Creatures - Monika Schultes
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06 07<br />
<strong>Creatures</strong> – ein Pandämonium<br />
von Hans Albrecht Hartmann<br />
<strong>Creatures</strong> (krietschers gesprochen) – so hat<br />
<strong>Monika</strong> <strong>Schultes</strong> die beiden Ausstellungen<br />
betitelt, die der Katalog dokumentiert. Weshalb<br />
nicht wenigstens Kreaturen oder am besten<br />
gleich – auf gut deutsch und in Gottes Namen<br />
– Geschöpfe? Weil das quietschende krietschers<br />
als fremdes Vokabel in deutschen<br />
Ohren nicht ganz so ‘hehr’, sondern eher ironisch-spielerisch<br />
klingt – schon gar, wenn man<br />
an die »Rocky Horror Picture Show« denkt,<br />
jene Musical-Parodie auf die Frankenstein-<br />
Filme.<br />
Kreatur – von lateinisch creare (er/schaffen,<br />
zeugen, gebären) – meint vorab ein Lebewesen<br />
in seinem Verhältnis zu Gott als dem<br />
Deus creator. Das – häufig mitgedachte –<br />
Adjektiv leidend (oder gar: stumm als tierisches<br />
Attribut) verleiht dem Begriff Kreatur<br />
einen pejorativen und zugleich pathetischemotionalen<br />
Akzent; als Bezeichnung für das<br />
willenlose Werkzeug eines despotischen<br />
Schurken erhält er eine verächtliche, angstbesetzte,<br />
also gänzlich negative Bedeutung.<br />
<strong>Monika</strong> <strong>Schultes</strong> – durchaus ambivalent zwischen<br />
Schauder und Faszination – siedelt die<br />
creatures in den Zwischenbereichen des Tier-<br />
Mensch-Übergangs und des Mythos an.<br />
Anthropomorph-animalische Zwitterwesen (wie<br />
Gorgonen, Sphingen, Kentauren) und ‘dämonische’,<br />
‘heilige’ oder – aus einem Gott oder<br />
Menschen – ‘verwandelte’ Tiere beschäftigen<br />
seit jeher die menschliche Phantasie: angefan-<br />
gen bei Totemtieren über – zumeist bedrohliche<br />
– mythische Fabelwesen und Tier(köpfige)-<br />
Gottheiten, Sagen- und Märchenfiguren (»La<br />
belle et la bête«) bis hin zu Franz Kafkas<br />
»Verwandlung«. Und seit jeher wurden ‘Drachentöter’<br />
zu Heroen und Helden: Kadmos<br />
besiegte die kastalische Schlange, Perseus die<br />
Gorgone Medusa, Theseus (mit Hilfe der<br />
Ariadne) den Minotauros, Oidipous die Sphinx,<br />
Herakles gleich ein halbes Dutzend von<br />
Ungeheuern, Sankt Georg und Siegfried den<br />
Drachen.<br />
Umgekehrt wird auch der Mensch – einem<br />
theologischen Aperçu Blaise Pascals zufolge<br />
ni ange, ni bête, weder Engel noch Tier, doch<br />
am Wesen beider teilhaftig, an Himmel und<br />
Hölle, an Gut und Böse – in seinen ‘dunklen’<br />
Aspekten, vor allem in seiner ‘gefährlichen’<br />
aggressiv-erotischen Triebnatur, manichäischschlicht<br />
und gut christlich als ‘Bestie’ apostrophiert<br />
(»La bête humaine«): sowohl ‘lüsternmännermordende’<br />
Frauen wie Lilith, Judith<br />
und Salome bis hin zur modernen »femme<br />
fatale« – als auch triebhafte ‘Ladykillers’, vom<br />
Drachen über den »Ritter Blaubart« bis zum<br />
dobermann-, stier- oder leopardenköpfigen<br />
Schürzenjäger der »Grand Marnier«-Werbung<br />
in den frühen 90er Jahren (von ‘Unholden’<br />
ganz zu schweigen). Dabei sind spiegelbildlich<br />
alternative Lösungen denkbar: die dämonische<br />
Frau / der diabolische Mann zerstört das<br />
Objekt der Begierde – oder ‘die schöne<br />
Un-schuld’/‘der treue Geselle’ erlöst es durch<br />
hingebungsvolle Liebe aus seiner ‘tierischen’<br />
Existenz.<br />
Solche Urphantasien, Wünsche und Ängste,<br />
hat <strong>Monika</strong> <strong>Schultes</strong> schon häufig gestaltet –<br />
und hier nun thematisch ganz explizit: Neben<br />
Theseus und Salome treten namenlose creatures<br />
und fratzenhafte Kobolde auf – aber auch<br />
witzige persönliche Reminiszenzen sind eingeschmuggelt.<br />
So hat die Kleinmädchen-angst<br />
vor dem einst ‘wörtlich’ genommenen<br />
»Ohrwurm« dessen Phantasiegestalt Übergröße<br />
verliehen – und auch die nichtexistierende<br />
»Bleilaus«, mit der die Drucker sie einst<br />
während eines Praktikums foppten, setzte die<br />
Künstlerin ins Bild und ins Buch.<br />
Bleibt der visuelle ‘Refrain’ dieses Katalogs.<br />
Über Franz Kafkas Wunsch, den »zu einem<br />
un-geheuren Ungeziefer verwandelt(en)«<br />
Gregor Samsa bildnerisch nicht darzustellen,<br />
hat sich <strong>Monika</strong> <strong>Schultes</strong> in einer Serie von<br />
Z e i c h -<br />
nungen ebenso souverän hinweggesetzt wie<br />
einst Max Brod über die Anweisung seines<br />
Freundes, dessen unpublizierten Nachlaß dem<br />
Orkus zu übergeben.<br />
Vom Besonderen zum Allgemeinen: <strong>Monika</strong><br />
<strong>Schultes</strong>, die überwiegend mit Acrylfarben<br />
arbeitet, teilweise auch mit Öl- und Aquarellfarben,<br />
Ölkreiden, Tuschen und anhand der<br />
Collage-Technik, hat eine Vielzahl von Zeichnungen<br />
und Gemälden geschaffen: von der<br />
Miniatur über mittlere Formate bis hin zu<br />
großformatigen Bildern. Stilistisch ist ihr Werk<br />
vorab auf drei Dimensionen einzuordnen:<br />
• Der figurativen Malerei: Im Laufe des 20.<br />
Jahrhunderts schon häufig totgesagt – hat die<br />
sich immer wieder ‘erholt’ und sogar neue<br />
Triumphe gefeiert. Kein Wunder – sind doch<br />
Gesicht und Gestalt primäre, angeborene<br />
biopsychologische Umweltsignale für den<br />
Menschen, denen seine nie ermüdende Aufmerksamkeit<br />
gilt;<br />
• der gestischen Malerei: Gegenüber allen<br />
anderen Mal- und Zeichentechniken dominiert<br />
in <strong>Monika</strong> <strong>Schultes</strong>’ Arbeiten der ausholende,<br />
spontane, dynamische, energische, zuweilen<br />
fast ‘gewalttätige’ Gestus – bald ‘flächendekkend’,<br />
bald linear;<br />
• der Ästhetik des Art Brut – wörtlich übersetzt:<br />
rohe Kunst – ein Begriff, den Jean Dubuffet<br />
(1901-1985) geprägt hat, in erklärtem und<br />
programmatischem Gegensatz zum Art<br />
Culturel, also gleichsam zur ‘hochkulturellen’,<br />
‘feinen’, sensibel-differenzierten, man könnte<br />
auch sagen: zur ‘hehren’ allgemein akzeptierten,<br />
‘akademischen’ oder auch zur konventionellen,<br />
modischen oder gar mainstream-<br />
Kunst.<br />
Der Begriff Art Brut hat einen ‘großen Magen’<br />
und vereinnahmt ein weites Spektrum bildnerischer<br />
Ausdrucksphänomene:<br />
• Die Bildnereien naturwüchsiger Völker, die<br />
im Zuge des Kolonialismus entdeckt, als<br />
Trophäen importiert und schon zu Beginn des<br />
Jahrhunderts von keinem Geringeren als<br />
Picasso als unverbrauchte autochthone<br />
Ge-staltungsmuster gewürdigt, propagiert und<br />
für die eigene Arbeit adaptiert worden sind<br />
(z.B. Les Desmoiselles d’Avignon);<br />
• die Kinderzeichnung, die im »Jahrhundert<br />
des Kindes« wiederum von keinem Geringeren<br />
als Paul Klee schon vor dem ersten<br />
Weltkrieg in ihrer Ausdruckskraft gewürdigt und<br />
für die eigene Arbeit assimiliert worden ist;<br />
• die »Bildnerei der Geisteskranken«, die zu<br />
Beginn der 20er Jahre, vor allem durch das