung<br />
in die Praxis (1) in Form der Bereitstellung von Erdbebenzonierungskarten<br />
und von seismischen Lastannah-<br />
men für erdbebengerechte Baunormen, wie der zum<br />
01. 04. <strong>2005</strong> eingeführten Neufassung der DIN 4149 und<br />
(2) in Form von Überführungen der Erdbebengefährdungsaussagen<br />
in Risikoaussagen, d. h. der Berechnung<br />
zu erwartender monetärer Verluste für verschiedene Eintreffenswahrscheinlichkeiten.<br />
Diese bilden die Grundlage<br />
für ein möglichst realistisches langfristig orientiertes Risi-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 5.35: Vulnerabilitäts-(Schadens-)kurven für die repräsentativen Kommunengrößenklassen.<br />
Vulnerability (damage) curves for the representative community classes.<br />
Abb. 5.34: Vulnerabilitätskurven für die<br />
Vulnerabilitätsklassen A bis D der EMS-<br />
98 (Grünthal, 1998).<br />
Vulnerability curves for the EMS-98 vulnerability<br />
classes A to D (Grünthal, 1998).<br />
komanagement. Besonders nützlich stellen<br />
sich quantitative Vergleiche des Risikos<br />
durch verschiedene Naturgefahren dar.<br />
Im Rahmen des Deutschen Forschungsnetzes<br />
Naturgefahren (DFNK) wurden<br />
die Risiken durch Erdbeben, Hochwasser<br />
und Stürme für den Raum Köln untersucht.<br />
Nach Vorliegen der DFNK-Resultate<br />
wurde unter Koordinierung der Sektion<br />
5.3 ein quantitativer Vergleich der<br />
Risiken für die Stadt Köln vorgenommen.<br />
Hierbei galt es, die Arbeiten zur Risikoabschätzung<br />
zu Erdbeben, Hochwasser<br />
und Stürmen so zu gestalten, dass die<br />
Ergebnisse einen direkten Vergleich erlauben<br />
und dieser Vergleich für einen<br />
möglichst weiten Bereich betrachteter<br />
Eintreffenswahrscheinlichkeiten möglich<br />
ist, wie diese typischerweise für die Erdbebengefährdung<br />
angegeben werden. Die<br />
hier vorgestellten Ergebnisse sind das<br />
Produkt einer engen Zusammenarbeit des<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam mit der Bauhaus-Universität<br />
Weimar, wo die wesentlichen Komponenten<br />
der Quantifizierung des Erdbebenrisikos<br />
untersucht wurden, sowie mit<br />
der Universität Leipzig, an der das Sturmrisiko<br />
abgeschätzt wurde. Innerhalb des<br />
<strong>GFZ</strong> erfolgte eine Zusammenarbeit mit<br />
der Sektion 5.4, wo das Hochwasser-<br />
Tab. 1: Liste von Kommunen mit den höchsten Risikowerten; erwartete Verluste durch mögliche Schäden an Wohnbauten<br />
für eine Nichteintreffenswahrscheinlichkeit von 90 % in 50 Jahren.<br />
List of the 15 communities with the highest risk values; estimated losses due to probable damage to the residential<br />
building stock for a 90 % non-exceedance probability in 50 years.<br />
Community Location Federal state Population Seismic risk<br />
(thousand) (million euro)<br />
Köln 50°56'N 6°55'E North Rhine-Westphalia 968 790<br />
Aachen 50°46'N, 6°05'E North Rhine-Westphalia 246 560<br />
Tübingen 48°31'N, 9°03'E Baden-Württemberg 82 470<br />
Mönchengladbach 51°11'N, 6°26'E North Rhine-Westphalia 263 440<br />
Reutlingen 48°29'N, 9°12'E Baden-Württemberg 111 430<br />
Stuttgart 48°47'N, 9°11'E Baden-Württemberg 587 400<br />
Albstadt 48°13'N, 9°00'E Baden-Württemberg 47 375<br />
Düren 50°48'N, 6°28'E North Rhine-Westphalia 92 330<br />
Freiburg im Breisgau 47°59'N, 7°50'E Baden-Württemberg 208 290<br />
Konstanz 47°40'N, 9°10'E Baden-Württemberg 79 280<br />
Karlsruhe 49°00'N, 8°23'E Baden-Württemberg 280 255<br />
Lörrach 47°37'N, 7°39'E Baden-Württemberg 46 220<br />
Balingen 48°16'N, 8°51'E Baden-Württemberg 34 210<br />
Frankfurt am Main 50°08'N, 8°40'E Hessen 641 200<br />
Kerpen 50°52'N, 6°41'E North Rhine-Westphalia 64 195<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
391
392<br />
Abb. 5.36: Erwartete Verteilung des seismischen Risikos (Millionen Euro) in deutschen Kommunen für eine Nichteintreffenswahrscheinlichkeit<br />
von 90 % in 50 Jahren (Tyagunov et al., 2006, submitted).<br />
Estimated distribution of seismic risk (millions of euro) in communities of Germany for a non-exceedence probability<br />
of 90 % in 50 years (Tyagunov et al., 2006, submitted).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
isiko und wesentliche Teile zum Werteinventar<br />
untersucht wurden.<br />
Als Zielgebiet für diese Multirisiko-Studie<br />
wurde Köln ausgewählt, da hier eine<br />
Millionenstadt mit einer hohen Wertekonzentration<br />
sowie einem bedeutenden<br />
Industrie- und Dienstleistungssektor zusammentreffen<br />
mit den drei behandelten<br />
Naturgefahren: Erdbeben, Sturm und<br />
Hochwasser. Stürme nehmen eine Spitzenposition<br />
in der jährlichen Schadensstatistik<br />
ein; z. B. übersteigen die Sturmschäden<br />
im Jahr 1999 landesweit zehn<br />
Milliarden Euro. Auch Überschwemmungsereignisse<br />
können ein großes Ausmaß<br />
annehmen wie bei der Elbe-Flut<br />
2002 mit mehr als neun Milliarden Euro.<br />
Bei der Rhein-Überschwemmung im<br />
Jahre 1995 erreichten die Schäden in<br />
Köln 33 Millionen Euro.<br />
Während Bedrohungen durch Stürme<br />
und Hochwasser der Bevölkerung sehr<br />
bewusst sind, trifft dies auf die ungleich<br />
selteneren Erdbeben nicht zu. So ist z. B.<br />
das Roermond-Beben von 1992 (M W =<br />
5,3), bei dem 7.200 Gebäude beschädigt<br />
wurden und Schäden von 150 Millionen<br />
Euro auftraten, nur den Betroffenen noch<br />
gegenwärtig. Jedoch kann mit weitaus<br />
stärkeren Beben gerechnet werden. Die<br />
größten historischen Beben im Raum Köln i. w. S. erreichten<br />
M L = 6,1 bzw. M W = 5,8, paläoseismologisch nachgewiesene<br />
Beben in der Region sogar M W von 6,7.<br />
Um die Ergebnisse der drei Naturgefahrenarten vergleichen<br />
zu können, wurde eine unter den einzelnen Bearbeiterteams<br />
abgestimmte Vorgehensweise mit folgenden<br />
Analyseschritten beschritten:<br />
1. Gefährdungseinschätzungen in Form der Wahrscheinlichkeit<br />
des Auftretens potentieller Schadenereignisse,<br />
wobei, entgegen der üblichen Vorgehensweise, auch<br />
für Stürme und Hochwasser ein möglichst breiter<br />
Bereich zu überdeckender Eintreffenswahrscheinlichkeiten<br />
zu fordern ist<br />
2. Abschätzung des Werteninventars<br />
3. Vulnerabilitätsabschätzungen, die sehr unterschiedlich<br />
für die betrachteten Gefahrenarten ausfallen; so<br />
ist z. B. bei Stürmen der Fassaden- und Dachbereich<br />
vulnerabilitätsbestimmend, dagegen bei Hochwasser<br />
die Ausbildung der untersten Teile von Gebäuden<br />
4. Verlustabschätzung durch Überlagerung der Werteverteilung<br />
mit den Vulnerabilitäten sowie den zugehörigen<br />
Szenarien von Ereigniswahrscheinlichkeiten<br />
5. Synthese der Verlustzuweisungen für die drei Gefahrenarten<br />
Die Gefährdungsabschätzungen für die drei betrachteten<br />
Gefahrenarten basieren auf sehr unterschiedlich langen<br />
Abb. 5.37: Gefährdungsabschätzungen für Köln (Grünthal et al., <strong>2004</strong>).<br />
Seismic hazard assessment for the area of Cologne (Grünthal et al., <strong>2004</strong>).<br />
Beobachtungsreihen. Während für das Sturmrisiko eine<br />
nur 30-jährige Beobachtung der stündlichen Windgeschwindigkeiten<br />
(1971 bis 2000) zur Verfügung stand, sind<br />
es für Hochwasser 120-jährige Abflussmessreihen am Pegel<br />
Köln. Für Erdbeben können die Katalogdaten der letzten<br />
1.000 Jahre für ein zu nutzendes Untersuchungsgebiet von<br />
mehr als 300 km um die Stadt Köln herangezogen werden,<br />
die hinsichtlich der Intensitäten von 8 ab ca. 1.250<br />
hinreichend vollständig sind. Paläoseismologische Daten<br />
überdecken ca. 15.000 Jahre. Grünthal et al. (<strong>2004</strong>) ermittelten<br />
das Werteinventar für Köln und die Abschätzung<br />
der Vulnerabilitätsverteilungen der Gebäudestruktur für<br />
die Gefahren durch Sturm, Hochwasser und Erdbeben.<br />
Die Abb. 5.37 zeigt die Erdbebengefährdungskurve für<br />
das Zentrum von Köln, kalibriert für den Erschütterungsparameter<br />
„makroseismische Intensität“. Zusätzlich sind<br />
drei Szenarien der räumlichen Intensitätsverteilung für<br />
unterschiedliche Eintreffenswahrscheinlichkeiten dargestellt.<br />
Die Synopsis der monetären Verluste durch Sturm,<br />
Hochwasser und Erdbeben ist in Abb. 5.38 dargestellt. In<br />
der Risikobewertung dominiert für große Eintreffenswahrscheinlichkeiten<br />
von 10 –1 bis etwa 5 . 10 –3 p. a. das Risiko<br />
durch Überschwemmungen und Stürme.<br />
Aufgrund der exponierten Lage Kölns am regelmäßig<br />
Hochwasser führenden Rhein dominiert das Hochwasserrisiko.<br />
Hinsichtlich der Windexposition der Stadt ist diese<br />
eher als geschützt zu bewerten. Schadenbeben spielen für<br />
Köln bis zum Wahrscheinlichkeitsniveau von 5 . 10 –3 p. a.,<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
393
394<br />
Abb.5.38:Risikokurven für Hochwasser, Erdbeben und Sturm für Köln unter<br />
Berücksichtigung der Schäden an Gebäuden und in den Bereichen Privathaushalte,<br />
Handel und Industrie (Grünthal et al., <strong>2004</strong>).<br />
Risk curves of the hazards due to windstorms, floods and earthquakes for<br />
the city of Cologne considering losses at buildings and in the sectors private<br />
housing, commerce and industry (Grünthal et al., <strong>2004</strong>).<br />
dem eine mittlere Wiederholungsperiode T von 200 Jahren<br />
entspricht, keine Rolle. Für Laien unerwartet, dominieren<br />
für mittlere Wiederholungsperioden T von 200 Jahren<br />
und größer die Erdbeben das Risikopotential durch<br />
Naturgefahren. Zumindest scheint das Erdbebenrisiko für<br />
derartige Werte von T etwa gleich groß ausgebildet zu sein<br />
wie für Hochwasser.<br />
Die Studie zeigte, dass Multirisikoabschätzungen für städtische<br />
Räume, die große Bereiche von Eintreffenswahrscheinlichkeiten<br />
überdecken, möglich sind. Die vorgelegten<br />
Ergebnisse der Eintreffenswahrscheinlichkeiten monetärer<br />
Verluste sind ein wesentlich besserer Indikator für<br />
das Risikomanagement als die bisher üblicherweise angegebenen<br />
mittleren erwarteten jährlichen Schäden, die von<br />
häufigen Ereignissen ohne katastrophale Ausmaße domi-<br />
niert werden, während für das Risikomanagement<br />
quantifizierte vergleichende<br />
Aussagen zu Katastrophenlagen entscheidend<br />
sind.<br />
Konstante Zeitintervalle zwischen Starkbeben?<br />
– Numerische Modellrechnungen<br />
an Transform-Störungen<br />
In der Analyse der seismischen Gefährdung<br />
wird in zunehmendem Maß die Zeitabhängigkeit<br />
des Auftretens von Starkbeben<br />
berücksichtigt. In diesem Zusammenhang<br />
interessiert insbesondere die<br />
Frage, wie die Zeitintervalle zwischen<br />
diesen Starkbeben charakterisiert werden<br />
können.<br />
Basierend auf einem numerischen Modell<br />
einer nicht-planaren Transform-Störung<br />
wurden numerische Simulationen<br />
durchgeführt, die zu wiederholten Bruchprozessen<br />
unterschiedlicher Stärke auf<br />
dieser Störung führen. Die Geometrie<br />
und Belastung der Störung im Modell<br />
wurde so gewählt, dass die verschiedenen Störungssegmente<br />
entweder eine Transpressions- oder ein Transtensionsregime<br />
zeigen. Zur Beschreibung der Festigkeit der<br />
Störung wurde ein Mohr-Coulomb-Kriterium verwendet.<br />
Wesentliche Vorraussetzung für den wiederholten Bruch<br />
ist eine Heilung des Festigkeitsverlustes der Störung nach<br />
einem singulären Bruchprozess, so dass ein erneuter<br />
Bruch mit Festigkeitsverlust möglich ist. Die numerischen<br />
Simulationen wurden mit dem Distinct-Element-Programm<br />
3DEC durchgeführt.<br />
Die Analyse der simulierten Bruchereignisse liefert folgende<br />
Ergebnisse:<br />
• Die Verteilungen der Magnitudenhäufigkeiten zeigt in<br />
einem signifikanten Magnitudenbereich ein log-line-<br />
Abb. 5.39: Magnituden Häufigkeiten für verschiedene Modellparameter in den numerischen Rechnungen (a bis e):<br />
●-Störungssegment mit Transpression, ◆-Segment mit Transtension und ■-Häufigkeit für alle Beben (Schelle et al.,<br />
2006, submitted).<br />
Magnitude-frequency curves for different parameter sets in the numerical simulation (a-e): ●-transpressional segment,<br />
◆-transtensional segment and ■-total number of events (Schelle et al., 2006, submitted).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
ares Verhalten in Übereinstimmung mit dem Gutenberg-Richter-Gesetz<br />
(logN = a – bM).<br />
• Der Abfall der Magnitudenhäufigkeit, der b-Wert,<br />
hängt stark von den verwendeten elastischen Parametern<br />
ab (Abb. 5.39).<br />
• In einem steiferen Modell sind die zugehörigen b-<br />
Werte eher klein (~ 0,5), so dass die Deformationsenergie<br />
bevorzugt durch wenige, aber starke Bruchereignisse<br />
freigesetzt wird.<br />
• Wenn die Elastizitätsparameter reduziert werden, steigt<br />
der b-Wert bis auf ca. 2 an und die Energie wird durch<br />
häufigere, aber weniger starke Ereignisse freigesetzt.<br />
• Der Einfluss des Deformationsregimes – Transpression<br />
oder Transtension – ist auf den b-Wert relativ<br />
gering im Gegensatz zu den Elastizitätsparametern.<br />
• Eine Verifizierung des seismischen Zyklus durch die<br />
Analyse der verschiedenen Zeitintervalle zwischen<br />
Abb. 5.40: Häufigkeit des Auftretens verschiedener<br />
Zeitintervalle zwischen Starkbeben:<br />
(a) extrapolierte Verteilungen für<br />
verschiedene Belastungsraten in den<br />
Modellrechnungen und (b) Vergleich<br />
der gemittelten Modellverteilung mit<br />
einer angepassten Log-Normalverteilung<br />
(Schelle et al., 2006, submitted).<br />
Temporal distributions of inter-event<br />
times for main events only: (a) extrapolated<br />
distributions for different loading<br />
rates applied in the numerical simulations<br />
and (b) comparison between the<br />
averaged inter-event time distribution<br />
with a least squares log-normal approximation<br />
(Schelle et al., 2006, submitted).<br />
starken Bruchereignissen auf einem Störungssegment<br />
zeigt, dass diese nicht konstant sind, sondern eine breite<br />
Verteilung haben (Abb. 5.40a), die mit einer Log-<br />
Normalverteilung sehr gut beschrieben werden kann<br />
(Abb. 5.40b).<br />
• Die Analyse der Korrelation zwischen starken Bruchereignissen<br />
benachbarter Segmente liefert ebenfalls<br />
keine eindeutig definierten Zeitintervalle zwischen<br />
den Beben auf verschiedenen Segmenten.<br />
Untersuchung von Strain-Textur-Wechselwirkungen an<br />
geologischen Proben mittels Neutronen-Flugzeit-Diffraktion<br />
Im Berichtszeitraum wurde die Ausstattung des Diffraktometers<br />
Epsilon-Mds am Flugzeitkanal 7A des IBR-2<br />
(JINR Dubna) mit Detektoren weiter vervollständigt. In<br />
Abb. 5.41: Multidetektordiffraktometer Epsilon-Mds, eingeschlossen<br />
in eine Isolierkammer zur Wärmestabilisierung<br />
während Langzeitexperimenten (Foto: C. Scheffzük,<br />
<strong>GFZ</strong>).<br />
The multidetector-diffractometer Epsilon-Mds, locked into<br />
a cabin to assure continues temperature conditions, first<br />
of all for long-time experiments.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
395
396<br />
diesem Zusammenhang ist neben der notwendigen Anpassung<br />
der Elektronik zur Datenaufnahme auch ein kompletter<br />
Austausch der Hochspannungsversorgung für die<br />
Detektoren erfolgt. Vorbereitet wurde die weitere Ausgestaltung<br />
der in situ operierenden Zusatzgeräte mit der<br />
Installation eines Systems zur Aufnahme und Ortung<br />
akustischer Emissionen während der Deformationsexperimente<br />
(Ultraschallmessung).<br />
Damit besteht die Experimentumgebung des Multidektorendiffraktometers<br />
Epsilon-Mds aus einer (einaxialen)<br />
Deformationseinrichtung (Exstress), einer berührungsfreien<br />
Makro(Proben)Strain-Messeinrichtung (Laser-Extensometer)<br />
und einem System zur Messung von Schallwellengeschwindigkeiten<br />
mit der Möglichkeit, akustische<br />
Emissionen während der Deformationsprozesse aufzunehmen<br />
und zu lokalisieren.<br />
Die aus Experimenten mit dem Diffraktometer Epsilon-<br />
Mds zu verschiedenen Jahreszeiten gewonnenen Datensätze<br />
waren in der Vergangenheit durch Temperaturschwankungen<br />
in der Versuchshalle untereinander nur<br />
begrenzt vergleichbar und die Ergebnisse von Langzeitexperimenten<br />
waren bisher nur bedingt sinnvoll. Zur Temperaturstabilisierung<br />
wurde das Diffraktometer deshalb<br />
vollständig in eine isolierende Hülle eingeschlossen. Die<br />
Temperatur wird automatisch gemessen und gesteuert.<br />
Die Einrichtung gestattet unter noch nicht voll ausgeschöpften<br />
Möglichkeiten des Betriebs eine Temperaturstabilisierung<br />
im Bereich von +0,2 °C (Abb. 5.41).<br />
Die Haltbarkeit von Natursteinen als Werkstein (z. B. für<br />
Täfelungen an Gebäuden) wird von residuellem Strain und<br />
Textureigenschaften wesentlich mitbestimmt. Die Einstellung<br />
eines residuellen Straingleichgewichts und die<br />
Textureigenschaften sind neben anderen Faktoren wichtige<br />
Einflussgrößen, die zu Deformationen führen und in<br />
der Folge oft das Ab- bzw. Zerfallen von Bauteilen bewirken.<br />
Zum besseren Verständnis der ablaufenden Deformationsvorgänge<br />
wurden Strain- und Texturmessungen an<br />
Proben durchgeführt, die verschiedene Entwicklungsstadien<br />
zwischen undeformierten, texturierten, frisch in<br />
Steinbrüchen entnommenen Proben bis hin zu verschiedenen<br />
Stadien der Nutzungsdauer als Werkstein und experimentell<br />
verformten Natursteinen repräsentieren.<br />
Ausgewertet wurden fünf Kalzit-Bragg-Reflexe (011 _ 2),<br />
(101 _ 4), (0006), (112 _ 0) und (112 _ 3). Für die f-Flächen<br />
(011 _ 2) einer stark deformierten Paneelplatte ergab sich ein<br />
positiver Strain (Dilatation) von = (150 + 90) . 10 –6 , während<br />
sowohl eine frisch gebrochene Probe als auch eine<br />
vergleichsweise noch gut erhaltene Fassadenplatte negativen<br />
Strain (Kompression) von = –(120 + 80) . 10 –6 bzw.<br />
= –(180 + 70) . 10 –6 zeigten. Negativer Reststrain von<br />
= –(397 + 117) . 10 –6 wurde auch für den (101 _ 4)-Bragg-<br />
Reflex einer stark deformierten Fassadenplatte bestimmt,<br />
während sich ein nahezu strainfreier Zustand sowohl für<br />
eine kürzlich gebrochene als auch gut erhaltene Fassadenplatte<br />
ergab. Peakverbreiterungen (FWHM) z. B. für<br />
den [112 _ 0]-Reflex (a-Achse) von 21,8 + 1,0 Zeitkanälen<br />
für eine stark deformierte Probe gegenüber 17,8 + 0,3<br />
Zeitkanälen für eine gebrochene bzw. auch eine gut erhaltene<br />
Fassadenplatte verweisen zusätzlich auf die Existenz<br />
von Mikrospannungen (Spannungen 2. Art). Kristallographische<br />
Vorzugsorientierung und Kornformanisotropie<br />
werden als Ursache für die ermittelten, z. T. beträchtlichen<br />
Unterschiede der richtungsabhängigen Reststrainwerte<br />
gesehen.<br />
Unter der Bezeichnung „Zuckerdolomit“ ist ein aufgrund<br />
seiner speziellen Eigenschaften, vor allem im Zusammenhang<br />
mit bergbaulichen Tätigkeiten, gefürchtetes Gestein<br />
bekannt. Eine solche Dolomit-Anhydrit-Probe aus der<br />
Piora-Mulde, entnommen aus dem Kernmaterial einer der<br />
Erkundungsbohrungen zum Gotthard-Basistunnel, wurde<br />
phasenspezifisch hinsichtlich ihrer Textur- und Reststrain-<br />
Eigenschaften untersucht, um den Einfluss von Textur/<br />
Reststrain-Wechselwirkungen auf das spezifische geomechanische<br />
Verhalten des Gesteins zu prüfen. Solche<br />
Gesteine treten betont in Zonen hoher Deformations- und<br />
Metamorphosegrade auf. Die untersuchte Probe zeigte<br />
mikrostrukturell deutliche Deformationsanzeichen am<br />
Anhydrit und Dolomit, aber auch frischen, nicht vergipsten<br />
Anhydrit.<br />
Die Texturen der Anhydrit- (35 %) und Dolomitkomponente<br />
(55 %) des Gesteins sind hinsichtlich Regelungstyp<br />
und -intensität verschieden (Abb. 5.42). Zweifache Klein-<br />
Abb. 5.42: Polfiguren für Dolomit (3) und Anhydrit (1) mit<br />
den ermittelten Strainwerten für sieben Richtungen (2 bis<br />
8) an sieben Probenpositionen (a bis g).<br />
Pole figures for the components dolomite (3) and anhydrite<br />
(1) in a metamorphic rock, combined with strain<br />
values due to seven sample's directions (2 to 8) at seven<br />
positions on the sample (a to g).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
kreisregelung um Kegelachsen im Winkel von ca. 45° zur<br />
Foliation (s x) charakterisieren die Dolomittextur, eine Gürtelregelung<br />
etwa um die Foliationsfläche (s x) die Anhydrittextur.<br />
Die mit Epsilon-Mds geschaffenen Experimentiermöglichkeiten<br />
gestatten die gleichzeitige Bestimmung von<br />
Reststraindaten für sieben Probenrichtungen (Kollimatorpositionen<br />
2 ... 8). Damit lässt sich durch definierte Probenbewegungen<br />
jeder beliebigen Position einer Texturpolfigur<br />
ein Strainwert zuordnen. Für Darstellungen kristallographischer<br />
Vorzugsorientierungen von Netzebenen<br />
eines Minerals (Polfiguren) in einem mehrphasigen Gestein<br />
lassen sich so für beliebige Orientierungen Strainwerte<br />
bestimmen. Die Abb. 5.43 zeigt ein Beispiel für die<br />
Gesteinstextur des untersuchten Zuckerdolomits. Für drei<br />
Netzebenen des Dolomits und eine Anhydritnetzebene<br />
sind die Strainwerte für sieben Positionen (2 ... 8) der<br />
Gesteinstextur (identisch mit Richtungen bezogen auf das<br />
Probenkoordinatensystem [x,y,z]) gezeigt. Die Bestimmungen<br />
sind an sieben Messpunkten (a bis g) im Abstand<br />
von je 7 mm entlang eines Profils senkrecht zur Foliation<br />
(ss/s x) des Gesteins erfolgt.<br />
Diese Ergebnisse und die beträchtlichen Unterschiede der<br />
mechanischen Eigenschaften beider am Aufbau des Gesteins<br />
beteiligten Minerale, wie sie ihren Ausdruck in verschiedenen<br />
Tensorkomponenten finden (Verhältnis 1:2<br />
und höher), lassen erwarten, dass Reststrain in Verbindung<br />
mit den deutlich unterschiedlichen Textureigenschaften<br />
des Gesteins sein typisches mechanisches Verhalten weitgehend<br />
mitbestimmen. Das würde bedeuten, dass weniger<br />
die stofflichen Besonderheiten mit der Hydratisierung<br />
des Anhydrits als die Richtung der mechanischen Einwirkung<br />
den Festigkeitsverlust des Gesteins mitbestimmt.<br />
Ingenieurhydrologie<br />
Der hydrologische Kreislauf ist durch eine außerordentlich<br />
hohe raum-zeitliche Variabilität gekennzeichnet.<br />
Große Fortschritte bei der Quantifizierung des hydrologischen<br />
Kreislaufs werden durch die Kombination von<br />
Abb. 5.43: Grafische Darstellung der Experimentergebnisse: überwiegend gegenläufige Reststrainbeziehungen für die<br />
untersuchten Anhydrit- und Dolomitnetzebenen.<br />
Graphical presentation of test results: mostly opposite behaviour of residual strain values for the dolomite component<br />
as compared to that of anhydrite.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
397
398<br />
räumlich und zeitlich hoch aufgelösten Beobachtungen<br />
mit hydrologischen Modellen erwartet.<br />
Globale Hydrologie und Satellitenmission GRACE<br />
Zeitliche Änderungen der Wasserspeicherung auf den Kontinenten<br />
stellen eine wesentliche Komponente im Wasserkreislauf<br />
der Erde dar. Speicheränderungen tragen z. B.<br />
über den Gerinneabfluss in die Ozeane zu Meeresspiegelschwankungen<br />
bei. Basierend auf den zeitvariablen<br />
Schwerefeldern der Satellitenmission GRACE (Gravity<br />
Recovery and Climate Experiment) ist es nun erstmals<br />
möglich, die Variationen der Wasserspeicherung für große<br />
Flusseinzugsgebiete und für Kontinente zu bestimmen.<br />
Die globale Hydrologie ist somit ein wichtiger Anwendungsbereich<br />
der vom <strong>GFZ</strong> Potsdam geleiteten GRACE-<br />
Mission und ein zentraler Baustein im Helmholtz-Programm<br />
„Geosystem: Erde im Wandel“.<br />
In der Sektion 5.4 Ingenieurhydrologie wurde das an der<br />
Universität Kassel entwickelte globale hydrologische<br />
Modell WGHM zur Simulation des kontinentalen Wasserkreislaufs<br />
der Erde und aller Speicherkomponenten<br />
(Grundwasser, Bodenwasser, Schnee, Oberflächengewässer)<br />
eingerichtet. Die Modellergebnisse zeigen z. B. starke<br />
saisonale Variationen der Wasserspeicherung in tropischen<br />
Regionen, insbesondere entlang der großen Ströme<br />
und ihrer Überschwemmungsgebiete, sowie in Gebieten<br />
der hohen Breiten mit einer starken Schneeakkumulation<br />
im Winter (Abb. 5.44).<br />
Der Vergleich der Modellergebnisse mit den Wasserspeicheränderungen,<br />
die aus zeitvariablen Schwerefeldern von<br />
GRACE abgeleitet wurden, zeigt eine überwiegend gute<br />
Übereinstimmung der räumlichen und zeitlichen Muster<br />
auf der globalen Skala und für große Einzugsgebiete<br />
(Abb. 5.45). Die GRACE-Daten ermöglichen es aber<br />
auch, Defizite in den hydrologischen Modellen zu identifizieren.<br />
So weist das verfrühte Auftreten des jährlichen<br />
Speichermaximums im Modell (Abb. 5.45) auf eine unzureichend<br />
simulierte Retention des Abflusses in Überschwemmungsgebieten<br />
oder Seen hin. Arbeitsschwerpunkte<br />
in künftigen Projekten im Rahmen des BMBF/<br />
DFG-Sonderprogramms „Geotechnologien: Erfassung<br />
des Systems Erde aus dem Weltraum“ sowie des DFG-<br />
Schwerpunktprogramms „Mass Transport and Mass Distribution<br />
in the Earth System“ sind die verbesserte Separation<br />
hydrologischer Signale aus GRACE-Daten sowie<br />
die Weiterentwicklung der globalen hydrologischen Modellierung<br />
unter Nutzung von GRACE-Daten und anderen<br />
globalen Datensätzen.<br />
Modellierung und Monitoring für kleine Einzugsgebiete<br />
Im DFG-geförderten Antragsbündel „Abflussbildung und<br />
Einzugsgebietsmodellierung“ analysierte die Sektion 5.4<br />
die hydrologischen Prozesse im Löhnersbach in den Salzburger<br />
Alpen (Abb. 5.46). Ziel der Arbeiten war es, die<br />
dominanten Abflussbildungsprozesse im Feld zu identifizieren<br />
und darauf aufbauend ein prozessnahes hydrologisches<br />
Simulationsmodell zu erstellen. Zur Identifizierung<br />
Abb. 5.44: Saisonale Variation der Wasserspeicherung (Differenz zwischen den Monaten mit dem größten und geringsten<br />
Speicherinhalt eines jeden Jahres), berechnet mit dem globalen hydrologischen Modell WGHM für den Zeitraum<br />
1961 bis1995 (in Millimeter Wassersäule).<br />
Seasonal variations of continental water storage (difference between the months with maximum and minimum water<br />
storage in each year), simulated with the global hydrological model WGHM for the period 1961 to1995 (in equivalent<br />
water height [mm]).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 5.45: Beispiele für die zeitliche Variation der Wasserspeicherung in großen Einzugsgebieten gemäß GRACE und<br />
den globalen hydrologischen Modellen WGHM und LaD (Variationen um den Mittelwert für 18 Monate in 2003 und<br />
<strong>2004</strong>, in mm Wassersäule).<br />
Examples for temporal variations of water storage in large river basins, derived from GRACE time-variable gravity<br />
fields and from the global hydrological models WGHM and LaD (variations around the mean of 18 months in 2003<br />
and <strong>2004</strong>, in equivalent water height [mm]).<br />
Abb. 5.46: Blick auf das hydrologische Versuchseinzugsgebiet Löhnersbach<br />
in den Salzburger Alpen (Foto: Ulli Drabek).<br />
View of the hydrological experimental basin Löhnersbach, Salzburger Alps.<br />
der maßgebenden Prozesse wurden in ausgewählten Testflächen<br />
hydrometrische, tracerhydrologische und hydrochemische<br />
Methoden sowie geophysikalische Verfahren<br />
eingesetzt. Damit konnten die dominanten Prozesse, nämlich<br />
Sättigungsflächenabfluss (Abb. 5.47) und schneller<br />
Zwischenabfluss sowie schneller und langsamer Grund-<br />
Abb. 5.47: Die gesättigten Flächen sind einer der dominanten<br />
Abflussbildungsprozesse im Löhnersbach und<br />
bestimmen zu einem erheblichen Teil die Reaktion des<br />
Einzugsgebiets auf Niederschlag (Foto: Mariella Zapletal).<br />
Saturated overland flow is a dominant runoff generation<br />
process in the Löhnersbach catchment. Saturated areas<br />
largely determine the runoff response of the basin.<br />
wasserabfluss erfasst werden. Darüber<br />
hinaus konnten die jeweiligen Entstehungsräume<br />
sowie die meteorologischen<br />
Bedingungen, unter denen diese Prozesse<br />
auftreten, bestimmt werden.<br />
Ziel der modelltechnischen Arbeiten war<br />
es, basierend auf den identifizierten Prozessen<br />
ein Simulationsmodell zu erstellen,<br />
das die dominanten Abflussbildungsprozesse<br />
abbildet. Dabei sollte die<br />
Komplexität des Modells die im Feld<br />
gewonnene Prozesskenntnis nicht übersteigen. Für die<br />
dominanten Abflussbildungsprozesse mit den entsprechenden<br />
Raumeinheiten wurden Simulationsmodule entwickelt<br />
und anhand der Daten der Testflächen plausibilisiert.<br />
Diese Module sowie die an den Abflussprozessen<br />
orientierte Raumgliederung sind die Grundlage für die<br />
hydrologische Simulation im übergeordneten Einzugsgebiet<br />
Löhnersbach. Dieses mesoskalige Modell wurde mit<br />
Hilfe einer „multi-site“-Validierung, also einem Vergleich<br />
von Abflussmessungen an mehreren Stellen im Einzugsgebiet,<br />
bewertet (Abb. 5.48). Hieraus lässt sich folgern,<br />
dass das Modell nicht nur die Abflüsse am Gebietsauslass,<br />
sondern auch die einzugsgebietsinternen Abflussprozesse<br />
adäquat beschreibt.<br />
Gefährdung und Risiko durch Hochwasser<br />
Neben Erdbeben ist Hochwasser ein Schwerpunkt des<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam im Programmthema „Naturkatastrophen<br />
und Vorsorgestrategien“. Dieses Thema hat durch die<br />
Hochwasserkatastrophen der letzten Jahre in Mitteleuropa<br />
eine neue Aktualität bekommen. So finanziert das<br />
BMBF seit Januar <strong>2005</strong> das Forschungsprogramm „Risikomanagement<br />
extremer Hochwasserereignisse“, das<br />
35 Verbundprojekte umfasst. Aufgrund der vielfältigen<br />
Akteure und Interessenlagen (Wasserwirtschaft, Umwelt,<br />
Versicherungswirtschaft, Katastrophenschutz etc.) hat das<br />
BMBF neben der Projektträgerschaft eine inhaltliche<br />
Koordinierung des gesamten Förderprogramms als not-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
399
400<br />
Abb. 5.48: Vergleich von simulierten und gemessenen Abflüssen am Pegel Rammern sowie an verschiedenen Zubringern<br />
im Löhnersbachgebiet.<br />
Comparison of simulated and observed runoff at gauge Rammern and at different tributaries of the Löhnersbach catchment.<br />
wendig erachtet. Diese Aufgabe hat das <strong>GFZ</strong> übernommen.<br />
Im Juni <strong>2005</strong> fand am <strong>GFZ</strong> das Kick-off Meeting<br />
der Fördermaßnahme mit fast 200 Teilnehmern statt,<br />
woran auch Vertreter der operationellen Katastrophenvorsorge<br />
teilnahmen. Die enge Verknüpfung von Wissenschaft<br />
und Katastrophenvorsorge soll die Implementierung<br />
der wissenschaftlichen Ergebnisse in der Praxis<br />
sichern.<br />
Methoden zur Abschätzung des Hochwasserrisikos<br />
Die Sektion Ingenierhydrologie entwickelt Methoden zur<br />
Analyse des Hochwasserrisikos in Flusseinzugsgebieten.<br />
Ein Schwerpunkt dieser Arbeiten ist die Ableitung von<br />
Extremszenarien, also Ereignissen, die sehr selten sind<br />
und große gesellschaftliche Auswirkungen haben. Für solche<br />
Ereignisse können die Ansätze, die zur Berechnung<br />
häufigerer Ereignisse entwickelt wurden, nicht angewendet<br />
werden: Die Extrapolation versagt für seltene Ereignisse.<br />
Am <strong>GFZ</strong> wurde ein Ansatz entwickelt, der es erlaubt, entlang<br />
von Flüssen extreme Hochwasserszenarien einschließlich<br />
einer Angabe der Eintrittswahrscheinlichkeit<br />
abzuleiten. Dabei werden Simulationsmodelle, z. B. zur<br />
Berechnung der hydraulischen Prozesse im Fluss, mit<br />
wahrscheinlichkeitstheoretischen Ansätzen zu einem probabilistischen<br />
Modell gekoppelt. Die Abb. 5.49 und 5.50<br />
zeigen die Anwendung dieses Ansatzes auf den Niederrhein<br />
von Köln bis zur deutsch-niederländischen Grenze.<br />
Mögliche Deichbrüche, die Zuflüsse in das System sowie<br />
die Überlagerung der Hochwasserwellen des Rheins bei<br />
Köln und der beiden Nebenflüsse Lippe und Ruhr werden<br />
mit probabilistischen Ansätzen beschrieben.<br />
Abb. 5.50 vergleicht diesen Ansatz mit der statistischen<br />
Extrapolation auf Basis beobachteter Abflussdaten am<br />
Beispiel des Pegels Rees an der deutsch-niederländischen<br />
Grenze. Für Ereignisse mit Wiederkehrintervallen bis ca.<br />
60 Jahre stimmen die Extremwertstatistik und das probabilistische<br />
Modell mit den Beobachtungsdaten überein.<br />
Ab Jährlichkeiten von ca. 300 Jahren weicht die Kurve des<br />
probabilistischen Modells von den beiden extremwertsta-<br />
tistischen Funktionen ab. Dies ist dadurch zu erklären, dass<br />
bei sehr hohen Abflüssen Deichbrüche eintreten können.<br />
Das Wasser strömt durch die Deichbreschen ins Hinterland,<br />
wodurch die Hochwasserwelle unterhalb des Deichbruchs<br />
reduziert wird. Die Berücksichtigung von Deichbrüchen<br />
resultiert in geringeren Abflüssen am Pegel Rees.<br />
Abb. 5.49: Anwendung des probabilistischen Modells zur<br />
Abschätzung von Hochwasserrisiken am Niederrhein.<br />
Das Modell berücksichtigt den Zufallscharakter (a) der<br />
Zuflusswellen in das System (Hochwasserwellen Rhein bei<br />
Köln, Lippe, Ruhr), (b) der zeitlichen Überlagerung der<br />
Zuflusswellen und (c) des Auftretens von Deichbrüchen.<br />
Application of the probabilistic model for flood risk<br />
assessments. The model takes into account the probabilistic<br />
nature of (a) the type of the flood waves at the boundaries<br />
of the system (flood waves of the Rhine at Cologne,<br />
the tributaries Lippe and Ruhr), (b) the temporal coincidence<br />
of flood peaks at the main river and tributaries<br />
and (c) levee breaches.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb.5.50:Hochwasserwahrscheinlichkeitskurven für den Pegel Rhein/Rees.<br />
Die Extremwertstatistik überschätzt die Abflüsse für Wiederkehrintervalle<br />
größer ca. 300 Jahre. Bei solchen Ereignissen treten oberhalb von Rees<br />
Deichbrüche auf, so dass die Hochwasserwellen deutlich reduziert werden.<br />
Das am <strong>GFZ</strong> Potsdam entwickelte probabilistische Modell berücksichtigt<br />
diesen Effekt.<br />
Flood frequency curves for the gauge Rees at the river Rhine. The extreme<br />
value distributions overestimate discharges that exceed a return period of<br />
about 300 years. During such events levee breaches will probably occur<br />
upstream of Rees so that the flood wave will be considerably reduced. The<br />
probabilistic model developed at <strong>GFZ</strong> Potsdam takes this effect into account.<br />
Das Abflussgeschehen im extremen Bereich wird somit<br />
von einem Prozess (Deichbruch und Ausbreitung der Hochwasserwelle<br />
im Hinterland) dominiert, der bei weniger<br />
extremen Ereignissen nicht eintritt. Da keine Beobachtungsdaten<br />
zu Hochwasserereignissen mit Deichbrüchen<br />
vorliegen, basiert die Extremwertstatistik auf falschen<br />
Annahmen. Erst die Integration von Prozesswissen<br />
und wahrscheinlichkeitstheoretischen<br />
Ansätzen macht die Extrapolation<br />
in den extremen Bereich möglich.<br />
Momentan wird diese Konzeption der<br />
Kopplung von Prozesssimulation und probabilistischen<br />
Ansätzen auf zusätzliche<br />
Prozesse erweitert. Dies betrifft insbesondere<br />
die hydrologischen Prozesse der<br />
Hochwasserentstehung in den Flusseinzugsgebieten.<br />
In diesen Zusammenhang<br />
Abb. 5.51: Räumliche Verteilung der<br />
befragten Privathaushalte, die vom<br />
Hochwasser 2002 betroffen waren. Eingefärbt<br />
sind die zugehörigen Postleitzahlenzonen.<br />
Insgesamt wurden 1.697 Haushalte<br />
interviewt, davon befinden sich 449<br />
im Donau-Einzugsgebiet, 1.248 im Elbe-<br />
Einzugsgebiet.<br />
Spatial distribution of interviewed private<br />
households, affected by the 2002 flood.<br />
ZIP-code areas are marked in colour. All<br />
together, 1697 private households were<br />
interviewed of which 449 are located in<br />
the Danube catchment and 1248 in the<br />
Elbe catchment.<br />
ordnet sich auch die Helmholtz-Nachwuchswissenschaftlergruppe<br />
„Integration<br />
von Informations- und Modellierungssystemen<br />
zur Verbesserung des Managements<br />
von großräumigen Hochwassersituationen“<br />
ein – eine gemeinsame Aktivität mit<br />
der Universität Karlsruhe im Rahmen von<br />
CEDIM. Die Gruppe, finanziert durch den<br />
Impuls- und Vernetzungsfonds der Helmholtz-Gemeinschaft,<br />
entwickelt ein übertragbares<br />
Modellierungssystem, das die<br />
Quantifizierung des Hochwasserrisikos in<br />
großen Flusseinzugsgebieten erlaubt. Darüber<br />
hinaus kann dieses System zur Wirksamkeitsanalyse<br />
von übergeordneten Hochwasserschutzstrategien<br />
eingesetzt werden.<br />
Besonderes Merkmal dieses Systems ist<br />
die Verwendung einer Software-Plattform<br />
zur Modellkopplung, so dass das Modellsystem<br />
schnell auf verschiedene Fragestellungen<br />
und Flusseinzugsgebiete angepasst<br />
werden kann. Dadurch wird es sehr<br />
einfach möglich, unterschiedliche Modellierungsansätze,<br />
Prozessbeschreibungen,<br />
Modelldiskretisierungen etc. vorzunehmen.<br />
Ein weiteres Forschungsfeld ist die Abschätzung von<br />
Hochwasserschäden. Da neuerdings Entscheidung über<br />
Hochwasserschutzmaßnahmen durch Kosten-Nutzen-Analysen<br />
untersetzt werden müssen, besteht ein großer Bedarf<br />
nach fundierten Aussagen über die zu erwartenden Schäden<br />
im Falle von Hochwasserereignissen. Eine Analyse<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
401
402<br />
des <strong>GFZ</strong> der in Deutschland verwendeten Daten und<br />
Methoden zu Hochwasserschäden zeigte, dass zurzeit nur<br />
sehr unsichere Aussagen über Hochwasserschäden möglich<br />
sind. Aus diesem Grund hat das <strong>GFZ</strong> zusammen mit<br />
der Deutschen Rückversicherung AG nach dem Hochwasser<br />
2002 an Elbe und Donau eigene Datensätze erhoben.<br />
Insgesamt 1.697 von der Augustflut 2002 betroffene<br />
Privathaushalte in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern<br />
sowie 417 betroffene Unternehmen in Sachsen wurden<br />
durch computergestützte Telefoninterviews befragt.<br />
Abb. 5.51 zeigt das Untersuchungsgebiet der Privathaushaltsbefragung.<br />
Die per Zufallsstichprobe ausgewählten<br />
Haushalte und Unternehmen wurden zu verschiedensten<br />
Aspekten interviewt. Beispiele sind:<br />
• Hydrologische Ereigniskenngrößen (Wasserstand,<br />
Überflutungsdauer etc.)<br />
• Frühwarnung und durchgeführte Notmaßnahmen<br />
• Hochwassererfahrung der Haushalte und Unternehmen<br />
• Langfristige Vorsorgemaßnahmen<br />
• Größe und Qualität von Wohnung, Hausrat und Gebäude<br />
Zu jedem Schadenfall wurde somit eine Vielzahl an<br />
Zusatzinformationen erfasst, die weder aus der Schadenkompensation<br />
durch die Behörden oder die Versicherungswirtschaft<br />
noch aus anderen in Deutschland vorliegenden<br />
Schadendatenbanken hervorgehen. Damit eröffnet<br />
der Datensatz neue Möglichkeiten zur Analyse der Einflüsse<br />
auf Hochwasserschäden. Es lässt sich beispielsweise<br />
prüfen, inwieweit Aspekte wie Hochwassererfahrung<br />
oder Frühwarnung tatsächlich Hochwasserschäden<br />
Abb. 5.52: Schadenserhöhende Wirkung von Kontaminationen<br />
auf Hochwasserschäden am Hausrat von Privathaushalten.<br />
Die Säulen stellen die Mittelwerte der Vergleichsgruppen,<br />
die Punkte die Mediane und die Linien<br />
den Interquartilsbereich dar. Eine Kontamination durch<br />
Abwasser, Chemikalien oder Öl verursacht eine 35 bis<br />
45 %ige Erhöhung des Hausratsschadens.<br />
Damage increasing effect of contamination shown for<br />
flood damage ratios of household contents. The columns<br />
represent the means, the dots the medians and the lines<br />
the 25 to 75 % percentiles of the sub-samples. Contaminations<br />
by sewage, chemicals, or oil cause an increase of<br />
35 to 45 % of the contents damage ratio.<br />
reduzieren. Der Datensatz wurde hinsichtlich einzelner<br />
Einflussfaktoren ausgewertet. Dabei zeigte sich beispielsweise<br />
die schadenserhöhende Wirkung von Kontaminationen,<br />
insbesondere von Verunreinigungen durch Öl<br />
(Abb. 5.52), aber auch der mindernde Effekt von baulichen<br />
Vorsorgemaßnahmen.<br />
Großräumige Hochwasserszenarien<br />
Ein Aspekt der Hochwasserforschung, der in der Sektion<br />
Ingenieurhydrologie verstärkt bearbeitet wird, ist die Analyse<br />
von großräumigen Hochwasserereignissen. Hochwasserstudien<br />
beschränken sich in den meisten Fällen auf<br />
lokale und regionale Analysen. So gibt es bis heute keine<br />
wissenschaftlich abgesicherten Methoden zur Prognose<br />
von großräumigen Hochwassersituationen. Solche Prognosen<br />
werden aber für das Katastrophenmanagement von<br />
großräumigen Hochwassergefahrenlagen benötigt, die<br />
Länder- und/oder Einzugsgebietsgrenzen überschreiten.<br />
Auch die Rückversicherungsindustrie braucht zur Gestaltung<br />
ihrer Versicherungspolicen solche Aussagen. Das<br />
<strong>GFZ</strong> untersucht gezielt die Frage, wie großräumige Schadenlagen<br />
prognostiziert werden können. Hierbei gibt es<br />
zwei Hauptprobleme zu lösen: (a) die Generierung großräumiger<br />
Überschwemmungsszenarien, und (b) die skalenadäquate<br />
Analyse auf Basis der großräumig verfügbaren<br />
Datensätze.<br />
Großräumige Überschwemmungsszenarien müssen realitätsnah<br />
sein, d. h. sie müssen prinzipiell auch eintreten<br />
können. Die heute vorliegenden großräumigen Szenarien,<br />
wie z. B. der länderübergreifende Rheinatlas, zeigen Überschwemmungsflächen<br />
mit einheitlichen Wiederkehrintervallen<br />
im gesamten Flusseinzugsgebiet. Solche Szenarien<br />
sind für große Flussgebiete unrealistisch und überschätzen<br />
das Hochwasserrisiko. Eine Analyse von Hochwasserereignissen<br />
am Rhein zeigt, wie unterschiedlich die<br />
Wiederkehrintervalle verteilt sind (Abb. 5.53). Während<br />
das Rheinhochwasser im März 1988 vor allem den Mittelrhein<br />
getroffen hat, waren die Ereignisse 1993 und 1995<br />
am Niederrhein am schlimmsten; 1999 war nur der Oberrhein<br />
betroffen. In einem von Aon Rück finanzierten Projekt<br />
erarbeitet das <strong>GFZ</strong> momentan eine Methode, mit der<br />
realistische räumliche Verteilungen der Hochwasserbetroffenheit<br />
in großen Flussgebieten generiert werden können.<br />
Das zweite Problem betrifft die Ableitung von flächendeckenden<br />
Aussagen auf Basis verfügbarer Datensätze. So<br />
sind beispielsweise für eine Vulnerabilitätsanalyse großer<br />
Gebiete keine detaillierten Landnutzungsdaten verfügbar,<br />
welche die Anordnung einzelner Gebäude zeigen. Daher<br />
muss auf gröbere Datensätze, z. B. auf den europaweit verfügbaren<br />
CORINE-Datensatz, zurückgegriffen werden.<br />
Statistische Daten zu Werten (Gebäude, Infrastruktur,<br />
Kapitalstock etc.) liegen ebenfalls stark aggregiert vor,<br />
z. B. als Summenwerte pro Gemeinde, Kreis oder Bundesland.<br />
Für eine Hochwasserrisikoanalyse sind diese aggregierten<br />
Daten räumlich zu verteilen. Abb. 5.54 zeigt Verteilungen<br />
von Wohngebäudewerten in Baden-Württemberg,<br />
und zwar aggregiert auf Gemeindeebene und räum-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 5.53: Jährlichkeiten der Rheinhochwasser vom März 1988, Dezember 1993, Januar 1995 und Mai 1999 an den<br />
Rheinpegeln Maxau (Oberrhein), Kaub (Mittelrhein) und Köln (Niederrhein). Es zeigt sich die große räumliche Heterogenität<br />
von Hochwasserereignissen im Rheingebiet.<br />
Return periods of flood events that occured along the river Rhine at the gauges Maxau (Upper Rhine), Kaub (Middle<br />
Rhine) and Cologne (Lower Rhine) in March 1988, December 1993, January 1995 and May 1999. The data reveal the<br />
enormous spatial heterogeneity of flood events in the Rhine catchment area.<br />
lich disaggregiert mit Hilfe der CORINE-Landnutzungen<br />
und entsprechenden Bevölkerungsdichten. Der Informationsgewinn<br />
durch die Disaggregierung ist deutlich zu<br />
sehen. Diese Abschätzungen werden gemeinsam mit einer<br />
interdisziplinären Arbeitsgruppe im Rahmen von CEDIM<br />
erarbeitet.<br />
Katastrophenmanagement<br />
Die Sektion Ingenieurhydrologie beteiligt sich an den Arbeiten<br />
zum Thema Katastrophenmanagement des Helmholtz-<br />
Foschungsnetzwerks EOS (Earth Observing System), das<br />
gemeinsam von den Helmholtz-Zentren AWI, DLR, <strong>GFZ</strong><br />
und GKSS getragen wird. Im Rahmen von EOS koordiniert<br />
die Sektion Ingenieurhydrologie seit Anfang <strong>2005</strong> zusammen<br />
mit dem DLR das Projekt Vernetzungsplattform Naturkatastrophen<br />
(NaDiNe – Natural Disasters Networking Platform).<br />
Die Aufgabe der Vernetzungsplattform besteht in der<br />
Bündelung von Expertise aus den verschiedenen Helmholtz-<br />
Einrichtungen und der Bereitstellung einer gemeinsamen<br />
Infrastruktur und Datenbasis (Abb. 5.55).<br />
Zunächst fördert die Plattform NaDiNe die Vernetzung<br />
von Wissenschaftlern der vier EOS-Zentren im Hinblick<br />
auf die Naturkatastrophen Hochwasser, Erdbeben, Tsunami,<br />
Stürme und Sturmfluten sowie Ölunfälle. Zu einem<br />
späteren Zeitpunkt ist es geplant, die Plattform für eine<br />
thematische Erweiterung sowie die Mitarbeit von anderen<br />
Helmholtz-Zentren zu öffnen. Mit dem Konzept des Internetportals,<br />
einem Kernstück der Vernetzungsplattform,<br />
wird die Möglichkeit gegeben, wissenschaftliche Informationen<br />
einer breiten Öffentlichkeit und einem interessierten<br />
Fachpublikum zu präsentieren. Zu jedem der<br />
genannten Themen haben sich Expertenteams gebildet,<br />
die zur jeweiligen Naturgefahr allgemeine und im Katastrophenfall<br />
spezielle Informationen zu dem Ereignis einbringen.<br />
In den einzelnen Expertenteams sind jeweils Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftler aus verschiedenen<br />
Zentren vertreten, die über die Plattform eine Möglichkeit<br />
der Kommunikation und Kooperation erhalten. Der Austausch<br />
von Daten wird durch eine dienstebasierte Infrastruktur<br />
unterstützt. Im Fall einer eintretenden Naturkatastrophe<br />
wird bei Erfüllung festgelegter Kriterien das<br />
Expertenteam aktiv, d. h. zu dem Ereignis werden spezielle<br />
wissenschaftliche Einschätzungen erarbeitet und bereitgestellt.<br />
Darüber hinaus wird im Rahmen der Vernetzungsplattform<br />
eine Zusammenarbeit mit den Akteuren des Katastrophenmanagements<br />
angestrebt. Um die Anforderungen öffentlicher<br />
Bedarfsträger zu ermitteln, fand im Juni <strong>2005</strong> der<br />
Workshop „Informationsbedarf in Krisenfällen“ am <strong>GFZ</strong><br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
403
404<br />
Abb. 5.54: Auf Gemeindeebene aggregiertes (links) und mit CORINE-Landnutzungsdaten disaggregiertes Einheitswohnvermögen<br />
(flächennormiert) [€/m 2 ] (rechts) in Baden-Württemberg. Die Werte des Wohnvermögens wurden auf<br />
Basis von Normalherstellungskosten und von statistischen Daten über Anzahl und Beschaffenheit der Gebäude deutschlandweit<br />
abgeschätzt.<br />
Unit asset values of residential buildings in Baden-Wuerttemberg (standardised by the area; values are given in €/m 2 )<br />
aggregated at the community level (left) and disaggregated by means of CORINE land cover data (right). The asset<br />
values were derived for the whole of Germany on the basis of standardised construction costs and census data about<br />
the number and types of buildings per community.<br />
statt. Der Workshop ermöglichte eine intensive Diskussion<br />
zwischen Vertretern der im Krisenfall agierenden Institutionen<br />
und Wissenschaftlern der Helmholtz-Gemeinschaft<br />
über den Bedarf an Informationen und die vorhandene wissenschaftliche<br />
Expertise. Es zeigte sich, dass ein erheblicher<br />
Bedarf an Beratung und Information durch wissenschaftliche<br />
Experten, sowohl bei den Praktikern des Katastrophenmanagements<br />
als auch bei der Öffentlichkeit besteht.<br />
Der Unterstützung des Katastrophenmanagements durch<br />
moderne Informations- und Kommunikationstechnologie<br />
widmet sich auch das Graduiertenkolleg „Modellbasierte<br />
Entwicklung von Technologien für selbstorganisierende<br />
Informationssysteme – zur Anwendung im Katastrophenmanagement“,<br />
das in Kooperation von Humboldt-Universität<br />
Berlin und <strong>GFZ</strong> beantragt und im Januar 2006 von<br />
der DFG genehmigt wurde.<br />
Literatur:<br />
Abb. 5.55: Screenshot des Webportals zu<br />
NaDiNe, der Vernetzungsplattform Naturkatastrophen<br />
im Rahmen des Helmholtz-<br />
Forschungsnetzwerks EOS.<br />
Screenshot of the web portal of NaDiNe,<br />
the Natural Disaster Networking Platform<br />
in the framework of the Helmholtz Research<br />
Network Integrated Earth Observing<br />
System.<br />
Förster, A., Norden, B., Zinck-Jørgensen, K., Frykman, P., Kulenkampff, J., Spangenberg,<br />
E., Erzinger, J., Zimmer, M., Kopp, J., Borm, G., Juhlin, C., Cosma, C.,<br />
Hurter, S. 8 (2006): Baseline characterization of the CO 2SINK geological storage<br />
site at Ketzin, Germany, Environmental Geosciences, in press.<br />
Grünthal, G. (ed.) (1998): European Macroseismic Scale 1998 (EMS-98). Cahiers<br />
du Centre Européen de Géodynamique et de Séismologie 15, Centre Européen de<br />
Géodynamique et de Séismologie, Luxembourg, 99 pp.<br />
Grünthal, G. and Wahlström, R. (2003): An M w based earthquake catalogue for<br />
central, northern and northwestern Europe using a hierarchy of magnitude conversions.<br />
Journal of Seismology 7 (4), 507-531.<br />
Grünthal, G., Mayer-Rosa, D. and Lenhardt, W. (1998): Abschätzung der Erdbebengefährdung<br />
für die D-A-CH-Staaten – Deutschland, Österreich, Schweiz. Bautechnik<br />
75 (10), 753-767.<br />
Grünthal, G., Thieken, A. H., Schwarz, J., Radtke, K. S., Smolka, A. and Merz, B.<br />
(<strong>2004</strong>): Comparative risk assessments for the city of Cologne – storms, floods,<br />
earthquakes. In: Merz, B. and Apel, H. (eds.): Risiken durch Naturgefahren in<br />
Deutschland: Abschlussbericht des BMBF-Verbundprojektes Deutsches For-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
schungsnetz Naturkatastrophen (DFNK), Scientific Technical Report 04/01, Geo-<br />
ForschungsZentrum Potsdam, Potsdam, 286-305.<br />
Henninges, J.; Huenges, E.; Burkhardt, H. (<strong>2005</strong>): In situ thermal conductivity of<br />
gas-hydrate-bearing sediments of the Mallik 5L-38 well, Journal Geophysical Research,<br />
110, B11206.<br />
Legarth, B. A.; Huenges, E.; Zimmermann, G. (<strong>2005</strong>): Hydraulic fracturing in a<br />
sedimentary geothermal reservoir: Results and implications, International Journal<br />
of Rock Mechanics and Mining Sciences, 42, 7-8, 1028-1041.<br />
Lokhorst, A., ed. (1998): NW European gas atlas: Haarlem, Nederlands Institute<br />
voor Toegepaste Geowetenschappen TNO, CD-ROM.<br />
Lotz, B. (200):, Neubewertung des rezenten Wärmestroms im Nordostdeutschen<br />
Becken: Scientific Technical Report STR04/04, GeoForschungsZentrum Potsdam,<br />
Potsdam, 225 S.<br />
Norden, B., Förster, A. (2006): Thermal conductivity and radiogenic heat production<br />
of sedimentary and magmatic rocks in the Northeast German Basin, AAPG<br />
Bull., in press.<br />
Schelle, H., Grünthal, G. and Stromeyer, D. <strong>2005</strong>): Numerical simulation of repeated<br />
rupture processes at a bended strike-slip fault – magnitude frequencies and<br />
aspects of the spatio-temporal distribution of main events. Geophys. J. Int., subm.<br />
12/<strong>2005</strong>.<br />
Schütt, H., Wigand, M., Spangenberg, E. (<strong>2005</strong>): Geophysical and geochemical<br />
effects of supercritical CO 2 on sandstones, in: D. C. Thomas, and S. Benson (eds.),<br />
Carbon Dioxide Capture for Storage in Deep Geologic Formations – Results from<br />
the CO 2 Capture Project, 2, Amsterdam, Elsevier, 767-786.<br />
Tyagunov, S., Grünthal, G., Wahlström, R., Stempniewski, L. and Zschau, J. (2006):<br />
Seismic risk mapping for Germany. NHESS, subm.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
405
406<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Das <strong>GFZ</strong> Potsdam auf einen Blick<br />
Name: GeoForschungsZentrum Potsdam (<strong>GFZ</strong>)<br />
Stiftung des öffentlichen Rechts<br />
Zugehörigkeit: Das <strong>GFZ</strong> Potsdam ist Mitglied der Helmholtz-<br />
Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren<br />
Träger: • Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />
(BMBF) (90 %)<br />
• Ministerium für Wissenschaft, Forschung<br />
und Kultur des Landes Brandenburg<br />
(MWFK) (10 %)<br />
Beschäftigte: 654, davon 314 Wissenschaftler (Oktober <strong>2005</strong>),<br />
17 Professoren<br />
Jahresetat: 38 Mio. € Institutionelle Förderung (<strong>2005</strong>)<br />
24 Mio. € Drittmittel (<strong>2005</strong>)<br />
Gremien: • Kuratorium<br />
• Wissenschaftlicher Beirat<br />
• Vorstand<br />
• Wissenschaftlicher Rat<br />
Wissenschaftliche Infrastruktur: Geoforschungssatelliten CHAMP und<br />
GRACE, Gerätepool Geodäsie,<br />
Laserteleskop, Gerätepool Geophysik,<br />
Geomagnetische Observatorien Niemegk<br />
und Wingst, Geodynamisches Observarorium<br />
Sutherland/RSA, KTB-Tiefenlaboratorium<br />
Windischeschenbach, Laboratorien für chemische<br />
Analytik, Reinstluftlabors für Isotopen-<br />
Geochemie, Ionensonde, Hochdruck-Hochtemperatur-Experimentieranlagen,Rasterund<br />
Transmissions-Elektronenmikroskopie,<br />
Hochleistungsrechner mit Archivroboter,<br />
Zentralbibliothek, Werkstatt<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
407
408<br />
Organigramm des <strong>GFZ</strong> Potsdam, Stand 31.12.<strong>2005</strong><br />
Organizational structure of the <strong>GFZ</strong> Potsdam, 31.12.<strong>2005</strong><br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Gremien des GeoForschungsZentrums<br />
Potsdam<br />
Das GeoForschungsZentrum Potsdam wurde am 1. Januar<br />
1992 als Stiftung des öffentlichen Rechts des Landes<br />
Brandenburg mit Sitz in Potsdam gegründet.<br />
Den Finanzbedarf des <strong>GFZ</strong> Potsdam deckt zu 90 % der<br />
Bund, vertreten durch das Bundesministerium für Bildung<br />
und Forschung (BMBF), und zu 10 % das Land Brandenburg,<br />
vertreten durch das Ministerium für Wissenschaft,<br />
Forschung und Kultur (MWFK).<br />
Kuratorium<br />
Das Kuratorium ist das Aufsichtsgremium des GeoForschungsZentrums<br />
Potsdam. Es entscheidet unter Berücksichtigung<br />
der Stellungnahmen des Wissenschaftlichen<br />
Beirats über die allgemeinen und finanziellen Angelegenheiten<br />
der Stiftung und überwacht die Rechtmäßigkeit,<br />
Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Führung der<br />
Stiftungsgeschäfte. Das Kuratorium stellt die jährlichen<br />
Haushalts- und die mehrjährigen Finanzpläne einschließlich<br />
der Ausbau- und Investitionsprogramme fest. Es prüft<br />
den vom Vorstand vorgelegten Jahresabschluss und Geschäftsbericht.<br />
Das Kuratorium beschließt die vom Vorstand<br />
vorzulegenden und mit einer Stellungnahme des<br />
Wissenschaftlichen Beirats versehenen Forschungsprogramme<br />
der Stiftung einschließlich der geplanten Zusammenarbeit<br />
mit nationalen und internationalen Einrichtungen.<br />
Mitglieder (Stand 31. 12. <strong>2005</strong>):<br />
Ministerialdirektor Reinhard Junker (Vorsitzender),<br />
Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />
Staatssekretär Prof. Dr. Markus Karp (stellvertretender<br />
Vorsitzender), Ministerium für Wissenschaft, Forschung<br />
und Kultur des Landes Brandenburg<br />
Prof. Dr. Dr. h.c. Egon Althaus, Mineralogisches Institut<br />
der Universität Karlsruhe<br />
Prof. Dr.-Ing. Kurt Häge, Lausitzer Braunkohle Aktiengesellschaft<br />
Prof.Dr.Hans-Gert Kahle, Inst. für Geodäsie und Photogrammetrie,<br />
ETH-Hönggerberg, Zürich<br />
Prof. Dr. Karin Labitzke, Freie Universität Berlin, Institut<br />
für Meteorologie<br />
Prof. Dr. Dominique Lattard, Universität Heidelberg,<br />
Mineralogisches Institut<br />
Prof. Dr. Evelies Mayer, Technische Universität Darmstadt,<br />
Institut für Soziologie<br />
Dr. Karl-Ulrich Müller, Auswärtiges Amt<br />
RegDir Hans-Ulrich Weber, Bundesministerium der<br />
Finanzen<br />
Wissenschaftlicher Beirat<br />
Der Wissenschaftliche Beirat berät das Kuratorium und<br />
den Vorstand auf allen Gebieten von Forschung und Entwicklung.<br />
Die Beratung erstreckt sich insbesondere auf<br />
• das Forschungs- und Entwicklungsprogramm<br />
• die Ergebnisbewertung<br />
• die Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen<br />
Einrichtungen<br />
• Berufungsangelegenheiten<br />
Mitglieder (Stand 31.12.<strong>2005</strong>):<br />
Prof. Dr. Hans-Gert Kahle (Vorsitzender), Inst. für<br />
Geodäsie und Photogrammetrie, ETH-Hönggerberg,<br />
Zürich<br />
Prof. Dr. Hans-Peter Harjes (stell. Vorsitzender), Inst. f.<br />
Geologie, Mineralogie und Geophysik, Universität Bochum<br />
Prof. Dr. Hans-Peter Bunge, Department für Geo- und<br />
Umweltwissenschaften, Universität München<br />
Prof. Dr. Karl-Heinz Ilk, Institut für Theoretische Geodäsie,<br />
Astron.-Phys. & Math. Geodäsie, Unversität Bonn<br />
Prof. Dr.Angelika Kalt, Institut de Géologie, Université<br />
Neuchatel<br />
Prof. Dr. Judith A. McKenzie, Geologisches Institut,<br />
ETH Zürich<br />
Prof. Dr. Volker Mosbrugger, Inst. für Geologie und<br />
Paläontologie, Universität Tübingen<br />
Prof. Dr. Adrian Pfiffner, Institut für Geologie, Universität<br />
Bern<br />
Prof. Dr. Monika Sester, Institut für Kartographie und<br />
Geoinformatik, Universität Hannover<br />
Dr. Silke Sheppard, Schlumberger Technical Services<br />
Prof. Dr. Peter Ulmer, Institut für Mineralogie u. Petrographie,<br />
ETH-Zentrum, Zürich<br />
Prof. Dr. Friedemann Wenzel, Geophysikalisches Institut<br />
der Universität Karlsruhe<br />
Wissenschaftlicher Rat<br />
Der Wissenschaftliche Rat berät den Vorstand in Angelegenheiten<br />
von grundsätzlicher wissenschaftlicher Bedeutung.<br />
Ihm gehören alle Direktoren der Aufgabenbereiche<br />
sowie drei gewählte Mitglieder (*) an.<br />
Mitglieder (Stand 31.12.<strong>2005</strong>):<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
409
410<br />
Prof. Dr. Jochen Zschau, Vorsitzender<br />
Prof. Dr. Günter Borm<br />
Prof. Dr. Wilhelm Heinrich<br />
Prof. Dr. Onno Oncken<br />
Prof. Dr. Markus Rothacher<br />
Dr. Charlotte Krawczyk (*)<br />
Dr. Robert Ondrak (*)<br />
Dr. Albrecht Schulze (*)<br />
Vorstand<br />
Der Vorstand führt die Geschäfte der Stiftung.<br />
Mitglieder:<br />
Prof. Dr. Dr. h. c. Rolf Emmermann, Wissenschaftlicher<br />
Vorstand und Sprecher<br />
Dr. Bernhard Raiser, Administrativer Vorstand<br />
Organisation, Administration,<br />
Zentrale Dienste<br />
Personal- und Sozialwesen<br />
Das <strong>GFZ</strong> Potsdam beschäftigte zum Stichtag 31.12.<strong>2005</strong><br />
insgesamt 654 Mitarbeiter, von denen aufgrund der fortgesetzten<br />
erfolgreichen Drittmitteleinwerbung 204 über<br />
eingeworbene Projekte finanziert wurden. Die Entwicklung<br />
01.01.<strong>2004</strong> 31.12.<strong>2005</strong><br />
grundfinanziertes Personal 461 450<br />
– Wissenschaftler 183 179<br />
– sonst. Mitarbeiter (Techniker,<br />
Werkstätten, Verwaltung etc.) 278 271<br />
drittmittelfinanziertes Personal 146 204<br />
– Wissenschaftler 101 125<br />
– sonst. Mitarbeiter (Techniker,<br />
Werkstätten, Verwaltung etc.) 45 79<br />
Gesamtzahl 607 654<br />
Tab. 1: Personalentwicklung und -verteilung <strong>2004</strong>/05.<br />
Development and distribution of staff in <strong>2004</strong>/05.<br />
Abb. 1: Ausländische Wissenschaftler am <strong>GFZ</strong> Potsdam.<br />
Scientists from abroad with <strong>GFZ</strong> Potsdam.<br />
Abb.2:Eröffnung der Kindertagesstätte Geolino, Nov. <strong>2004</strong><br />
(Foto: <strong>GFZ</strong>)<br />
Inauguration of the Geolino-kindergarten, November <strong>2004</strong><br />
und Verteilung der Personalzahlen ergibt sich aus Tab. 1.<br />
Die Umsetzung der Programmorientierten Förderung ist<br />
weiter vorangeschritten. Die seitens der Zuwendungsgeber<br />
als Nachfolger des alten Stellenplans zur Steuerung<br />
des Personals eingeführten Personalausgaben- und Strukturquoten<br />
werden sämtlich eingehalten. Die Bewirtschaftung<br />
des Personals ist durch dieses Flexibilisierungsinstrument<br />
sehr bedarfsnah möglich.<br />
Auch die Zahl der am <strong>GFZ</strong> Potsdam beschäftigen ausländischen<br />
Wissenschaftler ist weiter angestiegen (84 Wissenschaftler<br />
≈ 30 %). Dieser internationale Austausch wird<br />
sehr begrüßt. Eine Aufteilung nach Hei-<br />
matländern ergibt sich aus Abb. 1.<br />
Das GeoForschungsZentrum versucht<br />
auf vielfältige Weise, die Karriere von<br />
Frauen in der Wissenschaft zu fördern.<br />
Am 01.11.<strong>2004</strong> wurde eine Betriebskindertagesstätte,<br />
die KiTa Geolino, auf dem<br />
Gelände des Wissenschaftsparks Albert<br />
Einstein eröffnet. Sie bietet Platz für zehn<br />
Kinder im Alter von 0 bis 6 Jahren. Dieses<br />
Angebot stößt auf regen Zuspruch, so<br />
dass bereits über eine Erweiterung der<br />
Kapazitäten nachgedacht wird. Auch darüber<br />
hinaus beteiligt sich das <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
intensiv an dem 5-Punkte-Chancengleichheitsprogramm<br />
der Helmholtz-Gemeinschaft<br />
„Fair ist mehr“. So sind schon<br />
drei so genannte Wiedereinstiegsstellen<br />
von der Helmholtz-Gemeinschaft kofinanziert<br />
worden; auch das auf höchstem<br />
Niveau angesiedelte Mentoring-Programm<br />
wurde gut angenommen. Flexible Arbeitszeiten<br />
gibt es im <strong>GFZ</strong> Potsdam angepasst<br />
an den individuellen Bedarf schon<br />
seit langer Zeit.<br />
Das <strong>GFZ</strong> hat insgesamt 17 gemeinsame<br />
Berufungen mit 7 Universitäten (Universität<br />
Potsdam, alle drei Berliner Universitäten,<br />
Universität Giessen, TU Braun-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 3: Entwicklung der Ausbildungsplätze am <strong>GFZ</strong> Potsdam 1993 bis <strong>2005</strong>.<br />
Increase of apprenticeship at <strong>GFZ</strong> Potsdam from 1993 from <strong>2005</strong>.<br />
schweig und Universität Stuttgart), drei weitere gemeinsame<br />
Berufungen sind in Vorbereitung. Ende <strong>2004</strong> wurde<br />
die Stelle des Direktors des Departments 1 mit Herrn Prof.<br />
Rothacher neu besetzt. Darüber hinaus konnten zwei Professorinnen<br />
(Frau Prof. Mandea und Frau Prof. Dransch)<br />
gewonnen werden.<br />
Weiterhin setzt sich das GeoForschungs-<br />
Zentrum ganz besonders für das Thema<br />
Berufsausbildung ein. Am 31.12.<strong>2005</strong><br />
waren 35 Auszubildende am <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
beschäftigt. Damit liegt die Ausbildungsquote<br />
bei 7,05 %. Die Entwicklung<br />
der Ausbildung im <strong>GFZ</strong> ergibt sich aus<br />
Abb. 3 In den Jahren <strong>2004</strong> und <strong>2005</strong> hat<br />
das <strong>GFZ</strong> Potsdam insgesamt 77 bzw. 90<br />
Schülerpraktikanten betreut. Dabei liegt<br />
der Anteil der Mädchen bei rund 45 %.<br />
Haushalt und Finanzen<br />
Das <strong>GFZ</strong> Potsdam wird im Rahmen seiner<br />
institutionellen Förderung durch Zuschüsse<br />
des Bundes (90 %) sowie des Landes<br />
Brandenburg (10 %) finanziert. Die Förderung<br />
erfolgt seit 2003 auf Programmebene<br />
aufgrund strategischer Begutachtung<br />
im Rahmen der Programmorientierten<br />
Förderung der Helmholtz-Gemeinschaft.<br />
Dabei ist das GeoForschungsZentrum<br />
innerhalb der Helmholtz-Gemeinschaft<br />
im Forschungsbereich „Erde und<br />
Umwelt“ in den Programmen „Geosystem:<br />
Erde im Wandel“ und „Atmosphäre<br />
und Klima“ sowie im Forschungsbereich<br />
„Energie“ mit dem Programm „Erneuerbare<br />
Energien“ beteiligt.<br />
Des Weiteren finanziert sich das <strong>GFZ</strong> aus<br />
Drittmittelzuschüssen. Diese werden<br />
dem <strong>GFZ</strong> Potsdam in erster Linie aus<br />
dem Forschungshaushalt des Bundes,<br />
durch Fördermittel der EU, der Deutschen<br />
Forschungsgemeinschaft (DFG)<br />
sowie durch den Impuls- und Vernetzungsfonds<br />
des Präsidenten der Helmholtz-Gemeinschaft<br />
nach erfolgreicher<br />
Begutachtung der gestellten Drittmittelanträge<br />
bereitgestellt. Darüber hinaus<br />
erzielt das GeoForschungsZentrum ne-<br />
ben eigenen Erträgen auch Erträge aus<br />
der Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse<br />
im Rahmen der sogenannten<br />
Auftragsforschung.<br />
In Abb. 4 wird die Gesamtfinanzierung<br />
des <strong>GFZ</strong> Potsdam in den Jahren 2001 bis<br />
<strong>2005</strong> gezeigt. In den Jahren <strong>2004</strong> und<br />
<strong>2005</strong> hat es bei nahezu allen Finanzierungsarten<br />
einen Zuwachs gegeben. Der<br />
Gesamtanstieg von <strong>2004</strong> nach <strong>2005</strong><br />
macht allein 41 % aus. Die erfolgreiche Begutachtung<br />
im Rahmen der Programmorientierten Förderung spiegelt<br />
sich im Anstieg der Institutionellen Förderung wider.<br />
Verstärkt wird dieser Trend noch durch zusätzliche<br />
Zuschüsse für Neubaumaßnahmen und Großinvestitionen.<br />
Abb. 4: Gesamtfinanzierung des GeoForschungsZentrums Potsdam.<br />
Financing of the <strong>GFZ</strong> Potsdam.<br />
Abb. 5: Verteilung der Drittmittel.<br />
Distribution of Third Party Funding.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
411
412<br />
Abb. 5 stellt die Verteilung der Drittmittelerlöse auf die<br />
einzelnen Geldgeber dar. Die erfolgreiche Einwerbung<br />
von Drittmitteln des Bundes ist insbesondere in <strong>2005</strong><br />
erkennbar. Daneben zeigt sich ein starkes Wachstum bei<br />
den von der EU finanzierten Projekten. Nach Einführung<br />
des Impuls- und Vernetzungsfonds der Helmholtz-Gemeinschaft<br />
im Jahr 2003 hat sich diese Finanzierungsquelle<br />
zu einer eigenständigen Säule innerhalb des Drittmittelaufkommens<br />
des <strong>GFZ</strong> Potsdam entwickelt.<br />
<strong>Bibliothek</strong> des Wissenschaftsparks Albert Einstein<br />
Die <strong>Bibliothek</strong> des Wissenschaftsparks Albert Einstein versteht<br />
sich als Serviceeinrichtung für die wissenschaftliche<br />
Arbeit auf dem Telegrafenberg. Sie stellt zu diesem Zweck<br />
gedruckte und elektronische Medien sowie Informationen<br />
bereit, die für die aktuelle Forschung benötigt werden.<br />
Seit 2001 fungiert sie als Zentralbibliothek für den Campus<br />
Telegrafenberg und versorgt über das GeoForschungsZentrum<br />
Potsdam hinaus auch das Potsdam Institut<br />
für Klimafolgenforschung und die Forschungsstelle<br />
Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung.<br />
Die von der <strong>Bibliothek</strong> bereitgestellte und vermittelte<br />
Information ist nach Möglichkeit direkt am Arbeitsplatz<br />
des Wissenschaftlers abrufbar. Elektronische Zeitschriften,<br />
das breite Angebot an Datenbanken und Alertdiensten<br />
Abb. 6: Blick in die Historische <strong>Bibliothek</strong> des <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
(Foto: B. Stöcker, <strong>GFZ</strong>).<br />
View into the Historical Library of the <strong>GFZ</strong> Potsdam.<br />
und zahlreiche elektronische Nachschlagewerke stehen<br />
exemplarisch hierfür. Weiterentwickelt wurde in den letzten<br />
zwei Jahren vor allen die Vernetzung der elektronischen<br />
Dienste untereinander. Darüber hinaus betreut die <strong>Bibliothek</strong><br />
beispielsweise die elektronischen Publikationen des<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam und hat die Veröffentlichungsdatenbank als<br />
Plattform für Open Access-Publikationen ausgebaut.<br />
Ergänzt wird die aktuelle Sammlung, die für Mitarbeiter<br />
rund um die Uhr zugänglich ist, durch einen breiten<br />
Bestand aus der Geschichte des Telegrafenberges (u. a. die<br />
Bestände des Königlich Preussischen Geodätischen Instituts,<br />
des Geomagnetischen Instituts und des Meteorologischen<br />
Observatoriums). Insgesamt stehen weit über<br />
100.000 Bände zur Verfügung.<br />
Die Fachkräfte in der <strong>Bibliothek</strong> engagieren sich in der<br />
Ausbildung von zwei Fachangestellten für Medien- und<br />
Informationsdienste, sowie von Praktikanten aus informationswissenschaftlichen<br />
Studiengängen.<br />
Weitere Aktivitäten:<br />
• Mitarbeit in der Arbeitsgruppe Open Access der<br />
Helmholtz-Gemeinschaft, die ein Konzept zur Umsetzung<br />
des offenen Zugangs zu wissenschaftlicher Information<br />
erarbeitet hat.<br />
• Seit Ende <strong>2005</strong> ist eine Stelle zur Koordination und<br />
Förderung von Open Access in der Helmholtz-Gemeinschaft<br />
bei der <strong>Bibliothek</strong> angesiedelt. Diese Stelle<br />
wird finanziert aus dem Impuls- und Vernetzungsfonds<br />
des Präsidenten.<br />
Zusammen mit dem Datenzentrum und in Kooperation mit<br />
externen Partnern war die <strong>Bibliothek</strong> in zwei Projekte der<br />
Deutschen Forschungsgemeinschaft involviert: „Publikation<br />
und Zitierfähigkeit wissenschaftlicher Primärdaten“<br />
und „GIN-Net, Geoscience Information Network“.<br />
Daten- und Informationsmanagement im<br />
GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
Das Ziel der modernen Geowissenschaften ist das ganzheitliche<br />
Verständnis des Systems Erde und seiner Veränderungen.<br />
Im Rahmen der Daseinsvorsorge sollen daraus<br />
Antworten auf globale Herausforderungen, z. B. Klimaveränderung,<br />
Verschmutzung der Umwelt, Reduktion von<br />
Desasterschäden oder Energie- und Rohstoffversorgung<br />
abgeleitet werden. Wegen seiner Komplexität und Vielschichtigkeit<br />
kann dieses Ziel nur im fachübergreifenden<br />
Verbund der geowissenschaftlichen Disziplinen, der Geologie,<br />
Mineralogie, Geochemie, Geophysik und Geodäsie,<br />
mit anderen Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie in<br />
enger Kooperation mit nationalen und internationalen<br />
Partnern realisiert werden.<br />
Geowissenschaften und eScience<br />
Zum Verständnis des Systems Erde werden relevante<br />
Objekte und Prozesse im Untergrund und an der Erd-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
oberfläche, in den Meeren und in der Atmosphäre wissenschaftlich<br />
untersucht. Die Ergebnisse liegen in Form<br />
von Datensätzen vor, die sich durch große Datenvolumina<br />
und eine hohe Komplexität auszeichnen. Große Datenvolumina<br />
werden vor allem durch die satellitengestützte<br />
Erdbeobachtung gewonnen. Komplexe, heterogene Datensätze<br />
entstehen durch Detailuntersuchungen einer fachübergreifenden<br />
Problemstellung. Die Kosten der Datenerfassung<br />
sind hoch. Allein in der außeruniversitären<br />
Forschung werden in Deutschland jährlich mindestens<br />
400 Millionen € in die Erhebung von Geodaten investiert.<br />
In anderen Ländern zeigt der Aufbau von neuen Wissenschafts-Infrastrukturen<br />
bereits klare Strukturen. Im anglosächsischen<br />
Sprachraum wurde dafür der Begriff eScience<br />
für enhanced science geprägt. Ziel von eScience ist die<br />
Lösung komplexer wissenschaftlicher Probleme in internationaler<br />
Zusammenarbeit unter Verwendung einer neuen,<br />
digitalen Informations- und Kommunikationsplattform. Ein<br />
Netzwerk von eScience-Centern ist für den Betrieb dieser<br />
Plattform verantwortlich. In Deutschland hat sich eScience<br />
zu einem strategischen Thema für die Wissenschaft entwickelt.<br />
Der Aufbau von eScience-Infrastrukturen in verschiedenen<br />
Wissenschaftsdisziplinen wird bereits gefördert.<br />
Der Aufbau einer neuen Generation von Infrastrukturen<br />
auf Basis der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie<br />
ist ein Schlüsselfaktor, um die herausfordernden<br />
Ziele der modernen Geowissenschaften zu<br />
erreichen. Diese Rahmenbedingungen machen gerade die<br />
Erforschung des Systems Erde zu einem sinnvollen Einsatzbereich<br />
für Aufbau und Einsatz einer eScience-Infrastruktur.<br />
Die Informations- und Kommunikationstechnologie<br />
stellt die Werkzeuge zur Verfügung, deren Einsatz<br />
• das Management, die Nutzung und die langfristige<br />
Sicherung der komplexen, extrem umfangreichen<br />
Daten über das System Erde wesentlich verbessert,<br />
• eine Plattform für die Organisation von Projekten in<br />
der Grundlagenforschung und der Anwendungsentwicklung<br />
bietet und<br />
• einen Zugang zu anderen relevanten Informationsquellen,<br />
z. B. Geodaten der öffentlichen Hand, Wirtschafts-<br />
und Patentinformationen öffnet.<br />
eScience-Plattform im GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
Ein spezifisches Dienstleistungsangebot ist erforderlich,<br />
damit Forschungsprojekten die Verfahren der Informatik<br />
und Geoinformatik in geeigneter Weise zur Verfügung<br />
gestellt werden können. Die Qualität und Gewichtung dieser<br />
Dienstleistungen spiegelt sich im Organisationsmodell<br />
für das Daten- und Rechenzentrum wieder. Das Modell<br />
beinhaltet neben den projektspezifischen Dienstleistungen,<br />
z. B. den Entwurf und die Implementierung von Informationssystemen,<br />
den operativen Betrieb von Informationssystemen<br />
und Anwendungsmodulen sowie die Weiterentwicklung<br />
und Pflege der technischen Basisdienste.<br />
Der Aufbau einer eScience-Plattform ist aber auch mit entsprechenden,<br />
abgestimmten Investitionen in Hard- und<br />
Software verbunden. Seit <strong>2004</strong> werden am <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
Anstrengungen zum Aufbau einer eScience-Plattform<br />
unternommen. In diesem Rahmen werden das Netzwerk<br />
und das Massendatenmanagement grundlegend umstrukturiert<br />
und der Compute-Server erheblich erweitert. Die<br />
Nutzung soll über ein Portal-Framework erfolgen, das<br />
zusätzlich Dienste für die Verwaltung und den Zugriff auf<br />
Daten beinhaltet.<br />
eScience im Daten- und Informationsmanagement<br />
des <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
Im Rahmen des Programms „Geosystem: Erde im Wandel“<br />
soll die Funktionsweise der Erde als System global<br />
wie regional analysiert werden. Leistungsfähige Instrumente<br />
und hoch auflösende Messtechniken sowie die<br />
Informationstechnologie erlauben es heute, komplexe<br />
Strukturen und Geoprozesse in mehreren zeitlichen und<br />
räumlichen Skalenbereichen zu erfassen und numerisch<br />
zu modellieren. Das eingesetzte Spektrum an Methoden<br />
und Techniken reicht von satelliten- und flugzeuggestützten<br />
Mess-Systemen über die geophysikalische Tiefensondierung<br />
und wissenschaftliche Bohrungen bis hin zu<br />
Laborexperimenten.<br />
Die Datenerfassung wird meist in einer Vielzahl von unabhängigen<br />
Projekten durchgeführt. Die Ergebnisse werden<br />
durch Publikationen und Daten dokumentiert. Die integrierende<br />
Modellierung dieser Daten und Fakten wird oft<br />
Jahre nach ihrer Erfassung durchgeführt. Die Qualität von<br />
Modellen ist davon abhängig, dass eine möglichst breite<br />
Datengrundlage verfügbar ist, welche auch die Daten anderer<br />
Forschungseinrichtungen und die umfangreichen<br />
Datenbestände der öffentlichen Hand beinhalten. Neben<br />
der Verfügbarkeit von hochwertigen Daten spielen leistungsfähige<br />
Werkzeuge für die Erschließung, Prozessierung,<br />
Modellierung und Visualisierung eine wichtige Rolle.<br />
Ziel von eScience in den Geowissenschaften ist der Aufbau<br />
einer leistungsfähigen Infrastruktur, die das Daten-,<br />
Informations- und Wissensmanagement unterstützt und<br />
die Verfügbarkeit relevanter Daten und deren Nutzung<br />
durch interoperable Werkzeuge sicherstellt. Es entsteht<br />
eine lückenlose Wertschöpfungskette von der Datenakquisition<br />
und Prozessierung über die Dissemination von<br />
Ergebnissen bis hin zur Datenintegration, Modellierung<br />
und Simulation. Es werden damit Rahmenbedingungen<br />
geschaffen, welche eine zeitgemäße Bearbeitung und Lösung<br />
der wissenschaftlichen Herausforderungen ermöglichen.<br />
Beim Aufbau der eScience-Infrastruktur für die Geowissenschaften<br />
stehen folgende strategische Ziele im Vordergrund:<br />
• Durch den verbesserten Zugriff auf eine hochwertige<br />
Datenbasis ist eine deutliche Qualitätsverbesserung<br />
von Forschungsergebnissen zu erwarten.<br />
• Die interdisziplinäre Vernetzung und die multiple Nutzung<br />
von Daten über die Fachgrenzen hinaus werden<br />
gestärkt.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
413
414<br />
• Die Entwicklung einer neuen Generation von digitalen<br />
Werkzeugen zur Prozessierung, Speicherung, Verbreitung,<br />
Analyse und Visualisierung von Geoinformationen<br />
wird stimuliert.<br />
• Wissenschaftliche Daten können für vielfältige Informations-<br />
und Entscheidungsprozesse in Politik, Wissenschaft,<br />
Wirtschaft und Verwaltung aufbereitet und<br />
genutzt werden.<br />
• Die Entstehung von Innovationsnetzwerken und der<br />
Transfer von Forschungsergebnissen in die Anwendung<br />
werden gefördert.<br />
• Die Zusammenarbeit von Hochschulen und Forschungseinrichtungen<br />
kann wesentlich verbessert werden.<br />
• Die Integration der Infrastruktur in europäische und<br />
globale Netzwerke fördert internationale Kooperationen.<br />
Die unmittelbare Verfügbarkeit und Nachnutzbarkeit<br />
hochwertiger wissenschaftlicher Daten zur Bewältigung<br />
der Fragestellungen ist die Wertschöpfung, die durch den<br />
Aufbau einer leistungsfähigen eScience-Infrastruktur und<br />
ein hochwertiges Daten- und Informationsmanagement<br />
erreicht wird. Wesentlich ist ein übergreifender konzeptioneller<br />
und organisatorischer Ansatz, der eine lückenlose<br />
Wertschöpfungskette von der Datenerfassung bis hin<br />
zur Modellierung ermöglicht. Bereits durch die Art und<br />
Weise der Datenerfassung werden die Möglichkeiten der<br />
Nachnutzung bestimmt.<br />
Die Wertschöpfungskette (Abb. 7) beinhaltet folgende<br />
Elemente:<br />
1. Datenerfassung: Die Erfassung von Daten steht am<br />
Beginn der Wertschöpfungskette. Generell lassen sich<br />
zwei Verfahren der Datenerfassung unterscheiden: die<br />
Messung mit Hilfe von Instrumenten und die Dokumentation<br />
von Beobachtungen. Beispiele für die Dokumentation<br />
von Beobachtungen sind die geologische<br />
Kartierung oder eine Profilbeschreibung. Bei den<br />
Messungen lassen sich kontinuierliche Messreihen,<br />
z. B. in der Fernerkundung oder Seismologie von diskreten<br />
Einzelmessungen z. B. in der Geochemie unterscheiden.<br />
Die Qualität der Datenerfassung und die<br />
Dokumentation der Rahmenbedingungen der Daten-<br />
Abb. 7: Wertschöpfungskette Daten- und Informationsmanagement<br />
Value-added chain of an integrated data and information management<br />
erfassung in den Metadaten bestimmen die spätere<br />
Nachnutzbarkeit.<br />
2. Verarbeitung: Bei diesem Schritt geht es um die Aufbereitung<br />
von Mess- und Beobachtungsdaten zu aussagekräftigen,<br />
interpretierbaren Daten (Informationen),<br />
welche für die Lösung von wissenschaftlichen<br />
Problemen einen Beitrag leisten können. In der Geodäsie<br />
oder Geophysik werden z. T. sehr aufwendige<br />
Berechnungen durchgeführt. Beim Bohrungsdatenmanagement<br />
z. B. steht dagegen die Zusammenführung<br />
von Detailbeobachtungen zu einem schlüssigen<br />
Gesamtprofil im Vordergrund.<br />
3. Archivierung:Datenarchive werden für die mittel- bis<br />
langfristige Datenhaltung eingesetzt. Bei einer systematischen<br />
Archivierung von Datenbeständen spielt die<br />
Datendokumentation durch Metadaten eine zentrale<br />
Rolle. Metadaten liefern Informationen über die Eignung<br />
von Daten für spezifische, neue Anwendungsfelder<br />
(fitness for use) und schaffen so die Voraussetzungen<br />
für die interdisziplinäre Nachnutzung von<br />
Daten. Während für projektbezogene Daten, wie durch<br />
die Regeln der „Guten wissenschaftlichen Praxis“ vorgesehen,<br />
ein Zugriff für einen Zeitraum von 10 Jahren<br />
sichergestellt werden soll, müssen andere Datensätze,<br />
z. B. Monitoringdaten, über längere Zeiträume archiviert<br />
werden. Es laufen derzeit Bestrebungen, das Einpflegen<br />
von Daten in Langzeitarchive vergleichbar mit<br />
einer klassischen wissenschaftlichen Publikation zu<br />
gestalten.<br />
4. Dissemination:Die wirkungsvolle Dissemination von<br />
Daten ist ein wichtiger Schritt zur Förderung einer projektunabhängigen<br />
Nachnutzung von Daten. Vergleichbar<br />
mit Literatur-Katalogen als Zugang zu <strong>Bibliothek</strong>en<br />
werden Daten über Datenkataloge zugänglich<br />
gemacht, die auf Basis von Metadaten arbeiten (Metainformationssysteme).<br />
Datenkataloge werden in der<br />
Regel zusammen mit anderen Projekt- oder Rahmeninformationen<br />
über Portale erschlossen.<br />
5. Harmonisierung: Die Harmonisierung und Integration<br />
von Daten aus unterschiedlichen Quellen für die<br />
Modellierung von komplexen Systemen ist ein zeitaufwendiger<br />
und kostenintensiver Prozess.<br />
Dabei sind Probleme der semantischen<br />
und skalenbezogenen Abstimmung<br />
von Daten zu bewältigen. Auch die einheitliche<br />
Georeferenzierung unterschiedlicher<br />
Datenquellen kann sich zu einer<br />
komplexen Aufgabe entwickeln. Sowohl<br />
die zugrunde liegenden Konzepte als auch<br />
die notwendigen technologischen Lösungen<br />
sind auch heute noch ein Feld für<br />
Grundlagenforschung. Von besonderer<br />
Bedeutung ist eine systematische Befassung<br />
mit dem Thema Datenqualität. Es<br />
besteht eine direkte Beziehung zwischen<br />
der Qualität der Primärdatenerfassung<br />
und den Kosten der Harmonisierung.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
6. Modellierung: Die Modellierung komplexer, übergreifender<br />
Prozesse steht am Abschluss der Wertschöpfungskette<br />
des Daten- und Informationsmanagements.<br />
Die Verfügbarkeit von hochwertigen Daten für die Validierung<br />
von empirischen Modellen oder Simulationsergebnissen<br />
steht jetzt in direkter Beziehung zur Qualität<br />
und Aussagekraft der wissenschaftlichen Ergebnisse.<br />
Die Schritte 1 und 2 der Wertschöpfungskette – Erfassung<br />
und Verarbeitung von Daten – können unter dem Begriff<br />
Primärdaten-Management zusammengefasst werden. Die<br />
Schritte 3 und 4 Archivierung und Dissemination haben<br />
das Ziel, die Nachnutzung von wissenschaftlichen Daten<br />
in einem interdisziplinären projektübergreifenden Kontext<br />
zu unterstützen. Die Abschnitte 5 und 6 der Wertschöpfungskette<br />
widmen sich der Harmonisierung, Modellierung<br />
und Simulation.<br />
Die Durchgängigkeit und Lückenlosigkeit der Wertschöpfungskette<br />
wird dadurch erreicht, dass bereits bei der<br />
Erfassung von Daten Standards für Daten- und Metadaten<br />
berücksichtigt werden. Durch den Aufbau von projektbezogenen<br />
Informationssystemen und durch die langfristige<br />
Speicherung und Sicherung der Daten in Langzeitarchiven<br />
kann der langfristige Zugang auch nach dem<br />
Ende von Projekten sichergestellt werden. Auf diese Weise<br />
werden die Grundlagen geschaffen, welche die Entwicklung<br />
und Validierung von komplexen Modellen in einem<br />
großen Umfang erst ermöglichen.<br />
eScience-Plattform<br />
Der systematische Aufbau einer eScience-Plattform<br />
schafft die Voraussetzungen, um die oben dargestellten<br />
Wertschöpfungspotenziale zu erschließen. Ein Schwerpunkt<br />
liegt dabei in der Integration und Vernetzung von<br />
Forschungsprojekten durch eine gemeinsame Plattform,<br />
welche neben Möglichkeiten zur schnellen Verarbeitung<br />
von Daten auch ausreichende Kapazitäten zur Speicherung<br />
und langfristigen Sicherung von Rohdaten und ausgewerteten<br />
Daten bereitstellt. Ein weiterer Schwerpunkt<br />
ist die Realisierung eines zentralen Portals, das als<br />
zentraler Einstieg zu allen relevanten Daten und Informationen<br />
dient. Für den Aufbau der<br />
eScience-Plattform ist aber auch die<br />
Unterstützung der integrierten Auswertung,<br />
Modellierung und Simu-lation<br />
von Bedeutung. Die geplante eScience-<br />
Plattform im <strong>GFZ</strong> Potsdam ist Teil einer<br />
übergeordneten eScience-Infrastruktur<br />
für die Erd- und Umweltwissenschaften.<br />
Diese Anforderungen spiegeln sich in der<br />
übergeordneten Architektur der geplanten<br />
eScience-Plattform wider, die so den<br />
konzeptionellen Rahmen, den Aufbau<br />
der Infrastruktur und die Entwicklung<br />
und Integration von Werkzeugen und<br />
Diensten bildet. In Anlehnung an das<br />
Programm „Geosystem: Erde im Wandel“<br />
wird eine Architektur für die eScien-<br />
ce-Plattform vorgeschlagen (Abb. 8). Das Kernelement<br />
bildet die Modular Earth Science Information Infrastructure<br />
(MESII) Auf MESII aufbauend eröffnet das Portal<br />
Geowissenschaften (GESIS) einen zentralen Zugang<br />
zu relevanten Daten und Informationen der Erd- und<br />
Umweltforschung. Das Geoscientific Modelling Environment<br />
(GeoMODE) unterstützt besonders die Integration<br />
und Harmonisierung von Daten sowie die Berechnung<br />
und Visualisierung von komplexen Modellen:<br />
MESII – Modular Earth Science Information Infrastructure<br />
MESII ist eine eScience-konforme Dienstplattform und<br />
unterstützt das Daten- und Informationsmanagement von<br />
der projektbezogenen Erfassung über die Verarbeitung<br />
und Speicherung bis hin zur interdisziplinären Erschließung.<br />
Durch die Abstimmung und Standardisierung<br />
sowohl von Daten- und Metadaten als auch Datenkatalogen<br />
und Archiven werden die Voraussetzungen für eine<br />
übergreifende Nutzung von Daten geschaffen. Portal-Frameworks<br />
gestatten die Integration von projekt- und nutzerspezifischen<br />
Anwendungen, die einen Zugriff sowohl<br />
auf Katalogdienste als auch Modellierungs- und Visualisierungswerkzeuge<br />
gestattet.<br />
Die Datenerfassung ist in der Regel direkt auf das Projekt<br />
zugeschnitten. Zum Beispiel im Rahmen von Satelliten-<br />
Missionen wie CHAMP oder GRACE werden kontinuierlich<br />
sehr große Datenmengen erzeugt. Der Schwerpunkt<br />
liegt auf einer schnellen Prozessierung und einer hohen<br />
Zuverlässigkeit der Systeme, mit denen Sensormessungen<br />
in relevante Informationsprodukte aufbereitet werden. Für<br />
die Erfassung von Bohrungsdaten, die sich durch ein vergleichbar<br />
geringes Datenvolumen und eine hohe Komplexität<br />
auszeichnen, werden speziell angepasste Bohrungs-<br />
Informationssysteme eingesetzt. Eine besondere Rolle<br />
kommt den Langzeitarchiven zu. Diese haben die Aufgabe<br />
Monitoringdaten oder publizierte Datensätze langfristig zu<br />
sichern und einen effizienten Zugriff zu ermöglichen.<br />
MESII schafft die technologische Basis für die Integration<br />
von Geodateninfrastrukturen, GRIDs und <strong>Bibliothek</strong>en.<br />
Grundlage ist die Virtualisierung von Komponenten.<br />
Abb. 8: Bausteine der eScience-Plattform im <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
Components of the <strong>GFZ</strong> eScience Plattform<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
415
416<br />
Abb. 9: Aufbau des Daten- und Rechenzentrums<br />
Structure of the Data and Computer Centre<br />
MESII erreicht auf diese Weise eine Homogenisierung<br />
heterogener Ressourcen zur Gewährleistung eines transparenten,<br />
skalierbaren und hochverfügbaren Zugriffs.<br />
Dieses vereinfacht die Integration heterogener Komponenten<br />
und ermöglicht flexible Architekturen sowie verteilungstransparente<br />
Kommunikation von Prozessen. Die<br />
Ressourcen, bspw. Datenbanken oder Applikationen, haben<br />
keine feste Bindung untereinander, sondern werden<br />
lose über einheitliche Schnittstellen gekoppelt und sind so<br />
je nach Bedarf effizient einsetzbar.<br />
GESIS – Portal Geowissenschaften<br />
Das Global Earth Science Information System (GESIS)<br />
soll Wissenschaftlern relevante Daten, Informationen und<br />
Ergebnisse aus laufenden oder abgeschlossenen Projekten,<br />
Programmen oder Missionen zugänglich machen. Von<br />
besonderem Interesse sind Daten aus anderen wissenschaftlichen<br />
Datenzentren aber auch Daten der öffentlichen<br />
Hand, z. B. der Kataster-, Vermessungsämter und<br />
der Umweltbehörden. Für GESIS wurde ein übergreifendes<br />
Rahmenkonzept entwickelt, das in enger Zusammenarbeit<br />
mit anderen Datenzentren und den geowissenschaftlichen<br />
<strong>Bibliothek</strong>en realisiert werden soll. Mehrwertdienste<br />
für die intelligente, themenorientierte Suche<br />
nach Daten und Publikationen sind Teil des Portals. Auch<br />
aktuelle Themen, wie die Publikation und Zertifizierung<br />
von Daten und Open Access werden aufgegriffen. Zusätzlich<br />
sollen Informationen über relevante Forschungsthemen<br />
und laufende Projekte über Forscher und deren Kompetenzprofile<br />
verfügbar gemacht werden.<br />
Geoscientific Modelling Environment – GeoMODE<br />
Die Modellierung von globalen, mehrskaligen Geoprozessen<br />
ist eine wichtige Aufgabe des Programms „Geosystem:<br />
Erde im Wandel“. GeoMODE ist eine Plattform<br />
für die interaktive Modellierung und Kommunikation bei<br />
der Bearbeitung geowissenschaftlicher Fragestellungen.<br />
Die Nutzung von Daten des Untergrundes (z. B. Bohrungsdaten,<br />
Strukturdaten, Parameter eines Epizentrums,<br />
seismische Modelle, Lagerstätten) in<br />
einer kollaborativen Arbeitsumgebung<br />
erfordert die Entwicklung von neuen<br />
Diensten zur Visualisierung von Objekten<br />
des Erduntergrundes und deren Verknüpfung<br />
mit den zugehörigen Datenbeständen<br />
und weiterführenden Informationen<br />
in der Literatur. Diese Dienste sollen<br />
sich an den bereits verfügbaren Komponenten<br />
der 2D-Geodateninfrastruktur<br />
orientieren und sie um die dritte Dimension<br />
erweitern.<br />
Das Daten- und Rechenzentrum<br />
Das Daten- und Rechenzentrum des Geo-<br />
ForschungsZentrums Potsdam ist eine<br />
wissenschaftliche Infrastruktur-Abteilung,<br />
die sowohl für die Betreuung von zentralen<br />
Diensten, wie Netzwerk, Massenspeicher<br />
und Compute-Server, als auch für das Daten-<br />
und Informationsmanagement in wissenschaftlichen Projekten<br />
verantwortlich ist. Dezentrale Teile der IT-Infrastruktur<br />
werden von den Sektionen in eigener Regie verwaltet.<br />
Bedingt durch die Entwicklung der Informationstechnologie<br />
und der Geoinformatik hat die Bedeutung der wissenschaftlichen<br />
Daten kontinuierlich zugenommen. In<br />
Forschungsprojekten wird die Verfügbarkeit einer gemeinsamen<br />
Datenbasis für die Verbesserung eigener<br />
Ergebnisse immer wichtiger. Die Internet-Darstellung von<br />
Projekten entwickelt sich zu einem zentralen Einstiegspunkt<br />
und wird für die externe Kommunikation zu einem<br />
wichtigen Dreh- und Angelpunkt. Das Daten- und Rechenzentrum<br />
hat auf diese Entwicklung mit einem angepassten<br />
Dienstleistungsangebot reagiert. Die Entwicklung<br />
von projektspezifischen Informationssystemen für die<br />
sichere Speicherung und einfache Nutzung von großen<br />
Datenmengen spielt dabei eine wichtige Rolle.<br />
Aufgaben<br />
Das Daten- und Rechenzentrum hat das Ziel, eine zeitgemäße<br />
eScience-Plattform im <strong>GFZ</strong> Potsdam aufzubauen,<br />
die richtungsweisende Entwicklungen im Bereich eScience<br />
und Geodaten-Infrastrukturen sowie wichtige Trends<br />
in der Hard- und Software aufgreift und einbezieht. Die<br />
Elemente der Wertschöpfungskette und die Gesamtarchitektur<br />
der eScience-Plattform bilden den konzeptionellen<br />
Rahmen für das Leistungsangebot des Daten- und Rechenzentrums.<br />
Daraus lassen sich folgende konkrete, operative<br />
Ziele ableiten:<br />
• Entwicklung eines zeitgemäßen, wertschöpfenden<br />
Dienstleistungsangebots für das wissenschaftliche<br />
Daten- und Informationsmanagement,<br />
• Aufbau und Weiterentwicklung einer leistungsfähigen<br />
Diensteplattform (MESII),<br />
• Weitereinwicklung der technischen Basisdienste, wie<br />
Netzwerk, Massenspeicher und Compute-Server,<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
• Einrichtung eines ICSU-Weltdatenzentrums mit der<br />
Bezeichnung WDC TERRA für Lithosphärendaten als<br />
Beitrag zum Portal Geowissenschaften (GESIS),<br />
• Konzeption, Einführung und Verbreitung von Verfahren<br />
zur Publikation von Daten,<br />
• Sicherung des operativen Betriebs der eScience-Plattform,<br />
• Beteiligung beim Aufbau von Geodaten-Infrastrukturen,<br />
eScience-Initiativen und Standardisierungsgremien,<br />
• Förderung des Transfers von Ergebnissen der Grundlagenforschung<br />
in die Anwendung.<br />
In der Organisation der Abläufe lassen sich bei der Umsetzung<br />
der Aufgaben des Daten- und Rechenzentrums das<br />
IT-Projektmanagement, das System-Operating und die IT-<br />
Basisdienste unterscheiden (Abb. 9), die nachfolgend<br />
erläutert werden. Der Aufwand für das System-Operating,<br />
speziell der Betrieb von Informationssystemen, hat in den<br />
letzten Jahren stark zugenommen.<br />
IT-Projektmanagement<br />
Das DRZ ist in einer Reihe von wissenschaftlichen Projekten<br />
für das IT-Projektmanagement zuständig. Ausgehend<br />
von den projektspezifischen Anforderungen und<br />
Informationsflüssen werden im Rahmen des IT-Projektmanagements<br />
Projekte vorbereitet, Informationssysteme<br />
entworfen, implementiert und weiterentwickelt. Thematisch<br />
umfassen diese Projekte ein breites Spektrum von<br />
Satelliten-Missionen über Bohrungs-Projekte bis hin zum<br />
Desaster-Management. Das Projekt SaDIN (Sahel Doukala<br />
Information Network) stellt in diesem Zusammenhang<br />
eine Besonderheit dar. SaDIN ist ein gemeinsames<br />
EU-Projekt mit der Universität El Jadida, Marokko, in dem<br />
Kapazitäten für ein leistungsfähiges Daten- und Informationsmanagement<br />
aufgebaut werden sollen.<br />
System-Operating<br />
Durch das System-Operating werden technologische und<br />
organisatorische Rahmenbedingungen für eine effiziente<br />
Entwicklung und einen wirtschaftlichen Betrieb von Informationssystemen<br />
geschaffen. Auf Vereinbarung werden<br />
aber auch Dritt-Systeme gepflegt, die nicht im DRZ<br />
entwickelt wurden. Zu den im Rahmen des System-Operating<br />
erbrachten Leistungen gehören der Betrieb einer<br />
Entwicklungsumgebung, der Betrieb einer Produktionsplattform,<br />
die Bereitstellung von Software-Komponenten<br />
und eines Portal-Frameworks/CMS, die Pflege eines<br />
<strong>Bibliothek</strong>ssystems und der Arbeitsplatzrechner in der<br />
<strong>Bibliothek</strong> sowie Beratungsfunktionen im Bereich Geoinformationssysteme<br />
(GIS).<br />
Basisdienste<br />
Die Basisdienste stellen die essentiellen, technologischen<br />
Grundlagen und Funktionen für die IT-Infrastruktur des<br />
<strong>GFZ</strong> Potsdam zur Verfügung. Dazu gehören das Massendatenmanagement,<br />
die Bereitstellung von Backup-Kapazitäten,<br />
der Betrieb von Compute-Server-Leistungen und<br />
Datenbankservern sowie das Netzwerk und Netzwerkdienste.<br />
Qualifikationsprofile<br />
Die Unterstützung des gesamten Lebenszyklus von wissenschaftlichen<br />
Daten und der Aufbau und Betrieb einer<br />
eScience-Plattform im <strong>GFZ</strong> Potsdam als Teil einer Informations-Infrastruktur<br />
für die Erd- und Umweltwissenschaften<br />
setzt ein breites Kompetenzprofil voraus, das nur<br />
von einer gut ausgebildeten, intensiv vernetzten Gruppe<br />
erbracht werden kann. Die Gruppe setzt sich aus Geowissenschaftlern,<br />
Informatikern und Ingenieuren zusammen.<br />
Für diese Aufgaben sind eine hochwertige Ausbildung und<br />
eine langjährige Berufserfahrung notwendig.<br />
Grundlagen für die Arbeit des Daten- und Rechenzentrums<br />
bilden die Methoden der Informatik. Diese liefern<br />
Werkzeuge und Verfahren für den Entwurf, die Darstellung<br />
und die Implementierung von komplexen Informationssystemen.<br />
Diese Verfahren werden im Rahmen von<br />
Vorgehensmodellen aufeinander abgestimmt. Standardisierte<br />
Software-Entwicklungsprozesse, z. B. nach dem V-<br />
Modell oder dem Rational Unified Process, spielen hier<br />
eine besondere Rolle, die in einer, der Projektkomplexität<br />
angemessenen Form eingesetzt werden. Die Informatik<br />
liefert außerdem die Grundlagen zum Betrieb, zur Überwachung<br />
und zur Sicherheit von Netzwerken, Rechnern<br />
und Speichereinheiten. Besonderes durch die Entwicklung<br />
des Internets wurde eine Vielzahl von neuen Konzepten<br />
und Standards entwickelt und eingeführt.<br />
Eine besondere Bedeutung für die Arbeit des Daten- und<br />
Rechenzentrums hat auch die Geoinformatik. Durch die<br />
Aktivität von Initiativen und Standardisierungseinrichtungen,<br />
z. B. des Open Geospatial Consortiums (OGC),<br />
der ISO oder des W3C wurden wichtige Grundlagen für<br />
offene Geodaten-Infrastrukturen geschaffen. Von besonderer<br />
Bedeutung sind Standards und Anwendungsprofile<br />
für geowissenschaftliche Daten und Metadaten. Durch die<br />
Aktivitäten des OGC wurden Spezifikationen für Services<br />
in offenen Geodaten-Infrastrukturen vorangetrieben.<br />
Diese beschreiben die Schnittstellen und die Protokolle,<br />
mit denen sich Informationssysteme in Geodaten-Infrastrukturen<br />
integrieren und die Art und Weise wie Daten/<br />
Informationen von diesen Systemen abgerufen werden<br />
können. Auf Basis dieser Spezifikationen stehen immer<br />
mehr Software-Bausteine für Geoinformationssysteme als<br />
kommerzielle Produkte, als Open Source oder Public<br />
Domain Bausteine zur Verfügung. Die Kosten für die Entwicklung<br />
und den Betrieb von Informationssystemen<br />
sowie die Betriebssicherheit können so ganz wesentlich<br />
verbessert werden.<br />
Aufbau der eScience-Plattform im <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
Im Rahmen des Aufbaus einer eScience-Plattform im<br />
GeoForschungsZentrum werden seit <strong>2004</strong> alle größeren<br />
Investitionsvorhaben in Basisdienste und System-Operating<br />
gebündelt. Ziel der Maßnahmen ist die Konzeption<br />
und Implementierung einer Netzwerk-, Rechner- und<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
417
418<br />
Abb. 10: Architektur der eScience-Plattform. Eine Service-<br />
Plattform stellt standardisierte Dienste für projekt- und<br />
anwendungsspezifische Portale zur Verfügung.<br />
Architecture of the eScience Platform. A service platform<br />
is offering standardised services for project and application<br />
specific portals.<br />
Speicherarchitektur, die über eine zeitgemäße Dienstplattform<br />
zugänglich sind. Die Maßnahmen werden dazu<br />
beitragen, die Potentiale von eScience für geowissenschaftliche<br />
Anwendungsfelder zu erschließen (Abb. 10).<br />
Die entstehende eScience-Plattform unterstützt:<br />
• die Prozessierung von Messdaten aus den vielfältigen<br />
Forschungsprojekten mit dem Schwerpunkt Satellitenmissionen<br />
und globale Experimente,<br />
• die Modellierung von komplexen geowissenschaftlichen<br />
Prozessen,<br />
• die Ausführung von zeitkritischen Simulationen, z. B.<br />
im Rahmen der Frühwarnung bei unmittelbar drohenden<br />
Naturkatastrophen,<br />
• die Suche von und Zugang zu Messdaten, prozessierten<br />
Daten und hochwertigen Informationsprodukten<br />
und<br />
• die langfristige Sicherung und Verfügbarkeit wichtiger,<br />
hochvolumiger, wissenschaftlicher Daten, z. B.<br />
Monitoring-Daten.<br />
Die Funktionen der Plattform sollen dem<br />
Anwender als Dienste einer Service-<br />
Orientierten Architektur (SOA) über<br />
anwendungsspezifische Portale angeboten<br />
werden. Auf diese Weise können verfügbare<br />
Ressourcen wesentlich flexibler<br />
im Rahmen unterschiedlicher Aufgabenstellungen<br />
und Anwendungen kombiniert<br />
und genutzt werden. Für die Intensivierung<br />
der Vernetzung mit Hochschulen, anderen<br />
Forschungsinstituten und der Wirtschaft<br />
ergeben sich signifikante Impulse.<br />
Der Aufbau der eScience-Plattform beinhaltet<br />
sowohl eine wesentliche Verstär-<br />
kung der Computing-Ressourcen als auch den Ausbau der<br />
Kapazitäten für die Speicherung und Archivierung von<br />
Daten. Durch bereits durchgeführte Umfragen und Studien<br />
liegen konkrete Vorstellungen über die Gestaltung der<br />
Plattform vor. Darüber hinaus soll die Nutzung dieser<br />
Angebote durch leistungsfähige aber kostengünstige Projekt-<br />
und/oder Anwendungsportale gefördert werden. Der<br />
Aufbau der eScience-Plattform im <strong>GFZ</strong> Potsdam beinhaltet<br />
folgende, konkrete Maßnahmen:<br />
Breitbandausbau Netzwerk: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt<br />
sind die Leitungs- und Vermittlungsinfrastrukturen<br />
auf dem Telegraphenberg überwiegend auf einen Durchsatz<br />
von maximal 100 Mbit/s ausgelegt. Die Anbindung<br />
einzelner Gebäude und Einheiten erfolgt allerdings noch<br />
mit Kapazitäten von 10 Mbit/s. Durch den Ausbau des<br />
Netzwerks (Gbit/s) auf dem Telegrafenberg wird es möglich,<br />
nicht nur den Zugriff auf und den Datentransfer zwischen<br />
Diensten zu verbessern, sondern auch die Möglichkeiten<br />
des Massendatenmanagements zu erweitern.<br />
Erweiterung des High Performance Cluster (HPC): Der Aufbau<br />
des Compute-Services mit mindesten 256 Knoten<br />
basiert auf dem Einsatz von Standard-Cluster-Technologien.<br />
Damit steht eine ausreichende Rechnerleistung für die Prozessierung,<br />
Modellrechnungen, Simulationen und verteilte<br />
Applikationen zur Verfügung (Abb. 11). Eine optimale Performance<br />
kann durch High-Speed-Connections (Infini-<br />
Band) erreicht werden, die den Datenfluss zwischen den einzelnen<br />
Knoten optimieren, die Latenzzeiten verringern und<br />
die nutzbare Bandbreite zur Datenübertragung erhöhen. Die<br />
Steuerung des HPC erfolgt über eine Managementsoftware,<br />
mit der das System konfi-guriert, die Lastverteilung überwacht<br />
und die Nutzer-Accounts verwaltet werden. Beim<br />
Transfer existierender Anwendungen auf das HPC ist ein<br />
entsprechender Support für die effiziente Parallelisierung<br />
und die detaillierte Code-Optimierung erforderlich.<br />
Redesign Massendatenmanagement: Im August <strong>2004</strong><br />
wurde im Rahmen einer externen Studie eine Situationsanalyse<br />
zum Massendatenmanagement im <strong>GFZ</strong> durchgeführt.<br />
Diese zeigte, dass die wachsenden Anforderungen<br />
nicht länger durch einen rein quantitativen Ausbau der<br />
Speichersysteme erreicht werden können. Vielmehr schlägt<br />
Abb. 11: Entwicklung des Rechenzeitbedarfs von 2000 bis 2010<br />
Development of computing demand from 2000 to 2010<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 12: Entwicklung des Massendatenmanagements im <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
Development of mass data management in the <strong>GFZ</strong><br />
die Studie eine Neustrukturierung des Massendatenmanagements<br />
und einen qualitativen Umbau der Speicherarchitekturen<br />
vor, um die steigenden Anforderungen bzgl.<br />
Datensicherheit, Verfügbarkeit und Zugriffsgeschwindigkeit<br />
zu befriedigen.<br />
Die Bedarfsanalyse und Auslastungsplanung entstand durch<br />
die Auswertung von Interviews mit den Projektverantwortlichen<br />
und auf Basis langjähriger Erfahrung in der<br />
Archivierung von wissenschaftlichen Daten. Externe<br />
Anforderung an die Datenhaltung, z. B. die Regeln der<br />
„Guten Wissenschaftlichen Praxis“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft,<br />
wurden ebenfalls berücksichtigt.<br />
Wie in anderen Forschungseinrichtungen ebenfalls beobachtet,<br />
zeigt sich im <strong>GFZ</strong> Potsdam ein kontinuierlicher,<br />
fast exponentiell verlaufender Aufwärtstrend im Datenumfang<br />
(Abb. 12). Zusätzlich wird es immer wichtiger,<br />
der Wissenschaft eine hohe Qualität der Datenbereitstellung<br />
zu gewährleisten. Diese Anforderungen können nur<br />
durch neue, flexible Speicherarchitekturen umgesetzt werden.<br />
Diese Architekturen erlauben es den Anwendern,<br />
Datensätze transparent zwischen verschiedenen Speichersystemen,<br />
z. B. Band oder Festplatte zu verschieben<br />
oder zu replizieren. Dabei lassen sich sechs Klassen von<br />
Speichersysteme HSM Disk, HSM Tape, Backup Disk,<br />
Backup Tape, SAN und NAS unterscheiden.<br />
Ziel ist der Aufbau einer virtualisierten Speicher-Infrastruktur.<br />
Ein schnelles Festplattenspeicher-Netzwerk auf<br />
Fiber Channel Basis schafft die Grundlage für den parallelen<br />
Zugriff auf Daten und gewährleistet die zeitkritische<br />
Verfügbarkeit von Original-Daten und abgeleiteten Modellen.<br />
Das Festplatten-Netzwerk soll von 30 auf 100 TB Speicherkapazität<br />
erweitert werden. Die Speicher-Infrastruktur<br />
verwendet außerdem ein bandgestütztes Archivsystem, das<br />
dann über eine Kapazität von ca. 400 TB (aktuell ca.<br />
100 TB) verfügt. Die Verwaltung des Gesamtsystems erfolgt<br />
durch eine spezielle Management-Software. Die Inhalte des<br />
Archivs werden über Katalogdienste erschlossen.<br />
Aufbau Diensteplattform<br />
Der Zugang zur Rechen- und Speicherinfrastruktur soll<br />
über die Implementierung einer Diensteplattform reali-<br />
siert werden, deren Architektur in Abb. 10<br />
dargestellt ist. Hier bietet sich eine nutzerfreundliche<br />
Lösung als Portal-Anwendung<br />
an, die, eingebettet in Projekt- oder<br />
anwendungsspezifische Inhalte, den<br />
Zugriff auf Datenkataloge und Computing-Ressourcen<br />
gestattet. Besonders<br />
ergänzende Angebote zum Datenmanagement<br />
und zur Modellierung, aber<br />
auch die verbesserte Nutzungsplanung<br />
sichern eine maximale Auslastung des<br />
Systems.<br />
Die heutige Nutzung von Infrastruktur-<br />
Diensten, z. B. Da-tenarchiven oder Projekt-Portalen<br />
im <strong>GFZ</strong> Potsdam ist durch<br />
eine Vielzahl von Software-Lösungen<br />
und Gestaltungskonzepten gekennzeichnet, die in der<br />
Regel individuell für Projekte entwickelt wurden. Die<br />
Kosten, die durch diese Heterogenität entstehen, sind hoch<br />
und schlagen sich sowohl bei der Entwicklung von neuen<br />
Systemen als auch bei der Wartung nieder. Abgesehen von<br />
großen Projekten kann das Datenmanagement deswegen<br />
häufig nicht in einer angemessenen Form realisiert werden.<br />
Als Folge sind relevante Daten bereits zur Projektlaufzeit<br />
nur eingeschränkt verfügbar. Nach Projektende ist<br />
ein Zugang zu vielen wertvollen Daten in der Regel nicht<br />
mehr möglich.<br />
Dabei stehen heute ausgereifte Lösungen zur Verfügung,<br />
um durch eine Standardisierung des Dienstleistungsangebots<br />
eine deutliche Qualitätsverbesserung und Kostenreduktion<br />
bei der Verfügbarkeit von Daten und Diensten<br />
zu erreichen. So ist zum Beispiel beim Betrieb von Portalen<br />
und bei der Verwaltung von Inhalten der Konsolidierungsprozess<br />
weit fortgeschritten. Ein Portal ist nicht<br />
länger eine einfache Homepage, sondern gestattet vielmehr<br />
einen Zugang zu allen relevanten Daten, Informationen<br />
und Werkzeugen eines Projekts oder einer Einrichtung.<br />
Die Eingabe, Pflege und Gestaltung der projektspezifischen<br />
Inhalte erfolgt über ein Content-<br />
Management-System (CMS), das mit dem Portal-Framework<br />
verzahnt wird.<br />
Das Portal bildet darüber hinaus einen Rahmen für die Einbindung<br />
verschiedener Anwendungen und Dienste, z. B.<br />
über Portlet-Schnittstellen. Dienste können mit geringem<br />
Aufwand in Projektportale eingebunden werden und stehen<br />
den Anwendern mit ausgereiften Funktionsangeboten<br />
zur Verfügung. Moderne Portal-Frameworks bieten eine<br />
Reihe von vorgefertigten Modulen, wie z. B. Terminplanung<br />
und andere Kommunikationsmöglichkeiten (Email)<br />
oder Diskussionsforen. Auch die Standardisierung von<br />
spezifischen Geodatendiensten ist durch die Entwicklung<br />
und Einführung von Geodaten-Infrastrukturen weit fortgeschritten.<br />
Hier bietet sich eine Einbindung von Katalogdiensten,<br />
Up- und Download-Funktionen oder von<br />
Map-Servern als Portlets an. Wichtige wissenschaftliche<br />
Forschungsergebnisse können so in Datenkataloge eingespeist<br />
und so anderen Projektmitgliedern zugänglich gemacht<br />
werden.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
419
420<br />
Zur Implementierung und Validierung der Diensteplattform<br />
wurden mehrere existierende Anwendungen mit<br />
definiertem Funktionsumfang ausgewählt, an Hand derer<br />
die Plattform inkrementell entstehen soll. Diese sind:<br />
• Weltdatenzentrum „Terra“. Zu realisierende Funktionen<br />
sind: Pflege von Inhalten z. B. Nutzungsbedingungen,<br />
Langzeitdatenarchiv mit Katalogdienst, Upund<br />
Download von Daten und Verweissicherung.<br />
• Muster-Projekt-Portal. Zu realisierende Funktionen<br />
sind: Pflege von Inhalten des Projekts, Katalogisierung,<br />
Speicherung und Archivierung von Daten, Kollaboration<br />
von Wissenschaftlern.<br />
• Datenmanagement Services. Zu realisierende Funktionen<br />
sind: Portal mit Nutzungsangeboten, Verzeichnissen,<br />
Statistiken.<br />
• Computing Services. Zu realisierende Funktionen<br />
sind: Portal mit Nutzungsangeboten, Software-Modulen,<br />
Nutzungsstatistiken.<br />
Die Realisierung der eScience-Plattform beinhaltet die<br />
Auswahl und Einführung eines Portal-Frameworks, über<br />
das Dienste und Projektportale unter einer einheitlichen<br />
Bedienoberfläche integriert werden. Für den Aufbau und<br />
die Pflege von Inhalten wird ein CMS installiert. Zur Verwaltung<br />
von textuellen Inhalten und strukturierten Daten<br />
dient ein Datenbankmanagementsystem (DBMS), das<br />
über Features zum Umgang mit Geodaten verfügt. Ein<br />
weiterer Schwerpunkt liegt darin, Standardservices z. B.<br />
Map- und Katalogserver als Portlets verfügbar zu machen.<br />
Die Einführung der Software-Pakete Portal Server, CMS,<br />
Datenbankmanagement soll im Rahmen der oben genannten,<br />
konkreten Anwendungen erfolgen. Auf diese Weise<br />
wird ein Pool von Kompetenzen und von Software-Modulen<br />
erschlossen, der die nachhaltige Nutzung der entwickelten<br />
eScience-Plattform für ein zukunftsorientiertes<br />
Daten-, Informations- und Wissensmanagement sicherstellt.<br />
OSG-ICDP<br />
Seit 1998 werden geowissenschaftliche<br />
Forschungsprojekte sowohl finanziell als<br />
auch operativ vom Internationalen Forschungsbohrprogramm<br />
ICDP (International<br />
Continental Scientific Drilling Program)<br />
unterstützt und durchgeführt.<br />
Dabei ist das <strong>GFZ</strong> Potsdam die zentrale<br />
Schaltstelle dieses Programms, da es<br />
sowohl als Exekutiv-Agentur des ICDP<br />
agiert als auch durch die OSG (Operational<br />
Support Group) am <strong>GFZ</strong> die Bohrprojekte<br />
maßgeblich mitgestaltet. Die<br />
OSG führt wissenschaftlich-technische<br />
Planungen, Schulungen und Operationen<br />
durch, für die sie auch einen inzwischen<br />
umfangreichen Pool von bohrungsbegleitenden<br />
geophysikalischen Geräten<br />
und technischen Ausrüstungen einsetzt<br />
beziehungsweise zur Verfügung stellt. In<br />
den Jahren <strong>2004</strong> und <strong>2005</strong> wurde die bisher größte Anzahl<br />
von Projekten mit Unterstützung der OSG durchgeführt.<br />
Dazu gehören:<br />
• SAFOD Main Hole Phase 1 und 2, Kalifornien, USA<br />
• Lake Bosumtwi, Ghana<br />
• Chesapeake Bay, Virginia, USA<br />
• Lake Qinghai, China<br />
• Donghai CCSD, China<br />
• Iceland Deep Drilling Project, Island<br />
• Hawaii HSDP-2b, USA<br />
• Lake Malawi, Malawi, Ostafrika<br />
• Chelungpu Fault, Taiwan<br />
• Unzen Volcano, Japan<br />
• Mallik Gas Hydrate Research Well, Kanada<br />
• Lake Peten-Itza, Guatemala<br />
Für jede Bohrung wird die technische Durchführung<br />
zusammen mit begleitenden wissenschaftlichen Arbeiten<br />
im Bohrinformationssystem der OSG dokumentiert und<br />
weltweit per Internet zur Verfügung gestellt. Im Folgenden<br />
werden ausgewählte Projekte kurz vorgestellt.<br />
Ein Observatorium in der San Andreas-Störungszone:<br />
„San Andreas Fault Observatory at<br />
Depth“, SAFOD, USA<br />
Die Beobachtung von natürlichen Erdbebenwellen und<br />
Laborexperimente lassen es nur begrenzt zu, die prinzipiellen<br />
Vorgänge bei Brüchen in der Erdkruste zu verstehen<br />
Das SAFOD-Programm zielt daher darauf ab, physikalische<br />
und chemische Prozesse direkt in der Erdbebenzone<br />
in großen Störungszonen an Plattenrändern zu beobachten.<br />
Dazu wird durch die San Andreas-Störungszone,<br />
ein bekanntes Musterbeispiel einer vertikalen Bruchzone<br />
und Plattengrenze, eine abgelenkte Bohrung abgeteuft<br />
und instrumentiert. Damit sollen Erdbebenentstehung, Rissausbreitung,<br />
Spannungsänderungen, Deformation und die<br />
Rolle von Gasen und Tiefenwässern direkt in der Bruch-<br />
Abb. 13: Die Startseite des neuen ICDP Webauftritts (www.icdp-online.org,<br />
screenshot: ICDP)<br />
The homepage of the new ICDP Web site (www.icdp-online.org)<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
zone untersucht werden. Im Jahr 2002 wurde vorbereitend<br />
eine 2,2 km tiefe Pilotbohrung gebohrt und zur genauen<br />
Lokalisierung von Mikrobeben unterhalb von 3 km Tiefe<br />
mit einer Seismometerkette bestückt. Die an der Oberfläche<br />
und unter Tage gewonnenen seismischen Daten wurden<br />
genutzt, um die <strong>2004</strong> begonnene und <strong>2005</strong> fortgesetzte<br />
Hauptbohrung genau in einen Bereich zu lenken, in dem<br />
ständig kleine, sich wiederholende Erdbeben auftreten.<br />
Die Bohrlokation liegt westlich der vertikal verlaufenden<br />
San Andreas-Störungszone in einem Abschnitt, der sowohl<br />
durch aseismisches Kriechen als auch durch die<br />
wiederkehrenden Kleinbeben deformiert wird. Er grenzt<br />
direkt an einen Bereich weiter südlich, in dem sich etwa<br />
alle 25 Jahre Erdbeben der Magnitude Mw = 6 wiederholen.<br />
Zur Beobachtung dieser Beben wurde das Gebiet mit<br />
einem sehr dichten geophysikalischen Messnetz ausgerüstet,<br />
dessen Daten zur hochgenauen Lokalisierung von<br />
SAFOD dienten und für das SAFOD-Experiment genutzt<br />
werden können. Während der Bohrungsphasen wurden die<br />
erbohrten Gesteine kontinuierlich beprobt, gelegentlich in<br />
wichtigen Bereichen Bohrkerne gezogen, sowie ein sehr<br />
ausführliches geophysikalisches Messprogramm im Bohrloch<br />
durchgeführt. Gesteinsproben und gewonnene Fluide<br />
werden detailliert in den beteiligten Labors untersucht.<br />
Das Durchteufen der San Andreas Verwerfung erfolgte in<br />
zwei Phasen.<br />
<strong>2004</strong>, Phase 1:<br />
• Vertikales Abteufen der Bohrung im 17 1/2"- Bohrdurchmesser<br />
bis zur Teufe 1.445 m<br />
• Sichern dieses Abschnittes durch einen 13 3/8"-Rohreinbau<br />
und Zementation<br />
• Ablenken der Bohrung im 12 1/4"-Bohrdurchmesser<br />
in Richtung San Andreas Verwerfung mit Neigungsaufbau<br />
bis 55°<br />
• Sichern des gesamten Bohrlochs durch den Einbau und<br />
die Zementation einer 9 5/8"-Verrohrung<br />
• Beendigung der Bohrarbeiten im 8 1/2"-Bohrdurchmesser<br />
in <strong>2004</strong> in Teufe 3.068 m<br />
• Kerne wurden erbohrt in den Teufenbereichen 1.462<br />
bis 1.470 m sowie 3.056 bis 3.068 m.<br />
• Die Bohrung wurde im vertikalen Abschnitt der 9 5/8"-<br />
Verrohrung mit spezieller Sensorik (Glasfasertechnik)<br />
zur Beobachtung und Messung von Verformungen der<br />
Verrohrung ausgestattet. Gleichzeitig wurden nach<br />
Ende der Bohrarbeiten <strong>2004</strong> eine Vielzahl von Messeinsätzen<br />
in Vorbereitung der geplanten Weiterführung<br />
der Arbeiten <strong>2005</strong> durchgeführt.<br />
<strong>2005</strong>, Phase 2:<br />
Abb.14:Schnitt durch die SAFOD-Hauptund<br />
Pilotbohrung und die San Andreas-<br />
Störungszone. Im Jahr <strong>2004</strong> wurde die im<br />
unteren Bereich abgelenkte Hauptbohrung<br />
3.068 m tief abgeteuft; <strong>2005</strong> wurde<br />
sie auf 3.997 m vertieft. Die Farben im<br />
Hintergrund zeigen die elektrische Leitfähigkeit.<br />
Section across the SAFOD Pilot and Main<br />
well and the San Andreas Fault Zone. The<br />
deviated main well was drilled in the year<br />
<strong>2004</strong> down to 3068 m depth and deepend<br />
in <strong>2005</strong> to 3997 m depth. The background<br />
colors depict the electrical conductivity<br />
along the section.<br />
• Herausbohren aus der Verrohrung im 8 1/2"-Bohrdurchmesser<br />
und Fortführung der Bohrarbeiten in<br />
Richtung der San Andreas Verwerfung mittels Richtbohrtechnik<br />
unter Beibehaltung der Bohrlochneigung<br />
von ca. 55°<br />
• Durchbohren der Bereiche der San Andreas-Verwerfung<br />
unter Anwendung spezieller bohrtechnologischer<br />
Abläufe und Techniken zur Beherrschung der gebirgsbedingten<br />
Schwierigkeiten wie Instabilitäten, massive<br />
Bohrlochrandausbrüche, Bohrkleinaustragsprobleme,<br />
Festwerden des Bohrstrangs usw.<br />
• Für das Durchbohren der San Andreas-Verwerfung<br />
war der kontinuierliche Einsatz von LWD (Logging<br />
While Drilling)-Messtechnik im Bohrstrang vorgesehen,<br />
der jedoch aus Sicherheitsgründen und zur Risikominimierung<br />
nur temporär durchgeführt wurde.<br />
• Ende der Bohrarbeiten bei 3.997 m Teufe<br />
• Sichern des gesamten Bohrlochbereiches durch den<br />
Einbau und die Zementation einer 7"-Verrohrung<br />
• Kerne wurden erbohrt im Teufenbereich 3.989 bis<br />
3.997 m.<br />
• Abschlussarbeiten, Sichern der Bohrung (Fußzementation<br />
bis 3.927 m Teufe) und Vorbereitungen für die<br />
geplante Weiterführung der Arbeiten 2007<br />
Die Projektphasen 1 und 2 des SAFOD-Projekts konnten<br />
erfolgreich und mit Erfüllung der wissenschaftlich-technischen<br />
sowie finanziellen Vorgaben abgeschlossen werden.<br />
Die Operational Support Group (OSG) am <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
hat dabei folgende wichtige Aufgaben ausgeführt und mit<br />
ihrer Tätigkeit wesentlich zum Gelingen des Projekts beigetragen:<br />
• Operative Aufsicht und Controlling der bohrtechnischen<br />
Arbeiten<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
421
422<br />
Abb. 15: SAFOD-Bohranlage (Foto: L. Wohlgemuth,<br />
<strong>GFZ</strong>)<br />
Drill Rig of the SAFOD-Project<br />
• Installation und Betrieb des Datenmanagementsystems<br />
DIS<br />
• Durchführung von Bohrlochmessungen <strong>2004</strong><br />
• Planung und Koordinierung aller Aktivitäten zur Entwicklung<br />
und zum Einsatz der Ausrüstungen für geophysikalische<br />
und geowissenschaftliche Langzeitmessungen<br />
in der Bohrung<br />
2007 werden bis zu vier einige hundert Meter lange Kernbohrstrecken<br />
in verschiedenen Teufenbereichen aus der<br />
Hauptbohrung heraus durch den Bereich der Bruchzonen<br />
gebohrt, ausführlich vermessen und schließlich mit einem<br />
Dauerbeobachtungsmessstrang ausgerüstet. Dazu ist es<br />
erforderlich, die Verrohrung der Bohrung von innen heraus<br />
aufzufräsen um anschließend durch diese „Fenster“<br />
(Window Cutting) mit spezieller Bohrtechnik Kerne zu<br />
gewinnen.<br />
Für einen Zeitraum von mindestens 15 Jahren sollen dann<br />
erstmals kontinuierliche Messungen in dieser aktiven Bruchzone,<br />
genau am Ort der Erdbeben neue Aufschlüsse über<br />
ihre Entstehung und Wiederholung durchgeführt werden.<br />
Das Lake Bosumtwi Drilling Project<br />
Der Bosumtwi-Krater in Ghana ist eine etwa 11 km großer<br />
kesselförmige Impaktstruktur, die nahezu komplett<br />
vom bis zu 70 m tiefen Bosumtwi-See gefüllt ist. Der Krater<br />
ist durch den Einschlag eines Meteoriten vor 1,07 Mio.<br />
Jahren entstanden und wird seitdem kontinuierlich mit<br />
Sedimenten aufgefüllt. Er ist einer der jüngsten und sehr<br />
Abb.16:Bohrarbeiten: 26"-Meiselwechsel (Foto: L. Wohlgemuth,<br />
<strong>GFZ</strong>)<br />
Drilling: 26"-Bit change<br />
gut erhaltenen Krater mit zentraler Aufwölbung. Das Ziel<br />
der im Sommer <strong>2004</strong> durchgeführten Forschungsbohrungen<br />
in diesem See war zum einen die Erforschung des<br />
Impaktkraters, seiner Gesteinseinheiten, Strukturen und<br />
Alterationen und zum anderen die durchgängige Beprobung<br />
der Seesedimente, die die tropische Klimavariabilität<br />
der letzten eine Million Jahre enthalten. Der See liegt<br />
innerhalb des jahreszeitlichen Pfades der innertropischen<br />
Konvergenzzone. Während des Sommers wandert diese<br />
Zone nach Norden und bringt starken Monsunregen mit<br />
Südostwinden vom Atlantik. Im Winter wandert diese<br />
Zone nach Süden und bringt trockene, staubreiche Saharaluft.<br />
Der hohe Kraterrand schließt den See vom Umfeld<br />
ab, dadurch enthält das See-Sediment ein sehr sensitives<br />
Archiv der Niederschläge und der Verdunstung.<br />
Von Juli bis Oktober <strong>2004</strong> wurden 16 Bohrlöcher an 6 Lokationen<br />
abgeteuft, die einen Gesamtkerngewinn von<br />
2,2 km Länge erbrachten. Die Impaktstruktur wurde mit<br />
einem 450 m und einem 540 m tiefen Bohrloch beprobt<br />
und sowohl mit seismischen Experimenten als auch mit<br />
geophysikalischen Bohrlochmessungen (siehe unten)<br />
untersucht. Impaktgesteine, überprägte Brekzien und das<br />
präkambrische, stark gestörte Grundgebirge konnten aus<br />
den Bohrlöchern gewonnen werden. Die Daten werden<br />
genutzt, um zum Beispiel die dreidimensionale Struktur,<br />
die Magnetisierung, oder die thermische Überprägung zu<br />
modellieren.<br />
Die 14 Sedimentbohrungen ermöglichten die komplette<br />
Beprobung der bis zu 300 m mächtigen Ablagerungen bis<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
zu Impaktgläsern im Bohrlochtiefsten.<br />
Die untersten Sedimente enthalten bereits<br />
bioturbate, hellgraue Tonschlämme, die<br />
eine frühe Bildung eines Sees implizieren.<br />
Aus dem Bereich darüber wurden<br />
überwiegend stark laminierte graubraune<br />
Tone sowie gelegentlich Sandlagen aus<br />
ehemals ufernahen Bereichen gewonnen,<br />
die eine starke Seespiegelschwankungen<br />
über lange Zeiten dokumentieren.<br />
Die OSG-Aktivitäten umfassten neben der<br />
Unterstützung der operativen Planung und<br />
Durchführung der Bohrungsarbeiten unter<br />
anderem auch geophysikalische Bohrlochmessungen<br />
und die Organisation eines<br />
Trainingsprogramms vor Ort in Ghana und eines praktischen<br />
Trainings anhand des Kernmaterials am <strong>GFZ</strong> Potsdam.<br />
Unter dem Generalthema „Die Tiefbohrung als geologischer<br />
Aufschluss“ bietet die Operational Support Group<br />
des ICDP ein Trainingsprogramm an, in dem alle Belange<br />
eines wissenschaftlichen Bohrprojekts von der Planung<br />
und Strukturierung, dem Projektmanagement und der<br />
technischen Realisierung bis hin zur Probenbearbeitung<br />
und wissenschaftlichen Auswertung behandelt werden.<br />
Das Training richtet sich an Wissenschaftler und Techniker,<br />
welche an der Planung oder Durchführung von wissenschaftlichen<br />
Bohrungen beteiligt sind.<br />
Das Standard-Trainingsprogramm umfasst zurzeit folgende<br />
10 Kurse:<br />
• Planning and Managing of a Scientific Drilling Project<br />
• Information and Data Management<br />
• Fundamentals of Drilling Technology<br />
• The Principles of Drilling Fluid Technology<br />
• Borehole Stability<br />
• Hydraulic Testing/Fluid Sampling<br />
• Wellsite Geology<br />
• Petrophysical Investigation of Cores and Cuttings<br />
• Basic Borehole Logging and Interpretation<br />
• Log Interpretation in the Non-Hydrocarbon Environment<br />
Durch Hinzuziehung von Fachleuten aus Industrie und<br />
Wissenschaft ist die OSG bemüht, die Trainingsprogramme<br />
den Besonderheiten der jeweiligen aktuellen Bohrprojekte<br />
anzupassen. In den Jahren <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> war das<br />
Bosumtwi Crater Drilling Project (BCDP) der Themenschwerpunkt<br />
für verschiedene Trainingsveranstaltungen<br />
der OSG. Zunächst fand im September <strong>2004</strong> ein einwöchiger<br />
Trainingskurs in Ghana am Lake Bosumtwi statt.<br />
Hierzu wurde das generelle Programm um zusätzliche<br />
Themenpunkte erweitert:<br />
• Technical Planning and Initiating a Lake Drilling Project<br />
• Handling of Cores in Particular Lake Sediment Cores<br />
• Excursion to the Drilling Barge GLAD 800<br />
Abb. 17: Blick in das Auditorium (Foto: J. Kück, <strong>GFZ</strong>)<br />
A view in the auditorium<br />
Insgesamt 35 Teilnehmer aus 8 Ländern nahmen an diesem<br />
Kurs teil, darunter 14 Wissenschaftler und Studenten<br />
aus Ghana. Ein besonderes Interesse fanden die Inhalte<br />
dieses Trainings bei den Kollegen aus den Planungsgruppen<br />
des Lake Qinghai-, wie auch des Lake Peten-Itza-<br />
Bohrprojekts. Beide Projekte befanden sich zu der Zeit in<br />
der „heissen“ Planungs- und Vorbereitungsphase. Da bei<br />
beiden Projekten die wissenschaftlichen Fragestellungen<br />
denen des Bosumtwi Projekts ähnelten und somit alle drei<br />
Projekte ein ähnliches technisches Konzept verfolgten,<br />
führte dieses Training zu einem intensiven Informationsaustausch.<br />
Als zweite Trainingsveranstaltung wurde für die exakte<br />
wissenschaftliche Erstbearbeitung ein praktisches Training<br />
als „On-site Core Handling and Analysis; Logging<br />
and Scanning of Drill Cores“ vom 18. 11. bis 19. 12. <strong>2004</strong><br />
im Bosumtwi-Kernlager am <strong>GFZ</strong> Potsdam durchgeführt.<br />
Sieben Wissenschaftler vom laufenden Bosumtwi-Projekt,<br />
von der Planungsgruppe des Lake Qinghai- und Lake<br />
Peten-Itza-Projekts nahmen daran teil und wurden in die<br />
Erstbearbeitung von Bohrkernen, wie sie üblicherweise an<br />
der Bohrlokation stattfindet, eingewiesen. Geologische<br />
Erstbeschreibung von Bohrkernen, Inventarisierung, Kernfotografie<br />
und Kernscannen, sowie die physikalische Vermessung<br />
der Bohrkerne mit dem Multi-Sensor-Core-Logger<br />
der Firma GEOTEK waren die Themen dieses Kurses.<br />
Abb. 18: Exkursion auf die Bohranlage GLAD800 (Foto:<br />
Th. Wöhrl, <strong>GFZ</strong>)<br />
Excursion to the drilling rig GLAD800<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
423
424<br />
Abb. 19: Einführung in die Arbeit mit dem Multi-Sensor<br />
Core Logger (Foto: R. Conze, <strong>GFZ</strong>)<br />
Introduction in the function of the Multi-Sensor Core<br />
Logger<br />
Abb. 20: Scannen der Bohrkerne (Foto: Ch. Köberl, Uni<br />
Wien)<br />
Scanning of the drill cores<br />
Für die von der OSG zusätzlich organisierte<br />
Probenparty im Januar <strong>2005</strong> wurden<br />
mehr als 500 m Kerne in Proben- und<br />
Archivhälften halbiert und zur Bemusterung<br />
ausgelegt. Mehr als 640 Probenwünsche<br />
wurden registriert, abgeglichen<br />
und alle angeforderten Proben an die<br />
jeweiligen Wissenschaftler unmittelbar<br />
danach verschickt. An-schließend wurden<br />
die Kerne am <strong>GFZ</strong> Potsdam eingelagert<br />
und stehen nun dem Bosumtwi-Team<br />
zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung.<br />
Die OSG plante und führte im Bosumtwi-See<br />
erstmalig ein umfangreiches<br />
Programm von Bohrlochmessungen in<br />
einem See von einer Barke aus durch. Die<br />
Ergebnisse der Messungen dienten sowohl<br />
der Teufenzuordnung des erbohrten<br />
Kernmaterials als auch insbesondere dem<br />
kontinuierlichen Gewinn einer anderwei-<br />
Abb. 21: Probenparty im Kellerflur des <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
(Foto: ICDP)<br />
Sampling party in the corridor of the <strong>GFZ</strong> basement<br />
tig nicht erhältlichen Datenreihe und damit auch der Überbrückung<br />
von Kernverlusten. Für die Messungen wurde<br />
die komplette für kleine Bohrungen geeignete Ausrüstung<br />
der OSG inklusive einer Winde mit Kabel nach Ghana verschifft<br />
und eingesetzt.<br />
Die gewonnenen Loggingdaten wurden im <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
einem Quality-Check, einer Tiefenkorrektur und einem<br />
Pre-Processing (Sonic Velocity Picking, Image Enhancement<br />
& Structure Picking, DIP-Berechnung) unterzo-<br />
Abb. 22: Bosumtwi-Kernlager im <strong>GFZ</strong> Potsdam (Foto: Th. Wöhrl)<br />
Bosumtwi core storage at <strong>GFZ</strong><br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
gen. Die OSG verwendete hierzu sowohl die Software<br />
‚Geobase‘ des Sondenherstellers Antares, Stuhr, als auch<br />
die Software ‚WellCAD‘ (Fa. ALT, Luxemburg), welche<br />
im Flachbohrungsbereich weit verbreitet ist. Anschließend<br />
wurden alle bearbeiteten Daten den beauftragenden<br />
Wissenschaftlern des Projekts im ASCII-Format<br />
übergeben oder, bei multidimensionalen Daten (Sonic<br />
Waveforms, Images) im loggingüblichen LIS-Format. In<br />
letzter Zeit wurden zusätzlich auch die WellCAD Graphik-Files<br />
herausgegeben, da sie sich als Standard für<br />
eine schnelle Durchsicht der Loggingdaten hervorragend<br />
bewährt haben. Neben der direkten Übergabe werden die<br />
Daten auch im jeweiligen Projekt-Drilling Information<br />
System (via ICDP-Web-Page) allen am Projekt beteiligten<br />
Wissenschaftlern passwortgeschützt zur Verfügung<br />
gestellt.<br />
Abb. 23: Resultate der Bohrlochmessungen in der Meteoritenkrater-Bohrung BCDP8, Lake Bosumtwi, Ghana, im<br />
Abschnitt 255 bis 305 m. C1&C2: Bohrlochkaliber, DEVI/AZIM: Bohrlochneigung & -azimut, GRS: total Gammaaktivität,<br />
Vp/Vs: seism. P- & S-Wellengeschwindigkeit, Sus: magnet. Suszeptibilität, Ftot: magnetische. Totalintensität,<br />
Televiewer: akustisches Abbild der Bohrlochwand, Structures: Dip und Dip-Richtung von im Televiewerbild gepickten<br />
Sinusstrukturen, Th, K, U: Gehalt an Thorium, Kalium & Uran.<br />
Composite downhole log from the impact borehole BCDP8, Lake Bosumtwi, Ghana, section 255 to 305 m. C1&C2:<br />
borehole calipers, DEVI/AZIM: borehole deviation & azimuth, GRS: total gamma activity, Vp/Vs: seismic P- & S-wave<br />
velocities, Sus: magnetic susceptibility, Ftot: magnetic field total intensity, Televiewer: acoustic image of the borehole<br />
wall, Structures: dip & dip direction of sinus structures picked from the televiewer image, Th, K, U: content of Thorium,<br />
Kalium & Uran.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
425
426<br />
Tab. 2: Technische Spezifikation der speziellen Slimhole Logging Ausrüstung der ICDP Operational Support Group<br />
im <strong>GFZ</strong> Potsdam (Details unter http://www.icdp-online.org).<br />
Technical specifications of the slimhole logging equipment used by the ICDP Operational Support Group at <strong>GFZ</strong><br />
Potsdam.<br />
Sondenname Spezifikationen:<br />
Messparameter Tmax/Pmax/Ø/Länge/Gewicht<br />
TS<br />
Telemetrie, total GR, Bewegungssensor 150 °C/80 MPa/43 mm/1,4 m/7 kg<br />
DLL<br />
elektrische Resistivität: deep & shallow 150 °C/80 MPa/43 mm/2,3 m/13 kg<br />
BS<br />
Full Waveforms, Vp, Vs 150 °C/80 MPa/52 mm/4,50 m/32 kg<br />
SGR<br />
GR Spektrum: U, Th, K, total GR 150 °C/80 MPa/52 mm/1,4 m/15 kg<br />
MS<br />
magnetische Suszeptibilität 150 °C/80 MPa/52 mm/1,9 m/8 kg<br />
DIP<br />
Bohrlochgeometrie: Kaliber, Neigung & Azimuth,<br />
Magnetfeld, Strukturlog 150 °C/80 MPa/52 mm/3,0 m/13 kg<br />
FAC40<br />
akustisches Bohrlochwandabbild 70 °C/16 MPa/40 mm/ 2,3 m/12 kg<br />
FS<br />
In-Situ Fluidprobennahme, 600 cm 3 ,<br />
Positive Displacement Typ 180 °C/100MPa/43 mm/3,9 m/30 kg<br />
MW2000 1,2 x 1,3 x 0,8 m, 600 kg, Leistung 1,5 kW, 220 V<br />
Logging Winde: 2.000 m 3/16" Geschwindigkeitsbereich: 0,8 bis 45 m/min<br />
4-Ader Kabel, GO4 Kabelkopf<br />
Das ICDP Datenmanagementsystem DIS in Ozeanbohrungen<br />
Von August bis November <strong>2004</strong> wurde auf der Arctic<br />
Coring Expedition (ACEX) am Lomonosov-Rücken im<br />
Arktischen Ozean das neu entwickelte Offshore Drilling<br />
Information System (OffshoreDIS) erstmals eingesetzt<br />
(Conze et al., <strong>2004</strong>). ACEX war die erste Mission Specific<br />
Platform (MSP)-Expedition des Integrated Ocean Dril-<br />
Abb. 24: Die vollständige, transportbereite Slimhole-<br />
Sondenausrüstung: geringes Gewicht und Volumen bei<br />
hoher Leistungsfähigkeit. (Foto: J. Kück)<br />
The complete slimhole equipment ready for shipping: low<br />
weight and volume, high efficiency.<br />
ling Program (IODP), die von dem European Consortium<br />
for Ocean Research Drilling (ECORD) finanziert wurde.<br />
Der British Geological Survey bildet dabei mit der Universität<br />
Bremen und dem European Petrophysics Consortium<br />
den ECORD Science Operator (ESO) – vergleichbar<br />
mit der Operational Support Group ICDP.<br />
Die MSP Expeditionen des IODP haben sehr ähnliche<br />
Anforderungen an das Datenmanagement und bewegen<br />
Abb. 25: Logging Winde MW2000 speziell für Slimhole-<br />
Sondeneinsätze bis in mittlere Tiefen (2000 m 4-adriges<br />
Kabel 3/16") beim Einsatz auf der Drilling Barge<br />
GLAD800 auf dem Lake Bosumtwi, Ghana. (Foto: J.<br />
Kück)<br />
Logging winch MW2000 for slimhole logging operations<br />
to medium depths (2000 m 4-conductor cable 3/16") on<br />
drilling barge GLAD800 on Ghana.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
sich dabei in sehr ähnlichem Umfeld wie die Seebohrungen,<br />
die von dem International Continental Scientific Drilling<br />
Program (ICDP) durchgeführt werden. Beide Organisationen<br />
benötigen ein mobiles und flexibles System zur<br />
Datenerfassung und -verwaltung. Dieses System muss<br />
schnell auf klein- bis mittelgroßen Bohrplattformen für<br />
die Datenerfassung an Bord installiert werden. Anschließend<br />
wird es an Land in Kernlagern und Laboratorien für<br />
die Erfassung der wissenschaftlichen Auswertung und<br />
Beprobung verwendet. Aus diesen Gründen hat sich ESO<br />
entschlossen, das existierende Drilling Information System<br />
(DIS) des ICDP für ihre Belange anpassen bzw. erweitern<br />
zu lassen. Diese Aufgabe wurde federführend von<br />
dem OSG Daten- und Informations-Management über-<br />
Abb.26:Der Flottenverband – das Bohrschiff Vidar Viking,<br />
das Laborschiff Oden und der Eisbrecher Sovetskiy Soyuz<br />
(alle Bilder: IODP)<br />
The fleet convoi – the drill ship Vidar Viking, the lab ship<br />
Oden and the icebreaker Sovetskiy Soyuz<br />
nommen, die Firma smartcube GmbH Berlin hat dabei als<br />
Subcontractor das Software Engineering übernommen.<br />
Die Offshore Phase<br />
Entsprechend der ACEX-Bohrplattform und dem Arbeitsablauf<br />
an Bord wurde das ACEX-OffshoreDIS für den<br />
Einsatz in der Arktik konfiguriert. Mit einem Verband von<br />
drei Eisbrechern (Vidar Viking, Oden und Sovetskiy Soyuz,<br />
Abb. 26) wurden mehrere Lokationen entlang der Lomonosov<br />
Ridge im arktischen Ozean erbohrt. Auf dem Bohrschiff<br />
Vidar Viking wurden die Bohrkerne dokumentiert<br />
(Abb. 27) und mit dem GeoTek MultiSensor CoreLogger<br />
petrophysikalisch vermessen. Einige Proben und die Core<br />
Catcher-Kerne wurden auf das Laborschiff Oden gebracht,<br />
wo diese lithologisch beschrieben und biostratigraphisch<br />
untersucht wurden.<br />
Das OffshoreDIS-Netzwerk verband dabei die beiden<br />
Schiffe. Auf den Schiffen war jeweils ein lokales, teilweise<br />
verkabeltes Netzwerk installiert worden. Zwischen den<br />
Schiffen lief der Datentransfer über Wireless LAN (WLAN).<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
427
428<br />
Abb. 27: Der Datenkurator im Kernlabor der Vidar Viking<br />
(Bild: IODP)<br />
The data curator in the core curation laboratory of the<br />
Vidar Viking<br />
Sowohl auf der Vidar Viking als auch auf der Oden waren<br />
jeweils identische DIS-Server installiert, die über die<br />
WLAN-Verbindung ständig synchronisiert und repliziert<br />
wurden.<br />
Die Onshore Phase<br />
Wissenschaftler aus zehn Ländern kamen im November<br />
<strong>2004</strong> im Bremer Core Repository (BCR) zusammen. Dort<br />
Abb. 28: Bearbeitung und Beprobung der ACEX-Kerne im<br />
Bremer Core Repository. (Bild: ICDP)<br />
Documentation and sampling of ACEX cores at the Bremen<br />
Core Repository<br />
bearbeiteten sie die 340 Meter Kerne. Die Kerne wurden<br />
längs in zwei Hälften gespalten, daran wurden ausgewählte<br />
Messungen durchgeführt (lithologische Beschreibung,<br />
digitale Scans, Farbreflektion, petrophysikalische<br />
Eigenschaften und Biostratigraphie) und annähernd 8.000<br />
Proben genommen (Abb. 28).<br />
Entsprechend wurde das ACEX OnshoreDIS erweitert:<br />
Erfassung großer Mengen an Proben und Probenserien,<br />
Import von Kernübersichtsaufnahmen und der digitalen<br />
Linescanbilder, die visuellen Kernbeschreibungen, zusätzliche<br />
Datenpumpen und Druckreports.<br />
Tahiti Sea-Level Expedition <strong>2005</strong> (IODP)<br />
Nach Auswertung der gesammelten Erfahrungen wurde<br />
umgehend die zweite MSP-Expedition nach Tahiti vorbereitet.<br />
Von September bis November <strong>2005</strong> wurden mit der<br />
zum Bohrschiff umgebauten Deep Hunter (Abb. 29) rund<br />
um Tahiti an 22 Lokationen 37 Löcher gebohrt und insgesamt<br />
632 m Kerne von Korallenriffen gewonnen und<br />
mit dem OffshoreDIS erfasst.<br />
Abb. 29: Das Bohrschiff Deep Hunter vor der Küste Tahitis.<br />
(Bild: IODP)<br />
The drill ship Deep Hunter off Tahiti's coast (Fig: IODP)<br />
Weitere Entwicklungen<br />
Diese Zusammenarbeit mit IODP hat dazu geführt, dass<br />
zum einen die künftigen MSP-Expeditionen des IODP und<br />
die Probenverwaltung im Bremer Core Repository mit<br />
dem Off/OnshoreDIS dokumentiert werden. Zum anderen<br />
wird das gleiche OffshoreDIS nun auch bei ICDP-<br />
Bohrungen eingesetzt, das heißt, dass IODP und ICDP<br />
Projekte den gleichen Datenstandard verwenden. Dadurch<br />
ist die wichtigste Voraussetzung für die Integration von<br />
ICDP-Daten- und Probenarchiven geschaffen. In naher<br />
Zukunft wird es ein allgemeines Datenportal Scientific<br />
Earth Drilling Services SEDIS (Miville and Soeding,<br />
2006) geben, das einen nutzerfreundlichen Zugang zu<br />
IODP und ICDP Daten bereitstellen wird (Abb. 30). Das<br />
Offshore Datenmanagement wird daher von dauerhaften<br />
Vorteil für IODP und ICDP sein, es wird bei künftigen<br />
gemeinsamen IODP-ICDP Projekten, wie dem New Jersey<br />
Coastal Plain Drilling Project im Sommer 2006 zum<br />
Einsatz kommen.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Abb. 30: Schematische Ansicht des IODP-Daten-Management. Die Daten werden durch die IODP Implementing Organizations<br />
gesammelt und unter einem gemeinsamen Portal vereint. Unter diesem Portal können dann auch ICDP-Daten<br />
aufgefunden werden. (Abb. IODP)<br />
Schematic view of IODP data management. Data are collected by the IODP Implementing Organizations and integrated<br />
into a common portal. Lateron ICDP data can be found beneath the same portal.<br />
Langzeitbeobachtung – neue Verfahren für die Datengewinnung<br />
in wissenschaftlichen Bohrungen<br />
Die Langzeitbeobachtung von aktiven geologischen Prozessen<br />
ist ein Schwerpunkt bei wissenschaftlichen Bohrprojekten.<br />
Der dafür erforderliche Langzeiteinsatz von<br />
Messgeräten unter erschwerten Betriebsbedingungen stellt<br />
eine neue Herausforderung für deren Betrieb und Entwicklung<br />
dar. Geeignete Systeme stehen der Wissenschaft<br />
heute noch nicht am Markt serienreif zur Verfügung. Im<br />
Rahmen des ICDP werden zurzeit mehrere wissenschaftliche<br />
Projekte verfolgt, die das Erbohren und In-Situ-<br />
Beobachtungen von physikalischen und chemischen Prozessen<br />
vor, während und nach dem Eintreten von seismischen<br />
Aktivitäten zum Ziel haben. Am Beispiel des<br />
SAFOD-Projekts (San Andreas Observatory at Depth) in<br />
Parkfield/USA hat die Planungsphase für die Entwicklung<br />
entsprechender Monitoring Arrays begonnen und wird<br />
unter Federführung und Projektleitung seitens der OSG<br />
am <strong>GFZ</strong> Potsdam bis 2007 mit der Fertigstellung und dem<br />
Einbau eines fünfstufigen permanenten Monitoringstrangs<br />
abgeschlossen sein.<br />
Stand der Technik<br />
Der Betrieb von Langzeit-Tiefenobservatorien über mehrere<br />
Jahre in Bohrlöchern stellt eine Herausforderung an<br />
Entwicklungsingenieure und Herstellerindustrie von elektronischen<br />
Komponenten gleichermaßen dar und ist in keinem<br />
Fall vergleichbar mit der heutigen Technologie aus<br />
der Kabelmesstechnik bei Öl- und Gasbohrungen. In eine<br />
Bohrung am Kabel eingefahrene, klassische Logging-<br />
Messgeräte verbleiben üblicherweise sehr kurz oder nur<br />
für wenige Stunden unter den extremen Bedingungen und<br />
können danach sofort wieder gewartet und kalibriert werden.<br />
Permanente Monitoring Systeme verbleiben im Bohrloch<br />
und müssen daher auf lebenslange Standzeiten konstruiert<br />
und ausgelegt werden. Hauptaugenmerk bei der Entwicklung<br />
von derartigen Messsystemen liegt auf elektrischer<br />
und mechanischer Robustheit (Reliability), Wiederholbarkeit<br />
der Messergebnisse (Repeatability) und System-Doppelgleisigkeit<br />
(Redundancy); Kriterien die man<br />
auch aus der Reaktor-, Luft- und Raumfahrttechnik kennt.<br />
Im Gegensatz zu den bemerkenswerten Technologiesprüngen<br />
der letzten Jahre auf dem Gebiet der Bohr- und<br />
Kabelmesstechnik, wurden vergleichsweise wenige Innovationen<br />
auf dem Gebiet des Langzeit-Monitorings erzielt.<br />
Sogar in der Öl- und Gasindustrie wurden nach erfolgreicher<br />
Einführung von Horizontalbohrtechnik und intelligenten<br />
Förderverfahren wenig auf dem Gebiet der Langzeit-Beobachtungen<br />
geforscht und entwickelt. Erste Konzepte<br />
von instrumentierten Futterrohren und „Smart Wells“<br />
kamen nicht über ihre Experimentalstufe hinaus und wurden<br />
letztlich aus technischen und folglich wirtschaftlichen<br />
Gründen nicht weiter verfolgt. Einzige Ausnahme war die<br />
obertägige 4D-Seismik, auch Time-Lapse-Seismics genannt,<br />
mit dem Ziel der Beobachtung dynamischen Entölungsverhaltens<br />
von Kohlenwasserstoff-Lagerstätten.<br />
Bis heute waren Beobachtungen aus tiefen Bohrlöchern der<br />
Wissenschaft lediglich über einige wenige, einfache Messverfahren<br />
zugänglich, wie Druck und Temperatur, Probenahmen<br />
und Seismometer-Aufzeichnungen über analoge<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
429
430<br />
Abb. 31: Messung der Temperaturprofil-Verteilung – DTS<br />
über Glasfaserkabel hinter dem Casing an der Mallik-<br />
Gashydrat-Bohrlokation in Kanada (http://mallik.icdponline.org,<br />
Foto Jan Henninges, <strong>GFZ</strong>)<br />
Measurement of the temperature profile – DTS fiber optic<br />
cable behind casing in the mallik gas hydrate drilling<br />
location<br />
elektrische Kabel. Der begrenzte Messbereich und die<br />
Anfälligkeit derartiger Meßsysteme inspirierten die Ingenieurwissenschaften<br />
zu einem Messverfahren, das in der<br />
Bau- und Luftfahrtindustrie schon seit Jahren mit Erfolg<br />
eingesetzt wird: analoge Sensorik aus Glasfasermaterialien.<br />
Heute können Glasfaserkabel neben Temperatur und<br />
Druck bereits Spannungszustände und Beschleunigungen<br />
unter Bedingungen von T > 200 °C und mehreren Tausend<br />
Bar über einen sehr langen Zeitraum ohne erkennbare<br />
Minderung der Messwertstabilität erfassen.<br />
Einige ICDP-Projekte benutzen schon seit Jahren mit großem<br />
Erfolg die „behind casing“-Messtechnologie, z. B.<br />
das Hawaii-Vulkanbohrprojekt, das Mallik-Gashydratprojekt<br />
und das Störungszonen-Bohrprojekt am Golf von<br />
Korinth. Die Sensorik lieferte auch nach Jahren eine<br />
zuverlässige Datenerfassung aus dem Bohrloch.<br />
Neue Entwicklungen besonders für Störungszonen-Bohrprojekte<br />
Die Entwicklung hochgenauer Monitoring Mess-Sensoren<br />
werden zurzeit verstärkt im Hinblick auf die besonders<br />
unwirtlichen Betriebsbedingungen in CO2-Speicherpro-<br />
Abb. 32: Schematische Darstellung einer Skizze von zementierten<br />
Casing-Rohrtouren (teilweise aus Illustrationsgründen<br />
transparent gezeichnet). Der innere Casing ist außen<br />
mit permanenten Sensoren vom Typ-1 bestückt. Glasfaserkabel<br />
sind rot, elektrische Kabel gelb und Hydraulikleitungen<br />
weiß gehalten. Innerhalb dieses letzten zementierten<br />
und instrumentierten Casing befindet sich das am Kabel<br />
oder Gestänge eingefahrene Monitoring Meßsystem vom<br />
Type-2, bestehend beispielsweise aus Neigungs- und Spannungsmesssensoren,<br />
Druck- und Temperaturgeber, elektrokinetische<br />
Sensoren oder auch Seismometer der klassischen<br />
Bauart. Das Messkabel oder Gestängestrang ist ziehbar aus<br />
Gründen des Ausbaus des Observatoriums um Kalibrierungen,<br />
Reparaturen oder Nachrüsten des Mess-Sensorik durchführen zu können. Perforationen am Aussen-Casing<br />
ermöglichen auch die Beobachtung von Fluidmigrationen und Probenahmen nach Obertage.<br />
Conceptual design of the casing scheme with permanently installed type-1 sensors (casing is partially drawn transparent).<br />
Lines indicate Fiber optic: red, Electrical: yellow, Hydraulic: white. Inside the casing is a retrievable type-2 sensor<br />
package.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
jekten und tiefen Erdbebenbeobachtungsbohrungen<br />
vorangetrieben. Die Langzeit-<br />
Beobachtungen von In-Situ-Gebirgsspannungen,<br />
Plattenbewegungen und Fluidmigrationen<br />
in den Störungszonen ist im<br />
besonderen ein Schwerpunkt des ICDPgeförderten<br />
SAFOD-Projekts und des<br />
Chelungpu-Projekts in Taiwan.<br />
Die typischen Entwicklungswege von<br />
Systemen für derartige Anforderungen<br />
kann man in zwei modularen und sich<br />
ergänzenden Strategien zusammenfassen.<br />
Typ-1 sind permanent hinter dem Casing<br />
installierte und in Zement eingebettete,<br />
passive Messsensoren. Sie sind üblicherweise<br />
von einfachster Bauweise, um ihr<br />
Überleben während des Einbaus der<br />
Rohre zu gewährleisten und bestehen deshalb<br />
vornehmlich aus Materialien wie Glasfaser, oder analogen<br />
elektrischen Kabeln oder ggf. auch aus Hydraulikleitungen<br />
nach Übertage. Ihre hervorragende Langzeitstabilität<br />
erkauft man jedoch in der Regel mit einer limitierten<br />
Messauflösung und manchmal mit einer Einbusse<br />
an Messwertstabilität.<br />
Typ-2 sind halb-permanente, innerhalb des letzten Casings<br />
installierte Beobachtungsgeräte die ggf. auch aus dem<br />
letzten Casing ein kurzes Stück in eine offene Bohrlochsektion<br />
hineinragen können. Diese meist Hochpräzisionssysteme<br />
sind für einige Jahre im Tiefeneinsatz ausgelegt<br />
und werden entweder am Kabel, Coil Tubing oder<br />
am Gestängestrang in das Bohrloch eingefahren und auf<br />
gleichem Weg am Ende des Messeinsatzes wieder ausgebaut.<br />
Derartige Observatorien können von Obertage stets<br />
mit Energie versorgt werden und dadurch digital mit sehr<br />
viel höherer Auflösung Messbeobachtungen durchführen<br />
und in Echtzeit die Daten nach Obertage übermitteln. Die<br />
Nabelschnur nach Obertage erlaubt auch, das Mess-<br />
Observatorium im Bohrloch jederzeit neu zu positionieren,<br />
um so eine räumlich höhere Auflösung der Geosphäre<br />
zu ermöglichen.<br />
Das Permanente Tiefenobservatorium in der SAFOD-<br />
Hauptbohrung<br />
Das San Andreas Fault Zone Obervatory at Depth in Parkfield/USA<br />
besteht aus einer 2002 abgeteuften Pilotbohrung<br />
und einer im Sommer <strong>2005</strong> abgeteuften Hauptbohrung.<br />
Diese durchstieß im Sommer <strong>2005</strong> mit einer Neigung<br />
vom 55° die San Andreas Störung in einer Teufe von<br />
ca. 3.000 m in West-Ost Richtung.<br />
Nach der geplanten dritten Bohrphase im Sommer 2007,<br />
in der eine Reihe von 4 bis 5 aus dem Hauptloch abgelenkte<br />
Kernstrecken den Entstehungsort von Erdbeben<br />
anfahren und einen Kern zutage bringen sollen, wird ein<br />
permanentes fünfstufiges Beobachtungsobservatorium<br />
vom Typ-2 am Gestänge installiert, bestehend aus jeweils<br />
3C-Geophonen und 3C-Accelerometer und einem Tilt-<br />
Abb. 33: Permanentes Monitoring Array für die SAFOD-Hauptbohrung mit<br />
5 Messstationen und mechanisch ausfahrbaren Ankerarmen zur Positionierung<br />
im Bohrloch sowie einem 7" Casing Packer.<br />
Permanent monitoring array of the SAFOD-mainhole including 5 sensor<br />
levels with mechanical anchoring arm and a 7 inch casing packer.<br />
meter pro Etage (Abb. 33). Der unterste Teil dieses Arrays,<br />
ausgestattet mit hochempfindlichen Druck- und Temperatursensoren,<br />
soll über einen Casing-Packer isolierend<br />
zum Hauptloch in eine der offenen Kernbohrstrecken hineinragen.<br />
Die einzelnen Messetagen werden durch 75 m<br />
Gestängerohre mit Kabeldurchführung voneinander entfernt<br />
sein. Ihre Verankerung zur Bohrlochwand soll über<br />
mechanisch ausfahrbare Ankerarme gewährleistet werden.<br />
Die Ankopplung der Messsensoren and das Gebirge<br />
wird vornehmlich durch das Eigengewicht des Arrays bei<br />
bis zu 60° Bohrlochneigung hergestellt. Die Entwicklungsarbeiten<br />
werden unter Federführung der ICDP-OSG<br />
am <strong>GFZ</strong> Potsdam in Zusammenarbeit mit vornehmlich<br />
US-amerikanischen Spezialfirmen bis zum Sommer 2007<br />
abgeschlossen sein.<br />
Das „Einstein-Jahr“ <strong>2005</strong> in Potsdam<br />
Das <strong>GFZ</strong> Potsdam hat sich bisher an allen „Jahren der Wissenschaft“<br />
beteiligt, die von Wissenschaft im Dialog (WiD,<br />
dem Zusammenschluss der großen deutschen Forschungsorganisationen<br />
zur Förderung der Wissenchaftskommunikation)<br />
und dem Bundesministerium für Bildung und<br />
Forschung (BMBF) durchgeführt wurden. Das Jahr <strong>2005</strong><br />
war Albert Einstein gewidmet. Potsdam mit Caputh als<br />
zeitweiligem Lebensort Einsteins und dem Einsteinturm<br />
kam in der Organisation des Einstein-Jahres zentrale<br />
Bedeutung zu, da für die Hauptveranstaltung des Wissenschaftsjahres,<br />
dem Wissenschaftssommer, Potsdam und<br />
Berlin als Haupt-Spielstätten dienten.<br />
Das <strong>GFZ</strong> Potsdam war daher von Beginn an den Planungen<br />
für das Einsteinjahr und für den Veranstaltungsort<br />
Potsdam beteiligt. In enger Zusammenarbeit mit dem<br />
BMBF, WiD und den beteiligten Wissenschaftseinrichtungen<br />
in der Stadt wurde ein Konzept für den Wissenschaftssommer<br />
Potsdam (11. bis 26. Juni <strong>2005</strong>) entwickelt.<br />
An den beiden Standort Lustgarten („Jahrmarkt der<br />
Wissenschaften“, 11. bis 16. Juni) und Telegrafenberg<br />
(„Rund um den Einsteinturm“, 17. bis 26. Juni) wurde<br />
mit einem vielfältigen Programm die Relevanz der Ein-<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
431
432<br />
Abb. 34: Uraufführung des Einstein-Puppentheaterstücks<br />
„In ferner Zukunft“, Dr. Pohls Puppenbühne im <strong>GFZ</strong> Potsdam,<br />
Juni <strong>2005</strong> (Foto: S. Richter, <strong>GFZ</strong>).<br />
Premiere of the glove puppet theatre play „In a far-away<br />
future“, Dr. Pohl’s Glove Puppet Theatre at the <strong>GFZ</strong> Potsdam,<br />
June <strong>2005</strong> (photo: S. Richter, <strong>GFZ</strong>).<br />
steinschen Entdeckungen für die Forschung, aber auch<br />
für das Alltagsleben einem breiten Publikum nahe<br />
gebracht. Höhepunkte waren dabei die Veranstaltungen<br />
auf dem Telegrafenberg: der Wiedereinbau des Großen<br />
Refraktor-Teleskops, das nächtliche Wandelkonzert<br />
„Sternenmusik – Klingender Kosmos“, die „Lange Nacht<br />
der Wissenschaften Berlin-Potsdam“ sowie die beiden<br />
Sonntagsmatinees. Die vom VDI und vom BMBF entwickelte<br />
Wanderausstellung „Faszination Licht“ wurde mit<br />
Unterstützung des <strong>GFZ</strong> Potsdam für die zweite Woche<br />
des Wissenschaftssommers auf dem Telegrafenberg<br />
gezeigt. Insgesamt besuchten zwischen 130.000 und<br />
150.000 Menschen die verschiedenen Veranstaltungen in<br />
Potsdam.<br />
Die Premiere des Puppentheaterstücks zum Einsteinjahr<br />
„In ferner Zukunft“ fand im <strong>GFZ</strong> Potsdam am 25. Mai<br />
<strong>2005</strong> statt (Abb. 34).<br />
Über seine Aktivitäten zum Einsteinjahr in Potsdam hinaus<br />
stellte das GeoForschungsZentrum ein großes Modell<br />
des Geoids („Potsdamer Schwerekartoffel“) als Exponat<br />
auf dem „Einsteinschiff“ zur Verfügung. Mit einer 500 m 2<br />
großen Ausstellung zu „Albert Einstein – Das Jahrhundertgenie<br />
und sein Erbe“ lief das Motorschiff unter dem<br />
Namen MS Einstein 37 Städte entlang deutscher Flüsse<br />
Abb.35:Exponat des <strong>GFZ</strong> Potsdam auf der „MS Einstein“:<br />
ein Modell des <strong>GFZ</strong>-Geoids, die sog. „Potsdamer Schwere-Kartoffel“,<br />
das in enger Zusammenarbeit mit <strong>GFZ</strong>-<br />
Dept. 1 erstellt wurde (Foto: F. Ossing, <strong>GFZ</strong>).<br />
<strong>GFZ</strong> exhibit on the vessel „MS Einstein“: a model of the<br />
<strong>GFZ</strong> geoid, the so-called „Potsdam gravity potato“ which<br />
was provided by close operation with <strong>GFZ</strong>-Dept. 1 (photo:<br />
F. Ossing, <strong>GFZ</strong>).<br />
an. An 106 Ausstellungstagen haben über 100.000 Erwachsene<br />
und Kinder das Schiff besucht (Abb. 35)<br />
Im Rahmen der Aktivitäten der Helmholtz-Gemeinschaft<br />
zum Einsteinjahr („Schülerlabore und Einstein“, Berlin,<br />
Bebelplatz) trat im Auftrag des <strong>GFZ</strong> Potsdam das Puppentheater<br />
J. Pohl mit dem Geotheaterstück „Zeitreise“<br />
auf. Diese Aktion richtete sich insbesondere an Kinder im<br />
Vor- und Grundschulalter.<br />
Auszeichnungen und Ehrungen<br />
<strong>2005</strong><br />
Prof. Dr. Dr.h.c. Rolf Emmermann, Wissenschaftlicher<br />
Vorstand des <strong>GFZ</strong> Potsdam, wurde im Juni <strong>2005</strong> der Brandenburgische<br />
Verdienstorden verliehen.<br />
Prof. Dr. Dr.h.c. Rolf Emmermann, Wissenschaftlicher<br />
Vorstand des <strong>GFZ</strong> Potsdam, wurde zum korrespondierenden<br />
Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften<br />
gewählt.<br />
Prof. Dr. Günter Borm, Direktor des Dep. 5, wurde zum<br />
Review Editor, Special Report on Carbon Dioxide Capture<br />
and Storage (SRCCS), Intergovernmental Panel on<br />
Climate Change IPCC, World Meteorological Organisation<br />
(WMO) and United Nations Environmental Protection<br />
(UNEP) ernannt.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Prof. Dr. Günter Borm, Direktor des Dep. 5, wurde zum<br />
Mitglied des Beirats von COORETEC, CO2 Reduktionstechnologien<br />
Programm, Bundesministerium für Wirtschaft<br />
und Arbeit (BMWA) ernannt.<br />
Prof. Dr. Markus Rothacher, Direktor des Dep. 1, wurde<br />
zum Chair des Global Geodetic Observing System<br />
(GGOS) der International Association of Geodesy (IAG)<br />
gewählt.<br />
Prof. Dr. Brian Horsfield, Leiter der Sekt. 4.3, wurde<br />
zum Guest Professor, Curtin University of Technology,<br />
Perth, Australia, ernannt.<br />
Prof. Dr. Brian Horsfield, Leiter der Sekt. 4.3, wurde als<br />
Member of Advisory and Scientific Boards, Eurobasin,<br />
Marie Curie European Doctoral Training Center for Sedimentary<br />
Basin Studies aufgenommen.<br />
Dr.-Ing. Bruno Merz, Leiter der Sekt. 5.4, wurde zum<br />
Obmann des Fachausschusses Hochwasservorsorge der<br />
DWA (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser<br />
und Abfall) ernannt.<br />
Prof. Dr. Doris Dransch, Sekt. 5.4, wurde zur Vizepräsidentin<br />
der Deutschen Gesellschaft für Kartographie<br />
mit der Funktion „Internationale Angelegenheiten“<br />
gewählt.<br />
Dr. Rolando di Primio, Sekt. 4.3, Associate Editor, Organic<br />
Geochemistry, und External project reviewer for the<br />
Norwegian Research Foundation<br />
<strong>2004</strong><br />
Prof. Dr. Rainer Kind, Leiter der Sekt. 2.4, erhielt das<br />
Jack E. Oliver Honorary Professorship at Cornell, Ithaca,<br />
New York.<br />
Prof. Dr. Rainer Kind, Leiter der Sekt. 2.4, wurde zum<br />
Member of US Array Advisory Committee<br />
Raik Bachmann, Sekt. 3.1, erhielt den Bernd-Rendel-<br />
Preis der DFG.<br />
Prof. Dr. Hermann Lühr, Sekt. 2.3, wurde auf der<br />
173. Generalversammlung in Budapest zum Ehrenmitglied<br />
der Ungarischen Akademie der Wissenschaften ernannt.<br />
Prof. Dr. Hermann Lühr, Sekt. 2.3, erhielt den NASA<br />
Group Achievement Award as member of the Cluster<br />
Science Team, Washington, D.C.<br />
Dr. Hans-Ulrich Wetzel, Sekt. 1.5, erhielt die Abraham-<br />
Gottlob-Werner-Medaille der Deutschen Gesellswchaft<br />
für Geowissenschaften DGG.<br />
Dr. Ute Weckmann, Sekt. 2.2, erhielt für den Zeitraum<br />
März <strong>2004</strong> bis Februar 2006 ein Emmy Noether Stipendium<br />
(DFG) an der Dublin Institute for Advanced Studies,<br />
Ireland.<br />
Habilitationen<br />
Dr. Bruno Merz, „Abschätzung von Hochwasserrisiken:<br />
Methoden, Grenzen und Möglichkeiten“. Universität Potsdam,<br />
Oktober <strong>2005</strong>.<br />
Dr. Norbert R. Nowaczyk, „Magnetostratigraphie als<br />
Werkzeug zur Rekonstruktion geomagnetischer Feldvariationen<br />
und paläoklimatischer Prozesse“. Universität Potsdam,<br />
Juli <strong>2004</strong>.<br />
Dr. Oliver Ritter, „Die Abbildung von Bewegungsbahnen<br />
in Deformationszonen der Erde mit elektrischen<br />
Methoden“. Freie Universität Berlin, Mai <strong>2005</strong>.<br />
Dr. Christian Schmidt, „Eigenschaften wässriger Stoffsysteme<br />
unter den Druck- und Temperaturbedingungen<br />
der Lithosphäre“. Technische Universität Berlin, Februar<br />
<strong>2005</strong>.<br />
Dr. Heinz Wilkes, „Geochemische und biologische Kontrollfaktoren<br />
der Erdölbildung“. Technische Universität<br />
Berlin, Juli <strong>2004</strong>.<br />
Promotionen<br />
Dipl.-Chem. Antje Armstroff, „Geochemical Significance<br />
of Biomarkers in Paleozoic Coals“. Technische Universität<br />
Berlin, Juli <strong>2004</strong>.<br />
Dipl.-Ing.Tobias Backers, „Fracture Toughness Determination<br />
and Micromechanics of Rock under Mode I<br />
and Mode II Loading“. Universität Potsdam, Februar<br />
<strong>2005</strong>.<br />
Dipl.-Min. Viola Bartsch, „Magmengenese der obertriassischen<br />
bis unterkretazischen Vulkanite der mesozoischen<br />
Vulkanzone in der Küstenkordillere von Nord-Chile<br />
zwischen 24° und 27°S: Petrographie, Mineralchemie,<br />
Geochemie und Isotopie“. Freie Universität Berlin, Juli<br />
<strong>2004</strong>.<br />
Dipl.-Geophys. Mirjam Bohm, „3-D Lokalbebentomographie<br />
der südlichen Anden zwischen 36° und 40° S“.<br />
Freie Universität Berlin, Februar <strong>2004</strong>.<br />
Dipl.-Geophys. François Demory, „Paleomagnetic dating<br />
of climatic events in Late Quaternary sediments of Lake<br />
Baikal (Siberia)“. Universität Potsdam, November <strong>2004</strong>.<br />
Dipl.-Chem. Thomas Fischer, „Biomarker Lipid Biomarkers<br />
in Lacustrine Sedimentary Archives – An Inventory<br />
and Evaluation as Proxies for Environmental and Climatic<br />
Change“. Technische Universität Berlin, November<br />
2003.<br />
Dipl.-Min. Benoit Gibert, „Etude expérimentale de la diffusion<br />
thermique dans les monocristaux d'olivine et dans<br />
les roches du manteau supérieur“. Université Mont Pellier<br />
II, Dezember 2003.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
433
434<br />
Dipl.-Geol. Kai Hahne, „Detektion eines mesozoischen<br />
Gangschwarms in NW Namibia und Rekonstruktion<br />
regionaler Spannungszustände während der Südatlantiköffnung“.<br />
Freie Universität Berlin, November <strong>2004</strong>.<br />
Dipl.-Geoökol. Uta Heiden, „Ökologische Charakterisierung<br />
von Stadtbiotoptypen mit hyperspektralen Flugzeugdaten“.<br />
Technische Universität Berlin, Dezember 2003.<br />
Dipl.-Geol. Birgit Heim, „Entwicklung und Umsetzung<br />
von Konzepten zur Auswertung von multi- und hyperspektralen<br />
Fernerkundungsdaten für die quantitative<br />
Analyse von Wasserinhaltsstoffen“. Universität Potsdam,<br />
Oktober <strong>2005</strong>.<br />
Dipl.-Geol. Jan Henninges, „Thermal Properties of Gas-<br />
Hydrate-Bearing Sediments and Effects of Phase Transitions<br />
on the Transport of Heat Deduced from Temperature<br />
Logging at Mallik, NWT, Canada“. Freie Universität<br />
Berlin, April <strong>2005</strong>.<br />
M. Sc. Silvan Hoth, „Erosion, deformation and natural<br />
resources in continental collision zones. Implications from<br />
analogue simulations“. Freie Universität Berlin, Oktober<br />
<strong>2005</strong>.<br />
Dipl.-Geophys. Dagmar Kesten, „Structural Observations<br />
at the Southern Dead Sea Transform from Seismic<br />
Reflection Data and ASTER Satellite Images“. Universität<br />
Potsdam, November <strong>2004</strong>.<br />
Dipl.-Geophys. Volker Klemann, „Ebene kompressible<br />
viskoelastische Erdmodelle: Anwendungen auf glazialisostatische<br />
Deformationen der Lithosphäre“. Westfälische<br />
Wilhelms-Universität Münster, Dezember 2003.<br />
Dipl.-Geoinf.Anja Klisch, „Entwicklungen eines operationellen<br />
Modells zur Bereitstellung von Vegetations- und<br />
Niederschlagsparametern für die Erosionsproblematik“.<br />
Universität Potsdam, Juni <strong>2004</strong>.<br />
Dipl.-Geol. Silke Köhler, „Geothermisch angetriebene<br />
Dampfkraftprozesse – Analyse und Prozessvergleich binärer<br />
Kraftwerke“. Technische Universität Berlin, August<br />
<strong>2005</strong>.<br />
Dipl.-Phys. Fabien Magri, „Feasibility of thermohaline<br />
convection in the North East German Basin (NEGB)“.<br />
Freie Universität Berlin, Juni <strong>2005</strong>.<br />
Dipl.-Geophys. Yuriy Maystrenko, „Structure and evolution<br />
of the Glueckstadt Graben (north-western Germany)<br />
based on 3-D structural modelling and interpretation<br />
of the seismic reflection profiles“. Freie Universität Berlin,<br />
Juni <strong>2005</strong>.<br />
Dipl.-Geol. Inga Moeck, „Hydrotektonik von Grundwasserleitern:<br />
Rekonstruktion von Spannungsfeldern und<br />
3D-Modellierung einer geologischen Karte der Zentral-<br />
Algarve (Südportugal)“. Technische Universität Berlin,<br />
Juni <strong>2005</strong>.<br />
Dipl.-Geol. Ben Lotz, „Neubewertung des rezenten Wärmestroms<br />
im Norddeutschen Becken“. Freie Universität<br />
Berlin, Februar <strong>2004</strong>.<br />
Dipl.-Geophys. Nils Maercklin, „Seismic Structure of<br />
the Arava Fault, Dead Sea Transform“. Universität Potsdam,<br />
Juli <strong>2004</strong>.<br />
Dipl.-Ing. Alexander Neidhardt, „Verbesserung des<br />
Datenmanagements in inhomogenen Rechnernetzen geodätischer<br />
Messeinrichtungen auf der Basis von Middelware<br />
und Dateisystemen am Beispiel der Fundamentalstation<br />
Wettzell“. Technische Universität Muenchen, Juli<br />
<strong>2005</strong>.<br />
Dipl.-Chem. Thomas Oldenburg, „Organische Heterokomponenten<br />
als Umwandlungs- und Transportindikatoren<br />
in Nordseesedimentbecken“. Universität Oldenburg,<br />
Februar <strong>2004</strong>.<br />
Dipl.-Geol. Matthias Rosenau, „Tectonics of the Southern<br />
Andean intra-arc zone (38°-42° S), Chile“. Freie<br />
Universität Berlin, Juli <strong>2004</strong>.<br />
Dipl.-Geol. Martin Schodlok, „Quantifizierung des Modalbestandes<br />
magmatischer Gesteine mittels thermaler<br />
Reflexionsspektroskopie“. Universität Potsdam, Juni <strong>2004</strong>.<br />
Dipl.-Meteo. Thomas Schröder, „Fernerkundung von<br />
Wasserinhaltsstoffen in Küstengewässern mit MERIS<br />
unter Anwendung expliziter und impliziter Atmosphärenkorrekturverfahren“.<br />
Freie Universität Berlin, März <strong>2005</strong>.<br />
Dipl.-Phys. Judith Schwarte, „Modelling the Earth's<br />
magnetic field of magnetospheric origin from CHAMP<br />
data“. Technische Universität Braunschweig, März <strong>2004</strong>.<br />
Dipl.-Geophys. Monika Sobiesiak, „Fault plane structure<br />
of the 1995 Antofagasta- earthquake (Chile)-Derived<br />
from local seismological parameters“. Universität Potsdam,<br />
Januar <strong>2005</strong>.<br />
Dipl.-Geophys. Forough Sodoudi, „Lithospheric structure<br />
of the Aegean obtained from P and S receiver functions“.<br />
Freie Universität Berlin, Juni <strong>2005</strong>.<br />
Dipl.-Geol.Anke Tetzlaff, „Coal fire quantification using<br />
ASTER, ETM and BIRD satellite instrument data“. LMU<br />
München, Dezember <strong>2004</strong>.<br />
Dipl.-Geol. Ute Trautwein, „Poroplastische Verformung<br />
und petrophysikalische Eigenschaften von Rotliegend Sandsteinen“.<br />
Technische Universität Berlin, September <strong>2005</strong>.<br />
Dipl.-Phys. Ingo Wardinski, „Core surface flow models<br />
from decadal and subdecadal secular variation of the main<br />
geomagnetic field“. Freie Universität Berlin, Februar <strong>2005</strong>.<br />
Dipl.-Geol. Susann Wienecke, „Analytical solution for<br />
computation of flexural rigidity: its significance and application“.<br />
Freie Universität Berlin, Oktober <strong>2005</strong>.<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Dipl.-Min. Marcus Wigand, „Geochemie und Geochronologie<br />
des Erongo-Komplexes, Namibia“. Universität<br />
Potsdam, April <strong>2004</strong>.<br />
Dipl.-Geophys. Ingo Wölbern, „Spuren des Plumes und<br />
Strukturen des oberen Mantels unter Hawaii abgeleitet aus<br />
konvertierten Wellen“. Freie Universität Berlin, Dezember<br />
2003.<br />
Dipl.-Ing. Tinglu Zhang, „Retrieval of Oceanic Constituents<br />
with Artificial Neural Network based on Radiative<br />
Transfer Simulation Techniques“. Freie Universität Berlin,<br />
Oktober 2003.<br />
Ausgewählte Publikationen <strong>2004</strong> – <strong>2005</strong><br />
Abart, R., Milke, R., Heinrich, W. & Sperb, R. (<strong>2004</strong>): Silicon<br />
and oxygen self-diffusion in enstatite polycrystals:<br />
the Milke et al. (2001) rim growth experiments revisited.<br />
– Contributions to Mineralogy and Petrology, 147,<br />
633-646.<br />
Adam, J., Klaeschen, D., Kukowski, N. & Flueh, E. (<strong>2004</strong>):<br />
Upward delamination of Cascadia Basin sediment<br />
infill with landward frontal accretion thrusting caused<br />
by rapid glacial age material flux. – Tectonics, 23,<br />
TC3009, 1-21, 10.1029/2002TC001475.<br />
Alinaghi, A., Bock, G., Kind, R., Hanka, W., Wylegalla,<br />
K., TOR & SVEKALAPKO Groups (2003): Receiver<br />
function analysis of the crust and upper mantle from<br />
the North German Basin to the Archean Baltic Shield.<br />
– Geophys. J. Int., 155, 641-652.<br />
Apel, H., Thieken, A., Merz, B. & Blöschl, G. (<strong>2004</strong>):<br />
Flood risk assessment and associated uncertainty. –<br />
Natural Hazards and Earth System Sciences (NHESS),<br />
4, 295-308.<br />
Armbruster, T. & Feenstra, A. (<strong>2004</strong>): Lithium in nigerite-group<br />
minerals. – European Journal of Mineralogy,<br />
16, 247-254.<br />
Backers, T., Fardin, N., Dresen, G. & Stephansson,<br />
O. (2003): Effect of Loading Rate on Mode I Fracture<br />
Toughness, Roughness and Micromechanics<br />
of Sandstone. – Int. J. Rock Mech. Min. Sci., 40,<br />
425-433.<br />
Badanina, E. V., Veksler, I. V., Thomas, R., Syritso, L. F.<br />
& Trumbull, R.. B. (<strong>2004</strong>): Magmatic evolution of Li-<br />
F, rare-metal granites: a case study of melt inclusions<br />
in the Khangilay complex, Eastern Transbaikalia (Russia).<br />
– Chemical Geology, 210, 113-133. doi: 10.1016/j.<br />
chemgeo.<strong>2004</strong>.06.006.<br />
Bahr, A., Lamy, F., Arz, H. W., Kuhlmann, H., Wefer, G.<br />
(<strong>2005</strong>): Late glacial to Holocene climate and sedimentation<br />
history in the NW Black Sea. Marine Geology,<br />
214, 4, 309-322.<br />
Baier, J., Lücke, A., Negendank, J. F. W., Schleser, G. H.<br />
& Zolitschka, B. (<strong>2004</strong>): Diatom and geochemical evidence<br />
of mid – to late Holocene climatic changes at<br />
Lake Holzmaar, West-Eifel (Germany). – Quaternary<br />
International, 113, 81-96.<br />
Balasis, G., Egbert, G.D. & Maus, S. (<strong>2004</strong>): Local time<br />
effects in satellite estimates of electromagnetic induction<br />
transfer functions. – Geophys. Res. Lett., 31,<br />
L16610, 1-4, doi: 10.1029/<strong>2004</strong>GL020147.<br />
Bau, M., Alexander, B., Chesley, J. T., Dulski, P. & Brantley,<br />
S. L. (<strong>2004</strong>): Mineral dissolution in the Cape Cod<br />
aquifer, Massachusetts, USA: I. Reaction stoichiometry<br />
and impact of accessory feldspar and glauconite on<br />
strontium isotopes, solute concentrations, and REY<br />
distribution. – Geochimica et Cosmochimica Acta, 68,<br />
1199-1216.<br />
Bauer, K., Haberland, Ch., Pratt, R. G., Hou, F., Medioli,<br />
B. E. and Weber, M. (<strong>2005</strong>): Ray-based cross-well<br />
tomography for P-wave velocity, anisotropy, and attenuation<br />
structure around the JAPEX/JNOC/GSC et al.<br />
Mallik 5L-38 gas hydrate production research well. –<br />
in Scientific Results from Mallik 2002 Gas Hydrate<br />
Production Research Well Program, Mackenzie Delta,<br />
Northwest Territories, Canada, (ed.) S.R. Dallimore,<br />
and T.S. Collett. Geol. Surv. Canada, Bull. 585, 21 p.<br />
Bauer, K., Trumbull, R. B. & Vietor, T. (2003): Geophysical<br />
images and a crustal model of intrusive structures<br />
beneath the Messum ring complex, Namibia. –<br />
Earth and Planetary Science Letters, 216, 65-80,<br />
10.1016/S0012-821X(03)00486-2 2003.<br />
Bauer, K., Trumbull, R. B., Vietor, T. (<strong>2004</strong>): Geophysical<br />
images and a crustal model of intrusive structures<br />
beneath the Messum ring complex, Namibia.Earth<br />
and Planetary Science letters, 216, 1-2, doi:<br />
10.1016/S0012821X(03)00486-2.<br />
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Kaufmann, M.; Kellmann, S.; Kiefer, M.; Koukouli,<br />
M. E.; Linden, A.; López-Puertas, M.; Mengistu Tsidu,<br />
G.; Milz, M.; Steck, T.; Stiller, G. P.; Simmons, A. J.;<br />
Dethof, A.; Swinbank, R.; Marquardt, C.; Jiang, J. H.;<br />
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447
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Xia, Y., Michel, G.W., Reigber, C., Klotz, J. & Kaufmann,<br />
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Satellite antenna phase center offsets and scale errors<br />
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10.1007/s00190-002-0294-1.<br />
Zhu, S., Reigber, Ch. & König, R. (<strong>2004</strong>): Integrated adjustment<br />
of CHAMP, GRACE, and GPS data. J. of Geodesy,<br />
78, 103-108, DOI 10.107/s00190-004-0379-0.<br />
Patente <strong>2004</strong> – <strong>2005</strong><br />
Borm, G. & Otto, P. (<strong>2004</strong>): Vorrichtung zur Erzeugung<br />
mechanischer Schwingungen in einem festen Material.<br />
Europäische Patentanmeldung: 02018934.6; Japanische<br />
Patentanmeldung 2002-243206; Deutsches<br />
Patent erteilt am 15.07.<strong>2004</strong>: DE 101 41 518.<br />
Borm, G., Giese, R., Schmidt-Hattenberger, C., Selke, Ch.<br />
(<strong>2004</strong>): Verankerungseinrichtung mit seismischem<br />
Sensor. DE 198 52 455.2; Japanische Patentanmeldung:<br />
HEI 11-322268; Europäisches Patent erteilt am<br />
15.09.<strong>2004</strong>: 1 001 134.<br />
Borm, G.,Giese, R., Otto, P. & Polom, U. (<strong>2004</strong>): Seismische<br />
Quelle und Verfahren zur Erzeugung seismischer<br />
Schwingungen. Deutsche Patentanmeldung<br />
vom 25.03.<strong>2004</strong>: 10 <strong>2004</strong> 014 722.1.<br />
Borm, G., Giese, R., Jurczyk, A., Otto, P., Polom, U.<br />
(<strong>2005</strong>): Seismische Quelle und Verfahren zur Erzeugung<br />
seismischer Scherwellen; Deutsche Patentanmeldung<br />
vom 27.05.<strong>2005</strong>: 10 <strong>2005</strong> 024 367.3.<br />
Groh, M., Krüger, K., Giese R. (<strong>2005</strong>): Erkundungsvorrichtung<br />
und Verfahren zur Registrierung seismischer<br />
Schwingungen. Deutsche Patentanmeldung<br />
vom 02.02.<strong>2005</strong>: 10 <strong>2005</strong> 004 869.2.<br />
Eine vollständige Liste der Publikationen des <strong>GFZ</strong> Potsdam<br />
findet sich elektronisch unter:<br />
http://bib.gfz-potsdam.de/edoc/<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam
Glossar<br />
AAM Atmospheric Angular Momentum<br />
AE Akustische Emissionen<br />
AF Arava Fault<br />
AGMASCO Airborne Geoid Mapping System for Coastal Oceanography<br />
AGU American Geological Union<br />
AMS Acceleration Mass Spectrometry<br />
ALDP Asian Lake Drilling Programme<br />
ALVZ Altiplano Low Velocity Zone<br />
ANCORP Andean Continental Research Project<br />
ANGEL Airborne Navigation and Gravity Ensemble & Laboratory<br />
APVC Altiplano Puna Volcanic Complex<br />
ARES Airborne Reflectice Emisive Spectrometre<br />
ARM Anhysterese Remanente Magnetisierung<br />
ASAR Advanced Synthetic Aperture Radar<br />
ASG Airborne-Superconducting Gravimetersystem<br />
AWI Alfred Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung<br />
BABEL Baltic And Bothnian Echoes from the Lithosphere<br />
BGR Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe<br />
BGS British Geological Survey<br />
BMA Beattie Magnetic Anomaly<br />
BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />
BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />
und Entwicklung<br />
BNS Banggong-Nujiang-Sutur<br />
BP Before Present<br />
BRGM Bureau de recherches géologiques et minières<br />
BSR Bottom Simulating Reflector<br />
CASI Compact Airborne Spectrographic Imager<br />
CCSDP Chinese Continental Scientific Drilling Program<br />
CDF Kaledonische Deformationsfront<br />
CDG Carl Duisberg-Gesellschaft<br />
CEDIM Centers for Disaster Management and Risk Reduction<br />
Technology<br />
CHAMP Challenging Mini Satellite for Geoscientific Research<br />
and Application<br />
ChRM Chemoremanente Magnetisierung<br />
CIDA Canadian International Development Agency<br />
CINCA95 Crustal Investigations Off- and Onshore Nazca/<br />
Central Andes<br />
CIR Colour Infrared<br />
CMP Common Mid Point<br />
CO2SINK CO 2 Storage by Injection Into the Natural Reservoir<br />
Ketzin<br />
COSMIC Constellation Observing System for Meteorology,<br />
Ionosphere and Climate<br />
COST European Cooperation in the Field of Scientific and<br />
Technical Research<br />
CSB China Seismological Bureau<br />
CSLF International Carbon Sequestration Leadership Forum<br />
CSIC Consejo Superior de Investigationes Cientificas<br />
CVZ Central Volcanic Zone<br />
D-InSAR Differential SAR Interferometry<br />
DAIS Digital Airborne Imaging Spectrometer<br />
DEM Distinkte-Elemente-Methode<br />
DESERT Dead Sea Rift Transect<br />
DESY Deutsches Elektronensynchrotron<br />
DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft<br />
DFNK Deutsches Forschungsnetz Naturkatastrophen<br />
DHA Department of Humanitarian Affairs<br />
DIS Online Drilling Information System<br />
DLR Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt<br />
DOE US Department of Energy<br />
DRVID Differenced Range versus Integrated Doppler<br />
DST Dead Sea Transform<br />
DTS Distributed Temperature Sensing<br />
DUGW Deutsche Union für geologische Wissenschaften<br />
DWD Deutscher Wetterdienst<br />
EELS Electron Energy-Loss Spectroscopy<br />
ELDP European Lake Drilling Programme<br />
EMS Europäische Makroseismische Skala, Elektronenstrahl-<br />
Mikrosonde<br />
EMSC European Mediterranean Seismological Center<br />
ENGINE Enhanced Geothermal Innovative Network for Europe<br />
EnMAP Environmental Mapping and Analysis Program<br />
ENSO El Niño/Southern Oscillation<br />
ERS European Remote Sensing Satellite<br />
ESA European Space Agency<br />
ESC Europäische Seismologische Kommission<br />
ESSP Earth System Science Pathfinder<br />
FDR Frequency Domain Reflectometry<br />
FDSN Federation of Digital Seismic Networks<br />
FEM Finite Elemente Methode<br />
FIB Focused Ion Beam<br />
FIM Feldionenmikroskop<br />
FMI Formation-Micro-Imager<br />
FOS faseroptische Sensoren<br />
FZWG Fault zone guided waves<br />
GCM Global Circulation Model<br />
GEDEPTH German Depth Profiling of Tibet and the Himalayas<br />
Geofon Geoforschungsnetz<br />
GEOMAR Forschungszentrum für Marine Geowissenschaften,<br />
Kiel<br />
GIF German-Israeli Foundation<br />
GIN Geomagnetic Information Nodes<br />
GITEWS German Indian Ocean Tsunami Early Warning System<br />
GLONASS GLObales NAvigations-Satelliten-System<br />
GNSS Global Navigation Satellite System<br />
GOCE Gravity Field and Steady-State Ocean Circulation<br />
Explorer<br />
GPS Global Positioning System<br />
GRACE Gravity Recovery and Climate Experiment<br />
GRIM4 <strong>GFZ</strong> GRGS Global Gravity Model<br />
GRIP Greenland Icecore Project<br />
GRSN German Regional Seismic Networks<br />
GSD Ground Sampling Distance<br />
GSC Geological Surv of Canada<br />
GSN Global Seismic Network<br />
GSHASP Global Seismic Hazard Assessment Program<br />
GSJ Geological Survey of Japan<br />
GSSP Global Stratotype Section and Point<br />
GTZ Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit<br />
HASYLAB Hamburger Synchroton-Strahlungslabor<br />
HDCA hydrothermale Diamantstempelkammer<br />
HOD Hentiesbaai-Outjo-Gangschwarm (Na-mibia)<br />
HRTEM High Resolution Transmission Electron Microscope<br />
HSDP Hawaii Scientific Drilling Program<br />
IAGA Internationale Assoziation für Geomagnetismus und<br />
Aeronomie<br />
IAGOD International Association on the Genesis of Ore Deposits<br />
IASPEI International Association of Seismology and Physics<br />
of the Earth’s Interior<br />
IAVCEI International Association of Volcanology and Chemistry<br />
of the Earth’s Interior<br />
ICDP International Continental Scientific Drilling Programme<br />
IDNDR International Decade for Natural Disaster Reduction<br />
IERS International Earth Rotation Service<br />
IfM-Geomar Leibniz-Institut für Meereswissenschaften, Kiel<br />
IGBP International Geosphere/Biosphere Programme<br />
IGCP International Geological Correlation Programme<br />
I-GET Integrated Geophysical Exploration Technologies<br />
IGRF Internationales Geomagnetisches Referenzfeld<br />
IIEES International Institute of Earthquake Engineering and<br />
Seismology<br />
IMAGE International Monitor for Aureal and Geomagnetic<br />
Effects<br />
INDEPTH International Deep Profiling of Tibet and the Himalaya<br />
INSAR Interferometric Synthetic Aperture Radar<br />
INSPIRE Infrastructure for Spatial Information in Europe<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam<br />
449
450<br />
IODP Integrated Ocean Drilling Program<br />
IRIS Incorporated Research Institutions for Seismology<br />
IRM Isothermale Remanente Magnetisierung<br />
ISIS Integrated Seismic Imaging System<br />
ISRM International Society for Rock Mechanics<br />
ITCZ Innertropical Convergenze Zone<br />
IUGG International Union of Geodesy und Geophysics<br />
IUGS International Union of Geological Sciences<br />
JEODI Joint European Ocean Drilling Initiative<br />
JMA Japanese Meteorological Agency<br />
JNOC Japanese National Oil Corporation<br />
KDM Konsortium Deutscher Meeresforschung<br />
KIHZ Natürliche Klimavariationen in historischen Zeiten<br />
(KIHZ) bis 10.000 Jahre vor heute<br />
KMG Kern-Mantel-Grenze<br />
KTB Kontinentales Tiefbohrprogramm der Bundesrepublik<br />
Deutschland<br />
LARSE Los Angeles Basin Refraction Seismic Experiment<br />
LEO Low Earth Orbiter<br />
LGM Last Glacial Maximum<br />
LOD, lod Length of Day<br />
LOS Line of Sight – Sichtachse<br />
LTA Long Term Average<br />
LVZ Low Velocity Zone<br />
MAST-III EU Marine Science and Technology Programme<br />
MEREDIAN Mediterranean-European Rapid Earthquake Data Information<br />
and Archiving Network<br />
MEDNET Mediterranean Network<br />
MNF Minimum Noise Fraction<br />
Moho Mohorovicic-Diskontinuität<br />
MORB Mittelozeanische Rückenbasalte<br />
MPNG Ministry of Petroleum and Natural Gas, India<br />
MPZS Magnetische Polaritäts-Zeitskala<br />
MUF Main Uralian Fault<br />
MUMM Management Unit of the North Sea Mathematical<br />
Models<br />
MWFK Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur<br />
des Landes Brandenburg<br />
MT Magnetotellurik<br />
NCEP U.S. National Center for Environmental Prediction<br />
NDVI Normalized Difference Vegetation Index<br />
NEGB North-East German Basin (= NODB)<br />
NMSOP IASPEI New Manual of Seismological Observatory<br />
Practice<br />
NODB Nordostdeutsches Becken (= NEGB)<br />
NOAA National Oceanic and Atmospheric Administration<br />
NRM Natürlich Remanente Magnetisierung<br />
OBH Ocean Bottom Hydrophone<br />
OET Osteuropäische Tafel<br />
ONERA Office National d’Etudes et de Recherches Aérospatiales<br />
OSG ICDP Operational Support Group<br />
PACE Palaeozoic Amalgamation of Central Europe<br />
PAGES Past Global Changes<br />
PDAS Portable Data Acquisition System<br />
POCM Parallel Ocean Climate Model<br />
POMME POtsdam Magnetic Model of the Earth<br />
PRARE Precise Rate and Range Rate Equipment<br />
PISCO'94 Proyecto de Investigación Sismológica de la Cordillera<br />
Occidental<br />
PUNA Plateau-Untersuchungen in Nordwest-Argentinien<br />
PSV Paläosäkularvariation<br />
RAE Resistive Anode Encoder<br />
RCMG Renard Centre of Marine Geology, Ghent, Belgien<br />
READINESS RealTime Data Information Network in Earth ScienceS<br />
REM Raster-Elektronenmikroskop<br />
RF Receiver Functions<br />
RFA Röntgenfluoreszenz-Analyse<br />
RTS Relaxationszeitenspektrum<br />
SaDIN Sahel Doukala Information Network<br />
SAFOD San Andreas Fault Observatory at Depth<br />
SAFZ San Andreas Fault Zone<br />
SAG ICDP Science Advisory Group<br />
SAGA South American Geodynamic Activities<br />
SALT South-American Lithospheric Transect<br />
SAPOS Satellitenpositionierungsdienst der deutschen Landesvermessung<br />
SAR Synthetic Aperture Radar<br />
SCCB Southern Cape Conductive Belt<br />
SE Sekundärelektronen<br />
SHRIMP Sensitive High Resolution Ion Microprobe<br />
SIMS Secondary Ion Mass Spectrometry<br />
SISZ Südisländische Seismizitätszone<br />
SIRMS Saturation Isothermal Remanent Magnetization<br />
SLR Satellite Laser Ranging<br />
SNR Signal/Noise Ratio<br />
SPOC Subduction Processes Off Chile<br />
SQUID Superconducting Quantum Interference Device<br />
STA Short Term Average<br />
STZ Sorgenfrei-Tornquist Zone<br />
SWIR Short-Wave Infrared<br />
TanDEM-X TerraSAR-X add-on for Digital Elevation Measurement<br />
TEDESE Terremotos y Deformacion Cortical en el Sur de<br />
Espana<br />
TEC Total Electron Content<br />
TEF Transeuropäische Störungszone<br />
TEM Transmissionselektronenmikroskop<br />
TESZ Trans-European Sutur Zone<br />
TIC Total Inorganic Carbon<br />
TIGA GPS Tide Gauge Benchmark Monitoring Project<br />
TICOSECT95 Trans-Isthmus Costa Rica Scientific Exploration of a<br />
Crustal Transect<br />
TOC Total Organic Carbon<br />
TOMS Total Ozone Mapping Spectrometer<br />
TSP Tunnel Seismic Prediction<br />
TTZ Tornquist-Teisseyre-Zone<br />
UNCCD UN Convention to Combat Desertification<br />
UNU United Nations University<br />
URSEIS95 Urals Reflection Seismic Experiment and Integrated<br />
Studies<br />
USGS United States Geological Survey<br />
USNMC U.S. National Meteorological Center<br />
UTC Universal Time Coordinated<br />
VCL Vegetation Canopy Lidar<br />
VDI Verein Deutscher Ingenieure<br />
VNIR Visible and Near-Infrared<br />
VSI Volcanological Survey of Indonesia<br />
VSP Vertikalseismisches Profil<br />
<strong>Zweijahresbericht</strong> <strong>2004</strong>/<strong>2005</strong> GeoForschungsZentrum Potsdam