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Zahngesundheit im Alter - Dr. med. vet. Veronika Tholen

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Der geriatrische Hund: besser drauf mit besserer <strong>Zahngesundheit</strong><br />

Auch das stomatognathe System altert und zeigt insbesondere durch die physiologische und auch<br />

unphysiologische oder traumatische Belastung erhebliche chronische Läsionen, die der Behandlung<br />

bedürfen.<br />

PARODONTOLOGIE<br />

Über 80 % der erwachsenen Hunde in der täglichen Praxis haben behandlungsbedürftige<br />

Erkrankungen des stomatognathen Systems, und hier vor allem des Parodontes.<br />

Parodontalerkrankungen stellen daher die absolut häufigste Erkrankung des Hundes und der Katze<br />

dar.<br />

Die Parodontologie befasst sich mit den Erkrankungen des Zahnhalteapparates. Hierzu zählen wir<br />

• den Wurzelzement des Zahnes<br />

• die knöcherne Alveole mit Periostauskleidung<br />

• den desmodontalen Faserapparat<br />

• die Blut- und Nervenversorgung<br />

Ätiologie<br />

Zahnbetterkrankungen werden stets durch eine Vielzahl pathogener Faktoren ausgelöst. Im<br />

Vordergrund stehen hier hygienische, ernährungsbedingte Probleme. Der domestizierte Hund hat<br />

ohne Bewegung und Beutefang kaum Gelegenheit, seine Zähne von anhaftenden Nahrungsresten zu<br />

reinigen. Die von der Gebissanatomie her eigentlich sehr gute Selbstreinigungsdisposition des<br />

Fleischfressergebisses kann die Anhaftung weicher (Plaque) und harter mineralisierter Plaque<br />

(Zahnstein), nicht verhindern. Der Zahnsteinansatz wird weiter gefördert durch Zahnfehlstellungen,<br />

Schmelzbeschädigungen (rauhe Oberfläche) und Nahrungsretention zwischen eng stehenden Zähnen<br />

(brachygnathe Schädelformen). Plaque und Zahnstein sind massiv bakteriell besiedelt, weshalb jede<br />

Zahnverschmutzung sofort zu einer mehr oder minder ausgeprägten Zahnfleischentzündung =<br />

Marginalgingivitis / Gingivitis führt. Gingivitis wird weiterhin durch allgemeine Faktoren wie<br />

• hormonelle Einflüsse (Trächtigkeitsgingivitis)<br />

• Medikamentennebenwirkungen (Epilepsietherapie)<br />

• Vitaminmangel (Skorbut, weniger durch Mangelernährung,<br />

• meist durch Resorptionsstörungen <strong>im</strong> Verdauungstrakt bedingt)<br />

• Erkrankungen des blutbildenden Systems<br />

• Diabetes<br />

• Leukosen<br />

• Schwermetallvergiftungen<br />

gefördert oder unterhalten.<br />

Der geriatrische Hund – besser drauf mit besserer <strong>Zahngesundheit</strong> S.1 - 6


Gingivitis = Entzündung am Zahnfleischrand ohne Ausbreitung in die tieferen Abschnitte des<br />

Parodontiums, azerbiert gelegentlich zur gingivitis ulcerosa. Symptome: Geschwürsbildung,<br />

Blutungsneigung, eventuell Lymphdrüsenbeteiligung, unter Umständen Fieber und gestörtes<br />

Allgemeinbefinden.<br />

Parodontitis entsteht aus der chronischen Gingivitis. Wir beobachten fortschreitende Ablösung des<br />

Faserapparates von der Zahnoberfläche, wodurch die pathologisch vertiefte Zahnfleischtasche (mit<br />

der zahnärztlichen Parodontalsonde zu sondieren) entsteht. In der vertieften Zahnfleischtasche setzt<br />

sich vermehrt Granulationsgewebe und Konkrement fest. Hierdurch kommt es zu einem Teufelskreis<br />

mit entzündlicher Destruktion des Faserapparates und entzündlicher Resorption des<br />

Alveolarknochens. Häufig wird Sekretstauung mit parodontaler Abszedierung beobachtet. Spätfolge<br />

sind naturgemäß Zahnlockerung und Zahnausfall.<br />

Parodontose ist der entzündungsfreie Schwund der parodontalen Gewebe mit Freilegung der<br />

Wurzelflächen und dadurch bedingter Lockerung der Zähne. Im Rahmen der physiologischen<br />

<strong>Alter</strong>sinvolution kommt es <strong>im</strong> fortgeschrittenen Lebensalter zu dieser Veränderung. Pathologisch ist<br />

daher nur das frühzeitige Auftreten dieses Phänomens. Be<strong>im</strong> Tier gibt es ausschließlich Mischformen,<br />

also mit Entzündungszeichen, die reine Form der Parodontose wird wegen der o. g. hygienischen<br />

Umstände nicht beobachtet. Nachweislich beeinträchtigt die Bakterienverschleppung von<br />

Plaqueke<strong>im</strong>en über die Blutbahn in Zielorgane wie Herz, Niere etc. das Allgemeinbefinden.<br />

Die Gingivitis ist therapierbar und ad integrum heilbar. Es sind nur die weichgewebigen<br />

Zahnfleischränder betroffen. Bei Parodontitis liegen zusätzlich irreversible Zerstörungen des<br />

knöchernen Zahnhalteapparates mit horizontalem und vertikalem Attachmentverlust vor. Diese<br />

Verluste sind nicht zu regenerieren. Die Parodontitis kann daher nur gestoppt, nicht aber ad integrum<br />

geheilt werden. Bei geriatrischen Patienten muss stets mit erheblichen pathologischen<br />

Parodontalbefunden <strong>im</strong> Sinne einer chronischen Parodontitis gerechnet werden.<br />

Therapie<br />

Im Vordergrund der Parodontosebehandlung steht <strong>im</strong>mer die perfekte Zahnreinigung. Mit Hilfe von<br />

Handinstrumenten (Zahnsteinhaken, Scaler, Küretten etc.) oder mit Ultraschallgeräten werden alle<br />

Zahnoberflächen sorgfältig von anhaftenden Belägen befreit. Bei fortgeschrittenem Krankheitsbild wird<br />

wie folgt vorgegangen:<br />

• Entfernung aller Beläge<br />

• Extraktion stark gelockerter, nicht erhaltungswürdiger Zähne<br />

• Schienung erhaltungswürdiger Zähne durch Anlegen einer mit Schmelzanätztechnik<br />

• verankerten Parodontalschiene aus Glasfaserbündeln oder dünnem Ligaturendraht<br />

• Gingivektomie zur Beseitigung pathologischer Zahnfleischtaschen<br />

• Lappenplastik zur Deckung von Rezessionen<br />

Der geriatrische Hund – besser drauf mit besserer <strong>Zahngesundheit</strong> S.2 - 6


Ziel der Gingivektomie ist es<br />

(a) proliferiertes, entzündetes Zahnfleisch zu entfernen<br />

(b) parodontal-hygienisch bessere Verhältnisse zu schaffen, die die Selbstreinigung der<br />

Zahnfleischfurche verbessern und den Teufelskreis der Detritusretention mit entzündlicher<br />

Azerbation unterbrechen.<br />

Das erzielbare Operationsergebnis ist signifikant und entscheidend abhängig von der Sorgfalt der<br />

Ausführung. Halbherzige Durchführung von parodontalchirurgischen Eingriffen kann nur <strong>im</strong><br />

kurzfristigen Rezidiv resultieren.<br />

Vor und nach der Operation sollte der Hund antibiotisch abgedeckt werden. Hierfür empfehlen sich<br />

Clindamycin (Cleorobe®, Pharmacia) oder Spiramycin-Zubereitungen (Kombinationspräparat<br />

Metronidazol /Spiramycin, SUANATEM®, Merial). Beides wird vermehrt <strong>im</strong> Sulcusfluid ausgeschieden<br />

und entfaltet daher eine gute lokale Wirkung bei breitem Wirkungsspektrum.<br />

Prophylaxe<br />

Viele Parodontose-Patienten sind Dauerpatienten, bei denen in sorgfältig einzuhaltenden Intervallen<br />

Nachkontrollen erfolgen müssen, um das erreichte Operationsergebnis zu sichern. Hierfür eignet sich<br />

sehr gut ein Recall-System, wie es in der Tierarztpraxis vielfach für die Erinnerung an fällige<br />

Wiederholungsschutz<strong>im</strong>pfungen bereits eingeführt ist.<br />

Zähneputzen wird in letzter Zeit von motivierten Tierhaltern, besonders Leistungszüchtern, erfolgreich<br />

durchgeführt und ist eine sicher gewöhnungsbedürftige, aber hochwirksame Maßnahme. Hierfür<br />

stehen mehrere spezielle artgerechte Zahnpasten auf Knochenmehlbasis ohne Mentholzusatz und<br />

spezielle Tierzahnbürsten mit weichen Borsten und speziell geformtem Bürstenkopf zur Verfügung.<br />

Wenn bereits der Welpe an das Zähnebürsten gewöhnt wird, ist es überhaupt kein Problem, auch<br />

be<strong>im</strong> Hund oder der Katze (etwas schwieriger) Mundhygiene durchzuführen. Der Kopf des Tieres<br />

sollte leicht mit der linken Hand durch Andrücken an den Körper fixiert werden, während die rechte<br />

Hand mit der pastenbeschickten Bürste die Zahnflächen <strong>im</strong> geschlossenen Fang reinigt.<br />

Die Bereitschaft der Besitzer, aktive Prophylaxe zu betreiben ist stark gestiegen! Allerdings können<br />

alte Tiere nur noch mit Mühe an Zähneputzen etc. gewöhnt werden.<br />

Diätetische Prophylaxe: Das Verfüttern von Büffelhaut-Kauknochen bewirkt ebenfalls eine sehr gute<br />

Zahnoberflächenreinigung. Spezielle enzymhaltige Kaustrips haben sich sehr bewährt. Die Spezialdiät<br />

Hill’s TD® und RASK® Kauknochen (Effem) reduzieren ebenfalls den Plaque- und<br />

Zahnsteinneuansatz um ca. 30 %, was in aufwändigen Studien nachgewiesen wurde.<br />

Ein befriedigender Behandlungserfolg kann nur <strong>im</strong> engen Zusammenwirken von besitzerseitiger<br />

Prophylaxe und tierärztlicher sorgfältiger Therapie erreicht werden.<br />

Der geriatrische Hund – besser drauf mit besserer <strong>Zahngesundheit</strong> S.3 - 6


Am geriatrischen Patienten werden häufig chronische, teils katastrophale parodontale<br />

Auflösungserscheinungen mit massiven eitrigen Entzündungen - besonders der mehrwurzeligen<br />

Backenzähne - beobachtet. Horizontaler und vertikaler Knochenverlust (Attachmentverlust) führt zu<br />

Unterminierungen der Wurzelbi-oder trifurkationen und damit zu Schlupfwinkeln für Detritus und<br />

Ke<strong>im</strong>e, die der Selbstreinigung nicht mehr zugänglich sind. Im Bereich der oberen Canini werden nicht<br />

selten Durchbrüche in die Nasenhöhle (oro-nasale Fisteln) gefunden.<br />

Chronische eitrige Parodontitiden haben durch massive hämatogene Ke<strong>im</strong>verschleppung negative<br />

Auswirkungen auf andere Organsysteme. Insbesondere Herz/Kreislaufprobleme sind häufig die Folge<br />

von abgesiedelten Ke<strong>im</strong>en.<br />

Therapie:<br />

Es empfiehlt sich eine gründliche Sanierung unter Vollnarkose. Neben der Plaque- und<br />

Zahnsteinentfernung ist auch die großzügige Reihenextraktion gelockerter und unterminierter Zähne<br />

durchzuführen.<br />

Cave: die Alveolen der Canini sollten nach Extraktion zur Prophylaxe oro-nasaler Fisteln plastisch<br />

gedeckt werden.<br />

Bei sanierungsfähigen mehrwurzeligen Zähnen kann mit einer Gingivoplastik eine durchspülbare,<br />

hygienische Bi- oder Trifurkation geschaffen werden, die ein Verbleiben des Zahnes ermöglicht.<br />

Zur Vermeidung von Missverständnissen und Irritationen sollte das geplante Vorgehen vorher mit dem<br />

Besitzer diskutiert werden, aus forensischen Gründen ist eine Extraktionserlaubnis abzust<strong>im</strong>men! Die<br />

großzügige Sanierung in einer Sitzung ist wiederholten und halbherzigen kleineren Eingriffen<br />

vorzuziehen! Mit den modernen Narkosemethoden (Inhalationsnarkose) ist eine sichere OP auch bei<br />

chronisch kreislaufinsuffizienten Patienten durchführbar.<br />

ZAHNHARTSUBSTANZSCHÄDEN<br />

Karies ist relativ selten be<strong>im</strong> Hund (ca. 6%). In fortgeschrittenen Fällen - insbesondere nach Einbruch<br />

der Karies in das Pulpensystem - sollte extrahiert werden. Lediglich bei funktionell besonders<br />

wichtigen Zähnen (z. B. den Canini, die jedoch selten von Karies betroffen werden) kann ggf. eine<br />

Wurzelfüllung und Füllungstherapie durchgeführt werden.<br />

Abrasionen sind häufig anzutreffen als Langzeitfolgen bei Steinspielern oder Käfigbeißern,<br />

insbesondere Tennisbälle sind hochabrasiv, weil sie (<strong>im</strong> Garten) meist mit Sand beladen sind und<br />

daher wie Schmirgelpapier wirken. Therapie:sorgfältige Kontrolle auf Pulpeneröffnung. Bei Eröffnung:<br />

Extraktion, <strong>im</strong> Ausnahmefall Wurzelfüllung/Füllung.<br />

Zahnfrakturen: je nach Ausdehnung Glättung der Bruchkanten, ggf. Wurzelfüllung/Füllung, ggf.<br />

Extraktion.<br />

Der geriatrische Hund – besser drauf mit besserer <strong>Zahngesundheit</strong> S.4 - 6


KATZE<br />

Neck lesions (FORL) der Katze: Extraktion! Röntgen!<br />

Gingivitis/Stomatitis: Extraktion aller Backenzähne verbessert häufig die Situation, weil die<br />

entzündungsauslösenden Plaqueflächen reduziert werden.<br />

Tumoren: sorgfältige Abwägung von Prognose / Lebensalter / Lebenserwartung / Lebensqualität<br />

Euthanasie, in Ausnahmefällen Mandibulektomie/Maxillektomie<br />

LITERATUREMPFEHLUNG<br />

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Der geriatrische Hund – besser drauf mit besserer <strong>Zahngesundheit</strong> S.5 - 6


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© <strong>Dr</strong>. <strong>Dr</strong>. Peter Fahrenkrug, Quickborn, 2003<br />

Der geriatrische Hund – besser drauf mit besserer <strong>Zahngesundheit</strong> S.6 - 6

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