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Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht EuZPR / EuIPR ...

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<strong>Europäisches</strong> <strong>Zivilprozess</strong>-<br />

<strong>und</strong> <strong>Kollisionsrecht</strong><br />

<strong>EuZPR</strong> / <strong>EuIPR</strong><br />

Kommentar<br />

Bearbeitung 2010<br />

EG-VollstrTitelVO • EG-MahnVO • EG-BagatellVO<br />

EG-ZustVO 2007 • EG-BewVO • EG-InsVO<br />

Herausgegeben von<br />

Thomas Rauscher<br />

Kommentiert von<br />

Urs Peter Gruber • Bettina Heiderhoff • Jan von Hein<br />

Gerald Mäsch • Steffen Pabst • István Varga<br />

© sellier. european law publishers<br />

www.sellier.de


Kommentatoren/in<br />

Bearbeitung 2010<br />

EG-VollstrTitelVO Steffen Pabst<br />

EG-MahnVO Urs Peter Gruber<br />

EG-BagatellVO István Varga<br />

EG-ZustVO 2007 Bettina Heiderhoff<br />

EG-BewVO Jan von Hein<br />

EG-InsVO Gerald Mäsch<br />

2. Auflage 2006<br />

EG-VollstrTitelVO Thomas Rauscher<br />

Steffen Pabst<br />

EG-MahnVO-E Thomas Rauscher<br />

EG-BagatellVO-E Thomas Rauscher<br />

EG-ZustVO 2000 Bettina Heiderhoff<br />

EG-BewVO Jan von Hein<br />

EG-InsVO Gerald Mäsch<br />

1. Auflage 2004<br />

EG-VollstrTitelVO-E Thomas Rauscher<br />

EG-ZustVO 2000 Bettina Heiderhoff<br />

EG-BewVO Jan von Hein<br />

ISBN (print) 978-3-86653-090-4<br />

ISBN (eBook) 978-3-86653-884-9<br />

Zitierweise<br />

© sellier. european law publishers<br />

www.sellier.de<br />

Rauscher / Mäsch, <strong>EuZPR</strong> / <strong>EuIPR</strong> (2010)<br />

Einl EG-InsVO Rn 1<br />

Rauscher / Varga, <strong>EuZPR</strong> / <strong>EuIPR</strong> (2010)<br />

Art 1 EG-BagatellVO Rn 1<br />

Rauscher / Pabst, <strong>EuZPR</strong> / <strong>EuIPR</strong> (2010)<br />

Vorbem Anh EG-VollstrTitelVO Rn 1<br />

Abkürzungsempfehlungen<br />

Brüssel I-VO EG-InsVO<br />

LugÜbk 2007 Rom I-VO<br />

EG-VollstrTitelVO Rom II-VO<br />

EG-MahnVO Brüssel IIa-VO<br />

EG-BagatellVO EG-UntVO<br />

EG-ZustVO 2007 EG-ErbVO-E<br />

EG-BewVO HUntStProt 2007<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National<br />

biblio grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de<br />

abrufbar.<br />

© 2010 by sellier. european law publishers GmbH, München.<br />

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver wer tung<br />

außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zu stimmung des Verlages<br />

unzulässig <strong>und</strong> strafbar. Das gilt insbesondere für Ver viel fäl ti gun gen, Über setzungen, Mikroverfilmungen<br />

<strong>und</strong> die Einspeicherung <strong>und</strong> Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />

Herstellung: Karina Hack, München. Satz: fidus Pub likations-Service, Nördlingen. Verwendete<br />

Schriften: Goudy Old Style <strong>und</strong> Goudy Sans von Linotype. Druck <strong>und</strong> Bindung: Friedrich<br />

Pustet KG, Regensburg. Gedruckt auf säure freiem, alterungsbeständigem Papier. Printed<br />

in Germany.


Kapitel II<br />

Der Europäische Vollstreckungstitel<br />

Kapitel II<br />

Der Europäische Vollstreckungstitel<br />

Artikel 5<br />

Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens<br />

Eine Entscheidung, die im Ursprungsmitgliedstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt<br />

worden ist, wird in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt <strong>und</strong> vollstreckt, ohne dass es<br />

einer Vollstreckbarerklärung bedarf <strong>und</strong> ohne dass die Anerkennung angefochten werden<br />

kann.<br />

Schrifttum<br />

Becker, Gr<strong>und</strong>rechtsschutz bei der Anerkennung<br />

<strong>und</strong> Vollstreckbarerklärung im europäischen<br />

Zivilverfahrensrecht (2004)<br />

Freitag, Anerkennung <strong>und</strong> Rechtskraft europäischer<br />

Titel nach EuVTVO, EuMahnVO <strong>und</strong><br />

EuBagatellVO, in: FS Jan Kropholler (2008) 759<br />

Georganti, Die Zukunft des ordre public-<br />

Vorbehalts im Europäischen <strong>Zivilprozess</strong>recht<br />

(2006)<br />

I. Abschaffung der Überprüfung im<br />

Vollstreckungsmitgliedstaat ............ 1<br />

II. Anerkennung im Verhältnis zur<br />

Vollstreckbarkeit ....................... 5<br />

III. Keine Anerkennungsversagungsgründe 10<br />

1. ordre public ...........................<br />

a) Sinn <strong>und</strong> Zweck der<br />

11<br />

ordre public-Kontrolle . ...........<br />

b) Europäisierung der<br />

12<br />

Gr<strong>und</strong>rechtskontrolle ............. 14<br />

Kohler, Herkunftslandprinzip <strong>und</strong> Anerkennung<br />

gerichtlicher Entscheidungen im europäischen<br />

Justizraum, in: Reichelt (Hrsg), Das Herkunftslandprinzip<br />

im Europäischen Gemeinschaftsrecht<br />

(2006) 71<br />

Pfeiffer, Einheitliche unmittelbare <strong>und</strong> unbedingte<br />

Urteilsgeltung in Europa, in: FS Erik Jayme (2004)<br />

675<br />

Sujecki, Die Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der<br />

Abschaffung des ordre public-Vorbehalts im<br />

Europäischen <strong>Zivilprozess</strong>recht, ZEuP 2008, 458.<br />

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www.sellier.de<br />

Art 5 EG-VollstrTitelVO<br />

c) Zwang zum gr<strong>und</strong>rechtswidrigen<br />

Verhalten? . ........................ 15<br />

d) Individualisierung des<br />

ordre public........................ 19<br />

e) Verbleibende Lücken im<br />

Beklagtenschutz . .................. 21<br />

2. Verletzung von Rechtlichem Gehör<br />

<strong>und</strong> Zuständigkeitsnormen . .......... 23<br />

3. Unvereinbarkeit mit einer früheren<br />

Entscheidung . ........................ 24<br />

4. Keine weiteren Versagungsgründe . .. 25<br />

Steffen Pabst 67


Art 5 EG-VollstrTitelVO<br />

1-5<br />

I. Abschaffung der Überprüfung im Vollstreckungsmitgliedstaat<br />

1 Art 5 statuiert den entscheidenden Systemwechsel im Recht der Anerkennung <strong>und</strong><br />

Vollstreckbarerklärung (dazu Einl Rn 13 ff). Eine als EuVollstrTitel bestätigte Entscheidung<br />

unterliegt in anderen Mitgliedstaaten weder einem Anerkennungs-, noch<br />

einem Vollstreckbarerklärungsverfahren. 1 Art 5 verhindert jegliche Nachprüfung<br />

der Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat. Alle traditionell der Vollstreckung<br />

ausländischer Urteile vorgeschalteten Verfahrensschritte, einschließlich der inzidenten<br />

Anerkennungsprüfung oder der unter der Brüssel I-VO praktizierten inzidenten<br />

Prüfung gewisser Mindestvoraussetzungen, sind gestrichen. 2<br />

2 Die Vollstreckbarkeit ergibt sich aus dem Bestätigungsverfahren im Ursprungsmitgliedstaat.<br />

Die Prüfung der Voraussetzungen einer Vollstreckbarerklärung wird vollständig<br />

auf die Gerichte des Ursprungsmitgliedstaates verlagert. 3 Alle Einwendungen<br />

sind dort geltend zu machen. Auch bei den besonders groben Verfahrensverstößen,<br />

welche nach den Art 34, 35 Brüssel I-VO eine Verweigerung der Vollstreckung nach<br />

sich ziehen, kann im Anwendungsbereich der VO keine Korrektur mehr erfolgen.<br />

3 Im Vollstreckungsmitgliedstaat verliert der Schuldner im Vergleich zum Exequatursystem<br />

der Brüssel I-VO insbesondere die Möglichkeit, sich auf eine mangelhafte oder<br />

nicht rechtzeitige Zustellung zu berufen; er verliert ebenfalls den Schutz des ordre public.<br />

Der Europäische Vollstreckungstitel ist einem inländischen Vollstreckungstitel in<br />

jeder Hinsicht gleichgestellt.<br />

4 In Deutschland findet daher ohne das es einer Vollstreckungsklausel bedarf (§ 1082<br />

ZPO) 4 unmittelbar aus dem EuVollstrTitel die Zwangsvollstreckung statt.<br />

II. Anerkennung im Verhältnis zur Vollstreckbarkeit<br />

A.I.3 EG-Vollstreckungstitelverordnung<br />

Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen<br />

5 Die VO erfasst nach dem Wortlaut des Art 5 sowohl die Anerkennung als auch die<br />

Vollstreckung von Entscheidungen. 5 Dies wirft Zweifelsfragen auf, weil einerseits<br />

die Vollstreckbarkeit eines Titels dessen Anerkennung voraussetzt, andererseits die<br />

Frage der Anerkennung sich auch außerhalb des Vollstreckungsverfahrens stellen<br />

kann <strong>und</strong> es überdies (Gestaltungs-)Titel gibt, die durch Anerkennung wirken <strong>und</strong> einer<br />

Vollstreckung nicht bedürfen. Die VO hält jedoch für die (isolierte) Anerkennung<br />

eines Titels keine Regelungen bereit <strong>und</strong> bezieht sich, wie insbesondere Art 6 Abs 1<br />

lit a <strong>und</strong> Art 6 Abs 2 zeigen, nur auf vollstreckbare Titel.<br />

1 OGH IPRax 2008, 440, 442; ausführlich zu den Funktionen des Vollstreckbarerklärungsverfahrens<br />

Oberhammer JBl 2006, 477, 482 ff.<br />

2 Schack FS Leipold (2009) 317, 333; Schack RitsumLRev 2009, 111, 126 spricht daher von einer Entmachtung<br />

des Vollstreckungsstaates <strong>und</strong> einer Degradierung der Organe des Vollstreckungsstaates zu<br />

bloßen Handlangern des Urteilsstaates.<br />

3 Europäische Kommission, 18.4.2002, KOM (2002) 159, 7 (Art 4).<br />

4 Kropholler Rn 2.<br />

5 Rauscher, EuVollstrTitel Rn 66; Kropholler Rn 1; Rechberger FS Leipold (2009) 301, 304; aA Schlosser Rn 2.<br />

68 Februar 2010<br />

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Kapitel II<br />

Der Europäische Vollstreckungstitel<br />

Teils wird vertreten, die VO regele die Anerkennung nur für Zwecke der Vollstreckung,<br />

erfasse aber nicht die Anerkennung außerhalb des Vollstreckungsverfahrens.<br />

Diese beurteile sich weiter nach Art 33 ff Brüssel I-VO. 6 Dies könnte dazu führen, dass<br />

der Schuldner im Vollstreckungsmitgliedstaat bei Vorliegen von Anerkennungshindernissen<br />

gemäß der Art 34, 35 Brüssel I-VO vom Gläubiger aufgr<strong>und</strong> Bereicherungsrechts<br />

das in der Vollstreckung Geleistete herausverlangen kann. 7 Auch könnte der Schuldner<br />

im Wege der Vollstreckungsabwehrklage den dolo petit-Einwand erheben. 8<br />

Eine solche formale Beschränkung auf das Vollstreckungsverfahren als solches erscheint<br />

eindeutig zu eng: Eindeutiger Zweck der VO ist es, neben die Brüssel I-VO<br />

ein unabhängiges zweites Vollstreckungssystem zu stellen. Bereits im ersten Kommissionsvorschlag<br />

hieß es, dass die Entscheidung „anerkannt <strong>und</strong> vollstreckt“ wird. 9 Auf<br />

Vorschlag des Europäischen Parlaments wurde überdies klargestellt, dass die Wirkungen<br />

einem nationalen Vollstreckungstitel gleichstehen müssen <strong>und</strong> daher die Anerkennung<br />

nicht angefochten werden kann. 10 Damit impliziert die Bestätigung als Eu-<br />

VollstrTitel auch die Verpflichtung zur Anerkennung der Entscheidung in allen<br />

Mitgliedstaaten <strong>und</strong> nicht nur ein Verbot der Überprüfung der Anerkennungsfähigkeit<br />

im Vollstreckungsverfahren. 11 Die Eigenständigkeit des Systems der EG-VollstrTitelVO<br />

gegenüber der Brüssel I-VO wird schließlich auch durch Art 22 bestätigt. Die<br />

aus Art 5 folgende Anerkennungspflicht besteht dann nicht, wenn der Vollstreckungsmitgliedstaat<br />

einem Drittstaat gegenüber in zulässiger Weise zur Nichtanerkennung<br />

der Entscheidung verpflichtet ist. Art 22 ist Art 72 Brüssel I-VO nachgebildet; dem<br />

bedürfte es aber nicht, wenn die Anerkennung nicht nach der VO erfolgen würde. 12<br />

Wurde die Bestätigung als EuVollstrTitel erteilt, ist insoweit eine Anerkennung nach<br />

der Brüssel I-VO ausgeschlossen (s Art 27 Rn 5); die Anerkennung erfolgt dann allein<br />

nach dieser VO, solange die Bestätigung nicht widerrufen ist. 13<br />

Die Anerkennungspflicht gilt damit auch für solche Verfahren, die in einem materiellen<br />

Zusammenhang zum Vollstreckungsverfahren stehen, insbesondere für die Bereicherungsklage<br />

wegen unzulässiger Vollstreckung <strong>und</strong> für die Vollstreckungsabwehrklage.<br />

14<br />

Die Anerkennung in sonstigen Verfahren, in denen die Anerkennungsfähigkeit des<br />

Titels Vorfrage (zB wegen einer Gestaltungswirkung, Tatbestandswirkung oder res ju-<br />

Steffen Pabst 69<br />

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Art 5 EG-VollstrTitelVO<br />

6-9<br />

6 Coester-Waltjen FS Beys (2003) 183, 197; Burgstaller/Neumayr ÖJZ 2006, 179, 188.<br />

7 Coester-Waltjen FS Beys (2003) 183, 197.<br />

8 Rauscher, EuVollstrTitel Rn 65.<br />

9 Europäische Kommission, 18.4.2002, KOM (2002) 159, 23 (Art 4).<br />

10 Wuermeling, Ausschuss für Recht <strong>und</strong> Binnenmarkt, <strong>Europäisches</strong> Parlament, 26.3.2003, A5-0108/2003,<br />

7 (Änderungsantrag 5); Europäische Kommission, 11.6.2003, KOM (2003) 341, 3 (Abänderung 5), 13<br />

(Art 4).<br />

11 OLG Stuttgart NJW-RR 2010, 134, 135; Rauscher, EuVollstrTitel Rn 66.<br />

12 Rauscher, EuVollstrTitel Rn 68.<br />

13 OLG Stuttgart NJW-RR 2010, 134, 135.<br />

14 So auch Schuschke/Walker/Jennissen Rn 3.<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9


Art 5 EG-VollstrTitelVO<br />

10-12<br />

dicata) ist, in denen jedoch kein Bezug zu einer Vollstreckung besteht, unterliegt hingegen<br />

nicht der VO. Eine solche Anerkennung ist allein nach den Art 33 ff Brüssel<br />

I-VO zu prüfen. Eine Bestätigung nach der EG-VollstrTitelVO ist in solchen Fällen<br />

ohne Bedeutung. 15 Insbesondere gilt dies für Titel, die der Vollstreckung nicht bedürfen<br />

<strong>und</strong> für die eine Bestätigung als EuVollstrTitel daher nicht in Betracht kommt.<br />

III. Keine Anerkennungsversagungsgründe<br />

10 Da im Vollstreckungsmitgliedstaat keine Nachprüfung mehr stattfindet, hält die Verordnung<br />

auch keine mit Art 34, 35 Brüssel I-VO vergleichbaren Anerkennungsversagungsgründe<br />

mehr bereit. Nur soweit dies ausdrücklich geregelt ist, wird die Prüfung<br />

vergleichbarer Gründe auf den Ursprungsmitgliedstaat <strong>und</strong> das Bestätigungsverfahren<br />

nach dieser VO verlagert. Im Übrigen entfällt die Prüfung entsprechender Anerkennungsversagungsgründe.<br />

1. ordre public<br />

A.I.3 EG-Vollstreckungstitelverordnung<br />

Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen<br />

11 Eine ordre public-Kontrolle kann im Vollstreckungsmitgliedstaat nicht mehr erfolgen.<br />

Die VO verwirklicht so dieses langfristige europäische Ziel 16 in einem weiteren 17 Bereich.<br />

18 Wenn die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat bestätigt wurde, löst dies<br />

einen Automatismus aus, der dazu führt, dass sie im Vollstreckungsmitgliedstaat zu<br />

vollstrecken ist, auch wenn dies den dortigen ordre public verletzt. Diese völlige Aufgabe<br />

der ordre public-Kontrolle wird im Schrifttum überwiegend abgelehnt. 19<br />

a) Sinn <strong>und</strong> Zweck der ordre public-Kontrolle<br />

12 Auch wenn der ordre public-Vorbehalt in der Praxis selten zum Tragen kommt, ist er<br />

doch gerade für diese Ausnahmefälle <strong>und</strong> Einzelfälle, in denen besonders eklatante<br />

rechtsstaatliche Verstöße zu verarbeiten sind, von erheblichem Gewicht. 20 Die ordre<br />

15 Thomas/Putzo/Hüßtege Art 11 Rn 1; Leible/Freitag, Forderungsbeitreibung in der EU (2008) § 5<br />

Rn 48.<br />

16 Maßnahmenprogramm des Rates ABl EG 2001 C 12/1, 9: Als 3. Maßnahmenstufe wird für alle<br />

Rechtsgebiete die Abschaffung des Exequaturverfahrens gefordert; fortgeschrieben im „Haager Programm“<br />

Rat der EU, 4./5.11.2004, ABl EU 2005 C 53/1, 13 (Pkt 3.4.2); eine Fortschreibung ist auch<br />

für das „Stockholmer Programm“ vorgesehen, Europäische Kommission, 10.6.2009, KOM (2009)<br />

262, 11.<br />

17 Eine Abschaffung erfolgte auch bereits durch die besonderen Vollstreckungsverfahren nach Art 40 ff<br />

Brüssel IIa-VO für Umgangsrechtssachen <strong>und</strong> Kindesherausgabesachen.<br />

18 Die Europäische Kommission wollte den ordre public Vorbehalt bereits bei der geplanten Revision<br />

des EuGVÜ 1998 streichen (ABl EG 1998 C 33/20, 27 [Art 37a Abs 1 Nr 1]), konnte sich damals aber<br />

nicht durchsetzen, dazu Geimer FS Németh (2003) 229, 237 f; Geimer, IZVR Rn 3178.<br />

19 Fasching/Rechberger Vor Art 1 Rn 7; Wagner IPrax 2002, 75, 90 (weitere Nachweise in Fn 250); Stadler<br />

IPRax 2004, 2, 7; Kohler in: Baur/Mansel (Hrsg), Systemwechsel im europäischen <strong>Kollisionsrecht</strong><br />

(2002) S 147, 160; Rechberger FS Leipold (2009) 301, 305; Oberhammer JBl 2006, 477, 497; aA Stein<br />

IPRax 2004, 181, 183 ff; Hüßtege in: Gottwald (Hrsg), Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit<br />

in Zivilsachen in der Europäischen Union (2004) S 113, 137; Hüßtege FS Jayme (2004) 371, 385.<br />

70 Februar 2010<br />

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Kapitel II<br />

Der Europäische Vollstreckungstitel<br />

public-Kontrolle verfolgt gr<strong>und</strong>sätzlich zwei verschiedene Ziele: Zum einen schützt sie<br />

öffentliche Interessen, die von Amts wegen durchzusetzen sind. Diese Seite des ordre<br />

public kann durchaus schrittweise aufgr<strong>und</strong> gestiegenen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten<br />

eingeschränkt werden. Zum anderen wird durch die ordre public-Kontrolle<br />

aber auch Beklagtenschutz gewährleistet. Dieser ist durchaus individualisierbar,<br />

muss also nicht von Amts wegen erfolgen. Er kann aber nicht dem Vertrauensdogma<br />

geopfert werden; er muss vielmehr umgekehrt gerade auf höchstem Niveau vereinheitlicht<br />

<strong>und</strong> sichergestellt werden. Erst dadurch entsteht das von der VO nur postulierte<br />

notwendige Vertrauen. 21<br />

Auch wenn die Feststellung, die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten seien gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

rechtsstaatlich strukturiert <strong>und</strong> das jeweilige Verfahren genüge rechtsstaatlichen<br />

Anforderungen, nicht angezweifelt werden soll, 22 rechtfertigt dies allein noch<br />

nicht die Abschaffung einer Kontrollmöglichkeit, welche Ausnahmecharakter hat<br />

<strong>und</strong> welche für die auch im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten anzutreffenden<br />

Fälle bereit gehalten wird, in denen in einem gr<strong>und</strong>sätzlich rechtsstaatlichen Verfahren<br />

ein evident rechtsstaatswidriges Urteil ergangen ist. 23 Eine Art „Notbremse“ im<br />

Anerkennungs- <strong>und</strong> Vollstreckungsrecht erscheint bereits aufgr<strong>und</strong> der Unterschiede<br />

in den Rechtskulturen notwendig, 24 jedenfalls aber, wie der Fall Krombach 25 zeigt, wegen<br />

der Möglichkeit von vereinzelten elementar rechtsstaatswidrigen Prozessen in<br />

einem Mitgliedstaat. Noch größer ist die Gefahr von Fehlentscheidungen, 26 die gerade<br />

bei Versäumnisentscheidungen nicht notwendig im Ursprungsmitgliedstaat einer<br />

Kontrolle im Instanzenzug unterliegen. Schließlich kann auch die Anwendung von<br />

materiellem Recht eines Drittstaates aufgr<strong>und</strong> eines im Einzelfall weniger sensiblen<br />

ordre public im Ursprungsmitgliedstaat oder die Betroffenheit gesetzlicher Verbote 27<br />

den ordre public des Vollstreckungsmitgliedstaats verletzen. Daneben kann allein die<br />

Möglichkeit einer ordre public Kontrolle den Schuldner präventiv vor besonders offensichtlichen<br />

Fehlurteilen schützen. 28<br />

Steffen Pabst 71<br />

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Art 5 EG-VollstrTitelVO<br />

13<br />

20 Stadler IPRax 2004, 2, 8; Stadler RIW 2004, 801, 803.<br />

21 Rauscher, EuVollstrTitel Rn 16.<br />

22 So bereits Rauscher, EuVollstrTitel Rn 17.<br />

23 Vgl dazu zum Beispiel die Entscheidungen EuGH Rs C-7/98 Dieter Krombach/André Bamberski EuGHE<br />

2000 I 1956 = ZIP 2000, 859 m Anm Geimer 863; OLG Zweibrücken IPRspr 2005 Nr 151; OLG Köln<br />

IPRspr 2003 Nr 179; Ct of Appeal England & Wales Maronier/Larmer [2002] EWCA 774.<br />

24 Coester-Waltjen FS Beys (2003) 183, 193 verweist auf Wertungsunterschiede bei der Gestaltung der<br />

nationalen Verfahren.<br />

25 EuGH Rs C-7/98 Dieter Krombach/André Bamberski EuGHE 2000 I 1956= ZIP 2000, 859 m Anm Geimer<br />

863; dazu auch Geimer FS Németh (2003) 229, 240.<br />

26 Etwa eines vom Gericht im Versäumnisverfahren nicht erkannten Prozessbetrugs.<br />

27 Wie sollte ein deutsches Vollstreckungsorgan verfahren, wenn etwa ein im Vereinigten Königreich<br />

durchaus vorstellbares Urteil auf Zahlung des Kaufpreises für einen Posten nationalsozialistischer Abzeichen<br />

oder des Buches „Mein Kampf“ als EuVollstrTitel bestätigt würde?<br />

28 Darauf weisen Stürner FG 50 Jahre BGH Bd 3 (2000) 677, 690 f <strong>und</strong> Wagner IPRax 2002, 75, 91 hin;<br />

s auch Rechberger FS Leipold (2009) 301, 305 Fn 27; Oberhammer JBl 2006, 477, 497.<br />

13


Art 5 EG-VollstrTitelVO<br />

14-17<br />

A.I.3 EG-Vollstreckungstitelverordnung<br />

Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen<br />

b) Europäisierung der Gr<strong>und</strong>rechtskontrolle<br />

14 Das Vorhandensein derartiger Fälle allein spricht noch nicht für eine Beibehaltung der<br />

ordre public-Kontrolle (auch wenn dies das klassische Mittel zur Abwehrung grob<br />

rechtsstaatswidriger Urteile ist). Ein Verzicht ist vielmehr vorstellbar, wenn andere<br />

Instrumentarien zur Verfügung stehen, mit denen eine ähnliche Wirkung erzielt werden<br />

kann. Denkbar ist insbesondere eine von den Nationalstaaten gelöste Gr<strong>und</strong>rechtskontrolle<br />

auf europäischer Ebene. Allein wird in der EU hier mal wieder der<br />

zweite Schritt vor dem ersten getan, man gibt zuerst die Anerkennungskontrolle auf,<br />

ehe man einen effektiven Gr<strong>und</strong>rechtsschutz auf europäischer Ebene installiert hat.<br />

Der EuGH kann dies bisher nicht übernehmen (s Einl Rn 41 f) <strong>und</strong> der Schutz durch<br />

die Individualbeschwerde zum EGMR erscheint in seiner Wirkung zumindest zweifelhaft<br />

(s Einl Rn 45).<br />

c) Zwang zum gr<strong>und</strong>rechtswidrigen Verhalten?<br />

15 Das Verbot jeglicher Nachprüfung kann im Vollstreckungsmitgliedstaat sogar dazu<br />

führen, dass dieser zu einem gr<strong>und</strong>rechtswidrigen Handeln gezwungen wird. Als Beispiel<br />

lässt sich die Situation aus dem vom BGH dem EuGH vorgelegten Krombach-Fall<br />

anführen: 29 Der Angeklagte stellte sich einem französischen Strafverfahren nicht. Im<br />

nach französischem Recht zugelassenen Annexverfahren wurde er zivilrechtlich zu<br />

Schadensersatz verurteilt. Der EuGH sah bereits in der Versagung des (zivil-)rechtlichen<br />

Gehörs einen Verstoß gegen das Verteidigungsrecht des Beklagten nach der EMRK.Er<br />

bescheinigte Frankreich inzident ein elementar menschenrechtswidriges Urteil.<br />

16 Unter der Brüssel I-VO kann darauf der Vollstreckungsmitgliedstaat mit dem ordre<br />

public-Vorbehalt aus Art 34 Nr 1 Brüssel I-VO reagieren <strong>und</strong> die Anerkennung <strong>und</strong><br />

Vollstreckung verweigern. Unter der EG-VollstrTitelVO würde der Vollstreckungsmitgliedstaat<br />

auch das französische Krombach-Urteil direkt vollstrecken müssen. Dies, obgleich<br />

die von der VO auferlegte Obliegenheit zur zivilrechtlichen Verteidigung vom<br />

Schuldner nicht wahrgenommen werden könnte, ohne sich nach nationalem Verfahrensrecht<br />

dem Risiko einer langjährigen Haftstrafe auszusetzen. Weil das Urteil aber<br />

nach nationaler Prozessrechtslage korrekt ist, wären Rechtsbehelfe vor den französischen<br />

Gerichten (Ursprungsmitgliedstaat) aussichtslos. Die unmittelbar erfolgende<br />

Vollstreckung würde sich als erneuter Gr<strong>und</strong>rechtseingriff darstellen; da ein einheitlicher<br />

Rechtsraum in Europa noch nicht besteht, bedeutet die Vollstreckung, anders als<br />

ggf im nationalen Recht, nicht nur eine Perpetuierung des bereits erfolgten Gr<strong>und</strong>rechtseingriffes.<br />

Damit verbleibt die Verantwortung für die Verletzung der im Gemeinschaftsrecht<br />

verankerten Gr<strong>und</strong>rechte bei den einzelnen Mitgliedstaaten, 30 die<br />

dieser Verantwortung aber, der ordre public-Kontrolle beraubt, nicht mehr gerecht werden<br />

können.<br />

17 Dies macht deutlich, dass es, um Verstöße gegen die durch die EMRK verbürgten Justizgr<strong>und</strong>rechte<br />

zu vermeiden, einer ordre public-Kontrolle weiter bedürfte. Nach dem<br />

29 EuGH Rs C-7/98 Dieter Krombach/André Bamberski EuGHE 2000 I 1956= ZIP 2000, 859 m Anm Geimer<br />

863; vgl Wagner IPRax 2002, 75, 92; Stadler IPRax 2004, 2, 8.<br />

30 Kohler in: Reichelt/Rechberger (Hrsg), <strong>Europäisches</strong> <strong>Kollisionsrecht</strong> (2004) S 63, 77.<br />

72 Februar 2010<br />

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Kapitel II<br />

Der Europäische Vollstreckungstitel<br />

Stand der VO hingegen kann lediglich die Individualbeschwerde des Schuldners zum<br />

EGMR eine Menschenrechtsverletzung verhindern. Der EGMR ist die letzte <strong>und</strong> hier<br />

auch einzige „Notbremse“ zur Durchsetzung elementarer Verfahrensgr<strong>und</strong>rechte. 31 Damit<br />

dieser Rechtsschutz nicht regelmäßig zu spät kommt, weil das Verfahren beim<br />

EGMR länger dauert als die von keiner Prüfung abhängige Durchführung der Vollstreckung<br />

im Vollstreckungsmitgliedstaat, muss man dem Vollstreckungsmitgliedstaat im<br />

Fall der Individualbeschwerde des Schuldners zum EGMR die Möglichkeit einräumen,<br />

die Vollstreckung auf Antrag nach Art 23 auszusetzen (dazu Art 23 Rn 13 ff).<br />

Die neue Systematik der EG-VollstrTitelVO hätte nicht zwangsläufig zur Aufgabe des<br />

ordre public Vorbehalts führen müssen. Bedingt wird mit Art 21 (s Rn 24) auch von<br />

der EG-VollstrTitelVO die Möglichkeit von begrenzten Einschränkungen im Vollstreckungsmitgliedstaat<br />

vorgesehen. Von der Verordnung wird so selbst erkannt, dass eine<br />

strenge Durchhaltung ihrer Systematik nicht möglich ist. In gleicher Weise hätte man<br />

mit dem ordre public Vorbehalt verfahren können, der, wie vom EuGH 32 bestätigt,<br />

sicher Ausnahmecharakter hat <strong>und</strong> weshalb die Befürchtung einer übermäßigen Behinderung<br />

des europäischen Rechtsverkehrs sicher nicht gerechtfertigt ist. 33<br />

d) Individualisierung des ordre public<br />

Es bleibt allein der Initiative des Schuldners überlassen auf Umwegen den Wegfall der 19<br />

ordre public Prüfung in seinen Folgen durch Einlegung von gleichzeitig zwei Rechtsbehelfen<br />

zu mildern. Er muss die Individualbeschwerde zum EGMR einlegen <strong>und</strong> den<br />

Aussetzungsantrag für die Vollstreckung stellen. 34 Die damit verb<strong>und</strong>ene völlige Individualisierung<br />

des ordre public kann jedoch wohl hingenommen werden, auch<br />

wenn damit Fälle, in denen nur öffentliche Interessen des Vollstreckungsmitgliedstaats<br />

betroffen sind, 35 ggf nicht lösbar sind.<br />

Diese Individualisierung ist bereits in der Brüssel I-VO angelegt. Auch dort erfolgt die<br />

ordre public-Kontrolle nur noch im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Vollstreckbarerklärung<br />

(Art 41, 43 Brüssel I-VO). Der Wechsel der Methodik trägt zudem dem Umstand<br />

Rechnung, dass sich die praktische Relevanz stark auf den Beklagten schützende<br />

verfahrensrechtliche Vorschriften verlagert hat. Die seltenen Fälle, in denen der ordre<br />

public des Vollstreckungsmitgliedstaates ohne Verletzung der Verfahrensgr<strong>und</strong>rechte<br />

einer Partei betroffen ist, wird man mit dem Hinweis, dass sich die Mitgliedstaaten<br />

im Rat ihres wechselseitigen Vertrauens versichert haben <strong>und</strong> sich nunmehr daran<br />

messen lassen müssen, bewältigen können. 36<br />

Steffen Pabst 73<br />

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Art 5 EG-VollstrTitelVO<br />

18-20<br />

31 So auch Stein IPRax 2004, 181, 186.<br />

32 EuGH C-7/98 Krombach/Bamberski Rn 37 IPRax 2000, 406, 408; EuGH C-341/04 Eurofood Rn 62<br />

IPRax 2007, 120, 124.<br />

33 Fasching/Rechberger Vor Art 1 Rn 7; Oberhammer JBl 2006, 477, 499.<br />

34 Georganti, Die Zukunft des ordre public-Vorbehalts im Europäischen <strong>Zivilprozess</strong>recht (2006) S 161 ff<br />

diskutiert, ob ein mit Art 23 vergleichbares, auf Antrag des Schuldners durchzuführendes Verfahren<br />

zum ordre public-Vorbehalt zu schaffen wäre.<br />

35 ZB in dem oben in Fn 20 gebildeten Beispiel.<br />

36 Rauscher, EuVollstrTitel Rn 31.<br />

18<br />

20


Art 5 EG-VollstrTitelVO<br />

21-24<br />

e) Verbleibende Lücken im Beklagtenschutz<br />

21 Auch wenn mit der Individualbeschwerde zum EGMR <strong>und</strong> dem Aussetzungsantrag<br />

nach Art 23 ein erträgliches Schutzniveau für den Beklagten erreicht wird, steht dieses<br />

hinter dem bisherigen zurück. 37 Es besteht insbesondere das Risiko, dass der EGMR auf<br />

Gr<strong>und</strong>lage von Art 6 EMRK einem höheren Gr<strong>und</strong>rechtsstandard des Vollstreckungsmitgliedstaates<br />

nicht folgt. 38 Hier zeigt sich freilich nur erneut das Problem der Verlagerung<br />

des Gr<strong>und</strong>rechtsschutzes auf die EU, die zu einer Nivellierung auf dem kleinsten<br />

gemeinsamen Niveau führen kann.<br />

22 Zudem wird der Beklagte verpflichtet, den Instanzenzug im Ursprungsmitgliedstaat<br />

zu erschöpfen, selbst wenn dies angesichts der dortigen Rechtslage offensichtlich sinnlos<br />

sein mag oder auch sein Vertrauen in das dortige Rechtssystem aus gutem Gr<strong>und</strong><br />

erschöpft ist. 39 Hier zeigt sich, dass das Vertrauensdogma der EU nicht die Freiheit der<br />

Bürger stärkt, sondern dem Bürger ein nicht nachweislich berechtigtes Vertrauen abverlangt.<br />

2. Verletzung von Rechtlichem Gehör <strong>und</strong> Zuständigkeitsnormen<br />

23 Praktisch wichtigster Anerkennungsversagungsgr<strong>und</strong> in der Brüssel I-VO ist Art 34<br />

Nr 2, die Verletzung des rechtlichen Gehörs des Beklagten aufgr<strong>und</strong> nicht ordnungsgemäßer<br />

Zustellung. Dieser Schutz soll unter der VO durch die Beachtung der Mindestvorschriften<br />

nach Art 6 Abs 1 lit c iVm Kapitel III gewährt werden. Gleiches gilt,<br />

soweit unter der Brüssel I-VO im Exequaturverfahren noch Zuständigkeitsvorschriften<br />

überprüfbar sind. Hier soll vergleichbarer Schutz durch Art 6 Abs 1 lit b, d gewährt<br />

werden.<br />

3. Unvereinbarkeit mit einer früheren Entscheidung<br />

A.I.3 EG-Vollstreckungstitelverordnung<br />

Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen<br />

24 Art 21 regelt den einzigen Fall, in dem unter der VO die Vollstreckung verweigert werden<br />

darf. Voraussetzung ist, dass zwischen denselben Parteien wegen desselben Streitgegenstandes<br />

eine frühere Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat ergangen ist<br />

oder in diesem die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung erfüllt sind<br />

<strong>und</strong> die Unvereinbarkeit im Ausgangsverfahren nicht geltend gemacht werden konnte.<br />

Dadurch wird eingeschränkt der Schutz gegen widersprechende Titel aus Art 34<br />

Nr 3, 4 Brüssel I-VO gewährleistet. Gegenüber der Brüssel I-VO ist auch diese Kontrolle<br />

eingeschränkt: Die Vollstreckung kann auch bei einer inländischen Entscheidung<br />

nur verweigert werden, wenn diese früher ergangen ist. Die Vollstreckung darf<br />

überdies nur versagt werden, wenn die Unvereinbarkeit nicht schon im Ausgangsverfahren<br />

geltend gemacht werden konnte. 40<br />

37 Teilweise ist man aber ausdrücklich bereit diesen für das Ziel des „Vereinten Europas“ einzuschränken,<br />

Geimer FS Németh (2003) 229, 241.<br />

38 Rauscher, EuVollstrTitel Rn 34.<br />

39 Stadler IPRax 2004, 2, 8 führt als Beispiele Prozessbetrug oder Korruption in erster Instanz an; vgl<br />

auch Coester-Waltjen FS Beys (2003) 183, 193.<br />

40 Kropholler Rn 7.<br />

74 Februar 2010<br />

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Kapitel II<br />

Der Europäische Vollstreckungstitel<br />

4. Keine weiteren Versagungsgründe<br />

Der in Art 21 geregelte Fall der Verweigerung der Vollstreckung wegen Unvereinbarkeit<br />

mit einer früheren Entscheidung kann nicht im Wege der Analogie auf andere<br />

Versagungsgründe ausgedehnt werden. Selbst wenn die bestätigte Entscheidung nicht<br />

in den Anwendungsbereich der VO fällt, es sich also nicht um eine iSd Art 3 „unbestrittene“<br />

Forderung handelt, kann deshalb nicht im Vollstreckungsmitgliedstaat die<br />

Vollstreckung verweigert werden. 41 Es bleibt allein der Angriff mittels der Möglichkeiten<br />

aus der VO (Widerruf, Art 10 Abs 1 lit b) im Ursprungsmitgliedstaat.<br />

Artikel 6<br />

Voraussetzungen für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel<br />

(1) Eine in einem Mitgliedstaat über eine unbestrittene Forderung ergangene Entscheidung<br />

wird auf jederzeitigen Antrag an das Ursprungsgericht als Europäischer Vollstreckungstitel<br />

bestätigt, wenn<br />

a) die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar ist, <strong>und</strong><br />

b) die Entscheidung nicht im Widerspruch zu den Zuständigkeitsregeln in Kapitel II Abschnitte<br />

3 <strong>und</strong> 6 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 steht, <strong>und</strong><br />

c) das gerichtliche Verfahren im Ursprungsmitgliedstaat im Fall einer unbestrittenen Forderung<br />

im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b) oder c) den Voraussetzungen des<br />

Kapitels III entsprochen hat, <strong>und</strong><br />

d) die Entscheidung in dem Mitgliedstaat ergangen ist, in dem der Schuldner seinen<br />

Wohnsitz im Sinne von Artikel 59 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 hat, sofern<br />

– die Forderung unbestritten im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b) oder c)<br />

ist,<br />

– sie einen Vertrag betrifft, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen<br />

hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person<br />

zugerechnet werden kann <strong>und</strong><br />

– der Schuldner der Verbraucher ist.<br />

(2) Ist eine als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung nicht mehr vollstreckbar<br />

oder wurde ihre Vollstreckbarkeit ausgesetzt oder eingeschränkt, so wird auf jederzeitigen<br />

Antrag an das Ursprungsgericht unter Verwendung des Formblatts in Anhang<br />

IV eine Bestätigung der Nichtvollstreckbarkeit bzw. der Beschränkung der Vollstreckbarkeit<br />

ausgestellt.<br />

(3) Ist nach Anfechtung einer Entscheidung, die als Europäischer Vollstreckungstitel gemäß<br />

Absatz 1 bestätigt worden ist, eine Entscheidung ergangen, so wird auf jederzeitigen Antrag<br />

unter Verwendung des Formblatts in Anhang V eine Ersatzbestätigung ausgestellt,<br />

wenn diese Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar ist; Artikel 12 Absatz 2<br />

bleibt davon unberührt.<br />

41 Kropholler Rn 9; aA Jayme/Kohler IPRax 2004, 481, 486 Fn 73.<br />

Steffen Pabst 75<br />

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Art 5 EG-VollstrTitelVO, 25<br />

Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

25


Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

1<br />

Schrifttum<br />

Mankowski, Europäischer Vollstreckungstitel <strong>und</strong><br />

prozessualer Verbraucherschutz, in: FS Konstantinos<br />

Kerameus (2009) 785.<br />

I. Voraussetzungen der Bestätigung ...... 1<br />

II. Antrag auf Bestätigung<br />

1. Antragszeitpunkt...................... 2<br />

2. Antragsausschluss. .................... 5<br />

3. Antragsberechtigung . ................ 6<br />

4. Antragsempfänger .................... 8<br />

III. Bestätigungsvoraussetzungen<br />

1. Vollstreckbare Entscheidung<br />

(Abs1lita)........................... 10<br />

2. Prüfung der Zuständigkeit<br />

(Abs1litb)........................... 16<br />

a) Ausschließliche Zuständigkeiten 17<br />

b) Zuständigkeiten in<br />

Versicherungssachen .............. 18<br />

c) Zuständigkeiten in<br />

Verbrauchersachen ................ 21<br />

d) Sonstige Verstöße gegen<br />

Zuständigkeitsregeln. .............. 22<br />

e) Zuständigkeiten in<br />

Arbeitssachen . .................... 23<br />

f) Prüfungsmaßstab. .................. 25<br />

g) Vermerk im Formblatt. ............ 26<br />

3. Einhaltung der Mindestvorschriften<br />

(Abs1litc)........................... 27<br />

I. Voraussetzungen der Bestätigung<br />

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4. Verbrauchersachen (Abs 1 lit d)<br />

a) Eingeschränkte Einbeziehung von<br />

Verbrauchersachen . ............... 31<br />

b) Anerkenntnisurteile gegen<br />

Verbraucher. ....................... 33<br />

c) Versäumnisurteile gegen<br />

Verbraucher<br />

(1) Titel gegen Verbraucher....... 39<br />

(2) Wohnsitz des Schuldners . ..... 41<br />

5. Prüfungsdichte . ....................... 45<br />

IV. Nichtvollstreckbarkeitsbescheinigung<br />

(Abs 2)<br />

1. Sinn <strong>und</strong> Zweck. . ..................... 46<br />

2. Verordnungsautonome<br />

Verfahrensvorschriften. ............... 47<br />

3. Nationale Verfahrensvoraussetzungen 49<br />

4. Wirkungen im nationalen<br />

Vollstreckungsverfahren . ............. 51<br />

V. Ersatzbestätigung (Abs 3)<br />

1. Sinn <strong>und</strong> Zweck . ..................... 52<br />

2. Voraussetzungen . .....................<br />

3. Verordnungsautonome<br />

53<br />

Verfahrensvorschriften. ............... 58<br />

4. Nationale Verfahrensvorschriften . ... 60<br />

1 Art 6 benennt – in seiner Funktion vergleichbar zu Art 34, 35 Brüssel I-VO 1 – die Voraussetzungen<br />

unter denen eine Entscheidung als EuVollstrTitel zu bestätigen ist, sofern<br />

sie in den sachlichen Anwendungsbereich der VO fällt, insbesondere also eine<br />

unbestrittene Forderung nach Art 3 Abs 1 vorliegt. Art 6 enumeriert damit, umgekehrt<br />

betrachtet, abschließend die Gründe, aus denen die Bestätigung als EuVollstrTitel<br />

versagt werden darf, wobei das Kernstück der im Ausgangsverfahren zu wahrenden<br />

Mindestvorschriften allerdings durch Verweisung auf das III. Kapitel geregelt<br />

1 Mankowski FS Kerameus (2009) 785, 788 f.<br />

A.I.3 EG-Vollstreckungstitelverordnung<br />

Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen<br />

76 Februar 2010


Kapitel II<br />

Der Europäische Vollstreckungstitel<br />

ist. Entsprechend dem Gesamtkonzept der VO wird die Prüfung der Voraussetzungen<br />

der Bestätigung vollständig auf den Ursprungsmitgliedstaat übertragen.<br />

II. Antrag auf Bestätigung<br />

1. Antragszeitpunkt<br />

Die Bestätigung als EuVollstrTitel erfolgt auf Antrag (Abs 1 Satz 1). Dieser kann jederzeit<br />

gestellt werden, ist insbesondere nicht an eine Frist geb<strong>und</strong>en. 2 Dem Gläubiger<br />

steht es frei, erst dann, wenn er einen in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckbaren<br />

Titel benötigt, den Titel als EuVollstrTitel bestätigen zu lassen. Es besteht keine<br />

Pflicht, bereits während des Erkenntnisverfahrens die beabsichtigte spätere Bestätigung<br />

eines zu erlangenden Titels als EuVollstrTitel zu offenbaren oder gar zu beantragen.<br />

3<br />

Der Antrag kann aber andererseits auch bereits vor Erlass der Entscheidung für den<br />

Fall des Nichtbestreitens (zusammen mit der Klage) gestellt werden. 4 Es bedarf dabei<br />

keines Auslandsbezuges der Sache. 5 Der notwendige grenzüberschreitende Bezug 6 wird<br />

bei Nutzung des EuVollstrTitels zur Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat hergestellt.<br />

Diese Verfahrensweise dürfte den Vorzug haben, dass dem Gericht im Erkenntnisverfahren<br />

bewusst ist, dass die für die Bestätigung erforderlichen Voraussetzungen,<br />

insbesondere des III. Kapitels, einzuhalten sind. Fraglich ist, welche Möglichkeiten<br />

dem Gläubiger unter Umständen hinsichtlich von Staatshaftungsansprüchen<br />

offen stehen, wenn das Gericht dennoch die Mindeststandards zB hinsichtlich der Zustellung<br />

oder Belehrung nicht beachtet, so dass eine Bestätigung als EuVollstrTitel<br />

nach dem abgeschlossenen Erkenntnisverfahren ausscheidet. Wurden die Mindeststandards<br />

jedoch beachtet, kann dann die Bestätigung in engem Zusammenhang<br />

mit der Entscheidung ergehen <strong>und</strong> dem Gläubiger liegt der EuVollstrTitel bereits kurz<br />

nach der Entscheidung vor. 7 Der früheste mögliche Zeitpunkt für die Bestätigung besteht<br />

jedoch erst nach dem Ergehen der Entscheidung, also erst, nachdem diese nach<br />

der lex fori Außenwirkungen entfaltet.<br />

Die Antragsstellung (<strong>und</strong> anschließende Bestätigung) kann auch erfolgen, wenn die<br />

Entscheidung zwischenzeitlich mit Rechtsmitteln angegriffen wurde. Das Rechtsmittel<br />

beseitigt die ursprüngliche Entscheidung zunächst nicht, diese bleibt vorerst bestehen<br />

<strong>und</strong> stellt mithin weiter eine Entscheidung über eine unbestrittene Forderung<br />

Steffen Pabst 77<br />

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Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

2-4<br />

2 Gebauer FPR 2006, 252, 253; Knittel JAmt 2006, 477, 478.<br />

3 Schlosser Art 1 Rn 7.<br />

4 BGH 25.3.2010 Az IZB116/08 (juris); Schlosser Rn 1; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 2a; Gebauer FPR<br />

2006, 252, 253; Knittel JAmt 2006, 477, 478; Faetan JAmt 2007, 181, 186.<br />

5 Fasching/Rechberger Art 3 Rn 2.<br />

6 Nur bei Maßnahmen mit grenzüberschreitenden Bezügen besteht eine Kompetenz der EG,<br />

Art 65 EGV.<br />

7 Kropholler Rn 2; Stein EuZW 2004, 679, 680; Wagner IPRax 2005, 189, 191; Gebauer/Wiedmann/<br />

Klippstein Kap 31 Rn 34.<br />

2<br />

3<br />

4


Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

5-8<br />

dar. 8 Der Antrag auf Erteilung eines <strong>und</strong> die Bestätigung als EuVollstrTitel kann für<br />

ein Versäumnisurteil daher auch nach Einlegung des Einspruches erfolgen. Die Bestätigungsvoraussetzungen<br />

(insbesondere die Vollstreckbarkeit) müssen jedoch im Zeitpunkt<br />

der Bestätigung weiter gegeben sein.<br />

2. Antragsausschluss<br />

5 Die Möglichkeit jederzeitiger Antragstellung bedeutet jedoch nicht, dass der nationale<br />

Gesetzgeber keine Präklusionswirkungen vorsehen dürfte, wenn bereits ein Bestätigungsantrag<br />

für denselben Titel erfolglos geblieben ist. 9 Der Gläubiger hat keinen<br />

Anspruch aus der VO, die nationalen Gerichte immer wieder mit erneuten Anträgen<br />

zum selben Titel zu befassen (dazu Art 9 Rn 11, 25, 33).<br />

3. Antragsberechtigung<br />

6 Antragsberechtigt ist allein der in der Entscheidung genannte Titelgläubiger, 10 mithin<br />

derjenige an den der Schuldner aufgr<strong>und</strong> des Titels leisten muss. Eine Antragstellung<br />

zugunsten eines Dritten wird nicht vorgesehen.<br />

7 Jedoch wird der Unterlassungsgläubiger dem bei einem Ordnungsmittelbeschluss<br />

gleichgestellt, auch wenn das verhängte Ordnungsgeld der Staatskasse <strong>und</strong> nicht dem<br />

ursprünglichen Gläubiger zugute kommt <strong>und</strong> dieser daher allein mittelbar Begünstigter<br />

des Ordnungsmittelbeschlusses, aber nicht Gläubiger des Ordnungsgeldes ist. 11<br />

4. Antragsempfänger<br />

A.I.3 EG-Vollstreckungstitelverordnung<br />

Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen<br />

8 Der Antrag ist an das Ursprungsgericht zu richten. Dieser ist nach Einreichung dem<br />

Schuldner nicht zuzustellen. Wollte das Europäische Parlament ursprünglichen ein autonomes<br />

Erfordernis der Zustellung des Antrags auf Bestätigung an den Schuldner in<br />

den Verordnungsvorschlag einführen 12 <strong>und</strong> wurde dabei auch von der Kommission unterstützt,<br />

13 so entfiel dieses im Gemeinsamen Standpunkt zur Effizienzsteigerung wieder.<br />

14<br />

8 Coester-Waltjen FS Ansay (2006) 47, 52; aA OLG Wien 14.6.2007 Az 1 R 85/07p (RIS), Pkt 2.2;<br />

Pichler GPR 99, 100; Fasching/Rechberger Art 3 Rn 8; Geimer, IZPR Rn 3180e; Geimer FS Vollkommer<br />

(2006) 385, 399, die die Unbestrittenheit mit Einlegung des Rechtsmittels entfallen lassen; Burgstaller/Neumayr/Höllwerth<br />

Art 3 Rn 14 sieht Erkenntnis- <strong>und</strong> Bestätigungsverfahren als ein Verfahren<br />

iSd VO.<br />

9 Zöller/Geimer §1079ZPO Rn 12; Schlosser Rn 1.<br />

10 Leible/Freitag, Forderungsbeitreibung in der EU (2008) § 5 Rn 26; Strasser Rpfleger 2009, 397.<br />

11 BGH 25.3.2010 Az IZB116/08 (juris); Giebel IPRax 2009, 324, 326 f, der eine Vollstreckungsstandschaft<br />

als gemeinschaftsrechtlich geboten ansieht; aA OLG München Rpfleger 2009, 396, 397; OLG<br />

Hamm MDR 2009, 105; Hk-ZPO/Saenger § 1080 Rn 2.<br />

12 Vgl Wuermeling, Ausschuss für Recht <strong>und</strong> Binnenmarkt, <strong>Europäisches</strong> Parlament 26.3.2003, A5-0108/<br />

2003, 8 (Änderungsantrag 7).<br />

13 Im geänderten Vorschlag der Europäischen Kommission 11.6.2003, KOM (2003) 341, 5, 14 (Art 6a).<br />

78 Februar 2010<br />

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Kapitel II<br />

Der Europäische Vollstreckungstitel<br />

Von der VO wird nur geregelt, wohin der Antrag zu richten ist, nicht jedoch wer über<br />

diesen entscheidet. Die Bestimmung, ob der die ursprüngliche Entscheidung erlassende<br />

Spruchkörper, ein anderer Spruchkörper desselben Gerichts oder ein anderes Gericht<br />

über die Bestätigung entscheidet, ist den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen. 15<br />

(S dazu Art 9 Rn 12 ff, 28).<br />

III. Bestätigungsvoraussetzungen<br />

1. Vollstreckbare Entscheidung (Abs 1 lit a)<br />

Es muss eine Entscheidung ergangen sein; den Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung<br />

Außenwirkung entfaltet, bestimmt die lex fori. 16 Die zu bestätigende Entscheidung<br />

muss im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sein. Entgegen ursprünglichen Vorschlägen<br />

17 ist Rechtskraft nicht erforderlich. 18 Vorläufige Vollstreckbarkeit genügt<br />

also. Wann Vollstreckbarkeit vorliegt, bestimmt sich nach der lex fori des Ursprungsmitgliedstaates.<br />

19<br />

Die Durchsetzbarkeit der nicht rechtskräftigen, allein vorläufig vollstreckbaren Entscheidung<br />

ist im Ursprungsmitgliedstaat regelmäßig an Schutzmaßnahmen für den<br />

Schuldner geknüpft, um diesen für den Fall, dass die Entscheidung auf sein Rechtsmittel<br />

hin in höherer Instanz aufgehoben wird, zu sichern. Derartige Schutzmaßnahmen<br />

des Rechts des Ursprungsmitgliedstaates sind jedoch weder Gegenstand der Bestätigung<br />

noch werden sie von der VO autonom als Einschränkung der Bestätigungsfähigkeit<br />

vorgesehen. Es ist Sache des Vollstreckungsmitgliedstaates entsprechende Schutzmaßnahmen<br />

zu ergreifen (s Art 23 Rn 6). 20<br />

Fehlt es an der (vorläufigen) Vollstreckbarkeit, so ist eine Bestätigung nicht möglich.<br />

Da die EG-VollstrTitelVO keine isolierte Anerkennung regelt, sondern nur die inzidente<br />

Anerkennung für Zwecke der Vollstreckung, 21 ist für eine Anerkennung ohne<br />

Vollstreckbarkeit kein Raum.<br />

Steffen Pabst 79<br />

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Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

9-12<br />

14 Europäische Kommission, 9.2.2004, KOM (2004) 90, 6 (Abänderung 7).<br />

15 Stein EuZW 2004, 689, 690; Kropholler Rn 3; Europäische Kommission, 9.2.2004, KOM (2004) 90, 9<br />

(Art 5) wonach dieser Spielraum den Mitgliedstaaten erst im Gemeinsamen Standpunkt des Rates<br />

überlassen wurde. Zuvor stellte die Kommission auf das Gericht ab, welches für die Entscheidung zuständig<br />

ist; dies übersehen wohl Leible/Lehmann NotBZ 2004, 453, 457, die aus Art 6 Abs 1 die Zuständigkeit<br />

für die Bestätigung ableiten.<br />

16 Rauscher GPR 2003/04, 286, 288; vgl dazu Art 26 Rn 7.<br />

17 Europäische Kommission, 18.4.2002, KOM (2002) 159, 23 (Art 5 lit a).<br />

18 Coester-Waltjen JURA 2005, 394.<br />

19 Schlosser Rn 2; Hüßtege in: Gottwald (Hrsg), Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen<br />

in der Europäischen Union (2004) S 113, 125; Hüßtege FS Jayme (2004) 371, 376; Rosner, Money<br />

Judgements S 178; Georganti, Die Zukunft des ordre public-Vorbehalts im Europäischen <strong>Zivilprozess</strong>recht<br />

(2006) S 20 ff; Mayr/Czernich, <strong>EuZPR</strong> Rn 397.<br />

20 Coester-Waltjen JURA 2005, 394, 395; Coester-Waltjen FS Yessiou-Faltsi (2007) 39, 40.<br />

21 Rauscher, EuVollstrTitel Rn 48; Gerling S79.<br />

9<br />

10<br />

11<br />

12


Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

13-17<br />

13 Vollstreckbarkeit des Titels im Vollstreckungsmitgliedstaat ist hingegen Folge, nicht<br />

Voraussetzung der Bestätigung. Dies ist für den individuellen Titel selbstverständlich,<br />

gilt aber auch für Kategorien von Titeln, die im Vollstreckungsmitgliedstaat nicht<br />

vollstreckbar wären. Die Bestätigung als EuVollstrTitel erstreckt die Vollstreckbarkeit<br />

auf alle Mitgliedstaaten, mögen auch Titel derselben Gattung in einzelnen Mitgliedstaaten<br />

nicht vollstreckbar sein. Dies bedeutet, dass ein bestätigter deutscher Titel,<br />

der §§ 704 ff ZPO, insbesondere auch § 794 ZPO unterfällt, in allen Mitgliedstaaten<br />

vollstreckt werden muss, einerlei, ob das dortige Recht derartige Titel zur Vollstreckung<br />

zulässt oder nicht. 22<br />

14 Im deutschen Recht liegt Vollstreckbarkeit jedenfalls vor, wenn eine Vollstreckungsklausel<br />

erteilt wurde. Bei noch nicht erteilter Klausel kann sie für die Bestätigung<br />

nicht verlangt werden. Es sind dann im Bestätigungsverfahren alle Voraussetzungen<br />

zu prüfen, die für die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung erforderlich sind.<br />

Nur wenn diese gegeben sind, liegt eine in Deutschland vollstreckbare Entscheidung<br />

vor. 23<br />

15 Hängt die Vollstreckbarkeit in Deutschland vom Eintritt einer vom Gläubiger zu beweisenden<br />

Tatsache ab, 24 so ist die Entscheidung in Deutschland erst vollstreckbar,<br />

wenn der Eintritt dieser Tatsache durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urk<strong>und</strong>e<br />

nachgewiesen wurde (§ 726 ZPO). Dieser Nachweis ist in der entsprechenden<br />

Form auch für die Bestätigung der Entscheidung als EuVollstrTitel zu führen. 25<br />

2. Prüfung der Zuständigkeit (Abs 1 lit b)<br />

A.I.3 EG-Vollstreckungstitelverordnung<br />

Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen<br />

16 Im Bestätigungsverfahren wird die Einhaltung der auch im Anerkennungsverfahren<br />

nach der Brüssel I-VO (Art 35 Abs 1 Brüssel I-VO) beachtlichen ausschließlichen Zuständigkeiten<br />

(Kapitel II Abschnitt 6 Brüssel I-VO) 26 <strong>und</strong> der Zuständigkeiten in Versicherungssachen<br />

(Kapitel II Abschnitt 3 Brüssel I-VO) überprüft.<br />

a) Ausschließliche Zuständigkeiten<br />

17 Voraussichtlich wird die ausschließliche Zuständigkeit aus Art 22 Nr 1 Brüssel I-VO<br />

erhebliche Bedeutung erlangen; insbesondere Titel über Mietzinsforderungen (wenn<br />

das Mietverhältnis nicht nur vorübergehend iSd Art 22 Brüssel I-VO ist) sind nur bestätigbar,<br />

wenn sie von einem Gericht in dem Mitgliedstaat stammen, in dem sich die<br />

Mietwohnung befindet.<br />

22 Leible/Lehmann NotBZ 2004, 453, 457.<br />

23 Riedel S 10; Schlosser Rn 2.<br />

24 Wobei die Tatsache nicht eine Sicherheitsleistung des Gläubigers betrifft, § 726 Abs 1 ZPO.<br />

25 Rellermeyer RPfleger 2005, 389, 399.<br />

26 Diese sind neben den Zuständigkeiten in Versicherungssachen überprüfbar, aA Ernst JurBüro 2005,<br />

568, 570 ohne Angabe von Gründen.<br />

80 Februar 2010<br />

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Kapitel II<br />

Der Europäische Vollstreckungstitel<br />

b) Zuständigkeiten in Versicherungssachen<br />

In Versicherungssachen können nur Titel bestätigt werden, die von einem nach 18<br />

Art 8 ff Brüssel I-VO zuständigen Gericht stammen. Durch eine Art 23 Brüssel I-VO<br />

entsprechende Vereinbarung kann von diesem Zuständigkeitssystem nur unter den<br />

Voraussetzungen des Art 13 Brüssel I-VO, insbesondere durch nachträgliche Vereinbarung,<br />

abgewichen werden. 27 Eine rügelose Einlassung nach Art 24 Brüssel I-VO lässt<br />

Art 13 Brüssel I-VO dagegen nicht zu, weil sie nicht der Form des Art 23 Brüssel I-VO<br />

genügt, 28 so dass ein für die Zwecke des Bestätigungsverfahrens beachtlicher Zuständigkeitsverstoß<br />

vorliegt, auch wenn sich der Schuldner rügelos eingelassen hat. Dagegen<br />

spricht nicht der Zweck der vorliegenden VO: Ein Widerspruch zu den besonderen<br />

Zuständigkeitsregeln wird nach der Systematik der Art 3 <strong>und</strong> 6 Abs 1 offensichtlich<br />

auch in Fällen des Anerkenntnisurteils für möglich gehalten, denn Abs 1 lit b enthält<br />

insbesondere keine Einschränkung auf Fälle des Art 3 Abs 1 lit b <strong>und</strong> c. Im Fall des<br />

Anerkenntnisurteils nach Art 3 Abs 1 lit a wird nun aber regelmäßig der Fall vorliegen,<br />

dass der Schuldner die Zuständigkeit nicht gerügt hat, sich also, fehlende Zuständigkeit<br />

im Übrigen unterstellt, rügelos eingelassen hätte.<br />

Teilweise wird vertreten, dass diese Bestätigungsvoraussetzung derart teleologisch zu<br />

reduzieren sei, dass eine Prüfung nur erfolge, wenn der Schuldner der Versicherungsnehmer,<br />

mithin die potentiell schwächere Partei sei. 29 Eine entsprechende Einschränkung<br />

seitens des EuGH ist auch zur Brüssel I-VO bisher nicht erfolgt. 30 Anhaltspunkte<br />

für eine derartige Auslegung finden sich weder hier noch in der Brüssel I-VO, weshalb<br />

eine derartige Forderung wohl allein de lege ferenda möglich erscheint. 31 Abs 1 lit b hat<br />

als zu überprüfende Vorschriften ausdrücklich den gesamten Abschnitt 3 des Kapitels<br />

II Brüssel I-O aufgenommen, nicht allein Art 11 Abs 2, Art 12 Brüssel I-VO. Zudem<br />

sind auch Gründe gegen eine derartige Reduktion ersichtlich: Entgegen den allgemeinen<br />

Regelungen zur Zuständigkeit wird der Versicherer aufgr<strong>und</strong> des Sonderregimes an<br />

weiteren Orten gerichtspflichtig. Da der Gr<strong>und</strong>satz der Zuständigkeit am Beklagtensitz<br />

so aufgehoben wird, kann eine schnellere falsche Annahme der Zuständigkeit befürchtet<br />

werden, als dies unter dem allgemeinen Regime der Art 2, 5-7 Brüssel I-VO der Fall<br />

ist. Im Gegenzug für die erweiterte Gerichtspflichtigkeit verdient nunmehr im Aner-<br />

Steffen Pabst 81<br />

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Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

18, 19<br />

27 So auch Kropholler Art 13 Brüssel I-VO Rn 1.<br />

28 AA Hüßtege in: Gottwald (Hrsg), Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen in der<br />

Europäischen Union (2004) S 113, 126; Hüßtege FS Jayme (2004) 371, 377 f, der den Konflikt zwischen<br />

Art 8-14 Brüssel I-VO einerseits <strong>und</strong> Art 24 Brüssel I-VO andererseits, zugunsten von Art 24<br />

Brüssel I-VO gelöst sieht <strong>und</strong> nunmehr konsequenterweise innerhalb der VO entsprechend entscheidet;<br />

ebenso Kropholler Rn 8; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 4.<br />

29 Geimer, IZPR Rn 3182a; Geimer FS Vollkommer (2006) 385, 401; in gleicher Weise zu Art 35 Brüssel<br />

I-VO Rauscher/Leible Art 35 Brüssel I-VO Rn 6; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 35 Brüssel<br />

I-VO Rn 16 ff; Geimer/Schütze/Tschauner Art 35 Brüssel I-VO Rn 5; offen gelassen von Kropholler<br />

Art 35 Brüssel I-VO Rn 8.<br />

30 Der BGH NJW 1980, 1223, 1224 nahm keine derartige Redultion vor, legte dem EuGH die Sache<br />

jedoch auch nicht zur Vorabentscheidung vor.<br />

31 Im Ergebnis so auch Burgstaller/Neumayr/Höllwerth Rn 10; zu Art 35 Brüssel I-VO wie hier: Münch-<br />

KommZPO/Gottwald Art 35 Brüssel I-VO Rn 10; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 35 Brüssel I-VO Rn 3.<br />

19


Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

20-23<br />

A.I.3 EG-Vollstreckungstitelverordnung<br />

Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen<br />

kennungsstadium nicht mehr allein die schwächere Partei einen besonderen Schutz,<br />

sondern beide Seiten in gleicher Weise. Durch Abs 1 lit b (bzw Art 35 Abs 1 Brüssel<br />

I-VO) wird auch der Versicherer vor einer über das Sonderregime noch hinausgehenden<br />

weitergehenden Inanspruchnahme geschützt. Die Norm kann so auch als Ausdruck<br />

der Interessenabwägung zwischen Klägerbevorzugung aufgr<strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

schwächerer Position <strong>und</strong> gleichzeitig noch zu gewährendem Schuldnerschutz der potentiell<br />

als stärker geltenden Partei gesehen werden. Eine teleologische Reduktion<br />

muss daher ausgeschlossen werden.<br />

20 Einhellig anerkannt ist jedoch, dass die Überprüfung der Zuständigkeit im Vollstreckbarerklärungsverfahren<br />

nach Art 35 Abs 1 Brüssel I-VO sich allein auf die internationale<br />

Zuständigkeit bezieht; Verstöße gegen die teilweise mitgeregelte örtliche Zuständigkeit<br />

sind nicht nachprüfbar. 32 In gleicher Weise muss Abs 1 lit b ausgelegt werden:<br />

Die örtliche Zuständigkeit ist auch in Versicherungssachen im Bestätigungsverfahren<br />

nicht nachzuprüfen. 33<br />

c) Zuständigkeiten in Verbrauchersachen<br />

21 Die Verbraucherzuständigkeiten der Art 15 ff Brüssel I-VO sind in Art 6 Abs 1 lit b<br />

nicht genannt. Dies beruht darauf, dass die VO für Verbraucher einen weitergehenden<br />

Schutzmechanismus in Abs 1 lit d vorsieht (s Rn 31 ff). Vgl zur analogen Anwendung<br />

von Abs 1 lit b bei Anerkenntnisurteilen gegen Verbraucher aber Rn 33 ff.<br />

d) Sonstige Verstöße gegen Zuständigkeitsregeln<br />

22 Im Übrigen hindern Verstöße gegen Zuständigkeitsregeln die Bestätigung als EuVollstrTitel<br />

nicht. 34 Dies gilt auch, wenn Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel I-VO verletzt<br />

sind <strong>und</strong> das Gericht seine Zuständigkeit auf nationale, uU exorbitante Zuständigkeitsgründe<br />

gestützt hat. 35 Insofern besteht eine weitere Parallele zur Brüssel I-VO,<br />

denn auch dort hindert lediglich die Nichtbeachtung der ausschließlichen Zuständigkeiten,<br />

der Zuständigkeiten in Versicherungssachen <strong>und</strong> in Verbrauchersachen die<br />

Anerkennung <strong>und</strong> das Exequatur (Art 35 Abs 3 Brüssel I-VO).<br />

e) Zuständigkeiten in Arbeitssachen<br />

23 Nicht berücksichtigt werden auch Zuständigkeitsverstöße in Arbeitssachen. Die<br />

Nichtbeachtung der besonderen Arbeitnehmer schützenden Zuständigkeitsregeln des<br />

Kapitels II Abschnitt 5 hat bereits unter der Brüssel I-VO keine Auswirkungen im An-<br />

32 Rauscher/Leible Art 35 Brüssel I-VO Rn 6; MünchKommZPO/Gottwald Art 35 Brüssel I-VO Rn 11;<br />

Kropholler Art 35 Brüssel I-VO Rn 9; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 35 Brüssel I-VO Rn 44;<br />

Thomas/Putzo/Hüßtege Art 35 Brüssel I-VO Rn 3.<br />

33 Geimer FS Vollkommer (2006) 385, 401.<br />

34 Hüßtege in: Gottwald (Hrsg), Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen in der Europäischen<br />

Union (2004) S 113, 126; Coester-Waltjen JURA 2005, 394, 395; aA Hohloch FPR 2006,<br />

244, 250; Rausch FuR 2005, 437, 439; Rausch FPR 2007, 448, 450; Faetan JAmt 2007, 181, 186, die<br />

entgegen dem klaren Wortlaut der VO stets eine Internationale Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaates<br />

nach der Brüssel I-VO verlangen.<br />

35 Coester-Waltjen FS Ansay (2006) 47, 54.<br />

82 Februar 2010<br />

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Kapitel II<br />

Der Europäische Vollstreckungstitel<br />

erkennungsverfahren. Entsprechend verhält es sich nun auch bei der Bestätigung als<br />

EuVollstrTitel. Die bereits bei Erlass der Brüssel I-VO angenommene Prämisse,<br />

Schuldner vollstreckbarer Titel werde der Arbeitgeber sein, wird – so irrig sie ist – vorbehaltlos<br />

in die VO übertragen. 36 Richtigerweise bedürfte der Arbeitnehmer eines mit<br />

Versicherungsnehmern <strong>und</strong> Verbrauchern vergleichbaren Schutzes. Denn auch er<br />

kann der Schuldner einer arbeitsvertraglichen Geldforderung sein. Zu denken sei<br />

nur an Schadensersatzansprüche eines Arbeitgebers gegen den bei ihm beschäftigten<br />

Fernfahrer, geltend gemacht im (unter Umständen weit entfernten) Deliktsgerichtsstand<br />

des Art 5 Nr 3 Brüssel I-VO, der nach Art 18 Abs 1 Brüssel I-VO ausgeschlossen<br />

ist, weil der Arbeitnehmer nur in seinem Wohnsitzstaat (Art 20 Abs 2 Brüssel I-VO)<br />

verklagt werden kann. Die Bestätigung einer so ergangenen Entscheidung als EuVollstrTitel<br />

ist jedoch ebenso möglich wie deren Anerkennung nach der Brüssel I-VO.<br />

Da hierdurch offenbar der Schutz des Arbeitnehmers, der mit der Einführung des Kapitel<br />

II Abschnitt 5 Brüssel I-VO gestärkt werden sollte, in manchen Fällen nicht gewährleistet<br />

ist, <strong>und</strong> dies schon in der Brüssel I-VO weniger auf der gereiften Einsicht<br />

als auf der eher hektischen Suche nach Kompromissen beruht, hätte man gut daran<br />

getan, die neue VO zum Anlass zu nehmen, diesen Mangel zu beheben.<br />

f) Prüfungsmaßstab<br />

Maßstab für die Zuständigkeitsüberprüfung ist, soweit eine solche Prüfung stattfindet, 25<br />

die Brüssel I-VO. Nicht übernommen wurde allerdings die in Art 35 Abs 2 vorgesehene<br />

Bindung an die tatsächlichen Feststellung des Ursprungsgerichts, aufgr<strong>und</strong> derer<br />

die Zuständigkeit angenommen wurde. Im Rahmen des Bestätigungsverfahrens kann<br />

daher auch eine andere Bewertung der der Zuständigkeit zugr<strong>und</strong>e liegenden Tatsachen<br />

(zum Beispiel des Wohnsitzes) erfolgen. 37 Jedoch wird es dabei, da die Bestätigung<br />

(anders als ein Exequatur) im Ursprungsmitgliedstaat oft vom ursprünglichen<br />

Gericht (zB § 1079 ZPO) ausgestellt wird, selten zu einer anderen Beurteilung kommen.<br />

Hier liegt freilich auch eine der Gefahren des EuVollstrTitels: Die eingeschränkte<br />

Zuständigkeitskontrolle durch den zweiten Richter entfällt gänzlich; Fehler, die bereits<br />

im Erkenntnisverfahren unterlaufen sind, werden im Bestätigungsverfahren vom<br />

gleichen Gericht nicht selten schlicht wiederholt werden. 38 So verstärkt sich, trotz<br />

formaler Parallele zu Art 35 Abs 1 Brüssel I-VO, das faktische Risiko, dass im Bestätigungsverfahren<br />

schwere Zuständigkeitsfehler unerkannt bleiben. Unbeachtet bleibt<br />

schließlich, dass dem bestätigenden Gericht die Beurteilungsgr<strong>und</strong>lagen für die Zuständigkeit<br />

womöglich nicht zur Verfügung stehen. 39<br />

Steffen Pabst 83<br />

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Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

24, 25<br />

36 Ebenso kritisch Leible/Freitag, Forderungsbeitreibung in der EU (2008) § 5 Rn 23.<br />

37 Rauscher, EuVollstrTitel Rn 92; Fasching/Rechberger Rn 10; Schlosser Rn 4; aA Kropholler Rn 7;<br />

MünchKommZPO/Adolphsen § 1080 ZPO Rn 9, die im Interesse der Beschleunigung die Parallelität<br />

zur Brüssel I-VO auf Art 35 Abs 2 Brüssel I-VO erstrecken wollen. Eine andere rechtliche Bewertung<br />

soll danach gleichwohl zulässig sein.<br />

38 Nach Kohler in: Reichelt/Rechberger (Hrsg), <strong>Europäisches</strong> <strong>Kollisionsrecht</strong> (2004) S 72, 75 ist der Geprüfte<br />

selbst Prüfer.<br />

39 Kohler in: Reichelt/Rechberger (Hrsg), <strong>Europäisches</strong> <strong>Kollisionsrecht</strong> (2004) S 72, 75; Rauscher, Eu-<br />

VollstrTitel Rn 80.<br />

24


Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

26-30<br />

g) Vermerk im Formblatt<br />

26 Die Einhaltung der relevanten Zuständigkeitsvorschriften ist unter Ziffer 9 des Formblattes<br />

in Anhang I bei der Bestätigung ausdrücklich zu vermerken. Der Anreiz zu<br />

einer genauen Prüfung wird durch den Aufbau des Formblattes allerdings nicht gefördert,<br />

denn es muss nur der vorgedruckte Text unberührt gelassen, jedoch keine positive<br />

Aussage zur Zuständigkeit getroffen werden. Eine Differenzierung nach Versicherungssachen<br />

<strong>und</strong> ausschließlichen Zuständigkeiten mit der Notwendigkeit, diese<br />

wenigstens anzukreuzen, hätten dem Zweck der VO sicher nicht widersprochen. 40<br />

3. Einhaltung der Mindestvorschriften (Abs 1 lit c)<br />

27 Die Mindeststandards des Kapitels III sind abhängig von der zu Art 3 vorgenommenen<br />

Unterscheidung von aktiv unbestrittenen Forderungen <strong>und</strong> bloßer Passivität des<br />

Schuldners im Bestätigungsverfahren (vgl Art 3 Rn 5, 18) zu prüfen. Auf die Wahrung<br />

dieser Standards kommt es nur an, wenn der Schuldner sich passiv verhalten hat <strong>und</strong><br />

es deshalb auf die Information des Schuldners über das Verfahren ankommt (Art 3<br />

Abs 1 lit b, c). Hat der Schuldner hingegen aktiv die Forderung durch Anerkenntnis,<br />

Prozessvergleich oder öffentliche Urk<strong>und</strong>e anerkannt (Art 3 Abs 1 lit a, d), so ist die<br />

Einhaltung der Mindeststandards aus Kapitel III nicht von Bedeutung, denn der<br />

Schuldner hat seine Kenntnis vom Verfahren positiv bestätigt.<br />

28 Zweck der Regelung ist es, die Verteidigungsrechte des Schuldners zu sichern, auch<br />

ohne dass eine nachgeschaltete Kontrolle der Zustellung in einem Exequaturverfahren<br />

(vgl Art 34 Nr 2 Brüssel I-VO) erfolgt. Um sicherzustellen, dass der Schuldner von<br />

dem Verfahren Kenntnis erlangt hat <strong>und</strong> sich auf das Verfahren einlassen konnte, werden<br />

nur Titel bestätigt, die auf einer Zustellung beruhen, die positive Kenntnis des<br />

Schuldners vom laufenden Verfahren ebenso gewährleistet wie Kenntnis der gegenständlichen<br />

Forderung <strong>und</strong> der Verteidigungsmöglichkeiten.<br />

29 Die Systematik des Art 6 Abs 1 lit c im Verhältnis zum Kapitel III zeigt erneut, dass die<br />

Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, ihr Erkenntnisverfahren konform zu den Anforderungen<br />

des Kapitels III zu gestalten. Kapitel III setzt lediglich Standards, an denen<br />

der Titel vor Bestätigung zu messen ist. War das Verfahren anders gestaltet, so<br />

kann der Titel über eine passiv unbestrittene Forderung lediglich nicht als EuVollstrTitel<br />

bestätigt werden.<br />

30 Eine Anerkennung <strong>und</strong> anschließende Vollstreckung der Entscheidung nach der<br />

Brüssel I-VO ist damit nicht ausgeschlossen. Eine Zustellung, die nicht Art 13, 14<br />

entspricht, kann durchaus ordnungsgemäß sein <strong>und</strong> Art 16 entsprechende Unterrichtungsobliegenheiten<br />

kennt die Brüssel I-VO schon deshalb nicht, weil die Problematik<br />

ausreichender Verteidigungsmöglichkeit im Rahmen des Art 34 Nr 2 Brüssel I-VO<br />

ex post individuell-konkret nachgeprüft werden kann, während sie hier abstrakt generalisiert<br />

werden muss.<br />

40 Rauscher, EuVollstrTitel Rn 89.<br />

A.I.3 EG-Vollstreckungstitelverordnung<br />

Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen<br />

84 Februar 2010<br />

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Kapitel II<br />

Der Europäische Vollstreckungstitel<br />

4. Verbrauchersachen (Abs 1 lit d)<br />

a) Eingeschränkte Einbeziehung von Verbrauchersachen<br />

Die höchst unglücklich formulierte Regelung in Abs 1 lit d regelt für Titel über passiv 31<br />

unbestrittene Forderungen den Schutz gegen Verletzung von Verbraucherzuständigkeiten.<br />

Dieser wird – die richtige Anwendung der VO vorausgesetzt (s Art 20 Rn 22) 41<br />

– gegenüber der Brüssel I-VO sogar erhöht. 42 Andererseits wurden damit Verbrauchersachen<br />

nicht gänzlich aus dem Anwendungsbereich der VO genommen, wie dies<br />

durchaus erwogen worden war. 43<br />

Ein der Brüssel I-VO vergleichbarer Schutz wäre, entsprechend der Behandlung von<br />

Versicherungssachen, auch hier durch Einbeziehung der Verbraucherzuständigkeiten<br />

in die Prüfung nach Abs 1 lit b möglich gewesen. Bemerkenswert ist, dass insoweit<br />

durchaus die Ungewissheit einer verlässlichen Prüfung im Bestätigungsverfahren gesehen<br />

wurde. Da diese sowohl im Bestätigungs- als auch im Säumnisverfahren als<br />

nicht unbedingt gewährleistet angesehen wurde, 44 reduziert Abs 1 lit d die Zuständigkeitsprüfung<br />

in Verbrauchersachen auf ein sehr einfaches Kriterium: Der Bestätigung<br />

zugänglich sind nur Titel aus dem Wohnsitzstaat des Verbrauchers. Der EG-Vollstr<br />

TitelVO wird so ein weites Anwendungsfeld entzogen. 45<br />

b) Anerkenntnisurteile gegen Verbraucher<br />

Abs 1 lit d ist nur einschlägig, wenn der Schuldner im Prozess passiv geblieben ist, die 33<br />

Forderung also nach Art 3 Abs 1 lit b oder c unbestritten ist (Abs 1 lit d Str 1; dazu<br />

unten Rn 39 ff). Hinsichtlich aktiv vom Schuldner anerkannter Forderungen (durch<br />

Anerkenntnisurteil Art 3 Abs 1 lit a) ist Abs 1 lit d nicht anwendbar.<br />

Da Abs 1 als Katalog positiver Bestätigungsvoraussetzungen gefasst ist <strong>und</strong> lit d im selben<br />

Stil nur eine positive Bestätigungsregel für passiv unbestrittene Forderungen normiert,<br />

wäre daraus sprachlogisch eigentlich zu folgern, dass Anerkenntnisurteile gegen<br />

Verbraucher überhaupt nicht als EuVollstrTitel bestätigt werden können. Die Normgebungsgeschichte<br />

zeigt hingegen, dass lit d nur ein zusätzliches Kriterium für passiv<br />

unbestrittene Titel gegen Verbraucher aufstellt, was auch durchaus zweckentsprechend<br />

ist. 46<br />

Steffen Pabst 85<br />

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Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

31-34<br />

41 Eine sorgfältige Prüfung der Verbrauchereigenschaft <strong>und</strong> des Wohnsitzes mahnt auch Coester-Waltjen<br />

FS Yessiou-Faltsi (2007) 39, 43 an.<br />

42 Europäische Kommission, 9.2.2004, KOM (2004) 90, 3; Georganti, Die Zukunft des ordre public-Vorbehalts<br />

im Europäischen <strong>Zivilprozess</strong>recht (2006) S 23.<br />

43 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 18.11.2003, 14746/03, 3.<br />

44 Stein IPRax 2004, 181, 189, der darauf hinweist, dass im Säumnisverfahren dem Gericht Informationen<br />

fehlen könnten, die zur Ablehnung der Zuständigkeit führen <strong>und</strong> im Bestätigungsverfahren das<br />

Gericht uU nicht bereit ist, einem eigenen zuvor trotz Unzuständigkeit erlassenen Urteil die Bestätigung<br />

zu verweigern; Kropholler Rn 12.<br />

45 Krit Locher/Mes/Schütze, Beck’sches Prozessformularbuch10 (2006) Kap I T 7 Anm 2.<br />

46 Ebenso sehen Rechberger/Frauenberger-Pfeiler FS Fischer (2004) 409 Anerkenntnisurteile mit erfasst;<br />

zur sprachlichen Gestaltung des Abs 1 lit d Rauscher, EuVollstrTitel Rn 95.<br />

32<br />

34


Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

35-38<br />

A.I.3 EG-Vollstreckungstitelverordnung<br />

Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen<br />

35 Damit aber fehlt es für nach Art 3 Abs 1 lit a unbestrittene Forderungen an einer<br />

Art 35 Abs 1 Brüssel I-VO entsprechenden Regelung, wie sie Abs 1 lit b für Versicherungssachen<br />

enthält. Ein gegen Art 15 ff Brüssel I-VO verstoßendes Anerkenntnisurteil<br />

gegen einen Verbraucher könnte als EuVollstrTitel bestätigt werden, die Anerkennung<br />

nach der Brüssel I-VO ist hingegen auf Rechtsbehelf des Schuldners nach<br />

Art 43 Brüssel I-VO hin zu verweigern. Der Verstoß gegen die Verbraucherzuständigkeiten<br />

ist nicht nach Abs 1 lit b zu prüfen, 47 der besondere Verbraucherschutz nach<br />

Abs 1 lit d ist für anerkannte Forderungen nicht einschlägig.<br />

36 Diese Lücke lässt sich auch nicht mit dem Argument erklären, der die Forderung anerkennende<br />

Verbraucher habe sich auf das Verfahren (rügelos) eingelassen. Wie<br />

Art 13 Brüssel I-VO für Versicherungssachen (oben Rn 18 ff) erlaubt Art 17 Nr 1 Brüssel<br />

I-VO ein Abweichen vom ausschließlichen System der Verbraucherzuständigkeiten<br />

nur durch nach Art 23 Brüssel I-VO formgerechte nachträgliche Zuständigkeitsvereinbarung,<br />

48 nicht aber durch rügelose Einlassung nach Art 24 Brüssel I-VO. 49<br />

Der Schutz des Art 35 Abs 1 Brüssel I-VO bleibt dem Verbraucher also auch bei rügeloser<br />

Einlassung erhalten.<br />

37 Im Verordnungsgebungsverfahren war der Gleichlauf mit Art 35 Brüssel I-VO zunächst<br />

dadurch gewährleistet, dass die Beachtung der Verbraucherzuständigkeiten in<br />

Abs 1 lit b integriert waren. 50 Um den Verbraucherschutz weiter zu erhöhen, 51 wurde<br />

dann die nunmehr VO gewordene Regelung geschaffen. Dass dabei für Anerkenntnisurteile<br />

der Verbraucherschutz abgesenkt wurde, weil die Prüfung der Verbraucherzuständigkeiten<br />

aus Abs 1 lit b gestrichen wurde, kann nur ein Redaktionsversehen<br />

sein. 52 Daher ist Abs 1 lit b analog anzuwenden auf Anerkenntnisurteile gegen Verbraucher<br />

<strong>und</strong> die Bestätigung nur zu erteilen, wenn die Bestimmungen des Kapitels<br />

II, Abschnitt 4 Brüssel I-VO gewahrt wurden. 53<br />

38 In diesem Zusammenhang erweist sich auch das Formblatt in Anhang I als unzureichend.<br />

Sowohl Ziffer 8 als auch Ziffer 10 unterscheiden nicht zwischen den verschiedenen<br />

Kategorien des Art 3 Abs 1 lit a auf der einen <strong>und</strong> lit b, c auf der anderen Seite.<br />

47 Mit Einführung des Abs 1 lit d wurde in Abs 1 lit b die Beachtlichkeit der Verbraucherzuständigkeiten<br />

gestrichen, vgl den ursprünglichen Verordnungsvorschlag Europäische Kommission, 18.4.2002, KOM<br />

(2002) 159, 23 (Art 5 lit b), in dem noch ein Gleichlauf mit Art 35 Abs 1 Brüssel I-VO geplant war.<br />

48 Soweit auch Kropholler Art 17 Brüssel I-VO Rn 1.<br />

49 AA Kropholler Rn 15.<br />

50 S noch den geänderten Kommissionsvorschlag Europäische Kommission, 11.6.2003, KOM (2003) 341,<br />

13 (Art 5 lit b).<br />

51 Europäische Kommission, 9.2.2004, KOM (2004) 90, 3.<br />

52 AA Mankowski FS Kerameus (2009) 785, 803, der es als bewusste Entscheidung des Gesetzgebers ansieht,<br />

allein noch einen besonderen Verbraucherschutz bei passivem Verbraucherverhalten zu gewähren;<br />

die entstehenden Widersprüche zu den Versicherungssachen betrachtet er als fehlende innere<br />

Konsistenz der Gesetzgebung die nicht durch Auslegung lösbar seien.<br />

53 Zum Ganzen Rauscher, EuVollstrTitel Rn 96; Rauscher GPR 2003/04, 286, 289; aA Gerling S 85 ff;<br />

Kropholler Rn 15; Wagner IPRax 2005, 189, 194, die darauf abstellen, dass der Verbraucher mit der<br />

86 Februar 2010<br />

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Kapitel II<br />

Der Europäische Vollstreckungstitel<br />

Eine ordnungsgemäß ausgefüllte Bestätigung über eine aktiv unbestrittene (anerkannte)<br />

Forderung gegen einen Verbraucher, die nicht aus dessen Wohnsitzstaat stammt,<br />

erscheint fehlerhaft, weil das Formblatt nicht verhindert, dass die nur Abs 1 lit d betreffenden<br />

Fragen beantwortet werden müssen, obwohl diese Bestimmung im konkreten<br />

Fall nicht anwendbar ist. Das Kreuz bei Ziffer 10.2. darf also nicht gesetzt werden,<br />

sein Fehlen macht aber die Bestätigung widersprüchlich, denn das Formblatt ist so gestaltet,<br />

dass bei Bejahung von Ziffer 10.1. in einer ordnungsgemäßen Bestätigung auch<br />

Ziffer 10.2. anzukreuzen ist. Zweck dieser Frage ist es, dem Aussteller <strong>und</strong> dem Adressaten<br />

der Bescheinigung zu verdeutlichen, dass eine Bestätigung von Versäumnisurteilen<br />

gegen Verbraucher nur möglich ist, wenn der Titel aus dem Wohnsitzstaat des Verbrauchers<br />

stammt. 54<br />

c) Versäumnisurteile gegen Verbraucher<br />

(1) Titel gegen Verbraucher<br />

Die Entscheidung muss eine Verbrauchersache betreffen (Abs 1 lit d Str 2). Die De- 39<br />

finition ist aus Art 15 Abs 1 Hs 1 Brüssel I-VO entnommen <strong>und</strong> wie dort auszufüllen. 55<br />

Erfasst werden so allein vertragliche Ansprüche; gegenüber außervertraglichen Ansprüchen<br />

besteht für Verbraucher wie nach der Brüssel I-VO kein besonderes Schutzregime.<br />

56 Allerdings wurden die Einschränkungen aus Art 15 Abs 1 lit a-c Brüssel<br />

I-VO nicht mit in die VO übernommen, was den Anwendungsbereich des Verbraucherschutzes<br />

in der EG-VollstrTitelVO gegenüber der Brüssel I-VO auch gegenständlich<br />

erweitert. 57 Auch Titel über Forderungen aus Verträgen, die nicht unter Art 15<br />

Abs 1 lit a-c Brüssel I-VO fallen, unterfallen Abs 1 lit d. Nicht mit erfasst werden können<br />

dabei jedoch diejenigen vertraglichen Ansprüche, die auch unter der Brüssel<br />

I-VO unabhängig von den Einschränkungen des Art 15 Abs 1 lit a-c Brüssel I-VO<br />

dem Anwendungsbereich des Verbraucherschutzregimes entzogen sind: Vertragliche<br />

Ansprüche aus Miete <strong>und</strong> Pacht unterfallen Art 22 Nr 1 Brüssel I-VO, der Art 15<br />

Brüssel I-VO verdrängt. 58 Derartige Verträge müssen auch hier vom Verbraucherregime<br />

ausgenommen bleiben, der notwendige Schutz wird durch Abs 1 lit b gewährt.<br />

59 In diesem Fall ist für die Bestätigung als EuVollstrTitel die Beachtung der sich<br />

aus Art 22 Brüssel I-VO ergebenden Zuständigkeit zu überprüfen.<br />

Steffen Pabst 87<br />

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Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

39<br />

rügelosen Einlassung seinen Schutz preisgegeben habe <strong>und</strong> sich daher im Nachhinein nicht wieder<br />

darauf berufen darf; iE ebenso Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 6.<br />

54 Rauscher, EuVollstrTitel Rn 97; Rellermeyer RPfleger 2005, 389, 398; das Formblatt bedürfte einer<br />

Umgestaltung: Nach Ziffer 10 müsste eingefügt werden: „10.0. Der Verbraucher hat die Forderung<br />

nicht bestritten gemäß Art 3 Abs 1 lit a ¤, gemäß Art 3 Abs 1 lit b ¤, gemäß Art 3 Abs 1 lit c ¤;<br />

10.1. <strong>und</strong> 10.2. sind nur zu beantworten, wenn Art 3 Abs 1 lit b oder Art 3 Abs 1 lit c anzukreuzen<br />

war.“<br />

55 Dazu Rauscher/Staudinger Art 15 Brüssel I-VO Rn 1 ff.<br />

56 Mankowski FS Kerameus (2009) 785, 797 ff, dort auch diskutierend, ob ein weitergehender Schutz bei<br />

deliktischen Ansprüchen notwendig sein könnte.<br />

57 Stein IPRax 2004, 181, 189; Wagner NJW 2005, 1157, 1159.<br />

58 Rauscher/Mankowski Art 22 Brüssel I-VO Rn 18a; Mankowski ZZPInt 2005, 309, 311.<br />

59 Mankowski FS Kerameus (2009) 785, 799 f.


Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

40- 43<br />

A.I.3 EG-Vollstreckungstitelverordnung<br />

Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen<br />

40 Maßgeblich ist, dass der Schuldner Verbraucher ist (Abs 1 lit d Str 3). Auf die Person<br />

des Gläubigers kommt es nicht an. Abs 1 lit d gilt daher auch für Forderungen, die ein<br />

Verbraucher gegen einen anderen hat. Anders als zu Art 15 ff Brüssel I-VO, wo der<br />

mehrfach genannte „andere Vertragspartner“ nach dem Regelungszweck ein Unternehmer<br />

sein muss, geht es hier nur um die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein<br />

Verbraucher den Schutz des Exequatur-Erfordernisses verliert. Hierfür spielt es keine<br />

Rolle, ob sein Vertragpartner Unternehmer oder selbst Verbraucher ist. Die passive<br />

Partei soll die Bestätigung als EuVollstrTitel allein bei Urteilen aus ihrem Wohnsitzstaat<br />

erwarten müssen. 60<br />

(2) Wohnsitz des Schuldners<br />

41 Der Wohnsitz des Schuldners muss in dem Mitgliedstaat liegen, in dem die Entscheidung<br />

ergangen ist (Abs 1 lit d). Hat der Schuldner mehrere Wohnsitze in verschiedenen<br />

Mitgliedstaaten, so können nach Sinn <strong>und</strong> Zweck der Vorschrift Entscheidungen<br />

aus jedem dieser Staaten als EuVollstrTitel bestätigt werden. 61 Ob der Verbraucher im<br />

Ursprungsmitgliedstaat Wohnsitz hat, bestimmt sich nach Art 59 Brüssel I-VO <strong>und</strong><br />

damit nicht autonom, sondern nach der lex fori (Art 59 Abs 1 Brüssel I-VO).<br />

42 Der Maßgeblicher Zeitpunkt muss zur Klageerhebung angenommen werden. Die wesentlichen<br />

Verbraucherschutzgesichtspunkte sind hier konzentriert. Es soll sichergestellt<br />

werden, dass sich der Verbraucher gegen die Klage effektiv verteidigen kann.<br />

Es muss auch insoweit auf den Eintritt der europäischen Rechtshängigkeit nach Art 30<br />

Brüssel I-VO abgestellt werden. 62 Spätere Veränderungen des Wohnsitzes durch den<br />

Verbraucher bleiben unberücksichtigt. Insofern verdient der Gläubiger Schutz: Ist<br />

das Verfahren eingeleitet, soll es der Schuldner nicht in der Hand haben, durch eine<br />

Wohnsitzverlegung sich dem Anwendungsbereich der Verordnung im Nachhinein<br />

noch entziehen zu können. Auf den Wohnsitz zum Zeitpunkt der Bestätigung als Eu-<br />

VollstrTitel kommt es daher nicht an.<br />

43 Mit diesem Kriterium wird erreicht, dass bei einer Säumnisentscheidung die automatische<br />

europaweite Vollstreckbarkeit dem Verbraucher nur droht, wenn sie in seinem<br />

Wohnsitzstaat erlassen wurde. Die Bedeutung der VO gegenüber Verbrauchern wird<br />

dadurch erheblich eingeschränkt. Da das Vermögen des Verbrauchers sich regelmäßig<br />

auch in seinem Wohnsitzstaat befindet, wird nur selten ein Bedürfnis für eine Auslandsvollstreckung<br />

einer im Wohnsitzstaat ergangenen Entscheidung bestehen. 63 Ein<br />

derartiges Bedürfnis kann jedoch bestehen, wenn zB ein Ferienhaus in einem anderen<br />

Mitgliedstaat vorhanden ist oder der Verbraucher nach Klageerhebung seinen Wohnsitz<br />

grenzüberschreitend verlegt. Hingegen können Säumnisentscheidungen aus anderen<br />

Mitgliedstaaten nur unter der Brüssel I-VO vollstreckt werden.<br />

60 AA Mankowski FS Kerameus (2009) 785, 796, der für ein Abweichen vom Regelungszweck im Vergleich<br />

zu Art 15 Brüssel I-VO eine ausdrückliche Entscheidung des Gesetzgebers oder klare Hinweise<br />

in den Materialien fordert.<br />

61 Rauscher, EuVollstrTitel Rn 99.<br />

62 Burgstaller/Neumayr ÖJZ 2006, 179, 184.<br />

63 Kropholler Rn 14.<br />

88 Februar 2010<br />

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Kapitel II<br />

Der Europäische Vollstreckungstitel<br />

Das Wohnsitzkriterium steht auch der Bestätigung von Titeln entgegen, die gegen den<br />

Verbraucher auf Widerklage hin ergangen sind, obgleich Art 16 Abs 3 Brüssel I-VO<br />

den Verbraucher als Widerbeklagten zuständigkeitsrechtlich als weniger schutzwürdig<br />

ansieht. Ebenso sind Kostentitel gegen den Verbraucher als Unterlegenen nach einer<br />

von ihm außerhalb seines Wohnsitzstaates angestrengten Klage nicht zur Bestätigung<br />

geeignet. 64<br />

5. Prüfungsdichte<br />

Das Verfahren der Prüfung der Voraussetzungen der Bestätigung, insbesondere die<br />

Prüfungsdichte, wird in der VO nicht geregelt. Ein effektiver Schutz gegen eine zu<br />

weite Anwendung der VO unter Verletzung der in Art 6 genannten Kriterien kann<br />

nur erreicht werden, wenn bei der Bestätigung keine Bindung an die Feststellungen<br />

<strong>und</strong> die rechtliche Würdigung in der zugr<strong>und</strong>eliegenden Entscheidung besteht. 65 So<br />

wird sich in den Entscheidungsgründen regelmäßig die Behauptung der ordnungsgemäßen<br />

Ladung finden. Ob die Zustellung tatsächlich entsprechend den Mindestvorschriften<br />

des Kapitels III erfolgt war, wird dagegen nur durch Beiziehung der Verfahrensakte<br />

des Ursprungsgerichts <strong>und</strong> eigenständige Prüfung feststellbar sein. Gerade<br />

hier zeigt sich, dass zur Qualitätssicherung die Konzentration der Bestätigungsprüfung<br />

bei einem höheren Instanzgericht hätte beitragen können. Die Möglichkeit dazu gibt<br />

die VO zwar, der deutsche Gesetzgeber hat sie jedenfalls mit § 1079 ZPO nicht genutzt.<br />

Dies erhöht das Risiko blinden Vertrauens in die Richtigkeit der in der Entscheidung<br />

getroffenen Feststellungen. 66<br />

IV. Nichtvollstreckbarkeitsbescheinigung (Abs 2)<br />

1. Sinn <strong>und</strong> Zweck<br />

Abs 2 gewährt dem Schuldner Schutz gegen zu weit reichende Bestätigungen als Eu-<br />

VollstrTitel. Gemäß Art 11 hat die Bestätigung Wirkung nur im Rahmen der Vollstreckbarkeit<br />

im Ursprungsmitgliedstaat (s Art 11 Rn 1). Ändert sich diese Vollstreckbarkeit,<br />

zB durch eine Aussetzung oder die Anordnung einer Vollstreckung<br />

gegen Sicherheitsleistung, so lässt sich dies aus der Bestätigung nicht erkennen. Die<br />

Vollstreckbarkeit kann auch ganz entfallen, etwa bei Aufhebung einer vorläufig vollstreckbaren<br />

Entscheidung auf Rechtsbehelf des Schuldners hin. Die erteilte Bestätigung<br />

ist in der Folge unrichtig, sie bezeugt eine Vollstreckbarkeit, welche so nicht<br />

mehr besteht (s Art 11 Rn 2). Damit der Schuldner solche später eingetretenen Veränderungen<br />

in der Vollstreckbarkeit nachweisen kann, ist die Bescheinigung nach<br />

Abs 2 vorgesehen, die nur auf Antrag erteilt wird. 67<br />

64 Rauscher, EuVollstrTitel Rn 101.<br />

65 Schlosser Rn 5.<br />

66 Rauscher, EuVollstrTitel Rn 85.<br />

67 Gebauer/Wiedmann/Klippstein Kap 31 Rn 49.<br />

Steffen Pabst 89<br />

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Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

44- 46<br />

44<br />

45<br />

46


Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

47-51<br />

2. Verordnungsautonome Verfahrensvorschriften<br />

47 Die Bescheinigung wird – wie die Bestätigung nach Abs 1 (vgl auch oben Rn 2) – auf<br />

jederzeitigen Antrag erteilt. Antragsberechtigt ist der Schuldner. Der Antrag ist an<br />

das Ursprungsgericht zu richten, die Zuständigkeit für die Entscheidung regeln auch<br />

insoweit die einzelnen Mitgliedstaaten.<br />

48 Die Bescheinigung ist auf dem Formblatt im Anhang IV auszustellen. Dort sind unter<br />

Ziffer 5. (nicht abschließend, Ziffer 5.2.4.) mögliche Fälle aufgelistet.<br />

3. Nationale Verfahrensvoraussetzungen<br />

49 In Deutschland ist auch für die Ausstellung der Nichtvollstreckbarkeitsbescheinigung<br />

nach § 1079 ZPO die Stelle zuständig, die für die Bestätigung des Titels zuständig ist (s<br />

dazu für gerichtliche Entscheidungen Art 9 Rn 12, gerichtliche Vergleiche Art 24<br />

Rn 19, öffentliche Urk<strong>und</strong>en Art 25 Rn 14 ff). Wird der Antrag zurückgewiesen, so<br />

stehen die Rechtsbehelfe gemäß § 1080 Abs 2 ZPO zur Verfügung (dazu Art 9<br />

Rn 21 ff). 68<br />

50 In Österreich ist die Zuständigkeit für die Nichtvollstreckbarkeitsbescheinigung nach<br />

Abs 2 nicht explizit geregelt worden. Es wird § 7a österrEO entsprechend herangezogen,<br />

so dass die die Bestätigung ausstellende Stelle auch für die Nichtvollstreckbarkeitsbescheinigung<br />

zuständig ist. 69<br />

3. Wirkungen im nationalen Vollstreckungsverfahren<br />

A.I.3 EG-Vollstreckungstitelverordnung<br />

Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen<br />

51 Bei Zwangsvollstreckung in Deutschland aus einem als EuVollstrTitel bestätigten ausländischen<br />

Titel ist bei Vorlage einer Nichtvollstreckbarkeitsbescheinigung gemäß<br />

§ 1085 ZPO die Zwangsvollstreckung nach § 775 ZPO einzustellen oder entsprechend<br />

zu beschränken; die Vollstreckungsmaßregeln sind nach § 776 ZPO aufzuheben. Die<br />

Beschränkungen, die in anderen Mitgliedstaaten der Vollstreckung beigegeben werden<br />

können, sind vielgestaltig <strong>und</strong> müssen nicht zwingend mit den deutschen Maßnahmen<br />

in § 775 ZPO übereinstimmen. Bei Anwendung des § 776 ZPO ist daher<br />

zunächst zu prüfen, welchem Tatbestand des § 775 ZPO die getroffene ausländische<br />

Entscheidung am ehesten entspricht. Anschließend ist die dafür in § 776 ZPO vorgesehene<br />

Rechtsfolge anzuwenden. 70<br />

68 BT-Drs 15/5222, 13 (zu § 1080 ZPO-E) stellt ausdrücklich klar, dass § 1080 Abs 2 im Gegensatz zu<br />

Abs 1 auch die Bescheinigung nach Art 6 Abs 2 erfassen soll.<br />

69 Burgstaller/Neumayr ÖJZ 2006, 179, 187; Angst/Jakusch, EO2 (2008) § 7a EO Rn 12, der jedoch hinsichtlich<br />

vollstreckbarer Notariatsakte davon abweichend das Gericht oder die Behörde als berufen<br />

sieht, durch deren Einschreiten der Notariatsakt seine Vollstreckbarkeit verlor.<br />

70 BT-Drs 15/5222, 15 (zu § 1085 ZPO-E); Thomas/Putzo/Hüßtege § 1085 ZPO Rn 2; Rellermeyer RPfleger<br />

2005, 389, 403.<br />

90 Februar 2010<br />

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Kapitel II<br />

Der Europäische Vollstreckungstitel<br />

V. Ersatzbestätigung (Abs 3)<br />

1. Sinn <strong>und</strong> Zweck<br />

Lag dem Gläubiger bereits eine als EuVollstrTitel bestätigte Entscheidung vor, wurde<br />

diese mit einem Rechtsbehelf angefochten <strong>und</strong> ergeht darauf erneut eine vollstreckbare<br />

Entscheidung, so kann er die Ausstellung einer Ersatzbestätigung nach Abs 3 verlangen.<br />

Dies bezieht sich insbesondere auf Fälle des Art 3 Abs 2, also auf Titel über<br />

Forderungen, die erstinstanzlich unbestritten geblieben sind <strong>und</strong> als EuVollstrTitel bestätigt<br />

wurden, dann aber mit Rechtsmitteln angegriffen wurden (vgl dazu Art 3<br />

Rn 46 ff). Die Ersatzbestätigung ersetzt die ursprüngliche Bestätigung, diese wird also<br />

gegenstandslos.<br />

2. Voraussetzungen<br />

Es muss eine Entscheidung vorliegen, die bereits als EuVollstrTitel bestätigt <strong>und</strong> mit<br />

Rechtsmitteln angefochten wurde. Unklar erscheint, ob die Bestimmung nur dann<br />

gilt, wenn die Ausgangsentscheidung bereits im Zeitpunkt ihrer Anfechtung durch<br />

Rechtsmittel als EuVollstrTitel bestätigt war. Der Wortlaut spricht nicht zwingend<br />

für eine solche Auslegung, da nur durch die Verwendung des Plusquamperfekts („bestätigt<br />

worden war“) eine eindeutige Reihenfolge der beiden in der Vergangenheit liegenden<br />

Ereignisse (Bestätigung, Anfechtung) herzustellen wäre. Ein Bedürfnis für eine<br />

Ersatzbestätigung besteht im Übrigen auch dann, wenn die erstinstanzliche Entscheidung<br />

im Zeitpunkt der Bestätigung bereits angefochten, aber weiterhin vorläufig vollstreckbar<br />

war. Da offenk<strong>und</strong>ig die Einlegung eines Rechtsmittels nicht per se die Bestätigung<br />

als EuVollstrTitel ausschließt, 71 muss auch in solchen Fällen die erste<br />

Bestätigung nach Erlass der Rechtsmittelentscheidung ersetzt werden.<br />

Teilweise wird vertreten, 72 eine Ersatzbestätigung sei ohne weiteres zu erteilen, wenn<br />

nach Anfechtung einer als EuVollstrTitel bestätigten Entscheidung eine Rechtsbehelfsentscheidung<br />

ergeht, insbesondere auch dann, wenn der Schuldner im Rechtsbehelfsverfahren<br />

der Forderung widersprochen hat <strong>und</strong> das Verfahren streitig zu Ende<br />

geführt wurde. 73 Diese Ansicht kann sich jedenfalls nicht auf den Wortlaut des Abs 3<br />

stützen, der für die Voraussetzungen der Erteilung der Bestätigung keine Regelung<br />

trifft. Ob Art 3 Abs 2 diese Folgerung stützt, ist strittig. Nach hier vertretener Ansicht<br />

(Art 3 Rn 49) ist auch im Fall des Art 3 Abs 2 eine Ersatzbestätigung nur für Entscheidungen<br />

über Forderungen möglich, die bis zuletzt auch im Rechtsmittelverfahren unbestritten<br />

geblieben sind.<br />

Steffen Pabst 91<br />

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Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

52-54<br />

71 Vgl Coester-Waltjen FS Ansay (2006) 47, 52.<br />

72 So Kropholler Rn 18.<br />

73 So kann man auch die Anmerkung der Europäischen Kommission, 9.2.2004, KOM (2004) 90, 10<br />

(Art 10) verstehen, die für ein auf die Anfechtung folgendes streitiges Verfahren feststellt, der<br />

Schuldner bedürfe des Schutzes der Mindeststandards nicht.<br />

52<br />

53<br />

54


Art 6 EG-VollstrTitelVO<br />

55- 60<br />

55 Die Erteilung einer Ersatzbestätigung erfordert weiter, dass die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat<br />

vollstreckbar ist. Insoweit greift Abs 3 das Erfordernis aus Abs 1<br />

lit a auf.<br />

56 Die Voraussetzungen des Abs 1 sind hingegen nicht erneut zu prüfen. Insoweit wird<br />

das Ergebnis der Prüfung, die der erstinstanzlichen Bestätigung zugr<strong>und</strong>e liegt, übernommen.<br />

Bestätigungsvoraussetzungen nach Abs 1 lit b <strong>und</strong> d können jedenfalls nicht<br />

im Rechtsmittelverfahren weggefallen sein, da der Instanzenzug im selben Mitgliedstaat<br />

verbleibt <strong>und</strong> eine Verbrauchersache instanziell nicht ihre Natur ändert. Eine<br />

erneute Prüfung mit anderem Ergebnis wird durch Abs 3 ausgeschlossen.<br />

57 Art 12 Abs 2 bleibt jedoch vorbehalten (Abs 3 Hs 2). Danach sind auch im Rechtsmittelverfahren<br />

die Mindeststandards zu wahren. Der Vorbehalt verdeutlicht, dass dies<br />

auch dann gilt, wenn die angefochtene Entscheidung bereits als EuVollstrTitel bestätigt<br />

war. Dies fügt sich logisch ein, denn die Wahrung der Mindeststandards im<br />

Rechtsmittelverfahren kann nicht anlässlich der Bestätigung des angefochtenen Titels<br />

bereits geprüft worden sein.<br />

3. Verordnungsautonome Verfahrensvorschriften<br />

58 Die Ersatzbestätigung wird wiederum auf jederzeitigen Antrag (dazu oben Rn 2) erteilt.<br />

Wohin der Antrag zu richten ist, regelt Abs 3 nicht, obgleich in allen anderen<br />

Fällen die Verordnung die Stelle bezeichnet, an die der Antrag zu richten ist. Vor diesem<br />

Hintergr<strong>und</strong> dürfte es nicht den Mitgliedstaaten überlassen sein zu regeln, wo der<br />

Antrag zu stellen ist. 74 Vielmehr ist von einer unbewussten Regelungslücke auszugehen,<br />

die entsprechend Abs 1 <strong>und</strong> 2 geschlossen werden kann: Antragsstelle ist auch<br />

insoweit das Gericht, das zuletzt in der Sache entschieden hat, also das Gericht, von<br />

dem die neue (Rechtsbehelfs-)Entscheidung stammt. 75<br />

59 Die Ersatzbestätigung ist unter Verwendung des Formblattes im Anhang V auszustellen.<br />

Art 10 lässt die Berichtigung <strong>und</strong> den Widerruf der Bestätigung als EuVollstrTitel<br />

zu. Als solche Bestätigung ist nicht nur diejenige nach Abs 1, sondern auch die Ersatzbestätigung<br />

nach Abs 3 zu verstehen. Es besteht hier das gleiche Bedürfnis zumindest<br />

in dem begrenzt eingeräumten Rahmen die erteilte Bestätigung im Ursprungsstaat<br />

überprüfen zu können.<br />

4. Nationale Verfahrensvorschriften<br />

A.I.3 EG-Vollstreckungstitelverordnung<br />

Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen<br />

60 Das Verfahren in Deutschland für die Erteilung der Ersatzbestätigung nach Abs 3 ist in<br />

gleicher Weise ausgestaltet wie für die Bestätigung nach Abs 1. Insoweit wird auf die<br />

Anmerkungen bei Art 9 Rn 12 ff verwiesen.<br />

74 So aber Kropholler Rn 18.<br />

75 Rauscher, EuVollstrTitel Rn 74; Rauscher GPR 2003/04, 286, 288; Fasching/Rechberger Rn 20.<br />

92 Februar 2010<br />

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