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DAS PROBLEM DES URSPRUNGES VON PRINZIPIEN ...

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Siebter Abschnitt<br />

<strong>DAS</strong> <strong>PROBLEM</strong> <strong>DES</strong> <strong>URSPRUNGES</strong> <strong>VON</strong> <strong>PRINZIPIEN</strong><br />

(VERNUNFT) UND INHALT (MATERIE):<br />

ALLHEIT UND ALLGEMEINHEIT ALS VORBILD<br />

(IDEAL DER REINEN VERNUNFT), OMNITUDO<br />

REALITATIS UND PROTOTYPON<br />

TRANSCENDENTALE ALS URBILD<br />

(TRANSZENDENTALES IDEAL).


— 1092 —


— 1093 —<br />

A. DER URSPRUNG DER THEOLOGISCHEN IDEE UND DIE<br />

WIDERLEGUNG DER GOTTESBEWEISE<br />

Die Diskussion der Auflösung der vierten Antinomie und der<br />

theologischen Idee im Anhang zur transzendentalen Dialektik wurde<br />

schließlich von Kant auf die heuristischen Momente beschränkt, was ich<br />

im der transzendetalen Methodenlehre vorangehenden Abschnitt gegen<br />

Ende nur stärker herausgearbeitet habe. Die theologische Idee selbst<br />

scheint bei dieser Beschränkung auf heuristische und zweckmäßige<br />

Gesichtspunkte auf einen historischen, vielleicht individuell zu<br />

wiederholenden Entwicklungsabschnitt der Vernunft beschnitten, der<br />

durch die Idee der systematischen und zweckmäßigen Einheit ersetzt<br />

werden kann. Im dritten Abschnitt der theologischen Idee: »Von den<br />

Beweisgründen der spekulativen Vernunft, auf das Dasein eines höchsten<br />

Wesens zu schließen« wird dann doch deutlich, weshalb die dritte<br />

transzendentale Vernunftidee eine theologische Idee sein muß: Die<br />

Vorstellung der Totalität der Reihe der Bedingungen führt<br />

notwendigerweise zur Vorstellung einer letzten bzw. höchsten Ursache,<br />

die keiner weiteren Ursache mehr bedarf. Zwar ist es richtig, daß diese<br />

Idee eine notwendige Vernunftidee ist, doch wird dabei auf die ebenso<br />

notwendige Alternative der bereits diskutierten endlosen Reihe von<br />

Bedingten und Bedingungen, die selbst wieder bedingt sind, vergessen.<br />

Für den ersten Schritt auf dem Weg zu den verfolgten Ziele reicht aber die<br />

Einsicht, daß zumindest die Idee einer im Regressus letzten, also ersten<br />

und obersten Idee eine notwendige Vernunftidee ist, auch wenn noch nicht<br />

verstanden worden ist, welche Verbindung zwischen dem Regressus von<br />

der niedrigeren zur höheren Idee einerseits und dem Regressus des<br />

Bedingten zum Unbedingten und dem Regressus der Reihe der Ursachen<br />

bis zur letzten und obersten Ursachen andererseits herzustellen ist, um auf<br />

die notwendige Einzigkeit einer transzendentalen Argumentation zu<br />

kommen. Es bleibt zu fragen, welches Motiv hier die Auswahl zwischen<br />

den beiden zunächst gleich notwendigen Vernunftideen beeinflußt hat.<br />

Man darf etwa näher auch fragen, weshalb die endlose oder wirklich ins<br />

Unendliche gehende Reihe unterbrochen werden muß. Das braucht nicht<br />

allein ein metaphysischer Grund (Seinsgrund) sein, sondern es ist auch zu<br />

berücksichtigen, daß die Erörterung in der Spannung zwischen einem<br />

radikalen transzendentalen Idealismus und dem sich mit dem<br />

synthetischen Urteil a priori einstellenden, nicht völlig resubjektivierbaren


— 1094 —<br />

Begriff einer Relation als eigentliches Charakteristikum der objektiven<br />

Realität steht, welcher — zumal nach der dritten dynamischen Kategorie<br />

des Commerciums — eine metaphysische Analogie auch im Rahmen der<br />

kosmologischen Idee im Gegensatz zum strengen transzendentalen<br />

Idealismus nicht zu verbieten, vielmehr zu fordern scheint, wenngleich<br />

Kant mit der Differenz des Dinges an sich und des Dinges an sich selbst<br />

aus anderen Gründen scheitert. Die endlose Reihe möglicher Analyse aber<br />

wird schon dadurch unterbrochen, als daß zum Verständnis einer<br />

Situation, in Abhängigkeit von der Horizontziehung, der Rückgang auf ein<br />

Unbedingtes, bzw. die Gesamtheit der Bedingungen, auch von Kant<br />

während der Aufstellung der Tafel der kosmologischen Ideen für den<br />

logischen Gebrauch der Begriffe als nicht notwendig erachtet wird. Dort<br />

markiert der Übergang zur Totalität der Reihe der Bedingungen vielmehr<br />

den Beginn der Dialektik in der kosmologischen Ideen.<br />

1) Transzendentaler Idealismus und Realismus als Grenzbestimmung<br />

zwischen kosmologischer und theologischer Idee.<br />

Erste Charakeristika höherstufiger Prädikate<br />

Hier stehen aber mit der Entscheidung über die Möglichkeit, sich über<br />

objektive Realität ein Urteil zu bilden, zwei grundsätzliche Fragen an, die<br />

auch für die Untersuchung der Geltungsmöglichkeit von Aussagen zur<br />

theologischen Idee methodisch von Wichtigkeit sind. Wie weit trägt das<br />

synthetisches Urteil a priori: (a) als modales Urteil, (b) als relationales<br />

Urteil?<br />

Diese Fragen können beide jeweils auf eine weitere Frage zurückgeführt<br />

werden: Überschreitet das synthetische Urteil a priori die Grenzen des<br />

strengen transzendentalen Idealismus? Nur so weit, als der strenge<br />

transzendentale Idealismus selbst schon nur auf ein reines intelligibles<br />

Subjekt als synthetisch-metaphysische Vorstellung beruhen soll und nicht<br />

auf den Horizont der Erfahrung, womit die transzendentale Analytik<br />

beginnt. Damit ist eine Bedingungen zur Beantwortung dieser einfachen<br />

grundlegenden Fragen (für jede der obigen Frage für sich oder als<br />

genetisch grundlegendere Frage) genannt worden, die einen strengen<br />

Widerspruch in sich selbst darstellt. Der strenge transzendentale<br />

Idealismus kennzeichnet genau die Position, von wo aus sowohl die<br />

transzendentale Ästhetik wie die transzendentale Analytik der


— 1095 —<br />

Verstandesbegriffe und Grundsätze des empirischen<br />

Verstandesgebrauches ausgeht. Wie kann zu verstehen zugemutet werden,<br />

daß diese Position auf das intelligible Subjekt aufruht? Das wurde sowohl<br />

in der Deduktion des transzendentalen Prinzips der Kausalität im Rahmen<br />

logifizierter Zeitbedingungen streng umrissener transzendentaler<br />

Erfahrungsbedingungen, wie in der dritten Antinomie und deren<br />

Auflösung anhand des nur teilweise aufgelösten Problems der<br />

Zurückhaltung Kantens in der Beurteilung der fundamentalen<br />

Ursprünglichkeit der transzendentalen Idee der Freiheit und deren<br />

Konsequenzen für die Frage nach der Natur der Kausalität der<br />

Intelligibilität allerdings schon klar gestellt, als daß diese Frage von der<br />

Naturkausalität distinkt getrennt wird (Kausalität durch, Kausalität aus<br />

Freiheit). Die in der Auflösung der dritten und vierten Antionomie der<br />

kosmologischen Ideen starke Trennung der Zeichenhaftigkeit des<br />

Bewußtseins von der Naturkausalität verleiht noch der methodischkritischen<br />

Haltung der transzendentalphilosophischen Propädeutik einen<br />

synthetisch-metaphysisch erzeugten Inhalt als »Grund« des<br />

transzendentalen Idealismus.<br />

Hier jedoch scheint die Sachlage eine andere zu sein, denn es geht nicht<br />

um das transzendentale Ideal der Freiheit, sondern um den Horizont der<br />

Erfahrung, womit die transzendentale Analytik beginnt. Freilich ist der<br />

transzendentalen Analytik die transzendentale Idee der Freiheit genetisch<br />

vorauszusetzen, doch aber ist die transzendentale Analytik eine<br />

Einklammerung einer Handlungsform (wie früher schon ausgeführt), die<br />

der transzendentalen Idee der Freiheit vielleicht schon ansichtig geworden<br />

ist, vielleicht aber auch noch nicht als transzendentale Idee. Die<br />

transzendentale Idee der Freiheit ist also nicht nur ausgeklammert,<br />

sondern im Ausgeklammerten (der pragmatischen Vernunfttätigkeit) nicht<br />

notwendigerweise schon explizite enthalten. Wohl muß eine Idee der<br />

Freiheit im Zusammenhang mit Schuld und Ursache pragmatisch und<br />

genetisch schon vorausliegen, doch aber nicht als transzendentales Ideal<br />

der reinen praktischen Vernunft. Keineswegs leugne ich die grundlegende<br />

Möglichkeit (vgl. die Entwicklung der Evidenzlehre der Megariker und<br />

Epikuräer), allerdings die unbedingte Notwendigkeit, um mit der<br />

philosophischen Untersuchung beginnen zu können. — Dazu<br />

komplementär: Die Idee der Freiheit ist im Urteilen wie im Schematismus<br />

implizite Voraussetzung, da die Verstandestätigkeit ein Akt unserer<br />

intelligiblen Spontaneität ist, und so von Anbeginn dieser Untersuchung


— 1096 —<br />

als transzendentale Idee vorausgesetzt zu betrachten sein muß. Unter der<br />

Voraussetzung der transzendentalen Analytik, das heißt neben der<br />

Berücksichtigung des transzendentalen Problems der Einschränkung des<br />

Erfahrungsraumes, eben auch unter der Voraussetzung der logischen<br />

Form des Urteils als für den Syllogismus zurechtgemachte Prädikatenlogik<br />

und unter halbherziger Beiziehung der Konsequenzlogik, die zwischen<br />

Verstandes- und Vernunftschluß unentschieden bleibt, ist diese implizite<br />

vorausgesetzte Idee der Freiheit als unbedingt notwendig zu denken. Die<br />

transzendentale Idee der Freiheit hat ihren systematischen Platz in der<br />

dritten Antinomie und deren Auflösung.<br />

Es findet gewissermaßen eine Einschränkung der Potentialität des<br />

ursprünglichen Verbindens, wie aus § 16 bekannt, statt; im dortigen<br />

transzendentalpsychologischem Sinne ist die ursprüngliche Handlung des<br />

Denkens das Verbinden. Die Ausarbeitung dieses Gedankens erlaubt die<br />

Fassungen A und B der Deduktion ins Verhältnis zu setzen und findet sich<br />

hier im ersten Abschnitt (Grund und Ganzes). Die Definition der<br />

intelligiblen Spontaneität, die sich im »Ich denke« ausdrückt, beinhaltet<br />

meiner bis jetzt aufrecht erhaltenen Auffassung nach nicht von selbst ein<br />

als grundlegend zu bezeichnendes Set von logischen Regeln, die in der in<br />

§ 16 der transzendentalen Deduktion verwendeten Bestimmung des<br />

Denkens erlauben würde, von einer vollständig, oder auch nur kategorial<br />

auf relevante Weise methodisch vollständig bestimmten<br />

Verstandestätigkeit zu sprechen. Vielmehr ist diese Erörterung bereits ein<br />

Produkt der radikalen transzendentalen Einklammerung des<br />

cartesianischen Erkenntnissubjekts, und bedarf weiterer<br />

Bestimmungsstücke, die nicht alle in der dortselbst gegebenen Definition<br />

auch schon analytisch enthalten sind, sondern das Ideal der reinen<br />

Vernunft (Begriff vom einzelnen Gegenstand) und nicht das Problem der<br />

transzendentalen Rechtfertigung der Mathematik insbesondere und den<br />

Formalwissenschaften im allgemeinen voraussetzen. Die transzendentale<br />

Logik muß nicht als Organon, vielmehr als Kanon verstanden werden<br />

können, 1 ähnlich wie die intelligible Spontaneität zur Verstandestätigkeit<br />

allererst bestimmt werden kann. Die transzendentale Logik wird<br />

hinsichtlich der Kriterien von objektiver Realität auf die relationale Seite<br />

der Frage nach der Bestimmbarkeit einer qualitativen oder quantitativen<br />

Bestimmung eingewiesen. Diese Bestimmbarkeit der Bestimmung ist aber<br />

1 Michael Benedikt, Philosphischer Empirismus, II. Praxis, Turia und Kant Wien 1998,<br />

V. Kap., p. 131


— 1097 —<br />

nicht einfach eine Aufstufung höherklassiger Prädikate im Sinne der<br />

Typenlehre von Russell, sondern vielmehr als eine eigenständige<br />

höherstufige Prädikatisierung von Vorstellungen mit Wahrheit anzusehen.<br />

Rein logisch ausgedrückt, gibt es eine allgemeine Wahrheit auch ohne<br />

konkret-allgemeine (weniger allgemeinen) Wahrheiten. Die hinsichtlich<br />

der Bezeichnung des Ursprunges eines Existenzbegriffes in Rede<br />

stehenden Prädikate sind hingegen modale Prädikate von Relationen<br />

(Prädikatsverhältnisse und Verhältnisprädikate) und eben nicht weitere<br />

Prädikationen von Prädikaten.<br />

2. Modalität und objektive Realität: Das Evidenzproblem des<br />

synthetischen Urteils a priori im Horizont des strikten transzendentalen<br />

Idealismus und das Problem des Existenzialsatzes<br />

Inwiefern kann nun ein modales Urteil ohne fundierende Bezugnahme auf<br />

ein Relational überhaupt gedacht werden? Ist ein modales Urteil als<br />

kriterienlose, womöglich transzendentalsubjektivistisch auch für<br />

Erkenntnisgründe als ursprünglich nur mißverstandene Evidenz<br />

überhaupt möglich, selbst wenn die Orientierung an der Bestimmbarkeit<br />

entlang der von der primären Intentionalität vorgegebenen Direktion des<br />

Interesses von objektiver Gültigkeit und objektiver Realität aufgehoben<br />

werden könnte? Diese Frage wurde ebenfalls in vorangegangenen<br />

Abschnitten anhand der Unterscheidung von Grundurteil, Existentialurteil<br />

und kategorisches Urteil dahingehend erörtert, daß Objektivität für<br />

subjektive und empirische Evidenz von Bestimmungen ohne<br />

Relationsbestimmung überhaupt unmöglich sei (aber deshalb nicht<br />

grundsätzlich unmöglich für alle qualitativen und nicht zugleich<br />

quantitative Prädikate). Damit ist in jedem Fall davon auszugehen, daß es<br />

kein modales Urteil ohne Relation gibt; mit einer einzigen Ausnahme: Der<br />

selbst bereits analytischen Feststellung des bloßen Daseins als inhärentes<br />

Momentum des Bewußtseins, die genetisch-analytisch zwar noch vor der<br />

Bestimmung der numerischen (A) und identischen (B) Einheit des<br />

Bewußtseins gedacht werden kann, dieser aber nicht anzusehen ist, ob<br />

dergleichen auch nur selbst als ursprüngliche und fundamentale Evidenz<br />

notwendigerweise zu denken ist, oder ob diese idealistische Vorstellung<br />

von Bewußtseinsimmanenz zwar eine analytisch herausgehobene<br />

Möglichkeit, aber damit auch schon nichts als ein Produkt der geregelten<br />

Spekulation über die Grenzen von Bedingungen der Möglichkeit der


— 1098 —<br />

Erfahrung hinaus ist, und die nur vermeintlich »ursprüngliche« Evidenz<br />

eines reinen Selbsbewußtseins fingiert.<br />

Es ist eben von dieser Stelle der systematischen Reflexion über das<br />

Bewußtsein selbst als Phänomen ausgehend noch nicht zu entscheiden<br />

möglich, was mit der vermuteten Unmittelbarkeit dieser und ähnlicher<br />

Evidenzen auf sich hat; ich neige zur Auffassung, daß das besagte<br />

Momentum selbst einen Mindesthorizont von Gleichursprünglichkeit mit<br />

anderen Momenten des Bewußtseins besitzt und insofern im strengen Sinn<br />

weder an sich unmittelbar ist noch für sich ohne Relationsbegriffe<br />

auskommen kann. Das »Weitere« ist eben nicht gleich der »logische<br />

Gegenstand« der Intentionalität eines Urteils, die mit einem Satzsubjekt<br />

oder einem Satzgegenstand primär bestimmt wird. Die Untersuchung geht<br />

selbst zwar urteilend vor, untersucht aber im primären Modus gerade<br />

keine Intention auf ein Objekt, vielmehr ein qualitativ-modales Urteil<br />

(Quaeitas) ohne Relation, das sich aber möglicherweise selbst als Moment<br />

eines Intentionengeflechts vorstellen läßt. Eben diese Vorstellungsart<br />

findet ihre Grenze darin, als daß die Beziehungen im Horizont einer<br />

vermutlich anzusetzenden Gleichursprünglichkeit selbst (ohne<br />

transzendentalanalytische Untersuchung) sowenig intentional sein können<br />

wie viele andere Beziehungen zwischen Elemente einer Vorstellung von<br />

intentional zusammengesetzten Akteinheiten auch. Ähnliches wurde im<br />

vierten Abschnitt anfangs im Zusammenhang des Problems einer<br />

eigenständigen Intentionalität von Gefühlen als methodische Schwierigkeit<br />

bereits festgestellt. Die Intentionalität auf den Horizont einer solchen<br />

Gleichursprünglichkeit ist, wie schon wie weiter oben auch im<br />

Zusammenhang zum Problem der »genetischen« Auffassung einer<br />

Reihenfolge von Argumenten ersichtlich, eine Folge der Analyse und<br />

insofern rein abstrakt betrachtet, nichts als ein Artefakt der Methode. Der<br />

Horizont der hier vermuteten Gleichursprünglichkeit ist auch nicht sofort<br />

der eines Satzes als grammatikalische und logische Form des<br />

Verstandesurteils, der allerdings als Urteil ideal oder normativ selbst als<br />

ausgebildetes Intentionengeflecht (eben auch in der Reflexion auf<br />

grammatikalische und logische Bestimmungen im Rahmen der<br />

Bestimmung des syntaktischen Kriteriums) darstellbar sein muß.<br />

Es ist aber von einem einfachen Bewußtseinsphänomen der<br />

Aufmerksamkeit durchaus die Rede, das erst in der Analyse selbst als<br />

Produkt eines vorgängigen Prozesses erscheint, doch kann klarerweise<br />

dieses einfache Bewußtseinsphänomen nicht selbst als modales Urteil


— 1099 —<br />

aufgefaßt werden; vielmehr ist erst die Reflexion auf das Inhaltliche des so<br />

genannten einfachen Bewußtseinsphänomen die Bedingung, um eine<br />

Relation zu entwickeln, die diese Reflexion ihrerseits der bestimmenden<br />

Urteilskraft und ihrem Ideal vom Urteil zu unterwerfen vermag. Dieses<br />

Ideal bleibt zunächst im Rahmen der Forderung nach formaler<br />

Vollständigkeit der grammatikalischen und logischen Bedingungen einer<br />

Aussage im Sinne von bestimmenden Urteilen, und ist nicht mit einem<br />

Vernunftideal der Organisation der Erkenntnisse zu verwechseln,<br />

wenngleich in dieser Hinsicht Verstandesideal und Vernunftideal singulär<br />

im Regressus des Erfahrungmachens zusammenfallen. — Um zur<br />

Ausgangsfrage zurückzukehren: Inwieweit kann im Rahmen des<br />

Subjektivismus des strengen transzendentalen Idealismus ein<br />

synthetisches Urteil a priori überhaupt behalten werden? Da auch in einem<br />

modalen Urteil nur dann im Sinne des Verstandesideals geurteilt wird,<br />

wenn die Reflexion der Reflexionen oder des Inbeziehungsetzens der<br />

Elemente des Horizonts der Gleichursprünglichkeit als ein Formbegriff der<br />

bestimmenden Urteilskraft nochmals vorgestellt werden kann, was nichts<br />

anderes heißt als die Ersetzung der Reflexion auf Wahrnehmungen selbst<br />

durch abstrahierende Symbole, findet wohl eine gegenüber der<br />

empirischen Erfahrung intellektuelle Synthesis statt, die man nicht anders<br />

als synthesis intellectualis bezeichnen kann. Daß eine solche Synthesis a<br />

priori stattfinden muß, darf als ausgemacht gelten, das aber macht ein<br />

synthetisches Urteil a priori selbst nicht aus. Das entscheidende Kriterium<br />

ist darin zu suchen, wie der Formbegriff zustande kommt. Nun konnte<br />

gezeigt werden, daß solche Formbegriffe notwendigerweise nur<br />

nachfolgend sein können. Synthetische Urteile a priori aber machen einen<br />

Formbegriff als Ausdruck einer Relation allererst möglich. Die Singularität<br />

der »formalen« Argumentation vermag nicht das transzendentale Prinzip<br />

zu ersetzen, daß das synthetische Urteile a priori im Rahmen der<br />

vollständigen transzendentalen Deduktion (Analyse und Synthesis)<br />

vorausgesetzt sein muß. Dennoch kann über den fraglichen Formbegriff<br />

nicht einfach auf eine Weise des Auffindens gesprochen werden. Die<br />

Metapher der Produktion, die Kant in der dritten Kritik selbst<br />

verschiedentlich verwendet, verfügt zwischen Naturtechnik und<br />

Naturzweck selbst nicht über ein eigentliches Urteil a priori im hier<br />

verlangten strengen Sinn. Es kann analytisch (aus der Unmöglichkeit des<br />

Gegenteils — apagogisch) wegen der Singularität des Arguments gefordert<br />

werden, daß es einen solchen Formbegriff gibt, aber es kann nicht einmal<br />

behauptet werden, daß es eine Relation gibt, bevor sie nicht durch die


— 1100 —<br />

Reflexion hergestellt und durch eine grammatikalisch mögliche Relation<br />

formal charakterisiert worden ist. Für hier ist diese Einspielung gerade<br />

noch dazu geeignet, die Konventionalität der fraglichen Relation zu<br />

beleuchten, deren Substrat für uns als analytisch Nachdenkende schon<br />

auch ohne die Beschränkung durch die transzendentale Kritik<br />

methodischer Artefakte nicht abermals als einfache Relation zu denken<br />

möglich scheint.<br />

Im Sinn der Ausgangsfrage weiter gefragt ist in Folge zu konstatieren, daß<br />

es kein synthetisches Urteil a priori im Rahmen der selbst im übertragenen<br />

Sinne als »ausgedehnt« zu bezeichnenden Grenze des strikten<br />

transzendentalen Idealismus der transzendentalen Ästhetik gibt. Doch<br />

aber »gibt« es diese Grenze; und man darf nach all dem wohl sagen,<br />

aufgrund einer Synthesis, die a priori geschehen muß. Das bedeutet eben<br />

aber nicht komplementär oder gar nach dem einfachen Grundsatz vom<br />

Gegenteil des Unmöglichen, daß mit der Vorstellung dieser fraglichen<br />

Synthesis a priori, die — ursprünglich wie auch immer — nur im Zuge der<br />

transzendentalen Analytik gewonnen werden konnte, auch die »formale«<br />

Synthesis eines Horizontes der Gleichursprünglichkeit selbst und deren<br />

Gesetzmäßigkeiten implizite schon gegeben wären. Wahr ist vielmehr, daß<br />

die Notwendigkeit einer solchen Synthesis transzendentalanalytisch<br />

dargetan werden kann, doch bleibt solches notgedrungen modallogisch.<br />

Wahr ist aber ebenso, daß die Forderung nach einer vorgängigen Synthesis<br />

nicht überhaupt und als solche bloß ein Artefakt der Methode sein kann,<br />

auch wenn ein synthetisches Urteil a priori im engen Sinn des Wortes als<br />

rein modales Urteil (und »logisch« ursprüngliche Evidenz) hier am Beginn<br />

der Analyse des transzendentalen Subjekts als intelligibles Subjekt nicht als<br />

solche nachgewiesen werden kann. Der bloße Umstand, daß auch der<br />

strikte transzendentale Idealismus seine ihm ins Antlitz eingeschriebene<br />

Einseitigkeit nicht innerhalb einer einseitig festschreibbaren Grenze<br />

uneingeschränkt behaupten kann, vermag also ein synthetisches Urteil a<br />

priori nur aus methodischen Gründen, die in den Grenzen der logischen<br />

und grammatikalischen Bestimmbarkeit des Intentionensgeflechtes liegen,<br />

nicht zu verweigern, sondern nunmehr schon aus Gründen eben dieser<br />

ursprünglichen Überschreitung der Einfachheit selbst. Diese<br />

Überschreitung gehört zur Spontaneität, die in dieser Einfachheit allein<br />

darin besteht, die formal als ursprünglich gesetzte Einfachheit zu<br />

überschreiten, ansonsten die Spontaneität selbst nur zu einer<br />

Gesetzmäßigkeit, die in dieser Einfachheit ihre Erschöpfung fände, führen


— 1101 —<br />

würde. Jedoch wäre das nichts anderes als die Spontaneität als bloße<br />

Subreption von Formbegriff und Kraftbegriff gedacht. Spontaneität ist<br />

zwar selbst als Ursache zu denken, aber keineswegs auf den Kraftbegriff<br />

zu reduzieren. Zur Spontaneität selbst gehört somit (wenn man hier schon<br />

aus dem Gegenteil schließen möchte) gerade nicht die gesetzmäßige<br />

Vorhersagbarkeit, wohl aber als intelligible Spontaeität das Vermögen der<br />

Selbstgesetzgebung der Vernunft.<br />

Es stellt sich jedoch schon für den Verstandesgebrauch die Frage,<br />

inwieweit das Vertrauen gerechtfertigt ist, das in den Gesetzesbegriff<br />

selbst hinsichtlich seiner Leistungen hinsichtlich der Bestimmung von<br />

objektiver Gültigkeit investiert worden ist; und zwar eben nicht nur, wenn<br />

es um den konkreten Einzelfall geht, der als solcher immer auch<br />

assertorisch verstanden werden können muß; und zwar auch schon bevor<br />

eine transzendentale Zeitbedingung aus transzendentalästhetischen,<br />

transzendentalpsychologischen und aus aussagenlogischen Gründen<br />

eingerichtet werden konnte, die erst eine vollständige kategoriale<br />

Definition erlaubt. Letztenendes hängt das Ungenügen gegenüber den<br />

konkreten Einzelfall als Individuum zuvor mit dem Ungenügen gegenüber<br />

der Totalität der Reflexion zusammen; und zwar bezeichnenderweise<br />

bevor der Horizont der Frage nach einer weiteren Eingeschränktheit oder<br />

Entschränktheit des Totums dieser ursprünglich transzendentalen<br />

Reflexion und den damit möglichen Folgen allgemeiner und konkreter<br />

Bestimmbarkeit von Einzellfall und mögliches Ganzes überhaupt fixiert<br />

werden kann. Weiters kann mit dem Gesetzesbegriff allein objektive<br />

Realität nicht ausreichend charakterisiert werden; das zeigt schon die<br />

Beurteilung der inneren Zweckmäßigkeit von Geometrie und Algebra<br />

Kantens, die allein nur zur objektiven Gültigkeit zureicht. — Spontaneität<br />

kann jedenfalls weder mathematisch noch dynamisch zureichend mit dem<br />

Gesetzesbegriff charakterisiert werden.<br />

Selbst in der Frage nach dem einfachen Phänomen des Bewußtseins stößt<br />

man auf die Idee der Freiheit; und zwar eben noch bevor der Horizont der<br />

Wahlmöglichkeit oder der Haltung im Falle der Alternativlosigkeit<br />

diskutiert werden kann. Die Behandlung der Spontaneität selbst kann nun<br />

unter keinen anderen Bedingungen erfolgen, wie das einfache Phänomen<br />

des Bewußtseins, was eine Rückbesinnung auf das Verstandesideal und<br />

dessen Schema des Urteils zwischen Grammatik und Logik notwendig<br />

macht, um daraus nunmehr im Rückblick die Differenz zwischen<br />

Spontaneität und Verstandesvermögen nochmals zu verstehen. Ob im


— 1102 —<br />

Schema des Urteils nicht bloß transzendentale Reflexion stattfindet,<br />

sondern dazu noch ein transzendentales Prinzip Platz greift, was ein<br />

synthetisches Urteil a priori als Grundlage der Aussagenkönnens die<br />

diskursive Form der Logik im Sinne des Behaupten- und<br />

Verwerfenkönnens allererst möglich machen könnte, ist von den<br />

Erwartungen Kants her zu beurteilen: Seine Weigerung, der Logik<br />

Leibnizens in seinem Sprachmolekularismus nachzufolgen, kann wohl<br />

nicht dem Existenzialsatz gelten, welcher der Form nach der Endfassung<br />

des Leibnizschen Logikkalküls zugrunde liegt. Doch schon die<br />

grundlegende Aufspaltung des einfachsten formalen logischen Elementes<br />

in Intuition und Diskursivität zeigt meiner Auffassung nach an, daß Kant<br />

einer prästabilierten Konvergenz von Metaphysik der Mathematik und<br />

Metaphysik der Natur (Kontingenz) systematisch mißtraut hat. Zweierlei<br />

ist als Ergebnis einer solcher Untersuchung zu erwarten: 1.<br />

Transzendentale Prinzipien beziehen sich immer schon auf<br />

Außersprachliches. Eine eigene Transzendentalität der Sprache gibt es<br />

nicht, oder nur in radikal transzendentalsubjektivistischer Hinsicht: das<br />

transzendentales Ich als sich monologisch artikulierende freie Person. 2.<br />

Kants transzendentalanalytischer Ansatz wird für die Probleme der<br />

analytischen Sprachphilosophie (etwa Searle, Apel im Umgang mit dem<br />

Zusammenhang von Wahrheit und Existenz) wie für die moderne<br />

mathematische Logik, insbesondere für deren weiterführende Probleme,<br />

die sich anhand einer bloß formalen extensionalen Betrachtungweise<br />

höherstufiger Prädikate zwischen Gödel und Russell zeigen, bald ebenso<br />

von Bedeutung sein, wie Leibniz.<br />

Der strikte transzendentale Idealismus der transzendentalen Ästhetik muß<br />

also überschritten werden, um zu einem transzendentalen Prinzip des<br />

synthetischen Urteil a priori zu gelangen, welches diesen Überschritt erst<br />

zu rechtfertigen vermag. Das bedingt die Formulierung von Beziehungen<br />

als Relationsform, wobei eben die Beziehung des Erkenntnissubjekt zum<br />

Erkenntnisobjekt nicht einheitlich formalisiert werden kann<br />

(Affinitätsproblem), aber gerade das, was im Erkenntnisinteresse liegt,<br />

nämlich die Relation zwischen den daseienden Dingen, schon analytischmetaphysisch<br />

als naiver transzendentaler Realist aus der bloßen Vielheit<br />

und der Eigenschaft unseres Verstandes, den Erscheinungen Dinge zu<br />

unterlegen, gedacht wird. Der aufgeklärte transzendentale Realist weiß<br />

aber, daß sich seine Vorstellungen nur auf Erscheinungen beziehen, und<br />

muß nach dem transzendentalen Prinzip suchen, welches ein synthetisches


— 1103 —<br />

Urteil a priori als Grundlage für konkret bestimmbare und aktuell<br />

assertorische Erfahrungsurteile erst möglich macht. Das kategorische<br />

Urteil ist nun ein Urteil, das Washeit und Modalität anhand der logischen<br />

Relationsform zwischen den Bestimmungen der Washeit, die sprachlich<br />

betrachtet, aussagenlogisch gegeben werden (z. B. als Konjunktion oder als<br />

Disjunktion, aber auch als Implikation), gemäß des syntaktischen<br />

Kriteriums zu bestimmen sucht. Das Schema eines kategorischen Urteils<br />

verlangt nach Allgemeingültigkeit — hier ist der Ort der Reflexion, ein<br />

synthetisches Urteil a priori zu verlangen, um die Möglichkeit solcher<br />

Urteile im Sinne von Propositionen, die über das Sosein von Existierenden<br />

bestimmend aussagen, zu beweisen. Im Sinne des Descartschen Diktums,<br />

Ideen seien Sätze, nicht Begriffe, kann man auch sagen, das synthetische<br />

Urteil a priori sei das Prinzip, und erweise epistemologisch im Nachweis<br />

wie mit der Bestimmung der Bedeutung der Frage nach der Identität von<br />

Wahrheit und Existenz in einem seine Transzendentalität. Mit dieser<br />

Gegenüberstellung ist komplementär nicht mehr oder weniger als eine<br />

Formbestimmung von Existentialsätzen gewonnen, die nicht allein auf<br />

logische oder grammatikalische Elemente beruht; vielmehr die Formen des<br />

Gegebenseins, zuerst in Hinblick auf sinnlich gegebene Erfahrung, als<br />

davon verschiedene (unabhängige) Voraussetzung in ihrer Rechtfertigung<br />

heranzieht. Gerade weil damit jede weitere Wesenserörterung im Sinne<br />

der Koordinationen von Eidos und Genus abgeschnitten worden ist,<br />

welche zu einer nicht bewältigbaren regionalontologischen Fassung zu<br />

führen hätte, kann das synthetische Urteil a priori auch nicht selbst als<br />

Existentialsatz aufgefaßt werden: Kant schließt jede Auffassung von<br />

Existentialsätzen, die auf sprachmolekularen Vorstellungen beruhen,<br />

welche zumindest der Realmöglichkeit nach die Elemente empirischer<br />

Wahrheit beinhalten, kategorisch aus. Das unterscheidet auch die hier<br />

verfolgte Auffassung von den Überlegungen von Bertrand Russell zur<br />

entscheidbaren Proposition, die zwar nicht vom Sprachpartikularismus,<br />

jedoch von einem möglichst einfachen Existentialsatz ausgehen, der einem<br />

System höherstufiger Prädikate zugrunde liegen soll. Der transzendentale<br />

synthetische Grundsatz der Deduktion des transzendentalen Prinzips der<br />

Kausalität ist hingegen nicht ein Existenzialsatz, sondern selbst das<br />

transzendentale Prinzip von Propositionen als »Tatsachenaussagen«,<br />

denen Russell prekär die subjektiv verbleibenden »Namen der Dinge«<br />

gegenüberstellt. 2<br />

2 Willard Van Orman Quine, Theorie und Dinge, Übersetzung J. Schulte,


— 1104 —<br />

Der transzendentale Idealismus ist notwendig, um dem Erkenntnisgrund<br />

radikal ein ursprüngliches Fundament zu verleihen, denn es ist gerade<br />

nicht so, daß wir über das Bewußtsein unseres Daseins hinaus uns selbst<br />

mit Gewißheit bekannt sind. So gibt es auch einen metaphysischen und<br />

ontologischen Grund des transzendentalen Idealismus weiterhin zu<br />

vermuten, obgleich dessen daraus erst nochmals nach Seinsgründen zu<br />

rechtfertigenden transzendentalen Subjektivismus selbst erst das<br />

Fundament des wissenschaftlichen Denkens aus der bloßen Spekulation<br />

befreit: Die ursprüngliche Relation zwischen Subjekt und Objektwelt im<br />

Affinitätsproblem muß vervollständigt werden; durch die mangelnde<br />

Bestimmung der Position des Erkenntnissubjektes nach der<br />

Einklammerung ist das auf das Erkenntnissubjekt reduzierte intelligible<br />

Wesen in seiner Beziehung zur Gottähnlichkeit und der damit in Verlust<br />

geratenen ontologischen Gewißheit, die zuvor in Rückbezug auf die<br />

adamitische Ursprache noch möglich schien, fraglich geworden. — Diese<br />

Perspektive könnte helfen, das Schwanken Kants zwischen<br />

transzendentalem Idealismus und transzendentalem Realismus im<br />

Übergang von kosmologischer zu theologischer Idee verständlich zu<br />

machen.<br />

3. Die reinen Prinzipien der Ideenlehre sind selbst weder transzendental<br />

noch ontotheologisch. Eine schwache formalontologische Rechtfertigung<br />

der theologischen Idee<br />

Die Entscheidung über die Transzendentalität von Prinzipien findet ihren<br />

eigentlichen Grund letztlich in der Eigenart der Architektonik der reinen<br />

Vernunft, gewissermaßen alternative Zimmerfluchten transzendenter<br />

Ideen doch zu Flügeln eines Gebäudeabschnitts von Idden regulativer<br />

Funktion zusammenzufügen; im positiven Falle handelt es sich um die<br />

Bezugnahme auf die Auflösung der dritten Antinomie, die insofern<br />

angebracht ist, weil noch in der »Endabsicht« Kant eine Fassung der<br />

theologischen Idee vorlegt, in welcher der »archetypus intellectus« der<br />

menschlichen Vernunft das Urwesen und das höchste Wesen bereits<br />

ersetzt hat. Man könnte diese Fassung für zu radikal empfinden, steht<br />

Frankfurt/Main, Suhrkamp 1 1991, S. 108. (Theories and Things, Harvard College<br />

1981)


— 1105 —<br />

doch die Möglichkeit der intelligiblen Ursächlichkeit für die in der<br />

sinnlichen Erfahrung gegebenen Welt für den Menschen (und a fortiori für<br />

Intelligenzen mit sinnlicher Anschauung überhaupt) auf dem Spiel. Fände<br />

man einen zureichenden Grund, sich gegen die starke Fassung der<br />

theologischen Idee zu entscheiden, bliebe sie immerhin eine notwendige<br />

Vernunftidee, aber von nur subjektiver Gültigkeit. Insofern bleibt eine<br />

gewisse Verbindung zur Entwicklungspsychologie und historischen<br />

Ausformung transzendentalobjektiv verstandener Genetik aufrecht.<br />

Ich behaupte also, daß die Gefahr der architektonischen Schwächung der<br />

Position der intelligiblen Ursächlichkeit, und damit auch der<br />

Einschränkung der transzendentalen Freiheit gleich von vorneherein auf<br />

die Intellection stösst, und zum architektonischen Argument wird,<br />

weshalb die theologische Idee als solche (als Urbild und höchstes Wesen)<br />

der als Vernunftidee subjektiv gleichnotwendigen Idee des endlosen oder<br />

wirklich ins Unendliche gehenden Regressus (gemeinsam mit der Idee der<br />

systematischen und zweckmäßigen Einheit der Natur als Prinzip deren<br />

Betrachtung) vorgezogen wird. Und zwar erstens, weil mit dem<br />

entgegengesetzten Schluß die in Stellung gehaltene Hypostasierung der<br />

Intelligibilität überhaupt in Gefahr kommen würde, sodaß das<br />

transzendentale Subjekt samt dessen nicht nur im ontotheologischen<br />

Analogieschluß unumgänglichen Problem der Leiblichkeit sich dann nicht<br />

mehr als Ideal der normierenden Vernunft vorstellen ließe, weil die<br />

Intelligibilität überhaupt schon mit dem Ausschluß der reinen<br />

Intelligibilität als Abtrennbares grundsätzlich bedroht scheint. Zweitens<br />

gäbe es keine Stelle in der Kantschen Architektonik, die, gewissermaßen in<br />

Vorarbeit einer List der Vernunft, am Boden der Erkenntniskritik noch<br />

einen Grund für die Intelligibilität unserer Spontaneität als Intelligenz<br />

notwendig machen könnte, außer der transzendentalen Idee der Freiheit.<br />

Die eigentliche Entscheidung über die formalen Gründe, die starke<br />

Version der theologischen Fassung anzunehmen, könnte also nur vom<br />

Eigendünkel geprägt sein, einerseits der eigenen konkreten und<br />

empirischen Ursprünglichkeit auszuweichen und andererseits damit nicht<br />

nur eine Garantie für die individuelle Freiheit in der Kontingenz dieser<br />

Welt, sondern auch noch für die Möglichkeit, selbst schöpferisch tätig zu<br />

sein, in Anspruch nehmen zu können. — Da nun die Erörterung aller<br />

Ideen der Vernunft von Interesse ist, ist nun unabhängig von jeder<br />

Entscheidung über den Vorrang der einen oder der anderen Fassung (die<br />

andere Fassung wrd spinozistisch), eben auch diese zu behandeln, auch


— 1106 —<br />

wenn von vorneherein klar ist, daß im Rahmen der Vernunft, die ihre<br />

Grenze mit der Selbstkritik in der transzendentalen Analytik der Dialektik<br />

der reinen Vernunft selbst umfaßt, trotz oder gerade wegen ihrer Strebung<br />

nach Transzendenz in Immanenz der Erfahrung (Vernunft inmitten der<br />

Erfahrung) niemals auch nur die Grenze von subjektiver Gültigkeit zur<br />

objektiven Gültigkeit allein mit Argumente der transzendentalen Analytik<br />

der Vernunftdialektik verschieben geschweige denn die Modalidät der<br />

»objektiven Realität« ableiten wird können.<br />

Der einzige Grund zur Einschränkung der ganzen Untersuchung auf die<br />

theologische Idee in der Fassung der Einheit vom Urwesen und vom<br />

höchsten Wesen ist also, gleichgültig aus welchen sonstigen näheren<br />

Gründen, zuerst architektonisch notwendig. Erst dann kann die Frage<br />

gestellt werden, inwieweit es einen Grund für die Annahme der Realität<br />

von Intelligibilität geben kann, wenn der ontotheologische<br />

Argumentationsgang abgeschnitten wird. Kant präsentiert die stärkste<br />

Fassung der Begründung dieser immanenten Notwendigkeit von<br />

Intelligibilität und Existenz in folgendem Absatz:<br />

»Wenn etwas, was es auch sei, existiert, so muß auch eingeräumt werden,<br />

daß irgend etwas notwendigerweise existiere. Denn das Zufällige existiert<br />

nur unter der Bedingung einens anderen, als seiner Ursache, und von<br />

dieser gilt der [derselbe] Schluß fernerhin, bis zu einer Ursache, die nicht<br />

zufällig und eben darum ohne Bedingung notwendigerweise da ist. Das ist<br />

das Argument, worauf die Vernunft ihren Fortschritt zum Urwesen<br />

gründet.« (B 612/A 584)<br />

Die Einzigkeit des letzten Arguments gerade hinsichtlich der subjektiven<br />

Notwendigkeit als Vernunftidee ist bereits widerlegt worden; insofern fällt<br />

aber nur ein formales Argument der Transzendentalität weg, und dazu<br />

noch das schwächste. Ich bin darüber hinaus dennnoch der Auffassung,<br />

daß das gegebene Zitat zwei Argumente und nicht eins enthält. Die<br />

Erklärung: »Denn das Zufällige existiert nur unter der Bedingung einens<br />

anderen, als seiner Ursache, und von dieser gilt der [derselbe] Schluß<br />

fernerhin, bis zu einer Ursache, die nicht zufällig und eben darum ohne<br />

Bedingung notwendigerweise da ist« ist offensichtlich als Erläuterung des<br />

ersten Satzes gedacht. Das mag sie immerhin unter näher bestimmten<br />

Umständen auch sein können, keinesfalls aber ist es eine Begründung der<br />

Aussage im ersten Satz des Zitats: »Wenn etwas, was es auch sei, existiert,<br />

so muß auch eingeräumt werden, daß irgend etwas notwendigerweise<br />

existiere«. Die gegebene Erklärung ist vielmehr erst aus dem Gegensatz


— 1107 —<br />

zum Zufälligen als Ableitungsgrund (Schluss) des Satzes über etwas<br />

notwendigerweise Existerendes zu denken. Aber: Der Schluß von bloßer<br />

Existenz schlechthin auf etwas schlechthin notwendigerweise<br />

Existierendes geht ursprünglich auch nicht auf die Determination einer<br />

Reihe von Naturursachen schlechthin; vielmehr auf denjenigen Grund von<br />

Existenz, der uns in einem Vernunftschluß auf Existenz schließen läßt. Das<br />

kann von der transzendentalen Position aus entlang der primären<br />

Intentionalität anhand der Sinnlichkeit und deren metaphysischen<br />

Pendant, der transzendentalen Ästhetik, geschehen; ob dies ähnlich in<br />

ontotheologischer Intentionalität denkmöglich ist (ob also Gott jeweils<br />

unmittelbar das Soseins ins Sein hält) oder ob ein solcher Gedanke anders<br />

als nur spekulativ nicht gefaßt werden könnte und sich von der<br />

Vorstellung eines Zentauren nicht unterscheiden ließe, daß gehört zentral<br />

zum verfolgten Fragekreis. Die bloße Negation der Determination als<br />

Umkehrung hätte allerdings nur zwei denkmögliche Negate: Chaos oder<br />

den obersten Grund, der die quantitative Unendlichkeit der Zeit aussperrt.<br />

Auch letzteres liefert aber, so behaupte ich, nicht die erfüllende<br />

Interpretation des diskutierten Satzes, weil er auf die Vorstellung einer<br />

Ursachenkette zurückgreift, die dem Übergang vom Bedingten zum<br />

Unbedingten nicht analytisch wesentlich ist. Es ist also der zweite Satz<br />

nicht als Erläuterung des ersten Satzes zu verstehen, sondern als reines<br />

synthetisches Urteil. M. a. W., die transzendentale Deduktion der<br />

Kategorien ist auch metaphysisch notwendig, so wie Thomas und auch<br />

Anselm von der empirischen Wirklichkeit im ontologischen Gottesbeweis<br />

ausgegangen sind.<br />

Der Satz: »Wenn etwas, was es auch sei, existiert, so muß auch eingeräumt<br />

werden, daß irgend etwas notwendigerweise existiere« sollte ursprünglich<br />

als einfache Evidenz verstanden werden und nicht als Ableitung. Daß es<br />

sich nicht mehr um die kritische Rekonstruktion einer Subreption in<br />

Gestalt einer schlichten Tautologie handelt, wie es für die Vorstellung des<br />

Beginns der transzendentalen Analyse noch gereicht hat, die Bedingungen<br />

des Anfangen-Könnens der Philosophie mit den Anfängen der<br />

Transzendentalphilosophie kurzzuschließen, darf nunmehr vorausgesetzt<br />

werden. Vom Standpunkt der transzendentalen Logik gesehen handelt es<br />

sich um die Verwechslung von Existenz mit einer existierenden<br />

Vorstellung oder der als fälschlicherweise als ursprüngliche und<br />

eigentümliche Relationsform vorgestellten Verknüpfung von Existenz mit<br />

inhaltlichen (gegenstandsbezogenen) Merkmalen der Vorstellung eines


— 1108 —<br />

realmöglichen Gegenstandes; insofern eigentlich ein Paralogismus. Diese<br />

nur vermeintlich als Relation gedachte Beziehung ist nicht selbst der<br />

Erkenntnisgrund, weshalb die Merkmale, die in den Prädikaten vorgestellt<br />

werden, auf wirkliche Dinge transzendental bezogen werden können,<br />

gerade weil dieser Bezug nur in Hinblick auf die Erscheinungen der Dinge<br />

in unserer Erfahrung reell vollzogen werden kann. Diese Vorstellung einer<br />

unmittelbaren Beziehung ist als Produkt eines unzureichenden<br />

Konkretisierungsversuches der Affinität von Subjekt und Objekt zu<br />

werten, das bestenfalls einen gewissen heuristischen Wert besitzt: Der<br />

zureichende Grund aller Logik nach Leibniz ist jener, wie Prädikate oder<br />

Aussagen auf wirkliche Gegenstände bezogen werden können. Dieser<br />

zureichende Grund ist eine transzendentale Hypothese zu nennen, die<br />

hierin ähnlich wie die transzendentale Ästhetik ihre Transzendentalität,<br />

ihre Geltung erst mit der hinreichenden transzendentalen Analyse aller<br />

Bedingungen der Möglichkeit des wahren Aussagens erwiesen bekommen<br />

kann.<br />

Die rein modallogische Fragestellung nach Notwendigkeit reicht nach der<br />

Einsicht in die alternative Verfasstheit der subjektiv notwendigen<br />

Vernunftideen zwischen Unbedingtheit, oberster Ursache und endloser<br />

Reihe der Determination als das Unbedingte der series rerum selbst, nicht<br />

mehr aus. Zumindest ist eine Charakteristik über das inhaltliche<br />

(empirisch konkrete) Merkmal hinausgehend notwendig, die mit den<br />

Kategorien des für den Verstand in der Anschauung Gegeben auch<br />

gegeben worden ist, deren Notwendigkeit hier aber offenbar nicht eigens<br />

erfragt werden soll. Es geht allerdings um Bedingungen des wahren<br />

Aussagens über wirkliche Dinge (und deren Beziehungen im Dasein), die<br />

nicht im Verstand, nicht in der Sinnlichkeit und nicht in den Dingen<br />

selbst liegt. Es muß allgemein mit der Frage nach der Notwendigkeit die<br />

Frage gestellt werden können, notwendig im Vergleich zu welchem<br />

Vorgang oder zu welcher konkretisierbaren Existenz? Dann ergibt sich<br />

folgende Frage in spekulativer Erweiterung des Fragehorizontes durch<br />

Abstraktion nahezu von selbst: Gibt es eine Notwendigkeit, die über die<br />

relative, weil per definitionem vorläufige, aber bedingende Notwendigkeit<br />

der Bedingungen, eine Idee von absoluter Notwendigkeit vorzustellen, an<br />

Notwendigkeit hinausgeht? Die spekulative, also versuchsweise bejahende<br />

Vernunft ist der Dämon, der die Idee von absoluter Notwendigkeit<br />

vorstellt, und mit der Frage nach der über die Bedingungen der<br />

Vorstellbarkeit hinausgehenden Notwendigkeit noch vermeint, absolute


— 1109 —<br />

Notwendigkeit bereits selbst zu denken. Absolute Notwendigkeit aber<br />

führe zur Existenz, gewissermaßen implizite, und weil absolut, auch<br />

eminent, also ohne weitere Rechtfertigung gegenüber dem Einzelnen und<br />

Individuellen. Aus der simplen Tatsache, daß die eine Determination von<br />

Reihen von Ursache und Wirkung, seien diese nun natürlich<br />

vorkommende Determinationen oder menschlich gewirkte, stärker sein<br />

kann als andere Determinationen, seien diese von uns in Gang gesetzt oder<br />

nur begrüßt, mag unschwer als eine psychologische Wurzel der über die<br />

Erfahrung hinaus gehende Strebung unserer Vernunft zu erkennen sein;<br />

aber gerade die letzte Behauptung kann unbeschadet der Notwendigkeit<br />

der Vorstellung absoluter Notwendigkeit kritisiert und auch ohne inneren<br />

Widerspruch aufgehoben werden. Grundsätzlich ist dazu zu sagen: Die<br />

bloße Vorstellung verschiedener »Stärken« von Determinationen verläuft<br />

nur in den Bahnen der Reihe von Bedingungen und Bedingten, die<br />

wiederum Bedingungen sind, und geht somit nur den schon bekannten<br />

Weg, eine unbedingte Bedingung überhaupt nur als Abstraktion<br />

überhaupt vorzustellen zu können. Gleichgültig, was dieser unbedingten<br />

Bedingung unterstellt wird, es bleibt für sich bloße Formalontologie, und<br />

somit bestenfalls einigermaßen geregelte Spekulation.<br />

Die modallogische Lesart des Satzes: »Wenn etwas, was es auch sei,<br />

existiert, so muß auch eingeräumt werden, daß irgend etwas<br />

notwendigerweise existiere« gründet nicht auf die verschiedentlich (nicht<br />

nur psychologisch) konstatierte Strebung der subjektiven Vernunft, auch<br />

nicht auf die Auffassung des Diodorus, wonach, das was existiere, selbst<br />

sei es zuvor nur als zufällige Möglichkeit erschienen, von dann an auch<br />

unumstösslich und notwendig sei. Sie zieht ihre Rechtfertigung daraus,<br />

daß Kant diesen Satz vermutlich als ontologische Interpretation einer<br />

gestürzt gelesenen logischen Wahrheit ansieht. Diese lautet ungefähr:<br />

Wenn es eine Wahrheit gibt, dann gibt es auch andere Wahrheiten; und ein<br />

ganzes System von Wahrheiten. Umgekehrt ergibt das eben: Wenn es<br />

mehrere Wahrheiten gibt, dann gibt es auch eine oberste Wahrheit. Was<br />

zunächst aber nur formal auf Satzsysteme und deren Mannigfaltigkeit<br />

axiomatischer Ordnung bezogen sein konnte, wird in der gewaltsam<br />

ontologischen Interpretation zum logischen Gerüst der Verdinglichung<br />

eines Zusammenhanges und zum Popanz eines intelligiblen Gegenstandes.<br />

— Da nun bei Kant definitionsgemäß überhaupt nur intelligible<br />

Gegenstände notwendigerweise existieren können, muß das, was Kant als<br />

notwendigerweise existierend beschreibt, ein intelligibler Gegenstand sein.


— 1110 —<br />

Damit wird nur die von mir behauptete Verknüpfung als bloße<br />

Denknotwendigkeit bestätigt, aber eben nicht die Notwendigkeit der<br />

Wirkung nach. Es ergibt sich daraus eine nunmehr naheliegende, jedoch<br />

verblüffende Variante: Das, was notwendigerweise existiert, existiert nicht<br />

wie empirisch gegeben Objekte der Erfahrung auch; das war nunmehr<br />

schon klar; aber, nur weil etwas als Intelligibeles existiert, existiert es noch<br />

nicht als absolut Notwendiges. Erst wenn das Intelligible in der Form eines<br />

absolut Notwendigen gedacht wird, zieht es die Forderung notwendiger<br />

Determination nach sich.<br />

Liest man den in Rede stehenden Satz in der Interpretation der mit der<br />

sinnlichen Anschauung gegebenen Erfahrungsgrundsätze, dann fällt auf,<br />

daß dies eine Übersetzung der reinen Kategorie sein könnte, welche<br />

Ursache und Wirkung nicht unterscheiden kann und nur mehr disjunktiv<br />

als komplementäre Notwendigkeit zu verzeichnen imstand ist. Doch<br />

genau das ist eben im untersuchten Zitat nicht ausgedrückt und kann für<br />

die theologische Idee verworfen werden. Das aber, was mit Notwendigkeit<br />

existiert, kann selbst analytisch mit Intelligibilität nicht eindeutig<br />

charakterisiert und nicht synthetisch zur absoluten Notwendigkeit erklärt<br />

werden. Eine Untersuchung der Widerlegung der Gottesbeweise wird also<br />

nicht nur nach der Art der Beweise (ontologischer, kosmologischer,<br />

physikotheologischer Gottesbeweis) vorgehen müssen (wie Kant sagt, in<br />

der entgegengesetzten Reihenfolge, wie diese Beweise in unser Bewußtsein<br />

treten), sondern auch nach der Art der aus der jeweiligen Totalität<br />

erschlossenen Eigenschaft. So ist das Urbild nicht von selbst das<br />

allerrealste Wesen, oder die Vorstellung der ersten nicht selbst wieder<br />

verursachten Ursache ist nicht mit Sicherheit aus der selben Quelle<br />

geschöpft, wie die Vorstellung von einem höchsten Wesen. Deren Einheit<br />

ist für Kant erst zu erweisen.<br />

4. Das Wesen des Unbedingten und das Urbild (prototypon) im<br />

Verhältnis zu totum ideale und totum transcendentale<br />

Ich trete in die nähere Auseinandersetzung mit dem Kantschen Text dort<br />

ein, wo Kant selbst die Abstraktheit seiner modallogischen Formulierung,<br />

daß, wenn irgend etwas existiert auch etwas notwendigerweise existiert,<br />

zum Ausgangspunkt nimmt (Beweisgründe der spekulativen Vernunft):<br />

»Nun sieht sich die Vernunft nach dem Begriffe eines Wesens um, das sich<br />

zu einem solchen Vorzuge der Existenz, als die unbedingte


— 1111 —<br />

Notwendigkeit, schicke, nicht so wohl, um alsdenn von dem Begriffe<br />

desselben a priori auf sein Dasein zu schließen, (denn, getrauete sie sich<br />

dieses, so dürfte sie überhaupt nur unter bloßen Begriffen forschen, und<br />

hätte nicht nötig, ein gegebenes Dasein zum Grunde zu legen,) sondern<br />

nur um unter allen Begriffen möglicher Dinge denjenigen zu finden, der<br />

nichts der absoluten Notwendigkeit Widerstreitendes an sich hat. Denn,<br />

daß doch irgend etwas schlechthin notwendig existieren müsse, hält sie<br />

nach dem ersteren Schlusse schon für ausgemacht. Wenn sie nun alles<br />

wegschaffen kann, was sich mit dieser Notwendigkeit nicht verträgt, außer<br />

einem; so ist dieses das schlechthinnotwendige Wesen, man mag nun die<br />

Notwendigkeit desselben begreifen, d. i. aus seinem Begriffe allein ableiten<br />

können, oder nicht.« (B 613/A 585)<br />

Kant gesteht also gleich zu Beginn zu, daß die behandelten<br />

modallogischen Formulierungen der Totalität der Reihe des Bedingten<br />

zum Unbedingten, implizite damit aber auch, daß Reihen der Bedingten<br />

und deren selbst wieder bedingten Bedingungen im Sinne kausaler<br />

Determination, keine modale Aussagekraft besitzen, um der Idee von<br />

unbedingter Notwendigkeit in concreto objektive Gültigkeit oder gleich<br />

objektive Realität zu erweisen. Vom gesuchten Begriff wird nur verlangt,<br />

daß er nichts der Vorstellung von der absoluten Notwendigkeit<br />

Widerstreitendes enthält. Inwiefern genau das eine Zumutung ist, kann<br />

näher anhand der Tafel des Nichts (ens rationis, nihil privativum, ens<br />

imaginarium, nihil negativum, B 348/A 292) aus der Amphibolie der<br />

Reflexionsbegriffe entschlüsselt werden: ein logisch möglicher<br />

(widerspruchsfreier) Begriff wird doch vom nihil negativum<br />

unterschieden, auch wenn er deshalb ein leerer Begriff sein kann. Kant<br />

stellt auch hier selbst wieder den Schluß auf etwas schlechthin notwendig<br />

Existierendes als etwas Fragwürdiges hin: Durch die Wendung, daß<br />

dergleichen die Vernunft »nach dem ersteren Schlusse schon für<br />

ausgemacht« hält, wie auch anhand der Formulierung: »Wenn sie nun<br />

alles wegschaffen kann, was sich mit dieser Notwendigkeit nicht verträgt,<br />

außer einem«, beginnt Kant diesen ersten Schluß von der formalen Würde<br />

der Einzigkeit der Argumentation (die erste formale Bedingung eines<br />

transzendentalen Beweises) zu entfernen, indem Kant nunmehr auch einen<br />

anderen Schluß oder überhaupt eine andere Schlußform für möglich hält,<br />

als den einen, der eben die Vorstellung eines schlechthin notwendigen<br />

Wesens als Schluß einer Vorstellungsreihe beinhaltet (übriglässt). Der<br />

»erstere« der Schlüsse, wie Kant anzeigt, ist der, der von jenen Dingen


— 1112 —<br />

ausgeht, die der Idee von einer absoluten Notwendigkeit nicht<br />

widerstreiten. Das Ergebnis genau dieser Operation ist nun der Begriff<br />

vom »schlechthinnotwendigen Wesen, mag man nun die Notwendigkeit<br />

desselben begreifen, d. i. aus seinem Begriffe allein ableiten können, oder<br />

nicht«. Das mag man nun so verstehen, daß eben, wie vermutet, ein<br />

solcher Begriff nur durch seine architektonische Stellung (topos) bestimmt<br />

wird, als solcher aber ein leerer Begriff ist. Immerhin besteht noch die<br />

Möglichkeit, auf den von mir noch stärker vorgetragenen Zweifel an der<br />

Einzigkeit der Argumentation zurückzukommen, und einen anderen<br />

Schluß (eine andere Schlußform) zu fordern.<br />

Kants Untersuchung bleibt hier unvollständig; nicht nur weil die Achse<br />

vom prototypon transcendentale zum existierendem Urbild (ens<br />

originarium) als Interpretation der Beziehung von Substanzkategorie und<br />

Antizipationskategorie bislang nur wenig berücksichtigt wurde. Die<br />

verschiedenen Momente der Spekulation über ein die Totalität des<br />

Kontingenten im Urbild resolutiv abschließenden unendlichen Wesens<br />

wären also aufeinander zu beziehen, womöglich nicht nur in einer<br />

hölzernen Liste von Anforderungen, sondern architektonisch in ihren<br />

verschiedenen argumentativen Wechselbeziehungen darzustellen. Kant<br />

stellt nun die Erörterung auf die Möglichkeit der Einteilung der<br />

Beweisgründe der spekulativen Vernunft ab, auf das Dasein eines<br />

höchsten Wesens zu schließen. Das ist zwar nur einer der offenbar auf die<br />

eine oder andere Weise unvermeidbaren, aber zuerst nur als bedingt<br />

notwendig zu verstehenden Fassungen der theologischen Idee als<br />

Vernunftbegriff, erlaubt aber die Komplexität der vorhin aufgeworfenen<br />

Frage zu reduzieren auf eine Einteilung der Beweisarten vom Dasein<br />

Gottes aus spekulativer Vernunft. Nach dieser nicht wirklich<br />

überraschenden Reduktion des Untersuchungsfeldes stehen also der<br />

physikotheologische, der kosmologische und der ontologische<br />

Gottesbeweis zur Diskussion an. Insofern will ich Kants Überlegungen in<br />

der Hoffnung auf weitere Hinweise weiter verfolgen:<br />

»Ich werde dartun: daß die Vernunft, auf dem einen Wege (dem<br />

empirischen) so wenig, als auf dem anderen (dem transzendentalen),<br />

etwas ausrichte, und daß sie vergeblich ihre Flügel ausspanne, um über die<br />

Sinnenwelt durch die bloße Macht der Spekulation hinaus zu kommen.<br />

Was aber die Ordnung betrifft, in welcher die Beweisarten der Prüfung<br />

vorgelegt werden müssen, so wird sie gerade die umgekehrte von<br />

derjenigen sein, welche die sich nach und nach erweiternde Vernunft


— 1113 —<br />

nimmt, und in der wir sie auch zuerst gestellt haben. Denn es wird sich<br />

zeigen: daß, obgleich Erfahrung den ersten Anlaß dazu gibt, dennoch bloß<br />

der transzendentale Begriff die Vernunft in dieser ihrer Bestrebung leite<br />

und in allen solchenVersuchen das Ziel ausstecke, das sie sich vorgesetzt<br />

hat. Ich werde also von der Prüfung des transzendentalen Beweises<br />

anfangen, und nachher sehen, was der Zusatz des Empirischen zur<br />

Vergrößerung seiner Beweiskraft tun kann.« (B 619/A 591)<br />

Es liegt auf der Hand, daß es sich in diesem Zusammenhang nur um einen<br />

transzendentalen Beweis der theologischen Idee handeln kann, und nicht<br />

etwa um den transzendentalen Beweis überhaupt. Die Vermutung, daß ein<br />

»empirischer Zusatz« in dieser Frage nichts Entscheidendes beitragen<br />

könne, liegt auf der Hand; darauf läuft auch die Untersuchung des<br />

physikotheologischen und des kosmologischen Gottesbeweises hinaus.<br />

Das Empirische des lebendigen Geistes reichte selbst nicht aus, um diese<br />

Vorstellung von Totalität zu befriedigen (ihr ein Ende zu setzen), denn hier<br />

bezeichnet der Ausdruck »empirisch« zwar mindestens zweierlei, bleibt<br />

aber doch schon im intelligiblen Dasein auf Natur bezogen, wofür, wie<br />

berichtet, eigentlich schon die Idee von der systematischen und<br />

zweckmäßigen Einheit der Natur zureichen würde. In der theologischen<br />

Idee bleibt für Kant jedoch allein der ontologische Gottesbeweis in seiner<br />

vermeintlichen Unabhängigkeit von Hilfshypothesen der Kern der<br />

Argumentation. Bemerkenswert ist vorneweg, daß hier wie in den<br />

verschiedenen Fassungen des absolut notwendigen Wesens, welches die<br />

Unendlichkeit verschließt, nicht alle Fassungen gleichermaßen als<br />

verschieden Arten der Darstellung des Intelligibelen fungieren.<br />

»Man sieht aus dem bisherigen leicht: daß der Begriff eines<br />

absolutnotwendigen Wesens ein reiner Vernunftbegriff; d. i. eine bloße<br />

Idee sei, deren objektive Realität, dadurch, daß die Vernunft ihrer bedarf,<br />

noch lange nicht bewiesen ist, welche auch nur auf eine gewisse obzwar<br />

unerreichbare Vollständigkeit Anweisung gibt, und eigentlich mehr dazu<br />

dient, den Verstand zu begrenzen, als ihn auf neue Gegenstände zu<br />

erweitern.« (B 620/A 592) Kant läßt geflissentlich die Frage nach der<br />

objektiven Gültigkeit dieser Idee abermals beiseite; man könnte aber<br />

ansonsten in einer sowohl kritischen wie auch methodisch strengen<br />

Lesung diese Passage zulassen, wenn man das metaphysische Bedürfnis<br />

bloß als Grund, sich deshalb mit den dialektischen Produkten der<br />

spekulativen Vernunft kritisch beschäftigen zu müssen, gelten lassen will.<br />

»Man hat zu aller Zeit von dem absolutnotwendigen Wesen geredet, und


— 1114 —<br />

sich nicht so wohl die Mühe gegeben, zu verstehen, ob und wie man sich<br />

ein Ding dieser Art auch nur denken könne, als vielmehr sein Dasein zu<br />

beweisen.« (l. c.) Das ist ein trefflicher Vorwurf, zumal Kant nicht nur mit<br />

den verschiedenen Versionen des Überganges von Totalität auf Existenz,<br />

und von verschiedenen Versionen des selbst unendlichen, die extensive<br />

Unendlichkeit aber zugleich verschließenden Wesens, sich dem Versuch<br />

dieser Mühen mehrmals unterzogen hat, sondern insbesondere mit der<br />

Untersuchung zum prototypon transcendentale als dem Herzstück der<br />

theologischen Idee im Versuch der Identifizierung von omnitudo realitatis<br />

mit ens realissimum in methodischer Hinsicht einen zwar unvollständigen,<br />

aber in systematischer Hinsicht entscheidenden Umriß des Problems<br />

liefert. Nur dort ist die theologische Idee nicht nur als eine architektonisch<br />

ausgezeichnete Stelle, oder als eine zwar aus der Subjektivität des oberen<br />

Begehrungsvermögens geborene Vorstellung, aber selbst in der Gestalt der<br />

reinen Vernunft nicht zu leugnenden Strebung zur Transzendenz der<br />

Immanenz der reinen Vernunftidee zu rechtfertigen. Obgleich diese<br />

Übergänge auch in der theologischen Idee als Dialektik und als<br />

transzendentallogisches Problem skizziert werden, handelt es nicht um<br />

einen Gotttesbeweis; vielmehr besteht der Gehalt dieser Untersuchungen<br />

Kants in diesem Zusammenhang vor allem im Versuch, den Nachweis der<br />

architektonischen Notwendigkeit der theologischen Idee zu führen. Es ist<br />

eine Besonderheit der Einfachheit der transzendentalen Argumentation,<br />

daß nicht alle Begriffe gleichermaßen reelle Begriffe sein müßten, wenn<br />

zumindest Einzigkeit garantiert wäre. Auch wenn nicht über alle Stationen<br />

der Darstellung des Weges zur Vorstellung des prototypon<br />

transzendentale Einzigkeit garantiert werden kann, hat Kant, methodisch<br />

von der Idee von der systematischen und zweckmäßigen Einheit der Natur<br />

unabhängig, entlang der Auswickelung der von der Vielheit<br />

eingeschränkten Allheit zur Allgemeinheit des Besondern im Begriff vom<br />

einzelnen Gegenstand (Ideal der reinen Vernunft) bis zum existierenden<br />

Wesensbegriff im durch die bereits entschränkte Allheit selbst<br />

durchgängig bestimmten transzendentalen Ideal, zwei Strategien,<br />

notwendigerweise auf Existenz zu schließen, verknüpft: Die letztendlich<br />

wesenslogische Deutung des Teilbegriffes, der den Gegenstand als Ganzes<br />

unter dem Aspekt des gegebenen Merkmals vorzustellen erlaubt (in der<br />

ersten Kritik mittels der transzendentalen Einbildungskraft), und den aus<br />

der transzendentalidealistischen Argumentation der Angleichung oder<br />

Identifikation von ens realissimum und omnitudo realitatis stammende<br />

Schluß, aus der Totalität der Allheit möglicher Prädikate auf Existenz zu


— 1115 —<br />

schließen. Das transzendentale Ideal ist der Ausgangspunkt einer<br />

radikalen Erweiterung der Spekulation, deren näheren kritischen<br />

Darstellung im Anschluß an diesem Teil dieses Abschnittes erfolgt; es ist<br />

aber in Hinblick auf die theologische Idee nur der erste Schritt. Im<br />

nächsten Schritt wird dialektisch im Untersatz omnitudo realitatis zum<br />

Interpretament des disjunktiv vorgestellten transzendentalen Obersatzes,<br />

was zu weiteren Verwechslungen von omnitudo realitatis und ens<br />

realissimum führt; desweiteren zu gröberen Unklarheiten des damit zu<br />

bildenden Syllogismus hinsichtlich der durchgehenden Unterscheidbarkeit<br />

zwischen »logischen Vergleich« und »transzendentalen Vergleich« des<br />

Dinges mit dem ens originarium als prototypon transcendentale.<br />

Die Einführung des prototypon transcendentale ist selbst ein weiterer<br />

Schritt, der nicht so deutlich als in sich folgerichtige Erweiterung des<br />

Spekulationskreises von Kategorie (Allheit), Ideal der reinen Vernunft<br />

(Allgemeinheit) und transzendentales Ideal (existierender Wesensbegriff)<br />

dargestellt werden kann. Obgleich der mit dem transzendentalen Obersatz<br />

angedeutete »transzendentale«, aber dialektische Syllogismus nur zur<br />

Darstellung des transzendentalen Vergleichs sowohl in wesenslogischer<br />

(intensionaler) wie in ontotheologisch-attributieller (extensionaler)<br />

Hinsicht gedacht worden ist, womit die unscharfe Unterscheidung<br />

zwischen Merkmalslehre (durchgängige Bestimmung eines Dinges mittels<br />

Prädikate) und Wesensbegriff (intensionaler Allgemeinbegriff der<br />

Gattungslogik) gleich zwischen der Schwierigkeit, zwischen intensionaler<br />

und extensionaler Logik überhaupt zu unterscheiden, versteckt wird, wird<br />

nunmehr ein Urbild ans Ende der Untersuchung gestellt, als wäre damit<br />

der Wesensbegriff zu Ende gedacht. Damit soll wohl auch die oberste Idee<br />

die oberste materiale Bedingung enthalten, was als Endpunkt der<br />

Annäherung von ens realissimum und omnitudo realitatis aufgefaßt<br />

werden kann. Das prototypon transcendentale ist nicht nur die nächste<br />

Erweiterung des Spekulationskreises, die von der herausgestellten<br />

Unbestimmtheit des Verhältnisses zwischen omnitudo realitatis und ens<br />

realissimum zumindest einmal als motiviert gedacht werden kann, mit<br />

dem prototypon transcendentale wird eine neue Metaphorik eingeführt: Es<br />

ist ein Urbild, nicht mehr Vernunftidee; und es ist existierendes Urbild,<br />

nicht mehr oberste Idee als reine Intelligibilität, vielmehr (auch) oberste<br />

materielle Bedingung (als transzendentale Materie) in einem, wie in den<br />

Definitionen des transzendentalen Ideals gefordert wird.


— 1116 —<br />

Insofern erscheint mir das wie eine Aufforderung zur »Abvergottung«,<br />

wenn ich mir diese sprachliche Variation gestatten darf, welche nicht nur<br />

die Abtrennbarkeit der reinen Intelligibilität von Wirklichkeit verhindert,<br />

sondern auch die Unterscheidbarkeit der reinen Intelligibilität von der<br />

materiellen Bedingung ohne jeden eigentlichen Grund, allein aus<br />

Spekulation, untergräbt. Gerade eben auch, um solchen Schwierigkeiten<br />

gegenüber besser gewappnet zu sein, habe ich neben anderen Gründen,<br />

die ich an Ort und Stelle noch nicht geordnet anführen kann, die<br />

Untersuchung der Kantschen Widerlegung der Gottesbeweise der<br />

Untersuchung des transzendentalen Ideals als prototypon transcendentale<br />

vorangestellt.<br />

Damit behält diese Variation der theologischen Idee des unendlichen<br />

Wesens ihren transzendentalen Charakter aus einem nicht wirklich<br />

gelungenen Versuch, denn Kant läßt auch dort keinen Zweifel, daß<br />

objektive Gültigkeit und objektive Realität keineswegs in einem<br />

übertragbaren Sinn neu zu bestimmende Modalbegriffe wären. Mit dem<br />

transzendentalen Ideal, als eigentlicher Wesensbegriff des Individuell-<br />

Konkreten gedacht, und mit dem transzendentalen Obersatz, entweder als<br />

Wahres und Falsches beinhaltend, oder als das bloß Realmögliche,<br />

vielleicht auch leibnizianisch die verschiedenen möglichen series rerum,<br />

vielleicht auch spinozistisch die verschiedenen Kombinationen der<br />

Dimensionen der ersten Attribute der ersten Substanz, die Natur und Gott<br />

zugleich ist (ens realissimum), enthaltend, verläßt die Überlegung<br />

allmählich, aber endgültig das Feld, auf welchem Modalbegriffe wie<br />

objektive Gültigkeit oder objektive Realität irgendeine geregelte<br />

Anwendung finden könnten.<br />

Spätestens ab der Wendung zum Urbild und prototypon transcendentale<br />

gilt dies nicht nur für die weiten Interpretationen des transzendentalen<br />

Obersatzes, die immerhin denkmöglich sind. Die Einzigkeit dieser selbst<br />

notwendigerweise unvollständigen Argumentation erweist sich aber nicht<br />

nur architektonisch präzise in der Entwicklung von Allheit zu<br />

Allgemeinheit zum Wesensbegriff, der zuletzt nur deshalb transzendental<br />

wird, weil er entgegen der Anlage zur Totalität im logischen Vergleich<br />

disjunktiv auf die entgegengesetzte Argumentation abzielt, die intensional<br />

aus der Verknüpfung von Einzelnem und Individuellen im<br />

transzendentalen Ideal als Begriff vom einzelnen Wesen auf Existenz<br />

schließt. So ist die Darstellung des transzendentalen Ideals als protypon<br />

transcendentale bei Kant schon deshalb einmalig, weil eben der Entwurf


— 1117 —<br />

eines transzendentalen Obersatzes, gerade auch wegen seiner mangelnden<br />

Strenge, zuletzt wieder von der zielgerichteten Selektion der Komplexität,<br />

die im logischen Vergleich gefordert wäre, um ein ein Ding auch im<br />

transzendentalen Vergleich zu bestimmen, absehen muß. Derart sind<br />

Regressi beizubringen, die Kant nicht, oder nicht ausführlich genug<br />

behandelt hat; oder sich schlichtweg einer gründlichen Behandlung aus<br />

transzendentalidealistischen Gründen, die anderswo schon behandelt<br />

worden sind, entzogen hat. Diese von Kant mehr oder weniger deutlich<br />

auch angeregten Ergänzungen rechtfertigen ein zweites Mal die<br />

Sonderstellung der theologischen Idee, aber nicht selbst den Titel der<br />

Transzendentalität. Ein solcher im Rahmen der theologischen Idee<br />

erhobene Anspruch ist dialektisch.<br />

Die Rechtfertigung aus dem Titel der einzig möglichen Argumentation<br />

wird so gemäß den Regel der abstrakten Ideenlehre um den Titel des<br />

größtmöglichen Umfanges an alternativen Interpretationen erweitert;<br />

damit wird das erste formale Kriterium der Transzendentalität einer<br />

Argumentation selbst umgekehrt, obgleich weiterhin die Einzigartigkeit<br />

jener Argumentation, die diese komplementäre Erweiterung und<br />

Entschränkung eröffnet, wie die Forderung nach Distinktheit der<br />

Alternativen bestehen bleibt. Diese Ermöglichung einer systematischen<br />

Erweiterung des Umkreises alternativer Interpretationen bleibt, ebenfalls<br />

unabhängig von der intellektuellen Verknüpfung beider<br />

entgegengesetzten Prinzipien, ein gegenüber dem ersten Abschnitt von<br />

Allheit und Allgemeinheit bis zum Wesensbegriff eigener Grund der<br />

Auszeichnung. Der erste Abschnitt gibt dem »formalen« Argument der<br />

Einzigkeit darin noch einen weiteren verläßlichen Grund, indem zwischen<br />

Allheit und Allgemeinheit zwei entgegengesetzte Definitionen eines<br />

Prinzips der durchgängigen Bestimmung verwendet werden, die im<br />

Wesensbegriff der Fassung des transzendentalen Ideals vereint werden<br />

sollen. Dabei ist die Verknüpfung der Kategorie der Allheit (erstes<br />

kategoriales Quantum) und der logischen Allgemeinheit (erstes logisches<br />

Quantum) durch einen Gegensatz von Totalität aller möglichen Prädikate,<br />

worin Existenz enthalten sein muß, und Teilbegriff, worin der Gegenstand<br />

als ganze Vorstellung gedacht werden können soll, nicht länger als völlig<br />

reines Verstandesurteil anzusehen, indem sich darin, wenn auch nur<br />

unbestimmt-konkret, die Zusammenhänge der Deduktion der<br />

»Wahrheitsfähigkeit« der Kategorien von Erfahrungsbegriffen und der


— 1118 —<br />

Deduktion der »Wahrheitsfähigkeit« der logischen Formen des<br />

syntaktischen Kriteriums ausdrücken.<br />

Die folgenden Abschnitte besitzen nicht vergleichbare formale Dignität,<br />

doch kann man etwas verknappt und forciert behaupten, daß die erfolgte<br />

Entwicklung, welche zuerst das transzendentale Ideal, dann der<br />

transzendentale Obersatz in Richtung prototypon transcendentale nimmt,<br />

nicht einfach völlig unbestimmbar und unmittelbar auf einer »eigentlichen<br />

Komplexität« des untersuchten Feldes aufruht, sondern noch einer inneren<br />

Unbestimmtheit des Verhältnisses der Transzendentalphilosophie zur<br />

Metaphysik zu verdanken ist, die selbst nur teilweise sichtbar gemacht<br />

werden kann: Ideal der reinen Vernunft als Wesensbegriff;<br />

transzendentales Ideal als bloß analytisch herausgehobener Wesensbegriff<br />

— wäre da nicht die Bindung an die vom Ideal in concreto und in<br />

individuo bestimmte Idee. Die Uneinheitlichkeit des Verhältnisses von<br />

Transzendentalphilosophie und Metaphysik hat sich Kant aber auf<br />

mehreren Seiten zugleich und zielgerichtet eingehandelt, was abermals in<br />

einer architektonischen Analogie die Wichtigkeit (also nicht selbst als<br />

konkretisierte Einzigkeit) des transzendentalen Obersatzes indirekt (eben<br />

nicht selbst transzendental) in Bezug auf die Frage nach der Möglichkeit<br />

der Einheit von Vernunft und Existenz aufweist oder anzeigt. — Der<br />

theologischen Idee ist also nicht nur eine Stelle architektonisch angewiesen<br />

worden, sondern erweist auf zwei verschiedene Arten eigene Dignität: In<br />

der logischen und in der kritischen dialektischen Verwendung. Nicht aber<br />

ist damit auch ein unendliches oder unbedingt notwendiges Wesen als<br />

Ende der kontingenten Unendlichkeit bewiesen worden.<br />

5. Die Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises anhand der<br />

Zurückführung der Argumente auf die Dialektik bloßer<br />

Erkenntnisgründe, die als Seinsgründe genommen werden<br />

Ich setze also mit der Kantschen Untersuchung des ontologischen<br />

Gottesbeweises fort, der, wie erinnerlich, bereits eine systematische<br />

Einschränkung des Feldes möglicher methodischer Untersuchungen der<br />

theologischen Idee ist:<br />

»Noch mehr: diesen auf das Geratewohl gewagten und endlich ganz<br />

geläufig gewordenen Begriff hat man noch dazu durch eine Menge


— 1119 —<br />

Beispiele zu erklären geglaubt, so, daß alle weiter Nachfrage wegen seiner<br />

Verständlichkeit ganz unnötig geschienen.« (B 621/A 593)<br />

Die Rede ist vom Begriff der Vorstellung eines absolutnotwendigen<br />

Wesens, der obgleich leer, allein deshalb noch kein nihil negativum sein<br />

muß, nur weil bloß unsere Vorstellungskraft nicht ausreichen könnte.<br />

Doch scheint Kant über die Vergeblichkeit der Untersuchung hinsichtlich<br />

des eigentlichen Zwecks, nämlich der Beweis des die Unendlichkeit der<br />

Kontingenz beendenden absolut notwendigen Wesens, keine Illusionen zu<br />

besitzen:<br />

»Alle vorgegebenen Beispiele sind ohne Ausnahme nur von Urteilen, aber<br />

nicht von Dingen und deren Dasein hergenommen. [1] Die unbedingte<br />

Notwendigkeit der Urteile aber ist nicht eine absolute Notwendigkeit der<br />

Sachen. [2] Denn die absolute Notwendigkeit des Urteils ist nur eine<br />

bedingte Notwendigkeit der Sache, oder des Prädikats im Urteile. [3] Der<br />

vorige Satz sagte nicht, daß drei Winkel schlechterdings notwendig seien,<br />

sondern, unter der Bedingung, daß ein Triangel da ist, (gegeben ist) sind<br />

auch drei Winkel (in ihm) notwendigerweise da.[4]« (B 621 f./A 593 f.)<br />

(ad 1) Das sollte nicht überraschen, denn das ist die Voraussetzung der<br />

transzendentalen Erörterung. Diese Voraussetzung hat sich allerdings von<br />

der transzendentalanalytischen Hypostasierung der Intelligibilität<br />

argumentativ entfernt, obgleich weiterhin um die Möglichkeit der<br />

Selbstständigkeit der Intelligibilität anhand der theologischen Idee<br />

gestritten wird. Sicherlich sind die Beispiele nicht »von Dingen und deren<br />

Dasein hergenommen«, doch sie sollen notwendig mögliche Positionen der<br />

Reflexion in der transzendentalen Dialektik der reinen Vernunft,<br />

insbesondere in der theologischen Idee, sein.<br />

(ad 2) Kant erkennt den hier entscheidenden Unterschied: die<br />

Notwendigkeit des Urteils dem Inhalt oder Gegenstand des Urteils nach ist<br />

abhängig von der bedingten Notwendigkeit der Sache. Nun aber ist hier<br />

die »Sache« nicht ein Objekt der Erfahrung oder gar ein Ding an sich<br />

selbst, und auch nicht für sich schon ein Verhältnis zwischen Dinge an sich<br />

selbst im Sinne einer tatsächlichen Relation, deren korrespondierendes<br />

Dasein nicht allein unserem Denken entspringt. Offenbar meint Kant mit<br />

den Ausdruck »Sache« zuvor aber den kategorial bestimmbaren<br />

Gegenstand, sodaß nunmehr im behandelten Umfeld allein der Ursprung<br />

der Einheit im Urteil selbst in Frage steht.<br />

(ad 3) Der Satz: »Die absolute Notwendigkeit des Urteils ist nur eine<br />

bedingte Notwendigkeit der Sache, oder des Prädikats im Urteile« gibt


— 1120 —<br />

nochmals die zweite Quelle der Notwendigkeit eines Urteils an: die des<br />

Prädikats im Urteil (Aussage). Derart erhält die sprachliche und<br />

schriftliche Form einen formalwissenschaftlichen Leitfaden zur formalen<br />

oder allgemeinen Logik; aber noch mehr: den Anschein, allein auf Grund<br />

grammatikalischer oder logischer Gründe die Notwendigkeit eines Urteils<br />

ausmachen zu können. Die Ersetzung der Notwendigkeit von der Sache<br />

her durch die formale Notwendigkeit (formale Implikation) wäre aber<br />

gerade nur da möglich, wo die Sache (Inhalt, Gegenstand) des Urteils nicht<br />

als etwas behandelt wird, welcher der Intelligibiltät gegenübersteht.<br />

(ad 4) Kant zieht wie üblich auch die Geometrie heran: Selbst deren Sätze a<br />

priori sind bedingt durch die Möglichkeit reiner Anschauung. Erst wenn<br />

ein Triangel gegeben ist, so Kant, dann erst gelte auch der Winkelsatz.<br />

Einwände von Seiten nicht-euklidischer Geometrie sind in diesem<br />

Zusammenhang trivial und gegenstandslos, andere Einwände sind zu<br />

beachten. So ist allererst zu überlegen, was denn an Stelle der reinen<br />

Anschauung in der Geometrie im Falle des Begriffes vom unbedingt<br />

notwendigen Wesen in Frage kommen könnte.<br />

Kant demonstriert sein Argument gegen den ontologischen Gottesbeweis<br />

anhand eines logischen und eines geometrischen Beispiels: »Wenn ich das<br />

Prädikat in einem identischen Urteil aufhebe und behalte das Subjekt, so<br />

entspringt ein Widerspruch, und daher sage ich: jenes kommt diesem<br />

notwendigerweise zu. Hebe ich aber das Subjekt zusamt dem Prädikate<br />

auf, so entspringt kein Widerspruch; denn es ist nichts mehr, welchem<br />

widerspochen werden könnte. Einen Triangel setzen und doch die drei<br />

Winkel desselben aufheben, ist widersprüchlich; aber den Triangel samt<br />

seinen drei Winkeln aufheben, ist kein Widerspruch. Gerade ebenso ist mit<br />

dem Begriffe eines absolutnotwendigen Wesens bewandt.«<br />

(B 622 f./A 594)<br />

Was könnte, der reinen Anschauung in der Geometrie vergleichbar, zur<br />

Demonstration für die Möglichkeit eines absolutnotwendigen Wesens<br />

dienen, die auch nur zur objektiven Geltung der vorgestellten Idee<br />

zureicht? Und hebt die Aufhebung des Triangels nicht die euklidische<br />

Verfaßtheit der Geometrie in reiner Anschauung mit auf? Kants ganze<br />

Vorgangsweise stellt diese Fragen eher zum kosmologischen Gottesbeweis,<br />

doch hat Kant schon anhand der Intelligibilität entschieden, später auch<br />

erkannt, daß Bezüge zur Empirie bei der Untersuchung der Bedingung der<br />

Möglichkeit eines unendlichen Wesens selbst nichts nützen, auch wenn<br />

wie beim ontologischen Gottesbeweis des Thomas von Aquin die


— 1121 —<br />

empirische Erfahrung der Ausgangspunkt der theologischen Spekulation<br />

ist. 3 Daraus ist aber nur mehr der Schluß zu ziehen, daß diese zur<br />

Geometrie analog streng gefaßten Bedingungen der formalen und<br />

wirklichen Möglichkeit in der theologischen Idee weder empirisch noch in<br />

reiner Anschauung gegeben werden kann.<br />

»Äußerlich ist nichts, dem widersprochen würde, denn das Ding [des<br />

Begriffs vom absolutnotwendigen Wesen] soll nicht äußerlich notwendig<br />

sein; innerlich ist nichts, denn ihr habt, durch Aufhebung des Dinges<br />

selbst, alles Innere zugleich aufgehoben. Gott ist allmächtig; das ist ein<br />

notwendiges Urteil. Die Allmacht kann nicht aufgehoben werden, wenn<br />

ihr eine Gottheit, d. i. ein unendliches Wesen, setzt, mit dessen Begriff<br />

jener identisch ist. Wenn ihr aber sagt: Gott ist nicht, so ist weder die<br />

Allmacht, noch irgend ein anderes seiner Prädikate gegeben; denn sie sind<br />

alle zusamt dem Subjekte aufgehoben, und es zeigt sich in diesem<br />

Gedanken nicht der mindeste Widerspruch« (B 623/A 595)<br />

Die Aufhebung eines Urteils (Subjekt und Prädikat) ohne logischen<br />

Widerspruch (B 623) ist dann möglich, wenn die Bedingungen der<br />

assertorischen Geltung des »ist« von der kategorialen Geltung als Kopula<br />

unterschieden werden kann. Unter dieser Voraussetzung wird mit der<br />

Aufhebung der Setzung des Subjektes die Geltung der ganzen Aussage,<br />

also auch das (analytische) Prädikat aufgehoben; allerdings ohne die<br />

Richtigkeit der syntaktischen Relation zwischen Subjektbegriff und<br />

Prädikatsbegriff aufzuheben. In der Geometrie ist das der Fall, wenn gar<br />

kein Triangel in reiner Anschauung gesetzt worden ist (kein euklidisches<br />

Dreieck), in Urteilen über objektive Realität dann, wenn jetzt keine<br />

Assertion möglich ist, aber an anderer Stelle oder zu einer anderen Zeit<br />

erwartet werden kann. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, daß<br />

Kant womöglich im Falle des geometrischen Beispiels (und nur dieses<br />

verwendet er in diesem Zusammenhang) an die Besonderheit des Dreiecks<br />

gedacht hat, die das Dreieck durch seine Rolle in der Diskussion um die<br />

Notwendigkeit und Einzigkeit der euklidischen Geometrie gegenüber der,<br />

traditionell nur als bloße Denkmöglichkeit behandelten nicht-euklidischen<br />

Geometrie gespielt hat. In dieser durch Lambert auch Kant bekannte<br />

Diskussion spielt unter anderem die Winkelsumme eine entscheidende<br />

Rolle; da nun Kant nur von Winkeln, nicht von einer Winkelsumme<br />

3 Thomas von Aquin, Die Gottesbeweise in der »Summe gegen die Heiden« und der<br />

»Summe der Theologie, hersg,. Eingeleitet und kommentiert von Horst Seidl, Felix<br />

Meiner Verlag, Hamburg 2 1986


— 1122 —<br />

spricht, kann hier von einer Invarianz dieser Behauptung bezüglich der<br />

näheren Verfäßtheit reiner Geometrie in reiner Anschauung gesprochen<br />

werden. Damit ist ein Argumentationsgang eröffnet, der von Kant für die<br />

reine Geometrie grundsätzlich ausgeschlossen wird, aber dazu führt, daß<br />

desweiteren in aller Reinheit und innerer Notwendigkeit die Aufhebung<br />

des Begriffs eines Dreiecks auch zur Falsifikation dieses Begriffes führen<br />

könnte, weil eine andere für sich ebenso reine Geometrie dem<br />

Denkentwurf des Konzepts des Dreiecks vorausliegt, ohne das eine dieser<br />

Geomtrien als grundsätzlich unmöglich erwiesen werden könnte.<br />

Während diese disjunktive Entwicklung in ihrer Verzweigtheit völlig rein<br />

und a priori geltend als qualitative Mannigfaltigkeit der Geometrie<br />

weiterhin als in reiner Anschauung konstruierbar gedacht werden kann,<br />

ist es im Rahmen der Kontingenz nunmehr nach Kants Bestimmung des<br />

Horizonts empirischer Erfahrung anhand den Bedingungen der<br />

Sinnlichkeit unserer Erfahrung möglich, daß Konzepte empirischer<br />

Begriffe, seien sie analytische oder synthetische Sätze, als falsch gelten<br />

können, nicht weil sie jetzt nicht gelten, sondern weil sie Unmögliches<br />

behaupten, hielte man sie für wahr.<br />

Der allerrealste Begriff (Inbegriff) aber ist in keiner dieser Hinsichten<br />

aufhebbar. Was bedeutet dieser Wechsel vom Urteil zum Begriff (Inbegriff)<br />

in logischer Hinsicht für das Merkmal, was für die Distribution des<br />

Merkmals? Der Wechsel zum Konzept des Begriffes bedeutet der<br />

Übergang vom Verstandesgebrauch zu Vernunfturteilen, indem nunmehr<br />

nicht ein Satz, sondern ein System von Sätzen gedacht wird; und zwar als<br />

bloß mögliche Urteile, die ihrer Washeit nach als zureichend bestimmt<br />

oder bestimmbar gedacht werden, aber, obgleich eben nicht nur<br />

denkmöglich, nicht alle über eine gemeinsam aktuelle Assertion verfügen<br />

können. Nun kommt eben eine durchgängig bestimmte und bestimmende<br />

Assertion für eine Vernunftidee selbst nicht in Frage, doch aber bleibt auch<br />

die Idee vom Allerrealsten in einem zumindest denkbaren System von<br />

Sätzen im Sinne möglicher Vernunftbegriffe, die durch Vernunftschlüsse<br />

verbunden sind, wie zuvor anhand der Frage nach der Einheit von<br />

Unbedingtem und Bedingtem, oberster und nachfolgender Ursachen,<br />

oberer und niederer Idee bereits nahegelegt worden ist.<br />

Entscheidend für die Richtigkeit des Verfahrens ist jeweils das gegebene<br />

Beispiel: Die Aufhebung des ganzen Urteils zieht keinen Widerspruch<br />

nach sich. Das heißt im Falle des logischen Urteils oder des Triangels<br />

immer, daß die Geltung jetzt, im Anwesen, an einem bestimmten Ort zu


— 1123 —<br />

einer bestimmten Zeit (oder in einem bestimmten Zeitraum), keine<br />

Existenzbehauptung (Geltungsbehauptung im Falle der Geometrie)<br />

explizite enthält, obgleich angenommen werden kann, daß andernorts<br />

oder zu einer anderen Zeit (in der Geometrie: unter einem anderen Zweck<br />

der Konstruktion) das besagte Urteil auch als assertorische<br />

Existenzbehauptung bzw. aktuelle Geltungsbehauptung gelten können<br />

muß. Die Geltung des Urteils in Bezug auf das Verhältnis von Subjekt und<br />

Prädikat im Satz der Aussage steht bei den wechselnden Umständen der<br />

aktuellen Geltung im Sinn der empirischen Postulate aber bei Kant niemals<br />

selbst in Frage, zumal das Prädikat als analytisches Prädikat des<br />

Subjektbegriffes vorgestellt worden ist. Insofern wird mit der Aufhebung<br />

des Urteils, so wie Kant diese Aufhebung anstellt, nicht die innere<br />

Möglichkeit des Begriffs aufgehoben. Das würde die Aufhebung des<br />

Urteils aus Gründen innerer Widersprüchlichkeit oder eines anderen<br />

Grundes, der die Unmöglichkeit der Wahrheit dieses Satzes angibt,<br />

verlangen. — Das Ding des Begriffes vom absolutnotwendigen Wesens ist<br />

aber weder ein empirischer noch geometrischer Gegenstand, und die<br />

Umstände seiner objektiven Geltung können eben weder unter eine<br />

Zeitbedingung noch unter einen Konstruktionszweck in reiner<br />

Anschauung fallen. Insofern wird hier aus rein formalen Gründen der<br />

logischen Form eine logische Operation ohne kategoriale Bedeutung<br />

durchgeführt, was Sinnlosigkeit ergibt, weil jede Beziehung auf einen<br />

möglichen Gegenstand verloren geht. Es ist zwar nicht denkunmöglich,<br />

aber sinnlos, eine Aussage über Gott gemäß einer Formel, die für lokale<br />

Geltung oder Nichtgeltung konzipiert war, aufzuheben. — Zu einer<br />

ähnlichen Überlegung kommt Kant im nächsten Absatz: »Wider alle diese<br />

allgemeinen Schlüsse (deren sich kein Mensch weigern kann) fordert ihr<br />

mich durch einen Fall auf, den ihr, als einen Beweis durch die Tat,<br />

aufstellet: daß es doch einen und zwar nur diesen Einen Begriff gebe, da<br />

das Nichtsein oder Aufheben seines Gegenstandes in sich selbst<br />

widersprechend sei, und dieses ist der Begriff des allerrealsten Wesens. Es<br />

hat, sagt ihr, alle Realität, und ihr seid berechtigt, ein solches Wesen als<br />

möglich anzunehmen, (welches ich vorjetzt einwillige, obgleich der sich<br />

nicht widersprechende Begriff noch lange nicht die Möglichkeit des<br />

Gegenstandes beweist). Nun ist unter aller Realität auch das Dasein mit<br />

begriffen; Also liegt das Dasein in dem Begriffe von einem Möglichen.<br />

Wird dieses Ding nun aufgehoben, so wird die innere Möglichkeit des<br />

Dinges aufgehoben, welches widersprechend ist.« (B 624/A 596)


— 1124 —<br />

Das scheint mir nicht sehr klar ausgedrückt zu sein. Grundsätzlich geht es<br />

darum, daß im Begriff vom allerrealsten Wesen notwendigerweise<br />

Existenz enthalten sein muß; wird also dieser Begriff aufgehoben, müßte<br />

auch die Existenz als dessen analytisches Prädikat aufgehoben worden<br />

sein. Nun wurde in den möglichen Beispielen niemals der Begriff<br />

aufgehoben, was in der Tat die innere Möglichkeit des Begriffes betreffen<br />

würde, sondern eben nur seine aktuelle Geltung, aber nicht seine<br />

subjektive, bloß der Idee von einer absoluten Notwendigkeit nicht<br />

widersprechende Geltung schlechthin. Seine innere Möglichkeit wird also<br />

gar nicht betroffen. Hier jedoch müßte, wenn der Begriff vom allerrealsten<br />

Wesen aufgehoben würde, es seiner inneren Möglichkeit widersprechen;<br />

und zwar weil das allerrealste Wesen auch die Existenz zum analytisch<br />

notwendigen Prädikat besäße, was erst die Aufhebung logisch im<br />

Gegensatz zu Begriffen kontingenter Wesenheiten zu einem Widerspruch<br />

machen würde. Das ist nun ausdrücklich nicht der Fall, denn das<br />

Existenzprädikat bezieht sich immer nur auf Vorstellungen, insofern auch<br />

auf die analytischen Merkmale des Begriffs vom absolutnotwendigen<br />

Wesen oder auf die Vorstellung vom absolutnotwendigen Wesen selbst als<br />

Teilbegriff. Kant hält die Denkmöglichkeit der Existenz eines absolut<br />

notwendigen Wesens zu sehr zurück, um das Argument der<br />

transzendentalen Kritik vollständig zustande zu bringen: Dieses hätte<br />

erstens die Frage zu beantworten, von wo diese Merkmale und<br />

Vorstellungen vom Wesen Gottes herkommen, und inwieweit diese reine<br />

Vernunftideen genannt werden können. Zweitens inwieweit ein solches<br />

Wesen in einer zusammenhängenden Erfahrung vorkommen könne.<br />

Drittens kann das Existenzprädikat transzendentallogisch eben auch im<br />

Rahmen der theologischen Idee nicht wie eine Qualität der inhaltlichen<br />

Bestimmung eines Begriffs im Urteil betrachtet werden. — Die Antwort<br />

Kants ist deutlicher als der oben exponierte Entwurf:<br />

»Ich antworte: Ihr habt schon einen Widerspruch begangen, wenn ihr in<br />

den Begriff eines Dinges, welches ihr lediglich seiner Möglichkeit nach<br />

denken wolltet, es sei unter welchem versteckten Namen, schon den<br />

Begriff seiner Existenz hineinbrachtet. Räumet man euch das ein, so habt<br />

ihr dem Scheine nach gewonnen Spiel, in der Tat aber nichts gesagt; denn<br />

ihr habt eine bloße Tautologie begangen. Ich frage euch, ist der Satz: dieses<br />

oder jenes Ding (welches ich euch als möglich einräume, es mag sein,<br />

welches es wolle,) existiert, ist, sage ich, dieser Satz ein analytischer oder<br />

synthetischer Satz? [...] Wenn er das erstere ist, so tut ihr durch das Dasein


— 1125 —<br />

des Dinges zu eurem Gedanken von dem Dinge nichts hinzu, aber alsdenn<br />

müßte entweder der Gedanke, der in euch ist, das Ding selber sein, oder<br />

ihr habt ein Dasein, als zur Möglichkeit gehörig, vorausgesetzt, und<br />

alsdenn das Dasein dem Vorgeben nach aus der inneren Möglichkeit<br />

geschlossen, was nichts als eine elende Tautologie ist.« (B 625/A 597)<br />

Das Für-wahr-halten eines Satzes oder Begriffes schließt die kategoriale<br />

Möglichkeit von assertorisch zugänglicher Wirklichkeit oder sonstiger<br />

Geltungsbedingungen mit ein, auch wenn er gerade nicht gilt oder nicht<br />

angewendet werden kann. Die Merkmale von Allgemeinbegriffen gelten<br />

hingegen empirisch oder aus einem Konzept oder Theorie über Teile der<br />

Natur oder der Mathematik notwendig oder mit dem hypothetischen<br />

Anspruch auf Notwendigkeit. Hier wird ebenfalls mit einem Begriff von<br />

etwas eine mögliche Wirklichkeit oder aktuelle Geltung gesetzt. Allerdings<br />

sind diese Verhältnisse sowohl hinsichtlich der universiellen kategorialen<br />

Bestimmbarkeit von objektiver Realität wie der besonderen und auf den<br />

Einzelfall konkretisierbaren Allgemeinbegriffe auf empirische, d. h. hier<br />

sinnliche Erfahrung bezogen, während diese Verhandlung über den<br />

Begriff vom absolutnotwendigen Wesen geführt wird, dessen einzige<br />

Assertion schon in der bloßen Denkmöglichkeit selbst liegen können muß.<br />

Jedoch lädt Kant zu diesem Mißverstand durch die Vermengung ein, die<br />

geschehen muß, wenn man seiner Aufforderung folge leistet: »Ich frage<br />

euch, ist der Satz: dieses oder jenes Ding (welches ich euch als möglich<br />

einräume, es mag sein, welches es wolle,) existiert, ist, sage ich, dieser Satz<br />

ein analytischer oder synthetischer Satz?« Es interessiert zunächst nur der<br />

Klammerausdruck: Ist diese Einräumung willkürlich und Grund für die<br />

Vermengung von empirischen, reinen und nur gedachten Gegenständen?<br />

»Dieses oder jenes Ding« läßt an Beliebigkeit nichts zu wünschen übrig.<br />

Kant sucht hier mit abstrakt bleibender Totalität die Behauptung der<br />

Gegenposition zu unterlaufen, der Begriff von einem allerrealsten Wesen<br />

sei eben nicht wie ein Konzept von einem Ding, dessen Erscheinungen<br />

kontinuierlich in Zeit und Raum gegeben werden können, zu behandeln.<br />

Da nun jedoch ein Satz, auch wenn er vom allerrealsten Wesen handelt,<br />

nach logischen Gesichtspunkten behandelt werden kann, spricht von<br />

dieser Seite nichts gegen die Aufheblichkeit. Der Anspruch, die<br />

widerspruchsfreie Aufheblichkeit der aktuellen assertorischen Geltung<br />

eines jeden Satzes, mit dessen Behauptung eine Existenzbehauptung<br />

verbunden ist, auf den Begriff vom allerrealsten Wesen auszudehnen, ist<br />

vielleicht neu zu bewerten, wenn die Überlegung herangezogen wird, daß


— 1126 —<br />

erst die dialektische Überbeanspruchung des disjunktiven Urteils zur<br />

konjunktiven Totalität der entschränkten Allheit möglicher Prädikate eines<br />

Dinges außer jeder Zeit geführt hat. Das aber ist die Folie für eine Folge<br />

von Übersteigerungen, die ab dem expliziten Wesensbegriff des<br />

transzendentalen Ideals notwendig dialektisch werden, und nach dem<br />

transzendentalen Obersatz als disjunktive und vollständige<br />

Durchbestimmung des ens realissimum im prototypon transcendentale als<br />

existierendes Urbild einen ästhetischen Neuansatz des Wesensbegriffes<br />

bringt und zur Vorstellung des ens necessearium führt, worin dann die<br />

Vorstellung vom ens originarium, entium und summum als die stärkste<br />

Fassung der theologischen Idee fundiert sein soll. Das aber bestätigt<br />

strukturell die theologische Idee, ohne einen transzendentalen<br />

Gottesbeweis zuzulassen, sodaß die Aufheblichkeit nicht nur mehr<br />

Angelegenheit eines Gottesbeweises ist, sondern (wenngleich spekulativ)<br />

die reinen Vernunftideen in ihrer Notwendigkeit überhaupt betrifft. Die<br />

Eigentümlichkeit der dritten Vernunftidee liegt darin, daß nicht einmal<br />

ihre objektive Gültigkeit als heuristisches Prinzip im entscheidenden<br />

Abschnitt bewiesen werden kann, aber, unzureichend begründet, die<br />

absolutnotwendige Existenz des allerrealsten Wesens behauptet wird,<br />

obwohl Kant andernorts bereits angezeigt hat, daß der Inbegriff vom<br />

Allerrealsten gar nicht zur Charakteristik des absolutnotwendigen Wesen<br />

tauglich ist.<br />

6. Das allerrealste Wesen und das absolut notwendige Wesen.<br />

Das Existenzprädikat als analytisches und als synthetisches Prädikat in<br />

Hinblick auf rationale Metaphysik und Naturwissenschaft<br />

Die Eigentümlichkeit des Begriffs vom allerrealsten Wesen, das<br />

Existenzprädikat analytisch im Begriff zu enthalten, sodaß die Aufhebung<br />

der Existenz der inneren Möglichkeit des Begriffes widerspricht, würde<br />

dem Kriterium der Einzigkeit entsprechen, doch Kant besteht darauf, diese<br />

Eigenschaft den Begriffen aller möglichen beliebigen Dinge als mögliche<br />

Position des Existenzprädikates zuzuschreiben, von welchen grundsätzlich<br />

durchgängige Bestimmbarkeit mittels Prädikate behauptet werden kann.<br />

Diese Totalität der Versammlung aller möglichen Prädikate soll für jedes<br />

Ding das Existenzprädikat der Position nach analytisch enthalten, und<br />

durch die Opposition von Wahrheit und Falschheit entgegengesetzter<br />

Prädikate im transzendentalen Vergleich zum besonderen und


— 1127 —<br />

existierenden Ding weiterbestimmt werden können. Durch den<br />

transzendentalen Vergleich wird die Unterscheidung, ob es so ist, und ob<br />

es jetzt so ist, hinfällig, und real mögliche Begriffe werden als Urteile über<br />

das Sosein von Existenz behandelt, gleich, ob eine aktuelle Assertion<br />

vorliegt oder nicht. Dann aber ist auch die Unterscheidung hinfällig, die<br />

zwischen dem analytischen Existenzprädikat der Position der Möglichkeit<br />

nach und dem aktuell assertorisch geltenden Existenzprädikat gemacht<br />

wurde.<br />

Trotzdem stellt sich nochmals die Frage, inwieweit diese Begriffe noch als<br />

aufheblich bezeichnet werden können, wenn die durchgängige<br />

Bestimmung eines Dinges anhand der transzendentalen Vergleichung mit<br />

allen möglichen Prädikaten eines Dinges überhaupt das Existenzprädikat<br />

bereits analytisch enthalten soll. Nun wurde nicht nur die Aufheblichkeit<br />

der Begriffe der inneren Möglichkeit nach behauptet, sondern in einer<br />

Variante der Diskussion nur, daß sie hier und jetzt nicht gelten. Was aber<br />

unterscheidet dann den Begriff vom allerrealsten Wesen vom Begriff eines<br />

jeden anderen Dinges? Daß letzterer in einem Schema von Raum und Zeit<br />

gilt oder nicht gilt, ersterer kann aber nur entweder wahr oder falsch sein.<br />

Das Ding des Begriffes vom allerrealsten Wesen ist weder empirisch noch<br />

geometrisch noch algebraisch, und genau das unterscheidet die Operation<br />

der gedanklichen Aufhebung der Existenz oder Geltung von einem jeden<br />

anderen Ding: Dieses Wesen ist nicht in Zeit noch im Raum gedacht,<br />

sondern begrenzt deren kontingente Unendlichkeit oder Endlosigkeit.<br />

Dessen Aufheblichkeit soll nicht nur aus logischen Gründen unmöglich<br />

sein.<br />

Ist der Begriff vom allerrealsten Wesen nun gerade dadurch gegenüber<br />

anderen bloß wegen der Widerspruchsfreiheit denkmöglicher Begriffe<br />

ausgezeichnet, weil seine Aufheblichkeit einen inneren Widerspruch<br />

herruft? Da aber die Frage der objektiven Geltung des Begriffes vom<br />

allerrealsten Wesen nicht entschieden werden kann, weil weder die Art<br />

und Weisen des Gegebenseins noch ein Zusammenhang der Erfahrung<br />

postuliert werden kann, müßte der Begriff wieder aufheblich sein. Könnte<br />

die Existenz des selbst unendlichen und deshalb absolutnotwendigen<br />

Wesens anhand des allerrealsten Wesen (oder wie Thomas meint, aus der<br />

empirischen Erfahrung) bewiesen werden, dann freilich wäre die Geltung<br />

seines Begriffs wie die Existenz seines Dinges unaufheblich, obgleich ohne<br />

Erscheinungen dessen transzendentaler Beweis nicht möglich ist, während<br />

die analytische Notwendigkeit, das Existenzprädikat zu enthalten, für die


— 1128 —<br />

Begriffe aller anderen Dinge zwar das gleiche tut, aber das was die<br />

analytische Notwendigkeit, das Existenzprädikat zu enthalten, auch zu<br />

leisten vorgibt, einfach nicht ausreicht, die Stellung des Dinges in Zeit und<br />

Raum zu bestimmen. So bleibt der durchgängig an der Sphäre der<br />

Möglichkeit bestimmte Begriff vom einzelnen Ding dem Anspruch nach<br />

analytisch mit Existenz verbunden, aber vermag den Ort in Raum und Zeit<br />

nicht anzugeben, sodaß eben ein solcher Begriff streng genommen auch<br />

nur der Möglichkeit nach das Existenzprädikat enthält. Für die Vorstellung<br />

von Existenz des Dinges des Begriffs vom allerrealsten Wesen wird aber<br />

diese Bestimmung nicht verlangt, da ein solches Ding nicht in Zeit und<br />

Raum existieren würde. Es spricht nichts dagegen, das<br />

Gedankenexperiment zu machen, und den fraglichen Beweis als geglückt<br />

voraussetzen: Außer an Beobachtungen wie strenge Determiniertheit und<br />

dergleichen wäre nichts zu bemerken; keineswegs wäre man der<br />

Beantwortung der Frage, wie und nach welchen Gründen das unendliche<br />

Wesen dieses oder jenes bewirkt oder schon von Anbeginn an in Gang<br />

gesetzt hat, auch nur näher gekommen, denn eben weil das Ding dieses<br />

Wesens außerhalb von Raum und Zeit ist, müßte es auch außerhalb jeder<br />

Möglichkeit der Erfahrung liegen. Hätte sich aus den Untersuchungen der<br />

Naturwissenschaften strenge Determiniertheit der Natur zumindest als<br />

Grundprinzip durchgezeichnet, hätten wir zwar ein Indiz als Grund<br />

gehabt, auf ein unendliches Wesen zu schließen, aber wir hätten daraus<br />

keine weiteren bestimmten Eigenschaften ableiten können. Nichts als<br />

strenge Determiniertheit aber hätte uns ohne Freiheit und Urteilskraft<br />

zurückgelassen.<br />

Ich gebe die Stelle wieder, in welcher Kant eine entgegengesetzte Haltung<br />

zu der oben behandelten Vorgangsweise einnimmt, und zwischen den<br />

Positionen des Existenzprädikates in kontingenten Dingen und im<br />

allerrealsten Wesen keinen modallogischen Unterschied feststellen will.<br />

Schließlich kommt es wieder zu der entscheidenden Frage nach der<br />

analytischen oder synthetischen Verknüpfung des Prädikats mit dem<br />

Subjekt anhand grammatikalischer Merkmale:<br />

»Das Wort: Realität, welches im Begriffe des Dinges anders klingt, als<br />

Existenz im Begriffe des Prädikats, macht es nicht aus. Denn, wenn ihr<br />

auch alles Setzen (unbestimmt was ihr setzt) Realität nennt, so habt ihr das<br />

Ding schon mit allen seinen Prädikaten im Begriffe des Subjekts gesetzt<br />

und als wirklich angenommen, und im Prädikate wiederholt ihr es nur.<br />

Gesteht ihr dagegen, wie es billigermaßen jeder Vernünftige gestehen


— 1129 —<br />

muß, daß ein jeder Existenzialsatz synthetisch sei, wie wollet ihr denn<br />

behaupten, daß das Prädikat der Existenz sich ohne Widerspruch nicht<br />

aufheben lasse? Da dieser Vorzug nur den analytischen, als deren<br />

Charakter eben darauf beruht, eigentümlich zukommt.« (B 625 f./A 597 f.)<br />

Zuerst wird nicht eigentlich die Setzung eines Dinges mit allen seinen<br />

Prädikaten kritisiert, sondern die Verwechslung auf Grund des<br />

transzendentalen Scheins, diese Setzung sei schon mit einem existierenden<br />

Ding an sich selbst ident. In der praktischen oder technischwissenschaftlichen<br />

Einstellung stört das zumeist nicht weiter. Näher wird<br />

übersehen, daß das analytische Enthaltensein des Existenzprädikates nicht<br />

transzendentalen Ursprungs ist, sondern daß die Begriffe der Dinge, die<br />

als aufheblich nur gedacht werden können, weil sie als ectypa in Raum<br />

und Zeit existieren, in ihrer konkreten Bestimmbarkeit empirischen<br />

Charakter besitzen. Mit der analytischen Darstellung des<br />

Existenzprädikates in Begriffen, deren Gegenstände auch unabhängig vom<br />

aktuellen Gegebensein als reale Gegenstände gedacht und vorgestellt<br />

werden können (transzendentale Einbildungskraft) wird die<br />

Notwendigkeit nur aus formalen logischen Gründen erschwindelt; im<br />

Grunde hängt die Gültigkeit solcher Begriffe (nicht immer sofort deren<br />

Prinzipien) von den affirmativ bewährenden Erfahrungen a posteriori ab.<br />

Insofern sind solche Begriffe möglicherweise aufheblich auch aus Gründen<br />

innerer Widersprüchlichkeit, die erst anhand der Erfahrung erkennbar<br />

wird, dann aber haben sie ihren Gegenstand in dieser Hinsicht auch vorher<br />

nicht wirklich betroffen, denn in der Tat haben diese Begriffe den<br />

Anspruch zu erheben, daß, wenn sie für wahr gehalten werden, mit ihnen<br />

nicht nur unbestimmt mögliche Existenz, sondern irgendwo und<br />

irgendwann notwendige Existenz ausgedrückt wird. Wenn dieser von<br />

jeder Erkenntnis zu erhebende Anspruch verwechselt wird mit der<br />

Gewißheit a priori und die Herkunft der empirischen Erkenntnis mit der<br />

Herkunft logischer Regelerkenntnis, dann hat das jenen falschen Schein<br />

ontologischer Wahrheit an sich, die Kant kritisiert.<br />

Kant bezweifelt also, weil das Existenzprädikat nunmehr synthetisch<br />

gedacht werden muß, sich dasselbe ohne Widerspruch nicht aufheben<br />

ließe. Wenn das Existenzprädikat synthetisch gedacht werden muß (a<br />

priori), hätte das starke Folgen: Jederzeit würde es einen Widerspruch zum<br />

erwarteten Fortgang ergeben, ein existierendes und wirkliches Ding<br />

aufheben zu wollen; und gleich einen zweiten Widerspruch, weil damit<br />

das Prinzip der Konstanz des Quantums an Materie verletzt werden


— 1130 —<br />

würde. Worauf ist dann die Möglichkeit der Aufhebung der Existenz eines<br />

Dinges bzw. der Geltung sowohl von Subjekt und Prädikat »bloß in<br />

Gedanken« noch sinnvoll zu beziehen? Die Denkmöglichkeit der<br />

Aufheblichkeit kontingenter Verhältnisse, die eben nicht streng<br />

determiniert sind, entstammt dem Vergleich mit deren Gegenvorstellung<br />

einer allmächtigen ersten, selbst nicht verursachten Ursache. Das<br />

Unternehmen, deren Begriff (genauer: einen — vermutlich —<br />

äquipollenten Begriff) als auf gleiche Weise aufheblich zu denken<br />

aufzugeben, scheitert aus zwei völlig verschiedenen Gründen:<br />

Erstens verliert das Verfahren der »Aufheblichkeit« in Gedanken, der<br />

Möglichkeit nach, ihren Gegenstand der Aussage, wenn die Aufheblichkeit<br />

von kontingenten Gegenständen zwar nach der inneren Möglichkeit nach,<br />

also gemäß den Bestimmungen intrinseci, keinen Widerspruch erzeugt,<br />

aber im Commercium; und damit noch ein grundlegendes Naturgesetz<br />

(Konstanz des Quantums der Materie) verletzt.<br />

Zweitens: Wohl kann ein Gegenstand mit dem Ende der funktionalen<br />

Form des Substrats auch als solcher ein Ende finden, und in diesem Sinn<br />

ist die Nichtexistenz eines bestimmten Gegenstandes, bezogen auf den<br />

Horizont des Anwesens, eine realmögliche Vorstellung. Die Aufheblichkeit<br />

als realmögliche Vorstellung umfaßt die Möglichkeit der Zerstörung. Das<br />

alles aber würde nur nochmals alle anderen Dinge vom für uns nur<br />

denkmöglichen Ding (Substanz) des unendlichen Wesens unterscheiden,<br />

sodaß die zugestandene Denkmöglichkeit in der Tat mehr beinhaltet als<br />

bloße logische Widerspruchsfreiheit und insofern einen<br />

transzendentallogischen Gehalt in transzendentalsubjektiver Hinsicht zur<br />

Bestimmung der Dingwelt, die wir in den Erscheinungen begründet<br />

vermuten, erhalten hat. Ein komplementär aus dem Gegenteil bestimmter<br />

Gehalt der insofern mit aufgestellten Vernunfthypothese ist noch<br />

undeutlich: allerrealstes, absolutnotwendiges, höchstes oder unendliches<br />

Wesen sind Attribute, deren Verhältnisse untereinander noch gar nicht<br />

geklärt sind, sodaß im Grunde nicht einmal die innere logische<br />

Widerspruchsfreiheit des obersten Inbegriffes sicher gegeben ist. Ob diese<br />

Bestimmungen also analytische und synthetische Beziehungen<br />

untereinander besitzen oder nur synthetische Beziehungen, wie es<br />

zunächst entgegen der Einführung Kantens den Anschein hat, kann so<br />

nach wie vor nicht entschieden werden.<br />

Kant findet den Grund der Illusion in der Verwechslung der logischen mit<br />

der realen Verwendung eines Prädikats. Die sogenannte »reale«


— 1131 —<br />

Verwendung, oder das »reale« Prädikat, wie Kant sich ausdrückt, besteht<br />

darin, daß das Merkmal als Bestimmung nicht unserer Vorstellung vom<br />

Gegenstand (Erscheinung der Erscheinung) sondern des Gegenstandes als<br />

Ding an sich selbst (Erscheinung) aufgefaßt wird. Letztere Bestimmung<br />

aber »ist ein Prädikat, welches über den Begriff des Subjekts hinzukommt<br />

und ihn vergrößert. Sie muß also nicht in ihm schon enthalten sein«. (l. c.)<br />

Hier sind zwei Argumentationsstränge zu beachten: Einerseits gibt es die<br />

logische und die reale Verwendung von Prädikaten, andererseits gibt es<br />

die analytische und die synthetische Verwendung von Prädikaten. Das<br />

synthetische Prädikat kommt logisch betrachtet zum Begriff des Subjektes<br />

hinzu, und es muß das synthetische Prädikat als reales Merkmal am<br />

Gegenstand gedacht werden können. Ebenso muß natürlich auch ein<br />

analytisches Merkmal des Begriffes (logisches Prädikat) als Merkmal des<br />

Gegenstandes gedacht werden können, da aber Kant klar gemacht hat, daß<br />

Existenzialaussagen (Aussagen mit Existenzbehauptung) schon wegen der<br />

Zusammenfügung der Beurteilung von ganzem Urteilsinhalt und der<br />

Beurteilung, ob dieser Urteilsinhalt jetzt und hier zutrifft, synthetischen<br />

Charakter besitzen müssen, fließen die Gründe bei Kant ineinander. Es<br />

muß aber klar sein, daß hier von zwei verschiedene Arten von Synthesis<br />

die Rede ist, obwohl beide die Synthesis der ursprünglich-synthetischen<br />

Einheit der Apperzeption vorausgesetzt haben; so sind auch das Prädikat<br />

als Merkmalsaussageteil des Satzes und das bislang nur hypostasierte<br />

Existenzprädikat voneinander in der Logik und in der Grammatik deutlich<br />

formal zu unterscheiden: Ersteres ist als Abschnitt der Proposition<br />

darzustellen, letzteres als Negationszeichen bzw. Symbol für Falschheit<br />

oder als Symbol für Wahrheit einer ganzen Aussage.<br />

7. Reales und logisches (modales) Prädikat im Syllogismus der<br />

empirischen Postulate. Übergang von der Assertorik zur Architektonik<br />

Davon ist die Bedeutung des Wortes »ist« nochmals gesondert zu<br />

überlegen, deren grammatikalische Funktion als Kopula mit der eben<br />

behandelten spekulativen Aufhebung eines existierenden Dinges oder der<br />

In-Existenz-Setzung aus dem Begriff nichts zu tun gehabt hat.<br />

»Sein ist offenbar kein reales Prädikat, d. i. ein Begriff von irgend etwas,<br />

was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könnte. Es ist bloß die<br />

Position eines Dinges, oder gewisser Bestimmungen an sich selbst. Im


— 1132 —<br />

logischen Gebrauche ist es lediglich die Kopula eines Urteils. Der Satz:<br />

Gott ist allmächtig, enthält zwei Begriffe, die ihre Objekte haben: Gott und<br />

Allmacht; das Wörtchen: ist, ist nicht noch ein Prädikat oben ein, sondern<br />

nur das, was das Prädikat beziehungsweise aufs Subjekt setzt. Nehme ich<br />

nun das Subjekt (Gott) mit allen seinen Prädikaten (worunter auch die<br />

Allmacht gehöret) zusammen, und sage: Gott ist, oder es ist ein Gott, so<br />

setze ich kein neues Prädikat zum Begriffe von Gott, sondern nur das<br />

Subjekt an sich selbst mit allen seinen Prädikaten, und zwar den<br />

Gegenstand in Beziehung auf meinen Begriff. Beide müssen genau einerlei<br />

enthalten, und es kann daher zu dem Begriffe, der bloß die Möglichkeit<br />

ausdrückt, darum, daß ich dessen Gegenstand als schlechthin gegeben<br />

(durch den Ausdruck: er ist) denke, nichts weiter hinzukommen.«<br />

(B 626 f./A 598 f.)<br />

Die besondere Schwierigkeit der theologischen Idee ist die, daß, wenn ein<br />

Begriff des unendlichen Wesens einmal gesetzt ist, es den Anschein hat, als<br />

sei dieser unaufheblich, was in der vortranszendentalphilosophischen<br />

Erörterung der rationalen Metaphysik das prototypon transcendentale von<br />

den ectypa auch verläßlich unterschieden hat. Nunmehr hat Kant in seiner<br />

Untersuchung des transzendentalen Ideals und des prototypon<br />

transcendentales die metaphysische Darstellung dortselbst bereits auf die<br />

ersten Erkenntnisse der Transzendentalphilosophie, wie sie mit der<br />

Analytik des Verstandesgebrauches und der Kritik der Vernunftideen<br />

einhergehen, entsprechend eingerichtet: Das, was in der rationalen<br />

Metaphysik nur im Rahmen der theologischen Idee, aber nicht für<br />

Kontingenz gegolten hat, gilt nunmehr — freilich eben nur der<br />

Möglichkeit nach — für den Dingbegriff als solchen, während der Inbegriff<br />

der theologischen Idee, sowohl was die Auffindung eines Attributes<br />

überhaupt, der möglichen Verknüpfung der Attribute überhaupt, wie<br />

letztlich, was die Assertion (Art des Gegebenseins) angeht, nach dieser<br />

Depotenzierung zu verfallen beginnt.<br />

Es muß getrachtet werden, in die Position vor der Setzung zu gelangen,<br />

dann ist leicht einzusehen, wie der Schein entsteht, und weshalb er, aus<br />

subjektiven Gründen der Vernunft abgeleitet, nur von einer Seite besehen<br />

so zwingend sein kann, obwohl er falscher Schein sein muß. Da nun das<br />

Sein kein reales Prädikat sein kann, also kein eigenes Merkmal besitzt,<br />

kann sich das Existenzprädikat, von dem nur mehr eine logische<br />

Verwendung möglich ist, nicht auf Dinge an sich selbst beziehen, sondern<br />

hat Vorstellungen von diesen Dingen zum einzig möglichen Gegenstand.


— 1133 —<br />

Die Setzung außer dem Begriff kann sich nun nur auf Merkmale beziehen,<br />

die als Prädikate auch real, d. i. nunmehr nur in der zusammenhängenden<br />

Erfahrung verwendet werden können und hat auch selbst immer nur<br />

hypothetische Notwendigkeit, selbst wenn der Begriff selbst a priori<br />

bestimmt sein sollte. Die bloße Hinzufügung logischer Prädikate, die als<br />

Prädikate von Verhältnisrelationen zwischen Merkmalen des selben oder<br />

eines anderen Gegenstandes oder schließlich als Prädikate der Prädikate<br />

deren objektive Geltung als Merkmale an einem wirklichen Gegenstand<br />

behaupten respektive implizite voraussetzen, ohne daß der reale Gebrauch<br />

der Prädikate auch wirklich aktuell möglich ist, das ist der Irrtum, der<br />

immerhin möglich ist. Wenn aber die reale Verwendung von Prädikaten<br />

gar nicht möglich ist, nicht weil es sich um ein reines Existenzprädikat<br />

handelte, das nur auf Vorstellungen, nicht auf die Dinge an sich selbst<br />

bezogen werden kann, sondern weil das Ding eines unendlichen Wesens<br />

nicht in Zeit und Raum existiert, dann handelt es sich nicht um einen Pfad<br />

der Wissenschaft, auf welchen man vor und nach einer ausgebildeten<br />

Theorie auch irren kann, wenn man die Umstände des jeweiligen<br />

Einzelfalles nicht berücksichtigt, sondern um ein Unternehmen, dessen<br />

scheitern gewiß sein müßte.<br />

Kant geht noch einen Schritt weiter, indem er überlegt, wie die<br />

Verhältnisse aussehen müßten, wenn die logischen Prädikate auch als<br />

reale Prädikate gerbraucht werden könnten:<br />

»Denke ich mir auch sogar in einem Dinge alle Realität außer einer, so<br />

kommt dadurch, daß ich sage, ein solches mangelhaftes Ding existiert, die<br />

fehlende Realität nicht hinzu, sondern es existiert gerade mit demselben<br />

Mangel behaftet, als ich es gedacht habe, sonst würde etwas anderes, als<br />

ich dachte, existieren. Denke ich mir nun ein Wesen als die höchste Realität<br />

(ohne Mangel), so bleibt noch immer die Frage, ob es existiere, oder nicht.<br />

Denn, obgleich an meinen Begriffe, von dem möglichen realen Dinge<br />

überhaupt, nichts fehlt, so fehlt doch noch etwas an dem Verhältnisse zu<br />

meinem ganzen Zustande des Denkens, nämlich daß die Erkenntnis jenes<br />

Objekts auch a posteriori möglich sei. Und hier zeigt sich auch die Ursache<br />

der hierbei obwaltenden Schwierigkeit. Wäre von einem Gegenstand der<br />

Sinne die Rede, so würde ich die Existenz des Dinges mit dem bloßen<br />

Begriff des Dinges nicht verwechseln können. [1] Denn durch den Begriff<br />

wird nur mit den allgemeinen Bedingungen einer möglichen empirischen<br />

Erkenntnis überhaupt als einstimmig, durch die Existenz aber als in dem<br />

Kontext der gesamten Erfahrung enthalten gedacht; da denn durch die


— 1134 —<br />

Verknüpfung mit dem Inhalte der gesamten Erfahrung der Begriff vom<br />

Gegenstande nicht im mindesten vermehrt wird, unser Denken aber durch<br />

denselben eine mögliche Wahrnehmung mehr bekommt. [2] Wollen wir<br />

dagegen die Existenz durch die reine Kategorie denken, so ist kein<br />

Wunder, daß wir kein Merkmal angeben können, sie von der bloßen<br />

Möglichkeit zu unterscheiden. [3]«<br />

Der erste Punkt ist nach dem vorhin ausgeführten durchaus klar und<br />

deutlich. Der dritte Punkt argumentiert in die richtige Richtung; nur<br />

handelt es sich hier um die transzendentale Untersuchung einer<br />

Vernunftidee, sodaß die Anwendung auch der reinen Kategorie eben ein<br />

Kategorienfehler darstellen würde. Allenfalls kann von einer reinen (nicht<br />

transzendentalen) Analogie zur reinen Kategorie die Rede sein. Aus einer<br />

Vernunftidee überhaupt einen Beweis für Existenz ziehen zu wollen, ist<br />

eben schon der transzendentallogische Irrtum. Erst die Erläuterung, die ich<br />

als zweiten Punkt zusammengenommen habe, führt auf einige<br />

Schwierigkeiten. Kant kommt hier wieder auf das Problem zu sprechen,<br />

das ihm die Einschätzung der Sphäre möglicher Prädikate eines Dinges<br />

überhaupt, was Allheit ergibt, bereitet, die einerseits aus dem Vergleich<br />

des unechten logischen Kontinuums der Vielheit möglicher Merkmale<br />

überhaupt mit der Idee der nur möglichen Totalität der Prädikate von<br />

Erfahrung eines besonderen Dinges (der selben Art von Ding),<br />

andererseits aus dem transzendentalen Vergleich der möglichen Prädikate<br />

desselben Dinges als Totalität möglicher Erfahrung mit dem ens<br />

realissimum oder omnitudo realitatis erst näher bestimmt wird. Zunächst<br />

wird ihm das Außer dem Begriff setzen zum Problem, obwohl Kant doch<br />

mit der Definition einer wesentlichen Funktion der transzendentalen<br />

Einbildungskraft außer Streit gestellt zu haben scheint, daß mit Hilfe der<br />

transzendentalen Einbildungskraft der Begriff den Erscheinungen ihren<br />

transzendentalen Gegenstand erst gibt; die Vorstellbarkeit eines<br />

Gegenstandes der Erfahrung ohne seine Anwesenheit gibt Kant teils als<br />

analytisch deduktiven Beweis aus der transzendentalen Psychologie, teils<br />

als empirisch für jedermann nachvollziehbare innere Handlung unserer<br />

intellektuellen Gemüt, schließlich aus der regulativen Vernunfteinheit der<br />

Betrachtung der Natur formaliter und materialiter spectata. Das Problem<br />

dürfte darin bestehen, daß Kant hier nicht deutlich genug die<br />

systematische Beziehung zu erkennen gibt, in welcher seine Kritik an den<br />

scholastisch-vernünftelnden Kollegen steht, welche dieses »Außer-den-<br />

Begriff-Setzen« eigentlich für Abstraktionen komparativer


— 1135 —<br />

Allgemeinbegriffe der empirischen Bestimmbarkeit gebrauchen, und dabei<br />

glaubten, ontologische Urteile a priori zu fällen: Es handelt sich um die<br />

Verknüpfungsform einerseits der transzendentalen Einbildungskraft in der<br />

Vorstellung eines nicht anwesenden Gegenstandes als wirklich<br />

(transzendentale synthesis speciosa), andererseits mit dem ersten Prinzip<br />

der durchgängigen Bestimmung eines Dinges mittels Prädikate als<br />

heuristisches Prinzip (synthesis intellectualis). Weiter oben konnte gezeigt<br />

werden, daß ein analytisch enthaltenes Existenzprädikat nur eine<br />

intellektuelle Stelle für mögliche Existenz offen halten kann; ob diese<br />

Erkenntnis bedingende Möglichkeit mittels naturwissenschaftlichen Sätzen<br />

oder mittels transzendentalen Bedingungen des Gegebenseins und der<br />

Möglichkeit der Erfahrungserkenntnis überhaupt hergestellt wird, war<br />

zunächst hier noch gar nicht entscheidend. Für die transzendentale<br />

Analytik wie für die Naturwissenschaft ist aber für ihre Argumentation<br />

entscheidend zu wissen, woher jeweils ihre Argumente kommen. Diese<br />

Unterscheidung ist aber vor (oder unabhängig von) dieser Spezialisierung<br />

und Gegenüberstellung noch die der Einheit in der Komplementarität<br />

möglicher Auflösungen des analytisch gedachten Existenzprädikats. Kants<br />

Leistung liegt hier in der Verschränkung der Unterscheidung von<br />

analytischen und synthetischen Urteilen und der Unterscheidung in<br />

logische und reale Verwendung eines Prädikats mit der Unterscheidung<br />

von logischem Vergleich der Prädikate und transzendentalem Vergleich<br />

des Allgemein- oder logischen Wesensbegriffes. Bemerkenswert die<br />

Aufnahme eines vergleichbar naiven Ausdrucks wie »reales Prädikat«; das<br />

wird wohl eine gewisse Ambivalenz zwischen dem Gegenstand unserer<br />

Erscheinungen der Sinnlichkeit (aufgeklärter Realist in transzendentaler<br />

Hinsicht) und der metaphysischen Analogien zum Ding an sich selbst<br />

andeuten, die völlig hinter sich zu lassen eine weitere Untersuchung der<br />

Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrungserkenntnis zugleich<br />

verunmöglichen würde, und mit dem strikten transzendentalen<br />

Idealismus das auslangen finden müßte.<br />

Das ist in etwa der Hintergrund der Schwierigkeit in der Behauptung:<br />

»Denn durch den Begriff nur mit den allgemeinen Bedingungen einer<br />

möglichen empirischen Erkenntnis überhaupt als einstimmig, durch die<br />

Existenz aber als in dem Kontext der gesamten Erfahrung enthalten<br />

gedacht; da denn durch die Verknüpfung mit dem Inhalte der gesamten<br />

Erfahrung der Begriff vom Gegenstande nicht im mindesten vermehrt<br />

wird, unser Denken aber durch denselben eine mögliche Wahrnehmung


— 1136 —<br />

mehr bekommt.« Kant beginnt mit dem Schema der Argumentation aus<br />

den empirischen Postulaten: Die Einstimmigkeit wird vom ersten Postulat<br />

ausgedrückt, die durch die Existenz (in primärer Intentionalität die<br />

Sinnlichkeit — zweites Postulat) in dem Kontext der gesamten Erfahrung<br />

enthalten gedacht wird, was das dritte Postulat ergibt. Dazu ist zu<br />

bemerken, daß die »gesamte Erfahrung« nach der Kritik am Anspruch der<br />

Totalität der vergangen gesetzten Zeit nur eine regulative Idee ist, und<br />

selbst nichts mit der Kontinuitätshypothese der sinnlichen Erfahrung in<br />

den dynamischen Kategorien zu tun hat.<br />

Dann verheddert sich Kant im syllogistischen Aufbau der Argumentation<br />

und setzt damit den Anspruch auf Totalität wieder in Kraft. Der Satz: »Der<br />

Begriff vom Gegenstand werde dadurch nicht im mindesten vermehrt«<br />

stattet das erste empirische Postulat mit einer formalen Perfektibilität aus,<br />

die es nicht besitzen kann, was umgehend mit dem zweiten empirischen<br />

Postulat bestätigt zu werden scheint: »unser Denken aber durch denselben<br />

eine mögliche Wahrnehmung mehr bekommt«. Diese Erweiterung der<br />

Wahrnehmung (zweifellos ein gegebener, nicht im Begriff enthaltener<br />

Inhalt) betrifft aber nicht den Begriff vom Gegenstand? Nach dieser<br />

analytischen Kurzdarstellung der empirischen Postulate scheint ein<br />

synthetisches Urteil überhaupt von der syllogistischen Aufstellung<br />

unterdrückt zu werden, also noch weniger ein synthetisches Urteil a priori<br />

zur Bestimmung einer Relation daseiender Dinge benötigt zu werden;<br />

allein zur Rechtfertigung des reinen Existenzprädikates mittels der<br />

Assertion im zweiten empirischen Postulat wird hier wieder ein<br />

synthetisches Urteil benötigt. Ich halte das im allgemeinen für eine<br />

Demonstration Kants, wie metaphysische Sätze von der<br />

Transzendentalphilosophie, anhand der synthetischen Urteile a priori im<br />

empirischen und im geometrischen Verstandesgebrauch gerechtfertigt, als<br />

deren Konsequenz interpretiert werden können, um die Vollständigkeit<br />

der transzendentalen Analyse an eben diesen nach architektonischen<br />

Gesichtspunkten ausgewählten metaphysischen Sätze zu zeigen. Nunmehr<br />

scheint Kant dem transzendentalen Schein dieses Moments aufzusitzen<br />

und die Transzendentalphilosophie selbst dogmatisch nehmen zu wollen,<br />

während der dogmatische Gebrauch der Verstandesbegriffe nur<br />

gegenüber der Sinnlichkeit gilt. Die Kategorien sind Titel deren<br />

synthetischer Grundsätze a priori, nicht der empirische Begriff eines<br />

Gegenstandes der Erscheinung in komparativer Allgemeinheit, und auch<br />

nicht Prinzipien a parte priori der einzelnen Erfahrungswissenschaften. —


— 1137 —<br />

Die Wendung, daß dadurch unser Denken eine mögliche Wahrnehmung<br />

mehr bekommt, könnte also bedeuten,<br />

(a) daß unsere sinnliche Wahrnehmung den Allgemeinbegriff zum<br />

Einzelfall auch qualitativ ergänzt<br />

(b) daß Kant sich an dieser Stelle an die allgemeine Ähnlichkeit von<br />

Kategorie und Vernunftbegriff hinsichtlich ihrer heuristischen Funktion<br />

erinnert hat und die selbst affirmative Bewährung die Aussage ist<br />

(c) daß die Erfahrung mit Empirie, also Erfahrung im Umgang mit<br />

Verstandesprinzipien und Vernunftprinzipien wie mit Prinzipien a parte<br />

priori in der Organisation sinnlicher Erfahrungsbegriffe die weitere<br />

mögliche »Wahrnehmung« ist.<br />

Letzteres klingt im vorhergehenden Textverlauf kurz an, scheint mir aber<br />

hier wenig wahrscheinlich zu sein (auch spricht der Ausdruck<br />

»Wahrnehmung« nicht dafür), zweiteres ist wegen der mangelnen<br />

Unterscheidung in Quantität, Qualität, Relation und »logisch« reiner<br />

Modalität für die Konfusion mit verantwortlich, und ersteres ist direkt<br />

ausgeschlossen worden: »Da denn durch die Verknüpfung mit dem<br />

Inhalte der gesamten Erfahrung der Begriff vom Gegenstande nicht im<br />

mindesten vermehrt wird, unser Denken aber durch denselben eine<br />

mögliche Wahrnehmung mehr bekommt«(B 628 f./A 600 f.). Das aber ist<br />

zu wenig, denn Erfahrungserkenntnis kann nunmehr — neben der<br />

Vermehrung der Allgemeinbegrifffe und auch ohne der Vermehrung des<br />

Merkmalumfangs der Allgemeinbegriffe — nur mehr mit der Ausbildung<br />

von Relationsbegriffe möglich sein. Das verschiebt auch die Adresse, an<br />

welche Modalbegriffe zugestellt werden können. Kant hat in diesem<br />

Zusammenhang in der Tat immer wieder Schwierigkeiten, die<br />

Konsequenzen seiner Untersuchungen in jedem Fall klar und deutlich<br />

auseinanderzuhalten.<br />

Im letzten Satz »Wollen wir dagegen die Existenz durch die reine<br />

Kategorie denken, so ist kein Wunder, daß wir kein Merkmal angeben<br />

können, sie von der bloßen Möglichkeit zu unterscheiden« könnte man<br />

noch versuchen, die als empirische Postulate identifizierte Argumentation<br />

als reine Modalitätskategorien zu verstehen, was bekanntlich aber nicht<br />

alle Probleme lösen, vielmehr wegen der Abwesenheit eines qualitativen<br />

Merkmals noch mehr Probleme in der Frage der Weiterbildung der<br />

Koordination zur Wechselwirkung und zum Relationsbegriff schaffen<br />

würde. Man nähert sich hier dem Zentrum der Erörterung der<br />

ursprünglichen Quaeitas (Quantum und Modalität), und dem limitierten


— 1138 —<br />

Urteil. Hier ist die Assertion formal-unbestimmt als Beziehung der<br />

Qualität (Inhalt) einerseits zum Quantum, andererseits zur Modalität zu<br />

denken; reine modale (»logische«) Prädikate hingegen beinhalten als<br />

Begriff selbst betrachtet, nur eine reine inhaltslose Existenzbehauptung, die<br />

als »höherstufige« Prädikate nur auf Vorstellungen von Merkmale des<br />

Begriffs oder einer damit verbundenen Vorstellung eines wirklichen<br />

Objekts bezogen werden können. Die erste Formulierung der Beziehung<br />

zwischen Qualität, Quantum und Modalität im Rahmen des Konzepts der<br />

Quaeitas bedarf keines Begriffes von einem wirklichen Objekt (besitzt<br />

demnach auch keinen Teilbegriff); in der zweiten Formulierung fallen die<br />

Bedeutungen von Qualität, Quantum und Modalität wegen der Totalität<br />

der Abstraktion auf die oberste und unbedingte Ursache (reine Existenz:<br />

existificans) in eins zusammen, sodaß das Problem der empirischen<br />

Limitation erst gar nicht auftritt.<br />

Kant hält den Begriff eines höchsten Wesens »für eine in mancher Hinsicht<br />

sehr nützliche Idee«, und er dürfte recht behalten, denn trotz der<br />

Auflösung des Geltungsproblems durch den Nachweis der zureichenden<br />

Indifferenz möglicher Argumentationen auch nur für ihre objektive<br />

Geltung, erfährt man hier einiges über die architektonische Systematik.<br />

Kant schreibt zwar: »Sie [die Idee eines höchsten Wesens] ist eben darum,<br />

weil sie bloß Idee ist, ganz unfähig, um vermittelst ihrer allein unsere<br />

Erkenntnis in Ansehung dessen, was existiert, zu erweitern. Sie vermag<br />

nicht einmal soviel, daß sie uns in Ansehung der Möglichkeit eines<br />

Mehreren belehrte« (B 629 f/A 601 f). Doch gesteht er zu, daß »das<br />

analytische Merkmal der Möglichkeit, das darin besteht, daß bloße<br />

Positionen (Realitäten) keinen Widerspruch erzeugt« zwar zur<br />

Vermehrung der Wahrnehmungen führt, aber keine Vermehrung der<br />

Erkenntnisse gegebener Gegenstände mit sich bringt (B 628 f./A 600 f.).<br />

Dies ist deutlich als Affirmation, oder auch als Bewährung zu verstehen<br />

möglich, ohne auf neue Qualitäten oder Relationen kommen zu müssen.<br />

Jedoch sollen auch noch die Erkenntnisse über die Prinzipienlehre<br />

methodischer Naturerkenntnisse vermehrt werden können. Hier vermengt<br />

Kant noch den Begriff Realität im empirischen Sinne thomistischer<br />

Wirklichkeit, von wo der ontologische Gottesbeweis seinen Ausgang auch<br />

bei Anselm seinen Ausgang nimmt, mit der immer noch denkmöglichen<br />

rein intelligiblen Seinweise des Dings des Begriffes vom allerrealsten<br />

Wesen, was aber unter der einfachen und ursprünglichen Unterscheidung<br />

(aber nicht Trennung) in subjektive und objektive Realität unseres Daseins


— 1139 —<br />

auch die Definition des transzendentalen Ideals als »Idee und oberste<br />

materiale Bedingung« (hier eben im Sinne der anselmschen Entscheidung<br />

im disjunktiven Obersatzes seines ontologischen Gottesbeweises zu<br />

verstehen möglich) schwach erfüllen kann. So bliebe der starken<br />

Interpretation der theologischen Idee selbst kein eigener Seinsgrund und<br />

kein eigener Erkenntnisgrund als Vernunftgrund a priori übrig, doch aber<br />

einen Grund für deren architektonische Stellung: Insofern scheint<br />

zumindest die Einteilung der Ideenlehre des transzendentalen<br />

Subjektivismus in psychologische, kosmologische und theologische Idee<br />

als rein von sinnlicher Erfahrung und von a priori Geltung zu sein. So zeigt<br />

die genaue Beobachtung, daß noch andere als theologische Gründe für die<br />

dritte reine Vernunftidee aufzufinden sein müssen, die selbst mit der<br />

ursprünglichen ontotheologischen Fragestellung gar nichts mehr zu tun<br />

haben dürften: Vor allem ist hier der genetische Aspekt zu bedenken, der<br />

darin zu sehen ist, als daß in der theologischen Idee mit (a) dem Ideal der<br />

Durchbestimmung eines Dinges mittels dem logischen Vergleich der<br />

Prädikate mit der Allheit möglicher Prädikate eines Dinges, (b) dem Ideal<br />

der reinen Vernunft als Allgemeinheit eines Begriffes vom einzelnen<br />

Gegenstand, (c) dem transzendentalen Ideal als expliziter und für ein sich<br />

selbst und die Welt verstehendes Wesen notwendig (nicht unbedingt als<br />

absolutnotwendig) existierender Wesensbegriff und (d) dem prototypon<br />

transcendentale als Neuansatz und ästhetische Vereinfachung zum absolut<br />

notwendig existerenden Urbild und ens originarium Vernunftideen<br />

angemessen werden, die sich auf Gegenstände beziehen, obgleich nicht<br />

alle Vernunftideen gleichermaßen (unter pragmatischen Umständen:<br />

regulativer Gebrauch, unter idealen Umständen: spekulativer Gebrauch)<br />

als dialektisch kritisiert werden können. Dergleichen Beziehbarkeit von<br />

Ideen auf Gegenstände findet sich auch in den »vorkritischen« Schriften<br />

Kants zu rein modallogischen Untersuchungen aus der rationalen<br />

Metaphysik (Verstandesmetaphysik), vorwiegend im Rahmen der<br />

Überlegungen zur Totalität (das Ganze) des Sinnlichen und des Denkens,<br />

die erst gemeinsam, gleichsam syllogistisch erzwungen, zu einem<br />

apodiktischen Urteil über objektive Realität befähigen können sollten.<br />

Damit ist auch die vorgängige Vernunft, die einer kritischen<br />

transzendentalanalytischen oder überhaupt philosophischen<br />

Untersuchung der Metaphysik, der Naturwissenschaften und der<br />

Erkenntnisvermögen des Menschen voran gehen muß, charakterisierbar<br />

geworden: Erst die reinen Vernunftideen in transzendentaler Analogie zu<br />

den deduzierten Kategorien des empirischen Verstandesgebrauches


— 1140 —<br />

beziehen sich nicht mittels Begriffe auf Dinge, sondern mittels Ideen auf<br />

die systematische Einheit der empirischen Verstandeserkenntnisse. Dies ist<br />

zweifellos ein entscheidender Betrag zur Befestigung der systematischen<br />

Stellung der theologischen Idee in der Architektonik der reinen Vernunft,<br />

auch wenn damit ein Moment der Selbstauflösung und Überschreitung<br />

unabwendbar wird.<br />

8. Die Vorstellungsweisen von Notwendigkeit: Totalität der Prädikate,<br />

Totalität der Reihe der Bedingungen zum Unbedingten und die<br />

Unmöglichkeit des Gegenteils<br />

a) Wesensbegriff und Existenzprädikat<br />

Ich habe vorhin schon angedeutet, daß die Eigentümlichkeit der<br />

transzendentalen Analytik der reinen Verstandesbegriffe, nicht von einem<br />

synthetisch-metaphysischen Begriff des intelligiblen Erkenntnissubjekts,<br />

sondern von der Erfahrung, und den daraus sich ergebenden<br />

Erfordernissen eines transzendentalen Subjekts (transzendentale<br />

Psychologie) auszugehen, mehr mit dem kosmologischen als mit dem<br />

ontologischen Gottesbeweis zu tun hat. Der Erkenntnisgrund dafür liegt<br />

darin, daß die Elemente des Erfahrungsraum, von welchem in der<br />

primären Intentionalität zumindest ausgegangen werden muß, nicht nur<br />

den Verbindungsregeln der sinnlichen Anschauung, vielmehr den<br />

Verbindungsregeln der anhand der sinnlichen Anschaungen gegebenen<br />

Erkenntnisse gehorchen können müssen. Kants erste Untersuchungen<br />

gehen (auch in der Einleitung der ersten Kritik) auf grammatikalische<br />

Verhältnisse, wobei einerseits die sinnliche Bedingung die aptitudo der<br />

gegebenen Mannigfaltigkeit vertritt, andererseits nach Prinzipien der<br />

Erfahrung (Vernunftprinzipien a parte priori) und nach<br />

grammatikalischen Kriterien von Analyzität und Synthetizität der Urteile<br />

(der grammatikalische »Exponent«) ein Urteil überhaupt erst gefällt<br />

werden könnte. Diese grammatikalischen Kriterien sollen die unfruchtbare<br />

Diskussion um die Bedeutung der attributiven und prädikativen Stellung<br />

eines Merkmals eines Gattungsbegriffes für die Unterscheidung in<br />

synthetische Urteile (mit Zeitbedingung) und analytische (klassenlogische)<br />

Urteile bereits in Hinblick auf die nunmehr selbst gegenüber der<br />

Intentionalität formal betrachteten diskursiven (sprachlichen)<br />

Bedingungen entscheiden können. Wir wissen allerdings, daß die


— 1141 —<br />

Variationen der Aufspannbarkeit intentionaler Gerüste nach apitudo,<br />

Exponent und Prinzip gerade nicht eindeutig entschieden werden kann:<br />

hat doch schon Michael Benedikt gezeigt, daß sich der nämliche<br />

Erfahrungsraum eben nicht, wie gefordert, nur mit einer physikalistischen<br />

Interpretation erfüllen läßt. (Michael Benedikt, Phil. Empirismus, Theorie,<br />

1977)<br />

So hat Kant trotz dieser unverzichtbaren Komplementarität des<br />

kosmologischen und des anthropologischen Aspekts im transzendentalen<br />

Idealismus die Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises als die<br />

entscheidende Handlung angesehen, erstens, weil seiner Auffassung nach<br />

alle weiteren möglichen Gottesbeweise davon abhängen, und zweitens,<br />

weil der ontologische Gottesbeweis angeblich frei ist von allen<br />

Zusatzannahmen. Deshalb soll der fünfte Abschnitt des dritten<br />

Hauptstückes »Vom Ideal der reinen Vernunft«, also von der Widerlegung<br />

des kosmologischen Gottesbeweises, noch einer Lesung unterzogen<br />

werden. Zu erwarten ist ein Fortschritt in der Bestimmung der<br />

Eigenschaften des unendlichen Wesens und hinsichtlich der<br />

Erzeugungsart der rein intrisecischen Evidenz von dessen Vorstellungen<br />

als<br />

1. allerrealstes Wesen (ens realissimum),<br />

1. Urbild (ens originarium),<br />

3. unbedingt notwendiges Wesen (als für Kant dialektische<br />

Vorstellung der Gesetzmäßigkeit eines series rerum oder als<br />

Vorstellung eines rein intelligiblen Wesens als ens necessarium),<br />

1. erste, selbst nicht verursachte Ursache (ens entium),<br />

1. allseiendes umfassendes Wesen (ens summum)<br />

1. und höchstes Wesen.<br />

Kant erklärt nochmals die innere Notwendigkeit der Vernunft, die Idee<br />

eines unendlichen Wesens zu denken, die nicht nur nicht zureicht,<br />

objektive Realität zu beweisen, sondern, wie in diesem Kommentar<br />

ausgeführt, auch nicht als stichhaltiges Argument für die objektive und<br />

einzige Geltung eines der Inhaltsbestimmungen (oder deren<br />

gleichursprüngliche Zueinanderstellung) der Idee angesehen werden darf.<br />

Da aber, wie bereits weiter oben in der Auflösung der vierten Antinomie<br />

der kosmologischen Idee zur rein regulativen Idee der systematischen und<br />

zweckmäßigen Einheit der Natur, die Stellung der theologischen Idee für<br />

überflüssig dargestellt wird, hat sich die Frage gestellt, ob die theologische<br />

Idee für die ganze Architektonik der Vernunft noch einen Zweck hat, der


— 1142 —<br />

über die bloße Symmetriebedürfnisse der Vernunft hinausgeht. Während<br />

der Zusammenhang des Regressus des kontinuierlichen<br />

Erfahrungmachens in der Gegenwart des Dinges der Erscheinungen mit<br />

dem Zusammenhang der Erfahrungen im Begriff vom Gegenstand den<br />

logischen Gebrauch der kosmologischen Ideen ausmacht, überschreitet die<br />

Untersuchung der Anwendungsbedingungen im Zuge der Ausbildung<br />

verschiedener Methoden (verschiedener Formen des Regressus des<br />

Erfahrungmachens nicht nur entlang der sinnlich garantierten<br />

Kontinuitätsbedingung) die Grenze des strikten transzendentalen<br />

Idealismus. Kant kann das Problem dieser dialektischen Überschreitung in<br />

den Auflösungen der Antinomien in entscheidenden Punkten zumindest<br />

entsprechend den Bestimmung des transzendentalen Idealismus<br />

bezeichnen: Ein Regressus, etwa in der Vorstellung eines series rerum,<br />

überschreitet zwar die Grenze des strikten transzendentalen Idealismus,<br />

führt aber gerade erst im dialektischen Gebrauch auf das Prinzip der<br />

ersten unbedingten Ursache, sodaß es noch einen explizierbaren<br />

architektonischen Grund gibt, der Idee vom unendlichen oder vom absolut<br />

notwendigen (rein modal ausgedrückt: unbedingten) Wesen als solche,<br />

wenn eben auch nur widerleglich, in Stellung zu halten. Es schien zwar, als<br />

wäre die ursprüngliche theologische Idee erledigt und man müßte sich auf<br />

die Suche ihrer systematischen Funktion in der Ideenlehre der reinen<br />

Vernunft nach einen angemesseneren Titel begeben, doch bleibt die<br />

Beschränktheit der Untersuchung auf die Erkenntnisvermögen zu<br />

bedenken, sodaß die theologische Idee als Titel nicht nur aus<br />

architektonischen Gründen, oder aus Gründen der Ausbeutbarkeit<br />

hinsichtlich der Gewinnung weiterer brauchbarer regulativer Ideen, ihre<br />

Stellung in der Architektonik der Lehre von den obersten Ideen zu<br />

behalten hat. Und zwar weil eben es sich bei der dritten Vernunftidee nicht<br />

um bloß logische Denkmöglichkeit qua logischer Widerspruchsfreiheit,<br />

aber auch nicht um Realmöglichkeit handelt (was hier überhaupt<br />

apodiktisch ausgeschlossen werden muß), vielmehr die freilich<br />

dialektische Totalität der Vernunft im Rahmen der Darstellung des<br />

transzendentalen Scheins nicht nur als Nichts (als unmittelbare Aufhebung<br />

des transzendentalen Scheins) gedacht werden kann, und deshalb in der<br />

dritten Vernunftidee als reine, also nunmehr nicht selbst als<br />

transzendentale Idee, aber als systematische und logisch gerechtfertigte<br />

Vernunftmöglichkeit denkbarer Totalität erst exponiert werden muß,<br />

bevor deren Ungenügen gegenüber der regulativen Funktion von<br />

Vernunftbegriffen in den kosmologischen Ideen diskutiert werden kann –


— 1143 —<br />

und im Zusammenhang mit der Einschränkung auf Erkenntnisvermögen<br />

(die immerhin die ästhetische Urteilskraft beinhaltet) woher das<br />

Ungenügen derselben gegenüber der philosophischen (transzendentalen)<br />

Anthropologie kommt. Es ist also auch hier nach dem Ursprung des<br />

gedachten Inhaltes wie nach dem Motiv und der Methode der<br />

Totalisierung oder Verallgemeinerung bzw. Abstraktion von Inhalten<br />

eigens zu fragen.<br />

Wie schon bei Gelegenheit angeführt, gibt es drei Arten Notwendigkeit<br />

aus der Totalität zu denken: (1) Das erste Prinzip der durchgängigen<br />

Bestimmung (aus der Vielheit eingeschränkte Allheit möglicher Prädikate<br />

eines Dinges) enthält analytisch das Existenzprädikat; (2) Die<br />

Notwendigkeit, der Reihe von Bedingten, die jeweils wieder selbst<br />

Bedingung sind, entweder selbst ein Naturgesetz der series rerum zu<br />

geben, ohne damit ein unbedingtes erstes Glied innerhalb der<br />

Erscheinungswelt oder am Anfang der Erscheinungswelt zu setzen, oder<br />

(3) der Reihe von Bedingten, die selbst wieder Bedingung sind, in welchem<br />

der Regressus der Steigerung der Modalität zur Notwendigkeit, mit der<br />

selbst unbedingten Bedingung ein absolutes Ende gesetzt wird. Es gibt<br />

aber noch einen anderen Grund für Notwendigkeit, den Kant ab den Nova<br />

Dilucidatio kennt, aber eben nicht für die objektive Gültigkeit (logischen<br />

Gebrauch) der theologischen Idee verwenden kann: Wenn etwas<br />

notwendigerweise da ist, dann ist es nicht wegen eines Grundes da,<br />

sondern weil das Gegenteil gar nicht möglich ist. (6. Proposition, Nova<br />

dilucidatio; Beweis aus der Unmöglichkeit des Gegenteils).<br />

Für den ersten Punkt wurde eben festgestellt, daß das Existenzprädikat<br />

wie die Qualitäten aussagenden Prädikate auch nur als Möglichkeit und<br />

und Ort der assertorischen Bedingung analytisch im Begriff eines Dinges<br />

enthalten sein kann. Die Schwierigkeit dieses Verfahrens liegt<br />

hauptsächlich darin, daß idealiter die Merkmale eines gedachten<br />

Gegenstandes mit den Merkmalen eines wirklichen Dinges qualitativ nicht<br />

unterscheidbar sind, sodaß das im logischen Vergleich zwischen den<br />

Dingen angesetzte Kalkül, wonach alle notwendigen Merkmale einer<br />

besonderen Art dann, und nur dann ein Existenzprädikat zur Folge haben,<br />

wenn diese notwendigen Prädikate assertorisch gegeben sind, durch die<br />

analytisch mitgebrachte Überzeugung als bereits grundsätzlich<br />

vorausgesetzt und erledigt betrachtet werden kann. Dies entspricht den<br />

empirischen Postulaten und ist eine geübte naturwissenschaftliche Praxis,<br />

aber nicht für die transzendentale Kritik der dritten Idee geeignet, welche


— 1144 —<br />

dialektisch das Existenzprädikat aus der Vollständigkeit der bloß<br />

gedachten Merkmale dem Ding transzendent zuschreibt. 4 — Der zweite<br />

Punkt entspricht in etwa dem, was die theoretische Vernunft in Hinblick<br />

auf die mögliche Totalität der Verstandeserkenntnis gebietet, und der<br />

dritte Punkt umreißt unter dem Titel des unendlichen oder unbedingt<br />

notwendigen Wesens eigentlich ein rein modallogisches Thema, welches<br />

eine dialektische wie eine logische Seite besitzt. Der logische Gebrauch<br />

wäre nun diejenige Erkenntnis, die aus der Erscheinung, oder zumindest<br />

aus dem gegenwärtigen Regressus im Erfahrungmachen entstammt, ohne<br />

den dialektischen Regressus auf eine erste und notwendige Ursache<br />

anzuwenden. Es gibt zwei Kritikpunkte am strikten transzendentalen<br />

Idealismus, die ärgerlicherweise besonders die Qualität der Auflösungen<br />

der Antinomien der kosmologischen Idee bei Kant beeinträchtigen. Erstens<br />

die unreine Unterscheidung zwischen der Modalität des Verdikts gegen<br />

die dialektische Vorstellung eines series rerum und der Modalität des<br />

Verdikts gegen die dialektische Vorstellung eines unbedingt notwendigen<br />

Wesens hinsichtlich der angeblichen Notwendigkeit für die spekulative<br />

reine Vernunft: Notwendigkeit kann nicht gesteigert werden, nur die<br />

Quelle, woher es notwendig ist, kann erörtert werden. Zweitens die<br />

Unfähigkeit Kantens, der naturgeschichtlichen Zeit, die den gegenwärtigen<br />

Regressus des Erfahrungmachens überschreiten, selbst gerecht zu werden,<br />

und sei es als universielle Situierung einer eigenen Anschauungsform,<br />

ohne dies von der Entscheidung zwischen series rerum und unbedingt<br />

notwendigen Wesen abhängig zu machen. Was Kant in den M. A. d. N.<br />

mit der Formel »als vergangen gesetzte Zeit« notdürftig gelungen ist,<br />

bleibt in der Dialektik der reinen Vernunft auf Andeutungen beschränkt.<br />

b) Die Qualifiziertheit des Unmöglichen<br />

Die vierte und offenbar radikalste Schlußform auf Notwendigkeit scheint<br />

die Beziehung auf die Idee einer extensionalen Totalität nicht zu benötigen,<br />

ist hier aber selbst Ausdruck der dialektischen modalen Totalität: der<br />

Beweis aus der Unmöglichkeit des Gegenteils. Wie anhand der<br />

Überlegungen zum Satz vom Widerspruch zu erwarten, verlangt auch der<br />

Beweis aus der Unmöglichkeit des Gegenteils jeweils in seiner<br />

4 Hier wird von der Schwierigkeit abgesehen, daß weder alle notwendigen Merkmale<br />

fortwährend in den Erscheinungen gegeben werden, noch daß alle als Erscheinung<br />

gegebenen Merkmale dem gedachten Objekt, das als wirkliches Ding gedachtwerden<br />

soll, notwendig sind.


— 1145 —<br />

Anwendung nach einem Horizont von Bedingungen, dessen Erörterung<br />

erstens wieder nur unter der Voraussetzung neuerlich nur qualitativ<br />

aufzufassender Merkmale möglich ist. Der Grund solcher Annahmen kann<br />

allein darin liegen, daß selbst die Behauptung der Unmöglichkeit<br />

qualifiziert sein muß dahingehend, was unmöglich sein soll. Die daraus<br />

erschlossene Notwendigkeit gibt diese Gründe weder explizit zu erkennen,<br />

noch enthält es diese implizit; zunächst scheint es nicht einmal einen<br />

Grund zu geben, warum zu der qualifiziert gesetzten Unmöglichkeit ein<br />

bestimmtes Gegenteil gedacht werden muß, das in modaler<br />

Entgegensetzung der charakterisierten Unmöglichkeit notwendig<br />

existieren können soll. Derart kann mit dem Argument für die<br />

Notwendigkeit der Existenz von etwas nur von Seiten der Existenz<br />

überhaupt begonnen werden; und die Unmöglichkeit, von der<br />

Unmöglichkeit auszugehen ist eben nicht aus dem<br />

transzendentalsubjektivistischen Argument abgeleitet, sondern weil aus<br />

einer qualifiziert behaupteten Unmöglichkeit kein definitives einzelnes<br />

Gegenteil ohne weiteres gegeben werden kann. So wäre noch zu beachten,<br />

wie die Modalität des Unmöglichen, das eben notwendig sein soll, auf das<br />

Gegenteil, die Existenz, übergeht.<br />

Ein erster Aufriß könnte folgendermaßen aussehen: Zuerst gibt es den<br />

ursprünglichen Horizont des gesetzten Teiles, dann den eines anderen<br />

Teiles, Gleichrangigkeit ist durch den Horizont der Zusammensetzung<br />

zuerst vorausgesetzt und nicht länger Angelegenheit eines besonderen<br />

und als ideal konstruierten formalen Zugleichseins oder einer besonderen<br />

Genetik. In dieser formalontologischen Redeweise kann es bald keinen<br />

Gegensatz mehr geben, der nicht komplementär mittels Negation der<br />

Negation eingeholt werden könnte. Ähnlich ist das, was unmöglich ist,<br />

zwar durch Negation darstellbar, aber eben nicht selbst nichts als eine<br />

Negation. Doch aber ist das Unmögliche wieder verschieden vom<br />

Horizont verschiedener gleichursprünglicher Teile, deren<br />

Komplementarität durch grenzüberschreitende Negation der Negation in<br />

der Unterscheidung eingeholt werden kann, denn die Negation der<br />

Negation des Unmöglichen ergibt nichts qualitativ bloß nicht<br />

bestimmbares Mögliches, sondern über Möglichkeit wie bei Aristoteles<br />

Notwendigkeit. Das Besondere daran ist der Umstand, daß dieses Nicht-<br />

Mögliche sich doch qualitativ bestimmen können lassen muß, ohne je<br />

möglich zu sein. Das ist daraus zu erklären, daß das Unmögliche in einer<br />

Verknüpfung von bereits bestimmbaren Bestimmungsstücken besteht, die


— 1146 —<br />

von anderswo her und aus anderen Verbindungen bereits bekannt sind.<br />

Ein innerer Widerspruch mag der Grund für die Unmöglichkeit der<br />

Erfüllbarkeit einer Vorstellung sein, ihr adequater Ausdruck bedeutet<br />

nicht ein folgenloses Nichts, sondern gehört zu den Bestimmungen des<br />

Daseins (Vergleiche Bolzanos widersprüchliche Vorstellungen, die<br />

gegenstandslos sind).<br />

Der Beweis aus dem Gegenteil des Unmöglichen setzt das Mögliche bzw.<br />

dessen Kenntnis bereits voraus; letztendlich schon allein um das<br />

Unmögliche bestimmen zu können. Ist man soweit gefolgt, stellt sich<br />

immer noch die Frage: Was aber soll dann das Gegenteil des Unmöglichen<br />

anderes sein als wieder nur das Mögliche? Dann kann gleich auch gefragt<br />

werden, inwiefern ich glauben kann, umgekehrt das Mögliche aufheben zu<br />

können, was aber ein bloßes Mißverständnis wäre, denn die Operation der<br />

Negation des Möglichen zum Unmöglichen hebt nicht das Mögliche auf,<br />

sondern setzt dem Möglichen eine Grenze; oder man kann auch sagen: der<br />

Horizont der Möglichkeit wird von der Unmöglichkeit bestimmt. — Sofern<br />

also ein positiv qualifizierter Schluß auf das abstrakte Gegenteil des<br />

Unmöglichen denkbar wäre, dann müßte wohl das Gegenteil nicht in einer<br />

positiv konkreten Bestimmung faßbar sein dürfen, sondern, wenn also<br />

überhaupt, als ausgedehnter Horizont mehrerer, nicht der Herkunft nach,<br />

aber in den Folgen zusammenhängenden Bestimmungen. Als eben solches<br />

ließe sich das eben begrenzte Mögliche dann durchaus darstellen. Das aber<br />

ist dann insgesamt zugleich ein Beispiel für einen Horizont der<br />

Gleichursprünglichkeit, denn das Mögliche mag je nach Grenzziehung<br />

auch das Wirkliche umfassen, insgesamt gibt es jedoch keine eindeutige<br />

Redeweise über Existenz von Möglichem und auch keine Orientierung im<br />

Raum-Zeit-Kontinuum, sondern nur Tendenzen zur Verwirklichung in<br />

Hinblick auf das Raum-Zeit-Kontinuum.<br />

Das Unmögliche als Grund des Schlusses auf das Geltende (Existierende),<br />

und dieses als das Gegenteil des Unmöglichen muß qualitativ bestimmbar<br />

sein, weil schon das Gegenteil des Geltenden (Existierenden) nicht anders<br />

als nur das in Frage kommende andere gedacht werden kann, und<br />

empirisch nicht zum Unmöglichen fortgegangen werden braucht. Das<br />

Gegenteil des Unmöglichen kann aber eben auch nur immer das ganze<br />

Mögliche sein, bis eine Zeitbedingung und eine räumliche Orientierung<br />

gefordert wird, was erst wieder zu transzendentalästhetischen<br />

Bedingungen der Erscheinung der einzelnen kontingenten Existenz<br />

zurückführt. Schlußendlich behauptet Unmöglichkeit notwendige


— 1147 —<br />

Geltung; inwiefern kann aber Notwendigkeit aus der Negation des<br />

Möglichen, und deren abermals erweiternden Negation zur<br />

Notwendigkeit überhaupt positiv herausspringen? Das nur in endlichem<br />

Horizont, wenn man keine Ausnahme von der Regel macht, alle<br />

Unterscheidungen auch als logische Gegensätze darstellen zu können.<br />

Dann muß der Unterschied zwischen konkret qualifizierten Möglichen<br />

und konkret qualifizierten Unmöglichen (jeweils bereits als<br />

Verbindungsbegriff) ebenfalls als kontradiktorischer Gegensatz<br />

ausgedrückt werden können. Insofern scheint dem Schluß auf das<br />

Gegenteil des Unmöglichen formal eine gewisse Berechtigung zuteil<br />

werden, ohne aber überzeugend daraus die Notwendigkeit eines<br />

bestimmten daseienden Dinges, wohl aber überhaupt die Notwendigkeit<br />

irgend eines bestimmten, in der Idee aber dem Begriff nach unbestimmt<br />

welchen, Gegenstandes dartun zu können. Dieser Gegenstand ist dann<br />

schon immer als einzelner, und deshalb auch als bestimmter Gegenstand<br />

zu denken. Es ist demnach der Schluß auf das Gegenteil des Unmöglichen<br />

als Notwendiges immerhin möglich, dann aber bezieht sich die<br />

Argumentation in der Tat nicht auf die Totalität oder die Wechselwirkung,<br />

sondern allein auf die reale Möglichkeit eines einzelnen bestimmbaren<br />

Gegenstandes überhaupt. Das aber ist letztlich eine Tautologie, deren<br />

Rundgang zwar nicht trivial ist, indem die Kenntnisse über die logischen<br />

Verhältnisse zwischen Idee und Begriff vermehrt werden, aber in der<br />

Sache selbst genau dort ankommt, von wo man ausgegangen ist. Der<br />

Schluss auf das Gegenteil des Unmöglichen unterhält demnach sowohl<br />

eine Beziehung zur Totalität des Möglichen wie auf die Möglichkeit eines<br />

einzelnen, bestimmbaren Gegenstandes. Man könnte hier durchaus von<br />

einem Verfahren der Instantialisierung sprechen.<br />

c) Der Schluß auf das Gegenteil des Unmöglichen bei Leibniz<br />

Es gäbe noch eine weitere Möglichkeit, eine Bedingung zu denken, unter<br />

welcher der Schluß auf das Gegenteil des Unmöglichen denkbar wäre: Wir<br />

müßten nur ein an sich selbst (nicht aus dem Zusammenhang der<br />

Kontingenz) notwendiges Ding finden, um der Unmöglichkeit ein noch<br />

entfernteres Gegenteil entgegenzusetzen. Das kann das transzendentale<br />

Subjekt sein, oder das unendliche Wesen. Genau das Letztere hat Kant<br />

aber bekanntlich vermieden: die Notwendigkeit von Dingen in der<br />

Kontingenz ist nunmehr zuerst Ergebnis der Kantschen Depotenzierung<br />

des ontologischen Gottesbeweises. Leibniz bietet aber die fehlende


— 1148 —<br />

Vorstufe dazu: Der Grund, warum eher das existiert als etwas anderes,<br />

muß in irgend einem realen Seienden oder in einer Ursache liegen. Die<br />

Wahrheiten der Möglichkeiten haben keine Folgen (bewirken nichts),<br />

wenn sie nicht aktuell in einem wirklichen Zustand fundiert sind. Hier ist<br />

auch ein Ansatz zu finden, diejenigen Wahrheiten, die für alle bzw. vor<br />

alle möglichen Welten gelten (Notwendigkeiten als Gegenteil negierter<br />

Möglichkeiten), von den Möglichkeiten zu unterscheiden, die die<br />

Anwendung des Satzes vom Widerspruch erst in einer möglichen Welt<br />

(series rerum) erlauben. Aber alle Wahrheiten zeichnen sich dadurch aus,<br />

daß sie anscheinend nicht aus sich selbst zu wirken vermögen (keine Kraft<br />

haben und nichts selbst zur Existenz bringen können) und weiters, daß sie<br />

nicht aktuell, d.h. nicht selbst aufeinander einflußnehmend sind. Hier ist<br />

bei Leibniz ein Motiv zu finden, weshalb Kant der Überlegung einer<br />

eigenen Notwendigkeit des series rerum nicht Gleichrangigkeit gegenüber<br />

der zusammengestutzten aristotelisch-thomistischen Vorstellung des<br />

Zusammenfallens des Regressus der Ursachen zur causa prima mit dem<br />

Regressus der Reihe der Bedingten zum Unbedingten und mit dem<br />

Regressus empirischer Ursächlichkeit im Rahmen eines series rerum<br />

eingeräumt hat: »Denn nicht nur kann in keinem einzelnen, sondern<br />

ebensowenig im ganzen Zusammengesetzten und in der Reihe der<br />

Tatsachen ein zureichender Existenzgrund gefunden werden« (Gerhardt,<br />

VII, p. 302).<br />

Dieser Vorrang erscheint verständlich, doch vergißt Kant, daß er mit der<br />

Deduktion der Kategorien des Verstandesgebrauches ein transzendentales<br />

Prinzip der Naturphilosophie im synthetischen Grundsatz der Kausalität<br />

bestimmt hat. Dieses synthetische Urteil a priori übersetzt, wie von<br />

Leibnizens System des vinculum substantiales auch verlangt, Modalität in<br />

rationale Vermittlung. 5 Das ist bei aller Beschränktheit unseres Verstandes<br />

und des logischen Gebrauchs der Vernunftbegriffe in Hinblick auf die<br />

Totalität der spekulativen Vernunft selbst vor und nach der<br />

transzendentalen Analogie zu den Kategorien entschieden mehr, als Kant<br />

in den Auflösungen der Antinomien zu diskutieren bereit oder fähig ist.<br />

Die Striktheit des transzendentalen Idealismus wird zur Bedrohung der<br />

Stringenz der transzendentalen Analogie der reinen Vernunftbegriffe zu<br />

den Kategorien, was ein Abrutschen in rein formalontologische<br />

Spekulationen an Stelle von Naturwissenschaft fördert.<br />

5 Michael Benedikt, Wissen und Glauben. Zur Analyse der Analogien in historischkritischer<br />

Sicht, Herder. Wien 1975, § 77


— 1149 —<br />

Leibnizens zieht hingegen im elften Satz der »Vierundzwanzig Sätze« das<br />

Prinzip des Maximums mit dem Prinzip, das Regelmäßige vorzuziehen,<br />

zusammen, obgleich es gegenüber dem Prinzip des Maximums womöglich<br />

defiziente Formen des Prinzips, das Regelmäßige vorzuziehen, bereits mit<br />

beinhalten muß: »Es verwirklicht sich also das Vollkommenste, da<br />

Vollkommenheit nichts anderes ist als die Fülle (Quantität) der<br />

Wirklichkeit (Realität)«. Diese Verhinderung einer mit Notwendigkeit sich<br />

einstellenden Tautologie garantiert die qualifizierte Möglichkeit der Idee<br />

eines unbedingt notwendigen Wesens aus architektonischen Gründen auf<br />

ähnlich formale Weise wie die bloße Widerspruchsfreiheit<br />

(Unwiderleglichkeit der Denkmöglichkeit) die Exposition dieser Idee unter<br />

logischen Bedingungen allererst ermöglicht hat. Kant stellt nun (bei mir<br />

hier im fünften Abschnitt) die nun nochmals requalifizierte Idee des<br />

unbedingt notwendigen Wesens aus dem dritten Punkt mit der<br />

Notwendigkeit, aus der Totalität der prädikativen Bestimmbarkeit auf<br />

Existenz schlußfolgern zu können aus dem ersten Punkt zusammen.<br />

Zuerst argumentiert Kant wie schon bekannt mit der subjektiven<br />

Notwendigkeit des Strebens der Vernunft nach der Transzendenz einer<br />

reinen Immanenz der qualifiziert Totalität, um die Idee des unbedingt<br />

notwendigen Wesens zu exponieren. Da aber die Vernunft offenbar noch<br />

ein weiters Streben a priori besitzt, nämlich das Streben nach Gewißheit a<br />

priori und unbedingter Notwendigkeit und nicht nur nach Totalität ihrer<br />

Ideen, sucht sie sich einen Begriff, der den Forderungen eines solchen<br />

Wesens genüge tun könnte.<br />

»Diesen glaubte man nun in der Idee eines allerrealsten Wesens zu finden,<br />

und so wurde diese nur zur bestimmteren Kenntnis desjenigen, wovon<br />

man schon anderweitig überzeugt oder überredet war, es müsse existieren,<br />

nämlich des notwendigen Wesens, gebraucht. Indes verhehlte man diesen<br />

natürlichen Gang der Vernunft, und, anstatt bei diesem Begriffe zu<br />

endigen, versuchte man von ihm anzufangen, um die Notwendigkeit des<br />

Dasein aus ihm abzuleiten, die er doch nur zu ergänzen bestimmt war.<br />

Daraus entsprang der ontologische Beweis, der weder für den natürlich<br />

und gesunden Verstand, noch für die schulgerechte Prüfung etwas<br />

Genugtuendes bei sich führet.« (B 631 f./A 603)<br />

Kant experimentiert mit den verschiedenen Titeln der Erzeugung eines<br />

Begriffs vom notwendigen Wesen. Unmittelbar im Anschluß mutiert das<br />

allerrealste Wesen zum Wesen höchster Realität, und obwohl Kant diese<br />

Verwechselbarkeit zwischen allerrealstem Wesen und Wesen höchster


— 1150 —<br />

Realität auch anderswo pflegt, ist doch die Aufmerksamkeit darauf zu<br />

lenken, daß im Attribut ein entscheidender Wechsel stattfindet. Der<br />

Ausdruck »höchste Realität« unterscheidet sich vom Ausdruck<br />

»allerrealst« durch die Eindeutigkeit, mit welcher klar gemacht wird, daß<br />

hier eine Bewertung erfolgt und nicht der maximale Umfang von etwas<br />

bestimmt wird. Diese Eindeutigkeit läßt der Begriff vom allerrealsten<br />

Wesen vermissen: einerseits hat dieser Begriff seinen Ursprung in der<br />

Vorstellung von quantitativ darstellbarer Totalität, andererseits bereitet<br />

sich schon auf dem Boden der prädikativen Durchbestimmung der<br />

Übergang zur Intensität aus der Antizipationskategorie vor, indem die<br />

Versammlung aller Prädikate ja antizipativ das Existenzprädikat nach sich<br />

ziehen soll. Schon der ontologische Gottesbeweis argumentiert mit<br />

Abstraktionen realer Prädikate; insofern wird der Sache nach schon mit<br />

Gegenständen der Empirie operiert, was die Unterscheidung zum<br />

kosmologischen Gottesbeweis nochmals fragwürdig macht. Allerdings<br />

kommt damit auch eine Erwartung oder der Wunsch nach der Wahrheit<br />

des Satzes mit dem Wechsel zum »höchstrealen Wesen« zum Ausdruck. —<br />

Derart läßt sich diese Ungenauigkeit im Ausdruck Kants unschwer<br />

aufklären.<br />

d) Die Schwierigkeit des weder analytisch noch synthetisch<br />

begründbaren Zueinanders der Attribute der theologischen Idee. Die<br />

Idee vom höchsten Wesen und die jeder Ursache vorausgesetzte Materie<br />

ihrer Wirkung<br />

Eine der weiteren Schwierigkeiten dieser Vorstellung könnte darin liegen,<br />

daß die Vorstellung vom höchsten Wesen der Vorstellung von Materie<br />

entgegengesetzt werden kann.<br />

Die Idee vom höchsten Wesen ist nicht ursprünglich die Idee der ersten<br />

selbst nicht verursachten Ursache, und diese sind nicht ursprünglich ident<br />

mit der Idee von der unbedingten Notwendigkeit. Das allerrealste Wesen<br />

wurde von Kant selbst vor seinen kritischen Schriften überzeugend als<br />

ungeeignet abgelehnt, eine Vorstellung des höchsten oder des<br />

notwendigen Wesens zu sein: das ens realissimi hätte dergestalt alle<br />

Realität in sich zu vereinigen, was widersinnig ist, will man vom höchsten<br />

Wesen sprechen. Dieses Argument hat oberflächlich Ähnlichkeit mit der<br />

Konstitution der Allheit durch die Einschränkung der Vielheit gemäß<br />

einem Besonderen, nur wird hier logisch ausschließlich intensional und


— 1151 —<br />

nicht auch extensional vorgegangen. Wegen der Schwierigkeit mit der Idee<br />

vom allerrealsten Wesen geht Kant zuletzt auch dazu über, den Ausruck<br />

»allerrealst« durch den Ausdruck »höchste Realität« zu ersetzen.<br />

Wie kann man sich die Verknüpfung der ursprünglich getrennt gedachten<br />

Konzepte des höchsten, etc., Wesens denken? Zuerst analytisch, indem alle<br />

diese Ideen als Konzepte der theologischen Idee weiterhin als notwendiges<br />

Ergebnis der Spekulation betrachtet werden können, auch wenn damit das<br />

Argument der Einzigkeit verloren geht, und die Einheit der Gottesidee<br />

wegen der Grundlosigkeit der Zusammenstellung in Gefahr scheint.<br />

Insoferns scheint zumindest gleiche Modalität gesichert zu sein, doch<br />

handelt es sich damit eben nicht um die unbedingte Notwendigkeit, die<br />

über die einer bloßen Idee, die immerhin als ein notwendiges Ergebnis der<br />

spekulativen Erörterung der theologischen Idee gedacht werden kann,<br />

hinausreicht. Auch ist in Ansehung der relativen Selbstständigkeit der<br />

verschiedenen Konzepte allein in genetischer Hinsicht ein immerhin<br />

immer denkmöglicher Horizont der Gleichursprünglichkeit nicht selbst in<br />

aller Eigentlichkeit ursprünglich im Sinne des völlig Unhintergehbaren.<br />

Für Leibniz liegt die Existenz Gottes darin begründet, daß in den series<br />

rerum der Grund ihrer Realität nicht gefunden werden kann (die<br />

Unterscheidung von: warum überhaupt etwas ist, und: warum dieses und<br />

nicht etwas anderes). Demnach müßte die erste Idee die der ersten Ursache<br />

sein. Über deren Notwendigkeit kann nun auch dann ontologisch nichts<br />

weiter ausgesagt werden, wenn man den transzendentalen Subjektivismus<br />

verläßt, also nicht mehr allein aus Erkenntnisgründen urteilt.<br />

Doch unzweifelhaft wäre diese erste Ursache für uns noch als Teil der<br />

series rerum unbedingt notwendig, gerade wenn, genau besehen, nicht<br />

einmal nur mit irgendeinem Indiz behauptet werden kann, die erste<br />

Ursache hätte selbst keine weiteren Seinsgründe. Selbst wenn wir also die<br />

Position des transzendentalen Subjekts und seiner Welthaftigkeit<br />

verlassen, geraten wir naturphilosophisch nur in die Perspektive, die uns<br />

die Natur schon immer auferlegt hat. Was aber sollen wir unter den Begriff<br />

vom höchsten Wesen verstehen? Hat dieses göttliche Attribut nur zu<br />

besagen, daß es der höchste Begriff ist, der alle anderen unter sich, oder als<br />

Inbegriff in sich befaßt? Im Falle der letzten formalistischen Interpretation<br />

würde für diesen Begriff das selbe gelten wie für die Idee vom allerrealsten<br />

Wesen oder vom Raum als Idee eines idealen compositums. So bleibt als<br />

einzig noch mögliche Bedeutung übrig, wie man auch den Ausdruck<br />

»Wesen allerhöchster Realität« nur verstehen kann: nämlich als besondere


— 1152 —<br />

und einzige Qualität, deren Wahrnehmung durch die Erhabenheit<br />

geschieht. Allerdings könnte dieses Gefühl der Erhabenheit auch der Idee<br />

gelten und nicht einer Wahrnehmung darüber hinaus. Diese eigentlich<br />

göttlichen Attribute müssen demnach, allein aus dem Ablauf der<br />

Spekulation betrachtet, zuerst weder das Attribut, erste Ursache zu sein,<br />

besitzen, noch an und für sich unbedingt notwendig sein. Ebenso muß, wie<br />

bereits erwähnt, die Betrachtung der Notwendigkeit der Existenz, wie die<br />

nähere Erörterung der Seinsweise selbst, außerhalb auch nur unserer<br />

Spekulation bleiben. Nur für uns wäre die erste Ursache unbedingt<br />

notwendig; jedoch kann darüber nachgedacht werden, inwieweit die<br />

verschiedenen Vorstellungen als Interpretationen der theologischen Idee<br />

zueinander ein notwendiges Verhältnis besitzen. Gesucht ist nunmehr<br />

wiederum ein formales und transzendentales Prinzip für das hier<br />

anstehende synthetische Urteil a priori, ähnlich wie es ein Prinzip für das<br />

synthetische Urteil a priori in der reinen Geometrie gibt und noch ein<br />

transzendentales. Alle Untersuchungen haben aber bislang ergeben, daß es<br />

eben ein solches Prinzip nicht gibt; vermutlich, weil wir die Erhabenheit<br />

der Idee von der Erhabenheit als Erscheinungsform des<br />

zusammengesetzten höchsten Wesens selbst nicht unterscheiden können.<br />

Die Seinsweise betrachtend, ließe sich noch sagen (dies aber analytisch),<br />

daß sie überzeitlich sei, die Antizipation und die Wahrnehmung eins sind,<br />

während völlig dunkel bleibt, inwieweit Gott außerhalb der Naturgesetze<br />

dieser (oder auch nur irgend einer) series rerum etwas schaffen kann.<br />

Ebenso bleibt die Allmacht den Spekulationen verborgen. Anzunehmen<br />

ist, das auch diese erhabene Seinsweise gewisse Einschränkungen besitzt,<br />

allein, weil nichts völlig unbestimmt existieren oder auch nur sein kann.<br />

Eines kann noch über den Punkt, welcher von der ersten Ursache markiert<br />

wird, hinausgehend gesagt werden: Noch bevor es zur Schöpfung kommt,<br />

muß es einen Prozess der Klärung des Unvordenklichen geben, worin<br />

wohl auch die cusanische Lichtmetapher ihren Ausgang nimmt, was uns<br />

nur resolutiv zugänglich ist. Die für uns aus der Perspektive der Welt als<br />

wirkliche series rerum (also nicht transzendentalsubjektivistisch) gesehen<br />

erste Ursache steht also dem Endpunkt eines innergöttlichen Prozesses<br />

gegenüber oder selbst im Unvordenklichen. Inwieweit es nach der<br />

Schöpfung sinnvoll ist, Gott mit »innen«, die Schöpfung mit »außen«, oder<br />

umgekehrt, miteinander mit dieser räumlichen Metapher oder mit der<br />

Frage nach Teil und Ganzem in Beziehung zu setzen, lasse ich hier<br />

dahingestellt; noch aussichtsloser scheint die Erörterung der Frage, ob sich


— 1153 —<br />

die Mannigfaltigkeit der unvollkommenen Indifferenz des<br />

Unvordenklichen innerhalb oder außerhalb des göttlichen Verstandes sich<br />

befindet, obgleich die einen Spekulationen eher das eine, andere eher das<br />

andere nahezulegen scheinen. Inwieweit sich die vorgeschöpfliche<br />

Lichtmetapher der göttlichen Aufmerksamkeit in der Identität von<br />

Antizipation und Wahrnehmung erschöpft, ob der Grund des göttlichen<br />

Handelns in der Schöpfung bereits in der Antizipation mit beschlossen ist<br />

und was dies mit dem Streben nach Verwirklichung der Ideen, als bloße<br />

Möglichkeiten betrachtet, zu tun hat; wie dieses schließlich mit der<br />

transzendentalen Zusammenfügung von Metaphysik der Mathematik und<br />

der Metaphysik der Natur aus Freiheit; und zu guter Letzt wie diese<br />

ontotheologische Naturphilosophie mit der Anwesenheit Christi als<br />

Kosmotheoros in der Schöpfung, also mit dem ordo naturalis,<br />

zusammenhängt, sind Fragen, die auf ein reiches Feld der<br />

wissenschaftlich-philosophischen Spekulation schließen lassen, sobald<br />

man die transzendentalsubjektivistische Einschränkung aufzuheben<br />

gewillt ist. Kants Spekulation eines intelligiblen und notwendigen Wesens<br />

gehen in der dritten Antinomie nicht nur auf die erste Ursache eines<br />

entfernten Anfangs wie in der vierten Antinomie, sondern sollen ein<br />

anwesendes Wesen vorzustellen erlauben, dessen Form des Anwesens in<br />

dieser Version anders sein wird, weil es nicht sinnlich affiziert werden<br />

kann. –<br />

Genau das aber hat Kant nicht vor. Es verhält sich so, daß sich zwar einige<br />

intentionale Verschränkungen ergeben, die geregelte Alternativen zu<br />

denken erlauben, aber gerade die Überzeitlichkeit der Quelle erlaubte,<br />

gesetzt dem Falle, keine formalen und allgemeinen Bedingungen zu<br />

bestimmen, nach welchen Verstandesbegriffe auf eine Weise angewandt<br />

werden könnten, alsdaß von verständiger Erfahrung in diesen Fragen in<br />

einem vergleichbaren Sinn wie bei der Erfahrung anhand und im Umkreis<br />

der Sinnlichkeit die Rede sein kann. Bemerkenswerterweise reicht diese<br />

Selbstbeschränkung Kants gegenüber der Versuchung eines zumindest<br />

denkmöglichen transzendentalen Prinzips nicht aus, um zu verhindern,<br />

daß Kant denn doch Gründe anführt und zu erkennen gibt, weshalb er die<br />

theologische Idee für eine Vernunftidee hält. Daß Vernunftideen keinen<br />

eigenen Gegenstand finden außer die bereits gemachten<br />

Verstandeserkenntnisse und deren strategisch zweckmäßigste<br />

Systematisierung und Erweiterung des Gesichtsfeldes gilt für alle<br />

Vernunftbegriffe, also auch für die theologische Idee, woran die


— 1154 —<br />

Extraordinarität der Idealität der Idee oder des zumindest denkmöglichen<br />

Gegenstandes offenbar auch für Thomas und Anselm nichts zu ändern<br />

vermag. Diese Gründe sind allein aus der transzendentalen Analyse der<br />

Dialektik der theologischen Idee gewonnen; die Folgerichtigkeit der<br />

Analyse erweist sich zuerst mit der Aufstellung des spezifischen Problems<br />

eines synthetischen Urteils a priori und dann mit der Angabe der<br />

methodischen und systematischen Gründe, weshalb das notwendige<br />

transzendentales Prinzip nicht gefunden werden kann. Darüber<br />

hinausgehend mag immerhin spekuliert werden; sofern Metaphysik<br />

Wissenschaft werden soll, kann die Transzendentalphilosophie aber nur<br />

auf ihre kritische Funktion sehen. Die Schwierigkeiten aller möglichen<br />

Spekulationen, mögen sie auch in sich konsequent durchdacht sein und<br />

den einen oder anderen Grund des philosophischen Glaubens bei sich<br />

führen, liegen wohl darin, daß sie neben der immanenten Folgerichtigkeit<br />

nur die subjektive Steigerung des Gefühls der Erhabenheit erreichen oder<br />

letztlich von einer anderen in Wirklichkeit nicht reden können. Insofern<br />

beginnt jede philosophische Behandlung solcher Fragen bereits mit der<br />

entscheidenden Depotenzierung des zumindest denkmöglichen<br />

Gegenstandes.<br />

Der untersuchte Zusammenhang, wonach dem ens realissimum erspart<br />

bleibt, alle realmöglichen Prädikate in sich zur Wesensbestimmung<br />

einzuschließen, es aber zunächst nicht deutlich genug war, was damit<br />

gemeint sein könnte, kann demnach anhand des amphibolischen<br />

Verhältnisses des intelligiblen Substrats zwischen unbewegten Beweger,<br />

dem Subjekt im Schnittpunkt von Regressus auf uns zu und Progressus<br />

von uns weg, und dem möglichen Endpunkt der Geschichte 6 in der dritten<br />

und vierten Antinomie nach architektonischen Gründen entschieden<br />

werden. Das ließe dem omnitudo realitatis eine Bedeutung im Zuge<br />

weiterer Überlegungen, ohne dem nivellierenden Zwang der Identifikation<br />

mit dem ens realissimum. Noch deutlicher wird Kant im dritten Abschnitt<br />

des Ideals der reinen Vernunft, »Von den Beweisgründen der spekulativen<br />

Vernunft, auf das Dasein eines höchsten Wesens zu schließen«, wenn er<br />

die nämliche Frage nach der Beziehung des prototypon transzendentale als<br />

6 »Kant wendet sich dagegen — und im Kontrast zu den drei Betrachtungsformen von<br />

Abderitismus der Ewigen Wiederkehr, dem Terrorismus der nahenden Katastrophe<br />

und dem Eudaimonismus als versöhnliches Ende — nunmehr kritisch jener<br />

Evolution im Zeichen der Eidaimonie der je anderen zu. Seine spezifische Ansicht ist<br />

der Ablauf von Kultur-Zivilisation zu ethischem Gemeinwesen, und er trachtet,<br />

kritisch die Bedingungen der letzteren anzugeben. (Kant, Refl. 5008)« (dazu: Michael<br />

Benedikt, Phil. Emp., II. Praxis, Wien 1998, S. 40)


— 1155 —<br />

existierendes Urbild zum ens realissimum aus dem Abschnitt über das<br />

prototypon transcendentale wieder aufnimmt: »Der Begriff eines Wesens<br />

von der höchsten Realität würde sich also unter allen Begriffen möglicher<br />

Dinge zu dem Begriffe eines unbedingtnotwendigen Wesens am besten<br />

schicken, und, wenn er diesem auch nicht völlig genug tut, so haben wir<br />

doch keine Wahl [...]«. 7 Zur Frage nach den Verhältnissen zwischen ens<br />

realissimum und ens originarium (Urbild) hat sich als Spielart des<br />

Allerrealsten ein Wesen höchster Realität hinzugesellt, das hier von Kant<br />

aber hinsichtlich der möglichen Beziehung auf ein durch die Idee des<br />

vollständigen Regressus rechtfertigbares unbedingtnotwendiges Wesen<br />

behandelt wird. Kant läßt uns durchaus eine Wahl, zuerst müsse aber die<br />

Vereinigung beider vorgestellt werden: »Das All aber ohne Schranken ist<br />

absolute Einheit, und führt den Begriff eines einigen, nämlich des höchsten<br />

Wesens bei sich, und so schließt sie, daß das höchste Wesen, als Urgrund<br />

aller Dinge, schlechthin notwendiger Weise dasei.« 8 Dieser Schluß ist für<br />

die Vernunft selbst aber nicht verbindlich: »Diesem Begriffe kann eine<br />

gewisse Gründlichkeit nicht gestritten werden, wenn von Entschließung<br />

die Rede ist [...]« 9 Es bedarf also mangels Bedingungen, die zur Assertorik<br />

führen könnten, eines eigentlichen Willensaktes, der Idee aus reinen<br />

Begriffen a priori auch als Realität glauben zu schenken. Erst im Glauben<br />

sei ein solches Wesen unbedingtnotwendig und nur dann hätte man auch<br />

keine Wahl mehr, diesen Willensakt des Glaubens anerkennend zu setzen.<br />

Denn »wenn es bloß um Beurteilung zu tun ist, wie viel wir von dieser<br />

Aufgabe wissen, und was wir uns nur zu wissen schmeicheln; dann<br />

erscheint obiger Schluß bei weitem nicht in so vorteilhafter Gestalt, und<br />

bedarf Gunst, um den Mangel seiner Rechtsansprüche zu ersetzen.« 10 —<br />

Eine Beurteilung der Rechtsansprüche dieses oder eines anderen Beweises<br />

kann aber ohne dem Subjekt der Freiheit der praktischen Philosophie nicht<br />

mehr diskutiert werden, auch wenn dem intelligiblen Subjekt des<br />

transzendentalen Subjekts beinahe entgegen dem Verlauf der<br />

Untersuchungen der bestimmenden Urteilskraft eine eigene Freiheit des<br />

verstandesgemäßen Handelns zugestanden werden muß. Denn es muß<br />

auch eine theoretische Vernunft geben, die deskriptiv beginnt und dann<br />

erst die selbst analytische Verstandestätigkeit zur Systematik gemäß Ideen<br />

7 B 614/A 583<br />

8 B 615/A 587; das »Bei-sich-führen« des Begriffs vom höchsten Wesens kann, muß<br />

aber nicht ein vom Teilbegriff des omnitudo realitatis verschiedener Begriff sein.<br />

9 l. c.<br />

10 l. c.


— 1156 —<br />

in der heuristischen Spekulation anleiten kann. Genau diese<br />

wissenschaftliche Methodik versagt in der theologischen Idee; es bleibt die<br />

Freiheit, reine Schematen spekulativer Ideen, deren historische<br />

Abhängigkeiten, und deren Zusammenstimmbarkeit auch durch die Zeit<br />

zu beurteilen.<br />

Der formalwissenschaftliche kritische Ertrag liegt erstens in der Einsicht in<br />

die Grundlosigkeit des Zueinander der verschiedenen Vorstellung eines<br />

unbedingt notwendigen Wesens oder eines allerhöchsten Wesens.<br />

Zweitens, daß nicht alle Vorstellungen gleich weit voneinander entfernt<br />

abstehen: So haben das Unbedingte und die nicht selbst verursachte erste<br />

Ursache einiges gemeinsam und lassen sich ineinander überführen; doch<br />

kann das im Zuge dieser Untersuchung nicht sofort Notwendigkeit aus<br />

Totalität bedeuten, da die Unbedingtheit der ersten Ursache zuerst nur<br />

relativ zu uns (und dem series rerum) bestünde. Diese modale<br />

Unterbestimmtheit der ersten Ursache, für sich selbst betrachtet, besitzt<br />

auch die bloße Vorstellung eines allerhöchsten Wesens. Drittens ist die<br />

Gleichürsprünglichkeit der Momente der theologischen Idee im engeren<br />

Sinn keineswegs als gewährleistet zu betrachten. Damit wird<br />

komplementär die Grenze der philosophischen Spekulation<br />

nachgezeichnet, die im Umfeld des philosophischen Gottesbegriffes der<br />

drei großen monotheistischen Weltreligionen historisch-ideengeschichtlich<br />

noch möglich sein könnte.<br />

Kant zieht sich hier sowohl vom Problem innergöttlicher Relationen wie<br />

vom Vorstellungskreis des series rerum zurück, ähnlich wie sich später<br />

Hegel einerseits von der eigentlichen Erörterung der innergöttlichen<br />

Trinität anhand logischer dialektischer Vorstellungen mit der<br />

Selbstbewegung des Geistes im Begriff, schon weil eben nur formal<br />

bedacht, verabschiedet, aber diese Bewegung durch das Dasein des<br />

Menschen als Teil der inneren Ökonomie der Welthaltigkeit Gottes wieder<br />

einzuholen versucht. 11 Damit wird allerdings die Stellung des Menschen<br />

im Kosmos, vor allem aber im Schopfungsprozess gegenüber Gott<br />

vermutlich systematisch überbewertet.<br />

11 Karl Josef Wallner, Gott als Eschaton. Trinitarische Dramatik als Voraussetzung<br />

göttlicher Universalität bei Hans Urs von Balthasar, Heiligenkreuzer Studienreihe,<br />

Bd. 7 der Philosophisch-Theologischen Hochschule Heiligenkreuz, hrsg. vom Verein<br />

der Heiligenkreuzer Hochschulfreunde, Heiligenkreuz/Wien 1992


— 1157 —<br />

B. OMNITUDO REALITATIS UND TRANSZENDENTALES<br />

IDEAL, PROTOTYPON TRANSCENDENTALE UND ECTYPA<br />

1. Zur Stellung des transzendentalen Ideals in der Deduktion<br />

und in der Ideenlehre<br />

Aus welchen Motiven kam der Vergleich der Fassung des<br />

transzendentalen Ideals in § 12 der Deduktion mit der Fassung aus dem<br />

Kapitel über das prototypon transcendentale in der Ideenlehre der<br />

Dialektik, der den Fortgang der Untersuchung weiter bestimmt hat,<br />

zustande?<br />

a) Von § 16 wird man zu § 15, und von dort zu § 12 geführt. Von da aus<br />

wurde zunächst als Referenzstück die Fassung des transzendentalen Ideals<br />

aus der Dialektik (Ideenlehre) herangezogen. Die daraus<br />

hervorgegangenen Untersuchungen zur »Einheit des Begriffs vom Objekt«<br />

(§ 12) und vom »Begriff vom einzelnen Gegenstand« (Ideal der reinen<br />

Vernunft) konzentrieren sich auf die Frage: Was ist ein Begriff und was soll<br />

ein Begriff aussagen können?<br />

b) Methodisch interessiert daran primär das Zusammentreffen von darin<br />

enthaltenen Definitionen des Begriffs einerseits mit der Bezeichnung des<br />

Problems als eines des »transzendentalen Ideals«. In beiden geht es um die<br />

Bestimmung der Einheit des Begriffes; in gewisser Hinsicht könnte man<br />

sagen, es geht in beiden Fällen auch um die qualitative Bestimmung der<br />

Einheit des Begriffes.<br />

c) Gemäß der Vorgangsweise interessiert zunächst sekundär die<br />

architektonisch freilich selbst zentrale Frage nach dem Verhältnis von<br />

Verstandesbegriffe, Vernunftbegriffe einerseits und von Ideen und Ideale<br />

andererseits.<br />

Der hier vorgelegte Untersuchungsgang stößt also auf Überlegungen, die<br />

zweifelsfrei für die Ausbildung von Regeln für den verstandesgemäßen<br />

Gebrauch von Vorstellungen (Ideen, notiones) im Rahmen empirischer<br />

Erkenntnis und insbesondere für die transzendentale Überlegung über die<br />

Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnissen überhaupt von<br />

systematischer Bedeutung sind, aber offenbar selbst schon Anlass zu<br />

Untersuchungen der reinen Vernunft werden. Das hat sich deutlich<br />

anhand der Untersuchung des Satzes vom Widerspruch im »Obersten<br />

Grundsatz aller analytischer Urteile« vor dem Hintergrund<br />

wesenslogischer Äußerungen noch des späten Kants (Schrift gegen


— 1158 —<br />

Eberhardt) zeigen lassen. Deshalb habe ich auch daran festgehalten, vor<br />

der eigentlichen Untersuchung des Schematismus, der Verstand und<br />

Sinnlichkeit verbinden soll, die Definitionen der zentralen Begriffe von<br />

Objekt und Gegenstand aufzusuchen; offenbar gehen derlei Definitionen<br />

aber auf die eine oder andere Weise schon auf Vernunftbegriffe zurück<br />

oder greifen auf solche vor, weil sie sich auf die Funktionsweise des<br />

Verstandes nicht nur im Gebrauch desselben gegenüber der Sinnlichkeit<br />

beziehen und insofern deren Funktion nicht ausschließlich formal im Sinne<br />

der transzendentalen Ästhetik, der Konstruktion in reiner Anschauung<br />

oder der Algebra verstanden werden kann, sondern bereits zuvor oder<br />

unabhängig davon die Idee der Systematik und Axiomatik voraussetzt.<br />

Daß hier nunmehr zwei Fassungen des transzendentalen Ideals diskutiert<br />

wurden, hat also zunächst nur den Grund, daß nach der transzendentalen<br />

Ästhetik und der metaphysischen Deduktion in Gestalt der Analogie<br />

zwischen logischer Tafel und kategorialer Tafel des Urteilens gegen Ende<br />

der Darstellung derselben in § 12 das transzendentale Ideal als Quelle der<br />

Einheit des Begriffs vom Objekt (somit nur seiner Realmöglichkeit nach)<br />

hervortritt; und zwar gleichberechtigt neben dem § 13, welcher die<br />

Unterscheidung der pragmatischen Aneignung von Kenntnissen (quid<br />

facti) von der Rechtfertigung derselben zur Erkenntnis (quid juris)<br />

behandelt, und in die praktische Vernunft führt. Der § 14, der gemeinhin<br />

als Abschluß der metaphysischen Deduktion in der zweiten Fassung der<br />

ersten Kritik gilt, ist der Abschluß der Behandlung des logischen<br />

Leitfadens, als welcher die logische Tafel der kategorialen Tafel<br />

vorangestellt worden ist, und zugleich die Überleitung zum<br />

Schematismusproblem zwischen Verstand und Sinnlichkeit. — In §§ 12-13<br />

werden demnach die Bedinungen genannt, die nicht selbst zum<br />

Schematismus zwischen Verstand und Sinnlichkeit gehören:<br />

transzendentales Ideal in qualitativer Hinsicht der Begriffsbestimmung<br />

und die Frage nach dem Besitz von Kenntnissen und deren<br />

Rechtmäßigkeit in praktischer Hinsicht. Ich werde nun gemäß den<br />

Präliminarien der transzendentalen Analytik des empirischen<br />

Verstandesgebrauches die Frage nach der Einheit von theoretischer und<br />

praktischer Vernunft (sei diese nun analytisch oder synthetisch zu<br />

erreichen) wieder hintanstellen, und den § 12 in der Deduktion als<br />

denjenigen Teil der Transzendentalphilosophie vorstellen, der neben der<br />

Logik (logische Tafel und logischer Leitfaden), der Mathematik und<br />

Geometrie in den konstitutiven Kategorien, und den mathematischen


— 1159 —<br />

Naturwissenschaften (vgl. die Bedeutung der M. A. d. N. in den<br />

Erläuterungen zum synthetischen Grundsatz der Kausalität) als<br />

ideengeschichtliche Bedingung im engeren Sinn hinzukommt: das logische<br />

Kernstück der platonisch geprägten scholastischen Ontologie, also des<br />

ontologischen Gottesbeweises, der erstmals von Anselm von Canterbury<br />

formuliert worden ist. Kant aber formuliert in § 12 das transzendentale<br />

Ideal induktionslogisch um, während er das transzendentale Ideal in der<br />

Dialektik, insbesondere im Abschnitt zum prototypon transcendentale, zur<br />

intellektuellen Totalität von Quidditas, Quaetas und Existenz zu<br />

bestimmen vorgibt. Nebenbei sollte damit noch auch eine erste Definition<br />

von Individualität anhand des Zusammentreffens von Singularität,<br />

Totalität und Existenz vor jeder philosophischen Anthropologie<br />

notwendig geworden sein, was diesen ersten Rundgang freilich endgültig<br />

überfordert.<br />

Unbestreitbar bleibt, daß die Stellung des transzendentalen Ideals und der<br />

Idee vom prototypon transcendentale im Gedankengang Kants nicht allein<br />

anhand der Diskussion der Verhältnisse zwischen § 12 und den ersten<br />

zwei Abschnitten (Allheit, Allgemeinheit) des Kapitels über das<br />

prototypon transcendentale selbst aufgeklärt werden kann, wie es gemäß<br />

meines bisherigen Gedankengangs zum Ideal der reinen Vernunft im<br />

dritten Abschnitt scheinen könnte. Das anhand der strukturellen<br />

Ähnlichkeit zwischen den Kriterien aus § 12 einerseits und den ersten<br />

beiden Stadien der Bestimmung des Ideals als Prinzip der durchgängigen<br />

Bestimmung eines Dinges im »Das transzendentale Ideal. prototypon<br />

transcendentale« genannten Kapitel angestrengte Verhältnis andererseits<br />

gipfelte nun in einer Interpretation der Kriterien des Ideals der reinen<br />

Vernunft (der Begriff von einem einzelnen Gegenstand) durch die kritische<br />

Darstellung der Wesenslogik, wie sie im ersten Teil des zweiten Abschnitts<br />

in der Untersuchung des obersten Grundsatzes aller analytischen Urteile<br />

gegeben worden ist. Damit ist ein Unterschied in der Auffassung vom<br />

transzendentalen Ideal in der metaphysischen Deduktion (§ 12) und in der<br />

Ideenlehre der Dialektik deutlich geworden, den ich anhand der<br />

Unterscheidung in Induktion und Deduktion kenntlich zu machen<br />

versucht habe. Bemerkenwert daran ist zweifellos insbesondere<br />

hinsichtlich der Untersuchung des § 16, daß die Kriterien der Umbildung<br />

des scholastischen transzendentalen Ideals in § 12 den Nachweis der<br />

synthetischen Einheit nur a posteriori und analytisch erlauben;<br />

selbstverständlich ist es jedoch, wenn in der Dialektik gezeigt wird, daß


— 1160 —<br />

der Begriff vom einzelnen Gegenstand ein Produkt der Vernunftidee ist.<br />

Daß die Darstellung des transzendentalen Ideals zum Ende der<br />

metaphysischen Deduktion der Verstandesbegriffe hin verschieden ist von<br />

der Darstellung des transzendentalen Ideals in der Ideenlehre der reinen<br />

Vernunft überrascht also nicht, ohne das deshalb schon alle Verhältnisse<br />

verstanden worden wären.<br />

Die Behandlung des transzendentalen Ideals als prototypon<br />

transcendentale geht über die bloße qualitative Bestimmungsproblematik<br />

der Washeit in den ersten beiden Stadien der Allheit und der<br />

Allgemeinheit als Ideal oder Prinzip der durchgängigen Bestimmbarkeit<br />

eines Dinges wie auch über die modallogische Interpretation im<br />

spezifischen Zusammenhang mit der zum Existenzprädikat des<br />

Individuellen zugerichteten Essenz des Wesensbegriffes im<br />

transzendentalen Ideal als Idee des Singulären hinaus, und vollführt die in<br />

der ersten Fassung des Paralogismus erkenntlich gewordene Subreption<br />

im Begriff von der Substanz des Daseins 12 noch zweimal: Zuerst im<br />

transzendentalen Ideal als Wesensbegriff, der in concreto und in individuo<br />

bestimmt ist, und dann im prototypon transcendentale in der Steigerung<br />

von ens realissimum, ens necessarium und ens originarium.<br />

Um einen ersten Überblick zu gewinnen, ist am besten das Kapitel über<br />

das Ideal überhaupt in der ersten Kritik heranzuziehen<br />

(B 595 ff./A 567 ff.), da dort die wichtigsten Aspekte vorgestellt werden.<br />

Der erste Schwerpunkt betrifft die Stellung des Ideals als transzendentale<br />

Vernunftidee in der Kritik der reinen Vernunft, und verweist mit seinem<br />

zentralen Problem (das Ideal als in concreto und in individuo bestimmte<br />

Idee) auf das nächste Kapitel (prototypon transcendentale) [1]. Der nächste<br />

Schwerpunkt betrifft die Vollkommenheit der ganzen Menschheit [2],<br />

schließlich — nach dem Hinweis, daß sich das Ideal von der platonischen<br />

Idee als Gedanke im göttlichen Verstand durch die rein praktische<br />

Bedeutung unterscheide [3] —, zieht Kant noch das Begehrungsvermögen<br />

als eines Ideals fähig heran, obwohl: »Moralische Begriffe sind nicht<br />

gänzlich reine Vernunftbegriffe, weil ihnen etwas Empirisches (Lust oder<br />

Unlust) zum Grund liegt« (B 597/A 569), [4]. Schließlich verhandelt Kant<br />

die Darstellungregeln eines wirklich existierenden Ideals in Gestalt eines<br />

stoischen Weisen, womit man schon mitten im Begründungsgang des<br />

Ideals als Ideal des Schönen wäre [5].<br />

12 Hier im zweiten Abschnitt, beginnend im zweiten Teil, Substanz und Beharrlichkeit


— 1161 —<br />

Zwar erlaubt Kant einem empirisch konkretisierbaren Wesen als<br />

individuiertes Ideal gleich das ganze Gattungswesen zu vertreten (und<br />

zwar eben im Beispiel des stoischen Weisen); doch aber verbietet er, sich<br />

davon Regeln der Darstellung zu machen. — Das erinnert analog an die<br />

Normalidee in § 17 der K.d.U., die nur zur »schulgerechten« Darstellung<br />

zureicht, während das Kunstschöne — teils ohne deshalb gleich zum Ideal<br />

des Schönen zu werden, teils mit dem Ausdruck der inneren Gestimmtheit<br />

des betrachtenden Individuums das Auslangen findend — die bloß<br />

»schulgerechte« Darstellung hinter sich läßt (Kant gibt Beispiele völlig<br />

symmetrischer Gesichtsdarstellungen etc.), und so einerseits das<br />

Individuelle im Abbilden durch die Bereitschaft zur Abweichung in der<br />

reflexiven Beobachtung nicht nur der sinnlichen Form, sondern auch der<br />

inneren Haltung so passiv wie absichtlich zuläßt, andererseits aber die<br />

Abweichung in der Darstellung der äußeren sinnlichen Form und Gestalt<br />

im Einzelfall auch geplant (wenn auch nicht unbedingt als Regel lehrbar)<br />

benützt, um die innere Gestimmtheit zur Darstellung zu bringen. Nur<br />

insofern vermag bildende Kunst oder auch Literatur zur Kunst werden, als<br />

daß ein Genie die für seine Zwecke nötigen Regel zureichend beherrscht,<br />

und dazu noch ohne jede weitere Regel durch die Gunst der<br />

Zusammenstimmung seiner erworbenen Möglichkeiten und Talente weiß,<br />

wo er über die Regeln der bloß richtigen Darstellung hinausgehen muß,<br />

um auch die innere Zweckmäßigkeit (Literatur) des sinnlich Darstellbaren<br />

(bildende Kunst) z.B. in der bildenden Kunst oder z.B. in der Literatur<br />

selbst ausdrücken zu können. Diese Schwierigkeit der Darstellung eines<br />

Ideals in einer Anschauung drückt Kant im Kapitel über das Ideal<br />

überhaupt derart aus:<br />

»So wie die Idee die Regel gibt, so dient das Ideal als U r b i l d e der<br />

durchgängigen Bestimmung des Nachbildes und wir haben kein anderes<br />

Richtmaß unserer Handlungen, als das Verhalten dieses göttlichen<br />

Menschen in uns, womit wir uns vergleichen, beurteilen und dadurch uns<br />

verbessern, obgleich niemals erreichen können. Diese Ideale, ob man ihnen<br />

gleich nicht objektive Realität (Existenz) zugestehen möchte, sind doch um<br />

deswillen nicht für Hirngespinste anzusehen, sondern geben ein<br />

unentbehrliches Richtmaß der Vernunft ab, die des Begriffs von dem, was<br />

in seiner Art ganz vollständig ist, bedarf, um darnach den Grad und die<br />

Mängel des Unvollständigen zu schätzen und abzumessen.« (B 597/A 569)


— 1162 —<br />

Die Analogisierung und Metaphorisierung des Gebrauches des Begriffes<br />

vom »Bild« im Rahmen des Vergleiches von Urbild und Nachbild muß<br />

klar geworden sein. Damit gibt Kant eine Erklärung ab, die weder<br />

verlangt, daß das transzendentale Ideal (welches inhaltlich als<br />

Vernunftidee nur durch transzendente Begriffe bestimmbar ist: in<br />

individuo und in concreto bestimmt) als solche eine empirische Regel der<br />

Erfahrung zu sein habe, noch daß dieses gar keine Beziehung mehr zur<br />

empirischen Erfahrungswelt zu haben brauche: Im Gegensatz zum Ideal<br />

der Regelhaftigkeit naturwissenschaftlicher Prinzipien, die als Normen<br />

unbedingt gelten sollen (was als Anspruch jeweils unabhängig vom<br />

Wissenschaftsfortschritt aufrecht zu halten ist), wird hier ein Ideal<br />

postuliert, das nur mehr für den Menschen tauglich ist, wenn dieser die<br />

Idee einer transzendentalen und philosophischen Anthropologie<br />

auszuhalten vermag, die nicht ontologisch fundiert ist: eine Norm, die<br />

auch nicht unbedingt für alle Individuen einer Gattung gleichermaßen gilt,<br />

sondern zur Veränderung der Gattung wie deren Individuen selbst einen<br />

Maßstab abgibt, und so nicht länger vom aristotelischen Axiom der<br />

Konstanz der Arten, sondern von möglichen Prinzipien der Veränderung<br />

der Arten ausgeht. Sofern nun der Mensch das ist, was Natur<br />

und Geschichte aus ihm gemacht hat, so ist für uns Zeitgenossen jeweils zu<br />

fragen, wie wir miteinander in der gegenwärtigen geschichtlichen Epoche<br />

umgehen. Zur Anleitung der Beantwortung der Frage, wie wir mit uns<br />

und miteinander umgehen sollten, soll schließlich das Ideal dienen. —<br />

Zuvor ist aber dessen Funktion in der Architektonik von<br />

Verstandesgebrauch und (dialektischer) Ideenlehre im Rahmen der ersten<br />

Kritik näher zu verfolgen, worauf gemäß in dieser Arbeit waltendem<br />

Erkenntnisinteresse zuletzt nochmals das Hauptaugenmerk gelegt wird.<br />

2. Teilbegriff und ganzer (möglicher) Begriff: Das wesentliche<br />

Prädikat und die Idee der qualitativen Durchbestimmung<br />

Im Dritten Abschnitt wurde der Begriff vom einzelnen Gegenstand (das<br />

Ideal der reinen Vernunft) gegenüber dem Begriff vom Objekt (die<br />

qualitative Einheit des Begriffes in § 12) als aus dem Wesensbegriff<br />

abgeleitet, bzw. selbst als »wesentliches Prädikat« vorgestellt, dessen<br />

Qualifikation zur Allgemeinheit der Geltung allerdings einer Definition<br />

bedarf. Ich habe meine Auffassung der Kantschen Wesenslogik (vgl. 2.<br />

Abschnitt, Die wesenslogische Erörterung) dazu benutzt, im dritten


— 1163 —<br />

Abschnitt das erste Kriterium des Begriffs vom einzelnen Gegenstand (das<br />

kein Prädikat des Begriffes aus anderen Prädikaten abgeleitet sein darf)<br />

gemäß der Unterscheidung in Prädikate ut constitutiva und Prädikate ut<br />

rationata (die meiner Auffassung nach eben nicht ausschließlich die<br />

extraessentiellen Attribute betrifft) dahingehend zu interpretieren, daß der<br />

Begriff vom einzelnen Gegenstand ein Begriff des durch die wesentlichen<br />

Prädikate ut constitutiva gerechtfertigte Intuitionen (Anschauungen oder<br />

Ideen) aus dem Satzsubjekt in rechtfertigbare Prädikate ut rationata<br />

verwandelt werden. Insofern ist der Begriff vom einzelnen Gegenstand<br />

nicht selbst der ursprüngliche Begriff des Wesens. Kant hat also<br />

verschiedene gute Gründe, das Ideal der reinen Vernunft vom<br />

transzendentalen Ideal zu unterscheiden.<br />

Ein Grund kann immanent genannt werden: Es handelt sich um den<br />

Teilbegriff, der als Gegenpol zur bloß qualitativen Menge der für sich<br />

mittels Rückführbarkeit der Folgen rechtfertigbarer Merkmale (Quaetas)<br />

gemäß der Untersuchungen im ersten Abschnitt für die »ganze<br />

Vorstellung« eines Gegenstandes verantwortlich sein sollte. Diese Fassung<br />

des Teilbegriffes hatte immer schon die Schwierigkeit, zwischen conceptus<br />

singularis (worin das Konzeptuelle in der einzelnen Anschauung<br />

schlußendlich aufgelöst wird) und der aristotelischen Definition der<br />

Washeit zu stehen, worin die kategorialen Merkmale eines Objektes der<br />

Erfahrung zu einer inneren Organisationsform als zusammengefügt zu<br />

denken sind (Quidditas). Kant erklärt dies bekanntlich für ein<br />

Mißverständnis der aristotelischen Kategorienlehre; Definitionen von der<br />

Art des principiums individuationis können von der transzendentalen<br />

Kategorienlehre gar nicht geleistet werden. Es hat bei Kant, allerdings aus<br />

verschiedenen Gründen, auch den Anschein, das Merkmal des<br />

Teilbegriffes der ganzen Vorstellung eines Gegenstandes wäre nicht selbst<br />

einfach ein Teil der qualitativen Einheit des Begriffes vom Objekt, obgleich<br />

der Teilbegriff zumindest einen Teil der qualitativen Merkmale des<br />

Begriffs vom Objekt organisieren können sollte. Zweifellos ist diese<br />

monadologisch anmutende Differenz in der Unterscheidung der zwei<br />

logischen Prinzipien der durchgängigen Bestimmung eines Dinges (Allheit<br />

der möglichen Prädikate und Allgemeinheit oder Notwendigkeit des<br />

wesentlichen Prädikates) unmittelbar von Bedeutung. Meine Interpretation<br />

der behandelten Fragen ergibt also<br />

1. aus der Unterscheidung der qualitativen Einheit der Merkmale eines<br />

Begriffes und den Teilbegriffen, die im allgemeinen (Jäsche: generellen)


— 1164 —<br />

Merkmal die »ganze Vorstellung« des Gegenstandes (Subjekt) möglich<br />

machen soll (Erster Abschnitt)<br />

2. aus der Darstellung der wesenslogischen Möglichkeiten der Kantschen<br />

Auffassung in der Antwort auf Eberhard, daß in der Unterscheidung in<br />

Pradikate ut constitutiva und Prädikate ut rationata die letzteren nicht als<br />

bloße attributa extraessentiale aufzufassen sein können (Zweiter<br />

Abschnitt)<br />

3. aus der Interpretation des ersten Kriteriums des Begriffs vom einzelnen<br />

Gegenstand (Ideal der reinen Vernunft) als wesenslogisches Kriterium,<br />

welche die Notwendigkeit der nicht-komparativen Allgemeinheit erklären<br />

soll (Dritter Abschnitt)<br />

zusammen den Versuch einer wesenslogischen Definition eines Begriffes<br />

eines einzelnen Gegenstandes, der selbst gegenüber dem Wesensbegriff<br />

ein Teilbegriff bleiben muß. Die hier vertreten Auffassung, daß die<br />

Unterscheidung in Prädikate ut constitutiva und ut rationata einen<br />

synthetischen Aspekt besitzt, wird durch folgender Überlegung Kantens<br />

unterstützt: »Die theilbegriffe meines wirklichen Begrifs (die ich darin<br />

denke) sind analytisch; die des bloß moglichen gantzen Begrifs sind<br />

synthetische Merkmale.« (Refl. 2290, XVI, S. 301; nach 1776)<br />

Zwar wird hier der erhobene Anspruch der Teilbegriffe, eine »ganze<br />

Vorstellung« des Gegenstandes repräsentieren zu können, gegenüber dem<br />

»wirklichen Begriff« relativiert, doch bleibt zweierlei festzuhalten: Erstens<br />

eben dieser Übergang von »ganzer Vorstellung« zum »wirklichen Begriff«<br />

und den darauf folgenden Übergang vom »wirklichen Begriff« zum<br />

»gantzen Begriff«, was hier gleich noch von Wichtigkeit sein wird.<br />

Zweitens die Kennzeichnung des »bloß möglichen gantzen Begrifs« durch<br />

synthetische Merkmale, die zu den analytisch (aus dem intuitum des<br />

conpetus singularis — Anschaung — oder aus der Quidditas gewonnen<br />

Merkmale) hinzukommen müssen, um einen ganzen Begriff möglich zu<br />

machen. Dieser ganze Begriff ist offenbar nicht der der Vorstellung der<br />

Vollständigkeit der qualitativen Einheit der Merkmale des Begriffs vom<br />

Objekt oder der der Allheit der möglichen Prädikate eines Dinges, und<br />

unterstreicht die den Kantschen Überlegungen immanente Möglichkeit, im<br />

Rahmen der Wesenslogik wie damit gemäß meines Vorschlages auch im<br />

Rahmen des ersten Kriteriums des Begriffs vom einzelnen Gegenstand mit<br />

dieser Möglichkeit auch ein synthetisches Urteil a priori, oder doch dessen<br />

»Urbild«, voraussetzen zu müssen.


— 1165 —<br />

Nachdem in diesem Zusammenhang im dritten Abschnitt außer Streit<br />

gestellt worden ist, daß auch die transzendentale Beurteilung der<br />

Verhältnisse der Prädikate im wesenslogisch fundiertem Allgemeinbegriff<br />

logische und nicht selbst transzendentale Verhältnisprädikate ergeben,<br />

versteht sich schon von selbst, daß noch ein weiterer Schritt der<br />

Überlegung aussteht. So folgt denn auch im Kapitel über das<br />

transzendentale Ideal (prototypon transcendentale) im Abschnitt von der<br />

theologischen Idee nach einem Exkurs zur logischen und zur<br />

transzendentalen Negation der Übergang vom Ideal der reinen Vernunft<br />

zum transzendentalen Ideal. Das Ideal, so Kant im Kapitel über das Ideal<br />

überhaupt, sei der durch eine bloße Idee durchbestimmte Begriff eines<br />

Dinges: »Aber noch weiter, als die Idee, scheint dasjenige von der<br />

objektiven Realität entfernt zu sein, was ich das Ideal nenne, und worunter<br />

ich die Idee, nicht bloß in concreto, sondern in individuo, d. i. als ein<br />

einzelnes, durch die Idee allein bestimmbares, oder gar bestimmtes Ding,<br />

verstehe« (B 596/A 568). Wenn auch noch offen bleiben muß, was genau<br />

unter »in individuo« (als unteilbares) bestimmbares Ding zu verstehen<br />

sein kann, so könnte diese Aussage als mit dem Ideal der reinen Vernunft<br />

für erfüllt angesehen werden. Was nun ist das transzendentale Ideal? Ich<br />

gebe zuerst die zentrale Stelle wieder:<br />

»Wenn also der durchgängigen Bestimmung in unserer Vernunft ein<br />

transzendentales Substratum zum Grunde gelegt wird, welches gleichsam<br />

den ganzen Vorrat des Stoffes, daher alle mögliche Prädikate der Dinge<br />

genommen werden können, enthält, so ist dieses Substratum nichts anders,<br />

als die Idee von einem All der Realität (omnitudo realitatis). Alle wahre<br />

Verneinungen sind alsdenn nichts als Schranken, welche sie nicht genannt<br />

werden könnten, wenn nicht das Unbeschränkte (das All) zum Grunde<br />

läge. [I]« (B 603 f./A 575 f.)<br />

»Es ist aber auch durch diesen Allbesitz der Realität der Begriff eines<br />

Dinges an sich selbst, als durchgängig bestimmt, vorgestellt, und der<br />

Begriff eines entis realissimi ist der Begriff eines einzelnen Wesens, weil<br />

von allen möglichen entgegengesetzten Prädikaten eines, nämlich das, was<br />

zum Sein schlechthin gehört, in seiner Bestimmung angetroffen wird.[II]<br />

Also ist es ein transzendentales Ideal, welches der durchgängigen<br />

Bestimmung, die notwendig bei allem, was existiert, angetroffen wird,<br />

zum Grunde liegt, und die oberste und vollständige materiale Bedingung<br />

seiner Möglichkeit ausmacht, auf welche alles Denken der Gegenstände<br />

überhaupt ihrem Inhalte nach zurückgeführt werden muß. [III] Es ist aber


— 1166 —<br />

auch das einzige eigentliche Ideal, dessen die menschliche Vernunft fähig<br />

ist; weil nur in diesem einzigen Falle ein an sich allgemeiner Begriff von<br />

einem Dinge durch sich selbst durchgängig bestimmt, und als Vorstellung<br />

von einem Individuum erkannt wird.[IV]« (B 604/A 576)<br />

Punkt (I) wird im Anschluß ausführlich im Rahmen der Untersuchungen<br />

zur Problematik der Umfangsbestimmung des omnitudo realitatis, des ens<br />

realissimum und des transzendentalen Obersatzes behandelt. Die<br />

Behandlung von Punkt (II) geht von der Vorstellung aus, daß unser<br />

Verstand uns nur Teilbegriffe vom nur möglichen ganzen Begriff eines<br />

Dinges geben kann; auch weil in der aktuellen sinnlichen Erfahrung nicht<br />

alle möglichen Prädikate der Erfahrung gegeben werden können. Von hier<br />

ausgehend wird objektive Realität oder gleich die Wirklichkeit eines<br />

Dinges durch die Idee vollständiger Vorstellbarkeit des Dinges in allen<br />

seinen möglichen Prädikaten gedacht. Insofern bleibt die Rückkehr zum<br />

ersten logischen Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines Dinges<br />

(Allheit) wohl motiviert, auch wenn es zu einem Vereinbarungsversuch<br />

zweier widerstreitender Methoden führt: Abgesehen von der besonderen<br />

Problematik, die mit dem omnitudo realitatis verbunden ist, sieht man sich<br />

im transzendentalen Ideal vor der Schwierigkeit, einen Begriff zu denken,<br />

der sowohl gemäß der kategorialem Quantum der Allheit wie gemäß dem<br />

logischen Quantum der Allgemeinheit als durchbestimmt gedacht zu<br />

werden verlangte. — Gegenläufig ist die strategische Notwendigkeit der<br />

Reduktion der Allheit der möglichen Prädikate durch den<br />

Allgemeinbegriff, um auf die reinen Verstandesbegriffe zu kommen, aus<br />

logischer und transzendetalästhetischer Hinsicht zu bedenken.<br />

Die Kerndefinition des transzendentalen Ideals in Punkt (III) erlaubt die<br />

Möglichkeit einer rein modallogisch auf Existenz gehende Untersuchung<br />

gemäß des Verstandesvermögens. Die genannte transzendentale<br />

Beziehung erfolgt aber nicht auf das Ding, sondern auf den Inhalt der<br />

Vorstellungen, was nur der Beziehung des Existenzprädikates auf<br />

Vorstellung bei Kant entspricht. Das aber zeigt, daß doch ein Unterschied<br />

zwischen der modallogischen und der transzendentallogischen<br />

Betrachtungsweise liegt, und es sich nicht nur um zwei verschiedene<br />

Ansatzpunkte des selben Problems handelt. Hiezu gehört auch ein Exurs<br />

zur doppelten Verwendung des Begriffes »Stoff« bei Kant im<br />

Zusammenhang des Überganges vom transzendentalen Ideal zum<br />

Prototypon transcendentale, woher da der transzendentale Inhalt<br />

genommen wird (vom Begriff des einzelnen Gegenstandes als ein von


— 1167 —<br />

einer Idee durchbestimmten Allgemeinbegriff, oder das wesentliche<br />

Prädikat), und im Zusammenhang des Übergangs vom Inbegriff aller<br />

Möglichkeit zum Inbegriff aller Prädikate überhaupt (also als Vielheit vor<br />

der Heraushebung der Beziehung von Merkmalen auf Dinge), wo die<br />

Merkmale von der mit dem Inbegriff aller Möglichkeit bezeichneten Stelle<br />

der transzendentalen Reflexion in den »Inbegriff aller möglichen Prädikate<br />

überhaupt« (Vielheit, ohne expliziten Bezug auf Dinge) übernommen<br />

werden. Das heißt gemäß der Textlage aber nichts anderes, als daß die<br />

transzendentalen Inhalte in der Vorbereitung zur Bestimmung der Allheit<br />

von der »transzendentalen Materie« genommen worden sind, während<br />

der transzendentale Inhalt des Ideals als prototypon transcendentale und<br />

Urbild aller ectypa im wesentlichen Prädikat des Allgemeinbegriffes<br />

anhand des Kriteriums des Ausschlusses aller aus anderen Prädikaten<br />

abgeleiteten Prädikate gewonnen worden ist.<br />

Hier tritt in aller Schärfe die Sonderstellung des ersten Kriteriums des<br />

Ideals der reinen Vernunft in wesenslogischer Interpretation hervor. Zwar<br />

ist schon mit der Einschränkung der als ursprünglich angesetzten Vielheit<br />

der Merkmalsaussagen (mögliche Prädikate überhaupt) auf die Allheit<br />

möglicher Prädikate eines Dinges durch die explizit gemachte Bedingung,<br />

auf ein Ding beziehbar zu sein, auch die wahrhaft<br />

transzendentalphilosophische, weil kritische Frage aufgegeben worden,<br />

inwieweit hier nicht vergeblich abstrakt-unbestimmte Positionen der<br />

transzendentalen Reflexion erörtert werden, deren Artefakt diese<br />

Beziehbarkeit auf Dinge dann bloß sein müßte; oder ob nicht besser gleich<br />

von einer unbestimmt-allgemeinen Besonderheit die Rede sein soll, die<br />

allererst eine solche Einschränkung zustande bringt. Diese aufzubringen<br />

brächte aber eine ganz andere Schwierigigkeit mit sich, die in der<br />

Identsetzung der Differenz zweier bloßer grammatikalischer Positionen<br />

(von der Subjektstelle zum Satzgegenstand) der Charakteristik der<br />

Einzelheit, die mit dem Konzeptuellen an und für sich verbunden ist, mit<br />

dem Konzeptuellen selbst liegt. Ursprünglich liegt jeder Urteilslehre in<br />

psychologischer Hinsicht eine Intentionalitätslehre zu Grunde, deren<br />

Grundriss hier im vierten Abschnitt über die Funktionen der<br />

Einbildungskraft gegeben wurde.<br />

Die Verfaßtheit der Intentionalität, die als Fombestimmung vor der<br />

Beschreibung der Akteinheit als geregelten prozessualen und sukzessiven<br />

Ablauf in einer Urteilslehre des Verstandesgebrauches grob in modo in<br />

recto und modo obliquo unterschieden werden kann, besitzt neben der


— 1168 —<br />

Forderung klar und distinkt von anderen Orientierungen der<br />

Aufmerksamkeit unterscheidbar zu sein, die Eigentümlichkeit oder<br />

Besonderheit, spätestens in der reflektierenden analytischen<br />

Rückwendung vom Bedeuteten zur Form des Zeichenhaften dieser<br />

Bedeutung (Vico’s kontextueller Zusammenhang von Symbolen und<br />

einfachen Zeichnungen) die nämliche Differenz wie die Einzelheit als ein<br />

Charakteristikum des Konzeptuellen selbst aufzuweisen, indem in der<br />

Unterscheidung der Charakteristik der Intentionalität, auf Vorstellungen<br />

oder Begriffe gerichtet zu sein, keinen Unterschied machen muß im<br />

Gegenstand, worauf die Aufmerksamkeit gerichtet ist. Diese<br />

Orthogonalität der Intention (die selbst keineswegs schon objektive<br />

Realität behaupten kann, vgl. Höffle ◊) hat nun an sich, daß unabhängig<br />

vom Gegenstand, worauf die Aufmersamkeit gerichtet ist (also sei er auch<br />

gar kein Ding, das im Ideal der reinen Vernunft als einzelner Gegenstand<br />

gedacht werden könnte) im Begriff ein logischer Gegenstand gedacht wird,<br />

worauf sich die Vorstellung beziehen kann, auch dann, wenn die<br />

Bestimmungstücke eines (wirklich möglichen) Dinges außerhalb der<br />

Merkmale des Ausgangsbegriffes liegen (Bolzano WL I, Einheit, Ganzheit,<br />

Ding sind logisch gesehen idente Bedeutungen). Davon zu unterscheiden<br />

ist die auch von Bolzano und Brentano benutzte »Modalität« des logischen<br />

Gegenstandes, gewissermaßen im Zuge eines ursprünglich<br />

philosophischen »Physikalismus« in der Sprachphilosophie, die sich darin<br />

eröffnet, daß jede vernünftige und entscheidbare Aussage letztlich auf<br />

einen Existenzialsatz, der die Existenz von A aussagt, rückführbar sein<br />

muß. Diese Überlegung hat Schelling am gründlichsten durchgeführt<br />

(transzendentale Freiheitsschrift), ◊ indem er den Anschein von bloß<br />

formallogischer Identsetzung von A = B als transzendentale Operation im<br />

Rahmen der topoi des »inesse« entlarvt hat, und so für die formale Logik<br />

eine transzendentale Logik einfordert, die die Beziehung der formalen<br />

Logik auf das für diese Identsetzung logisch vorausgesetzte<br />

transzendentale Objekt einzuholen imstande ist. Bloß logische<br />

Gegenstände erfordern hingegen keine transzendentale Operation zur<br />

Identsetzung von Wesensbegriff (Satzsubjekt) und Satzaussage: Entweder,<br />

weil sie nur über einfache Qualitäten aussagen (Grundurteile), ohne daß<br />

deshalb wirklich über deren Einfachheit im Sinne von Ursprünglichkeit<br />

etwas entschieden worden wäre, denn diese »Einfachheit« gründet allein<br />

darin, daß Aussagen über »einfache« Qualitäten einfach sind. Diese<br />

Einfachheit gründet sich aber, wie schon früher gezeigt, nicht auf<br />

Unterscheidungen im Sinne primärer und sekundärer Sinnesqualitäten


— 1169 —<br />

Lockes; vielmehr heißen diese Qualitäten einfach, weil sie<br />

Einklammerungen darstellen, derart, daß sie zwar Konzepte besitzen, aber<br />

selbst keine Vorstellung einer Quidditas; m. a. W. einen logischen<br />

Gegenstand, aber kein Ding an sich besitzen. — Oder aber es handelt sich<br />

um Elemente einer rein logischen Untersuchung über<br />

formalwissenschaftlich relevante Verhältnisse der Logik und Grammatik.<br />

Dann besteht eine andere Art von Differenz als die transzendentale<br />

zwischen Idee (als Urbild der Wesensbegriff) und Begriff vom einzelnen<br />

Gegenstand. Immer noch ist der gemeinte Gegenstand als getrennt von<br />

den Formalismen seiner Darstellung (Konstruktion) zu denken, doch<br />

besitzt dieser weder garantiert ein mit dem Konzept deckungsgleiches<br />

Ding an sich noch weist er von selbst in gleicher Intentionsrichtung auf<br />

eine selbstständige, vom eigenen Dasein auch als getrennt denkbare<br />

Existenz wie die Aussagen über die sogenannten »einfachen« Qualitäten.<br />

— Schließlich erzeugt die Analyse der Intentionalität den bloß logischen<br />

Gegenstand rein ohne jede Differenz zwischen Idee und Begriff.<br />

3) Zum reinen Inhalt des Denkens: Intellektualität und<br />

Spontaneität.<br />

a) Franz Brentanos subjektive Grundlegung der Intentionalität eines<br />

empirischen Verstandesurteils und die Formalontologie<br />

Die hier erfolgte Abhebung des logischen Gegenstandes aus der reinen<br />

Intentionslehre, frei von jeder transzendentallogischen Anmutung, soll<br />

also modallogisch neutral sein, in modo recto denkmöglich sein, und allein<br />

wegen der Analyzität ihrer Reflektiertheit auf die begriffliche Verfaßtheit<br />

der untersuchten Intentionsklasse als formalisierendes höherstufiges<br />

Prädikat überhaupt möglich sein. — Es »gibt« also ein Merkmal, freilich<br />

nur formalwissenschaftlich fixierbar, das zum »Inhalt« einer reinen<br />

gebundenen (geregelten) Spekulation und als solcher als eine nicht aus der<br />

Erfahrung stammenden Besonderheit bezeichnet werden kann, obgleich<br />

niemand bezweifeln wird, daß dergleichen nur von jemand gedacht<br />

werden kann, der nicht nur auch geregelte Erfahrung zu machen, sondern<br />

auch anzustellen imstand ist. Als solches will ich es auch nur im Voraus als<br />

ein Zeichen der Vernünftigkeit ansehen, insofern schon die Idee einer<br />

möglichen Systematik nichts anderes als vernünftig genannt werden kann,<br />

und als solche in Gestalt der logischen Tafel (als systematische Behandlung


— 1170 —<br />

der Formen logischen Urteilens und Schließens bereits in Bezug auf das<br />

transzendantallogische Problem) der Deduktion der Tafel der Kategorien,<br />

freilich eher als logischer Leitfaden denn als Fundament (vgl. Klaus Reich,<br />

Vollständigkeit der Kantschen Urteilstafel, S. 10 f.), vorausliegt. Die reinen<br />

Verstandesbegriffe entspringen nicht einfach der Formalität der logischen<br />

Systematik. Der formalwissenschaftlich fixierbare »Inhalt« reiner<br />

Spekulation liegt sowohl der Deduktion der Kategorien wie der davon zu<br />

unterscheidenden Deduktion der Vernunftbegriffe (die aber ohne erfolgter<br />

Deduktion der Kategorien gar nicht als Analogie in der<br />

Vernunftspekulation nach logischen und dialektischen Gebrauch<br />

untersucht werden könnte) voraus. Einen solchen eigenen »Inhalt« des<br />

Denkens hat Brentano andauernd wegen des Problems der Idealität der<br />

Mathematik geleugnet, obwohl er etwa anhand der Unterscheidung des<br />

Satzes »Der Baum ist grün« vom Satz »Der Baum ist nicht grün« feststellt,<br />

daß im ersten Satz der Baum wie das Grün in recto gedacht werden, im<br />

zweiten Satz wegen des verneinten Prädikats (als nicht-P) zum in recto<br />

gedachten Baum auch der Baum, von dem das Grün-sein geleugnet wird,<br />

in obliquo gedacht wird, was letztlich so viel besagt, als daß wir einen<br />

prädikativ Urteilenden denken müssen:<br />

Im Aufsatz »Von der attributiven Vorstellungsverbindung in recto und in<br />

obliquo« (Psychologie II, Anhang 4) 13 beginnt Brentano mit einer Analyse<br />

der Vorstellungsinhalte. 14 Bei der Vorstellung eines nichtgrünen Baumes<br />

wird (gemäß Bolzanos Interpretation der Kopula mit hat, hier m.E. nach zu<br />

recht) geleugnet, daß wir der Vorstellung eines Baumes die Vorstellung<br />

»nicht-grün« als Eigenschaft zusprechen könnten. Vgl. Kastil: Lotze, S. 207<br />

»Stelle ich mir einen grünen Baum vor, so denke ich den Baum in recto<br />

und wohl auch das Grüne in recto und identifiziere dabei Vorstellungen.<br />

Stelle ich dagegen, wie man sagt, einen nicht grünen Baum vor, so scheint<br />

das Verfahren ein viel komplizierteres; denn Aristoteles wenigstens<br />

leugnete, daß ein Negatives Objekt sein könnte. Und wenn dies, wie ich<br />

nicht bezweifle, wirklich möglich ist, so bleibt wohl nichts übrig, als<br />

anzunehmen, daß wir einen Baum vorstellen, von welchem man mit recht<br />

leugne, daß er grün sei, sodaß es sich um eine Identifikation in obliquo<br />

handelt.« O. Kraus dazu in Anmk. 3: » Wenn wir einen Baum vorstellen,<br />

13 Der Anhang wurde der zweiten Auflage aus dem Jahre 1911 von Brentano selbst<br />

beigefügt; die erste Auflage erschien 1874.<br />

14 Und zwar ähnlich wie die von Bolzanos zur imaginären Vorstellung<br />

vorgenommenen Untersuchungen. WL I, § 70


— 1171 —<br />

von welchem man mit Recht leugnet, daß er grün sei, so leugnen wir nicht<br />

etwas von etwas, fällen nicht selbst ein prädikatives Urteil, d.h. negativabsprechendes<br />

Urteil, sondern wir stellen einen Baum in modo recto vor<br />

und stellen einen synthetisch Urteilenden vor, der einem als den Subjekte<br />

der vorgestellten Leugnung indirekt vorgestellten (,) Baume das Grün<br />

richtig abspricht und identifizieren beide (direkt bzw. indirekt)<br />

vorgestellten Bäume. Um den Baum [in obliquo GWC] als „Subjekt eines<br />

absprechenden Urteils“ vorzustellen, müssen wir einen in dieser Weise<br />

prädikativ Urteilenden vorstellen.«<br />

Brentano nennt das bekanntlich paradoxerweise eine Vorstellung »sine<br />

fundamentum in re«, offenbar ohne zu bedenken, das Descartes eben res<br />

cogitans und res extensa unterschieden hat. Die von mir insinuierte<br />

Formalität der reinen Spekulation, die auch intensional auf Totalität geht,<br />

würde aber nicht zureichen, um einen prädikativ oder sonst Urteilenden<br />

befriedigend vorzustellen, es sei denn in seinen allgemeinen intelligiblen<br />

Aspekten, die aber mit den im Beispiel verlangten kategorialen und<br />

grammatikalischen Bestimmungen nichts mehr oder noch nichts zu tun<br />

haben. Keineswegs soll damit einer Formalontologie eine eigene<br />

Seinsweise angedichtet werden, doch gehört es zur Tendenz zur Totalität,<br />

daß sich formalontologische Fragen in rein modallogische Fragen<br />

verwandeln, was Brentano in seiner Logik in der ersten Psychologie auch<br />

präzise beherzigt hat. Im reflektierenden Rückblick, bei aller Vermengung<br />

der logischen Untersuchung schon bei Leibniz, sind die<br />

formalontologischen Aspekte reiner Vernunftspekulation und deren<br />

verschiedenen Quellen aber zum Thema zu erheben. — Die Beschränkung<br />

scheint schon im Begriff Formalontologie zu liegen: Das Formale ist im<br />

allgemeinen Subjektivismus des transzendentalen Idealismus nicht länger<br />

Gegenstand einer Idee von Wissenschaft, welche die Bestimmungsstücke<br />

der kontingenten Existenz als »Materie« der Realität und Wirklichkeit in<br />

ihrem Wesen über ihrer sinnlichen Erscheinung hinaus als eigentlicher<br />

Seinsgrund ausmacht, und insofern selbst wohl weder platonisch noch<br />

aristotelisch zu verstehen. Nur in dieser die Form der Intelligibiltät der die<br />

spinozistischen Substanzphilosophie zerbrechenden Weise, welcher den<br />

Determinismus der Natur nicht mit dem Determinismus der Intelligibilität<br />

kurzschließt, ist es möglich, ein »es gibt« für die Bestimmbarkeit formaler<br />

Momente der reinen Vernunftspekulation vor oder unabhängig der<br />

Untersuchung der Analogien der Kategorien des Verstandesgebrauches in<br />

der reinen Vernunft (was die transzendentalen Ideen erst ergibt)


— 1172 —<br />

auszumachen. Daß es die Mühe nicht lohne, weil offenbar die<br />

formalontologische Spekulation im Zuge der Tendenz zur Totalität sich<br />

gewissermaßen von selbst in eine rein modallogische Erörterung rettet, die<br />

in zu fordernder Allgemeinheit betrachtet selbst allerdings erst recht frei<br />

von jedem transzendentalen Inhalt zu sein scheint, kann nunmehr trotz<br />

der Kritik hinsichtlich der Natur der heranzuziehenden Prämissen wie in<br />

architektonischer Hinsicht nicht mehr behauptet werden.<br />

Nunmehr geht es im Ideal der reinen Vernunft (dann immer schon<br />

wiederum nur als Ideal vom Allgemeinbegriff einzelner Gegenstände)<br />

offenbar um eine andere Art von Idee als eben um die bloße Wiederholung<br />

der Positionsbestimmung als Besonderes, welches in der transzendentalen<br />

Beziehbarkeit auf Dinge als zureichendes Prinzip (Leibniz) schon aus der<br />

bereits untersuchten selbst intelligiblen Natur des Verstandes das<br />

Besondere auch als bloßes Artefakt erscheinen lassen mag. Der<br />

transzendentalanalytische Ursprung bleibt hingegen<br />

transzendentalsubjektivistisch auf Erkenntnisgründe bezogen; die<br />

transzendentalanalyisch und kritisch geprüfte (also wissenschaftliche)<br />

Metaphysik soll in ihrer Depotenzierung aus der Idee (oder Ideen) ein<br />

wesentliches Prädikat entlassen (vgl. 2. Abschnitt, 1. Kapitel), was von<br />

dieser Abstraktheit aus zunächst neuerlich nur als hinreichender Grund<br />

zur Annahme (Hypostasierung) eines auch qualitativ besonderen<br />

transzendentalen Inhalts außer des modalen Prädikats der Existenz und<br />

außer dem formalwissenschaftlich fixierbaren Prädikat der reinen<br />

Spekulation und der ihr unweigerlich innewohnenden Tendenz zur<br />

Formalontologie angesehen werden kann.<br />

b) Die Grundlosigkeit der transzendentalen Analytik und der Anschein<br />

genetischer Ursprünglichkeit.<br />

Meine Auffassung in dieser Frage ist seit dem zweiten Abschnitt bekannt:<br />

Die Erörterung des »Obersten Grundsatzes aller analytischen Urteile« habe<br />

hinreichend den synthetischen Charakter der dem Satz vom Widerspruch<br />

zugrunde liegenden Ableitung aus dem »logischen Wesensbegriff« und<br />

dessen Unabhängigkeit von einer transzendentalen Zeitbedingung gezeigt.<br />

Deshalb muß notwendigerweise das wesentliche Prädikat schon vor jeder<br />

abstrakten Bestimmung in der rein modallogischen Erörterung, die Essenz<br />

mit Existenz gleichsetzt (modales Prädikat in Totalität), durch einen<br />

(bestimmbaren) transzendentalen Inhalt unterschieden sein. Der noch<br />

mögliche Anschein von logischer Analyzität dieses Satzes kommt aber nur


— 1173 —<br />

daher, daß eben bereits immer eine Synthesis vorausgesetzt worden ist.<br />

Ohne die vollständige Analyse unserer geschichtlichen und<br />

gesellschaftlichen Position zwischen ideengeschichtlichen Ansätzen und<br />

den Formenkreis von Lebensmächte kann die kritische Würdigung unserer<br />

notwendigen Verklammerung mit der primären Intenionalität nicht<br />

erfolgen. Da diese Vorgangsweise der Kofundamentierung, wenn auch auf<br />

verschiedenen, erst wieder zusammenzuführenden Gebieten, nur abermals<br />

in bloße Empirie führen müßte, kann sie auch nicht für eine streng<br />

transzendentalidealistische Argumentation tauglich sein. Der genetische<br />

Anschein der Analyzität im Voraussetzen der Bedingungen als Idee vom<br />

Ursprung steht jedoch unwidersprechbar grundsätzlich im Verdacht, das<br />

Artefakt der Methode der transzendentalanalytischen Untersuchung des<br />

Verstandesgebrauches zu sein, welcher eben von den<br />

Rahmenbedingungen der primären Intentionalität und ihrer<br />

transzendentalen Gegenwendigkeit ausgeht. Ohne Entscheid über die<br />

offenen Fragen zur Umfangsbestimmung der verschiedenen Fassungen<br />

des Prinzips der durchgängigen Bestimmung (ohne Bestimmung des<br />

Exponenten von aptitudo und Prinzip) kann aber auch in der<br />

restringierten Fassung der Metaphysik letztlich keine andere Antwort<br />

gegeben werden, als daß das wesentliche Prädikat, welches nach dem<br />

ersten Kriterium des Allgemeinbegriffes des Ideals der reinen Vernunft<br />

(Begriff vom einzelnen Gegenstand als durch eine Idee durchgängig<br />

bestimmt) nicht nur von der Vielheit der möglichen Merkmale überhaupt,<br />

sondern auch von der Allheit möglicher Prädikate eines Dinges überhaupt<br />

per definitionem unterschieden sein muß, was letztlich in abstraktformaler<br />

Hinsicht trotz der Steigerung ins Ideale (Totum und Totalität der<br />

Bestimmbarkeit) über die Schwierigkeit einer nicht-transistorischen<br />

Bestimmung des Teilbegriffes gegenüber der Einheit einer Anschauung<br />

oder Ganzheit einer Vorstellung nicht hinausgekommen ist.<br />

Es ist damit klar, daß im Ideal der reinen Vernunft von der Version der<br />

bloß modallogischen Gleichsetzung von Essenz und Existenz Abstand<br />

genommen werden muß, aber es ist auch vom ersten Prinzip der<br />

durchgängigen Bestimmung eines Dinges mittels Merkmalsprädikaten<br />

gemäß der Definition des kategorialen Quantums der Allheit Abstand zu<br />

nehmen wegen des ersten Kriteriums des wesentlichen Prädikates, das<br />

nicht von anderen Prädikaten abgeleitet werden soll (Allgemeinheit des<br />

Begriffs vom einzelnen Gegenstand). Diese Verschiedenheit bleibt<br />

grundlegend und kann auch nicht auf logischem oder


— 1174 —<br />

transzendentallogischem Wege völlig in die Quidditas zurückgebogen,<br />

oder als ursprüngliche Weise des Gegebenseins aufgefaßt werden,<br />

vielmehr werden verschiedene Konstitution- und Reflexionsstufen<br />

aufeinanderbezogen. Nur in formaler Betrachtung schließt sich das<br />

wesentliche Prädikat im Ideal der reinen Vernunft dem Problemkreis des<br />

Teilbegriffes an, das wesentliche Prädikat ist das Produkt der<br />

wesenslogischen Interpretation der Regel des ersten Kriteriums des Ideals<br />

der reinen Vernunft: nicht aus anderen Prädikaten abgeleitet zu sein, und<br />

sollte zunächst nur erlauben können, abstrakt-unbestimmt den<br />

transzendentalen Inhalt gegenüber der Tendenz zur reinen<br />

formalontologischen und modallogischen Spekulation festzuhalten. Der<br />

Teilbegriff soll gegenüber der Ganzheit des möglichen Begriffs und<br />

gegenüber der möglichen Anschauung des konkreten und individuellen<br />

empirischen Gegenstandes — freilich nur selbst als Objekt der Erfahrung<br />

— habhaft werden können, insofern der Teilbegriff ausreicht, den<br />

(empirischen, oder der bloß fraglichen) Gegenstand, und nicht nur seine<br />

Merkmale in Prädikate zu denken. Dies steht bekanntlich im Kontrast zur<br />

Auffassung aus dem § 12 der Deduktion, daß im Begriff des Objektes nur<br />

Begriffsmerkmale versammelt wären und ein solcher Begriff nur eine<br />

Raphsodie empirischer Merkmale sein könne. Das wesentliche Prädikat als<br />

Grund der Notwendigkeit der Allgemeinheit des Begriffes vom einzelnen<br />

Gegenstand findet einen ausgezeichneten (besonderen) Teilbegriff, der in<br />

der Steigerung des formalen Idealismus zum Ideal der reinen Vernunft,<br />

d. i. der Begriff vom einzelnen Gegenstand selbst, wird.<br />

Punkt IV (»Es ist aber auch das einzige eigentliche Ideal, dessen die<br />

menschliche Vernunft fähig ist; weil nur in diesem einzigen Falle ein an<br />

sich allgemeiner Begriff von einem Dinge durch sich selbst durchgängig<br />

bestimmt, und als Vorstellung von einem Individuum erkannt wird«): Der<br />

Übergang von der Bestimmung des Begriffs durch eine Idee (Ideal der<br />

reinen Vernunft) zur Bestimmung eines Begriffs durch einen allgemeinen<br />

Begriff (transzendentale Idee) gelingt also nicht entlang der einfachen<br />

modallogischen Gleichsetzung von Essenz und Existenz durch völlige<br />

Abstraktion. Die andere Möglichkeit, zwischen Ideal der reinen Vernunft<br />

und transzendentalem Ideal zumindest hinsichtlich der verlangten<br />

Einzelheit Äquipollenz herzustellen, ist die Herstellung der Beziehbarkeit<br />

aller Merkmale (entschränkt als Vielheit des Inbegriffs aller möglichen<br />

Prädikate überhaupt) auf ein Ding mittels des transzendentalsubjektiven<br />

Zuschreibungsurteiles aller Vorstellungen als die meinen. Diese zum


— 1175 —<br />

ersten Kriterium des Begriffes vom einzelnen Gegenstand nur scheinbar<br />

gegenläufige Erweiterung des Gebrauchs vom Existenzialsatz vermag<br />

spekulativ ohne paralogistisch zu werden zu einem anderen universalen<br />

und wesentlichen Prädikat des transzendentalen Idealismus und<br />

transzendentalen Subjektivismus zu führen als das rein abstraktive<br />

modallogische Argument: Eingedenk, daß die Idee der Welt verschieden<br />

von der bloßen Konstruktion und Addition ihrer Elemente ist, daß aber<br />

beide Vorstellungen als notiones in transzendentalsubjektiver Hinsicht als<br />

gleichursprünglich zugeschrieben werden müssen, ist die erste und<br />

einzige noch verbleibende Voraussetzung der qualitativen und totalen<br />

Erfüllung eines Teilbegriffes zur Ganzheit des möglichen Begriffes die<br />

Möglichkeit, dem dann schon selbst wieder qualitativ besonderen<br />

Teilbegriff ein Substrat zu unterschieben, worauf sich ursprünglich<br />

unabhängig von jeder Qualität, dann zunächst modallogisch, schließlich<br />

auch transzendentallogisch unterschiedslos Merkmale beziehen lassen.<br />

Dieses Substrat könnte abstrakt-unbestimmt auch die perzepierende und<br />

apperzipierende Monade oder deren innerer Sinn sein. — Derart kann der<br />

Übergang von der Bestimmung eines Begriffes durch eine Idee (Ideal der<br />

reinen Vernunft) zur bloßen Bestimmung eines Begriffs durch einen Begriff<br />

(transzendentales Ideal) schon geleistet sein, wenn die fragliche Existenz<br />

des Fragenden diesen Übergang bereits transzendental voraussetzt. Das<br />

damit erreichte Verständis für die selbst wiederum allgemeinunbestimmte,<br />

und deshalb rein formale Bestimmung des Bewußtseins<br />

durch sich selbst ist eben wegen der innerhalb dieser Formalität als<br />

erreichbar vorgestellten Identität von Essenz und Existenz schon selbst nur<br />

ideal zu denken möglich, dennoch wird damit eine eigene Qualität<br />

konstituiert, was das entscheidende Unterscheidungsmerkmal zur rein<br />

modallogischen Betrachtung ausmacht. Die Dialektik der<br />

transzendentallogischen Untersuchung führt derart zu einer<br />

modallogischen wie zu einer transzendentalsubjektivistischen Lösung;<br />

letztere führt unterschiedslos alle höherstufigen Prädikate auf einen schon<br />

ursprünglich bekannten Existenzialsatz zurück: cogito ergo sum. Das<br />

ergibt aber zumindest ein Kriterium, woran das transzendentale Ideal<br />

gemessen werden kann: Der Begriff vom einzelnen Wesen soll ein<br />

Individuum bestimmen. Daß alle der in innerer Erfahrung gegebenen<br />

Merkmale bereits als Vorstellungen dieses nur allgemein-unbestimmt<br />

gedachten Individuums anzusehen sind, führt zum ursprünglichen<br />

Kriterium des transzendentalen Ideals, daß das eines jeden Ideal ist: Das<br />

Individuum soll konkret, also durchgängig bestimmbar sein.


— 1176 —<br />

Das ist im entwickelten Umkreis der primären Intentionalität bekanntlich<br />

auch genau entgegengesetzt formulierbar: Das (der formalen Möglichkeit<br />

nach) vollständig konkret Bestimmbare muß als Einzelnes in Raum und<br />

Zeit bestimmbar sein. Die Verlagerung und Umorientierung des<br />

intentionalen Gefüges auf einen anderen Zielpunkt verliert aber die<br />

explizite Beziehung zum transzendentalästhetischen Fundament der<br />

Erkenntnisgründe. Damit müßte man sich mit abstrakt-unbestimmt<br />

bleibenden Seinsgründen zufrieden geben, die außerhalb der Systematik<br />

der Erkenntnisgründe des transzendentalen Subjektivismus des<br />

transzendentalen Idealismus liegen. — Vollständig und konkret im Sinne<br />

des transzendentalen Ideals aber ist der Begriff vom Wesen aber nur dann<br />

bestimmt, wenn es ideal als Begriff eines Einzelnen und ideal gegenüber<br />

der Mannigfaltigkeiten aller diesem Einzelnen möglichen Merkmale<br />

bestimmt werden kann. Das aber ist eben auch nur ideal denkbar, wenn<br />

das unbestimmt denkmögliche Mannigfaltige der Totalität<br />

notwendigerweise durch Beziehbarkeit aller Mannigfaltigkeit<br />

untereinander und jeweils zum abstrakt Einzelnen, also auf zwei Wegen<br />

zum abstrakten Einzelnen führt, und das abstrakt denknotwendige<br />

Einzelne notwendigerweise zur unbestimmten Mannigfaltigkeit der<br />

Totalität. — Offenbar macht die logische Unterscheidung in einen Begriff<br />

eines Dinges aus der Totalität der prädikativen Durchbestimmung und aus<br />

dem Teilbegriff, der das Objekt als Ganzes vorzustellen erlaubt, den<br />

Wechsel der Intentionsrichtung mit.<br />

c) Zum epistemologischen Verhältnis von Allgemeinheit und Wesenheit<br />

im transzendentalen Ideal. Die Bestimmung des Teilbegriffes durch die<br />

Idee oder durch den Begriff<br />

Die im transzendentalen Ideal erkannte Vorstellung eines Individuums<br />

soll die Einheit von Existenzprädikat und transzendentalem Inhalt<br />

garantieren, wie zuvor schon die Einheit der Einen Anschauung durch die<br />

Einheit der Anschauung in der Beziehung auf einen bestimmten und<br />

einzelnen Gegenstand garantiert worden ist. — Einerseits das Scheitern<br />

der Bemühungen zwischen formaler Anschauung, reiner Anschauung und<br />

Verstandesbegriff, ein vollständiges Schema der Erzeugung eines<br />

einzelnen und konkret zum Individuum bestimmten Gegenstandes<br />

zustande zu bringen; andererseits die technisch-praktische Erzeugbarkeit<br />

einer Reihe von Arten von Gegenständen, die dem ersten Befund des<br />

Ergebnisses des transzendentalen Schematismus zu widersprechen


— 1177 —<br />

scheinen: Zwar kann die Eigenschaft, ein einzelner und konkret<br />

bestimmter Gegenstand sein zu sollen, auch als bloßer heuristischer<br />

Vernunftbegriff gedacht werden, und als solcher für verschiedene (viele,<br />

alle) Arten von Dasein gelten, doch wird das Substrat des jeweiligen<br />

Daseins nicht in jedem Falle mit der Strenge des Anspruches als<br />

Individuum zu gelten bedacht werden — das Individuum ist in diesem<br />

Rahmen eigentlich immer noch das Dasein des Erkenntnissubjekts in der<br />

Gewärtigung des transzendentalen Subjekts als Einklammerung der<br />

praktischen Vernunft als oberes Begehrungsvermögen, was zum topos der<br />

theoretischen Vernunft führt, wo der Verstand die Sinnlichkeit als Medium<br />

des sinnlich Gegebenen und die Vernunft die Sinnlichkeit als unteres<br />

Begehrungsvermögen dominiert. Kant schreibt dazu: »Es ist aber auch das<br />

einzige eigentliche Ideal, dessen die menschliche Vernunft fähig ist; weil<br />

nur in diesem einzigen Falle ein an sich allgemeiner Begriff von einem<br />

Dinge durch sich selbst durchgängig bestimmt, und als die Vorstellung<br />

von einem Individuum erkannt wird« (B 604/A 576). Zweimal wird hier<br />

das Ideal der reinen Vernunft als Begriff vom einzelnen Gegenstand<br />

angesprochen. Zuerst ersehe ich das aus der Formulierung »allgemeiner<br />

Begriff von einem Dinge« insbesondere wegen der geforderten<br />

Allgemeinheit des Begriffs, zum Zweiten sagt die Formel des Begriffs<br />

»durch sich selbst durchgängig bestimmt« deutlich das gleiche über den<br />

Begriff vom einzelnen Wesen (transzendentales Ideal) wie über den Begriff<br />

vom einzelnen Gegenstand, »der durch die bloße Idee durchgängig<br />

bestimmt ist« 15 In der gleichen Formel wird »Wesen« mit »Gegenstand«<br />

und einmal »Begriff« mit »Idee« getauscht.<br />

Offenbar hat dieser Tausch damit zu tun, daß nunmehr der Begriff letztlich<br />

sich selbst bestimmt, während im Ideal der reinen Vernunft der Begriff von<br />

der Idee bestimmt wird. Nun läuft die Idee in Gefahr als bloßes Produkt<br />

der Abstraktion zur leeren Gedankenform zu werden, so wie die einzelne<br />

Anschauung ohne intuitus auf ein Objekt jede Einheit zu verlieren droht,<br />

wenn man hier nicht die immanente logische Gegenständlichkeit einer<br />

zureichend ausgerichteten Intention (Aufmerksamkeit) in Betracht zieht.<br />

Der Begriff vom einzelnen Gegenstand, wird er durch eine bloße Idee<br />

bestimmt, ist ohne die wesenslogische Erörterung allein in der logischen<br />

Gegenständlichkeit der ortogonalen Intentionalität fundiert (diese ist für<br />

Objektivität — allein — nicht geeignet). Das entsprechende logische<br />

Charakteristikum des transzendentalen Ideals ist nun, daß ein Begriff den<br />

15 B 602/A 574


— 1178 —<br />

Begriff vom einzelnen Wesen durchgängig bestimmen soll. Das soll<br />

offensichtlich mit dem Unterschied des Begriffs vom einzelnen<br />

Gegenstand und des Begriffs vom einzelnen Wesen zu tun haben. Kants<br />

Abhebung des transzendentalen Ideals vom Ideal der reinen Vernunft ist<br />

nicht eine rein logische, und kann nicht allein aus der Unterscheidung<br />

anhand der Bestimmbarkeit des Begriffes durch eine Idee oder durch einen<br />

Begriff formal begründet werden. Es gibt zwar einen Grund aus der<br />

logischen Spekulation, der erfüllt aber nur Kriterien gemäß objektiver<br />

Gültigkeit, nicht aber Kriterien objektiver Realität. Kant zieht hier einen<br />

außerlogischen Grund heran: Die Bestimmung des Begriffs des logischen<br />

Wesens zum ganzen möglichen Begriff durch den Begriff vom einzelnen<br />

Gegenstand ist gemäß den hier gegebenen Untersuchungen gar nicht<br />

möglich gewesen (hatte nur hypothetischen oder normativen Charakter);<br />

erst die Prädikate ut rationata machen sicherlich den Satzgegenstand aus.<br />

Es ist die Wahl der Art des Gegenständlichen (des Konzeptes), die nun im<br />

Fortgang der Bestimmung zum transzendentalen Ideal einer rein logischen<br />

Bestimmung vorhergehen muß: Es muß die Vorstellung eines<br />

Individuums der Gegenstand sein, daß es überhaupt möglich ist, einen<br />

Begriff als durch einen Begriff auch transzendentallogisch für bestimmbar<br />

zu halten, ansonsten nichts als die reine Formalität, aber kein<br />

transzendentales Ideal herausspringen müßte.<br />

Bevor ich auf diese Auswahl näher eingehe, die konsequent den Verlust<br />

des transzendentalen Inhalts einer rein formalontologischen Spekulation<br />

hintertreibt, die in der Reinheit der Modallogik (im empirischen<br />

Verstandesbegriff noch mit dem Zeitinhalt verknüpft) ihren Schlußpunkt<br />

vor sich zu sehen scheint, möchte ich die Aufmerksamkeit nochmals auf<br />

die Frage lenken, um welche Begriffe es sich hier handelt. Es geht hier um<br />

die Bestimmbarkeit eines Wesensbegriffes (transzendentales Ideal) durch<br />

einen Allgemeinbegriff (Ideal der reinen Vernunft). Durch diese<br />

Bestimmbarkeit soll allererst der Begriff des Wesens zu einem Begriff vom<br />

einzelnen Wesen werden, dessen Vorstellung (Merkmalsumfang) das<br />

Existenzprädikat heraushebbar (explizit) der selbst nur allgemeinsten<br />

Möglichkeit nach als bloße mögliche Position umfaßt. Das setzt allerdings<br />

die Bestimmbarkeit eines Dinges durch die Allheit möglicher Prädikate<br />

und deren Weiterbestimmung durch die logische Teilung der Menge<br />

dieser Prädikate als Entgegensetzung von wahren und falschen möglichen<br />

Prädikaten voraus. Die Frage ist, in welchem Sinne ist das im<br />

transzendentalen Ideal überhaupt möglich, wenn Kant von Beginn an den


— 1179 —<br />

logischen Vergleich der Prädikate vom transzendentalen Vergleichs eines<br />

Dings unterscheidet? Nur als formale Voraussetzung, daß das<br />

Existenzprädikat zumindest in dieser das Wahre wie das Falsche<br />

umfassenden Sphäre immer schon analytisch als enthalten gedacht sein<br />

muß? Das wäre trivial, ließe sich diese Vorausgesetztheit als nur implizite,<br />

also nicht bestimmte Heraushebbarkeit des Existenzpräikates bezeichnen.<br />

Im Begriff vom einzelnen Wesen soll durch den Allgemeinbegriff, der ein<br />

wesentliches Prädikat ist, das Existenzprädikat bereits explizite, also<br />

bestimmt, und als solches heraushebbar enthalten sein. Damit wäre der<br />

Grund für die Vorausgesetztheit der Allheit als Bestimmungsstück des<br />

transzendentalen Ideals im Begriff vom einzelnen Wesen für die<br />

aufgeworfene Frage hinreichend als auch für das dem zweiten logischen<br />

Prinzip der Durchbestimmung vorausgesetzte Mannigfaltigkeit geklärt. Im<br />

Begriff vom einzelnen Wesen soll aber nicht nur das Existenzprädikat mit<br />

dem bloßen Begriff vom Wesen als letzter abstrakter transzendentaler<br />

Inhalt verbunden werden, indem der im Satzgegenstand (und nicht mehr<br />

ihm Satzsubjekt gesuchte) zugängliche Begriff vom Wesen ein<br />

Allgemeinbegriff sein muß. Im Begriff vom einzelnen Wesen ist nicht nur<br />

eine sowohl durch den Allgemeinbegriff von der Allheit verschiedene<br />

Bestimmungsart des Konkreten (das Besondere) wie zugleich die<br />

Bestimmbarkeit des Konkreten durch die Allheit der möglichen Prädikate<br />

angezeigt, sondern es soll noch die Vorstellung eines Individuellen<br />

notwendig machen. Es ist zu beachten, daß es ausgerechnet der<br />

Allgemeinbegriff ist, der den Wesensbegriff überhaupt zu einem Begriff<br />

vom einzelnen Wesen zu machen verspricht. Das Einzelnsein gehört<br />

demnach nicht von selbst zum Wesen; ob deshalb nicht, weil das<br />

Einzelnsein erst synthetisch zum Wesensein hinzukommen muß, oder ob<br />

einfach deshalb nicht, weil das Einzelnsein wie das Existenzprädikat<br />

abstrakt und formal in der logischen Entgegensetzung nur implizite, also<br />

bloß unbestimmt und nicht heraushebbar in der Vorstellung vom Wesen<br />

überhaupt enthalten ist, muß gar nicht entschieden sein.<br />

Mein Interpretationsgang nach Allheit und Allgemeinheit stellt darüber<br />

hinaus einen Wechsel in den Kriterien von objektiver Realität fest: Zuerst<br />

ist die Totalität der möglichen Prädikate eines Dinges der Nachweis des<br />

Überganges von subjektiver zur objektiven Realität, dann die<br />

Notwendigkeit (Allgemeinheit) der als wesentlich zu qualifizierenden<br />

Prädikate des selbst nicht durchbestimmbaren und sich entziehenden<br />

»logischen« Wesensbegriffes.


— 1180 —<br />

Im transzendentalen Ideal wird zur Beanspruchung des Überganges zur<br />

objektiven Realität von Kant immer noch das Kriterium der Totalität der<br />

Prädikate herangezogen, während der Begriff von einem einzelnen<br />

Gegenstand entweder der komparativen Allgemeinheit oder im Rahmen<br />

der transzendentalen Idee eben der Allgemeinheit qua Notwendigkeit<br />

intrinseci bedarf, um überhaupt ein Konzept allgemein behaupten zu<br />

können, das den Anspruch auf Identifikation eines gegebenen Objekts<br />

leisten könnte. Im transzendentalen Ideal erscheint die Lage aber derart,<br />

als ob die Einzelheit des Gegebenen als Charakateristikum des<br />

Gegenständlichen bereits vorausgesetzt wird. Inwiefern kann dergleichen<br />

vorausgesetzt werden? Ist diese transzendentale Erkenntnis als Produkt<br />

unseres Erkenntnisvermögens oder als dessen Voraussetzung anzusehen?<br />

Diese Frage hat nun mit der Vorstellung von »Individuum« zu tun, und<br />

führt in den hermeneutischen Zirkel. Darauf muß diese Untersuchung<br />

aber gar nicht weiter eingehen; letztenendes weil auch im Paralogismus<br />

die Person nicht (für A: nicht zureichend) Gegenstand der Behandlung<br />

wird. Das Individuum wird in diesem Zusammenhang nicht als Begriff<br />

der Psychologie, Anthropologie, Willensphilosophie oder<br />

Rechtsphilosophie eingeführt, auch nicht als Quelle der (transzendentalen)<br />

Einbildungskraft oder einfach der vis repräsentatio, sondern im<br />

transzendentalen Wesensbegriff als Begriff einer primär rationalen<br />

Bewußtseinsphilosophie.<br />

Stellt dieser Begriff des Individuums dieses bereits mit Perzeption und<br />

Apperzeption begabt vor, dann ist eine Idee der numerischen Einheit zwar<br />

nicht ohne gegebene Mannigfaltigkeit, diese aber doch nicht selbst als<br />

numerische Einheit der Mannigfaltigkeit zugleich gegeben, und somit ist<br />

zweifelsfrei die numerische Einheit die des perzepierenden Indivdiuums<br />

— und eben weil als solche erkannt, zugleich die des apperzipierenden<br />

Individuums. Damit kann, so meint wohl Kant, zumindest die Einzelheit<br />

unseres subjektiven Daseins im Individuum als gesichert angesehen<br />

werden, was eine einigermaßen zufriedenstellende Erklärung des Formel<br />

wäre, daß im Begriff vom einzelnen Wesen derselbe Begriff durch einen<br />

allgemeinen Begriff bestimmt werden könnte und nicht nur durch eine<br />

Idee: weil wir uns als urteilende und denkende Wesen dieser unser<br />

Einzelheit im Selbstdenken ursprünglich bewußt werden können. Insofern<br />

wäre das transzendentale Ideal sowohl als in concreto und in individuo<br />

bestimmt wie auch als Allgemeinbegriff vorstellbar.


— 1181 —<br />

d) Die Position der Möglichkeit des Existenzprädikats einer Vorstellung<br />

und die intellektualistische Auflösung des Paralogismus der<br />

substanzialisierenden Selbstzuschreibung meiner Vorstellungen in der<br />

Entschränkung der Allheit eines Dinges zum omnitudo realitatis<br />

Das Existenzprädikat in transzendentallogischer Betrachtung steht, so<br />

könnte man es kurz skizzieren, als Prädikat höherer Ordnung<br />

gewissermaßen senkrecht zur Typenlehre Russells, und ist bis zum Ideal<br />

der reinen Vernunft (der Allgemeinbegriff als Wesensbegriff und explizite<br />

als Begriff vom einzelnen Gegenstand) nur analytisch im Begriff enthalten,<br />

da es im Allgemeinbegriff als Teilbegriff vorrangig um die Bestimmung<br />

der Quidditas geht; das bedeutet demnach, das Existenzprädikat ist nur<br />

der Möglichkeit nach im Begriff enthalten, was soviel heißt, es hat eine<br />

systematische Stelle im Begriff bestimmt bekommen. Im Übergang zum<br />

transzendentalen Ideal wird nun das Besondere als Einzelnes analytisch<br />

herausgehoben; der Mangel, daß das Existenzprädikat nur der Möglichkeit<br />

nach im Begriff enthalten ist, soll aber dadurch behoben werden können,<br />

daß nun eine entschränkte Allheit dem Prinzip der Durchbestimmung<br />

zugrundegelegt worden ist. Damit wird dem transzendentalen Ideal mehr<br />

angeboten als der sinnlichen Anschauung selbst ohne den ausdrücklichen<br />

Bezug Einer Anschauung auf ein gegebenes Etwas, nämlich durch eine<br />

unlimitierbare Prädikation das absolute Individuum oder das Individuum<br />

absolut zu setzen. {vgl. Leibniz Übergang zur unendlichen modalen<br />

Analyse sowohl für notwendige wie für kontingente Wahrheiten}. Dem<br />

Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines Dinges mittels Prädikate<br />

widerstreitet die Entschränkung der Allheit, die ja nicht einfach zur<br />

Ausgangsposition der uneingeschränkten Vielheit zurückspringt, sondern<br />

eben, komplementär konsequent weitergedacht, nur ins völlig<br />

Unbestimmt-abstrakte (ens imaginarium oder nihil negativum,<br />

B 348/A 292 ◊ƒ) gedacht wird, nicht selbst. Allerdings öffnet dieser<br />

Kunstgriff die Spekulation dem Sinnlosigkeitsverdacht und der Willkür<br />

der uneingeschränkten (primärnarzistischen) transzendentalen Freiheit,<br />

deren notwendige Idee aus der bloßen Intelligibilität unseres Daseins<br />

entspringt ebenso, wie damit auch vorgezeigt wird, daß die Freiheit der<br />

Wahl, letztendlich der Wahl der Haltung, das Individuum zur<br />

apperzipierende Monade auszeichnet, und nicht das Prinzip der<br />

durchgängigen Bestimmung eines Dinges mittels Prädikate. Im Rückblick<br />

auf das eben Gedachte erscheint es aber zugleich, als hätte sich das Prinzip<br />

der durchgängigen Bestimmung nur in die geschichtliche


— 1182 —<br />

Dimensionsmannigfaltigkeit der Zeit vom Lebenslauf bis zur<br />

Naturgeschichte zu verlagern, um dem Sinnlosigkeitsverdacht (von hier<br />

aus zumindest bis auf weiteres) zu entgehen. Es ist ersichtlich, daß im<br />

ontologisierenden und reontologisierenden Diskurs ausgehend von der<br />

reinen Vernunftidee ein Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines<br />

Dinges, — sei es nun mittels Prädikate, durch wesentliche Prädikate einer<br />

Idee in der Konsequenz des logischen Konzeptes vom Teilbegriff als<br />

Vorläuferschaft der transzendentalen Logik, oder sei es eine Vorahnung<br />

der formalen Grundlagen einer allgemeinen historischen Vernunft —, das<br />

Individuelle gerade wie im ontologisch gefaßten transzendentales Ideal<br />

verlangten Ausmaß nicht zu erreichen vermag. In Folge bricht die<br />

Anwendbarkeit des Prinzips der durchgängigen Bestimmung nicht wegen<br />

dem unbestimmt-abstrakten Negat der entschränkten Allheit in der<br />

Zurüstung zum transzendentalen Ideal in formalontologischer Fassung<br />

weg, sondern wegen der grundsätzlichen Unfähigkeit, einen Exponenten<br />

zu finden, der dieses Prinzip auf die Entdeckung der transzendentalen<br />

Idee der Freiheit anwenden lassen könnte. Wenn also das transzendentale<br />

Ideal, wie verlangt, in concreto wie in individuo bestimmend sein soll, so<br />

ist (zuerst noch ohne Berücksichtigung des Schwindels mit dem implizite<br />

nach wie vor analytisch gesetzten Existenzprädikat) zu verlangen, daß dies<br />

in zwei verschiedenen, relativ unabhängigen Verfahren stattfinde, weil<br />

dergleichen offenbar in einem Zuge nicht zu erreichen sei.<br />

Ebenso offensichtlich ist nun aber, daß erstens die entschränkte Allheit die<br />

prädikative Bestimmbarkeit eines Dinges überhaupt wegen der<br />

Unbestimmtheit der Umstände der Distribution ohne zuvor die Sphäre<br />

aller möglichen Prädikate einschränkenden Teilbegriff (was Besonderheit<br />

verlangt) von vorneherein verhindert; was aber geschieht, wenn der<br />

Teilbegriff sich nicht mehr auf ein Ding überhaupt in abstrakter<br />

Redeweise, vielmehr auf das ens realissimum beziehen soll, ist vom strikt<br />

formalwissenschaftlichen Standpunkt wohl ähnlich unerklärlich wie das<br />

transzendentale Prinzip der Kausalität. Der Teilbegriff löst sich offenbar<br />

nicht in allen Versionen wohlgefällig rechtzeitig auf, um diese<br />

paralogistische Verwechslung zu verhindern, sondern wird zum<br />

Fundament dessen, was imaginiert wird, um sich ein »transzendentales«<br />

Substrat vorzustellen, worauf das, was zunächst daraus entnommen<br />

schien, einfach wieder darauf zurück zu beziehen ist, und derart,<br />

eigentlich von einem Artefakt nicht mehr unterscheidbar, selbst zu einer<br />

Art von allumfassenden Ding wird. — Andererseits kann das einzige


— 1183 —<br />

Individuum, dessen Existenzprädikat nicht nur analytisch der Möglichkeit<br />

nach im Begriff enthalten sein soll, eben nur das intelligible Subjekt der<br />

intellektuellen Spontaneität und der transzendentalen Idee der Freiheit<br />

selbst sein, sodaß dieses gerade als solches nicht auch nur in irgend einer<br />

Hinsicht dem Prinzip der durchgängigen Bestimmung unterworfen sein<br />

kann. Insofern stellt sich nach diesem Schritt im transzendentalen<br />

Reflexionsgang heraus, daß an dieser Stelle über das intelligible Subjekt<br />

und dessen eventuelle Ursächlichkeit nichts weiter gesagt werden kann,<br />

als daß die theologische Idee in der transzendentalen Reflexion der<br />

Spekulation zum intelligiblen Subjekt ihre architektonischen Stellung<br />

erwiesen bekommt.<br />

Die Kritik an der reinen Intelligibilität und Depotenzierung der<br />

theologischen Idee zum archetypus intellectus in der Auflösung der<br />

vierten Antinomie vermag also sowenig wie der Mangel eines<br />

transzendentalen Prinzips in den Erörterungen der theologischen Idee<br />

selbst die Vorstellung vom intelligiblen Subjekt der Spontaneität als<br />

unmöglich zu erklären. Das Hinzutreten des apperzipierenden<br />

Individuums zur von Anbeginn verkurzten formalontologischen (insofern<br />

bereits einmal restringierten) Fassung des transzendentalen Ideals ist<br />

wegen des fehlenden Echos des letzlich wiederum nur spekulativ und<br />

formal der Möglichkeit nach analytisch im Begriff enthaltenen<br />

Existenzprädikats als der entscheidende synthetischer<br />

Verknüpfungsvorgang vor jeder Entscheidung zwischen ens realissimum<br />

und apperzipierender Monade zu verstehen. Die transzendentalsubjektive<br />

Orientierung der Analyse läßt auch hier, wie schon die Paralogismen der<br />

psychologischen Idee erwarten lassen, kein transzendentales Prinzip zu,<br />

was synthetische Urteile a priori allererst möglich machen würde.<br />

Daß nun das existierende Individuum, wenn schon nicht abgeleitet oder<br />

produziert, aber als transzendentales Ideal erkannt wird, mag ein Motiv<br />

für Kant gewesen sein, das ens realissimum als Begriff zu bezeichnen,<br />

zumal im Anschluß in der Gegenüberstellung von »Inbegriff der Realität«<br />

(transzendentaler Obersatz) und »All der Realität« (transzendentaler<br />

Untersatz) zum transzendentalen Syllogismus unter dem Inbegriff nichts<br />

anderes als eben das ens realissimum aus dem transzendentalen Ideal<br />

(aber eben auch später das allerrealste Wesen im prototypon<br />

transcendentale, B 606) zu verstehen ist. Mit Ausnahme einer streng<br />

intensionalen modallogischen Darstellung ohne jeden Bezug auf Quaeitas<br />

und Quidditas erlaubt nur dieser totale Rückbezug auf das existierende


— 1184 —<br />

Individuum, welches ja unzweifelhaft das materiale Apriori des Beginns<br />

einer jeden Philosophie ist, das ens realissmum (das allerrealste Wesen) als<br />

sinnvollen Begriff mit wenigstens realmöglicher Bedeutung zu denken.<br />

Indem jede Erscheinung, in Folge jedes gedachte Ding der Erscheinung, in<br />

Folge jeder Begriff vom Erfahrungsobjekt, etc. (in grober und vorläufiger<br />

Aufstufung der Reflexion) als eine Schichtung von aufsteigenden<br />

Prädikaten, hierin ähnlich wie in der Typentheorie Russells, aufgefaßt<br />

werden kann, wird in der nachcartesianischen Transzendentalphilosophie<br />

das transzendentale Subjekt zum selbstgewissen Gegenstand des<br />

Existenzialsatz, auf welche sich, dann wieder formal gemäß der<br />

Beschreibungstheorie (oder eben Typentheorie der höherstufigen<br />

Prädikate) Russells, alle höherstufige Prädikate beziehen lassen müßten<br />

(Ideal der Affinität). Nur insofern läßt sich die im ursprünglichen Sinn für<br />

jeden perzipierenden Verstand richtige Kritik an der Vorstellung eines<br />

allerrealsten Wesens aufheben: indem das transzendentale Subjekt im total<br />

durchgeführten Zuschreibungsurteil (meine Vorstellung, mein Ding,<br />

meine Welt) nochmals paralogistisch zum Substrat aller Erscheinungen<br />

depotenziert wird. Insofern wird in transzendentalsubjektiver Analogie<br />

(nicht analogia entis) spekulativ auch die Idee vom allerrealsten Wesen als<br />

Attribut des höchsten Wesens komplementär vorstellbar, geht man nur<br />

von der bereits anhand anderer Problemaufstellungen nachgewiesenen<br />

Möglichkeit einer kritisch-transzendental restringierten Metaphysik aus.<br />

Zweifellos reicht eine synthetisch gewordene Metaphysik nicht durchwegs<br />

aus, ihrer Mannigfaltigkeit immanent notwendigen Sätze alle als<br />

synthetische Urteile a priori zu rechtfertigen; immerhin vermag auch der<br />

restringierten Spekulation zur Weiterbestimmung der theologischen Idee<br />

einige Regel und ein Plan alternativer Rundgänge, deren näherer<br />

Zusammenhang bei aller Gelegenheit zu Einblicken und Ausblicken<br />

allerdings gerade weitgehend ungeregelt bleiben muß, anhhand der<br />

Charakterisierung der Neigung der reinen Vernunft zur immanenten<br />

Transzendenz zur Verfügung gestellt werden. Derart scheint es doch<br />

möglich zu sein, der als zur bloßen Spekulation Hinzutretendes<br />

apostrophierte Immanenz der Intelligibilität der reinen Vernunft auch<br />

ohne synthetisches Urteil a priori in der transzendentallogischen<br />

Überlegung einen reellen Inhalt über die rein modallogische Erörterung<br />

hinausgehend zu geben, und zwar, wenn auch spekulativ fortgehend,<br />

formal ganz richtig gemäß der ursprünglichen Bestimmung der formalen<br />

Logik zwischen Intuitivität und Diskursivität.


— 1185 —<br />

Wird aber vor der Einschränkung auf die unrein transzendentale Analogie<br />

zur Deduktion der Kategorien des empirischen Verstandesgebrauches von<br />

der Willkür unseres von jeder Erfahrung entbundenen Verstandes und<br />

deren Totalität als Zerrbild der reinen Vernunft ausgegangen, steht dieser<br />

Art von Regression der intelligiblen Antizipation nach der<br />

transzendentalen Kritik der Dialektik der Vernunftideen, die selbst nur<br />

nach der Einschränkung auf Analogien zu den Verstandeskategorien<br />

möglich geworden ist, nunmehr ein Instrumentarium zur Verfügung, um<br />

die reell ausgedehnte Grenze innerhalb der theologischen Idee sowohl<br />

gegenüber ein sinnloses Ausmaß an Kritik wie gegenüber theosophischen<br />

Ansprüchen zu verteidtigen, welche die Erhabenheit ihrer nahezu<br />

schrankenlos weiterentwickelten Idee mit der Erhabenheit ihres immerhin,<br />

wenn auch nur schwach qualifiziert denkmöglichen Gegenstandes nicht zu<br />

unterscheiden vermögen. Insofern darf meines Erachtens sogar von einer<br />

positiven Auswickelung des transzendentalen Ideals entlang zweier<br />

Achsen; erstens: der wiederum zusammengesetzten allgemeinen<br />

Bedingung der bloß formalen Bedingung der nur als Medium gesetzten<br />

Einbildungskraft des ästhetischen Urteils (der qualitative Pol der Symbolik<br />

gegenüber reiner Algebra) bis hin zu zweitens: der Unterscheidung von<br />

allgemein-konkreten, insofern auch historisch gewordenen Normbildern<br />

vom Ideal des Schönen, gesprochen werden, die a fortiori dazu führt, daß<br />

die Vorstellung der Menschheit in uns den Ausdruck innerer<br />

Gestimmtheit, welche das sinnlich Angenehme erst ins ästhetisch Schöne<br />

eingliedert, zu regieren beginnt. {Benedikt, Phil. Emp. II, ◊} Der Vorzug<br />

dieser Alternative zur formalontologischen Fassung des transzendentalen<br />

Ideals liegt allein in der gesicherten Aussparung des Verfahrens der<br />

mathematischen und dynamischen Erhabenheit, als daß im Ideal des<br />

Schönen keine vorgängige Demütigung der natürlichen Ordnung der<br />

Erkenntnisvermögen (nach wie vor Verstand und Sinnlichkeit, wenn auch<br />

in ein anderes transzendentales Subsumtionsverhältnis eingespannt)<br />

vorauszusetzen ist. — Hier geht es mit der Spurensuche nach der<br />

synthetischen Metaphysik im Rahmen einer bereits ein erstes Mal kritisch<br />

restringierten Formalontologie weiter.


— 1186 —<br />

4. Prinzipien der Wissenschaft und der reinen Ideenlehre.<br />

Metaphysische Grundlagen der Formalwissenschaften?<br />

a) Den Prinzipien von Geometrie, Algebra und Grammatik liegt nicht<br />

die transzendentale Ästhetik zugrunde<br />

Omnitudo realitatis versammelt alle möglichen Prädikate entweder eines<br />

existierenden Dinges oder aller möglichen Dinge (ectypa ), worauf die<br />

Menge aller möglichen Prädikate überhaupt (Vielheit) zu beziehen<br />

genügen würde, eine kategoriale Definition der Allheit zu erhalten. Der<br />

Begriff von einem einzelnen Gegenstand im Ideal der reinen Vernunft setzt<br />

als Wesenslogik hingegen die R e a l m ö g l i c h k e i t nur abstrakt als<br />

Möglichkeit der Vereinbarung von Formalmöglichkeit und<br />

Realmöglichkeit voraus; erst die Vereinigung von Wesenslogik und<br />

Modallogik im Existenzprädikat gibt die Notwendigkeit, für einen<br />

quidditativ eingegrenzten Seinsbezirk die Einzelheit notwendig als<br />

individuell und konkret (prädikativ durchbestimmt) zu denken. Kant hält<br />

damit auch die Transzendentalität als Eigenschaft fest, daß hier nicht nur<br />

über die logische Form, sondern über den Inhalt eine transzendentale<br />

Reflexion angestellt wird. 16 Das ist sein Unterscheidungskriterium von der<br />

modalen Logik, die rein intellektuell ohne weiteres Merkmal Wahrheit =<br />

Allgemeinheit = Existenz (Notwendigkeit) eine abstrakte Ontologie gerade<br />

nicht vermeiden kann. Zur Einsicht, daß und wie diese Notwendigkeit für<br />

sich inhaltlich immer eine bedingte, an sich transzendentallogisch<br />

unbestimmt-allgemein wiederum eine unbedingte Notwendigkeit ist,<br />

kommt man damit nicht. Es geht also um den transzendentalen Inhalt in<br />

den Begriffen, nicht nur um das Existenzprädikat, obgleich dieses<br />

modallogisch entscheidend ist.<br />

Kants redlicher Versuch, mittels des transzendentallogischen Ansatzes<br />

Formallogik wie Modallogik in der Transzendentalphilosophie eine<br />

systematische Beziehung und Stellung zueinander zu geben, zeitigt<br />

letztendlich schon in den Abschnitten der Definition des transzendentalen<br />

Ideals, die nicht schon im Individuum die Einheit von Existenz und<br />

transzendentalen Inhalt vorneweg garantieren, den schmalen Grat<br />

zwischen transzendentaler Logik und Modallogik: »Entis realissimi ist der<br />

Begriff eines einzelnen Wesens, weil von allen möglichen<br />

entgegengesetzten Prädikaten eines, nämlich das, was zum Sein<br />

16 B 600/A 573, B 604/A576


— 1187 —<br />

schlechthin gehört, in seiner Bestimmung angetroffen wird.« 17 Das, »was<br />

zum Sein schlechthin gehört«: das lädt in diesem Zusammenhang ein,<br />

analytisch aus Sein reale Existenz von Seienden überhaupt zu folgern,<br />

doch aber an sich betrachtet ohne Entscheid, ob subjektive oder objektive<br />

Realität. — Zwar hat sich schon längst gezeigt, daß erstens die Existenz des<br />

Daseins als objektive Realität solange fraglich ist, bis Relationsbegriffe die<br />

Erscheinungen als Relationen wirklicher Objekte im Dasein im Rahmen<br />

der Regeln der reinen Anschauungsform zu verbinden vermögen, {1.<br />

Commercium, 2. phaenomenis constitutivis und phaenomenis resultantibus im<br />

30. Brief an Des Bosses als mögliches Unterpfand gegen einen trügerischen Gott,<br />

der bei gleichbleibenden Phänomenen die Ursachen vertauschen könnte} ◊ und<br />

daß zweitens die transzendentalanalytische kritische Untersuchung der<br />

analytischen Metaphysik (Verstandesmetaphysik) zu erkennen gibt, daß<br />

das Existenzprädikat nur der Möglichkeit nach in einem bloß gedachten<br />

Totum enthalten ist. In der Dialektik der reinen Vernunft befindlich hängt<br />

die Entscheidung schließlich nur mehr vom Existenzprädikat ab, wozu das<br />

principium contradictionis als formaler Einteilungsgrund vom Verstand<br />

vorausgesetzt, aber selbst nicht der zureichende Grund ist. Das<br />

Existenzprädikat (nunmehr sowohl als Bedingung für die Bestimmung der<br />

kategorialen Allheit wie für das transzendentale Ideal von Bedeutung)<br />

hängt im Rahmen der Vernunftmetaphysik aber in beiden Darstellungen<br />

nur von der Sinnlichkeit als Quelle der »transzendentalen Materie« ab<br />

(primäre Intentionalität), und hat für sich weder mit der Bestimmung<br />

transzendentaler Verhältnisprädikate noch mit dem Argument des<br />

Anselmschen ontologischen Gottesbeweises aus der Totalität, die größer<br />

nicht sein könnte, zu tun, obgleich Kant trachtet, zwischen den<br />

Argumentationen mittels dem Ganzen des Denkens und dem Ganzen der<br />

Sinnlichkeit etwa im Duisburger Nachlass und in der ersten Kritik<br />

(empirische Postulate) Wirklichkeit in der Konsequenz zu erreichen. Aus<br />

den Logiken (Metaphysiken) her gesehen ist auch für hier gültig zu sagen,<br />

daß die Stellung des principium contradictionis garantieren soll, daß der<br />

zureichende Grund über alle Analogien hinweg immer in der disjunktiven<br />

Einteilung des gegebenen Mannigfaltigen erkennbar bleibt; und das<br />

Existenzprädikat ist eine notwendige Folge des zureichenden Grundes.<br />

Mit diesen logisch-metaphysischen Vorbedingungen verwehrt Kant schon<br />

von seiner transzendentalanalytischen und kritischen Umgestaltung der<br />

rationalen Metaphysik her der Logizität und Mathematizität jeden<br />

17 B 604/A 576


— 1188 —<br />

ontologischen Vorrang vor der Sinnlichkeit: Sowohl die Erörterung des<br />

Existenzprädikates (obwohl selbst nicht auf Objekte der Erscheinungen<br />

sondern auf Vorstellungen als Dinge derselben zu beziehen) wie auch die<br />

vollständige Deduktion der Kategorien zu synthetischen Grundsätzen<br />

(führt zu daseinskonstituierenden Relationsbegriffe außer der<br />

Anschauungsform) können im Schematismusproblem auf die Sinnlichkeit<br />

nicht verzichten. Ohne Sinnlichkeit ist für Kant auch ein System der<br />

Rechtfertigung von innerer Erfahrung als Immanenz schlichtweg<br />

unmöglich. Trotzdem bewahrt für Kant das principium contradictionis<br />

unabhängige Formalität, gerade weil hier zuvor der wesenslogische<br />

Allgemeinbegriff als Begriff vom einzelnen Gegenstand überhaupt als<br />

durch eine Idee bestimmt eben dem nämlichen intensionalen Kriterium<br />

unterworfen ist, das damit bloß transzendentale Subjektivität, also<br />

subjektive Realität erreicht, und eben das Dasein von Gegenständen noch<br />

nicht aus dem objektiv gültig deduzierten transzendentalen<br />

Kausalitätsprinzip gerechtfertigt worden ist. M a. W., hier geht Kant<br />

wieder von der analytischen Fassung des Satzes vom Widerspruch aus, die<br />

auf derjenigen Fassung des Kompossibilitätsprinzips beruht, die<br />

formalontologisch vom Zugleichsein ausgeht, und nicht von der<br />

Leibnizianischen Fassung des principium contradictionis, die das<br />

Zugleichsein selbst, und damit erst auch das principium contradictionis,<br />

innerhalb der series rerum in Bezug auf die jeweils zukünftige<br />

Entwicklungsmöglichkeit setzt. Aus einem ähnlichen, nunmehr wieder<br />

formalontologischen Grund reicht auch die transzendentalästhetische<br />

Grundlegung nicht nur der Geometrie, sondern insbesondere der<br />

Mathematik insgesamt nicht wirklich aus, sondern zeigt schon im Rahmen<br />

der Axiome der Anschauung, daß hier nur die Anwendungsproblematik<br />

(aptitudo, Exponent, aber nicht durchwegs das Prinzip in der reinen<br />

Anschauung der Geometrie und in diesem Zusammenhang gar nicht in<br />

der Arithmetik und Grammatik) behandelt wird, und<br />

Konstruktionsprinzipien in Geometrie und Algebra die eigentliche<br />

Grundlegung dieser Wissenschaften als Formalwissenschaften ausmachen.<br />

Insofern bleibt die Frage nach der Metaphysik oder nach metaphysischen<br />

Anfangsgründen der Mathematik eingangs des § 3 der transzendentalen<br />

Ästhetik aktuell. Zum Ende der Erläuterungen Kants zur tranzendentalen<br />

Ästhetik gibt Kant auch einen weiteren Grund an, weshalb er auf die<br />

metaphysische Grundlegung der Mathematik zu verzichten müssen<br />

glaubt:


— 1189 —<br />

»Es ist auch nicht nötig, daß wir die Anschauungsart in Raum und Zeit auf<br />

die Sinnlichkeit des Menschen einschränken; es mag sein, daß alles endlich<br />

denkende Wesen hierin mit dem Menschen notwendig übereinkommen<br />

müsse, (wie wohl wir dieses nicht entscheiden können,) so hört sie um<br />

dieser Allgemeingültigkeit willen doch nicht auf Sinnlichkeit zu sein, eben<br />

darum, weil sie abgeleitet (intuitus derivatus), nicht ursprünglich (intuitus<br />

originarius), mithin nicht intellektuelle Anschauung ist, als welche aus<br />

dem eben angegebenen Grunde allein das Urwesen, niemals aber einem,<br />

seinem Dasein sowohl als seiner Anschauung nach (die sein Dasein in<br />

Beziehung auf gegebene Objekte bestimmt), abhängigen Wesen<br />

zuzukommen scheint; wiewohl die letzteren Bemerkungen zu unserer<br />

ästhetischen Theorie nur als Erläuterung, nicht als Beweisgrund gezählt<br />

werden muß.« (B 72)<br />

Kant legt, hierin Leibniz (und letztlich auch Bolzano) nicht unähnlich, die<br />

Wahrheit der Mathematik in den göttlichen Verstand, deren Ursprung<br />

aber in das Unvordenkliche des göttlichen Verstandes. Doch hat diese<br />

Quelle zwar nicht die Würdigkeit, doch aber die Grundlage, selbst als<br />

Erkenntnisgrund dienen zu können, nach der transzendentalen Kritik<br />

verloren, womit aber das Anwendungsproblem mathematischer Ideen auf<br />

die Natur aufgeworfen wird. Die transzendentale Ästhetik, die<br />

transzendental ist, weil sie unabhängig von der empirischen<br />

Organisationsform unserer Sinnlichkeit gedacht wird, depotenziert die<br />

Beziehung des menschlichen zum göttlichen Verstand bei Descartes zum<br />

transzendentalen Konstruktionsprinzip von Intelligenzen, die<br />

notwendigerweise über empirische Sinnlichkeit verfügen. — Nun gibt<br />

Kant zwei Gründe an, weshalb uns ein intuitus originarius nicht möglich<br />

sein sollte: Erstens, weil wir dem Dasein nach abhängig sind, und<br />

zweitens, weil unser Dasein (und allen Intelligenzen mit sinnlicher<br />

Anschauung) durch die Anschauung »in Beziehung auf gegebene Objekte<br />

bestimmt« sind. Zwar ist gar nicht von selbst einleuchtend, weshalb mit<br />

der Abhängigkeit des Daseins nach selbst Wesen wie uns jeder intuitus<br />

originarius abgesprochen werden muß, denn es ist allem Anschein nach<br />

nicht ausreichend, das Problem der Bestimmtheit unseres Daseins nur<br />

durch die Abhängigkeit von der Anschauung, die unser Dasein in<br />

Beziehung auf gegebene Objekte unzweifelhaft hinsichtlich der<br />

Erkenntnisgründe bestimmt (intuitus derivatus), zu behandeln. Eine<br />

derartige das Dasein bestimmende Beziehung könnte zunächst auch ein<br />

intuitus originarius sein, denn nur daß das jeweilige subjektive Dasein


— 1190 —<br />

durch anderes oder äußeres bestimmt wird, ist in einer solchen<br />

Untersuchung entscheidend, nicht, ob durch einen intuitus derivatus oder<br />

einen intuitus originarius. In Frage steht dabei freilich von Anbeginn, ob<br />

ein intuitus originarius als durch etwas anderes oder äußeres überhaupt<br />

bestimmt gedacht werden kann.<br />

Wir sind durch unser intelligibles Dasein auch durch reine Ideen und<br />

ursprüngliche Ideen bestimmt, nicht nur durch gegebene Objekte. Die<br />

Metaphysik (als Gegenstandsbereich eines möglichen intuitus originarius)<br />

ist als intuitus derivatus subjektive Metaphysik oder als Ideenlehre auch<br />

Psychologie. Gerade in Hinblick auf das Erkenntnisinteresse, die<br />

unbefriedigende Situation etwaiger metaphysischer Anfangsgründe der<br />

Mathematik näher aufklären zu wollen, scheint mit der Einschränkung auf<br />

ein abstraktes intensionales quantum originarium ein intuitus originarius,<br />

oder doch eine Depotenzierung der ursprünglichen Auffassung als ein<br />

Begriff der Psychologie des göttlichen Verstandes, in den Bereich der<br />

Hypothesenbildung vernünftiger, d. h., kritisch begleiteter Spekulation zu<br />

rücken. Den nämlichen Anspruch habe ich gleich zu Beginn des ersten<br />

Abschnittes dieser Arbeit für die reine Anschauung erhoben, zumal Kant<br />

eine Unklarheit zwischen intellektueller und intelligibler Anschauung<br />

zuläßt.<br />

Nun ist die formale Logik nach Kant bekanntlich ebenfalls intuitiv, aber<br />

zugleich auch diskursiv. So stellt sich die Frage, welcher intuitus ist hier<br />

gemeint? Dieser intuitus geht dann doch auf »primituive« Merkmale,<br />

sodaß hier das Grundurteil oder empirische Merkmale in Frage kommen;<br />

das formale Element wird offenbar doch dem diskursiven Moment<br />

zugerechnet. Kant scheint hier ebenso wie im Umkreis der symbolischen<br />

Vernunft zwar nicht zu übersehen, daß der formale Aspekt des<br />

diskursiven Momentes die Grammatik ist, und nicht ursprünglich und<br />

allein die Formenkreise des wiederum über sich informiert gedachten<br />

quantum originarium (Idee der Mathesis und als Ideal), jedoch wohl auch<br />

aus architektonischen Gründen wird der Umkreis der symbolischen<br />

Vernunft, der in diesem Aufriß von ästhetischer, teleologischer, also<br />

reflektierender, Urteilskraft bis zur Spekulation der reinen Vernunft unter<br />

dem Verstande (Algebra) reicht, nicht weiter ausgebaut.


— 1191 —<br />

b) Formalwissenschaftliche Untersuchung der transzendentalen Logik in<br />

Hinblick auf die Möglichkeit eines spezifisch eingeschränkten intuitus<br />

originarius<br />

In der Einleitung zur transzendentalen Logik stellt Kant gegen Ende des<br />

zweiten Teiles (Von der transzendentalen Logik) die allgemeine Logik<br />

schlußendlich in eine vergleichbare Spannung:<br />

»In Erwartung also, daß es vielleicht Begriffe geben könne, die sich a priori<br />

auf Gegenstände beziehen mögen, nicht als reine oder sinnliche<br />

Anschauungen, sondern bloß als Handlungen des reinen Denkens, die<br />

mithin Begriffe, aber weder empirischen noch ästhetischen Ursprungs<br />

sind, so machen wir uns zum voraus die Idee von einer Wissenschaft des<br />

reinen Verstandes und Vernunfterkenntnisses, dadurch wir Gegenstände<br />

völlig a priori denken. [I] Eine solche Wissenschaft, welche den Ursprung,<br />

den Umfang und die objektive Gültigkeit bestimmete, würde<br />

transzendentale Logik heißen müssen, weil sie es bloß mit den Gesetzen<br />

des Verstandes und der Vernunft zu tun hat, aber lediglich, so fern sie auf<br />

Gegenstände a priori bezogen wird, [II] und nicht, wie die allgemeine<br />

Logik, auf die empirischen so wohl, als reinen Vernunfterkenntnisse ohne<br />

Unterschied.[III]« (B 81 f./A 57)<br />

Nur in Pkt. (III) wird auf den primitiuiven intuitus der formalen Logik<br />

Bezug genommen, worauf die allgemeine Logik allererst beruht, und<br />

gegenüber der Formalität des diskursiven Moments mit dem intuitus<br />

derivatus in Koinzidenz gerät. Diese angepeilte Abhebung der Formalität<br />

des diskursiven Moments vom intuitus der formalen Logik und dessen<br />

Abhebung vom intuitus derivatus der (sinnlichen) Anschauung geht aber<br />

nicht in die Konstruktivität der Grammatik und Algebra auf. — Wie nun<br />

auch immer eine allfällige Depotenzierung oder Ableitung eines intuitus<br />

originiarius als eine mögliche Version intellektueller Anschauung in dieser<br />

Hinsicht ausfallen könnte, keinesfalls kann eine solche Überlegung mit<br />

dem Anspruch Schritt halten, der mit den ersten beiden Punkten des<br />

gegebenen Zitates vorgegeben worden ist. Hier geht es um Begriffe des<br />

reinen Denkens, die zuerst negativ nach ihrem Ursprung von ästhetischen<br />

und empirischen Begriffen unterschieden werden, sich als solche aber<br />

bereits auf Gegenstände a priori beziehen sollen. Die Intelligibilität unseres<br />

Daseins — hier eben anders als in § 16; und auch anders als im »Ich denke«<br />

aus dem Übergang der Paralogismen zu den kosmologischen Ideen —<br />

wird bereits als das reine Denken der Idee von einer Wissenschaft des<br />

reinen Verstandes- und Vernunfterkenntnisses, also als regulative Idee


— 1192 —<br />

behandelt. Das macht von vornerherein deutlich, daß die<br />

transzendentalanalytische Untersuchung des empirischen<br />

Verstandesgebrauches als tranzendentalphänomenologische<br />

Einklammerung nur dann aufgefaßt werden kann, wenn zuvor die<br />

Vernunfterkenntnis aus Prinzipien zumindest partiell und beispielhaft<br />

bekannt ist. Es ist also nicht der Verstandesgebrauch allein, der uns ein<br />

Objekt zu unserer Erfahrung denken läßt, sondern es bedarf eines<br />

Vernunftbegriffes aus der Konsequenzlogik, um einen Gegenstand völlig a<br />

priori zu denken (I). Diese Apriorität gerät aber unversehens abermals in<br />

den Verdacht, bloße Formalontologie zu sein.<br />

Nun kommt Kant zu einer ersten Bestimmung (Exposition) der<br />

transzendentalen Logik: »Eine solche Wissenschaft, welche den Ursprung,<br />

den Umfang und die objektive Gültigkeit bestimmete, würde<br />

transzendentale Logik heißen müssen, weil sie es bloß mit den Gesetzen<br />

des Verstandes und der Vernunft zu tun hat« (hier als Punkt II<br />

ausgezeichnet). Eine solche Wissenschaft müßte also bereits eine<br />

Vernunftwissenschaft sein, die aber nicht empirische<br />

Verstandeserkenntnisse, sondern die topoi der reinen Verstandesbegriffe<br />

organisiert, und insofern transzendentale Logik heißen müßte. Kant nennt<br />

drei Bedingungen: Ursprung, Umfang und objektive Gültigkeit. Gerade<br />

weil in der Form des ostensiven Beweises formuliert sind diese<br />

Bedingungen in ihrem idealen architektonischen Anspruch nicht<br />

durchgängig einlösbar; sie sind jedoch, so meine These, von Horizonten<br />

von transzendentalsubjekiver Gleichursprünglichkeit ausgehende<br />

Direktionen (theoretische Intenionen), die als formalontologisches Ideal<br />

eine abstrakt-bestimmte Konkretisierung hinsichtlich ihrer Stellung im<br />

Reflexionsgang jeweils, und teilweise zueinander, zulassen. Streng<br />

genommen ist die erste Frage des Ursprunges in die Frage nach der<br />

Möglichkeit des Anfangenkönnens mit der Philosophie (oder: was ist<br />

Philosophie?) verschoben worden. Die Frage nach dem Umfang kann<br />

allerdings einigermaßen befriedigend beantwortet werden: Das<br />

Anwendungsgebiet ist eben dasjenige, auf welchen Boden oder wohin die<br />

Frage nach dem eigentlichen Ursprung, dessen Ursprünglichkeit nicht<br />

transzendentalsubjektivistisch einlösbar ist, als nicht schlüssig<br />

beantwortbar verschoben worden ist. Offenbar eröffnet die<br />

Umformulierung der ersten Frage nach dem Ursprung in die Frage nach<br />

dem Umfang wenigstens einen ersten Beantwortungsversuch: Zuerst ist<br />

die Frage nach dem Umfang in diesem Zusammenhang zweifellos eine


— 1193 —<br />

Frage nach dem transzendentalen Inhalt, und als solche logisch intensional<br />

verfaßt. Von logisch intensionaler Verfaßtheit war allerdings die als<br />

(vorläufig) unbeantwortbar aufgeschobene Frage nach dem Ursprung des<br />

Philosophierens oder der transzendentalen Logik zwischen reinen<br />

Verstand und reiner Vernunft auch. Nunmehr soll eine nähere<br />

Charakterisierung möglich sein dadurch, daß nach einem<br />

transzendentalen Inhalt gefragt worden ist. Es sollte nicht mehr<br />

überraschen, daß in Hinblick auf eine mögliche reine transzendentale<br />

Logik der transzendentale Inhalt nicht eine Position eines empirischen<br />

Merkmals oder Merkmalskomplexion beschreibt, vielmehr der<br />

transzendentale Inhalt (gewissermaßen in transzendentaler Rekognition)<br />

eben im Verhältnis zwischen Verstand und Vernunft besteht, welches in<br />

sich in der Tat als dialektisch beschrieben werden kann, indem<br />

Subsumtionsverhältnisse mit den wechselseitigen<br />

Abhängigkeitsverhältnissen von Verstand und Vernunft wechseln. Der<br />

transzendentallogische Umfang hinsichtlich seines Totum von<br />

Inhaltlichkeit, das als transzendentaler Inhalt in Frage kommen kann, ist<br />

nicht äquipollent mit dem rein modallogischen Problemhorizont, sondern<br />

bezieht sich erst in Folge der Entwicklung sowohl abwechselnd auf die<br />

Position primitiver empirische Qualitäten, deren einfachen realmöglichen<br />

Relationen (vergleiche noch Russell: Tatsachenaussagen oder<br />

Propositionen), und auf die modallogische Fragestellung nach dem<br />

Gegenstand, wie auch auf eventuell mögliche Versionen der Reihenfolge<br />

der teilweisen Verknüpfbarkeit der Elemente des Konzeptes, die schon von<br />

der Potentialität der der Reflexion von heuristischen Überlegungen<br />

vorgezeichneten Argumentationsstruktur eine daraufhin wahrscheinlich<br />

oder unwahrscheinlich werdende mittelbare Verknüpfbarkeit immanent<br />

erwarten lassen. Die wissenschaftliche Behandlung nach Prinzipien ist die<br />

gesuchte Vernunftwissenschaft, die der Möglichkeit nach bekannt sein<br />

muß, um überhaupt beginnen zu können; erst die<br />

transzendentalidealistische Einschränkung der Vernunft auf den Rahmen<br />

des Transzendentalsubjektivismus verlangt nach einer rationalen<br />

Psychologie, deren Umfang wiederum erst im Verhältnis der<br />

transzendentalen Analytik des empirischen Verstandesgebrauches und der<br />

transzendentalen Analytik der Dialektik der reinen Vernunft, die bei Kant<br />

allemal Intelligibilität und Leiblichkeit voraussetzt, klärer werden kann.<br />

Die in Aussicht gestellte Erhellung wird von vorneherein dadurch<br />

eingeschränkt, indem eben die reine Vernunft selbst ihre zentralen<br />

Vernunftideen (psychologische, kosmologische und theologische Idee) der


— 1194 —<br />

Einschränkung gemäß der Deduktion der Kategorien des empirischen<br />

Gebrauches der reinen Verstandesbegriffe verdankt, diese aber bereits<br />

ihrerseits eine Selektion, gemäß der eigens dazu vorläufig eingerichteten<br />

logischen Tafeln, hinter sich haben. Dieses als dialektisch nur beschriebene<br />

Wechselverhältnis zwischen Verstandesanalytik und Vernunftkritik wird<br />

also allein dadurch schon aufgehalten, weil die Deduktion der Kategorien<br />

selbst nicht ohne die Aufstellung der logischen Tafeln möglich wäre. Dem<br />

logischen Leitfaden, dem alleweil zu folgen ist, würde aber mit der<br />

Aufstellung irgendwelcher logischen Tafeln nicht genüge getan. Vielmehr<br />

zeigt sich nun allmählich die Tragekraft der formalen Logik (mitsamt dem<br />

unaufgelösten Problem des formal depotenzierten intuitus originarius<br />

zwischen primituiver Intuition und diskursivem Formalismus) aus dem<br />

Punkt III angesichts der Verwicklungen quasi-genetischer<br />

Vorausgesetztheiten zwischen transzendentaler Analytik des<br />

Verstandesgebrauches und der transzendentalen Analytik des<br />

Vernunftgebrauches. — Daß damit gleich eine Reihe denkbarer Formen<br />

der Depotenzierung eines eigentlich ursprünglichen intuitus originarius<br />

eröffnet worden ist, dürfte nicht entgangen sein: Soweit bekannt, gibt es<br />

sowohl zwischen formaler, reiner, intellektueller und intelligibler<br />

Anschauung wie zwischen reinen intellektuellen Operationen des<br />

begrifflichen Denkens in der Algebra und in der Grammatik (in<br />

Formalwissenschaften überhaupt) jeweils einen Intuitus, den allerdings<br />

immer als Depotenzierung eines spezifischen intuitus originarius<br />

vorzustellen selbst schon als eine Form der Depotenzierung und als<br />

intuitus derivatus (ansonsten die sinnlich gegebene Anschauung in<br />

transzendentalästhetischer Auffassung) zu denken vor sich hat.<br />

c) Die genetische Struktur in der logischen Argumentation der Diallele<br />

Die Dialektik ist aber gar nicht nur Teil der transzendentalen Logik, die ja<br />

die Anwendung von Verstandesgrundsätzen und Venunftprinzipien auf<br />

die Totalität der Erfahrung sein soll, sondern Kant teilt im dritten Teil der<br />

Einleitung zur transzendentalen Logik die allgemeine Logik in einen<br />

analytischen und in einen dialektischen Abschnitt. Kant kennzeichnet die<br />

Position des bloßen Logikers im weiten sprachphilosophischen Sinn, von<br />

wo aus die Logik abermals nur als besondere Technik der Sprache,<br />

insofern als Spezialdisziplin der Rethorik, angesehen werden könnte: Die<br />

Logiker hätte man zu allen Zeiten mit der Frage: Was ist Wahrheit? zu


— 1195 —<br />

einer Dialexe oder Diallele gezwungen, was zunächst nichts anderes<br />

besagt, als eine sich im Kreise bewegende Art des Schließens. Diese Art zu<br />

Schließen wird für gewöhnlich nichts erwarten lassen, weil auf diese Weise<br />

bestenfalls eine Umgruppierung der möglichen Aussagen erreicht wird,<br />

was nur in Fragen der Reihenfolge der Argumente, zumeist womöglich<br />

nur was Wohlformungsregeln betrifft, Relevanz besitzen kann. Ob aber<br />

eine Diallele schon den Beweis beinhaltet, der erst zu beweisen gewesen<br />

wäre, wie die Identifizierung mit dem circulus vitiosus behauptet, bleibt<br />

selbst ohne Beweis. Der etymologische Ursprung des Begriffs vom Beweis<br />

selbst steht im Mittelhochdeutschen zwischen Zeigen und Urteilen, sodaß<br />

auch die nur hermeneutisch-reflektierende Denkbewegung bereits<br />

mehrseitig den Zweifel bei sich führt, ob die lateinische Festlegung, die<br />

offenbar Kant nunmehr vorhat, tatsächlich die Verlegenheit treffend genug<br />

charakterisiert.<br />

Kant kritisiert die Allgemeinheit des logischen Kriteriums der Wahrheit:<br />

Übereinstimmung von Erkenntnis mit ihrem Gegenstande, und setzt dem<br />

nur entgegen, daß nunmehr verlangt sei, »das allgemeine und sichere<br />

Kriterium der Wahrheit einer jeden Erkenntnis« zu wissen. Wie Leibniz,<br />

Bolzano und Brentano zu zeigen verstehen, kann auf das Adequanzprinzip<br />

(oder abstrakt-allgemein: dem intensionalen Prinzip des Sich-Deckens) in<br />

der Grundlegung nicht vollständig verzichtet werden, und auch Kant<br />

vermag hier nicht auf dieses Kriterium in der komparativen (insofern auch<br />

besonderen) Allgemeinheit der Distribution zu verzichten. Die<br />

Unterscheidung, die Kant trefffen möchte, bezieht sich einerseits auf die<br />

Sicherheit und andererseits darauf, daß jede Erkenntnis sicher sein solle,<br />

was offenbar mit dem bloßen logischen Kriterium der Wahrheit nicht<br />

erfüllbar ist. Im Sinne einer wissenschaftlichen und physikalistischen<br />

Sprache kann das Projekt Kantens in der transzendentalen Analytik des<br />

empirischen Verstandesgebrauches als transzendental kritisiertes<br />

Fundament wissenschaftlicher Sprachphilosophie verstanden werden; es<br />

darf aber nicht erwartet werden, daß damit der intensionale Umfang des<br />

Ausdruckes »jede Erkenntnis« bereits vollständig ausgelegt worden ist.<br />

Zwar beginnt sich Kant hinter dem Formalismus der allgemeinen Logik,<br />

die sowohl für empirische (kontingente) wie für Vernunfterkenntnisse<br />

objektiv gültig ist, zurückzuziehen, doch wurde zuvor der fragliche<br />

Umfang in den Umrissen schon festgelegt. So bezieht sich die allgemeine<br />

Logik nur auf »das Erkenntnis der bloßen Form nach« (B 83/A 60), was<br />

zurückübersetzt für den von Kant nur vorläufig und ungefähr situierten


— 1196 —<br />

Logiker auch soviel heißen mag, daß sich die allgemeine Logik auf die<br />

Wahrheit nur der Form nach beziehe. So kann eine der logischen Form<br />

gemäße Erkenntnis ihren Gegenstand auch widersprechen. Das aber ist<br />

zwar eine selbst transzendentallogische Erkenntnis, aber doch nicht auf die<br />

physikalistische Sprache, also auf die Deduktion der Kategorien des<br />

empirischen Verstandesgebrauches beschränkt. Kant bestätigt dies<br />

zumindest indirekt: »Also ist das bloß logische Kriterium der Wahrheit,<br />

nämlich die Übereinstimmung einer Erkenntnis mit dem allgemeinen und<br />

formalen Gesetzen des Verstandes und der Vernunft zwar die conditio<br />

sine qua non, mithin die negative Bestimmung aller Wahrheit: weiter aber<br />

kann die Logik nicht gehen, und den Irrtum, der nicht der Form, sondern<br />

den Inhalt [die Prämissen, GWC] trifft, kann die Logik durch keinen<br />

Probierstein entdecken.« (B 84/A 60)<br />

So beziehen sich die allgemeinen und formalen Gesetze des Verstandes<br />

gerade auch dann primär auf die Deduktion der Kategorien, wenn<br />

Wahrheit ausgesagt werden soll, die eben ohne Vernunft weder zu denken<br />

begonnen noch vervollständigt werden kann, weil die primäre<br />

Intentionalität, die auf Sinnlichkeit ausgerichtet ist, konstituierend ist für<br />

die ganze Architektonik, die allen entscheidbaren Sätzen, also nicht nur<br />

der Naturerkenntnisse, vorausliegt, auch wenn Kant sich auf die<br />

Potentialität der Formalisierung der inhaltlichen Beziehungen mittels der<br />

allgemeinen Logik zurückzieht. Insofern ist die allgemeine Logik als Kunst<br />

des Verstandes bloß ein Kanon zur Beurteilung, die dann dialektisch wird,<br />

wenn sie als Organon zur wirklichen Hervorbringung objektiv gültiger<br />

Behauptungen mißbraucht wird.<br />

Die systematische formale Betrachtung der allgemeinen Logik hat die<br />

Allgemeinheit hingegen wegen der formalen Implikation axiomatischer<br />

Satzsysteme; nicht aus Gründen weiterer wesensnotwendiger Prädikate<br />

und nicht aus Gründen komparativer Allgemeinheit. Der aus der Dialektik<br />

der Form der Wahrheit (hier dann wieder doch nur Urteile, Sätze,<br />

Propositionen) hervorspringende Schein der Wahrheit ist jedoch ein<br />

formalontologischer Schein. So unternimmt Kant im vierten Teil der<br />

Einleitung der transzendentalen Logik eine Einteilung der<br />

transzendentalen Logik in die »transzendentale Analytik und Dialektik«.<br />

Diese setzt zwar in der Spannung zwischen Verstand und Sinnlichkeit an,<br />

verlegt aber den Ursprung einer transzendentalen Logik wieder in eine<br />

Formalontologie.


— 1197 —<br />

»In einer transzendentalen Logik isolieren wir den Verstand, (so wie oben<br />

in der transzendentalen Ästhetik die Sinnlichkeit) und heben bloß den Teil<br />

des Denkens aus unserem Erkenntnisse heraus, der lediglich seinen<br />

Ursprung in dem Verstande hat.« (B 86/A 62)<br />

Damit sagt Kant, daß der Ausgang der wissenschaftlichen Betrachtung<br />

unseres Erkenntnisvermögens seinen Ursprung im Verstand hat, was eine<br />

genetische Aussage ist, und nicht etwa nichts anderes ist als eine<br />

Behauptung darüber, aus welchen Elementen unser Denken in der<br />

transzendentalen Logik zu bestehen hat. Das wird aus der nachfolgenden<br />

Einschränkung klar: »Der Gebrauch dieser reinen Erkenntnis aber beruhet<br />

darauf, als ihrer Bedingung: daß uns Gegenstände in der Anschauung<br />

gegeben seien, worauf jene angewandt werden könne. Denn ohne<br />

Anschauung fehlt es aller unserer Erkenntnis an Objekten, und sie bleibt<br />

alsdenn völlig leer.« (l. c.)<br />

Auch diese Aussage kann genetisch gelesen werden, obwohl offensichtlich<br />

ist, daß Kant hier vorhat, die Aufgabe der transzendentalen Logik allein<br />

auf den Umkreis der Deduktion der Kategorien des konstituierenden<br />

Verstandesgebrauches in der Erfahrung zu beschränken, auch wenn der<br />

Sprachgebrauch es zulassen würde, die Arten von Anschauung und die<br />

Arten des Gegebenseins von verschiedenen Arten von »Objekten«<br />

(allgemein-unbestimmt: Gegenstände) nach den verschiedenen Arten des<br />

»Ist-Sagens« zu behandeln. So kündigt Kant den zweiten Teil der<br />

transzendentalen Logik nur negativ als Kritik des dialektischen Scheines<br />

der allgemeinen Logik an, der eben in allen möglichen Fällen dann<br />

entsteht, wenn der Kanon der allgemeinen Logik materialiter als Organon<br />

der Erzeugung der Wahrheit mißbraucht wird. Nach der immanenten<br />

genetischen Rechtfertigung wird dann doch die Dialektik der reinen<br />

Vernunftideen von der transzendentalen Kritik auf eine regulative<br />

Funktion beschränkt, was schlußendlich nicht nur die Erörterung der<br />

reinen Vernunft und des ihr innewohnenden Bezuges zum Totum,<br />

sondern noch die Differenzierung in Prinzipien der Konstruktion und<br />

Zusammenfügung von Konstruktionen in der reinen, abstraktunbestimmten<br />

Ideenlehre, in der Formalontologie und in der<br />

Formalwissenschaft als weitere Aufgabe zurückläßt.


— 1198 —<br />

d) Der reine Inhalt des Denkens hat selbst kein transzendentales Prinzip<br />

Die genetische Rechtfertigung der Darstellung und das nachvollziehbare<br />

Erkenntnisinteresse Kants an der zweiten Aufgabe der Kritik der reinen<br />

Vernunft fordert in diesem Rahmen von der ganzen Erkenntnis immer<br />

schon ein transzendentales Prinzip, dessen synthetisches Urteil a priori das<br />

modale Prädikat der objektiven Realität zu erfüllen vermag. Keineswegs<br />

ist damit aber mit Notwendigkeit ausgeschlossen, daß über die Reihe von<br />

formaler, reiner und empirischer Anschauung hinausgehend ein<br />

besonderer Intuitus für das reine begriffliche Denken anzusetzen ist. Der<br />

erste Teil des Programms der transzendentalen Logik hat die Aufgabe der<br />

Vereinbarung von Verstand und Sinnlichkeit; diese Ausrichtung ist im<br />

analytisch-konstruktiven (rekonstruktiven) Rückgang schon anhand des<br />

Moments des primituiven Intuitus gegenüber dem diskursiven Moment in<br />

der formalen Logik ersichtlich.<br />

Auch wenn weder hier am Aufgangspunkt der transzendentalen und<br />

allgemeinen Logik noch in der rein symbolischen Logik der Algebra, die<br />

ohne primituives empirisches Merkmal auskommt, ein transzendentales<br />

Prinzip möglich ist, so ist doch aus der abstrakt-unbestimmten Immanenz<br />

reiner Einteilung und rekombinierender Konstruktion (als formale ars<br />

invenviendi) nach jeweiligen allgemein-unbestimmt formalen und<br />

abstrakt-konkreten allgemeinen Bedingungen ein reelles Ergebnis zu<br />

erwarten, wie das synthetische Urteil a priori in der reinen Geometrie<br />

gezeigt hat, dessen Prinzip selbst nur der Geometrie, nicht aber der<br />

Erkenntnis der Gegenstände der sinnlichen Erscheinungen wegen<br />

transzendental genannt werden könnte, obgleich seit Descartes die<br />

Mathematisierung der Naturwissenschaft zur Methode geworden ist, die<br />

Gesetze der Wirklichkeit intellektuell der Natur vorzuschreiben.<br />

Insbesondere für die Grammatik und die Algebra ist, der reinen<br />

Anschauung in der Geometrie vergleichbar, ein immanenter Intuitus<br />

anzusetzen, welcher dem modalen Prädikat der objektiven Gültigkeit auch<br />

ohne transzendentales Prinzip ein reelles Fundament zu geben imstand ist.<br />

Dieser Intuitus muß ähnlich zusammengesetzt sein wie der der formalen<br />

Logik, da hier nicht wie in der konstruierenden Geometrie reiner<br />

Anschauung oder in der Arithmetik ein Bezug zu einer allgemein-abstrakt<br />

charakterisierbaren Ausdehnung oder Größe als Einschränkungsgrund<br />

vorliegt. Darin liegt auch deren eigentliche transzendentale<br />

Rechtfertigbarkeit, während weder die Mathematik noch die<br />

Formalwissenschaften eine eigene transzendentale


— 1199 —<br />

Rechtfertigungsproblematik außerhalb des Anwendungsproblems besitzt.<br />

Die transzendentale Rechtfertigung von Formalwissenschaften bezieht sich<br />

auf unser Verstandesvermögen, nicht auf die formalwissenschaftliche<br />

Selbstbegründung.<br />

Doch Kant geht insgesamt betrachtet noch einen Schritt weiter: Obgleich<br />

die Algebra eine Verbindung zur ästhetischen Symbolreflexion unterhält,<br />

und Kant in den Axiomen der Anschauung unternimmt, die natürliche<br />

Zahlenreihe auf grammatikalischen Wege zu bestimmen, die in Folge<br />

Albert Grote dazu veranlaßt hat, die hinreichende Vollständigkeit der<br />

Definition der Division anzuzweifeln, scheint Kant in den Reflexionen zur<br />

Algebra (◊) von der grundsätzlichen (ursprünglichen) Verknüpfung von<br />

Form und Inhalt abzugehen, welche eben bereits an den einfachen<br />

Elementen der formalen Logik als die Momente des primituiven Merkmals<br />

und des dikursiven Merkmals zu finden war. Kant verzichtet in der<br />

Algebra deshalb auf jeden weiteren Inhalt, weil die semantische Position<br />

aller algebraischen Zeichen sich zunächst völlig abstrakt-unbestimmt auf<br />

die Formen des Quantums beziehen, und erst dann komplexere<br />

Operationen gebildet werden. Insofern ist ein eigener immanenter und<br />

reeller Intuitus für Formalwissenschaften anzusetzen, auch wenn in der<br />

Einleitung der transzendentalen Logik nur manchmal und vor allem im<br />

zweiten Teil der Einleitung von dieser Erweiterung des Gebrauches des<br />

Intuitus eine Ahnung mit gegeben wird. Keinesfalls kann ein Intuitus, sei<br />

er auch transzendentalidealistisch und subjektivistisch, somit nur<br />

transzendentalpsychologisch exponierbar, aber mit der transzendentalen<br />

Logik darstellbar, als intuitus originarius im ursprünglichen Sinn<br />

intelligibler Anschauung gedacht werden. Dazu müßte die reelle<br />

Immanenz objektive Gültigkeit und objektive Realität ohne jedes zeitlich<br />

eindeutig orientierte Schema der Idee besitzen.<br />

Es ist also im Rahmen der Kantschen Transzendentalphilosophie ohne<br />

transzendentales Prinzip der Kausalität von einem eigenen intuitus<br />

derivatus mit dem Anspruch auf Apriorität begründet zu Reden möglich;<br />

diese Direktion der Entwicklung der Bedeutung von intuitus derivatus<br />

beinhaltet aber nichts mehr Ästhetisches oder Empirisches und insofern<br />

auch nichts Anschauliches. Im formalontologischen »Urbild« der<br />

transzendentalen Logik zeigt der inhaltlich abstrakt-unbestimmte, nach<br />

der Bestimmung der Position im Reflexionsgang aber formal allgemein<br />

bestimmbare intuitus derivatus auf den Begriff des reinen Gegenstand a<br />

priori; auch in der reinen Geometrie. Der gesuchte Intuitus ist demnach


— 1200 —<br />

sicherlich keine bislang vermißte Form des intuitus derivatus im<br />

ürsprünglichen und eigentlichen Sinne, sondern gehört schon zu den<br />

Erörterungen des Prinzips des »idea es conceptus archetypus«, was<br />

allerdings wieder den erhobenen Anspruch auf eine formal eingeschränkte<br />

Form des intuitus originarius befestigt. Dergleichen wird aber auch für das<br />

primituive Merkmal einfacher Elemente der formalen Logik gelten<br />

müssen, indem dieses Merkmal erst transzendentalanalytisch aus der nur<br />

sprachphilosophisch, hermeneutisch und semantisch weiter analysierbaren<br />

Einheit rekonstruktiv, und nur in Hinblick auf diese projektierten<br />

Untersuchungen, idealtypisch konstituiert worden ist, und so zu Unrecht<br />

als eine ursprüngliche Gleichursprünglichkeit (In-sich-Vermitteltheit) oder<br />

gar als der spontan unvermittelte Akt der gerichteten Aufmerksamkeit<br />

angesehen worden ist. Vielmehr ist bei spontanen (intelligiblen und freien)<br />

Intelligenzen mit sinnlicher Anschauung jeder Intuitus entweder vermittelt<br />

oder zumindest durch innere oder äußere Affektation verursacht worden,<br />

und somit ein eigentlicher intuitus originarius im Sinne intelligibler<br />

Anschauung erwartungsgemäß völlig unmöglich, was aber einen<br />

besonderen intuitus für Prinzipien a parte priori gar nicht ausschließt.<br />

Dieser hätte allerdings ebenfalls zusammengesetzt zu sein, und zwar<br />

systematisch nach Vernunftideen geordnet (analog zur Formalität der<br />

Diskursivität) und inhaltlich an komparativen Allgemeinbegriffen und<br />

deren mögliche Zweckmäßigkeit zueinander orientiert (analog zum<br />

intuitus auf primituive Merkmale).<br />

Die metaphysischen Anfangsgründe der Formalwissenschaften sind somit<br />

an der Grenze von Transzendentalpsychologie (als Einheit von rationaler<br />

Psychologie und rationaler Physiologie) und synthetischer Metaphysik zu<br />

finden. Diese Verwendung des Begriffs der »synthetischen Metaphysik«<br />

umfaßt nunmehr nicht mehr einen intuitus derivatus, welcher nur<br />

implizite die transzendentale Freiheit des über die immanenten<br />

Verhältnisse von Verstand und Vernunft Urteilenden demonstriert,<br />

sondern schließt bereits die Vorstellung des Überganges der reinen<br />

(theoretischen) Vernunft zur praktischen Vernunft mit ein. Daß bedeutet<br />

aber zusammengenommen nichts weniger, als daß die Vorstellung der<br />

transzendentalen Idee der Freiheit diesmal »wirklich« (mit objektiver<br />

Giltigkeit) selbst zugleich die Konsequenz ihres transzendentalen und<br />

ideal gedachten Inhalts ist. Erst da ist die Totalität der reinen Idee zugleich<br />

der Nachweis ihrer wirklichen Intelligibilität. Insofern kann nunmehr auch<br />

von einem abstrakt-unbestimmten, aber anhand der Stellung in der


— 1201 —<br />

transzendentalen Reflexion formal bestimmbaren intuitus originarius<br />

gesprochen werden. Was, allerdings eben nur in diesem hergestellten und<br />

herausgehobenen Zusammenhang (Wittgenstein: Ohne alle zugeordneten<br />

und geordneten Argumentationsschritte ist der Beweis nur ein<br />

behauptender Satz), den Anschein nicht-empirisch subjektiver und<br />

kriterienloser Evidenz mit sich führt, wie Brentano über die Bedeutung des<br />

Existenzialsatzes im Leibnizianischen Kalkül der analytischen<br />

Urteilstheorie hinaus übersieht, daß das Ungenügen der Kantschen<br />

Unterscheidung in analytische und synthetische Urteile in<br />

allgemeinlogischer Hinsicht zwar zur Heraushebung der bloß<br />

notwendigen Zuschreibung eines Merkmals führt, das weder analytisch<br />

noch synthetisch, sondern nur anhand relativer Gleichursprünglichkeit<br />

aller in Frage kommender Elemente der transzendentalen Untersuchung<br />

(nämlich transzendentale Zeitbedingung und reiner Verstandesbegriff)<br />

gerechtfertigt, daraus aber gerade nicht die ursprüngliche<br />

Unvermittteltheit einer kriterienlosen Evidenz gefordert oder auch nur<br />

erwartet werden kann. Selbst wenn dieser Horizont der Evidenz nun noch<br />

empirisch-psychologisch oder phänomenologisch-logisch als spezifische<br />

Denkmöglichkeit rekonstruierbar ist, so werden solche Rekombinationen<br />

aus letztlich architektonischen Gründen verworfen werden müssen, wenn<br />

der daraus resultierende Entwurf der Zuordnung und Ordnung der<br />

Argumente der transzendentalen Untersuchungsgänge des Verstandesund<br />

Vernunftgebrauches sich als ungenügend herausstellt.<br />

5. Der transzendentale Obersatz und die omnitudo realitatis<br />

a) Inbegriff und Allheit und die Einteilung einer Sphäre<br />

Kant beginnt den Abschnitt mit einer logischen Begriffsbestimmung und<br />

stellt dieser ihren Unterschied zur metaphysisch rationalen Bestimmung<br />

des Dinges gegenüber, auf die ich später nochmals zurückkommen werde:<br />

Die logische Bestimmbarkeit besteht nur darin, daß von zwei<br />

kontradiktorisch entgegengesetzten Prädikate nur eines dem Begriff<br />

zukommen könne. Hingegen hat die rationale Metaphysik die Aufgabe zu<br />

zeigen, daß die Bestimmung eines Dinges noch ontologisch unter dem<br />

Grundsatz der durchgängigen Bestimmung stehe, was zur Folge hat, daß<br />

»ihm [dem Ding] von allen möglichen Prädikaten der Dinge, so fern sie<br />

mit ihren Gegenteilen verglichen werden, eines zukommen muß. Dieses


— 1202 —<br />

beruht nicht bloß auf dem Satze des Widerspruchs; denn es betrachtet,<br />

außer dem Verhältnis zweier widerstreitenden Prädikate, jedes Ding noch<br />

im Verhältnis auf die gesamte Möglichkeit, als den Inbegriff aller Prädikate<br />

der Dinge überhaupt, und, indem es solche als Bedingung a priori<br />

voraussetzt, so stellt es ein jedes Ding so vor, wie es von dem Anteil, den<br />

es an jener gesamten Möglichkeit hat, seine eigene Möglichkeit ableite.«<br />

(B 599 f,/A 571 f)<br />

Nachdem die ersten beiden Prinzipien der Durchbestimmung eines Dinges<br />

(einmal mittels Prädikate: Allheit; einmal mittels einer Idee: Allgemeinheit)<br />

vorgestellt worden sind, behandelt Kant das leitende Prinzip der ganzen<br />

Ideenlehre, das disjunktive Urteil, weiter. Ich behaupte aber entgegen des<br />

Verlaufes der Argumentation Kantens an dieser Stelle, daß das ens<br />

realissimum eben gerade nicht das All des Seienden umfaßt (das wäre<br />

auch nach Kants verkürzter Darstellung in diesem Zusammenhang bereits<br />

eine entschränkte Fassung des omnitudo realitatis, B 603). Der logischen<br />

Struktur der Antinomien wie des Ideals liegt zwar das disjunktive Urteil<br />

zu Grunde, doch in den Antinomien ist das nicht-ausschließende »oder«<br />

(was dann eben erst zur Antinomie führt), und im transzendentalen Ideal<br />

ist das ausschließende »oder« entscheidend:<br />

»Der allgemeine Begriff einer Realität überhaupt kann a priori nicht<br />

eingeteilt werden, weil man ohne Erfahrung keine bestimmte Arten von<br />

Realität kennt, die unter jener Gattung enthalten wären. Also ist der<br />

transzendentale Obersatz der durchgängigen Bestimmung aller Dinge<br />

nichts anderes, als die Vorstellung des Inbegriffs aller Realität, nicht<br />

bloß ein Begriff, der alle Prädikate ihrem transzendentalen Inhalte nach<br />

unter sich, sondern der sie in sich begreift, und die durchgängige<br />

Bestimmung eines Dinges beruht auf der Einschränkung dieses All<br />

der Realität, indem Einiges derselben dem Ding beigelegt, das übrige<br />

aber ausgeschlossen wird, welches mit dem Entweder und Oder des<br />

disjunktiven Obersatzes und der Bestimmung des Gegenstandes, durch<br />

eins der Glieder dieser Teilung im Untersatze, übereinkommt.« 18<br />

Der Inbegriff aller Prädikate wird als »All der Realität« bezeichnet, das<br />

eigentlich kategorial Vielheit heißen sollte, weil erst aus der<br />

Einschränkung dieses »All der Realität« der kategoriale Begriff der Allheit<br />

entspringt. Das »All der Realität« eines wirklichen Dinges soll nun nicht<br />

nur mit der Sphäre der möglichen Prädikate überhaupt verglichen und mit<br />

18 B 605/A 577, Hervh. vom Autor


— 1203 —<br />

dem ersten logischen Prinzip (principium contradictionis) eingeteilt<br />

werden, sondern gemäß der logischen Einteilung der Vernunftideen auch<br />

mit der ganzen möglichen Realität als mehrteiliges disjunktives Urteil im<br />

transzendentalen Obersatz verglichen werden. So schreibt Kant weiter<br />

unten im gleichen Absatz: »Demnach ist der Gebrauch der Vernunft, durch<br />

den sie das transzendentale Ideal zum Grunde ihrer Bestimmung aller<br />

möglichen Dinge legt, demjenigen analogisch, nach welchem sie in<br />

disjunktiven Vernunftschlüssen verfährt«. Diese Analogie wird als eine<br />

Analogie von Inbegriff und Gattungsbegriff dargestellt. Der Gebrauch<br />

dieser Analogie ist allerdings problematisch, weil sie sich über den Bereich<br />

von »Inbegriff aller Prädikate«, »All der Realität« und »Inbegriff aller<br />

Realität« erstreckt, dessen logische Identität zumindest im Rahmen des<br />

transzendentalen Obersatzes naheliegt, oder doch Äquipollenz begründet<br />

vermutet werden kann. Handelt es sich aber um Wechselbegriffe dieser<br />

Art, dann führte ein analogisches Verfahren jedoch in eine<br />

Unterbestimmung.<br />

Die starke ausschließende Interpretation der Disjunktion nach Entweder<br />

und Oder im Sinne der logischen Bestimmung aus § 11 der Deduktion<br />

verbietet freilich jede weitere Spekulation, die bloße Denkmöglichkeit<br />

(d. h. hier aber dann schon wieder: jede als Realmöglichkeit bloß gedachte<br />

Möglichkeit) ohne der spezifischen Möglichkeit einer ursprünglich<br />

kontingenten Assertion apodiktisch zu behaupten. Die Schwierigkeit<br />

dieser Erklärung zum »transzendentalen Obersatz« liegt zuerst aber<br />

zwischen den Formulierungen »All der Realität« und »Inbegriff aller<br />

Realität«: diese Formulierungen schweben zwischen der extensionalen<br />

Interpretation der Totalität (omnitudo realitatis) und der intensionalen<br />

Interpretation der Totalität (ens realissimum) der Logik. Beide Fassungen<br />

stehen unter begründetem Verdacht, nicht zwingend der logischen<br />

Definition aus § 11 zu entsprechen, wonach das disjunktive Urteil<br />

gleichermaßen das Wahre und das Falsche wie das Existierende und das<br />

Nicht-existierende umfassen soll. Das »All der Realität« (omnitudo<br />

realitatis), äquipollent gesetzt mit der Sphäre aller möglichen Prädikate<br />

eines Dinges, soll aber das zwischen transzendentaler Materie und<br />

intelligiblen Subjekt gesuchte transzendentale Substrat in absoluter<br />

Totalität gemäß des ersten Prinzips der Allheit im logischen Vergleich<br />

durchgängig bestimmen können, obgleich noch im transzendentalen Ideal<br />

der Begriff vom einzigen Wesen im transzendentalen Vergleich mit dem


— 1204 —<br />

Allgemeinbegriff vom einzelnen Gegenstand (Bestimmung durch einen<br />

Begriff) bestimmt wird (ens realissimum als Teilbegriff).<br />

Eigentlich ist unter omnitudo realitatis sowohl im Kapitel<br />

»Transzendentales Ideal (prototypon transcendentale)« gemäß der<br />

dortigen durchschnittlichen Ausdrucksweise wie in den vorkritischen<br />

Reflexionen zum totum syntheticum ausdrücklich die Summe aller<br />

»selbstständigen Teile« und nicht eine Totalität im absoluten Sinne des<br />

kontinuierlichen totum ideale zu verstehen. Vgl. entsprechend: Allheit ist<br />

erst nach einer Einschränkung des Totums (Vielheit) sagbar (K.r.V. § 11,<br />

B 111); vgl. den Gebrauch von »omnitudo synthetica« in der Refl. 5840<br />

(AA. XVIII, p. 366 f.), wonach selbständige (also insofern auch trennbare)<br />

Teile ein Ganzes nur soweit ausmachen, inwieweit die Synthesis in der<br />

Zusammenfassung gerade gekommen ist, und vom Totum eben zu<br />

unterscheiden ist. 19 Nunmehr verleitet die schlampige Formulierung<br />

Kantens in B 603 in der Tat dazu, die omnitudo realitatis als dasjenige<br />

vorzustellen, woraus durch Teilung (Beilegung und Ausschließung — also<br />

nicht durch Einschränkung eines Regressus oder Progressus) sowohl das<br />

Ding wie womöglich noch auch das ens realissimum (das Allerrealste) zu<br />

folgern wäre. Aber weder sind allein aus dem omnitudo realitatis als<br />

eventuelles Kriterium des Urbilds schon die ectypa abzuleiten, noch<br />

weniger kann dieses als das ens realissimum selbst oder dessen einzige<br />

Charakteristik bezeichnet werden, ansonsten das wesentliche Prädikat aus<br />

dem Ideal der reinen Vernunft (der Begriff vom einzelnen Gegenstand)<br />

nicht Bestimmungsstück des Wesensbegriffs im transzendentalen Ideals<br />

sein könnte, was es doch auch sein muß, wenn das logische<br />

Charakeristikum des Begriffs vom einzelnen Wesen die Bestimmung des<br />

Begriffes durch den Begriff und nicht wieder nur durch eine Idee wie eben<br />

im Begriff vom einzelnen Gegenstand sein soll.<br />

b) Die Informiertheit des ens realissimum und das Problem der<br />

Beziehbarkeit<br />

Der allgemeine Begriff einer Realität hingegen kann zwar nicht weiter<br />

eingeteilt werden, erscheint aber doch nicht leer von jedem inhaltlichen<br />

Merkmal, sondern als vollständig überfüllt, weil es kein Schema der<br />

Beziehbarkeit gibt. Der allgemeine Begriff ist nun nicht ident mit dem<br />

19 Es ist hier auf die Unterscheidung von Grenze und Einschränkung<br />

zurückzukommen, wie sie Richard Heinrich dargestellt hat.Vgl. ersten Abschnitt, II..


— 1205 —<br />

transzendentalen Obersatz, denn dieser ist die Vorstellung desselben als<br />

eine solche informierte Sphäre, für die nun gelten soll, was für den<br />

allgemeinen Begriff einer Realität nur für eine Gattung (eine Realität) als<br />

reale Denkmöglichkeit gedacht worden ist. Diese auf alle Gattungen<br />

erweiterte Vorstellung ist nun der Inbegriff aller Realität, der alle Prädikate<br />

in sich begreift. Eben derselbe wird im Untersatz als »All der Realität«<br />

angesprochen und wieder der Einschränkung der Vielheit unterworfen,<br />

um gemäß der logischen Entgegensetzungen der Prädikate diese<br />

zuzusprechen und abzusprechen. Desgleichen gilt in einer dergleichen<br />

informierten Sphäre erstens, daß jede Realmöglichkeit auch immer schon<br />

Existenz besitzt, besessen hat, besitzen wird, und vor allem in dieser<br />

radikalen Totalisierung der Möglichkeit als oberster Inbegriff überhaupt<br />

immer schon besessen haben wird. Zweitens, daß deren Begriffe alle<br />

bereits aus dem transzendentalen Vergleich als realmöglich erwiesen<br />

worden sind, sodaß die Aufhebung eines Dinges die Aufhebung aller<br />

Dinge nach sich ziehen würde, und eine Verneinung eines Prädikats<br />

würde nicht transzendentale Negation, vielmehr die Existenz in anderer<br />

Kombination und in einer anderen Gattung bedeuten. Der Inbegriff aller<br />

Realität aber verhält sich zum »All der Realität« als informierte Sphäre wie<br />

der Teilbegriff zu den Prädikaten eines durchgängig bestimmten Dinges<br />

(Kategorie der Allheit) und ist hier in dieser transzendentallogischen<br />

Verklammerung logischer Subsumtion und resolutiver inhaltlicher<br />

Bestimmung selbst nicht einteilbar ohne ihn zugleich aufzuheben.<br />

Es kann hier Äquipollenz zwischen den beiden Ausdrucken behauptet<br />

werden, als daß auch hier der Inbegriff vom omnitudo realitatis informiert<br />

worden sei, und es, was die in ihrer Überfüllung nicht heraushebbaren<br />

Merkmale angeht, um einen vergleichbaren, einfach gesagt womöglich um<br />

den gleichen transzendentalen Inhalt handelt, sollte die intensionale<br />

Formulierung durch eine extensionale Formulierung in intensionslogischer<br />

Hinsicht klaglos ersetzt werden können. Die hier extensional zu nennende<br />

Formulierung ist nun nicht im Sinne der Betrachtung von Mengen darin<br />

zusammengefaßter Gegenstände zu verstehen, sondern selbst eigentlich<br />

noch intensional zu nennen, da es sich hier bei dem Ausdruck »All der<br />

Realität« höchstwahrscheinlich nur um die Menge aller möglichen<br />

Prädikate handelt, ohne daß explizite ein gemeinsames Substrat,<br />

gewissermaßen ein Ding der Dinge, in Betracht genommen werden würde.<br />

Das kann immerhin vom Gebrauch des Inbegriffes aller Prädikate auf<br />

Grund der unklaren Konstellation zwischen ens realissimum und


— 1206 —<br />

omnitudo realitatis nicht mit entsprechender Deutlichkeit gesagt werden,<br />

vielmehr besteht Anlass, das Gegenteil zu vermuten. Diese Unklarheit<br />

entsteht, weil ens realissimum als möglicher Teilbegriff des omnitudo<br />

realitatis behandelt wird. Derart kann also zumindest von der<br />

intensionalen Seite der Überlegung her gesagt werden, daß zwischen den<br />

beiden Ausdrucken »Inbegriff aller Realität« und »All der Realität« über<br />

den Ausdruck »Inbegriff aller Prädikate« formal eine auch logisch<br />

analytische Beziehung der Identität bestehen kann, wenn man die<br />

Möglichkeiten dieser Unklarheit entsprechend ausnützt. Nicht aber besteht<br />

in diesem Zusammenhang auch eine logische Identität oder Äquipollenz<br />

dieser Ausdrucke mit dem Ausdruck »Inbegriff aller Möglichkeit«. —<br />

Dazu eine notwendig erscheinende Ergänzung: Natürlich muß die<br />

Möglichkeit bedacht werden, daß der Inbegriff aller Prädikate auch mit<br />

dem Inbegriff aller Möglichkeit deckungsgleich gedacht werden können<br />

muß, da aber Kant hier nahelegt, den Inbegriff aller Prädikate mit dem All<br />

der Realität gleichzusetzen, oder anderes ausgedrückt, sich keine leere<br />

Menge eines Distributionsumfanges in seinen extensionalistisch<br />

verstehbaren Ausdrucken vorstellen kann (wohl auch wegen der<br />

intensionalistischen Komponente seiner Herangehensweise), so ist an<br />

dieser Stelle eben gerade diese Entscheidung zu treffen, zumal die<br />

Existenzweise von Möglichkeiten als solche noch ungeklärt ist.<br />

Die bekannte Schwierigkeit, ob die Allheit der Prädikate die<br />

Einschränkung der Vielheit der Merkmale, oder doch die Entschränkung<br />

vom Besonderen des Allgemeinen vorausliegen hat, ist damit auch hier<br />

relevant: Ist der Umfang der nicht-heraushebbaren und der<br />

heraushebbaren Prädikate, sei er nun endlich, endlos oder unendlich, in<br />

transzendentallogischer Hinsicht nun nicht nur deckungsgleich mit dem<br />

Umfang des allgemeinen Begriffs einer Realität, sondern auch als<br />

deckungsgleich mit dem Umfang des Inbegriffs aller Realität zu denken<br />

überhaupt möglich? Die transzendentalidealistische Identität von<br />

allgemeinem Begriff einer ganz besonderen Realität und Inbegriff aller<br />

Realität im Sinne einer apperzipierenden Monade einmal beiseite gelassen,<br />

kann die gleiche Frage auch anders gestellt werden: Ist der Umfang des<br />

Inbegriffs aller Realität nun vergleichbar mit dem der Allheit, worauf die<br />

Vielheit wegen des Dinges schon eingeschränkt worden ist, mit der<br />

Vielheit selbst, oder mit dem Umfang der entschränkten Allheit, die mittels<br />

Negation der Allheit die Vielheit nochmals, zunächst unbestimmt-abstrakt,


— 1207 —<br />

überschreitet? Nur letzteres vermag den Vergleich mit dem ens<br />

realissimum auszuhalten.<br />

Aber auch »Dieses All der Realität«, wie sich Kant ausdrückt, spricht er an<br />

dieser Stelle im »transzendentalen Untersatz« nicht vom Inbegriff, aber als<br />

mit diesem gleichbedeutend, kann nur dann als omnitudo realitatis<br />

aufgefaßt werden, wenn letzteres nicht sowohl Wirkliches wie<br />

Realmögliches umfaßt, wie er zuvor (B 603) noch behauptet hat; der<br />

transzendentale Obersatz hingegen umfaßt insofern als Inbegriff aller<br />

Prädikate nicht nur unbedingt die Realität und nichts anderes, sondern<br />

auch in gewisser Weise wieder die Realmöglichkeit, da von der Sphäre des<br />

transzendentalen Obersatzes ausgehend das Wirkliche und Reale durch<br />

Einschränkung und Teilung jeweils erst als Soseiendes hergestellt<br />

betrachtet werden können soll. Da aber die Vielheit in ihrer multiplen<br />

Bestimmbarkeit zwischen Merkmale, Arten von Dingen und Dingen in<br />

einem negativ bestimmbaren Sinn alles Existierende (also alle Weisen des<br />

»Ist«-sagens) umfassen sollte, als daß damit auf die Beziehbarkeit auf das<br />

Dinghafte als zureichender Grund (Leibniz) aller Merkmale, also auch als<br />

Grund von Transzendentalität eines jeden qualitativen Inhalts wegen<br />

seiner Beziehbarkeit auf ein selbst nur mögliches, dem Denken gegenüber<br />

aber selbständiges Ding verzichtet worden ist, wird fraglich, ob es allein<br />

wegen der Erweiterung des qualitativen Umfanges der Idee von der<br />

Vielheit in streng transzendentallogischer Hinsicht notwendig war, die<br />

»entschränkte« Allheit der möglichen Prädikate als Grundlage des Begriffs<br />

von einzelnem Wesen (transzendentales Ideal) auf die erfolgte Art in den<br />

Fortgang der Überlegung einzuführen, wenn formalontologisch in<br />

Aussicht gestellt wird, das leidige Affinitätsproblem von der<br />

vorausgesetzten Affinität her aufzulösen. —<br />

c) Die raumzeitliche Dimension von omnitudo realitatis<br />

Im transzendentalen Ideal ging es eindeutig um die Überschreitung aller<br />

Methoden der Bestimmbarkeit von Realität allein durch Merkmale, im<br />

transzendentalen Obersatz handelt es sich jedoch wieder um eine<br />

Vorstellung der Einteilbarkeit des Inbegriffs aller Realität, welche der<br />

Einschränkung des Alls der Realität vorhergeht. Die Einschränkung kann<br />

nun erst dann erfolgen, wenn erstens die Analyzität der beiden Ausdrucke<br />

erwiesen ist (was zuvor geschehen ist), und zweitens der erste Ausdruck<br />

mit dem logisch identen (äquipollenten) zweiten Ausdruck vom »All der


— 1208 —<br />

Realität« ersetzt worden ist, was im Untersatz geschieht. Die<br />

Einschränkung selbst kann wegen der analytischen Beziehung erst nach<br />

der Ersetzung des Inbegriffs durch das All der Realität erfolgen; und zwar,<br />

weil erst damit die Informiertheit der Sphäre des Inbegriffs gegenüber<br />

seiner offengebliebenen Stellvertreterfunktion für das ens realissimum<br />

(dieses aber eben nicht länger ein Kandidat eines Teilbegriffs des omnitudo<br />

realitatis selbst ist) herausgehoben worden ist. Daraus folgt dann freilich<br />

abermals, selbst wiederum analytisch, die prinzipielle (mögliche)<br />

Einteilbarkeit nach Art und Gattung, gleich von welcher Formalität, von<br />

selbst.<br />

Nun ist die Vielheit gerade von einer Struktur, die erwiesenermaßen<br />

einteilbar ist, ansonsten eine Einschränkung auf die Allheit im Sinne der<br />

Prädizierbarkeit von Dingen gar nicht möglich gewesen wäre. Die<br />

Vorstellung von omnitudo realitatis ist demnach damit formal zunächst<br />

deckungsgleich. Doch kommt schon von der vorkritischen, rationalen Seite<br />

der analytischen Metaphysik die Einschränkung, wie denn das<br />

synthetische Moment im Terminus »omnitudo« zu verstehen sei, und wie<br />

diese Frage anhand des Ausdruckes »omnitudo synthetica« im ersten<br />

Abschnitt beantwortet werden kann. So ließe sich zumindest soviel sagen,<br />

als daß die Vielheit als reine Kategorie über die äquipollent gesetzte Idee<br />

der omnitudo realitatis ihrerseits, gewissermaßen resolutiv, die formale<br />

Eigenschaft erhält, nur soweit einteilbar zu sein, wie weit eben die<br />

Produktion von Realität zum Zeitpunkt der Frage auch immer<br />

fortgeschritten sein mag. Doch ist diese Auskunft aus zwei Gründen nicht<br />

ausreichend: Erstens wurde hier weiter oben vom transzendentallogischen<br />

Umfang der omnitudo realitatis bereits verlangt, er hätte auch das<br />

Realmögliche im Sinne der aristotelischen Indifferenz einer jeden<br />

Begriffslogik von wirklich und möglich zu umfassen. Ein solches<br />

Unterfangen muß also schon deshalb scheitern, weil die Vorstellung eines<br />

omnitudo realitatis als solche dialektisch ist. Zweitens wird die zeitliche<br />

Anordnung auch beziehungsloser Prädikate zu einem Problem, welches<br />

nicht nur mit den Schwierigkeiten eines auf lineare Performance<br />

eingeschränkten Mediums zu tun hat. —<br />

Die Zeit verschwindet niemals wirklich; selbst in der fortgesetzten reinen<br />

intellektuellen Operation entsteht in der gegliederten Erörterung des<br />

Horizonts der Gleichursprünglichkeit des Daseins der als solche zuerst<br />

unhintergehbare Anschein einer genetischen Anordnung, ohne dieser<br />

freilich auch kein reelles Schlußfolgern möglich wäre. Hier verrät schon


— 1209 —<br />

der Zusatz »realitatis«, es kann sich nicht um die virtuelle Gleichzeitigkeit<br />

der operativen Ebene des Bewußtseins als Denken, wie es mit dem<br />

Ausdruck »synthesis intellectualis« vorgestellt werden kann, handeln.<br />

Deshalb werden die Grenzen der Zeit auch mit der Übertragung der<br />

Eigenschaft der omnitudo synthetica, als Progressus mittels eines<br />

Regressus auch einteilbar zu sein, auf die omnitudo realitatis als zeitlich<br />

ungeordnete Vielheit nicht an Eindeutigkeit gewinnen. Ein zeitlich<br />

entwickelter »Inbegriff aller Realität« könnte nun aber ebensowenig wie<br />

das »All der Realität« in seiner raum-zeitlichen Ausdehnung das ens<br />

realissimum selbst sein, denn dieses enthält als Allerrealstes eben nicht alle<br />

mögliche Realität, wie aus dem Zitat aus dem Beweisgrund Gottes (A 34 f.)<br />

zu ersehen ist, was aber nötig wäre, um nach dem Vorbild des<br />

disjunktiven Urteils den »transzendentalen Obersatz« abzugeben.<br />

Es ist die Frage zu stellen, ob eine mögliche weitere Fassung des<br />

Allereralsten (ens realissimum) dieses in der Lage versetzen würde, als<br />

Inbegriff aller Realität zu fungieren; ich habe diese Anmutung bislang<br />

abgelehnt und bleibe weiters dabei. Unabhängig von dieser Einschätzung<br />

soll nach weiteren Gründen dieser offenbar unhintergehbaren Unklarheit<br />

gesucht werden. So ist die naheliegende Alternative zu bedenken, die in<br />

der Frage liegt, was der Schlußsatz des transzendentalen Syllogismus denn<br />

eigentlich aussagen soll; was kann er uns insgesamt sagen? Ist nicht im<br />

Fortgang zum Ideal als wirkliches Urbild (prototypon transcendentale)<br />

geradezu schon besiegelt, daß das ens realissimum auch in diesen<br />

Zusammenhang als prototypon gegenüber den möglichen ectypa die<br />

entscheidende Charakteristik aus dem Beweisgrund Gottes behält, und<br />

eben selbst nicht den transzendentalen Obersatz bedeuten kann?<br />

d) Der Inbegriff als nicht-einteilbarer Allgemeinbegriff eines Alls der<br />

Realität (logische Monadologie). Der Inbegriff der Möglichkeit<br />

Zunächst stellt sich im Zuge der Überlegungen des transzendentalen<br />

Ideals das Problem, ob der Begriff vom All der Realität wirklich als<br />

Gattungsbegriff (Allgemeinbegriff) behandelt werden kann. Immerhin<br />

bezeichnet Kant den fraglichen Begriff vom All der Realität zunächst selbst<br />

als Allgemeinbegriff, der aber nicht (nicht ohne Erfahrung) weiter<br />

eingeteilt werden kann. Er zieht hinsichtlich des logischen Enthaltenseins<br />

bekanntlich daraus eine ähnliche Schlußfolgerung wie in der vierten<br />

metaphysischen Erörterung des Raumes oder der ersten Fußnote in § 17


— 1210 —<br />

der transzendentalen Deduktion: »Also ist der transzendentale Obersatz<br />

der durchgängigen Bestimmung aller Dinge nichts anderes, als die<br />

Vorstellung des Inbegriffs aller Realität, nicht bloß ein Begriff, der alle<br />

Prädikate ihren transzendentalen Inhalte nach unter sich, sondern der sie in<br />

sich begreift«. Dazu wurden im dritten Abschnitt zum Problemkreis der<br />

Affinität zwischen räumlicher Anschauung und dialektischem<br />

Existenzprädikat bereits die wichtigsten Festsetzungen getroffen. Die<br />

Charakterisierung eines Inbegriffs aber ist logisch nicht eindeutig; es ist<br />

zuerst die Frage, ob die gegebene Charakterisierung als Prinzip der<br />

durchgängigen Bestimmung eines einzelnen Dinges überhaupt<br />

verwendbar ist, nicht: ob damit ein einzelnes Ding von anderen<br />

diskriminiert wird. Für letzteres reicht der Inbegriff wohl zu: Ein Inbegriff<br />

unterscheidet sowohl Individuen verschiedener Arten wie auch<br />

Individuen der gleichen Art, wenn ein Individuum die charakteristischen<br />

Eigenschaften der Art stärker ausgeprägt besitzt als andere in der<br />

unmittelbaren Umgebung. Schließlich vermag ein Inbegriff auch<br />

verschiedene Typen von Ensembles zu unterscheiden.<br />

Es bleibt aber zweifelhaft, daß ein Inbegriff überhaupt geeignet ist, ein<br />

Allgemeinbegriff im Sinne der aristotelischen Syllogistik zu sein, daß<br />

allgemein über Allgemeines ausgesagt wird. — Im gegebenen Zitat Kants<br />

drückt sich diese Schwierigkeit darin aus, als daß Kant schreibt: »der<br />

transzendentale Obersatz der durchgängigen Bestimmung aller Dinge [sei]<br />

nichts anderes, als die Vorstellung des Inbegriffs aller Realität«. In diesem<br />

Satz wird schon fraglich, ob ein Prinzip der Durchbestimmung »aller<br />

Dinge« überhaupt logisch äquipollent möglich sein kann mit einem<br />

Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines jeden einzelnen Dinges.<br />

Immerhin ist es für einen Allgemeinbegriff notwendig, daß ein Merkmal<br />

eines Dinges sinnvoll denkbar ist, das komparativ-allgemein auszumachen<br />

ist, was sowohl für einen komparativen Allgemeinbegriff eines jeden<br />

Dings wie für einen Begriff der notwendigen Allgemeinheit der Idee<br />

desselben Dinges im (wesenslogischen) Begriff vom einzelnen Gegenstand<br />

zu gelten hat Dem Allgemeinbegriff zeichnet eine bestimmte<br />

Merkmalskompexion oder ein wesentliches Merkmal aus; ob komparative<br />

oder wesenslogische Notwendigkeit bleibt zunächst unausgemacht: Doch<br />

ist der Allgemeinbegriff anders als der logische Wesensbegriff logisch<br />

geeignet, ein bestimmbares einzelnes Ding zu bedeuten und auch fähig,<br />

der Art und deren allgemeinen Besonderung nach eindeutig zu<br />

bezeichnen.


— 1211 —<br />

Die logische Charakteristik der Begriffe macht einstweilen gerade soviel<br />

kenntlich, daß weder für den Allgemeinbegriff noch für den Inbegriff in<br />

Hinblick auf ein einzelnes Ding (Individuum) von einer durchgängigen<br />

Bestimmbarkeit im Sinne der Menge aller möglichen Prädikate eines jeden<br />

Dinges (erstes Prinzip der Durchbestimmung eines Dinges: Allheit) die<br />

Rede sein kann. So hat der logische Allgemeinbegriff abstrakt im Rahmen<br />

des Ideals der reinen Vernunft doch nur die Eigenschaft, eine zureichende<br />

Bestimmung des Begriffs von einem einzelnen Gegenstand in einer<br />

Vernunftidee denken zu lassen, aber Allgemeinbegriffe als solche<br />

(komparativ oder wesenslogisch), Wesensbegriffe wie Inbegriffe sind per<br />

definitionem für eine prädikativ durchgängige Bestimmbarkeit des<br />

konkret und individuell Gemeinten ungeeignet. Insofern stellt sich hier die<br />

Frage nach der Einteilbarkeit völlig anders: Im Fall eines Allgemeinbegriffs<br />

wird nicht der Begriffsinhalt sondern die Menge aller Gegenstände der<br />

selben Art eingeteilt, im Fall des Inbegriffs werden innerhalb der Art<br />

Individuuen zum Teil auch mit sehr unscharfen und fragwürdigen<br />

Kriterien unterschieden, oder außerhalb der Arten ein Typ von Ensemble<br />

beschrieben, der von anderen Typen eindeutig genug zu unterscheiden ist.<br />

Es ist nicht der Aspekt des Inbegriffs allein, wie er sich im Vergleich zum<br />

»Intuitum« der Anschauung zumindest denken läßt, welcher die Analogie<br />

zum Wesensbegriff im Allgemeinbegriff zu rechtfertigen vermag; das<br />

Problem liegt darin, daß auch ein Allgemeinbegriff (wie auch immer<br />

gerechtfertigt) auf eine Menge von Dingen zu beziehen sein muß. Der<br />

Inbegriff bezieht sich nur außergewöhnlicherweise auf die<br />

Bestimmungsfrage von Individuen, doch in der Hauptsache auf<br />

Eigenschaften eines Kollektivs von Dingen. Beide haben sich als nicht<br />

geeignet herausgestellt, selbst das erste logische Prinzip der<br />

durchgängigen Bestimmung eines Dinges zu erfüllen; es bleibt jedoch die<br />

Durchbestimmbarkeit der Methode von komparativem und<br />

wesenslogischem Verfahren einerseits, und einer Methode der Herstellung<br />

eines Inbegriffs andererseits zu unterscheiden.<br />

Zwischen dem Anspruch der durchgängigen Bestimmbarkeit eines<br />

Begriffs einerseits (transzendentales Ideal) und der durchgängigen<br />

Bestimmbarkeit eines Dinges andererseits (kategoriale Allheit) eröffnet<br />

sich ein Durchblick: Nun soll gerade das wesenslogische Argument für die<br />

Notwendigkeit der Geltung eines Begriffes einen eigenen Grund für die<br />

Allgemeinheit gegenüber der bloß komparativen Allgemeinheit besitzen;<br />

so schreibt Kant im Abschnitt über das Ideal der reinen Vernunft: »Ob nun


— 1212 —<br />

zwar diese Idee von dem Inbegriffe aller Möglichkeit, sofern er als<br />

Bedingung der durchgängigen Bestimmung eines jeden Dinges zum<br />

Grunde liegt, in Ansehung der Prädikate, die denselben ausmachen<br />

mögen, selbst noch unbestimmt ist, und wir dadurch nichts weiter als<br />

einen Inbegriff aller möglichen Prädikate überhaupt denken, so finden wir<br />

doch bei näherer Untersuchung, daß diese Idee, als Urbegriff, eine Menge<br />

von Prädikate ausstoße [...].« 20 Diese weiter oben schon ausgiebig<br />

behandelte Stelle sollte erlauben, näheres über die Auffassung Kantens<br />

über den Inbegriff ausmachen zu können. Zunächst hält Kant mit einer<br />

Verdopplung des Arguments fest, daß — zumindest dieser Inbegriff —<br />

dem Inhalt nach völlig unbestimmt ist. Daraus entspringt einerseits die<br />

Frage, ob das für alle Arten vom Inbegriff so sein müsse, andererseits die<br />

Gewißheit, daß der Inbegriff aller Realität, der den transzendentalen<br />

Obersatz ausmachen soll, nicht von der gleichen Art ist, denn dieser ist<br />

eindeutig nicht ein Allgemeinbegriff einer Realität, aber eben der Inbegriff<br />

aller Realität.<br />

Die zweite Bestimmung, die Kant nennt, lautet: zumindest diese Art von<br />

Inbegriff fungiert im Rahmen des Ideals der reinen Vernunft (dem Begriff<br />

vom einzelnen Gegenstand) als Urbegriff. Man erfährt also nicht wirklich<br />

näheres über den Inbegriff überhaupt, sondern bestenfalls etwas über<br />

diese Art von Inbegriff. Dieser ist also erstens dem Inhalt (den Prädikaten)<br />

nach völlig unbestimmt, und fungiert zweitens als Urbegriff. Letzterer<br />

wird durch die Einschaltung der Idee vermittelt. Das hilft zur logischen<br />

Weiterbestimmung des Inbegriffs aber nicht wirklich weiter, insofern alle<br />

notiones Ideen sind. Immerhin gibt die Darstellung des Inbegriffs als<br />

Urbegriff die Gewißheit, daß Kant an dieser Stelle ernsthaft die Absicht<br />

hatte, die Eigenschaft des Inbegriffs, eine verschiedene Arten (vielleicht<br />

sogar auch disparate Gattungen) umfassende Menge kollektiv zu erfassen,<br />

mit der wesenslogischen, also nicht-komparativen Allgemeinheit eines<br />

Begriffes analogisch zu vereinbaren. 21 Davon unberührt bleibt der<br />

komparative Allgemeinbegriff zunächst nur deshalb, weil seinem Merkmal<br />

als solchem am Ding nur eine Eigenschaft unter anderen zukommt, ohne<br />

aus sich selbst (analytisch) nachweisen zu können, daß es sich bei diesem<br />

Merkmal um die wesensnotwendige Eigenschaft dieses einzelnen<br />

Gegenstandes handelt. Diesen Nachweis zu erbringen, ist nun deshalb so<br />

20 B 601/A 573<br />

21 Vgl. in diesem Zusammenhang die Deskriptionen der qualitativen Einheit eines<br />

Begriffes vom Objekt in § 12: Thema, Fabel


— 1213 —<br />

schwierig, weil es eben nicht mehr nur allein darum geht, den logischen<br />

Allgemeinbegriff wesenslogisch als notwendigen Teilbegriff nachzuweisen,<br />

sondern zugleich (logisch: äquipollent) darum, den Nachweis zu<br />

erbringen, daß es sich dabei um den Wesensbegriff eines einzelnen<br />

Gegenstandes handelt. Offenbar ist auf eine strukturelle Ähnlichkeit<br />

zwischen Inbegriff und wesenslogischer Allgemeinheit aufmerksam zu<br />

machen, die nicht anhand eines selbst logischen Kriteriums der<br />

Allgemeinheit ausgemacht werden kann, sondern erst in der gemeinsamen<br />

Gegenüberstellung zum logischen Kriterium der Allheit deutlich wird:<br />

Zwar besteht eine Verwandtschaft zwischen Inbegriff und komparativen<br />

Allgemeinbegriff, da auch die kollektive Einheit des Inbegriffs durch<br />

Vergleichen zustandekommt, jedoch vermögen i. a die einzelnen<br />

Eigenschaftender Elemente der Kollektivität selbst keine generelle<br />

Bedeutung mehr zu erlangen Vgl. die verschiedenen Aufassungen zur<br />

aristotelischen Theorie der mixtis und wie aus verschiedenen Merkmalen<br />

der verschiedenen Ausgangsstoffe gemeinsame Merkmale des neuen<br />

Stoffes werden. Eine allgemeine Wesensdefinition entspringt aber nicht<br />

aus dem Vergleich der Merkmale, sondern ursprünglich aus der<br />

Charakteristik des Conatus des Wesens der ästhetischen Erscheinung. 22<br />

22 Zimmermann versteht die Dynamik zwischen einmal mißlungenen und einmal<br />

gelungenen Ausgleich als Grund der Bewegung des Geistes. Die beiden hier in Folge<br />

gegebenen Zitate zeigen nochmals, wie Zimmermann zwischen Geistmetaphysik<br />

und rationaler Psychologie im Sinne Kants unentschieden hin und herschwankt:<br />

»Das System der harmonischen Ausgleichung räumt nicht nur innerhalb des<br />

gesammten ästhetischen Vorstellens alle bloss scheinbaren Harmonien aus dem<br />

Weg, sondern rundet dasselbe zu einem mehr als befriedigenden, zu einem<br />

wohlthuenden Abschluss ab. Dasselbe erscheint nicht nur bewegt, sondern beseelt,<br />

nicht nur beseelt, sondern durchgeistigt, nicht nur durchgeistigt, sondern vom Geist<br />

des Harmonischen erfüllt. Das Bild scheint zu athmen [...] als wenn es von Innen<br />

heraus von dem Hauche des Wohlgefälligen belebt und regiert würde, d.h. sich<br />

selbst regierte. Dem Subjekt tritt es als Objekt, dem Ich wie ein zweites Ich, dem<br />

Beseelten als Beseeltes, dem Bewußten als Bewußtsein gegenüber, keiner Hilfe<br />

bedürftig und keine beanspruchend, eine Welt, getragen und sich selbst tragend, ein<br />

geschlossenes lebendiges, sich selbst bauendes Ganzes.« [Ästhetik, § 181]<br />

»Zwar ist wie die Beseelung des Bildes überhaupt, so auch seine Geistbeseelung nur<br />

Schein [...] Aber dieser Schein ist unwillkürlich und nothwendig, er entspringt [...]<br />

aus dem Umstande, dass der Geist für die Veränderung, die mit dem Bilde vor sich<br />

geht, indem an die Stelle des Scheinbildes das wahre Bild tritt, eine Ursache sucht,<br />

und diese, da er sich genöthigt findet, das Scheinbild zurückzunehmen, in das<br />

Nöthigende, d.h. in das Bild selbst verlegt. Die Erhöhung des Eindruckes ist nur die<br />

Folge des voraus-gegangenen Scheines des Gegentheiles; da aber die Ursache der<br />

Aufhebung des Scheines einmal in das Bild verlegt worden ist, so wird nun auch<br />

diesen die Folge als beabsichtigter Erfolg, d.i. als Zweck unter-geschoben, zu dessen<br />

Erreichung der Schein des Gegentheiles hervorgebracht wurde, es wird nicht nur<br />

Ursache, sondern zwecksetzende, bewußte Ursache, Geist in das Bild gelegt.«<br />

[Anthroposophie, § 292]


— 1214 —<br />

Untergründig macht sich hier die Schwierigkeit der Anschaung, daß von<br />

Kant immer schon »Eine Anschauung« auf einen einzelnen Gegenstand<br />

hingeordnet wird, und somit der »Räumlichkeit« gegenüber der<br />

»Räumigkeit« (Descartes) Kant nicht anders als über die reine Sinnlichkeit<br />

gerecht werden kann, nochmals bemerkbar.<br />

e) Der in logischer Hinsicht erweiterte Inbegriff und die möglichen<br />

Formen des transzendentalen Syllogismus<br />

Die Möglichkeit, den transzendentalen Obersatz (formal als disjunktiver<br />

Vernunftschluß eingeführt) grammatikalisch zu rekonstruieren, bedeutet<br />

auch, daß das Verhältnis von »Inbegriff aller Realität« und »All der<br />

Realität« den Ursprung des Problems in der Analogie des<br />

transzendentalen Syllogismus zum System der Vernunftschlüsse darstellt,<br />

worauf Kant sein System der Vernunftideen (jeweils als psychologische,<br />

kosmologische, theologische Idee) aufgebaut hat. — Zur inneren Kohärenz<br />

der Aussagen Kants über das System der Vernunftschlüsse habe ich früher<br />

näheres gesagt. Hier steht die behauptete logische Analogie von<br />

Allgemeinbegriff (Gattungsbegriff) und Inbegriff überhaupt zur<br />

Diskussion, deren Fazit nur sein kann, das aus einer solchen Analogie<br />

ohne Erfahrung nicht weiter aufs Allgemeine geschlossen werden sollte,<br />

da mit ihr nicht bloß verschiedene sondern disparate Verhältnisse zu<br />

umfassen versucht werden könnte (Leibniz).<br />

Wohl aber kann zwischen verschiedenen Inbegriffen, als Mannigfaltigkeit<br />

von Typikalität verstanden (Max Weber), jeweils ein allgemeines<br />

Besondere hergestellt und unterschieden werden; so etwa die typische<br />

süddeutsche Kleinstadt mit mittelalterlichen Kern, oder das typische<br />

Erscheinungsbild einer von der Stahl/Kohle-Industrie geprägten urbanen<br />

Landschaft, oder das typische Bild einer europäischen Großstadt in der<br />

Zwischenkriegszeit, etc.. Hier läßt sich intensional durchaus von<br />

Einteilung oder Einschränkung des Einbildungs- bzw. Vorstellungsraumes<br />

sprechen. In der eidetischen Reduktion ergibt sich für Husserl ein ganz<br />

ähnliches Problem, die Allgemeinheit und die Individualität des logischen<br />

Wesens in einer gemeinsamen und zugleich vereinzelbaren Evidenzform<br />

darzustellen (Vgl. Carnaps und Poppers Auffassungsunterschied in der<br />

Frage des individuellen und allgemeinen Gebrauchs von Begriffen).<br />

Schließlich muß Husserl alle transzendentalphänomenologischen Ansätze<br />

resubjektivieren, was aber eben schon abstrakt die Beziehbarkeit der


— 1215 —<br />

Vorstellungen auf Verhältnissen zwischen Individuuen und Objekte, somit<br />

auch allgemein-unbestimmt auf Verhältnisse zwischen Objekte, impliziert;<br />

auch wenn sich nach der transzendentalen Kritik daraus keine<br />

ontologischen Wahrheiten herausheben lassen. Vielmehr bedeutet das, wie<br />

gezeigt, die Erweiterung der Arten von Interpretationen des<br />

Wesensbegriffes bis hin zum durchschnittlichen Idealbegriff Max Webers,<br />

der nicht bloß kollektiv zusammenfaßt, sondern die Verschiedenheiten<br />

(auch Disparatheiten) zum durchschnittlich zu erwartenden Ensemble<br />

zusammenstellt, und darin erst ihr Substrat fingiert. — Ich halte das für<br />

einen Nachweis, daß die logischen Definitionen des Wesensbegriffes —<br />

gemäß der Umrisse der Darstellung im Ideal der reinen Vernunft und zum<br />

obersten Grundsatz aller analytischer Urteile — doch zu einer erkennbaren<br />

Ähnlichkeit mit dem Inbegriff, der kollektiv zusammenfaßt, fähig sind,<br />

indem das wesentliche Prädikat einfach konventionalistisch als Titel einer<br />

vereinbarten Zusammenstellung oder Liste von Merkmalen behandelt<br />

werden kann. So beschreibt Kant schon in § 12 der Deduktion unter dem<br />

Titel des transzendentalen Ideals die qualitative Einheit eines Begriffes<br />

vom Objekt als Thema einer Fabel oder als raphsodische<br />

Zusammenfassung. Insofern muß von Kant zwar letztlich doch (und<br />

vermutlich entgegen seinen eigenen Erwartungen einer dialektischen<br />

Überlegung) die Möglichkeit eingeräumt werden, von einer Analogie des<br />

disjunktiven Vernunftschlusses zum transzendentalen Syllogismus (der<br />

Inbegriff aller Realität — als entis realissimi — im transzendentalen<br />

Obersatz und das All der Realität — Inbegriff aller Prädikate überhaupt —<br />

im Untersatz) zu sprechen; ein eigener Nachweis für allfällige weitere<br />

Schlußfolgerungen kann damit ebensowenig wie bei der Erörterung<br />

anderer Kombinationsmöglichkeiten erfolgen: Es bleibt doppeldeutig, wie<br />

der Ausdruck »All der Realität« (auch die selbst doppeldeutige omnitudo<br />

realitatis) zu verstehen sei; und es bleibt wegen der Doppeldeutigkeit der<br />

omnitudo realitatis weiterhin doppeldeutig, wie, abgesehen von formalen<br />

und rein logischen Fragen das »All der Realität« den Inbegriff aller Realität<br />

zwecks Einteilung der logischen Sphäre gemäß der logischen Regel des<br />

disjunktiven Vernunftschlusses im transzendentalen Obersatz so einfach<br />

ersetzen kann: Ob das »All der Realität« nun als omnitudo realitatis oder<br />

nur als »Inbegriff aller Prädikate der Dinge überhaupt« bezeichnet werden<br />

kann, bleibt ebenso völlig offen, wie die Frage, ob der »Inbegriff aller<br />

Prädikate« oder doch das »All der Realität« die bessere Übersetzung des<br />

ens realissimum sei, oder, weil letzteres wesentlich kein Teilbegriff von


— 1216 —<br />

omnitudo realitatis sein kann, All der Realität und Inbegriff aller Prädikate<br />

etwas vom ens realissimum verschiedenes bedeuten muß.<br />

Zieht man aber im Dunkel der Unklarheiten an Stelle der omnitudo<br />

realitatis zuerst die Umformulierung des All der Realität zum Inbegriff<br />

aller Prädikate der Dinge überhaupt heran, ergeben sich zwei<br />

Möglichkeiten, wovon die erste und logisch stärkere gleich die Bildung des<br />

transzendentalen Syllogismus verhindert: Wird behauptet, ein Inbegriff<br />

läßt sich nicht einteilen, so bleibt diese Überlegung gleich zu Beginn<br />

stecken. Hat man sich aber überzeugen lassen, daß sich ein Inbegriff<br />

prinzipiell sehr wohl einteilen läßt, doch aber nicht nach einer allgemeinen<br />

und für alle Fälle voraussetzbaren Regel, dann kann man daran gehen, den<br />

Inbegriff aller Realität und den Inbegriff aller Prädikate der Dinge<br />

überhaupt nach ihrer möglichen Äquipollenz zu untersuchen. Man sieht<br />

sich aber sofort einem schon bekannten Problem gegenüber: Es ist nicht<br />

mit völliger Sicherheit zu entscheiden, ob nicht ursprünglich schlechthin<br />

von einem Inbegriff aller Prädikate überhaupt die Rede sein sollte, und der<br />

Inbegriff aller Prädikate der Dinge überhaupt nicht schon die bekannte<br />

Einschränkung der Vielheit auf Allheit hinter sich hat. Einerseits ist es aber<br />

zweifellos doch so, daß, soll von der »Allheit der Realität« ausgegangen<br />

werden, nur die Vielheit in Frage zu kommen scheint, setzt man voraus,<br />

daß »Allheit der Prädikate« eben bereits kategorial die logische<br />

Einschränkung der Vielheit zur Allheit bedeutet. Damit wäre aber die<br />

Operation der Ersetzung auch schon gescheitert. Jedoch ist es andererseits<br />

auch wieder so, daß diese Einschränkung der Vielheit auf Allheit nur<br />

durch die selbst abstrakt-unbestimmte Möglichkeit von Prädikaten, eine<br />

deictische (intentionale) Beziehung auf gedachte oder wirkliche Dinge zu<br />

unterhalten, geschehen konnte, sodaß eigentlich nicht notwendigerweise<br />

eine neue Qualität hinzu kommen müßte, ohne daß deshalb schon ein<br />

weiteres qualitatives Prädikat mit der nämlichen analytisch<br />

heraushebbaren Zuordenbarkeit grundsätzlich ausgeschlossen wäre. So<br />

gesehen, müßte unter der Einschränkung der Vielheit zur Allheit nicht<br />

auch notwendigerweise eine Änderung des Bedeutungsumfanges im Sinne<br />

des transzendentalen Inhalts verstanden werden, wenn die Beziehbarkeit<br />

auf Dinge nur analytisch herausgehoben worden wäre. Also nur unter der<br />

angezogenen Voraussetzung, es gäbe keine Änderung im<br />

Bedeutungsumfang, und der Unterschied der beiden Fassungen des<br />

Inbegriffs (aller Realität, aller Prädikate) ausschließlich in der formalen<br />

Einteilbarkeit liegt, die in der Version des Inbegriffs aller Prädikate der


— 1217 —<br />

Dinge überhaupt als Idee der Distribution eines Merkmals gegeben ist,<br />

dann muß dieser nur mögliche qualitative Unterschied in der Totalisierung<br />

der Abstraktion zunächst gerade für den Inbegriff aller Realität<br />

verschwinden oder einfach irrelevant sein, da es dann nur mehr um die<br />

Totalität der Realität gerade allein in Hinblick auf den transzendentalen<br />

Inhalt geht (Begriff vom existierenden einzelnen Wesen — principium<br />

individuationis). Insofern dürfte in dieser allgemein logischen<br />

Entschränktheit der Termini behauptet werden, daß der Inbegriff aller<br />

Realität mit dem Inbegriff aller Prädikate (gleich welcher Fassung)<br />

transzendentallogisch ident ist. Damit wären die beiden Inbegriffe auch<br />

zum Mittelbegriff eines Syllogismus tauglich. Genau diese Voraussetzung<br />

ist aber in der reinen Spekulation auf mögliche Totalität bereits immer<br />

schon gegeben. Allerdings ist dann das ens realissimum im Sinne des<br />

einzigen Beweisgrund Gottes oder im Sinne der nachfolgenden<br />

Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises kein Teilbegriff des<br />

omnitudo realitatis.<br />

Mit dem gleichen Recht kann auch behauptet werden, daß der Inbegriff<br />

aller Realität, gerade weil er sich ausschließlich auf die Totalität des<br />

Umfanges des möglichen transzendentalen Inhalts als Position bezieht,<br />

sicherlich abstrakter sein muß als der Inbegriff aller Prädikate, der schon in<br />

dieser auf Vielheit bezogenen Version die qualitative In-sich-<br />

Verschiedenheit aller möglichen transzendentaler Inhalte (nach Position<br />

und nach Qualität: quaeitas) analytisch mit der expliziten Beziehbarkeit<br />

auf Dinge in der Kategorie der Allheit hinter sich hat. Vollends wird dieser<br />

Unterschied an Abstraktheit des Umfanges deutlich, wenn man den<br />

Inbegriff aller Prädikate der Dinge überhaupt selbst in Betracht zieht: da ist<br />

dann schon die Idee der methodischen Zuschreibbarkeit ausdrücklich<br />

geworden. Mit diesem einwandfrei feststellbaren Unterschied der<br />

Abstraktheit der Inbegriffe kann nun, freilich völlig unbestimmt-abstrakt<br />

und rein formal, auch ein analoger Unterschied von Umfängen an<br />

Allgemeinheitsgraden nach dem Vorbild von Art und Gattung konstruiert<br />

werden. Damit könnte aber mit Sicherheit ein allgemeiner Syllogismus<br />

nach Barbara konstruiert werden, während zuvor anhand der Bestimmung<br />

der Inbegriffe als transzendentallogisch ident und als mögliche<br />

Mittelbegriffe sowohl Barbara wie auch der partikuläre Syllogismus in<br />

Frage kämen. — Mit diesem abstrakt konstruierten Syllogismus können<br />

weitere inhaltliche Fassungen des transzendentalen Syllogismus<br />

hergestellt werden: Z. B., würde der Inbegriff aller Realität im


— 1218 —<br />

transzendentalen Obersatz als Unvordenkliches interpretiert werden, das<br />

All der Realität im Untersatz als ens realissimum im transzendentalen und<br />

logischen Vergleich mit dem Ding stehen (hier wiederum die Unklarheit<br />

zwischen wesentlichen Prädikaten und Merkmalsprädikaten), sollte im<br />

Schlußsatz das einzelne Ding (ectypa) entspringen.<br />

Im Vierzigster Brief von Spinoza an N. N. vom 10. April 1666 ist zu lesen:<br />

»Ein Wesen, das sein Dasein notwendig in sich enthält, muß folgende<br />

Eigenschaften haben: 1. Ewigkeit, 2. Einfachkeit, 3. Unendlich, nicht<br />

begrenzt, 4. Unteilbar, 5. Vollkommenheit, 6. Dieses Wesen muß einzig sein,<br />

und kann Gott genannt werden.« (S. 137) Wie die Einfachheit und<br />

Unteilbarkeit zu verstehen sei, wird gerade von Kant kritisch diskutiert;<br />

hier ist die Unendlichkeit und Unbegrenztheit Gottes von Bedeutung, die<br />

auf den quantitativen Aspekt der Spekulation auf Totalität aufmerksam<br />

macht, was Kant an dieser Stelle vernachläßigt. Es ist in dieser Hinsicht die<br />

Frage zu stellen, ob gilt:<br />

Ens realissimum ist unendlich<br />

Omnitudo realitatis ist unendlich<br />

Oder gilt:<br />

Ens realissimum ist unendlich<br />

Omnitudo realitatis ist endlich<br />

Im ersten Fall ist noch nicht klar, ob damit auch schon die Fassung, die für<br />

den transzendentalen Syllogismus tauglich wäre, identifiziert werden<br />

kann, da nach Cantor Unendlichkeit und Unendlichkeit erst hinsichtlich<br />

ihrer Mächtigkeit verglichen werden müssen. Zunächst scheint klar, daß<br />

das ens realissimum von unendlich größerer Mächtigkeit sein muß als das<br />

omnitudo realitatis. Doch dieser Vergleich ist nicht einfach zu führen, da<br />

nicht klar ist, anhand welcher Merkmale die Mächtigkeiten verglichen<br />

werden sollen. So wäre es vielleicht möglich, daß an Mannigfaltigkeit das<br />

omnitudo realitatis das ens realissimum gemäß des Leibnizianischen<br />

Grundsatzes der sich immer mit sich selbst unähnlicher werdenden<br />

Materie, um das mögliche Maximum der Erfüllung zu gewährleisten,<br />

schließlich sogar übertrifft (z. B. gemäß der alten Auffassung Leibnizens,<br />

daß absolute Wahrheiten nur einer endlichen Analyse bedürften). — Auch<br />

hier zeigt sich die Dialektik des Totums als bloße Unentscheidbarkeit, die<br />

auch mit einer mehrwertigen Logik nicht behebbar ist.


— 1219 —<br />

Gerade der Abstraktheit und reinen Formalität der konstruierten Umfänge<br />

von Allgemeinheit anhand bloßer Inbegriffe aber kann auch hypothetisch<br />

keine weitere transzendentalanalytische Bedeutung mehr unterlegt<br />

werden, da dann doch offensichtlich wäre, daß ein logisches Merkmal, die<br />

Allgemeinheit des Begriffes, das eine klare Distributionsregel besitzt, mit<br />

einem anderen logischen Merkmal, die Kollektivität des Inbegriffes, das<br />

gerade keine genaue durchgängig für alle möglichen Fälle gleichlautende<br />

Regel der Distribution besitzen kann, allein wegen der Allgemeinheit der<br />

Regel der metasprachlichen Vereinbarungen, wie über die Beziehung von<br />

Inbegriffen auf Mannigfaltigkeit überhaupt logisch verlässlich die Rede<br />

sein kann, selbst ein eigenen formales Merkmal der Allgemeinheit im<br />

Sinne selbst allgemein definierbarer Distributionsregeln fälschlicherweise<br />

zugeschrieben bekommen hätte. Auf diese Weise wäre nur das logische<br />

Merkmal des Allgemeinen, die geregelte Distribuierbarkeit, durch die<br />

Hintertür dem Inbegriff selbst als logisches Merkmal zugeschrieben<br />

worden, während es doch nur so ist, daß wir allgemeine logische<br />

Merkmale besitzen, wie wir über Inbegriffe im Unterschied zu<br />

Allgemeinbegriffen reden können; diese Allgemeinheit reicht aber nicht<br />

einmal zu, rein formal eindeutig zwischen Inbegriffe im Sinne der<br />

Typikalität von Max Weber oder Inbegriffe im Sinne der Kantschen<br />

Transzendentalphilosophie zu unterscheiden; dazu wird allemal noch eine<br />

transzendentallogische Reflexion benötigt. Zu guter Letzt ist der<br />

Denkmöglichkeit dieser Bestimmung des Verhältnisses der beiden in Rede<br />

stehenden Inbegriffe nach dem Vorbild von Art und Gattung schon<br />

deshalb das Fortkommen verhindert, weil Inbegriffe zwar weiter eingeteilt<br />

werden können, sogar vereinzelt Subsumtionsverhältnisse bilden können,<br />

diese aber nicht imstande sind, eindeutig voneinander abgegrenzt zu<br />

werden. Zieht man noch die eben gegebene Kritik an der völligen<br />

Abstraktheit der rein formalen Konstruktion der allgemeinen<br />

Subsumtionsverhältnisse von an sich und für sich bloß verschiedenen<br />

Graden von Abstraktheit der in Rede stehenden Inbegriffe (Inbegriff aller<br />

Realität, Inbegriff aller Prädikate) heran (ein Inbegriff ist selbst kein<br />

Gattungsbegriff, mag es auch Gattungbegriffe in Sinne von logischen<br />

Klassen von Arten konkreter Inbegriffe geben), und vergewissert man sich<br />

nochmals, daß im Zusammenhang des transzendentalen Obersatzes mit<br />

dem Untersatz sinnvollerweise nach einem Mittelbegriff zu suchen ist,<br />

kann mit hinreichender Gewißheit entschieden werden, daß derjenige<br />

Vergleich der fraglichen Inbegriffe, welcher darauf hinausläuft, direkt ein<br />

Subsumtionsverhältnis zu konstruieren, letztlich die Sphäre der


— 1220 —<br />

Informiertheit, gleich welcher Fassung, und sei sie nun selbst wieder<br />

gegenüber dem ens realissimum die Erfüllung des ersten Prinzips der<br />

durchgängigen Bestimmung mittels Prädikate, mit eben dem ens<br />

realissimum in Verwechslung gerät, was zur Folge hat, daß das ens<br />

realissimum als Teilbegriff des omnitudo realitatis in Verdacht kommt. —<br />

Hier zeichnet sich die nämliche Struktur durch, die seit der<br />

Unterscheidung der qualitativen Einheit eines Begriffs vom Objekt (§ 12<br />

der Deduktion) als Allheit und dem Begriff vom einzelnen Gegenstand als<br />

Teilbegriff bekannt ist.<br />

6. Die logische Methode zur Bestimmung der existierenden<br />

Idee ist nicht nur analytisch oder synthetisch<br />

a) Die Einzelheit des Konzepts und der Begriff vom einzelnen<br />

Gegenstand<br />

Kant zieht bei der Entwicklung der Positionen von Allheit<br />

(Durchbestimmung eines Dinges mittels Prädikate), Allgemeinheit<br />

(Durchbestimmung des Begriffes mittels einer Idee), transzendentales<br />

Ideal (Durchbestimmung des Begriffes mittels eines Begriffes),<br />

transzendentaler Obersatz als omnitudo realitatis, als Sphäre der<br />

Möglichkeiten, ens realissimum und prototypon transcendentale als<br />

existierendes Urbild und ens originarium (summum, entis) verschiedene<br />

Methoden heran.<br />

Im ersten Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines Dinges mittels<br />

Prädikate (Einschränkung der Menge aller möglichen Prädikate auf ein<br />

Ding überhaupt ergibt Allheit, Teilung der Sphäre der Prädikate nach dem<br />

prinzipium contradictionis im logischen Vergleich ergibt die prädikative<br />

Durchbestimmung, worin auch die Existenzbestimmung enthalten sein<br />

muß) wird sowohl der Horizont der Aussage eines einzelnen Satzes wie<br />

auch der Horizont einer aktuellen Anschauung überschritten:<br />

»Es ist der Grundsatz der Synthesis aller Prädikate, die den vollständigen<br />

Begriff von einem Dinge machen sollen, und nicht bloß der analytischen<br />

Vorstellung, durch eines zweier entgegengesetzter Prädikate, und enthält<br />

eine transzendentale Voraussetzung, nämlich die der Materie zu aller<br />

Möglichkeit, welche a priori die Data zur besonderen Möglichkeit jedes<br />

Dinges enthalten soll.


— 1221 —<br />

Der Satz: alles Existierende ist durchgängig bestimmt, bedeutet nicht<br />

allein, daß von jedem Paare einander entgegengesetzter gegebenen,<br />

sondern auch von allen möglichen Prädikaten ihm immer eines zukomme;<br />

es werden durch diesen Satz nicht bloß Prädikate unter einander logisch,<br />

sondern das Ding selbst, mit dem Inbegriffe aller möglichen Prädikate,<br />

transzendental verglichen.« 23<br />

Zur Vorstellung eines Dinges überhaupt muß erstens der Horizont der<br />

logischen Struktur eines einzelnen einfach prädikatisierenden Satzes, der<br />

dem Ding mittelbar über das Satzsubjekt ein Prädikat zuschreibt, verlassen<br />

werden; es geht offenbar um den Begriff des Dinges, der zweitens<br />

ebenfalls die aktuell gegebenen Prädikate übersteigt, indem Kant die bloß<br />

möglichen Prädikate in die Selektion der Prädikate zum Begriff des Dinges<br />

im transzendentalen Vergleich des Dinges mit dem Inbegriff möglicher<br />

Prädikate und auch in den Auschließungskriterien zum Begriff vom<br />

einzelnen Gegenstand als Ideal der reinen Vernunft miteinbezieht. Damit<br />

muß ein Grund zur Existenzbehauptung der Möglichkeit nach schon vor<br />

dem transzendentalen Vergleich des Dinges mit dem Inbegriff aller<br />

möglichen Prädikate und vor jeder anderen Art der Teilung der Sphäre der<br />

Allheit der Prädikate mit dem principium contradictionis analytisch<br />

enthalten sein; unabhängig davon wird durch diese jeweilige Teilung der<br />

Menge der Prädikate eines Dinges in eine Doppelmenge entgegengesetzter<br />

Prädikate die Existenz dieses Dinges in der Apperzeption auf ein qualitativ<br />

näher bestimmbaren Begriff vom Ding (eines besonderen Dinges)<br />

spezifiziert.<br />

Im zweiten Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines Begriffes vom<br />

einzelnen Gegenstand durch die Idee kann es sich also nur um ein<br />

besonderes Ding handeln. Zweierlei ist hier verknüpft: Erstens in<br />

qualitativer Hinsicht eine weitere Einschränkung der Allheit nach einem<br />

strengeren Kriterium, die bekanntlich selbst erst aus der Einschränkung<br />

der Vielheit durch die Beziehbarkeit der Vorstellungen als Prädikate eines<br />

Dinges entstanden ist. Diese weitere Einschränkung soll nun nicht nach<br />

dem Besonderen des Allgemeinen geschehen, als daß das Besondere im<br />

Vergleich der Dinge untereinander nur eine Art von vielen konkreten<br />

Dingen zusammenfaßt, sondern in der Notwendigkeit eines oder gewisser<br />

Prädikate für je diese Art von Ding liegen. Allerdings benötigt schon die<br />

erste Einschränkung der Vielheit zur Allheit ein besonderes abstraktes<br />

23 K. r. V., B 600 f./A 572 f.


— 1222 —<br />

Merkmal, was man auch als eine Art von höherstufigem Prädikat<br />

bezeichnen könnte: nämlich auf ein Ding (einzelner Gegenstand oder<br />

Konzept) oder auf eine Klasse von Dingen (Mehrzahl oder Menge)<br />

beziehbar zu sein. Die Besonderheit liegt hier also bereits in der<br />

intendierten Einzelheit von Beginn an zu Grunde, und ist selbst nur eine<br />

analytisch herausgehobene Eigenschaft des Konzeptes. Allerdings<br />

beinhaltet diese Heraushebung zugleich eine Transferierung in einen<br />

anderen Topos: Was zuerst nur die abstrakte Bestimmtheit der Idee zur<br />

Identität als Konzept unabhängig von jedem Ding bedeutet hat, wird nun<br />

zur Eigenschaft eines Dinges im Begriff vom einzelnen Gegenstand. — Es<br />

wird also im Begriff vom einzelnen Gegenstand als Ideal der reinen<br />

Vernunft zum ersten Mal die Einzelheit eines Dinges im Gegenstand<br />

explizit gedacht.<br />

Es liegt aber auch das Antecedens der Allheit der Prädikate (inhaltlich:<br />

zuerst nur irgendein besonderes Merkmal) im nur formal allgemeinen<br />

Prinzip des zureichenden Grundes, daß Prädikate überhaupt auf Konzepte<br />

und auf Dinge bezogen werden können. Das Konzept des Prädikats ist<br />

nun, ein Merkmal auszusagen, daß auf etwas außer sich bezogen werden<br />

muß. Insofern vermag die Dinghaftigkeit, oder das Etwas-sein gar nicht<br />

vollständig im Prädikat-sein enthalten sein, sondern verflüchtigt sich zum<br />

logischen Gegenstand einer Intention des urteilenden Verstandes in die<br />

Allgemeinheit der rein formalen Definition, die offenbar nicht die<br />

kollektive konkrete Bestimmung einer Menge von Dingen sein kann. Die<br />

allgemeine Besonderheit des Konzeptes eines Prädikates liegt im<br />

Aussagen, und nicht im Sein des Merkmals oder dessen weiteren<br />

Eigenschaft, anhand der Art und Weise des Gegebenseins des Merkmals<br />

Rückschlüsse über die Seinsweise des Dinges als das etwas des vom<br />

Prädikat ausgesagten Merkmals zu machen. Hier nun aber liegt der<br />

zureichende Grund darin, daß Prädikate auf Konzepte und auf Dinge<br />

bezogen werden können. Damit erscheint das Ding in seiner Seinsweise<br />

insofern in aller Unbestimmtheit als bereits vorbestimmt, als daß das Ding<br />

damit von der bloß logischen Gegenständlichkeit einer Intention ein erstes<br />

Mal unterscheidbar wird. Genau dieser Unterschied soll, um das<br />

Allgemeine allgemein auszudrücken, vom zureichenden Grund einer<br />

jeden wahren (formal: entscheidbaren) Aussage begründet werden. Das<br />

verlangt die kontinuierliche Bestimmbarkeit der Art und Weise des<br />

Gegebenseins, aber ohne etwas über die konkrete Bestimmbarkeit des<br />

Gegebenen zu sagen. Derart »gibt es« eben dann auch einen zureichenden


— 1223 —<br />

Grund dafür, daß das Wesen des Prädikat-seins darin liegt, ein Merkmal<br />

auf etwas außer sich zu beziehen. Das ist auf zwei Wegen zu zeigen: (1)<br />

Ein Merkmal ist nicht selbst ein Konzept, sondern ein Element eines<br />

Konzeptes oder eine Eigenschaft eines Dinges, (2) Das Prädikat-sein ist<br />

nicht selbst ein Merkmal, sondern ein Konzept, ohne Eigenschaft eines<br />

Dinges oder Konzept eines Dinges zu sein, sein zu können. Derart »gibt<br />

es«, ohne über die Art und Weise des Gegebenseins etwas anderes als<br />

allgemeine, abstrakt bleibende, Bestimmungen auszusagen, bereits einen<br />

Ausgang aus der reinen Formalität der Spekulation. Das Prädikat-sein ist<br />

Konzept des Aussagens und selbst Element eines Konzepts des Aussagens.<br />

Am Konzept vom Prädikat wird ein etwas ohne Ding ersichtlich, am<br />

Konzept des Dinges sowohl die Einzelheit wie die Vielheit der Konzepte;<br />

und zwar unabhängig von der Vielheit der Dinge. Insofern hat sich auch<br />

die Gelegenheit ergeben, die Entwicklung des Gedankenganges als<br />

fortschreitende analytische Heraushebung der Verbindung von Konzept<br />

einerseits und von Einzelheit und Vielheit andererseits darzustellen.<br />

Im Begriff vom einzelnen Gegenstand geht es nun nicht um die<br />

Vollständigkeit der prädikativen Bestimmung eines Dinges, sondern um<br />

die wesentlichen Prädikate (womöglich um das wesentliche Prädikat)<br />

eines Dinges, das aktuell als einzelner Gegenstand gegeben sein kann.<br />

Dieses wesentliche Prädikat habe ich logisch-grammatikalisch mit dem<br />

Teilbegriff im ersten Abschnitt »Grund und Ganzes«, dessen Vorstellung<br />

den ganzen Gegenstand vorstellt, identifiziert. Damit wird einer der<br />

möglichen Teilbegriffe des möglichen ganzen Begriffes durch das erste<br />

Kriterium des Ideals der reinen Vernunft (der Begriff vom einzelnen<br />

Gegenstand), daß kein Prädikat aus einem anderen abgeleitet sein dürfe,<br />

ausgezeichnet, da ansonsten verschiedene Teilbegriffe des selben<br />

Gegenstandes äquipollent sein können (Wechselbegriffe). Diese Regel<br />

dürfte aber nur im Rahmen der Subsumtionslogik nach Gattung und Art<br />

stark gelten (ansonsten Überlappungen oder unzusammenhängende oder<br />

nicht regelmäßig einbeziehbare Charakteristika). Es ist also zwischen dem<br />

Gegebensein der Prädikate und der Art des Hervortretens der Dinge zum<br />

Gegenstand zu unterscheiden. Dieser schon in der Bestimmung der Allheit<br />

bemerklich werdende Unterschied wird im Begriff vom einzelnen<br />

Gegenstand analytisch herausgehoben, und abstrakt und allgemein zur<br />

Bestimmung dieses Begriffes durch eine Idee erklärt. Demnach muß eine<br />

Idee, zumindest aber diese Idee vom logischen Wesen, ursprünglich auf<br />

einen Gegenstand bezogen sein und zugleich das universale Konzept des


— 1224 —<br />

Gegenständlichen beinhalten. Es ist also mit Kant die Frage zu stellen, ob<br />

eine solche Idee nicht logische, sondern vielmehr dialektische Idee, also<br />

Idee von der Dialektik heißen müßte. Die Kritik dieser Dialektik wird aber<br />

nichts weiteres zu Tage bringen, als daß die transzendentalen Ideen der<br />

reinen Vernunftbegriffe zwar auf die Einschränkung der Vernunft nach<br />

den Analogien der Kategorien des empirischen Verstandesgebrauches<br />

beruhen, und es sich bei der Eigenschaft der Vernunftideen, sich nicht<br />

unmittelbar auf Gegenstände beziehen zu lassen, eine Folge dieser<br />

Einschränkung handeln wird (also nicht ursprünglich ist), es aber<br />

nunmehr auf die Form der Ideen der Vorläuferin der reinen Vernunft<br />

ankommt.<br />

b) Idea est conceptus archetypus: Die ganze und einzige Vorstellung<br />

vom Objekt.<br />

Demgegenüber ist die Diskussion weiterzuführen zwischen dem<br />

Beweisgrund Gottes und Refl. 2835:<br />

»Idea est conceptus archetypus, enthält den Grund der Möglichkeit des<br />

obiects. [I] Sie ist die Vorstellung des Gantzen, durch dessen<br />

Einschränkung andere werden. Sie ist eine eintzige (vom obiect), alles<br />

verschiedene ist bloß die limitation desselben; e.g. ens realissimum ist die<br />

transzendentale Idee. [II] Sie läßt sich niemals in concreto denken, sondern<br />

geht aller Beurtheilung in concreto zuvor. [III]« 24 (AA. XVI, p. 537)<br />

(I) »idea est conceptus archetypus« setzt die Ideenlehre in den Prius;<br />

demgegenüber behauptet das ens realissimum mit der Erfüllung der<br />

Totalität des conceptus archetypus die ganze Realität. Die Idee aber enthält<br />

den Grund der Möglichkeit des Objekts, ganz wie in § 12 der Deduktion,<br />

wo Kant das Substrat der qualitativen Einheit des Begriffs vom Objekt<br />

nicht im Objekt, sondern im Begriff sieht. Das entspricht konsequent der<br />

nämlichen transzendentalanalytischen Haltung, weshalb Kant<br />

üblicherweise das Existenzprädikat den Vorstellungen und nicht den<br />

Dingen zuschreibt. Insgesamt sieht man trotzdem auch hier, daß Kant vom<br />

Erkenntnisgrund ausgeht und derart auch seinen in den Kritiken forcierten<br />

transzendentalen Idealismus durchgängig durchhält. Die Möglichkeit des<br />

Objekts als Sinnesobjekt wird hier nun gar nicht behandelt; Kant behandelt<br />

allein den Grund der Möglichkeit des Objekts als Erkenntnisgrund und<br />

bleibt so erkenntnisidealistisch. Das Objekt ist also auch hier nichts als ein<br />

24 AA. XVI, p. 537


— 1225 —<br />

Gedankending des Verstandes, obgleich auch selbst in dynamischer<br />

Verknüpfung entstanden, und nicht bloß als Gefäß zu denken, worin die<br />

ganze Sinnlichkeit nur passiv Gestalt annimmt.<br />

(II) Die Idee wird als Vorstellung zweifach charakterisiert: als Vorstellung<br />

vom Ganzen und als »einzige« Vorstellung vom Objekt; letzteres heißt<br />

wohl soviel wie, daß sie eine universale Vorstellung des Objekthaften an<br />

sich sein soll. Insgesamt bleibt mit dieser zweifachen Charakterisierung<br />

aber offen, was genau damit vorgestellt wird, wenn man diese<br />

Bestimmungen zusammen denkt. Soll das einzelne Objekt als Ganzes<br />

vorgestellt oder gedacht werden (a), oder soll das Ganze als einzelnes<br />

Objekt hypostasiert werden (b)?<br />

(a) Die Idee ist als ungesättigter Satz (Descartes) zu betrachten wie auch als<br />

möglicher ganzer Begriff (Kant). Der nur der Möglichkeit nach ganze<br />

Begriff muß progressiv als vervollständigbar gedacht werden oder kann<br />

durch die Komplementierung von Wesensprädikate und<br />

Merkmalsprädikate, schließlich durch ein System von Teilbegriffen erst als<br />

mögliches Ganzes überhaupt gedacht werden. Insofern wird die<br />

Schwierigkeit zwischen Descartes (Idee ist ein Satz) und Kant (Idee ist ein<br />

Begriff) keine unüberwindliche sein, weil alle Entwicklungen, wie ein<br />

möglicher ganzer Begriff zu erreichen, letztlich überhaupt methodisch<br />

ausgewiesen zu denken möglich sei, mehr oder weniger deutlich auf die<br />

Entwicklung von Satzsystemen hinauslaufen. Der mögliche ganze Begriff<br />

kann als endloser Progressus oder Regressus, und auch als abschließbar<br />

gedacht werden, allerdings ohne selbst implizite einen Grund für die<br />

Aufhebung der Möglichkeit weiterer Anreicherung mitzubringen. Die<br />

relative Abschließbarkeit ergibt sich jeweils dann, wenn letztlich alles<br />

Material der Erfahrung koordiniert (widerspruchsfrei) unter den Begriff<br />

subsummiert werden kann; demnach ist der Grund eines Abschlusses ein<br />

doppelter: empirisch und formal. Die Idee als ungesättigter Satz, oder<br />

gleich wie in Bolzano’s Vorstellung, als System von Sätzen mit einen oder<br />

mehreren ungesättigten Sätzen betrachtet, kann dann als prinzipiell<br />

abschließbar betrachtet werden, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:<br />

Erstens muß das Satzsystem inhaltlich wie relational begrenzbar sein, ohne<br />

Widersprüche zu erzeugen, zweitens muß das Verhältnis von Satzsubjekt<br />

und Satzprädikat eindeutig grammatikalisch definierbar sein, sodaß die<br />

semantische Auswirkung des Inhalts des Satzsubjekts auf den Inhalt des<br />

Prädikates ausgeschlossen, oder als vernachlässigbar betrachtet werden<br />

kann. Unter diesen Voraussetzungen kann der ungesättigte Satz als eine


— 1226 —<br />

bereits spezifisch auf allgemeine Grammatik eingeschränkte Sphäre der<br />

Möglichkeit (formal eingeschränkte Art von reinem Inbegriff der<br />

Möglichkeit) angesehen werden, die durch die Einsetzung in die Variable<br />

(Bolzano: Variablen) konkret als entscheidbar angesehen werden kann;<br />

insofern auf eine konkret bestimmbar gewordene, also eindeutig<br />

realisierbare Möglichkeit eingeschränkt worden ist, auch wenn formal nur<br />

die Entscheidbarkeit feststellbar geblieben ist.<br />

(b) Soll das Ganze als Objekt hypostasiert werden, dann kann dies<br />

zunächst in formaler Hinsicht nach dem Vorbild der ganzen Vorstellung<br />

des Objekts durch einen Teilbegriff (Konzept) untersucht werden.<br />

Gegenüber dem ersten Untersuchungsgang liegt also bereits eine als erfüllt<br />

oder erfüllbar zu denkende Totatlität voraus; im Vergleich zum<br />

ungesättigten Satz, der nach formal bestimmbarer Ergänzung verlangt, ist<br />

hier von der normativen Vorstellung eines gesättigten Satzes oder<br />

Satzsystems auszugehen. Das zieht unter geregelten Umständen die<br />

Entscheidung zwischen wahr und falsch, unter weiteren spezielleren<br />

Umständen die Entscheidung zwischen existierend und nicht existierend<br />

nach sich. Genau das ist aber die behauptete modale Eigenschaft aller<br />

systematischer Totalisierungen, sobald nur überhaupt eine empirische<br />

Wahrheit als mögliches Element eines solchen Totums erwiesen werden<br />

kann.<br />

Wenn das Objekt als Ganzes gedacht wird, kann es als nur möglicher<br />

ganzer Begriff dem logischen Vergleich mit der Totalität der Sphäre der<br />

möglichen Prädikate unterworfen werden (a), wenn das Ganze als Objekt<br />

hypostasiert wird, kann es aber als Teilbegriff, welcher eine ganze<br />

Vorstellung vom Gegenstand erlaubt, nur mehr dem transzendentalen<br />

Vergleich mit der Totalität des Wesens unterworfen werden. — Erst in<br />

einem nächsten Schritt werden diese Operationen auf das ens realissimum<br />

bzw. im Rahmen der transzendentalen Einschränkung der Argumentation<br />

auf Erkenntnisgründe auf den conceptus archetypus übertragen, weshalb<br />

Kant dann auch gemäß (a) behaupten kann, daß alles Verschiedene bloß<br />

die Limitation davon sein muß.<br />

(III) Der conceptus archetypus (die reine Idee) »läßt sich niemals in<br />

concreto denken, sondern geht aller Beurtheilung in concreto zuvor«;<br />

daraus ist eben zu entnehmen, daß es sich hier eigentlich nicht um ein<br />

transzendentales Ideal handelt, das in concreto und in individuo bestimmt<br />

sein muß.


— 1227 —<br />

c) Die formalontologische und die wesenslogische Betrachtung des<br />

Übergangs von der Idee zum Ideal anhand des conceptus archetypus als<br />

Urbild der Ideenlehre und der Axiomatik<br />

Logisch gesehen kann die innere Struktur einer Idee also mit der Struktur<br />

eines ungesättigten Satzes verglichen werden, die Bolzano als logische<br />

Unterscheidung zu einem logischen Satz »Vorstellung« genannt hat. Auch<br />

Descartes sieht ja die Idee durch einen Satz und nicht durch einen Begriff<br />

repräsentiert. ◊ Gleichwohl vermag ich das eben auch als Begriff im Sinne<br />

des Titels eines Schemas der Idee zu verstehen, wogegen aus modaler Sicht<br />

nichts spricht: wahre Begriffe sind nur möglich, niemals wahr im Sinne<br />

von existierend wie entsprechende — gesättigte — Aussagen. Das Objekt<br />

der Vorstellung kann aber nicht nur nach dem Vorbild des ersten<br />

logischen Prinzips der durchgängigen Bestimmung mittels Prädikate<br />

gedacht werden, denn Kant schränkt hier bewußt die Untersuchung der<br />

Idee auf die Idee selbst ein. In diesem Versuch einer Vorstellung einer Idee<br />

selbst wird jedenfalls die allgemeinste Idee des Konzepts gedacht, als<br />

würde sie alle dadurch denkbar gewordenen Konzepte schon der<br />

Möglichkeit nach koordiniert enthalten können. Kant bestätigt im<br />

Anschluß, daß es sich hier nicht um die Sphäre der Prädikate handelt, die<br />

mit den Prädikaten des Dinges verglichen werden, wie im ersten Prinzip<br />

der Durchbestimmung (Allheit), sondern bereits um den transzendentalen<br />

Vergleich des Dinges mit dem Inbegriff aller möglichen Prädikate, und das<br />

ist nun nicht ein anderer Begriff für die Sphäre aller möglichen Prädikate<br />

selbst (omnitudo realitatis), obgleich er als solcher in der äquipollenten<br />

Fassung von ens realissimum und All der Realität (omnitudo realitatis)<br />

diskutiert wird, sondern kann zuerst als Idee (idea est conceptus<br />

archetypus) nur das allgemeinste Konzept der Gegenständlichkeit sein:<br />

»Sie ist eine eintzige (vom obiect), alles verschiedene ist bloß die limitation<br />

desselben«. Die Möglichkeit der Informiertheit, als Vermögen ausgedrückt,<br />

besteht in der Entwickelbarkeit der Idee vom allgemeinsten Konzept, die<br />

den abstrakten Prinzipien einer formalen Ideenlehre oder Axiomatik<br />

gehorcht. Die Frage nach dem Ursprung eines transzendentalen Inhalts<br />

bleibt damit allerdings im Grunde ungeklärt, weil gar nicht gestellt.<br />

Folgerichtig besitzt die Erwähnung des ens realissimum als<br />

transzendentale Idee für diese abstrakte Behandlung nur Beispielcharakter.<br />

Es bleibt die Frage: Ist nun die Idee des Konzepts wegen ihrer<br />

Allgemeinheit nicht selbst konzeptuell? So ist die Welt eine Idee, weder


— 1228 —<br />

durch Konstruktion erfüllbar, noch selbst als konstruierbar denkbar, doch<br />

die allgemeine (oberste) Idee vom Dreieck als philosophischer Begriff der<br />

Geometrie beinhaltet zwar keinen konkret bestimmten<br />

Konstruktionsbegriff, aber Konstruierbarkeit (Spinoza‘s sämmtliche Werke,<br />

übersetzt vom J. H. v. Kirchmann und C. Schaarschmidt, Zweiter Band: René<br />

Descartes‘ Prinzipien der Philosophie, Verlag der Dürr‘schen Buchhandlung,<br />

Leipzig 2 1893, Einleitung, p. X, Begriff vom Dreieck enhält nicht die<br />

Konstruktionsregel eines bestimmten Dreiecks).<br />

Die abstrakte Definition jeder Idee im »idea est conceptus archetypus«<br />

definiert nun jede Idee als Konzept, und eine oberste oder allgemeinste<br />

Idee mag durch Abstraktion uns einsichtig geworden sein, doch soll die<br />

Idee selbst als Konzept verstanden werden, was auf Elemente der Idee<br />

schließen läßt. Ist deshalb auf Konstruierbarkeit im vergleichbaren Sinne<br />

zu schließen? Diese Elemente werden aber nicht als unabhängig von ihrer<br />

allgemeinen Idee zu betrachten sein, sondern durch ihren wechselseitigen<br />

notwendigen Bezug innerhalb eines Konzeptes ausgezeichnet sein, ohne<br />

das von den Beziehungen unter den Elementen selbst durchwegs<br />

Notwendigkeit behauptet werden muß, da doch das eine Element auch in<br />

einem andern Konzept eine für das jeweilige Konzept notwendige Stelle<br />

einnehmen kann. Erst durch diese Notwendigkeit für das Konzept werden<br />

auch die Beziehungen der Elemente untereinander notwendig. In der<br />

abstraktesten Idee ist nun nur diese allgemeinste Struktur von Ideen<br />

überhaupt mehr der Inhalt: conceptus archetypus. Dabei fällt der<br />

Bedeutungsumfang der Informiertheit des resolutiv entwickelten<br />

conceptus archetypus in dieser der Möglichkeit nach gedachten Totalität<br />

schließlich womöglich mit der Sphäre aller möglichen Prädikate eines<br />

Dinges überhaupt zusammen, aber nicht mit dem ganzen<br />

Bedeutungsumfang eines archetypus intellectus selbst, wie es auch hier<br />

den Anschein haben könnte. Insofern ist man wieder bei jener Variante<br />

herausgekommen, welche auch den transzendentalen Vergleich eben an<br />

der Sphäre aller möglichen Prädikate eines Dinges vornimmt (nunmehr als<br />

Elemente eines jeweiligen konkretisierbaren Konzepts), ohne an die<br />

Problematik der hier interessierenden Bestimmungsweise näher<br />

herangekommen zu sein als mit dem Übergang zur Vermögenslehre<br />

(Konstruierbarkeit), die bekanntlich nur zur einer Illustration geführt hat,<br />

deren Tragfähigkeit und Reichweite noch nicht vollends eingeschätzt<br />

werden konnte.


— 1229 —<br />

Sofern nicht eben von der Möglichkeit, im Inbegriff eines allgemeinen<br />

Dreieckes ein stumpfwinkeliges Dreieck zu denken, die Rede ist (was<br />

freilich ein Unding ist; es müßte heißen: die Möglichkeit mit diesem<br />

Inbegriff auch den Inbegriff eines stumpfwinkeligen Dreieckes<br />

widerspruchsfrei zu denken, diese Möglichkeit ist aber nicht bloß möglich,<br />

sondern notwendig), so ist Möglichkeit immer auf Wirkliches bezogen,<br />

zumindest aber auf die Möglichkeit von Wirklichen. Anders als im<br />

assymmetrischen Verhältnis zwischen Konstruktionsbegriff und Produkt<br />

(Bild) wird im Inbegriff stumpfwinkeliger Dreiecke der Inbegriff<br />

allgemeiner Dreiecke ebenso notwendig mitgedacht wie der Inbegriff<br />

stumpfwinkeliger Dreiecke im Inbegriff allgemeiner Dreiecke; der<br />

Unterschied besteht hier nur mehr im Grad der Heraushebbarkeit: Wohl<br />

kann durch Abstraktion vom Inbegriff stumpfwinkeliger Dreiecke<br />

sicherlich dem Inbegriff allgemeiner Dreiecke nähergekommen werden,<br />

doch kann der Inbegriff stumpfwinkliger Dreiecke im Inbegriff<br />

allgemeiner Dreiecke nicht ohne dem Versuch einer vollständigen<br />

Einteilung der Sphäre möglicher Dreiecke gefunden werden. Er kann nicht<br />

für sich gezielt herausgehoben werden, sondern muß seine Tauglichkeit<br />

als Inbegriff und Allgemeinbegriff einer Unterart an einem allgemeineren<br />

Prinzip der Einteilung erst erweisen (die Behandlung von Merkmalen muß<br />

hier nicht in jedem Falle unbedingt bis zum Konstruktionsbegriff<br />

fortgesetzt werden). Dieses allgemeinere Prinzip sorgt in diesem Falle für<br />

die Einteilung in stumpwinkelige, spitzwinkelige und gleichschenkelige<br />

Dreiecke zugleich, und nicht nur für die Heraushebbarkeit des Inbegriffs<br />

der stumpfwinkeligen Dreiecke, während der Inbegriff allgemeiner<br />

Dreiecke im Inbegriff z. B. stumpfwinkeliger Dreiecke allein durch<br />

Abstraktion, d. h. nicht mittels Vergleich, gefunden werden kann.<br />

Diese Verhältnisse wären nun auf die letzmögliche Abstraktionsstufe, die<br />

im conceptus archetypus erreicht ist, zu übertragen. Demnach wird ein<br />

inhaltliches Einteilungsprinzip der Idee benötigt, das die Einteilbarkeit und<br />

die Koordinierbarkeit des Eingeteilten garantiert; dieses wird mit der<br />

einzigen abstrakt-allgemeinen Charakteristik der Idee, Konzept zu sein, für<br />

diese oberste Idee auch schon selbstreferentiell gegeben, sodaß je nach<br />

interpretativer Entscheidung von Redundanz oder von resolutiver<br />

Informiertheit gesprochen werden kann. Auch ohne die möglichen<br />

Einteilungsarten der abstrakten Sphäre durchgängig bestimmen zu können<br />

(Satz von Bolzano-Weyerstrass), kann idealiter aber zumindest gesagt<br />

werden, daß alle Teile einer Einteilung wie auch alle Einteilungsarten


— 1230 —<br />

formal gleich notwendig sind. Ebenso kann vom abstrakt allgemeinsten<br />

Begriff eines Konzeptes (die abstrakte Definition der Idee) idealiter<br />

behauptet werden, er sei aus jedem der nur unbestimmt möglichen<br />

Unterarten des Konzepts durch Abstraktion wieder direkt abzuleiten.<br />

Das Stelle aus der Refl. 2835 über das ens realissimum drückt genau das<br />

aus, wohin der Versuch führt, das ens realissimum anhand der Definition<br />

der Menge möglicher Prädikate als omnitudo realitatis zu charakterisieren;<br />

dieses dann aber erst als »entschränkte Allheit« wieder auf das ens<br />

realissimum resolutiv beziehen zu können. Indem die Idee (das erste<br />

Prinzip) der durchgängigen Bestimmung eines Dinges mittels Prädikate<br />

zum Ideal gesteigert wird, wird ein Ding gedacht, dem alle Prädikate<br />

zugeschrieben werden müssen, um es in Totalität durchgängig bestimmt<br />

zu denken. Dieses Ding ist nicht mit den Dingen, die zu einzelnen<br />

Gegenständen werden können, zu vergleichen, und wird von Kant mit<br />

dem Begriff von den entis realissimi gleichgesetzt. Kant bedenkt die<br />

Ausgangssituation also nicht transzendental, er entwirft vielmehr anhand<br />

des Ideals des ersten Prinzips der Durchbestimmung eine rein spekulative,<br />

formalontologische Perspektive als Ding, dem gegenüber der Plural des<br />

ens realissimum denkbar wäre. Insofern ist die Definition des<br />

transzendentalen Ideals als ens realissimum letztlich als Versuch zu<br />

werten, das erste logische Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines<br />

Dinges mittels der Allheit der möglichen Prädikate mit dem zweiten<br />

logischen Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines Begriffes vom<br />

einzelnen Gegenstand mittels einer Idee zu vereinbaren. Das Ideal der<br />

reinen Verunft, also der Begriff vom einzelnen Gegenstand, der durch eine<br />

Idee bestimmt wird, setzt nun am logischen Wesen an, das sowohl von<br />

einem intuitus derivatus und der Form der Diskursivität ausgeht, und<br />

stellt dem »Idea est conceptus archetypus« der analytischen<br />

Verstandesmetaphysik, die von der rein formalen Untersuchung der<br />

Ideenlehre ausgeht, die wesenslogische Unterscheidung von inhaltlicher<br />

Ableitung (Merkmale ut constitutiva) und Rechtfertigung (Merkmale ut<br />

rationata) gegenüber.<br />

Doch stellt Kant mit dem »Idea es conceptus archetypus« die resolutive<br />

Informiertheit nicht als notwendig verbunden vor; so läßt sich die<br />

Identifikation der reinen Idee mit dem conceptus archetypus in der Refl.<br />

2835 (III) niemals in concreto denken, sondern geht jeder Beurteilung in<br />

concreto zuvor. Es geht einer Idee also eine Synthesis vorher, die nicht<br />

abstrakt ist, oder nichts mit der Abstraktion a posteriori zu tun hat,


— 1231 —<br />

sondern konkret genannt werden kann, obgleich die oberste, abstrakte und<br />

reine Idee als conceptus archetypus niemals in concreto gedacht werden<br />

kann. Allem Anschein nach ist diese, als konkret nur unbestimmt zu<br />

denken mögliche Synthesis dem conceptus archetypus als transzendentale<br />

Bedingung der Möglichkeit vorgängig zu denken; dieser selbst ist aber nur<br />

abstrakt zu denken möglich, weder aber dieser und auch nicht die<br />

vorgängige Synthesis vermag in concreto gedacht zu werden. Die Quelle<br />

der Informiertheit bleibt demnach jeder weiteren Einsicht verschlossen,<br />

muß aber — transzendental — immer vorausgesetzt sein, weshalb im Zuge<br />

der Totalisierung des Möglichen die Informiertheit als verdeckte<br />

Konsequenz herausspringt. Damit wird Indifferenz erzeugt zwischen den<br />

beiden Ansätzen im Kapitel über das transzendentale Ideal (prototypon<br />

transcendentale), die vollständige materiale Bedingung näher zu<br />

bestimmen; es entstand ja das Problem zweier Quellen, die zur<br />

Bestimmung des transzendentalen Inhalts gleich notwendig herangezogen<br />

werden konnten: entweder die »transzendentale Materie« als Quell aller<br />

möglichen Prädikate, oder der logische Wesensbegriff als Quell des<br />

wesentlichen Prädikats (der wesentlichen Prädikate). Dieser Aspekt<br />

verdeckt aber nur das Problem, daß letztlich darin begründet ist, daß sich<br />

Merkmalslehren nicht vollständig in Urteilslehren überführen lassen. Trotz<br />

dieser absehbaren Schwierigkeiten bleibt auch nur die Denkmöglichkeit<br />

der Abhebung der bloßen Informiertheit von den Fragen materialer oder<br />

inhaltlicher Herkunft bei Kant die Voraussetzung für weitere<br />

Untersuchungen, auch wenn von einer transzendentalen Subsumtion<br />

keinesfalls die Rede sein kann, da hier eine transzendentale Ästhetik oder<br />

ein Unternehmen mit vergleichbaren Funktionen hinsichtlich der<br />

transzendentalpsychologischen Eingrenzung der Möglichkeit der<br />

intelligiblen Spontaneität wie gegenüber der Sinnlichkeit naturgemäß<br />

fehlen muß.<br />

Die Identifikation von ens realissimum und transzendentaler Idee in der<br />

Refl. 2835 (II) soll sich aber in concreto denken lassen; so soll das<br />

transzendentale Ideal in der spezifischen Definition des zweiten<br />

Abschnitts des Ideals der reinen Verunft auch noch die Definition des<br />

Individuums sein können und überhaupt seit der Untersuchung des Ideals<br />

überhaupt das transzendentale Prinzip der durchgängigen Bestimmung<br />

einer Idee in concreto (Allheit) und in individo (Wesenheit) sein.


— 1232 —<br />

7. Modallogik; Realmöglichkeit und Formalmöglichkeit in der<br />

Welt der Dinge<br />

a) Die Erweiterung des omnitudo realitatis in Raum und Zeit und die<br />

spinozistischen Folgen der Einschränkung des Ideals auf<br />

Realmöglichkeit und Formalmöglichkeit<br />

Es vermag sowohl die Überlegung, daß das für dieses anwesende bzw. als<br />

konkret Einzelnes fragliche Ding nicht geltende, aber mögliche Prädikat<br />

zugeich im Raum anderswo für einen existierenden Umstand gelten<br />

könnte, wie auch die Überlegung, daß das, was nicht zugleich, wohl aber<br />

nach einander existieren könne, einen Zeitumfang situiert, der zwar über<br />

den Zeithorizont unserer konkreten Wahrnehmung und Erfahrung (als<br />

Natur unter einer Regel) hinausgehen kann, aber, obgleich zuerst nur als<br />

kontinuierliche Fortsetzung der Umstände der sinnlichen Wahrnehmung<br />

gedanklich verlängert, als series rerum das Totum des Seienden bereits<br />

gedanklich als Konkretum, d. h. als mögliche, von anderen möglichen<br />

Welten unterscheidbare Welt bestimmbar geworden ist. Diese aus den<br />

kosmologischen Ideen nur als abgeleitet zu betrachtende Vorstellung<br />

übersteht aber insofern zu recht nicht die transzendentalanalytische Kritik,<br />

als diese Vorstellung noch stärker wäre als das von Kant in den<br />

dynamischen Kategorien angesetzte synthetische Urteil a priori, was genau<br />

genommen schon die strengen Grenzen des transzendentalen Idealismus<br />

überschreitet.<br />

Das hätte Konsequenzen nicht nur für das transzendentale Ideal, wenn<br />

gerade in der Fassung der theologischen Idee in der Kritik der<br />

theoretischen Vernunft eine dieserart zugerichtete Totalität als<br />

Interpretament der omnitudo realitatis zu Ehren kommt: das Substrat (das<br />

einzelne Wesen als Teilbegriff dieser Totalität) müßte dann entweder als<br />

der erfüllte Raum oder als das series rerum gedacht werden. Das vermag<br />

mit der Definition des Begriffes vom einzelnen Wesen, die mit dem Begriff<br />

des wesentlichen und allgemeinen Prädikats geleistet wird, und der den<br />

Begriff des Wesen in concreto und in individuo zur Existenz zu bestimmen<br />

imstande sein soll, nicht erfüllt zu werden. Soll diese Überlegung aber<br />

weiter geführt werden, dann unterliegt auch sie der formalen Idealisierung<br />

in Richtung Formalontologie, führte aber unter der angegebenen<br />

Voraussetzung von der kosmologischen Idee aus zur spinozistischen<br />

Auffassung einer göttlichen Ursubstanz mit räumlichen und zeitlichen<br />

Attributen zurück


— 1233 —<br />

Wohl aber scheint die Forderung des transzendentalen Ideals, nach der<br />

Vereinigung beider Prinzipien der Durchbestimmung (Allheit und<br />

Allgemeinheit, qualitative Einheit des Begriffs vom Objekt und<br />

wesentliches Prädikat des Begriffs vom einzelnen Gegenstand) ihr Substrat<br />

in concreto und in individuo als durchbestimmt zu denken mit der<br />

ontotheologischen Interpretation des transzendentalen Ideals zum<br />

prototypon transcendentale zumindest spekulativ vereinbar zu sein:<br />

Allgegenwart und Allmächtigkeit sollten die Superiorität eines nunmehr<br />

wieder bloß spekulativ (hypothetisch) gedachten Gottes sowohl für die<br />

Individualität (ens originarium) wie für die Idee des Raumes (ens<br />

summum) und der Zeit (ens entium) als vereinbar denken lassen. Doch<br />

erweist sich das als eine unzulässige Vermengung von Eigenschaften<br />

Gottes und Eigenschaften der Schöpfung, wonach die Schöpfung als zwar<br />

mittelbar, aber notwendigerweise mit der Selbstschöpfung Gottes<br />

verbunden aufgefaßt werden könnte. — Dies kann aber nicht mehr<br />

Ergebnis einer analytischen Methode der Heraushebung sein und bedarf<br />

einer anderen (nicht formalontologischen) spekulativen Methode.<br />

Aus den möglichen Interpretationen des omnitudo realitatis geht zwar<br />

eindeutig hervor, daß im Rahmen der Entwicklung vom transzendentalen<br />

Ideal als ens realissimum zum prototypon transcendentale der Übersprung<br />

zum existierenden und selbst schöpferischen Urbild und zur theologischen<br />

Idee durch die Synthesis der selbst nur spekulativ aus den Variationen der<br />

Interpretationen des vom omnitudo realitatis bestimmten Begriffs<br />

gewonnenen Substratsvorstellungen (Ding, Raum und Zeit als Strebung)<br />

vorstellbar wird, wobei abermals wie im Problem der qualitativen Einheit<br />

des Begriffs vom Objekt (§ 12) von der Erkenntlichkeit eines gemeinsamen<br />

wesentlichen Prädikats (was dessen Allgemeinheit intensional aus der<br />

Notwendigkeit herausspringen läßt, nicht umgekehrt extensional die<br />

logische Notwendigkeit aus der Allgemeinheit) nicht die Rede sein kann.<br />

Zur Vervollständigung bedarf es also eines Schemas des Ideals der reinen<br />

Vernunft. Daß das ens entium zwar als Strebung zur Schöpfung und des<br />

Werdens (existiturire und — noch nicht oder nicht mehr — existifcans) der<br />

Wechselwirkung wie zu der der aktuellen Aggregation vorausliegenden<br />

Ursache aus der Diskussion von totum analyticum, totum syntheticum<br />

und totum reale nochmals vorausliegt, aber weder mit der endlichen<br />

Totalität des series rerum Leibnizens noch mit dem Problem der<br />

Antinomien der kosmologischen Ideen konfrontiert wird, ist ein weiterer<br />

Makel dieser Dialektik im Ideal, der die von Kant angeführten


— 1234 —<br />

Widerlegung der Argumentation zumindest ab den kosmologischen Ideen<br />

zu präzisieren nur noch schwieriger macht: Die Definition des ens<br />

realissimum als Substrat des transzendentalen Ideals bleibt schon wegen<br />

der Darstellung desselben als Teilbegriff gleichbedeutend mit einem durch<br />

ein entschränktes All durchgängig bestimmtes Seiendes ohne eigenen<br />

Wesensbegriff erst recht immer unterbestimmt. Von der entschränkten<br />

Allheit als durchgängige Bestimmung im transzendentalen Ideal wird von<br />

mir behauptet, daß das Negat (die Entschränkung) nicht wieder einfach<br />

die Vielheit der Merkmale und Dinge ergibt. Dennoch soll sowohl diese<br />

Sphäre aller möglichen Prädikate eines Dinges im logischen Vergleich mit<br />

den Prädikaten eines Dinges überhaupt wie auch der Inbegriff aller<br />

Möglichkeit in der bereits restringierten Gestalt des Inbegriffs aller<br />

möglichen Prädikate im transzendentalen Vergleich mit dem Ding selbst<br />

(dem transzendentalen Begriff des Dinges) durch die einfache logische<br />

Bedingung der Entgegensetzung (principium contradictionis) weiterhin<br />

bestimmbar bleiben. Aber wenn das Negat mit der Entschränkung der<br />

Allheit wieder Vielheit ergeben würde, dann wäre die logische<br />

Entgegensetzung als Einteilungsprinzip der Prädikation<br />

transzendentallogisch ohne Zusatzannahmen wieder kohärent auf einen<br />

charakterisierbaren Seinsbezirk einschränkbar. Dies ist nun eben nur dann<br />

tranzendentallogisch vollständig denkbar, wenn die Vielheit bereits den<br />

nämlichen qualitativen Umfang besitzt wie die Allheit. Dann aber kann<br />

der Existenzialsatz, worauf alle höherstufigen Prädikate nach der<br />

Beschreibungstheorie von Bertrand Russell beziehbar sein sollten, nicht ein<br />

beliebiger Existenzalsatz sein, sondern muß transzendentalsubjektivistisch,<br />

wie auch Brentano vorsieht, das individuelle Dasein als Satzaussage des<br />

transzendentalidealistisch ursprünglichen Existenzialsatzes sein.<br />

Allerdings ist dann das Mannigfaltige der Vielheit nur mit dem Hinweis<br />

auf die antizipatorische Grundlage unseres intentional verfaßten<br />

Bewußtseins zu verstehen: denn dann wäre unter Individuum immer ein<br />

Wesen mit entsprechendem Bewußtsein seiner Vorstellung von sich selbst<br />

und von seinen Vorstellungen, die sich nicht unmittelbar auf sich selbst<br />

beziehen, bloß der Möglichkeit nach vorzustellen.<br />

Unabhängig von der Überlegung bezüglich des Ungenügens der<br />

Durchbestimmung des Begriffes vom einzelnen Wesen mittels des<br />

omnitudo realitatis im transzendentalen Ideal mangels eindeutiger<br />

Durchführungsbestimmungen der behaupteten Äquipollenz von ens<br />

realissimum und omnitudo realitatis bleibt wohl die Annahme bestehen,


— 1235 —<br />

daß auch das aktuell nicht Existierende (das Nicht-Anwesende,<br />

unbestimmt ob in räumlicher oder zeitlicher Hinsicht) immerhin ein<br />

Realmögliches sei, ohne daß sich dessen objektive, d. h. wirkliche Existenz<br />

hier und jetzt demonstrieren ließe. Diese, dem resolutiven Vorgehen<br />

entgegengesetzte, bestimmende Informiertheit, die mit der formalen Idee<br />

der Distribuierbarkeit von Prädikaten auf Dinge zusammenhängt, könnte<br />

auf das Motiv hinweisen, weshalb Kant sich unterzogen hat, das ens<br />

realissimum wider besseres Wissen als Teilbegriff des omnitudo realitatis<br />

mit der Sphäre aller möglichen Prädikate für durchbestimmbar zu halten,<br />

zumal er zuvor den logischen Vergleich vom transzendentalen Vergleich,<br />

wenngleich deutlich, aber doch nicht klar unterschieden hat.<br />

So findet sich im transzendentalen Ideal eine gleichrangige<br />

formalontologische Definition, die im Individuum die Existenz als Folge<br />

der Übereinstimmung von Realmöglichkeit und Formalmöglichkeit<br />

behauptet, was aber gemäß den Überlegungen anfangs und gegen Ende in<br />

Grund und Ganzes eben nur für ein absolut notwendiges Wesen zureichen<br />

würde, von welchem noch gar nicht entschieden wäre, ob es als Teilbegriff<br />

des omnitudo realitatis, der den Gegenstand als Ganzes vorzustellen<br />

erlaubt, zu denken ist, oder als ens realissimum im Sinne der<br />

Überlegungen aus dem einzigen Beweisgrund Gottes oder in der<br />

anschließenden Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises, das eben<br />

weder alles Realmögliche noch die ganze Existenz umfaßt. Will man hier<br />

jede apperzipierende Monade einsetzen, sieht man sich nicht nur der<br />

prästabilierten Harmonie als analytisch geforderte Voraussetzung eines<br />

universal gesetzten Nexus gegenüber: In der modalen Betrachtung wäre<br />

die Konsequenz die gleiche wie im Spinozismus, der alles der gleichen<br />

Gesetzmäßigkeit überliefert, was formalidealistisch entsprechend Spinozas<br />

radikalen Substanzmonismus zu vollständiger Determiniertheit führt.<br />

Dann wäre die formalontologische Spekulation als Kette formaler<br />

Implikationen aufzufassen, was die Aufheblichkeit kontingenter Dinge<br />

nicht mehr erlauben würde. Allerdings widerpricht die Auffassung, daß<br />

Intelligibilität und Materie zusammen im Nexus existieren können, formal<br />

bemerkenswerterweise nicht Kants Haltung im transzendentalen Ideal<br />

(eine Idee und oberste materiale Bedingung) und in der Auflösung der<br />

dritten und vierten Antinomie, was einen Ausblick darauf gibt, daß die<br />

modale Schwierigkeit, die sich aus der Tendenz der formalontologischen<br />

Spekulation zum jeweils möglichst abstrakten Totum unweigerlich ergibt,<br />

mit der spinozistischen Schwierigkeit in einem überführt werden kann in


— 1236 —<br />

die Dialektik der unbezweifelbaren Intelligibilität der Freiheit, insofern sie<br />

selbst wieder eine unmittelbare Entgegensetzung zum spinozistischen<br />

Determinismus beinhaltet, die nach Kant (Religion in den Grenzen der<br />

Vernunft) im deutschen Idealismus offenbar nur Schelling zu einer<br />

transzendentalphilosophischen Grundlegung der Opposition von Gut und<br />

Böse zu entwickeln imstande war.<br />

Kant vermag also mit der behandelten Darstellung des transzendentalen<br />

Ideals im zweiten Abschnitt der theologischen Idee das Problem der<br />

Informiertheit mehrfach anzusprechen; das Ergebnis der Untersuchungen<br />

konnte neben dem Verlust des transzendentalen Inhalts in der reinen<br />

modallogischen Fassung, auch die hierarchische und resolutive<br />

Entwicklungsmöglichkeit des Prinzips »idea est conceptus archetypus« als<br />

ein Motiv der Äquipollentsetzung der Umfänge von ens realissimum und<br />

omnitudo realitatis im Rahmen einer Theorie der Informiertheit, und nicht<br />

als Identsetzung herausgearbeitet werden. Ergänzt man das Ergebnis<br />

dieser Subreption mit der gegenüber der formalontologischen Totalität der<br />

modalen Spekulation zu erwartenden Einschränkung, kann, wie schon<br />

weiter oben behauptet, auch nicht mehr das absolut notwendige Wesen als<br />

ens realissimum und einziges Wesen im transzendentalen Ideal gedacht<br />

werden. Der Übergang zu einer auf die Distributionsbedingungen der<br />

Dinge, die zu einzelnen Gegenständen werden können, restringierten<br />

Fassung des transzendentalen Ideals vermochte aber der entschränkten<br />

Allheit als Bestimmungsgrund der Begriffe des Dinges an sich selbst und<br />

des ens realissimum über die Vielheit der Prädikate hinweg bei Fichte<br />

noch eine Position zu entringen, die zweierlei in aller Allgemeinheit nach<br />

sich zieht: Einmal die Idee als bloße Stelle eines wesentlichen Prädikates zu<br />

bedenken, was mit der reinen Gegenständlichkeit jeder logischen Intention<br />

und Idee zu tun hat, und einmal nach der Möglichkeit vieler verschiedener<br />

wesentlicher Prädikate, auch die Möglichkeit vieler Dinge, und daraus<br />

unter der Voraussetzung der Entscheidung Kantens in der Auflösung der<br />

dritten und vierten Antinomie schließlich die Möglichkeit der Vielheit<br />

apperzipierender Monaden deduzieren läßt.<br />

b) Die Figuren des transzendentalen Syllogismus<br />

Der transzendentale Vergleich eines Dinges mit dem Inbegriff aller<br />

möglicher Prädikate, der zugleich als Inbegriff aller Möglichkeit<br />

aufzufassen sein soll, und eben nicht mittels logischer Vergleichung der<br />

Merkmalsprädikate geschieht, hat aber, wenn zwar zu


— 1237 —<br />

formalontologischen und modalen Bestimmungen (auch eine Art von<br />

»Prädikate höherer Ordnung«), nicht zu »transzendentalen Inhalten«, die<br />

allein der Objektwelt entstammen, geführt, zumal die konkrete (Durch)-<br />

Bestimmbarkeit eines Dinges oder Individuums als Einschränkung wie als<br />

Einteilung nichts als negative Prädikate beinhaltet, ohne daß deshalb<br />

Nicht-Seiendes ausgesagt würde. Andererseits ist das Gegenüber der<br />

»entschränkten Allheit« nicht die ursprünglich quantitativ und qualitativ<br />

gedachte Vielheit als aktuell gebbares Wirkliches, sondern (eben auch nach<br />

Raum und Zeit entschränkt) das Mögliche, so muß der Ausdruck<br />

»mögliche Realität« keineswegs immer entweder aktuelle und anwesende<br />

oder im kategorialem Sinne nur denkmögliche Realität bedeuten, und<br />

kann nicht das selbe besagen wie die transzendentale Negation einer<br />

Realmöglichkeit. — Die transzendentale Negation hätte auch nicht<br />

modallogisch Unmöglichkeit zu bedeuten, ohne das im kategorial<br />

bestimmenden Sinne (also nicht als bloße Vermutung) von realmöglich ein<br />

möglich existierendes Seiendes in seiner Abwesenheit gedacht worden ist.<br />

— Hier kann abermals nach dem Vorbild Aristoteles zwischen<br />

Notwendigkeit und Unmöglichkeit die Möglichkeit als spezifischen<br />

Bereich von Wirklichkeit und Realität vorgestellt werden: Das Mögliche im<br />

Einzelnen (was der Fall ist) konnte zuvor, bevor es war, sein oder auch<br />

nicht sein; das Notwendige muß, das Unmögliche kann nicht sein. Das<br />

Unmögliche aber ist kein Ergebnis der transzendentalen Negation. Das<br />

Realmögliche umschließt aristotelisch sowohl aktuell Existierendes wie<br />

aktuell nicht Existierendes; allerdings ohne damit einen Horizont für das<br />

Seiende schlechthin zu bestimmen, da damit keine Horizontbestimmungen<br />

a priori in räumlicher oder zeitlicher Hinsicht verbunden sind. Die<br />

transzendentale Negation hätte, zumindest in der Fassung des zweiten<br />

Abschnittes der theologischen Idee, den Horizont des Seienden schlechthin<br />

aufzuheben.<br />

Insofern stellt sich die Sachlage so dar, daß hier bislang, weit entfernt vom<br />

spinozistischen Determinismus oder von der transzendentalen Negation,<br />

jeweils von einem abstrakt-unbestimmten Existenzialsatz die Rede war;<br />

unbestimmt auch in der Hinsicht, ob die Überlegung letztlich ein Ding als<br />

Objekt der sinnlichen Erfahrung betrifft, oder ob es eine apperzipierende<br />

Monade als selbst daseiendes Individuum betrifft. Im Versuch der<br />

Weiterbestimmung in den von der transzendentalen Kritik aufgewiesenen<br />

Grenzen wurde schon im Rahmen der Untersuchung der kosmologischen<br />

Ideen zwischen einem logischen und einem dialektischen Gebrauch von


— 1238 —<br />

Vernunftbegriffen unterschieden; es gilt also herauszufinden, auf welche<br />

Weise und für welchen Bereich auch hier ein logischer Gebrauch der<br />

Vernunftidee möglich gemacht werden könnte. Es trifft sich glücklich, daß<br />

damit implizite auch die nur unbefriedigend beantwortete Frage nach dem<br />

Ursprung der Informiertheit trotz des gleichzeitigen Verlustes des<br />

transzendentalen Inhalts weiterbehandelt werden kann.<br />

Nun wird von Kant der transzendentale Obersatz unmißverständlich als<br />

disjunktives Urteil nach dem Vorbild der ganzen Ideenlehre der reinen<br />

Vernunft vorgestellt: »Die logische Bestimmung eines Begriffs durch die<br />

Vernunft beruht auf einem disjunktiven Vernunftschlusse, in welchem der<br />

Obersatz eine logische Einteilung (die Teilung der Sphäre eines<br />

allgemeinen Begriffs) enthält, der Untersatz diese Sphäre bis auf einen Teil<br />

einschränkt und der Schlußsatz den Begriff durch diesen bestimmt<br />

(B 604 f./A 576 f.).« Gerade der Übergang von der Einteilung der Sphäre<br />

eines allgemeinen Gattungsbegriffes »einer Realität« zum Inbegriff »aller<br />

Realität« in der Folge droht aber die Anwendung logischer Regeln beinahe<br />

unmöglich zu machen. Bekanntlich geben die Untersuchungen zum<br />

Inbegriff aller Realität zwar Anlaß, an die Idee des disjunktiven Urteils zu<br />

denken, aber gerade keinen Ansatzpunkt für eine formal durchgebildete<br />

logische Gestalt des Urteils als Verstandesurteil, als daß das Prinzip der<br />

Subsumtion überhaupt in Frage gestellt wird, welches mit der Subsumtion<br />

auch die logische Bedingung der Einteilbarkeit der subsummierten<br />

Mannigfaltigkeit fordert: Das Prinzip von Subsumtion und Koordination<br />

ist bereits in § 15 normativ und als subjektive regulative Idee zu verstehen.<br />

Zugleich ist die logische Analyzität aber entlang verschiedener<br />

Distributionsweisen herstellbar, sodaß zumindest irgendeine weitere<br />

Einteilbarkeit auch auf Grund raphsodisch gemachter Erfahrungen<br />

möglich scheint, sodaß dieses Prinzip nicht völlig verletzt werden müßte.<br />

Jedoch nützt dieses Argument in transzendentaler Einfachheit wenig.<br />

Wegen der Einzigkeit und Besonderheit der fraglichen Begriffe bei aller<br />

ihrer abstrakten Unbestimmtheit oder unbestimmten Allgemeinheit<br />

können nicht alle Figuren des Syllogismus gleichermaßen erfüllt werden,<br />

da nicht alle möglichen Begründungen der Regeln, die einen Syllogismus<br />

aufstellen lassen, anwendbar sind. Wenn auch Kant in der Bezeichnung<br />

zwischen Vernunftschluß und Verstandesschluß weder in der ersten Kritik<br />

noch in den Vorlesungen zur Logik befriedigend eindeutig wird, kann<br />

doch angenommen werden, daß diese Undeutlichkeit darin zu suchen ist,<br />

daß Schlüsse, gleich ob dreigliedrige »Schlüsse« oder zweigliedrige


— 1239 —<br />

Schlüsse, jeweils Verstandesgründe besitzen müssen; und zwar aus zwei<br />

Gründen: erstens in Bezug auf den transzendentalen Inhalt im Sinn der<br />

radikalen Auffassung Kants von Erkenntnis, und zweitens in Bezug auf das<br />

Interesse an der logischen Regelhaftigkeit des empirisch-subjektiven<br />

psychischen Denkvorganges. So fallen Vernunftschlüsse aus Prinzipien a<br />

parte priori in transzendentallogischer Hinsicht nur deshalb nicht unter<br />

Verstandesschlüsse, weil sie nicht selbst als empirische Prinzipien, sondern<br />

vielmehr als spekulative Sätze reiner Vernunft, die von der empirischen<br />

Erfahrung, gewissermaßen nach deren aptitudo (Antizipation!) von der<br />

praktischen Klugheit erst ausgewählt werden, behandelt werden. Kant tut<br />

dies vermutlich aus architektonischen Gründen, doch betreffen diese auch<br />

den Umstand, daß Prinzipien a parte priori selbst eben nicht imstand sind,<br />

im Rahmen kontinuierlicher oder kontinuierbarer, also sinnlicher<br />

Erfahrung Erfahrungsbegriffe zu bilden, sondern immer nur diese, und die<br />

Methoden zu ihrer Gewinnung, zu systematisieren vermögen. Im Rahmen<br />

einer solchen Erörterung kann kaum erwartet werden, daß auf die<br />

Selbstverständlichkeit eingegangen wird, daß man sich alleweil nach<br />

logischen Regeln im Ausdruck zu halten hat, was dann doch wieder<br />

Angelegenheit des Verstandes sein muß.<br />

So befindet Kant in den »Logischen Spitzfindigkeiten«, daß das Schließen<br />

im Syllogismus nicht selbst als Schluß angesehen werden kann, und nur<br />

eine nachträgliche Zusammenstellung von Urteilen ist, doch wendet er<br />

sich dort nicht an die Vernunft, sondern folgert daraus, »daß die obere<br />

Erkenntniskraft schlechterdings nur auf dem Vermögen zu Urteilen<br />

beruhe« (Falsche Spitzf., A 30). Es wird also, wie noch im Übergang der<br />

Paralogismen zu den kosmologischen Ideen auch, das Denken nicht über<br />

die Vernunft, sondern als urteilender Verstand bestimmt (vgl. Zeidler 97,<br />

S. 73). Man darf annehmen, daß Kant in den Spitzfindigkeiten wie in den<br />

Vorlesungen zur Logik eher den regellogischen Aspekt, in der Kritik der<br />

Dialektik der reinen Vernunft eher den transzendentallogischen Aspekt<br />

betrachtet hat. Erst letzterer macht die Vernunft von Beginn der<br />

transzendentallogischen Untersuchung an unabdingbar, auch wenn es<br />

methodisch in der Analytik der Verstandesbegriffe und den Grundsätzen<br />

der Kategorien zuerst darum geht, die thematische Einklammerung des<br />

transzendentalen Subjekts in seiner Verklammerung mit der primären<br />

Intentionalität aufzuarbeiten.<br />

Derart kann im Rahmen der beklagten Unklarheiten zwischen den<br />

verwendeten Begriffen von Totalität von einer formalen »Konkordanz«


— 1240 —<br />

zwischen — intensionalem — Inbegriff und von — extensionalen —<br />

Sphäre gesprochen werden, da zu den Einschränkungen aus der Kritik an<br />

der bloßen Verstandesmetaphysik parallel eine resolutive Argumentation<br />

über den transzendentalen Vergleich eines Dinges mit dem Inbegriff aller<br />

Realität verläuft, um dem informierten Ding vorneweg eine Stelle in der<br />

Entwicklung der Ideenlehre gemäß dem Prinzip von »idea est conceptus<br />

archetypus« geben zu können. Das aber nur, um schon in den<br />

vorkritischen Überlegungen, die noch rationale Metaphysik bleiben, die<br />

Einteilbarkeit der Mannigfaltigkeit im Gegensatz dazu nur als rein<br />

logisches Prinzip und reinen Erkenntnisgrund behandeln zu können. Kant<br />

setzt sich durchwegs von resolutiven Lösungen des Problems der<br />

Informiertheit einer Sphäre von Realmöglichkeiten ab, und ersetzt dies<br />

durch die, allerdings bis zuletzt schwierige, Ausarbeitung des Begriffs von<br />

Erfahrung. Insofern kann man Kant epistemologisches Vorgehen<br />

bescheinigen.<br />

Das aber verhindert nicht die Lösbarkeit der Aufgabe (oder der Erklärung<br />

ihrer Unmöglichkeit), positive Bestimmungen der Dinge als Negationen<br />

einer sowohl intelligiblen wie die vollständige materiale Bedingung<br />

beinhaltenden Idee zu behandeln (wie im transzendentalen Ideal und in<br />

den Antinomien gefordert), solange das Problem der transzendentalen<br />

Umfangsbestimmung, was transzendentalanalytisch Materie und was<br />

semantischer Inhalt sei, als letzte transzendentale Inhaltsbestimmung als<br />

gelöst oder lösbar gedacht werden kann; es verhindert vermutlich aber, die<br />

dritte Figur des Aristotelischen Syllogismus eindeutig als logische<br />

Charakteristik dieser Überlegung zu bezeichnen.<br />

c) Zum modallogischen Aufbau des transzendentalen Syllogismus<br />

Der »transzendentalen Obersatz« gibt allein nicht eindeutig zu erkennen,<br />

wie er eigentlich gemeint sein könnte, obwohl Kant zweifellos im<br />

Anschluß so verfährt, daß mit dem gegebenen Syllogismus nur die<br />

Ableitung der ectypa aus dem Urbild gemeint sein kann. Er setzt nämlich<br />

unmittelbar nach dem weiter oben eingangs gegebenen Zitat fort:<br />

»Demnach ist der Gebrauch der Vernunft, durch den sie das<br />

transzendentale Ideal zum Grunde ihrer Bestimmung aller möglichen<br />

Dinge legt, demjenigen analogisch, nach welchem sie in disjunktiven<br />

Vernunftschlüssen verfährt; welches der Satz war, den ich oben zum<br />

Grunde der systematischen Einteilung aller transzendentalen Ideen legte,


— 1241 —<br />

nach welchem sie den drei Arten von Vernunftschlüssen parallel und<br />

korrespondierend erzeugt werden«. 25 Insofern wäre mit dem<br />

transzendentalen Syllogismus gerade der Übergang vom durch das<br />

omnitudo realitatis durchgängig bestimmten ens realissimum zum<br />

einzelnen Ding oder Horizont des Anwesens als Ausschnitt des Ganzen<br />

des Seins als Seiendheit geleistet worden.<br />

Deutlich identifiziert Kant hier das transzendentale Ideal anhand des<br />

disjunktiven Urteils mit dem »transzendentalen Obersatz«. — Wenn nun<br />

Kant schreibt: »So wird denn alle Möglichkeit der Dinge (der Synthesis des<br />

Mannigfaltigen ihrem Inhalte nach) als abgeleitet und nur allein die<br />

desjenigen, was alle Realität in sich schließt, als ursprünglich<br />

angesehen.«, 26 so fällt er zwar spät, aber deutlich, nur eine der anstehenden<br />

Entscheidungen: ens realissimus umfaßt nicht das Ganze des nur<br />

Realmöglichen. Hier macht Kant konsequenterweise einen Schritt aus der<br />

aristotelischen Indifferenz zwischen möglich und real heraus, die zuvor<br />

für das omnitudo realitatis immerhin noch möglich gehalten worden ist.<br />

Das aber kontrastiert eben unangenehm mit den logischen Bedingungen<br />

und deren Kombinationsmöglichkeiten im Formenkreis des disjunktiven<br />

Urteils, die insbesondere in § 11 der »metaphysischen« Deduktion<br />

Wahrheit und Falschheit zum Ganzen eines disjunktiven Urteils zählen.<br />

Dies mit der Dialektik der Vernunftbegriffe und Vernunftschlüsse zu<br />

erklären versuchen, würde erstens übersehen, daß es sich doch um die<br />

Erörterung der Idee des Ideals handelt, und zweitens übersehen, daß dann<br />

das Realmögliche, nunmehr außerhalb der aristotelischen Indifferenz<br />

stehend, als Mögliches, aber nicht Existierendes zum omnitido realitatis<br />

gezählt werden müßte. Wie schon festgestellt, handelt es sich hier aber<br />

nicht mehr um eine rein analytische Metaphysik (Verstandesmetaphysik)<br />

sondern um spekulative Philosophie zwischen Formalontologie und<br />

ontotheologischer Spekulation. Die Frage nach dem<br />

transzendentallogischen Umfang des Inbegriffes, also nach Umfang nicht<br />

nur an qualitativen Merkmalen (transzendentaler Inhalt), sondern auch an<br />

Arten der Einteilung und Verknüpfung¨(transzendentallogische<br />

Reflexion), wird ohne eine für die spekulative Vernunft selbst unbekannte<br />

Bedingung der Möglichkeit zusammenhängender Erfahrung nicht<br />

beantwortet: Umfaßt das ens realissimum das All der Realität in dieser<br />

strikten Fassung und nichts anderes, oder gilt für das ens realissimum<br />

25 K. r. V., B 605/A 577<br />

26 B 606/A 578


— 1242 —<br />

nach wie vor die noch strengere Einsicht aus dem Beweisgrund Gottes: das<br />

Allerrealste umfaßt weder die ganze Realmöglichkeit (bei Aristoteles mit<br />

Notwendigkeit auch immer schon das Wirkliche) noch ausschließlich alles<br />

wirklich Reale (die zwei ursprünglich möglichen Fassungen des omnitudo<br />

realitatis). Darauf kommt Kant in diesem Zusammenhang später noch<br />

zurück; so will ich es auch halten und nur mehr hinzufügen, daß das ens<br />

realissimum als Allerrealstes schon in der Idee der unhintergehbaren und<br />

unbedingten Ursache nicht die ganze Realität umfassen kann, geschweige<br />

denn, wenn offenkundig wird, daß die Spekulation um das Allerrealste<br />

nur dann fortgesetzt werden kann, wenn das allerrealste Wesens zum<br />

Wesen allerhöchster Realität weitergebildet wird.<br />

Man sieht sich also einer widersprüchlichen Darstellung gegenüber:<br />

Einerseits ist zu behaupten, der Inbegriff aller Realität und das All der<br />

Realität können hinsichtlich ihres Umfanges äquipollent gesetzt werden,<br />

sodaß es dazu kommt, daß erstens der Inbegriff nicht als ganzer Obersatz<br />

in grammatikalischer Gestalt anzusehen ist, sondern nichts als die Aussage<br />

im Sinne vom Prädikat oder Satzgegenstand des Satzes oder Urteiles ist,<br />

und zweitens, daß die intellektuelle Vorstellung vom All der Realität nur<br />

als Satzsubjekt verstanden werden kann, das im Untersatz eingeschränkt<br />

wird, um das einzelne Ding im »transzendentalen Vergleich« im<br />

Schlußsatz vorstellen zu können. Damit ist ein partikulärer Syllogismus<br />

gebildet worden, dessen Satzsubjekte entweder jeweils als das<br />

transzendentale Objekt = X angesprochen werden könnten, aber<br />

formalontologisch diffus doch noch am Besten als transzendentallogische<br />

Identität zu verstehen sein wird, wenn es spekulativ und abstraktiv um<br />

den transzendentalen Inhaltsumfang des Begriffes überhaupt geht. Diesem<br />

transzendentalen Inhalt ist und bleibt aber unbestimmt selbst schon die<br />

Verbindung von Intuitivität und Diskursivität vorausgesetzt, wobei Kant<br />

durchaus den rein diskursiven (konventionalistischen) Gebrauch von<br />

Begriffen kennt, sodaß der Bildung des Syllogismus nichts im Wege zu<br />

stehen scheint. Andererseits wurde eben dargetan, daß der intensionale<br />

Bedeutungsumfang des Inbegriffs aller Realität — allein schon als<br />

Teilbegriff des Alls der Realität — und des Alls der Realität nicht<br />

deckungsgleich sein können. Es könnte aber dann aus Inbegriff und dem<br />

All der Realität kein Syllogismus im Sinn einer Urteilslogik oder<br />

Begriffslogik gebildet werden, wenn jeder der diskutierten Ausdrucke eine<br />

eigene intentionale Direktion in der transzendentalen Analyse besitzt<br />

(disparat sind).


— 1243 —<br />

d) Die logisch schwache, transzendentalphilosophisch starke<br />

modallogische Fassung verhindert die Rekonstruktion des<br />

transzendentalen Syllogismus<br />

Um mit diesem Untersuchungsabschnitt den transzendentalen<br />

Syllogismus abzuschließen, ist nun noch die Alternative zur strikten<br />

modallogischen Fassung zu überlegen, die transzendentalphilosophisch<br />

eigentlich die stärkeren Argumente besitzt. Es kann auf eine weitere<br />

Erörterung des ens realissimum in diesen Zusammenhang verzichtet<br />

werden, da bereits außer Streit gestellt werden konnte, daß der Inbegriff<br />

aller Realität nur dann äquipollent mit der Vorstellung des ens<br />

realissimum gesetzt werden darf, wenn letzteres in der intensionalextensiven<br />

Fassung als nichts als das All der Realität bedeutend verwendet<br />

wird, und nicht in der restringierten Fassung aus dem Beweisgrund<br />

Gottes, wonach schlußendlich auch hier von Kant das allerrealste Wesen<br />

vom Wesen allerhöchster Realität nochmals unterschieden wird. Der<br />

ganzen Überlegung liegt folgende Gegenüberstellung der Umfänge<br />

zugrunde:<br />

1. Allheit der Prädikate eines Dinges überhaupt als Einschränkung der<br />

Vielheit, woraus transzendentallogisch, trotz verschiedener Merkmale des<br />

Begriffes, Identität anhand der Äquipollenz hinsichtlich des Bezeichneten<br />

mit dem Inbegriff aller Prädikate eines Dinges überhaupt folgt.<br />

2. Entschränkte Allheit als Negation dieser Einschränkung. Dieses Negat<br />

der Allheit wird logisch nicht als geordnete (ordenbare) Vielheit betrachtet.<br />

3. Die logisch starke Darstellung des transzendentalen Obersatzes<br />

(insofern auch des omnitudo realitatis als Bestimmungsgrund) schließt das<br />

Wahre wie das Falsche mit ein. Das kann hier nur bedeuten, daß auch das<br />

bloß Realmögliche ohne aktuelle Möglichkeit zur Assertion zum Umfang<br />

des fraglichen Obersatzes, dann aber auch zum Umfang des Inbegriffes<br />

aller Realität gehören müßte. Genau das entspricht den angebotetenen<br />

Alternativen der Interpretation des Inbegriffs aller Realität: ens<br />

realissimum ist entweder genau das All der Realität oder eine Art von<br />

höher qualifizierter Realität, welche die Kategorialität des entscheidbaren<br />

Aussagens im Sinne eines allerhöchsten Wesens einerseits überschreitet,<br />

andererseits alle Realität gerade nicht umfaßt. Oder: wenn ens realissimum<br />

ein Teilbegriff des omnitudo realitatis ist, dann mit dem nämlichen<br />

modallogischen Problem, ob das Wahre und das Falsche tatsächlich mit<br />

inbegriffen wird.


— 1244 —<br />

4. Wenn ens realissimum transzendentalphilosophisch stark interpretiert<br />

wird (also als allerhöchste Realität, die nicht alles Reale umfaßt), dann gibt<br />

es unter der Voraussetzung sowohl der empirischen Auffassung von<br />

»Wirklichkeit« in den ontologischen Gottesbeweisen von Thomas und<br />

auch von Anselm, wie der (reinen?) Intelligibilität des Daseins Gottes,<br />

keine transzendentallogische Identität im Zuge der spekulativen Analogie<br />

von ens realissimum, Inbegriff aller Realität und Allheit der Realität<br />

anhand durch Abstraktion totalisierten Äquipollenzen. Wenn omnitudo<br />

realitatis oder das All der Realität logisch stark (also modallogisch<br />

schwach), und ens realissimum als Inbegriff modallogisch stark<br />

interpretiert wird, dann gibt es keine Gelegenheit, logische Identität gemäß<br />

dem abstrakt totalisierten transzendentalen Inhalt zu behaupten. Nur<br />

wenn ens realissimum modallogisch stark interpretiert wird (nichts als das<br />

All der Realität), dann gibt es überhaupt die Möglichkeit zur formal<br />

verlangten Deckungsgleichheit. Um diese zu erreichen, muß eine weitere<br />

Bedingung erfüllt sein: omnitudo realitatis, das All der Realität, kurzum<br />

der Umfang des transzendentalen Obersatzes muß logisch schwach, aber<br />

modallogisch stark interpretiert werden, also es muß gelten, daß nur das<br />

gilt, was existiert, sodaß nicht auch die bloß gedachte Realmöglichkeit in<br />

den Umfang fällt.<br />

5. Auch wenn omnitudo realitatis oder das All der Realität logisch stark<br />

(also modallogisch schwach), und ens realissimum als Inbegriff<br />

transzendentalphilosophisch stark interpretiert wird, dann wird die<br />

geforderte Gleichsetzbarkeit der Bedeutungsumfänge in dieser Art von<br />

mittelbarer Analogie nicht erfüllt.<br />

6. Die noch zu diskutierende Problemstellung kann deshalb im<br />

Wesentlichen nur mehr mit der logisch schwachen, modallogisch starken<br />

Fassung (nichts als das All der Realität) des omnitudo realitatis (a), welche<br />

die eine Bedingung der durch Analogien ermittelten Identität ist, und mit<br />

der logisch starken, modallogisch schwachen Fassung der Bestimmung der<br />

logischen Gestalt des transzendentalen Obersatzes aus dem § 11, wonach<br />

das Ganze des disjunktiven Urteils auch das Wahre und das Falsche<br />

umfasse (b), verbunden sein, solange das All der Realität im Untersatz<br />

nichts als das Seiende behauptet. Entscheidend wird die logische Form des<br />

Obersatzes, und vor allem die Form der Einschränkung des Alls der<br />

Realität. Die Besonderheit, aus den Negationen des Inbgriffs aller<br />

Prädikate dem abzuleitenden Dinges (ectypa) das positiv intendierte<br />

Prädikat zu konstruieren, um durch Einteilung des Alls der Realität die


— 1245 —<br />

Positivität des Dinges, der Dinge, zu erweisen, zeigt nur abermals, daß das<br />

Gelingen des transzendentalen Syllogismus nur durch spekulativ<br />

vorgehende Erörterung beurteilt werden kann; und offenbar ist<br />

unabhängig von den vorangehenden Überlegungen mit der logischen<br />

Form des Untersatzes, der doch den transzendentalen Vergleich des<br />

Dinges mit dem Inbegriff aller Prädikate eines Dinges überhaupt<br />

durchführen soll und gerade die allgemeine Verwendbarkeit der<br />

allgemeinen Logik zu garantieren hätte, eine Umständlichkeit im<br />

Schwange, die nichts mehr mit den beiden Quellen des transzendentalen<br />

Inhalts, der transzendentalen Materie und den wesentlichen Prädikaten<br />

(als eigene Problemstellung zwischen Merkmalslehre und Urteilslehre) zu<br />

tun hat. Man wird im Anschluß auf Folgendes im Rahmen weiterer<br />

Untersuchungen zur transzendentalen Negation in Verbindung mit der<br />

Überlegung der noch nicht völlig aufgeklärten Bedingung derjenigen<br />

formalontologischen Spekulation, welche die Aufheblichkeit kontingenter<br />

Dinge behauptet, erfahren, ob Kant verabsäumt hat, die Merkmale auch<br />

aufheblich zu denken, oder ob mit der Behandlung der transzendentalen<br />

Negation bereits einem Programm kritischer Einschränkung spekulativer<br />

Verstandesmetaphysik folgt. Insbesondere für die Verständlichmachung<br />

des Grundes, welche die Spekulation auf Totalität zwischen Resolution<br />

und Abstraktion zur theologischen Idee führt, werden dort die Einflüsse<br />

von Cusanus, Anselm und Thomas, und das Zurücktreten spinozistischer<br />

Hinweise konstatiert.<br />

e) Die theologische Idee innerhalb und außerhalb des Umkreises des<br />

Seienden. Spinoza, Leibniz und Kant<br />

Nunmehr ist der transzendentale Obersatz in dieser Argumentation vom<br />

transzendentalen Ideal darin verschieden, daß er nicht, um<br />

widerspruchfrei allgemein unbestimmt in verschiedenen Versionen<br />

möglicher Syllogismen gedacht zu werden, als Bestimmungsganzes eines<br />

daseienden, im Sinne einer apperzipierenden Monade vernunftbegabten<br />

Individuums gedacht werden muß. Die hier sich ergebenden<br />

Verzweigungen der Überlegung wurden eingehend anhand des Umfanges<br />

der Bestimmungen von ens realissimum, Inbegriff aller Realität, omnitudo<br />

realitatis und Inbegriff aller Prädikate behandelt, sodaß hier zu der sich<br />

daraus ergebenden Möglichkeit fortgegangen werden kann:<br />

1. Die Mannigfaltigkeit ist als Mannigfaltigkeit des gegebenen Seins<br />

aufzufassen (also noch in der transzendentalsubjektivistischen Position)


— 1246 —<br />

2. Die Mannigfaltigkeit ist formalontologisch als das immanent Gegebene<br />

und das daraus Mögliche aufzufassen (also sowohl als<br />

transzendentalsubjektivistisches wie auch als formalontologisches<br />

Regelwerk interpretierbar).<br />

3. Die Mannigfaltigkeit ist als Bestimmungsganzes des prototypon<br />

transcendentale, d. i. nunmehr das existierende Urbild nicht als<br />

transzendentales Ideal eines einzelnen Wesens, sondern bereits ens<br />

realissimum als ens originarium, also des einzigen allerrealsten Wesens zu<br />

denken.<br />

4. Die Mannigfaltigkeit ist als das Unvordenkliche (transzendentale<br />

Materie) eben des ens realissimum und nicht als archetypus intellectus vor<br />

jeder Informiertheit, das ens realissimum als allerrealstes und höchst<br />

reales Wesen aber bereits als informiert und gemeinsam mit Wirklichkeit<br />

im Sinne empirischer Erfahrbarkeit der Welt der Dinge zu denken (ens<br />

originarium, entium, summum). Mit dieser Totalisierung durch<br />

Abstraktion und transzendentallogisch einseitige Setzung von<br />

Gleichursprünglichkeit wird zugleich die Frage nach der Abfolge der<br />

Ursächlichkeit der ersten Ursache vermieden. Oder die Mannigfaltigkeit<br />

liegt in einer Position vor der Realmöglichkeit und vor der<br />

Formalmöglichkeit in unvollkommener Indifferenz als das<br />

Unvordenkliche dem ens realissimum gegenüber (wie die Abweichung im<br />

Beweisgrund Gottes und die Widerlegung im Zweiten Abschnitt<br />

nahelegen würden), woraus sich der göttliche Verstand erst frei bestimmt<br />

und informiert.<br />

Der erste und der zweite Punkt erlaubt zusammen transzendentallogisch<br />

eine Zusammenfassung, deren Horizontbestimmung ebenfalls<br />

ungenügend ist, aber eben weiter ist als die aus § 11 der metaphysischen<br />

Deduktion, wonach das disjunktive Urteil das Wahre wie das Falsche (hier<br />

also das Existierende wie das Mögliche) enthalte. Im transzendentalen<br />

Obersatz wie im Untersatz kommt noch die wesensgemäße<br />

Interpretierbarkeit des Realmöglichen nach Raum und Zeit als Problem<br />

hinzu, da mit dem möglichen Wegfall der ausgezeichneten Position des<br />

Individuums nur vermeintlich auch das Problem der Aktualität und der<br />

Anwesenheit verschwindet: Schon die Untersuchung der Antinomien der<br />

kosmologischen Idee haben gezeigt, daß weder das Problem des<br />

Horizontes der Aktualität und Anwesenheit schwindet, noch daß das<br />

Problem der Metaphysik von Raum und Zeit mit der strengeren


— 1247 —<br />

Durchführung des Transzendentalsubjektivismus einfach wegfällt. 27 Kant<br />

beobachtet in diesen Zusammenhang eindeutig die Dimensionierung der<br />

Auslegbarkeit des tranzendentalen Obersatzes zu wenig; offenbar will er<br />

sich den Aufwand der Kritik zwischen transzendentalem Idealismus und<br />

den verschiedenen Positionen des transzendentalen Realismus, die mit der<br />

Entdeckung des transzendentalen Prinzips des synthetischen Urteils a<br />

priori und deren Analogien zu den transzendentalen Ideen der reinen<br />

Vernunft eröffnet worden sind, nun aber die Reinheit des transzendentalen<br />

Idealismus selbst bedrohen, oder sich gleich eine Entscheidung in dieser<br />

Angelegenheit überhaupt ersparen. Die Sphäre der Mannigfaltigkeit kann<br />

hier räumlich wie zeitlich in verschiedenen Kombinationen ausgelegt<br />

werden; ich denke, daß metaphysische Anfangsgründe der<br />

transzendentalen Ästhetik als Kritik an der Verstandesmetaphysik<br />

Spinozas aufgefaßt werden müssen, nach welcher die göttliche Substanz in<br />

Übereinstimmung mit den Attributen Allgegenwart, Allwissen und<br />

Allmacht in Raum und Zeit sei, womöglich aber in einem auch anders sei.<br />

Der Herausdrehung dieser Vorstellung von Raum und Zeit aus der<br />

Position des absolut notwendigen Wesen, das alles determiniert, in die<br />

Position des durch die primäre (sinnlich-empirisch ausgerichtete)<br />

Intentionalität bestimmten transzendentalen Subjektes der<br />

transzendentalen Analytik des empirischen Verstandesgebrauches, das<br />

Totalität nur als Produkt von Teilung, Einschränkung und Grenze im<br />

Regressus empirischer Erfahrung verstandesgemäß denken kann, legt<br />

Kant noch in den Kapiteln der transzendentalen Ästhetik mit<br />

metaphysischen Erörterungen des Raumes die Grundlage.<br />

Wie schon öfter in diesem Zusammenhang ist wieder auf die Leibnizsche<br />

Fassung des Kompossibilitätsprinzipes zu verweisen, das bereits das<br />

Zugleichsein dynamisch, wenngleich unbestimmt-allgemein, mit<br />

zukünftigen Zuständen verbindet. Die Übertragbarkeit ist dadurch<br />

eingeschränkt, als daß Leibniz von series rerum in eigener, gewissermaßen<br />

am Ende der Zeit objektiv zeitlicher Ausdehnung ausgeht, entlang der wir<br />

von der Gegenwart nur mitgenommen werden; Kant zeigt hier anders als<br />

in den M. A. d. N. hingegen auch in der Behandlung des Regressus und<br />

Progressus den transzendentalidealistischen Standpunkt, indem er<br />

dasjenige intelligible Subjekt, daß er in »Überlappung« mit der Objektwelt<br />

durch Sinnlichkeit und Leiblichkeit vorstellt (Auflösung der dritten<br />

Antinomie), zum Ausgangspunkt sowohl der Orientierung in die<br />

27 Vgl. im selben Abschnitt: Fünftes Kapitel, Intellection und Einbildungskraft


— 1248 —<br />

Vergangenheit, letztlich auf die erste und oberste Ursache, wie der<br />

Orientierung auf die Zukunft, auf das Noch-nicht-Seiende, aber auch auf<br />

das Nicht-Absehbare, nimmt. Kant stellt also die Orientierung gemäß der<br />

Zeitreihe A, d. i. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft als aneinander nicht<br />

anliegende Zeitteile, auf ein transzendentalästhetisches Fundament, ohne<br />

deshalb der Zeitreihe A selbst eine transzendentalästhetische<br />

Anschauungsform anzumessen. Ist hierin ein Widerspruch zu Leibniz zu<br />

erkennen? Es ist davon auszugehen, da Kant den logischen Gebrauch der<br />

Vernunftbegriffe nur mit einer Deduktion ihrer objektiver Gültigkeit<br />

versehen hat, daß auch hier der Anspruch auf objektive Gültigkeit der<br />

Prinzipien geht. M. a. W., Kant geht in seinem Versuch einer<br />

Frontbegradigung der Metaphysik durch ihre Kritik und Verwandlung<br />

derselben in eine Wissenschaft, und hierin enger an Descartes<br />

Grundlegung angelehnt als Leibniz, transzendentalidealistisch so strikt<br />

wie möglich von Erkenntnisgründen aus. Leibniz denkt aber als<br />

Alternative zu einer radikal transzendentalsubjektivistischen Position des<br />

frühen Descartes alles andere als an eine Formalontologie; auch handelt es<br />

sich weder bei seinen Entwürfen zu einer zusammenhängenden<br />

Monadologie noch in seinem nur verstreut skizzierten System der<br />

vinculum substantiales um ein System der Regionalontologien. Obgleich<br />

regionalontologische Gesichtspunkte bei der Gliederung von Teilen der in<br />

der gleichnamigen Schrift zusammengefaßten Monadologie hilfreich sein<br />

können, entsprechen sie nicht dem Gang der Überlegungen: so sind die<br />

zum Teil nicht einheitlichen Versuche, mechanische und biologische<br />

Prinzipien konstruktivistisch nach dem Unterscheidungskriterium von<br />

nicht endlos teilbaren und endlos teilbaren Maschinen letztlich doch zu<br />

vereinbaren, keinesfalls regionalontologisch aufzulösen. Das System des<br />

vinculum substantiale superadditivum, daß allererst der wahrhaft<br />

apperzipierenden Monade einsichtig sein soll, bestimmt zwar die<br />

Vernunft, und zwar an anderer Stelle als Kant, der eben schon den<br />

urteilenden Verstand als entscheidenden Grund ansieht, von<br />

(transzendentaler) Apperzeption zu sprechen. Während die Darstellung<br />

der Monadologie eine immanente genetische Linie besitzt, wird das<br />

System des vinculum substantiales insgesamt zur ontotheologischen<br />

Bedingung der Möglichkeit der Verwirklichung eines Systems der<br />

praktischen Vernunft in technisch-praktischer wie in ästhetisch-praktischer<br />

Hinsicht.


— 1249 —<br />

Leibniz Überlegungen zum series rerum stehen nun mit dem<br />

evolutionären wie mit dem mechanischen Aspekt der Schöpfung in<br />

Verbindung, auch wenn, wie etwa in den 24 Sätzen, die abstraktunbestimmte<br />

Form der Spekulation auf Totalität durch Abstraktion eine<br />

eigene Dignität in ontologischer Hinsicht gewinnt, die allemal nicht restlos<br />

als formalontologisch denunzierbar ist. Kant ist aber offenbar nicht gewillt,<br />

die Zeitform der verfließenden, kontinuierlich abzählbaren Zeit weiter zu<br />

abstrahieren und etwa auf eine auf die Antizipation fundierende<br />

transzendentalästhetische Position formaler (d. i. im Bewußtsein der Zeit<br />

und des Zeitinhalts kontinuierlichen) Subjektivität von Vergangenheit,<br />

Gegenwart und Zukunft anzuwenden, die bis in die<br />

Grundlegungsproblematik der Finalursachen gegenüber der Kritik der<br />

metaphysischen Voraussetzung eines Organisationsprinzips in der Natur<br />

in der Kritik der teleologischen Urteilskraft Relevanz haben könnte.<br />

Leibniz hat, wenn auch nicht den Raum, dann doch die Zeit objektiv<br />

genommen, und sich damit deutlich über die Grenzen des<br />

transzendentalen Idealismus hinaus bewegt. Leibniz ist insofern<br />

Hyperrealist oder eben rationaler Metaphysiker, aber weder betreibt er nur<br />

Verstandesmetaphysik noch wird Leibniz zum bloßen transzendentalen<br />

Realisten, was die Einschränkung der Apperzeption auf Vernunft<br />

nachweist.<br />

In Hinblick auf die Interpretation der grundlegenden logischen Struktur<br />

des Aussagens zwischen auschließendem und nicht-ausschließendem<br />

»oder«, was immerhin dem »Inbegriff aller Realität« wie dem »All der<br />

Realität« die verschiedensten Fassungen zur Darstellung verhilft, ist<br />

demnach auch eine zeitliche Dimension zu berücksichtigen. Dies zuerst<br />

nur analytisch, da der immanent genetische Moment gewisser Aspekte<br />

dieser Untersuchung dies spekulativ, aber reell in Stellung zu bringen<br />

erlaubt. Sobald aber das Denken die Grenze des transzendentalen<br />

Idealismus überschreitet, wird auch der inhaltliche Horizont der<br />

Überlegung subjektiv verzeitlicht, sei sie eine der Spekulation, der<br />

Reflexion des Vergleichens und Verknüpfens, oder des Bejahens und<br />

Verneinens, oder des Einräumens und des Ausschließens. Das führt in eine<br />

Phänomenologie der Arten von Regressi in den Antinomien der<br />

kosmologischen Ideen, wobei spätestens ab der Auflösung der zweiten<br />

Antinomie (zuvor schon im synthetischen Grundsatz der<br />

Wechselwirkung) bereits der strikte transzendentale Idealismus von Fall<br />

zu Fall allein mit Hilfe einer metaphysischen Analogie verlassen worden


— 1250 —<br />

ist. Die metaphysische Analogie als solche sollte einerseits gerade anhand<br />

des synthetischen Urteils a priori, das in der transzendentalen Deduktion<br />

der Begriffe und der Schematen gegen die strikte Auslegung des<br />

Transzendentalsubjektivismus das modale Prädikat der »objektiven<br />

Realität« hergestellt hat, wenn auch restringiert, immerhin möglich<br />

geworden sein. Andererseits bedarf es erst der Qualifikation einer jeden<br />

nur spekulativ aufgefundenen Analogie zur metaphysischen Analogie, die<br />

eben im Falle absoluter und besonderer Einzelbegriffe nicht wie<br />

komparative Allgemeinbegriffe allein aus der zusammenhängenden<br />

Erfahrung qualifiziert werden können.<br />

Grundsätzlich spricht nach all dem nichts dagegen, daß die Vorstellung<br />

des series rerum in seiner allgemein-unbestimmten Fassung in dem eben<br />

eröffneten Bereich der reellen Spekulation der reinen Vernunft verbracht<br />

wird. Was aber für Leibniz in eben dieser allgemeinen Unbestimmtheit,<br />

und auch im Moment ohne Bezug auf einen allgemeinen und umfassenden<br />

Conatus stehend festgehalten, noch kein Problem sein muß, führt im<br />

Rahmen der Kantschen Transzendentalphilosophie unvermeidlich in eine<br />

bislang vermiedene Schwierigkeit: Beschränkt man sich auf die<br />

Erkenntnisgründe, so führt die Verzeitlichung zur Frage nach der<br />

Bestimmbarkeit der Vergangenheit und, was hier nun entscheidend ist, zur<br />

Frage nach der Bestimmbarkeit der Zukunft, die nicht auf ein letztlich<br />

innersubjektives Schema zwischen dem Conatus pathologischer Begierden<br />

und dem Willensvermögen als die Vernunft als Oberes<br />

Begehrungsvermögen hinausläuft. Trotzdem bleibt die Subjektivität<br />

erkenntniskritisch (im theoretischen Erkenntnisinteresse) in Stellung. Diese<br />

Frage ist aber in einem gänzlich anderen Sinne der unmittelbaren Kenntnis<br />

entzogen, wie im Regressus des Erfahrungmachens, wo erst jeweils am<br />

vorläufigen Ende der Methodenanwendung (der Beantwortung der damit<br />

gestellten Frage) sowohl der Denk- wie der Forschungsbewegung zu<br />

einem wie immer vorläufigen Ergebnis kommt; oder wie eben in der Frage<br />

nach der (empirischen) Bestimmbarkeit der Vergangenheit, die zumindest<br />

teilweise Urteile über Spuren und Quellen erlaubt. Die Zukunft ist<br />

grundsätzlich nicht nur wegen der Unbekanntheit bekannter oder selbst<br />

unbekannter Faktoren ungewiß, sondern weil sie schlichtweg nicht völlig<br />

im strengen Sinn determiniert ist. — Da es sich nun um eine<br />

transzendentale Untersuchung handelt, vermag daraus auch kein<br />

Argument für eine Darstellung gemäß der Unbedingtheit des


— 1251 —<br />

transzendentalen Obersatzes (des transzendentalen Syllogismus) gezogen<br />

werden; es bleibt jedoch das transzendentale Kategoriengerüst in Stellung.<br />

Darüberhinaus gehende Versionen setzen sich also nicht nur über die<br />

Grenze des strengen transzendentalen Idealismus hinweg, sondern<br />

verlangen vom allgemein-unbestimmten Begriff des series rerum bei aller<br />

inhaltlichen Indifferenz gerade im Rahmen der Spekulation verschiedener<br />

möglicher Welten doch schon die Entscheidung, daß es ein Ende gäbe, von<br />

wo aus die Determinationen in der Zeit des series rerum, die Leibniz eben<br />

nicht so streng wie hier Kant in den Grenzen des transzendentalen<br />

Idealismus auf die Zeitlichkeit des sinnlichen Erfahrungsmachens und<br />

deren Kausalität einschränkt, überblickbar werden könnten. Nun geht aber<br />

Kant in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaften<br />

von eben einer solchen Idee der vergangen gesetzten Zeit aus, die zwar als<br />

regulative Idee jeweils vom gerade zugänglichen Stand des Wissens<br />

auszugehen hat, aber a fortiori rein spekulativ bis zu dieser Absolutheit<br />

gesteigert werden kann, das das ganze series rerum darin Platz findet.<br />

Insofern mag es als Desiderat gelten, den transzendentalen Obersatz mit<br />

den Ergebnissen der anhand der Untersuchung des transzendentalen<br />

Obersatzes eröffneten Kreis reeller Spekulation als metaphysische<br />

Anfangsgründe zu reinterpretieren. Allerdings wird hier von der<br />

Spekulation eben mehr verlangt als die Auslegung des transzendentalen<br />

Existenzialsatzes, von welchem aus die Bewegung des Begriffes beginnt,<br />

und im Rahmen des transzendentalen Idealismus auch in einer kritisch<br />

restringierten Fassung des transzendentalen Ideals zu einem Ende<br />

gebracht werden kann. Das reicht aus, um in der Immanenz des<br />

ontologischen Gottesbeweises dessen formale und objektive Gültigkeit für<br />

den Begriff jedes einzelnen Dinges zu behaupten, aber nicht die<br />

notwendige Existenz von bestimmten einzelnen Dingen in einem<br />

möglichen Erfahrungszusammenhang und nicht die absolute<br />

Notwendigkeit eines obersten und höchsten realen Wesens. Das würde<br />

nach einem transzendentalen Prinzip und einem synthetischen Urteil a<br />

priori verlangen, was für die eine wie für die andere Frage allein aus<br />

Begriffen erschlossen, als unmöglich für erweisbar entschieden worden ist.<br />

Die absolute Notwendigkeit ist schon für den vorkritischen Kant nur aus<br />

Begriffen zu beweisen möglich, sofern als daß nur Urteile einander<br />

widersprechen, nicht die wirklichen Dinge (Erste Hälfte der sechziger<br />

Jahre, Refl. 3813: »[...] Die Absolute Nothwendigkeit eines Dinges muß aus<br />

Begriffen hergeleitet werden und nicht aus dem Verhältnis mit anderem<br />

existierenden. Kein Gegentheil des Daseyns wiederspricht sich; nur die


— 1252 —<br />

Sätze.« AA. XVII, p. 301). Gegenüber der rein logischen Auffassung konnte<br />

auch in den Grenzen des strikten transzendentalen Idealismus ein reeller<br />

Gehalt für die spekulativen Überlegungen der theologischen Idee für<br />

allgemeine Überlegungen einer allgemeinen Prinzipienlehre m. E. bereits<br />

nachgewiesen werden. Nunmehr aber soll im Umkreis des unbrauchbar<br />

gewordenen transzendentalen Obersatzes die Spekulation ohne Geleit die<br />

göttlichen Attribute bis in die Unvordenklichkeit des ontotheologischen<br />

Ur- und Ungrundes hinein fundieren. Hier kann die Metaphysik der<br />

transzendentalen Ästhetik mittels Spinozas Substanzbegriff die<br />

Formalontologie zwar noch einmal spekulativ übersteigen, verliert dabei<br />

aber den Bezug zur transzendentalen Idee der Freiheit, die im<br />

transzendentalen Ideal immerhin möglich geworden ist, wie den Bezug zu<br />

jedem transzendentalen Inhalt, gleichgültig, ob dieser als von der<br />

transzendentalen Materie oder vom wesentlichen Prädikat abgeleitet<br />

gedacht wird.<br />

8. Die Konzepte des Begriffes und das »Einzige« als Ausdruck<br />

letzter intensionaler Totalität. Das Problem einer eindeutigen<br />

Ordnung höherstufiger Prädikate<br />

a) Die Grenze der transzendentalen Dialektik zwischen Idee und Ideal<br />

in der rationalen Metaphysik<br />

Es geht um die Differenz von Idee und Ideal: Ideal der reinen Vernunft,<br />

transzendentales Ideal gehen auf den Gegenstand. Genetisch betrachtet<br />

muß die der transzendentalen Analytik vorgängige Vernunft einerseits<br />

pragmatische, andererseits ideale Vernunft sein. Daraus ergeben sich in<br />

dieser Frage zwei Argumentationsmöglichkeiten: (1) Die vorkritische<br />

Vernunft besitzt weder in ihren pragmatischen, noch in ihren idealen<br />

Aspekten die Eigenschaft, auf Gegenstände direkt beziehbar zu sein.<br />

Pragmatisch nicht, weil die Gegenständlichkeit der Objekte nicht das<br />

eigentliche Erkenntnisinteresse ausmacht, sondern nur die beschränkte<br />

Verwendbarkeit dieser Objekte; idealistisch nicht, weil die Idealität selbst<br />

abstrakt bleibt und an der Wirklichkeit scheitern muß. Die Beziehbarkeit<br />

von Ideen auf Gegenstände ist demnach ein Artefakt der Dialektik im Ideal<br />

der reinen, bereits kritisierten Vernunft. (2) Die vorkritische Vernunft<br />

bezieht sich sowohl in ihrem pragmatischen wie in ihrem idealen Aspekt<br />

immer schon auf Gegenständliches, wenn auch nicht explizit und zu reiner


— 1253 —<br />

Theorie gebracht. Die Mittelbarkeit dieser Beziehung drückt sich in den<br />

Vernunftideen der reinen Vernunft weiterhin aus, im Ideal der reinen<br />

Vernunft drückt sich hingegen die Bezüglichkeit aufs Gegenständliche<br />

aus.Die jeweiligen präzisierenden Formulierungen zeigen auf, daß diese<br />

Alternativen voneinander abhängig sind und auch aufeinander verweisen.<br />

Die dazugehörige Ideenlehre (idea est conceptus archetypus) wurde weiter<br />

oben bereits dargestellt, und besagt grundsätzlich, daß sich Oberste Ideen<br />

zwar auf Gegenstände beziehen lassen, aber eben auch nur mittelbar über<br />

allgemeinste Merkmale, und ohne das Objekt näher zu bestimmen, zu<br />

konstruieren oder zu produzieren. Es scheint sich also hier um eine<br />

weitere Variation des nämlichen Verhältnisses von Idee und Gegenstand<br />

versus Ideal und Gegenstand; die Frage, ob der explizite Bezug einer Idee<br />

auf einen Gegenstand dialektisch sei, und somit auch der<br />

Gegenstandsbezug des ontologischen Ideals, ist aber immer die gleiche.<br />

Grundsätzlich bedarf es einer nachträglich erst verständlichen Ergänzung,<br />

die eigentlich von Beginn dieser transzendentallogischen Erörterung an in<br />

Geltung gewesen ist. Entsprechend der Auffassung, daß die logischen<br />

Tafeln (§ 9) nicht die allgemeine Logik repräsentieren sollen, sondern die<br />

logischen Regeln entsprechend unserer Urteile zusammenstellt, um einen<br />

Leitfaden zur Deduktion der Kategorien zu gewinnen, ist zu sehen, daß<br />

die zwei zentralen Begriffsdefinitionen der Analytik wie der Dialektik, die<br />

qualitative Einheit des Begriffes vom Objekt (§ 12, als ontologisch-induktiv<br />

depotenziertes transzendentales Ideal) und der Begriff vom einzelnen<br />

Gegenstand (Ideal der reinen Vernunft) nicht selbst die logischen<br />

Definitionen des Begriffs ausmachen können, als daß sie bereits gemäß der<br />

transzendentalsubjektivistischen Verschärfung in Kants Programm, die<br />

mit der Kritik der reinen Vernunft als Propädeutik erfolgt ist, zugerichtet<br />

worden sind. Das eine wird mit der logischen Kontinuität des Prinzips der<br />

durchgängigen Bestimmbarkeit eines Dinges mittels Prädikate als<br />

Merkmale, unabhängig vom Raumbegriff der transzendentalen Ästhetik<br />

und unabhängig von Voraussetzungen der rationalen Physiologie, formal<br />

voraussetzbar, das andere nur als Transformation des wesentlichen<br />

Prädikats aus dem Ideal der reinen Vernunft, logisch gemäß dem<br />

Teilbegriff, der eine ganze Vorstellung des Gegenstandes erlaubt, zu einer<br />

Relation aus der Erfahrung (Erfahrung haben, machen, anstellen) denkbar.<br />

Dabei ist die Anwendung der Kategorie der Allheit auf den Inbegriff aller<br />

Prädikate eines Dinges überhaupt ohne weiters zu einem Satzsystem<br />

entwickelbar, gerade bedenkt man die Unklarheit des Prinzips der


— 1254 —<br />

durchgängigen Bestimmung mittels Prädikate zwischen<br />

Merkmalsprädikate und wesentlichen Prädikaten, während das Ideal der<br />

reinen Vernunft spekulativ zwar zum transzendentalen Ideal als Begriff<br />

vom einzelnen (einzigen) Wesen gesteigert werden kann, damit einzelne<br />

Dinge der transzendentalen Materie aber nur mehr auf dem Umweg der<br />

Existenz eines Substrates des erkennenden transzendentalen Subjekts<br />

anerkannt werden können. Und es gibt eine synthetisch-metaphysische<br />

und transzenzendentale Analogie, die im Rahmen der bloßen Ideenlehre<br />

als formale Implikation ausdrückbar ist, und einerseits zur<br />

Unaufhebbarkeit der res, seien sie cogitans oder extensa, führt,<br />

andererseits in die Unaufheblichkeit eines Dinges im Zusammenhang der<br />

Erfahrung mündet. Transzendentallogisch bleibt dies sowohl mit der<br />

Wesenslogik (d. h. hier bereits von je her der Erfahrung zugewandt) wie<br />

mit der transzendentalen und logifizierbaren Zeitbedingung verbunden<br />

(vgl. zweiten Abschnitt) und wird vernunftgemäß und kritisch betrachtet<br />

zu einer Idee von naturwissenschaftlicher Theorie und deren allgemeinen<br />

Erfahrungsbedingungen. Kant sieht im Zuge der transzendentalen<br />

Analytik des empirischen Verstandesgebrauches also ein, daß, um das<br />

modale Problem (die Behauptung objektiver Realität) nach<br />

Erkenntnisgründen aufzulösen, ein aussagenlogischer Ansatz nötig ist,<br />

was aber keineswegs davon enthebt, ein syntaktisches Kriterium zu<br />

finden.<br />

b) Das logische Konzept des Begriffes innerhalb und außerhalb des<br />

einfachen Satzes mit Subjekt und Prädikat. Das »Einzige« in der<br />

transzendentalpsychologischen Urteilslehre. Verschiedene höherstufige<br />

Prädikate und Gödels Auffassung zu Russells Typenlehre<br />

Das Konzept des Begriffes ist für sich selbst schon nicht eindeutig, sondern<br />

scheint gleichursprünglich in mehrere Direktionen zu entwickeln zu sein:<br />

Erstens ist der Begriff ein satzinternes Konzept, daß erst je verschieden aus<br />

der grammatikalischen Stellung im durchgebildeten Satz, der immer schon<br />

erst die diskursive Entscheidungsfähigkeit als eines der modal<br />

entscheidenden Kriterien besitzt, formale Merkmale erhält. 28 Insofern<br />

28 Leibniz: syntaktische Kriterien, § 195, § 184, 22, 271 f., 22, 274 f., C 325 in: Generales<br />

Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum 1686, , Hrsg. von Franz Schupp, in:<br />

Meiner Phil. Bibl. Bd. 338, Hamburg 1982). John R.. Searle, Sprechakte. Ein<br />

sprachphilosophischer Essay. Übersetzt von R. und R. Wiggershaus, Suhrkamp,<br />

Frankfurt am Main 1971 (Originalausgabe: Speech Acts, Cambridge University Press


— 1255 —<br />

bleibt der Begriff als Konzept innerhalb des Konzeptes eines Satzes der<br />

Struktur S - P.<br />

Zweitens ist der Begriff ein Konzept, daß sowohl vertikal entlang nach<br />

Gattung und Art, wie jeweils horizontal nach Attribute logisch einteilbar<br />

sind. M. a. W. ist dieses Konzept des Begriffes auch im intensionalen<br />

Konzept der Durchbestimmung eines Dinges mittels Prädikaten bereits<br />

eine System von ganzen S - P - Sätzen. Diese Einteilung folgt den<br />

Vorläufern des logischen Prinzips der Negation, den formalisierbaren<br />

Prinzipien der Einteilung und Zuteilung (Zuschreibung) von Merkmalen,<br />

die von Anbeginn der Platonischen Diairesis von inhaltlichen Prinzipien<br />

begleitet waren, welche aber ihrerseits mittelbar mit der Methode des<br />

Erwerbs oder Habhaftwerdung in verschiedensten Abwandlungen je nach<br />

Gegenstand oder praktisch-pragmatisch relevanten Verhältnis zum<br />

Gegenstand in Zusammenhang gestanden sind. Diese Verhältnisse lassen<br />

sich anhand des Satzes der Identität, des Satzes vom Widerspruch und des<br />

Satzes vom ausgeschlossenen Dritten weitgehend formalisieren; jedenfalls<br />

ist zwischen Plato und Aristoteles eine durchgehend extensionale<br />

Interpretation im Sinn mengentheoretischer Grundlegung aufgrund von<br />

Distributionsverhältnisse auf Gegenstände ebenso wenig zu erwarten, wie<br />

eine formalontologische Ausarbeitung eines Dingbegriffes zum<br />

Gegenstand unter transzendentalsubjektivistischen Bedingungen.<br />

Nunmehr hat die Frage nach den inhaltlichen Prinzipien längst eine<br />

platonisch-mathematische und eine naturphilosophisch-ontologische<br />

Dimension bekommen, seit über den Horizont der an sich und für sich<br />

relativen Gleichursprünglichkeit regressiv hinausgehenden Vermutungen<br />

angestellt wurden, ob es sich bei der Vorstellung eines sogenannten<br />

»eigentlich« Ursprünglichen, bloß um willkürliche<br />

Rekonstruktionsversuche im Rahmen einer analytischen Methode handelt,<br />

ohne sicher entscheiden zu können, wann es sich um ein bloßes Artefakt<br />

handelt, oder ob es zumindest zu einer Auslegung der ersten Alternativen<br />

des »Einzigen« kommt, auch wenn eine hinreichend zuverlässige<br />

Entscheidung nicht, oder nicht regelmäßig, zustande kommt. Der oder das<br />

»Einzige« tritt selbst sowenig auf wie die Menschheit in uns, das<br />

transzendentale Ich oder die abstrakte Vorstellung vom unbeteiligten<br />

Dritten, und ist ein reines Vernunftideal, das, obwohl doch deutlich aus<br />

der psychologischen Idee abgeleitet, wegen seiner Unterscheidbarkeit vom<br />

1969), 5. Kap. Prädikation; insbesondere 5.4 Die Termtheorie der Sätze (p. 173 f.), wo<br />

die »syntaktischen Kriterien« von Frege, Strawson und Russell diskutiert werden.


— 1256 —<br />

Seelenbegriff nicht einmal vom Paralogismus bedroht ist, sondern von der<br />

praktischen Vernunft eigens eingeschränkt werden muß. Vgl. in A die<br />

numerische Einheit der selbst empirischen Apperzeption, die mit dem<br />

Gewahrwerden der fortwährend gleichbleibenden Konsequenz (die<br />

»stehende« Vorstellung ohne anschauliche und sonstige Merkmale) aus<br />

der transzendentalsubjektivistisch ursprünglichen und primordialen<br />

numerischen Einheit des empirischen Bewußtseins im Fluß der<br />

Erscheinungen der sogenannten empirischen Apperzeption zum ersten<br />

und einfachen Bewußtseinsakt der transzendentalen Apperzeption im<br />

Sich-Zuschreiben der synthetischen Einheit des »Ich denke« sich<br />

verwandelt. Obgleich der Leib zum materialen Apriori wie schon zu den<br />

Grundlagen einer jeden Orientierung im Raum gehört, gehört zu dieser<br />

Operation bereits die Fähigkeit zur Selbstdistanzierung gegenüber den<br />

Objekten und gegenüber den anderen handelnden Individuen, und was<br />

hier entscheidend ist, gerade die Unterscheidung des eigenen Selbst von<br />

der einfachen Leiblichkeit. Das ist auch der tiefere<br />

(fundamentalontologische) Grund für die Einzigkeit als erste<br />

Charakteristik einer transzendentalen Argumentation und betrifft<br />

resolutiv in einem schon das Syndrom (die Vorstellungskomplexion) der<br />

»Menscheit in uns« als Gegenstand der philosophischen Anthropologie ein<br />

erstes Mal wesentlich.<br />

Drittens ist der Begriff das Konzept einer Reihe von horizontal<br />

(Konjunktion oder Disjunktion) und vertikal (subordinierend anstatt<br />

subsummierend) orientierbaren Prädikate, die mittelbar nicht unabhängig<br />

von den Schwierigkeiten in der mengentheoretisch und klassenlogisch<br />

fundierten und somit dem extensionalen Formenkreis im eigentlichen<br />

Sinne, schlußendlich auch nicht unabhängig von der zugehörigen<br />

Typentheorie und Beschreibungslehre von Bertrand Russell bleiben<br />

werden. Eine andere Art von Prädikate höherer Ordnung können nach den<br />

hier angestrengten Untersuchungen die Aufstufung von Attributen der<br />

göttlichen Substanz zu deren Modis bei Spinoza sein. Oder es können<br />

quantitative Bestimmungen qualitativer Prädikate transzendentale<br />

Verhältnisprädikate und modallogische Prädikate niedrigerer Ordnung<br />

voraussetzen. Insgesamt betrachtet gibt es überhaupt verschiedene<br />

denkmögliche Arten formaler Aufstufung der Reflexionsschritte, die a<br />

posteriori in der Analyse der Aussage als Formbegriffe prädiziert werden<br />

können, die sich vermutlich nicht alle zu einer einzigen<br />

zusammenhängenden Methode qualifizieren lassen, obwohl abstrakt


— 1257 —<br />

formale Analogien zu systematischen Zusammenhängen<br />

zusammengestellt werden können müssen.<br />

Viertens ist das Konzept vom Begriff schließlich der merkmalsfreie<br />

Abstraktionsbegriff, welcher der Russellschen Beschreibungstheorie mit<br />

der Überstülpung einer Typenlehre höherstufiger Prädikate die bekannte<br />

Antinomie beschert, die allein in der extensionalen Behandlung der Logik<br />

ihre Wurzel hat, wie Kurt Gödel in seinem Aufsatz zu Russells und<br />

Witheheads »Principia Mathematica« mit der Widerlegung oder<br />

Umgehung der Russellschen Antinomie auf intensionalem Wege anhand<br />

verschiedener Beispiele sich selbst enthaltener »Imprädikative« zu<br />

erkennen gibt. 29 Bereits kurz nach der Erscheinung der ersten Auflage (?)<br />

1918 hat Weyl die Sinnhaftigkeit der rein formalen und beliebig<br />

scheinende Aufstufbarkeit für logische Probleme sprachlicher Aussagen<br />

überhaupt bezweifelt. 30 Die Sinnhaftigkeit der Konstruktion einer solchen<br />

höherstufigen Typenlehre in der Principia Mathematica, zumal wenn<br />

gerade in der zweiten Auflage fast ausschließlich von einstufigen<br />

Prädikaten gehandelt wird, bezweifelt auch Gödel. 31 Insofern darf im Zuge<br />

einer Theorie höherstufiger, bloß subordinierender Prädikate von einem<br />

merkmalsfreien Abstraktionsbegriff, der allein aus seiner selbst abstrakten<br />

vertikalen und horizontalen Stellenordnung noch eine Bestimmung<br />

bezieht, wohl die Rede sein. Insofern wird ein gemeinsamer systematischer<br />

Kern von sprachlogischen und mathematischen Systemen (oder eine<br />

gleiche Abstraktionslehre) sichtbbar, obgleich Godel im genannten Aufsatz<br />

davon ausgeht, daß für sprachliche, nicht rein mathematische Ausdrücke<br />

ein unendliches Kalkül nicht notig sei. — An besser geigneter Stelle wird<br />

weiter unten der logische Ursprung der Begriffe und die Formen des<br />

Vergleichs aneinander wie der transzendentale Bezug der Begriffe auf die<br />

numerische Einheit des Bewußtseins als erste Bedingung Kants, von<br />

transzendentaler Apperzeption zu sprechen, behandelt werden. Dies an<br />

Stelle eines fünften Punktes.<br />

29 Russell, Bertram (und A. N. Withehead), Principia Mathematica, Vorwort von Kurt<br />

Gödel und Einleitungen, Übersetzt von Hans Mokre, Suhrkamp 593, Frankfurt a. M.<br />

1986, p. XVI f. zu Imprädikative<br />

30 Hermann Weyl., Über eine neue Grundlagenkrise der Mathematik, Math. Zeitschrift<br />

10 (1921)<br />

31 Gödel, w.o., p XI zu Zermelos Axiomatischer Mengentheorie, Endnote 16: »Die<br />

intensionalen Paradoxien können bewältigt werden, z. B. durch die Theorie der<br />

einfachen Typen oder der verzweigten Hierachie, die keinerlei unerwünschte<br />

Einschränkungen involvieren, wenn sie nut auf Konzepte angewandt werden und<br />

nicht auf Mengen.«


— 1258 —<br />

c) Der transzendentale Schein eines sprachmolekularen Existenzsatzes<br />

und das Problem der Rückführbarkeit höherstufiger Prädikate.<br />

Die Erforschung der Strukturen der logischen, modallogischen und<br />

transzendentallogischen Untersuchungen vor jeder Aussicht auf ein<br />

transzendentales Prinzip, daß zu einem synthetischen Urteil a priori<br />

befähigen könnte, besitzt ein vorläufiges Ergebnis:<br />

1. Es gibt für Formalwissenschaften kein universielles Prinzip für<br />

synthetische Urteile a priori analog der Schlußfolgerung aus reiner<br />

Anschauung nach dem Vorbild der Geometrie.<br />

2. Die Elemente einer transzendentalen logischen Untersuchung sind<br />

selbst nicht transzendental oder rein logisch.<br />

3. Es gibt mehrere Direktionen, nach welchen höherstufige Prädikate<br />

entwickelt werden können.<br />

4. Es müssen verschiedene Arten von Direktionen bei der Entwicklung<br />

einer umfassenden Theorie höherstufiger Prädikate beteiligt sein.<br />

5. Es gibt mehr als einen Horizont von Evidenzkriterien für die Geltung<br />

von Existenzialsätzen, völlig unabhängig von der Frage nach einer<br />

Systematik von Regionalontologien.<br />

6. Alle Horizonte von Evidenzkriterien sind transzendental<br />

resubjektivierbar oder mit der transzendentalsubjektivistischen Position<br />

widerspruchsfrei in Zusammenhang zu bringen.<br />

Im Grunde setzt sich hier noch die Unklarheit zwischen<br />

Merkmalsprädikaten fort, die aus der transzendentalen Materie stammen,<br />

und wesentlichen Prädikaten, die Teilbegriffe, die den ganzen Gegenstand<br />

vorstellen lassen, da die transzendentale Analyse den Horizont der<br />

Betrachtung des gegebenen Gegenstandes nicht nur auf den Regressus im<br />

Erfahrungmachen erweitert, vielmehr auch transzendentale Reflexion und<br />

die transzendentallogischen Untersuchungen der Wahrheitsbedingungen<br />

mit dem Fortschreiten der Spekulation zunehmend in die Stellung des in<br />

der Kritik zu betrachtenden Materials einrückt. Das Hauptargument für<br />

die logisch starke, modallogisch schwache Variante der Bestimmung des<br />

Umfangs des omnitudo realitatis, die gemäß § 11 der Deduktion das<br />

Wahre (Existierende) und das Falsche (Nicht-Existierende) beinhaltet, liegt<br />

erstens in der damit eindeutigen Positionierung des Existenzialsatzes, was<br />

allein mit der aristotelischen Fassung des Realmöglichen ein Problem<br />

geblieben ist, und ist zweitens der Bewältigung des Anspruches, den<br />

abstrakt auch die Typentheorie von Russell stellt: nämlich daß alle höheren<br />

Typen von Prädikate sich umstandslos auf Existenzialsätze beziehen


— 1259 —<br />

lassen. Es ist aber unbestreitbar eine Inhomogeneität unter den bislang<br />

bekannt gewordenen Arten von höherstufigen Prädikaten (modale<br />

Prädikate, transzendentale Verhältnisprädikate) zu erkennen, die es<br />

zweifelhaft erscheinen läßt, daß ein abstraktiv vorgehender Entwurf wie<br />

der von Russell alle, oder auch nur alle relevanten Problemstellungen in<br />

diesem Zusammenhang einheitlich aufzunehmen imstande sein kann. Vgl.<br />

Poppers Aufspaltung von Subsumtionsverhältnissen und<br />

Falsifikationsverhältnissen zwischen Sätzen32 anhand eines Beispiels des<br />

vorlogischen Syllogismus aus der analytica a posteriori, in welchem an<br />

Stelle einer logischen Beziehung die grammatikalische (satzinterne)<br />

Beziehung des Relativsatzes tritt (E. Kapp, Der Ursprung der Logik bei den<br />

Griechen, Göttingen 1965, vgl. auch Zeidler K. W. Zeidler, Grundriß der<br />

transzendentalen Logik, Junghans, Cuxhaven & Dartford 2<br />

1997). Das hat<br />

zur Folge, daß es sich nicht eigentlich um einen Syllogismus handelt,<br />

sondern um eine rethorische Form, der erst gemeinsam mit ausdrücklich<br />

semantischen Elementen (empirischen Begriffen) zu einem Schluß<br />

zusammengestellt werden kann. Das nennt Kant je nach dem<br />

unvollständige Schlüsse oder eine besondere Logik im Gegensatz zur<br />

allgemeinen (rein formalen) Logik, wenn nicht empirische und<br />

transzendentale Begriffe in der Untersuchung vermengt worden sind, ist<br />

aber nicht geeignet, Grundlage einer transzendentalen Grammatik zu sein.<br />

Die allgemeine Logik ist zunächst ein Regelwerk richtigen logischen<br />

Schließens ohne jede Wahrheit außer die des principium contradictionis,<br />

erst die modallogische Analyse ist im Rahmen des Assertionsproblems mit<br />

Wahrheit und Existenzprädikat befaßt. Die transzendentale Logik wird<br />

deshalb angestrengt, um das grundlegende modallogische Problem zu<br />

lösen. Die transzendentallogische Analyse gibt nicht selbst die Antwort auf<br />

die Frage, wie denn die Semantik oder der empirische Begriff in die<br />

Sprache oder in den wissenschaftlichen Formalismus hineinkommt (das ist<br />

für Kant ein Problem der empirischen Deduktion der Begriffe, »welche die<br />

Art anzeigt, wie ein Begriff durch Erfahrung und Reflexion über dieselbe<br />

erworben worden, und daher nicht die Rechtmäßigkeit, sondern daß<br />

Faktum betrifft, wodurch der Besitz entsprungen«, B 117/A 85); sie gibt<br />

vielmehr die Antwort auf die Frage, wie die Relation beschaffen sein muß,<br />

die qualitative Bestimmungen (oder deren, in quantitative Begriffe<br />

konkretisierbaren Verhältnisse) modal als »objektive Realität« zu<br />

32 Karl R. Popper, Logik der Forschung,, J. C. B. Mohr, Tübingen 5 1973., VI. Kapitel


— 1260 —<br />

bezeichnen erlaubt, und auch darauf, wo die Grenzen des sinnvollen<br />

Aussagens im Rahmen der reinen spekulativen Vernunft liegen. So haben<br />

sich in dieser Arbeit die modallogischen Reflexionen Kants bei bestimmten<br />

Gelegenheiten auch als Umgestaltungen aufgrund der Überlegungen im<br />

Duisburger Nachlaß, die zur Notwendigkeit eines transzendentalen<br />

Schematismus erst geführt haben, und nicht bloß als Ableitungen daraus<br />

herausgestellt. Insofern gehören modallogische Prädikate wie das<br />

Existenzprädikat zu einer der transzendentallogischen Arten der<br />

höherstufigen Prädikate.<br />

Kant hat gegenüber Leibniz transzendentalphilosophisch zwei Vorzüge:<br />

erstens daß er die relevanten Fragen des nachcartesianischen<br />

transzendentalen Idealismus in der Kritik der reinen Vernunft schärfer<br />

gesehen hat und zweitens daß er konsequenterweise die englische<br />

Tradition des Empirismus im kritischen Abschnitt seiner<br />

Transzendentalphilosophie eingebaut hat, nachdem er gesehen hat (so die<br />

hier vertretene These), daß ein primär sprachphilosophischer Ansatz, so<br />

wie etwa im Duisburger Nachlaß zwischen aptitudo, Exponent und<br />

Prinzip vertreten, vergeblich versucht, dem Problem des »Ist-Sagens« seit<br />

Aristoteles, und auf welche Arten sinnvoll »es gibt« behauptet werden<br />

kann, endgültig beizukommen. — Der gesuchte Grund der Beendigung<br />

der endlosen Analyse kann bei Kant also nicht ein formal-immanenter<br />

Grund sein, gleichgültig, was nun »formal« jeweils bedeuten könnte. Das<br />

heißt aber auch, daß es eben von uns aus gesehen keinen universiellen und<br />

identen Grund zum Abruch gibt, gleichgültig, was die Untersuchung der<br />

spekulativen Vernunft in der theologischen Idee auch ergibt.<br />

Brentanos grammatikalische Analysen besitzen hingegen, weil innerhalb<br />

des des einfachen Satzhorizontes verbleibend, entgegen Brentanos eigener<br />

Darstellung 33 einen Grund des Abbruches der aufgestuften Metareflexion:<br />

Das ursprüngliche A ist wegen der Verdopplung der Bedeutung von »es<br />

gibt« durch die Unterscheidung »Es gibt eine Vorstellung von A« und »Es<br />

gibt A« nicht weiter in einer endlosen Reihe von Sätzen »Es gibt eine<br />

Vorstellung der Vorstellung von A« etc. zu denken; bzw. wäre diese Reihe<br />

gerade keine Metareflexion logischer Evidenzkriterien. So ist im obersten<br />

Satz einer Reihe der Reflexionen über die logischen Bedingungen ein<br />

bestimmtes A nicht mehr enthalten; vielmehr muß eine oberste Formel nur<br />

33 Im Anhang zu Franz Brentano, Psychologie vom empirischen Standpunkt, 2. Bd.:<br />

Von der Klassifikation der psychischen Phänomene, Hrsg. Oskar Kraus,<br />

Hamburg 1959 (Nachdruck von 1925), Vom ens rationis


— 1261 —<br />

mehr behaupten können, daß es wahr sei, wahre Sätze als wahre Sätze und<br />

falsche Sätze als falsch zu behaupten. Nur insofern ist es wahr, daß die<br />

oberste oder grundlegende logische Evidenz im Rahmen des<br />

Metakonzeptes der Gleichursprünglichkeit mit der subjektiven (immer<br />

empirischen) Evidenz, die nach Brentano kriterienlos sein soll, in<br />

abstrakter Unbestimmtheit doch noch, wenn auch mit formal nicht mehr<br />

angebbbaren Gründen, übereinstimmbar sein soll. — Um es nochmals<br />

auch mit Brentano festzuhalten: Der ursprüngliche Existenzialsatz ist das<br />

cartesianische cogito ergo sum; der nunmehr gesuchte Existentialsatz, der<br />

uns aus dem Gefängnis des strikten transzendentalen Idealismus befreien<br />

soll, wird von Kant in den synthetischen Grundsätzen in den<br />

Satzgegenstand verlegt. Von da an ist der transzendentalanalytische<br />

Zweifel prinzipiell (wenn es um Prinzipien geht) angebracht. Man kann<br />

darin auch den Übergang vom Existenzialsatz Brentanos, der trotz Teleoise<br />

im urteilenden Subjekt liegt, zum Existenzialsatz von Russell ersehen<br />

(Propositionen sagen Tatsachen aus). Die noch zu lösende Schwierigkeit<br />

liegt zuerst darin, die verschiedenen Stränge der methodischen<br />

Überlegung der transzendentalen Logik einmal systematisch darzustellen,<br />

und dann in weiterer Folge dies sowohl mit den wissenschaftshistorisch<br />

sich ergebenden Schwierigkeiten zwischen Plato und Aristoteles (oder<br />

überhaupt zwischen den frühen Stoikern und Megarikern einerseits und<br />

der Akademie andererseits bis hinauf zu Epikur), wie mit dem<br />

grundlegenden Problem zwischen Russell und Gödel (extensionaler versus<br />

intensionaler Ansatz der Logik) vor dem Hintergrund der auch von<br />

Russell in seiner Beschreibungstheorie behaupteten grundsätzlichen<br />

Rückführbarkeit aller relevanten Prädikate auf einen ausgezeichneten<br />

Existenzialsatz, kritisch aufeinanderzubeziehen.<br />

d) Die anzeigende Funktion einer transzendentalen Grammatik<br />

Dabei ist auf zweierlei zu achten: Erstens, daß die Ansätze<br />

grammatikalischer Kategorienlehren bei Aristoteles oder Brentano zwar<br />

ebenfalls wie bei Plato auf die Möglichkeit eines Existenzialsatzes beruhen,<br />

aber dazu verschiedene Voraussetzungen machen. Brentano sagt dazu im<br />

Rahmen seiner Kategorielehren: »Plato hat alle Attribute eines Dinges<br />

derart gedacht, daß ihr Unterliegendes bei der Reihe von spezielleren zur<br />

allgemeineren Aussageweise für jedes Attribut auf das selbe Seiende führt.<br />

Aristoteles hat das bestritten (gesunder Körper, gesunde Speise, gesundes<br />

Klima) und hält deshalb eine Kategorienlehre für notwendig. Ähnlich wie


— 1262 —<br />

im Beispiel der Verwendungsweisen von »gesund« sei nun die Redeweise<br />

von eigentlich Seienden (Wesen oder Substanz) und uneigentlich Seienden<br />

(Akzidenz) zu unterscheiden.« 34 Brentano übersieht in dieser Begründung<br />

vermutlich, daß es verschiedene Weisen des uneigentlichen Prädizierens<br />

gibt, die nur in einseitiger Abstraktion formal instantialisierbar sind. Es<br />

wird damit aber deutlich, daß es verschiedene Weisen der Beziehbarkeit<br />

von Prädikate auf einen Existenzialsatz gibt, wobei die uneigentliche<br />

Verwendung von Prädikaten (oder Attributen) als höherstufiges<br />

semantisches Prädikat bezeichnet werden kann, das aber nicht aus der<br />

transzendentallogischen oder modallogischen Analyse entstammt. —<br />

Zweitens ist entscheidend, daß die transzendentale Analytik Kantens zwar<br />

auf Kategorien führt, die die nämliche Zielsetzung besitzt wie andere<br />

Ansätze, und zwar einen Existenzialsatz zu bestimmen, worauf alle<br />

Prädikate eindeutig bezogen werden können, aber nicht selbst auf einer<br />

grammatikalischen Analyse beruht wie bei Aristoteles, sondern auf eine<br />

Prinzipienlehre (den reinen Verstandesbegriffen) und den<br />

transzendentalen Zeitbedingungen der sogenannten dynamischen<br />

Kategorien, welche zusammen in den synthetischen Grundsätzen<br />

ausgedrückt werden, und wovon die Kategorien also nur Titel sein<br />

können. In der entscheidenden Kategorie der Kausalität führt die<br />

transzendentale Analyse allerdings auch bei Kant zu einer<br />

grammatikalischen Analyse: Nach der garmmatikalischen Definition der<br />

reinen Kategorie der Substanz (das der Begriff der Substanz nicht als<br />

Prädikat gebraucht werden könnte) und des ersten, wesenslogischen<br />

Kriteriums des Ideals der reinen Vernunft (Begriff vom einzelnen<br />

Gegenstand), nicht von anderen Prädikaten abgeleitet zu sein, ist es im<br />

synthetischen Grundsatz der Kausalität die aussagenlogische Form,<br />

welche die entscheidende und eigentlich transzendentale Bedingung der<br />

Möglichkeit der Erfahrung, mithin das transzendentale Prinzip der<br />

Kausalität, grammatikalisch charakterisiert. Kants Bedingungen, einen<br />

Existenzialsatz zu finden, besitzen einerseits außerlogische Gründe, die<br />

nicht in einer extern vorausgesetzten Naturontologie zu fundieren sind,<br />

sondern aus der intensional verfahrenden transzendentalen Analyse der<br />

subjektiven Erfahrungsbedingungen entstammen, andererseits sind diese<br />

Bedingungen grammatikalisch charakterisierbar, und zwar als Übergang<br />

zur Ausagenlogik, insofern nicht allein im reinen Verstandesbegriff eine<br />

34 Brentano, Kategorienlehre, Herausgegeben und eingeleitet von Alfred Kastil, Felix<br />

Meiner Verlag, Hamburg 1 1933, p. 102


— 1263 —<br />

»logische« Zeitbedingung aus der Semantik der Begriffe ausgedrückt wird,<br />

sondern die ganze Aussage sich insbesondere im Grundsatz der Kausalität<br />

bereits auf ein Geschehen bezieht, nicht nur auf die Verwechslung in der<br />

Vorstellung einer beharrenden Substanz und deren transzendentale<br />

Attributionsproblematik mit der bleibenden Erscheinung im Wechsel der<br />

Erscheinungen. Hierin ist ein Durchblick auf Aristoteles insofern gestattet,<br />

als noch Searle in der Schrift zur Sprechakttheorie die Universalien als aus<br />

Verben abgeleitet vorstellt; allerdings ist mit dem transzendentalen Prinzip<br />

der Kausalität außer Streit zu stellen, daß Kategorien im Sinne<br />

aristotelischer Traditionen als Universalien fungieren.<br />

Im Zuge der Überlegungen zu einer transzendentalen Grammatik ist der<br />

entscheidende Unterschied im Ansatz grammatikalischer Kategorienlehren<br />

und dem transzendentalanalytischem Ansatz Kantens in<br />

grammatikalischer Hinsicht der, daß Kant jeden Satz als Existenzialsatz<br />

qualifiziert sieht, der dem transzendentalen Prinzip der Kausalität<br />

gehorcht, worin die aussagenlogische Form als grammatikalische<br />

Charakteristik mit beschlossen ist, grammatikalische Kategorienlehren<br />

hingegen ein syntaktisches Kriterium für S - P - Sätze suchen. Dies gilt<br />

bemerkenswerterweise unvermindert auch für die analytische<br />

Sprachphilosophie, die zwar keine Kategorien kennt, aber Universalien zur<br />

Problemaufstellung gehören. Mit dieser formalen Unterscheidung sind<br />

auch verschiedene modallogische Konsequenzen verbunden: Nach Leibniz<br />

führt eine reine Begriffslogik im Falle, ein Begriff gilt als wahr, nur zur<br />

modalen Bestimmung der Möglichkeit, also nur möglicherweise auch<br />

Existenz behauptend; während in einer reinen Aussagenlogik, gilt ein Satz<br />

als wahr, modal zugleich auch Existenz behauptet wird. 35 Davon spricht<br />

letztendlich auch Russell, obzwar Logik und Ontologie nicht so sauber rein<br />

modallogisch verbindend wie Leibniz, wenn er mit den Propositionen eine<br />

»Ontologie der Tatsachen« behauptet. Bevor das daraus sich ergebende<br />

Ziel, die beiden Hauptprobleme der Logik (in Sprachanalytik und<br />

mathematischer Logik), die letztlich beide jeweils aus ihrem Verhältnis zur<br />

Grammatik des richtigen Urteilens entspringen, im Rahmen der<br />

transzendentalen Logik und als Teil der transzendentalen Logik,<br />

aufeinander bezogen zur Darstellung zu bringen, verfolgt werden kann,<br />

muß zuvor ein grundsätzlicher Einwand gegen die unendliche Aufstufung<br />

der Prädikate der logischen Überlegung überlegt werden, der den<br />

35 Generales Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum 1686, , Hrsg. von Franz<br />

Schupp, in: Meiner Phil. Bibl. Bd. 338, Hamburg 1982).


— 1264 —<br />

Entschluß Leibnizens 1686, sowohl für absolute wie für kontingente<br />

Wahrheiten gleichermaßen eine unendliche Analyse anzusetzen, in einem<br />

neuen Licht erscheinen lassen wird.<br />

e) Totalität und Negation: Die absolute Notwendigkeit,<br />

ihre Einschränkung und ihre Ursprünglichkeit.<br />

Der Obersatz im Gottesbeweis von Anselm von Canterbury<br />

Auch in der Schrift zum Beweisgrund Gottes beginnt Kant die Erörterung<br />

des ens realissimum auf einer formalontologischen Ebene, welche von<br />

jedem transzendentalen Inhalt, gleichgültig, ob von transzendentaler<br />

Materie oder von einem wesentlichen Prädikat stammend, abstrahiert,<br />

und methodisch als modale Logik bezeichnet werden kann, obgleich gleich<br />

zu Beginn der Geltungsbereich der transzendentalen Negation<br />

eingeschränkt wird. Wenn etwas Aufhebliches existiert, dann muß ein<br />

Grund für das Aufhebliche existieren, der selbst nicht aufheblich ist:<br />

»Alle Möglichkeit setzt etwas Wirkliches voraus, worin und wodurch alles<br />

Denkliche gegeben ist. Demnach ist eine gewisse Wirklichkeit, deren<br />

Aufhebung selbst alle inneren Möglichkeiten überhaupt aufheben würde.<br />

Dasjenige aber, dessen Aufhebung oder Verneinung alle Möglichkeit<br />

vertilgt, ist schlechterdings notwendig. Demnach existiert etwas absolut<br />

notwendiger Weise.« (A 29)<br />

Das gilt aber nur, nachdem schon das Faktum von Existenz<br />

unbezweifelbar ist, weil allein durch die Möglichkeit, dergleichen zu<br />

denken, irgendeine Existenz bereits vorausgesetzt ist. Dabei wird leicht<br />

übersehen, daß diese Möglichkeit nicht ursprünglich als Seinsgrund<br />

sondern nur transzendental als Erkenntnisgrund gedacht werden kann,<br />

und nur zweierlei Bedingungen einschließt: Einerseits ein gegebenes<br />

Faktum, andererseits das Faktum des Bewußtseins. Darin liegt die Affinität<br />

zwischen beliebigen Dingen und intelligibler Existenz allerdings bereits<br />

ursprünglich-synthetisch beschlossen. Nicht folgt daraus von selbst die<br />

Notwendigkeit Gottes oder die absolute Notwendigkeit. Kant fährt aber<br />

mit einer formalontologischen Spekulation fort, die auch aus dem ersten<br />

Prinzip der Durchbestimmung eines Dinges mittels Prädikate bekannt ist,<br />

schließt aber nicht aus der Totalität der prädikativen Durchbestimmtheit<br />

desselben auf das Allerrealste als Inbegriff aller Prädikate, auch nicht<br />

gleich auf eine erste Ursache einer Reihe sich regressiv bedingenden<br />

Ursachen, sondern auf das Unbedingte der Reihe des Bedingten:


— 1265 —<br />

»Weil ein solches Wesen also das realste unter allen möglichen ist, indem<br />

so gar alle anderen nur durch dasselbe möglich sein, so ist dieses nicht so<br />

zu verstehen, daß alle mögliche Realität zu seinen Bestimmungen gehöre.<br />

Dieses ist eine Vermengung der Begriffe, die bis dahin ungemein<br />

geherrscht hat.« (Beweisgrund Gottes, A 34 f.)<br />

»Es könnte auch beim ersten Anblick scheinen zu folgen: daß, weil das<br />

notwendige Wesen den letzten Realgrund aller anderen Möglichkeit<br />

enthält, in im auch der Grund der Mängel und Verneinungen derer Wesen<br />

der Dinge liegen müsse, welches, wenn es zugelassen würde, auch den<br />

Schluß veranlassen dürfte, daß es selbst Negationen unter seinen<br />

Prädikaten haben müsse, und nimmermehr nichts als Realität. Allein man<br />

richte nur seine Augen auf den einmal festgesetzten Begriff desselben. In<br />

seinem Dasein ist seine eigene Möglichkeit ursprünglich gegeben.<br />

Dadurch, daß es nun andere Möglichkeiten sein, wovon es den Realgrund<br />

enthält, folgt nach dem Satze vom Widerspruchs, daß es nicht die<br />

Möglichkeit des realsten Wesens selber, und daher solche Möglichkeiten,<br />

welche Verneinungen und Mängel enthalten, sein müssen. — Demnach<br />

beruht die Möglichkeit aller andern Dinge, in Ansehung dessen, was in<br />

ihnen real ist, auf dem notwendigen Wesen, als einem Realgrunde, die<br />

Mängel aber darauf, weil es andere Dinge und nicht das Urwesen selber<br />

sind, als einem logischen Grunde.« (Ebd., A 37 f.)<br />

Der logische Grund ist eben nicht der nämliche Grund im Satz, daß das<br />

unbedingt Notwendige nicht wegen eines Grundes, sondern wegen der<br />

Unmöglichkeit des Gegenteiles wahr ist, vielmehr handelt es sich hier um<br />

eine limitierte transzendentale Negation, die einen transzendentalen<br />

Mangel der Positivität des Dinges gegenüber dem ens realissimum<br />

ausdrücken soll, ohne deshalb das Ding in Gedanken oder gar wirklich<br />

aufheben zu wollen; die Aufheblichkeit bleibt als gedankliche Möglichkeit<br />

nur in der Funktion einer Charakteristik des Daseins der Dinge in der<br />

Welt, die zugleich von der Seinsweise des ens realissimum unterscheidet.<br />

Das, was in der Nova Dilucidatio in der Position des un-bedingt<br />

Notwendigen gestanden ist (die Unmöglichkeit des Gegenteils), wird im<br />

Beweisgrund Gottes zum Argument der ersten relativen Bestimmungen<br />

der Dinge, wovon unterschieden, zwar modal aus der nämlichen Position<br />

wie die unbedingte Notwendigkeit in der Nova Dilucidatio, nunmehr aber<br />

die absolute Notwendigkeit den einzigen Realgrund ausmacht (ens<br />

realissimum als ens entium), ohne damit den weiteren Bestimmungen der<br />

Dinge in ihrer Andersartigkeit zum Sein Gottes aus der Informiertheit des


— 1266 —<br />

ens realissimum oder zumindest als ens originarium weiters ontologisch<br />

rechtfertigen zu können. Man könnte über eine eigene Seinsweise Gottes,<br />

die von der Existenzweise der Dinge der Welt verschieden ist, vermuten,<br />

sie charakterisiere nichts als reine Intelligibilität, doch ist eben die Frage<br />

der Trennbarkeit und eigenständigen Seinsweise beider Seinsweisen<br />

umstritten und mit guten Gründen zu bezweifeln, daß die gedanklich<br />

spekulative Verfolgung der Trennbarkeit der Seinsweisen unsere<br />

Erkenntnisse zu vermehren imstande ist. Ganz anders als in der<br />

Behandlung der transzendentalen Negation im Zuge der Erörterung des<br />

transzendentalen Ideals, oder im besagten Prinzip in der Nova dilucidatio,<br />

ist hier das Gegenteil nicht unmöglich, was nicht nur Unbestimmbarkeit,<br />

vielmehr die völlige Indifferenz der Dinge untereinander zur Folge hätte,<br />

sondern es wird den Dingen der Welt gegenüber der Seinsweise des ens<br />

realissimum, das selbst als nicht alle Realmöglichkeit umfassend aus der<br />

modalen Bestimmung des empirischen Wirklichkeitsbegriff (letztlich seit<br />

Aristoteles) erst herausgehoben wurde, im Fortgang der methodischen<br />

Spekulation ihre Seinsweise durch Negation als Mangel bestimmt. Die<br />

Methode der Bestimmbarkeit der Dinge der Welt steht damit noch aus;<br />

und vor allem anderen: Der Seinsbegriff wird zunächst von der<br />

Wirklichkeit der Welt der Dinge entnommen; nunmehr wird durch eine<br />

vorgängige Herausdrehung des Existenzbegriffes aus dem Seinsbegriff der<br />

Seinsbegriff als das Ursprünglichere gesetzt, und die Seinsweise der Dinge<br />

als Existierendes als abhängig von von einem erst als ursprünglich<br />

gedachten Sein vorgestellt. Daß die Seinsweise der Dinge aber als Mangel<br />

gegenüber dem als ursprünglich gesetzten Sein aufgefaßt wird, ändert<br />

nichts an dem Problem, daß die Quelle des transzendentalen Inhalts von<br />

hier aus unbekannt bleibt. Diese Verschiebung des Seins in den nur<br />

gedachten Ursprung und die Verschiebung der qualitativen<br />

Bestimmbarkeit in »andere« Dinge führt nicht einmal zur deutlichen<br />

Unterscheidung von Merkmalsprädikaten (Allheit) und wesentlichen<br />

Prädikaten (Allgemeinheit). Derart hat man mit dieser Herausdrehung des<br />

als ursprünglich vermuteten ontotheologischen Grundes aus der absoluten<br />

Position in die Ontologie der Welt der Dinge zum logischen Grund von<br />

Notwendigeit aus der Unmöglichkeit des Gegenteils wieder ein Manöver<br />

der Verschließung der Möglichkeit der Einsicht in die Quelle des Inhalts<br />

vor sich.<br />

Ich verstehe diesen »logischen Grund« (andere Dinge als das in Existenz<br />

versetzende Urwesen — exisitificans) als Hinweis auf den


— 1267 —<br />

formalontologischen Aspekt der Spekulation um das erste Prinzip der<br />

vollständigen Durchbestimmung eines Dinges. Die Schwierigkeiten der<br />

Zuschreibung der Totalität der Sphäre aller möglichen Prädikate auf ein<br />

vom spekulativen Denken nur ausgedachtes, somit hypostasiertes Ding,<br />

die mit der Gleichsetzung des nur gedachten Dinges mit dem ens<br />

realissimum entstehen, fallen in der formalontologischen Perspektive<br />

wieder weg, weil konsequent die größtmögliche Abstraktionsstufe gesucht<br />

wird. Die formalontologische Reflexion ist gerade dadurch charakterisiert,<br />

keinen transzendentalen Inhalt im Sinne als von transzendentaler Materie<br />

hergenommen zu besitzen; ihr eigener Inhalt ist rein modallogisch die<br />

Unterscheidung in notwendig und möglich bzw. von unmöglich und<br />

möglich. In der rein formalen Steigerung der Totalität durch Abstraktion<br />

im Ideal fallen Existenz und Möglichkeit im unbedingt notwendigen<br />

Wesen zusammen, wie auch Richard Heinrich bereits festgestellt hat:<br />

»Man muß [...] den Inbegriff der Realität bilden, die durch das formale<br />

Prinzip aller Möglichkeit gedacht wird (das ist jener Schritt, mit dem fixiert<br />

wird, wovon das Gegenteil undenkbar ist). In dem so bezeichneten Wesen<br />

würde durch Aufhebung seiner Realität ein innerer Widerspruch<br />

entstehen. Aber seine Realität kann nicht aufgehoben werden, weil sie<br />

ganz und gar in Übereinstimmung mit dem formalen Prinzip aller<br />

Möglichkeit steht. Sie ist der Inbegriff aller mit diesem Prinzip<br />

übereinstimmenden Realität. Daher existiert dieses Wesen notwendig.«<br />

(R.Heinrich, p. 181)<br />

Allerdings ist über ein Wesen, in welchem Existenz und Möglichkeit<br />

zusammenfallen, in der formalen Betrachtung der reinen modallogischen<br />

Verhältnisse nicht entschieden, ob es nun das notwendige Wesen der<br />

Ontologie der Welt der Dinge ist, oder das einzige Wesen absoluter<br />

Notwendigkeit, demgegenüber es das Wesen der Ontologie der Welt der<br />

Dinge es ist, transzendentaler Mangel zu sein.<br />

Thomas ist in dieser Frage eindeutig: die induktive Vorgehensweise des<br />

ontologischen Gottesbeweises geht von der Wirklichkeit aus, die wir aus<br />

der Welt der Dinge kennen. Zwar kann gesagt werden, dieser<br />

Wirklichkeitsbegriff sei nicht selbst die Ontologie der Welt der Dinge<br />

sondern transzendentalanalytisch zuerst und zunächst subjektive Realität,<br />

doch steht unzweifelhaft eine eingrenzbares Verständnis von<br />

»Wirklichkeit« wegen der das Bewußtsein orientierenden primären<br />

Intentionalität zur Debatte, das insofern über methodische Grenzen<br />

hinweg eine vergleichbare Direktion besitzt wie der ontologische


— 1268 —<br />

Realismus von Thomas. Ähnliches gilt für den ersten Blick auch für<br />

Anselm. Anselms Gottesbeweis besitzt formal Ähnlichkeit mit dem<br />

syllogistischen Aufbau der empirischen Postulate. Allein der<br />

Einschränkungsgrund wird entscheidend anders formuliert: Assertion und<br />

Wirklichkeit führt selbst nicht zu einem Beweis des Dasein Gottes. Der<br />

transzendentale Obersatz im Kapitel zum transzendentalen Ideal<br />

(prototypon transcendentale) besitzt die nämliche Ähnlichkeit, als<br />

disjunktives Urteil formal dargestellt werden zu können, abermals wird<br />

der Einschränkungsgrund anders formuliert: Diesmal nicht als Assertion,<br />

sondern als versammeltes Gegenteil dessen, was aus dem All der Realität<br />

herausgeschnitten werden soll, um die wahrhaft metaphysische Ableitung<br />

des jeweils einzelnen Dinges (oder auch nur als Essenz einer Gattung)<br />

herausspringen zu lassen. Anselm selbst reicht im Untersatz die<br />

Behauptung von Wirklichkeit aus, um zumindest die für sich selbst<br />

unabhängig von der Schöpfung oder bloß von der Welt der existierenden<br />

Dinge unabhängig seiende reine Intelligibilität (oder doch nur die rein<br />

intellektuale Vorstellung von Gott), also das erste Glied des Obersatzes<br />

von Anselm, auszuschließen. Zweifellos steht das in Widerstreit mit der<br />

Vorstellung, die Seinsweise des ens realissimum, zumindest als ens entium<br />

betrachtet, würde die Dinge als erste Ursache auch zuerst in Existenz<br />

versetzen, denn nunmehr wird bereits im zweiten Glied des Obersatzes<br />

eine Gegenabhängigkeit zwischen den beiden spekulativ als verschieden<br />

und unterschieden, allerdings nicht als trennbar erörterten Seinsweisen<br />

des ens realissimum in eminenter Bedeutung und der Seinsweise der<br />

Dinge der Welt insinuiert.<br />

Daß nun im Untersatz, wo die Existenz Gottes bewiesen werden soll,<br />

einfach die reine Intelligibilität gegenüber der reinen Intellektualität schon<br />

als Wirklichkeit gelten könnte, verhindert das zweite zusammengesetze<br />

Glied des disjunktiven Obersatzes (Vernunft und Wirklichkeit), dessen<br />

Wahrheit von Anselm mit dem bekannten (von Kant schließlich zweiseitig<br />

widerlegten) Argument behauptet wird, daß eine Vorstellung, die alle<br />

Bestimmungen umfasse, nur dann größer nicht mehr sein könne, wenn<br />

auch Existenz unaufheblich behauptet werden kann. Dieser einzige und<br />

einheitliche Wirklichkeitsbegriff droht eigentlich die Unterscheidung in<br />

eine Seinsweise Gottes und in eine Seinsweise der Welt der Dinge durch<br />

eine schleichende Okkupation des Wirklichkeitsbegriffes im Sinne der<br />

Seinsweise der Dinge der Welt zu verhindern, was schließlich zur Folge<br />

hat, daß die Vorstellung, das ens realissimum fungiere gegenüber den


— 1269 —<br />

Dingen der Welt als ens entium, wiederum in Zweifel gezogen werden<br />

kann, und man zur Auffassung gelangen könnte, das diese Tendenzen<br />

wiederum versuchsweise den Schluß nahelegen ließen, es sollte das ens<br />

realissimum dann vielleicht doch besser als Teilbegriff des omnitudo<br />

realitatis, mit Leibniz als Entwurf der Ganzheit des series rerum, mit Kant<br />

in den Auflösungen der Antinomien aber als regulative Idee gedacht<br />

werden. Die Geschicklichkeit Anselms von Canterbury besteht nun darin,<br />

die behauptete allergrößte Totalität, die für Anselm mit der bloßen<br />

Behauptung von Wirklichkeit im Sinne der Seinsweise der Dinge der Welt<br />

zuerst schon erreicht zu sein scheint, mit der modalen Frage nach<br />

absoluter Notwendigkeit zu verbinden, indem er »Existenz«, schließlich<br />

wieder in einem unbestimmten, aber abstrakt gesichert scheinenden<br />

Zusammenhang mit der für sich selbst offenbar immer noch reinen<br />

Intelligibilität verbringt. Für diesen Zusammenhang scheint sich aber kein<br />

gemeinsamer mittlerer Existenzbegriff ableiten zu lassen, wenn einerseits<br />

die Charakterisierung der Wirklichkeit der Seinsweise der Dinge der Welt<br />

Ausgangspunkt der Untersuchung ist, andererseits als Zielpunkt eine<br />

Seinsweise hypostasiert wird, die eben durch ihre Unaufheblichkeit<br />

zugleich in Gegensatz zur Aufheblichkeit der Seinsweise der Dinge der<br />

Welt gerät. Die entscheidende Frage ist nur ins zweite Glied der logisch<br />

eben nicht vollständig formulierten Disjunktion verschoben worden. —<br />

Für hier ist noch herauszuheben, daß die eben genannten drei Syllogismen<br />

ihre einschränkende Bedingung im Untersatz verschieden formulieren.<br />

Inwiefern kann dann das absolut notwendige Wesen noch als Ursache des<br />

bloßen Faktum der In-Existenz-Versetztheit verstanden werden, wenn es<br />

im Ideal in der über das ursprüngliche »idea est conceptus archetypus«<br />

hinausgehende Spekulation nur hypostasiert worden ist? Nur dann, wenn<br />

das ens realissimum nicht als durch die formalontologische Spekulation<br />

erzeugt oder als abgeleitet gedacht wird, sondern eine andere, nicht<br />

transzendentalidealistische Quelle besitzt. Eben dies wird von Kant mit<br />

der Abweichung von der Umfangsbestimmung des ens realissimum in den<br />

gegebenen Zitaten aus dem Beweisgrund Gottes zu den im Abschnitt über<br />

das transzendentale Ideal gemachten Voraussetzungen der<br />

transzendentallogischen Konstruktion von Identität angezeigt. Die anhand<br />

von Äquipollenzbehauptungen entlang der verschiedenen Termini des ens<br />

realissimum als Teilbegriff des omnitudo realitatis (Inbegriff aller Realität),<br />

und dieses noch im Inbegriff aller Prädikate zur Totalität der Sphäre aller<br />

möglichen Prädikate eines Dinges instantialisiert, sollte zu einer auch


— 1270 —<br />

komplementär und aus absoluter Position betrachtet unvollständigen<br />

Analogie eines Syllogismus aufgeschlichtet werden, hat dabei aber nur das<br />

Unvordenkliche in das logisch nur schwankend und in Alternativen<br />

vorstellbare disjunktive Urteil des transzendentalen Obersatzes<br />

eingelassen.<br />

9. Negation, Einschränkung, Teilung:<br />

Die Bestimmung der Dinge aus der absoluten Position<br />

Die transzendentale Vergleichung soll, zum Unterschied zur logischen<br />

Entgegensetzung von wahren und falschen Prädikaten in einem Satz oder<br />

in einer geregelten Folge von Sätzen, zwischen dem Ding und der Sphäre<br />

des Inbegriffs aller Prädikate (als der ganzen Möglichkeit) stattfinden. Um<br />

diesen geforderten Vergleich wenigstens teilweise unternehmen zu<br />

können, ist aus mehreren Gründen ein Übergang von der Totalität als<br />

Allheit der Prädikate zur Notwendigkeit des wesentlichen Prädikates<br />

vorauszusetzen: Es ist bislang weder geklärt, inwieweit (1) Prädikate, die<br />

Merkmale eines Dinges aussagen, selbst einen transzendentalen Inhalt<br />

besitzen, oder ob doch ein Inhalt einer Vorstellung oder eines Begriffs auf<br />

ein Ding oder Dinge bezogen werden muß, um eine transzendentale<br />

Bedeutung zu besitzen, also (2) in Folge auch, ob die transzendentale<br />

Vergleichung vom ganzen Ding ausgeht, noch, ob (3) die transzendentale<br />

Vergleichung auch mit der Ersetzung des Begriffs vom Ding durch die<br />

Menge aller diesem Ding gegebener Prädikate, die dann mit der Sphäre<br />

aller möglichen Prädikate eines Dinges überhaupt verglichen wird,<br />

gedacht werden kann, oder ob (4) der Inbegriff aller Prädikate nicht schon<br />

beginnt, auf das ens realissimum zu deuten. Dieses wäre dann nochmals<br />

(5) entweder als Teilbegriff des omnitudo realitatis oder als ens<br />

originarium und ens necessarium zu denken; wobei (6) letztere<br />

Vorstellung des ens realissimum schlußendlich durch ersteren in<br />

fortschreitender Totalisierung der Spekulation resolutiv als informiert<br />

vorgestellt werden könnte. Von dieser Beweglichkeit des Gedankengangs<br />

in diesen Fragen ist natürlich auch das Verständnis des transzendentalen<br />

Inhalts abhängig, dessen Verlust durch die formalistische Einschränkung<br />

auf die modale Frage droht. Allerdings erweist sich im Fortgang der<br />

Überlegung, daß eben noch diese Einschränkung auf Existenz auf eine<br />

universale und fortdauernde Wirkung Gottes als ens entium auf die Wesen


— 1271 —<br />

der Dinge (Essenz) verweist, als welche die einzelne Existenz der Dinge<br />

nunmehr angesehen werden müsse. Diese Wendung bringt auch die Frage<br />

nach dem transzendentalen Inhalt in eine neue Position.<br />

Obgleich der reale Grund der Existenz der Dinge im ens realissimum als<br />

ens originarium liegen soll, bleibt als einziger Grund für die<br />

Verschiedenheit der Prädikate des ens realissimum von den Prädikaten<br />

eines besonderen Dinges die Andersheit ihrer Prädikate. Diese Andersheit<br />

wird im Beweisgrund Gottes gegenüber dem einzigen notwendigen<br />

Realgrund (ens realissimum als ens necessarium) zum transzendentalen<br />

Mangel: »Es könnte auch beim ersten Anblick scheinen zu folgen: daß,<br />

weil das notwendige Wesen den letzten Realgrund aller anderen<br />

Möglichkeit enthält, in ihm auch der Grund der Mängel und<br />

Verneinungen derer Wesen der Dinge liegen müsse, welches, wenn es<br />

zugelassen würde, auch den Schluß veranlassen dürfte, daß es selbst<br />

Negationen unter seinen Prädikaten haben müsse, und nimmermehr<br />

nichts als Realität. Allein man richte nur seine Augen auf den einmal<br />

festgesetzten Begriff desselben. In seinem Dasein ist seine eigene<br />

Möglichkeit ursprünglich gegeben. Dadurch, daß es nun andere<br />

Möglichkeiten sein, wovon es den Realgrund enthält, folgt nach dem Satze<br />

vom Widerspruchs, daß es nicht die Möglichkeit des realsten Wesens<br />

selber, und daher solche Möglichkeiten, welche Verneinungen und Mängel<br />

enthalten, sein müssen. — Demnach beruht die Möglichkeit aller andern<br />

Dinge, in Ansehung dessen, was in ihnen real ist, auf dem notwendigen<br />

Wesen, als einem Realgrunde, die Mängel aber darauf, weil es andere<br />

Dinge und nicht das Urwesen selber sind, als einem logischen Grunde.«<br />

(Beweisgrund Gottes, A 37 f.)<br />

Diese Negation wird aus der Position der absolut notwendigen Realität als<br />

solche ausgesprochen; also nicht transzendental, wonach die absolute<br />

Position durch die Sinnlichkeit der primären Intentionalität ausgedrückt,<br />

dort aber auch nicht als aufheblich gedacht wird. Es ist keineswegs klar,<br />

wie dieser Mangel im Rahmen der transzendentalen Subjektivität der<br />

primären Intentionalität oder auch nur im Rahmen des formalen Problems<br />

der Bedeutungshorizonte des Ist-Sagens ausgedrückt werden sollte. Ich<br />

ziehe nun den Abschnitt über das transzendentale Ideal als prototypon<br />

transcendentale heran, um zuerst die dortige Darstellung des Problems<br />

weiter zu verfolgen.


— 1272 —<br />

a) Formalontologische und modallogische Reflexion im<br />

transzendentalen Ideal als prototypon transcendentale<br />

»Wenn wir alle mögliche Prädikate nicht bloß logisch, sondern<br />

transzendental, d. i. nach ihrem Inhalte, der an ihnen a priori gedacht<br />

werden kann, erwägen, [I] so finden wir, daß durch einige derselben ein<br />

Sein, durch andere ein bloßes Nichtsein vorgestellet wird [II]. Die logische<br />

Verneinung, die lediglich durch das Wörtchen: Nicht, angezeigt wird,<br />

hängt eigentlich niemals einem Begriffe, sondern nur dem Verhältnisse<br />

desselben zu einem anderen in einem Urteile an, und kann also dazu bei<br />

weitem nicht hinreichend sein, einen Begriff in Ansehung seines Inhalts zu<br />

bezeichnen. Der Ausdruck: Nichtsterblich, kann gar nicht zu erkennen<br />

geben, daß dadurch ein bloßes Nichtsein am Gegenstande vorgestellet<br />

werde, sondern läßt allen Inhalt unberührt [III]. Eine transzendentale<br />

Verneinung bedeutet dagegen das Nichtsein an sich selbst, dem die<br />

transzendentale Bejahung entgegengesetzt wird, welche ein Etwas ist,<br />

dessen Begriff an sich selbst schon ein Sein ausdrückt, und daher Realität<br />

(Sachheit) genannt wird, [IV] weil durch sie allein, und so weit sie reichet,<br />

Gegenstände Etwas (Dinge) sind, [V] die entgegenstehenden Negationen<br />

hingegen einen bloßen Mangel bedeutet, und, wo diese allein gedacht<br />

wird, die Aufhebung alles Dinges vorgestellt wird.[VI]« (B 602 f./A 574 f.)<br />

(I) Hier irritiert in der transzendentalanalytischen Perspektive die<br />

Einschränkung der Sphäre möglicher Prädikate auf transzendentale<br />

Inhalte, die dazu noch an diesen Prädikaten a priori gedacht werden<br />

können (Hervorhebung von mir). Die transzendentale Einschränkung geht<br />

hier nicht auf mögliche empirische Inhalte oder auf transzendentale<br />

Bedingungen ihres Gegebensein als mögliche höherstufige Prädikate,<br />

sondern sie geht auf Inhalte, die an den möglichen Prädikaten selbst<br />

gedacht werden können; und zwar a priori gedacht werden können<br />

müssen. Es handelt sich also um ausgezeichnete Prädikate »höherer<br />

Ordnung«, die gegenüber den transzendentalen Inhalten, die etwa aus der<br />

»transzendentalen Materie« (Allheit) oder dem »wesentlichen« Prädikat<br />

(Allgemeinheit) ihre Legitimation beziehen, als verschieden zu denken<br />

sein müßten. — Diese Eröffnung bezieht sich auf den Umstand, daß der<br />

Inhalt, der an allen Prädikaten gedacht werden kann, mit dieser<br />

Abstraktheit der damit gegebenen universiellen Charakterisierung eben<br />

nichts anderes mehr als die Beziehbarkeit auf Dinge selbst ausdrückt, die a<br />

priori als Merkmal an Prädikaten zu finden ist. Das ist der zureichende<br />

Grund für Erkenntnis bei Leibniz.


— 1273 —<br />

(II) Der Inhalt, der a priori an Prädikaten gedacht werden können soll,<br />

stellt sich hier aber auch als das reine modale Prädikat selbst heraus, das<br />

Vorstellungen oder Prädikate als wahr oder falsch kennzeichnet. Damit<br />

würde mehr verlangt als mit der allgemeinen Vorbedingung, daß<br />

Prädikate sich als solche bestimmen lassen, indem sie als auf Dinge<br />

beziehbar erwiesen werden. Es würde auch mehr verlangt als mit der<br />

transzendentallogischen Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung,<br />

welche dem ersten zureichenden Grund Leibnizens allererst eine objektive<br />

und reale Grundlage zu geben vermag. Es sind weitere Fragen zu stellen:<br />

Sind hier bereits weitere Beziehungen zwischen Prädikate »höherer<br />

Ordnung«, also z. B. quantitative Prädikate eines bestimmten qualitativen<br />

Prädikats in radikaler Opposition wie »Absoluter Nullpunkt ist völlige<br />

Abwesenheit von freier Energie« oder »Schwärze ist völlige Abwesenheit<br />

von Licht« mitbedeutet? Eine transzendentale Negation kann es nicht sein,<br />

an die Kant hier denkt, denn eine solche würde definitionsgemäß das Sein<br />

schlechthin aufheben. Dann handelte die transzendentale Erwägung von<br />

nichts anderem als von Inhalten, die an den Prädikaten a priori gedacht<br />

werden, deren Negation transzendental in dem Sinne wäre, als daß jedes<br />

Sein von Dingen in der Welt schlechthin aufgehoben wäre, oder kritisch<br />

formuliert, daß jede Aussagemöglichkeit über Dinge der Welt aufgehoben<br />

wäre. Kant bedenkt nun in der Tat etwas Widersprüchliches, oder scheint<br />

nur etwas Widersprüchliches zu bedenken, da es meine Hervorhebung des<br />

»an« war und meine Interpretation des »an« als im Gegensatz stehend zu<br />

demjenigen, was in den Prädikaten gedacht werden könnte. Es bleibt aber<br />

unabhängig von dieser Frage nunmehr die Aufmerksamkeit darauf zu<br />

richten, daß die transzendentale Erwägung von a priori geltenden Inhalten<br />

nicht auf notwendige Existenz schließen läßt, deren Aufheblichkeit zur<br />

transzendentalen Negation führen müßte, sondern mit den einen Inhalten<br />

a priori ein Sein, mit den anderen ein Nichtsein vorgestellt wird. Dies wäre<br />

in Totalität sinnvoll nur mehr unter der Voraussetzung denkbar, wenn das<br />

Sein notwendige Existenz, und das Nichtsein Unmöglichkeit bedeutet, was<br />

eben nicht die Aufhebung des zureichenden Grundes der analytisch<br />

darstellbaren Prädizierbarkeit von Prädikaten nach sich zieht, sondern im<br />

Gegenteil diesen noch für die Unterscheidung in notwendige Existenz und<br />

Unmöglichkeit als notwendige Bedingung voraussetzt. Jedoch spricht auch<br />

der von Kant gewählte Ausgangspunkt, nämlich die Sphäre »aller<br />

möglichen Prädikate« gegen diese Auffassung. Der Schwierigkeit der<br />

untersuchten Formulierung Kantens liegt die schon bekannte<br />

Schwierigkeit, zwischen transzendentalem Vergleich eines Dinges und


— 1274 —<br />

dem logischen Vergleich anhand von Merkmalsbegriffen eine klare und<br />

deutliche Unterscheidung treffen zu können, zugrunde. Die Wurzel dieser<br />

notorischen Unklarheit in der Begriffsunterscheidung liegt schlußendlich<br />

aber schon auf architektonischer Ebene, und zwar in der speziell<br />

transzendentallogisch problematischen Nivellierung des selbst nicht<br />

durchgängig eindeutigen Unterschiedes von Verstandesurteilen und<br />

Vernunftschlüssen, die damit geschieht, daß Kant schon unabhängig von<br />

eventueller konventionalistischer Aspekte, die mit der diskursiven Form<br />

der formalen Logik einhergehen, die allgemeine Logik für<br />

Verstandesbegriffe wie für Vernunftbegriffe gleichermaßen für tauglich<br />

erklärt.<br />

(III) Im zweiten Satz des gegebenen Zitats behandelt Kant seine<br />

Auffassung der logischen Negation: das »nicht« gehört zur Kopula, nicht<br />

zu einem Begriff. Das heißt soviel wie, nicht nur, daß die logische<br />

Verneinung selbst keinesfalls eine Existenzbehauptung aufhebt (obgleich<br />

in Folge einer logischen Verneinung dergleichen zusammen mit der<br />

transzendentalen Bedingung im Rahmen einer empirischen Theorie die<br />

Konsequenz sein kann), auch ist es sinnlos, ein Prädikat zuzusprechen, in<br />

welchem ein negierter Begriff steht, weil damit unsere Kenntnis vom damit<br />

letztlich prädizierten Ding nicht vermehrt wird. Die Formulierung »Der<br />

Ausdruck: Nichtsterblich, kann gar nicht zu erkennen geben, daß dadurch<br />

ein bloßes Nichtsein am Gegenstande vorgestellet werde« bleibt aber<br />

unterbestimmt: Um eine transzendentale Negation, die alles Sein, auch das<br />

des Gegenstandes, aufheben würde, handelt es sich auch hier nicht;<br />

warum aber dann nicht ein im Sinne des vom verwendeten Wörtchen »am«<br />

intendierte Art von Sein (sei als eine Weise des Ist-Sagens von Merkmalen,<br />

sei es als eine Weise des Geltungsaussagens höherstufiger Prädikate) im<br />

Zuge der Intentionsanalyse hypostasiert wird, welches im Anschluß daran<br />

selbstverständlich genau in diesem Sinne auch ein Nichtsein, etwa in der<br />

Wendung »es gibt« in der Aussage »Es gibt keine euklidischen Dreiecke,<br />

die eine andere Winkelsumme als 180 Grad besitzen«, im Unterschied zur<br />

Aufhebung des Sein eines seienden Dinges bedeuten könnte, ohne deshalb<br />

die Abhängigkeit dieser Redeweise von einem der möglichen<br />

Existenzialsätze leugnen zu müssen, die aus der<br />

transzendentalsubjektivistischen Verfasstheit und der Ausgerichtetheit<br />

unseres Bewußtseins auf die primäre Intentionalität entspringen, wird mir<br />

von hier aus nicht klar.


— 1275 —<br />

(IV) »Die transzendentale Verneinung bedeutet dagegen das Nichtsein an<br />

sich selbst« besagt nicht mehr und nicht weniger als<br />

transzendentalidealistisch die Aufhebung des Daseins schlechthin,<br />

analytisch-metaphysisch die Aufhebung des Seins schlechthin. Die<br />

transzendentale Bejahung wird aber nicht etwa als notwendige Handlung<br />

(zwar als Reaktion auf Etwas, nicht als einfache Folge dieses etwas)<br />

vorgestellt, wobei die Ausdrucksweise von der Realität als Sachheit die<br />

primäre Intentionalität bereits als Objektivität und mögliche Realität eines<br />

Dinges intendierend zu charakterisieren erlaubte, sondern direkt mit der<br />

Sachheit identifiziert. Ich schließe daraus, daß Kant hier unmittelbar auf<br />

die cartesianische Unterscheidung von res cogitans und res extensa und<br />

deren einfacheren intentionalen Evidenzverhältnisse Bezug nimmt.<br />

Insofern scheint Kant hier die Bedeutung der transzendentalen Bejahung<br />

auf die Weise (die Weisen) des Ist-Sagens, die für den Seinsbereich der res<br />

extensa tauglich gemacht werden können, gegenüber dem<br />

Bedeutungsumfang der transzendentalen Negation einzuschränken, der<br />

bei der Einführung das ganze Sein zu umfassen schien. —<br />

Damit wird eine Schicht der Vernunftideen angerissen, die vor den<br />

Analogien zu den Kategorien, welche allererst die Ideenlehre der reinen<br />

Vernunft möglich macht, anzusetzen ist. Ähnlich wie die Kategorien und<br />

die obersten Vernunftideen hat diese Idee ihre Unabhängigkeit gegenüber<br />

den empirischen Bestimmungen nach Genus und Eidos zwischen<br />

Phronesis und Empeireia, wie auch gegenüber den darauf beruhenden<br />

logischen Formalisierungen der Apophantik. Unterschieden ist die<br />

cartesianische Vorstellung vom Ding als analytischer Begriff, der<br />

gleichwohl Vernunftbegriff sein können soll, von der Kategorie durch die<br />

Voraussetzungen in der transzendentalen Ästhetik, den logischen<br />

(historisch: semantischen) Zeitbedingungen in den Verstandesbegriffen<br />

und den transzendentalen Zeitbedingungen der Kategorien; vom »reinen«<br />

Vernunftbegriff durch die getrennte Aufstellung und Auflösung der<br />

Dialektik der transzendentalen Ideen (psychologische, kosmologische,<br />

theologische Idee). Es scheint, als könne diese unbeachtete Dialektik der<br />

Vernunftbegriffe, die mit diesen Rückgriff in den Blick kommt, für den<br />

vorläufig und auf genetische Motive hin angenommenen vorgängigen<br />

Vernunftbegriff des Dinges (res zwischen res extensa und res cogitans)<br />

hintangehalten werden. Den Vorläufer des Vernunftbegriffs in dieser<br />

»genetischen« Hinsicht vermute ich, wie an anderer Stelle ausgeführt in<br />

der letztlich bewußtseinspsychologisch verfaßten Intentionalitätslehre und


— 1276 —<br />

dem im Rahmen einer jeden Urteilslehre herausspringenden logischen<br />

Gegenstand der Intentionalität. Damit ist die Einschränkung des<br />

Bewußtseins auf die primäre Intentionalität nicht von vorneherein mit<br />

Notwendigkeit verbunden, nur in genetischer Betrachtung und in<br />

strategischer Hinsicht für uns als Teil der Welt der Dinge von Bedeutung;<br />

vom nur vorgestellten, aber nicht denkbaren Standpunkt des absolut<br />

notwendigen Seins muß diese Beschränkung auf das Feld der res extensa<br />

allerdings willkürlich erscheinen. Deshalb kann aber der logische<br />

Gegenstand der Intentionalität im Rahmen eines Urteils auch niemals mit<br />

dem Ding an sich selbst oder dem transzendentalen Objekt verwechselt<br />

werden.<br />

(V) Kant fährt nun mit seiner Erläuterung fort: »weil durch sie allein, und<br />

so weit sie reichet, Gegenstände Etwas (Dinge) sind«. Keineswegs ist klar,<br />

worauf dieses »sie« sich beziehen lassen soll; zur Auswahl stehen ab der<br />

transzendentalen Bejahung (und nur diese kommt in Frage):<br />

1. Der Begriff vom Etwas, »dessen Begriff an sich selbst schon ein Sein<br />

ausdrückt«. Kant macht die eben beobachtete Einschränkung auf einen<br />

Begriff von einem einzelnen oder besonderen Gegenstand nochmals durch<br />

das von mir hervorgehobene »ein« deutlich; das allgemein gehaltene Sein<br />

erlaubt eine Verbindung zum »einzigen Realgrund« aus dem Beweisgrund<br />

Gottes herzustellen, sodaß der einzige Seinsgrund, im ens realissimum als<br />

ens originarium wurzelnd, auch für die noch von der absoluten Position<br />

ausgehend als »anders« bestimmten Dinge des Seinsmöglichen der einzige<br />

Realgrund bleiben soll. Auch wenn diese einen transzendentalen Mangel<br />

gegenüber Gott als Grund für ihre Andersartigkeit besitzen, der zwar<br />

hypothetisch zumindest abstrakt-unbestimmt als von jeder empirischen<br />

Bestimmbarkeit und Besonderheit unabhängigen eigener Inhalt a priori<br />

gedacht werden kann, bleibt letztlich der einzige Realgrund für uns nur<br />

rein modal zu denken übrig. Allein spekulativ kann die Herkunft des<br />

transzendentalen Inhalts der Bestimmungen der Welt der Dinge weiter<br />

verfolgt werden, deren Ursprung liegt noch verborgen in der Indifferenz<br />

des Unvordenklichen; einstweilen ist nur klar, daß der transzendentale<br />

Mangel der Seinsweise der Dingwelt gegenüber dem ens realissimum als<br />

ens originarium, entium (insofern als ens necessarium), summum (als<br />

allerhöchstes Wesen), sollte er über die rein modale Bedeutung als einziger<br />

Realgrund der Dinge einer weiteren Bestimmung zugänglich sein, nichts<br />

mit dem transzendentalen Inhalt der bisher untersuchten transzendentalen<br />

Logik in der Kritik des empirischen Verstandesgebrauches und nichts


— 1277 —<br />

mehr mit der ebenfalls transzendentallogischen Kritik an der<br />

Formalontologie der sich in rein modale Begriffe verflüchtigenden reinen<br />

Vernunftspekulation zu tun hat. — Doch allein, man weiß hier nicht<br />

welchen Mangel, oder ob beide: entweder einen Mangel gegenüber der<br />

Totalität des wie im Detail auch immer bereits eingeschränkten Inbegriffs<br />

aller möglichen Prädikate, oder doch einen Mangel gegenüber dem Sein<br />

des Allerhöchsten im Sinne vom Allerrealsten und, ob nun als ens<br />

originarium oder ob als in der Totalität der Antizipation resolutiv<br />

informiert, auch im Sinne von Allwissendheit.<br />

2. Das Etwas als Realität und Sachheit könnte nun gleich selbst als einzige<br />

uns ursprünglich zugängliche Quelle des Ist-Sagens im Bereich der res<br />

extensa genau gegenüber dem Bereich der res cogitans und dem damit<br />

verbundenen, als ursprünglich-rein (analytisch) angesehenen<br />

Evidenzproblem exponiert worden sein, dem die Verbindung zum<br />

»einzigen Realgrund« im Sinne des modalen Beweisgrundes Gottes aus<br />

der Existenz wie der nexus von Leib und Seele allerdings völlig im Rücken<br />

liegt. — Beide Versionen (ein Sein in Abhängigkeit vom einzigen<br />

Realgrund, Realität als Sachheit) erfüllen verschieden die formulierte<br />

Bedingung: »weil durch sie allein, und so weit sie reichet, Gegenstände<br />

Etwas (Dinge) sind«.<br />

(VI) Erst im Schlußsatz bezieht Kant die Darstellung aus dem Beweisgrund<br />

Gottes ausdrücklich auf die selbst analytisch-metaphysisch vorgehende<br />

Exponation der res extensa: Die »entgegenstehenden Negationen« können<br />

einerseits der transzendentalen Bejahung entgegenstehen, sind also die<br />

untersuchten transzendentalen Negationen; dies aber plötzlich gleich in<br />

der Mehrzahl, was auf dem ersten Blick dem nur zwischenzeitlichen<br />

Ausfall der ontologischen Reflexion auf die Einheit der Vielheit in der die<br />

Ontologie übersteigende Reflexion auf die theologische Idee zu verdanken<br />

wäre. Die Mehrzahl kann aber eben so gut gerade als aus dem Versuch des<br />

Wechsel von der Position der Welt der Dinge (res extensa) zur Welt der<br />

reinen Intelligibilität des ens realissimum entspringend angesehen werden,<br />

als daß die Allheit der möglichen Prädikate eines Dinges samt der Vielheit<br />

der Arten von Dingen nur mehr als Totalität der Sphäre göttlicher<br />

Informiertheit eine logische, hingegen die Vielheit der Merkmale und<br />

Dinge als omnitudo realitatis gedacht wird, die, obwohl nochmals<br />

hypostasiert in zeitloser Totalität vorstellbar, bereits eine, freilich abstraktunbestimmte<br />

Beziehung zu räumlichen und zeitlichen Ordnungen besitzt.<br />

Diese Beziehung zu Raum und Zeit gehört nicht selbst zur Einheit der


— 1278 —<br />

(reinen?) Intelligibilität, insofern also von selbst und ursprünglich (vor der<br />

Setzung von Räumlichkeit und Zeitlichkeit möglicher Dinge) zur Vielheit<br />

der Dinge, obgleich eben wiederum die Ordnung der Dinge in Raum und<br />

Zeit erst durch die In-Existenz-Setzung ihrer Wesen enstanden gedacht<br />

werden muß. Vgl. dazu die rein logische Ableitung von Raum und Zeit<br />

durch Kant im Opus postumum und deren Referenzen zu Spinoza und<br />

Fichte in Gegenüberstellung zur transzendentalphilosophischen Wende<br />

zur Erfahrung.<br />

Die in (V) noch nicht entscheidbare Frage, welche Fassung der Bedingung,<br />

daß »durch sie allein, und so weit sie reichet, Gegenstände Etwas (Dinge)<br />

sind« nun als die Zutreffende erachtet wird, die intensional vollständige<br />

(ein Sein in Abhängigkeit vom einzigen Realgrund) oder die auf selbst<br />

intensionale Weise extensional vollständige Fassung als Totalität oder<br />

Inbegriff aller möglichen Prädikate im Konzept (wesentliches Prädikat),<br />

läßt sich nun komplementär zusammenfassen und insofern auch<br />

beantworten: In der Welt existierende Dinge besitzen sowohl einen Mangel<br />

gegenüber dem ens realissimum als ens originarium, entium, summum<br />

(letztlich als allerhöchste Realität dem Zugriff jeder ontologischen<br />

Untersuchung entzogen) wie auch den Mangel gegenüber der Totalität<br />

aller möglichen Prädikate eines Dinges überhaupt — und dies anhand der<br />

Informiertheit Gottes in einem Zuge. Die erste Fassung der<br />

transzendentalen Negation eingangs dieser Untersuchung hat nun den<br />

»einzigen Realgrund« zumindest als Wirkung für die Welt der »anderen«<br />

Dinge aufgehoben, die Formulierung »ein Sein in Abhängigkeit vom<br />

einzigen Realgrund« hebt damit auch dieses eine betrachtete Sein (Dasein<br />

als Sein eines Seienden) für sich als einzelnes existierendes Wesen auf, das<br />

nur in der Welt der Vielheit der Dinge und nur in diesem Sinne existierend<br />

wirklich und an sich und für sich Einzelnes sein kann, ohne zugleich selbst<br />

Totalität sein zu müssen. Eine transzendentale Negation in der Mehrzahl<br />

sollte nunmehr zwar immer nur ein einzelnes oder besonderes Dasein<br />

eines Dinges aufzuheben imstand sein, ohne deshalb das Dasein anderer<br />

gleichermaßen bestimmter oder auch nur bestimmbarer Dinge<br />

aufzuheben, aber hat in Folge im Durchgang durch alle Dinge ebenso zur<br />

Aufhebung »alles Dinges« zu führen wie die vollständige formale<br />

Reflexion in reiner Modalität — allerdings ohne den »einzigen Realgrund«<br />

selbst, der in Gott liegt, mit aufzuheben, da es sich bei der Erörterung der<br />

transzendentalen Bejahung und Verneinung um eine ontologische<br />

Untersuchung gehandelt hat.


— 1279 —<br />

Kann vielleicht in Erinnerung an verschiedene Konzepte für<br />

Subjektbegriffe und Prädikatsbegriffe vor der Verwischung der<br />

Unterschiede im Zuge der Untersuchung des Ideals zunächst verwundern,<br />

daß Kant die transzendentale Fassung einer logischen Negation<br />

ausgeschlossen hat, die nur Prädikate derjenigen Seinsweisen<br />

berücksichtigt, die am Ding vorkommen können, so ist einsichtig<br />

geworden, weshalb die Fassung der Darstellung des transzendentalen<br />

Mangels als Ergebnis des transzendentalen Vergleichs des einzelnen<br />

Dinges gegenüber dem ens realissimum die stärkere Version gegenüber<br />

allen Versuchen einer Neudefinitionen der transzendentalen Negation sein<br />

muß. Der Grund, weshalb Kant dieser, von den logischen Untersuchungen<br />

des syntaktischen Kriteriums sogar geforderten alternativen<br />

Denkmöglichkeit nicht nachgeht, liegt nochmals darin: Durch die<br />

Festlegung des Ist-Sagens auf die Seinsweise der res extensa ist nun das<br />

Sein und Dasein eines jeden einzelnen Dinges einseitig mit der Seinweise<br />

der Seiendheit überhaupt bestimmt worden, und so analytisch im als<br />

einzelnes Ding gedachten Ding abstrakt-unbestimmt bereits als sein<br />

gedachtes Konzept mitzudenken. Der in der abstrakten Totalität des Ideals<br />

der reinen Vernunft zu denkende Begriff vom einzelnen Gegenstand<br />

drückt genau diese Formel aus, wenn nichts anderes mehr als die Idee<br />

(idea est conceptus archetypus) diesen Begriff bestimmt. Die angedachte<br />

transzendentale Aufhebung der Seinsweise eines Prädikats als Aufhebung<br />

eines Merkmals an einem jedem einzelnen oder besonderen Ding soll<br />

offenbar auch deshalb nicht transzendentale Negation genannt werden,<br />

weil die Seinsweise des nur am Ding Vorkommen-Könnens nicht<br />

unmittelbar vom »einzigen Realgrund« abhängig ist, sondern seinerseits<br />

völlig von der Seinsweise des Dinges, hier als zugehörig zum Bereich der<br />

res extensa charakterisiert, abhängig gemacht worden ist, deren<br />

transzendentale Inhaltlichkeit aber bekanntlich in qualitativer Hinsicht<br />

nicht der göttlichen Willkür untersteht, auch eher nicht aus der Indifferenz<br />

des Unvordenklichen, sondern aus der Eigenschaft der Materie entstammt,<br />

durch immer größere Unähnlichkeit ihrer Teile untereinander die<br />

Mannigfaltigkeit der Erscheinungsweisen der Materie zu vergrößern. 36<br />

Aber in konsquenter transzendentalsubjektivistischer Perspektive ist an<br />

dieser rationalen Konstruktion zu kritisieren, daß mit ähnlicher<br />

spekulativer Methode auch an Merkmale herangegangen werden kann, die<br />

als wesensnotwendig aus der inneren Kraft einer realen Substanz<br />

36 G. W. Leibniz, Gerhardt, Bd. VII, p. 289, Kap. VIII, Vierundzwanzig Sätze


— 1280 —<br />

entstanden gedacht werden können, aber ohne daß hier die Spekulation<br />

eingeschränkt werden könnte wie etwa im gegenwendigen<br />

transzendentalen System innerer und äußerer Zwecke. Kant verhindert<br />

mit seiner Beschränkung der Denkmöglichkeiten auf die strikte<br />

Konsequenz der transzendentalen Negation von vorneherein alle<br />

Schwierigkeiten der Art, hinsichtlich der Aufheblichkeit »alles Dinges«<br />

Vermutungen über die determinierende Kraft der ersten Ursache oder<br />

über den inneren Zusammenhang eines series rerum, über ein nach<br />

inneren und äußeren Zwecken organsisiertes Wesen, oder über den<br />

Zusammenhang empirischer Begriffe in der Erfahrung anstellen zu<br />

müssen.<br />

b) Der Übergang vom Inbegriff der Möglichkeit zur Vermögenslehre<br />

und die vierfache Bestimmungsweise des transzendentalen Inhalts zum<br />

transzendentalen Mangel.<br />

Kant gibt zum transzendentalen Mangel der Dinge gegenüber der<br />

Seinsweise des ens realissimum einige anschauliche Beispiele: »Nun kann<br />

sich niemand eine Verneinung bestimmt denken, ohne daß er die<br />

entgegengesetzte Bejahung zum Grunde liegen habe. Der Blindgeborene<br />

kann sich nicht die mindeste Vorstellung von Finsternis machen, weil er<br />

keine vom Lichte hat; der Wilde nicht von der Armut, weil er den<br />

Wohlstand nicht kennt. Der Unwissende hat keinen Begriff von seiner<br />

Unwissenheit, weil er keinen von der Wissenschaft hat, usw.«<br />

(B 603/A 575)<br />

Diese Beispiele verwenden nun doch Prädikate, die Merkmale von<br />

Daseindem aussagen, aber eben nicht als Merkmal von Dingen, vielmehr<br />

als Merkmal und Einteilungsgrund eines selbst empirschen Vermögens<br />

der Wahrnehmung und des Verstandes. Es hat offenbar ein<br />

Stellungswechsel stattgefunden: nicht länger von den für den Bereich der<br />

res extensa tauglichen Weisen des Ist-Sagen ist hier mehr die Rede,<br />

sondern von der selbst daseienden Seinsweise des Daseins, dessen völlige<br />

Abtrennung und Eingrenzung auf die reine Intelligibilität des res cogitans<br />

Kant in der Auflösung der dritten und vierten Antinomie bekanntlich<br />

einen unüberwindlichen Riegel vorschiebt. Nur das Beispiel der zweiten<br />

Art (selbst verschuldete Unmündigkeit, Unwissenheit) kann auch ohne<br />

vollständige Aufhebbarkeit des Mangels eingesehen und auch teilweise<br />

behoben werden. Es ist demnach zu untersuchen, ob diese Beispiele für


— 1281 —<br />

das hier anstehende Problem der näheren Entwicklung individueller<br />

transzendentaler Negationen oder auch nur für die Möglichkeit einer<br />

Erklärung, weshalb überhaupt plötzlich von einer Vielzahl von<br />

transzendentaler Negationen die Rede ist, um zur Bestimmung des<br />

bewußten transzendentalen Mangels einen Hinweis erhalten zu können,<br />

oder warum solche Beispiele grundsätzliche Hinweise dieser Art nicht<br />

geben können. — Kant fährt fort:<br />

»Es sind also auch alle Begriffe der Negationen abgeleitet, und die<br />

Realitäten enthalten die Data und so zu sagen, die Materie, oder den<br />

transzendentalen Inhalt, zu der Möglichkeit und durchgängigen<br />

Bestimmung aller Dinge.« (B 603/A 575) Hier wird der transzendentale<br />

Inhalt nunmehr wieder auf ein gegebenes Datum bezogen, das der<br />

»Realität« entstammt, und nicht wie oben bereits entweder auf die<br />

Vermögen zur Erfassung dieser Realität im Modus des »quid facti« oder<br />

auf die Fähigkeit, diese Kenntnisse auch zu rechtfertigen; auch nicht auf<br />

die Eigenschaft der Materie, in sich mit sich selbst immer unähnlicher zu<br />

werden, um so das Maximum des Raumes zu erfüllen und das Maximum<br />

an möglichen Arten zu schaffen. Mit der Verknüpfung von Materie und<br />

transzendentalem Inhalt wird nunmehr dem Begriff von »Materie« die<br />

gleiche Bedeutung unterstellt, wie der Ausdruck »transzendentaler<br />

Materie« sowohl anfangs des Kapitels »Das transzendentale Ideal<br />

(prototypon transcendentale)« wie anfangs der M. A. d. N. nahelegt.<br />

Einerseits wird mit der transzendentalidealistischen Wendung zur reinen<br />

Intelligibilität des Subjektes der rationalen Psychologie im Gegenzug der<br />

Ausdruck »transzendentale Materie« allererst möglich, andererseits wird<br />

von den Beispielen gerade demonstriert, daß diese Negationen jeweils für<br />

jedes Vermögen eine völlige Beraubung darstellt, welche eine Ableitungen<br />

eines in der Welt der Dinge positiv bestimmten Inhaltes unmöglich macht.<br />

Diese unbefriedigende Gegenüberstellung von »transzendentalem<br />

Mangel« und »Realität« als Seinsweise der Dingwelt, die in einem Zuge<br />

eine positive Identifizierung beider in einer Seinsweise fordert, während<br />

die transzendentallogische Untersuchung doch zuerst auf den Ursprung<br />

der transzendentalen Inhalte zu gehen hätte, führt das Fragen zurück zum<br />

transzendentalen Vergleich des Dinges mit dem Inbegriff aller möglichen<br />

Prädikate, der nur wegen der Informiertheit Gottes äquipollent mit dem<br />

Bedeutungsumfang des omnitudo realitatis sein soll. Nun ist der<br />

Ausschluß des logischen Vergleichs der Prädikate für den<br />

transzendentalen Vergleich ab der Erörterung des »transzendentalen


— 1282 —<br />

Mangels« der Welt der Dinge gegenüber Gott unumstösslich, doch aber<br />

bleibt die Schwierigkeit zurück, wie denn nun der bewußte Mangel im<br />

transzendentalen Vergleich mit dem als intelligibel und derart als<br />

informiert zu denkenden ens realissimum als Definition der<br />

transzendentalen Negation darstellbar wäre, da doch der sich mit der<br />

transzendentalen Negation erst zeigende besondere und einzelne Mangel<br />

eines jedes Dinges gegenüber der Intelligibilität des ens realissimum mit<br />

der bloßen Vermehrung zu transzendentalen Negationen allein noch nicht<br />

zu seiner Darstellung gekommen ist, wenn die Konsequenz unversehens<br />

doch nichts anderes als die Aufhebung alles Seienden im Sinne von res<br />

extensa zur Folge hat. So soll an einem Begriff, der bereits ein Ding und<br />

nicht nur eine Eigenschaft eines Dinges zu bezeichnen vermag, der<br />

Zusammenhang von logischen und transzendentalen Vergleich nochmals<br />

vorgestellt werden.<br />

Um weitere Vorbedingungen über die Natur eines solchen Begriffes nicht<br />

eigens vorausschicken zu müssen, auch um anzuzeigen, daß es eben nicht<br />

unbedingt nur um eine ganz bestimmte Art von Begriff oder Ding geht,<br />

möchte ich als Beispiel einen Namen nehmen, der eine bestimmte Person<br />

bezeichnet. Was nun eine Person überhaupt ist, und wer genau diese<br />

Person, ich nenne sie Paul, sein mag, braucht nur ungefähr in<br />

Abgrenzungen zu anderen Erfahrungsgegenständen und anderen<br />

Personen bekannt sein; es bedarf also zur Exposition keiner vollständigen<br />

Definition. Die hier zuerst wichtigen Aspekte hängen auch nicht sosehr<br />

davon ab, daß dieser Name im gewählten Beispiel eine Person bezeichnet.<br />

Die Vorgehensweise im gewählten Beispiel prädiziert nicht selbst eine<br />

bestimmte Qualität, die am »Ding« der Intention vorkommen kann; und<br />

wäre nun das direkte Zutreffen des gesuchten Prädikats noch fraglich,<br />

gerade das Zutreffen einzelner äußerlicher Eigenschaften macht erst einen<br />

Vergleich von Ähnlichkeiten, wie hier angestrebt, möglich, um das<br />

gesuchte Prädikat, das eben kein äußerliches Merkmal mehr aussagt,<br />

aufzufinden. Das Beispiel besteht nun darin, daß A und B etwa auf der<br />

einen Seite eines kleinen Platzes stehen, und eine Person aus einem<br />

öffentlichen Gebäude auf der anderen Seite herauskommt. Beide fragen<br />

sich nun, ob es sich bei dieser Person um Paul handeln könnte. Es geht im<br />

ersten Schritt um diese Ähnlichkeit vor der Gewißheit, ob es sich hier um<br />

Paul handelt oder nicht, im zweiten um die verschiedenen<br />

Wahrnehmungssituationen, wonach etwa ein bekannter Doppelgänger,<br />

die Ähnlichkeit eines Umrisses eines Gebüsches im Dunkeln oder


— 1283 —<br />

dergleichen die Liste der möglichen Alternativen enger oder weiter faßt.<br />

Hier sind, ähnlich wie im Kronenkorkenbeispiel Husserls, einige<br />

hervorstechende Eigenschaften in der Wahrnehmung gegeben, aber eben<br />

die Identität des Dinges fraglich. Die hier interessierende Merkwürdigkeit<br />

ist folgende: Der Bereich der möglichen Alternativen zur Verneinung einer<br />

der quidditativen Möglichkeiten umfaßt nicht die logische Totalität aller<br />

anderen Möglichkeiten wie die logische Negation, sondern ist die<br />

Negation einer besonderen Logik, wobei aber die Liste der Negate nicht<br />

einfach abschließbar ist.<br />

Der Unterschied zwischen allgemeiner Logik einerseits und besonderer<br />

Logik andererseits ist insofern klar und deutlich; nunmehr aber ist in der<br />

transzendentalen Logik auf andere Weise als in der allgemeinen und<br />

formalen Logik ein allgemeiner Anspruch zu erheben, da die<br />

transzendentale Logik, hierin der besonderen Logik ähnlich, auf den Inhalt<br />

überhaupt geht. Die transzendentale Logik handelt nun nicht von<br />

Wesensbestimmungen von Gattungsbegriffen, sondern, wenn man schon<br />

von einer Wesenshaftigkeit sprechen will, von der Einheitlichkeit des<br />

Wesens des Gegebenseins überhaupt. Kant sieht offenbar durchaus, daß<br />

die Universalisierung der transzendentaler Inhalte auch für die<br />

transzendentale Negation analoge Folgen haben muß wie für den<br />

Übergang von der Negation einer besondern Logik zur Negation der rein<br />

formalen Totalität der allgemeinen Logik. Doch hat die Negation in der<br />

besonderen Logik gewisse äußerliche Eigenschaften, die an eine<br />

Anforderung der Darstellung des hier weiter verfolgten besonderen<br />

transzendentalen Mangels denken läßt, nämlich etwas zu suchen, daß<br />

weder durch Prädikate, die nur Merkmale eines Dinges aussagen, noch<br />

durch Prädikate, die über das Wesen oder die Besonderheit dieses Dinges<br />

oder dieser Art von Ding aussagen, allein dargestellt werden kann, und<br />

zwar ohne selbst als Negat unmittelbar die ganze mögliche Totalität der<br />

Bestimmbarkeit zu bedeuten. Doch dürfte unabhängig von der weiteren<br />

Spezifikation des Horizontes von Weisen des Gegebenseins (Weisen des<br />

Ist-sagens) als allgemein oder universiell umfaßbar oder nicht, mit der<br />

Spezifikation des Horizontes des Bewußtseins in Hinblick auf die<br />

Bedeutung der primären Intentionalität und der Ausbildung einer<br />

physikalistischen Sprache für die formale und allgemeine Logik nunmehr<br />

entschieden sein, daß weder von reiner Formalwissenschaft noch von<br />

abstraktiven Phänomenologien eine Lösung für das entscheidende<br />

Grenzproblem des transzendentalen Ideals erwartet wird. Die


— 1284 —<br />

transzendentale Logik hat ihren transzendentalen Inhalt, wenn nicht als<br />

modales Prädikat oder ein anderes höherstufiges Merkmal von Relationen<br />

im Rahmen der fortschreitend totalisierenden Abstraktionslehre, primär in<br />

der Wesensbestimmung des Gegebenseins von Objekten der Sinnlichkeit,<br />

nicht in der Informiertheit der Intelligibilität über diese Objekte, und auch<br />

nicht im transzendentalen Mangel gegenüber Gott, dessen Position zur<br />

Ontologie anhand der Vermögenslehre immerhin zur Sprache kommen<br />

konnte.<br />

Mit der Vermögenslehre ist aber bislang die einzige Darstellungsweise<br />

dieses transzendentalen Mangels gegeben worden, der nicht im<br />

transzendentalen Vergleich des Dinges mit der intelligiblen Informiertheit<br />

des ens realissimum gefunden werden kann, auch wenn sie nur als<br />

Illustration auftritt: Den Mangel als Beraubung eines ursprünglichen<br />

Vermögens. Den hier behandelten besonderen Mangel der Dinge<br />

gegenüber Gott jenseits des transzendentalen Inhalts ist demnach nur<br />

mittels einer Darstellungsweise der Potenz zu einer ersten Vorstellung zu<br />

bringen. Eine Potenzlehre dieser Art ist eine besondere Möglichkeitslehre,<br />

deren Möglichkeiten als Vermögen oder Fähigkeit darstellbar werden<br />

können, wenn eine Strebung oder zumindest eine strukturelle Tendenz<br />

(Yorck) angesetzt werden kann. Anscheinend gibt es zwei Arten von<br />

Beraubung: Die radikale, die selbst nicht artikuliert, sondern durch<br />

außenstehende verständige Wesen nur bemerkt werden kann; und eine<br />

Beraubung, die zumindest von verständigen Wesen selbst eingesehen<br />

werden kann (z. B. die selbst verschuldete Unmündigkeit in einer<br />

arbeitsteiligen Gesellschaft). Offenbar ändert auch eine formale<br />

Exponierung der Potenz- oder Vermögenslehre, die selbst nicht<br />

ausdrücklich eine Lehre von den Seelenvermögen impliziert, nichts daran,<br />

daß nunmehr erstens verständige Wesen explizit vorauszusetzen sind, und<br />

zweitens, daß eine komplexe Organisationsform dieser verständigen<br />

Wesen mit vorauszusetzen ist.<br />

Wenn es sich herausstellen sollte, daß rein substanzontologisch kein<br />

Entscheid gefunden werden kann darüber, ob in einem letzten Sinn von<br />

Ursprünglichkeit von einer oder von einer Vielzahl von Substanzen<br />

auszugehen sei, so ist die gleiche Frage nach der Transformation von<br />

Möglichkeit zu Vermögen und von Substanz zu Subjekt, welche die<br />

Notwendigkeit verständiger Wesen zur Formulierung einer<br />

Vermögenslehre als notwendige Voraussetzung in die Argumentation<br />

übernimmt, bereits entschieden. Für die gestellte Ausgangsfrage ist dieser


— 1285 —<br />

Übergang bislang die einzige Möglichkeit, vom Mangel in der hier<br />

verlangten Weise zu sprechen. Doch bleibt die Einzigkeit des ens<br />

realissimum als ens originarium und ens entium und ens summum das<br />

Problem, insofern die Einzigkeit des ens realissimum dem Implikat der<br />

eben herausgestellten Transformation von Substanzmetaphysik zu<br />

Subjektmetaphysik, eben die Vielheit der Subjekte der Vermögenslehre,<br />

direkt widerspricht. Auch deshalb muß die Vermögenslehre in diesem<br />

Zusammenhang einstweilen weiterhin als nur illustrative Redeweise<br />

betrachtet werden. Allerdings ist damit weder etwas über die erste<br />

Voraussetzung dieser Transformation, ein verständiges Wesen zu sein,<br />

noch etwas über den instrumentiellen oder heuristischen Wert dieser<br />

illustrierenden Redeweise entschieden, da es sich letztlich insofern um eine<br />

rein formale Spekulation handelt, indem deren Ergebnis als ursprünglich<br />

vorausgesetzt nur vorgestellt wird. Doch kann diese Transformation durch<br />

die auch in anderen Fällen übliche Charakterisierung eines grundlegenden<br />

Unterschiedes anhand der Gebrauches einer logischen Entgegensetzung,<br />

hier der wohl letztursprüngliche zwischen ens realissimum als informierte<br />

Intelligibilität und der Totalität der Sphäre möglicher Prädikate von<br />

Bestimmungen der Dinge, aus dem Versuch eines ontologischen<br />

Vergleichs der Seinsbezirke untereinander motiviert sein. Man steht aber<br />

noch vor mehreren Widersprüchen darüber hinaus: Nur insofern im<br />

Beweisgrund Gottes die zu bestimmenden Dinge der Welt in ihrem<br />

Anderssein zu Gott noch einen anderen Bestimmungsgrund als den<br />

einzigen und ersten Realgrund beanspruchen, kann dort im Prinzip mittels<br />

Zusprechen und Absprechen sowohl der transzendentale Vergleich des<br />

wesentlichen Prädikats als Teilbegriff mit der informierten Intelligibilität,<br />

wie mit allen möglichen Prädikaten eines Dinges überhaupt stattfinden.<br />

Schließlich wird der transzendentale Vergleich gesteigert, bis nur mehr der<br />

Mangel gegenüber dem ens realissimum selbst geeignet erscheint, den<br />

transzendentalen Vergleich gedanklich zu vollenden. Damit findet eine<br />

Vermengung statt<br />

1. von »anderem« Bestimmungsgrund, der offenbar im Zusammenhang<br />

mit dem Bestimmungsgrund der Sphäre aller möglichen Prädikate steht<br />

(»transzendentale Materie«), zugleich nochmals »anders«, diesmal aber als<br />

logischer Vergleich der Prädikate der jeweiligen Dinges aneinander;<br />

2. dem wesentlichen Prädikat zwischen Begriff vom einzelnen Gegenstand<br />

(Ideal der reinen Vernunft) und Begriff vom einzelnen Wesen<br />

(transzendentales Ideal); und


— 1286 —<br />

3. dem einzigen Realgrund, wenn der transzendentale Vergleich in der<br />

Perspektive des Mangels am Sein des Dinges gegenüber dem ens<br />

realissimum ausgedrückt wird.<br />

Diese »Andersheit« des Logischen grenzt für sich betrachtet aber keinen<br />

eigenen ontologischen Bezirk der Wahrheit ab, worin die bisherigen<br />

Unterscheidungen als Merkmal eines größeren Ganzen wie in der<br />

Substanzmetaphysik oder Geschichtsmetaphysik ihre Einheit finden<br />

könnten. Weshalb der einzige Realgrund außer der Existenzsetzung selbst<br />

auch noch einen eigenen Beitrag zur qualitativen (inhaltlichen)<br />

Bestimmung der »anderen« Seinsweise des zu bestimmenden Dinges<br />

leisten können soll, liegt keineswegs auf der Hand. Die Negation bezieht<br />

sich auf einen Teil der Charakteristik der Sphäre des ens realissimum, die<br />

diesem erst als angehörig unterstellt werden muß, bevor dieses neue,<br />

selbst transzendentale Merkmal als Mangel an den (anderen) Dingen, der<br />

im transzendentalen Vergleich mit dem ens realissimum festgestellt<br />

werden kann, diesen auch als spezifizierbarer Mangel wieder<br />

zugeschrieben werden kann. Dem Akt eben dieser Zuschreibung liegt<br />

wieder die Intelligibilität des verständigen Wesens zu Grunde, wie es<br />

vorher zur Situierung der illustierenden Redeweise vom Mangel schon der<br />

Fall war: Diese Zuschreibung ist dann nicht mehr nur abstrakt und rein<br />

modallogisch auf bloße Existenz (Daßheit) bezogen, sondern drückt<br />

abstrakt selbst schon im Vollzug die Wesensverschiedenheit der reinen<br />

Intelligibilität in der Differenz von (Teil-) Symbol und Symbolisierten<br />

radikal aus. Im Rahmen der Erörterung des Intelligiblen und des<br />

Zeichenhaften des Bewußtseins ist damit nunmehr jede Art von<br />

unmittelbarer Anteilhabe zwischen Gegenstandswelt und Sprachwelt<br />

ausgeschlossen.<br />

Doch abermals ist das Ergebnis unbefriedigend und nur vorläufig zu<br />

verstehen, denn der Mangel, der sich abstrakt und doch verschieden von<br />

der bloßen Existenz, der in jedem Einzelfall der einzige Realgrund zu<br />

Grunde liegt, allenfalls am Ding nach dem transzendentalen Vergleich mit<br />

dem ens realissimum erkennen läßt, ist dann immer nur der selbe: nämlich<br />

der wesentliche und letztursprüngliche Unterschied von ens realissimum<br />

und der Sphäre aller möglichen Prädikate eines Dinges. Das erfüllt aber<br />

nicht die von Kant nur zwischendurch gegebene Beschreibung des<br />

Mangels, die nicht nur in der Illustration, sondern auch schon im<br />

Beweisgrund Gottes anheischig macht, daß gewissermaßen jede Art von<br />

Ding (jedes Ding?) seinen privaten Mangel gegenüber Gott habe, der sich


— 1287 —<br />

vom Mangel einer andern Art von Dingen (anderem Ding?) unterscheide.<br />

Nur so ließe sich auch das Kunststück vollführen, einerseits die zwei<br />

verschiedenen Arten der Vergleichung (logisch, transzendental) mit der<br />

rein logischen Entgegensetzung von ens realissimum und der Sphäre aller<br />

möglicher Prädikate zu unterscheiden, und andererseits beide<br />

Vergleichungsarten in der Vielheit noch auf den selben (!)<br />

transzendentalen Inhalt in der Dingwelt zu beziehen. Was aber ist in<br />

diesem Zusammenhang mit dem Ausdruck »transzendentaler Inhalt«<br />

jeweils bedeutet? Wie man gesehen hat, gibt es dazu mindestens drei<br />

Auffassungen: die erste bezieht den Inhalt der Prädikate aus der<br />

transzendentalen Materie (Allheit), die zweite aus dem wesentlichen<br />

Prädikat des Begriffes vom einzelnen Gegenstand (Allgemeinheit), und die<br />

dritte eben weiter oben als auf die Reflexionsform des Begriffs vom Ding<br />

selbst bezogener Inhalt als Beziehbarkeit eines Merkmals auf etwas. Die<br />

Erörterung des Anspruches des so weit behandelten Mangels, der nicht<br />

einem Vergleich der Dinge untereinander entspringt, sondern dem hier<br />

deshalb (also nicht aus logischen Gründen) transzendental genannten<br />

Vergleiches mit der Seinsweise des ens realissimum, fügt dieser Liste<br />

indirekt eine weitere Bedeutung hinzu. Die Besonderheit des<br />

transzendentalen Inhalts, wie er hier abermals anhand eines wesentlichen<br />

Prädikats oder Teilbegriffs vorgestellt wird, ist aber seine doppelte<br />

Bestimmbarkeit: einmal als vom Anderssein der Dinge ausgehend<br />

bestimmbar, einmal vom Mangel der Dinge und eines jeden Dinges<br />

gegenüber dem ens realissimum, also bereits von der absoluten Position<br />

ausgehend, bestimmbar. Damit wird der selbe Inhalt zwei<br />

Bestimmungsweisen unterworfen.<br />

c) Die transzendentale Analogie zwischen Einheit des Bewußtseins in<br />

der Untersuchung des logischen Ursprungs der Begriffe und der<br />

zerbrochenen Einheit der Seinsweisen im Obersatz des Anselmschen<br />

Gottesbeweises<br />

Dies entspricht in einer formalen, äußerlichen Analogie der Reflexion über<br />

die logischen Regeln, welche die Spontaneität zum Verstand bestimmen.<br />

K. W. Zeidler analysiert in seiner Arbeit »Grundriss der transzendentalen<br />

Logik« 37 den logischen Ursprung der Begriffe. Auch hier wird von der<br />

Einheit der Apperzeption und deren Erklärung als »Einheit der Handlung,<br />

37 Kurt Walter Zeidler, Grundriß der transzendentalen Logik., Traude Junghans Verlag<br />

Cuxhaven & Dartford 2 1997 als Bd. 3 der Reihe »Transzendentalphilosophie heute«.


— 1288 —<br />

verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen« [...]<br />

also als Handlung der »Spontaneität des Denkens« (B 93/A 68)<br />

ausgegangen, die Prinzipien dieser Subsumtion und Koordination werden<br />

aber nicht selbst in der Spontaneität des Verstandes, was Intelligibilität<br />

bedeutet, gesucht. Zeidler: »So hat Kant doch an anderer Stelle, und zwar<br />

im Anschluß an die Abstraktionstheorie der Wolff-Schule, versucht diese<br />

„Spontaneität des Denkens“ (des Verstandes) zu analysieren, indem er<br />

dem „Logischen Ursprung der Begriffe“ durch Komparation, Reflexion und<br />

Abstraktion nachspürt« (S. 126). Mit den Wendungen »Logischer Ursprung<br />

der Begriffe« (Refl. 2876) oder »Logische actus im Begriffe« (Refl. 2854) läßt<br />

sich belegen, daß meine Entscheidungen in den Vorbemerkungen im<br />

ersten Abschnitt »Grund und Ganzes«, (a) eine Vorstellung zu einer<br />

anderen hinzusetzen (§ 16, Text) sei streng zu unterscheiden davon,<br />

Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen (§16, Fußnote),<br />

und (b) das Prinzip der Subsumtion (Leibniz: Enthaltensein) habe selbst<br />

bei Kant keine eigentliche erkenntnispsychologische (Zeidler) oder<br />

transzendentalpsychologische (Cernoch) Grundlegung, vielmehr eine<br />

restringierte Verstandesmetaphysik in § 15 und § 12 zur Grundlage, seine<br />

Berechtigung gehabt hat. Die Verstandeshandlung, als solche betrachtet,<br />

besitzt zweifellos erkenntnispsychologische oder<br />

transzendentalpsychologische Aspekte, doch die Regel, wonach gehandelt<br />

wird, entspringt nicht selbst ihrem Inhalt nach dem Ich als Urbild aller<br />

Regeln (indem, um als stehende und bleibende Vorstellung im Fluß der<br />

Erscheinungen und sich deshalb zugleich als numerische Einheit zu<br />

begreifen, die Vorstellungen mit dem »Ich denke« begleitet werden<br />

müssen). Die logische Regel der Subsumtion ist aber auch nicht einfach ein<br />

Produkt der Abstraktionstheorie, vielmehr hat sie in § 12 die »qualitative<br />

Einheit des Begriffs vom Objekt« als depotenzierte Interpretation des<br />

scholastischen (thomistischen) transzendentalen Ideals zum Grunde, und<br />

in transzendentallogischer Hinsicht kritisch als Vernunftidee betrachtet,<br />

liegt der logischen Regel als Urbild das Ideal der reinen Vernunft als der<br />

Begriff vom einzelnen Gegenstand zum Grunde.<br />

Zeidler kommt nach einer Überlegung zum Außersprachlichen an der<br />

diskursiven Form des Begriffes und der Schwierigkeit der Vermittlung des<br />

Außersprachlichen an die konstruktivistischen und konventionalistischen<br />

Elemente einer jeden diskursiven Form zum entscheidenden Punkt:<br />

»Näherhin gefragt: was ist unter der ersten dieser Handlungen, der<br />

Komparation, zu verstehen? Die Jäsche-Logik nennt sie „die Vergleichung


— 1289 —<br />

der Vorstellungen untereinander im Verhältnisse zur Einheit des<br />

Bewußtseins“, Reflexion 2854 „die Vorstellung einer nota als communis“<br />

und Reflexion 2876 sieht den logischen Ursprung der Begriffe durch<br />

Komparation in deren“Vergleichung unter einander“ bzw. „wie sie sich zu<br />

einander, in einem Bewußtsein verhalten“. Kant bringt damit zum<br />

Ausdruck, daß die Vergleichung (comparatio) eine Vergleichsbasis<br />

voraussetzt, wie denn auch die „Vorstellung einer nota communis“ nach<br />

einem Einheitsgrund der notae singulares verlangt. Folglich ist die<br />

Komparation in transzendentaler Bedeutung nichts anderes als die<br />

notwendige Beziehung der notae auf die numerische Einheit des<br />

Bewußtseins.« (S. 127) — Ich halte hier inne, weil ich beeinspruchen<br />

möchte, die ursprünglich-synthetische Einheit der transzendentalen<br />

Apperzeption eventuell auf die numerische Einheit der transzendentalen<br />

Apperzeption zu reduzieren, die aus der rein intellektuellen Vorstellung<br />

eines stehenden und bleibenden Selbst im Fluß der Erscheinungen auf die<br />

numerische Einheit des Bewußtseins schließt, oder die ursprünglichsynthetische<br />

Einheit als spontanen Actus des Denkens aus der<br />

notwendigen Beziehung der notae auf die Einheit des Bewußtseins<br />

überhaupt auszuschließen beginnt. Außerdem widerspricht sich Zeidler<br />

mit der Behauptung, daß die Komparation schließlich nichts anderes als<br />

die Beziehung auf die numerische Einheit sei, schon darin, als er doch<br />

gerade zuvor den Vergleich aneinander und untereinander als die<br />

Definition des logischen Vergleiches (comparatio) herausgestellt hat. Die<br />

notwendige Beziehung auf die Einheit des Bewußtsein ist transzendental<br />

deshalb, weil eine Voraussetzung für diesen Vergleich, aber nicht selbst<br />

der Vergleich, auch nicht als transzendentaler Vergleich; das wäre ein<br />

absolutes Mißverständnis. — Zeidler verweist im unmittelbaren Anschluß<br />

auf einen von Kant vorgesehenen zweiten Schritt: »Sie in dieser Beziehung<br />

zu erhalten bedarf es aber zweitens der „reflexion (mit dem selben<br />

Bewußtseyn): wie verschiedene in einem Bewußtseyn begriffen seyn<br />

können“ (Refl. 2876), d. h. die verschiedenen Vorstellungen (notae) müssen<br />

in die synthetische Einheit des Bewußtseins aufgenommen, mithin als<br />

verschieden aneinander reflektiert werden, woraus „3. durch abstraction:<br />

Da man das wegläßt, worin sie sich unterscheiden“ (ibid.) der conceptus<br />

communis als ihre begriffene Aneinandervermitteltheit entsteht.« (S. 127)<br />

Das ist, um mit Kant ab der Kritik zu sprechen, eine empirische<br />

Untersuchung des logischen Ursprungs der Begriffe, die angibt, woher wir<br />

unsere logischen Begriffe herhaben, oder, wie wir ihrer habhaft werden


— 1290 —<br />

können. Daß Begriffe Handlungen des Verstandes zur Voraussetzung<br />

haben, und nicht selbst als selbstständige Entitäten anzusehen sind, ist<br />

kein Grund, die Einheit des numerischen Bewußtseins oder die<br />

ursprünglich-synthetische Einheit allein transzendentalpsychologisch<br />

auszulegen, sondern die Darlegung der Bedeutung der rationalen<br />

Psychologie in § 16 der Deduktion hat die Grundregel des Hinzusetzens<br />

einer Vorstellung zu einer anderen als transzendentalpsychologisches<br />

Urbild des Verbindens und Verknüpfens, und davon ausgehend abstraktiv<br />

auch gleich des Ersetzens, vorzustellen. Derart soll aus der rationalen und<br />

transzendentalen Psychologie, und deren, zunächst nur intellektuell<br />

aufgefaßten Spontaneität Logik und Verstand werden. Dies kann als<br />

transzendentale Abstraktionslehre im Rahmen einer ersten Vorführung<br />

des synthetischen Momentes der Idee skizziert werden, wird aber<br />

Kriterien voraussetzen, die nicht allein dem Verhältnis von rationaler<br />

Psychologie des Verstandes und rationaler Physiologie des inneren Sinnes<br />

im transzendentalen Subjekt (deshalb transzendentale Psychologie)<br />

entstammen könnten. Diese Darstellung hat durchaus den Vorzug, mit den<br />

notae communis sowohl das selbe Bewußtsein, wie die mögliche<br />

Gemeinschaft im diskursiven Gebrauch in weiterer, durch Abstraktion<br />

erlaubten, metaphorischer Verwendung zu bedeuten, weil die Selbigkeit<br />

des Bewußtseins in genau bestimmter Hinsicht nach Regeln dargetan<br />

werden kann, und dann im Anschluß nicht notwendigerweise auf die<br />

transzendentale Psychologie rekkurrieren muß.<br />

Daß die Selbigkeit, oder auch logische Identität des Bewußtseins begriffen<br />

werden kann, bedarf aber immer noch des Nexus von Intelligibilität und<br />

Leiblichkeit. M. a. W., auch diese, letztlich spekulative,<br />

Erweiterungsmöglichkeit ist in einem existierenden Individuum zu<br />

fundieren: »Sie in dieser Beziehung zu erhalten bedarf es aber zweitens der<br />

„reflexion (mit dem selben Bewußtseyn): wie verschiedene in einem<br />

Bewußtseyn begriffen seyn können“ (Refl. 2876)«. Mit dem selben<br />

Bewußtsein, mit dem im ersten Schritt die numerische Einheit des<br />

Bewußtseins hergestellt worden ist, wird im zweiten Schritt nicht eine<br />

Vorstellung zu einer anderen hinzugesetzt, wie in § 16, sondern es wird hier<br />

gefragt, wie verschiedene Vorstellungen oder notae in einem Bewußtsein<br />

sein können. Die Quelle dieser Verschiedenheit ist in § 16 zweifellos das im<br />

(möglichen) Bewußtsein gegebene Mannigfaltige; der gesuchte<br />

Einheitsgrund ist jedoch zunächst nur in der qua Bewußtsein<br />

mitgebrachten Einheit zu erkennen, die durch die nämliche Handlung des


— 1291 —<br />

Hinzusetzens erst hergestellt worden ist. Nun steht die qualifiziertere<br />

Forderung an, das als Verschiedenes bereits Bekannte als Einheit zu<br />

denken. Diese höher qualifizierende Definition von transzendentaler<br />

Apperzeption könnte auf auf Überlegungen Leibnizens im 30. Brief an Des<br />

Bosses zurückgehen.◊ Da nun im Umkreis der behandelten Reflexionen<br />

der logische Ursprung der Begriffe gesucht wird, ist davon auszugehen,<br />

daß hier ebenso weitere Voraussetzungen außerhalb der rein<br />

transzendentalpsychologischen Überlegung von numerischer Einheit und<br />

logischer Identität des selben Bewußtseins zu finden und zu untersuchen<br />

sind, wie es für die Kategorien sinnlicher Mannigfaltigkeit oder der reinen<br />

Algebra und Mathematik der Fall ist.<br />

Ich halte hier die Logik für ein Organon des reinen Verstandes, das nicht<br />

aus der rationalen Psychologie abgeleitet wird, sondern daß die Idee einer<br />

rationalen Psychologie mitsamt der Intellektualität ihrer Spontaneität erst<br />

mit dem Verstand analysierbar wird; dieser aber qualifiziert sich zu einem<br />

solchen durch zweierlei: erstens durch die doppelte Einheit der<br />

transzendentalen Apperzeption, und zweitens mit der Bestimmbarkeit der<br />

intellektuellen Spontaneität durch logische Regeln. Deren Gebrauch kann<br />

im Sinne von Anwendungsbedingungen in einigen Fällen<br />

transzendentalpsychologisch in transzendentaler Analyse gerechtfertigt<br />

werden, aber ebenso wichtig sind weitere Schritte, welche das Umfeld der<br />

psychologischen Idee verlassen: Die Untersuchungen zur kosmologischen<br />

und theologischen Idee können keinesfalls als aus der psychologischen<br />

Idee oder aus der numerischen (analytischen) oder synthetischursprünglichen<br />

Einheit der transzendentalen Apperzeption analytisch<br />

abgeleitet betrachtet werden.<br />

Daß nun gerade an einer Stelle der Erörterung, wo im Zusammenhang mit<br />

dem so genannten »transzendentalen Mangel« die von Anselm behauptete<br />

Einheit des die reine Intelligibilität und Wirkliches im Sinne der Dinge der<br />

Welt umfassenden Seinsbegriff zerbrochen ist (was bei Kant unmittelbar<br />

mit der dritten und vierten Antinomie der kosmologischen Idee zu tun<br />

hat), und in der Frage der Bestimmbarkeit der Seinsweise der Dinge der<br />

Welt, über die selbst fraglich gewordene Abhängigkeit der Dinge der Welt<br />

von der von der Seinsweise der Dinge der Welt verschiedenen Seinsweise<br />

des In-Existenz-versetzenden Gottes hinweg, noch zu einer doppelten<br />

Bestimmung des transzendentalen Inhalts gelangt, 38 der sich zuletzt in der<br />

38 Eben als transzendentaler Mangel aus der absoluten Position und als<br />

transzendentaler und logischer Vergleich aus der Position der Dinge der Welt


— 1292 —<br />

Suche nach seinem Ursprung doch wieder auf die Dinge der Welt<br />

zurückwendet, macht den zweiten Schritt aus der Reflexion 2876 so<br />

bemerkenswert, wenn man ihn mitsamt seiner in sich Verschiedenheit<br />

nicht auf die Einheit des Bewußtseins hin interpretiert, sondern auf die<br />

fraglich bleibende Auflösung der dritten Antinomie, oder gleich auf den<br />

Obersatz des Anselmschen Gottesbeweises. Die Bestimmungen der<br />

Vorstellungen oder notae geschehen sowohl in den Überlegungen zum<br />

logischen Ursprung der Begriffe wie auch hier in der ontotheologischen<br />

Spekulation durch einen Vergleich (comparatio) sowohl aneinander bzw.<br />

untereinander wie auch in Beziehung auf ein als unbedingt<br />

vorausgesetztes Drittes, sei dieses nun die Einheit des Bewußtseins oder<br />

die fraglich gewordene Einheit der Seinsweisen, das offenbar mittels der<br />

Fähigkeit der Bestimmung bzw. der Eigenschaft, bestimmbar zu sein, die<br />

sich aufgetane Kluft wieder überbrücken soll. Dies wäre allerdings<br />

einerseits als Idee einer Ursache oder Kraft, andererseits als mit der<br />

zeichenhaften Verfaßtheit unseres Bewußtseins verbundene kognitive<br />

Fähigkeit des selbst von Kant als intelligibles Subjekt des reinen<br />

Verstandeswesens der rationalen Psychologie vorgestellten Wesens erst<br />

weiter auszuwickeln.<br />

Nunmehr geht es an der Grenze der ontotheologischen Spekulation um die<br />

Bestimmung des Mangels jeden Dinges der individuellen Seinsweise nach<br />

gegenüber der Seinsweise des ens realissimum. Nach den eben<br />

behandelten Voraussetzungen des Zeichengebrauchs dürfte die<br />

Vorstellung von einer reinen und von der Körperwelt getrennten<br />

Intelligibilität als methodisches Vorbild zur Erörterung dieser Frage nicht<br />

in Frage kommen. Offenbar kann die reine Intelligibilität auch nicht die<br />

Seinsweise des ens realissimum ausmachen, selbst wenn man Kants<br />

strenge Auffassung vom ens realissimum voraussetzt, das als allerhöchstes<br />

Wesen eben nicht alle mögliche Realität umfaßt. Es wird von Kants<br />

Darstellung des transzendentalen Ideals als oberste und vollständige<br />

materiale Bedingung jedoch gerade nicht verhindert, in der Frage, ob unter<br />

ens realissimum doch nichts anderes als ein Teilbegriff des omnitudo<br />

realitatis zu verstehen sein sollte, frei von jedem Zweifel sein zu können.<br />

Dieser im Begriff vom einzelnen Wesen erzeugten obersten Idee liegt nach<br />

Kant auch selbst das transzendentales Subtratum zugrunde, das als All der<br />

Realität (omnitudo realitatis) die transzendentale Materie vorstellt, woraus<br />

die Prädikate ihren Inhalt nehmen. Die Informiertheit des ens realissimum<br />

steht allerdings zwischen der unvollkommenen Indifferenz des


— 1293 —<br />

Unvordenklichen und der vollständigen materialen Bedingung, die, um<br />

vollständig zu sein, wohl sowohl Allheit (Sphäre aller möglichen Prädikate<br />

eines Dinges überhaupt) wie Allgemeinheit (wesentliches Prädikat, das<br />

nicht aus anderen Prädikaten abgeleitet sein kann), also qualitative Einheit<br />

des Begriffes des Objekts (§ 12) und Teilbegriff, der den ganzen<br />

Gegenstand vorstellen läßt — zumindest gemäß der doppelten Struktur<br />

der Darstellung des transzendentalen Ideals durch Kant — vereinbaren<br />

können muß. Die Quellen der inhaltlichen Bestimmung sind verschieden:<br />

Der logische Vergleich der Prädikate, die von der transzendentalen<br />

Materie genommen sind, geschieht zuerst unter den Dingen<br />

untereinander, erst das wesentliche Prädikat erlaubt den allgemeinen<br />

Begriff von einem einzelnen Gegenstand und den transzendentalen<br />

Vergleich. Soll unter dem transzendentalen Vergleich des Dinges nun nach<br />

wie vor nur der Vergleich mit dem Inbegriff aller möglichen Prädikate<br />

eines Dinges überhaupt als univok mit dem All der Realität (omnitudo<br />

realitatis), also der Vergleich der Prädikate des besonderen Dinges mit der<br />

Sphäre aller möglichen Prädikate eines Dinges überhaupt (B 601/A 573)<br />

verstanden werden, oder ist die Umwandlung zum Inbegriff doch schon<br />

bedeutsam für diejenige Auffassung, unter dem transzendentalen<br />

Vergleich wäre eben der Wesensbegriff (Allgemeinbegriff) eines Dinges<br />

mit dem ens realissimum als Teilbegriff des omnitudo realitatis zu<br />

vergleichen, was im Schutz der Unklarheit des Überganges von omnitudo<br />

realitatis zum Inbegriff aller möglichen Prädikate bereits vorbereitet<br />

worden wäre?<br />

Weiters: Was also bedeutet die Informiertheit des ens realissimum in<br />

strenger Fassung als allerhöchstes Wesen näher, umfaßt sie nur die<br />

allgemeinen und konkreten Wesenheiten der Dinge, oder auch die<br />

Prädikate, die aus dem Vergleich der Dinge untereinander oder aus der<br />

transzendentalen Materie als All der Realität (omnitudo realitatis)<br />

genommen werden? Und ist damit die bodenlose Negativität des<br />

transzendentalen Mangels der Dinge gegenüber dem ens realissimum in<br />

der strengen Fassung als allerhöchstes Wesen kraft dessen auch nur<br />

erdachten Fähigkeit, die Dinge zur Existenz zu bestimmen, auch schon als<br />

erledigt zu betrachten, oder beginnt da erst die Erörterung des<br />

transzendentalen Mangels als ein davon verschiedenes Problem, wenn<br />

man die grundlegende Verschiedenheit der Naturen des ens realissimum<br />

als ens originarium, entium, summum und die Natur der Welt der Dinge<br />

(res extensa) bedenkt, die nicht geeignet zu sein scheint, durch eine


— 1294 —<br />

logische Entgegensetzung ausgedrückt zu werden (Anselms Obersatz,<br />

Logik von Port Royal: Gott schuf die sichtbare und unsichtbare Welt)?<br />

Schließlich bleibt noch die Frage nach der Aufheblichkeit der res als<br />

solcher und als Konzept gemäß des »idea est conceptus archetypus«, und<br />

inwieweit die transzendentale Negation, wird sie einmal an das »idea est<br />

conceptus archetypus« gebunden, letztendes nicht nur die Schöpfung,<br />

sondern auch den Schöpfer zumindest als Schöpfer mit aufheben würde.<br />

d) Die Reichweite der transzendentalen Negation und des Conceptus,<br />

nochmals der transzendentale Mangel aller Dinge bei Cusanus und Kant<br />

Auch zieht man die Aussage Leibniz aus der Monadologie heran: Gott<br />

allein ist von jedem Körper frei (§ 72, vgl. auch Theozidee, §§ 90, 124), so<br />

erlaubt das keineswegs schon allein, von einem ens rationis sine<br />

fundamentum in re zu sprechen, wie Brentano für die Seinsweise des<br />

Vorstellens selbst der Deutlichkeit der Unterscheidungen willen in<br />

Anspruch genommen hat, denn Descartes bezeichnet auch das selbst<br />

körperlose Erkenntnisvermögen als res cogitans. So ist zwar die Sphäre der<br />

Dinge dem Umfang nach gegenüber dem »idea est conceptus archetypus«<br />

ganz wie gegenüber dem ens realissimus bestimmt, doch fallen die<br />

Bedeutungsumfänge des conceptus archetypus und ens realissimum auch<br />

dann nicht gleichmäßig in eins zusammen, wenn man annimmt, daß mit<br />

dem conceptus archetypus auch eine Eigenschaft des ens realissimum als<br />

ens originarium beschrieben wäre, denn das conceptus archetypus wird<br />

offenbar auch auf intelligible und leibliche Wesen zur Anwendung<br />

gebracht, was ein Unterschied im Umfang der Distribution des Begriffes<br />

auf Dinge ausmacht.<br />

Dabei wird von der resolutiven Informiertheit aus der pyramidalen<br />

Entwickelung des conceptus archetypus als verzweigte Hierarchie sich<br />

weiter und weiter konkretisierender Zwecke ausgegangen, sodaß eine<br />

einfache Ausschließung des Bestimmungskreises der Möglichkeiten eines<br />

besonderen Dinges (ob deshalb schon individuell ist nicht entschieden) aus<br />

dem Bestimmungskreis der Möglichkeiten des Konzepts des Konzept als<br />

Kennzeichen der obersten Idee zur Unterscheidung zureichen soll, damit<br />

die allgemeine Besonderheit des bestimmten Dinges in der Hierarchie der<br />

Entwicklung des conceptus archetypus ihre Stelle erhält.<br />

Das Wesen selbst mag aus der Indifferenz des Unvordenklichen stammen<br />

und nicht selbst vollständig der Willkür Gottes unterliegen, es wird auch


— 1295 —<br />

bei Leibniz erst durch den göttlichen Verstand klar und distinkt gedacht.<br />

Doch wird auch mit der wesenslogischen Darstellung des<br />

transzendentalen Vergleichs der wesentliche Unterschied zwischen Gott<br />

und der Welt der Dinge nicht ausgedrückt, und so konnte auch der bereits<br />

im Übergang zur Vermögenslehre ins Auge gefaßte transzendentale<br />

Mangel noch nicht näher behandelt werden. Als Bestimmung des<br />

Unterschiedes bleibt so der Versuch, diesen als den von reiner<br />

Intelligibilität gegenüber der Welt der Dinge vorzustellen. Genau diese<br />

reine Intelligibilität aber wird bekanntlich zum Problem: Kant bestimmt<br />

die oberste Idee als eine mit der vollständigen materialen Bestimmung.<br />

Wobei eben die Frage offen bleibt, worauf Kant hier den Schwerpunkt legt,<br />

und inwieweit mit der materialen Bestimmung auch eine eindeutige<br />

regionale Bestimmung von Realität und Wirklichkeit gefunden werden<br />

kann, die gegenüber der Seinsweise Gottes unabhängig bleibt. Insofern<br />

wäre im Gegenzug die schon aus dem Beweisgrund Gottes bekannte<br />

Möglichkeit zur Weiterbestimmung des in der transzendentalen Negation<br />

und im Untersatz des transzendentalen Syllogismus wieder erkenntlich<br />

gewordenen transzendentalen Mangels von Belang.<br />

Die ausgearbeitete Figur des Mangels als Freiraum in der sich<br />

schließenden Vernunftspekulation für den Überstieg vom quantitativen<br />

Unendlichkeitsproblem zu einem übervernünftigen<br />

Unendlichkeitsproblem findet sich als erstes bei Cusanus. Gemäß des<br />

Prinzips der Koinzidenz der Gegensätze wäre auch der Gegensatz von der<br />

Seinsweise des ens realissimum und der Seinsweise der (anderen) Dinge<br />

noch einer Weiterbehandlung zugänglich, die im Zuge der Suche nach<br />

Wegen der fortgehenden Totalisierung nach oben und nach unten zu<br />

einem System von Konkordanzen werden könnte, und wegen der Idee<br />

dieser Möglichkeit in diesem forcierten Spekulationsgang der<br />

fortlaufenden Totalisierung damit auch schon geworden ist und im Reich<br />

reiner Intelligibilität (reiner intensionaler dialektischer Spekulation) immer<br />

schon gewesen ist.<br />

Kant mutet zuerst, obgleich wissentlich den dialektischen Gebrauch der<br />

theologischen Idee betreibend, mit dem Anspruch der Bestimmbarkeit<br />

eines besonderen Mangels einen jeden Dinges (vielleicht sogar eines jeden<br />

Individuums) gegenüber dem ens realissimum diesen und uns mehr zu als<br />

Cusanus, nur um in der Konsquenz es nur zu einer universalen<br />

transzendentalen Negation nach dem Vorbild der allgemeinen Logik zu<br />

bringen. Doch aber ist auch mit dieser regional allgemeinen Auslegung


— 1296 —<br />

gemäß der res extensa allein gar nicht getan, da damit noch gar nicht<br />

entschieden ist, ob diese Zumutung deshalb selbst mit aufgehoben wird,<br />

oder ob der Sachverhalt nicht eher so liegt, daß damit über die jeweilige<br />

Besonderheit des Mangels nicht mehr gesagt worden ist, als daß eben seine<br />

besondere Bestimmung als besondere Bestimmung der transzendentalen<br />

Negation nicht a priori möglich ist, aber nicht, daß solches schlechthin<br />

unmöglich oder der Anspruch als solcher als unerheblich anzusehen wäre.<br />

Damit hat sich der Schwerpunkt der Untersuchung verschoben: Bislang<br />

wurde versucht, eine qualitative und inhaltliche Bestimmung des besagten<br />

Mangels zu erreichen, der über die abstrakte Unterscheidung von<br />

quantitativer Unendlichkeit und Unendlichkeit der qualitativen, aber<br />

selbst immer weiter abstrahierenden Totalität hinausgeht, die sich aber<br />

letztlich rein modal in der Auffassung, Gott sei für jedes Ding der einzige<br />

Realgrund erschöpft. Nunmehr geht es nicht mehr um die Rechtfertigung<br />

dieses Anspruches selbst, sondern wie im ästhetischen Urteil, um die<br />

Rechtfertigung, diesen Anspruch überhaupt erheben zu können, auch<br />

wenn keine Aussicht darauf besteht, eine allgemeine Rechtfertigung des<br />

mit dem Anspruch verbundenen Inhalts erreichen zu können. Überhaupt<br />

ist das ästhetische Urteil ähnlich wie die Vermögenslehre als Illustration<br />

der fraglichen Verhältnisse geeignet, die bei den Erörterungen des nicht<br />

mehr als transzendentalen Inhalt der Dinge der Welt bestimmbaren<br />

transzendentalen Mangels auftreten, indem dem als schön beurteilten<br />

Objekt etwas zugeschrieben wird, was es aus sich selbst nicht ist, sondern<br />

letztlich eine Eigenschaft ausdrückt, die sich unmittelbar nur auf innere<br />

Verhältnisse der Seelen-, näher der Erkenntnisvermögen beziehen läßt,<br />

wenn auch mathematische Verhältnisse in der Erscheinung des Objekts die<br />

äußere Bedingung dafür hergibt. Die von der Position des ens realissimum<br />

ausgehenden Zuschreibung des transzendentalen Mangels auf jedes Ding<br />

bietet hier eine formale Analogie dieser distributiven Schwierigkeit, auf die<br />

auch zurückgekommen werden muß, geht es um den Ausdruck innerer<br />

Gestimmtheit und dessen Funktion zur Identifikation dieser Gestimmtheit<br />

(M. Benedikt, Phil. Emp. II: Das Ideal des Schönen ist nur im Verhältnis<br />

zur Vernunft als oberes Begehrungsvermögen zu denken möglich).<br />

Cusanus hat an der nämlichen Grenze der Erörterung die uns zugängliche<br />

Seite der »resolutiven« Methode, also der Rückgang von einer<br />

extenstionalen Totalität auf die im Rückgang sich selbst informierenden<br />

Idee des Können-selbst als intensionale Totalität darin aufgehen lassen,<br />

daß es nicht allein unser Unvermögen ist, den transzendentalen Mangel


— 1297 —<br />

näher zu bestimmen, sondern es eine Eigenschaft des sich Zeigenden ist,<br />

sich nicht als sich selbst, sondern nur vermittels des anderen auf sich selbst<br />

beziehen zu können. Darin wird gewissermaßen auch ein Aspekt der<br />

Abhängigkeit des Intelligiblen von Leiblichen aufgezeigt, wie es auch der<br />

Darstellung der inneren Gestimmtheit durch den immer äußerlichen<br />

Ausdruck eigen ist. Damit wird dem zum archetypus intellectus<br />

weiterbestimmten ens realissimum eine Strebung zum Ausdruck<br />

unterstellt, der der gattungsmäßig unterstellten Strebung, den<br />

transzendentalen individuellen Mangel zuerst zu bestimmen und dann<br />

das Mindeste zu versuchen, um ihn aufzuheben, glücklich gegenübersteht.<br />

Das entspricht dem Übergang zur Vermögenslehre in der Illustration der<br />

transzendentalen Negation Kants im zweiten Abschnitt über das Ideal der<br />

reinen Vernunft (Vom transzendentalen Ideale). Kant läßt offenbar in<br />

dieser Illustration der der transzendentalen Negation vorausliegenden<br />

Vorstellung des besagten Mangels mehr zu, als dies Cusanus anhand<br />

seiner Auslegung der Lichtmetapher vorzusehen scheint. Bei Cusanus<br />

kann letztlich das göttliche Wesen gar nicht selbst in Erscheinung treten.<br />

Das kann zwar als Absage an die Metapher der Anschaulichkeit<br />

verstanden werden, doch hat Cusanus das nämliche mit der Vergeblichkeit<br />

der Darstellung der Person eines Autors durch sein Buch versucht<br />

darzustellen. Schließlich geht es auch hier um das Vernehmen im<br />

Schweigen, womit der transzendentale Mangel womöglich sogar als<br />

individuell, bei aller Negativität in der Perspektive des äußeren<br />

Darstellens, immerhin bedeutet werden könnte.<br />

Kant hält sich demnach hier nur im Rahmen der Metaphorik des<br />

Anschaulichen und deren Distributionsweisen auf, weshalb eben die<br />

Darstellung des transzendentalen Mangels im Zusammenhang mit der<br />

transzendentalen Negation auch nur vorläufig bleiben muß. Die<br />

Darstellung des transzendentalen Ideals aber besitzt keinerlei Anzeichen,<br />

die erlauben könnten, anhand der allgemeinen Zeichenhaftigkeit des<br />

Bewußtseins zur Metaphorik des Vernehmens vorzustoßen, worin noch<br />

eine Möglichkeit vermutet werden kann, den Versprechungen aus der<br />

illustrativen Vermögenslehre ein Fundament (cum vel sine fundamentum<br />

in re) zu suchen, auf welchem Wege der transzendentale Mangel sein<br />

aptitudo äußern und sich so unversehens mitteilen könne ohne selbst als<br />

sein Gegenteil, was dann schon wieder nur seine Positivität für uns wäre,<br />

erscheinen zu müssen.


— 1298 —<br />

d) Die Bestimmung des transzendentalen Ideals durch die<br />

Hereindrehung des Distributionsproblems des transzendentalen<br />

Mangels in den transzendentalen Subjektivismus (Das Problem der<br />

Umstülpbarkeit des Arguments Kantens). Das nicht-paralogistische<br />

Zuschreibungsproblem höherstufiger Prädikate im transzendentalen<br />

Subjektivismus. Die Unbestimmtheit der Herausdrehung des<br />

transzendentalen Mangels aus dem transzendentalen Subjektivismus<br />

(Das Problem der Umstülpbarkeit des Arguments Anselms)<br />

Obgleich die Untersuchung der transzendentalen Negation im zweiten<br />

Abschnitt des dritten Hauptstückes »Vom Ideal der reinen Vernunft«<br />

(Vom transzendentalen Ideal) im transzendentalen Syllogismus zu einer<br />

Entwicklung geführt hat, die unabhängig von der radikalen Konsequenz<br />

der transzendentalen Negation in die Schwierigkeiten des Obersatzes des<br />

Anselmschen Gottesbeweises hinsichtlich der Uneinheitlichkeit des<br />

Seinsbegriffs geraten ist, bleibt die anschließende Darstellung des<br />

transzendentalen Ideals davon inhaltlich und vor allem argumentativ<br />

unberührt. Offenbar soll im transzendentalen Ideal noch nicht der<br />

transzendentale Mangel gegenüber dem ens realissimum, sondern der<br />

Mangel bloß prädikativer Durchbestimmtheit (Allheit) gegenüber der<br />

Definition aus wesentlichen Prädikaten (Allgemeinheit) thematisiert<br />

werden, was aber nur zu einer unklaren Fassung des transzendentalen<br />

Vergleichs von Umfängen von Wesensbegriffen (Vergleich des Ding selbst<br />

mit dem Inbegriff aller möglichen Prädikate) gelangt ist.<br />

Die Zuschreibung der Totalität ist nur entlang der Interpretation der<br />

Affinität möglich, die Merkmale als Prädikate und Prädikate als<br />

Vorstellungen auffaßt, sodaß ein Prädikat als Merkmal einem Ding, als<br />

Vorstellung aber dem Vorstellenden zuzuschreiben ist. Ich behaupte also,<br />

Totalität aller möglichen Prädikate ist nur im zweiten Falle zumindest<br />

denkmöglich. Insofern kann vom zweiten Prinzip der durchgängigen<br />

Bestimmung eines Begriffes durch eine Idee (Allgemeinheit) ausgehend<br />

das Substrat des transzendentalen Ideals kein Ding oder bloß die<br />

transzendentale Materie als omnitudo realitatis mehr sein, sondern muß<br />

zumindest perzepierende Monade; und um diese Totalität als Idee zu<br />

fassen (Allgemeinheit), apperzepierende Monade sein. Damit ist die<br />

Vorstellung des informierten archetypus intellectualis idealiter auch schon<br />

wieder als erfüllt zu betrachten, aber gerade nicht die des ens realissimum,<br />

was doch zuvor dem Problem des besonderen (womöglich auch<br />

individuellen) transzendentalen Mangels zugrunde gelegt worden ist. Die


— 1299 —<br />

genaue Untersuchung der transzendentalen Negation ergibt also keine<br />

direkten Hinweise für den Aufbau der Argumentation des<br />

transzendentalen Ideals, bleibt jedoch für die Diskussion möglicher<br />

logischer Formen im Rahmen des transzendentalen Untersatzes in<br />

Stellung. Die Brauchbarkeit und Relevanz der Auffassung von der<br />

Kantschen Darstellung des transzendentalen Ideals als Idee von einer<br />

apperzepierenden Monade läßt sich auch damit argumentieren, daß Kant<br />

dortselbst zwar zuerst vom Begriff von einem entis realissimi<br />

(B 604/A 576) spricht; die Vereinzelung aber erst mit der Bestimmung des<br />

Begriffes des Wesens durch den Begriff vom einzelnen Gegenstand<br />

ausdrücklich wird.<br />

Es dürfte sich um eine Ineinanderspiegelung einer gewissen Analogie<br />

zwischen menschlichem und göttlichem Verstand handeln, auf die auch<br />

Hegel mehrfach anspielt. Vergleiche auch die Aussage über das<br />

transzendentalen Ideal: »Das transzendentale Ideal scheint nur am<br />

weitesten von der objektiven Realität entfernt zu sein« mit der christlichen<br />

Lehre, daß Gott meinem Selbst näher steht (unendlich nah) als mein Ich<br />

selbst: In dieser Umstülpung der Spekulationsrichtung würde das<br />

transzendentale Ideal die semantische Funktion Gottes übernehmen. Doch<br />

ist das transzendentale Ideal der »Begriff eines entis realissimi« und der<br />

»Begriff eines einzelnen Wesens, weil von allen möglichen<br />

entgegengesetzten Prädikaten eines, nämlich das, was zum Sein<br />

schlechthin gehört, in seiner Bestimmung angetroffen wird.« (B 604/A 576)<br />

Ich verstehe das hier nun so, daß das »Sein schlechthin« der »einzige<br />

Realgrund«, also die ursprüngliche göttliche Schöpferkraft (Cusanus:<br />

possest est, Können-sein) in jedem einzelnen Ding ist. Dann aber verläßt<br />

Kant den Gang der Argumentation, wie man ihn aus dem Beweisgrund<br />

Gottes kennen gelernt hat: »Also ist es ein ein transzendentales Ideal,<br />

welches der durchgängigen Bestimmung, die notwendig bei allem, was<br />

existiert, angetroffen wird, zum Grunde liegt, und die oberste und<br />

vollständige materiale Bedingung seiner Möglichkeit ausmacht, auf<br />

welche[r] alles Denken der Gegenstand überhaupt ihrem Inhalte nach<br />

zurückgeführt werden muß.« (l. c.)<br />

Die oberste und materiale Bedingung ist als rein spekulativ aus der<br />

Analytik gesetzte Vorausetzung zu verstehen, die nur deshalb im Denken<br />

der Gegenstände überhaupt allen Inhalt auf diese Voraussetzung<br />

zurückführen muß, weil das Denken nach einer obersten Idee sucht, und<br />

diese spekulativ setzt. Diese oberste Idee ist inhaltlich offenbar nicht rein


— 1300 —<br />

intelligibel. Jedenfalls ist diese oberste Idee nicht die von einem ens<br />

realissimum, das im Rahmen der Spekulation der reinen Intelligibilität<br />

Gottes als allerrealstes, schließlich als allerhöchst reales Wesen zu denken<br />

aufgegeben werden kann, da sie auch die vollständige und oberste<br />

materiale Bedingung beinhalten soll. Das unterscheidet diese Darstellung<br />

auch von derjenigen, wonach Gott auf Grund seiner reinen Intelligibilität<br />

und deren Zeichenhaftigkeit von den Dingen getrennt ist, die durch ihr<br />

Anderssein zwar nur negativ zu Gott bestimmt worden sind, aber doch<br />

einen eigenen Bestimmungsgrund von wo anders mit sich zu bringen<br />

hätten. Dessen Doppeltheit der Bestimmung der Andersheit der Dingwelt<br />

gegenüber der Seinsweise Gottes hat sich in diesem Zusammenhang<br />

bereits zwischen Allheit (transzendentalen Materie) und Allgemeinheit<br />

(wesentliches Prädikat) gezeigt.<br />

Diese spekulative Bestimmbarkeit der Seinsweisen muß eben nicht in der<br />

Substanzvorstellung Spinozas enden: Anselm setzt im ontologischen<br />

Gottesbeweis die Idee des größtmöglichen Seins (des je als größer<br />

denkmöglichen Seins) als Disjunktion von Vernunft zu Vernunft und<br />

Wirklichkeit an. Es wird hier der Begriff »Wirklichkeit« als einheitlicher<br />

Begriff der Existenzweisen gebraucht, der von unserer physischen<br />

Existenzweise und unserer Sinnlichkeit her bestimmbar gedacht wird,<br />

wenngleich nicht als vollständig bestimmbar. Die Möglichkeit der<br />

Gegenübersetzung reiner Intelligibilität als eigenständige Seinsweise wird<br />

im zweiten Satz ausgeklammert; damit gerät allerdings die christliche<br />

Vorstellung, Existenz hätte eine Voraussetzung, die nicht in der Existenz<br />

der Dinge der Welt selbst liege, in Diskussion. Das Argument, daß<br />

Vernunft und Wirklichkeit »mehr« sei als bloße Vernunft, betrachtet<br />

deshalb, weil Gott als dasjenige zu denken sei, was größer nicht sein<br />

könne, allein aus dieser Regel der Totalisierung auch die Existenz Gottes<br />

als bewiesen. Damit wird nicht nur von der reinen Vernunft verlangt,<br />

wozu sie allein als reine Intelligibilität (im Rahmen des Zeichenhaften) gar<br />

nicht fähig ist, sondern es wird noch in einer sonderbaren Redeweise vom<br />

Mehr-sein des Seins als des Seienden gesprochen, während Kant im<br />

Beweisgrund Gottes das ens realissimum vom All der Realität<br />

freigesprochen hat. Dieses »Mehr-sein« des Seins gegenüber dem Seienden<br />

kann nun als Umfangsbestimmung von Möglichkeit entlang der<br />

fortlaufenden Abstraktion zum totalen Totum aufgefaßt werden, indem<br />

das Seiende ist, was es ist, und insofern einen Bereich von Möglichkeit<br />

anhand möglicher Verbindbarkeit mit anderem Seienden bestimmt, der


— 1301 —<br />

aus analogen Gründen kleiner sein muß als die des Seins, wie auch die<br />

gedachte Sphäre der Möglichkeiten der individuellen Erfüllbarkeit des<br />

Artbegriffes kleiner sein muß als die des Gattungsbegriffes. Schließlich<br />

verschließt das Seiende die Möglichkeiten anderer Seiender, die an Stelle<br />

des jeweiligen Seienden treten könnten. Doch aber kann ein mehr an<br />

Möglichkeiten nicht Grund sein, von »Mehr-sein« von Sein als univoker<br />

Ausdruck von Existenz zu sprechen, sondern nur von einem größeren<br />

Vermögen (Potenz), was zweifelsohne Existenz des Vermögens und die<br />

Kraft, es einzusetzen, voraussetzt. So wird auch von Thomas die Existenz<br />

induktiv als Wirkung Gottes erschlossen, während Anselms Argument die<br />

Existenz Gottes bereits deduktiv, oder als positiv gegeben vorauszusetzen<br />

scheint. Dieses Argument gegen Anselm hat aber die Schwierigkeit, daß<br />

Anselm die Existenz eben nicht schlechthin, auch nicht einfach als bloße<br />

Realmöglichkeit setzt, die wiederum ihre Wirklichkeit sowohl dem Wesen<br />

wie der Existenz nach von wo anders her beziehen müßte, sondern, indem<br />

er disjunktiv Vernunft (als Denkmöglichkeit) und Vernunft und<br />

Wirklichkeit (als Realmöglichkeit) setzt, schließlich die Vernunft, bereits<br />

auf Realmöglichkeit beschränkt, und Wirklichkeit zusammen gegen die<br />

bloße Denkmöglichkeit setzt. Die Umfangsbestimmung und der<br />

Umfangsvergleich ist nun nicht einfach, vielmehr stehen sich neuerdings<br />

zwei alternative Fassungen gegenüber. Denkmöglichkeit ist größer, weil<br />

reichhaltiger an Varianten, oder Realmöglichkeit und Wirklichkeit ist<br />

größer, weil die formale Spekulation endlicher Vernunft die unendliche<br />

Potenz des Seins auch nicht formal überbieten kann, und schließlich, weil<br />

ein unendlich mannigfaltiger abstrakter Ideenkosmos der Sphäre des bloß<br />

Denkmöglichen für sich allein soviel wie nichts wäre, macht eben die<br />

Wirklichkeit erst dieses entscheidende »mehr« aus. Unabhängig vom<br />

Entscheid dieser offenbar nicht mehr rein modal behandelbaren Frage ist<br />

zumindest sicher, daß auch der Versuch eines spekulativen Vergleichs der<br />

Thesen zum Variantenreichtum immer nur dann stattfinden kann, wenn<br />

bereits für »Vernunft und Wirklichkeit« (Realmöglichkeit) entschieden<br />

worden ist. Jedenfalls kreuzen sich hier zwei Stränge der Bedeutung von<br />

»mehr« oder »weniger« Sein und mehr oder weniger Varianten in formaler<br />

Betrachtung, weil einerseits die Existenz Gottes »mehr« real ist (allerrealst)<br />

als die Existenz der Dinge, die ihre Existenz Gott verdanken, sodaß Gott<br />

insofern als ihre Ursache anzusehen ist, andererseits im nächsten Schritt<br />

der abstrahierenden Totalisierung das Sein, als Inbegriff aller Möglichkeit<br />

gesetzt, seine und die Existenzweise der Dinge unabhängig vom Ursprung<br />

der Wesen als quidditative Bestimmbarkeit analytisch mitbringt, was die


— 1302 —<br />

Einsicht nach sich zieht, daß spekulative Vernunft als reine<br />

Denkmöglichkeit gar nicht möglich ist. Das heißt, die Entscheidung zur<br />

Existenz, die mit der Entscheidung für »Vernunft und Wirklichkeit« (als<br />

Realmöglichkeit) ohne uns und für uns gefallen ist, um überhaupt mit dem<br />

Fragen beginnen zu können, ist näher qualifiziert worden durch Vernunft,<br />

was hier wohl nicht mehr besagen kann als eine systematische Beziehung<br />

von Ideen aufeinander inmitten der Wirklichkeit.<br />

Weshalb Kant in der Dialektik der reinen Vernunft auch in der Erörterung<br />

der theologischen Idee auf die Analogien der Kategorien in den<br />

psychologischen und kosmologischen Ideen zurückgreifen kann, wurde<br />

schon gezeigt; also ist der regulative Gebrauch der Vernunftidee auch in<br />

der Dialektik der Grund für die Möglichkeit sytematischer Beziehungen<br />

von Ideen überhaupt, der regulative Gebrauch aber nicht ohne die<br />

Einschränkung der Vernunftspekulation durch die Analogien zu den<br />

Kategorien, also zu den Bedingung objektiver Realität für die Geltung von<br />

Aussagen, möglich. Das könnte auch die oberste Idee als vollständige<br />

materiale Bedingung (oder diese enthaltend) in der hier entscheidenden<br />

Definition des transzendentalen Ideals, allerdings aus der Perspektive der<br />

absoluten Position — besagen. Wie aber Anselm die Vernunft und deren<br />

Spekulation als bloße Denkmöglichkeit noch mit Notwendigkeit mit<br />

Wirklichkeit außer durch die Zusammenstellung im »Vernunft und<br />

Wirklichkeit« (dann eben aber bereits als Realmöglichkeit) verbinden will,<br />

und hier nun vor allem, wie dann die spekulatiive Vernunft als bloße<br />

Denkmöglichkeit ohne Analogien zu Kategorien (das hieße bei Cusanus<br />

invers: ohne lux intelligibilis) als systematische Beziehung von Ideen<br />

gedacht werden soll, ist bei Anselm nicht mehr nachvollziehbar. Es<br />

handelt sich demnach bei Anselm um eine unechte Disjunktion, aber<br />

deshalb noch nicht um eine Setzung der Existenz Gottes im Term<br />

Wirklichkeit im Ausdruck »Vernunft und Wirklichkeit«. Die Setzung<br />

Gottes soll durch oder mittels dem ganzen Ausdruck »Vernunft und<br />

Wirklichkeit« erfolgen, sodaß auch bei Anselm an dieser Stelle weder<br />

unbedingt schon von dem »mehr« an Sein im »Allerrealsten« durch die<br />

Schöpfung noch von reiner Vernunftspekulation die Rede sein muß.<br />

Unabhängig davon, daß zwar das Argument gegen Anselm entkräftet<br />

werden konnte, welches von der einfachen Voraussetzung der Existenz<br />

Gottes im Sinne des (eventuell nur vermeintlichen) Schlußsatzes ausgeht,<br />

bleibt das Problem der deduktiven Ableitung von Existenz gegenüber dem<br />

induktiven Vorgehen bei Thomas dann aufrecht, wenn die Einheit von


— 1303 —<br />

Vernunft und Existenz sofort als Gottesidee gesetzt wird. — Kant greift die<br />

bereits als unentscheidbar bestimmte Rede des »Mehr-seins« nicht nur mit<br />

dem Ausdruck »ens realissimum« wieder auf (später als allerhöchste<br />

Realität apostrophiert), sondern bestimmt sowohl im Duisburger Nachlaß<br />

wie noch in der ersten Kritik Existenz aus der Totalität. Allerdings nicht<br />

allein aus der Totalität des Denkens sondern auch aus der Totalität der<br />

Sinnlichkeit, sodaß Zeit als Erfahrungsraum und die idealiter als<br />

durchgängig subsummierbar und koordinierbare Idee vom Ganzen der<br />

systematischen Bezüge zwischen Ideen mit der Totalität des Denkens zwar<br />

verbunden bleibt, aber selbst nicht allein die data und den Grund von<br />

Existenz (hier aber schon transzendentalanalytisch als Grund des<br />

Existenzprädikates) enthält. Das soll in der Untersuchung zum<br />

transzendentalen Ideal (prototypon transcendentale) durch die<br />

konstitutionelle Unterscheidung in kategoriales Quantum (Allheit) und<br />

logischen Quantum (Allgemeinheit) ausgedrückt werden: Die Prädikate<br />

werden im Rahmen der kategorialen Allheit hier abstrakt von der<br />

transzendentalen Materie genommen; ein Ausdruck, der auch in den M. A.<br />

d. N. als Repräsentant der Sinnlichkeit ohne Bezug auf Ding oder<br />

Gegenstand vorkommt. Hingegen wird in der Erörterung des logischen<br />

Quantums das wesentliche Prädikat als Teilbegriff des Wesens, das selbst<br />

nur als möglicher Begriff gedacht werden kann, behandelt. Das hat<br />

einerseits mit dem nicht ganz geglückten Übergang vom logischen<br />

Vergleich der Prädikate zum transzendentalen Vergleich des Dinges selbst<br />

(!) mit dem Inbegriff aller möglichen Prädikate zu tun, sodaß das<br />

Verständnis, was die Forderung nach einer Bestimmung in concreto<br />

eigentlich bedeutet, nicht leicht eingegrenzt werden kann. Andererseits<br />

wird mit der Durchbestimmung des Begriffes eines einzelnen Wesens<br />

durch einen Begriff (dem wesentlichen Prädikat), die komplementär zur<br />

entschränkten (nicht-kategorialen) Allheit geschieht, die individuelle<br />

Definition des Wesens als Individuelles grundsätzlich ermöglicht; letztlich<br />

aber ohne das logische Verhältnis der beiden Bestimmungsweisen des<br />

transzendentalen Ideals befriedigend bestimmt zu haben.<br />

Bei Kant wird demnach die Existenz der Dinge durch die Totalität der<br />

gegebenen Merkmale eines Dinges in der Erfahrung, die in der Idee der<br />

Totalität der möglichen Prädikate eines Dinges überhaupt nur als<br />

Möglichkeit (hypothetisch) gedacht wird, unterschieden von der<br />

Vorstellung einer Art zu existieren, in welcher von der nur gedachten Idee<br />

der Totalität der in der Erfahrung gegebenen Prädikate eines Dinges aus


— 1304 —<br />

der nur gedachten Idee der Totalität möglicher Merkmale überhaupt ein<br />

Teil ausgeschnitten wird. Dieses nur über den Umweg des Inbegriffes<br />

gedachte Substratum der »vollständigen materialen Bedingung« soll also<br />

insofern mit der Vernunft als Sphäre der Realmöglichkeit zusammen in<br />

der obersten Idee ausgedrückt werden können, doch besteht nunmehr die<br />

Realmöglichkeit nicht allein gegenüber wirklich möglichen Merkmalen<br />

(geltenden, weil in möglichen Assertionen bereits geprüften, womöglich<br />

weil gesetzmäßig geforderten Prädikaten), sondern gegenüber jenem Sein,<br />

gegenüber der transzendentale Vergleich die Wesen der Dinge mit dem<br />

Wesen der Ursache der Existenz vergleicht — sodaß weder die Existenz<br />

Gottes noch die der Dingwelt für den ganzen transzendentalen Inhalt der<br />

angedachten gemeinsamen Form der Seinsweise der Dinge der Welt und<br />

des Wesens Gottes gehalten werden kann. Die von Anselm im zweiten<br />

Glied seines Obersatzes in Zusammenhang gebrachte Differenz der<br />

Seinsweisen Gottes und der Dinge der Welt sucht im Widerspruch eine<br />

neu sich eröffnende Sicht- und Seinsweise. Das damit gesuchte Wesen hat<br />

kein Ding mehr, das allgemein zum Gegenstand bestimmt werden könnte,<br />

und es ist weder ens realissimum als Teilbegriff von omnitudo realitatis<br />

noch ens realissimum als ens originarium, ens entium und ens summum,<br />

sodaß auch hier der Paralogismus der Substanz als Grenzbestimmung rein<br />

logisch seine kritische Funktion besitzt. Die Doppeltheit im Begriff von<br />

Existenz, in welchem die eine Existenz die Ursache (forma) der anderen ist,<br />

wird im Anselmschen Argument nicht berücksichtigt, sodaß wohl<br />

diejenige Auffassung näher an der richtigen Auffassung liegt, daß es sich<br />

beim Anselmschen Argument nicht um einen Syllogismus, sondern um<br />

eine Tautologie handelt, die weder zur Deduktion noch zur Induktion<br />

tauglich sei. Der Wechsel in den Positionen, was wessen Ursache ist, die<br />

einer denkmöglichen Konkordanz zwischen Intellibilität und Materie<br />

voraus liegen müßte, läßt allein aber nicht auf eine einfache Tautologie<br />

schließen; dergleichen ist nur für den Versuch, Intelligibilität und Substanz<br />

vertikal zu subsummieren eine Gefahr. Eine Abschließung der<br />

fortlaufenden Abstraktion und Totalisierung in der Vernunftspekulation<br />

durch die Abfassung eines Substanzbegriffes steht also nicht mehr an.<br />

Kant erweitert bekanntlich die Überlegungen einer »transzendentalen<br />

Psychologie« des transzendentalen Subjektes auf den intelligiblen<br />

Charakter unseres Gattungswesens und erreicht damit die Formulierung<br />

des Freiheitsproblems. »Also ist „Freiheit ... nur, wo causalitas<br />

intellectualis ist, d. i. an Intelligenzen, die durch Vernunft Ursache sind


— 1305 —<br />

(Refl. 5979)“. Nach diesen Bestimmungen der Kategorienlehre impliziert<br />

also der Begriff der Substanz den der Freiheit und der Intelligenz, der<br />

Begriff der Freiheit den der Substanz und der Intelligenz. Aus der<br />

Intelligenz jedoch ist nicht der Schluß auf Substanz und Freiheit möglich«<br />

(D. Henrich, Über die Einheit der Subjektivität, cit. op., p. 41). Dennoch<br />

bleibt diese Idee eine ohne weitere Wesenbestimmung Gottes, und wenn<br />

es auch wenn es so ausgesehen hat, als würde die Existenz die Essenz<br />

Gottes ausmachen, deshalb unzureichend und gerade nicht die erfüllte<br />

Totalität, die bislang im »mehr sein« über die (von Kant widerlegte) rein<br />

modale Bedeutung hinausgehend zu denken nur vorgegeben worden ist.<br />

Gott bestimmt jedes Ding zur Existenz, bestimmt aber in diesem Schritt<br />

nicht die Andersheit der Dinge, oder deren wesensbestimmenden formae<br />

weiter (vgl. Cusanus Unterscheidung des lux intelligibilis vom Licht des<br />

göttlichen Verstandes selbst, vgl. Leibniz Auffassung in der Theodizee,<br />

daß Gott nicht die Ursache oder Quelle der Wesensbestimmungen in<br />

unvordenklicher Mannigfaltigkeit sei, sondern Ursache der Wahl, welche<br />

Dinge — welche besondere Art oder Wesen von Dingen — existieren).<br />

Nun wurde aber mit der Untersuchung des transzendentalen Mangels<br />

gegenüber eben dem selben ens realissimum der Auffassung, nach welcher<br />

die göttliche Substanz völlig verschieden von der anders bestimmten<br />

Natur der Dinge sei, eine Darstellungsweise eingeführt, die über diese<br />

oberste Idee, die die vollständige materiale Bedingung enthalten soll,<br />

nochmals hinausgeht: Sie kann ihren Gegenstand eingestandenerweise<br />

nicht zum Vorschein bringen, und, in Folge der Singularität des<br />

Überganges zwischen der Welt der Erscheinungen und der Intelligibilität,<br />

gerade die Einsicht in die Unmöglichkeit dieser Überschreitung<br />

(Cusanus:Erblindung) als Beweis für das göttliche Licht der Wahrheit, die<br />

den Dingen Existenz verleiht, ansehen. Dies zweimal: Erstens klassisch<br />

durch die Existenzverleihung, zweitens durch die Informiertheit des<br />

göttlichen Verstandes im Licht der Wahrheit, die im Versuch der<br />

Vorstellung des geordneten Ganzen, zunächst entlang einer Ideenlehre, an<br />

der Grenze der Vorstellungskraft und des menschlichen Verstandes (so<br />

Cusanus zum Infininitesimalproblem in der Mathematik), aufblitzt als<br />

Ahnung eines Ausdruckes von etwas, was man geradezu nicht mehr<br />

erblickt, wobei dieses etwas die Vorstellung der ganzen Ideenkette in alle<br />

Glieder hinein (Kant, logisch: subsummiert und koordiniert, Cusanus,<br />

resolutiv: ein System der Konkordanz der Gegensätze) ist, und eben noch<br />

nicht das göttliche Licht selbst. (vgl. den Übergang der Raumvorstellung<br />

als Anschauungsform in der transzendentalen Ästhetik zum Gefühl der


— 1306 —<br />

Allgegenwart in der Antizipation bei Kant). Die Verbindung zur<br />

Informiertheit für uns liegt demnach bloß im Gewahrwerden des<br />

Ausdrucks und der Gestimmtheit des Ganzen des Daseins in der Welt und<br />

in der Zeit. Dieser transzendentale Mangel einer apperzipierenden<br />

Monade gegenüber Gott läßt sich demnach auch anhand des Grenzbegriffs<br />

der Allwissenheit aufzeigen. Doch bleibt ein solcher Ansatz zur<br />

Weiterbestimmung des transzendentalen Mangels gegenüber Gott erstens<br />

in diesem Rahmen naturgemäß wiederum nur eine allgemeine und keine<br />

individuelle Bestimmung, und beschränkt sich zweitens auf eine<br />

bestimmte Art von Dingen, den apperzipierenden Monaden. Genau diese<br />

Einschränkung scheint aber die Darstellung des transzendentalen Ideals<br />

im zweiten Abschnitt (Vom transzendentalen Ideal) aus anderen Gründen<br />

auch zu forden.<br />

Zwei Problemkreise sind noch zu behandeln: (1) Die Bestimmung der<br />

transzendentalen Materie im ersten Prinzip der durchgängigen<br />

Bestimmung gemäß der Allheit aller möglichen Prädikate eines Dinges ist<br />

verschieden vom zweiten Prinzip der durchgängigen Bestimmung gemäß<br />

der Allgemeinheit des wesentlichen Prädikats als Bestimmung des<br />

Begriffes eines einzelnen Gegenstandes durch eine Idee. — Damit könnte<br />

die oberste Idee in der hier besprochenen Fassung als vollständige<br />

Bedingung der Materie im dem Sinne angesprochen werden, daß sie,<br />

ähnlich wie weiter oben im Zusammenhang mit dem conceptus<br />

archetypus, nichts weiter als die Informiertheit im Inbegriff der<br />

Möglichkeiten bedeutet. Die Lesart, anhand der Bestimmung des Begriffs<br />

eines einzelnen Wesens durch einen Begriff (zum Unterschied vom Begriff<br />

vom einzelnen Gegenstandes, der durch eine Idee bestimmt wird) nicht<br />

von der Totalität der Sphäre aller möglichen Prädikate (Inbegriff der<br />

Möglichkeiten) auszugehen, sondern den Begriff, der den Begriff eines<br />

einzelnen Wesens bestimmt, als den Begriff vom einzelnen Gegenstand<br />

(Allgemeinheit, Ideal der reinen Vernunft) und wesentliches Prädikat zu<br />

identifizieren, entschärft die Schwierigkeit, die oberste materiale<br />

Bedingung als vollständige materiale Bedingung anzusehen zu müssen, da<br />

von der Seite der Argumentation des zweiten (logischen) Prinzips der<br />

Durchbestimmung des Begriffs durch eine Idee das als erste angeführte<br />

Kriterium die Vollständigkeit der Prädikate selektioniert, und das<br />

wesentliche Prädikat, das nicht aus anderen Prädikaten abgeleitet wird,<br />

der Grund für die Allgemeinheit eines solchen Prädikats ist. Derart wird<br />

sicher gestellt, daß unter dieser Einschränkung und logischen


— 1307 —<br />

Qualifizierung der inhaltlichen Bestimmung prinzipiell die besondere Art<br />

des Dinges oder des Einzelnen oder des Individuellen fällt. In der<br />

Allgemeinheit der Untersuchung bleibt dies in logischer Hinsicht eine<br />

empirische Untersuchung über die besondere Art eines Dinges (besondere<br />

Logik).<br />

(2) Dieser Befund widerspricht aber der vorausgesetzten Anwendung des<br />

ersten Prinzips der Durchbestimmung mittels Prädikate, welches, grob<br />

gesagt, vom Vergleich mit der Totalität der Sphäre aller möglichen<br />

Prädikate eines Dinges ausgeht, ohne das allerdings die Stellung dieses<br />

Verfahrens zwischen logischen und transzendentalen Vergleich volllends<br />

bestimmt worden wäre. Kant setzt offenbar die Verklammerung durch<br />

Gegensätze als Darstellungsmittel auf allen Ebenen ein: Die Identifizierung<br />

des transzendentalen Ideals als Produkt zweier formal getrennter<br />

Methoden führt aber in die schon bekannte Schwierigkeit, die<br />

Gleichsetzungen der Umfänge des Inbegriffs aller möglichen Prädikate mit<br />

dem des omnitudo realitatis, mit dem des Inbegriff aller Realität, sogar mit<br />

dem des Inbegriffs allerrealster Existenz (ens realissimum) nicht<br />

verhindern zu können, was eben obige Einschränkung auf das Besondere<br />

wieder aufzuheben droht. Grundsätzlich ist von der vollständigen<br />

Informiertheit des archetypus intellectus auszugehen. Insofern gilt das<br />

gleiche für die starke Fassung des ens realissimum als Kandidat für das<br />

allerhöchste Wesen, auch wenn angenommen wird, daß Gott nicht selbst<br />

als Ursache der Wesenheiten oder Ideen auftritt. Diese vollständige<br />

Informiertheit hat gerade auch dann zu gelten, wenn der<br />

Bedeutungsumfang einer möglichen Bestimmbarkeit des ens realissimum<br />

als solches nicht mit dem Bedeutungsumfang der Totalität der Sphäre aller<br />

möglichen Prädikate eines Dinges überhapt (omnitudo realitatis)<br />

zusammenfällt. Das logische Problem besteht darin: Wie kann eine<br />

Totalität der Mannigfaltigkeit, die mehr unterscheidbare Qualitäten<br />

umfaßt (die Tendenz der Materie zu immer größerer Unähnlichkeit mit<br />

sich selbst, Leibniz, Zwölfter Satz) als eine (von uns aus gesehen, weil von<br />

uns aus spekulativ erschlossene) zweite Totalität, von der zweiten Totalität<br />

als enthalten gedacht werden? Die möglichen Antworten sind in den<br />

Grundzügen schon bekannt: Entweder mit dem Übergang von einer<br />

Sphäre der Möglichkeiten zu einer Sphäre der Vermögen oder mit dem<br />

Übergang von der Richtung der Zuschreibung der Vorstellungen als<br />

Prädikate, die Merkmale einem Ding zuschreiben, zur Richtung der<br />

Zuschreibung der Vorstellung als die meinen, bis schließlich selbst die


— 1308 —<br />

Vorstellung des Dinges mir selbst zugeschrieben werden muß. Diese<br />

Ansätze, die vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung um den<br />

Existenzialsatz bei Leibniz, Kant (transzendentales Prinzip der Kausalität)<br />

und Russell einerseits oder bei Kant (Transzendentalsubjektivismus von<br />

Descartes) und Brentano andererseits Interesse verlangen dürfen, sind aber<br />

für die ontotheologische Ausgangslage, wonach die reine Intelligibilität<br />

des ens realissimum vom Andersein der Dinge der Natur nach<br />

verschieden ist, und der transzendentale Mangel gegenüber dem ens<br />

realissimum (also nicht gegenüber der Totalität der Prädikate der Dinge)<br />

die Dinge nicht untereinander, sondern nur gegenüber dem ens<br />

realissimum transzendental zu bestimmen vermag, gleichermaßen gültig<br />

wie für die transzendentalanalytischen Überlegungen zum logischen<br />

Ursprung der Begriffe, welche die notae oder Vorstellungen aneinander<br />

und untereinander vergleichen und an der (numerischen) Einheit des<br />

Bewußtseins als transzendentale Bedingung dieser Vergleichung in der<br />

Rekognition vergleichen. 39 Ich schreibe diese, freilich nicht ungestörte,<br />

Analogie oberster Prinzipien einer formalen Ideenlehre zu. Kants zu<br />

strikter transzendentaler Idealismus in den Antinomien scheint diese<br />

Störung, die mit dem transzendentalen Prinzip der Kausalität die<br />

Einfachheit der apperzipiernden Monade in ein System von<br />

Wechselbezügen zwingt, wieder ausgleichen zu wollen. Dank Zeidlers<br />

Untersuchung zum Logischen Ursprung der Begriffe bei Kant war es mir<br />

möglich, eine mindest ebenso wichtige, aber formale Analogie zwischen<br />

erstens den Voraussetzungen der transzendentalen Logik in der rationalen<br />

Psychologie und den logischen Handlungen von Komparation, Reflexion,<br />

Abstraktion (die notae aneinander, untereinander, an der Bedingung des<br />

Vergleichs, der numerischen Einheit des Bewußtseins, vergleichen) und<br />

zweitens der, wenn auch schon bei der Unterscheidung mit vielen<br />

Unklarheiten behafteten, Verklammerung von logischem und<br />

transzendentalem Vergleich eines Dinges und seiner Prädikate in der<br />

Untersuchung des transzendentalen Ideals, des Ideals der reinen Vernunft,<br />

und des (ersten) logischen Prinzips der durchgängigen Bestimmbarkeit<br />

eines Dinges festzuhalten. Trotz der komplexeren und zugleich weniger<br />

bestimmten Ausgangslage zwischen transzendentalem Ideal und<br />

ontotheologischer Spekulation, läßt sich hier anhand der bei aller<br />

sonstiger, andernorts bereits aufgeklärten Problematik hinsichtlich des<br />

Mangels an eindeutiger Bestimmbarkeit, zumindestens deutlichen<br />

39 Vgl. w. o. zu Zeidler


— 1309 —<br />

Unterscheidbarkeit von logischem Vergleich und transzendentalem<br />

Vergleich eindeutig die gleichen logischen Handlungen des Vergleichens<br />

(aneinander, untereinander, an der als vorausgesetzt gedachten Einheit)<br />

feststellen wie aus der Kantschen Untersuchung zum Logischen Ursprung<br />

der Begriffe bekannt.<br />

Die Verfaßtheit der Intentionalität, die auf Dinge gerichtet ist, und auf der<br />

primären Intentionalität der Sinnlichkeit aufruht, läßt sich auf einem<br />

streng transzendentalsubjektivistischen Tableau nur durch<br />

Distributionsweisen der Merkmale auf Dinge hin charakterisieren, weshalb<br />

ich auch an anderer Stelle von der Beziehung zwischen<br />

1. dem logischen Gegenstand aus der Verfaßtheit der Intentionalität im<br />

Rahmen verstandesgemäßen Urteilens,<br />

2. der Ideen als Konzepte von besonderen Dingen, deren Merkmale<br />

bekannt sind oder bekannt gemacht werden können, und<br />

3. der davon zu unterscheidenden Reflexion des Dings an sich als<br />

transzendentales Objekt gesprochen habe. Formal: Die kritische und<br />

analytische Umkehrung der Intentionsrichtung verliert in ihrem<br />

Untersuchungsgang die geregelten Beziehungen zwischen logischem<br />

Gegenstand und dem Ding an sich. Inhaltlich: Die Bestimmung der Dinge<br />

anhand des transzendentalen Mangels gegenüber dem ens realissimum<br />

sind keine Prädikate dieses Dinges, erstens weil Negationen von Begriffe<br />

keine Prädikate sind, die die Erkenntnisse vermehren, und zweitens auch<br />

dann nicht, wenn eine Qualität als mangelhafte Kopie eines umfassend<br />

positiven und konkreten Attributes angesehen werden könnte, da dann<br />

die quantitativen Verhältnisse von selbst wieder von uns aus gesehen für<br />

ein relativ zu Gott größtmöglichen Unterschied sorgen. Bestimmungen der<br />

Art sind trotz der ihnen innewohnenden Dialektik, die zum<br />

Existenzsetzungsversuch aus reiner Vernunft führen, werden sie nicht<br />

kritisch als spekulative Vermögenslehre betrachtet, in logischer Hinsicht<br />

Verhältnisprädikaten (dialektisch) oder reinen Direktionen (kritisch)<br />

vergleichbar und sind nicht einfache Merkmale. Die Unterscheidung in<br />

logischem und dialektischem Gebrauch ist in einer Erörterung des Ideals<br />

ansonsten schwierig anzuwenden.


— 1310 —<br />

f) Die Informationstheorie nach Leibniz und das Unvordenkliche.<br />

Der Übersprung der Spekulation von der ontotheologischen zur<br />

theologischen Diskussion<br />

Die Vermutungen über die Ausdrucksmöglichkeiten des besonderen<br />

Mangels im Rahmen einer Vermögenslehre, insbesondere im Übergang<br />

von der Metaphorik der Anschaulichkeit zur Metaphorik der<br />

Vernehmbarkeit, liegen in einer anderen Richtung. Der logische Vergleich<br />

der Prädikate eines Dinges mit der Sphäre aller möglichen Prädikate eines<br />

Dinges überhaupt ist von dem transzendentalen Vergleich eines Dinges<br />

mit dem ens realissimum auch darin verschieden, als daß die<br />

Informiertheit des ens realisssimum nicht in der einfachen Auflistung aller<br />

möglichen Prädikate besteht. Insofern wäre die Totalität der Sphäre aller<br />

möglichen Begriffe zwar in der Totalität der Bestimmungen des<br />

informierten ens realissimum dennoch aufgehoben, ohne das dieses<br />

deshalb selbst widersprüchlich und unmöglich sein müßte, aber die<br />

Prädikate sind aus dem transzendentalen Mangel gegenüber Gott nicht<br />

ableitbar: die Prädikate aus der transzendentalen Materie nicht, weil sie<br />

aus der Tendenz zur immer größerer werdenden Unähnlichkeit der<br />

Materie mit sich selbst entstanden sind; und die Wesensbegriffe der Dinge<br />

nicht, weil sie von Gott zwar allererst klar und distinkt als Möglichkeiten<br />

(neben den notwendigen Wahrheiten, die allein nach dem Prinzip der<br />

Regelmäßigkeit herausgehoben werden) gedacht werden, aber der<br />

unvollkommenen Indifferenz der unvordenklichen Mannigfaltigkeit<br />

entstammen. Wollte man diesen Sprung bedenken, der in der<br />

Zusammenfügung dieses Gegensatzes bestünde, so müßte man erst die<br />

Position des ens realissimum von einer dritten Position außerhalb des<br />

klassisch-ursprünglichen Verhältnisses von ens realissimum als die<br />

Gottheit bezeichnend und der Andersartigkeit der Dinge bedenken<br />

können. Im nächsten Schritt wird die Unverfügbarkeit der oberen<br />

Wesensbestimmungen der Dinge für Gott selbst, der diese nicht geschaffen<br />

hat, nach Leibniz letztlich nur davon übertroffen, daß Gott eine Auswahl<br />

aus der unvollkommenen Indifferenz des Unvordenklichen zum Besten<br />

und zur größtmöglichen Harmonie trifft und getroffen hat.<br />

Dieses abermals aufzuheben und das Verhältnis von der reinen<br />

Intelligibilität Gottes zu den anderen Dingen zu überbieten mit der<br />

Spekulation einer vorgängigen Schöpfung, in welcher Gott nicht bloß<br />

vollständig informiert ist, sondern die Materie der unvollkommenen<br />

Indifferenz des Mannigfaltigen des Unvordenklichen überhaupt erst


— 1311 —<br />

schafft, woraus Gott nach Leibniz (und Bayle) dann nachgeordnet die<br />

Wesenheiten der formae der Dinge entnimmt. — Im Rahmen dieser<br />

Fortsetzung der Spekulation werden die Möglichkeiten im göttlichen<br />

Verstand nicht nur erst klar und distinkt gedacht, Gott schafft vielmehr<br />

selbst die Vorausetzungen seiner Informiertheit, die ihm als Indifferenz<br />

des Unvordenklichen im Zuge der In-Existenz-Setzung (nunmehr als<br />

zweite Schöpfung zu betrachten), wieder entgegentreten, noch bevor diese<br />

Entgegensetzung in der Andersheit der Dinge der Welt in Bezug auf das<br />

ens realissimum als ernstgenommene, nicht nur innergöttliche Andersheit<br />

der Dinge zum Vorschein kommen konnte. Neben allen Schwierigkeiten,<br />

die naturgemäß mit Spekulationen dieser Art grundsätzlich verbunden<br />

sind, treten mit der Darstellung einer zur In-Existenz-Setzung gemäß der<br />

Wahl zum Besten und zur größtmöglichen Harmonie vorgängigen<br />

Schöpfungschritt weitere Problemstellungen grundsätzlicher Art auf: So ist<br />

auch in diesem Zusammenhang weiterhin mit Bayle zu fragen, ob Gott<br />

diese erste und nicht weiter hintergehbare Schöpfung in Freiheit und<br />

willentlich mit Absicht vollbracht hat, oder ob dieser dann wirklich<br />

ursprüngliche Akt nicht zufällig oder notwendigerweise geschehen ist,<br />

weil dieser womöglich gar nicht ein Akt der Freiheit Gottes gewesen ist,<br />

sowenig die Existenz Gottes selbst in seiner Macht steht. Das nun<br />

hinzukommende Problem besteht darin, wie es noch zu denken möglich<br />

gemacht werden könnte, daß Gott zumindest die Voraussetzungen seiner<br />

Informiertheit selbst schafft, selbst wenn dieser Akt nicht zu seiner Freiheit<br />

gehören sollte. Dieses neue Problem ist eben unabhängig von der Antwort<br />

auf die Frage nach der Freiheit Gottes im Zuge der zweiten Schöpfung in<br />

der Spekulation über eine vorgängige Schöpfung zu behandeln, da das<br />

Problem der selbst geschaffenen Voraussetzungen der Informiertheit,<br />

selbst in dieser Totalität aufgestellt, nicht nur die spekulative Totalisierung<br />

der formalen Bedingungen eines Vermögens bedeuten kann, das einmal<br />

mehr und einmal weniger als erfüllt vorgestellt werden könnte, sondern<br />

auch die inhaltliche Seite der Informiertheit im zweiten Akt mit dem noch<br />

ursprünglicheren ersten Akt grundlegen sollte. Derart wäre nunmehr ab<br />

dieser Stelle des Fortganges der Spekulation auszuschließen, daß im Falle<br />

einer Determination Gottes zum Anfang der Schöpfung diese<br />

Determination zur Fingierung einer außergöttlichen Quelle der<br />

Information herangezogen wird, was nur die Perpetuierung der<br />

Diskussion nach dem Ursprung des Ursprungs nach sich ziehen würde. —<br />

Soweit eine erste äußerliche Verknüpfung der ontotheologischen<br />

Diskussion mit der theologischen Diskussion innergöttlicher Dynamik;


— 1312 —<br />

äußerlich bleibt die Verknüpfung, weil sie nur durch systematisch<br />

abarbeitende spekulative Überschreitung denkmöglich gemacht worden<br />

ist. Die innergöttliche Dynamik kann kaum anders als im Rahmen<br />

christlicher Trinität und deren platonischen Bestimmungsversuchen<br />

gedacht werden; 40 genau das kann nicht Thema einer philosophischen<br />

Erörterung des philosophischen Gottesbegriffes sein, auch nicht einer<br />

kritischen Fassung einer solchen. Urs von Balthasar hat auf eine<br />

Verbindung innergöttlicher trinitarischer Dramatik mit der Gestaltung und<br />

der Zukunft der Welt der Dinge hingewiesen, die Hegel trotz seiner<br />

Reduzierung der Dynamik des Geistes auf die logische Bewegung des<br />

Begriffes, etwa in der Phänomenologie des Geistes als eine Auswirkung<br />

des Geistesgeschehens in der Natur und deren Entwicklung zu<br />

beschreiben imstand war. 41<br />

g) Die unvollständige Formalität der reinen Spekulation und die<br />

Zeichenhaftigkeit des Bewußtseins. Die Dialektik von Bedeutung und<br />

Sinnhorizont eines Bedeutungszusammenhangs.<br />

Allgemein ist nach dem Übertritt von der rein modalen Erörterung zur<br />

Frage nach der Bestimmbarkeit des transzendentalen Mangels, und des<br />

damit verbundenen (erzwungenen) Übergangs von der Sphäre der<br />

Möglichkeit zur Sphäre der Vermögen nunmehr zu beobachten, inwieweit<br />

nicht eine Tendenz zur Abschließung der Spekulation der Totalität<br />

festgestellt werden kann, welche die Vorstufen der Spekulation<br />

gewissermaßen vernichtet oder einklammert, und aus dem Kreis der<br />

nächsten Totalität ausschließt und nicht affimiert. Dabei geschieht die<br />

Abschließung unabhängig von der Unterscheidung in reine Intelligibilität<br />

und Welt der Dinge, die die ursprüngliche Unterscheidung zwischen Gott<br />

und der Welt mit dem logischen Gegensatz entgegen Anselms<br />

Bemühungen um einen einheitlichen Seinsbegriff festschreibt. Diese<br />

Tendenz zur letztendlichen Abschließung der die Totalität suchende<br />

40 Karl Josef Wallner, Gott als Eschaton. Trinitarische Dramatik als Voraussetzung<br />

göttlicher Universalität bei Hans Urs von Balthasar, Heiligenkreuzer Studienreihe,<br />

Bd. 7 der Philosophisch-Theologischen Hochschule Heiligenkreuz, hrsg. vom Verein<br />

der Heiligenkreuzer Hochschulfreunde, Heiligenkreuz/Wien 1992. Zu Richard von<br />

St. Victor: Michael Benedikt, Philosophischer Empirismus III, Spekulation, Teil 1:<br />

Eine Passage zwischen Cyberspace und Anthropo-Narzißmus, Turia und Kant, Wien<br />

2001, Kap. III: Seinsbestand und Attribute, Personen und Relationen, III.1.1. Die<br />

Differenz zwischen Seinsbestand und mehrerlei Bedeutung des Personalen bei<br />

Richard von Sanct Victor, p. 36 ff..<br />

41 Wallner, cit. op., 2. Hauptteil: Trinitarische Fülle zur Welt, Viertes Kapitel: Im Ringen<br />

mit Hegel: Gottes Weltverhältnis im „Überblick“?, p. 224 ff.


— 1313 —<br />

Spekulation von ihren Voraussetzungen ist verschiedentlich zu<br />

beobachten, hat offenbar aber auch nicht von selbst die vollständige<br />

Abtrennung von der materialen Bedingung notwendigerweise zur Folge.<br />

Insofern zeigt sich, daß die Lichtmetapher nicht nur als Ausdruck der<br />

reinen Intelligibilität im Versuch der Vorstellung des Ganzen des Seins<br />

eine Stellung besitzt: vielmehr erscheint die Intelligibilität nunmehr als der<br />

eigentliche Grund der Geordnetheit, und notwendigerweise gemeinsam<br />

mit dem eigentlichen Grund von Existenz. Die nämliche Doppeltheit<br />

charakterisiert zwar die Problemstellung der Informiertheit, wenn die<br />

oberste Bedingung des Denkens von Dingen oder von omnitudo realitatis<br />

im transzendentalen Ideal zugleich die vollständige materiale Bedingung<br />

enthält, doch nunmehr ist das keine dialektische Spekulation über die<br />

Grenzen des transzendentalen Idealismus, die Überlegung ist zu einer<br />

analytisch-metaphysischen Spekulation über die Bedingungen eines jeden<br />

Inhalts geworden. Diese nur versuchte reine, und nunmehr trotzdem<br />

immanente, weil eben rein und in Totalität gedachte formale Grundlegung<br />

der Informiertheit ist offensichtlich nicht selbst schon die Informiertheit; es<br />

ist aber die vollständige formale Bedingung der Informiertheit hier gerade<br />

in in Bezug auf Totalität und auf die jeweiligen Begrenzung der<br />

Totalisierung durch bloße Abstraktion zu denken. Die reine und<br />

vollständige Bedingung der Informiertheit ist dann die formale<br />

Möglichkeit des Inhalts, also seine Darstellbarkeit oder Mitteilbarkeit,<br />

unabhängig von seiner Position als Merkmal am Ding, als Prädikat des<br />

Dinges, als formales oder modales Prädikat von Prädikaten oder<br />

Prädikatsverhältnissen. Zu den möglichen Erörterungsweisen zählt die<br />

formale Betrachtung der Information im Rahmen der Idee eines Kalküls<br />

oder Algorithmus oder als Bedeutung im Rahmen der Idee einer Semantik<br />

in Beziehung zum selbst wieder doppelten Problem der Konstitution eines<br />

Sinnhorizontes und dessen gleichzeitige Vorausgesetztheit, um überhaupt<br />

von Bedeutungen sprechen zu können. Da letzteres ähnlich charakterisiert<br />

ist wie das Ausgangsproblem, scheint es erfolgversprechend, auch dort<br />

anzusetzen.<br />

Insofern erfährt zumindest die Zeichenhaftigkeit des Bewußtseins ein rein<br />

formales Fundament im Kontrast von schwankender Bedeutung und den<br />

spezifischen Mannigfaltigkeiten von Sinnhorizonten einerseits und der<br />

Bestimmbarkeit des Umfanges von möglichen Bedeutungen im Vergleich<br />

aneinander und untereinander gemäß eines fixierten Sinnhorizontes<br />

andererseits. In der hier angezogenen Fragestellung sollte der Sinnhorizont


— 1314 —<br />

bereits als fixiert gedacht werden können; gerade, weil die Position des ens<br />

realissimum allein aus der Gegenüberstellung zur Andersartigkeit der<br />

Dinge in der Welt (Leibniz: l’universe) noch nicht bestimmt werden<br />

konnte, muß dies die Freiheit der Spekulation je erst bestimmen. Doch darf<br />

vermutet werden, daß auch nur eine teilweise Bestimmung des<br />

Sinnhorizontes bereits eine Selektion oder Rangreihung der möglichen<br />

Bedeutungen nach sich zieht, was zumindest durchschnittlich die Aussicht<br />

erhöht, im nächsten Schritt auch die Fixierung des Sinnhorizontes der Lage<br />

und der Konsistenz nach zu verbessern. Da es sich hier nicht um das<br />

Problem der Auffindung eines transzendentalen Prinzips handelt, das die<br />

Grundlage eines synthetischen Urteils a priori abgeben müßte, reicht diese<br />

Aussicht zunächst aus, die Möglichkeit zu behaupten, a fortiori<br />

irgendwann einmal diese Fixierung des Sinnhorizontes zu erreichen. Also<br />

kann man in Totalität gedacht hier davon ausgehen, daß es ein Kalkül der<br />

Optimierung zwischen dem Umfang möglicher Bedeutungen und<br />

möglicher Sinnhorizonte gibt und daß deshalb der Sinnhorizont in der<br />

Ausgangsfrage idealiter als bereits fixiert zu betrachten ist. Zwei Fragen<br />

stellen sich an dieser Stelle: Garantiert das schon klare und distinkte<br />

Bedeutungen? Garantiert das schon die logische Einheit der Bedeutungen<br />

gemäß Subsumtion und Koordination? — Es stellen sich komplementär<br />

noch einige Fragen, die aber die eben erreichte Formalität des Horizontes<br />

der Darstellung wieder sprengen: Was geschieht mit den offenbar zuvor<br />

aussortierten Bedeutungen, die nach der Reduktion zur Fixierung des<br />

Sinnhorizontes nicht in Frage gekommen sind; und wiederum: Mit der<br />

Frage, wie sind dergleichen offenbar unwesentlich gewordenen<br />

Bedeutungen überhaupt entstanden, eröffnet sich zugleich ein Grund<br />

neuerlich zu Fragen, wie Bedeutungen überhaupt entstehen, da von der<br />

Sphäre möglicher Bedeutungen ausgehend der jeweilige Sinnhorizont<br />

nicht konstituierend sondern als Selektionsprinzip auftritt. Die<br />

konstituierende Bedeutung des Sinnhorizontes für die Sphäre der<br />

Bedeutungen scheint nachdem schon wieder nur mehr auf die Hinsichten<br />

der klaren und distinkten Unterscheidung von Merkmalen eingeschränkt<br />

worden zu sein, obgleich nirgends von Bedeutung ohne vorausgesetzten<br />

Sinnhorizont die Rede sein kann. Diese Schwierigkeit kann insofern<br />

behoben werden, wenn mit in Betracht gezogen wird, daß der<br />

Sinnhorizont nicht selbst im konkreten Repräsentationszusammenhang<br />

der Bedeutung mit gegeben sein muß. Es erscheint zuerst die Bedeutung<br />

auf vorläufige Weise, bevor im vorgängig, aber nur unbestimmt<br />

vorausgesetzten Sinnhorizont dieser selbst vorläufig erschließbar wird.


— 1315 —<br />

Daß heißt aber auch, es erscheint niemals nur eine Bedeutung;<br />

Erscheinung kann hier nur so viel heißen, daß für Gegebenes bereits ein<br />

Bedeutungszusammenhang hergestellt werden kann. Dieser<br />

Bedeutungszusammenhang ist seinerseits zwar als die vorläufige<br />

Erscheinungsform des Sinnhorizontes anzusehen, ist aber eben nicht der<br />

für die Erscheinung der Bedeutungen und ihres Zusammenhanges<br />

vorauszusetzende Sinnhorizont selbst, noch weniger gleich der<br />

Sinnhorizont zukünftiger Möglichkeiten.<br />

Wie in der Unklarheit der Unterscheidung von logischer und<br />

transzendentaler Vergleichung der Begriff vom einzelnen Wesen rein<br />

intelligibel und zugleich als oberste materiale Bedingung angesetzt werden<br />

kann, das läßt sich zwar bereits anhand der resolutiven Informiertheit<br />

einer jeden weiter ausgebildeten Ideenlehre vorzeigen, führt aber im<br />

Rahmen von Bedeutung und Sinnhorizont zu einer zeitlichen (genetischen)<br />

Charakteristik; aber nicht mehr zum Anschein eines transzendental<br />

gerechtfertigten Prius der theologischen Idee innerhalb der reinen<br />

Vernunft. Eine genetische Charakteristik konnte auch in anderen<br />

Zusammenhängen der Letztbegründungsproblematik und der abstraktformalen<br />

Erörterung der Horizonte von Gleichursprünglichkeit festgestellt<br />

werden; in der hier behandelten Fragestellung zeigt sich der Grundzug der<br />

transzendentalen Analytik in der spekulativen Philosophie nochmals: Der<br />

ursprünglich vorauszusetzende Sinnhorizont zeigt sich nicht selbst im<br />

formal notwendig gemachten Bedeutungszusammenhang, sondern in<br />

dieser nur als reine und abstrakte Vorläuferschaft des erst in seiner<br />

Vollständigkeit zu erschließenden Sinnhorizontes, der aber seinerseits<br />

gerade in diesem ganz besonderen Falle eben als immer schon implizit<br />

vorausgesetzt betrachtet werden kann, weil eben selbst im Anspruch der<br />

Spekulation auf Totalität bereits abstrakt eingeschrieben. — Die<br />

Schwierigkeit liegt nun darin, daß in Totalität betrachtet, hier einerseits<br />

schlußendlich alles bereits als gleichmäßig gegeben zu betrachten ist,<br />

sodaß für Vorläufigkeit oder dem Anschein von Zeitlichkeit auf Grund der<br />

systematischen Abfolge der Argumentation nach dem Abschluß der<br />

Argumentation, die bis zum immer noch ausständigen Schritt zur<br />

Totalität, aber eben niemals zu dieser selbst führt, eigentlich kein Platz<br />

mehr sein sollte. Andererseits hat es sich für jeden Versuch der<br />

Durchführung einer strengen Argumentation erwiesen, daß diese Figur<br />

der Vorgängigkeit unabweislich für jedes transzendentalanalytisches und<br />

für jedes kritisches Unternehmen wird. Dieser Gegensatz ist einerseits als


— 1316 —<br />

Kritik an den formalontologischen Aspekten einer jeden solchen<br />

Spekulation zu verstehen, und kann deshalb nicht selbst weiter kritisiert<br />

werden. Andererseits kann die sich notgedrungen einstellende<br />

Unabweislichkeit dieses Gegensatzes auch als selbst formalontologische<br />

Ermöglichung von Vorgängigkeit angesehen werden, womit einer<br />

genetischen Charakteristik der Zeitlichkeit ein transztendentales<br />

Fundament gegeben sein könnte, aber jedenfalls auch unter den<br />

Umständen einer abermaligen Abstraktion um der Totalität spekulativ<br />

näher zu kommen, die letzte Möglichkeit anzeigt, mit der problematischen<br />

Exposition einer selbst reinen, aber der Spekulation immanenten und<br />

somit artifiziellen Formalontologie noch das Gegebensein einer<br />

immanenten Mannigfaltigkeit als Bestandstück des Horizontes reiner<br />

Intelligibilität vorzustellen.<br />

Der Verdacht, daß damit nicht nur der Beantwortung der Frage nach dem<br />

Nexus von Leib und Seele, wie sie von Kant in der Auflösung der dritten<br />

Antinomie der kosmologischen Idee vorgestellt wurde, der Boden<br />

entzogen wird, sondern die Sorge um die Superiorität und Reinheit des<br />

Bewußtseinsphänomens selbst schon im unmittelbaren Umkreis der<br />

Spekulation dazu führt, daß die Gottesspekulation allein nach den näheren<br />

Bedingungen der Allwissenheit und der Allgegenwart ausgerichtet<br />

worden ist, ist nicht von der Hand zu weisen. Insofern hat die Metaphorik<br />

der Anschaulichkeit wegen ihrer Ermöglichung zur nachprüfbaren<br />

Entfernung und Abstraktion unversehens an Bedeutung gewonnen, sodaß<br />

auch von hier aus auf eine gewisse Einseitigkeit, und daraus resultierend,<br />

auf die Unvollständigkeit der eingeleiteten Untersuchung der Totalität<br />

reiner Intelligibilität geschlossen werden kann. So bleibt die Kritik an der<br />

formalontologischen Charakteristik der reinen dialektischen<br />

Vernunftspekulation aufrecht, wie in aller Unabgeschlossenheit gerade die<br />

Besonderheit dieser Spekulation, daß ihre Alternativen aufeinander<br />

zurückführen, verhindert, daß diese Kritik zur absoluten Beendigung der<br />

Spekulation führt. Diese einzige letzte Flucht von Horizonten der Totalität<br />

nach dem vermeintlichen Abschluß in der rein modalen Spekulation<br />

absoluter Notwendigkeit ins Personale, von eben dieser Kritik selbst als<br />

Artefakt verdächtigt, sprengt immerhin auch selbst den<br />

formalontologischen Aspekt der Elemente dieser Spekulation, indem den<br />

Artefakten und Fakten gedanklich noch die Spontaneität der reinen<br />

Intelligibilität gegenübergestellt wird.


— 1317 —<br />

Dabei ergibt sich abermals ein Hinweis auf eine mögliche, in Hinblick auf<br />

die systematische Erörterung sogar wiederum mit Notwendigkeit<br />

behaftete Erweiterung der Spekulation, indem mit den Übergängen von<br />

der Möglichkeit zum Vermögen, und vom Vermögen zum Personalen,<br />

nunmehr im Übergang von der kosmologischen zur theologischen Idee,<br />

auch inmitten einer von der ontotheologischen Erörterung ausgehenden<br />

Spekulation dasjenige wieder zum Vorschein kommt, was der<br />

kosmologischen Idee im Rücken liegt: die psychologische Idee. Insofern<br />

zeichnet sich eine Bewegung ab, die gewissermaßen im Grundriss eine<br />

geschlossene Figur zu bilden scheint: Die psychologische Idee entäußert<br />

sich zur kosmologischen Idee, diese findet in ihrer Dialektik (insbesondere<br />

die dritte und vierte Antinomie) problematisch, das aber offenbar mit<br />

Notwendigkeit, die theologische Idee, welche im Zuge der<br />

fortschreitenden Abstraktion und Totalisierung in einen ihrer alternativen<br />

Möglichkeiten der Spekulation wieder in den Formenkreis der<br />

psychologischen Idee gerät. Dieses nicht Zuende-Kommen-Können der<br />

Spekulation entsteht entweder (a) durch das In-Einheit-setzen von<br />

Gegensätzen (was möglich sein muß: Gegensätze gibt es nur in Begriffen,<br />

nicht im Dasein der Dinge), oder (b) durch das doppelte Enthalten-sein<br />

eines Begriffes, sodaß er einmal als Bedingung und einmal als Teil der<br />

Konsequenz erscheint, oder (c) wenn ein solcher Begriff sowohl Teilbegriff<br />

eines möglichen ganzen Begriffs ist, und zugleich dieser mögliche ganze<br />

Begriff bereits abstrakt-unbestimmt Teil dieses Begriffes ist. Letzteres wird<br />

z. B. in der Untersuchungen zur Substanzkategorie bemerklich, wo zuerst<br />

der Wechsel als Charakteristik der transzendentalen Zeitbedingung<br />

gebraucht wird, dann aber Teil des reinen Verstandesbegriffes der<br />

transzendentalen Kategorie wird, der nichts als den wechselseitigen<br />

analytischen Gegensatz von Wechsel und Beharrlichkeit enthält. Doch<br />

wird auch klar, inwiefern mit dem Wechsel der Position der Begriff<br />

»Wechsel« einen Bedeutungswandel mitmacht, sodaß von logischer<br />

Identität der durchgängigen Charakteristik der transzenentalen<br />

Zeitbedingung mit der logischen Zeitbedingung, welche im reinen<br />

Verstandesbegriff ausgedrückt wird, gerade nicht mehr die Rede sein<br />

kann. Eben dieser Unterschied kann als konstituierend für die vollständige<br />

transzendentale Deduktion der Kategorien, die Kant bekanntlich nur<br />

angerissen hat, angesehen werden.<br />

Diese Bewegung soll dann schon in sich selbst Ausdruck der intelligiblen<br />

Kausalität sein, bevor der systematische Abschluß und die vollständige


— 1318 —<br />

Konstitution des Sinnhorizontes in der Totalität reiner Spekulation<br />

idealiter in eins gesetzt werden kann. — Das reine Gegebensein kann also<br />

spekulativ auch schon wieder rückblickend als reines und immanentes<br />

Phänomen betrachtet werden, was aber den Verlust des Anscheins reiner<br />

Zeitlosigkeit, die jedem formalontologisch faßbaren (beschreibbaren)<br />

Spekulationsschritt eigen ist, auch inhaltlich (wenn auch nur als<br />

Verschobenheit der Bedeutung) nach sich zieht. So beginnt bei Kant die<br />

reine Intelligibilität letztlich aus sich selbst und durch ihre Bewegung in<br />

der reinen Vernunftspekulation in sich selbst vorbereitet, bereits in die<br />

Zeitlichkeit zu fallen, während das rein intellektuell Gegebene als selbst<br />

geschaffenes Artefakt der Bewegung der Spekulation gegenüberzustehen<br />

beginnt.


— 1319 —<br />

C. ZUM BEWEIS DER THEOLOGISCHEN IDEE ALS<br />

VERNUNFTBEGRIFF A PRIORI<br />

1. Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der<br />

menschlichen Vernunft. Die vernunftimmanente<br />

Notwendigkeit der Ideen vom Urwesen und der Welt und der<br />

Mangel der Darstellung ersterer als regulative Vernunftidee<br />

I. Die Differenz von logischer Möglichkeit und einer Möglichkeit, die<br />

Vernunft und Erfahrung nicht zuwider ist<br />

»Man kann sich eines Begriffes a priori mit keiner Sicherheit bedienen,<br />

ohne seine transzendentale Deduktion zu Stande gebracht zu haben. Die<br />

Ideen der reinen Vernunft verstatten zwar keine Deduktion von der Art,<br />

als die Kategorien; sollen sie aber im mindesten einige, wenn auch nur<br />

unbestimmte, objektive Gültigkeit haben, und nicht nur bloß leere<br />

Gedankendinge (entia rationis ratiocinatis) vorstellen. So muß durchaus<br />

eine Deduktion desselben möglich sein, gesetzt, daß sie auch von<br />

derjenigen weit abwiche, die man mit den Kategorien vornehmen kann.<br />

[...] Es ist ein großer Unterschied, ob etwas meiner Vernunft als ein<br />

Gegenstand schlechthin, oder nur als ein Gegenstand in der Idee gegeben<br />

wird. In dem ersteren Falle gehen meine Begriffe dahin, den Gegenstand<br />

zu bestimmen; im zweiten ist es wirklich nur ein Schema, dem direkt kein<br />

Gegenstand, auch nicht einmal hypothetisch zugegeben wird, sondern<br />

welches nur dazu dient, um andere Gegenstände, vermittelst der<br />

Beziehung auf diese Idee, nach ihrer systematischen Einheit, mithin<br />

indirekt uns vorzustellen. So sage ich, der Begriff einer höchsten<br />

Intelligenz ist eine bloße Idee, d. i., seine objektive Realität soll nicht darin<br />

bestehen, daß er sich geradezu auf einen Gegenstand bezieht (denn in<br />

einer solchen Bedeutung würden wir seine objektive Gültigkeit nicht<br />

rechtfertigen können), sondern er ist nur ein nach Bedingungen der<br />

größten Vernunfteinheit geordnetes Schema [...].« (B 697 f./A 669 f.)<br />

»Alsdenn heißt es z. B. die Dinge der Welt müssen so betrachtet werden,<br />

als ob sie von einer höchsten Intelligenz ihr Dasein hätten. Auf solche<br />

Weise ist die Idee eigentlich nur ein heuristischer und nicht ostensiver<br />

Begriff, und zeigt an, nicht wie ein Gegenstand beschaffen ist, sondern, wie<br />

wir, unter der Leitung desselben, die Beschaffenheit und Verknüpfung der<br />

Gegenstände der Erfahrung überhaupt suchen sollen. Wenn man nun


— 1320 —<br />

zeigen kann, daß, ogbleich die dreierlei transzendentalen Ideen<br />

(psychologische, kosmologische und theologische,) direkt auf keinen ihnen<br />

korrespondierenden Gegenstand und dessen Bestimmung bezogen<br />

werden, dennoch alle Regeln des empirischen Gebrauchs der Vernunft<br />

unter Voraussetzung eines solchen Gegenstands in der Idee auf<br />

systematische Einheit führen und die Erfahrungserkenntnis jederzeit<br />

erweitern, niemals aber derselben zuwider sein können; so ist es eine<br />

notwendige Maxime der Vernunft nach dergleichen Ideen zu verfahren.<br />

Und dieses ist die transzendentale Deduktion aller Ideen der spekulativen<br />

Vernunft, nicht als konstitutive Prinzipien der Erweiterung unserer<br />

Erkenntnis über mehr Gegenstände, als Erfahrung geben kann, sondern als<br />

regulativer Prinzipien der systematischen Einheit des Mannigfaltigen der<br />

empirischen Erkenntnis überhaupt, welche dadurch in ihren eigenen<br />

Grenzen mehr angebauet und berichtigt wird, als es ohne solche Ideen,<br />

durch den bloßen Gebrauch von Verstandesgrundsätze, geschehen<br />

konnte.« (B 698 f./A 670 f.)<br />

Ich möchte diese Darstellung Kantens ergänzen: Erstens, weil es offenbar<br />

interpretationsbedürftig geblieben ist, wie die Differenz von logischer<br />

Möglichkeit aus Widerspruchsfreiheit, und derjenigen Möglichkeit, die<br />

darin liegt, daß sie den Bedingungen empirischer Erfahrung und der<br />

Vernunft nicht »zuwider« sind, aus ihrer Negativität zu heben sei.<br />

Zweitens, um festzustellen, daß der transzendentale Beweis, der gerade im<br />

Fall der Vernunftbegriffe als regulative Prinzipien nach meinen<br />

vorhergehenden Untersuchungen erst ostensiv erfolgen müßte, um mit der<br />

Beweiskraft der Deduktion der Kategorien des Verstandesgebrauches<br />

verglichen werden zu können, immerhin gleichsinnig verläuft mit der<br />

ebendort vertretenen Auffassung, zumindest die obersten Ideen der<br />

regulativen Prinzipien wären als Sätze a priori beweisbar. In meiner<br />

strengen Version der Lesung wird für die Behauptung objektiver Realität<br />

die Kontinuität der Zeitbedingung eingefordert, die für sich aber nicht von<br />

vorneherein nur von der Sinnlichkeit gegeben werden müßte; das wird<br />

erst im Zusammenhang mit den »psychologischen« Bedingungen des<br />

transzendentalen Subjekts notwendig. Insofern kann ich Kant nur<br />

dahingehend verstehen, daß er, so wie etwa in der Skizze der zeitlichen<br />

Dimensionierungshorizonte des Regressus auch, den Nachweis der<br />

Transzendentalität der Deduktion selbst substituieren kann, indem der<br />

einzige weiter verfolgte Argumentationsstrang bei der Formulierung<br />

seiner zentralen modalen Forderung nicht objektive Realität, sondern nur


— 1321 —<br />

objektive Gültigkeit verlangt. Dies ist für das Prinzip selbst,<br />

Vernunftbegriffe als regulative Prinzipien aufzufassen, noch möglich, nicht<br />

aber für die Prinzipien a parte priori. Die Vernunftprinzipien a parte priori<br />

sind eben nicht von a priori Geltung. Das aber ist unabhängig von der<br />

Frage, ob man von einer endlosen Reihe der Ursachen ausgeht oder von<br />

einer ersten Ursache. Jedoch gibt es auch inhaltlich weiter bestimmte<br />

regulative Vernunftprinzipien wie das transzendental genannte Prinzip<br />

der Spezifikation, die selbst als Prinzipien a priori zu gelten haben, deren<br />

Anwendung auf Erfahrungserkenntnisse zumindest transzendental<br />

genannt werden kann. Diese regulativen Vernunftprinzipien a priori<br />

gelten ebenfalls unabhängig von der Entscheidung in der Frage, ob eine<br />

erste, selbst nicht verursachte Ursache gibt oder eine endlose Reihe von<br />

Ursachen. Vergleichbares sollte man auch durch die »reelle Immanenz«<br />

reiner Spekulation in der theologischen Idee als erfüllbar vorstellen<br />

können, wenn man von der theologischen Idee Begriffe objektiver<br />

Gültigkeit erwartet und dieser selbst eine heuristische und dazu noch für<br />

die Architektonik der ganzen Vernunft regulative Funktion zuschreibt.<br />

Letzteres hat sich als definitiv falsch erweisen lassen.<br />

Drittens, weil die Einzigkeit der Argumentation nun das formale Indiz für<br />

die Transzendentalität aller reinen Vernunftbegriffe wäre, auch wenn sie<br />

nur in ihrem regulativem Gebrauch betrachtet werden. Daß dies für die<br />

ganze theologische Idee, also nicht nur die Untersuchungen zum<br />

transzendentalen Ideal gelten soll, muß über den Zweifel an der<br />

heuristischen Funktion in Hinblick auf das sich abzeichnende<br />

Doppelsystem vom psychologischer und kosmologischer Idee hinaus,<br />

bezweifelt werden, obgleich der Anspruch auf objektive Gültigkeit einiger<br />

Argumente erwiesen werden konnte.<br />

Viertens hat sich die Einschränkung der reinen Vernunftbegriffe auf die<br />

heuristische Funktion gegenüber der empirischen Erkenntnis des<br />

kategorialen Verstandesgebrauches als das inhaltliche Indiz für die<br />

Transzendentalität deren Deduktion erwiesen; doch ist eben letzteres nur<br />

auf Grund der transzendentalen Deduktion der Kategorien der reinen<br />

Verstandesbegriffe möglich und die transzendentale Differenz ist von der<br />

Doktrin der bestimmenden Urteilskraft geborgt. Insofern ist es nur eine<br />

mittelbare Verwendung einer transzendentalen Rechtfertigung, und<br />

eigentlich selbst kein vollständiger transzendentaler Beweis. Ich verstehe<br />

diese Schwierigkeit mit dem Anspruch auf eine transzendentale Deduktion<br />

bei strenger Lesung eben als Indiz, daß Kant auch Gründe gegen die<br />

dogmatische Durchführung des strikten transzendentalen Idealismus


— 1322 —<br />

gesucht hat, der ihn bei der Auflösungen der Antinomien der<br />

kosmologischen Ideen verleitet hat, Zugeständnisse zu machen, die den<br />

transzendentalidealistischen Voraussetzungen entgegenstehen.<br />

Fünftens, um daran zu erinnern, daß damit von den<br />

Beantwortungsversuchen der Frage nach der Natur der Wirkung der<br />

intelligiblen Kausalität letzlich nur der Imperativ in der Auflösung der<br />

dritten Antinomie weiter behandelt worden ist, indem — wie in den<br />

Kategorien die Voraussetzung zur Rechtfertigung der reinen<br />

Verstandesbegriffe die Sinnlichkeit war — die Deduktion des Prinzips des<br />

regulativen Gebrauchs der Vernunftideen auf der Vorausetzung des<br />

bedingten Imperativs beruht; und zwar wegen der Charakterisierbarkeit<br />

oder Übersetzbarkeit regulativer Prinzipien als Maxime. Weder die<br />

intelligible Spontaneität gegenüber dem inneren Sinn und dem Gemüt als<br />

Einbildungskraft, noch die intersubjektive Entstehung und Wirkungsweise<br />

der Zeichenhaftigkeit unseres intentionalen Bewußtseins werden von<br />

diesen Definitionen unmittelbar berührt. Die eigentliche Frage nach der<br />

Kausalität durch Freiheit, wie es wirklich geschieht, daß wir die<br />

Naturursachen für unsere Zwecke zu neuen Naturdetermination<br />

zusammenfügen vermögen, konnte mit dem Verweis auf die Leiblichkeit<br />

nicht zur völligen Zufriedenheit beantwortet werden, und führt zurück<br />

zur Frage nach dem Ursprung und dem Umfang der Einbildungskraft, die<br />

im Rahmen der Begründungsproblematik sowohl von objektiver<br />

Gültigkeit wie von objektiver Realität bereits als notwendige<br />

Hilfsannahme der transzendentalen Psychologie gekennzeichnet worden<br />

ist. Die Hypothesen zu diskutieren, die intelligible Spontaneität sei<br />

gegenüber dem inneren Sinn (in Folge auch gegenüber dem Gemüt) als<br />

Einbildungskraft tätig, oder die intelligible Spontaneität verbleibt in der<br />

intellektuellen Synthesis und die Einbildungskraft folgt dieser nur nach,<br />

wie es in dieser Arbeit im dritten und im ersten Teil dieses Abschnittes<br />

erfolgt ist, scheint so nicht für alle Abschnitte der Untersuchung von<br />

gleicher Bedeutung zu sein, doch bleibt der Zusammenhang dieser<br />

»psychologischen« Fragestellungen mit dem Argumentationsstrang zum<br />

Problem der Kausalität durch Freiheit in den Kritiken wie ausgeblendet.<br />

Kant hat in der Tat hier Größeres vor: Er will, nachdem er die regulativen<br />

Prinzipien der Vernunft als Maximen charakterisieren konnte, zum<br />

Endweck der Vernunft vorstoßen. Dazu wird mit einem Aufriß der<br />

transzendentalen Vernunftideen begonnen, aus dem offenkundig wird,<br />

daß diese bereits auf die Analogien zum kategorialen Verstandesgebrauch


— 1323 —<br />

eingeschränkt worden sind, ohne daß diese Umständlichkeit eigens noch<br />

Erwähnung findet. Kant will die oben gegebene Darstellung deutlicher<br />

machen. Es ist zu beobachten, ob die größere Deutlichkeit den Beweis a<br />

priori, der von der reinen Vernunft gefordert wird, betrifft, oder ob es die<br />

Transzendentalität der Deduktion der regulativen Prinzipien betrifft. Oder<br />

aber, ob das gesuchte reine synthetische Urteil a priori der reinen Vernunft<br />

(anders als in der Deduktion der Kategorien) nicht schon einen Grundsatz<br />

der reinen praktischen Vernunft ergeben muß, oder doch mit der<br />

Erörterung der Dialektik der ästhetischen und teleologischen Urteilskraft<br />

das höhere Begehrungsvermögen in der Kritik der Urteilskraft bereits<br />

gefunden ist. Die letzte Fragestellung wird wohl hier nicht mehr mit<br />

gebührender Klarheit beantwortet werden können; entscheidend für die<br />

kritische Betrachtung bleibt, daß damit die Überlegung zum ersten Mal<br />

die Beschränkung auf die Verhältnisse der Erkenntnisvermögen<br />

überwunden hat. Diese systematische Ausweitung ist schon in der Kritik<br />

der reinen Vernunft vorgezeichnet.<br />

»Ich will dieses deutlicher machen. Wir wollen den genannten Ideen als<br />

Prinzipien zu Folge erstlich (in der Psychologie) alle Erscheinungen,<br />

Handlungen und Empfänglichkeit unseres Gemüts an dem Leitfaden der<br />

inneren Erfahrung so verknüpfen, als ob dasselbe eine einfache Substanz<br />

wäre, die, mit persönlicher Identität, beharrlich (wenigstens im Leben)<br />

existiert, indessen, daß ihre Zustände, [zu welchen] die des Körpers nur als<br />

äußere Bedingungen gehören, kontinuierlich wechseln. Wir müssen<br />

zweitens (in der Kosmologie) die Bedingungen, der inneren sowohl als der<br />

äußeren Naturerscheinungen, in einer solchen nirgend zu vollendeten<br />

Untersuchungen verfolgen, als ob dieselbe an sich unendlich und ohne ein<br />

erstes oder oberstes Glied sei, obgleich wir darum, außerhalb aller<br />

Erscheinungen, die bloß intelligiblen ersten Gründe derselben nicht<br />

leugnen, aber sie doch niemals in den Zusammenhang der<br />

Naturerklärungen bringen dürfen, weil wir sie gar nicht kennen. Endlich<br />

und drittens müssen wir (in Ansehung der Theologie) alles, was nur immer<br />

in den Zusammenhang möglicher Erfahrung gehören mag, so betrachten,<br />

als ob diese eine absolute, aber durch und durch abhängige und noch<br />

immer noch innerhalb der Sinnenwelt bedingte Einheit ausmache, doch<br />

aber zugleich, als ob der Inbegriff aller Erscheinungen (die Sinnenwelt<br />

selbst) einen einzigen obersten und allgenugsamen Grund außer ihrem<br />

Umfange habe, nämlich eine gleichsam selbständige, ursprüngliche und<br />

schöpferische Vernunft, in Beziehung auf welche wir allen empirischen


— 1324 —<br />

Gebrauch unserer Vernunft in seiner größten Erweiterung so richten, als ob<br />

die Gegenstände selbst aus jenem Urbilde aller Vernunft entsprungen<br />

wären, das heißt: nicht von einer einer einfachen, denkenden Substanz die<br />

inneren Erscheinungen der Seele, sondern nach der Idee eines einfachen<br />

Wesens jene von einander ableiten; nicht von einer höchsten Intelligenz die<br />

Weltordnung und systematische Einheit derselben ableiten, sondern von<br />

der Idee einer höchstweisen Ursache die Regel hernehmen, nach welcher<br />

die Vernunft bei der Verknüpfung der Ursachen und Wirkungen in der<br />

Welt zu ihrer eigenen Befriedigung am besten zu gebrauchen sei.«<br />

(B 700 f./A 672 f.)<br />

II. Das Problem der Einzigkeit und die notorische Unklarheit der<br />

Verbindbarkeit oberster dialektischer Ideen.<br />

Die einfache Idee von Etwas<br />

Dies ist eben, summarisch gesprochen, eine architektonische Begründung,<br />

der noch aufzuzeigen wäre, daß sie wirklich die einzige mögliche<br />

Argumentation ist, um das erste formale Argument für die<br />

Transzendentalität des Beweises der Prinzipien des regulativen Gebrauchs<br />

für alle Vernunftbegriffe auszumachen. Kant gibt offenbar zuerst die<br />

allgemeine Empfehlung, den transzendentalen Schein aus heuristischen<br />

Gründen zu folgen, ohne die in den Ideen nur gedachten Gegenstände als<br />

objektiv real anzuerkennen. Nur in der theologischen Idee ist die Situation<br />

offenbar nicht so übersichtlich: Das erste Paar des »als ob« ist leicht<br />

verständlich und beinhaltet nichts als die wie vorläufig auch immer zu<br />

verstehende Berechtigung, weiterhin an eine prästabilierte Harmonie zu<br />

glauben. Ich will vom zweiten »als ob« an die Komplizierung in der<br />

theologischen Idee näher verfolgen.<br />

(i)<br />

»als ob der Inbegriff aller Erscheinungen (die Sinnenwelt selbst) einen<br />

einzigen obersten und allgenugsamen Grund außer ihrem Umfange habe,<br />

nämlich eine gleichsam selbständige, ursprüngliche und schöpferische<br />

Vernunft« — Diese Forderung nach einer personalen ersten oder obersten<br />

Ursache schließt wohl die Verknüpfung der obersten oder ersten Ursache<br />

mit der höchsten Intelligenz bereits mit ein. Gerade die Notwendigkeit<br />

außer der unserer von Totalität zu Totalität fortschreitenden spekulativen<br />

Vernunft selbst bleibt Kant jedoch schuldig.


— 1325 —<br />

(ii)<br />

»in Beziehung auf welche wir allen empirischen Gebrauch unserer<br />

Vernunft in seiner größten Erweiterung so richten, als ob die Gegenstände<br />

selbst aus jenem Urbilde aller Vernunft entsprungen wären, das heißt:<br />

nicht von einer einfachen, denkenden Substanz die inneren Erscheinungen<br />

der Seele, sondern nach der Idee eines einfachen Wesens jene von einander<br />

ableiten« — Die hier als Spezifizierung präsentierte Beziehung unserer<br />

Vernunft auf den »obersten und allgenugsamen Grund« schränkt diesen<br />

zum Urbild ein. Aber nicht als synthetische Metaphysik sollen wir die<br />

notwendigen Vorstellungen (Ideen) aus einer gegebenen einfachen,<br />

denkenden Substanz gemäß Kategorien, sondern, insofern bereits kritisch,<br />

die Gegenstände aus der Idee eines einfachen Wesens gemäß des<br />

transzendentalen Prinzips der Spezifikation ableiten. Dann aber sollen wir<br />

den strikten transzendentalen Idealismus abermals entlang Prinzipien des<br />

regulativen Gebrauch der reinen Vernunftbegriffe verlassen, und uns<br />

dabei an den selbst metaphysischen Schein als Leitfaden halten. Damit<br />

wird der zum Urbild der Vernunft degradierte »oberste und allgenugsame<br />

Grund«, der als solches als archetypus intellectus das Auslangen finden<br />

würde, nur wieder zum prototypon transcendentale erhöht, woraus alle<br />

Gegenstände nur ectypa sind. Dies deshalb, weil regulative<br />

Vernunftprinzipien insofern transzendental genannt werden können,<br />

wenn sie sich mittelbar auf empirische Verstandeserkenntnisse beziehen<br />

lassen, womit in modo obliquo ein wirklicher Gegenstand mitgedacht<br />

werden könnte. Das aber reicht im Rahmen der spekulativen Überlegung<br />

der theologischen Idee zur transzendentalenVerwechslung bereits zu. Was<br />

Kant kaum jemals beachtet, ist der Umstand, daß die Erörterung der<br />

theologischen Idee, methodisch gesehen, in wesentlichen Zügen nicht die<br />

Untersuchung einer transzendentalen Idee, sondern die Untersuchung<br />

eines Ideals ist.<br />

(iii)<br />

»nicht von einer höchsten Intelligenz die Weltordnung und systematische<br />

Einheit derselben ableiten, sondern von der Idee einer höchstweisen<br />

Ursache die Regel hernehmen, nach welcher die Vernunft bei der<br />

Verknüpfung der Ursachen und Wirkungen in der Welt zu ihrer eigenen<br />

Befriedigung am besten zu gebrauchen sei« — Allerdings erhält der<br />

»oberste und allgenugsame Grund« nicht alle vermuteten Würden; gerade<br />

die Vorstellung einer höchsten Intelligenz entspringt zwar notwendig der<br />

spekulativen reinen Vernunft, aber eben nicht notwendig als einzige


— 1326 —<br />

Vorstellung, und wird von der »Idee einer höchstweisen Ursache« ersetzt,<br />

was aber nur der Wechsel von einem transzendenten Scheingrund zu<br />

einen anderen ist. Das »Als ob« hat den Zweck, die regulative Funktion<br />

der theologischen Idee für die prästabilierte Harmonie zwischen res<br />

cogitans und res extensa an Stelle der sich der Diskussion entziehenden<br />

Problematik des nexus von Leib und Seele zu benutzen, da der Beweis der<br />

Kausalität durch Freiheit eigentlich nicht vollständig gelungen ist. Es gibt<br />

einen moralischen Grund und einen heuristischen Grund für diese<br />

optimistische Hypothese. Letzterer liegt im Wissenschaftsfortschritt,<br />

ersterer im Optimismus, der in der Gunst unsererer Existenz seinen ersten<br />

Grund findet.<br />

Allerdings findet Kant selbst, daß auf diesem Wege von Transzendentalität<br />

nur mehr die Rede sein kann, wenn die kosmologische mit der<br />

theologischen Idee zusammenfällt; die grundsätzliche Leugnung der<br />

Möglichkeit, spekulativ auf Aussagen objektiver Gültigkeit zu gelangen,<br />

kann ich nur mehr im Zusammenhang mit dem ungelösten Problem der<br />

Einzigkeit, die als erstes formales Kriterium transzendentaler Beweise zu<br />

fordern ist, verstehen: »So ist der transzendentale und einzige bestimmte<br />

Begriff, den uns die spekulative Vernunft von Gott gibt, im genauesten<br />

Verstande deistisch, d. i. die Vernunft gibt nicht einmal objektive<br />

Gültigkeit eines solchen Begriffs, sondern nur die Idee von Etwas an die<br />

Hand, worauf alle empirische Realität ihre höchste und notwendige<br />

Einheit gründet, und welches wir uns nicht anders, als nach der Analogie<br />

einer wirklichen Substanz, welche nach Vernunftgesetzen die Ursache aller<br />

Dinge sei, denken können, wofern wir es ja unternehmen, es überall als<br />

einen besonderen Gegenstand zu denken, und nicht lieber, mit der bloßen<br />

Idee des regulativen Prinzips der Vernunft zufrieden, die Vollendung aller<br />

Bedingungen des Denkens, als überschwenglich für den menschlichen<br />

Verstand, bei Seite setzen wollen [...].« (B 703/A 675)<br />

Noch genauer überlegt, ist die »Idee von Etwas [...], worauf alle empirische<br />

Realität ihre höchste und notwendige Einheit gründet« keineswegs auch<br />

nur ein deistischer Begriff von Gott; und zwar eben so wenig, wie die Idee<br />

der Welt als einfache Ableitung aus dieser einfachsten Idee von Etwas<br />

gedacht werden kann: »Die Begriffe der Realität, der Substanz, der<br />

Kausalität, selbst die der Notwendigkeit im Dasein, haben, außer dem<br />

Gebrauche, da sie die empirische Erkenntnis eines Gegenstandes möglich<br />

machen, gar keine Bedeutung, die irgend ein Objekt bestimmete. Sie<br />

können also zwar zu Erklärung der Möglichkeit der Dinge in der


— 1327 —<br />

Sinnenwelt, aber nicht der Möglichkeit eines Weltganzen selbst gebraucht<br />

werden, weil dieser Erklärungsgrund außerhalb der Welt und mithin kein<br />

Gegenstand einer möglichen Erfahrung sein müßte. Nun kann ich<br />

gleichwohl ein solches unbegreifliches Wesen, den Gegenstand einer<br />

bloßen Idee, relativ auf die Sinnenwelt, obgleich nicht an sich selbst,<br />

annehmen.« (B 705/A 677) Doch ist erstens die Erklärung des Weltganzen<br />

aus einem selbst unbegreiflichen Wesen verschieden von dem Grund,<br />

weshalb allein aus der bloßen Idee von Etwas weder ein deistischer Begriff<br />

Gottes noch die Idee vom Weltganzen abgeleitet werden kann; und<br />

zweitens ist die Idee eines dem Weltganzen zugrunde liegendes<br />

unbegreifliches Wesens zwar zweifelos eine notwendige Idee insofern, als<br />

daß eine solche Idee spekulativ zu erörtern sein wird, doch aber eben nicht<br />

in dem Sinne, daß sie die einzige, und deshalb notwendige Idee ist, welche<br />

spekulativ dem Weltganzen oder auch nur der Vorstellung vom<br />

Weltganzen als Grund genommen werden könnte. Der eigentliche Grund<br />

der Auszeichnung dieser Idee liegt in der Eigenschaft der spekulativen<br />

Totalität, sich selbst überschreitend zu sein, und weil die intensionale<br />

Logik das formale Gerüst hergibt, ist ein einzelnes, außerhalb der<br />

Sinnenwelt liegendes Wesen als der Grund dieser Sinnenwelt das Ergebnis<br />

der Spekulation, die allerdings noch einige Male überschritten werden<br />

kann.<br />

Dann aber geht Kant sogar noch über den einfachen deistischen Begriff<br />

hinaus, indem er nicht nur die »Realitäten der Welt« zusammen zur<br />

Totalität, sondern zuerst diese nochmals zur höchsten Vollkommenheit<br />

steigert: »Ich werde mir also nach der Analogie der Realitäten in der Welt,<br />

der Substanzen, der Kausalität und der Notwendigkeit, ein Wesen denken,<br />

das alles dieses in der höchsten Vollkommenheit besitzt, und indem diese<br />

Idee bloß auf meiner Vernunft beruht, dieses Wesen als selbstständige<br />

Vernunft, was durch Ideen der größten Harmonie und Einheit, Ursache<br />

vom Weltganzen ist, denken können.« (B 706/A 678) Dieses Wesen hätte,<br />

wenn es nicht bloß ein Produkt unserer überschwänglichen Vernunft wäre,<br />

zweifellos aus seiner höchsten Vollkommenheit heraus selbstständige<br />

Vernunft, und wäre dann auch der Grund des Weltganzen. Kant enthüllt<br />

damit wieder ein Moment der Willkür in der Einrichtung der ganzen<br />

Ideenlehre, die jedoch ohne Darstellung des Überschwanges gegenüber<br />

unserem Verstand, im Versuch, mit Vernunftbegriffe unmittelbar<br />

Wirklichkeit als objektive Realität zu denken, selbst nicht zu denken ist.<br />

Wenn wir demnach, obzwar nur aus subjektiver Notwendigkeit unserer


— 1328 —<br />

Vernunft, gezwungen sind, am transzendentalen Schein anzubauen, auch<br />

wenn die Deduktion diesen Schein immer wieder auf den regulativen<br />

Gebrauch einschränkt, dann stellen wir den »obersten allgenugsamen<br />

Grund« selbst nicht als Urbild oder prototypon transcendentale und<br />

Ursubstanz in außerweltliche Analogie zur Sinnenwelt vor, sondern wir<br />

personifizieren die Idee einer höchstweisen Ursache zur höchsten<br />

Intelligenz.<br />

In Frage steht also auch, ob und wie weit aus Gründen eines möglichen<br />

regulativen Gebrauches des reinen Vernunftbegriffs der Überschwang der<br />

spekulativen Vernunft in die eine wie in die andere Richtung im<br />

Nachhinein gerechtfertigt werden kann: »Werfen wir unseren Blick nun<br />

auf den transzendentalen Gegenstand unserer Idee, so sehen wir, daß wir<br />

eine Wirklichkeit nach den Begriffen von Realität, Substanz, Kausalität etc.<br />

an sich selbst nicht voraussetzen können, weil diese Begriffe auf etwas, das<br />

von der Sinnenwelt ganz unterschieden ist, nicht die mindeste<br />

Anwendung haben. Also ist die Supposition der Vernunft von einem<br />

höchsten Wesen, als oberster Ursache, bloß relativ, zum Behuf der<br />

systematischen Einheit der Sinnenwelt gedacht, und ein bloßes Etwas in<br />

der Idee, wovon wir, was es an sich sei, keinen Begriff haben. Hierdurch<br />

erklärt sich auch, woher wir zwar in Beziehung auf das, was existierend in<br />

den Sinnen gegeben ist, der Idee eines an sich notwendigen Urwesens<br />

bedürfen, niemals aber von diesem und seiner Notwendigkeit den<br />

mindesten Begriff haben können.« (B 707/A 679) Hier ist unbedingt<br />

mehrfach Einspruch zu erheben: Bislang konnte Kant durchaus nicht<br />

erweisen, daß die Idee eines höchsten Wesens zum regulativen Gebrauch<br />

kosmologischer Ideen etwas beiträgt; er hat vielmehr das Gegenteil<br />

bewiesen. Die Idee vom höchsten Wesen mit der Idee von einem bloßen<br />

Etwas zu erläutern, ihr damit sogar bereits eine notwendige Stelle zu<br />

geben, darin vermag ich nur reine Spekulation zu entdecken; und<br />

schlußendlich kann gerade von der Bedürftigkeit unserer Vernunft, ein<br />

Urwesen in Beziehung auf das, »was existierend in den Sinnen gegeben<br />

worden ist« unmittelbar notwendigerweise zu denken, nicht die Rede sein.<br />

Letzteres sogar dann nicht, wenn nicht nur der logische Gebrauch von<br />

Vernunftideen, sondern auch der dialektische Gebrauch bedacht wird. —<br />

Wie ich in diesem Abschnitt zeigen konnte, geht es aber doch um die Frage<br />

der Vereinbarkeit von Intelligibilität und Materialität, die im Rahmen der<br />

ontotheologischen Spekulation unweigerlich mit dem Gottesbeweis von<br />

Anselm von Canterbury und der scholastischen Vorstellung zu tun


— 1329 —<br />

bekommt, daß Gott die Dinge in Existenz versetze. Vor diesem<br />

Hintergrund wird die Darstellung Kants als historisch verständlich, zumal<br />

ich aufweisen konnte, daß hierin ein letztmöglicher Horizont der<br />

spekulativen Erörterung der Gründe eines einheitlichen Begriffs vom Sein<br />

vorliegt — allerdings eben auf eine Weise, wie ein solcher letzmöglicher<br />

Horizont der Spekulation um die Einheit des Seinsbegriffs für gerade<br />

diesen Strang der spekulativer Totalisierung gebildet werden kann,<br />

welches ein Urwesen überhaupt für notwendig erachtet.<br />

Die aufgeworfene Frage geht über die modale Frage hinaus, obgleich es<br />

bemerkenswert ist, das diese Rechtfertigung weniger leistet als die<br />

bisherigen Deduktionsversuche des Prinzips des regulativen Gebrauches<br />

der Vernunftbegriffe. Daß Kant im Rahmen der theologischen Idee so<br />

starke Entwürfe vorlegt, liegt meines Erachtens nicht nur an der<br />

Erhabenheit des Themas, sondern um nichts weniger wieder daran, daß<br />

Kant die prästabilierte Harmonie benötigt, um die ungelöste Schwierigkeit<br />

der Verbindung zwischen res cogitans und res extensa bei der Deduktion<br />

der Kausalität durch Freiheit auf höherer Ebene architektonisch wieder<br />

wettzumachen. 42<br />

III. Der Weltbegriff und dessen Mißbrauch in der einfachen<br />

obersten Idee. Das nur mittelbar transzendentale Prinzip der<br />

Spezifikation und die platonische Diaresis<br />

Im Anschluß zeigt Kant, wie die in den Paralogismen aufgeworfenen<br />

Schwierigkeiten, der Seele eine einfache Substanz zu Grunde zu legen, sich<br />

auflösen, wenn die Konzepte einer einfachen Substanz und einer<br />

Grundkraft nur in dieser regulativen Funktion, nach empirischer<br />

Möglichkeit den systematischen Zusammenhang zu befördern, betrachtet<br />

werden. Die psychologische Idee ist meines Erachtens die klarste, sodaß<br />

die schon erfolgten Erörterungen im zweiten Abschnitt ausreichen sollte.<br />

Ich gehe also gleich über zur zweiten regulativen Idee:<br />

»Die zweite regulative Idee der bloß spekulativen Vernunft ist der<br />

Weltbegriff überhaupt. Denn Natur ist eigentlich nur das einzige gegebene<br />

Objekt, in Ansehung dessen die Vernunft regulative Prinzipien bedarf.<br />

42 Benedikt, Philosophischer Empirismus. Theorie. Herder, Wien, Freiburg, Basel 1977,<br />

VIII. Abschnitt: Der Ansatz zu einem dritten Deduktionsverfahren und das Problem<br />

der Kategorialdeduktion praktischer Vernunft bei Kant, 2. Kants<br />

Deduktionsversuche nach dem distibutiven Prinzip der Vollständigkeit, p. 382


— 1330 —<br />

Diese Natur ist zwiefach, entweder die denkende, oder die körperliche<br />

Natur. Allein zu der letzteren, um sie ihrer inneren Möglichkeit nach zu<br />

denken, d. i. die Anwendung der Kategorien auf dieselbe zu bestimmen,<br />

bedürfen wir keiner Idee, d. i. einer die Erfahrung übersteigenden<br />

Vorstellung, es ist auch keine in Ansehung derselben möglich, weil wir<br />

darin bloß durch sinnliche Anschauungen geleitet werden, und nicht wie<br />

im psychologischen Grundbegriffe (Ich), welcher eine gewisse Form des<br />

Denkens, nämlich die Einheit desselben, a priori enthält. Also bleibt uns<br />

für die reine Vernunft nichts übrig, als Natur überhaupt, und die<br />

Vollständigkeit der Bedingungen in derselben nach irgend einem Prinzip.«<br />

(B 712 f./A 684 f.)<br />

Ich verweise auch hier wieder auf ein Moment der Willkür. Die Natur<br />

überhaupt, bereits als Idee, wird bereits in den Antinomien der<br />

kosmologischen Ideen hinsichtlich der Vollständigkeit der Bedingungen<br />

für den logischen und der Unvollständigkeit der Bedingungen des<br />

dialektischen Gebrauchs untersucht. Die Aufstellung der kosmologischen<br />

Ideen selbst gehen klar und deutlich von der Unterscheidung des<br />

logischen und des transzendenten (dialektischen) Gebrauches von<br />

Vernunftideen aus. Nur der dialektische Gebrauch der kosmologischen<br />

Ideen führt in diese Verwicklungen, die erst am Boden einer kritischen<br />

Untersuchung des Ideals weiter aufgeklärt werden können.<br />

Insofern ist der Verdacht des Mißbrauchs nicht gänzlich von der Hand zu<br />

weisen, auch wenn die Ideen von einem bloßen Etwas angeblich keinen<br />

Inhalt besitzen, der sie überhaupt mißbräuchlich verwenden ließe, wie<br />

Kant als ob zur vorauseilenden Verteidigung anführt? Doch sind diese<br />

Ideen nicht völlig unbestimmbare Ideen von Etwas, sondern durch die<br />

Stellung in der Reihe von psychologischer, kosmologischer und<br />

theologischer Idee charakterisierbar und in jeder Idee nochmals<br />

weiterbestimmbar. Der Moment, an welchen dieser Verdacht erste Gründe<br />

gefunden hat, ist genau angebbar: die Ausweitung des Geltungsbereiches<br />

des regulativen Prinzips auf die theologischen Idee zur Rechtfertigung des<br />

transzendentalen Scheines, weil diese der einzig möglicher und<br />

notwendiger Schlußstein der Archtitektonik der reinen Vernunft sein soll,<br />

was zu erweisen allerdings so eindeutig gar nicht möglich scheint, und so<br />

der anzuführende Grund, nämlich die maximale Übersteigerung von<br />

intensionalen Totaltäten, selbst schon zum transzendenten Schein verfällt.<br />

Letzteres erfüllt nun keinesfalls die Erfordernisse einer transzendentalen<br />

Deduktion, nur den notwendigen Bezug auf Totalität und Ganzheit der


— 1331 —<br />

Intellection; und auch die Bedingungen der Konstitution von Maximen<br />

setzen nicht selbst die transzendentale Differenz voraus, welche die<br />

transzendentale Deduktion der Kategorien notwendig, aber auch allererst<br />

sinnvoll möglich macht. So ist die Transzendentalität der Vernunftideen<br />

wiederum nur eine geborgte. Schließlich ist auch das formale Kriterium<br />

der Einzigkeit für die Transzendentalität des Beweises in Zweifel gezogen:<br />

keineswegs ist abschließend deutlich geworden, daß die Entwicklung<br />

zwischen vierter Antinomie und theologischer Idee ebenso wie dargestellt<br />

verlaufen muß und hat eben zuvor mit der Unterscheidung in »die<br />

weltweise Ursache« und der »höchsten Intelligenz« von Kant selbst zuletzt<br />

noch eine Alternative vorgestellt bekommen. Doch verletzen sie<br />

anscheinend auch keine weitere Regel, und sind für sich, obwohl<br />

spekulativ, eben nicht notwendigerweise zugleich auch schon<br />

transzendent im Sinne von existenzbehauptend.<br />

Insofern steht die Wirklichkeit der Idee der Welt bei aller Unbestimmtheit<br />

ihrer Zusammensetzung außer Zweifel, während die Idee von Etwas der<br />

Wirklichkeit erst habhaft werden muß. Wird nun die nämliche Idee von<br />

Etwas an die absolute Position verbracht, dann wird nur die Idee von<br />

Etwas, die als Gedankenform eines jeden Inhalte der Idee der Welt<br />

konzipiert war, aus dem Raum möglicher zusammenhängender Erfahrung<br />

von Wirklichkeit herausgedreht. Über die schon genannten<br />

Schwierigkeiten der Spekulation hinaus, wäre auch noch zu bedenken, daß<br />

die Idee von Etwas der Idee der Welt eindeutig zugeordnet ist, und zwar<br />

ursprünglich und in der Welt seiend. Soll nun diese einfachste Idee<br />

zugleich die oberste sein, dann steht sie, wie sie auch immer zur Welt<br />

steht, nicht in einem vergleichbaren Sinn in der Welt: sie steht außerhalb<br />

der zusammenhängenden Wirklichkeit, deren Erfahrungsraum wir<br />

gemeinhin mit der Idee der Welt verbinden. Es ist die Frage, ob die<br />

weitergehende Abstraktion des Dinges zum Etwas den entstehenden<br />

Widerspruch verhindert, indem die Idee von Etwas als oberste Idee<br />

abstrakt bestimmt, und so aus dem Erfahrungszusammenhang der<br />

Abstraktion entfernt wird. — Der Widerspruch kann von der absoluten<br />

Position aus erkannt werden, wenn man (entgegen den ontologischen<br />

Gottesbeweisen) dieser gedanklichen Operation vorwirft, daß die Idee von<br />

Etwas als Abstraktion der Erfahrung in der Welt zur Grundlage der<br />

obersten Idee genommen worden ist. Von dieser Position aus könnte man<br />

in den ontologischen Gottesbeweisen auch von einem Mißbrauch der Idee<br />

der Welt sprechen.


— 1332 —<br />

Diese Problemstellung tritt dann auf, wenn die Idee von Etwas als oberste<br />

Idee von der Wirklichkeit der Welt ausgehend gedacht wird; wird aber die<br />

Idee der Welt und deren Wirklichkeit von der Wirklichkeit der obersten<br />

Idee aus gedacht, dann entsteht ein Widerspruch, weil das Etwas der<br />

obersten Idee (nichts Denkbares, aber auch nicht Nichts — nihil) als<br />

Vorbild eines jeden Vorkommnisses in der Welt zu gelten hätte. Das aber<br />

stimmt nicht mit unserer Erfahrung aus der ersten Perspektive überein,<br />

was an unserer Beschränktheit liegen könnte, oder eher daran, daß die<br />

reine In-Beziehung-Setzung von einfacher oberster Idee und der Idee von<br />

einem Etwas eine beide Positionen umfassende Perspektive benötigen<br />

würde, um dazu nochmals eine Vorstellung von Totalität und möglicher<br />

Ganzheit zu denken. — Zwingt man noch diese auseinanderstrebenden<br />

Alternativen in einer Aufstufung des Intensionalen in diese Engführung,<br />

wäre eine Weise der Anwesendheit Gottes in der Welt gefordert, die diese<br />

Verwechslung der Positionen der Idee von Etwas beendet: naheliegend ist<br />

die Verknüpfung von Wahrheit und Existenz. Eben die Existenz von Etwas<br />

in der Welt wäre so das göttliche Wirken wie die Existenz der Welt selbst.<br />

Existenz in diesem Sinne möglicher zusammenhängender Erfahrung ist<br />

nicht als Folge zu denken, dessen Progressus eingeschränkt werden kann,<br />

kann aber weder aus sich heraus weiter eingeteilt, noch könnte aus dieser<br />

Idee von Existenz die Idee der Welt abgeleitet werden.<br />

Daneben besteht das Problem der Transzendentalität des Prinzips der<br />

Spezifikation, was als Thema zur Bestimmung der Formen des Regressus<br />

gehört. Meiner Beurteilung nach ist das Prinzip selbst von a priori Geltung,<br />

und soweit selbst auch als rein zu bezeichnen, jedoch auch hier vermag der<br />

Nachweis der Transzendentalität des Beweises selbst nicht zu gelingen, da<br />

auch er transzendental nur in Hinsicht auf den Rückgriff der Doktrin der<br />

bestimmenden Urteilskraft genannt werden kann. Im Vergleich zu deren<br />

Deduktion bleibt die Deduktion des Prinzips der Spezifikation darin<br />

zurück, daß erstere die transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit<br />

von empirischer Erfahrungserkenntnis betroffen hat, während die Regeln<br />

der Spezifikation als Prinzipien a parte priori behandelt werden müssen,<br />

die als heuristische und bereits inhaltlich bestimmt zu denkende<br />

Prinzipien gemäß der aptitudo der Mannigfaltigkeit, die in der sinnlichen<br />

Erfahrung gegeben wird, ausgewählt werden, und offenbar indirekt auch<br />

»falsifiziert«, zumindest als nicht erfolgversprechend a posteriori<br />

verworfen werden können, wie das ursprünglich für die Deduktion des<br />

Prinzips des regulativen Gebrauches der Vernunftbegriffe überhaupt


— 1333 —<br />

vorgestellt worden ist. Andererseits setzt das Prinzip der empirischen<br />

Spezifikation das logische Prinzip des Genus aus der diairesis selbst<br />

doppelt voraus: einmal bereits formal rekonstruiert als oberstes, formales<br />

Prinzip der Teilung, Zuteilung und Ausschließung von Namen für Klassen<br />

von Dingen oder Erscheinungen, und einmal konkret als diskursiv<br />

inhaltlich zu bestimmendes Prinzip, um das formale Prinzip entsprechend<br />

des Eidos, näher spezifiziert (operationalisiert) durch die Methode der<br />

Habhaftwerdung der Erscheinung, im Regressus des Erfahrungmachens<br />

erst konkret weiterzubestimmen.<br />

Doch bleibt die transzendentale Differenz die der Doktrin der<br />

bestimmenden Urteilskraft, die uns erklärt, inwieweit wir berechtigt sind,<br />

mit den Gegenständen der Erscheinungen wirkliche Dinge an sich selbst<br />

zu denken. Insofern kann gesagt werden, Kant setze nur eine<br />

Fragestellung auf radikal andere Weise fort, die Plato mit der Apophantik<br />

zu beantworten sucht. Das Wesen der Kategorien des<br />

Verstandesgebrauches liegt zum Aufriß der platonischen Diarese<br />

gewissermaßen quer; es darf gesagt werden, der historische Ursprung der<br />

Logik liegt nicht in der Absicht der Deduktion der Kategorien des<br />

empirischen Verstandesgebrauches. Thema der Deduktion der Kategorien<br />

ist die Erörterung sowohl der Bedingungen der Erscheinungen wie der<br />

Bedingungen von Erfahrung, die Kant, bevor diese Bedingungen mit der<br />

Bedingung der Möglichkeit eines Objektes der Erfahrung selbst<br />

identifiziert werden, aus zwei Gründen mit der Sinnlichkeit verknüpft<br />

(transzendentale Ästhetik und primäre Intentionalität). Die Logik nach<br />

dem Vorbild der diairesis stellt solche Fragen nicht, und hat nach dem<br />

Ineinander-Enthaltensein von Zuteilungen nach Ausschließungen die nicht<br />

nur rein formallogisch darstellbare Differenz von Allgemeinen und<br />

Besonderen zum Thema; selbst noch der einzelnen Gegenstand kann als<br />

intendierte Aufgabe vorgestellt werden. Insofern könnte hier von einer<br />

möglichen Analogie eines Ansatzpunktes zu einer transzendentalen<br />

Argumentation gesprochen werden, wenn damit auch die Bestimmung<br />

des Einzeldinges im Begriff zur Anerkenntnis als Gegenstand gefordert<br />

wird.<br />

Die Kategorien formulieren nun transzendentale Bedingungen der<br />

Möglichkeit der Erfahrung, die so gedacht werden müssen, als seien sie die<br />

Bedingung der Möglichkeit der Dinge an sich selbst, was sich insofern von<br />

selbst bewahrheitet, weil doch nur Erscheinungen Gegenstände unserer<br />

(hier: sinnlichen) Erfahrung sein können. Die Kategorien formulieren nicht


— 1334 —<br />

Prinzipien der inhaltlichen Bestimmung einer möglichen Washeit, weder<br />

in konkret-allgemeiner, also immer im Vergleich zu einem möglichen,<br />

abstrakteren Begriff besonderen Hinsicht, noch in konkret-individueller<br />

Hinsicht. Sie rekurrieren erstens auf den logischen Gegenstand als<br />

abstrakte Idee einer jeden konzentrierten und gerichteten Aufmerksamkeit<br />

(Intentionalität) als leeres Etwas (das ist die einfachste oberste Idee), und<br />

beschränken diese Idee mittels der Kontinuitätsbedingung der Sinnlichkeit<br />

methodisch auf den Umkreis der primären Intentionalität. Das geschieht<br />

zweitens mit der Anpassung der mit der transzendentalen Ästhetik<br />

mitgegebenen metaphysischen Bedingungen des Raumes an die<br />

Bedingungen der »transzendentalen« Psychologie zwischen rationaler<br />

Psychologie und rationaler Physiologie. Drittens wird in den Kategorien<br />

anhand der Angleichung transzendentaler Zeitbedingungen an die<br />

logischen Zeitbedingungen, die von den reinen Verstandesbegriffen der<br />

Kategorie ausgedrückt werden, die synthetischen Grundsätze gebildet,<br />

welche für uns die deshalb transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit<br />

der Erfahrung sinnlich gegebener Gegenstände ausdrücken. Damit wird<br />

aber die Frage nach der Rechtfertigbarkeit der Kenntnis der Beschaffenheit<br />

der Dinge grundsätzlich und unabhängig von der Frage nach der<br />

Quidditas gestellt.<br />

IV. Übergang von der vierten Antinomie zur theologischen Idee.<br />

Deren indirekte heuristische Funktion ist nicht selbst transzendental.<br />

Die Selbstständigkeit der regulativen Idee<br />

Ohne den Verdacht der spekulativen Willkür selbst auszuräumen, der ja<br />

noch damit beschwert wird, daß gar nicht alle möglichen Ansätze zur<br />

Beantwortung der Frage, wie denn die eine Wirkung der intelligiblen<br />

Ursache aussehen könne, weiter verfolgt worden sind, nimmt Kant eine<br />

Wendung, die zu einem Argument für seine Auffassung vom<br />

heuristischen Wert der theologischen Idee wird:<br />

»Die höchste formale Einheit, welche allein auf Vernunftbegriffen beruht,<br />

ist die zweckmäßige Einheit der Dinge, und das spekulative Interesse der<br />

Vernunft macht es notwendig, alle Anordnungen in der Welt so<br />

anzusehen, als ob sie aus der Absicht einer allerhöchsten Vernunft<br />

entsprossen wäre. Ein solches Prinzip eröffnet nämlich unserer auf das<br />

Feld der Erfahrungen angewandten Vernunft ganz neue Aussichten, nach<br />

teleologischen Gesetzen die Dinge der Welt zu verknüpfen, und dadurch


— 1335 —<br />

zu der größten systematischen Einheit derselben zu gelangen. Die<br />

Voraussetzung einer obersten Intelligenz, als der alleinigen Ursache des<br />

Weltganzen, aber freilich bloß in der Idee, kann also jederzeit der Vernunft<br />

nutzen und dabei doch niemals schaden.« (B 714/A 686)<br />

Die komplementäre Frage ist: kann man ein System teleologischer<br />

Beziehungen, also von einem System wechselseitiger Zweckmäßigkeit<br />

sprechen, ohne eine verursachende Intelligenz zu denken? Ich denke<br />

durchaus; es ist bloß nicht möglich, ein solches System ohne Intelligenz zu<br />

denken. Aber ganz unabhängig von dieser Frage kann ein heuristischer<br />

Wert auch dann nicht abgesprochen werden, wenn eine spätere<br />

Überlegung zur Einsicht kommt, es könne auf diese oberste Idee als<br />

heuristisches Prinzip auch verzichtet werden, ohne für die<br />

Zweckmäßigkeit innerhalb und zwischen Systemen jeden Grund zu<br />

verlieren. Dann wäre aber eine transzendentale Deduktion teleologischer<br />

Prinzipien in der Natur fällig: Kant unternimmt in der Kritik der<br />

teleologischen Urteilskraft die Rechtfertigung des teleologischen<br />

Beurteilungsprinzips neben dem Prinzip der bestimmenden Urteilskraft<br />

und setzt ein Organisationsprinzip der Natur selbst nur ähnlich<br />

unbestimmt an, wie neben allen Einwänden und diesen zum Trotz, der<br />

theologischen Idee immer wieder ein womöglich transzendental<br />

rechtfertigbarer Begriff a priori unterstellt wird. So verweist Kant bei aller<br />

Unbestimmtheit die Überlegung doch auf den physikotheologischen<br />

Beweis. — Zweifelos muß dem transzendentalen Schein dieser Idee das<br />

Verdienst zugesprochen werden, die Überlegung zur Totalisierung der<br />

Prinzipien der teleologischen Urteilskraft eröffnet zu haben.<br />

»Bleiben wir nur bei dieser Voraussetzung, als einem bloß regulativen<br />

Prinzip, so kann selbst der Irrtum uns nicht schaden. Denn es kann<br />

allenfalls daraus nichts weiter folgen, als daß, wo wir einen teleologischen<br />

Zusammenhang (nexus finalis) erwarteten, ein bloß mechanischer oder<br />

physischer (nexus effectivus) angetroffen werde, wodurch wir, in einem<br />

solchen Falle, nur eine Einheit mehr vermissen, aber nicht die<br />

Vernunfteinheit in ihrem empirischen Gebrauche verderben.«<br />

(B 715 f./A 687 f.)<br />

Kant hat damit in der Tat die theologische Idee als zumindest mittelbarer<br />

Ursprung möglicher teleologischer Prinzipien in der Natur installiert,<br />

sodaß deren heuristischer Wert, wenn vielleicht nur historisch, doch<br />

gerade im Aufbau des Systems der Vernunft an zentraler Stelle zu stehen<br />

kommt. Eben das bleibt auch Grund weiteren Fragens, so etwa, ob


— 1336 —<br />

unbestritten des heuristischen Wertes der theologischen Idee, an dieser<br />

Stelle nach der historischen Würdigung nicht auch ein anderes Prinzip an<br />

dieser Stelle stehen müßte. — M. a. W., im Rückblick wird die theologische<br />

Idee, als Ursprung der Idee einer systematischen und für sich selbst<br />

zweckmäßigen Einheit genommen, im Lichte ontotheologischer<br />

Überlegungen als unterbewertet oder bereits depotenziert erscheinen, und<br />

zwar vor allem, weil damit keine In-Existenz-Setzung mehr verbunden ist.<br />

Dieser Ursprung kann vielleicht als depotenziertes ens necessarium, aber<br />

nicht als höchstes Wesen gedacht werden.<br />

Ohne die sich mehrenden Fragen, die auch verschieden zu bewertende<br />

mögliche Einwände beinhalten, auf befriedigende Weise zu<br />

berücksichtigen, gelangt Kant einige Seiten weiter zu einer Darstellung,<br />

welche die Steigerung der notwendigen Idee einer einfachen Substanz und<br />

ersten Ursache in der theologischen Idee, die spätestens ab der<br />

Verbindung von Urbild, prototypon transcendentale und Urwesen als ens<br />

necessarium gemeinsam mit der Vorstellung des höchsten Wesens den<br />

eigentlichen Gegenstand der theologischen Idee ausmacht, wieder<br />

weitgehend zurücknimmt, und so meinem gemäßigt kritischen Kurs,<br />

insbesondere was eben diese Entwicklung in der theologische Idee angeht,<br />

zu widerlegen scheint.<br />

V. Die Idee der Naturheinheit folgt aus dem Wesen der Dinge.<br />

Die »verkehrte Vernunft« in der bloßen Vorstellung einer<br />

existierenden obersten Intelligenz als Grund der Vorstellung eines<br />

Zirkels<br />

Nachdem anhand der teleologischen Verfaßtheit der praktischen Vernunft<br />

demonstriert worden ist, daß auch für teleologische Urteile empirische<br />

Erfahrung und deren systematische Erweiterung vorausgesetzt wird, und<br />

nochmals zumindest ein Indiz für meine Auffassung über die<br />

Deduktionen des Prinzips des regulativen Vernunftgebrauchs und des<br />

Prinzips der empirischen Spezifikation liefert (Kant: erster Fehler), kommt<br />

Kant zu einer starken Einschränkung der theologischen Idee, die einige<br />

Seiten zuvor, selbst schon in einer schwachen Fassung, als reines<br />

heuristisch notweniges Prinzip vorstellig gemacht worden ist: »Der zweite<br />

Fehler, der aus der Mißdeutung des gedachten Prinzips der<br />

systematischen Einheit entspringt, ist der der verkehrten Vernunft<br />

(perverso ratio,[...]). Die Idee der systematischen Einheit sollte nur dazu


— 1337 —<br />

dienen, um als regulatives Prinzip sie in der Verbindung der Dinge nach<br />

allgemeinen Naturgesetzen zu suchen, und, so weit sich etwas davon auf<br />

dem empirischen Wege antreffen läßt, um soviel auch zu glauben, daß<br />

man sich der Vollständigkeit angenähert habe, ob man sie freilich niemals<br />

erreichen wird. [1] Anstatt dessen kehrt man die Sache um, und fängt<br />

davon an, daß man die Wirklichkeit eines Prinzips der zweckmäßigen<br />

Einheit als hypostatisch zum Grunde legt, den Begriff einer solchen<br />

Intelligenz, weil er an sich gänzlich unerforschlich ist,<br />

anthropomorphistisch bestimmt, und denn der Natur Zwecke, gewaltsam<br />

und diktatorisch, aufdringt, anstatt sie, wie billig, auf dem Wege der<br />

physischen Nachforschung zu suchen, [2] so daß nicht allein Teleologie,<br />

die bloß dazu dienen sollte, um die Natureinheit nach allgemeinen<br />

Gesetzen zu ergänzen, nun vielmehr dahin wirkt, sie aufzuheben, sondern<br />

die Vernunft sich noch dazu selbst um ihren Zweck bringt, nämlich das<br />

Dasein einer solchen intelligenten obersten Ursache, nach diesem, aus der<br />

Natur zu beweisen.[3]« (B 720 f./A 692 f.)<br />

Punkt (1) entspricht meiner Kritik an der Darstellung der theologischen<br />

Idee als heuristisches Prinzip insofern, als daß damit erkenntlich wird, daß<br />

damit vielleicht nur für uns, aber nicht für die Transzendentalphilosophie,<br />

ein höchstes Wesen als Ursprung der systematischen und zweckmäßigen<br />

Einheit zu denken nötig ist, obwohl ganz unzweifelhaft gelten muß, daß,<br />

gäbe es ein solches Wesen, es auch der oberste Grund für die Geordnetheit<br />

und Zweckmäßigkeit der Natur für sich selbst sein müßte. In Punkt (2)<br />

wird nicht nur die »hypostatische« In-Existenz-Setzung der theologischen<br />

Idee durch die menschliche Vernunft kritisiert, es wird hier auch die<br />

Verknüpfung eines solchen, immerhin denkmöglichen, aus der Stelle der<br />

theologischen Idee heraus entwickelbaren obersten (allerdings<br />

definitionsgemäß dialektischen) Vernunftbegriffes einer ersten Ursache<br />

mit dem Begriff der höchsten Intelligenz, wenngleich auch nur nebenher,<br />

dem Zweifel ausgesetzt. Punkt (3) enthält nicht mehr und nicht weniger in<br />

wenigen Worten das Programm der Kritik der teleologischen Urteilskraft,<br />

und verweist in der ersten Kritik auf den physikotheologischen<br />

Gottesbeweis.<br />

Kant geht mit seiner Kritik so rigoros vor, daß er in der Tat neue<br />

Argumente zu Abgrenzung des transzendentalen Scheines als reelle<br />

Immanenz vom transzendenten Schein als zwar nicht reine, aber dennoch<br />

nicht reelle Immanenz auffindet:


— 1338 —<br />

»Denn, wenn man nicht die höchste Zweckmäßigkeit in der Natur a priori,<br />

d. i. als zum Wesen derselben gehörig, voraussetzen kann, wie will man<br />

denn angewiesen sein, sie zu suchen und auf der Stufenleiter derselben<br />

sich der höchsten Vollkommenheit eines Urhebers, als einer<br />

schlechterdingsnotwendigen, mithin a priori erkennbaren<br />

Vollkommenheit, zu nähern? [1] Das regulative Prinzip verlangt, die<br />

systematische Einheit als Natureinheit, welche nicht bloß empirisch<br />

erkannt, sondern a priori, obzwar noch unbestimmt, vorausgesetzt wird [;]<br />

schlechterdings, mithin als aus dem Wesen der Dinge folgend,<br />

vorauszusetzen.[2] Lege ich aber zuvor ein höchstes ordnendes Wesen<br />

zum Grunde, so wird die Natureinheit in der Tat aufgehoben. Denn sie ist<br />

der Natur der Dinge ganz fremd und zufällig, und kann auch nicht aus<br />

allgemeinen Gesetzen derselben erkannt werden.[3] Daher entspringt ein<br />

fehlerhafter Zirkel im Beweisen, da man das voraussetzt, was eigentlich<br />

hat bewiesen werden sollen.[4]« (B 721/A 693)<br />

(ad 1) Zuerst beharrt Kant auf der Vorstellung der höchsten<br />

Zweckmäßigkeit, als »der Natur a priori als zum Wesen derselben<br />

gehörig« und fragt, wie man sonst angewiesen sein könnte, sie zu suchen.<br />

Dann geht Kant in unmittelbaren Anschluß dazu über, die Idee einer<br />

»schlechterdingsnotwendigen, mithin a priori erkennbaren<br />

Vollkommenheit« mit der Idee der höchsten Vollkommenheit eines<br />

(ersten) Urhebers zu verknüpfen, wobei die Notwendigkeit zuvor aber<br />

darin liegt, daß die spekulative Vernunft dem transzendentalen Schein<br />

soweit nachgibt, daß sie selbst vom transzendenten Schein der In-Existenz-<br />

Setzung aus dem bloßen Begriff bedroht wird. Kant anerkennt nur diese<br />

subjektive Strebung in der transzendentalen Dialektik der reinen Vernunft;<br />

das beinhaltet aber mitnichten irgend eine Art von Deduktion.<br />

(ad 2) Zwar stellt das regulative Prinzip die Idee der Natureinheit als<br />

systematische Einheit a priori, aber als ein oberstes Prinzip empirisch<br />

unbestimmt vor, doch wird nunmehr keine Deduktion verlangt, vielmehr<br />

eine Induktion durch Abstraktion und Reflexion gegeben: Mit dieser<br />

systematischen Einheit sei »schlechterdings«, als aus dem Wesen der<br />

Dinge folgend, die Idee der Natureinheit denkbar geworden. Das läßt<br />

allerdings offen, ob überhaupt, und gegebenenfalls wie aus einer solchen<br />

universiellen und formalen Wesensbestimmung selbst eine weitere<br />

Spezifikation erwachsen könnte. Damit wird eine Frage aufgeworfen, die<br />

Kant nicht vollständig beantworten kann, und so, hierin ähnlich wie in der<br />

Indifferenz zwischen einer natürlich determinierten und einer intelligibel


— 1339 —<br />

zusammengefügten Konstellationen der Reihen von Naturursachen in der<br />

dritten Antinomie, in der strikten transzendentalphillosophischen<br />

Erörterung womöglich gar nicht als transzendentales Argument<br />

zugelassen ist.<br />

(ad 3) Erst mit der Verknüpfung mit einem gesetzten »höchsten ordnenden<br />

Wesens« wird der transzendentale Schein der Natureinheit zum<br />

transzendenten Schein, und unabhängig von den Gründen der regulativen<br />

Prinzipien a priori aufgehoben. Hier geht Kant in der Tat weiter als meine<br />

bislang geäußerte Kritik: Gerade aus der Mittelbarkeit und<br />

Uneigentlichkeit der Transzendentalität der bislang angeführten Beweise<br />

des regulativen Prinzips (und des Prinzips der Spezifikation) schließt Kant<br />

allem Anschein nach auf die Verschiedenheit dieser Prinzipien gegenüber<br />

den Organisationsprinzipien der Natur, die noch in der Dialektik der<br />

teleologischen Urteilskraft mit der starken Fassung der Idee vom<br />

»höchsten ordnenden Wesen« zu tun haben. Diejenige Vorstellung, für<br />

welche ich die Transzendentalität der Beweise in einem strikten Sinne<br />

nicht gelten lassen wollte, aber »kann nicht aus allgemeinen Gesetzen<br />

derselben [der Natur]« erkannt werden. Insofern wird der metaphysische<br />

Einschub des Wesens der Dinge verständlich, denn offenbar kann die Idee<br />

von der systematischen und zweckmäßigen Natureinheit selbst weder<br />

unmittelbar von der Vorstellung eines »höchsten ordnenden Wesens«,<br />

noch einfach von der empirischen, also sinnlichen Erfahrung genommen<br />

werden. Dieser Idee wird ein synthetisch-metaphysischer Wesensbegriff<br />

zugrunde liegen müssen.<br />

(ad 4) In Frage steht, ob der »Zirkel im Beweisen«, wie es kritisch durchaus<br />

Sinn macht, schon auf den metaphysischen Einschub eines Wesens der<br />

Dinge in Anwendung gebracht werden soll, oder ob dieser Zirkel erst<br />

durch die Verknüpfung mit dem »höchsten ordnenden Wesen« entstanden<br />

ist. Die erste Vermutung dürfte mit der kritischen Darstellung der<br />

wesenslogischen Aspekte des principium contradictionis wie des Ideals<br />

der reinen Vernunft, ihre Idee (das wesentliche Prädikat) nicht aus<br />

Prädikaten abzuleiten, hinfällig geworden sein, da dieser eigentlich bereits<br />

»synthetisch-metaphysisch« zu nennende Einschub des Wesens meiner<br />

Auffassung nach zugleich die Idee einer Rechtfertigungsmethode<br />

spekulativer Prädikate an der Erfahrung beinhaltet, die zunächst<br />

inhaltlich, dann allgemein und abstrakt das Ideal der reinen Vernunft zum<br />

Begriff vom einzelnen Gegenstand, schließlich transzendentallogisch das<br />

transzendentale Ideal zum Begriff vom einzelnen Wesen bestimmt. — Der<br />

nur ungefähr und versuchsweise, meiner Ansicht nach also nicht wirklich


— 1340 —<br />

erfolgreichversprechende Ansatz, im transzendentalen Ideal auch das ens<br />

realissimum zugleich als ens originarium, ens entium und ens summum<br />

zu denken, spricht für die zweite Vermutung, der Zirkel entstünde erst<br />

durch die Einführung eines »höchsten ordnenden Wesens«. Meines<br />

Erachtens handelt es sich auch da nicht um einen Zirkel, sondern eher um<br />

das, was Bolzano eine überfüllte Vorstellung genannt hat. Kant schreibt<br />

dem höchsten Wesen höchst unüberlegt das Vermögen, zu ordnen, zu: Die<br />

Ordnung ist bislang als eine Folge des göttlichen Handelns, nicht selbst<br />

aber als unmittelbares oder mittelbares Produkt Gottes, und das<br />

Geschehen nicht als unmittelbar oder mittelbar von Gott verursacht zu<br />

denken aufgegeben, als ob die göttliche Natur selbst ein Teil der Reihe der<br />

Naturdeterminationen wäre. Einiges spricht dafür, den Vorwurf des<br />

Zirkels an die Spinozisten zu adressieren. Zwar kein Zirkel, aber der<br />

Umstand, daß die Vorstellung eines »höchsten ordnenden Wesens« weder<br />

aus der Erfahrung noch rational metaphysisch bewiesen werden kann, ist<br />

der Grund der Grundlosigkeit einer solchen Vorstellung. Ein immerhin<br />

konstruierbarer logischer Zirkel gehörte selbst zum transzendenten Schein.<br />

VI. Die Unklarheit in der spekulativen Verbindung von<br />

»vollkommenen Urwesen« und »höchsten Wesen«.<br />

Depotenzierung zum »archetypus intellectus«oder Abweg zu<br />

Spinoza?<br />

Wie zu erwarten, unternimmt Kant den Versuch, der spekulativen<br />

Strebung oder Neigung der Vernunft, die sich schon in verschiedenen<br />

Subreptionen gezeigt hat, gerade im Fall eines »schlechthin vollkommenen<br />

Urwesens« noch einen Sinn abzugewinnen. Die Unterscheidung von<br />

einem »höchsten Wesen« und eine aufschlußreiche Variation des<br />

Wesensbegriffes der Dinge zwischen metaphysischem und empirischem<br />

Ansatz sind Grund genug, noch einen Schritt die Kantsche Argumentation<br />

im Detail zu verfolgen.<br />

»Vollständige zweckmäßige Einheit ist Vollkommenheit (schlechthin<br />

betrachtet).[1] Wenn wir diese nicht in dem Wesen der Dinge, welche den<br />

ganzen Gegenstand der Erfahrung, d. i. aller unserer objektivgültigen<br />

Erkenntnis, ausmachen, mithin in allgemeinen und notwendigen<br />

Naturgesetzen finden; wie wollen wir daraus gerade auf die Idee einer<br />

höchsten und schlechthin notwendigigen Vollkommenheit eines Urwesens<br />

schließen, welches der Ursprung aller Ursache ist? [2] Die größte


— 1341 —<br />

systematische, folglich auch die zweckmäßige Einheit ist die Schule und<br />

selbst die Grundlage der Möglichkeit des größten Gebrauchs der<br />

Menschenvernunft. Die Idee derselben ist also für uns gesetzgebend, und<br />

so ist es sehr natürlich, eine ihr korrespondiernde gesetzgebende Vernunft<br />

(intellectus archetypus) anzunehmen, von der alle systematische Einheit<br />

der Natur, als dem Gegenstande unserer Vernunft abzuleiten sei. [3]«<br />

(B 722 f./A 694 f)<br />

(ad 1) Kant unterscheidet Arten von Vollkommenheiten: gegenüber der<br />

Betrachtung der Idee vom Schlechthinnotwendigen des höchsten Urhebers<br />

ergibt auch die Idee der vollständigen zweckmäßigen Einheit noch<br />

Vollkommenheit, aber eben nur »schlechthin«. Das erste ist dialektisch und<br />

transzendent; das zweite als regulatives Prinzip a priori rechtfertigbar, und<br />

transzendental, weil mittelbar auf empirische Verstandeserkenntnisse<br />

beziehbar.<br />

(ad 2) Das Wesen der Dinge wird zwischen logischem Gegenstand der im<br />

Urteil ausgerichteten Intentionalität und der empirischen Erfahrung in der<br />

Naturwissenschaft ausgemacht, und dann als Bedingung der bloßen<br />

Denkmöglichkeit der selbst als nur spekulativ gekennzeichneten »Idee<br />

einer höchsten und schlechthin notwendigigen Vollkommenheit eines<br />

Urwesens« vorgestellt. Das ist zweifellos eine bedeutende Wende in der<br />

Argumentation: Nicht in reiner, letztlich auch ohne ernsthafte In-Existenz-<br />

Setzung aus bloßen Begriffen transzendenter Immanenz der reinen<br />

Vernunft (bereits als Dialektik des notwendigen transzendentalen Scheins),<br />

auch nicht in reeller Immanenz formalwissenschaftlicher Grundlagen<br />

(Prinzipien der Spezifikation, Mathematik), sondern in reeller und realer<br />

Immanenz der wirklichen Möglichkeit von Naturwissenschaft in der<br />

empirischen Erfahrung (Wissenschaftsfortschritt) liegt nunmehr wieder<br />

die Idee eines vollkommenen Urwesens begründet. Dieses wäre aber nicht<br />

als höchstes Wesen, vermutlich nicht einmal als Teilbegriff eines<br />

möglichen ganzen Begriffes eines solchen, zu denken möglich. Kant<br />

schließt hier offenbar eher an die Überlegung von Descartes an, für den die<br />

Möglichkeit mathematischer Physik ein Beweis für die Gutheit Gottes,<br />

insofern mathematische Physik ein natürlicher Gottesdienst gewesen sein<br />

könnte. Das hätte Kant sachlich gar nicht nötig: Der<br />

Massenerhaltungsgrundsatz im synthetischen Grundsatz der<br />

Substanzkategorie hat, im Grunde schon vor Descartes, begonnen, diese<br />

Spekulation zu ersetzen. Genetisch ist diese Querverbindung aber<br />

zweifellos von Bedeutung.


— 1342 —<br />

(ad 3) Die Idee der systematischen und zweckmäßigen Einheit ist für uns<br />

gesetzgebend; doch nunmehr nimmt Kant nicht ein höchstes Wesen zum<br />

Grund dieser Idee, natürlich auch nicht die bloße Abstraktion aus der<br />

empirischen Erkenntnis, da ohne der Idee von der systematischen Einheit<br />

die Mannigfaltigkeit der weiter spezifierbaren Natur gar nicht<br />

entsprechend zusammengefaßt werden könnte, sondern der Grund für die<br />

Annahme der Idee von der systematischen Einheit der Natur liegt in die<br />

Vernunft, welche als gesetzgebend zum Ursprung der Idee von der<br />

systematischen und zweckmäßigen Einheit gemacht wird. Der »intellectus<br />

archetypus« als subjektive Vernunft tritt an die Stelle des Urwesens oder<br />

des höchsten Wesens.<br />

Kants Schwanken zwischen der angeblichen Notwendigkeit, einen<br />

»einigen weisen und allgewaltigen Welturheber« im transzendentalen<br />

Schein vorzustellen, was als Anerkennung der Strebung der spekulativen<br />

Vernunft von der Notwendigkeit objektiver Gültigkeit der Idee selbst zu<br />

unterscheiden ist, und der Notwendigkeit der Idee der systematischen und<br />

zweckmäßigen Einheit in heuristischer Hinsicht allein auf Grund der<br />

Ordnung (des Wesens) der Dinge und nichts als dessen Wesensausdruck<br />

sonst zu denken, setzt sich erwartungsgemäß fort. Es scheint, als wäre für<br />

Kant die Unterscheidung in Anerkennung der allgemein-subjektiven<br />

Strebung der spekulativen Vernunft zur immanenten Transzendenz und in<br />

Anerkennung der objektiven Gültigkeit von heurististischen Prinzipien<br />

doch nicht klar genug, um hier eine fällige Entscheidung herbeizuführen.<br />

Der »archetypus intellectus«, auf welchen auf Grund der Ideen und des<br />

Strebens nach Transzendenz der Immanenz geschlossen wird, steht im<br />

Begriff, das Urwesen und das höchste Wesen in der Transzendenz zu<br />

versenken und an deren Stelle zu treten. Der »archetypus intellectus« kann<br />

für sich selbst aber nichts als eine erworbene oder in der transzendentalen<br />

Analytik der Dialektik der Vernunft sichtbar zu machende Charakteristik<br />

der intelligiblen Ursächlichkeit der Spontaneität des »Ich denke« sein.<br />

Obgleich immer intelligibel, kann das »Ich denke« in § 16 der<br />

transzendentalen Deduktion, in den Paralogismen im Übergang zu den<br />

kosmologischen Ideen, und im archetypus intellectus das Denken nicht im<br />

gleichen Sinn bestimmt haben, sondern findet in sich das vom im Dasein<br />

gegebene Mannigfaltige verschiedene Bewußtsein zwar vernünftig<br />

bestimmt, aber neben der pathologischen Affiziertheit des Strebens durch<br />

die unteren Begehrungsvermögen noch durch das Streben der<br />

spekulativen Vernunft nach Immanenz in der Transzendenz selbst


— 1343 —<br />

abgelenkt. Kant hält die Kritik an der Verwechslung der Anerkennung<br />

dieser Strebung nach Immanenz und der objektiven Gültigkeit der Idee<br />

offenbar für entscheidend.<br />

Jedoch gibt es ein mögliches, der Überlegung inhärentes Motiv, weshalb<br />

Kant die meines Erachtens schon mögliche Entscheidung noch<br />

hinauszögert. Offensichtlich versucht er die These der Selbstständigkeit<br />

des Intelligiblen als reine intelligible Substanz aus der vierten Antinomie<br />

so lange wie möglich zu verteidtigen, denn nach dem Umsturz, der vom<br />

Urwesen und höchstem Wesen zum archetypus intellectus geführt hat,<br />

kann nur mehr vom Substrat unseres Daseins, das intelligible Ursache und<br />

Naturursache zu vereinbaren hat, ausgegangen werden. Die These einer<br />

selbständigen intelligiblen Ursache und Substanz wäre damit endgültig<br />

gefallen. Das aber ist auch mit Berücksichtigung eines überblicksmäßigen<br />

Rückblickes auf die ontotheologische und theologische Diskussion zu<br />

stark: nur die Trennbarkeit der reinen Intelligibilität von der Wirklichkeit<br />

wird bezweifelt. Kant berücksichtigt durchwegs diese Thematik als<br />

Rahmen, was ein zusätzliches Motiv ist, den strikt durchgeführten<br />

transzendentalen Idealismus des Descartes, trotz manch bereits<br />

Entschiedenes wiederum in Frage zu stellen. Daß uns Kant mit dieser<br />

Umständlichkeit nur eine im Ursprung lauernde Aporie einer jeden<br />

systematisch durchgebildeten Ideenlehre der Vernunft verhehlen wollte,<br />

halte ich für ausgeschlossen. Kant bedient vielmehr unterschwellig die<br />

zeitgenössischen spinozistischen Strömungen im philosophischen<br />

Publikums, wenn er in der Komplementarität des »als ob« der Idee von<br />

der systematischen und zweckmäßigen Einheit der Natur und des »als ob«<br />

des Urwesens und höchsten Wesens keinen Unterschied mehr erkennen<br />

will:<br />

»Allein darf ich nun zweckähnliche Anordnungen als Absichten ansehen,<br />

indem ich sie vom göttlichen Willen, obzwar vermittelst besonderer dazu<br />

in der Welt darauf gestellten Anlagen, ableite? Ja, das könnt ihr auch tun,<br />

aber so, daß es euch gleich viel gelten muß, ob jemand sage, die göttliche<br />

Weisheit hat alles so zu seinen obersten Zwecken geordnet, oder die Idee<br />

der höchsten Weisheit ist ein Regulativ in der Nachforschung der Natur<br />

und ein Prinzip der systematischen und zweckmäßigen Einheit derselben<br />

nach Naturgesetzen, auch selbst da, wo wir jene nicht gewahr werden, d. i.<br />

es muß euch da, wo ihr sie wahrnehmt, völlig einerlei sein, zu sagen: Gott<br />

hat es es weislich so gewollt, oder die Natur hat es also weislich geordnet.«<br />

(B 726 f./A 698 f.)


— 1344 —<br />

Modal ist für die verschiedenen Fassungen der theologischen Idee der<br />

Unterschied zu oberste Prinzipien der Naturbetrachtung nicht<br />

festzustellen, doch bleibt im Rahmen der Reflexion oberster heuristischer<br />

Prinzipien die Frage, woher hat die eine und die andere Erklärung ihre<br />

Gründe? Und vor allem die von mir von Beginn an gestellte Frage:<br />

Weshalb werden die verschiedenen, spekulativ zunächst gleichrangigen<br />

Ausgänge totalisierender Spekulation auf das Syndrom des Urwesens als<br />

ens necessarium gebracht, wenn das regulative Prinzip der systematisch<br />

zusammenhängenden Zweckmäßigkeit bereits als abstraktive Ableitung<br />

aus dem »Wesen der Dinge« feststeht? Schließlich die Frage: Weshalb wird<br />

das Urwesen mit den höchsten Wesen einfach identifiziert? —<br />

Spinozistisch an der Indifferenz der zuletzt gegebenen Kantschen<br />

Darstellung ist die völlige Austauschbarkeit von oberster Naturursache<br />

und höchstem Wesen. Die Notwendigkeit der Gültigkeit der<br />

Vernunftideen, die bei Kant zur Entscheidung ansteht, ist die<br />

Notwendigkeit regulativer Prinzipien überhaupt. Mit Spinoza ist die Frage<br />

zu stellen, können Ideen vollständig aus einer einzig möglichen<br />

Argumentation entwickelt werden. Wenn ja, müßte gemäß der dann<br />

verwendeten formalen Implikation vollständige Determination die Folge<br />

sein. Die Notwendigkeit Spinozas ist die des aus der, zwischen Natur und<br />

Gott indifferente, erste und oberste Substanz entspringene vollkommene<br />

Determinismus; unsere einzige Freiheit bleibt die Betrachtung der<br />

Gesetzmäßigkeit, und unsere einzige Klugheit ist die Einsicht in diese<br />

Gesetzmäßigkeit. Fritz Mauthner beschreibt in seinem Spinoza-Büchlein<br />

Kant als Kenner des Spinoza-Streits um Lessing wie Goethe auch, den<br />

Jacobi und Mendelsohn, zwei mittlere Geistesgrößen, mutwillig<br />

aufgebracht in Szene gesetzt haben, und vermag sowohl die in der von mir<br />

eröffneten Diskussion angesprochene Stellen in Kants Kritiken zu<br />

identifizieren wie auch einige weitere Zitate beizubringen. Allerdings ist<br />

Kants Distanz zu Spinozas Rigorosität in jeder Hinsicht, nicht nur in<br />

denjenigen, anläßlich welcher ich auf den Spinozismus zu sprechen<br />

gekommen bin, unbestritten. Der spinozistische Hintergrund wird bei<br />

Kant, wenngleich im Kontrast, auch in der Diskussion der<br />

transzendentalen Ästhetik sichtbar, und paradoxerweise gerade, wenn ein<br />

Zeitbegriff, der nicht nur im irreversiblen Nacheinander besteht, die<br />

Überlegung von alternativen Möglichkeiten eröffnet, oder die Idee des<br />

Raumes formal auf andere Vorstellungsverhältnisse als die der sinnliche<br />

Anschauung enthaltene Vorstellungen übertragen wird. Raum und Zeit<br />

sind universielle Attribute der einfachen Ursubstanz; unsere


— 1345 —<br />

transzendentalen Anschaungsformen heißen transzendental nur weil wir<br />

vom cartesianischen Punkt der Gewißheit ausgehen, und deren<br />

mannigfaltige Perspektivik ist von den modi der materiellen Attribute<br />

bestimmt, welche die jeweilige Welt determinieren. Diese werden uns<br />

resolutiv, allerdings nur als allgemeine Prinzipien, zu erkennen gegeben.<br />

Diese Form der Evidenz wäre demnach ursprünglich in sich vermittelt zu<br />

denken. Weitere Fragen nach Relationen und deren modale Verhältnisse<br />

im logischen Sinn können aus dieser Spekulation nicht fundiert (das hieße<br />

hier bereits: nicht mit einem aus dem Vorigen angebbaren Grund<br />

erfunden) werden. Die leere Denkmöglichkeit, andere Modi der Materie zu<br />

denken, die andere Grenzen von Raum und Zeit ergeben, liefert eine<br />

allgemeinste Topologie für im ontologischen Sinne uneigentliche<br />

Verwendungen von Zeit- und Raumbegriffe. Daß Kant zumindest den<br />

logischen Raum der intensionalen Einteilung von Begriffen nach<br />

Merkmalen eine gemeinsame Wurzel mit den Einteilungsregeln des<br />

Raumes gemäß den metaphysischen Erörterungen gegeben hat, habe ich<br />

im ersten Abschnitt (Grund und Ganzes) gezeigt. Versuche, Raum und<br />

Zeit spekulativ aus dem Zusammenhang der transzendentalen Ästhetik<br />

herauszudrehen scheitern nur dann unweigerlich, wenn Aussagen über<br />

Konstrukte »es gibt« behaupten, ohne das eine deutliche Unterscheidung<br />

dieser Behauptung von der transzendentalen Behauptung des<br />

Zusammenhanges von Wahrheit und Existenz möglich ist, oder eine solche<br />

nicht erreicht werden konnte.<br />

Abschließend ist zu sagen, daß Kant die weitgehende Depotenzierung der<br />

theologischen Idee nicht verhindern hätte können; im Gegenteil: mit der<br />

für Kant nicht nur modalen Indifferenz zwischen der Idee von der<br />

systematischen und zweckmäßigen Einheit der Natur und der Idee vom<br />

Urwesen und vom höchsten Wesen wird die Depotenzierung<br />

ausdrücklich. Der theologischen Idee als Idee vom Urwesen und höchsten<br />

Wesen bleibt nicht erspart, vollständig als transzendenter Schein der<br />

Immanenz der spekulativen Vernunft kritisiert zu werden. Ob die<br />

angenommene Strebung der subjektiven und spekulativen Vernunft zur<br />

Transzendenz der Immanenz ausreicht, um in einer anderen<br />

Prinzipienlehre des regulativen Gebrauchs der Vernunftideen, die andere<br />

Fragen als die Organisation von empirischen Erkenntnissen zu regeln hat,<br />

als heuristisches Prinzip von Wert zu sein, kann letztlich nur mehr im<br />

Rahmen einer totalisierenden Spekulation entschieden werden, wenn die<br />

Erörterung der fortlaufenden Subreption und Erweiterung der Spekulation


— 1346 —<br />

und abermaliger Subreption usw. bereits auf ein formalontologisches<br />

Tableau gehoben wird. Inwieweit diese Überlegungen jemals die reine<br />

Immanenz der Vernunftspekulation wenigstens punktuell verlassen<br />

könnten, um der eingangs vorgestellten Differenz von logischer<br />

Möglichkeit und der Vorstellung einer als solchen nur unbestimmtabstrakten<br />

Möglichkeit, die weder der Vernunft noch der Erfahrung<br />

»zuwider« ist, die eine oder andere allgemeine Definition zu geben, wird<br />

im Anschluß nochmals zusammengefaßt. Unzweifelhaft hat Kant in<br />

Hinsicht auf die Organisation empirischer Erkenntnis nach dem Prinzip<br />

der systematischen und zweckmäßigen Einheit der Natur die Idee vom<br />

Urwesen und vom höchsten Wesen jeder Notwendigkeit von objektiver<br />

Geltung als heuristisches (regulatives) Prinzip beraubt.<br />

2. Die dreifache Rechtfertigung der architektonischen<br />

Stellung der theologischen Idee<br />

Die reinen logischen Analogien zwischen den Überlegungen zum<br />

logischen Ursprung der Begriffe, dem unklaren, aber deutlichen<br />

Unterschied zwischen logischem und transzendentalem Vergleich, und der<br />

Spekulation zum transzendentalen Mangels der Dinge der Welt gegenüber<br />

Gott zeichnen einen gemeinsamen Grundriß nach, der schon allein die<br />

Antwort gibt, weshalb die Untersuchung der Spekulation der reinen<br />

Vernunft auch die theologische Idee umfassen muß. Dieses<br />

architektonische Argument hat für die Überlegungen zur theologischen<br />

Idee selbst allerdings keinerlei Beweiskraft. Doch aber konnte gezeigt<br />

werden, daß die Überlegungen zur theologischen Idee eine Grenze der<br />

Spekulation erreichen, die sich einerseits noch als letzte Grenze<br />

vernünftigen Spekulierens aufzeigen läßt, indem die Grenze der Einsicht<br />

in der Erkundung des bloß Denkmöglichen der Ontotheologie mit dem<br />

»transzendentalen Mangel« formuliert werden konnte, auch wenn dieser<br />

Ausdruck an historisch näher bezeichenbaren, selbst rein spekulativen<br />

Verhältnissen der Ontotheologie erst gebildet worden ist (eine Verbindung<br />

sowohl von Anselm wie von Cusanus zu den Viktorianern verweist auf<br />

einen gemeinsamen historischen Grund, aus: Kommentar zu Cusanus, Der<br />

höchste Punkt der Theorie, hrsg. und kommentiert von H. G. Senger).<br />

Andererseits ist eben diese Spekulation schon eine, welche die<br />

Grenzüberschreitung vom Inbegriff der Möglichkeit zur Potenzenlehre als<br />

Vermögenslehre bereits hinter sich hat, und bei aller Unbeantwortbarkeit


— 1347 —<br />

der damit hinsichtlich eines einheitlichen oder zusammenfügbaren<br />

Seinsbegriffs aufgeworfenen Fragen eine nachvollziehbare Argumentation<br />

besitzt und schon mit der Aufdeckung der als ursprünglich nur gedachten<br />

Frage nach der Einheitlichkeit des Seins auch eine in dieser Formulierung<br />

relevante logische Frage hinsichtlich der Verbindung von Wahrheit und<br />

Existenz aufwirft. Das spricht für die Annahme, es handle sich hier noch<br />

um rationale Spekulation.<br />

Anhand des Indiz eines zumindest korrekten Verfahrens, das mit der<br />

Analogie zu den logischen Handlungen der Komparation, Reflexion und<br />

Abstraktion auch für die Darstellung des Verhältnisses von logischem und<br />

transzendentalem Vergleich im transzendentalen Ideal gegeben worden<br />

ist, ist gleiches für das Ideal der Vernunft zu erwarten, wenngleich die<br />

Unklarheiten zwischen logischem und transzendentalem Vergleich<br />

weiterhin das Substrat des transzendentalen Ideals unentschieden lassen.<br />

Hier ist der transzendentale Vergleich in der Reflexion auf Totalität, die in<br />

der transzendentalen Reflexion auf die Einheit des Bewußtseins möglich<br />

schien, von Beginn an durch die Frage behindert: Kann der<br />

transzendentale Vergleich vollständig in einen logischen Vergleich<br />

überführt werden? In der Frage nach der Zusammenfügung von reiner<br />

Intelligibilität und Materie, die ich anhand einer Forderung Kantens aus<br />

der transzendentalen Idee und des Obersatzes des Gottesbeweises von<br />

Anselm näher behandelt habe, scheitert diese letzte transzendentale<br />

Reflexion an der nahezu unmöglich scheinenden, aber behaupteten Einheit<br />

von Wesensungleichen und fällt zur Natureinheit zurück. Daß diese<br />

Grenze ontotheologischer Spekulation trotz der Vermehrung offener<br />

Fragen nochmals in der einen oder anderen Hinsicht überschreitbar bleibt,<br />

konnte ich in meiner Darlegung zur Widerlegung des ontologischen<br />

Gottesbeweises kritisch und auch zuletzt in Hinblick auf den Übergang<br />

zur innertrinitarischen Spekulation aufzeigen.<br />

Der Vorwurf gegen die theologischen Idee, diese wäre nur aus<br />

Symmetriegründen oder historischen Gründen in der Architektonik der<br />

reinen Vernunft den Auflösungen der dritten und vierten Antinomien der<br />

kosmologischen Ideen aufgesetzt worden, und deren Abschluß in ein<br />

System regulativer Ideen würde die Vernunft bereits zu einem System von<br />

psychologischer und kosmologischer Idee auslegen können, ohne die<br />

theologische Idee dazu zu benötigen, erfolgt sicherlich nicht ohne<br />

Berechtigung, weil es weitgehend den Anschein hat, als daß es zu einem<br />

systematischen Abschluß der Erörterung der reinen Vernunftbegriffe ohne


— 1348 —<br />

theologische Idee im engeren Sinn kommen könnte. Das einzige, aber<br />

entscheidende Gegenargument: Kant untersucht das Vernunftideal im<br />

Rahmen der theologischen Idee. Die Fragen: Welche Stellung besitzt das<br />

Ideal der reinen Vernunft und das transzendentale Ideal für die<br />

Methodenlehre der Vernunft? Aus welchen Gründen muß die Behandlung<br />

des Ideals in der theologischen Idee erfolgen? Die zweite Frage ist leicht<br />

beantwortet: weil die Spekulation der reinen Vernunft aus Gründen der<br />

konstatierten Neigung zur erfahrungsüberschreitenden Auslegung auf<br />

Totalität eben zur theologischen Idee kommt, kommt sie auch erst im Zuge<br />

dieser Überschreitungen zum Ideal. Wie es sich gezeigt hat, gibt es nicht<br />

nur verschiedene Aufgänge der Spekulation, sondern auch verschiedene<br />

Ausgänge der spekulativen Totalisierung. — Die erste Frage habe ich<br />

versucht, im ersten, dritten und im letzten Abschnitt zu beantworten: Das<br />

Vernunftideal ist die Zielvorstellung der unkritischen Vernunft, bevor die<br />

Untersuchung der transzendentalen Logik als Analytik des<br />

Verstandesgebrauches zu einem systematischen Unternehmen werden<br />

kann. Damit ist aber auch die Stellung der theologischen Idee in<br />

architektonischer Hinsicht ungeachtet ihres rein spekulativen Charakters<br />

unangreifbar geworden.<br />

Die theologische Idee im engeren Sinn erlaubt in kritischer Lesung<br />

insbesondere der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises die<br />

Einnahme des Standpunktes, es handele sich um eine Untersuchung der<br />

Möglichkeit letzter Prinzipien, deren ausschließlich dialektischer Gebrauch<br />

unbestreitbar erscheint. Die Untersuchung der Verhältnisse oberster<br />

Prinzipien als Eigenschaften des philosophischen Gottesbegriffes kommt<br />

an logische und transzendentallogische Grenzen, zumal es sich als nicht<br />

möglich herausstellt, einen Horizont der Gleichursprünglichkeit für die<br />

obersten dialektischen Prinzipien zu situieren. Dieses, wenn auch negative,<br />

Egebnis verweist auf eine mögliche logische Alternative zu<br />

Wechselbegriffen, die nicht auch Teilbegriffe des Selben sind, und erlaubt<br />

eine Charakterisierung einer spezifischen Intentionalität als<br />

Aufmerksamkeit, deren Ausrichtung unvollständig bestimmbar bleibt,<br />

und zwischen Natureinheit und höchstem Wesen oszilliert. Ebenso<br />

unterbestimmt bleibt die Möglichkeit einer erfüllenden Intention. Diese<br />

Charakterisierung einer unvollständigen Prädikatisierung macht aber<br />

weder das spezifische dieser Art von Intentionalität noch die Einzigkeit<br />

deren Ausgerichtetheit aus, sondern beschreibt nur eine formale Art der<br />

Erweiterung als Folge der spekulativen Überschreitungen. Die


— 1349 —<br />

Ausgerichtetheit ist einzig, obwohl mehrere Alternativen möglich sind,<br />

weil sie Ergebnis einer wiederholten Grenzüberschreitung von Totalität ist,<br />

welche zuletzt die Natureinheit aus Zwecken und aus dem allgemeinen<br />

Wesen der Dinge (was Wechselbegriffe als Teilbegriffe sind) bereits invers<br />

in eine Vermögenslehre umgestülpt hat. Die Ablösung der einen<br />

Vorstellung von der anderen erzeugt zuerst das Doppelssystem von reiner<br />

Intelligibilität und der Welt der Dinge, was für uns zum Dreifachsystem<br />

von Natur als Ding der Welt, Natur als Objekt des Urwesens und Welt als<br />

Gegenstand des höchsten Wesens erweitert werden kann, jedoch das<br />

höchste Wesen mit dem Urwesen immer wieder in Verwechslung gerät,<br />

jedenfalls beide miteinander durch Natur und Welt verbunden bleiben.<br />

Die doppelte Natureinheit — einmal aus der Dialektik der Idee der<br />

Zweckmäßigkeit als Seinsprinzip, einmal aus der Dialektik der<br />

allgemeinen Logik als Wesen der Dinge — entsteht schon innerweltlich<br />

aus zwei Perspektiven, in welchen sich jeweils nochmals<br />

Erkenntnisprinzip und Seinsprinzip verschränken. Die Umstülpung des<br />

Inbegriffs der Möglichkeiten zur Vermögenslehre im Zuge der Aufstufung<br />

der Grenzüberschreitungen beginnt diese Verschränkung zu<br />

Vergegenständlichen, sodaß die absolute Position, obgleich nur spekulativ<br />

gedacht, gegenüber der Welt der Dinge darstellbar wird. Das ist eine Folge<br />

der Herausdrehung der transzendentalen Perspektive aus dem<br />

ontologischen Realismus und der Substanzmetaphysik in den<br />

transzendentalen Idealismus und der Subjektmetaphysik, obgleich der<br />

transzendentale Subjektivismus gegenläufig die nämliche Verschiebung<br />

als Herausdrehung der transzendentalen Perspektive aus der<br />

Subjektmetaphysik in die Ontologie begreift. Die weitere Erörterung der<br />

Modallogik bis zur Vorstellung der Existenz als Folge, und deren<br />

Steigerung bis zur unbedingten Bedingung, und von da zur nicht selbst<br />

verursachten Ursache (Spontaneität) läßt sich in beiden Fassungen<br />

vorstellen. Die Unterscheidung ist aber anhand der Erfahrung zu treffen<br />

möglich, was zumindest ein Motiv dafür ist, daß Kant die oberste<br />

materiale Bedingung in die oberste Idee (transzendentales Ideal) verlegt.<br />

Die Kriterien dieser Unterscheidung sind einseitig definitiv und a priori<br />

bestimmbar durch die transzendentale Analytik des Verstandesgebrauches<br />

und die Kritik bzw. Auflösung der Dialektik der reinen Vernunftbegriffe.<br />

Die intensionale Aufstufung der Totalitäten und deren Negationen (die<br />

nicht durchwegs affirmativ sind!) und die Übergänge anhand der Analogie<br />

zum Übergang von Subjekt als ursprünglicher Daseinsbegriff zum Objekt


— 1350 —<br />

(vom transzendentaler Idealismus zur synthetischen Metaphysik und vom<br />

Inbegriff der Möglichkeiten zurück zur Vermögenslehre) verweisen auf die<br />

der Dialektik der idealischen Vernunft eigentümliche Struktur der<br />

spekulativen Reflexion: Verdopplung und Unähnlichmachung. Die<br />

idealistische Beschränktheit totaler Selbstauslegung führt aber zur<br />

Selbstveräußerung, zur Entfremdung und zur verkehrten Vernunft, die<br />

deshalb verkehrt ist, weil sie empirische (psychologische)<br />

Denkmöglichkeit, logische Möglichkeit, Bedingungen der Möglichkeit der<br />

Erfahrung und Seinsmöglichkeiten bloß raphsodisch vermengt und in<br />

Folge der gesetzten Strebung der Vernunft nach Totatlität an der Grenze<br />

der Reflexion sich dissoziativ verdoppelt und anders anordnet. In diesem<br />

Abgrund gründet jenun die Vernunftspekulation, wenn sie sich als<br />

Spekulation nicht als sich selbst, sondern zugleich als das andere setzt.<br />

Aber: Setzt sie sich selbst, setzt sie damit auch anderes. Die Verkehrtheit<br />

des sich selbst als anderes Setzens spiegelt sich im nur analytisch<br />

mitgesetzten anderen ab; wird dies zum Prinzip der Spekulation erhoben,<br />

spiegelt sich die Sich-selbst-als-anderes-Setzung am nur spekulativ<br />

Mitgesetztem ab und wird in objektsprachlicher Perspektive tautologisch,<br />

in metasprachlicher Perspektive stellt sich hingegen der topologische<br />

Stellungswechsel nochmals abstrakt dar. Die Frage ist dann: Unter<br />

welchen Umständen berührt der angesprochene Positionswechsel im<br />

Kontext den fraglichen Inhalt nicht? Sicher ist, daß unter diesen kritischen<br />

Umständen der Positionswechsel den Inhalt sehr wohl berührt (und zwar<br />

auch dann, wenn diese Veränderung nicht gesetzmäßig darstellbar ist),<br />

und eine solche Veränderung die verschieden gewordenen Inhalte auch<br />

aufeinander bezieht. Offen bleibt, ob eine Platzhalterschaft (Topologie)<br />

eines Inhalts, dessen Veränderung allein aus der Struktur der spekulativen<br />

Bewegung des Denkens entstammt, überhaupt etwas außerhalb dieser<br />

Struktur bedeuten kann.<br />

Derart kann die architektonische Stellung der theologische Idee als<br />

mindestens dreifach gerechtfertigt angesehen werden: Historisch-genetisch<br />

als idealische Vernunft, im Ideal der reinen Vernunft als Begriff vom<br />

einzelnen Gegenstand, und das transzendentale Ideal als Ort der<br />

zweifachen Ausstülpung: prototypon transcendentale als transzendentale<br />

Anthropologie oder als Ontotheologie.<br />

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