Erbil – Hauptstadt des irakischen Kurdistan - Dr. Kadhim Habib
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Erbil – Hauptstadt des irakischen Kurdistan - Dr. Kadhim Habib
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Eine arabische Konferenz für Solidarität mit den Kurden im Nahen Osten<br />
Es ist der letzte Tag unseres Aufenthaltes in <strong>Erbil</strong>, im <strong>irakischen</strong> <strong>Kurdistan</strong>.<br />
Vom Fenster <strong>des</strong> neu erbauten 5-Sterne-Hotels „Diwan“ blicke ich aus der 15.<br />
Etage auf ein neues Wohngebiet, <strong>des</strong>sen Häuser zum Teil fertiggestellt sind.<br />
Gegenüber dem Hotel befindet sich das neu erbaute Kongresszentrum, in dem<br />
die Konferenz stattfand.<br />
Ich beobachte aus dieser Höhe den Verkehr auf den neu erbauten, breiten<br />
Straßen. Im Vergleich zum Stadtzentrum, wo die vielen Autos nur im Schritt-<br />
Tempo fahren können, verläuft er hier noch gemäßigt. Geräuschlos fließt er<br />
vorbei. Nur ein leises Rauschen der air-conditioning ist im Zimmer zu hören,<br />
denn draußen herrschen sommerliche Temperaturen. Mein Blick fällt auf einen<br />
groß angelegten Park <strong>–</strong> die grüne Lunge <strong>Erbil</strong>s. Die Stadt selbst, mit ihren<br />
sandfarbenen Häusern, wirkt dagegen. Flach ist die Gegend um <strong>Erbil</strong>, nur in der<br />
Ferne sind die Berge <strong>Kurdistan</strong>s zu sehen.<br />
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Seit kurzer Zeit breitet sich die Stadt in alle Richtungen aus. Komplexe von<br />
Hochhäusern, moderne große Hotels, Einkaufszentren, sogenannte Malls sowie<br />
Wohnsiedlungen, wie „the german village“ und andere, sprießen wie Pilze aus<br />
der Erde.<br />
Vor Jahrzehnten bestellten hier die Bauern noch ihre Felder, heute liegen sie<br />
brach und werden als Bauland genutzt.<br />
Die Ursache für den Rückgang der Landwirtschaft war die Vertreibung der<br />
kurdischen Bauern durch das ehemalige Saddam-Regime in südliche Gebiete<br />
Iraks, und die seit 1991 steigenden Importe von landwirtschaftlichen Produkten<br />
aus den Nachbarstaaten Türkei, Syrien und Iran. Demzufolge wanderte ein<br />
großer Teil der jüngeren Bauern in die Städte ab und zurückblieben die älteren<br />
Leute.<br />
Heute ist die Sicht auf die Stadt und ihre Umgebung gut. In der Nacht hatte es<br />
geregnet und den Wüstenstaub zum Erliegen gebracht. Seit Tagen trug der<br />
warme Wind den Staub mit sich und erreichte sogar die Städte und Berge<br />
<strong>Kurdistan</strong>s. Einst hielten dichte Baumbestände den Wüstensand in Grenzen,<br />
jedoch durch das Abholzen während der Saddam-Zeit, konnte der Wind den<br />
Sand ungehindert bis in die Berge treiben.<br />
In <strong>Erbil</strong> fand eine zweitätige Konferenz statt, zu der 120 Personen geladen<br />
waren. Es waren größtenteils Iraker, vorwiegend aus europäischen Ländern,<br />
Araber aus dem Irak, Jordanien, Libanon, Syrien, Palästina, Ägypten, Marokko<br />
sowie aus USA, Kanada und Australien.<br />
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Die Konferenz hatte zum Ziel, eine bessere Verständigung und Zusammenarbeit<br />
zwischen Kurden und Arabern im Irak zu schaffen. Ein Hauptanliegen der<br />
Teilnehmer war, sich solidarisch mit den Kurden im türkischen und iranischen<br />
<strong>Kurdistan</strong> sowie mit den Kurden in Syrien, die für ihre nationalen Rechte und<br />
Anerkennung noch kämpfen, zu erklären. Es war die erste Konferenz, die in<br />
dieser Zusammensetzung stattfand. Ich war nur Gast und habe meinen Mann<br />
während dieser Reise begleitet.<br />
Festlich war der Konferenzsaal mit Blumengebinde geschmückt und die Presse<br />
und das Fernsehen standen in ihren Startlöchern, denn der Präsident <strong>des</strong><br />
<strong>irakischen</strong> <strong>Kurdistan</strong>s, Masud Barasani, und andere Persönlichkeiten der<br />
Regierung wurden erwartet. Ich saß ziemlich weit vorn und beobachtete die<br />
hektischen Vorbereitungen bis zum Eintreffen <strong>des</strong> Präsidenten.<br />
Eröffnet wurde die Konferenz von meinem Mann. Danach erhielt der Präsident,<br />
M. Barasani, das Wort. In seiner Rede begrüßte er die Teilnehmer der<br />
Konferenz recht herzlich und analysierte die jetzige politische Lage im Irak, die<br />
sich in letzter Zeit verschlechtert und zugespitzt hat. Seine Bitte war, die<br />
Teilnehmer mögen sich kritisch über den Aufbauprozess in <strong>Kurdistan</strong> äußern.<br />
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Kulturell ging es mit Gedichten und einer kurdischen Folklore-Tanzgruppe<br />
weiter. Anschließend folgten mehrere Vorträge über die Beziehungen der<br />
Kurden zu den Arabern in Irak und Syrien sowie zwischen den Kurden und der<br />
türkischen und iranischen Bevölkerung.<br />
Der zweite Konferenztag begann mit der Diskussion über das Statut <strong>des</strong> Vereins.<br />
Interessant waren die vielen unterschiedlichen Meinungen, die die Teilnehmer<br />
lebhaft äußerten. Letztendlich wurde die Diskussion verschoben und eine<br />
Kommission gegründet, die das Statut neu überarbeiten sollte.<br />
Die Wahl zum Vorstand wurde dann eröffnet. Geheim wurde gewählt und<br />
danach erfolgte die öffentliche Stimmauszählung. Unter den vielen Kandidaten,<br />
die sich für das Amt <strong>des</strong> Vorstan<strong>des</strong> beworben haben, erhielt mein Mann die<br />
meisten Stimmen und wurde zum Vorsitzenden <strong>des</strong> Vorstan<strong>des</strong> gewählt.<br />
Abends war ein Abschiedsessen in einem großen Restaurant vorgesehen. Mit<br />
Bussen fuhren wir nach Ain Kauwe, eine christliche Kleinstadt, die an <strong>Erbil</strong><br />
grenzt. Während wir das Aben<strong>des</strong>sen einnahmen, sorgten eine kurdische<br />
Kapelle und eine Folklore-Tanzgruppe für gute Stimmung. Und mehrere<br />
Teilnehmer der Konferenz tanzten dann den kurdischen …<br />
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Eine besondere Überraschung an diesem Abend war der Auftritt von zwei sehr<br />
bekannten älteren Sängern, Sadun Jaber und Jaffar Hasan, die bei den Exil-<br />
Irakern und Auswanderern eine besondere Freude ausgelösten.<br />
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Die Konferenz war mit Erfolg zu Ende gegangen. Die kurdischen Gastgeber<br />
wollten den Teilnehmern noch die Schönheit ihres Lan<strong>des</strong> zeigen und planten<br />
für den nächsten Tag eine Busfahrt in die kurdischen Berge.<br />
Von <strong>Erbil</strong> ging es in Richtung Salahaldin. Hier waren die Berge in dieser<br />
Jahreszeit noch von einem zarten Grün umgeben. Wir drangen tiefer in die<br />
Bergwelt <strong>des</strong> Zagros-Gebirges ein, <strong>des</strong>sen höchster Berg der „Ararat“ ist und<br />
eine Höhe von 5.000 Meter erreicht. Von einem guten Aussichtspunkt blickten<br />
wir hinab in die Tiefe, wo sich ein Gebirgsfluss zwischen den Schluchten<br />
schlängelt. Begeistert waren wir von der noch unberührten Schönheit der Natur.<br />
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Langsam ging es bergauf, einer Serpentinenstraße entlang, und wir erreichten<br />
ein Plateau, Rawanduz, genannt. Hier entstand vor einigen Jahren ein<br />
Erholungsgebiet mit vielen eingerichteten Häusern. In dem Restaurant nahmen<br />
wir unser Mittagessen ein und genossen von der Veranda aus die wunderschöne<br />
Aussicht auf die Berge <strong>Kurdistan</strong>s.<br />
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Anschließend fuhren wir zu dem bekannten Wasserfall "Bichal", wo das<br />
Schmelzwasser der Berge sich sammelt und in voller Kraft in die Tiefe stürzt.<br />
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Schade, dass sich so viele Händler unmittelbar am Wasserfall angesiedelt haben<br />
und die Sicht auf das sensationelle Naturschauspiel verschandeln.<br />
Der Tag ging zu Ende und mit vielen schönen Eindrücken kehrten wir in unser<br />
Hotel zurück.<br />
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Im Laufe der nächsten Tage flogen die Teilnehmer der Konferenz zurück. Wir<br />
blieben noch einige Tage in <strong>Erbil</strong>, denn es folgten für meinen Mann noch<br />
Gespräche mit Presse und Fernsehen sowie Vorträge über die stattgefundene<br />
Konferenz in den Städten Dohuk und Sulaimaniya.<br />
Gleich am nächsten Tag fuhren wir mit dem Auto nach Dohuk, die im<br />
Nordöstlichen Teil <strong>Kurdistan</strong>s liegt. Nach 3-stündiger Fahrt erreichten wir die<br />
im Tal liegende Stadt, die bekannt für den Weinanbau ist. Herzlich empfangen<br />
wurden wir von Frau Schaban, die Parlamentarierin, und ihrem Gatten.<br />
Am späten Nachmittag fand in der Universität der Vortrag statt, an dem<br />
vorwiegend Studenten teilnahmen, die sich für die neue Entwicklung<br />
interessierten.<br />
Danach besichtigten wir gemeinsam mit dem Maler und Bildhauer, Herrn Shino,<br />
sein großes Bauwerk aus Bronze, das er binnen fünf Jahren geschaffen hat. Im<br />
Stadtpark steht das große Denkmal, das den Kampf <strong>des</strong> kurdischen Volkes für<br />
seine Freiheit darstellt. Sehr beeindruckt hat mich die Arbeit <strong>des</strong> Künstlers in<br />
dieser Größenordnung.<br />
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Am nächsten Tag fanden noch Gespräche mit Persönlichkeiten von Dohuk statt,<br />
und danach traten wir die Rückfahrt nach <strong>Erbil</strong> an.<br />
Es war ein wenig stressig, denn schon am nächsten Morgen fuhren wir mit dem<br />
Auto nach Sulaimaniya. Es war eine andere Reiseroute, denn sie führte uns<br />
durch die Berge. Nach 3-stündiger Fahrt erreichten wir Sulaimaniya. Sie ist eine<br />
schöne Stadt, die ich vorher, wie auch <strong>Erbil</strong> und Dohuk, besucht und in einer<br />
Reportage beschrieben hatte.<br />
Wir hatten bis zu Beginn <strong>des</strong> Vortrages noch ein wenig Zeit, und so spazierten<br />
wir die sehr belebte Geschäftsstraße entlang und tranken in einem<br />
volkstümlichen Café einen arabischen Mokka. Am Abend fand im Palasthotel<br />
die Veranstaltung statt. Der Konferenzraum hatte sich mit Presseleuten und<br />
vielen Interessenten gefüllt. Nach dem Vortrag fanden hier, wie auch in Dohuk,<br />
interessante Diskussionen über die Konferenz statt.<br />
Am folgenden Tag trafen wir noch mit einigen Persönlichkeiten dieser Stadt<br />
zusammen, dann fuhren wir wieder zurück.<br />
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Wie ich während der Fahrten beobachten konnte, hatte der Bauboom auch in<br />
Dohuk und Sulaimaniya eingesetzt. Abseits der jeweiligen Städte entstanden<br />
neue Wohnungen (Plattenbaukomplexe), die auf ehemaligem Ackerland gebaut<br />
wurden.<br />
Am Vortag unserer Abreise nach Berlin besuchten wir mit marokkanischen<br />
Konferenzteilnehmern die Kleinstadt Halabjah. Sie ist eine kurdische Kleinstadt<br />
und liegt im Norden Iraks. International bekannt wurde dieses Städtchen durch<br />
die verheerenden Opfer von Senfgas-Bomben im März 1988.<br />
Saddam versuchte einen Vernichtungskrieg gegen die Kurden zu führen. Die<br />
Zwangsumsiedlung in südliche Gebiete Iraks, die vielen Hinrichtungen und das<br />
Auslöschen einer ganzen Stadt.<br />
Zuerst erfolgte die, die vielen und dann<br />
Zum Gedenken der cirka 5000 Giftgasopfer und der vielen<br />
Verletzten wurde hier eine Gedenkstätte eingeweiht, die an die Gräueltaten<br />
Saddams erinnert. Im Museum zeugen unzählige Fotografien von Kinder,<br />
Frauen und Männer, wie sie auf offener Straße von dem Giftgasanschlag<br />
überrascht wurden. Es sind grauenvolle Bilder, die um die Welt gingen.<br />
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Mich erinnert diese Art der Vernichtung der Menschheit an die<br />
Konzentrationslager der Faschisten in Deutschland.<br />
Mit den Jahren wurde die Stadt Halabjah wieder aufgebaut und ein neues Leben<br />
zog ein. Wir überzeugten uns von dem Neuaufbau, in dem wir mit dem Auto<br />
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durch das Städtchen fuhren. Auf der Rückfahrt kreisten meine Gedanken um das<br />
schreckliche Verbrechen, das an den vielen unschuldigen Menschen begangen<br />
wurde.<br />
Ich glaube, ich kann im Namen aller Konferenzteilnehmer sprechen und unseren<br />
kurdischen Freunden ein herzliches Dankschön für die Gastfreundschaft und<br />
Organisation dieses Treffens sagen.<br />
Irmtraud <strong>Habib</strong><br />
Juli, 2012<br />
Foto: K. <strong>Habib</strong><br />
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