:> krass 02.2008 - Grüne Jugend NRW
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:> <strong>krass</strong><br />
Magazin der <strong>Grüne</strong>n <strong>Jugend</strong> <strong>NRW</strong> <strong>02.2008</strong><br />
FREIHEIT?<br />
aber<br />
sicher!
magazin der grünen jugend nrw<br />
02/03<br />
i m p r e s s u m<br />
Inhalt THEMA! die :> <strong>krass</strong> ist das offizielle magazin der<br />
grünen jugend nrw und erscheint vier mal<br />
Freiheit? - aber sicher!<br />
im jahr.<br />
editorial<br />
annas termine<br />
leserInnenbriefe<br />
intern bei GRÜNS<br />
friedenspolitische<br />
kommission<br />
bericht aus brüssel<br />
erklärigelin: basisrat<br />
kultur &<br />
gesellschaft<br />
obstbäume statt braunkohle<br />
kinokritik "persepolis"<br />
kochecke: amokh<br />
hintergründe afghanistan<br />
interview kurdenkonflikt<br />
grundrechte für<br />
menschenaffen<br />
freiheit stirbt mit sicherheit?<br />
eine entscheidung für's leben<br />
achtung: videoüberwachung<br />
meine daten sind frei<br />
sexarbeiterIn oder<br />
zwangsprostituierteR?<br />
ProContra olympiade in<br />
china<br />
big brother is watching you<br />
Freiheit sichern - die<br />
kampagne<br />
redaktion :> <strong>krass</strong><br />
c/o grüne jugend nrw<br />
jahnstraße 52<br />
40215 düsseldorf<br />
tel.: 0211-9944611<br />
www.gj-nrw.de<br />
<strong>krass</strong>@gruene-jugend-nrw.de<br />
mona meurer, hendryk schäfer<br />
anna brameyer, bianca drepper, lea gathen,<br />
mona meurer, franziska richter, hendryk<br />
schäfer (layout)<br />
henrik gebauer, lara haasper, daniel ramöller,<br />
marie brammer, matthi bolte, verena<br />
schäffer, dogma pillenknick<br />
TIAMAT Druck, 2400 exemplare<br />
die artikel spiegeln nicht die meinung der<br />
redaktion oder der grünen jugend nrw wider,<br />
einzig die der autoren.<br />
die :> <strong>krass</strong> steht unter einer creative-commons-lizenz<br />
(BY-NC-SA-2.0-de), alle<br />
texte sind unter nennung der namen und in<br />
unkommerziellem rahmen sowie unter verwendung<br />
derselben lizenz frei abdruckbar.<br />
für unaufgefordert eingesandte beiträge<br />
sind wir dankbar, übernehmen aber keinerlei<br />
verantwortung.<br />
die redaktion behält sich vor, eingesandte<br />
beiträge zu kürzen. mit einsendung eines<br />
beitrags erklären sich die autoren damit<br />
einverstanden, dass der beitrag unter o.g.<br />
creative-commons-lizenz veröffentlicht<br />
wird.<br />
boing@PHOTOCASE.de
Liebe LeserInnen,<br />
d ie :> <strong>krass</strong> traut sich noch was. Wir denken – und drucken – quer.<br />
Da mag man sich zwar fragen: was soll denn das? Oder: und was<br />
wollt ihr später damit machen? Doch das lässt sich zum Glück alles<br />
beantworten.<br />
D iese<br />
Ausgabe ist eben auf das THEMA! abgestimmt, so könnte<br />
man es kurz fassen. Doch um der Ausführlichkeit Willen, soll es<br />
auch etwas länger sein.<br />
Datenschutz ist momentan in aller Munde. Für die etwas Jüngeren<br />
unter uns begann der Spuk mit den Otto-Katalogen des damaligen<br />
Innenministers Schily, der schon gekaperte Flugzeuge abschießen<br />
lassen wollte und unter seinem Nachfolger Schäuble wurde der Staat<br />
dermaßen paranoid, dass er nun nicht einmal seinen eigenen Bürgern<br />
trauen will. Und dabei ist die Vorratsdatenspeicherung nur ein<br />
Schlagwort aus einer ganzen Palette an Maßnahmen, die in den letzten<br />
Jahren durchgesetzt wurden mit der Begründung, es sei für den Kampf<br />
gegen den (primär islamistischen) Terror notwendig, die Freiheit des<br />
einzelnen zugunsten der Sicherheit der Gesellschaft einzuschränken.<br />
Dass diese Sicherheit in der Regel nur eine gefühlter und kein<br />
tatsächlicher Sicherheitsgewinn ist, sei nur am Rande erwähnt –<br />
Fingerabdrücke lassen sich fälschen, Kameras können Verbrechen nicht<br />
verhindern sondern nur bei der Aufklärung helfen.<br />
Dass Freiheit und Sicherheit aber nicht nur den Datenschutz<br />
betreffen, zeigen die Artikel dieser :> <strong>krass</strong>. Das ProContra etwa, das<br />
sich – fast schon unverhofft ganz aktuell in Anbetracht der Situation in<br />
Tibet – mit den Olympischen Spielen beschäftigt.<br />
Auch ein Artikel zur Todesstrafe darf beim THEMA!<br />
Bürgerrechte natürlich nicht fehlen. Außerdem<br />
beschäftigen sich unsere Autorinnen mit den<br />
Rechten der Prostituierten und der kontroversen<br />
Debatte, welche Rechte eigentlich Menschenaffen<br />
zustehen sollten.<br />
www.gruene-jugend-nrw.de intern<br />
<strong>02.2008</strong><br />
A ber<br />
auch darüber hinaus haben wir wieder<br />
einiges für euch zu bieten: einen Leserbrief<br />
(gerne mehr davon!), zwei lange Interviews und<br />
außerdem Einblicke in grüne Arbeit an vielen Orten: im Basisrat, in der<br />
Friedenspolitischen Kommission der <strong>Grüne</strong>n <strong>Jugend</strong> und im Parlament<br />
der Europäischen Union.<br />
A n<br />
der Stelle sei auch einmal Platz für einen über den Äther<br />
gehenden dank an unsere Druckerei TIAMAT Druck. Was tut sie<br />
nicht alles, um aus einer aus Freien Programmen erzeugten (und nicht<br />
unbedingt qualitativ mit dem Marktführer der Layoutprogramme sich<br />
messen könnenden) pdf-Datei eine halbwegs vernünftige Ausgabe zu<br />
zaubern, das ist echt eine stolze Leistung – und definitiv mindestens<br />
genauso viel wert wie jede Tasse Kaffee, die Layouter Hendryk den<br />
Schlaf ersetzen muss.<br />
Doch genug aus der Redaktion für dieses Mal.<br />
Bleibt kritisch und stachelig,<br />
eure Redaktion<br />
Anna, Bianca, Franziska, Lea, Mona und Hendryk
magazin der grünen jugend nrw<br />
Annas Termine<br />
23.05.-25.05.<br />
Bonn<br />
BuKo der GRÜNEN JUGEND<br />
Thema: „Wem gehört die Welt?“<br />
21.06.<br />
Oberhausen<br />
Basisrat<br />
Thema: wird kurzfristig bekannt<br />
gegeben<br />
23.08.-24.03.<br />
Wuppertal<br />
LMV<br />
Schwerpunkt: Grundsatzprogramm<br />
28.06.-29.06.<br />
ORT wird noch bekannt gegeben<br />
Seminar: <strong>Grüne</strong> Marktwirtschaft<br />
Bei diesem Seminar erfahrt ihr unter<br />
anderem, was hinter diesem Begriff<br />
steckt und warum es so umstritten ist<br />
13.06.-15.06.<br />
Münster<br />
GreenCamp des Kaktus Münster<br />
(Infos auf der Rückseite der :> <strong>krass</strong>)<br />
07.08.-10.08.<br />
ORT wird noch bekannt gegeben<br />
Sommerakademie der GRÜNEN JU-<br />
GEND<br />
Thema: „Alternative und autonome Lebensformen“<br />
31.05.<br />
ORT wird noch bekannt gegeben<br />
Diskussion "Ich mach mir die Welt,<br />
wie sie mir gefällt" - <strong>Jugend</strong>beteiligung<br />
vor Ort<br />
Wie kann <strong>Jugend</strong>partizipation in der<br />
Kommune erfolgreich und mit wirklicher<br />
Mitsprache durchgeführt werden?<br />
intern<br />
04/05<br />
NACHDEM ES BEIM LETZTEN MAL SCHON EIN BILD VOM ALEXANDERPLATZ BZW. VON DER<br />
WELTZEITUHR GAB, SOLL ES HIERMIT WEITERGEHEN. NATÜRLICH GEHT ES WIEDER IM<br />
ZEIT UND DAS WARTEN. BILD: HENDRYK SCHÄFER
Leserbriefe<br />
Hallo KRASS-Redaktion,<br />
mir ist bei der aktuellen<br />
Krass-Ausgabe "01.2008"<br />
aufgefallen, dass entgegen<br />
Ausgabe "November<br />
2007" alle Bilder/Fotos beschriftet<br />
sind.<br />
Schade hierbei finde ich,<br />
dass die Bilder mit Text<br />
im jeweiligen Bild beschriftet<br />
sind, was erstens<br />
einige Male zu einer<br />
Erschwerung der Lesbarkeit,<br />
und zweitens zu einer<br />
Entstellung der teilweise<br />
schönen Bilder<br />
führt. Bilder und Fotos<br />
sollten nicht mit Text<br />
überlagert werden.<br />
Ich persönlich empfinde<br />
es besser, wenn die Bilder<br />
in kleineren Lettern<br />
direkt darunter, oder drüber<br />
oder an den Seiten abgesetzt<br />
beschriftet würden,<br />
wie es in anderen<br />
Druckerzeugnissen auch gängige<br />
Praxis ist.<br />
In diesem Zusammenhang würde<br />
ich mir auch wünschen,<br />
dass in Zukunft Bilder<br />
auch mit einer Randnotiz<br />
bzw. einem gesonderten<br />
Textfeld beschrieben wer-<br />
den. Die Fotografie auf<br />
Seite 30 zeigt eine Landschaft<br />
und der geneigte Leser,<br />
in diesem Fall zunächst<br />
ich selbst, werde<br />
im unklaren gelassen, um<br />
was für eine Landschaft<br />
es sich eigentich handelt.<br />
Wo liegt diese karge<br />
Wildnis?<br />
Desweiteren finde ich es<br />
schade, dass scheinbar<br />
noch kein wirkliches Layout<br />
gefunden wurde, da<br />
die Ausgaben stark variieren<br />
und ich bei der aktuellen<br />
Ausgabe eine Rückschrit<br />
des Dessins zur<br />
Ausgabe "November 2007)<br />
entdecke. Eine besondere<br />
Unart, die mir ins Auge<br />
sticht sind die Kästen,<br />
in denen der Autor vorgestellt<br />
wird, diese Berühren<br />
ständig die Kapitälchen<br />
des ersten Absatzes.<br />
Weiterhin überlagern die<br />
Bilder zu ihrer linken Seite<br />
den Text, der dort vorbeiläuft,<br />
wenn sie mittig<br />
plaziert sind. Dies ist<br />
ebenso unschön.<br />
Schön und logisch fände<br />
ich auch, wenn das Impress-<br />
um immer entweder am Anfang<br />
des Magazins, oder<br />
am Ende zu finden wäre.<br />
Auch dieses variiert je<br />
nach Ausgabe und folgt offensichtlich<br />
keinem wirklichen<br />
Stil- oder Layoutprinzip.<br />
Lobenswertes möchte ich<br />
in diesen Zeilen jedoch<br />
auch nicht zurück halten<br />
und so darf ich der Redaktion<br />
zunächst danken,<br />
dass sie auch dieses Mal<br />
wieder einige gute und aktuelle<br />
Texte zusammen getragen<br />
hat.<br />
Besonders gut gefällt mir<br />
auch das Inhaltsverzeichnis,<br />
was die verschiedenen<br />
Themenbereiche herausstellt<br />
und gliedert.<br />
Da ich nun gemäß eurem Aufruf<br />
der "Hausmitteilung"<br />
(S.3) gefolgt bin und meine<br />
Meinung kundgetan habe,<br />
möchte ich diese Nachricht<br />
schließen und<br />
verbleibe in der Hoffnung<br />
auf baldige Antwort,<br />
mit freundlichen Grüßen,<br />
Michael Ziege<br />
Wenn ich Abseits dieser<br />
Nachricht noch eine Frage<br />
stellen dürfte: Mit welchem<br />
Programm / welchen<br />
Programmen wird die KRASS<br />
denn gestaltet?<br />
Hallo Michael,<br />
zunächst einmal tut es mir als zuständigem<br />
Layouter leid, dass ich<br />
mich nicht eher gemeldet habe und<br />
dass wir als Redaktion auch recht lange<br />
nichts von uns hören ließen, aber Eifel<br />
und <strong>Jugend</strong>herberge und nagelneuer<br />
Rechner umgerüstet von Vista auf<br />
Linux sind keine Garanten für rundum-die-Uhr-Internet,<br />
sonst hätte ich<br />
selbst mich schon eher gemeldet.<br />
Aber genug der Ausreden, jetzt zu<br />
deiner Kritik im Einzelnen.<br />
Deine Ideen werden wir teilweise<br />
aufgreifen. Die Bildbeschriftung wird<br />
zum Beispiel künftig außerhalb des Bildes<br />
stattfinden, das würde letztlich weniger<br />
Probleme bei der Lesbarkeit bereiten,<br />
eine Kommentierung, von wo<br />
die Aufnahmen sind, ist leider nicht<br />
möglich, da dies teilweise schon bei<br />
den Fotos selbst nicht dabei steht,<br />
aber es wird unter den Bildern einen<br />
Satz geben, ob jetzt eher karikierend<br />
oder dazu passend, kommt auf das<br />
Bild und den Artikel an. Die Probleme<br />
bezüglich der Überschneidung von<br />
Text und Rahmen versuchen wir auch<br />
zu vermeiden - selbst so ein handliches<br />
Programm wie Scribus ist halt<br />
für Laien nicht ganz fehlerfrei zu bedienen<br />
- indem ich diesmal von vorneherein<br />
den Abstand von anderen Objekten<br />
einstelle; bei der alten Ausgabe<br />
wäre mir dies nur möglich gewesen, in-<br />
dem ich die ganze Ausgabe von Grund<br />
auf neu gebastelt hätte.<br />
Ein kontinuierliches festes Layout,<br />
kann es (leider?) nicht geben, da jedes<br />
Jahr die Redaktion neu gewählt wird<br />
und in unserem Fall die Redaktion<br />
sich aus sechs neuen Mitgliedern zusammengesetzt<br />
hat. Somit haben wir<br />
letztlich bei Null angefangen, nur mit<br />
den Druckexemplaren der letzten Ausgaben<br />
als Vorbild, und - da mit Scribus<br />
statt InDesign - ohne Layoutvorlage.<br />
Wobei - und da bitte ich um einen<br />
Tusch für die Druckerei, weil die so eine<br />
tolle Leistung abliefert, indem sie<br />
die Dateien irgendwie druckbar macht<br />
- Scribus in Kombination mit GIMP<br />
für einen Anfänger wie mich wohl<br />
nicht unbedingt das beste aller Programme<br />
zum Layouten ist.<br />
Zudem sei angemerkt, dass es mit<br />
uns - im Gegensatz zu unserer Vorgängerredaktion<br />
kein festes Layout geben<br />
wird, welches für alle Ausgaben<br />
gleich sein wird. Wir haben beschlossen,<br />
den :> <strong>krass</strong>-Schriftzug als Erkennungszeichen<br />
zu behalten und darüber<br />
hinaus das Layout der einzelnen<br />
Ausgaben vom Thema abhängig zu<br />
machen. Nicht zuletzt bin ich ja angetreten<br />
mit dem Willen zur Designveränderung<br />
und wurde dafür/trotzdem<br />
gewählt. Wir als Redaktion wollen einfach<br />
etwas Neues wagen, mehr Vielfalt<br />
bieten und uns von manchen Konventionen<br />
lösen - sieh' die "DUMMY" als<br />
mein persönliches Vorbild, was die<br />
Grundidee der Veränderung angeht.<br />
<strong>krass</strong>e Grüße,<br />
Hendryk (Layouter der :> <strong>krass</strong>)<br />
www.gruene-jugend-nrw.de intern<br />
<strong>02.2008</strong>
magazin der grünen jugend nrw<br />
Henrik Gebauer<br />
I mmer härtere Sicherheitsgesetze<br />
werden von EU oder Bund beschlossen.<br />
Oftmals wird deutlich, dass<br />
dabei jegliches Augenmaß verloren gegangen<br />
ist. Dennoch steht ein Großteil<br />
der Bevölkerung hinter schärferen<br />
Maßnahmen. Wir haben uns mit dem<br />
Thema beschäftigt und die neuen Sicherheitsgesetze<br />
diskutiert.<br />
F reiheit<br />
Freiheit stirbt mit Sicherheit?<br />
ist der Zustand der Autonomie.<br />
Wer ohne Zwang und Einschränkungen<br />
bestimmen kann, wie<br />
er/sie handelt, ist frei. Historisch war<br />
Freiheit immer ein Privileg, man denke<br />
an Sklaventum oder Leibeigenschaft.<br />
Heute wird Freiheit in der westlich<br />
geprägten Welt gesetzlich<br />
garantiert. So garantiert das Grundgesetz<br />
Meinungsfreiheit, Gewissensfreiheit,<br />
Glaubensfreiheit und andere wichtige<br />
Grundrechte. Andere nicht<br />
konkret benannte Freiheiten leiten<br />
sich aus der allgemeinen Menschenwürde<br />
ab, wie das Bundesverfassungsgericht<br />
schon mehrfach entschieden<br />
hat.<br />
Sicherheit ist der Zustand der Risiko-<br />
und Gefahrenfreiheit. Sie ist ein<br />
Grundbedürfnis des Menschen. In einem<br />
Rechtsstaat wird dem Staat die<br />
Aufgabe übertragen, für Sicherheit zu<br />
sorgen. Das legitimiert das staatliche<br />
Gewaltmonopol: da Selbstjustiz verboten<br />
ist, muss der Staat die Sicherheit<br />
der BürgerInnen herstellen.<br />
Wie auch viele Freiheiten ist daher<br />
auch die Sicherheit gesetzlich geschützt.<br />
Das Grundgesetz spricht jedem<br />
Menschen ein Recht auf Leben<br />
und körperliche Unversehrtheit und<br />
auch auf Eigentum zu.<br />
S chon<br />
dass Freiheit und Sicherheit<br />
beide im Grundgesetz verankert<br />
sind zeigt, dass sie keine Gegensätze<br />
bilden müssen. Im Gegenteil: sie<br />
bedingen sich gegenseitig. Absolute<br />
Freiheit, also die Möglichkeit, alles zu<br />
tun, ist ein Zustand der Gesetzlosigkeit.<br />
Plünderungen wären ebenso legal<br />
wie Morde. Das Recht der Stärkeren<br />
würde gelten, alle anderen würden in<br />
Angst vor ihnen leben – und wären somit<br />
doch nicht frei.<br />
Andererseits benötigt Sicherheit<br />
auch Freiheit. Ein Staat, der seinen BürgerInnen<br />
absolute Sicherheit garantiert,<br />
muss jederzeit wissen, was seine<br />
BürgerInnen tun oder beabsichtigen.<br />
Es darf in keiner Lebenssituation möglich<br />
sein, unbeobachtet zu sein, denn<br />
in der Zeit könnte ja eine Straftat vorbereitet<br />
werden. Abgesehen davon, dass<br />
ein Mensch dadurch zur reinen Arbeitsmaschine<br />
bzw. zum Untertan abgewertet<br />
wird, stellt so ein Überwachungsstaat<br />
aber auch eine ernsthafte Gefahr<br />
dar. Die Herrschenden hätten die uneingeschränkte<br />
Kontrolle über ihr Volk,<br />
das Volk aber keine Möglichkeit zur<br />
Kontrolle der Herrschenden.<br />
Gesucht ist also ein Mittelweg, ein<br />
Gleichgewicht zwischen Freiheit und<br />
Sicherheit. Die Waage auszubalancieren<br />
ist Aufgabe der Politik. Diese Abwägung<br />
ist keine starre Vorgabe, sondern<br />
kann durchaus einer veränderten<br />
Gefahrenlage angepasst werden. Anpassungen<br />
hat es in der Vergangenheit gegeben<br />
und wird es nötigerweise auch<br />
in der Zukunft geben. Aber besonders<br />
seit 2001, nach den Anschlägen auf<br />
das World Trade Center, werden die Sicherheitsgesetze<br />
ständig auf Kosten<br />
der Freiheit verschärft.<br />
O ft<br />
wird dabei ein gutes Stück<br />
Freiheit gegen ein kleines<br />
Stück Sicherheit getauscht. Die einzelnen<br />
Maßnahmen scheinen auf den ersten<br />
Blick auch oft gerechtfertigt. Es erscheint<br />
egoistisch, auf jedem Stück<br />
seiner Freiheit zu beharren, wenn relativ<br />
kleine Eingriffe in die Freiheit<br />
schon die Chance erhöhen, dadurch<br />
ein Menschenleben zu retten. Dabei<br />
darf aber die Menge der Sicherheitsinstrumente<br />
und der Freiheiten, die wir<br />
dadurch aufgeben müssen, nicht aus<br />
den Augen verloren werden. Außerdem<br />
darf nicht vergessen werden, dass<br />
es niemals genug Sicherheit geben<br />
kann. Jede Gefahr kann nun einmal<br />
nicht ausgeschlossen werden; aber jede<br />
Gefahr, der wir ausgesetzt werden,<br />
erhöht unsere Bereitschaft, einen Teil<br />
THEMA!<br />
unserer Freiheit zu opfern.<br />
Auch lohnt sich ein Blick auf die<br />
Art und Weise, mit der die neuen Maßnahmen<br />
versuchen, Sicherheit zu gewährleisten.<br />
In der Vergangenheit konzentrierte<br />
sich der Staat zum einen auf<br />
die Strafverfolgung – Verbote müssen<br />
durchgesetzt werden, damit sie wirken.<br />
Zum anderen ging der Staat auch<br />
früher schon präventiv vor. Verdächtige<br />
konnten beschattet werden, damit<br />
es gar nicht erst zu einer Straftat kam.<br />
Diese Möglichkeiten bestehen natürlich<br />
auch weiterhin. Dazu gekommen<br />
ist aber eine neue Methode. Die<br />
meisten neu eingeführten Sicherheitsmaßnahmen<br />
setzen bereits vor jegli-<br />
06/07<br />
chem Verdacht an, d.h. sie haben zum<br />
Ziel, Verdächtige aufzuspüren, bevor<br />
sie auffällig werden. Das ist natürlich<br />
nur möglich, indem bisher unbescholtene<br />
BürgerInnen auf mögliche Verdachtsmomente<br />
untersucht werden.<br />
Es müssen also Verhaltensmuster<br />
erstellt und mit denen typischer Straftäter<br />
verglichen werden. Darauf zielt<br />
beispielsweise die Sammlung von<br />
Fluggastdaten innerhalb der EU ab.<br />
Nicht nur Name und Anschrift, sondern<br />
auch persönliche Daten wie Sonderwünsche<br />
beim Essen, sollen jahrelang<br />
gespeichert werden, um zur<br />
Gefahrenabwehr genutzt werden zu<br />
können.<br />
ER IST ES, DER IMMER ZUGUCKT. FÜR WOLFGANG SCHÄUBLE IST SICHERHEIT WICHTIGER<br />
ALS FREIHEIT.
DIE FREIHEIT - WARTET SIE NUN VOR ODER HINTER DIESER MIT STACHELDRAHT GEKRÖNTEN MAUER? BILD: SNYGO@ABOUTPIXEL.DE<br />
Viele der Maßnahmen täuschen Sicherheit<br />
nur vor und können allenfalls<br />
zur Aufklärung, nicht jedoch zur Verhinderung<br />
von Straftaten genutzt werden.<br />
Eine Videokamera im Park kann<br />
nach einem Raubüberfall helfen,<br />
die/den TäterIn zu finden. Verhindern<br />
kann sie ihn aber nicht. Dazu wären<br />
nur Menschen vor Ort in der Lage,<br />
doch widersinnigerweise wird technisch<br />
aufgerüstet, aber personell abgebaut<br />
– wohl aus Kostengründen. Das<br />
soll aber auch nicht heißen, dass Kameras<br />
grundsätzlich schlecht sind, denn<br />
auch die nachträgliche Aufklärung<br />
von Straftaten ist notwendig. Wichtig<br />
ist aber, das Augenmaß zu wahren und<br />
nur an tatsächlichen Brennpunkten zu<br />
überwachen. Dabei ist nicht zu vergessen,<br />
dass damit oftmals Probleme einfach<br />
nur in nicht überwachte Gebiete<br />
verlagert werden. Es muss auch bedacht<br />
werden, dass die Kameras selbst<br />
Freiheit nehmen. Denn wer weiß, dass<br />
er beobachtet wird, ändert sein Verhalten.<br />
D as oftmals vorgebrachte Argument<br />
„Wer nichts zu verbergen<br />
hat, hat auch nichts zu befürchten“<br />
klingt auf den ersten Blick schlüssig.<br />
Es unterstellt aber sofort allen, die<br />
sich gegen Überwachungsmaßnahmen<br />
oder erzwungene Datenpreisgabe zur<br />
Wehr setzen, etwas „zu verbergen“ zu<br />
haben. Tatsächlich hat auch jeder etwas<br />
zu verbergen und sei es nur die<br />
schlechte Meinung vom eigenen Chef.<br />
Und: spätestens wer merkt, dass die<br />
ganzen „Steuertricks“ durch die zentrale<br />
Speicherung von Finanzdaten und<br />
die zentrale Steuernummer nicht mehr<br />
funktionieren, wird merken, dass auch<br />
sie/er etwas zu verbergen hatte.<br />
Wie schnell solche Überwachungsmaßnahmen<br />
missbraucht werden können,<br />
zeigt die Vorratsdatenspeicherung.<br />
Von jeder Interneteinwahl,<br />
jeder SMS und jedem Telefonat werden<br />
Uhrzeit und Kommunikationspartner<br />
gespeichert. Vorgesehen zur Verhinderung<br />
und Aufklärung schwerer<br />
Straftaten, wurde schon vor dem Beschluss<br />
der Wunsch auf Ausdehnung<br />
auf Urheberrechtsverstöße laut.<br />
www.gruene-jugend-nrw.de THEMA!<br />
<strong>02.2008</strong><br />
N icht<br />
nur die Überwachungsmaßnahmen<br />
werden verschärft.<br />
Auch die Methoden, mit denen Sicherheit<br />
hergestellt werden soll, ändern<br />
sich. Nicht selten wird dabei die Menschenwürde<br />
in Frage gestellt. Terrorismusverdächtigte<br />
würden sich selbst außerhalb<br />
der Grundrechte stellen, sie<br />
würden damit also von sich aus Rechte<br />
wie das auf einen fairen Prozess verwirken.<br />
Das Folterverbot steht zur Diskussion<br />
und der Innenminister stellt<br />
sich ernsthaft die Frage, ob denn der<br />
Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“<br />
noch zeitgemäß sei. Die Menschenwürde<br />
ist aber der oberste Grundsatz<br />
des Rechtsstaats. Niemand kann<br />
sie verwirken, selbst die schlimmsten<br />
Verbrecher nicht. Ein Staat, der nicht<br />
nach den Regeln eines Rechtsstaats<br />
handelt, ist keiner mehr.<br />
Aber wie soll der Staat die Sicherheit<br />
seiner BürgerInnen garantieren,<br />
wenn Verbrecher Mittel einsetzen können,<br />
die dem Staat aus Gewissensgründen<br />
verwehrt sind? Hier darf niemals<br />
der Zweck die Mittel heiligen. Zwar<br />
kann ein freier Staat keine absolute Sicherheit<br />
herstellen, doch es gibt viele<br />
legitime Wege, die Sicherheitslage zu<br />
verbessern. Denn wem bei Sicherheit<br />
nur Polizei und Militär einfällt, denkt<br />
zu kurz. Bildung, Kultur und Wirtschaft<br />
haben einen wesentlichen Einfluss<br />
auf die Entstehung von Kriminalität.<br />
W ir<br />
als <strong>Grüne</strong> <strong>Jugend</strong> Kreis Gütersloh<br />
fordern deshalb, die<br />
Ursachen von Kriminalität stärker ins<br />
Visier zu nehmen und sich nicht mit<br />
der Bekämpfung von Symptomen zufrieden<br />
zu geben.<br />
Maßnahmen wie Video- oder<br />
Kommunikationsüberwachung sind<br />
kein Allheilmittel, sondern nur stellenweise<br />
sinnvoll. Ihr Einsatz muss gut<br />
durchdacht und stets die Verhältnismäßigkeit<br />
gewahrt werden. Den Überwachern<br />
muss dabei genauso auf die Finger<br />
geschaut werden, wie den<br />
Überwachten.<br />
Denn Freiheit darf nicht geschützt<br />
werden, indem sie abgeschafft wird!<br />
Henrik<br />
Gebauer<br />
(20) ist<br />
Sprecher der<br />
<strong>Grüne</strong>n<br />
<strong>Jugend</strong> Kreis<br />
Gütersloh.
magazin der grünen jugend nrw<br />
Mona Meurer<br />
D as<br />
Eine Entscheidung für's Leben<br />
Recht auf Leben zählt zu<br />
den elementarsten BürgerInnen-<br />
rechten überhaupt. Seit den 1990er Jahren<br />
setzt sich die EUROPÄISCHE UNION<br />
(EU) intensiv für dieses Recht ein: die<br />
globale Bewegung zur Abschaffung<br />
der Todesstrafe hat ihre Wurzeln in Europa<br />
- und scheint sich zum weltweiten<br />
Trend zu entwickeln. Rund 130<br />
Staaten haben die Todesstrafe rechtlich<br />
oder in der Praxis abgeschafft<br />
(QUELLE: AMNESTY INTERNATIONAL).<br />
Doch immer noch lebt die Mehrheit<br />
der Weltbevölkerung in Staaten, die<br />
die Todesstrafe anwenden (vor allem<br />
in Asien und Afrika halten viele Staaten<br />
an der Todesstrafe fest, darunter<br />
viele arabische Staaten).<br />
D er 18. Dezember 2007 war ein<br />
historischer Dienstag. In der<br />
GENERALVERSAMMLUNG (GV) der Vereinten<br />
Nationen (UN) wurde eine Resolution<br />
verabschiedet, um die seit Jahrzehnten<br />
innerhalb der UN gerungen<br />
wird: die Aufforderung zum sofortigen<br />
globalen Hinrichtungsstopp. 105<br />
Staaten befürworteten die Resolution,<br />
während sich 29 Staaten enthielten. 54<br />
Mitgliedstaaten der UN stimmten gegen<br />
den Resolutionsentwurf, darunter<br />
China, Syrien, Iran, Ägypten und die<br />
USA.<br />
Bis zu dieser historischen Entscheidung,<br />
einen weltweiten Stopp aller Hinrichtungen<br />
zu fordern, war es ein weiter<br />
Weg. Bereits 1994 und 1999 waren<br />
entsprechende Resolutionsentwürfe<br />
der EU gescheitert. Seitdem wurden in<br />
den verschiedenen Unterorganen der<br />
UN mehrere Beschlüsse in Richtung<br />
Ablehnung der Todesstrafe gefällt, zu<br />
einer Abstimmung in der GV kam es<br />
aber vorerst nicht – die Gegner der Abschaffungspolitik<br />
waren einfach zu<br />
stark, und die Befürworter, vor allem<br />
die EU, zu uneins. Nach der Abstimmung<br />
im Dezember konnten die Vertreter<br />
der EU zu Recht triumphieren: sie<br />
hatten die Resolution, vertreten durch<br />
Italien, geschlossen eingebracht und<br />
sich in Zusammenarbeit mit NGOS<br />
wie Amnesty International für ihre<br />
Durchsetzung stark gemacht.<br />
In der Generalversammlung sitzen<br />
alle 192 Mitgliedstaaten der UN, in Abstimmungen<br />
gilt das Prinzip „ein Staat<br />
- eine Stimme“. Beschlüsse der GV<br />
sind zwar nicht rechtlich bindend, haben<br />
aber politisch und moralisch<br />
große Kraft, da sie durch eine Mehrheit<br />
der Weltgemeinschaft legitimiert<br />
sind und in der Öffentlichkeit oft<br />
große Beachtung finden. So ist auch<br />
die Resolution gegen die Todesstrafe<br />
mehr Wort als Tat, und doch moralisch<br />
bindend. Presse, NGOs und Wähler<br />
können ihre Volksvertreter auf die<br />
Erklärungen festnageln - und tun dies<br />
auch. Die erfolgreiche Ächtung der Todesstrafe<br />
nährt die Hoffnung, dass in<br />
naher Zukunft alle Staaten der Erde<br />
die Todesstrafe abschaffen werden.<br />
I n<br />
Europa hat sich die Ablehnung<br />
der Todesstrafe in den 1990er Jah-<br />
ren entgültig durchgesetzt. Eine ganze<br />
Reihe rationaler Argumente überzeugten<br />
die EU-Länder nach und nach, ihre<br />
Hengersmaske abzuwerfen. Als letzte<br />
EU-Mitglied schaffte 1998 die<br />
britische Regierung die Todesstrafe<br />
ab. Nicht nur das oft bemühte Argument<br />
der Abschreckung künftiger Straftäter<br />
ist empirisch widerlegt (Forschungen<br />
zeigen, dass die Abschreckung<br />
mit dem Risiko der Entdeckung steigt,<br />
nicht mit der Höhe der zu erwartenden<br />
Strafe [QUELLE: ARTIKEL VON TED<br />
GOERTZEL; HTTP://WWW.CSI-<br />
COP.ORG/SI/2004-07/CAPITAL-PUNISH -<br />
MENT.HTML]), auch die Legitimation<br />
der Todesstrafe durch die staatliche Gewalt<br />
über Leben und Tod oder den<br />
Mehrheitswillen der Bürger ist nicht<br />
mehr zulässig: das Recht auf Leben<br />
steht nicht zur Abstimmung, es ist universell.<br />
Inzwischen geht man davon<br />
aus, dass die Anwendung der Todesstrafe<br />
Gesellschaften brutaler macht – Gewalt<br />
wird eher als legitimes Mittel der<br />
Konfliktlösung akzeptiert.<br />
THEMA!<br />
DIE MORALISCHE STÄRKE EINER GESELLSCHAFT LÄSST<br />
SICH DARAN MESSEN, WIE SIE MIT IHREN "ABWEICH -<br />
LERN" UMGEHT. BILD: STRATEGO@PHOTOCASE.DE<br />
Die EU versteht sich schon immer<br />
als Vertreterin der „westlichen Wertegemeinschaft“<br />
Europas und Nordamerikas.<br />
Als solche bringt sie viele Menschenrechtsthemen<br />
auf die Agenda der<br />
UN – so auch die Abschaffung der Todesstrafe.<br />
Das gemeinsame nordatlantische<br />
Wertefundament beinhaltet nicht<br />
nur die Verbreitung von Demokratie<br />
und liberalen Werten, sondern vor allem<br />
den Schutz von Menschenrechten<br />
und Rechtsstaatlichkeit. Die Ächtung<br />
willkürlicher, grausamer und unmenschlicher<br />
Strafen ist wichtiger Teil<br />
dieser Wertebasis. Zu solchen Strafen<br />
zählt die Todesstrafe, davon sind die<br />
EU-Mitglieder überzeugt.<br />
Und gewinnen immer<br />
mehr Staaten der UN für<br />
diese Überzeugung.<br />
W ie<br />
08/09<br />
nun geht es weiter<br />
mit dem welt-<br />
weiten Schutz des Rechts<br />
auf Leben? Wird der „Papiertiger“<br />
EU bei der Ächtung<br />
der Todesstrafe seine<br />
diplomatischen Zähne zeigen?<br />
Eine wichtige Voraussetzung<br />
für eine erfolgreiche<br />
europäische Politik zur<br />
Abschaffung der Todesstrafe<br />
ist bereits gegeben: die<br />
EU-Staaten sind sich untereinander<br />
einig, dass das<br />
Recht auf Leben höher<br />
wiegt als das Recht der Angehörigen<br />
von Opfern, Rache<br />
zu nehmen. Die Todestrafe<br />
ist in der EU –<br />
abgesehen von Weißrussland sogar in<br />
ganz Europa – abgeschafft. Von der Ineffektivität,<br />
Ineffizienz und Grausamkeit<br />
dieser Bestrafung muss kein EU-<br />
Mitglied mehr überzeugt werden. Nun<br />
gilt es jedoch, diese Überzeugung zu<br />
globaler Wirkung zu bringen. Auf die<br />
Resolution müssen nun Taten folgen,<br />
die Abschaffungspolitik muss weiter<br />
voran getrieben werden. Einen völkerrechlichen<br />
UN-Vertrag, der die Todesstrafe<br />
verbietet, gibt es bereits seit<br />
1989: das Zweite Zusatzprotokoll zum<br />
Internationalen Pakt über Bürgerliche<br />
und Politische Rechte (Zivilpakt), das<br />
die Abschaffung der Todesstrafe in
DIE ERFOLGREICHE POLITIK DER EU GEGEN DIE TODESSTRAFE DARF NICHT IN EINE<br />
SACKGASSE GERATEN - ES BRAUCHT NEUE MITSTREITER. BILD: STRATEGO@PHOTOCA-<br />
SE.DE<br />
den Unterzeichnerstaaten vorsieht. Allerdings<br />
haben bisher noch nicht einmal<br />
60 Staaten dieses Protokoll unterschrieben<br />
– weit weniger also, als sich<br />
im Dezember vollmundig hinter die<br />
von der EU eingebrachte Resolution<br />
stellten. Übrigens haben alle EU-Staaten<br />
das Zusatzprotokoll zum Zivilpakt<br />
unterzeichnet – dies gibt ihnen glaub-<br />
würdige Legitimation zur aktiven Abschaffungspolitik.<br />
Nun braucht es starke<br />
Kampagnen und weitergehendere<br />
Resolutionen der GV, um diplomatischen<br />
Druck aufzubauen.<br />
D azu<br />
benötigen die europäischen<br />
Diplomaten auch ameri-<br />
kanische Rückendeckung. Solange die<br />
USA die Todesstrafe anwenden, führen<br />
sie jede Argumentation zu Abschaffung<br />
der Todesstrafe, die auf einer<br />
“westlichen Wertegemeinschaft” basiert,<br />
ad absurdum. Denn zu dieser Gemeinschaft<br />
gehören seit jeher auch die<br />
USA. Allein aufgrund der bekannten<br />
Justizirrtümer und qualvollen Hinrichtungspraktiken<br />
müssten die USA die<br />
Todesstrafe abschaffen - im Sinne westlicher<br />
Werte der Rechtsstaatlichkeit<br />
und gemäß dem Verbot grausamer Behandlung.<br />
Doch die Regierung pocht –<br />
übrigens unter Demokraten wie Republikanern<br />
– auf die nationale Souveränität<br />
in Strafsachen und den Mehrheitswillen<br />
der US-Amerikaner (2004:<br />
71% Zustimmung zur Todesstrafe<br />
[QUELLE: HTTP://WWW.INITIATIVE-GEGEN-<br />
DIE-TODESSTRAFE.DE/JUNI 2004.HTM]).<br />
In Menschenrechtsfragen zeigt<br />
sich innerhalb der Vereinten Nationen<br />
eine zunehmende Diskrepanz zwischen<br />
den USA und Europa. Erstere<br />
stellten sich schon oft gegen Vorhaben<br />
zum Schutz von Menschenrechten, welche<br />
von der EU eingebracht und erfolgreich<br />
vorangetrieben wurden. So wurde<br />
auch die Schaffung eines<br />
internationalen Strafgerichtshofs 1998<br />
von den USA erfolglos zu verhindern<br />
versucht. Nur sechs weitere Staaten<br />
lehnten den Gerichtshof ab, darunter<br />
damalige „Schurkenstaaten“ wie Libyen<br />
und Irak.<br />
Dadurch wird die EU in den Vereinten<br />
Nationen immer häufiger zum vehementen<br />
Gegenspieler der USA. Sicherlich<br />
ist ein selbstbewusst gegenüber<br />
der Hegemonialmacht Amerika auftretendes<br />
Europa begrüßenswert. Doch<br />
auf lange Sicht wird es ohne die USA<br />
nicht weitergehen im Kampf gegen<br />
die Todesstrafe. Natürlich muss auch<br />
nach einem Ende der Hinrichtungen in<br />
den Vereinigten Staaten die Kritik an<br />
den außenpolitischen Menschenrechtsverletzungen<br />
der USA aufrecht erhalten<br />
werden. Doch sobald die EU ihren<br />
transatlantischen Partner von ihrer Abschaffungspolitik<br />
überzeugt hat, wird<br />
der Ächtungsprozess innerhalb der Vereinten<br />
Nationen neue Fahrt aufnehmen.<br />
Ohne diesen wichtigen Schritt<br />
tritt die Abschaffungspolitik auf der<br />
Stelle – fatal für die Männer und Frauen,<br />
die weltweit in Todestrakten auf ihre<br />
Hinrichtung warten.<br />
Mona Meurer<br />
(21) ist :><br />
<strong>krass</strong>-Redakteurin<br />
und<br />
Sprecherin<br />
der GJ Mönchengladbach.<br />
Sie findet,<br />
die EU sollte ihre außen-<br />
politische Macht nicht allein wirtschaftlich<br />
nutzen.<br />
g l o s s a r<br />
Die EUROPÄISCHE UNION (EU)<br />
versucht, durch gezieltes<br />
gemeinsames Vorgehen, die internationalen<br />
Verhandlungen auf UN-Ebene in<br />
ihrem Sinne zu beeinflussen. Dazu<br />
sprechen sich EU-Staaten untereinander<br />
ab und sind bemüht, durch gemeinsame<br />
Stellungnahmen und gleiches<br />
Abstimmungsverhalten zu einem<br />
einheitlichen globalpolitischen Akteur zu<br />
werden. In der Menschenrechtspolitik<br />
gelingt dies zuweilen auch, so bei der<br />
gemeinsamen Politik zur Todesstrafe. In<br />
Fragen der Energiepolitik oder solchen<br />
von Krieg und Frieden sind die Gräben<br />
innerhalb Europas allerdings noch sehr<br />
tief und ein einheitliches Handeln in<br />
weiter<br />
I<br />
Ferne.<br />
n der GENERALVERSAMMLUNG (GV)<br />
der Vereinten Nationen (United<br />
Nations, UN) werden weltweit gültige<br />
Resolutionen verabschiedet – allerdings<br />
nicht rechtlich bindend, da es an<br />
Instrumenten zur Sanktionierung (also zur<br />
Ahndung<br />
N<br />
der Nichteinhaltung) fehlt.<br />
GOs (Non-governmental organisations,Nicht-Regierungorganisationen)<br />
nehmen ebenfalls Einfluss auf<br />
die Vereinten Nationen. Einerseits direkt<br />
über ihren Beobachterstatus in UN-<br />
Organen, wo sie Rederecht genießen. Aber<br />
vielmehr noch indirekt, durch öffentliche<br />
Kampagnen, welche die Regierungen zum<br />
Handeln zwingen und ihnen auf die Finger<br />
schauen, sowie durch das Einbringen von<br />
ExpertInnenwissen in die diplomatischen<br />
Delegationen etwa der EU. Der Rückhalt<br />
der Zivilgesellschaft ist für den Erfolg der<br />
EU-Menschenrechtspolitik mindestens<br />
ebenso wichtig, wie das einheitliche<br />
Vorgehen der Europäischen Union.<br />
www.gruene-jugend-nrw.de THEMA!<br />
<strong>02.2008</strong>
magazin der grünen jugend nrw<br />
Verena Schäffer<br />
Achtung: dieser Artikel wird<br />
videoüberwacht!<br />
S eit 9/11 hat sich sicherheitspolitisch<br />
viel geändert: Der Kampf<br />
gegen den islamistischen Terrorismus<br />
ist in den Vordergrund weltweiter Bemühungen<br />
gerückt. Mit Maßnahmen<br />
durch die so genannten Anti-Terrorgesetze<br />
versucht man sich auch in<br />
Deutschland vor möglichen Anschlägen<br />
zu schützen. Dazu gehören u.a.<br />
das Luftsicherheitsgesetz, die Rasterfahndung<br />
sowie erweiterte Kompetenzen<br />
und Befugnisse für die deutschen<br />
Geheimdienste, das BKA und die Bundespolizei.<br />
Verdächtigt werden insbesondere<br />
junge und männliche Muslime;<br />
sie bleiben nicht nur eher im<br />
Raster hängen, sondern das Religionsprivileg<br />
im Vereinsgesetz wurde abgeschafft,<br />
die Regeln für eine Aufenthaltsgenehmigung<br />
verschärft.<br />
Aber auch für „durchschnittliche<br />
BürgerInnen“, wenn es diese denn<br />
überhaupt gibt, sind die Verschärfungen<br />
der BürgerInnenrechte spürbar.<br />
Ein Beispiel dafür ist die Videoüberwachung,<br />
die auch innerhalb der <strong>Grüne</strong>n<br />
höchst umstritten war und für <strong>NRW</strong><br />
sehr interessant ist.<br />
D ie Landesdelegiertenkonferenz<br />
(LDK) der <strong>Grüne</strong>n hat sich<br />
2003 mehrheitlich gegen einen Gesetzesentwurf<br />
der nordrhein-westfäli-<br />
schen Landesregierung zur Änderung<br />
des Polizeigesetzes und des Ordnungsbehördengesetztes<br />
ausgesprochen. Videoüberwachung<br />
sei laut des Beschlusses<br />
der <strong>NRW</strong>-<strong>Grüne</strong>n vom<br />
23./24.05.03 „unverhältnismäßig und<br />
widerspreche[n] der rechtsstaatlichen<br />
und grundrechtsschützenden Tradition<br />
der <strong>Grüne</strong>n“.<br />
Nur zwei Monate später wurde<br />
das neue Polizeigesetz vom Landtag<br />
SO UNSCHEINBAR - UND DOCH DA. BILD:<br />
STIHL024@PIXELIO.DE<br />
mit den Stimmen der SPD und der <strong>Grüne</strong>n<br />
verabschiedet. Ausgeweitet wurde<br />
§ 15a des PolG (Polizeigesetz), das bereits<br />
ab 2000 die Videoüberwachung<br />
an Kriminalitätsbrennpunkten zuließ<br />
und auf dessen Grundlage 2001 bis<br />
2002 ein Pilotprojekt in Bielefeld stattfand.<br />
Damit dürfen öffentliche Plätze,<br />
an denen wiederholt Straftaten began-<br />
gen wurden und zukünftige wahrscheinlich<br />
sind, beobachtet werden.<br />
Die Speicherungsdauer der übertragenen<br />
Bilder beträgt laut Gesetz im Regelfall<br />
14 Tage. Die Videoüberwachung<br />
ist grundsätzlich auf ein Jahr<br />
befristet mit der Möglichkeit zur Verlängerung.<br />
In vier nordrhein-westfälischen<br />
Städten wird davon Gebrauch gemacht:<br />
Bielefeld, Düsseldorf,<br />
Mönchengladbach und Coesfeld. Fünf<br />
Jahre nach In-Kraft-Treten des Polizeigesetzes<br />
tritt § 15a außer Kraft, also<br />
im Sommer 2008. Die schwarz-gelbe<br />
Landesregierung hat bereits einen Gesetzesentwurf<br />
verfasst, welcher eine<br />
Verlängerung der Befristung auf weitere<br />
fünf Jahre beinhaltet. Doch wie nützlich<br />
ist die Videoüberwachung wirklich?<br />
B efürworterInnen der Videoüberwachung<br />
öffentlicher Plätze halten<br />
sie für notwendig, um die Sicherheit<br />
der Bürgerinnen und Bürger zu<br />
gewährleisten. Denn die Aufzeichnungen<br />
sollen Kriminalität vorbeugen und<br />
Straftaten verhindern, indem sie einen<br />
vermeintlich abschreckenden Effekt haben<br />
und gleichzeitig zur Aufklärung<br />
von Kriminalfällen genutzt werden<br />
können. Dazu kommt das positive Sicherheitsgefühl<br />
der Passantinnen und<br />
Passanten. Dies ist sicherlich auch ei-<br />
THEMA!<br />
ne Erklärung für die hohe Akzeptanz<br />
in der breiten Bevölkerung.<br />
O b die Kriminalitätsrate durch Videoüberwachung<br />
gesenkt werden<br />
kann, ist fraglich. Ein gutes Beispiel<br />
dafür ist Großbritannien:<br />
Durchschnittlich wird dort jedeR Einzelne<br />
täglich von bis 300 Videokameras<br />
aufgenommen, gleichzeitig hat London<br />
im Vergleich zu anderen<br />
europäischen Städten die höchste Kriminalitätsrate.<br />
Außerdem wurde die Erfahrung<br />
gemacht, dass sich die Kriminalität<br />
in die Seitenstraßen oder auf<br />
andere Plätze verschiebt, es also nicht<br />
weniger Straftaten gibt, sondern nur<br />
an anderen Orten. Datenschutzrechtlich<br />
ist die Videoüberwachung höchst<br />
fragwürdig, denn auch unverdächtige<br />
Personen werden ins Visier genommen,<br />
was der Unschuldsvermutung widerspricht.<br />
Der Beobachtungsdruck<br />
kann zu angepassten Verhalten und Verunsicherungen<br />
führen. Auch Missbrauch<br />
ist nicht auszuschließen, so wurde<br />
im Sommer 2006 bekannt, dass<br />
Wachleute des Berlin Pergamon-Museum<br />
mit einer Überwachungskamera in<br />
die Wohnung von Frau Merkel filmen<br />
konnten. Die Videoüberwachung ist zudem<br />
sehr kostenintensiv, denn hinter jedem<br />
Bildschirm müssen ja auch Personen<br />
sitzen, welche die Aufnahmen<br />
beobachten. Und wirklich verhindern<br />
kann eine Bildaufnahme auch nicht;<br />
der „Kofferbomber von Köln“ wurde<br />
zwar gefilmt, dadurch hätte die Tat<br />
nicht verhindert worden; die Koffer waren<br />
aufgrund von handwerklichen Fehlern<br />
nicht explodiert.<br />
10/11<br />
Z urzeit werden in vier Städten<br />
<strong>NRW</strong>s öffentliche Plätze per<br />
Kamera überwacht, und dies auch nur<br />
bis Juli 2008, sofern der schwarz-gelbe<br />
Gesetzesentwurf zur Verlängerung<br />
nicht verabschiedet wird. Bis dahin haben<br />
wir noch Zeit auch in der Öffentlichkeit<br />
Sinn und Zweck kritisch zu<br />
hinterfragen, gleichzeitig dürfen wir<br />
andere Einschränkungen unserer Rechte,<br />
z.B. durch Vorratsdatenspeicherung,<br />
Online-Durchsuchung, RFID-<br />
Chips, Biometriepässe, nicht aus den<br />
Augen verlieren, sondern müssen insgesamt<br />
für den Erhalt der BürgerInnenrechte<br />
eintreten. Wir müssen uns<br />
aber auch ehrlich fragen, wie viel wir<br />
von uns preisgeben wollen, z.B. über<br />
studi- oder schülerVZ, welche Informationen<br />
wir der Wirtschaft liefern<br />
möchten und was wir von Sendungen<br />
wie Big Brother halten.<br />
Verena<br />
Schäffer (21)<br />
ist Sprecherin<br />
der <strong>Grüne</strong>n<br />
<strong>Jugend</strong> <strong>NRW</strong><br />
und wahrscheinlich<br />
auf<br />
zahlreichen<br />
Videoaufzeichnungen<br />
in Düsseldorf<br />
zu sehen.
Hendryk Schäfer<br />
Meine Daten sind frei - wer<br />
will sie erwerben?<br />
s tudiVZ, facebook und wie sie alle<br />
heißen, wer kennt sie nicht?<br />
Allein rund fünf Millionen junge Menschen<br />
sind im studiVZ angemeldet, obwohl<br />
es nur rund 2,5 Millionen Studenten<br />
in Deutschland gibt. Ein Konto im<br />
studiVZ ist für viele <strong>Jugend</strong>liche und<br />
junge Erwachsene ein „must have“,<br />
Communities wie das studiVZ sind<br />
DER Treffpunkt einer ganzen Generation.<br />
Abgesehen davon, dass diese sozialen<br />
Netzwerke im Internet zurzeit ein<br />
beachtenswertes Phänomen darstellen,<br />
wäre es kaum zu einem näheren Blick<br />
auf die Details gekommen, hätten die<br />
Betreiber des studiVZ nicht die allgemeinen<br />
Geschäftsbedingungen (AGB)<br />
ändern wollen (und nunmehr geändert),<br />
um mit mehr Werbung die Einnahmen<br />
zu steigern.<br />
E nde 2007 kündigte das studiVZ<br />
allen Mitgliedern an, zum 09. Januar<br />
2008 die AGB ändern zu wollen.<br />
Wer bis dahin die neuen Geschäftsbedingungen<br />
nicht annehme, könne danach<br />
das studiVZ nicht mehr nutzen,<br />
bis zur Annahme der neuen AGB. Der<br />
Account mit all seinen Daten bliebe<br />
aber weiterhin (bis zu „Exmatrikulation“<br />
genannten Kündigung durch den<br />
Nutzer oder die Betreiber der Seite)<br />
für alle Nutzer sichtbar. Schnell mach-<br />
te das Gerücht die Runde, das studiVZ<br />
wolle die Nutzerdaten bewusst verkaufen,<br />
welches von den Betreibern aber<br />
dementiert wurde. Der Umstand, dass<br />
studiVZ sich mit den alten AGB den<br />
Einsatz von Software genehmigen<br />
ließ, die das Kommunikationsverhalten<br />
der Nutzer analysiert, soll dennoch<br />
nicht verschwiegen werden. Fakt ist<br />
laut den neuen AGB jedenfalls die Verwendung<br />
der personenbezogenen Daten<br />
(Geschlecht, Alter etc.) zur Nutzung<br />
personalisierter Werbung. Hier<br />
soll den Nutzern ein Rückschritt (die<br />
Erstellung eines vermeintlich genauen<br />
Verbraucherprofils) als Fortschritt verkauft<br />
werden: die Nutzer bekämen angeblich<br />
auf sie zugeschnittene Werbung,<br />
was schon im Falle des von<br />
studiVZ gebrachten Beispiels<br />
(WWW.STUDIVZ.NET/L/WOZU_DAS_GANZE)<br />
Frauen abspricht Autos kaufen zu wollen,<br />
sich für Fotografie zu interessieren<br />
oder ihre Finanzen zu verwalten –<br />
was aber schon wieder ein Thema für<br />
sich wäre.<br />
Ein größerer Diskussionspunkt ist<br />
die Art und Weise, wie sich studiVZ<br />
die Verwendung der Profildaten genehmigen<br />
lässt: mit der Annahme der<br />
AGB stimmen die Nutzer pauschal<br />
der Verwendung personenbezogener<br />
Daten für personalisierte Werbung,<br />
Communitydienste (Newsletter etc.)<br />
und Vorratsdatenspeicherung zu, die<br />
nachträgliche Ablehnung von personali-<br />
sierter Werbung und Newslettern ist jedoch<br />
nur über eine schwer auffindbare<br />
Seite (ODER EINFACH SO:<br />
WWW.STUDIVZ.NET/TERMS/OPTIONS) möglich,<br />
die Nutzung der bis zur Ablehnung<br />
gesammelten Daten muss schriftlich<br />
widerrufen werden und die<br />
Ablehnung der Datensammlung zur<br />
Vorratsdatenspeicherung bedingt den<br />
Ausschluss aus dem studiVZ.<br />
Interessant hierbei: das Telemediengesetz<br />
(TMG) – Zankapfel, um dessen<br />
Auslegung gestritten wird – verbietet<br />
die Speicherung personenbezogener<br />
Daten, Kriminalpolizei und LKA fordern<br />
die Herausgabe solcher Daten<br />
aber für Ermittlungszwecke. Mit der<br />
Zustimmung zu den neuen AGB haben<br />
die Nutzer des studiVZ der Speicherung<br />
ihrer eigenen Daten zugestimmt<br />
und so die Datenschutz-<br />
beschränkungen des TMG zugunsten<br />
von studiVZ – und den Ermittlungsbehörden<br />
– legal umschifft. Drogenkonsum<br />
und andere Vergehen können so<br />
viel leichter strafrechtlich verfolgt werden.<br />
Die Frage nach der Rechtmäßigkeit<br />
der geänderten AGB ist auch die<br />
Frage nach der Rolle und Bedeutung<br />
des studiVZ. Aus Sicht der Betreiber<br />
ist es so: wäre das studiVZ in einer Monopolsituation,<br />
griffe nicht die Regelung,<br />
wonach sich das studiVZ die Nutzung<br />
der persönlichen Daten von den<br />
Nutzern genehmigen lassen könnte.<br />
Diese Regelung treffe aber nicht auf<br />
das studiVZ zu, da es kein Monopol<br />
am Markt habe. Es gebe, so Lina Ehrig,<br />
Datenschutzbeauftragte bei studiVZ<br />
Limited, mit MySpace (Schwerpunkt<br />
auf Profilseiten mit<br />
Gästebüchern, keine Gruppenfunktion;<br />
die Redaktion), Xing (für Unternehmer;<br />
die Red.) und Facebook (nicht<br />
deutschsprachig; die Red.) vergleichbare<br />
Konkurrenz und es gebe keine ausnutzbare<br />
Monopolstellung, weil das studiVZ<br />
keine Ausrichtung auf Studenten<br />
und Akademiker habe. Die alten AGB<br />
kündeten vom Gegenteil, sprachen<br />
von dem Ziel, die europäische Hochschulvernetzung<br />
zu fördern und setzten<br />
das Studenten- oder Alumnisein<br />
als Zugangsbedingung voraus.<br />
D er Widerstand gegen die Datensammelwut<br />
und die kommerzielle<br />
Nutzung vertraulicher Daten ist<br />
eher gering, die Folgen im studiVZ<br />
sind es auch, wenn auch die bisherige<br />
Berichterstattung doch einige Nebenwirkungen<br />
hervorgerufen hat. Nutzer<br />
beklagen die steigende Zurückhaltung<br />
schon bei der Nennung der Namen, immer<br />
mehr Personen kürzen ihren Nachnamen<br />
wie es bei kriminellen in Medien<br />
gerne getan wird oder verwenden<br />
gleich fiktive Namen (so entstehen<br />
dann Siggi S. oder Donald Duck) –<br />
der ursprüngliche Anspruch, die Menschen<br />
auf einer Vertrauensbasis miteinander<br />
zu vernetzen, kann nicht mehr<br />
aufrecht erhalten werden.<br />
Im studiVZ haben sich zwei große<br />
Meinungsgruppen gebildet: auf der<br />
einen Seite die Gegner der neuen<br />
AGB, auf der anderen Seite die Nicht-<br />
Gegner (unter denen sich nicht nur Befürworter<br />
finden).<br />
kaioo.de – ab 14, gemeinnützig, AGB<br />
wird von Nutzern gestaltet, wenige<br />
Nutzer<br />
campux.de – ab18, international,<br />
teilweise kostenpflichtig, für Studenten<br />
facebook.com – ab 14,<br />
DatenSCHUTZ?, Profile selbst nach<br />
dem Tod sichtbar<br />
studylounge.de – ab 18, für<br />
Studenten, bis auf die Art der<br />
Werbung sehr studiVZ<br />
studi.net – ab 18, für Studenten,<br />
ähnlich wie studylounge<br />
Guter Datenschutz ohne Werbung in<br />
einer großen Community für alle? Wir<br />
suchen noch.<br />
Wo manche Kommentare sich<br />
schlicht über die Skepsis lustig machen,<br />
setzen sich andere mit den Befürchtungen<br />
der AGB-Gegner auseinander,<br />
erkennen durchaus, dass die<br />
Datensammelwut des studiVZ nur eine<br />
Fortführung der verbraucherunterstützten<br />
Marktforschung der Unternehmen<br />
mittels Kundenkarten ist und<br />
haben resigniert oder sehen die personalisierte<br />
Werbung für sich positiv<br />
und verstehen, dass ein so umfassendes<br />
Angebot wie das studiVZ nicht<br />
kostenfrei zu führen ist. Manche Nutzer<br />
kritisieren hier die Geiz-ist-geil-<br />
Mentalität, so viel wie möglich umsonst<br />
bekommen zu wollen ohne dafür<br />
Werbung in Kauf nehmen zu wollen.<br />
Die Kritik der Gegner der neuen<br />
AGB richtet sich schwerpunktmäßig<br />
auf die freizügige Nutzung privater<br />
Daten, eine recht kleine Gruppe der<br />
www.gruene-jugend-nrw.de THEMA!<br />
<strong>02.2008</strong>
magazin der grünen jugend nrw<br />
Kritiker hat sich um Carsten<br />
D.(WWW.STUDIVZ.NET/PROFILE/211965<br />
B7C2C29FA1) in der Gruppe „! Datenklau<br />
abstellen ! Vorgehen gegen Datenschutzerklärung/AGB!“<br />
(WWW.STU -<br />
DIVZ.NET/GROUP.PHP?IDS=AAE0299426<br />
A6748A) gesammelt, wo nicht<br />
polemisiert oder emotional diskutiert<br />
wird sondern der Konflikt zwischen<br />
studiVZ und dem geltenden Recht betrachtet<br />
wird. Hier findet sich neben<br />
einer Anleitung, wie man der Verwendung<br />
der personalisierten Daten<br />
widersprechen kann, auch der Briefwechsel<br />
Carsten D.s mit den Betrei-<br />
bern des studiVZ, der sehr gut über<br />
die rechtliche Sicht der Betreiber auf<br />
das studiVZ aufklärt.<br />
N achdem<br />
das studiVZ bereits<br />
eine Abmahnung der Verbraucherzentrale<br />
Bundesverband (vzbz)<br />
wegen der Datenschutz-Praxis erhalten<br />
hat, bleibt nun abzuwarten, wie<br />
sich Peter Schaar, der Beauftragte<br />
des Bundes für Datenschutz in die<br />
Debatte und das Verfahren über Datenschutz<br />
im studiVZ einmischen<br />
wird. Um sicher vor Herrn Schäuble<br />
im Internet zu surfen bedarf es jedenfalls<br />
mehr als nur der Veränderung eines<br />
Profils im studiVZ.<br />
Franziska Richter<br />
SexarbeiterIn oder<br />
Zwangsprostituierte?<br />
I n Deutschland gibt es nach Schätzungen<br />
zwischen 200.000 und<br />
400.000 Prostituierte. Der überwältigende<br />
Teil davon sind Frauen – ca. 95<br />
Prozent. Prostituierte sind nicht immer<br />
– wie das Klischee gerne glauben<br />
lässt – drogenabhängig oder sonstwie<br />
kriminell. In Frankreich beispielsweise<br />
verdienen sich tausende Studentinnen<br />
ihren Unterhalt, indem sie sich regelmäßig<br />
prostituieren. Auch wenn<br />
Prostitution im Alltag oft kaum sichtbar<br />
ist und sich zumeist im Verborgenen<br />
abspielt: sie ist vorhanden und hat<br />
Einfluss auf unsere Gesellschaft, darauf,<br />
ob wir Sex als etwas ansehen, das<br />
man kaufen kann und darauf, ob wir<br />
ein Geschlecht als das Kaufende, das<br />
andere als das Gekaufte betrachten.<br />
Wie stark dieses Thema polarisiert<br />
und zum öffentlichen Interesse wird,<br />
konnte man im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft<br />
letztes Jahr beobachten:<br />
besonders die schwedische Regierung<br />
und Menschenrechtsorganisationen<br />
prognostizierten damals<br />
aufgrund der Nachfrage vieler<br />
männlicher Fans aus aller Welt einen<br />
rapiden Anstieg der Zwangsprostitution<br />
in Deutschland. Dabei geriet die<br />
deutsche Regierung wegen der liberalen<br />
Gesetzgebung in scharfe Kritik.<br />
Doch wie genau sehen die deutschen<br />
Regelungen eigentlich aus?<br />
L ange Zeit wurde dieses Thema<br />
einfach totgeschwiegen. Prostitution<br />
galt im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches<br />
als sittenwidrig und wurde<br />
vor allem tabuisiert. Sie fand aber trotzdem<br />
statt – illegal und versteckt.<br />
Dementsprechend schwierig war es<br />
für Prostituierte, Hilfe zu bekommen<br />
– sei es in Situationen der sexuellen<br />
Nötigung, der Zwangsprostitution, der<br />
finanziellen Ausbeutung durch Bordellbetreiber<br />
und Zuhälter oder beim Ausstieg<br />
aus der Prostitution. Da sie sittenwidrigen<br />
Tätigkeiten nachgingen,<br />
konnten sie keine Unterstützung von<br />
staatlicher Seite erwarten.<br />
Erst die rot-grüne Regierung<br />
nahm sich dieses Themas an: 2002 wurde<br />
das Prostitutionsgesetz (ProstG) verabschiedet,<br />
welches die rechtliche und<br />
soziale Situation der Prostituierten<br />
grundlegend ändern sollte. Prostitution<br />
ist nun nicht länger sittenwidrig.<br />
Weder Freier noch Prostituierte machen<br />
sich strafbar, wenn sie im gegenseitigen<br />
Einvernehmen „sexuelle<br />
Dienstleistungen“ kaufen bzw. verkaufen.<br />
Eine solche Vereinbarung gilt nun<br />
als ein normaler Vertrag, der bei Nicht-<br />
Einhaltung durch den/die FreierIn<br />
auch zu einklagbaren Forderungen für<br />
die Prostituierte führen kann. Doch<br />
das Gesetz geht noch weiter: so ist es<br />
Prostituierten möglich, in das gesetzliche<br />
Sozialversicherungssystem einzusteigen<br />
und über das von ihnen erwirt-<br />
THEMA!<br />
schaftete Geld unter anderem<br />
Krankenversicherungsbeiträge zu finanzieren.<br />
Auch das Betreiben von Bordellen<br />
oder Stundenhotels ist prinzipiell<br />
nicht mehr verboten. Zusätzlich werden<br />
Prostituierte durch einen entsprechenden<br />
Paragraphen im Strafgesetzbuch<br />
auch davor geschützt, von<br />
solchen Betreibern finanziell ausgebeutet<br />
zu werden.<br />
Sind Prostituierte jetzt moderne<br />
„SexarbeiterInnen“? Diese Idee griff<br />
auch ver.di auf. Die Gewerkschaft unterhält<br />
neben den branchenspezifischen<br />
Fachbereichen auch den für „Besondere<br />
Dienstleistungen“, welcher<br />
unter anderem für das Thema Prostitution<br />
zuständig ist. Zwar sind laut Angaben<br />
von ver.di kaum „SexarbeiterInnen“<br />
gewerkschaftlich organisiert, der<br />
Fachbereich arbeitet aber vor allem<br />
auf der politischen Ebene daran, Diskurse<br />
über die Notwendigkeit des<br />
ProstG in Gang zu setzen. Dahinter<br />
steht die Überzeugung, dass das Gesetz<br />
die Selbstbestimmung von Prostituierten<br />
fördert und ihre Rechte stärkt.<br />
D as<br />
ProstG hat aber nicht nur Befürworter.<br />
Besonders die feministische<br />
Zeitschrift Emma – und mit<br />
ihr die Herausgeberin Alice Schwarzer<br />
- bezieht klare Positionen gegen<br />
den neuen Umgang mit dem Sexhandel.<br />
Die Redakteurinnen der Emma lehnen<br />
Prostitution als Käuflichkeit von<br />
12/13<br />
Sex grundsätzlich ab. Dass vor allem<br />
Männer Frauen kaufen, um einseitigen<br />
Lustgewinn zu erzielen, ist für sie<br />
nicht mit der Menschenwürde und der<br />
Gleichberechtigung zu vereinbaren.<br />
Dementsprechend negativ fällt das Urteil<br />
der Emma über das ProstG und<br />
die damit einhergehenden Veränderungen<br />
aus: das Gesetz fördere die Akzeptanz<br />
eines gesellschaftlichen Zustandes,<br />
den es zwar schon immer gab<br />
(man denke an den Spruch von dem<br />
„ältesten Gewerbe der Welt“), der<br />
aber nichtsdestotrotz gegen die Menschenwürde<br />
verstößt. Prostituierte als<br />
SexarbeiterInnen zu titulieren setzt<br />
diesem Zustand die Krone auf – demnächst<br />
könnte wohlmöglich über Zumutbarkeitskriterien<br />
beim Arbeitsamt<br />
ganz neu nachgedacht werden, wie die<br />
Zeitschrift befürchtet. Und tatsächlich<br />
gibt es einen Fall, bei dem eine Arbeitslose<br />
von ihrem Vermittler den<br />
Vorschlag bekam, sich als Sexarbeiterin<br />
zu verdingen.<br />
Zudem gehen Untersuchungen der<br />
Zeitschrift davon aus, dass das Gesetz<br />
vor allem Zwangsprostitution fördern<br />
würde. Der Polizei seien dadurch,<br />
dass nicht nur die Prostitution sondern<br />
auch ihre Förderung in Form von Bordellbetreibung<br />
grundsätzlich erlaubt<br />
ist, die Hände gebunden, da sie Kontrollen<br />
solcher Rotlicht-Etablissements<br />
nicht mehr ohne konkrete Indizien<br />
für einen Verdachtsmoment<br />
vornehmen könnten. Dadurch könne<br />
Zwangsprostitution sowie die Misshandlung<br />
Minderjähriger nicht mehr<br />
so leicht aufgedeckt werden.<br />
Diese Meinung teilen die Feministinnen<br />
der Emma mit konservativen<br />
PolitikerInnen von der CDU – und<br />
sprengen damit die üblichen politischen<br />
Linien. Schließlich ist die Frauenbewegung<br />
einer der Ursprünge von
Bündnis 90/DIE GRÜNEN.<br />
Die <strong>Grüne</strong>n sind zweifelsohne<br />
die Partei, in der der Gedanke<br />
der Gleichberechtigung<br />
ideologisch wie<br />
organisatorisch am stärksten<br />
verankert ist. Doch in der<br />
Prostitutionsfrage scheiden<br />
sich die Geister, und so begrüßt<br />
die Emma die Vorschläge<br />
der Familien- und<br />
Frauenministerin von der<br />
Leyen, Prostitutionspolitik<br />
müsse vor allem die Hilfe<br />
zum Ausstieg fördern.<br />
Außerdem bevorzugen<br />
beide einen Ansatz wie in<br />
Schweden: dort sind es die<br />
Freier, die sich strafbar machen,<br />
wenn sie sexuelle<br />
Dienstleistungen in Anspruch<br />
nehmen. Das seit<br />
1998 in dem skandinavischen<br />
Land geltende Gesetz<br />
hat außerdem den Straftatbestand<br />
der Förderung von Prostitution,<br />
also z.B. des Betreibens<br />
von Bordellen,<br />
verschärft. Hingegen bleiben<br />
die Prostituierten unbescholten,<br />
da nur der Kauf,<br />
nicht der Verkauf, sexueller<br />
Leistungen strafbar ist. Den<br />
neuen Regelungen liegt die<br />
Auffassung zugrunde, dass<br />
die Käuflichkeit des (weiblichen)<br />
Körpers ein gleichberechtigtesGeschlechterverhältnis<br />
der gesamten Gesell-<br />
schaft untergräbt. Laut einer<br />
Studie der schwedischen Regierung<br />
hat das Gesetz zu einem<br />
fast vollständigen Verschwinden<br />
des Straßen-<br />
strichs geführt. Allerdings<br />
verlagert sich die Prostituti-<br />
WIE VIELE PROSTITUIERTE FREIWILLIG IN IHREM GEWERBE ARBEITEN,<br />
IST HOCH UMSTRITTEN. BILD: SIWI501@PHOTOCASE.DE<br />
on nun in schwer einsehbare<br />
Bereiche: Kontakte werden<br />
über Anzeigen und<br />
das Internet vermittelt<br />
und finden im Verborgenen<br />
statt.<br />
Ganz andere Wege gehen<br />
dagegen die Niederlande:<br />
dort machen sich weder<br />
Freier noch die<br />
Prostituierten strafbar,<br />
ebensowenig sind Bordelle<br />
verboten. Diese werden<br />
aber sehr scharf von Polizei,<br />
Ordnungs- und Gesundheitsamt<br />
auf Einhaltung<br />
menschenrechtlicher<br />
und hygienischer Standards<br />
kontrolliert. Gleichzeitig<br />
wurden die Gesetze<br />
zur Zwangsprostitution<br />
und zum sexuellen Missbrauch<br />
Minderjähriger verschärft.<br />
Dieser liberalen<br />
Handhabung mit freiwilliger<br />
Prostitution liegt der<br />
Gedanke zugrunde, dass<br />
die Menschen, die sich<br />
aus freien Stücken zur Prostitution<br />
entscheiden,<br />
nicht vom Staat daran gehindert<br />
werden sollten,<br />
sondern vielmehr angemessene<br />
Arbeitsbedingungen<br />
garantiert bekommen müssen.<br />
Wie lassen sich die Unterschiede<br />
in der Bewertung<br />
und dem Umgang<br />
mit Prostitution erklären,<br />
die quer durch die politischen<br />
Lager verlaufen?<br />
Es sind vor allem die verschiedenen<br />
Auffassungen<br />
zum Thema Freiwilligkeit<br />
der Prostitution sowie zu<br />
ihren gesellschaftlichen Auswirkungen.<br />
So geht die Emma davon aus,<br />
dass nur etwa 5 Prozent aller Frauen<br />
überhaupt ganz und gar freiwillig dieser<br />
Tätigkeit nachgehen. Eine Gruppe<br />
der Unfreiwilligen sind natürlich die<br />
Zwangsprostituierten, oft Ausländerinnen,<br />
die von ihren Zuhältern unter Androhung<br />
und Ausübung von Gewalt<br />
festgehalten werden. Die Emma<br />
glaubt aber darüber hinaus, dass auch<br />
Frauen, die angeben, aus freien<br />
Stücken ihren Körper zu verkaufen,<br />
dies nur behaupten. Denn viele Prostituierte<br />
seien schon als Kind oder in späteren<br />
Jahren Opfer sexuellen Missbrauchs<br />
gewesen und haben ein<br />
gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper<br />
und ihrer Sexualität. Sie würden sich<br />
selbst belügen, um mit der Situation zurechtzukommen,<br />
so die Emma, seien<br />
aber Opfer und keine selbstbestimmten<br />
„Sexarbeiterinnen“.<br />
Die Urheber des Prostitutionsgesetzes,<br />
das im übrigen nicht die Intention<br />
hat, Sex zu einem „Beruf wie jeden anderen“<br />
zu machen, haben anscheinend<br />
eine andere Auffassung von der Freiwilligkeit<br />
und Situation der Prostituierten.<br />
So glauben sie, dass es tatsächlich<br />
Menschen gibt, die diesen Beruf aus<br />
freien Stücken ausüben. Tatsächlich<br />
ist es ja auch eine gewisse Anmaßung<br />
der Feministinnen der Emma, für alle<br />
Frauen sprechen zu wollen, den Prostituierten<br />
ihre eigene Urteilskraft abzusprechen<br />
und ihr Verhalten als pathologisch<br />
zu bezeichnen. Im Gegensatz<br />
dazu haben die <strong>Grüne</strong>n vielleicht ein<br />
bisschen zu sehr dem Ideal der selbst<br />
bestimmten Hure angehangen und die<br />
besonderen Gefahren dieser Tätigkeit<br />
– physische wie psychische – außer<br />
Acht gelassen.<br />
Neben der Frage der Freiwilligkeit<br />
müssen die <strong>Grüne</strong>n, muss die ganze Ge-<br />
sellschaft sich aber noch weiteren Fragen<br />
stellen: welche Einflüsse hat die<br />
Akzeptanz der Käuflichkeit von Sex,<br />
vornehmlich aber die Käuflichkeit des<br />
weiblichen Körpers, auf unsere Gesellschaft?<br />
Bedeutet die Legalisierung eine<br />
Akzeptanz, dass „es Prostitution<br />
schon immer gab und immer geben<br />
wird“, wie es so schön heißt? Oder bewirkt<br />
gerade das Verbot die Verdrängung<br />
von gesellschaftlichen Realitäten,<br />
da es Prostitution nicht abschafft,<br />
sondern nur ins Verborgene drängt?<br />
Auch unter Berücksichtigung der bisher<br />
noch raren Befunde zur männlichen<br />
Prostitution gilt es diesen Diskurs<br />
weiter zu führen.<br />
www.gruene-jugend-nrw.de THEMA!<br />
<strong>02.2008</strong>
magazin der grünen jugend nrw<br />
ProContra<br />
Olympiade<br />
D as ist nicht nur das Credo der<br />
olympischen Spiele, sondern<br />
auch das des chinesischen Aufschwungs.<br />
Doch wie steht es um die<br />
Menschenrechte in China – und was<br />
verändern die olympischen Spiele<br />
2008 an der Situation?<br />
D ie<br />
Volksrepublik China ist<br />
das viertgrößte und mit etwa<br />
16 mal so vielen Einwohnern wie<br />
Deutschland das bevölkerungsreichste<br />
Land der Welt. Die Wirtschaft explodiert<br />
und das Bruttoinlandsprodukt<br />
steigt kontinuierlich. Trotzdem<br />
muss China noch immer als Entwicklungsland<br />
angesehen werden. Nicht<br />
nur, weil viele EinwohnerInnen noch<br />
immer am Rande des Existenzminimums<br />
leben, sondern auch, weil die<br />
Menschenrechte auf Kosten der Wirtschaft<br />
größtenteils auf der Strecke geblieben<br />
sind.<br />
Die Todesstrafe wurde immer<br />
noch nicht abgeschafft: allein 2007<br />
wurden 1040 Personen hingerichtet,<br />
mehr als in jedem anderen Land der<br />
Welt. Auch Menschenhandel ist immer<br />
noch Gang und Gäbe, vor allem<br />
Frauen werden immer wieder entführt<br />
und an die (ebenfalls) wachsende<br />
Sexindustrie verkauft. Genaue<br />
Zahlen dazu sind nicht bekannt,<br />
... unter diesem Motto sollen<br />
die olympischen Sommerspiele<br />
2008 in China stattfinden.<br />
Und die Choreographie soll perfekt<br />
sein, wenn es denn so weit ist.<br />
I m<br />
Moment wird noch fleißig vorbereitet<br />
und geprobt. 12 neue riesige<br />
Sportanlagen wurden angelegt (teilweise<br />
ist man auch noch dabei); dazu<br />
noch jede Menge neue Bus- und U-<br />
Bahnlinien, um den Ansturm der Besucher<br />
bewältigen zu können. Dieser Ausbau<br />
des ÖPNV soll als Nebeneffekt<br />
auch noch helfen, ein weiteres Problem<br />
in den Griff zu bekommen: die<br />
schlechte Luftqualität. Um sportliche<br />
Höchstleistungen zu vollbringen, brauchen<br />
die Sportler saubere Luft, und Peking,<br />
aufstrebende 15-Millionen-<br />
Stadt, ist nun einmal in eine dichte<br />
Smogwolke gehüllt. China versucht<br />
diesem Dilemma mit einem Mischmasch<br />
aus nachhaltigen (s.o.) und weniger<br />
nachhaltigen (Verlegung von Firmen<br />
für die Zeit der Olympiade etc.)<br />
Maßnahmen Herr zu werden. Doch<br />
nicht aufgrund der starken Verschmutzung<br />
wurde im Vorfeld heftig darüber<br />
diskutiert, ob man die Austragungsrechte<br />
der olympischen Spiele an Peking<br />
übergeben sollte oder nicht.<br />
D as<br />
größte Problem ist die desolate<br />
Lage der Menschenrechte in<br />
China.<br />
Die Gegner Pekings ziehen dabei<br />
vor allem als Argument heran, dass<br />
China die olympischen Spiele als Propagandaveranstaltung<br />
benutzen könnte,<br />
und dass die vielen Menschenrechtsverletzungen<br />
mit dem olympischen<br />
Grundgedanken nicht vereinbar wären.<br />
Doch dagegen muss gesagt werden,<br />
dass die Olympiade für die dort lebenden<br />
Menschen auch eine Chance<br />
ist.<br />
China rückt in den Blickpunkt der<br />
Öffentlichkeit, und wenn diese dort<br />
nun Pressezensur, Verfolgung von<br />
„Staatsfeinden“ und Todesstrafen -<br />
nicht ausschließlich für Kapitalverbrechen,<br />
auch für Wirtschaftsdelikte und<br />
sogar wegen Fahrraddiebstahls sollen<br />
schon Menschen hingerichtet worden<br />
sein - vorfindet, ist das ganz und gar<br />
nicht förderlich für Chinas Image, das<br />
die Regierung ja gerade durch die Austragung<br />
der olympischen Spiele verbessern<br />
will. Also wird sich China von seiner<br />
besten Seite zeigen müssen. Aber<br />
„zeigen“ wird nicht reichen, bei so<br />
viel Beachtung kann nicht alles versteckt<br />
werden. Also muss auch wirklich<br />
etwas geschehen. Und zwar sowohl<br />
in menschenrechtlicher als auch<br />
in ökologischer Hinsicht.<br />
Als Beispiel für die Wirksamkeit<br />
öffentlichen Drucks könnte man nennen,<br />
dass China aufgrund internationaler<br />
Proteste auf die Verwendung<br />
THEMA!<br />
Für die Olympischen Spiele<br />
in China<br />
großer Mengen zum Teil illegal geschlagenen<br />
Tropenholzes verzichtet<br />
DIE MÖNCHE TANZEN ZWAR NICHT - ABER<br />
BUNT IST ES ... BILD: JOHANNA<br />
ECKEL@JUGENDFOTOS.DE<br />
hat, das eigentlich für den Bau der Stadien<br />
eingeplant war. Noch viel bedeutender<br />
ist aber der Punkt, dass China<br />
(zwar nur für die Dauer der olympischen<br />
Spiele, aber immerhin) ausländische<br />
Journalisten ins Land lässt, die<br />
freier berichten dürfen. Auch die inländische<br />
Pressezensur wird für kurze<br />
Zeit ausgesetzt.<br />
D aran,<br />
dass diese Bedingungen<br />
des IOC beachtet werden, sieht<br />
man, dass der Westen durchaus in der<br />
Lage ist, einiges zu bewirken. Wenn<br />
nun während der Olympiade weitere<br />
gravierende Menschenrechtsverstöße<br />
aufgedeckt und öffentlich gemacht werden,<br />
ist China gezwungen zu reagie-<br />
ren. Natürlich ist das nicht die richtige<br />
Motivation für einen Staat, sich endlich<br />
um die Menschenrechte zu kümmern<br />
- der Wandel sollte aus eigenem<br />
Einsehen und Verständnis kommen.<br />
Aber das kann dauern ...<br />
M einer<br />
14/15<br />
Meinung nach ist diese<br />
„erzwungene“ Verbesserung<br />
der Menschenrechte sehr viel besser,<br />
als wenn überhaupt nichts passiert!<br />
Ein Kommentar der Süddeutschen Zeitung<br />
bringt all das treffend auf den<br />
Punkt:<br />
„Gewichtiger ist das Argument,<br />
Olympische Spiele könnten das Land<br />
offener machen und quasi im Huckepack<br />
Menschenrechte ins Land<br />
schmuggeln. Schließlich werde Peking<br />
im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit<br />
stehen und allein deshalb versuchen,<br />
artig zu sein.“<br />
Anna<br />
Brameyer<br />
(16) sieht die<br />
Situation<br />
positiv. Da<br />
nun der Blick<br />
der<br />
Öffentlichkeit<br />
auf China gerichtet ist, könnte sich<br />
der Zustand der Menschenrechte<br />
verbessern.
denn die Presse- und Berichterstattungsfreiheit<br />
ist ebenfalls stark eingeschränkt.<br />
Die lokale Presse wird zensiert,<br />
ausländische Journalisten<br />
werden unter Druck gesetzt, teilweise<br />
sogar unter Vorwänden inhaftiert,<br />
vor allem wenn es um als „sensibel“<br />
eingestufte Themen, wie eben die<br />
Menschenrechtsverletzungen oder<br />
auch die staatliche Allmacht geht.<br />
Denn die existiert.<br />
Im kommunistischen China kontrolliert<br />
der Staat alles, und keiner<br />
kontrolliert den Staat. So werden auf<br />
Kosten von Wirtschaftswachstum<br />
und zum Nutzen des Staates die<br />
Rechte der/s Einzelnen ignoriert.<br />
Sollte so einem Staat die Ehre zuteil<br />
werden, die olympischen Spiele auszutragen,<br />
die doch ein Symbol für<br />
Fairness und das Potenzial der/s Einzelnen<br />
sind?<br />
Gegen die Olympischen Spiele<br />
in China<br />
N achdem tatsächlich lange diskutiert<br />
wurde, ob es angesichts<br />
der Zustände in China nicht unverantwortlich<br />
sei, die Olympiade in China<br />
stattfinden zu lassen, wurde vom International<br />
Olympic Comittee (IOC) eine<br />
positive Wahl getroffen. Das IOC begründet<br />
seine Entscheidung damit,<br />
dass bei der Wahl des Austragungsortes<br />
die Organisationsfähigkeit im Vordergrund<br />
stand, während die politischen<br />
Begebenheiten weitestgehend<br />
außer Acht gelassen wurden.<br />
Jedoch sollte man nicht vergessen,<br />
dass China die Erlaubniserteilung der<br />
Olympiade als Bestätigung für seine<br />
Menschenrechtspolitik ansehen könnte.<br />
Außerdem wurde so die Chance vertan,<br />
die Erlaubniserteilung als Anreiz<br />
für eine grundlegende Verbesserung<br />
der Umstände zu nutzen.<br />
Allerdings hat China einige Auflagen<br />
bekommen, sodass weitere Maßnahmen<br />
ergriffen werden mussten. Es<br />
bleibt jedoch abzuwarten, ob diese<br />
Maßnahmen auf lange Sicht Erfolg haben<br />
werden. Außerdem haben viele<br />
der Pläne jetzt große Nachteile für die<br />
ohnehin schon unterdrückte Bevölkerung<br />
wie auch die rund 70 neuen Gesetze,<br />
auf deren Verletzung hohe Strafen<br />
stehen. So gibt es zum Beispiel Einwanderungsverbote<br />
nach Peking für<br />
WanderarbeiterInnen, BettlerInnen<br />
und Menschen mit geistigen Behinde-<br />
rungen - mit dem olympischen Gedanken<br />
ist dies keineswegs vereinbar.<br />
Stattdessen versucht man noch<br />
kurzfristig das Image der chinesischen<br />
Strafverfolgung zu verbessern, indem<br />
Polizisten aber auch BürgerInnen per<br />
Gesetz zu mehr Höflichkeit gezwungen<br />
werden.<br />
AUCH DAS IST CHINA - WENN AUCH NICHT<br />
NUR CHINA. BILD: KALLEJIPP@PHOTOCASE.DE<br />
Vergleiche mit der Olympiade<br />
1936, die von Hitler damals als Propaganda<br />
genutzt wurden, sind hier durchaus<br />
plausibel.<br />
A ber<br />
auch die ökologischen<br />
Aspekte dürfen natürlich nicht<br />
außer acht gelassen werden. Wie uns<br />
Fotos von smogverhangenen Skylines<br />
immer wieder vor Augen halten, ist<br />
die Sauberkeit der chinesischen Luft<br />
gelinde gesagt mangelhaft; dies ist keine<br />
gute Voraussetzung für volle Leistungen<br />
der Olympioniken. Doch auch<br />
dagegen unternimmt China - wie bei<br />
der Kandidatur 2001 versprochen - etwas.<br />
Als Beispiel wird gerne die Verlegung<br />
eines großen Stahlwerkes genannt.<br />
Allerdings bedeutet dies nur,<br />
dass die Schadstoffe an einem anderen<br />
Ort in die Luft geblasen werden. Von<br />
Nachhaltigkeit keine Spur! Würden<br />
die Emissionen wie versprochen drastisch<br />
gesenkt, dann hielte der Effekt<br />
nicht lange an, da die Luftverschmutzung<br />
aus den benachbarten Provinzen<br />
herübergeweht werden würde. China<br />
versichert zwar einen „blauen Himmel“<br />
für Peking und Umgebung, doch<br />
dieses Ziel ist wohl unmöglich zu ereichen.<br />
Da China nur bedingt nachhaltige<br />
Investitionen getätigt hat (Ausbau<br />
des U-Bahnnetzes, Fahrradverleih),<br />
liegt der Verdacht nahe, dass viele der<br />
ökologischen Maßnahmen nur der Eigenvermarktung<br />
dienen.<br />
Ein weiterer Schritt in die falsche<br />
Richtung, sind die Zwangsumsiedlungen<br />
derer, die an den für Sportstätten,<br />
Klärwerken und Ähnlichem, vorgesehenen<br />
Plätzen wohnen. Wie viele Menschen<br />
von Umsiedlungen betroffen<br />
sind, ist umstritten, da sich sämtliche<br />
Quellen widersprechen. Die Organisation<br />
COHRE (Centre of Housing<br />
Rights and Evictions) hält eine Zahl<br />
von 1,5 Millionen Menschen für möglich.<br />
Laut anderen Angaben handelt es<br />
sich „nur“ um 300.000 Menschen.<br />
Das chinesische Außenministerium<br />
spricht dagegen von lediglich 6.037<br />
Betroffenen. Dieses Beispiel zeigt anschaulich<br />
das große Problem, das mit<br />
der Olympiade mitschwingt, aber immer<br />
schon allgegenwärtig war: die<br />
mangelnde Pressefreiheit (s.o.). Es ist<br />
für chinesische wie für ausländische<br />
Reporter nur schwer möglich Tatsachen<br />
zu erfahren, die die unangenehmen<br />
Seiten der Olympiade darstellen.<br />
„Reporter ohne Grenzen“ plante<br />
sogar einen Boykott gegen die Olympiade,<br />
welcher jedoch wieder aufgegeben<br />
wurde.<br />
Es spräche also genug gegen China<br />
als Austragungsort der Olympischen<br />
Sommerspiele 2008, aber die bereits<br />
getroffene Entscheidung ist<br />
unwiderruflich. Also lasst uns doch<br />
das Beste daraus machen und auch die<br />
andere Seite der Medaille beachten,<br />
denn die Olympiade hat ja auch einige<br />
positive Nebenwirkungen, die man<br />
nicht vergessen sollte.<br />
Bianca<br />
Drepper (15)<br />
meint, dass<br />
man<br />
aufgrund der<br />
Unvermeidba<br />
rkeit der<br />
Olympischen<br />
Spiele auch das Gute an der Sache<br />
suchen und sehen sollte.<br />
www.gruene-jugend-nrw.de THEMA!<br />
<strong>02.2008</strong>
magazin der grünen jugend nrw<br />
Lea Gathen<br />
Big brother is watching you<br />
... in Britain!<br />
I m Jahre 1949 erschien George Orwells<br />
Roman „1984“ – heute ein<br />
Klassiker der Literatur, durch den sich<br />
so mancher „Englisch LK'ler“ kämpfen<br />
musste. Aber auch wer den Roman<br />
nicht gelesen hat, wird wohl mit dem<br />
charakteristischen Slogan „Big brother<br />
is watching you!“ vertraut sein,<br />
der sich durch die ganze Geschichte<br />
zieht. Im Roman erinnert dieser die<br />
Bürger daran, dass sie permanent überwacht<br />
werden. Was zur damaligen<br />
Zeit noch als Science Fiction galt und<br />
mit der Realität nicht mehr zu tun hatte<br />
als fliegende Untertassen, kommt<br />
dem Alltag in Großbritannien erschreckend<br />
nahe. Dort befinden sich zurzeit<br />
ca. 4,2 Millionen Überwachungskameras<br />
(alle Zahlen in diesem Artikel:<br />
„Big Brother schaut immer mit“, Die<br />
Presse v. 20.10.2007) – ein trauriger<br />
Weltrekord. Zum Vergleich: Die Zahl<br />
der Überwachungskameras in Deutschland<br />
wird auf 400.000 geschätzt. Diese<br />
gewaltige Zahl ist nur ein Spiegel<br />
der britischen Sicherheitspolitik, denn<br />
eine Überwachungskamera darf praktisch<br />
jeder aufstellen. Die Polizei darf<br />
im Verdachtsfall Zugriff verlangen.<br />
Hausbesitzer werden sogar öffentlich<br />
dazu aufgerufen die „kleinen Spione“<br />
zu installieren. Womit wir wieder bei<br />
George Orwell wären. In der unmittelbaren<br />
Umgebung des Hauses, wo er<br />
„1984“ verfasst, befinden sich heute<br />
beispielsweise zweiunddreißig Überwa-<br />
WOHIN MAN NUR SCHAUT, SIND DIE KA -<br />
MERAS SCHON DA ... BILD:<br />
ERIC_HOLST@JUGENDFOTOS.DE<br />
chungskameras.<br />
Aber ohne eine breite Zustimmung<br />
von Seiten der Bevölkerung wäre<br />
die Installation eines derartigen<br />
Überwachungsnetzwerkes, das die<br />
Menschen ihres Grundrechts auf Privatsphäre<br />
beraubt, nicht möglich. Woher<br />
kommt es also, dass Umfragen zufolge<br />
70-80% der Briten Überwachungs-<br />
systeme gutheißen? Die Antwort auf<br />
diese Frage liegt wohl zu einem<br />
großen Teil in der Angst der Bevölkerung<br />
vor gewaltsamen Übergriffen<br />
und weiteren terroristischen Anschlägen.<br />
Und diese Angst wird durch die<br />
Medien weiter geschürt. Der 7. Juli<br />
2005, der Tag, an dem durch einen terroristischen<br />
Anschlag vier Bombenträger<br />
in London detonierten, ist vielen<br />
Briten als traumatisches Ereignis in Erinnerung<br />
geblieben. Nach den Anschlägen<br />
wurden die mutmaßlichen Täter<br />
mithilfe von Videoaufzeichnungen des<br />
Bahnhofes „King’s Cross“ gefasst.<br />
Und auch in einigen anderen Aufsehen<br />
erregenden Kriminalfällen, denen<br />
britische Medien zu verstärkter Brisanz<br />
verhalfen, lieferten Videoaufzeichnungen<br />
entscheidende Indizien. Der<br />
Nutzen von Überwachungskameras<br />
zur Aufklärung von Verbrechen wird allerdings<br />
von kaum jemand in Frage gestellt.<br />
Doch es gilt, den tatsächlichen<br />
Nutzen und die zu erbringenden Opfer<br />
sorgfältig abzuwägen. Und schließlich<br />
bleibt die Frage: „Was passiert mit all<br />
dem Datenmüll? Werden in Zukunft alte,<br />
aus Kellern und illegalen Archiven<br />
hervor gekramte Aufzeichnungen für<br />
Aufruhr sorgen? Das Boulevardblatt<br />
„the sun“ würde sich sicher über ein<br />
paar pikante Aufnahmen irgendwelcher,<br />
auf dem roten Teppich flanierender<br />
Persönlichkeiten freuen. Gerne<br />
auch gegen Geldspende! Bestimmt wer-<br />
THEMA!<br />
den auch ein paar Scheine den Besitzer<br />
wechseln um an die Aufnahmen<br />
des Treffens vom Partner oder der Partnerin<br />
mit dem ominösen Mr. X zu gelangen.<br />
Doch was die kritische Betrachtung<br />
dieser Aspekte und die<br />
Zivilrechtsverletzungen angeht, so<br />
scheint es, als sonnten sich die Briten<br />
zu sehr in ihrer Scheinsicherheit im gläsernen<br />
Kasten. Auch das einfältige Argument,<br />
Überwachungskameras stellten<br />
ein wirkungsvolles Instrument zur<br />
Abschreckung dar, ist auf vielen Gebieten<br />
widerlegt worden. Sie können<br />
kaum Verbrechen verhindern, sie hel-<br />
fen nur bei der Fahndung nach den<br />
Tätern. Um Menschen vor Kriminalität<br />
zu schützen, braucht es Prävention,<br />
nicht Überwachung.<br />
E in<br />
Londoner wird jeden Tag<br />
durchschnittlich 300 Mal auf<br />
Film festgehalten. Auch angesichts<br />
der weltweiten „Bedrohung“ durch<br />
den Terrorismus schockieren mich<br />
persönlich solche Zahlen. Dennoch<br />
scheint ein Ende nicht in Sicht. Die<br />
Zahl der Kameras in Londons tube<br />
(U-Bahn) soll bis 2011 sogar verdoppelt<br />
werden („Mehr Kameras für<br />
mehr Sicherheit ‚Big Brother‘ hat jede<br />
Straßenecke Londons im Blick“, Saarbrücker<br />
Zeitung v. 22.08.2006).<br />
Bleibt nur noch die Hoffnung,<br />
dass sich Deutschland kein Beispiel<br />
nehmen wird an dem Land des „Big<br />
Brother“!<br />
Mona Meurer<br />
16/17<br />
Freiheit<br />
sichern<br />
M it der Landesmitgliederversammlung<br />
(LMV) am 05.<br />
und 06. April begann die neue Kampagne<br />
der <strong>Grüne</strong>n <strong>Jugend</strong> <strong>NRW</strong>, die<br />
sich, ebenso wie die LMV, des Themas<br />
„BürgerInnenrechte“ annahm.<br />
Unter dem Titel „Freiheit sichern –<br />
Gegen den Überwachungsstaat“ positioniert<br />
sich die <strong>Grüne</strong> <strong>Jugend</strong> <strong>NRW</strong><br />
klar gegen die Sicherheitswut von<br />
Schäuble und Co, die ihre Bürger unter<br />
dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung<br />
ausspionieren und dabei<br />
ihre Daten nicht nur in großem Umfang<br />
sammeln, sondern diese zum<br />
Teil sogar für kommende Zwecke<br />
speichern wollen - bis jetzt nur maximal<br />
6 Monate, doch viele fürchten eine<br />
stetige Aufweichung der bisherigen<br />
gesetzlichen Grenzen. So auch<br />
die <strong>Grüne</strong> <strong>Jugend</strong> <strong>NRW</strong>, die gegen<br />
weitere Überwachungswut aufklären<br />
und mobilisieren will.<br />
Basisgruppen vor Ort sind aufgerufen,<br />
sich mit kreativen Aktionen an<br />
der Debatte um das Verhältnis von<br />
unveräußerlicher Freiheit und notwendiger<br />
Sicherheit zu beteiligen.<br />
Übrigens befassen sich auch die<br />
„Altgrünen“ derzeit mit BürgerInnenrechten:<br />
Am 12. und 13. April wurde<br />
die Landesdelegiertenkonferenz<br />
(LDK) der <strong>Grüne</strong>n <strong>NRW</strong> zu diesem<br />
Thema in Hamm abgehalten.
Matthi Bolte<br />
Aus der Geschichte lernen<br />
K aum ein Politikfeld war zur<br />
Zeit der <strong>Grüne</strong>n Regierungsbeteiligung<br />
so umstritten wie die Friedenspolitik,<br />
und in kaum einem Bereich<br />
gab es mit dem Eintritt in die<br />
Bundesregierung so viele Veränderungen<br />
der <strong>Grüne</strong>n Partei. Um diese Veränderungen,<br />
aber auch das <strong>Grüne</strong> Handeln<br />
in speziellen Themenbereichen<br />
aufzuarbeiten, hat die GRÜNE JU-<br />
GEND Bundesverband mit Beschluss<br />
des 26. Bundeskongresses im Mai<br />
2006 die Friedenspolitische Kommission<br />
eingesetzt. In diese Kommission gewählt<br />
wurden Jan Albrecht, Laura Appeltshauser,<br />
Arvid Bell, Matthi Bolte,<br />
Maria Klindworth, Sarah Mayer, Linda<br />
Michalek und Stephan Schilling.<br />
M it dem jetzt vorliegenden Abschlussbericht<br />
zeigt die Kommission,<br />
dass eine fundierte, reflektierte<br />
und kritische Auseinandersetzung<br />
mit der Rot-<strong>Grüne</strong>n Friedenspolitik<br />
möglich und notwendig ist. Kritik<br />
wird dabei aber nicht zum Selbstzweck:<br />
es konnte eine große Zahl guter<br />
Ansätze festgestellt werden. So<br />
konnten die <strong>Grüne</strong>n beispielsweise<br />
den Bereich ziviler Konfliktprävention<br />
und -bewältigung aus seinem Schattendasein<br />
befreien, die OSZE als multi-<br />
laterale Organisation stärken und eine<br />
transparentere Rüstungsexportpolitik<br />
voranbringen. Demgegenüber steht<br />
aber auch das <strong>Grüne</strong> Scheitern in Gretchenfragen<br />
wie der Abschaffung der<br />
Wehrpflicht, der Begrenzung der Aufrüstung<br />
oder dem umfassenden Ausbau<br />
einer Sicherheitsarchitektur auf<br />
der Basis der Vereinten Nationen.<br />
Eine Bilanz der Regierungsbeteiligung<br />
ist notwendig und durch die Grü-<br />
ne Partei noch nicht in ausreichendem<br />
Umfang erbracht worden. Zwar analysieren<br />
einzelne Abgeordnete regelmäßig<br />
die Konsequenzen <strong>Grüne</strong>r Entscheidungen,<br />
diese positiven Ansätze sind<br />
aber in kein allgemeines Evaluationskonzept<br />
eingebettet. Auch im Abschlussbericht<br />
der Friedens- und Sicherheitspolitischen<br />
Kommission von<br />
Bündnis 90/Die <strong>Grüne</strong>n ist die Aufarbeitung<br />
der Regierungsbeteiligung nur<br />
DIE MITGLIEDER DER FRIEDENSPOLITISCHEN KOMMISSION DER GRÜNEN JUGEND<br />
BILD: GRÜNE JUGEND<br />
ein Teilaspekt.<br />
An vielen Stellen wird durch eine<br />
kritische Bilanz des Vergangenen der<br />
Rahmen für eine eventuelle neue Regierungsbeteiligung<br />
verbessert. Ein Beispiel<br />
ist die Beteiligung am Krieg im<br />
Kosovo 1999, eine der <strong>Grüne</strong>n Kerndebatten.<br />
Der Abschlussbericht der Kommission<br />
hat eine gewisse Überforderung<br />
der Regierung festgestellt. Durch<br />
den starken internationalen Druck gelang<br />
es zunächst nicht, den Kurs, der<br />
bereits auf eine deutsche Kriegsbeteiligung<br />
gerichtet war, noch umzukehren.<br />
Der außenpolitische Wandel, den die<br />
<strong>Grüne</strong>n in ihrem Wahlprogramm 1998<br />
noch gefordert hatten, blieb aus, auch<br />
wenn die Bundesregierung – insbesondere<br />
Joschka Fischer – im weiteren Verlauf<br />
des Krieges vermittelnd eingreifen<br />
konnte. Erst wenn die Fehler von<br />
damals analysiert sind, werden sie bei<br />
einer künftigen Regierungsbeteiligung<br />
ausbleiben.<br />
S elbstverständlich hat die Kommission<br />
der <strong>Grüne</strong>n <strong>Jugend</strong><br />
auch Empfehlungen aus ihren Erkenntnissen<br />
abgeleitet. So muss das Primat<br />
des Zivilen zur Richtschnur <strong>Grüne</strong>r Außenpolitik<br />
werden, die Abrüstung vorangetrieben<br />
und eine globale Friedensordnung<br />
entwickelt werden, die rein<br />
militärische Bündnisse wie die NATO<br />
überflüssig macht. Natürlich muss<br />
Deutschland Vorreiter einseitiger Abrüstung<br />
sein, die Bundeswehr verkleinern<br />
und die Wehrpflicht abschaffen.<br />
Die <strong>Grüne</strong>n müssen aber auch an sich<br />
selbst arbeiten: eine Personalpolitik,<br />
die wie zwischen 1998 und 2002 fast<br />
das gesamte außenpolitische Spitzen-<br />
personal verschleißt, sollte vermieden<br />
werden, ebenso eine Kommunikation,<br />
die durch Geschichts- und Moralbezüge<br />
belastet ist.<br />
www.gruene-jugend-nrw.de bei GRÜNS<br />
<strong>02.2008</strong><br />
D ie<br />
wichtigste Erkenntnis aber<br />
lautet: die Debatte vor Ort<br />
muss in Schwung kommen. Der Abschlussbericht,<br />
der in Kürze über den<br />
Bundesverband zu beziehen sein wird,<br />
kann dabei für die <strong>Grüne</strong> <strong>Jugend</strong> hilfreich<br />
sein, um den Diskurs anzustoßen.<br />
Auch die Mitglieder der Kommission<br />
können angefragt werden, die<br />
Debatte vor Ort mit anzustoßen und<br />
über die Arbeitsergebnisse zu berichten.<br />
über die Friedenspolitische<br />
Kommission: HTTP://WWW.GRUENE-<br />
JUGEND.DE/AKTUELLES/SHOW/418162.<br />
HTML<br />
Dort gibt es auch den gesamten<br />
Bericht (144 empfehlenswerte<br />
Seiten) der Friedenspolitischen<br />
Kommission der <strong>Grüne</strong>n <strong>Jugend</strong><br />
zum Herunterladen.<br />
Matthi Bolte<br />
(22) kommt<br />
aus Bielefeld<br />
und hat sich<br />
in der<br />
Friedenspolitis<br />
chen<br />
Kommission<br />
mit alten <strong>Grüne</strong>n Programmen, der<br />
<strong>Grüne</strong>n Personalpolitik und <strong>Grüne</strong>n<br />
Strukturen beschäftigt.
magazin der grünen jugend nrw<br />
Mona Meurer<br />
Bericht aus Brüssel<br />
W ährend<br />
der Großkonzern als<br />
Profiteur einer ungerechten<br />
Globalisierung in aller Munde ist,<br />
wird Afrika als Opfer der globalen EU-<br />
Handelspolitik systematisch – und immer<br />
mehr unter öffentlicher Beachtung<br />
– seiner natürlichen Ressourcen<br />
beraubt.<br />
Frithjof Schmidt, Europaabgeordneter<br />
aus <strong>NRW</strong>, setzt sich im EUROPÄI -<br />
SCHEN PARLAMENT in Brüssel für Fairen<br />
Handel und ein soziales Europa<br />
ein. Der ungerechte Welthandel im<br />
Kontext des Nord-Süd-Konfliktes ist<br />
ein Kernaspekt grüner Politik in Europa.<br />
Doch mangelt es auch innerhalb Europas<br />
an sozialer Gerechtigkeit.<br />
H inter der europäischen Einigung<br />
stand, neben der Sicherung<br />
des Friedens, stets auch der Gedanke<br />
der Verbreitung sicheren<br />
Wohlstands, angetrieben durch das europäische<br />
Wirtschaftswunder. Doch Europas<br />
Bürger haben keineswegs in<br />
dem Maße soziale Teilhaberechte, wie<br />
die Gründerväter der EU dies vorsahen.<br />
Soziale Gerechtigkeit ist ein oft<br />
bemühtes politisches Schlagwort – europäische<br />
Realität ist sie nicht.<br />
Im Januar 2008 schloss der Handyhersteller<br />
Nokia sein Werk in Bochum<br />
– über 2000 entlassene Mitarbeiter<br />
und Spekulationen über unverdiente<br />
EU-Subventionen sind die Folgen. Bei<br />
aller Verantwortung des Konzerns, ist<br />
sein Handeln doch lediglich Symptom<br />
einer gegenwärtigen Entwicklung, die<br />
Staaten zu reinen Standortkonkurrenten<br />
degradiert, welche in einem aussichtslosen<br />
race to the bottom um die<br />
Gunst großer Firmen ringen, die Investitionen<br />
und Arbeitsplätze ins Land<br />
bringen sollen. Dabei bleiben Arbeitsstandards<br />
immer mehr auf der Strecke,<br />
ebenso wie die soziale Sicherung. Der<br />
Name dieses Phänomens: Globalisierung.<br />
Eine der Grundlagen <strong>Grüne</strong>r Europapolitik<br />
ist die Vision eines europäischen<br />
Kontinents sozialer Gerechtigkeit,<br />
in dem Firmen wie Nokia nicht<br />
die Regierungen der EU-Länder an<br />
der Nase herumführen.<br />
Der Wandel zu einem sozialen<br />
und nachhaltig wirtschaftenden Europa<br />
gestaltet sich – natürlich – merklich<br />
schwierig: So hat die EU keinerlei<br />
Kompetenzen im Bereich der Steuern.<br />
EU-einheitliche Unternehmenssteuern<br />
sind also derzeit unmöglich, ebenso europaweite<br />
soziale Mindeststandards.<br />
Denn auch in der Sozialpolitik lassen<br />
sich die Nationalstaaten nur ungern<br />
von der EU Vorschriften machen –<br />
eben wegen der starken Standortkonkurrenz<br />
untereinander und mit anderen<br />
Weltregionen. Zu unterschiedlich<br />
sind die nationalen ökonomischen und<br />
sozialen Ausgangslagen, Paradebeispiel<br />
wurde hier im Januar Rumänien<br />
im Vergleich zu Deutschland.<br />
D och<br />
klar ist, dass die Standortkonkurrenz<br />
der Nationalstaa-<br />
ten, ihr Werben um globale Unternehmen,<br />
fatale Folgen hat: am Ende des<br />
„RACE TO THE BOTTOM“ stehen 27 Verlierer,<br />
gewinnen können nur die transnationalen<br />
Konzerne – und die Rechte<br />
der Bürger Europas bleiben auf der<br />
Strecke. EU-Standards in der Arbeitspolitik<br />
könnten die Auswirkungen der<br />
Globalisierung mindern. Eine Idee hierbei<br />
ist ein europaweiter “Mindestlohn”,<br />
der aufgrund der unterschiedlichen<br />
Preisniveaus in den Volks-<br />
wirtschaften natürlich nicht europaweit<br />
gleich sein kann. Vielmehr sollte<br />
bei GRÜNS<br />
sich solch ein Minimaleinkommen am<br />
jeweiligen nationalen Durchschnittslohn<br />
orientieren.<br />
Transnationale Unternehmen stärker<br />
in die soziale Pflicht zu nehmen,<br />
ist Frithjofs Wunsch für eine europäische<br />
Sozialpolitik. Dazu müssen Arbeits-<br />
und Sozialstandards stärker in<br />
den europäischen Fokus und dürfen<br />
nicht mehr nur national betrachtet werden.<br />
Es gilt zu verhindern, dass soziale<br />
Sicherung in Europa unter die Räder<br />
einer ungerechten Globalisierung<br />
gerät und die EU damit ihre Akzeptanz<br />
in der Bevölkerung verliert.<br />
D ie Außenwirtschaftspolitik der<br />
EU orientiert sich zu wenig an<br />
entwicklungspolitischen Leitlinien –<br />
und treibt dadurch die ungerechte Globalisierung<br />
voran, unter der sie innnereuropäisch<br />
leidet. Während europäi-<br />
KRITISIERT DIE AUSSENWIRTSCHAFTSPOLI-<br />
TIK DER EU: DAS EUROPAPARLAMENT.<br />
BILD: EUROPÄISCHES PARLAMENT<br />
sche Entwicklungshilfe weniger<br />
entwickelte Staaten voranbringen soll,<br />
wirft die Handelspolitik der EU mit<br />
den Ländern des Südens diese in ihrer<br />
Entwicklung weit zurück. Entwicklungsländer<br />
werden zu rechtlosen Res-<br />
18/19<br />
- seit 2004 grüner Abgeordneter im<br />
Europaparlament, vorher Vorsitzender<br />
von Bündnis 90/DIE GRÜNEN<br />
<strong>NRW</strong><br />
- Vizepräsident des Entwicklungsausschusses<br />
und Mitglied im Handelsausschuss<br />
- Themenschwerpunkte: europäische<br />
Entwicklungspolitik, FairTrade,<br />
Menschenrechte, EU-Strukturpolitik<br />
- Frithjofs Lebensmotto: „Das Leben<br />
ist zu kurz für schlechte Weine.“<br />
sourcenlieferanten degradiert, die Produktentwicklung<br />
und der technische<br />
Fortschritt finden in Europa statt.<br />
In ihren Partnerschaftsabkommen<br />
mit Entwicklungsländern setzt die Union<br />
immer wieder den Süden benachteiligende<br />
Bedingungen durch, in deren<br />
Folge europäische Unternehmen<br />
die Lebensgrundlagen der Menschen
vor Ort rücksichtslos ausbeuten dürfen.<br />
Derzeit ist die EU Ziel von rund<br />
80% der westafrikanischen Exporte<br />
im Bereich Holz und Fisch. Als Hauptabnehmer<br />
hat die EU hier eine soziale<br />
und ökologische Verantwortung zum<br />
nachhaltigen Wirtschaften. Die Volkswirtschaften<br />
etwa Ghanas oder des Senegals<br />
sind in hohem Maße abhängig<br />
von der Fischerei als Quelle von Nahrung,<br />
als Exportgut und als Wirtschaftszweig,<br />
der Arbeitsplätze stellt.<br />
Doch europäische Handelsabkommen<br />
mit Afrika haben besonders im Bereich<br />
von Forstwirtschaft und Fischerei<br />
oft die totale Ausbeutung dieser<br />
Ressuorcen zur Folge - und damit die<br />
Zerstörung der Umwelt und der nationalen<br />
Ökonomie.<br />
Eine Studie der Internationalen Organisation<br />
für Migration (IOM) vom<br />
September 2007 belegt in Bezug auf<br />
den Senegal einen direkten Zusammenhang<br />
zwischen dem Niedergang der lokalen<br />
Fischerei-Industrie und verstärkter<br />
Migration. Die vielen afrika-<br />
nischen Flüchtlinge, die an den Außengrenzen<br />
Europas zum Teil mit roher<br />
Gewalt vom europäischen Wohlstand<br />
ausgeschlossen werden, sind auch Folge<br />
der ungerechten Handelspartnerschaften.<br />
D as Problem: Außenhandel und<br />
Entwicklungspolitik sind voneinander<br />
getrennte Politikfelder, die<br />
nicht gegenseitiger Kontrolle unterliegen.<br />
Doch den europäischen Außenhandel<br />
will Frithjof Schmidt nicht länger<br />
unabhängig von EU-Entwicklungspolitik<br />
betrachtet wissen – zu<br />
groß sind die Auswirkungen, beispielsweise<br />
der Fischereipolitik der<br />
Union auf Entwicklungsländer der<br />
Südhalbkugel. Es braucht daher einen<br />
EU-internen Kontrollmechanismus,<br />
zum Beispiel eine parlamentarische<br />
Kommission, die die verschiedenen<br />
außenpolitischen Politikfelder der EU<br />
auf ihre entwicklungspolitischen Auswirkungen<br />
hin abklopft. Bis jetzt haben<br />
Abgeordnete des Entwicklungsaussschusses,<br />
dessen Vizepräsident<br />
Frith- jof ist, wenig Einfluss auf wichtige<br />
Wirtschaftsthemen, die zum Beispiel<br />
im Fischereiausschuss des Parlaments<br />
verhandelt werden.<br />
g l o s s a r<br />
Das PARLAMENT DER EUROPÄISCHEN<br />
UNION (EU) ist das einzige direkt<br />
gewählte Organ der EU. Die fast 800 Abgeordneten,<br />
entsandt von nationalen Parteien,<br />
haben derzeit noch viel zu wenig<br />
Kompetenzen, weshalb das Parlament zu<br />
häufig als EU-interne Opposition, denn<br />
als Dgesetzgebendes Organ fungiert.<br />
er „RACE TO THE BOTTOM“ bezeichnet<br />
den Wettlauf der Nationalstaaten<br />
um die Gunst transnationaler Unternehmen.<br />
Der „Gewinner“ kann dabei nur<br />
der Staat mit den schlechtesten Arbeitsund<br />
Lebensbedingungen für die Bürger<br />
sein – denn miserable Sozial-, Umwelt-,<br />
und Arbeitsstandards sind wesentliche<br />
„Standortfaktoren“. Verlierer sind also immer<br />
Bürgerinnen und Bürger<br />
D amit sich die junggrüne Arbeit<br />
in <strong>NRW</strong> nicht allein auf die<br />
Landesmitgliederversammlungen (LM-<br />
Ven) beschränkt, wurde im November<br />
2005 ein neues Gremium für die <strong>Grüne</strong><br />
<strong>Jugend</strong> eingeführt: der Basisrat. Dieser<br />
ist seit seiner ersten Sitzung 2006<br />
in Dortmund das höchste Beschluss<br />
fassende Organ zwischen den LM-<br />
Ven. Hauptsächlich dient er dazu, Basisgruppen<br />
zu vernetzten, zu informieren<br />
und Aktionen zu planen – deshalb<br />
auch der Name Basisrat.<br />
D ie<br />
Treffen des Basisrates ähneln<br />
einer LMV, nur in wesentlich<br />
kleinerem Rahmen. Eine Versammlung<br />
dauert meist einen<br />
Vormittag und umfasst in der Regel<br />
Workshops zum Tagesthema und eine<br />
Sitzung auf der, wie auf der LMV, Informationen<br />
ausgetauscht, kleinere Sachen<br />
bestimmt und Vorträgen gehalten<br />
werden. Ein Präsidium, das zu<br />
Anfang jedes Jahres gewählt wird, or-<br />
ganisiert und leitet die Treffen.<br />
U nabhängig von seiner Größe stehen<br />
jedem Kreisverband zwei<br />
quotierte Stimmen bei den Abstimmungen<br />
im Basisrat zu. Dazu sollten vor<br />
Ort zwei Delegierte gewählt werden,<br />
die dann stimmberechtigt an den Treffen<br />
teilnehmen und wenn nötig das<br />
Wort für die im Kreisverband vertretenen<br />
Basisgruppen ergreifen. Beschlüsse<br />
des Basisrates sind meist relevant<br />
für die kommende LMV.<br />
Eingeladen zum Basisrat sind neben<br />
den stimmberechtigten Delegierten<br />
der Basisgruppen auch alle anderen<br />
Mitglieder der <strong>Grüne</strong>n <strong>Jugend</strong>, die<br />
sich über die Treffen mit anderen Junggrünen<br />
vernetzen und austauschen wollen<br />
oder einfach an den spannenden<br />
Vorträgen und Workshops im Rahmen<br />
des Basisrates teilnehmen wollen.<br />
DER ERSTE BASISRAT 2006 IN DORTMUND<br />
BILD: GRÜNE JUGEND <strong>NRW</strong><br />
Was ist<br />
eigentlich der Basisrat?<br />
T reffen des Basisrates finden –<br />
nach dem Vorbild der LMVen –<br />
dreimal im Jahr statt und sind immer<br />
eine gute Gelegenheit, die anderen<br />
grünen <strong>Jugend</strong>lichen des Landes kennen<br />
zu lernen.<br />
Der nächste Basisrat ist am<br />
21.6.2008 in Oberhausen geplant. Das<br />
Thema und weitere Informationen<br />
werden zeitnah auf der Homepage der<br />
<strong>Grüne</strong>n <strong>Jugend</strong> bekannt gegeben.<br />
www.gruene-jugend-nrw.de bei GRÜNS<br />
<strong>02.2008</strong>
magazin der grünen jugend nrw<br />
Franziska Richter<br />
Obstbäume statt Braunkohle!<br />
W er Matthias Scharpenberg,<br />
der bei der Protestaktion teilgenommen<br />
hat, interviewen will, muss<br />
sich warm anziehen – er arbeitet bei<br />
Wind und Wetter auf dem freitäglichen<br />
Biomarkt am Domplatz in Münster.<br />
Während er die Kundschaft mit<br />
köstlichem Käse versorgt, stehe ich bibbernd<br />
vor Kälte daneben (ich habe<br />
mich natürlich nicht warm angezogen),<br />
nur gewärmt von einer riesigen<br />
Portion Kartoffeln mit dicken Bohnen<br />
vom Stand nebenan.<br />
:> <strong>krass</strong>: Matthias, du warst bei<br />
der Besetzung der BUND-Obstwiese<br />
im Januar dabei. Gegen was genau<br />
richtete sich diese Aktion?<br />
Matthias: Die Obstwiese, die dem<br />
BUND gehört, sollte an den Energiekonzern<br />
RWE abgetreten werden. Die<br />
ganze Gegend rund um die Wiese<br />
wird für Braunkohletagebau genutzt<br />
und der Fortbestand des Grundstücks<br />
des BUND hätte Produktivitätseinbußen<br />
für den Energiekonzern zur Folge.<br />
Falls dann die Bagger weiter vorrücken<br />
und damit die Obstwiese tatsächlich<br />
zu einer Insel mitten im Braunkohletagebau<br />
machen würden, wäre<br />
dies ein Sicherheitsrisiko für Menschen<br />
auf dem Obstwiesengelände, da<br />
es jederzeit zu Erdrutschen kommen<br />
könnte. Daher wollte RWE das Grundstück<br />
haben.<br />
Das heißt, der BUND wurde<br />
zwangsenteignet?<br />
Das ist so nicht ganz richtig. Die Wiese<br />
bleibt weiterhin Eigentum des<br />
BUND, aber der Besitz fällt RWE zu.<br />
Das heißt, sie haben die Nutzrechte<br />
für das Grundstück. Nicht nur wir sind<br />
Braunkohle ist einer der klimaschädlichsten<br />
Energieträger, weil bei ihrer<br />
Verbrennung mit. 800 Gramm pro Kilowattstunde<br />
besonders viel CO2 ausgestoßen<br />
wird. Weitere Umweltschäden<br />
entstehen beim Tagebau zur<br />
Gewinnung der Kohle – ganze Landschaftsstriche<br />
werden umgegraben<br />
und der Wasserspiegel abgesenkt. Zudem<br />
werden Menschen zwangsumgesiedelt<br />
oder –enteignet und der Feinstaub<br />
aus den Kraftwerken stellt ein<br />
Gesundheitsrisiko dar. Trotzdem setzen<br />
Energiekonzerne wie RWE weiterhin<br />
auf Braunkohle.<br />
davon betroffen, es wurden schon ganze<br />
Dörfer „evakuiert“ oder zwangsumgesiedelt.<br />
Möglich wird das durch altes<br />
preußisches Bergrecht von 1865,<br />
das solche „Enteignungen“ erlaubt,<br />
wenn die Erschließung volkswirtschaftlich<br />
wichtiger Güter damit verbunden<br />
ist ...<br />
... die dann kommerzialisiert werden<br />
und das Klima schädigen.<br />
Richtig. Dieses Gesetz ist einfach so<br />
veraltet, dass wir unsere Aktion des-<br />
halb auch nicht als rechtswidrige Besetzung<br />
aufgefasst haben. Und die Bevölkerung<br />
dort sieht dies ähnlich. Für sie<br />
geht es um persönlichen Schicksale<br />
und zu geringe Entschädigungszahlungen.<br />
Wir haben deshalb auch sehr viel<br />
Unterstützung von den Anwohnern bekommen.<br />
Die brauchtet ihr doch bestimmt<br />
auch – es muss ja bitterkalt und ungemütlich<br />
gewesen sein. Wie habt<br />
ihr denn so eure Tage im Camp verbracht?<br />
Naja, es war schon ziemlich kalt. Ich<br />
war insgesamt fünf Tage dort und da<br />
hat es morgens auch ordentlich gefroren<br />
... um uns ein bisschen warm zu<br />
halten und kochen zu können, hatten<br />
wir eine Feuerjurte, also ein nach<br />
oben hin offenes Zelt, in dem ein Feuer<br />
brennt. An diesem Ort spielte sich<br />
natürlich besonders abends das Campleben<br />
ab. Außerdem hatten wir noch<br />
ein Küchenzelt und natürlich Schlafzelte.<br />
Ein Plumpsklo haben wir uns einfach<br />
selbst gegraben.<br />
Die meiste Zeit des Tages haben<br />
wir uns am Feuer aufgehalten und<br />
auch viel gegessen, bei der Kälte hast<br />
du eigentlich immer Hunger. Ich hatte<br />
mir sogar was zum Lernen für die Uni<br />
mitgenommen, aber dazu bin ich dann<br />
wegen der Kälte nicht gekommen.<br />
Hattet ihr auch Besuch?<br />
Ja, besonders am Wochenende waren<br />
viele Leute da. Neben den Anwohnern<br />
kultur & gesellschaft<br />
und Interessierten sind auch viele Journalisten<br />
gekommen, von ARD, ZDF,<br />
privaten Sendern, 1live, dpa, da war alles<br />
dabei. Wir haben echt viel Aufmerksamkeit<br />
erzielt, was uns natürlich<br />
MATTHIAS SCHARPENBERG BEI DER AR -<br />
BEIT BILD: FRANZISKA RICHTER<br />
freut, denn sonst denkt eigentlich niemand<br />
über die Menschen nach, die<br />
vor Ort mit der Landschaftsverwüstung<br />
leben müssen. Und natürlich hatten<br />
wir auch Besuch von der Polizei ...<br />
Gab es Konfrontationen oder Auseinandersetzungen?<br />
Die Polizei war eigentlich ziemlich kooperativ,<br />
die haben auch versucht, zwischen<br />
uns und dem RWE zu vermitteln.<br />
Auch bei der Räumung, bei der<br />
ich allerdings nicht mehr dabei war,<br />
ist alles recht friedlich abgelaufen.<br />
Und wie hat sich RWE verhalten?<br />
Kam da mal jemand vom Konzern<br />
zu euch?<br />
Nein, die haben sich auf der Obstwiese<br />
nicht blicken lassen. Aber es waren<br />
Wachmänner dort, die an den Wällen<br />
20/21<br />
patrouilliert haben.<br />
An den Wällen?<br />
Ja, RWE hatte mit Baggern Wälle aufgeschaufelt,<br />
um den Zugang zur Wiese<br />
zu erschweren. Es war nur noch ein<br />
Zugang frei. Aber wir haben unser Essen<br />
und das ganze Zubehör einfach<br />
über die Wälle 'rüber getragen.<br />
Trotzdem, ganz schön aggressives<br />
Vorgehen! Ich habe gelesen, dass<br />
die nach der Räumung sofort alles<br />
platt gemacht haben.<br />
Ja das stimmt, sie haben alle Bäume<br />
umgewalzt. Uns war auch im Vorhinein<br />
klar, dass das so ausgehen würde.<br />
Die Aktion war aber schon sehr gelungen,<br />
weil sie so viel Aufmerksamkeit<br />
erzielt hat. Demnächst läuft auch noch<br />
eine Sendung auf dem Radiosender<br />
1live darüber.<br />
Gab es denn auch etwas, was nicht<br />
so gut gelaufen ist?<br />
Wenn du so fragst – es hat mich schon<br />
ein bisschen gewundert, dass nicht<br />
mehr Leute zu uns gekommen sind,<br />
nicht um uns zu besuchen, nein, um<br />
mit uns die Wiese zu besetzen. Dabei<br />
wussten viele ja von der Aktion, es<br />
war groß in allen Medien zu lesen.<br />
Mit dem Thema Klimaschutz kannst<br />
Du ja schon eine Menge Leute erreichen.<br />
Aber es reicht eben nicht, alle<br />
paar Jahre grün zu wählen, um das Klima<br />
zu schützen, man muss auch mal<br />
in der Kälte für die Sache kämpfen.<br />
Ich hätte mir gewünscht, dass mehr<br />
Leute genau dazu bereit gewesen wären.<br />
Du scheinst ja schon sehr naturverbunden<br />
zu sein – ist es das, was dich<br />
zur Arbeit im BUND motiviert?<br />
Auf jeden Fall. Neben dem Klimaschutz<br />
ist es mein zentrales Anliegen,<br />
die Leute von einem anderen Lebensstil<br />
zu überzeugen und den auch selber<br />
vorzuleben. Ich bin vor etwa einein-
halb Jahren zum BUND gekommen<br />
und habe am Anfang Kindergruppen<br />
in der Natur angeleitet. Und letztes<br />
Jahr habe ich zusammen mit einem<br />
Freund im Rahmen des Projektes<br />
„Land der Kontraste“ für den BUND<br />
ein ganz besonderes Projekt gemacht:<br />
Den Lauf der Kontraste. Der<br />
begann auch bei der Obstwiese, die<br />
ja in der Nähe von Köln ist, und endete<br />
bei einer Windkraftanlage im<br />
Paderborner Land.<br />
Ihr seid die ganze Strecke gelau-<br />
fen?<br />
Ja, 400 Kilometer, barfuß und ohne<br />
Geld. Unterwegs sind wir natürlich<br />
vielen Leuten begegnet und mit ihnen<br />
ins Gespräch gekommen. Wir haben<br />
Diskussionen geführt, auf Umweltschutzprojekte<br />
und Umwelt-<br />
sünden aufmerksam gemacht und haben<br />
die Menschen aus ihrem Alltagstrott<br />
herausgerissen. Die Menschen<br />
verbindet das Streben nach Glück<br />
und damit verbundene Werte. Besonders<br />
Gruppen, die sich um die Umwelt<br />
kümmern, haben diese Werte<br />
bei ihrer praktischen Umsetzung im<br />
Auge. Die Erkenntnis für die gemeinsame<br />
Sache einzustehen und nicht<br />
nur dem egoistischen Glück hinterherzulaufen,<br />
gilt es zu fördern und zu<br />
fordern.<br />
Franziska Richter<br />
"Lachen ist die<br />
subversivste aller<br />
Waffen" (Marjane Satrapi)<br />
W as<br />
weißt du über den Iran?<br />
Dass die Frauen Kopftücher<br />
tragen, Benno Ohnesorg am Tag des<br />
Schahbesuchs erschossen wurde und<br />
Ahmadinedschad Atomkraft mag? Ist<br />
das alles? Dann kann dieser Comic-<br />
Film dir sicher weiterhelfen ...<br />
Der französische Trickfilm „Persepolis“<br />
stammt aus der Feder der Exil-<br />
Iranerin Marjane Sartrapi, die erst in<br />
Wien lebte und inzwischen nach Frankreich<br />
emigriert ist. Er basiert auf dem<br />
gleichnamigen Comic, in dem Sartrapi<br />
ihre <strong>Jugend</strong>erlebnisse verarbeitete.<br />
Der Film erzählt die Geschichte<br />
des Mädchens Marjane, das als Kind liberaler<br />
Eltern in Teheran aufwächst.<br />
Als es acht ist, geht der Schah ins<br />
Exil. Die Familie hat große Hoffnungen<br />
in die Zukunft, nachdem das diktatorische<br />
Regime des Schahs beendet<br />
ist. Doch schon bald werden diese<br />
Hoffnungen zunichte gemacht, als im<br />
Zuge der Revolution 1979 die islamische<br />
Republik ausgerufen wird. Die antiwestliche,<br />
sittenstrenge und frauenfeindliche<br />
Ideologie des Gottesstaats<br />
widerspricht dem Freigeist, zu dem<br />
Marjane erzogen wurde und so handelt<br />
sie sich immer wieder Ärger ein,<br />
zum Beispiel wenn sie mit einem<br />
„Punk is not dead“-T-Shirt durch die<br />
Straßen läuft.<br />
Die Eltern beschließen, ihre Tochter<br />
nach Wien zu schicken, um ihr ein<br />
freies Aufwachsen zu ermöglichen.<br />
Doch nach einigen Jahren der Einsam-<br />
keit, in der sie ihre Pubertät nebst<br />
mancher Drogen-Eskapaden durchlebt,<br />
beschließt die junge Frau, dass<br />
sie lieber bei ihrer Familie sein möchte,<br />
als einsam frei zu sein. Einige Jahre<br />
versucht sie die Unterdrückungen<br />
zu ignorieren, und trotz der Sitten-<br />
wächterInnen und Demütigungen ein<br />
unbeschwertes Leben zu führen.<br />
Doch schließlich obsiegt ihr Freiheitswille<br />
und sie verlässt den Iran, um<br />
dauerhaft in Frankreich zu leben.<br />
In Zeiten immer realer wirkender<br />
Zeichentrickfilme aus dem Filmstudio<br />
Pixar ist Marjane Sartrapis Zeichenstil<br />
außergewöhnlich und angenehm<br />
altmodisch. Die Story des Films ist so<br />
traurig und lustig zugleich, dass keine<br />
Spezialeffekte nötig sind, um ihn zu<br />
einem Erlebnis zu machen. Die ganze<br />
Geschichte ist im klassischen Comicstil<br />
schwarz-weiß gezeichnet, lediglich<br />
die Rahmenhandlung, die in die<br />
Ereignisse einführt, ist farbig gehalten.<br />
Neben dem ästhetischen Anspruch<br />
besticht der Film besonders<br />
durch die geschichtlichen Hintergründe<br />
der aktuellen Situation im Iran, die<br />
man ganz nebenbei vermittelt bekommt,<br />
ohne dass man sich belehrt<br />
fühlen würde. Man spürt, was es bedeutet,<br />
in zentralen BürgerInnen- und<br />
Selbstbestimmungsrechten eingeschränkt<br />
zu werden, wenn Marjane<br />
vergeblich gegen das Kopftuch in der<br />
Uni protestiert oder die Gäste einer<br />
Party vor Angst fast sterben, weil die<br />
Amokh<br />
www.gruene-jugend-nrw.de kultur & gesellschaft<br />
<strong>02.2008</strong><br />
Franziska Richter<br />
D ieses leckere vegane Rezept<br />
aus Kambodscha ist nicht etwa<br />
einem Kochbuch entnommen, sondern<br />
hat über Mund-zu-Mund-Propaganda<br />
seinen weiten Weg von<br />
Südostasien nach Nordrhein-Westfalen<br />
angetreten ... es eignet sich wunderbar,<br />
um mit Freunden zu kochen,<br />
denn es ist einfach zuzubereiten und<br />
schmeckt herrlich exotisch.<br />
Ihr braucht:<br />
- 1-2 Tassen Naturreis<br />
- ca. 500 ml Kokosmilch<br />
- ca. 250 ml Wasser für den Eintopf<br />
und Wasser zum Reiskochen<br />
- Pilze (frisch oder aus der Dose, am<br />
besten sind asiatische Strohpilze)<br />
- Gemüse (eine hervorragende Kombination<br />
sind Blumenkohl und Paprika,<br />
jedes andere Gemüse, am besten saisonal,<br />
geht aber auch)<br />
- 2-3 getrocknete Chilischoten<br />
- 2 Stangen Zitronengras (bekommt<br />
man im Asia-Laden)<br />
- frischen Ingwer<br />
- ca. 3 TL Kurkuma<br />
Sittenpolizei Alkohol bei ihnen finden<br />
könnte. Und doch hinterlässt der<br />
Film nicht nur bedrückende Impressionen<br />
sondern zeigt uns: Lachen ist<br />
die subversivste aller Waffen.<br />
Persepolis, seit Ende 2007 in den<br />
Kinos, gibt es bald auch auf DVD.<br />
- Kreuzkümmel<br />
- 2-3 Knoblauchzehen<br />
1. Naturreis in Wasser einweichen<br />
2. In der Zwischenzeit das Gemüse<br />
klein schneiden, den Knoblauch fein<br />
hacken und den Ingwer reiben<br />
3. Zitronengras von seiner Außenhaut<br />
befreien und in der Mitte durchknicken.<br />
4. Nun den Reis mit doppelter Wassermenge<br />
köcheln lassen.<br />
5. Die Kokosmilch, 250 ml Wasser<br />
und Kurkuma zusammen aufkochen<br />
lassen. Dann das zerknickte Zitronengras<br />
als ganzes in den Topf geben. Anschließend<br />
den geriebenen Ingwer<br />
Knoblauch dazugeben und schließlich<br />
die Chilis hineinkrümeln.<br />
6. Nun das Gemüse hinzufügen. Dabei<br />
die unterschiedlichen Garzeiten<br />
beachten und die unterschiedlichen<br />
Gemüsesorten dementsprechend nacheinander<br />
hinzugeben.<br />
7. Wenn das Gemüse gar ist, noch mit<br />
Salz und Kreuzkümmel würzen und<br />
das Zitronengras herausnehmen. Der<br />
Eintopf ist nun fertig und kann zusammen<br />
mit dem Reis serviert werden.
magazin der grünen jugend nrw<br />
Marie Brammer<br />
Frieden schaffen - lieber<br />
ohne Waffen?<br />
D as Cover der :> <strong>krass</strong>-Aprilausgabe<br />
2007 zierte das Tarnfleckmuster<br />
der Bundeswehr. Der<br />
Grund: Diskussion über das deutsche<br />
Engagement in Afghanistan, das durch<br />
den Einsatz deutscher Tornados wieder<br />
in den Fokus gerückt war. Unter<br />
dem Titelthema „Frieden“ waren damals<br />
Pro und Contra Artikel für Militäreinsätze<br />
zu finden.<br />
Ein eventueller Bundeswehreinsatz<br />
im Süden des Landes hat Afghanistan<br />
Anfang 2008 erneut in die politische<br />
und öffentliche Diskussion<br />
gebracht. Die Flut entsprechender Stellungnahmen<br />
aus Politik und Presse<br />
lässt mensch bei dem Versuch einer<br />
Meinungsbildung schnell verzweifeln.<br />
Unabhängig davon, wie ihr zu dem<br />
vom Bundestag gebilligten Einsatz der<br />
Bundeswehr in Afghanistan steht - um<br />
mitdiskutieren zu können, hier ein wenig<br />
zusammengetragenes Hintergrundwissen.<br />
A ussprüche<br />
wie „Die Bundeswehr<br />
ist überflüssig!“ oder „Es<br />
gibt keinen anderen Weg, als den Einsatz<br />
der Bundeswehr“ sind populistisch,<br />
sie können keine Basis für eine<br />
ausgewogene Diskussion sein.<br />
Deutschland ist mit mehr als<br />
3.000 Soldaten der drittgrößte Truppensteller<br />
der International Security Assistance<br />
Force (ISAF), die im Auftrag<br />
der NATO in Afghanistan im Einsatz<br />
ist.<br />
„Die internationale Truppe ISAF,<br />
deren Aufstellung der Weltsicherheitsrat<br />
am 20. Dezember 2001 beschloss,<br />
soll im Auftrag der Vereinten Nationen<br />
die afghanische Regierung bei der<br />
Wahrung der Menschenrechte sowie<br />
bei der Herstellung und Wahrung der<br />
inneren Sicherheit unterstützen. Der<br />
Kampf gegen das terroristische Netzwerk<br />
Al-Qaida und gegen die Taliban<br />
ist Aufgabe der Operation Enduring<br />
Freedom (OEF). Mandat und Organisation<br />
der Friedenstruppe ISAF sind davon<br />
strikt getrennt.“ (www.bundeswehr.de).<br />
Bisher sind deutsche<br />
Truppen nur im „friedlicheren“ Norden<br />
des Landes stationiert. Nun soll<br />
ein Kampfverband der Bundeswehr<br />
die Norweger bei der schnellen Eingreiftruppe<br />
(Quick Reaction Force)<br />
der NATO im Norden ablösen – und<br />
im Notfall NATO-Partnern im umkämpften<br />
Süden helfen.<br />
Hinterfragt werden vor allem die<br />
Beweggründe, die 2001 zu einer Entscheidung<br />
für eine militärische Intervention<br />
in Afghanistan angeführt wurden<br />
und ob diese durch die aktuellen<br />
Entwicklungen noch zu rechtfertigen<br />
sind. Die Argumentation des ehemaligen<br />
Verteidigungsministers Peter<br />
Struck, Deutschland werde am Hindukusch<br />
verteidigt, überzeugt nicht<br />
mehr. Zwei Drittel der Deutschen sind<br />
gegen die Entsendung einer Eingreift-<br />
ruppe in den Süden Afghanistans.<br />
A uch das Aufzeigen des Prinzips<br />
„NATO-Bündnisfall“ - einer<br />
für alle, alle für einen; alle NATO-Mitglieder<br />
für die USA, die in 9/11 den<br />
Grund für eine Terrorbekämpfung in<br />
Afghanistan sieht - reicht zur Rechtfertigung<br />
des deutschen „Mehr-Einsatzes“<br />
nicht mehr aus.<br />
Die Bedeutung der NATO und das<br />
Schlagwort „Bündnissolidarität“ sind<br />
Streitpunkt geworden. Zeit online<br />
spricht von einer „Scheinsolidarität,<br />
die aus Sicht der Amerikaner, Kanadier<br />
und Briten seit Jahren im Bündnis<br />
herrscht“ und einem „möglichen<br />
Bruch des NATO-Westens“. Andere<br />
Pressequellen formulieren <strong>krass</strong>er „Im<br />
Norden wird gebaut, im Süden wird geblutet.<br />
Auf die Dauer zerreißt das die<br />
Allianz“.<br />
Joschka Fischer schreibt in der<br />
Montagskolumne der „Zeit online“:<br />
„In Afghanistan geht es um sehr viel<br />
für die NATO, erstens um Sieg oder<br />
Niederlage am Boden. Und zweitens<br />
daher um die Zukunft des Bündnisses<br />
insgesamt. [...] Deutschland läuft seit<br />
langem Gefahr, als Hauptverantwortlicher<br />
für ein mögliches Scheitern der<br />
NATO in Afghanistan gesehen zu werden,<br />
das würde für die deutsche Außenpolitik<br />
den Maximalschaden bedeu-<br />
kultur & gesellschaft<br />
ten.“<br />
E benso diskutiert wird die generelle<br />
Notwendigkeit der NATO-<br />
Mitgliedschaft Deutschlands besonders<br />
unter dem Gesichtspunkt einer<br />
„amerikanischen Vorherrschaft“ im<br />
Bündnis. Dazu Feridun Zaimoglu, Mitglied<br />
der Deutschen Islamkonferenz:<br />
„[...] Die Amerikaner vertreten mit ihrer<br />
Imperialpolitik eigene Interessen<br />
und man darf sich auf keinen Fall zum<br />
Werkzeug dieser Politik machen.“ Damit<br />
spricht Zaimolglu aus, was viele<br />
nicht erst seit gestern denken. Solch kritische<br />
Stimmen sind in der Presse eher<br />
selten, was die oben erwähnte Einstellung<br />
der Bundesbürger nicht gerade repräsentiert.<br />
N eben Fragen nach dem Sinn<br />
und Grund der deutschen Beteiligung<br />
an ISAF steht die Frage nach<br />
dem weiteren Vorgehen im Raum. Erwartungsgemäß<br />
uneinig sind sich die<br />
Politiker und Journalisten auch bei<br />
dem Thema der militärischen Entwicklung<br />
des Einsatzes.<br />
Robert Zion betonte auf dem Afghanistan-Parteitag<br />
der <strong>Grüne</strong>n: „Der<br />
Krieg in Afghanistan ist militärisch<br />
nicht zu gewinnen“. Dies haben namenhafte<br />
Kenner des Landes von Anfang<br />
an prophezeit, auch aus historischer Erfahrung:<br />
die Briten haben im 19. und<br />
die Russen im 20. Jahrhundert katastrophale<br />
Niederlagen in Afghanistan erlitten.<br />
Auch Bernhard Gertz, Vorsitzender<br />
des Bundeswehr-Verbandes (einer<br />
gewerkschaftsähnlichen Berufsvertre-<br />
22/23<br />
tung der Soldaten) räumt ein, eine Stabilisierung<br />
des Landes sei bisher nicht<br />
gelungen. Mehr Kampftruppen für<br />
den Süden würden das Problem nicht<br />
lösen. Er weist auf das Ziel hin, Afghanistan<br />
nicht wieder zu einer terroristischen<br />
Operationsbasis werden zu lassen.<br />
Dies könne nur durch die<br />
Entwicklung der Staatlichkeit (Polizei,<br />
Verwaltung, Justiz, Streitkräfte) erreicht<br />
werden.<br />
Ü<br />
berraschend, aber wahr: Angelika<br />
Beer, sicherheitspolitische<br />
Sprecherin der <strong>Grüne</strong>n im Europaparlament,<br />
und Verteidigungsminister<br />
Franz-Josef Jung benutzen das gleiche<br />
Stichwort - „Strategiewechsel“, „Gesamtansatz“.<br />
Um der Verantwortung<br />
der Stabilisierung Afghanistans und<br />
der Entwicklung der Staatlichkeit<br />
nachzukommen, müsse eine Mischung<br />
aus Kampfeinsatz und Schutz<br />
sowie Hilfe zum Wiederaufbau praktiziert<br />
werden. In seiner Rede auf der<br />
Münchener Sicherheitskonferenz im<br />
Februar 2008 sagte Jung, erste Vorschläge<br />
für eine solche Gesamtstrategie<br />
seien auf einem informellen Treffen<br />
der Verteidigungs-minister der<br />
NATO schon unterbreitet worden.<br />
Man wolle bis zum NATO-Gipfel in<br />
April einen Plan erarbeiten.<br />
„Nachdem die USA die Taliban<br />
2001 erfolgreich bekämpft<br />
und vertrieben haben“ - diese<br />
Formulierung trifft die Lage nicht gerade<br />
treffend. Die Taliban, Al-Qaida<br />
sind immer noch präsent und wahrscheinlich<br />
mit einer noch so großen<br />
„Erweiterung des militärischen Einsat-
zes“ nicht zu bekämpfen. Afghanische<br />
Partisanen beherrschen große Teile<br />
des unwegsamen Südens, hier<br />
kommt es immer wieder zu Guerilla-<br />
Gefechten mit den ISAF-Truppen.<br />
Das Einflussgebiet der von den<br />
Amerikanern eingesetzten „Regierung“<br />
Karsai in Kabul endet an der<br />
Stadtgrenze der Hauptstadt. In den Provinzen<br />
herrschen „Warlords“, Stammesfürsten<br />
und ihre Clans, die den<br />
Drogenanbau und -handel kontrollieren.<br />
Die Heroinproduktion macht ca.<br />
37% des afghanischen Bruttoinlandsprodukts<br />
aus (New York Times), der<br />
Schlafmohnanbau ist wesentlicher<br />
Teil der Wirtschaft. Armut und Arbeitslosigkeit<br />
beherrschen das Bild des Landes.<br />
Unter der Bevölkerung besteht<br />
Angst mit ISAF zu kooperieren, fürchtet<br />
sie doch nach dem Abzug der Truppen<br />
aus der Region einen blutigen<br />
Konflikt mit zurück kehrenden Taliban.<br />
Immer wieder kommt es bei Angriffen<br />
der Amerikaner auf vermeintliche<br />
Taliban zu „Kollateralschäden“,<br />
ein Unwort, bezeichnet es doch die unschuldigen,<br />
zivilen Opfer militärischer<br />
Operationen.<br />
So verwundert es nicht, dass die afghanische<br />
Bevölkerung an den häufig<br />
als Besatzern empfundenen NATO-<br />
Soldaten zweifelt. Demokratie ist<br />
noch längst nicht in Afghanistan angekommen,<br />
der amerikanische Demokratieexport<br />
mehr oder weniger gescheitert.<br />
L ediglich<br />
ein Zehntel der Ausgaben,<br />
die der NATO-Militäreinsatz<br />
verursacht, werden in humanitäre<br />
Projekte für den Wiederaufbau des<br />
Landes investiert. Dieses Geld fließt<br />
in Nicht-Regierungsorganisationen<br />
(NGOs) und internationale Projekte,<br />
die sicherlich auch einen wichtigen<br />
Beitrag zu Stabilisierung leisten, nicht<br />
aber in die so viel gepriesene Entwicklung<br />
eines Staates.<br />
Die spärlich vorhandenen staatlichen<br />
Strukturen werden weder von<br />
den Afghanen selbst noch von den internationalen<br />
Geldgebern als verlässlich<br />
empfunden. Doch haben sie ohne<br />
ausländische Hilfe überhaupt eine<br />
Chance „verlässlich“ zu werden? Das<br />
Vertrauen und den Rückhalt der Bevölkerung<br />
zu gewinnen und zu stabili-<br />
sieren?<br />
Sehr schön die Formulierung eines<br />
Afghanen, des Schriftstellers Latif<br />
Pedram, der bis zu ihrer Zerstörung<br />
Direktor der Bibliothek von<br />
Baghlan war, 2005 in einem Artikel<br />
in „Le Monde“: „Der Staat? Da es<br />
ihn eigentlich nicht gibt, wissen die<br />
Einwohner nicht, an wen sie sich mit<br />
ihren alltäglichen Problemen wenden<br />
sollen: An den bewaffneten Gangsterboss<br />
des Viertels, den Drogenbaron,<br />
den Vertreter einer NGO oder doch<br />
an einen amerikanischen Soldaten?“<br />
Marie Brammer<br />
(16)<br />
kommt aus<br />
dem hübschen,unscheinbaren<br />
Heimerzheim<br />
und schaut<br />
auch mal gerne über den Tellerand<br />
hinweg nach Afganistan.<br />
Lea Gathen<br />
A nm. der Redaktion: Im folgenden<br />
wird der Begriff TürkIn im<br />
Sinne der ethnischen Zugehörigkeit benutzt,<br />
nicht im Sinne der Nationalzugehörigkeit.<br />
K onflikte<br />
Nationalstolz einmal anders<br />
zwischen ethnischen<br />
Gruppen gibt es überall, aber<br />
doch nicht in Deutschland, oder? Das<br />
dachte ich zumindest eine lange Zeit.<br />
Bis ich in meinem Umfeld das erste<br />
Mal mitbekam, dass manche der Menschen<br />
hier mit türkischem Migrationshintergrund<br />
sich als KurdIn bezeichnen<br />
– statt als TürkIn. Auf der<br />
anderen Seite avancierte „Kurde“ zum<br />
Top-Schimpfwort unter meinen türkischen<br />
MitschülerInnen. Wie sieht das<br />
eigentlich aus, der Umgang von KurdInnen<br />
und TürkInnen miteinander<br />
hier in Deutschland? Um das herauszufinden,<br />
traf ich mich mit Güllü Güler,<br />
Sprecherin der <strong>Grüne</strong>n Grevenbroich<br />
und Semih Yldirim, Schülersprecher<br />
der Europaschule in Köln, zu einem Interview.<br />
Vom Konflikt zwischen KurdInnen<br />
und TürkInnen in der Türkei habt<br />
ihr vielleicht schon mal in der Schule<br />
gehört oder in der Zeitung gelesen.<br />
Worum geht es da eigentlich und<br />
warum ist TürkIn nicht gleich TürkIn?<br />
Also in der Türkei sind verschiedene<br />
Ethnien vertreten. Die statistischen<br />
Zahlen über diese Gruppen variieren<br />
sehr stark, weil es keine offiziellen<br />
Zahlen gibt und viele Menschen nicht<br />
eindeutig zuzuordnen sind. „Demnach<br />
leben in der Türkei folgende Ethnien:<br />
70 bis 80 % Türken, ca. 20 bis 30 %<br />
Kurden, 2 bis 3 % Zaza, 2 % Araber,<br />
1 % Albaner, 0,5 % Tscherkessen, 0,5<br />
% Georgier sowie diverse andere ethnische<br />
Gruppen und Nationalitäten wie<br />
Abchasen, Aramäer, Armenier, Bosniaken,<br />
Bulgaren, Griechen, Lasen,<br />
Tschetschenen.“, schreibt Wikipedia.<br />
Auch unter den Türken gibt es verschiedene<br />
Völker wie die Krimtataren,<br />
Tataren, Mescheten und Tahtacı.<br />
Was die Religion betrifft, so sind nach<br />
offiziellen Statistiken 92,6 % der türkischen<br />
Bevölkerung Muslime. Davon<br />
sind etwa 65 bis 70 % Sunniten, die<br />
restlichen 30 bis 35 % Aleviten. Ein<br />
großer Unterschied der Aleviten gegenüber<br />
den Sunniten ist, dass sie den Koran<br />
nicht wörtlich auslegen.<br />
Zuerst habe ich mir von den beiden<br />
einmal erklären lassen, in welchen<br />
Regionen der Türkei besonders<br />
viele Kurden leben. Sowohl Güllüs<br />
als auch Semihs Familie kommen aus<br />
einer Stadt des geographischen Bereiches,<br />
auf den viele Kurden Besitzanspruch<br />
unter dem Name „Kurdistan“<br />
erheben, unter den übrigens auch Teile<br />
anderer Länder wie Irak, Iran und<br />
Syrien fallen. Die Karten über diesen<br />
Bereich weisen zum Teil sehr unterschiedliche<br />
Grenzen aus.<br />
Güllü: In der Türkei leben 20 Millionen<br />
KurdInnen. [Anm. der Red: es<br />
gibt 40 Millionen KurdInnen weltweit]<br />
Kann man grundsätzlich etwas darüber<br />
aussagen, wo die in Deutschland<br />
lebenden TürkInnen (einschließlich<br />
KurdInnen)<br />
herkommen?<br />
Das ist natürlich sehr unterschiedlich,<br />
aber es gibt schon Gebiete, wo viele<br />
Flüchtlinge herkommen. Dersim zum<br />
Beispiel ist eine Stadt, in deren Gebiet<br />
wirklich viele Menschen aus ihren<br />
Dörfern getrieben wurden, auch in<br />
letzter Zeit. Oder auch die Hauptstadt<br />
von Kurdistan, Dyarbakir, aus der Gegend<br />
sind viele Leute hier. Also es gibt<br />
viele Kurdenfamilien hier, weil ihre<br />
Dörfer damals vom Militär, naja leergeräumt,<br />
wurden. Sie mussten flüchten,<br />
es gab keinen anderen Ausweg.<br />
Also jetzt noch einmal generell zu<br />
diesem ethnischen Konflikt. Wenn<br />
man in der Türkei geboren ist, hat<br />
man aber schon die türkische<br />
Staatsbürgerschaft, oder?<br />
Ja, genau und im Ausweis ist man direkt<br />
als Moslem bekannt. Die Aleviten<br />
und die Christen wollen das eigentlich<br />
nicht und waren schon immer dagegen.<br />
In der deutschen Presse herrscht ja<br />
zum Teil ein wenig Uneinigkeit über<br />
die Stellung der PKK in der Türkei.<br />
Also aus der Kolumne „ein überflüssiger<br />
Krieg“ in der Frankfurter<br />
www.gruene-jugend-nrw.de kultur & gesellschaft<br />
<strong>02.2008</strong>
magazin der grünen jugend nrw<br />
Rundschau heißt es am 09.01.2008<br />
„Hinzu kommt, dass die Überreste<br />
der PKK heute von niemandem<br />
mehr unterstützt werden. […]<br />
Warum also kämpft die Türkei gegen<br />
Windmühlen?“ In einem Interview<br />
mit dem Kurdistan-Experten<br />
Hadsch-Hossein heißt es ebenfalls<br />
in der Frankfurter Rundschau am<br />
03.11.2007 „sie [die PKK] kann von<br />
heute auf morgen 50.000 Menschen<br />
auf die Straße bringen.“ Wie seht<br />
ihr das?<br />
Die PKK ist auf jeden Fall sehr stark<br />
in Kurdistan. In den kurdischen Dörfern<br />
z.B. auf die die Türkei Anschläge<br />
verübt hat oder plant ist das – ich sag<br />
mal so – die Leute habe keine Wahl,<br />
als zu den Waffen zu greifen, um nicht<br />
zu sterben.<br />
Semih: Naja ...<br />
Das ist aber so, oder?<br />
Sagen wir mal so, was von dem Medien<br />
berichtet wird, ist ja, dass keine Dörfer<br />
angegriffen werden, sondern nur<br />
Stützpunkte der PKK.<br />
Ja, aber dann fragt man sich warum<br />
so viele Zivilisten sterben, warum so<br />
viele Tiere umgebracht werden,<br />
warum jetzt wieder so viele Dörfer leergeräumt<br />
werden müssen, wenn es nur<br />
umso ein paar Stützpunkte geht.<br />
Es gibt ja auch so Leute, die vor der<br />
PKK flüchten.<br />
Ja natürlich gibt es auch Leute, die weder<br />
zur PKK, noch zum türkischen,<br />
zum iranischen oder zum syrischen<br />
Staat tendieren. Sie flüchten dann oft<br />
nach Europa, wo sie ihre Meinung<br />
über die PKK kund tun, dass sie ja so<br />
schlecht sei. Ich mein, ich bin selber<br />
auch nicht für einen Kampf mit Waffen,<br />
den die PKK jetzt führt. Ich bin selber<br />
nicht dafür, aber irgendwo wird<br />
man da natürlich schon psychisch beeinflusst,<br />
wenn man da geboren ist.<br />
Ich habe ja auch mit vielen Leuten Interviews<br />
geführt, die geflüchtet sind.<br />
Ich denke, es gibt keinen anderen Ausweg.<br />
Wenn dein Bruder, dein Vater<br />
und deine Schwester auch bei der<br />
PKK sind, und der Staat dich ständig<br />
aufgrund deiner Herkunft als Terrorist<br />
abstempelt, dann denkst du dir auch irgendwann:<br />
„Es reicht mir! Ich gehe in<br />
den Befreiungskampf!“<br />
Seht ihr denn die Möglichkeit, dass<br />
die betreffenden Gebiete in der Osttürkei,<br />
wo viele KurdInnen leben, irgendwann<br />
einmal eine Art autonomen<br />
Status erlangen und trotzdem<br />
noch Teil der Türkei bleiben? Jetzt<br />
ist die Lage natürlich noch sehr gespannt,<br />
aber wie könnte das in einigen<br />
Jahren aussehen?<br />
Ja, also es sitzen ja jetzt schon einige<br />
Kurden im Parlament, von der DTP,<br />
der Partei der demokratischen Gesellschaft.<br />
Die kurdischen Parlamentarier<br />
sind noch nie soweit gekommen.<br />
Ja, aber ich denke, dass sie sich eher<br />
von der PKK abgrenzen sollten.<br />
[Anm. der Red.: aufgrund technischer<br />
Schwierigkeiten mit dem Diktiergerät<br />
entspricht der nachfolgende Text<br />
nicht mehr Wort für Wort dem Original.]<br />
Sie haben nie gesagt, dass sie etwas<br />
mit der PKK zu tun haben und grenzen<br />
sich ja auch ständig davon ab. Sie<br />
setzen sich für das kurdische Volk ein.<br />
Und das ist wichtig, denn viele positive<br />
politische Schritte der türkischen Regierung<br />
beruhen nur auf ihrem Bestreben<br />
in die EU zu kommen.<br />
IM GESPRÄCH: GÜLLÜ GÜLER (LINKS) UND SEMIH YLDIRIM (RECHTS)<br />
Wie sieht es denn nun hier in<br />
Deutschland mit dem Konflikt aus?<br />
Du hast ja jetzt schon sehr deutlich<br />
gemacht, Güllü, dass in der ersten<br />
Generation aufgrund der individuellen<br />
historischen Erfahrungen sehr<br />
wohl ein Unterschied zwischen Kur-<br />
kultur & gesellschaft<br />
den und Türken gemacht wird. Wie<br />
sieht das denn mit <strong>Jugend</strong>lichen<br />
aus? Nehmen wir einmal das klassische<br />
Beispiel: Liebesbeziehungen.<br />
Wäre das ein Problem zwischen einem/r<br />
<strong>Jugend</strong>lichen aus einer türkischer<br />
Familie und einem/r <strong>Jugend</strong>lichen<br />
aus einer kurdischen Familie?<br />
Leider ja.<br />
Um mal eine Erfahrung aus meinem<br />
persönlichen Leben zu schildern, ich<br />
war mit einer Kurdin zusammen und ihre<br />
Eltern waren extrem dagegen. Ihr Vater<br />
hatte sich in der Türkei stark politisch<br />
engagiert und stand auch der<br />
PKK sehr nahe. Er hat mich von Anfang<br />
an abgelehnt, obwohl<br />
er mich nie kennen gelernt<br />
hat. Layla [Name geändert]<br />
„meine Freundin“<br />
kommt hier besser, find<br />
ich, hat mir erzählt, dass er<br />
mich zum Beispiel mit negativen<br />
Charakteren der<br />
Fernsehsendung Hatirla<br />
Sevgili, des türkischen Senders<br />
ATV verglichen hat.<br />
War sie denn Sunnitin?<br />
Nein, Alevitin. Letztendlich<br />
ist unsere Beziehung<br />
auch an diesen Problemen<br />
gescheitert. Tja, da kann<br />
man nichts machen.<br />
Wie ist das sonst so im Alltagsleben?<br />
Machen KurdInnen<br />
und TürkInnen<br />
denn nichts gemeinsam?<br />
Doch schon. Früher hatte<br />
ich auch einige türkische<br />
Freundinnen, aber dann ist das irgendwie<br />
immer schwieriger geworden. Die<br />
Mutter des einen Mädchens hat ihre<br />
Tochter sogar einmal gewarnt, ich könne<br />
sie auf falsche Gedanken bringen.<br />
Oder am 25.08.2007, da haben wir<br />
ein Konzert gemeinsam mit den Grü-<br />
24/25<br />
nen organisiert und wir haben auch eine<br />
ausdrücklich Einladung an einen<br />
türkischen <strong>Jugend</strong>verein geschickt,<br />
aber von denen ist keiner erschienen.<br />
Meinst du denn, es wären kurdische<br />
<strong>Jugend</strong>liche gekommen wenn jetzt<br />
beispielsweise die DITIB ein Konzert<br />
gemeinsam mit den JuSos organisiert<br />
hätte?<br />
Ich denke schon. Naja, zumindest manche.<br />
In Deutschland gab es ja Zeiten, in<br />
denen jüdische Geschäfte von nichtjüdischen<br />
Deutschen boykottiert<br />
wurden. Wie ist das mit türkischen<br />
und kurdischen Geschäften? Wird<br />
da bewusst ein Unterschied gemacht?<br />
Ja schon.<br />
Also bei uns in der Nachbarschaft gibt<br />
es Läden, die Kurden gehören und wir<br />
kaufen da ganz normal ein.<br />
Wie ist das denn mit den Moscheen?<br />
Also theoretisch können KurdInnen<br />
und TürkInnen doch der gleichen<br />
Glaubensrichtung angehören, weil<br />
sich die Bezeichnung nur auf die<br />
ethnische Zugehörigkeit bezieht,<br />
oder?<br />
Ja, das stimmt. Die Sunniten stellen<br />
die größte Religionsgruppe in der Türkei,<br />
viele darunter sind auch KurdInnen.<br />
Das Problem ist, dass viele TürkInnen<br />
Moscheen auch mit<br />
politischen Symbolen versehen, z.B.<br />
mit einer Flagge der Türkei. In so eine<br />
Moschee würde ich nicht gehen.<br />
Also habt ihr hier eure eigene kurdische,<br />
sunnitische Moschee?<br />
Ja!<br />
In Deutschland berichten die Medien<br />
ja im Moment sehr häufig über<br />
die Diskussion um neue Moscheebauten,<br />
die vorwiegend von der DI-<br />
TIB gebaut werden, wie z.B. in Duisburg<br />
oder Köln. Diese stehen laut
DITIB „allen offen“. Meint ihr,<br />
dass auch Kurden am Freitagsgebet<br />
teilnehmen werden?<br />
Unwahrscheinlich.<br />
Die DITIB wird ja auch von der Diyanet<br />
in der Türkei unterstützt. Deswegen<br />
ist auch die DITIB eher türkischnationalistisch<br />
eingestellt.<br />
Womit wir wieder beim Zeigen der<br />
Flagge wären.<br />
Trotzdem ist die DITIB für Muslime<br />
aller Herkunft. Ich habe in der Moschee<br />
in Köln auch schon Araber gesehen<br />
... und Kurden kenne ich auch daher.<br />
Das gibt es schon, aber ich denke die<br />
kommen wirklich nur zum Gebet, und<br />
sind nicht so Teil der Gemeinschaft,<br />
des gesellschaftlichen Ereignisses.<br />
Immer häufiger berichtet die Polizei<br />
über Auseinandersetzungen zwischen<br />
<strong>Jugend</strong>lichen türkischer und<br />
kurdischer nationalistischer Strömungen.<br />
Bei solchen Auseinandersetzungen<br />
fallen vor allen Dingen die<br />
Symbole der Grauen Wölfe und der<br />
PKK auf, auch wenn die <strong>Jugend</strong>lichen<br />
selbst mit den Vereinen meistens<br />
nicht viel zu tun haben. Im Internet<br />
finden sich tausende von<br />
Hassvideos gegen Kurden aber<br />
auch Hassvideos, die von ihnen ausgehen.<br />
In einem heißt es zum Beispiel:<br />
„Wir sind Killerkurden, kämpfen<br />
für die Freiheit unseres Landes<br />
Kurdistan.“ Was kann man eurer<br />
Meinung nach gegen diese starke<br />
Abgrenzung der <strong>Jugend</strong>lichen tun.<br />
Was kann die Politik für eine Annäherung<br />
der beiden Kulturen tun?<br />
Ich finde, dass man Vereine gründen<br />
sollte, die das Miteinander von Türken<br />
und Kurden ermöglichen und Vorurteile<br />
zwischen den Volksgruppen abbauen.<br />
Zudem könnte man auch<br />
Konzerte organisieren in denen kurdi-<br />
sche und türkische Sänger/Bands gemeinsam<br />
Musik machen. Mehr fällt<br />
mir dazu nicht ein.<br />
Ich denke nicht, dass man da viel machen<br />
kann, vor allen Dingen nicht,<br />
was die Feindschaft der PKK und der<br />
Grauen Wölfe betrifft. Ich hoffe wirklich,<br />
dass die kurdischen Gebiete in<br />
der Türkei Autonomie erlangen, damit<br />
die militärischen Auseinandersetzungen<br />
endlich aufhören. Ich wünsche<br />
mir wirklich, dass diese ganzen<br />
Konflikte zwischen verschiedenen<br />
Ethnien endlich beigelegt werden können.<br />
Was die <strong>Jugend</strong>lichen angeht, so<br />
müssen sich wirklich die Strukturen<br />
innerhalb der Familie ändern, denn<br />
die Grundsteine für diese von Vorurteilen<br />
geprägte Haltung werden<br />
schon früh gelegt ... es muss auf je-<br />
den Fall etwas getan werden. Die Vor-<br />
urteile sitzen einfach zu tief. Es heißt<br />
immer: „Bist du Kurdin?“ - „Ja“ -<br />
„Bist du PKK?“<br />
Ja das stimmt! Bei mir heißt es auch<br />
immer gleich „Bist du Bozkurt?“[Anm.<br />
der Red: türk. für Grauer<br />
Wolf]<br />
Ich danke euch für das Interview.<br />
g l o s s a r<br />
PKK: "Arbeiterpartei Kurdistans",<br />
Untergrundorganisation v.a. in der<br />
Türkei, kämpft mit Waffen für einen künftigen<br />
Staat Kurdistan (Gebiet: Türkei/Irak);<br />
terroristisch<br />
D<br />
u.a. lt. Türkei, EU und USA<br />
ITIB: Türk.-Islam. Union der Anstalt<br />
für Religion, untersteht indirekt<br />
dem türk. Ministerpräsidenten, Dachverband<br />
der türk.-islam. Moscheegemeinden;<br />
Mitglied im Koordinierungsrat der<br />
Muslime<br />
Graue Wölfe: "Bozkurtlar", Mitglieder<br />
der Partei der Nationalistischen<br />
Bewegung (rechtsextrem), Feindbilder:<br />
u.a. PKK, Juden, Kommunisten, USA.<br />
Lara Haasper & Daniel Ramöller<br />
Grundrechte für Menschenaffen<br />
Z u der Familie der Menschenaffen<br />
werden Orang-Utans, Gorillas<br />
und Schimpansen (und Menschen)<br />
gezählt. Um der Frage nach der Vergabe<br />
von juristischen Grundrechten an alle<br />
Menschenaffen nachzugehen, wollen<br />
wir mit einer Fiktion beginnen.<br />
Sie ist eine von dem Philosophen Harlan<br />
B. Miller erdachte Parabel. Sie<br />
soll uns dabei helfen, über das Thema<br />
der Grundrechte für Menschenaffen<br />
nachzudenken. Sie beginnt so:<br />
„Stellen wir uns vor, dass wir in einem<br />
tiefgeschnittenen Gebirgstal in<br />
Westvirginia eine Gruppe von Menschen<br />
entdecken, die nicht nur nicht reden<br />
können, sondern auch keine Sprache<br />
haben. Es sind Nachkommen von<br />
europäischen Arbeitern und deren Frauen,<br />
die in diesem Gebirgstal, von der<br />
Außenwelt abgeschnitten, gelebt haben,<br />
nachdem ein Projekt für die Gewinnung<br />
von Bauholz und den Bau einer<br />
Eisenbahn in den Jahren um 1840<br />
gescheitert war. Die anderthalb Jahrhunderte<br />
dauernde Inzucht in dieser<br />
kleinen Gruppe [...] hat bemerkenswerte<br />
Auswirkungen gehabt und zu einer<br />
Uniformität der äußeren Erscheinung,<br />
ungewöhnlicher Häufigkeit bestimmter<br />
physischer Anomalien und so weiter<br />
geführt. Aber das auffallendste an<br />
den Wahokies (man hat sie nach dem<br />
Berg, der ihr kleines Tal überragt, genannt)<br />
ist die Tatsache, daß sie keinerlei<br />
Sprache haben. [...] Mit einem erheblichen<br />
Aufwand und Zeit und<br />
Mühe konnten nur geringe Erfolge erzielt<br />
werden, und nur einige Wahokies<br />
haben schließlich ein paar Worte gelernt.<br />
[...] Ohne eine Sprache haben<br />
sie praktisch auch keine Kultur. [...]<br />
Sie haben keine Religion, und da sie<br />
keine Möglichkeit haben, ihre Abstammung<br />
und Verwandtschaft festzustellen,<br />
haben sie kein Inzesttabu. [...] Die<br />
... MÖGE DIES BALD DER VERGANGEN -<br />
HEIT ANGEHÖREN BILD: CHRIS -<br />
KO82@PHOTOCASE. DE<br />
Entdeckung der Wahokies hat zu einer<br />
Reihe von äußerst verwirrender rechtlicher,<br />
administrativer und moralischer<br />
Probleme geführt. Sind die Wahokies<br />
Bürger? Sind sie Eigentümer ‚ihres‘<br />
Grundes und Bodens? Unterliegen sie<br />
dem Strafgesetz? [...] Eine entgegengesetzte<br />
Auffassung zu [denjenigen],<br />
die die Interessen der Wahokies schützen<br />
wollen, vertritt eine Koalition, die<br />
von Jim's River Laboratories angeführt<br />
wird. Sie sind der Ansicht, es<br />
sollte erlaubt sein, die Wahokies gefangenzunehmen<br />
und sie dazu entweder<br />
aus dem Gebirgstal herauszuholen<br />
oder in ihren Höhlen festzuhalten, um<br />
mit ihnen Forschungen und Tests<br />
durchzuführen.“ (MILLER (1994) DIE<br />
WAHOKIES, VOLLSTÄNDIG IN ENGLISCH UN -<br />
TER HTTP://WWW.ANIMAL-RIGHTS-LIBRA -<br />
RY.COM/TEXTS-M/MILLER01.PDF)<br />
Die folgenden Ausführungen beziehen<br />
sich auf Menschenaffen, aber<br />
vielleicht ist es an einigen Stellen hilfreich<br />
sich ein Volk wie die Wahokies<br />
vorzustellen, um nicht falschen Vorurteilen<br />
unserer Gesellschaft gegenüber<br />
Tieren zu erliegen. Wir denken, dass<br />
die Wahokies zu den Menschenaffen,<br />
ebenso wie die Menschenaffen zu vielen<br />
anderen Tieren, eine Brücke schlagen<br />
können und uns so helfen können<br />
unsere grundlegenden Ansichten über<br />
diese Tiere zu überdenken.<br />
V or dem Hintergrund der massiven<br />
Überzeugung von der<br />
menschlichen Sonderstellung, bzw.<br />
www.gruene-jugend-nrw.de kultur & gesellschaft<br />
<strong>02.2008</strong>
magazin der grünen jugend nrw<br />
Einzigartigkeit und der Besorgnis um<br />
die menschliche Würde, waren ForscherInnen<br />
seit mehreren Jahrhunderten<br />
in Sorge um ihre Ergebnisse.<br />
Schon der Naturforscher Carl von<br />
Linne rang 1758 mit der biologischen<br />
Einstufung der Menschenaffen. Diese<br />
der damaligen Wissenschaft unbekannten<br />
Wesen waren dem Menschen auf<br />
unheimliche Weise ähnlich und warfen<br />
ernste Probleme für Naturhistoriker<br />
auf, die versuchten, alle Lebewesen<br />
zu klassifizieren. Linne, der viele<br />
anatomische Ähnlichkeiten zwischen<br />
dem Menschen und anderen Primaten<br />
ernst nahm, brachte als erster den Menschen<br />
nachdrücklich in eine gemeinsame<br />
Kategorie mit anderen Tieren, und<br />
zwar in die gleiche Gattung wie die<br />
neu entdeckten Menschenaffen.<br />
Für Linne bestand kein Zweifel daran,<br />
dass der Mensch, als Gottes Ebenbild<br />
geschaffen, an der Spitze und im<br />
Zentrum der Hierarchie aller Lebewesen<br />
stand.<br />
Gleichzeitig erkannte er jedoch<br />
die anatomischen Kennzeichen, die dafür<br />
sprachen, dass der Mensch ungeachtet<br />
seiner Sonderstellung und Würde<br />
anderen Primaten sehr ähnlich war.<br />
Diese Feststellung verletzte aber die<br />
am stärksten tabuisierte kategorische<br />
Grenze, die das christliche Bürgertum<br />
in seinem Weltbild zog: Die zwischen<br />
dem Menschen und der Tierwelt. Die<br />
menschliche Würde war in Gefahr.<br />
Die Diskussion des 19. Jahrhunderts<br />
konzentrierte sich hingegen<br />
mehr auf die neu entdeckten äffischen<br />
Vorfahren des Menschen, die so genannten<br />
Affenmenschen. Charles Darwin<br />
bemerkte schon bald, dass diese<br />
Wesen aus der grauen Vorzeit sich für<br />
die emotionale, intellektuelle und kulturelle<br />
Wahrnehmung als ebenso störend<br />
erwiesen, denn die Verwandtschaft<br />
mit den Affen bedeutete eine noch nähere<br />
Verbindung von Mensch und<br />
Tier. Der intellektuell progressive,<br />
aber sozial konservative Forscher hatte<br />
die Befürchtung, dass seine Ideen<br />
als gotteslästerlich und politisch radikal<br />
angesehen würden, sein Ruf als gottesfürchtiger<br />
und gesetzestreuer Bürger<br />
stand auf dem Spiel.<br />
D iese Frage ist in Kürze nur unzureichend<br />
und grob zu beantworten.<br />
In den letzten Jahrzehnten legten<br />
empirische Studien die Komplexität<br />
und Feinsinnigkeit des sozialen Lebens<br />
von nichtmenschlichen Primaten<br />
und insbesondere Menschenaffen of-<br />
Zum Thema "Grundrechte für<br />
Menschenaffen" gibt es auch<br />
einen Wiki-Artikel.<br />
HTTP://WIKI.GRUENE-<br />
JUGEND.DE/INDEX.PHP/GRUNDRECHT<br />
E_F%C3%BCR_MENSCHENAFFEN<br />
fen. Wie bei keinem anderen Tier sind<br />
bei allen Menschenaffen besondere<br />
geistige Fähigkeiten und ein ausgeprägtes<br />
emotionales Leben stichhaltig nachgewiesen<br />
worden.<br />
Entsprechend änderte sich das traditionelle<br />
Bild der geistlosen, schwerfälligen<br />
und unwissenden Affen immer<br />
mehr in eine positivere Sichtweise.<br />
Es ist sogar gelungen Schimpansen,<br />
Gorillas und Orang-Utans die<br />
menschliche Zeichensprache beizubringen.<br />
In vergleichenden Intelligenztests<br />
haben Schimpansen vergleichbar mit<br />
durchschnittlichen drei- bis fünfjährigen<br />
Kindern abgeschnitten.<br />
Und auch Forscher deren Augenmerk<br />
sich nicht auf Tiere, sondern auf<br />
den Menschen richtet, haben die<br />
großen Ähnlichkeiten erkannt. So wurden<br />
beispielsweise Studien zur Erforschung<br />
des Verhaltens von Kindern<br />
und <strong>Jugend</strong>lichen, die unter schwierigen<br />
Bedingungen aufwachsen, an Menschenaffen<br />
durchgeführt. Die jungen<br />
Schimpansen mussten unter extremen<br />
Bedingungen der Isolation aufwachsen.<br />
M enschenaffen sind in unserer<br />
Gesellschaft, genau wie alle<br />
anderen Tiere, nahezu vollständig der<br />
menschlichen Willkür ausgeliefert. In<br />
„exotischen“ Restaurants in Brüssel<br />
und Paris erfreut sich zurzeit das<br />
Schimpansen-Steak mit Erdnusssoße<br />
höchster Beliebtheit. Im Kongo werden<br />
jährlich mehr als 800 Gorillas getötet.<br />
Aus ihnen werden obskure Touristenartikel<br />
und Trophäen hergestellt,<br />
wie zum Beispiel Aschenbecher aus<br />
Händen.<br />
Laut der Primatenforscherin Dr. Jane<br />
Goodall kann allein dieser Konsum<br />
in den nächsten zehn Jahren zur Ausrottung<br />
der Gorillas führen. Aber auch<br />
Schimpansen und Orang-Utans stehen<br />
kurz vor der endgültigen Ausrottung.<br />
Mehrere Millionen Hektar Regenwald<br />
werden pro Jahr vernichtet (1<br />
Hektar = 100 mal 100 Quadratmeter).<br />
Die Regenwälder sind nicht nur ein<br />
wichtiger Faktor des Weltklimas, sondern<br />
auch einziger Lebensraum für<br />
Menschenaffen in Freiheit. Genauso<br />
wie wir uns bei den Wahokies fragen<br />
können, ob sie Eigentümer ‚ihres‘<br />
kultur & gesellschaft<br />
Grund und Bodens sind, können wir<br />
uns die Frage stellen, ob nicht auch<br />
Menschenaffen ein Recht auf ‚ihren‘<br />
Lebensraum haben.<br />
Ebenso wie es bei den Wahokies<br />
die Koalition um Jim‘s River Laboratories<br />
fordert, werden immer noch sozial<br />
und emotional hoch empfindsame Menschenaffen<br />
in vielen Labors der Welt<br />
für Forschungszwecke benutzt.<br />
I n unserer Gesellschaft kann nach<br />
unseren Gesetzen ein sicherer<br />
Schutz nur über die Vergabe von Rechten<br />
gewährleistet werden. Dies ist der<br />
Grund dafür, dass einige Menschen<br />
Grundrechte für Menschenaffen fordern.<br />
Ein Zusammenschluss solcher<br />
Menschen stellt das Great Ape Projekt,<br />
kurz GAP, dar. 1993 gegründet,<br />
setzt sich das GAP für die Umsetzung<br />
konkreter Grundrechte für alle Menschenaffen<br />
ein: Das Recht auf Leben,<br />
den Schutz der individuellen Freiheit<br />
und das Verbot der Folter (vollständig<br />
in Englisch mit der Möglichkeit zu unterzeichnen<br />
unter www.greatapeproject.org/declaration.php).<br />
Als bisher größter Erfolg hat Neuseeland<br />
das Verbot der Folter an Menschenaffen<br />
für wissenschaftliche Zwecke<br />
in ihr Tierschutzgesetz<br />
aufgenommen (PARLIAMENT OF NEW<br />
ZEALAND [1999] ANIMAL WELFARE ACT.<br />
PART 6, S. 80). In einigen Ländern gibt<br />
es bereits ein Moratorium für Versuche<br />
an Menschenaffen. In Deutschland<br />
wurde seit 1991 kein Versuch an<br />
einem Menschenaffen durchgeführt. Eine<br />
entsprechende gesetzliche Regelung<br />
gibt es jedoch immer noch nicht<br />
und so könnte es leicht zu einer Renaissance<br />
kommen.<br />
Sicherlich gibt es eine Reihe von<br />
26/27<br />
Fragen, die sich bei einer praktische<br />
Regelung stellen. Wie sollten wir mit<br />
Fällen von Gewalt unter den Menschenaffen<br />
umgehen? Sollten wir soweit<br />
in den natürlichen Lebensraum<br />
der Menschenaffen eingreifen, dass<br />
wir ihnen eine medizinische Grundversorgung<br />
gewährleisten können? Auch<br />
im Fall der Wahokies wären diese Fragen<br />
nicht leicht zu beantworten. Diese<br />
Fragen stehen jedoch nicht an erster<br />
Stelle. Wahrscheinlich ist das Beste,<br />
was wir in der Praxis für die Menschenaffen<br />
tun können der Vorschlag<br />
von Harlan B. Miller am Ende seiner<br />
Parabel:<br />
„Wir sollten ihnen das Beste wünschen,<br />
sie vor uns selbst schützen und<br />
sie in Ruhe lassen.“<br />
Lara Haasper<br />
(19) koordiniert<br />
das<br />
Fachforum<br />
Mensch und<br />
Tier der <strong>Grüne</strong>n<br />
<strong>Jugend</strong>,<br />
macht gerade<br />
Abi und fordert ein Recht auf Leben<br />
auch für Menschenaffen.<br />
Daniel<br />
Ramöller (26)<br />
ist aktiv in<br />
der GJ<br />
Bielefeld und<br />
studiert<br />
Philosophie<br />
und<br />
Wirtschaftswissenschaften in<br />
Bielefeld.
Das ist doch echt das LETZTE!<br />
E t is doch nich zu fassen: kaum ändert sich was an unserer jahrzehntelang<br />
erprobten und entwickelten Parteienlandschaft auch nur EINE Winzigkeit, da<br />
bricht im ganzen Land schon heilloses Durcheinander aus: die Lokführer streiken,<br />
Nokia schließt vor Schreck ein Werk (wenn auch aus anderen Gründen) und<br />
Millionen Arbeitslose fallen einfach aus der Statistik. Wohin auch immer, man weiß<br />
et nich. ... Obwohl, so ganz Heil-los ist das Chaos ja doch nicht, immerhin gibt es ja<br />
noch den Hubertus, den Generalsekretär der SPD – doch der tut ja, wie scheinbar<br />
die gesamte SPD, sein Bestes, um bloß nicht den Eindruck zu erwecken, man habe<br />
die Lage im Griff. Hat man ja auch nicht.<br />
Infolge dieser grandiosen Ausgangssituation werden nun die Parteien und die<br />
Bürger von vielen überraschenden Neuigkeiten überrascht, ich denke da nur an<br />
gebrochene Wahlversprechen. Früher hätt‘s das nicht gegeben!<br />
Jaaa, „Frau Lügilanti“, wie Deutschland meistgeblättertes Klopapier titelte,<br />
musste dann doch mit der Linken, obwohl sie nicht wollte, weil sie mit dem Herrn<br />
Koch nicht wollte und die FDP mit „Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten“<br />
nicht wollte. ... Dass die FDP nun doch mit der SPD will, wenn auch nicht in<br />
Hessen, daran muss auch ich mich erst einmal gewöhnen. Prompt gab es die<br />
nächste Überraschung: eine Abgeordnete mit Gewissen und Rückgrat, die Lügen<br />
verabscheut. Hut ab – bzw. Turmfrisur runter – Frau Metzger, früher hätt‘s das<br />
nicht gegeben. Wie war das noch mit den dummen Kälbern und der Metzger ... ach,<br />
das ging anders ...<br />
R ede ich wirr? ... Kommt mir irgendwie so vor – aber ist das so verwunderlich<br />
in unserer Bananenrepublik Deutschland? Das gehört zum guten Ton, wenn<br />
man Ministerpräsident – oder auch -In – werden will.<br />
T cha, und nu? ... Die SPD wird zwischen CDU und Linkspartei zerrieben, sie<br />
hilft ja auch kräftig mit; sie muss nur bei dem Spagat zwischen sozialer<br />
Gerechtigkeit einerseits und Suche nach der Mitte (ihrer selbst und der<br />
Gesellschaft) andererseits aufpassen, dass sie sich nicht arg was beschädigt. Die<br />
CDU hingegen meint, wo sie sei, sei die Mitte, weil die Mitte da sei, wo die CDU<br />
sei. Klingt für mich nach „Der Tisch ist ein Stuhl, weil er keine Flasche ist.“ ... Die<br />
Linke – nun, sie leidet allem Anschein nach unter einer gestörten<br />
Selbstwahrnehmung, würde ich mal so sagen wollen. In den Wahlumfragen ist das<br />
Kreuz bei den Herren Gysi und Lafontaine ein Ausdruck des Protestes gegen die<br />
Regierungspolitik, bei den Herren – wo bleiben da eigentlich die Frauen? – wird<br />
daraus die Überzeugung, sie wären einzig und allein wegen<br />
ihres tollen Programmes gewählt worden. Früher hätt‘s das nun<br />
wirklich nicht gegeben. ... Aber da gab‘s ja auch noch keine<br />
Wahlen.<br />
Bliebe also die FDP, die sich öffnen will. Zwar nicht weg<br />
von der CDU, aber eben hin zu uns <strong>Grüne</strong>n und der SPD, die<br />
Linke – das ist ja quasi parteiübergreifender Konsens – soll in<br />
die Bedeutungslosigkeit ignoriert werden. ... Schön und gut,<br />
dass die gezz auch endlich mal Seitensprünge in ihre Ehe mit<br />
der CDU einbringen will, nur doof, dass die möglichen<br />
Bettpartner von der werbenden FDP nix mitbekommen werden,<br />
weil sie genug mit sich zu tun haben.<br />
Haben sie? Ja, klar, selbst wir <strong>Grüne</strong>n. Ich sag‘ nur: Büti hört auf! Ob „endlich“<br />
oder „schon“ sei mal dahin gestellt, aber gezz müssen die <strong>Grüne</strong>n ausgerechnet das<br />
tun, was noch weniger können als einfache und beim Bürger verständliche<br />
Botschaften zu formulieren: sie müssen sich auf eine Person als Parteivorsitzenden<br />
einigen, womöglich zwei, gar nicht auszudenken, was passiert, wenn jetzt auch<br />
noch die Claudia Roth gemobbt wird. Eines wäre ja schomma sicher: ein filmreifer<br />
Abschiedsauftritt bei der Wahl-BDK. ... Wie wollen wir über diesen personellen<br />
Grundsatzfragen noch über Inhalte reden wollen? Über welche denn?<br />
Angela die Große ist doch sozial, sie trifft sich mit dem Dalai Lama, verhilft<br />
dem Schorsch Dabbelju zu der Erkenntnis, dass der Mensch vielleicht eventuell<br />
möglicherweise etwas mit dem Klimawandel rein theoretisch zu tun haben könnte<br />
und haut sogar dem Putin wegen seines seltsamen Verständnisses von<br />
Meinungsfreiheit auf die Finger, was will man mehr? Wie, Klimaschutz,<br />
Chancengleichheit, Generationengerechtigkeit, Bürgerrechte und Weltfrieden?<br />
A lso DAS, gab‘s selbst dammals nicht, echt. Warum sollte sich das jetzt auf<br />
einmal ändern? Weil sich alles andere auch geändert hat? ... Ja, gibt es denn<br />
keine Konstante mehr außer der katholischen Kirche? ... Ich fall' vom Glauben ab.<br />
Ein wenig orientierungslos, eure,<br />
Dogma Pillenknick<br />
www.gruene-jugend-nrw.de das LETZTE<br />
<strong>02.2008</strong>