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Leseprobe - Rudolf Steiner Verlag

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Repressalien und Verfolgung –<br />

Leidenszeit des Prager Judentums<br />

Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts begann sich die<br />

Lage der Judengemeinde allmählich wieder zu verschlech -<br />

tern. Zwar verlieh ihnen der verhältnismäßig tolerante<br />

und aufgeschlossene Kaiser Ferdinand III. 8 noch die in<br />

der Altneusynagoge aufbewahrte große Fahne mit Wappen<br />

für ihre Verdienste bei der Verteidigung der Altstadt<br />

gegen die Schweden sowie das Recht auf einen eigenen<br />

Markt (sogenannter Tandelmarkt), doch nahm unter seinem<br />

Nachfolger Leopold I. der Druck auf die Juden durch<br />

neue Ausweisungsverfügungen oder auch -drohungen<br />

zum Zwecke der Verhinderung neuer beziehungsweise<br />

Eindämmung bestehender jüdischer Siedlungen in Böhmen<br />

wieder zu. Außerdem versetzten die Pestepidemie<br />

1680 und der Großbrand von 1689, der fast das ganze<br />

Getto vernichtete, der jüdischen Gemeinde schwere<br />

Schläge. Diese hatte ohnehin schon unter den Drangsalierungen<br />

der missionseifrigen Jesuiten, denen jedes Mittel<br />

recht war, zu leiden. Die Beschuldigung eines Juden<br />

durch die Jesuiten, das Kruzifix auf der Karlsbrücke beleidigt<br />

zu haben (die offensichtlich derart fadenscheinig<br />

war, dass er «nur» mit einer hohen Geldstrafe davonkam;<br />

S. 140), und die Affäre um den Juden knaben Simon Abeles<br />

(S. 166) stellen in diesem Zusammenhang lediglich<br />

spektakuläre Höhepunkte dar.<br />

Damit nicht genug, wurde die Prager Judengemeinde<br />

auch von internen Auseinandersetzungen um die «falschen<br />

Messiasse» Sabbatai Zewi und Nehemia Chajon erschüttert.<br />

9 Zewi (1626–1676) trat zuerst in seiner Heimatstadt<br />

Smyrna (Izmir) vor den Glaubensgenossen als<br />

der erwartete Messias auf und konnte vor allem im Osten,<br />

aber auch in ganz Europa zahlreiche Anhänger gewinnen.<br />

Prag war sogar in gewissem Ausmaß eine Hochburg<br />

des «Sabbatianismus». Sabbatai Zewis Erfolg wurde<br />

Betraum der Altneu-Synagoge (linke Seite). Die rote<br />

Standarte über dem Bima, die neben dem Davidstern<br />

einen Schwedenhut aufweist, wurde der jüdischen Bevölkerung<br />

1648 von Ferdinand III. für ihre Verdienste bei der<br />

Verteidigung der Altstadt gegen die Schweden verliehen.<br />

R e p r e s s a l i e n u n d V e r f o l g u n g<br />

begünstigt durch die schrecklichen Pogrome in der Ukraine<br />

und in Polen während des Kosakenaufstands, denen<br />

Hunderttausende Juden zum Opfer fielen. Denn gemäß<br />

der Überlieferung soll der Messias nach Leiden und Verfolgungen<br />

auftreten. Die Lage beruhigte sich erst wieder,<br />

als der Übertritt Zewis zum Islam bekannt wurde. Nehemia<br />

Chajon war dagegen in den Worten Kischs ein «Aben-<br />

teurer, Narr oder Schwindler auf eigene Faust», der im<br />

Gegensatz zu Zewi jedoch in Prag selbst auftrat und hier<br />

als ein «jüdischer Cagliostro» für Aufsehen und Verwirrung<br />

sorgte.<br />

Doch blieb dies letztlich eine vorübergehende Erscheinung,<br />

und die glanzvolle Reihe bedeutender Gelehrter<br />

konnte sich weiter fortsetzen, vor allem mit dem aus<br />

Worms gebürtigen David Oppenheim (1664–1736), der<br />

1702 Oberrabbiner in Prag wurde. Das von seinem Onkel<br />

Samuel Oppenheimer ererbte bedeutende Vermögen<br />

(dieser hatte Kaiser Leopold gegen hohe Zinsen große<br />

Summen für den Krieg gegen die Türken geliehen – und<br />

zurückerhalten) verwendete er für den Aufbau seiner<br />

umfangreichen hebräischen Bibliothek, die zuletzt etwa<br />

6000 bis 7000 gedruckte Bücher und rund 1000 Handschriften<br />

umfasste. Aufgrund der Schikanen durch die<br />

Jesuiten (verweigerte Druckerlaubnis hebräischer Bücher,<br />

auch bei Neuauflagen bereits erlaubter, vor allem<br />

aber Konfiskationen; Oppenheim war selbst in einen<br />

235<br />

Salomo Jehuda Rapoport,<br />

der letzte namhafte Oberrabbiner<br />

Prags, verkörpert<br />

in einem Porträt von Antonín<br />

Machek den Typus des<br />

gelehrten Juden (links).

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