19.07.2013 Aufrufe

Echa-Hospitationsbericht Elsa - Learning Rose Garden

Echa-Hospitationsbericht Elsa - Learning Rose Garden

Echa-Hospitationsbericht Elsa - Learning Rose Garden

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

1<br />

Dr. Kordula <strong>Rose</strong>-Werle<br />

Auguste-Viktoria-Gymnasium<br />

54290 Trier<br />

<strong>Echa</strong>-<strong>Hospitationsbericht</strong> 2<br />

Zeit ist Geld. Zeit ist Lebenszeit I<br />

Dieser <strong>Hospitationsbericht</strong> beschäftigt sich mit dem Faktor Zeit. Wenn man eine<br />

zweieinhalbstündige Hospitation mit einer laut Fahrplan siebenstündigen, de facto jedoch fast<br />

neunstündigen Hin- und Rückreise bezahlt, ist eine Kosten-Nutzen-Rechnung erlaubt. Was<br />

hat das <strong>Elsa</strong>-Brändström-Gymnasium in Oberhausen, was andere Schulen in Deutschland so<br />

nicht leisten und eine Tagesreise lohnt?<br />

Lernen braucht Zeit I<br />

Am <strong>Elsa</strong>-Brändström-Gymnasium wird das Lernen gelehrt und gelernt: Explizit<br />

selbstständiges, konzentriertes Lernen im Sinne Maria Montessoris. Nicht der Lehrer steht im<br />

Fokus der Unterrichtsstunde, sondern der Schüler selbst. Der Schüler wählt das Thema, an<br />

dem er arbeitet, selbst aus, der Schüler bestimmt seinen Schwerpunkt, seine Methode, sein<br />

Lerntempo. Schule und Lehrkräfte stellen das notwendige Material und Strategiewissen (und<br />

das heißt nicht notwendigerweise Mehrarbeit, denn hier wird Expertenwissen abgerufen) zur<br />

Verfügung. Am ELSA gibt es daher fest im Stundenplan verankerte Freiarbeit<br />

(Orientierungsstufe), Projektarbeit (Sekundarstufe), Modularbeit als Vorbereitung für die<br />

Oberstufe (in der 10. Klasse). Die (methodischen) Lernziele sind in dem Reader „Wege zur<br />

Selbstständigkeit…ein Reader für Schülerinnen und Schüler zum selbstständigem Lernen“,<br />

den die Schülerinnen und Schüler am Ende der 10. Klasse erhalten, zusammengefasst. Das<br />

pädagogische Lernziel, „Hilfe für die menschliche Person, ihre Unabhängigkeit zu erobern“<br />

(Broschüre des <strong>Elsa</strong>-Brändström-Gymnasiums Oberhausen, Ausgabe 2002, S. 7), ist<br />

Leitmotiv. Diese Form des Lernens braucht Zeit.<br />

ELSA gibt Lernzeit<br />

Empirische Studien haben längst belegt, dass unterschiedliches Lerntempo, Zeitdruck,<br />

Ungeduld der Lehrkräfte, verpasste Zeitfenster für konzentriertes Arbeiten kognitive Prozesse<br />

und erfolgreiches Lernen im traditionellen Unterricht empfindlich stören (vgl. H. Meyer, Was<br />

ist guter Unterricht? Berlin, S. 39- 46). Die Ergebnisse der DESI- Länderstudie (2003/004)<br />

zeigen, dass im modernen Sprachenunterricht der Rede- und Aktionsteil des Lehrers den der<br />

einzelnen Schüler um ein Vielfaches überbietet (50,5%), bei 20 SchülerInnnen in der Klasse<br />

bleibt für den Einzelnen kaum eine halbe Minute. „Oft sind Lehrer zu ungeduldig“ betitelte<br />

Die Zeit (9.3.2006, S.75) die Ergebnisse der Studie und fordert „Schüler sollten häufiger<br />

Gelegenheit zur Selbstkorrektur haben“, d. h. selbsttätig aktiv sein. H. Meyer nennt das<br />

„Langsamkeits- und Schnelligkeitstoleranz“ (ebd. S.45). Die Rolle des Lehrers (traditionell<br />

als Dozent) ist am ELSA in diesen Arbeitsphasen neu definiert als Lernbegleiter im weitesten<br />

Sinne. SchülerInnen haben kalkulierbare Zeit für individuelles Arbeiten. LehrerInnen haben<br />

kalkulierbare Zeit für Diagnose und Differenzierung. Keiner kann sich dem entziehen. Jeder<br />

hat Lernzeit.<br />

Lernen braucht Zeit II<br />

„Ja, die Lehrplanautoren – wie auch viele Lehrkräfte und Fachdidaktiker – überschätzen<br />

systematisch die Leistungsfähigkeit der Schüler. Ihnen fehlt ein Gefühl dafür oder das Wissen,<br />

was Schüler lernen können.“ (Die Zeit, ebd. S.76) Wer mit den Formen offenen Unterrichts<br />

vertraut ist, weiß, dass selbst gesteuertes, eigenverantwortliches Lernen keineswegs immer,<br />

im ökonomischen Sinne, zielstrebiges, effizientes, operationalisierbares Output-Verhalten ist,<br />

sondern individuell ist: Vor allem entwicklungs- und (im weitesten Sinne)<br />

sozialpsychologische Faktoren bestimmen Arbeitsverhalten und Lernerfolg. Wer als


2<br />

Lernender und Lehrender z.B. nichts über die jugendliche „Gehirnbaustelle“ (B. Strauch:<br />

„Warum wir so seltsam sind.“ Gehirnentwicklung bei Teenagern. Aus dem Amerikanischen<br />

von Sebastian Vogel. Berlin 2003) weiß oder die Alltagsrelevanz bzw. den Überlebenswert<br />

des Lernstoffs vernachlässigt (V.F. Birkenbihl: Stroh im Kopf. Vom Gehirn-Besitzer zum<br />

Gehirn-Benutzer. Frankfurt a.M. 2005) wird viel eher Opfer der Spirale von Enttäuschung<br />

und Frustration. Offene Unterrichtsformen erlauben dem Schüler, das einzubringen, wozu er<br />

gerade in der Lage ist. Dies hat mir der Besuch in den verschiedenen Klassen des ELSA<br />

gezeigt. Alle Schülerinnen waren in Bewegung und aktiv, in den Klassenräumen, auf den<br />

Fluren, ob in Einzel-, Partner-, Teamarbeit, bei Stillarbeit oder im Gespräch mit<br />

Mitschülerinnen, den Lehrkräften oder Gästen. Dass die Ergebnisse quantitativ und qualitativ<br />

unterschiedlich sind, liegt auf der Hand. „Man muss abwarten, bis es „klick“ macht.“ (B.<br />

Strauch, ebd.). Lernen braucht Zeit.<br />

Zeit ist Geld. Zeit ist Lebenszeit II<br />

Die tragenden pädagogischen Säulen des ELSA sind plakativ kondensiert in dem Akrostichon<br />

Erlebnis, Lernen, Spaß, Anspruch. In ihrem Artikel zum 50. Todestag von Maria Montessori<br />

fasst die Schulleiterin Erika Risse die in zahlreichen Studien bestätigten Chancen und Vorteile<br />

der offenen Arbeitsformen zusammen: selbstständiges Arbeiten, positives Sozialverhalten,<br />

intensive Konzentrationsfähigkeit, gesteigerte Lerneffizienz, Persönlichkeitsentwicklung.<br />

Man muss kein bedingungsloser Anhänger Maria Montessoris sein und man kann auch den<br />

Ergebnissen der verschiedenen Evaluationen, an denen das ELSA erfolgreich teilgenommen<br />

hat, kritisch gegenüber stehen, das zugrunde liegende Bildungskonzept, ob man es jetzt<br />

klassisch antiquiert oder modern progressiv nennt, zielt ab auf die Freisetzung des<br />

Individuums, das sich seiner verantwortungsvollen Rolle als soziales Wesen bewusst ist.<br />

„Unser Eingriff in diesen wunderbaren Vorgang ist mittelbar: wir haben diesem Leben, das<br />

von selbst in die Welt kam, die zu seiner Entwicklung erforderlichen Mittel zu bieten, und<br />

haben wir dies getan, so müssen wir achtungsvoll seine Entwicklung abwarten.“(M.M., zit.<br />

nach H. Heiland: Maria Montessori. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek b.<br />

Hamburg 2003, 9. Aufl., S.8)<br />

Wenn wir als Gesellschaft und Schule – endlich, jenseits aller Ideologie – akzeptieren lernen,<br />

dass Kinder (Menschen) unterschiedlich sind und Heterogenität nicht ein lästiges<br />

(Verwaltungs-)Problem ist, wenn wir Kompetenzgefälle und Unterschiede in der<br />

Lerngeschwindigkeit nicht als Problem der Auslese auf verschiedene Schulformen begreifen,<br />

sondern die Chancen individueller Kreativität sehen, wenn wir eine Lernumgebung schaffen<br />

können, in der „Leistungsunterschiede auf hohem Niveau“ (E. Stern, in: Die Zeit, 15.<br />

Dezember 2005, S.87) entstehen können, werden die (Vor-)Urteile bzgl. Kuschelpädagogik,<br />

Beliebigkeit, Ineffektivität etc. der offenen Arbeitsformen ihrer Basis beraubt und die<br />

Erkenntnis, dass Lernen immer individuell ist und immer individuelle Lernzeit braucht, wird<br />

selbstverständlich im Schulalltag sein. Für uns LehrerInnen bedeutet dies konkret, einen<br />

Lernalltag zu gestalten, der echte Lernzeit und ein größeres Maß an Zufriedenheit für alle<br />

Beteiligten gewährleistet. Die Gespräche mit SchülerInnen und KollegInnen am ELSA haben<br />

dies bestätigt.<br />

„Es gehört, glaube mir, ein großer und über menschliches Irrsal erhabener Mann dazu, nichts<br />

von seiner Zeit umkommen zu lassen, und sein Leben ist aus dem Grund das längste, weil es<br />

in seiner ganzen Ausdehnung ihm selbst zur Verfügung stand. Nichts davon hat brach und<br />

unbenutzt gelegen, nichts hing von der Verfügung eines anderen ab; hat er doch nichts<br />

gefunden, was wert gewesen wäre, es mit seiner Zeit zu vertauschen, deren sparsamster Hüter<br />

er war.“ (Seneca, zit. nach J. M. Werle (Hrsg.): Seneca für Zeitgenossen. Ein Lesebuch zur<br />

philosophischen Lebensweisheit. München: Goldmann 2000, S. 17)<br />

Ein Besuch am ELSA macht Mut. In diesem Sinne hat die Reise nach Oberhausen reiche<br />

Frucht getragen.<br />

Trier, den 6.6.2006

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!