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Lehren und Lernen im Zeitalter des Internet

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omnikompetente Wissensverwalterinnen <strong>und</strong> Wissensverwalter <strong>im</strong> Mittelpunkt. Die<br />

Begrenztheit <strong>und</strong> die kurze Halbwertzeit <strong>des</strong> individuellen Wissensbestands der<br />

Dozierenden wird den Studierenden durch das kollektive Wissensnetzwerk <strong>des</strong> <strong>Internet</strong><br />

unmittelbar deutlich gemacht. Die traditionelle Legit<strong>im</strong>ation der Lehrerautorität <strong>und</strong> die<br />

klassische Struktur <strong>des</strong> Frontalunterrichts werden dadurch ein Stück weit in Frage gestellt.<br />

Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer erscheinen nicht länger als souveräne Verwalterinnen <strong>und</strong><br />

Verwalter eines hierarchisch organisierten Wissensgefüges, das in einer uni-linearen<br />

Lehrsituation zu vermitteln wäre. Statt <strong>des</strong>sen kommen ihnen angesichts <strong>des</strong> <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />

manifest werdenden Information Overload auch <strong>im</strong> Face-to-face-Unterricht neue<br />

kommunikationspragmatische Moderations- <strong>und</strong> Navigationsaufgaben zu.<br />

Auch die Vorstellung von einem hierarchisch strukturierten Gefüge <strong>des</strong> Wissens – <strong>und</strong><br />

damit die vierte Basisannahme der traditionellen Lehr- <strong>und</strong> Lernkultur – wird durch das<br />

<strong>Internet</strong> in Frage gestellt. An ihre Stelle tritt die Erfahrung eines hypertextuell vernetzten,<br />

interaktiv evolvierenden <strong>und</strong> potentiell unendlichen Verweisungszusammenhangs von<br />

graphischen, piktorialen <strong>und</strong> akustischen Zeichen. Im Netz ist keine intrinsische Ordnung<br />

oder <strong>im</strong>manente Systematik auszumachen, welche die zugänglichen Datenmengen zu<br />

einem umfassenden bibliothekarischen Wissenskosmos vereinen würde, wie er die<br />

Vorstellungswelt <strong>des</strong> Gutenberg-<strong>Zeitalter</strong>s geprägt hat. Statt <strong>des</strong>sen werden die<br />

Anforderungen an Nutzerinnen <strong>und</strong> Nutzer <strong>im</strong>mer höher, auf der Gr<strong>und</strong>lage reflektierender<br />

Urteilskraft <strong>und</strong> unter Verwendung der entsprechenden Net Tools (Bookmarks,<br />

Suchmaschinen, Intelligent Agents etc.) selbst Ordnung ins Datenchaos zu bringen.<br />

Wissen wandelt sich von einem vermeintlich objektiv vorgegebenen Bestand von<br />

instrinsisch geordneten Fakten zu einem in permanenter Veränderung begriffenen Werk<br />

intersubjektiv vermittelter Urteilskraft. Dabei erweist es sich als ein prozeßhaftes<br />

Geschehen, das ständiger Revision offensteht <strong>und</strong> in <strong>des</strong>sen Vollzug die Fähigkeiten zur<br />

assoziativen Vernetzung, eigenständigen Bewertung <strong>und</strong> pragmatischen Rückbindung auf<br />

individuelle <strong>und</strong> kollektive Interessenzusammenhänge <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong> stehen. 3<br />

3 Vgl. hierzu das bereits zitierte Kapitel General Stumm dringt in die Staatsbibliothek ein <strong>und</strong> sammelt<br />

Erfahrungen über Bibliothekare, Bibliotheksdiener <strong>und</strong> geistige Ordnung in Musils Roman Der Mann ohne<br />

Eigenschaften (Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, a.a.O., S. 459-465). General Stumm sucht in der<br />

Staatsbibliothek nach einer Ordnung „wie von Eisenbahnfahrplänen, die es gestatten müssen, zwischen<br />

den Gedanken jede beliebige Verbindung <strong>und</strong> jeden Anschluß herzustellen“ (Musil, Der Mann ohne<br />

Eigenschaften, a.a.O., S. 461). Doch diese Form einer pragmatischen Wissensorganisation findet er nicht<br />

be<strong>im</strong> Bibliothekar, sondern nur be<strong>im</strong> Bibliotheksdiener, der auf die individuellen Interessen <strong>und</strong><br />

Beziehungen <strong>des</strong> Generals eingeht. Der Bibliothekar hingegen repräsentiert eine abstrakte (nicht-<br />

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