Dokumentation Grundtvig 2
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05-08-2008-II._Themen-3_Modul:<strong>Dokumentation</strong> <strong>Grundtvig</strong> 2 25.08.2008 16:41 Seite 59<br />
CURRICULUM - TRANSITION - Ausbildung zum/r Übergangsbegleiter/in für frühkindliche Bildungsprozesse - Socrates <strong>Grundtvig</strong> 1.1 Projekt<br />
II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
(Dr. Wolfgang Ettrich und Barbara Ettrich)<br />
4. Modul „Bildungslaufbahnberatung“<br />
(Professor Dr. Dr. Wolf Peschl)<br />
5. Modul „Werteerziehung“<br />
Professor Dr. Dr. Wolf Peschl)<br />
6. Modul „Musisch-künstlerische Bildung“<br />
(Professor Dr. Dr. Wolf Peschl)<br />
"Alte Werte – Neue Wege"<br />
(Professor Dr. Dr. Wolf Peschl)<br />
7. Modul „Naturwissenschaftliche Bildung“<br />
(Birgitta Henriksson)<br />
II. Themen<br />
59
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CURRICULUM - TRANSITION - Ausbildung zum/r Übergangsbegleiter/in für frühkindliche Bildungsprozesse - Socrates <strong>Grundtvig</strong> 1.1 Projekt<br />
II. Themen<br />
II. Themen<br />
Dr. med. Wolfgang Ettrich,<br />
verheiratet, 2 Kinder, katholisch<br />
1973-1975 an der Elfenbeinküste mit Schwerpunkt Sozialmedizin,<br />
Präventivmedizin, Kinderheilkunde,<br />
Kinderarzt seit 25.09.1979 durch die Landesärztekammer Baden-Württemberg<br />
und ab 1986 Oberarzt und Chefarztstellvertreter Kinderklinik Caritas-Krankenhaus Bad<br />
Mergentheim<br />
Tropenmedizin am 11.04.1988 durch die Landesärztekammer Baden-Württemberg<br />
Psychotherapie, 11.05.1989 durch die Landesärztekammer Baden-Württemberg<br />
Ordentliches Mitglied für Neuropädiatrie<br />
Ärztlicher Leiter am Sozialpädiatrischen Zentrum, Klinik am Eichert - Fachklinik für<br />
Kinderheilkunde und Jugendmedizin in Göppingen.<br />
Hofrat Professor MMag. DDr. h.c. Wolf Peschl,<br />
ist Präsident der Arbeitsgemeinschaft der Musikerzieher Österreichs (AGMÖ), Vizepräsident<br />
des Österreichischen Musikrates (ÖMR), Vorsitzender der Medien-Begutachtungskommission<br />
des österreichischen Bildungsministeriums, mehrfacher<br />
Buchautor, Redakteur zweier pädagogischer Fachzeitschriften, Autor von ca. 140 pädagogikwissenschaftlichen<br />
Publikationen, Dirigent und Chorleiter; er war Präsident<br />
der European Association Schoolmusic (EAS) und Direktor des Bundesgymnasiums<br />
Wien 3.<br />
Vortragsreisen führen ihn an zahlreiche Universitäten (Gastvorlesungen u.a. in Ankara,<br />
Cambridge, Krakau, Leuven, München, Nürnberg, Peking, Prag, Presov, Salzburg,<br />
Würzburg).<br />
In den letzten Jahren mehrfache Beteiligungen an internationalen Projekten im Rahmen<br />
von Erasmus und Sokrates.<br />
Er ist außerdem Autor zahlreicher Rundfunk- und Fernsehsendungen, von Unterrichtsmedien<br />
(VIDEOs, DVDs, Arbeitsmaterialien für den Unterricht) sowie Komponist<br />
von Bühnenmusik für Fernseh-Sendungen.<br />
Ich heisse Birgitta Henriksson.<br />
Ich bin Lehrerin an der Älta Schule (Schweden).<br />
Die Älta Schule ist eine Schwedische Qualitätsschule, die mehrere Auszeichnungen erhalten<br />
hat.<br />
Ich unterrichte Kinder im Alter zwischen 10 -13 Jahren.<br />
Gleichzeitig unterrichte ich auch Lehramtsstudenten an der Universität in Stockholm.
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CURRICULUM - TRANSITION - Ausbildung zum/r Übergangsbegleiter/in für frühkindliche Bildungsprozesse - Socrates <strong>Grundtvig</strong> 1.1 Projekt<br />
II. Themen<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Einleitung<br />
1. Bindung und Entwicklung des Selbst<br />
1.1 Bindung zwischen Kindern und ihren Bezugspersonen<br />
1.2. Konzeptionen des Selbst<br />
1.3. Ethnische Identität<br />
1.4. Selbstwertgefühl<br />
2. Emotionale Entwicklung<br />
2.1. Entwicklung von Emotionen in der Kindheit<br />
2.2. Die Regulierung von Emotionen<br />
2.3. Individuellle Unterschiede bei Emotionen und ihrer Regulierung<br />
2.4. Die emotionale Entwicklung von Kindern in ihrer Familie<br />
2.5. Kultur und die emotionale Entwicklung von Kindern<br />
2.6. Das Emotionsverständnis von Kindern<br />
3. Beziehung zu Gleichaltrigen und Sozialentwicklung<br />
3.1. Kindliche Sozialpartner<br />
3.2. Peer-Beziehungen<br />
3.3. Status in der Peer-Gruppe<br />
3.4. Spielentwicklung<br />
3.5. Die Rolle der Eltern bei Peer-Beziehungen der Kinder<br />
4. Moralentwicklung<br />
4.1. Moralisches Denken und Urteilen<br />
4.2. Die frühe Entwicklung des Gewissens<br />
4.3. Prosoziales Verhalten<br />
4.4. Antisoziales Verhalten<br />
4.5. Lernen über Gerechtigkeit durch Teilen mit anderen<br />
4.6. Verstehen sozialer Konventionen<br />
5. Körperliche Entwicklung<br />
5.1. Wachstum und Entwicklung des Körpers<br />
5.2. Entwicklung der Wahrnehmung<br />
5.3. Motorische Entwicklung<br />
6. Geistige Entwicklung<br />
6.1. Lernen<br />
6.2. Kognition<br />
6.3. Informationsverarbeitung (Aufmerksamkeit, Gedächtnis)<br />
6.4. Sprachentwicklung<br />
7. Zusammenfassung:<br />
Meilensteine der Entwicklung der frühen Kindheit und daraus ableitbare Entwicklungsdefizite<br />
II. Themen 61
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
„Entwicklungspsychologische<br />
Aspekte beim Übergang von<br />
der frühen Kindheit ins Kindergartenalter“<br />
II. Themen<br />
Einleitung<br />
Der Übergang von der Familie in die Großgruppe<br />
(Kindergarten) stellt für manches Kind eine Situation<br />
dar, in der das Kind selbst, seine Eltern<br />
und die ErzieherInnen eine Unterstützung benötigen.<br />
Aufgrund dieser Tatsache wurde ein Projekt ins<br />
Leben gerufen, bei dem Übergangshelfer diesen<br />
Schritt erleichtern sollen.<br />
In unserem Modul „Entwicklungspsychologie des<br />
frühen Kindesalters“ haben wir die aus unserer<br />
Sicht relevantesten Entwicklungsparameter herausgearbeitet.<br />
Wir stellen diese Entwicklungsparameter<br />
zunächst themenzentriert in einer<br />
zusammenfassenden Form vor, um sie anschließend<br />
als Curricula mit den wesentlichen Inhaltsaspekten<br />
als Unterrichtseinheiten darzustellen.<br />
Ziel ist einerseits die Vermittlung von Kenntnissen<br />
über den kindlichen Entwicklungsstand im<br />
Alter von 3 Jahren hinsichtlich der Hirnentwicklung,<br />
körperlichen Entwicklung, sowie der<br />
sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten. Dazu<br />
die wesentlichsten Aspekte der emotionalen, sozialen<br />
und Ich- und Selbstentwicklung und der<br />
kindlichen Moralentwicklung.<br />
In dieser Darstellung sollen u. a. die Fähigkeiten<br />
herausgearbeitet werden, derer die Kinder in der<br />
Übergangssituation Elternhaus-Kindergarten besonders<br />
bedürfen (Bindungsfähigkeit, Bindung<br />
als Voraussetzung für Trennungsfähigkeit, Fähigkeit<br />
mit mehreren Personen in soziale Interaktion<br />
zu treten). Das Spannungsfeld von Trennungsangst<br />
und Akzeptanz von Neuem als Form der<br />
Unabhängigkeit entsprechend des Alters, sowie<br />
die Entwicklung von Empathie und das Verstehen<br />
von Zusammenhängen.<br />
Die Darstellung soll den Erziehenden sowie den<br />
Übergangshelfern die Möglichkeit geben, Kindern,<br />
die in den genannten Bereichen Schwierigkeiten<br />
haben Hilfestellung zu leisten (z.B.<br />
Bereitschaft der ErzieherInnen Elternersatzfunktionen<br />
zu übernehmen, die Abhängigkeit der<br />
Kinder zu akzeptieren, sowie die Gradwanderung<br />
zwischen Abhängigkeit und Selbstständigkeit<br />
zu erkennen, als richtiges Maß zwischen<br />
Forderung und Überforderung).<br />
Darüber hinaus sollen die Übergangshelfer in der<br />
Lage sein, spezifische Stärken und Schwächen<br />
des Kindes in den verschiedenen genannten Ent-
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CURRICULUM - TRANSITION - Ausbildung zum/r Übergangsbegleiter/in für frühkindliche Bildungsprozesse - Socrates <strong>Grundtvig</strong> 1.1 Projekt<br />
II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
wicklungsbereichen zu erkennen, um entsprechende<br />
Unterstützungsmöglichkeiten zu erarbeiten.<br />
1. Bindung und Entwicklung des Selbst<br />
1.1 Bindung zwischen Kindern und ihren Bezugspersonen<br />
Der Begriff der Bindungsentwicklung ist verknüpft<br />
mit den Namen Bowlby, Rene Spitz, Ainsworth<br />
und anderen.<br />
Aus Untersuchungen in Waisenhäusern schloss<br />
man, dass Babys in Einrichtungen wie Waisenhäusern<br />
unabhängig von Hygiene und Güte der<br />
Leitung einem hohen Entwicklungsrisiko ausgesetzt<br />
sind. Es wurde festgestellt, dass frühe emotionale<br />
Bindungen zwischen Eltern und Kind die<br />
soziale und emotionale Entwicklung von Kindern<br />
beeinflussen kann.<br />
Frühe Beziehung der Kinder zu ihren Eltern beeinflusst<br />
die Art ihrer Interaktionen mit anderen<br />
Menschen vom Kleinkind bis zum Erwachsenenalter.<br />
Diese frühe Bindung beeinflusst das Selbstwertgefühl.<br />
Es ist somit Ausdruck dieser früh einsetzenden<br />
interaktionellen, aktiv gesteuerten<br />
Beziehung zwischen dem Kind der Bezugsperson,<br />
der entsprechenden Ausbildung des Bindungsverhaltens<br />
und Selbst.<br />
Es soll hier noch mal betont werden, dass wir diesen<br />
Prozess einen hochaktiven Prozess von beiden<br />
Seiten betrachten, sowohl von der<br />
Bezugsperson als auch von dem Kind in schon<br />
sehr frühem Alter.<br />
Bindungsprozess scheint eine biologische Grundlage<br />
zu haben, entwickelt sich aber in Abhängigkeit<br />
vom familiären und kulturellen Kontext<br />
unterschiedlich.<br />
Also bewegt sich der Bindungsprozess im Spannungsfeld<br />
„Anlage und Umwelt“ sowie im soziokulturellen<br />
Kontext.<br />
So ist die Bindung zu den Eltern von unterschiedlicher<br />
Qualität und zeigt hohe individuelle<br />
Unterschiede in der sozialen und emotionalen<br />
Entwicklung des einzelnen Kindes.<br />
Harlow und Mitarbeiter (1965) zeigen bei isoliert<br />
aufgewachsenen Rhesusaffen mit 6 Monaten<br />
schwere soziale Störungen (zwanghaftes Beißen,<br />
hin und her werfen, unfähig zu sein mit anderen<br />
zu kommunizieren u. a.).<br />
Die Ergebnisse der Beobachtung von Kindern<br />
und Affen erwiesen sich so eindrücklich, dass<br />
Psychologen und Psychiater sich gezwungen<br />
sahen, ihre Vorstellung von der frühen Entwicklung<br />
zu überdenken.<br />
So entwickelte Bowlby die so genannten Bindungstheorien<br />
(Bowlby 1969)<br />
Nach Bowlby ist Bindung ein biologisch basierter<br />
Prozess, dessen Wurzeln in der Evolution liegen<br />
und die die Überlebenschancen des hilflosen kleinen<br />
Kindes erhöht. Die engste Bezugsperson ist<br />
„die sichere Basis“ von der aus das sicher gebundene<br />
Kind seine Umwelt erforschen kann<br />
und sich Wissen und Kompetenzen erwirbt.<br />
Bowlby unterscheidet hier in der anfänglichen<br />
Entwicklung von Bindung 4 Phasen:<br />
î 1. Vorphase der Bindung<br />
(Geburt bis 6 Wochen)<br />
î 2. Entstehende Bindung<br />
(6 Wochen bis 8 Monate)<br />
î 3. Ausgeprägte Bindung<br />
(6 Monate bis 2 Jahre)<br />
î 4. Reziproke Beziehungen<br />
von 1 ½ - 2 Jahren an.<br />
Das Kind entwickelt so ein so genanntes inneres<br />
Arbeitsmodell der Bindung, nämlich die kindliche<br />
mentale Repräsentation des Selbst, der Bindungsperson<br />
und der Beziehungen im<br />
Allgemeinen, die als Ergebnis der Erfahrungen<br />
mit den Betreuungspersonen entstehen.<br />
Das Arbeitsmodell leitet die Interaktionen der<br />
Kinder mit den Versorgern und anderen Personen<br />
in der Kindheit und im späteren Alter.<br />
Mary Ainsworth, die mit Bowlby seit 1950 zusammengearbeitet<br />
hat, lieferte die empirische<br />
Evidenz für die Bowlby’sche Theorie und erweiterte<br />
sie in entscheidender Hinsicht.<br />
(Ainsworth 1967).<br />
Um die Qualität der kindlichen Bindung an ihre<br />
primäre Bezugsperson zu prüfen, wurde die so<br />
genannte „fremde Situation“ von Ainsworth experimentell<br />
angegeben. Die Kinder werden typischerweise<br />
nach.<br />
II. Themen 63
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CURRICULUM - TRANSITION - Ausbildung zum/r Übergangsbegleiter/in für frühkindliche Bildungsprozesse - Socrates <strong>Grundtvig</strong> 1.1 Projekt<br />
II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
„sicher gebunden“:<br />
ein Bindungsmuster, bei dem ein Kind eine qualitativ<br />
hochwertige, relativ eindeutige Beziehung<br />
zu seiner Bindungsperson hat. In der fremden Situation<br />
weint ein sicher gebundenes Kind vielleicht,<br />
wenn die Bezugsperson weggeht, freut<br />
sich aber, wenn sie zurückkehrt und erholt sich<br />
schnell von seinem Unbehagen.<br />
Wenn Kinder sicher gebunden sind, können sie<br />
ihre Bezugspersonen als sichere Basis für die Erkundung<br />
ihrer Umwelt nutzen.<br />
oder<br />
„unsicher gebunden“:<br />
(unsicher ambivalent, unsicher – vermeidend, als<br />
desorganisiert oder desorientiert) eingeteilt.<br />
Die unsichere Bindung ist ein Bindungsmuster,<br />
bei dem Kinder eine weniger positive Bindung zu<br />
ihrer Bezugsperson haben als sicher gebundene<br />
Kinder. Unsicher gebundene Kinder können eingeteilt<br />
werden in unsicher ambivalent, unsicher<br />
vermeidend oder desorganisiert.<br />
Die unsicher ambivalente Bindung :<br />
ein Typ unsicherer Bindung, bei dem Säuglinge<br />
oder kleine Kinder klammern oder nahe bei der<br />
Bezugsperson bleiben, statt ihre Umwelt zu erkunden.<br />
In der „fremden Situation“ werden unsicher<br />
ambivalent gebundene Kinder häufig<br />
ängstlich, wenn die Bezugsperson sie alleine im<br />
Raum lässt und können von Fremden nicht gleich<br />
beruhigt werden. Wenn die Bezugsperson zurückkehrt,<br />
lassen sie sich nur schwer beruhigen.<br />
Einerseits suchen sie Trost, andererseits widersetzen<br />
sie sich den Bemühungen, sie zu trösten.<br />
Unsicher vermeidende Bindung:<br />
Ein Typ unsichere Bindung, bei dem Säuglinge<br />
und kleine Kinder gleichgültig gegenüber ihrer<br />
Bezugsperson erscheinen und diese – gegebenenfalls<br />
sogar meiden. In der fremden Situation<br />
erscheinen sie der Bezugsperson gegenüber<br />
gleichgültig, bevor diese den Raum verlässt und<br />
gleichgültig oder vermeidend, wenn sie zurückkehrt.<br />
Sie weinen und nachdem die Bezugsperson<br />
sie allein gelassen hat, können sie von einem<br />
Fremden ebenso leicht beruhigt werden wie von<br />
der Mutter oder dem Vater.<br />
II. Themen<br />
Desorganisiert – desorientierte Bindung:<br />
Ein Typ unsicherer Bindung, bei dem die Kinder in<br />
der „fremden Situation“ keine konsistente<br />
Stressbewältigungsstrategie zeigen. Ihr Verhalten<br />
ist oft konfus oder sogar widersprüchlich und sie<br />
erscheinen oft benommen oder desorientiert.<br />
Die Wahrscheinlichkeit für ein Kind sicher gebunden<br />
zu sein nimmt zu, wenn die Bezugspersonen<br />
sensibel sind und auf die Bedürfnisse<br />
reagieren.<br />
Die Ähnlichkeit des Verhaltens bei Kindern in der<br />
„fremden Situation“, zu Hause ist gegeben:<br />
mehr Freude am Körperkontakt, weniger aufgeregtes<br />
Verhalten, entdeckungsfreudiger.<br />
Das Verhalten von Kleinkindern ist in der „fremden<br />
Situation“ über zahlreiche Kulturen hinweg<br />
im Großen und Ganzen vergleichbar (China,<br />
Westeuropa, Afrika, Ilzendoorn und Sagi 1999).<br />
Kulturelle Besonderheiten fließen aber ein, besonders<br />
in die Unterformen des unsicher gebundenen<br />
Seins.<br />
Das Einfühlungsvermögen der Eltern ist ein wichtiger<br />
Faktor der zur Sicherheit der kindlichen Bindung<br />
beiträgt. Es besteht ein Zusammenhang<br />
zwischen dem Bindungsstatus der Eltern und<br />
ihrem Arbeitsmodell von Beziehungen und der<br />
Qualität ihrer Bindung zu ihren Kindern.<br />
Es gibt Hinweise für eine Kontinuität von der Bindung<br />
in der Kindheit zur Bindung im Erwachsenenalter.<br />
Das Temperament des Kindes zeigt eine vergleichsweise<br />
geringe Rolle bei der Bindungssicherheit.<br />
Beachtenswert sind allerdings gravierende Ereignisse,<br />
die in den Bindungsprozess mit einfließen<br />
können wie Scheidung, Krankheit, mütterliche<br />
Depression u.a.<br />
Interventionsprogramme zeigen, dass man mit<br />
Eltern ein sensibleres, aufmerksameres und stimulierendes<br />
Verhalten einüben kann, was bei<br />
den Kindern zu mehr Geselligkeit, Explorationsverhalten,<br />
Bindungssicherheit und der Fähigkeit,<br />
sich selbst zu beruhigen, führt.
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
1.2 Konzeption des Selbst<br />
Das Selbst ist ein Konzeptsystem, das aus den<br />
Gedanken und Einstellungen über sich selbst entsteht.<br />
Gedanken über das eigene materielle Sein<br />
(Körper, Eigentum), soziale Merkmale (Beziehungen,<br />
Persönlichkeit, soziale Rollen) sowie innere<br />
Merkmale (Gedanken und psychische Vorgänge).<br />
Die Entwicklung des Selbst ist wichtig, weil die<br />
Selbstkonzepte des Individuums, einschließlich<br />
seiner Selbstsicht und seines Selbstgefühls, alle<br />
Gefühle von Wohlbefinden und Kompetenz beeinflussen.<br />
Kinder von 2-4 Monaten haben die Vorstellung<br />
von ihrer Fähigkeit, Objekte außerhalb ihrer<br />
selbst zu kontrollieren.<br />
Ca. 8 Monate alte Säuglinge reagieren mit Trennungsangst.<br />
2-Jährige sagen „ich„ und „mein„.<br />
Bei Selbstbeschreibungen beziehen sich jüngere<br />
Kinder oft auf das, was sie gerne mögen oder besitzen.<br />
Die Selbstbewertungen im Vorschulalter sind oft<br />
unrealistisch positiv. Es kommt zum zunehmenden,<br />
sozialen Vergleich der eigenen psychischen<br />
verhaltensbezogenen oder körperlichen Eigenschaften<br />
mit anderen, um die eigene Tüchtigkeit<br />
zu bewerten.<br />
Autoren, die sich mit dieser Problematik beschäftigt<br />
haben, werden hier erwähnt:<br />
î Lewis, Alessandri Sullivan (1990)<br />
î Rochat and Morgan (1995 und 2002)<br />
î Bullock and Lutkenhaus (1990).<br />
Im Folgenden wird die Stern’sche Theorie hier<br />
dargestellt mit einem Selbstentwicklungskonzept,<br />
das sich entwickeln kann.<br />
D.Stern unterteilt die frühe Lebenserfahrung des<br />
Säuglings in 5 Arten des Selbstempfindens.<br />
Die Phasen sind keine Zeitspanne in dem Sinne,<br />
dass eine nachfolgende Selbstempfindung die<br />
vorhergehende ablösen würde.<br />
Keine Selbstempfindungsart geht verloren, alle<br />
existieren nach ihrem Auftauchen lebenslang parallel<br />
und zeitgleich weiter.<br />
5 Selbstempfindungen tauchen nacheinander<br />
auf:<br />
î Zwischen 0 und 2 Monaten:<br />
Phase des auftauchenden Selbstempfindens.<br />
î Zwischen 2-3 und 7-9 Monaten:<br />
Phase des Kernselbstempfindens.<br />
î Zwischen 7-9 und 15-18 Monaten:<br />
Phase des intersubjektiven bezogenen<br />
Selbstempfindens.<br />
î Ab 15-18 Monaten:<br />
Phase des verbalen Selbstempfindens.<br />
î Ab 30-36 Monaten (und später):<br />
Phase des narrativen Selbstempfindens.<br />
Bereits während der ersten beiden Lebensmonate<br />
entwickeln Säuglinge aktiv ein Empfinden für ihr<br />
im Auftauchen begriffenes Selbst. Sie reagieren<br />
bereits im frühesten Stadium auf ihre soziale Umwelt.<br />
Sie suchen die für ihre Entwicklung angemessene<br />
sensorische Stimulierung. Sie äußern<br />
deutliche Vorlieben und Abneigungen gegenüber<br />
Sinneseindrücken und Wahrnehmungen.<br />
Das Gespür, was für sie „richtig“ ist, ist angeboren.<br />
Dabei lassen sich affektive und kognitive Prozesse<br />
nicht trennen. Wenn die vielfältigen,<br />
zunächst noch isolierten Erlebnisse des Säuglings<br />
dann auf irgendeine Weise miteinander in Beziehung<br />
gesetzt werden, so erlebt der Säugling das<br />
1. Auftauchen von Geordnetheit und Organisation.<br />
Ein Selbst-/Weiterempfinden kann überhaupt<br />
erst dann existieren, wenn schon eine<br />
irgendwie geartete Organisation entstanden ist,<br />
die als Bezugspunkt dient. Dieser erste Bezugspunkt<br />
ist der Körper. Seine Kohärenz, seine Bewegungen<br />
und Handlungen, sowie die mit ihm<br />
verbundenen Gefühle. Alle ersten Erfahrungen<br />
sind körpernahe Vorgänge, die gesamte spätere<br />
Entwicklung des Selbstgefühls, des Selbstbewusstseins<br />
und des Selbstwertgefühls nehmen<br />
ihren Ursprung in diesen ersten Körpererfahrungen.<br />
Unsere frühesten Erinnerungen sind im Körper<br />
gespeicherte Erinnerungen und unser<br />
ursprüngliches Selbst ist zunächst immer ein Körperselbst.<br />
Aus ihnen heraus bilden sich nacheinander<br />
ein Körper-Ich und ein Körperschema<br />
heraus.<br />
II. Themen 65
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
Lignov beschreibt auch ein pränatales Körperselbst.<br />
Das Kind im Mutterleib spürt und hört den<br />
Herzschlag der Mutter und ihre Stimme, sowie<br />
die Stimmen anderer Menschen und Tiere. Es<br />
vernimmt Geräusche ihres Körpers beim Verdauen,<br />
Schnarchen, Lachen etc., es ist nicht<br />
beunruhigt, denn seine Anpassung haben diese<br />
mit berücksichtigt.<br />
Die aktuellen Forschungsergebnisse Alessandra<br />
Piontellis beweisen, dass es ein erstaunlich differenziertes<br />
vorgeburtliches Erleben gibt, bis hin<br />
zum Empfinden dafür, ob ein Kind richtig und<br />
willkommen ist oder nicht. Diese Studie erhärtet<br />
Sterns Grundannahmen zur differenzierten Lebenserfahrung<br />
des Säuglings.<br />
Stern misst dem Säugling bereits unmittelbar<br />
nach der Geburt verschiedene Fähigkeiten zu, die<br />
in seiner frühesten Wahrnehmungswelt für Ordnung<br />
sorgen: vor allem die amodale Wahrnehmung<br />
und das Eintauchen in die Vitalitätsaffekte.<br />
Säuglinge verfügen über eine angeborene generelle<br />
Fähigkeit, Wahrnehmungen oder Informationen,<br />
die über verschiedene Sinneskanäle<br />
aufgenommen werden, miteinander in Beziehung<br />
zu setzen und zu vergleichen. Dies bezeichnet<br />
Stern als amodale oder transmodale<br />
Wahrnehmung. Die exakte Beobachtung dieses<br />
Phänomens hat frühere Vorstellungen über angeborene<br />
Fähigkeiten des Säuglings revolutioniert.<br />
Der Säugling hat sogar<br />
Wahrnehmungserwartungen im Sinne von<br />
„Richtig“ oder „Nicht Richtig“.<br />
Er reagiert unmittelbar, wenn er etwas als nicht<br />
stimmig erlebt. Durch diese transmodale Wahrnehmungsfähigkeit<br />
des Säuglings, mit der er verschiedene<br />
Merkmale von Menschen und Dingen<br />
wie Form, Bewegung, Gestalt, Rhythmus, u.a. als<br />
global registriert, lebt er in der Einheit der Sinne.<br />
Sein Erleben ist von Ganzheit geprägt. Dies<br />
schließt auch sein Empfinden für kategoriale oder<br />
diskrete Affekte wie Freude, Trauer, Zorn, Angst,<br />
Ekel usw. ein.<br />
Er empfindet zusätzlich Erlebnisqualitäten, die<br />
Stern Vitalitätsaffekte nennt. Dies meint die Aktivierungs-<br />
oder Intensitätskonturen seiner Welt,<br />
die genaue Stärke oder feinfühliger noch, die<br />
Tönung und Farben seiner Empfindungen. Sein<br />
Gefühlsleben ist dadurch bereits in hohem Maße<br />
differenziert.<br />
II. Themen<br />
Das auftauchende Selbstempfinden bedeutet,<br />
dass Säuglinge aufgrund sich wiederholender<br />
spürbarer Strukturen im Wahrnehmungs- und<br />
Affektbereich in sich und der Außenwelt zusammenhängende<br />
Gefüge, Regelmäßigkeit und<br />
gleichartige Konstellationen entdecken und dass<br />
dadurch ein Gefühl von auftauchender Ordnung<br />
entsteht. Diese Regelmäßigkeiten sind das Fundament<br />
des auftauchenden Selbstempfindens.<br />
Es gibt also keine anfängliche Hör-, Seh-, Körperund<br />
Fühlwelt, die im Laufe der Entwicklung seiner<br />
Einheit koordiniert werden muss, sondern<br />
eine ganzheitlich erlebte Welt, die sich im Laufe<br />
der Erfahrungen in viele einzelne unterschiedliche<br />
Welten aufgliedert. Die früheste Erlebniswelt<br />
des Säuglings ist nicht undifferenziert oder chaotisch,<br />
sondern in einer empfundenen Ganzheit<br />
und Richtigkeit. Es bleibt außerhalb des bewussten<br />
Gewahrseins und ist absolut präreflexiv und<br />
bewegt sich auf der Ebene unmittelbaren Erlebens.<br />
Das frühkindliche Erleben ist einheitlicher und<br />
globaler. Den Säugling kümmert es nicht, in welchem<br />
Bereich seine Erfahrungen auftreten. Er<br />
nimmt Empfindungen, Wahrnehmungen, Aktionen,<br />
Kognitionen, innere motivationale und Verhaltenszustände<br />
unmittelbar wahr. Als Intensität,<br />
Form-, Zeitmuster, als Vitalitätsaffekte, kategoriale<br />
Affekte, Lust oder Unlust. Bis in die Grundelemente<br />
des frühkindlichen subjektiven<br />
Erlebens. Alle Erfahrungen werden zu strukturierten<br />
Konstellationen sämtlicher Grundelemente<br />
des subjektiven Erlebens umgeformt.<br />
Die Ergebnisse der Säuglingsforschung über die<br />
ersten Lebenswochen des Säuglings widerlegen<br />
auch die Vorstellung von der Existenz eines normalen<br />
infantilen Autismus wie ihn Margret Mahler<br />
konzipiert hat. Der Säugling ist zu<br />
außerordentlich differenzierten Sinneswahrnehmungen<br />
in allen Wahrnehmungsmodalitäten in<br />
der Lage. Sein Koordinationsvermögen ist bereits<br />
stark ausgeprägt und er sucht den aktiven Austausch<br />
mit seiner Umwelt, im Sinne der für ihn<br />
richtigen sensorischen Stimulierung.<br />
Sterns Hauptthese: Es gibt zu keinem Zeitpunkt<br />
der Entwicklung eine undifferenzierte Verschmelzung<br />
von Selbst und Anderen (Symbiose).
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
Margret Mahler nahm eine undifferenzierte<br />
Phase der Verschmelzung an. Für sie war die normale<br />
Symbiose das Primäre. Aus ihr entwickelte<br />
sich die Separation. Stern dagegen sieht die Getrenntheitserlebnisse<br />
als das Primäre. Zu deren<br />
Basis werden Gemeinschaftserlebnisse mit einem<br />
anderen möglich, die aber nicht das Gespür für<br />
das eigene getrennte Selbst auslöschen.<br />
Bevor der Säugling zielgerichtet motiviert Kontakte<br />
und Beziehungen zu anderen Menschen<br />
herstellt, entwickelt er anfänglich als erstes einmal<br />
das stabile Empfinden eines Kernselbst und<br />
eines Kernanderen.<br />
Aus vier verschiedenen Arten der Selbsterfahrung<br />
geht das Empfinden eines organisierten Kernselbst<br />
hervor: Der Urheberschaft, der Selbstkohärenz,<br />
der Selbstaffektivität und der<br />
Selbstgeschichtlichkeit. Das Entscheidende ist das<br />
Selbstempfinden als die Integration des Erlebens.<br />
Der ordnende Akt ist also keine Leistung des verstandesmäßigen<br />
Bewusstseins. In Form unmittelbaren<br />
Gewahrseins entwickelt das neugeborene<br />
Kind von den ersten Lebenstagen an ein Gefühl<br />
für die eigene Existenz, sowie den eigenen Lebensfluss.<br />
Ein beständiger Strom von Empfindungen<br />
durchzieht das Selbst, dass von Beginn<br />
an als integrierender psychischer Organisator<br />
tätig wird. Stern betrachtet die vier Arten der<br />
Selbsterfahrung auch als Selbstinvarianten. Auf<br />
dieser Grundlage identifiziert der Säugling über<br />
die Prozesse der wechselseitigen Regulierung das<br />
eigene Kernselbst und den Kernanderen. Die<br />
höchstsozialen Prozesse und Interaktionen in dieser<br />
Lebensphase sind kaum kognitive Vorgänge,<br />
sondern absoluten Vorrang hat die Regulierung<br />
von Affekten und Erregung.<br />
Die wichtigsten Invarianten des Kernselbsterlebens<br />
ist die Urheberschaft. Selbst Urheber der eigenen<br />
Handlung zu sein, wird unterteilt in<br />
Wirkungen, die dieses eigene Selbst verursacht<br />
und Wirkungen, die vom anderen verursacht<br />
werden.<br />
Durch verschiedene gleich bleibende Merkmale<br />
des interpersonalen Erlebens, nämlich Einheit des<br />
Ortes, Kohärenz der Bewegung, der zeitlichen<br />
Struktur, der Form, sowie der Intensitätsstruktur<br />
entsteht das Gefühl, eine eigene körperliche abgegrenzte<br />
Einheit zu sein, die der Ort und der Sitz<br />
von Empfindungen und Aktivitäten ist. Diese<br />
Selbstkohärenz ist die zweite wichtige Komponente<br />
des Kernselbstempfindens.<br />
Selbstaffektivität bedeutet die Wahrnehmung innerer<br />
unterschiedener Gefühlsqualitäten, die als<br />
Affekte in andere Selbsterfahrungen eingebettet<br />
sind. Wesentlich ist, dass diese Gefühle eindeutig<br />
als dem eigenen Selbst zugehörig empfunden<br />
werden.<br />
Selbstgeschichtlichkeit meint das Empfinden von<br />
Kontinuität. Das Selbst erlebt sich als eingebunden<br />
in ein fortdauerndes Sein. Auch wenn selbstbewirkte,<br />
oder von außen bewirkte<br />
Veränderungen eintreten, bleibt ein fortdauerndes<br />
Gefühl von Beständigkeit erhalten. Selbst<br />
und Objekt werden von Beginn an als getrennt<br />
empfunden. Es ist also ein organisiertes Empfinden<br />
vom eigenen Kernselbst und vom Kernanderen.<br />
Diese Unterscheidung von Selbst und<br />
Objekt ist präreflexiv. Eine Empfindung des früheren<br />
existenziellen Selbst ist keine Leistung im<br />
Sinne eines vorhandenen reflexiven Ich-Bewusstseins.<br />
Der Säugling hat frühe aktive Fähigkeiten, zwischenmenschliche<br />
Gemeinsamkeit herzustellen<br />
und zu integrieren. Ständig gegenseitige Abstimmungs-<br />
und Regulierungsvorgänge. Insofern<br />
ist hier auch ein selbstregulierender anderer vorhanden.<br />
Bei allen objektiven Vorgängen unserer<br />
primären Bedürfnisse wie Liebe, Geborgenheit,<br />
Körperkontakt und Sicherheit betreffend, werden<br />
so gemeinsam geschaffene Erfahrungen erlebt.<br />
Der Säugling übernimmt eine sehr aktive<br />
Rolle, um das für ihn richtige und angemessene<br />
Verhalten hervorzurufen. Über diesen Weg der<br />
wechselseitigen Regulierungsprozesse lernt das<br />
Kleinkind die lebenswichtigen Verbindungen und<br />
Themata.<br />
Für die prägende Rolle von Bewegung und Körperlichkeit<br />
entwickelt der Säugling zuerst grundlegende<br />
motorische Überzeugungen, die eine<br />
jede zwischenmenschliche Interaktion mit einbringt.<br />
Das Zusammenspiel von sensorischen,<br />
motorischen, affektiven und kognitiven Ebenen<br />
bezeichnet George Downing als affektmotorisches<br />
Schema.<br />
Viele Experimente mit Säuglingen beweisen, dass<br />
diese in den Interaktionen mit Bezugspersonen<br />
von Anfang an deutliche Erwartungen nach bestimmten<br />
Regelmäßigkeiten im Umgang mit die-<br />
II. Themen 67
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
sen haben. Diese betreffen Intensität, den Rhythmus,<br />
das Ausmaß an Stimulierung und richtige<br />
Wechselseitigkeit des Austauschs.<br />
Eine unangemessene Entgleisung löst sofort gegensteuernde<br />
Reaktionen, bzw. Unbehagen und<br />
Besorgnis aus.<br />
Die hohe Kompetenz des Kleinkindes in Wahrnehmungs-<br />
und Gefühlsbereich ist zwar als<br />
menschliche Grundausstattung vorgegeben,<br />
sollte aber durch seine Bezugsperson gefördert<br />
werden, um ihre optimale Ausprägung zu erhalten.<br />
Das Körperselbst als eine Quelle von Wirkungskraft<br />
und Macht muss deutlich und differenziert<br />
werden. Und damit einhergehend auch der andere<br />
Körper, der Objektkörper, als einer der erreichbar<br />
ist, oder dem Grenzen gesetzt werden<br />
können und ähnliches mehr.<br />
Die Verfeinerung der angelegten Fähigkeiten<br />
muss in immer neuen Situationen praktiziert und<br />
erprobt werden, um Lernerfahrung zu speichern,<br />
sowie sein affektmotorisches Handlungsrepertoir<br />
zu bereichern. Das geht nur, wenn Bezugspersonen<br />
ihn in seiner Umwelt auf die richtige Art und<br />
Weise effektiv stimulieren und regulieren. Der<br />
Säugling nimmt die Welt zunächst als Ganzes in<br />
sich auf, um später durch immer feinere Ausdifferenzierung<br />
zu lernen, wie es ist, am Leben zu<br />
sein. Entscheidend ist die angemessene Qualität<br />
der zwischenmenschlichen Berührung. Er muss<br />
das richtige Handeln motorisch affektiv mehrmals<br />
erleben, bevor es ihn das Selbst als Baustein stabil<br />
integriert wird.<br />
Durch die komplexe Wahrnehmung der eigenen<br />
Handlungsfähigkeit und Affektivität in Abstimmung<br />
mit dem anderen konsolidiert der Säugling<br />
zwischen dem 2./3. und 7./9. Lebensmonat<br />
die Empfindung eines Kernselbst als eigenständige<br />
kohärente und abgegrenzte körperliche Einheit.<br />
Er lebt keine undifferenzierte symbiotische<br />
Phase. Das subjektive Erleben von intensiver<br />
Zweisamkeit, bzw. des Einseins mit einem anderen<br />
Menschen kann vielmehr erst entstehen,<br />
wenn das deutliche Empfinden eines Kernselbst<br />
und Kernanderen etabliert ist. Symbioseähnliche<br />
Verschmelzungserfahrungen werden als Gelingen<br />
einer aktiv herbeigeführten Gemeinsamkeit<br />
erlebt und nicht als passives Aufgesetztsein. Der<br />
Säugling zieht sich nur noch in den Situationen in<br />
II. Themen<br />
weniger differenzierte emotionale Haltungen zurück,<br />
die er mit seinen eigenen gegenwärtigen<br />
Kräften nicht bewältigen kann. Symbiose ist als<br />
Zufluchtsort des überforderten Säuglings (Dornes).<br />
Das Kernselbst wird zum tragenden Fundament<br />
eines Gefühls von existentieller Sicherheit.<br />
Als Urvertrauen ist es der sichere Hafen, von dem<br />
aus wir in die ruhigen Gewässer und in die<br />
Stürme des Lebens starten.<br />
Die Meisterung der Aufgabe, als vom anderen<br />
getrenntes Wesen eigenständig zu existieren, ist<br />
ein Lebensthema. Es ist aber gleichzeitig eine<br />
Freude, über regulierungsfähige Selbstgrenzen zu<br />
verfügen. Die Fähigkeit zur Abgrenzung geht so<br />
einher mit der Möglichkeit zur innigen Bindung<br />
unter Wahrung unseres inneren Kerns. Der Kern<br />
selbst nimmt es auf und ihn an einen anderen abzugeben<br />
bedeutet nicht, symbiotische Verschmelzung<br />
als beglückender passagerer<br />
Zustand, sondern Selbstaufgabe in Abhängigkeit.<br />
Im Kern selbst sind wir bleibend getrennt und<br />
vom Kern selbst aus stellen wir Gemeinsamkeit<br />
mit anderen her.<br />
Eine neue Qualität erlebt der Säugling in seinem<br />
Selbstempfinden, wenn er entdeckt, dass er über<br />
ein eigenes Gefühls- und Seelenleben verfügt<br />
und dass selbiges auch auf die anderen Personen<br />
zutrifft. Der Säugling wird jetzt in einem neuen<br />
Bereich der intersubjektiven Bezogenheit hineinkatapultiert.<br />
Eine neue organisierende subjektive<br />
Perspektive auf das Selbst taucht auf. Im zwischenmenschlichen<br />
Bereich bewegt man sich von<br />
der Interaktion, bei der affektbetonte Handlungsmuster<br />
ausgetauscht werden zur Beziehung,<br />
bei der das Gefühlserleben selber das Ziel,<br />
der erklärte Gegenstand des wechselseitigen<br />
Austauschs ist. Gemeinsames Erleben verschiebt<br />
sich von der Regulierung auf die Teilung innerer<br />
Wahrnehmungswelten. Hiermit ist das Empfinden<br />
im intersubjektiven Bereich durch die Verwandlung<br />
der zwischenmenschlichen Welt völlig<br />
verschieden von dem im Bereich der Kernbezogenheit.<br />
Diese bleibt bestehen. Im Bereich der<br />
Kernbezogenheit bleibt die empathische Reaktion<br />
der Bezugsperson für den Säugling als Prozess<br />
noch unbemerkt. Er nimmt nur die Reaktion<br />
für ihn selbst als richtig oder nicht richtig wahr.<br />
Im Bereich der intersubjektiven Bezogenheiten
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
nimmt er nun auch den empathischen Prozess als<br />
solchen wahr. Wie einfühlsam, bzw. uneinfühlsam<br />
seine Umwelt auf ihn reagiert, entscheidet<br />
über seine psychische Einbindung in die zwischenmenschliche<br />
Gemeinschaft, bzw. über<br />
seine psychische Einsamkeit. Spätestens zu diesem<br />
Zeitpunkt der Entwicklung wird die zukünftige<br />
existentielle Befindlichkeit eines Säuglings<br />
geprägt.<br />
Zwischenmenschliche Bezogenheit wird besonders<br />
durch drei innere Erlebnisweisen hergestellt:<br />
Durch die gemeinsame Aufmerksamkeit, die gemeinsame<br />
Absicht und die Gemeinsamkeit affektiver<br />
Zustände. Das auffälligste Merkmal der<br />
intersubjektiven Bezogenheit ist das geteilte Erleben<br />
von Gefühlen. Der Charakter ist überwiegend<br />
transmodal. Der Rhythmus wird für den<br />
Säugling zu einem Charakteristikum seiner Umwelt.<br />
In dieser Zeit lebt das Kind, obwohl bei diesen<br />
Ab- und Einstimmungsvorgängen<br />
organismische, motorische, affektive und kognitive<br />
Wahrnehmung zusammenspielen, auch in<br />
der Einheit der Sinne. Eine Wahrnehmung der<br />
Welt bleibt eine ganzheitliche. Die amodalen Abund<br />
Einstimmungsprozesse, die Genauigkeit<br />
ihres Zusammenspiels, ihre Richtigkeit für das<br />
Kind sind das Ziel, das in sich selbst entwicklungsfördernd<br />
sein soll.<br />
Gemeinsam geteilte Gefühle vermitteln die<br />
grundlegende Erfahrung, dass innere Zustände,<br />
soziale Prozesse und Beziehungsangelegenheit<br />
von tiefem sozialem Wesen sind. Der Wunsch<br />
nach vertrauter Nähe zum Objektiv ist ein angeboren<br />
und zutiefst menschlicher Impuls. Das<br />
Wesen der Intersubjektivität besteht darin, affektive<br />
Zustände mit anderen zu teilen und sich mitzuteilen,<br />
somit primäres Bedürfnis nach Kontakt<br />
und Berührung. Die Nähe ist psychischer, konkret<br />
körperlicher Natur. Die Entwicklung vom Körpergefühl<br />
und Beziehungsfähigkeit ist nicht so entscheidend<br />
wie die stimmige Interaktion im<br />
Rahmen eines engen Körperkontaktes. Die Qualität<br />
der Berührung ist entscheidend. Harmonierende<br />
Stimmigkeit und Erfahrung des<br />
Kleinkindes, das es selbst willentlich Berührung<br />
und körperlichen Austausch herstellen und regulieren<br />
kann.<br />
Orientiert sich der Körperkontakt nur an den Bedürfnissen<br />
des anderen, verliert das Kind das<br />
Empfinden, für seine körperliche Urheberschaft<br />
und eigenes Wirkungsvermögen in der Gestaltung<br />
von Beziehungen. Misslingt die Begegnung,<br />
bleibt die Sehnsucht nach stimmiger Berührung<br />
lebenslang in den Zellen gespeichert und der Körper<br />
ruft nach einer korrigierenden Erfahrung. Obwohl<br />
hier schon Laute und Vokalisierung eine<br />
erhebliche Rolle spielen, bewegt sich das Kind<br />
immer noch im vorsprachlichen Stadium seines<br />
Selbsterlebens. Mit dem Eintritt in die Welt der<br />
Symbole und Sprache findet eine einschneidende<br />
Veränderung im Selbsterleben statt.<br />
Etwa in der Mitte des 2. Lebensjahres beginnen<br />
Kinder, sich die Welt um sie herum auch mit Hilfe<br />
von Symbolen, Zeichen und Bildern vorzustellen,<br />
oder wie man sagt, psychisch zu repräsentieren.<br />
Dies verändert ihre Weltsicht fundamental. Sie<br />
können sich selbst zunehmend zum Objekt der<br />
eigenen Reflexionen machen, über Personen und<br />
Dinge kommunizieren, die nicht mehr direkt anwesend<br />
sind, im Spiel symbolisch handeln, oder<br />
Gefühle und empathisches Verhalten in Worte<br />
fassen. Sie beginnen von sich selbst als Person zu<br />
sprechen und konsolidieren ihre Geschlechtsidentität.<br />
Neue Formen der Kommunikation als<br />
Gemeinsamkeit über die Sprache werden möglich.<br />
Dabei führt der Spracherwerb aber zu einem<br />
Selbst- wie zu einem interpersonalen Problem,<br />
der Einordnung von Bedeutung dessen, was<br />
wahrgenommen wird. Bedeutung im Sinne eines<br />
Bindegliedes zwischen erfahrener oder gedachter<br />
Welt und Wörtern ist nun keine naturgegebene,<br />
unmittelbar einleuchtende Tatsache mehr.<br />
Sie muss vielmehr zwischen dem Kind und den<br />
Eltern wechselseitig ausgehandelt werden. Bedeutungen<br />
ergeben sich fortan als Verhandlungen<br />
zwischen Kind und Bezugspersonen, die<br />
vereinbaren, was sie als gemeinsam verstehen. In<br />
dem individuellen Erleben von Wirklichkeit muss<br />
über gemeinsame Ich-, Du- und Wir-Bedeutungen<br />
auch eine gemeinsame Konstruktion von<br />
Wirklichkeit hergestellt werden. Das Kind wird<br />
mit zusätzlichen Anforderungen konfrontiert, die<br />
sein bisheriges Welterleben und sein Gefühl von<br />
Eigenmächtigkeit zutiefst verändern.<br />
Die Phase im Leben, in der es selbstständig zu<br />
gehen und zu sprechen beginnt, ist eine hochkritische<br />
Phase. Es wird jetzt auf eine fremde soziale<br />
Ordnung hin umorientiert. Es wird vom Kind<br />
II. Themen 69
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
plötzlich verlangt, sein Handeln auf lebenspraktische<br />
sozial festgelegte Ziele hin auszurichten: Es<br />
soll selbstständig werden und sich sein Spielzeug<br />
selber holen. Es sollte bestimmte Verhaltensweisen<br />
beherrschen und ohne Hilfe aus seiner Tasse<br />
trinken. Es soll sich sozialen Maßstäben gemäß<br />
gut benehmen, es soll sozial hochkomplexe Situationen<br />
meistern und „danke“ sagen. Es soll<br />
seine Bedürfnisse kontrollieren lernen und auf<br />
seine geliebten Kekse warten können usw., das<br />
Kind möchte vieles aus eigenem Antrieb lernen,<br />
es wird andererseits erheblich verunsichert und<br />
fürchtet die unpersönlichen Normen der nur<br />
schwer zu verstehenden sozialen Ordnung, die<br />
es soweit von der persönlichen Ordnung seiner<br />
frühen Kindheit fortführt.<br />
Auch der Spracherwerb konfrontiert das Kind mit<br />
vielen neuen Lebensanforderungen und so wird<br />
die Welt der Sprache zur zweischneidigen Angelegenheit.<br />
Das Kind verlässt vor allen Dingen den Bereich<br />
des nonverbalen ganzheitlichen Erlebens. Durch<br />
das Fassen in Worte kann das anfängliche globale<br />
Erleben jetzt zerrissen, entstellt oder unzugänglich<br />
wiedergegeben werden. Zum Beispiel<br />
das eigentliche Empfinden eines Kernselbst kann<br />
in Sprache überhaupt nicht erfasst werden. Die<br />
Sprache greift einen Teil heraus. Grunderfahrungen<br />
bleiben real, lebensbestimmend, das transmodale<br />
ganzheitliche Erleben wird also<br />
aufgebrochen, oder in den Untergrund verbannt.<br />
Der Erwerb der Sprache hat 2 Gesichter. Die Welt<br />
der Sprache ist anfälliger für Verwirrung in den<br />
Beziehungen, als die nonverbalen Interaktionssysteme,<br />
zu Zeiten der Kernbezogenheit und der<br />
intersubjektiven Bezogenheit. Das Kind erlebt<br />
echte Missverständnisse in Bezug auf Inhalt und<br />
Bedeutung von Wörtern. Es versucht innere Befindlichkeiten,<br />
Gefühle, Affekte und persönliche<br />
Überzeugungen in angemessene Sprache zu kleiden.<br />
Das Auseinanderfallen von verbalen und affektiven<br />
Botschaften in double-bind-Situationen<br />
nimmt im Erleben des Kindes über dies die sichere<br />
Eindeutigkeit.<br />
Die Sprache trennt die zwei simultanen Formen<br />
von zwischenmenschlichen Erleben: Die Form,<br />
wie wir in der Personalität direkt leben und die<br />
Form, wie wir sie verbal ausdrücken. Wenn wir<br />
das, was wir sprachlich ausdrücken, vom Kind<br />
zunehmend als das Wirkliche betrachtet wird,<br />
II. Themen<br />
unterliegt sein Erleben in den anderen Wahrnehmungsbereichen<br />
einer Entfremdung. Durch den<br />
von der Sprache erzwungenen Zwischenraum<br />
zwischen erlebter und sprachlich repräsentierter<br />
Erfahrung wird also eine Spaltung im Selbsterleben<br />
bewirkt. Zusätzlich verlagert die Sprache die<br />
Bezogenheit von der persönlichen unmittelbaren<br />
Ebene der Selbstempfindungsbereich auf die eigene<br />
unpersönliche und abstrakte Ebene.<br />
Während der Phase des verbalen Selbst lernt das<br />
Kind den grundlegenden Gebrauch von Wörtern.<br />
Die Phase des narrativen Selbst setzt ein, wenn<br />
Kinder über die reine Bezogenheit mit Wörtern<br />
hinaus ihre Gefühle, Erlebnisse und Absichten in<br />
erzählender Form organisieren. Narrative sind<br />
Geschichten über das Leben und zugleich über<br />
seine Grundbausteine.<br />
Die Geschichten haben eine Oberflächen- und<br />
eine tiefe Struktur. Die erstere ist die explizit erzählte<br />
Geschichte. Die tiefe Struktur dagegen erfasst<br />
den intuitiv empfundenen Teil des<br />
zwischenmenschlichen Lebens, der nicht in<br />
Worte zu fassen ist.<br />
Die Tiefenstruktur eines Narrativs gehört damit<br />
zur Kategorie des prozeduralen und impliziten<br />
Wissens. Neugeborene verfügen von Geburt an<br />
über ein implizites Beziehungswissen, wie sie sich<br />
in bestimmten Situationen richtig verhalten. Dies<br />
ist unbewusst.<br />
Implizites Wissen hat eine erzählähnliche narrative<br />
Struktur, obwohl es nicht verbalisiert wird.<br />
Der Säugling begreift sich als Urheber von Handlungen,<br />
er verfolgt Ziele und bringt Orte wie Akteure<br />
in Zusammenhang mit dem erlebten<br />
Geschehen. Er verfügt damit über alle Elemente<br />
einer interaktiven Handlung.<br />
Während der Phase der intersubjektiven Bezogenheit<br />
kommt die Fähigkeit hinzu, Gefühlszustände<br />
zu teilen. Sie werden jedoch noch nicht<br />
nachdenkend in Worte gefasst. Selbst wenn die<br />
persönliche Wirklichkeit eines Kindes mit beginnender<br />
verbaler Bezogenheit zunehmend durch<br />
ihre Reflexion im Spiegel der Sprache gesprochen<br />
wird und es beginnt , sie in Sätze zu fassen,<br />
spricht es noch nicht in der episodischen Erzählform.
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3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
Strukturierte Narrative entwickeln sich erst, wenn<br />
ein Kind selbst reflexiv Geschichten über sein eigenes<br />
Leben zu erzählen beginnt. Von diesem<br />
Zeitpunkt an zerlegen wir unser gesamtes Leben<br />
in narrationsähnliche Episoden, die uns als verdichtete<br />
Erfahrungen ein Gefühl von Kontinuität<br />
und Bedeutung vermitteln. Entwickelt werden<br />
die selbstbiographischen Geschichten aus dem<br />
gemeinsamen Leben mit anderen. Es ist ein hochentwickelter<br />
Prozess, weil beide Seiten gemeinsam<br />
den Teil der Realität gestalten, der die Form<br />
eines Einzelnarrativs annimmt. Es ist eine gemeinsame<br />
Konstruktion von Wirklichkeit. Was<br />
die Akteure so miteinander entwickeln, ist die offizielle<br />
autobiographische Version ihres Lebens,<br />
bzw. ihre historische Wahrheit.<br />
Narrative als verdichtetes erzähltes Leben können<br />
nur reichhaltig werden, wenn sie die gelebte Dynamik,<br />
den Rhythmus, die Spannungsbögen des<br />
Geschehens, sowie die Farben und Tönungen der<br />
emotionalen Empfindungen beinhalten. Bleibt<br />
die Gemeinsamkeit unbelebt, verblassen die Farben<br />
in den Geschichten des Lebens.<br />
1.3 Ethnische Identität<br />
Die Entwicklung einer ethnischen Identität umfasst,<br />
sich selbst als Mitglied einer ethnischen<br />
Gruppe zu erkennen, ein Verständnis einer ethnischen<br />
Beständigkeit zu entwickeln und ethnisches<br />
Sollverhalten zu zeigen. Das Wissen über<br />
die eigene ethnische Gruppe zu erwerben, Familie<br />
und Gemeinschaft beeinflussen diese Prozesse.<br />
Nach Bernal, Mark Knight, Ocampo, Garza and<br />
Cota 1993 werden 5 Komponenten der ethnischen<br />
Identität unterschieden:<br />
î a) ethnisches Wissen<br />
Das Wissen der Kinder, dass ihre Volksgruppe<br />
bestimmte Unterscheidungsmerkmale<br />
aufweist, die sie von anderen Gruppen abgrenzen<br />
(Verhaltensweisen, Persönlichkeitseigenschaften,<br />
Werte, Gebräuche, Stile und<br />
Sprache).<br />
î b) ethnische Selbstidentifikation<br />
Die Kinder kategorisieren sich selbst als Mitglieder<br />
ihrer ethnischen Gruppe.<br />
î c) ethnische Beständigkeit<br />
Das Verständnis der Kinder, dass sich die besonderen<br />
Merkmale ihrer ethnischen Gruppe,<br />
die sie in sich tragen, abhängig von Zeit<br />
und Raum nicht verändern und dass sie immer<br />
ein Mitglied ihrer ethnischen Gruppe<br />
sein werden.<br />
î d) ethnisches Rollenverhalten<br />
Die Beteiligung der Kinder an Verhaltensweisen,<br />
die charakteristische Merkmale ihrer<br />
ethnischen Gruppe widerspiegeln.<br />
î e) ethnische Gefühle und Vorlieben<br />
Die Gefühle der Kinder gegenüber ihrer Zugehörigkeit<br />
zu einer ethnischen Gruppe<br />
und ihre Vorlieben für deren charakteristische<br />
Merkmale und Mitglieder .<br />
1.4 Selbstwertgefühl<br />
Das Selbstwertgefühl ist die allgemeine Einschätzung<br />
der Wertigkeit des Selbst und der Gefühle,<br />
die dadurch erzeugt werden. Faktoren in diesem<br />
Zusammenhang sind:<br />
î - genetische Veranlagung<br />
î - Qualität der Beziehung des Kindes zu Eltern<br />
und Gleichaltrigen.<br />
î - ihr Aussehen und die körperliche Attraktivität<br />
î - verschiedene kulturelle Faktoren.<br />
Somit bietet die Entwicklung des Selbstwertes ein<br />
hochgradig transparentes Beispiel für die Interaktion<br />
für die Anlage und Umwelt einschließlich<br />
des soziokulturellen Kontextes.<br />
Selbstwertgefühl ist ein psychischer Funktionsbereich,<br />
der durch große individuelle Unterschiede<br />
gekennzeichnet ist.<br />
Harper hat ein Wahrnehmungsprofil für Kinder,<br />
ein häufig verwendetes Messinstrument für<br />
Selbstwertgefühl und Selbstwahrnehmung entwickelt.<br />
Faktoren, die in diesem Profil eine Rolle<br />
spielen, sind:<br />
î schulische Fähigkeit<br />
î soziale Akzeptanz<br />
î sportliche Fähigkeit<br />
î körperliches Aussehen<br />
î Verhalten und Betragen<br />
î allgemeiner Selbstwert.<br />
(Harper 1999)<br />
Geschlechtsunterschiede bei den Sorgen Jugendlicher<br />
über ihr Aussehen, ihr Verhalten und<br />
ihre Fähigkeiten und ihr Benehmen, bestehen<br />
darin, dass Mädchen sich mehr Sorgen über ihr<br />
II. Themen 71
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
Aussehen und ihr Sozialverhalten machen, während<br />
Jungen mehr um ihre Fähigkeiten und ihr<br />
Benehmen besorgt sind.<br />
Thematisch muss diskutiert werden, wie sich das<br />
Selbstwertgefühl bei Kindern aus Minderheiten<br />
darstellt. Öfter sind sie eher Vorurteilen von Erwachsenen<br />
und Jugendlichen ausgesetzt. Es wird<br />
somit angenommen, dass das Selbstwertgefühl<br />
von Kindern stark durch die Bewertung Anderer<br />
beeinflusst wird und dass Minoritätenkinder<br />
einen geringeren Selbstwert aufweisen als deutsche<br />
Kinder. Es ist aber ein sehr differenziert zu<br />
betrachtendes Problem, das in dieser Simplizität<br />
nicht gehalten werden kann. Im Jugendalter<br />
kehrt sich oft dieser Trend langsam um.<br />
2. Emotionale Entwicklung<br />
Emotion ist durch eine motivationale Kraft oder<br />
Handlungstendenz gekennzeichnet und durch<br />
Veränderung der Physiologie der subjektiven Erfahrungen<br />
und des Beobachten baren Verhaltens.<br />
Die emotionale Intelligenz ist eine Summe von<br />
Fähigkeiten, die zur Kompetenz im sozialen und<br />
emotionalen Bereich beitragen. Die Fähigkeiten<br />
umfassen, sich selbst zu motivieren, trotz Frustration,<br />
Kontrollimpulsen und Belohnungsaufschub<br />
hartnäckig zu bleiben, eigene Gefühle und<br />
die Gefühle anderer zu erkennen, zu verstehen,<br />
eigene Stimmungen und den Gefühlsausdruck in<br />
sozialen Interaktionen zu regulieren und sich in<br />
die Emotionen anderer hinein versetzen.<br />
2.1 Entwicklung von Emotionen in der Kindheit<br />
In der Theorie der diskreten Emotionen (Basisemotionen)<br />
Izard 1991 und Tomkins 1962 werden<br />
Emotionen als angeboren und seit frühester<br />
Kindheit voneinander abgetrennt betrachtet. Es<br />
wird weiter angenommen, dass jede Emotion mit<br />
einem spezifischen und unverwechselbaren Satz<br />
körperlicher und mimischer Reaktionen einhergeht.<br />
Ein weiterer theoretischer Ansatz ist der funktionalistischer<br />
Ansatz (Campos, Mumme 1994) .<br />
Diese Theorie sieht die Grundfunktion von Emotionen<br />
darin, zielgerichtete Handlungen zu fördern.<br />
Nach diesem Ansatz sind Emotionen nicht<br />
gegen einander abgegrenzt und können je nach<br />
sozialer Umwelt in bestimmtem Ausmaß variieren.<br />
II. Themen<br />
Es gibt ausgefeilte Systeme für die Codierung<br />
und Klassifizierung der emotionalen Bedeutung<br />
kindlicher Gesichtsausdrücke. Diese Systeme<br />
identifizieren Emotionen anhand der Codierung<br />
dutzender Anhaltspunkte im Gesicht (ob die Augenbrauen<br />
gehoben oder zusammen gezogen<br />
sind, die Augen weit geöffnet, eng geschlossen<br />
oder verengt sind, die Lippen einen Schmollmund<br />
formen, leicht gerundet oder gerade nach hinten<br />
gezogen sind). Es ist oft schwierig, exakt zu bestimmen,<br />
welche Emotionen die Säuglinge erleben,<br />
es ist besonders schwierig zwischen den<br />
verschiedenen negativen Emotionen zu unterscheiden.<br />
Besonders die negativen Emotionen<br />
sind schwieriger zu interpretieren als die positiven<br />
Emotionen.<br />
Ca. in der 6.-7. Lebenswoche steht das so genannte<br />
soziale Lächeln, das an Menschen gerichtet<br />
ist (Wihte 1985). Es tritt vor allen Dingen<br />
häufig während der Interaktion mit der Bezugsperson<br />
auf. Es ruft gewöhnlich Freude und Interesse<br />
und Zuneigung hervor. Menschen bringen<br />
ein Kind viel eher zum Lächeln als Objekte. Aktives<br />
Hervorrufen können einer Aktion (z.B. Musik<br />
auslösen durch aktive Betätigung an einer<br />
Schnur) zeigen die Säuglinge mehr Interesse und<br />
lächeln, als wenn es nur ein passives Anbieten ist.<br />
Im Alter von ungefähr 8 Monaten fangen die<br />
Kinder an, hauptsächlich bekannte Menschen<br />
und nicht immer Menschen allgemein anzulächeln.<br />
Selektives Lächeln. Ab einem Alter von<br />
ungefähr 3-4 Monaten gibt es viele Aktivitäten,<br />
wo ein Kind viel lacht oder lächelt, z.B. kitzeln,<br />
auf den Knien reiten lassen u.a.<br />
Die Entstehung und Entwicklung negativer Emotionen<br />
in der Kindheit ist schwieriger zu bestimmen.<br />
Bei 2 Monaten alten Kindern wurden<br />
allerdings Gesichtsausdrücke, die Wut oder Traurigkeit<br />
darstellen beobachtet und zuverlässig voneinander<br />
und gegen Unbehagen und Schmerz in<br />
einigen Kontexten abgegrenzt. Ob genau das<br />
Missbehagen differenziert werden kann, ist in<br />
Diskussion.<br />
Die emotionale Entwicklung in der frühen Kindheit<br />
wird unterstützt durch die zunehmende innere<br />
Repräsentationsfähigkeit sowie die<br />
Entwicklung der Sprache und des Selbstkonzeptes.<br />
In diesem Alter (2-6 Jahre) gewinnt das Kind<br />
ein besseres Verständnis seiner eigenen Gefühle<br />
und der Gefühle anderer Menschen. Es verbes-
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
sert sich auch die Fähigkeit, den Emotionenausdruck<br />
zu regulieren. Die Entwicklung parallel des<br />
Selbst trägt dazu bei, das selbstbezogene Emotionen<br />
wie Scham, Verlegenheit, Schuld, Eifersucht<br />
und Stolz vermehrt auftauchen. Es ist<br />
schwer anzugeben, wann Wut entsteht, weil<br />
Schmerz/ Unbehagen und Wut in den ersten Lebensmonaten<br />
schwer voneinander zu trennen<br />
sind. Kinder können mit 2 Monaten Wut als Reaktion<br />
auf Kontrollverlust erleben. In den ersten<br />
Monaten ist es ähnlich schwer Angst und Unbehagen<br />
zu unterscheiden. Wahrscheinlich entsteht<br />
Angst im Alter von 6 oder 7 Monaten, wenn Kinder<br />
damit beginnen, Angst vor Fremden zu empfinden.<br />
Alle Kinder zeigen auch Traurigkeit,<br />
besonders wenn sie von ihren Lieben für eine<br />
längere Zeitspanne getrennt sind.<br />
Die selbstbewussten Emotionen<br />
(Verlegenheit/Stolz/Scham/Schuld) entstehen<br />
etwas später als die meisten anderen Emotionen,<br />
wahrscheinlich während des 2. Lebensjahres. Ihre<br />
Entstehung ist teilweise mit der Entwicklung<br />
einer elementaren Wahrnehmung des Selbst verknüpft<br />
sowie mit der Erkenntnis, dass andere auf<br />
diese selbst reagieren. Welche Situation diese<br />
Emotionen hervorrufen, variiert zwischen den<br />
Kulturen.<br />
2.2 Regulierung der Emotionen<br />
Während des ganzen Lebens ist die Fähigkeit, die<br />
eigenen Emotionen zu regulieren entscheidend,<br />
um eigene Ziele zu erreichen. Emotionale Selbstregulierung<br />
ist ein komplexer Prozess.<br />
î a) innere Gefühlszustände (die subjektive Erfahrung<br />
von Emotionen)<br />
î b) emotionsbezogene physiologische Prozesse<br />
(z.B. Pulsfrequenz, hormonale oder<br />
andere physiologische Reaktionen, die mit<br />
Emotionen einhergehen)<br />
î c) emotionsbezogene Kognitionen (z.B. Gedanken<br />
darüber machen, was man<br />
will oder wie eine Situation zu interpretieren ist)<br />
î d) emotionsbezogenes Verhalten (z.B. der<br />
Gesichtsausdruck von Gefühlen und Aggressionen<br />
auf Grund von Wut).<br />
Die Bemühungen der Kinder, ihre Emotionen und<br />
ihr emotional angetriebenes Verhalten zu regu-<br />
lieren verändern sich mit dem Alter. Während<br />
sich Säuglinge noch ganz darauf verlassen, dass<br />
ihnen Erwachsene helfen, ihre Emotionen zu regulieren,<br />
entwickeln Kleinkinder bereits Mittel<br />
der Selbstregulation von eigenen Emotionen und<br />
Verhaltensweisen.<br />
Dazu gehören Methoden wie der Versuch, die<br />
Aufmerksamkeit von der Stressquelle abzuwenden,<br />
sich selbst zu beruhigen oder sich mit anderen<br />
Aktivitäten abzulenken.<br />
Die kindliche Fähigkeit, Handlungen zu unterdrücken,<br />
verbessert sich ebenfalls mit dem Alter.<br />
Verbesserung des Regulierungsvermögens der<br />
Kinder basieren wahrscheinlich darauf, dass Kinder<br />
ihre Aufmerksamkeit und ihren Körper immer<br />
besser zu kontrollieren lernen wie auch Veränderungen<br />
in den Erwartungen, die Erwachsene an<br />
Kinder richten.<br />
Im Gegensatz zu Kleinkindern, die oft versuchen<br />
mit ihren Emotionen durch unmittelbares Handeln<br />
umzugehen, sind ältere Kinder auch in der<br />
Lage, kognitive Bewältigungsstrategien anzuwenden,<br />
z.B. zu versuchen etwas anderes zu<br />
denken oder sich auf positive Aspekte einer negativen<br />
Situation zu konzentrieren.<br />
Außerdem wächst die Fähigkeit Wege der<br />
Selbstregulation der Stressbewältigung auszuwählen,<br />
die den Anforderungen der jeweiligen<br />
Situation entsprechen.<br />
Die Fähigkeiten, die eigenen Emotionen und das<br />
darauf bezogene Verhalten zu regulieren und<br />
konstruktiv mit stressvollen Situationen umzugehen,<br />
gehen mit hoher sozialer Kompetenz einher.<br />
2.3 Individuelle Unterschiede bei Emotionen und<br />
ihre Regulierung<br />
Temperament bezieht sich auf individuelle Unterschiede<br />
bei verschiedenen Aspekten der kindlichen<br />
emotionalen Reaktivität, Regulierung und<br />
andere Merkmale wie Verhaltenshemmung und<br />
Aktivitätsniveau.<br />
î Aktivitätsniveau<br />
î Rhythmus<br />
î Ablenkbarkeit<br />
II. Themen 73
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
î Annäherung und Rückzug<br />
î Anpassungsfähigkeit<br />
î Aufmerksamkeitsspanne und Ausdauer<br />
î Reaktionsintensität<br />
î Reaktionsschwelle<br />
î Stimmungsqualität<br />
(Mary Rothbarth und John Bates 1998)<br />
Dem Temperament wird eine veranlagungsbedingte<br />
Grundlage zugeschrieben, aber es wird<br />
auch durch Umwelterfahrungen beeinflusst,<br />
wozu vor allem soziale Interaktionen gehören.<br />
Das Temperament scheint im Zeitverlauf stabil zu<br />
sein, wiewohl das Ausmaß dieser Stabilität über<br />
Temperamentstendentionen der Individuen hinweg<br />
variiert.<br />
Das Temperament spielt eine wichtige Rolle bei<br />
der Anpassungsfähigkeit. Ein schwieriges und<br />
nicht zu zügelndes Temperament während der<br />
Kindheit sagt häufig Verhaltensprobleme in der<br />
Kindheit und im Erwachsenenleben vorher. Kinder,<br />
die als Kleinkinder ängstlich und passiv gegenüber<br />
neuen Objekten oder Menschen waren,<br />
haben später manchmal Schwierigkeiten bei<br />
ihren Interaktionen mit anderen auch gleichaltrigen<br />
Menschen. Kinder, die auf Grund ihres Temperamentes<br />
für eine geringe<br />
Anpassungsfähigkeit anfälliger sind, entwickeln<br />
sich jedoch oft gut, wenn sie eine vernünftige<br />
und geeignete Erziehung erhalten und wenn<br />
eine gute Passung zwischen ihrem Temperament<br />
und ihrer sozialen Umwelt besteht.<br />
2.4 Die emotionale Entwicklung von Kindern in<br />
ihrer Familie<br />
Ähnlich wie Temperamentsdimensionen, die sich<br />
auf die emotionale Entwicklung beziehen und<br />
mit Vererbung zusammenhängen, gibt es auch<br />
weitere Aspekte der Persönlichkeit, die den Rahmen<br />
des Temperamentes erweitert. Die Persönlichkeit<br />
ist das Muster verhaltensbezogener und<br />
emotionaler Neigungen, Überzeugung und Interessen<br />
sowie der intellektuellen Fähigkeiten, die<br />
ein Individuum charakterisieren. Die Wurzeln der<br />
Persönlichkeit liegen im Temperament, aber sie<br />
werden durch die Interaktionen mit der sozialen<br />
und physikalischen Welt geformt.<br />
Die Sozialisation emotionaler Reaktionen von<br />
Kindern sind Prozesse, durch die Individuen auf<br />
Grund von Erfahrungen mit anderen Menschen<br />
II. Themen<br />
Fähigkeiten sowie Denk -und Gefühlswelten entwickeln,<br />
ebenso wie Normen und Werte, mit<br />
deren Hilfe sie sich einer Gruppe anpassen und<br />
mit anderen Menschen leben können. Eltern,<br />
Lehrer und andere Erwachsene sind wichtige Sozialisationsinstanzen<br />
für Kinder, wobei allerdings<br />
auch andere Kinder, die Medien und soziale Institutionen<br />
eine wichtige Rolle bei der Sozialisation<br />
spielen können.<br />
Kinder, die eine sichere Bindung an ihre Eltern<br />
haben, haben tendenziell mehr positive Emotionen<br />
und mehr emotionales Verständnis als Kinder,<br />
deren Beziehung zu ihren Eltern unsicher ist.<br />
Ein weiterer Einflussfaktor auf die Gefühlsentwicklung<br />
von Kindern ist die elterliche Sozialisation<br />
emotionaler Reaktionen . Dazu gehört auch,<br />
welche Emotionen Eltern gegenüber ihren Kindern<br />
und Anderen ausdrücken und wie sie dies<br />
tun, Eltern auf negative Emotionen ihrer Kinder<br />
reagieren und ob und wie Eltern Gefühle mit<br />
ihren Kindern besprechen.<br />
2.5 Kultur der emotionalen Entwicklung von Kindern<br />
Die Emotionalität und die emotionale Regulierung<br />
der Kinder sind nicht nur durch Vererbung<br />
beeinflusst, sondern auch durch die Qualität der<br />
Eltern – Kind – Beziehung und durch die emotionale<br />
Sozialisation der Eltern. Weiterhin werden<br />
die emotionalen Funktionen von Kindern durch<br />
Erwartungen und Wahrnehmungen von sich<br />
selbst und anderen beeinflusst, die sie dadurch<br />
entwickeln, dass sie die Emotionen anderer Menschen<br />
sehen und das andere Menschen auf ihre<br />
eigenen und andere Emotionen reagieren und<br />
das Emotionen im Gespräch auf bestimmte<br />
Weise behandelt werden.<br />
Tendenzen von Kindern Emotionen in spezifischer<br />
Weise zu erleben und zu regulieren können<br />
durch Temperamentsunterschiede beeinflusst<br />
sein, wie sie zwischen verschiedenen Gruppen<br />
von Menschen bestehen, ebenso durch kulturelle<br />
Unterschiede in den Überzeugungen, hier Emotionen<br />
einen hohen Wert besitzen und wann<br />
bzw. wo Emotionen ausgedrückt werden sollen.<br />
Es unterscheiden sich weiterhin Mädchen und<br />
Jungen ein wenig in ihrem Ausdruck von Emotionen<br />
und diese Unterschiede sind wahrscheinlich<br />
auf die Sozialisation in der Familie und Kultur<br />
zurückzuführen.
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
2.6 Das Emotionsverständnis von Kindern<br />
Im Alter von 8-12 Monaten beginnen Kinder zu<br />
zeigen, das sie emotionalen Gesichtsaudrücken<br />
und emotionalen Stimmungen Ereignisse in der<br />
Umwelt zuordnen können. Diese Fähigkeiten<br />
sind offenkundig beim so genannten sozialen Referenzieren<br />
der Kinder. Es ist die Verwendung mimischer,<br />
gestischer oder stimmlicher Hinweise<br />
der Eltern um zu entscheiden, wie mit neuen,<br />
mehrdeutigen oder potentiell bedrohlichen Situationen<br />
umzugehen ist. ( Rosicky and Didball<br />
2001 u.a.).<br />
Das Verständnis von Emotionen spielt bei Kindern<br />
eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Obwohl<br />
Kleinkinder Unterschiede bei verschiedenen Emotionsausdrücken<br />
wie Freude oder Überraschung<br />
schon im Alter von 4-7 Monaten entdecken können,<br />
beginnen sie erst mit etwa 7 Monaten mit<br />
den Emotionen. Im Alter von 8-12 Monaten beginnen<br />
Kinder den emotionalen Gesichtsausdruck<br />
oder den emotionalen Ton der Stimme mit<br />
Aktionen in Verbindung zu bringen, was in ihrem<br />
Gebrauch des sozialen Referenzieren sichtbar<br />
wird. Im Alter von 3 Jahren zeigen Kinder elementare<br />
Fähigkeiten, Gesichtsausdrücke zu benennen<br />
und einfache Situationen zu verstehen,<br />
die Freude auslösen sollten.<br />
Wenn Kinder die Vor- und Grundschule durchlaufen<br />
wächst ihr Verständnis von Emotionen<br />
und Situationen, die Emotionen hervorrufen,<br />
hinsichtlich Ausmaß und Komplexität. Sie werden<br />
sich zunehmend darüber bewusst, dass die<br />
Emotionen, die Menschen zeigen , nicht ihre<br />
wahren Gefühle widerspiegeln müssen. Außerdem<br />
verstehen die Kinder mit zunehmendem<br />
Alter besser, dass sie und andere mehr als eine<br />
Emotion zur selben Zeit empfinden könne und<br />
dass verschiedene Emotionen miteinander interagieren<br />
und einander beeinflussen.<br />
3. Beziehung zu Gleichaltrigen und Sozialentwicklung<br />
3.1 Kindliche Sozialpartner<br />
Soziale Kompetenz ist gekennzeichnet durch die<br />
Fähigkeit mit anderen Kindern zurechtzukommen,<br />
sich mit ihnen zu verständigen, zu kooperieren,<br />
Konflikte zu bewältigen, von ihnen zu<br />
lernen und eigenes Wissen weiterzugeben. Mit<br />
dem Erwerb sozialer Kompetenz wird häufig begründet,<br />
warum Kinder in den Kindergarten<br />
gehen sollten. Soziale Kompetenz wird als eine<br />
für den Schulstart unerlässliche Grundvoraussetzung<br />
gesehen. Welche Bedeutung haben Peer-<br />
Kontakte in den ersten drei Lebensjahren für den<br />
Erwerb sozialer Kompetenz aber wirklich? Diesbezüglich<br />
differieren die Meinungen der Wissenschaftler:<br />
Schneider und Wüstenberg<br />
(1993,2001) beschreiben, dass Kinder schon in<br />
den ersten Lebensjahren andere Kinder brauchen.<br />
Sie sehen die Gleichaltrigengruppe als<br />
wichtiges Setting, das förderlich auf die Sozialentwicklung<br />
wirkt. Erwachsenen-Kind-<br />
Beziehungen wirken durch ihr asymmetrisches<br />
Kräfteverhältnis, bei dem immer der eine dominiert<br />
und kontrolliert eher erfahrungshemmend<br />
auf die kindliche Sozialentwicklung. Umso wichtiger<br />
erscheinen daher die symmetrisch-reziproken<br />
Beziehungen (d.h. Wechselseitig und auf<br />
gleichem Niveau) unter Gleichaltrigen. Nach Ahnert<br />
(2003) gibt es jedoch bislang noch keine<br />
Studie, die Entwicklungsdefizite oder -abweichungen<br />
aufgezeigt hätte, wenn diese Entwicklung<br />
erst im Vorschulalter einsetzt. Daher gilt die<br />
Frage, inwieweit die frühen Anfänge der Peer-Interaktion<br />
auf die Phänomene späterer Peer-Beziehungen<br />
hinführen, als noch weitgehend<br />
unbeantwortet.<br />
Anhand zahlreicher Beobachtungen läßt sich eindeutig<br />
feststellen, dass Kleinstkinder und auch<br />
Säuglinge bereits ein soziales Interesse an anderen<br />
Kindern zeigen und auf diese anders reagieren<br />
als auf Erwachsene. Von Anfang an sind sie<br />
aktiv an der Kommunikation beteiligt und benutzen<br />
dafür vorsprachliche Verständigungsformen<br />
wie Mimik, Gestik, Laute und Lächeln.<br />
Bereits mit einem halben Jahr sind sie in der Lage,<br />
ihre Kontaktversuche in Abstimmung mit der Reaktion<br />
des anderen Kindes zu steuern. Wollen<br />
Kinder beispielsweise ein anderes Kind berühren,<br />
so versuchen sie zunächst dessen Interesse zu<br />
wecken. In der Regel kommt es nur dann tatsächlich<br />
zu Berührung, wenn das Gegenüber auf<br />
diese Kontaktinitiative, auch mit Interesse reagiert<br />
(Schneider und Wüstenberg, 1993). Gegenstände<br />
werden bereits ab der zweiten Hälfte<br />
des ersten Lebensjahres benutzt, um in Kontakt<br />
zu treten. Die wichtigste Fähigkeit, um Kontakt<br />
herzustellen, ist die Imitationsfähigkeit. Im Alter<br />
von ein bis zwei Jahren dient sie als Mehrzweckstrategie,<br />
da sie sowohl die entscheidende Methode<br />
zur Initiierung und Aufrechterhaltung von<br />
II. Themen 75
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
Interaktionen ist, als auch aufgrund der Nachahmung<br />
von Sprache und Lauten, Gestik, Mimik<br />
und Körperbewegungen durch ein anderes Kind<br />
das eigene Selbstbild emotional bestätigt wird<br />
(Schneider und Wüstenberg, 2001). Beim Nachahmen<br />
geht es um wesentlich mehr, als um simples<br />
Kopieren von Verhaltensweisen: Nachahmen<br />
erfordert erste Abstimmungsprozesse, z.B. darüber,<br />
wer vormacht und wer nachahmt. Zudem<br />
werden stetig neue Varianten eingebracht und<br />
somit die kreative Ausgestaltung gefördert.<br />
Das Besondere an der Beziehung zwischen Kindern<br />
ist die Ähnlichkeit der Spielpartner: Die<br />
Chance, dass eine gemeinsame Problemlösung<br />
erarbeitet und keine durch Erwachsene vorgefertigte<br />
übernommen wird, ist in einer symmetrisch-reziproken<br />
Beziehung größer (von Salisch,<br />
1993). Zudem zwingt der Austausch zwischen<br />
Gleichaltrigen zu frühem Nachdenken über die<br />
Vorstellungen und Gefühle des anderen und beschleunigt<br />
somit die Entwicklung von Perspektivenübernahme<br />
und Moralvorstellungen<br />
(Schneider und Wüstenberg, 2001). Auch werden<br />
kognitive Konzepte gefördert. So beschreibt<br />
Durkin (1997) beispielsweise, dass Kleinkinder,<br />
die in Gruppen gemeinsam an den Versuchen zu<br />
Mengeninvarianz von Piaget arbeiten und sich<br />
gegenseitig durch verschiedene Sichtweisen anregen,<br />
erfolgreicher, als wenn die Kinder dies alleine<br />
tun.<br />
3.2 Peerbeziehungen<br />
Peerbeziehungen bieten für die Kindesentwicklung<br />
besondere Chancen. In der Psychologie werden<br />
Peers als Individuen definiert, die etwa das<br />
gleiche Alter haben. Meist ist der Altersunterschied<br />
geringer als zwischen Geschwistern. In<br />
den meisten anderen Beziehungen, insbesondere<br />
gegenüber Erwachsenen, besteht eine Statusungleichheit.<br />
Im Umgang mit den Peers sind die<br />
Kinder relativ gleichberechtigt, was ihre Macht<br />
und ihren sozialen Status betrifft (Furmann &<br />
Buhrmester, 1985).<br />
Piaget ging davon aus, dass Kinder wegen dieser<br />
relativen Statusgleichheit gegenüber Peers offener<br />
und spontaner sind als gegenüber Erwachsenen.<br />
Er bemerkte, dass Kinder die<br />
Überzeugungen und Regeln der Erwachsenen<br />
oftmals nur aus Gehorsam akzeptieren und nicht<br />
auf der Basis von Verständnis und Zustimmung.<br />
(Youniss, 1980). Es ist wahrscheinlicher, dass die<br />
II. Themen<br />
Kinder gegenüber Gleichaltrigen die Vorstellungen<br />
anderer offen kritisieren, um Rückmeldung<br />
bitten oder ihre eigenen Ideen erläutern (Kruger<br />
& Tomasello, 1986). So entwickeln Peers gemeinsam<br />
ihre eigenen Regeln, Auffassungen und<br />
Erklärungen dafür, warum oder auf welche<br />
Weise Dinge funktionieren.<br />
Auch Wygotski (1978) ging davon aus, dass Kinder<br />
durch Interaktion mit Gleichaltrigen neue Fertigkeiten<br />
erlernen und ihre kognitiven<br />
Fähigkeiten erweitern. Im Gegensatz zu Piaget<br />
betonte Wygotski jedoch die Bedeutung der Kooperation<br />
zwischen Peers. Wygotski betont die<br />
Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen den<br />
Kindern, die ihnen hilft, neue Fähigkeiten aufzubauen<br />
und sich gegenseitig die Wissensinhalte<br />
und Fähigkeiten, die in ihrer Kultur Wert und Bedeutung<br />
besitzen, zu vermitteln. Youniss (1980)<br />
betonte die sozialen und emotionalen Gewinne<br />
der Peer- Interaktion. Für ihn bilden die Gleichaltrigen<br />
in der Vorschul- und Schulzeit eine wichtige<br />
Quelle der Begleitung und Unterstützung im<br />
Umgang mit Problemen und Aufgaben. Mit zunehmendem<br />
Alter nimmt die Bedeutung der<br />
Peers als Quelle der emotionalen Unterstützung<br />
an Bedeutung zu. Sullivan (1953) nahm an, dass<br />
Freundschaften bei älteren Kindern für ihr Wohlbefinden<br />
unerlässlich sind. Er betonte, dass Kinder<br />
im frühen Jugendalter beginnen, enge intime<br />
Beziehungen mit gleichgeschlechtlichen Peers<br />
einzugehen. Solche kameradschaftlichen Beziehungen<br />
bieten den Kindern die erste Erfahrung<br />
einer intimeren zwischenmenschlichen Beziehung,<br />
die auf Gegenseitigkeit und Austausch<br />
zwischen Gleichgestellten aufbaut. Sullivan ging<br />
davon aus, dass Kinder, die von ihren Peers abgelehnt<br />
werden, Gefühle der Minderwertigkeit<br />
und Einsamkeit entwickeln und über ihre eigenen<br />
Fähigkeiten verunsichert sind.<br />
Die Theoretiker Piaget, Wygotski und Sullivan<br />
sehen Peer-Beziehungen als einzigartigen Kontext<br />
für die kognitive, soziale und emotionale<br />
Entwicklung. Sie gehen davon aus, dass sich infolge<br />
der Gleichberechtigung, der Gegenseitigkeit,<br />
Kooperation und Vertrautheit von<br />
Peer-Beziehungen die Denkfähigkeit der Kinder<br />
und ihre Berücksichtigung der Belange anderer<br />
verbessern. In den Freundschaften der Kinder finden<br />
sich zwischen Gleichaltrigen am häufigsten<br />
Gleichberechtigung und Vertrautheit.
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
3.3 Status in der Peergruppe<br />
Ältere Kinder und Jugendliche machen sich häufig<br />
sehr viele Gedanken über ihren Status bei den<br />
Gleichaltrigen: Beliebt zu sein ist von größter<br />
Wichtigkeit, und die Zurückweisung durch die<br />
Peers kann drastische Folgen haben, die sich vor<br />
allem auf Entwicklungsebene zeigen. Beispielsweise<br />
anhand eines Schulabbruchs oder problematischen<br />
Verhaltens (Gest, Graham – Bermann<br />
& Hartup, 2001).<br />
Für die Beliebtheit spielt offensichtlich die körperliche<br />
Attraktivität eine große Rolle. Attraktive<br />
Kinder sind mit größerer Wahrscheinlichkeit beliebt<br />
als unattraktive Kinder (Langlois et al.2000).<br />
Dieses Muster entsteht bereits in der frühen<br />
Kindheit und wird in der Adoleszenz besonders<br />
offensichtlich. Nach Hanna (1989) kann körperliche<br />
Attraktivität im Jugendalter wichtiger sein<br />
als Geselligkeit, wenn es darum geht bei den<br />
Peers Anerkennung zu finden und positive<br />
Freundschaften zu entwickeln. Darüber hinaus<br />
tragen sportliche Fähigkeiten, besonders bei Jungen,<br />
zum Peer-Status bei. Sportler werden von<br />
den Peers meist als beliebt eingeschätzt (Rodkin<br />
et al., 2000). Weiterhin hängt der Peer-Status mit<br />
dem Status der eigenen Freunde zusammen: beliebte<br />
Freunde zu haben wirkt sich positiv auf die<br />
eigene Beliebtheit aus (Eder, 1985). Das Sozialverhalten<br />
des Kindes, seine Persönlichkeit, die<br />
Kognitionen über sich und anderer sowie die<br />
Ziele bei Interaktion in Peers sind weitere Faktoren,<br />
die den soziometrischen Status beeinflussen.<br />
Beliebte Kinder besitzen zahlreiche soziale Fähigkeiten,<br />
die dazu beitragen, dass sie gemocht werden.<br />
Beispielsweise sind sie in der Lage<br />
Interaktionen mit Peers zu beginnen und positive<br />
Beziehungen zu anderen aufrecht zu erhalten<br />
(Rubin et al., 1989). Stoßen beliebte Kinder zu<br />
einer Gruppe von Kindern hinzu, versuchen sie<br />
zuerst abzuschätzen, was in der Gruppe gerade<br />
los ist, um sich dann der Gruppe anzuschließen.<br />
Sie sprechen über das selbe Thema oder beteiligen<br />
sich an der selben Aktivität wie die Gruppe<br />
und werden somit selten unangebrachte Aufmerksamkeit<br />
auf sich ziehen, wenn sie einer<br />
Gruppe beitreten (Putallaz, 1983; Dodge et al.<br />
1983). Beliebte Kinder sind meistens kooperativ,<br />
freundlich und verständnisvoll gegenüber anderen<br />
und werden so auch von Lehrern und Peers<br />
wahrgenommen (Dodge et al. 1997; Rubin et al.<br />
1998). Darüber hinaus neigen sie nicht zu starken<br />
negativen Gefühlen und können sich gut<br />
selbst regulieren (Eisenberg et al. 1993).<br />
Mit Blick auf Aggressivität, die der Durchsetzungsfähigkeit<br />
dient (hierzu zählt auch Schubsen<br />
und Kämpfen) unterscheiden sich beliebte Kinder<br />
meist nicht von durchschnittlichen Kindern<br />
(Newcomb et al., 1993).<br />
Abgelehnte Kinder können in zwei Kategorien<br />
eingeteilt werden: den übermäßig aggressiven<br />
oder den verschlossenen Kindern.<br />
Aggressiv abgelehnte Kinder: 40-50% der abgelehnten<br />
Kinder sind häufig aggressiv. Hierbei<br />
überwiegt feindliches, drohendes, störendes und<br />
kriminelles Verhalten sowie körperliche Aggression<br />
(Hinshaw et al., 1997; Newcomb et al.,<br />
1993). Viele abgelehnte Kinder betreiben Beziehungsaggression<br />
wenn sie wütend sind oder<br />
ihren Willen durchsetzten wollen. Das bedeutet,<br />
dass sie Gerüchte über Peers verbreiten, Freundschaft<br />
vorenthalten, um Verletzungen zuzufügen<br />
oder andere Kinder ignorieren und ausschließen<br />
( Crick et al., 1997). Es kann nicht mit Sicherheit<br />
angegeben werden, ob Aggression die Ablehnung<br />
der Peers verursacht oder von ihr verursacht<br />
wird. Einige Forschungsergebnisse sprechen jedoch<br />
dafür, dass der Zurückweisung durch die<br />
Peers häufig aggressives Verhalten zugrunde<br />
liegt. Bei der Beobachtung von Peers, die sich gerade<br />
kennen lernen, zeigte sich, dass die aggressiven<br />
Kinder mit der Zeit abgelehnt werden (Coie<br />
& Kupersmidt, 1983). In Langzeitstudien konnte<br />
gezeigt werden, dass aggressive, negative und<br />
störende Kinder von ihren Peers im Verlauf eines<br />
Schuljahres zunehmend abgelehnt werden ( Little<br />
& Garber, 1995; Maszk et al., 1999).<br />
Verschlossen-abgelehnte Kinder<br />
10 bis 20 % der abgelehnten Kinder gehören in<br />
die Gruppe der verschlossen-abgelehnten Kinder.<br />
Kennzeichen dieser Gruppe sind soziale Zurückgezogenheit,<br />
Argwohn, Schüchternheit und<br />
Ängstlichkeit (Cillessen et al., 1992; Rubin et al.,<br />
1998). Viele dieser Kinder fühlen sich isoliert und<br />
einsam. Dennoch zeigen Forschungsergebnisse,<br />
dass nicht alle sozial verschlossenen Kinder abgelehnt<br />
werden. Vielmehr ist es die Kombination<br />
aus verschlossenem Verhalten mit negativen<br />
II. Themen 77
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Handlungen oder Gefühlen, das zur Zurückweisung<br />
durch die Peers führt.<br />
Ein Teil der zurückgezogenen Kinder kann als<br />
ignorierte Kinder klassifiziert werden, weil sie von<br />
ihren Peers weder positiv noch negativ wahrgenommen<br />
werden. Diese Kinder sind oft weniger<br />
gesellig, aggressiv und störend als durchschnittliche<br />
Kinder (Rubin et al.,1998). Auch halten sie<br />
sich von aggressiven Peer-Interaktionen meistens<br />
fern (Coie &Dodge, 1988).Diese Kinder fürchten<br />
sich nicht vor sozialen Interaktionen, obwohl sie<br />
mit ihren Peers weniger interagieren als Kinder<br />
mit durchschnittlichem soziometrischen Status<br />
(Hatzichristou & Hopf, 1996; Rubin et al.,1998).<br />
Ignorierte Kinder zeigen kaum Verhaltensweisen,<br />
die sich von denen anderer Kinder unterscheiden,<br />
sie scheinen vor allem deshalb ignoriert zu werden,<br />
weil sie von ihren Peers einfach nicht bemerkt<br />
werden (Bukowski et al., 1993).<br />
Kontroverse Kinder sind Kinder, die von einigen<br />
Peers gemocht, von anderen jedoch abgelehnt<br />
werden. Diese Kinder besitzen oft Eigenschaften<br />
sowohl von beliebten als auch von abgelehnten<br />
Kindern ( Rubin et al., 1998). Beispielsweise können<br />
sie kooperativ, gesellig, sportlich und humorvoll<br />
sein, zugleich jedoch auch häufig auch<br />
aggressiv, störend und schnell wütend ( Bukowski<br />
et al., 1993; Coie & Dodge, 1988). Sie sind einerseits<br />
sozial sehr aktiv, andererseits gerne auch<br />
Gruppenführer (Coie et al., 1990). Jedoch werden<br />
kontroverse Kinder häufig als arrogant und<br />
snobistisch erlebt, weshalb sie von einigen Peers<br />
abgelehnt werden (Hatzichristou & Hopf,1996).<br />
3.4 Spielentwicklung<br />
Die Annäherung an andere Kinder erscheint für<br />
den oberflächlichen Beobachter oft zufällig und<br />
erfolgt stufenweise. Insbesondere das früher oft<br />
als unreifes Verhalten abgewertete Parallelspiel<br />
erweist sich bei näherem Hinsehen als aktive soziale<br />
Strategie zur Gruppenintegration (Schneider<br />
und Wüstenberg, 1993).<br />
î das Kind blickt während des eigenen Tuns<br />
ab und zu auf<br />
î es beobachtet direkt die Aktivität der ande-<br />
II. Themen<br />
ren Kinder<br />
î das Kind zeigt Anteilnahme an der Aktivität<br />
der anderen Kinder<br />
î es wird von der allgemeinen Atmosphäre<br />
angesteckt<br />
î das Kind übernimmt bei anderen Gesehenes<br />
ins eigene Spiel<br />
î erste vorsichtige, direkte Kontakte werden<br />
geknüpft.<br />
î andere Kinder und deren Verhaltensweisen<br />
können kennen gelernt werden<br />
î Spielverläufe können beobachtet und verstanden<br />
werden<br />
î es kann aus „sicherer“ Distanz heraus passiv<br />
an Handlungen teilgenommen, und somit<br />
damit vertraut, werden<br />
î Bewegungen und Aktivitäten können imitiert<br />
und nachempfunden werden<br />
î Anregungen für das eigene Spiel können erhalten<br />
werden<br />
î es können Informationen über Abläufe, Kinder<br />
und Objekte erhalten werden<br />
î das Kind kann selbst über die Stufen der<br />
Annäherung, bzw. der Interaktion entscheiden.<br />
Bereits in den ersten Lebensjahren kennzeichnen<br />
spielerische und andere prosoziale Verhaltensweisen<br />
die Kontakte zwischen den Kindern deutlich<br />
öfter als Konflikte. In einer Krippenstudie<br />
zeigte sich, dass die mit gemeinsamem Spiel verbrachte<br />
Zeit mit steigendem Alter zunimmt (Bensel,<br />
1994). Die spielerischen Interaktionen<br />
reichten hierbei von einfachen Geben-Nehmen-<br />
Spielen oder dem Tauschen von Spielzeug über<br />
Bewegungsspiel (z.B. gemeinsames Hüpfen auf<br />
Matratzen) bis hin zu kleinen Rollenspielen (z.B.<br />
Kochen, Großwildjagd in Afrika). Hierbei spielten<br />
die Kinder vorwiegend zu zweit. In den Fällen, in<br />
denen mehr als zwei Kinder am Spiel beteiligt<br />
waren handelte es sich vorwiegend um Spiele bei<br />
denen Geräusche erzeugt wurden, und in die<br />
leicht einzusteigen war. Alle diese Kinder waren<br />
älter als zwei Jahre.<br />
Konflikte sind zwischen Kleinkindern selten und<br />
kurz. Paradox erscheinen mag hierbei, dass v.a.
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
befreundete Kinder die heftigsten Auseinandersetzungen<br />
führen. Dies wird jedoch verständlich,<br />
wenn man Auseinandersetzungen nicht als Gegensatz<br />
zu Kooperation, sondern als Teil von ihr<br />
versteht (Dittrich et al., 2001). Konflikte allgemein<br />
dienen dazu, Kräfte zu messen, Rechte auszuhandeln,<br />
Kontakt aufzunehmen oder die<br />
bestehende Situation zu ändern. Stoßen bei befreundeten<br />
Spielpartnern verschiedene Spielideen,<br />
Meinungen und Interessen aufeinander,<br />
so ist das Konfliktrisiko besonders hoch. Gerade<br />
diese Konflikte fördern jedoch die Sozial- und<br />
Denkentwicklung (Schneider und Wüstenberg,<br />
2001). Bereits Einjährige verfügen über Konfliktlösestrategien.<br />
Zweijährige sind in der Lage nach<br />
sozialen Regeln wie beispielsweise der „Priorität<br />
früherer Besitzrechte“ zu handeln. Das bedeutet,<br />
dass sie meist auch ohne die Intervention Erwachsener<br />
weggenommene und vom Erstbesitzer<br />
wieder eingeforderte Objekte zurückgeben.<br />
Besitzstreitigkeiten (die Hauptursache für Konflikte<br />
in den ersten Jahren) haben eindeutig soziale<br />
Gründe und drehen sich weniger um das<br />
Spielzeug an sich. Besitzansprüche („meins“)<br />
werden selbst dann geltend gemacht, wenn beiden<br />
streitenden Kindern ein identisches Spielzeug<br />
zur Verfügung steht.<br />
î Ahnert, L. (2003): Die Bedeutung von Peers<br />
für die frühe Sozialentwicklung des Kindes.<br />
In: Keller, H. Handbuch der Kleinkindforschung<br />
(S. 489-524). Bern: Hans Huber<br />
î Bensel, J. (1999): Vertrauen schaffen von<br />
Anfang an. Wie eine gute Eingewöhnung<br />
gelingen kann. ZeT (1), S.8-10.<br />
î Bensel, J. (2000): Aller Abschied ist schwerdie<br />
Entwöhnung. Warum die letzten Wochen<br />
in der Tagespflege von großer Bedeutung<br />
sind. ZeT (3), S.8-11.<br />
î Dittrich, G., Dörfler, M., Schneider, K.<br />
(2001): Wenn Kinder in Konflikt geraten.<br />
Eine Beobachtungsstudie in Kindertagesstätten.<br />
Neuwied: Luchterhand.<br />
î Durkin, K. (1997): Entwicklungssozialpsychologie.<br />
In: Stroebe, W., Hewstone, G.,<br />
Stephenson, M., Sozialpsychologie. Eine<br />
Einführung (S. 49-78). Berlin: Springer.<br />
î Haug-Schnabel, G. (2004): Verhaltensbiologische<br />
ERkenntnisse aus der Mutter-Kind-<br />
Bindungsforschung. Die Hebamme 17 (3),<br />
S. 144-151.<br />
î Haug-Schnabel, G., Bensel, J. (2004): Vom<br />
Säugling zum Schulkind- Entwicklungspsychologische<br />
Grundlagen. kindergarten heute<br />
spezial. Freiburg: Herder.<br />
î Haug-Schnabel, G. Bensel, J. (2005): Grundlagen<br />
der Entwicklungspsycologie. Die ersten<br />
10 Lebensjahre. Freiburg: Herder.<br />
î Keller, H. (1998): Entwicklung im Kontext.<br />
Entwicklungspsychologische Konsequenzen<br />
für eine außerfamiliäre Betreuung des Kleinkindes.<br />
In: Ahnert, L., Tagesbetreuung für<br />
Kinder unter 3 Jahren (S.164-172). Bern:<br />
Hans Huber.<br />
î Schneider, K., Wüstenberg, W. (1993): Kinderfreundschaften<br />
im Krabbelalter. In: Deutsches<br />
Jugendinstitut, Was für Kinder. Aufwachsen<br />
in Deutschland (S.127-134). München,<br />
Kösel.<br />
î Schneider, K., Wüstenberg, W. (2001): Entwicklungspsychologische<br />
Forschungen und<br />
ihre Bedeutung für Peer-Kontakte im Kleinkindalter.<br />
In: von Schlippe, A., Lösche, G.,<br />
Hawellek, C., Frühkindliche Lebenswelten<br />
und Erziehungsberatung. Die Chancen des<br />
Anfangs (S. 67-78). Weinheim: juventa.<br />
î Suess, G.J. (2005): Sicherer Halt für den<br />
Aufbruch ins Leben. Neueste Erkenntnnisse<br />
der Bindungsforschung. kindergarten heute<br />
(11-12), S.6-12.<br />
î von Salisch, M. (1993): Kind-Kind-Beziehungen.<br />
Symmetrie und Asymmetrie unter<br />
Peers, Freunden und Geschwistern. In: Auhagen,<br />
A.E. von Salisch, M., Zwischenmenschliche<br />
Beziehungen (S.59-78). Göttingen:<br />
Hogrefe.<br />
Im Alter zwischen 3 und 5 Jahren werden die<br />
gleichaltrigen Spielkameraden immer wichtiger.<br />
Während bislang Erwachsene als Spielpartner bevorzugt<br />
wurden, sind es nun die gleichaltrigen<br />
Spielkameraden. Dank der nun vorhandenen<br />
Sprachfähigkeit ist eine echte Verständigung<br />
möglich. Die Kinder beginnen gemeinsam zu planen,<br />
zu organisieren, zu besprechen und zu entscheiden.<br />
Sie kommentieren Abläufe und<br />
beratschlagen und beratschlagen sich bei Misserfolgen.<br />
Die Kinder bilden Teams und lernen sich<br />
einzugliedern. Bald zeigen sich Spezialisten, die<br />
irgendetwas besonders gut können und deshalb<br />
II. Themen 79
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80<br />
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
auch oft gefragt sind. Die Kinder sind nun in der<br />
Lage Projekte zu planen, die sich über mehrere<br />
Tage erstrecken und gemeinsam mit anderen an<br />
einem Vorhaben zu arbeiten.<br />
Die Gebilde, die das Kind beim Konstruktionsspiel<br />
baut werden zunehmend größer und komplizierter.<br />
Von sich aus greifen die meisten Kinder<br />
nun zu Schere und anderen Hilfsmitteln, um<br />
mehr Gestaltungsmöglichkeiten zu haben. Durch<br />
eifrig tätige Mitspieler lassen sich die Kinder leicht<br />
zum Selbstausprobieren animieren. Das Symbolspiel<br />
wird zunehmend phantastischer. Alltagssituationen<br />
werden immer seltener nachgeahmt.<br />
Nun beginnt das Rollenspiel d.h. Dass die Kinder<br />
im Zusammenspiel fiktive Rollen einnehmen. Das<br />
kooperative Rollenspiel ist bei Dreijährigen noch<br />
kaum zu finden. Normalerweise zeigen es jedoch<br />
bereits alle Vierjährigen. Im Alter von 4 bis 5 Jahren<br />
nimmt die Dauer diese fiktiven Spiele deutlich<br />
zu. Beim Rollenspiel werden von den Kindern<br />
höhere soziale und kognitive Fähigkeiten gefordert.<br />
Ein gemeinsam abgesprochenes Handeln<br />
muss über einen längeren Zeitraum aufrecht erhalten<br />
und koordiniert werden. Im Rollenspiel<br />
kann das Kind seine Wünsche und Ängste ausdrücken<br />
sowie seine Erlebnisse, Erwartungen und<br />
Erfahrungen verarbeiten. Durch die Übernahme<br />
einer überlegeneren Position kann es z.B. eigene<br />
Ängste für kurze Zeit abmildern. Indem es in<br />
fremde Rollen hinein schlüpft, erlebt es die mit<br />
der Rolle verbundenen Gefühle ( Vorgang der<br />
Identifikation). Hierdurch lernt es, sich in andere<br />
Personen hineinzuversetzen und übt sein Sozialverhalten.<br />
Die zuletzt auftauchende Grundform des Spiels<br />
ist das Regelspiel. Hierzu ist die Gruppenfähigkeit<br />
und die Entwicklung anschaulichen Denkens<br />
nötig. Beim Regelspiel handelt es sich um ein soziales<br />
Spiel, bei dem nicht nur nach festgelegten<br />
Regeln gehandelt wird, sondern diese Regeln<br />
müssen auch eingehalten werden und machen<br />
zugleich den Reiz des Spiels aus. Die meisten Regelspiele<br />
sind Wettkampfspiele (Verstecken,<br />
Hüpfspiele, Fangen). Der Wettbewerbscharakter<br />
spielt hierbei mit zunehmendem Alter eine immer<br />
größere Rolle (Brettspiele, Gesellschaftsspiele,<br />
Sportspiele). Beim Regelspiel gibt es meist Sieger<br />
und Verlierer. Hierdurch beginnen die Kinder ihre<br />
Leistung mit der Leistung der anderen Kinder zu<br />
II. Themen<br />
vergleichen. Bereits mit etwa dreieinhalb Jahren<br />
erwacht beim Kind die Leistungsmotivation. Es<br />
erkennt, dass es darauf ankommt zu gewinnen<br />
und möchte Sieger sein. Oft ist das Verkraften<br />
von Misserfolgen nicht einfach. So wird beispielsweise<br />
das Spiel abgebrochen, die Kinder<br />
leugnen, dass sie verloren haben, schieben die<br />
Schuld auf äußere Umstände oder weisen darauf<br />
hin, dass sie dafür andere Dinge gut können. Im<br />
Alter von 4 Jahren spielen die Kinder gerne in<br />
kleinen Gruppen und fangen an, sich vorgegebenen<br />
Spielregeln unterzuordnen. Die Kinder<br />
wissen zwar, dass sie auch verlieren können, dennoch<br />
stellen Niederlagen eine große emotionale<br />
Belastung dar. Etwa in der Mitte des 4. Lebensjahres<br />
taucht im Spiel der Kinder eine neue Form<br />
der Kommunikation auf. Die Anweisungen für<br />
das gemeinsame Rollenspiel werden zunehmend<br />
komplexer, fast drehbuchartig. Es werden sogar<br />
Absprachen über die Form des Sprechens während<br />
des Spiels getroffen. Diese Kommunikation<br />
über die Kommunikation wird als Metakommunikation<br />
bezeichnet. Bei der Metakommunikation<br />
werden die Mitspieler immer mehr in die<br />
eigene Gedankenwelt miteinbezogen.<br />
( Bensel, J. & Haug-Schnabel, G. 2004)<br />
3.5 Die Rolle der Eltern bei Peer- Beziehungen der<br />
Kinder<br />
Die Bindungstheorie behauptet, dass es von der<br />
sicheren oder unsicheren frühen Bindung eines<br />
Kindes an die Eltern abhängt, wie seine zukünftige<br />
soziale Kompetenz und die Qualität seiner<br />
Beziehungen mit anderen, einschließlich Gleichaltrigen,<br />
beschaffen sein wird. Bindungstheoretiker<br />
gehen davon aus, dass eine sichere Bindung<br />
zwischen Elternteil und Kind die Kompetenz im<br />
Umgang mit Peers auf mindesten dreierlei Art<br />
fördert (Elicker et al. 1992):<br />
î sicher gebundene Kinder entwickeln positive<br />
soziale Erwartungen. Sie sind leicht bereit,<br />
mit anderen Kindern zu interagieren<br />
und erwarten, dass diese Interaktionen positiv<br />
und belohnend sein werden.<br />
î Dank ihrer Erfahrungen mit einer verständnisvollen<br />
und interessierten Bezugsperson<br />
entwickeln sie die Basis, um das Prinzip der<br />
Wechselseitigkeit in Beziehungen zu verstehen.<br />
Sie lernen in Beziehungen zu geben<br />
und zu nehmen und auf andere einzugehen.
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
î Sicher gebundene Kinder sind mit großer<br />
Wahrscheinlichkeit zuversichtlich, begeisterungsfähig<br />
und emotional positiv eingestellt.<br />
Dadurch werden sie für andere Kinder<br />
attraktiv, was ihnen soziale Begegnungen<br />
erleichtert.<br />
Umgekehrt nehmen Bindungstheoretiker an,<br />
dass eine unsichere Bindung die Fähigkeit eines<br />
Kindes mit seinen Peers zu interagieren beeinträchtigt.<br />
Sind Eltern zurückweisend, unfreundlich<br />
oder nachlässig, werden jüngere Kinder<br />
häufig selbst unfreundlich und erwarten von<br />
ihren Mitmenschen nichts Gutes. Als Folge nehmen<br />
sie ihre Peers eher feindlich wahr und verhalten<br />
sich ihnen gegenüber aggressiv. Alternativ<br />
erwarten diese Kinder von ihren Peers Zurückweisung<br />
und vermeiden diese Erfahrung, indem<br />
sie Peer-Interaktionen von vornherein umgehen<br />
(Furmanet al., 2002; Renken et al., 1989).<br />
Die ersten Fähigkeiten für den Umgang mit den<br />
Peers erlernen die Kinder im Familienumfeld. Eltern<br />
können die Interaktion ihrer Kinder mit<br />
Gleichaltrigen hierbei sowohl auf direkte Weise<br />
(beispielsweise indem sie versuchen, Einfluss auf<br />
die Beziehungen der Kinder untereinander zu<br />
nehmen), wie auch indirekt (beispielsweise durch<br />
ihren Erziehungsstil und durch ihr eigenes Spielverhalten)<br />
(Ladd & Pettit, 2002).<br />
Ladd et al. (1993) fanden, dass Kinder, deren Eltern<br />
es ermöglichen, in den Vorschuljahren häufig<br />
mit ihren Freunden zu spielen, über ein<br />
größeres soziales Netzwerk verfügen und geübter<br />
sind im sozialen Umgang. Die Eltern schaffen<br />
die Möglichkeit für das gemeinsame Spiele. Hierdurch<br />
zeigen sie ihren Kindern, wie sie selbst in<br />
Kontakt zu Gleichaltrigen treten können. Zudem<br />
stehen sie ihren Kindern stets mit Rat und Tat beiseite<br />
und vermitteln somit, wie sie sich anderen<br />
Menschen verhalten sollten. Durch ihre Problemlösevorschläge<br />
nehmen sie Einfluss auf die soziale<br />
Kompetenz und die Peer-Akzeptanz des Vorschulkindes.<br />
Beispielsweise indem die Eltern den<br />
Umgang mit Konflikten aufzeigen, dem Kind zu<br />
verstehen geben, dass gegenseitiges Aufstacheln<br />
vermieden werden sollte oder auch durch den<br />
Besuch einer Spielgruppe (Laird et al., 1994; Mize<br />
& Pettit, 1997).<br />
Vieles am elterlichen Verhalten ist darauf ausgerichtet,<br />
die Interaktion unter Kindern zu fördern.<br />
Häufig wirkt sich dies auch auf deren Beziehungen<br />
untereinander aus. In zahlreichen Studien<br />
konnte beispielsweise eine sichere Bindung zu<br />
den Eltern in Beziehung gebracht werden mit<br />
aufeinander eingehende harmonische Interaktionen<br />
unter Gleichaltrigen (Bost et al.,1998;<br />
Schneider, Atkinson & Tardif, 2001).<br />
Hierfür ist der emotional expressive und unterstützende<br />
Kommunikationsstil, der auch zur Bindungssicherheit<br />
beiträgt, verantwortlich. Es<br />
wurden Zusammenhänge festgestellt zwischen<br />
emotional positiven Eltern-Kind-Konversationen<br />
und dem prosozialen Verhalten des Kindes sowie<br />
positiven Peerbeziehungen ( Clark & Ladd, 2000;<br />
Lindsay & Mize, 2000).<br />
4. Moralentwicklung<br />
Ab dem 2 . Lebensjahr reagiert ein Kind mit<br />
Stress auf Handlungen, die aggressiver Natur<br />
sind. Sie verwenden Wörter wie „ gut“ oder<br />
„schlecht“.<br />
Es entwickelt sich eine zunehmende Fähigkeit<br />
Recht von Unrecht zu unterscheiden. Die Eltern<br />
reagieren darauf, indem sie Kinder zunehmend<br />
für ihr eigenes Verhalten zur Verantwortung ziehen.<br />
Kinder können zunehmend moralische Regeln<br />
aufzählen ( „ Sag die Wahrheit… „ ). Das Gewissen<br />
entsteht in der frühen Kindheit. Zunächst<br />
ist die Moral des Kindes extern kontrolliert.<br />
Nach und nach wird die Moral des Kindes durch<br />
die inneren Standards reguliert.<br />
Alle wichtigen Theorien zeigen eine gewisse<br />
Übereinstimmung. Die psychoanalytische Sichtweise<br />
legt das Hauptaugenmerk auf die emotionale<br />
Seite des Gewissens: Identifikation und<br />
Schuldgefühl als Antriebeskräfte guten Verhaltens.<br />
„Die erklärende Erziehungsmaßnahme“ ist eine<br />
effektive Methode , um Selbstkontrolle und prosoziales<br />
Verhalten zu fördern<br />
„Die soziale Lerntheorie“: hier ist Stärkung und<br />
das Modell-Lernen die Grundlage moralischen<br />
Handelns.<br />
II. Themen 81
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
Effektive Erwachsenenrollenmodelle für moralisches<br />
Urteilen sollten warmherzig sein und eine<br />
positive Autorität ausstrahlen. Erwachsene sollten<br />
das, was sie dem Kind demonstrieren, auch<br />
selbst tun. Häufige harte Bestrafung ist nicht förderlich<br />
auf die Internalisierung.<br />
Alternativen wären verordnete Auszeiten und der<br />
Entzug von Privilegien. Bei Strafe ist Konsequenz<br />
wichtig und die Aufrechterhaltung einer warmherzigen<br />
Beziehung zum Kind. Es sollte dann<br />
auch Klärung verbal angeboten werden.<br />
4.1. Moralisches Denken und Urteilen<br />
Wie Kinder über moralische Angelegenheiten<br />
denken, bildet eine Grundlage ihres moralischen<br />
oder unmoralischen Verhaltens.<br />
Piagen beschrieb 2 moralische Stadien – die heteronome<br />
und die autonome Moral und eine dazwischen<br />
liegende Übergangsphase (Piagen<br />
1932 )<br />
Auf der ersten Stufe betrachten Kinder Regeln als<br />
festgelegt und gewichten bei der Bewertung von<br />
Handlungen die Folgen stärker als die Absichten.<br />
Piagen ist die Kombination aus kognitiver Entwicklung<br />
und gleichberechtigter, kooperativer Interaktion<br />
mit Gleichaltrigen , die Kinder ins<br />
autonome Stadium bringt , in dem sie erkennen,<br />
dass Regeln im Einvernehmen der Gruppe geändert<br />
werden können und die moralische Qualität<br />
von Handlungen auf der Basis ihrer Absichten<br />
und weniger ihrer Folgen beurteilen. Kritisiert<br />
wurden Aspekte von Piagen Theorie dahingehend,<br />
dass Kinder Handlungsabsichten viel früher<br />
als er glaubte zu nutzen, um Verhalten zu<br />
bewerten. Dies gilt aber als Grundlage für Kohlbergs<br />
Arbeiten über die Stufen des moralischen<br />
Denkens und Urteilens.<br />
Kohlberg umschrieb 3 Niveaus des moralischen<br />
Urteils: präventionelle, konventionelle und postkonventionelle<br />
Moral, die jeweils 2 Stufen umfassen.<br />
Man nahm an, dass seine Stufenfolge<br />
diskontinuierliche Veränderungen im altersabhängigen<br />
moralischen Denken wider spiegelt, so<br />
dass Kinder weltweit dieselben Stufen durchlaufen.<br />
… sätze werden hinterfragt. Forschungsarbeiten<br />
über andere Typen von moralischen<br />
Urteilen, etwas prosoziale moralische Urteile weisen<br />
darauf hin, dass die Berücksichtigung der Bedürfnisse<br />
anderer Menschen im früheren Alter<br />
auftritt, als Kohlbergs Arbeiten andeuten.<br />
II. Themen<br />
Es gibt wichtige Unterschiede zwischen den moralischen,<br />
sozial-konventionalen und persönlichen<br />
Bereich von Verhalten und Beurteilungen,<br />
die auch Kinder schon kennen. Zum Beispiel<br />
glauben jüngere Kinder, dass moralische Verfehlungen,<br />
aber nicht konventionale oder persönliche<br />
Regelverletzungen grundsätzlich falsch sind,<br />
gleich ob Erwachsene sie für inakzeptabel halten<br />
oder nicht.<br />
Gewissen gilt als eine Instanz, die internalisierte<br />
moralische Normen reflektiert. Es hält das Kind<br />
davor zurück, sich unmoralisch zu verhalten und<br />
bringt im Falle des Fehlverhaltens Schuldgefühle<br />
mit sich. Im Gegensatz zu den Annahmen Freuds<br />
entwickelt sich das Gewissen beginnend schon<br />
vor dem 2. Lebensjahr, langsam im Laufe der Zeit.<br />
Kinder internalisieren die elterlichen Normen<br />
eher, wenn sie sichere Bindungen an ihre Eltern<br />
haben und wenn ihre Eltern bei der Disziplinierung<br />
vernünftige Erklärungen abgeben und nicht<br />
nur auf ihre elterliche Gewalt setzen. Je nach<br />
Temperament des Kindes wird die Gewissensentwicklung<br />
durch etwas andere Faktoren gefördert.<br />
4.2. Prosoziales Verhalten<br />
Ursprünge des altruistischen prosozialen Verhaltens<br />
liegen in der Fähigkeit begründet, Empathie<br />
und Mitleid zu empfinden.<br />
Empathie ist ( Einfühlungsvermögen ) die Fähigkeit,<br />
sich in andere hineinzuversetzen, eine emotionale<br />
Reaktion auf den Zustand eines anderen<br />
Menschen dessen Gefühlslage des anderen Menschen<br />
ähnelt.<br />
Mitleid ist eine häufige Folge, wenn man sich in<br />
die negativen Gefühle oder Lebenslagen einer<br />
anderen Person hineinversetzen kann.<br />
Mitleid ist eine Anteilnahme und Sorge um eine<br />
andere Person oder auch um ein Tier als Reaktion<br />
auf deren Zustand. Oft ist es das Resultat<br />
des Verständnisses für die negativen Gefühle des<br />
anderen oder dessen ungünstige Situation.<br />
Prosoziales Verhalten entsteht im 2. Lebensjahr<br />
und tritt in den Kleinkindjahren immer häufiger<br />
auf. In den Vorschul- und Grundschuljahren erhöhen<br />
sich die Häufigkeit und Einfühlsamkeit des<br />
prosozialen Verhaltens weiter. Zu den früheren<br />
individuellen Unterschieden im prosozialen Ver-
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
halten lassen sich entsprechende Verhaltensunterschiede<br />
in den späteren Jahren bereits vorhersagen.<br />
Das prosoziale Verhalten wird mit dem Alter zum<br />
Teil deshalb häufiger, weil sich bei den Kindern<br />
die Fähigkeiten zur Anteilnahme und zur Perspektivenübernahme<br />
entwickeln. Unterschiede<br />
zwischen den Kindern, was ihr Einfühlungsvermögen,<br />
ihr Mitleid, ihr persönliches Unbehagen<br />
und ihre Perspektivenübernahme betrifft, tragen<br />
zu den individuellen Unterschieden im prosozialen<br />
Verhalten von Kindern bei. Zudem wirken<br />
sich wahrscheinlich biologische Faktoren, die zu<br />
den Temperamentsunterschieden zwischen Kindern<br />
beitragen, darauf aus, wie empathisch und<br />
prosozial Kinder werden.<br />
Die Entwicklung des prosozialen Verhaltens<br />
hängt auch damit zusammen, wie die Kinder erzogen<br />
werden. Im Allgemeinen geht eine positive<br />
Beziehung zwischen Eltern und Kindern mit<br />
einer prosozialen Moralentwicklung einher, besonders<br />
wenn unterstützende Eltern effektive Erziehungsstile<br />
und Erziehungspraktiken einsetzen.<br />
Eine autoritative, positive Regelerziehung, einschließlich<br />
des Einsatzes vernünftiger Erklärungen<br />
seitens der Eltern und der Lehrer sowie der<br />
Kontakt mit prosozialen Modellen, Werte und<br />
Tätigkeiten gehen mit der Entwicklung von Mitgefühl<br />
prosozialen Verhaltens einher.<br />
4.3. Antisoziales Verhalten<br />
Aggressives Verhalten tritt im 2. Lebensjahr erstmal<br />
auf und wird in der Folge häufiger. Körperliche<br />
Aggression geht im Kindergartenalter<br />
zurück. In der Grundschule zeigen Kinder meistens<br />
mehr nicht körperliche Aggressionen ( z.B.<br />
Beziehungsaggression ) als in jüngeren Jahren<br />
und einige Kinder üben zunehmend antisoziale<br />
Verhaltensweise aus z.B. Stehlen. Frühe interindividuelle<br />
Unterschiede bei Aggressivität und Verhaltensproblemen<br />
sagen antisoziales Verhalten in<br />
der späteren Kindheit, im Jugend- und Erwachsenenalter<br />
vorher. Kinder , die mit ihren aggressiven<br />
, antisozialen Verhalten erst im frühen bis<br />
mittleren Jugendalter beginnen, setzen ihr antisoziales<br />
Verhalten mit geringerer Wahrscheinlichkeit<br />
über die A….leszend hinaus fort,<br />
verglichen mit Kindern, die schon in jüngeren<br />
Jahren aggressiv und antisozial sind.<br />
Biologische Faktoren, einschließlich derer, die mit<br />
Temperament und neurologischen Störungen zu<br />
tun haben, wirken sich wahrscheinlich darauf<br />
aus, wie aggressiv ein Kind wird. Auch die soziale<br />
Kognition hängt auf vielfältige Weise mit Aggressivität<br />
zusammen. Dazu gehört die Unterstellung<br />
feindseliger Motive bei anderen, das<br />
eigene Verfolgen feindseliger Ziele, die Entwicklung<br />
und Ausführung aggressiver Reaktionen in<br />
schwierigen Situationen und die Bewertung aggressiver<br />
Reaktion als vorteilhaft. Die Aggression<br />
von Kindern wird durch ein ganzes Spektrum an<br />
Umweltfaktoren beeinflusst, außerdem durch<br />
Vererbung. Im Allgemeinen gehen geringe elterliche<br />
Unterstützung, schlechte Beaufsichtigung<br />
und der Einsatz misshandelnder und inkonsequenter<br />
Disziplinierungsmaßnahmen mit hohem<br />
Grad an antisozialem Verhalten der Kinder einher.<br />
Elterliche Konflikte in der Familie und viele<br />
Stressoren, die mit familiären Veränderungen (<br />
z.B. Scheidungen ) und Armut einhergehen, können<br />
die Wahrscheinlichkeit kindlicher Aggressivität<br />
erhöhen. Außerdem trägt es wahrscheinlich<br />
auch zum antisozialen Verhalten beim, mit antisozialen<br />
Peers zu tun zu haben und im Fernsehen<br />
viel Gewalt zu sehen.<br />
Es gibt starke individuelle Unterschiede bei den<br />
Aggressionen bei anderen Formen antisozialen<br />
Verhaltens. Vom Kindergarten an sind Jungen<br />
körperlich aggressiver als Mädchen und zeigen<br />
häufiger kriminelles Verhalten. Bei einem Aggressionstyp<br />
finden sich jedoch die Mädchen mit<br />
größerer Wahrscheinlichkeit wieder – bei Versuchen,<br />
die sozialen Beziehungen anderer Menschen<br />
zu verletzen = Beziehungsaggression.<br />
II. Themen 83
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
5. Körperliche Entwicklung<br />
5.1 Wachstum und Entwicklung des Körpers<br />
In den ersten beiden Lebensjahren ist das Körperwachstum am stärksten ausgeprägt und verlangsamt sich<br />
zunehmend in der frühen Kindheit. Das Körperwachstum beträgt durchschnittllich 5-8 cm/Jahr, an Gewicht<br />
nehmen die Kinder etwa 2 kg/Jahr zu. Die Durchschnittsgröße von Jungen ist etwas höher als die von Mädchen.<br />
II. Themen
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
5.2 Entwicklung der Wahrnehmung<br />
Früher glaubte man, dass Babys in eine verwirrende<br />
Welt mit verschwommenen Formen und<br />
seltsamen Geräuschen geboren werden. Die<br />
meisten Eltern und auch die Forscher glaubten,<br />
dass nur ältere Kinder in der Lage seien, Gesichter<br />
zu sehen, Stimmen wieder zu erkennen, oder<br />
zwischen verschiedenen Geschmacksrichtungen<br />
und Gerüchen zu unterscheiden. Dank neuer<br />
Methoden in der Wahrnehmungsforschung bei<br />
Kindern weiß man heute, dass Babys bereits direkt<br />
nach der Geburt über beachtliche Fähigkeiten<br />
bezüglich der Sinneswahrnehmung verfügen<br />
(Trawick-Smith, 2006).<br />
Neugeborene können Objekte, die zwischen ca.<br />
18 cm und 39 cm entfernt sind, bereits ziemlich<br />
gut sehen (Bronson, 1990). Interessanterweise<br />
entspricht dies in etwa dem Abstand zwischen<br />
dem elterlichen Gesicht und dem Gesicht des<br />
Kindes, wenn es gehalten wird. Die visuellen Fähigkeiten<br />
von Babys verbessern sich insbesondere<br />
im Verlauf der ersten Lebensmonate; es wird angenommen,<br />
dass die Entwicklung der visuellen<br />
Wahrnehmung im Alter von einem Jahr nahezu<br />
abgeschlossen ist (Haith, 1990). Hinweise darauf,<br />
dass Babys bereits klar sehen können bekam man<br />
durch die Beobachtung, dass sie einige Muster<br />
oder Objekte länger betrachten, als andere (Frick,<br />
Colombo & Saxon, 1999).<br />
Fantz (1963) stellte fest, dass Neugeborene Muster<br />
gegenüber soliden Formen bevorzugen. In<br />
weiterführenden Studien konnte gezeigt werden,<br />
dass sie mäßig komplexe Muster gegenüber einfachen<br />
oder hoch komplexen, sowie gebogene<br />
Linien gegenüber geraden und große Vierecke<br />
gegenüber kleinen Vierecken bevorzugen (Colombo,<br />
Frick, Ryther & Gifford, 1996; Fantz,<br />
Fagan & Miranda, 1975).<br />
Bereits im Alter von 4 Monaten können Babys<br />
Farben differenzieren und bevorzugen blau und<br />
rot gegenüber gelb. Somit zeigen sie die gleichen<br />
Farbpräferenzen wie Erwachsene (Bornstein,<br />
1992).<br />
Neugeborene scheinen den Anblick von Gesichtern<br />
zu bevorzugen ( Fantz, 1961; Rose, Futterweit<br />
& Jankowski, 1999).Tatsächlich konnte in<br />
einer Studie gezeigt werden, dass Neugeborene<br />
Zeichnungen mit Gesichtern, die Merkmale in ty-<br />
II. Themen<br />
pischer Reihenfolge zeigen, länger betrachten als<br />
Zeichnungen, die Gesichtern ähneln, bei denen<br />
die Merkmale aber durcheinander angeordnet<br />
sind ( Fantz 1963). Diese Ergebnisse konnten jedoch<br />
in folgenden Studien nicht repliziert werden<br />
(Small, 1990). Es kann sein, dass sehr kleine<br />
Kinder Gesichter nicht per se erkennen, sie jedoch<br />
intensiv betrachten, da sie sehr interessante<br />
visuelle Muster sind. Beispielsweise kann das Lächeln<br />
eines sechs Wochen alten Babys beim Anblick<br />
des Gesichts seiner Mutter hauptsächlich<br />
seine Antwort auf ein Bild mit starken Kontrasten<br />
sein. Eltern sind sich über diesen Sachverhalt<br />
nicht bewusst; sie interpretieren das Lächeln des<br />
Kindes als Zeichen des Wiedererkennens. Demzufolge<br />
unterstützt das dem Neugeborenen bereits<br />
bei der Geburt innewohnende visuelle<br />
Interesse die elterliche Bindung.<br />
In einigen Studien konnte gezeigt werden, dass<br />
Babys sich in ihrem Blickverhalten unterscheiden<br />
(Frick et al., 1999; Rose et al., 1999). Jüngere<br />
Babys sind „ Langgucker“ d.h. sie betrachten ein<br />
neues Objekt einmalig aber über längere Zeit.<br />
Wenn die Babys älter werden, werden sie oft „<br />
Kurzgucker“. Sie betrachten ein neues Objekt<br />
nur kurz, jedoch immer wieder. Sie bewegen<br />
ihren Blick schnell von einem Merkmal eines Objekts<br />
zu einem anderen oder von Objekt zu Objekt.<br />
Interessanterweise fand Colombo ( 1995 ),<br />
dass Babys, die in früher Kindheit bereits „ Kurzgucker“<br />
waren, besser in der Lage sind, Informationen<br />
zu verarbeiten und folglich zu lernen.<br />
Babys, die weiterhin „ Langgucker“ bleiben, sind<br />
weniger kompetent in der Informationsverarbeitung.<br />
Zwei weitere Fähigkeiten, die Babys bei ihrer<br />
Wahrnehmung der Welt unterstützen, sind zum<br />
einen die Fähigkeit, ein bewegtes Objekt mit den<br />
Augen zu verfolgen, zum anderen die Fähigkeit,<br />
alle Merkmale eines Objektes zu betrachten, um<br />
so ein komplettes Bild zu erhalten.<br />
Nach Aslin, 1987 machen bereits neugeborene<br />
Babys Versuche, ihre Köpfe zu bewegen und ihre<br />
Augenbewegungen anzupassen, um interessante<br />
Dinge in ihrem Blickfeld zu behalten. Ihre<br />
Bemühungen sind ineffizient und nur wenig kontrolliert.<br />
Sie müssen den gesamten Kopf drehen<br />
und in kurzen Abständen neu fokussieren, wenn<br />
sich ein Objekt vor ihnen bewegt. Sie folgen den<br />
bewegten Objekten nur von einer Seite zur an-
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
deren innerhalb ihres Blickfeldes. Nur selten blicken<br />
sie nach oben oder unten. Diese Fähigkeit<br />
wird innerhalb der ersten sechs Lebensmonate<br />
schnell flüssiger und genauer (Bronson, 1990).<br />
Wenn Erwachsene in einem Museum ein ungewöhnliches<br />
Gemälde oder eine Skulptur betrachten,<br />
so tasten sie mit den Augen schnell<br />
seine visuellen Details ab und bekommen somit<br />
einen Eindruck von dem Gemälde als Ganzes.<br />
Neugeborene können das noch nicht. Stattdessen<br />
blicken sie nur auf ein Merkmal eines Stimulus.<br />
Beispielsweise blicken sie nur auf eine Ecke<br />
eines Dreiecks oder auf ein Ohr eines Teddybärs.<br />
Innerhalb von drei Monaten werden die Babys<br />
sehr viel kompetenter beim visuellen Abtasten<br />
eines ganzen Objektes (Bronson, 1994). Sie blicken<br />
schnell von einem Merkmal zum nächsten<br />
bis sie das gesamte Objekt abgetastet haben.<br />
Hieran ist leicht zu verstehen, dass ein „ Kurzgucker“<br />
besser in der Lage ist, ein gesamtes Objekt<br />
abzutasten. „ Langgucker“ können unter Umständen<br />
noch über einen großen Zeitraum hinweg<br />
dabei bleiben, nur ein Merkmal zu<br />
betrachten (Rose et al., 1999).<br />
Eine weitere visuelle Fähigkeit von Kindern ist die<br />
Tiefenwahrnehmung. Gibson und Walk (1960)<br />
entdeckten, dass Babys, die jünger sind als sechs<br />
Monate auch dann nicht über einen visuellen Abgrund<br />
hinauskriechen, wenn sie von ihren Müttern<br />
dazu ermuntert werden (der Abgrund<br />
bestand in diesem Fall aus einer durchsichtigen<br />
Plastikoberfläche, die nur den Eindruck eines Abgrundes<br />
vermittelte). Dies zeigt, dass Babys bereits<br />
sehr früh in der Lage sind, Tiefe<br />
wahrzunehmen. In einer weiterführenden Studie<br />
mit zehn und zwölf Monate alten Kindern fanden<br />
McKenzie et al. (1993), dass diese ein ziemlich<br />
differenziertes Entfernungsempfinden – eine<br />
Form der Tiefenwahrnehmung – haben. So griffen<br />
die Babies häufiger zu Objekten, die nah bei<br />
ihnen waren, als zu Objekten in größerer Entfernung.<br />
Bower (1975) fand, dass selbst Neugeborene,<br />
bereits ihre Augen weiter öffen, ihren Kopf<br />
nach hinten strecken und ihre Hände ausstrecken,<br />
wenn sie sehen, dass sich Objekte auf sie<br />
zu bewegen.<br />
Bertenthal & Campos (1990) fanden, dass Erfahrung<br />
bei der Fortbewegung zur Fähigkeit, Tiefe<br />
und Entfernung wahrzunehmen beiträgt. Ein<br />
Baby, das die Möglichkeit hat, sich uneinge-<br />
schränkt in seiner Umgebung zu bewegen,<br />
macht beispielsweise zahlreiche praktische Erfahrungen<br />
im Umgang mit Höhe: beim Sturz<br />
vom Sofa oder wenn es den Keks, der auf dem<br />
Tisch liegt nicht erreicht. Ein Baby das häufig in<br />
einem Laufgitter oder Gitterbett untergebracht<br />
wird, wird möglicherweise nicht so schnell visualisieren<br />
können oder die Konzepte von Entfernung<br />
und Tiefe verstehen können.<br />
Ab der 24. Schwangerschaftswoche beginnt der<br />
Fötus auf Geräusche zu reagieren, wenn auch<br />
das Hören noch begrenzt ist, da sich Teile des Systems<br />
noch entwickeln müssen. Es werden vorwiegend<br />
Töne einer niedrigen Frequenz gehört,<br />
da die Töne, die den Fötus erreichen zunächst<br />
Flüssigkeit passiert haben. Die Stimme der Mutter<br />
ist das am einprägsamsten und am häufigsten<br />
gehörte Geräusch ( Abrams et al., 1995). Es<br />
konnte gezeigt werden, dass der Herzschlag der<br />
Babys schneller wird als Reaktion auf Geräusche,<br />
so dass angenommen wird, dass Geräusche bereits<br />
gehört werden auch wenn es schwierig ist<br />
festzustellen, was der Fötus hört. Neugeborene<br />
Babys ziehen eine gefilterte Aufnahme der mütterlichen<br />
Stimme eine ungefilterten Aufnahme<br />
vor, so dass man annimmt, dass das Baby die<br />
Stimme der Mutter im Uterus wiedererkennt, wo<br />
die Geräusche gefiltert werden ( Spence & Freeman,<br />
1996). Sansavini et al. ( 1997 ) fanden,<br />
dass bestimmte Geräusche wie z.B. Singen oder<br />
Herzschlag Babys beruhigt wohingegen sie durch<br />
andere, plötzliche oder hohe Töne aufgeregt<br />
werden.<br />
Neugeborene neigen dazu ebenfalls anzufangen<br />
zu schreien, wenn sie ein anderes Kind schreien<br />
hören (Sagi & Hoffmann, 1976). Dies lässt darauf<br />
schließen, dass die Eigenschaft, menschliches<br />
Schreien und sich darüber aufzuregen, dem<br />
Menschen angeboren ist. Beispielsweise werden<br />
Eltern eher auf das Schreien ihres eigenen Babys<br />
reagieren, da sie dazu prädisponiert sind, von diesem<br />
Schreien angesprochen zu werden.<br />
Glenn et al. (1981) konnten zeigen, dass Babys<br />
bestimmten Geräuschen mehr Aufmerksamkeit<br />
widmen. Beispielsweise ziehen sie Singen und<br />
weibliche Stimmen anderen Geräuschen vor. Besonders<br />
aufmerksam lauschen sie der Stimme der<br />
eigenen Mutter (DeCasper & Spence, 1991).<br />
Babys im Alter von zwei Tagen können bereits<br />
II. Themen 87
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
zwischen einem Gespräch zwischen Erwachsenem<br />
und Kind, das durch eine übertriebene und<br />
hohe Intonation gekennzeichnet ist, und einem<br />
Gespräch unter Erwachsenen unterscheiden<br />
(Cooper & Aslin, 1990). Bereits fünf Monate alte<br />
Säuglinge können zwischen den Intonationen,<br />
die Anerkennung und Missbilligung ausdrücken<br />
unterscheiden, selbst wenn sie in unterschiedlichen<br />
Sprachen geäußert werden (Fernald, 1993).<br />
Nach Lewkowicz (1996) und Pickens (1994) erlangen<br />
Säuglinge bereits im Alter von fünf Monaten<br />
die Fähigkeiten, die Richtung aus der<br />
Geräusche kommen zu lokalisieren, nach ihrer<br />
Quelle zu suchen und diese ausfindig zu machen<br />
und selektiv auf ein Geräusch zu hören und ein<br />
anderes zu unterdrücken. Bezüglich dieser Fähigkeiten<br />
konnten kulturelle Unterschiede festgestellt<br />
werden. Diese scheinen teilweise auf<br />
genetische, teilweise auf Erfahrungen in der Familie<br />
oder der Gesellschaft zurückgeführt werden.<br />
Das Gleichgewichtssystem liegt im knöchernen<br />
Labyrinth des Schädels und ist dem Hörsystem<br />
angegschlossen. Es besteht aus drei Strukturen<br />
des Innenohres: den Bogengängen, dem Sacculus<br />
und dem Utriculus. Die Bogengänge registrieren<br />
die Geschwindigkeit, Kraft und Richturng<br />
einer Kopfbewegung (beispielsweise bei der<br />
Kopfdrehung oder dem Schaukeln). Sacculus und<br />
Utriculus hingegen reagieren auf die Schwerkraft<br />
und lineare Bewegungen.<br />
Informationen des Gleichgewichtssystems tragen<br />
bei zu:<br />
î - Regulation des Muskeltonus und der Koordination<br />
î - Balance und Gleichgewicht<br />
î - okulomotorischer Kontrolle (z.B. Kontrolle<br />
der Augenbewegungen, um während einer<br />
Bewegung ein stabiles Gesichtsfeld aufrecht<br />
zu erhalten).<br />
î - Erregungszustand (z.B. Aufrechterhalten<br />
und Wechseln zwischen Wachheitszuständen<br />
und Schlaf).<br />
î - Aufmerksamkeitslevel (z.B. gezieltes Richten<br />
und Aufrechterhalten des Aufmerksamkeitsfokusses)<br />
î - emotionaler Zustand.<br />
II. Themen<br />
Bei Babys, die am Termin geboren werden, ist das<br />
Gleichgewichtssystem bereits relativ ausgereift.<br />
Wie die Liste der Funktionen vermuten lässt, hat<br />
dieses System bedeutende Auswirkungen auf die<br />
Erfahrungen von Kindern, Krabbelkindern und ,<br />
natürlich, von uns allen .Eltern und Betreuungspersonen<br />
lernen schnell, dass sanftes, rhythmisches<br />
Wiegen ein Baby beruhigt, und dass<br />
schnelle, arrhythmische Bewegungen das Aktivitätsniveau<br />
erhöhen.<br />
Betrachten wir einmal einen Vater bei wildem<br />
Spiel mit seiner 9 Monate alten Tochter. Er sitzt<br />
auf dem Sofa und lässt sie energisch auf seinem<br />
Schoß springen. Sie quietscht vor Freude (hohes<br />
Erregungsniveau), schaut ihn intensiv an (erhöhte<br />
Aufmerksamkeit) und kichert vor Vergnügen (positiver<br />
emotionaler Affekt). Ihre Muskeln spannen<br />
sich an (erhöhter Muskeltonus) und sie versucht<br />
beim Sitzen aktiv die Balance zu halten (Gleichgewichtsreaktionen).<br />
Ihr visuelles und ihr Gleichgewichtssystem<br />
arbeiten zusammen um das Kind<br />
unbewusst darüber zu informieren, ob sie sich<br />
bewegt, ob ihr Vater sich bewegt oder ob sie sich<br />
zusammen bewegen. Noch mehr wird das<br />
Gleichgewichtssystem aktiviert, wenn ihr Vater<br />
beginnt, das Kind in die Luft zu werfen. Ihre Antwort<br />
ist eine generelle Zunahme der Erregbarkeit.<br />
Bevor sie in einen Zustand der sensorischen Übererregung<br />
gerät, wiegt der Vater sie langsam und<br />
rhythmisch in seinen Armen. Dieser vestibuläre<br />
Input hat , im Gegensatz zu dem vorangegangenen<br />
wilden Spiel, einen beruhigenden Effekt auf<br />
den Erregungszustand und die emotionale Befindlichkeit<br />
seiner Tochter. Sie beginnt sich zu<br />
entspannen, wird etwas schläfrig und fühlt sich
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
behaglich. Ihre physische Anspannung und der<br />
Muskeltonus entspannen sich. In kurzer Folge<br />
kam sie durch den Einfluss unterschiedlicher vestibulärer<br />
Inputs im Rahmen eines Spiels von<br />
einem aktiven Zustand der Aufmerksamkeit zu<br />
einem Zustand ruhiger Aufmerksamkeit oder<br />
Schläfrigkeit.<br />
Williamson, G.G. & Anzalone, M.E, (2001). Sensory<br />
integration and Self-Regulation in Infants<br />
and Toodlers. Washington, DC: ZERO TO THREE:<br />
National center for Infants, Toddlers and Families.<br />
Unter den verschiedenen Sinnessystemen entwickeln<br />
sich der Geruchs- und der Geschmackssinn<br />
sehr früh. Bereits intrauterin erlangt der Fötus die<br />
Fähigkeit zwischen verschiedenen Geschmäckern<br />
und Gerüchen zu unterscheiden (Bradley, R.M.,<br />
1972). Neugeborenen können zwischen fünf Geschmacksrichtungen<br />
unterscheiden: sauer, bitter,<br />
salzig, süß und neutral (Rosenstein & Oster,<br />
1988; Smith, B.A. & Blass, 1996). Sie haben klare<br />
Geschmackspräferenzen. So saugen sie an einer<br />
süßen Flüssigkeit kontinuierlicher und langsamer<br />
als an salzigen Lösungen. Diese werden in kleinen<br />
Schlucken und nur über eine kurze Zeitspanne<br />
getrunken (Blass & Ciaramitaro, 1994;<br />
Crook, 1987).<br />
Neugeborene können zwischen angenehmen<br />
und unangenehmen Gerüchen unterscheiden<br />
(Steiner, 1979). Ebenso sind sie in der Lage zu<br />
identifizieren, woher ein Geruch kommt. Kommt<br />
ein unangenehmer Geruch aus einer Richtung,<br />
so drehen sie schnell ihren Kopf in die andere<br />
Richtung (Reiser et al., 1976).<br />
Geschmackssinn und Geruchssinn sind entscheidend<br />
für das Überleben des Neugeborenen. Dadurch<br />
das das Kind süße, nicht salzige Lösungen<br />
bevorzugt wird das frühe Füttern erleichtert. In<br />
einer Reihe von Studien konnte gezeigt werden,<br />
dass das Füttern des Säuglings auch geruchsgeleitet<br />
ist. Babys im Alter von einigen Tagen bevorzugen<br />
den Geruch von Stilleinlagen der<br />
eigenen Mutter gegenüber dem Geruch von<br />
nicht verwandten stillenden Frauen (Porter et al.,<br />
1992; Schaal, 1986). Die Autoren kommen zu<br />
dem Schluß, dass der Geruch die Babys anzieht<br />
und ihnen bei der Suche nach der Brust hilft.<br />
Diese Geruchspräferenzen existieren nicht bei<br />
Babys, die mit der Flasche gefüttert werden. Das<br />
lässt annehmen, dass diese Präferenzen auf frühe<br />
Erfahrungen mit dem mütterlichen Geruch zurückzuführen<br />
sind (Balogh & Porter, 1989). Auch<br />
hier handelt es sich um eine komplexe Interaktion<br />
zwischen Vererbung und Erfahung.<br />
Die unterschiedlichen Rezeptoren des taktilen<br />
Systems liegen innerhalb der verschiedenen<br />
Hautschichten. Die Haut ist das größte Sinnesorgan<br />
des Körpers. Sie bedeckt die gesamte Körperoberfläche.<br />
Intrauterin entwickelt sich das<br />
taktile System als erste Sinnesmodalität, bei Geburt<br />
ist diese die bereits am weitesten entwickelte<br />
(Kandel, Schwartz & Jessell, 2000; Royeen<br />
& Lane, 1991). Viele der primitiven aber wichtigen<br />
Annäherungs- oder Vermeidungsreflexe der<br />
Neugeborenen (z.B. kuscheln, ablösen) werden<br />
durch taktile Stimuli hervorgerufen.<br />
Das taktile System hat zwei große Aufgaben:<br />
Schutz und Diskriminierung. Die Schutzfunktion<br />
spielt eine wichtige Rolle beim Überleben und genereller<br />
taktiler Wahrnehmung der Umwelt. Es<br />
wird durch viele unterschiedliche Stimuli angesprochen,<br />
wie beispielsweise Veränderungen der<br />
Hauttemperatur oder sanfter Berührungen. Die<br />
Schutzkomponente des taktilen Systems dient<br />
einer primitiven Funktion, ist jedoch lebenswichtig.<br />
Die größte Aktivität zeigt sie in der Neugeborenenperiode,<br />
und in Zeiten größter<br />
Anspannung und Gefahr. Die Schutzkomponente<br />
des taktilen Systems hängt reziprok mit<br />
dem Erregungszustand und der Berührungsempfindlichkeit<br />
einer Person zusammen. Beispielsweise<br />
kann ein übermüdetes und gereiztes Kind<br />
eine sanfte Berührung als Bedrohung interpretie-<br />
II. Themen 89
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
ren. Ist das Kind hingegen ausgeruht und aufmerksam,<br />
kann die gleiche Berührung als Ausdruck<br />
der Zuneigung oder Verspieltheit<br />
empfunden werden. Eine der wichtigsten Funktionen<br />
der Schutzkomponente ist ihr Beitrag zur<br />
Bindungsentwicklung zwischen Eltern und Kindern<br />
(Stern, 1985). Wenn eine Mutter beispielsweise<br />
ihr Baby beim Spielen oder Füttern berührt<br />
und anfasst, wird sich ihr Kind der Berührung zuwenden<br />
und sie normalerweise als angenehm<br />
empfinden. Hierdurch finden Kind und Mutter<br />
gemeinsam in ein gleichmäßiges und synchrones<br />
Geben und Nehmen. Berührung stellt die Basis<br />
eines positiven emotionalen Klimas dar. Wohingegen<br />
wir in Zeiten von Bedrohung oder Stress<br />
Berührung besonders intensiv wahrnehmen. Beispielsweise<br />
kann eine Berührung in einem überfüllten<br />
Bus am Ende eines stressreichen Tages<br />
besonders unangenehm empfunden werden.<br />
Dieses Konzept der Orientierung hin zu positiver<br />
Berührung und der Abwendung von schmerzhafter<br />
oder verwirrender Berührung stimmt mit<br />
den Ergebnissen von Als (1989) überein. Als<br />
(1989) beobachtete, dass Frühgeborene bereits<br />
deutlich zwischen positiver Berührung (Erkennbar<br />
an der Hinwendung z.B. beim Wickeln oder<br />
Füttern) und dem Vermeiden negativer Berührung<br />
(Erkennbar am Abwenden z.B. bei medizinischen<br />
Prozeduren) unterscheiden.<br />
Eine weitere wichtige Funktion des taktilen Systems<br />
ist die Diskriminierung. Die diskriminierende<br />
Komponente des taktilen Systems entwickelt sich<br />
über die Zeit. Das Kind muss hierzu verschiedenartige<br />
Oberflächen, Konturen und Figuren durch<br />
Berührung erforschen. Wir lernen Diskriminierung<br />
durch die Integration starken Drucks, leichter<br />
Berührung, koordinierter Bewegung und<br />
genauer Lokalisierung der Berührung. Die Fingerspitzen<br />
besitzen die höchste Dichte an diskriminativen<br />
Rezeptoren am menschlichen Körper.<br />
Folglich drücken und bewegen wir ein unbekanntes<br />
Objekt in unserer Hand, um hierdurch<br />
die Diskriminierung zu verbessern und etwas<br />
über die Oberfläche, Form oder Dichte des Objektes<br />
zu erfahren. Die Fähigkeit zur Diskriminierung<br />
ist wichtig um mit unterschiedlichsten<br />
Objekten umzugehen, und sie in adäquater<br />
Weise einzusetzen.<br />
Selbstverständlich sind die Diskriminierung und<br />
Schutzfunktion des taktilen Systems nicht vollständig<br />
voneinander zu trennen. Einige der tak-<br />
II. Themen<br />
tilen Rezeptoren dienen sowohl dem Schutz, als<br />
auch der Diskriminierung. Beispielsweise kann<br />
eine sanfte Berührung Erregung fördern (Schutzantwort)<br />
oder spezifische Informationen über<br />
Oberflächenstruktur einer Feder liefern (diskriminative<br />
Antwort). Dieses Zusammenspiel kann bei<br />
Kindern, die Berührung als unangenehm empfinden<br />
(hier überwiegt die Schutzfunktion des<br />
taktilen Systems) dazu führen, dass ihre Möglichkeiten,<br />
diskriminative Fähigkeiten zu erlangen<br />
durch vermindertes taktiles Explorationsverhalten,<br />
limitiert werden (Williamson & Anzalone,<br />
2001).<br />
Kandel, E.R., Schwartz, J.H. & Jessell, T.M. (2000).<br />
Principles of Neural Science (4th Ed). New Yoek:<br />
McGraw-Hill.<br />
Royeen, C.B. & Lane, S.J. (1991). Tactile processing<br />
and sensory defensiveness. In Fisher, A.G.,<br />
Murray, E.A. & Bundy, A.C. (Eds.), Sensory integration:<br />
Theory and practice (pp. 108-131). Philadelphia:<br />
F.A. Davis Co.<br />
Stern, D.N. (1985). The interpersonal world of<br />
the infant. New York: Basic Books.<br />
Als, H. (1989). Self-regualtion and motor development<br />
in preterm infants. In Lockman, J. &<br />
Hazen, N. (Eds) Action in social context: Perspectives<br />
on early development (pp. 65-97). New<br />
York: Plenum Press.<br />
Williamson, G.G. & Anzalone, M.E, (2001). Sensory<br />
integration and Self-Regulation in Infants<br />
and Toodlers. Washington, DC: ZERO TO THREE:<br />
National center for Infants, Toddlers and Families.<br />
Die Rezeptoren des propriozeptiven Systems liegen<br />
in den Muskeln, Sehnen und Gelenken und<br />
geben Informationen über Bewegung oder die<br />
Stellung des Körpers im Raum. Vereinfacht gesagt<br />
ist Propriozeption der Stellungssinn - ein<br />
kontinuierliches, inneres Bewusstsein über die<br />
Stellung des Körpers. Sitzen wir beispielsweise<br />
auf einem Stuhl, so wissen wir ohne zu gucken,<br />
ob wir zu einer Seite gelehnt oder mittig sitzen,<br />
ob unsere Beine übereinander geschlagen sind,<br />
ob wir uns nach vorne legen oder aufrecht halten,<br />
und ob unser Kopf geneigt ist. Propriozeption<br />
ist auch ein Bewegungssinn - wir sind uns zu<br />
jedem Zeitpunkt bewusst, wann ein Teil unseres
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
Körpers in Bewegung ist und wo er sich befindet.<br />
Insbesondere erhalten wir über die Propriozeption<br />
Informationen über:<br />
î - die Orientierung des Körpers im Raum und<br />
die Beziehung der Körperteile zueinander.<br />
î - das Maß und die zeitliche Koordinierung<br />
von Bewegungen.<br />
î - die eingesetzte Muskelkraft.<br />
î - wie viel und wie schnell sich ein Muskel<br />
verlängert oder verkürzt.<br />
î - die Veränderungen der Winkel an jedem<br />
Gelenk, wenn wir uns bewegen.<br />
Darüber hinaus erhalten wir über die Propriozeption<br />
auch Informationen über die Position<br />
und Bewegungen unserer inneren Organe. Pacinische<br />
Körperchen beispielsweise<br />
sind Rezeptoren<br />
des propriozeptiven Systems<br />
in der Magenschleimhaut.<br />
Werden diese<br />
gedehnt, wenn Speise in<br />
den Magen kommt, so senden<br />
sie Signale zum Nervensystem,<br />
die uns ein<br />
Gefühl der Sättigung melden.<br />
Propriozeption trägt<br />
bei zur Entwicklung eines<br />
Körperschemas - dem internen<br />
Bewusstsein der Körperteile,<br />
in welcher<br />
Beziehung sie zu dem Gesamten<br />
stehen und wie sie sich durch den Raum<br />
bewegen. Propriozeption ist auch zentraler Bestandteil<br />
der motorischen Kontrolle, da sie eine<br />
herausragende Rolle bei der Antizipation und Planung<br />
von Bewegungen spielt. Auch reguliert sie,<br />
wie wir sensorisches Feedback während und<br />
nach einer Bewegung nutzen, um die Genauigkeit<br />
unserer Handlungen zu verbessern und motorische<br />
Fähigkeiten zu entwickeln. Denken wir<br />
beispielsweise an das Hochheben eines Koffers.<br />
Wenn wir glauben, der Koffer ist leer, werden wir<br />
bei der Bewegungsplanung das propriozeptive<br />
Feedback früherer Erfahrungen beim Hochheben<br />
leerer Koffer verwenden. Wir werden eine ausreichende<br />
Anzahl an motorischen Einheiten "rekrutieren",<br />
die uns genug Kraft geben, um einen<br />
leichten Koffer anzuheben. Ist der Koffer tatsächlich<br />
leer, so gelingt unsere geplante Bewe-<br />
gung. Ist der Koffer jedoch voll, war das zur Planung<br />
benutzte propriozeptive Feedback inadäquat,<br />
so wird der Versuch den Koffer anzuheben<br />
scheitern. Diese nicht erfolgreiche Bewegung<br />
muss dann anhand von propriozeptivem und visuellem<br />
Feedback modifiziert werden (Williamson,<br />
G.G. & Anzalone, M.E, (2001)).<br />
Jede Sinnesmodalität - diejenigen, die in Verbindung<br />
zur äußeren Welt stehen und die somatosensorischen<br />
Sinnesmodalitäten - haben<br />
einzigartige Eigenschaften und dienen wichtigen<br />
Funktionen. Während es nützlich ist, jede Sinnesmodalität<br />
einzeln zu besprechen, erfahren wir<br />
unimodale Sinneswahrnehmungen im täglichen<br />
Leben nur selten. Vielmehr begreifen wir durch<br />
die Konvergenz (oder die Integration) der Wahrnehmungen<br />
unterschiedlicher Sinnesmodalitäten<br />
die Bedeutung von Dingen in der Welt und lernen<br />
mit den Anforderungen, die die Umwelt an<br />
uns stellt umzugehen (Lewkowicz & Lickliter,<br />
1994). Die Vorstellung der Konvergenz ist zentraler<br />
Bestandteil der Theorie der Sensorischen Integration<br />
und der daraus abgeleiteten<br />
Interventionsmöglichkeiten. Diese Theorie geht<br />
davon aus, dass der Vorteil der gegenseitigen Beeinflussung<br />
unterschiedlicher Sinnessysteme<br />
dazu genutzt werden kann, Kindern, die bei der<br />
Modulation oder Diskriminierung in irgendeinem<br />
Sinneskanal Schwierigkeiten haben, zu helfen<br />
(Williamson, G.G. & Anzalone, M.E, (2001)).<br />
II. Themen 91
05-08-2008-II._Themen-3_Modul:<strong>Dokumentation</strong> <strong>Grundtvig</strong> 2 25.08.2008 16:42 Seite 92<br />
92<br />
CURRICULUM - TRANSITION - Ausbildung zum/r Übergangsbegleiter/in für frühkindliche Bildungsprozesse - Socrates <strong>Grundtvig</strong> 1.1 Projekt<br />
II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
Williamson, G.G. & Anzalone, M.E, (2001). Sensory<br />
integration and Self-Regulation in Infants<br />
and Toodlers. Washington, DC: ZERO TO THREE:<br />
National center for Infants, Toddlers and Families.<br />
Lewkowicz, D.J. & Lickliter, R. (1994). The development<br />
of intersensory perception: Comparative<br />
perspectives. Hillsdale, N.J.: Erlbaum.<br />
5.3 Motorische Entwicklung<br />
Die motorische Entwicklung beginnt bereits vor<br />
der Geburt. Ab der achten Schwangerschaftswoche<br />
beginnt sich das ungeborene Kind im Mikrokosmos<br />
der flüssigkeitsgefüllten Fruchtblase<br />
zu bewegen. Schon hier lernt es all die Bewegungen<br />
und Funktionen des Körpers, die nach<br />
der Geburt sein Überleben sichern. In der 13.<br />
Schwangerschaftswoche kann es die Hand zum<br />
Mund führen, an ihr saugen, Atembewegungen<br />
machen und Fruchtwasser schlucken. Während<br />
das Kind in den ersten Monaten im Mutterleib<br />
noch über viel Raum zum Strampeln verfügt,<br />
wird die Bewegungsfreiheit mit zunehmendem<br />
Wachstum immer mehr eingeschränkt. Ab dem<br />
5. Schwangerschaftsmonat kann die Mutter<br />
daher Bewegungen des Fötus wahrnehmen, im<br />
weiteren Verlauf der Schwangerschaft werden<br />
diese zunehmend intensiver. Die Geburt beendet<br />
die engen Raumverhältnisse, jedoch wird es dadurch<br />
für das Kind nicht unbedingt leichter. Jetzt<br />
muss es sich mit der Erdanziehungskraft auseinander<br />
setzen. Auch verfügt das Neugeborene<br />
über verschiedene Reflexe, von denen beispielsweise<br />
einige für das Überleben des Neugeborenen<br />
notwendig sind (hierzu zählen z.B. der<br />
Saugreflex, der Inspirationsreflex und der<br />
Schluckreflex). Insgesamt gelingt diese Anpassung<br />
spielerisch, durch ständiges Probieren und<br />
mit der Zeit immer bewusster.<br />
In der frühen Kindheit entwickeln sich - nach Abschluss<br />
der notwendigen Reifung des Nervenund<br />
Muskelsystems - die elementaren motorischen<br />
Fertigkeiten. Diese umfassen Sitzen, Krabbeln,<br />
Stehen und Laufen, aber auch das Greifen<br />
(Krombholz, 1999). Diese elementaren Grundfertigkeiten<br />
sind bei allen Kindern zu beobachten,<br />
wobei jedoch erhebliche interindividuelle<br />
Unterschiede im Zeitpunkt des Auftretens und in<br />
der gezeigten Qualität der Bewegungen bestehen.<br />
Die motorische Entwicklung folgt überwiegend<br />
inneren Gesetzmäßigkeiten und braucht<br />
II. Themen<br />
kein Vorbild. Aus diesem Grund sind Altersangaben<br />
für das Auftreten dieser motorischen Fähigkeiten<br />
nicht unproblematisch. Die Reihenfolge,<br />
in der die elementaren Grundfertigkeiten normalerweise<br />
auftreten, ist hierbei normalerweise<br />
gleich, jedoch variiert die Geschwindigkeit, in der<br />
die einzelnen Entwicklungsschritte stattfinden,<br />
erheblich. Auch können einzelne Entwicklungsschritte<br />
übersprungen werden (beispielsweise<br />
krabbeln einige Kinder angeblich nie). Das Entwicklungstempo<br />
der motorischen Fähigkeiten<br />
muss nicht mit dem auf anderen Gebieten gekoppelt<br />
sein. Beispielsweise verfügen motorisch<br />
bedächtigere Kinder oft bereits schon über einen<br />
erstaunlichen Wortschatz, während sich andere<br />
vorerst ganz auf das Laufen lernen konzentrieren<br />
und nur wenig Aufmerksamkeit für ihren aktiven<br />
Wortschatz übrig haben.<br />
Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Entwicklung<br />
der elementaren motorischen Fähigkeiten<br />
populations- und zeitabhängig abläuft.<br />
Beispielsweise zeigen afrikanische Kinder gegenüber<br />
europäischen und nordamerikanischen Kindern<br />
einen Entwicklungsvorsprung.<br />
Im Vorschulalter erfolgt eine zunehmende Vervollkommnung<br />
der elementaren motorischen<br />
Fertigkeiten. Zugleich werden diese Fertigkeiten<br />
modifiziert und neue entwickelt. Die Fähigkeit<br />
zur selbständigen Fortbewegung verbessert sich<br />
rasch, die Bewegungen werden sicherer und geschmeidiger.<br />
Im weiteren Verlauf der Entwicklung<br />
zeigen sich die Grundformen sportlicher Motorik,<br />
wie Laufen oder Rennen, Klettern, Springen,<br />
Balancieren, Fangen und Werfen. Auch die sport-
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CURRICULUM - TRANSITION - Ausbildung zum/r Übergangsbegleiter/in für frühkindliche Bildungsprozesse - Socrates <strong>Grundtvig</strong> 1.1 Projekt<br />
II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
lichen Grundformen werden weiter verfeinert,<br />
werden sicherer und flüssiger. Schließlich treten<br />
zu den Grundformen neue spezifische Fertigkeiten,<br />
wie Rollschuh laufen, Turn- und Geschicklichkeitsübungen,<br />
Schwimmen und Rad fahren<br />
hinzu (Krombholz, 1985).<br />
Kromholz, H.: Motorik im Vorschulalter. Ein<br />
Überblick. In: Motorik, 1985, 8, 83.96.<br />
Kromholz, H.: Körperliche, sensorische und motorische<br />
Entwicklung im 1. und 2. Lebensjahr. In:<br />
Deutscher Familienverband (Hrsg): Handbuch Elternbildung.<br />
Band1: Wenn aus Partnern Eltern<br />
werden. Opladen: Leske und Budrich, 1999, S.<br />
533-557.<br />
Meilensteine der motorischen Entwicklung:<br />
î 1-3 Monate :<br />
Das Kind reagiert auf Stimmen / Namen<br />
î 1-4 Monate :<br />
Das Kind lächelt andere Menschen an<br />
î 2-6 Monate :<br />
Das Kind kann seinen Kopf selbstständig<br />
halten<br />
î 5-10 Monate :<br />
Der kleine "Zwerg" sitzt jetzt meist ohne<br />
Hilfe<br />
î 9-14 Monate :<br />
Stehen will gelernt sein und gelingt ohne<br />
Fremdhilfe (wohl aber mit Festhalten)<br />
î 10-20 Monate:<br />
Laufen gelingt jetzt<br />
î 16-30 Monate:<br />
Sprechen von kurzen Sätzen (2-3 Wörter)<br />
î 2-3 Jahre :<br />
Selbstständiges Essen und Trinken<br />
î 2-3 Jahre :<br />
Kann seinen eigenen Namen nennen<br />
î 3-4 Jahre :<br />
Selbstständige Toilettenbenutzung ("trocken")<br />
6. Geistige Entwicklung<br />
6.1 Lernen<br />
Aus den Aktionen anderer zu lernen bietet sich<br />
an. Handlungen zu imitieren bedeutet einen weiteren<br />
Erfahrungsschritt nach vorn. Etwa ab dem<br />
7. bis 8. Lebensmonat beobachten Kinder intensiv<br />
die Tätigkeiten Erwachsener und versuchen es<br />
ihnen gleichzutun. Sie wissen bereits, was sie erreichen<br />
möchten und wie sie dabei vorgehen<br />
werden. Dies bezeichnet man als handlungsvorbereitende<br />
Vorstellungskraft (Imagination). Beispielsweise<br />
folgen die Augen des Kindes zuerst<br />
den mütterlichen Tätigkeiten. Bald darauf eilen<br />
die Augen des Kindes den mütterlichen Handlungen<br />
voraus. Das Kind ahnt also schon wie der<br />
nächste Schritt der Mutter aussehen wird. Manche<br />
Kinder „ durchlaufen“ den Gesamtvorgang<br />
nochmals allein mit den Augen, bevor sie dann<br />
die Handlung selbst ausführen. Bei komplizierten<br />
Abläufen kann die Mutter das Kind unterstützen,<br />
indem sie ihre Tätigkeiten benennt und kommentiert.<br />
Dieses Anlernen des Kindes ohne es sofort<br />
zum Aktiv werden und Mitmachen<br />
aufzufordern nennt man scaffolding ( Gerüst<br />
bauen). Traut sich das Kind eine Tätigkeit selber<br />
zu , ist ein nächster Entwicklungsschritt getan.<br />
Bereits 6 bis 7 Monate alte Säuglinge bringen<br />
Ordnung in die Vielzahl ihrer Eindrücke, indem<br />
sie sich beispielsweise an Dinge erinnern und<br />
deren Eigenschaften vergleichen. Mit raffinierten<br />
Experimenten konnte gezeigt werden, dass<br />
Babys Dinge anhand einzelnen Eigenschaften in<br />
Kategorien zusammenfassen und so Erfahrungen<br />
mit einem Gegenstand auf andere noch unbekannte<br />
Objekte übertragen können (Pauen,S.<br />
2003). In diesen Experimenten zeigte sich, dass<br />
II. Themen 93
05-08-2008-II._Themen-3_Modul:<strong>Dokumentation</strong> <strong>Grundtvig</strong> 2 25.08.2008 16:42 Seite 94<br />
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
beispielsweise zwischen den Kategorien „ belebt“<br />
und „unbelebt“ unterschieden wird.<br />
Vermutlich reagiert ein Kind auf Lebewesen interessierter<br />
und aufmerksamer als auf leblose Gegenstände<br />
aus evolutionären Gründen. Die<br />
Aufmerksamkeit für sich Bewegendes war schon<br />
früh in der Stammesgeschichte eine Anpassungsleistung<br />
von hohem Überlebenswert: Alles<br />
was sich bewegt kann für ein hilfloses Baby entweder<br />
Gefahr oder Fürsorge bedeuten. Man<br />
geht davon aus, dass angeborene Wahrnehmungsschemata<br />
die sicher Unterscheidbarkeit<br />
unterstützen. Bereits die Blicke neugeborener<br />
werden von allem, was sich bewegt, angezogen.<br />
Mit 3 bis 4 Monaten schauen Säuglinge dorthin,<br />
wo ein bewegliches Objekt gerade ruht und anschließend<br />
dorthin, wo es sich im nächsten Moment<br />
wahrscheinlich befinden wird. Sehen die<br />
Kinder, wie ein Tier und ein Ball nach dem Umeinanderrollen<br />
reglos in verschiedenen Ecken liegen,<br />
blicken die Babys gespannt auf das Tier, weil<br />
sie von ihm erwarten, dass es sich gleich wieder<br />
bewegen wird. Dies bedeutet, dass Kinder bereits<br />
in diesem Alter nicht nur die äußeren Eigenschaften<br />
sondern auch das typische<br />
Bewegungsverhalten von Lebewesen und unbelebten<br />
Gegenständen erfassen. Somit widerlegte<br />
die moderne Forschung die Vorstellung von Piaget,<br />
nach der Säuglinge nicht in der Lage sind<br />
Gegenstände von Lebewesen zu unterscheiden.<br />
Im Alter von 7 bis 9 Monaten können Kinder<br />
Tiere von Gegenständen unterscheiden, mit 9 bis<br />
11 Monaten Tiere von Menschen (Bensel und<br />
Haug-Schnabel, 2004).<br />
6.2 Kognition<br />
Jean Piaget prägte maßgeblich die kognitive Entwicklungspsychologie.<br />
Seine Lehre vom Konstruktivismus<br />
ist heute noch so aktuell wie zu<br />
seiner Zeit. Diese Lehre besagt, dass das Kind<br />
seine Welt, sein Denken und Wissen selbst konstruiert<br />
und sich dabei die Umwelt aktiv aneignet.<br />
Die moderne Säuglings – und<br />
Kindheitsforschung korrigierte und differenzierte<br />
jedoch einige seiner Entwicklungssvorstellungen.<br />
Beispielsweise ging Piaget davon aus, dass Aufgaben,<br />
die alle die gleiche logische Struktur<br />
haben, unabhängig davon, welchen Bereich sie<br />
betreffen, von Kindern einer bestimmten Entwicklungsstufe<br />
gleichermaßen gelöst werden<br />
können. Die Kinder entwickeln laut Piaget über-<br />
II. Themen<br />
greifende Hypothesen, die sie dann auf einzelne<br />
Aufgaben anwenden können. Dies ist jedoch<br />
nicht der Fall. Zwar erfordert das Lösen bestimmter<br />
Aufgaben aus verschiedenen Bereichen<br />
die gleiche Logik, die Kinder sind jedoch nicht in<br />
der Lage, dies zeitgleich für alle Bereiche zu generalisieren.<br />
Dieses hypothetisch-deduktive Denken<br />
wird überschätzt. Auch Erwachsene<br />
benutzen keineswegs immer diese Logik, wenn<br />
sie vor Problemen stehen.<br />
Piagets Theorie der bereichsübergreifenden, starren<br />
Entwicklungsstufen, die mit einem bestimmten<br />
Alter erreicht werden wurde durch die<br />
Theorie des bereichsspezifischen Wissenserwerbs<br />
abgelöst. In zahlreichen Experimenten konnte gezeigt<br />
werden, dass Kinder in den verschiedensten<br />
Entwicklungsbereichen bereits sehr früh über<br />
ein Teilwissen verfügen, das es ihnen bereits sehr<br />
viel früher ermöglicht, bestimmte Aufgaben zu<br />
lösen, als dies nach Piaget möglich wäre. Es<br />
zeigte sich, dass einige Kompetenzen in verschiedenen<br />
Bereichen bereits angeboren sind<br />
und somit bereits dem Säugling zur Verfügung<br />
stehen. Beispielsweise betrachten Säuglinge<br />
einen Gegenstand länger, wenn ihnen so genannte<br />
unmögliche Ereignisse präsentiert werden.<br />
Unter unmöglichen Ereignissen versteht<br />
man hierbei Ereignisse, die dem intuitiven physikalischen<br />
Wissen des Säuglings widersprechen<br />
(z.B. Kenntnis der Schwerkraft: Dinge fallen nach<br />
unten). Die Experimente von Piaget wurden variiert<br />
und differenziert. Zudem bot man den Kindern<br />
die Möglichkeit, ihr bereichsspezifisches<br />
Wissen einzusetzen. Daraufhin mussten viele Altersangaben<br />
für bestimmte Leistungen, die Piaget<br />
aufgestellt hat, nach unten korrigiert werden.<br />
Dies soll im Folgenden anhand eines Beispiels verdeutlicht<br />
werden:<br />
Versuch zur Mengeninvarianz<br />
Füllen Sie zwei gleiche Gefäße A und B mit<br />
der gleichen Menge einer farbigen Flüssigkeit.<br />
Lassen Sie vier- bis fünfjährige Kinder konstatieren,<br />
daß in A und B gleich viel "Saft" sei.<br />
Sie gießen nun den Inhalt von B in ein schmaleres<br />
Gefäß B' (vgl. Abb. 11.2) und fragen das<br />
Kind, ob B' mehr, weniger oder gleich viel Saft<br />
enthalte wie A.
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
Die überwiegende Mehrzahl der Kinder wird<br />
behaupten, es sei nicht gleich viel. Viele werden<br />
sagen, es sei mehr Saft in B', weil das Niveau<br />
hier höher ist. Manche werden sagen, es<br />
sei weniger, weil das Gefäß schmaler ist. Die<br />
Flüssigkeitsmenge wird also nicht als invariant<br />
oder konstant bei Formveränderung gesehen.<br />
Nach Piagets Beobachtungen können erst sechsbis<br />
siebenjährige Kinder richtig antworten. Er<br />
ging davon aus, dass sich erst in diesem Alter die<br />
„Konstanz der Anzahl“ (Mengeninvarianz) als<br />
unabhängige Denkkategorie ausbildet. Nachfolgeexperimente<br />
zeigten jedoch, dass bereits<br />
vierjährige Vorschulkinder bei entsprechenden<br />
Flüssigkeitsvergleichen schnell stutzig werden.<br />
Haben sie die Möglichkeit, die Umschüttung in<br />
die verschiedenen Gläser selbst vorzunehmen, so<br />
kommen sie durch Nachdenken zur richtigen Lösung<br />
(Bensel, J. & Haug-Schnabel, G., 2004).<br />
Einige kognitive Fertigkeiten der Vorschuljahre:<br />
Ungefähres Alter: 2-4 Jahre<br />
Kognitive Fertigkeiten:<br />
Zeigt einen dramatischen Anstieg in repräsentierender<br />
Aktivität, wie es in der<br />
Sprachentwicklung, dem Als-ob-Spiel<br />
und der Kategorisierung gespiegelt wird.<br />
Nimmt in vereinfachten, vertrauten Situationen<br />
und in der Kommunikation<br />
von Angesicht zu Angesicht die Perspektive<br />
anderer ein.<br />
Unterscheidet belebte Wesen von unbelebten<br />
Gegenständen: leugnet, dass Zauberei<br />
die alltäglichen Erfahrungen verändern<br />
kann.<br />
Bemerkt Transformationen, nimmt Umkehrprozesse<br />
im Denken vor und erklärt<br />
Ereignisse im vertrauten Kontext auf eine<br />
logische Weise.<br />
Kategorisiert Gegenstände auf der<br />
Grundlage der gebräuchlichen Funktion<br />
und des Verhaltens (nicht nur nach wahrgenommenen<br />
Merkmalen) und entwickelt<br />
Ideen über zugrunde liegende<br />
Merkmale, die einzelne Einheiten (Begriffe)<br />
von Kategorien gemeinsam haben.<br />
Ordnet vertraute Gegenstände in hierarchisch<br />
organisierte Kategorien.<br />
Ungefähres Alter: 4 – 7 Jahre<br />
Kognitive Fertigkeiten:<br />
Er wird ihm zunehmend bewusst, dass<br />
Als-ob (und andere Denkprozesse) repräsentierende<br />
Aktivitäten sind.<br />
Ersetzt magische annahmen über Feen,<br />
Zwerge und Ereignisse, die die Erwartungen<br />
verletzen, mit plausiblen Erklärungen.<br />
Zeigt verbesserte Fähigkeiten, zwischen<br />
Erscheinen und Wirklichkeit zu unterscheiden.<br />
Bensel, J. Und Haug-Schnabel, G.: Vom Säugling<br />
zum Schulkind. Entwicklungspsychologische<br />
Grundlagen. Herder GmbH, 2004.<br />
6.3 Informationsverarbeitung , Gedächtnis<br />
Informationsverarbeitung beinhaltet den Einsatz<br />
mentaler Strategien, die Kinder verwenden, um<br />
Eindrücke zu transformieren. Fortschritte in der<br />
frühen Kindheit bezüglich der Repräsentation<br />
und der Fähigkeit der Kinder, ihr eigenes Verhalten<br />
zu leiten, wirken sich positiv auf die Aufmerksamkeit,<br />
den Umgang mit Informationen<br />
und das Problemösen aus. Indem Vorschulkinder<br />
sich ihres eigenen mentalen Lebens bewusster<br />
werden fangen sie an, schulisch relevantes Wissen<br />
zu erwerben, eine Voraussetzung für ihren<br />
Erfolg in der Schule.<br />
Kinder im Vorschulalter verbringen nur relativ<br />
kurze Zeit mit Aufgaben und lassen sich leicht<br />
ablenken. Die Fähigkeit zur andauernden Aufmerksamkeit<br />
nimmt jedoch im Kleinkindalter<br />
nach und nach zu.<br />
Darüber hinaus entwickelt sich in der frühen<br />
Kindheit die Fähigkeit zu Planen. Unter Planen<br />
versteht man das vorausgenommene Probehandeln<br />
einer Abfolge von Handlungen und den<br />
entsprechenden Einsatz der kindlichen Aufmerksamkeit,<br />
um ein Ziel zu erreichen. Sind die Aufgaben<br />
vertraut und nicht zu komplex, so sind<br />
bereits Vorschulkinder in der Lage, zu verallgemeinern<br />
und einem Plan zu folgen. Beispielsweise<br />
suchen sie einen verlorenen Gegenstand<br />
auf dem Spielplatz bis zur Erschöpfung (Wellmann<br />
et al., 1979). Fordert man Vorschulkinder<br />
II. Themen 95
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
jedoch auf, Bilder mit vielen Details miteinander<br />
zu vergleichen, können sie nicht genau suchen.<br />
Bei komplexen Aufgaben sind sie nicht in der<br />
Lage, die erforderlichen Handlungsschritte in eine<br />
sinnvolle Reihenfolge bringen, oder vergessen<br />
wichtige Schritte (Friedmann & Scholnick, 1997;<br />
Ruff & Rothbart, 1996).<br />
Im Vorschulalter haben Kinder die sprachlichen<br />
Voraussetzungen, um Dinge, an die sie sich erinnern<br />
zu beschreiben. Auch können sie Anweisungen<br />
über einfache Gedächtnisaufgaben<br />
folgen.<br />
Vorschulkinder haben ein gutes Wiedererkennungs-Gedächtnis.<br />
Zeigt man einem Kleinkind<br />
beispielsweise einen Satz von zehn Bildern oder<br />
Spielzeugen, vermischt man diese mit einigen unbekannten<br />
Gegenständen und fordert dann das<br />
Kind auf, die vorher gesehenen Bilder oder Gegenstände<br />
zu zeigen, so wird es hierbei bereits<br />
gute Leistungen zeigen. Im Alter von vier bis fünf<br />
Jahren gelingt die Lösung dieser Aufgabe meist<br />
fehlerfrei.<br />
Nimmt man die Gegenstände jedoch aus dem<br />
Gesichtsfeld des Kindes und fordert es auf, die<br />
Namen der Gegenstände zu sagen, die es gesehen<br />
hat, so wird es eine weitaus weniger gute<br />
Leistung zeigen. Beim Lösen dieser Aufgabe<br />
muss das Kind die Dinge erinnern, d.h. ein mentales<br />
Bild des abwesenden Gegenstandes wieder<br />
abrufen. Im Alter von zwei Jahren können Kinder<br />
sich nur an einen oder zwei Gegenstände erinnern,<br />
mit vier Jahren werden drei oder vier<br />
Gegenstände erinnert (Perlmutter, 1984).<br />
Auch für Erwachsene ist das Wiedererkennen viel<br />
einfacher als das Erinnern. Im Vergleich zu Erwachsenen<br />
ist die Fähigkeit der Wiedererkennung<br />
der Kinder jedoch ziemlich mangelhaft. Das<br />
liegt daran, dass Kleinkinder noch nicht in der<br />
Lage sind, Gedächtnisstrategien effektiv anzuwenden.<br />
Gedächtnisstrategien sind mentale Aktivitäten,<br />
die die Chancen des Erinnerns<br />
verbessern (beispielsweise das Organisieren von<br />
Gedächtnisbestandteilen in Gruppen etc.). Anfänge<br />
des Einsatzes von Gedächtnisstrategien<br />
zeigen jedoch bereits Vorschulkinder. DeLoache<br />
& Todd (1988) führten eine Studie durch, bei der<br />
ein Erwachsener entweder eine Schokolinse oder<br />
II. Themen<br />
einen hölzernen Nagel in je einen von Zwölf identischen<br />
Behältern legte und einen nach dem anderen<br />
an die Kinder übergab, mit der<br />
Aufforderung, sich zu erinnern, wo die Süßigkeit<br />
versteckt war. Die Kinder im Alter von etwa vier<br />
Jahren stellten die Behälter mit den Süßigkeiten<br />
an einen Platz, die mit den Nägeln an einen anderen.<br />
Mithilfe dieser Strategie gelangten die<br />
Kinder fast immer zum richtigen Ergebnis. Dennoch<br />
wenden Vorschulkinder selbst wenn sie trainiert<br />
werden Gedächtnisstrategien nicht in neuen<br />
Situationen an und ihre Gedächtnisleistungen<br />
verbessern sich selten (Gathercole et al., 1994;<br />
Miller & Seier, 1994). Ein Grund hierfür liegt<br />
darin, dass die Strategien das begrenzte Arbeitsgedächtnis<br />
kleiner Kinder überlasten (Bjorklund<br />
& Coyle, 1995). Die Konzentration auf die zu lernende<br />
Information und das gleichzeitige Anwenden<br />
einer Strategie stellt für Vorschulkinder<br />
noch eine Überforderung dar.<br />
Bis zum Schulalter verwenden die Kinder einige<br />
einfache Strategien, wie z.B. Wiederholungsstrategien.<br />
Bei der Wiederholungsstrategie werden<br />
die zu erinnernden Gedächtnisinhalte bis zu<br />
ihrem Abruf Vor-sich-her-gesagt. Im Schulalter<br />
beginnen die Kinder, Gruppierungen der Inhalte<br />
vorzunehmen. Hasselhorn (1995) stellte fest,<br />
dass Kinder, denen Gedächtnisstrategien beigebracht<br />
werden, diese nicht verwenden, bevor sie<br />
nicht auch spontan erscheinen würden.<br />
Vertraute Ereignisse<br />
Vertraute, sich wiederholende Ereignisse können<br />
auch von Vorschulkindern bereits gut erinnert<br />
werden. Hierunter fällt zum Beispiel die Beschreibung<br />
der Abläufe im Kindergarten oder<br />
beim Abendessen. Die Erinnerung geschieht in<br />
Form von Skripten, d.h. Allgemeinen Beschreibungen<br />
dessen, was passiert und wann es passiert.<br />
Beispielsweise beschreibt ein Dreijähriger<br />
einen Restaurantbesuch folgendermassen: „Man<br />
geht hinein, bekommt das Essen, isst, und bezahlt<br />
dann.“ Die ersten Skripte der Kinder enthalten<br />
nur ein paar Handlungen. Diese<br />
Handlungen werden jedoch meist in der richtigen<br />
Reihenfolge erinnert (Bauer, 1997). Mit zunehmendem<br />
Alter werden die Skripte<br />
ausgefeilter.
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3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
Bereits gebildete Skripte können benutzt werden,<br />
um vorherzusagen, was passieren wird. Somit ermöglichen<br />
sie es den Kindern, sich wiederholende<br />
Ereignisse zu organisieren, zu<br />
interpretieren, Geschichten zu zu hören oder<br />
selbst zu erzählen. Auch werden Skripte in Alsob-Spielen<br />
eingebaut (beispielsweise, wenn sie<br />
vorgeben auf eine Reise zu gehen) und unterstützen<br />
die Fähigkeiten der Kinder zu planen, da<br />
sie Abfolgen von Handlungen repräsentieren, die<br />
zu einem erwünschten Ziel führen (Hudson et al.,<br />
1997).<br />
Unter dem Begriffe des autobiographischen Gedächtnisses<br />
versteht man die Repräsentationen<br />
persönlich bedeutsamer einmaliger Ereignisse.<br />
Mit der Verbesserung der kognitiven und kommunikativen<br />
Fähigkeiten der Vorschulkinder verbessern<br />
sich auch ihre Beschreibungen<br />
besonderer Ereignisse. Die Beschreibungen werden<br />
detaillierter, organisierter und die Kinder setzen<br />
sie in Beziehung zu größeren Kontexten ihres<br />
Lebens (Haden et al., 1997).<br />
6.4 Sprachentwicklung<br />
Die Fähigkeit, Sprachlaute zu produzieren, erfordert<br />
eine genaue Koordination zahlreicher Muskeln,<br />
die Lippen und Zunge steuern. Ab dem<br />
Alter von 6 bis 7 Monaten üben die Kinder spielerisch<br />
Sprachlaute. In verschiedensten Sprachkulturen<br />
produzieren Kinder in dieser sog.<br />
Lallphase dieselben Laute. Bereits zu diesem Zeitpunkt<br />
ist das Sprachverarbeitungszentrum sehr<br />
aktiv. Aus allem, was das Kind hört werden die<br />
für die Muttersprache relevanten lautlichen Charakteristika<br />
herausgefiltert und identifiziert. Zu<br />
Beginn der Lallphase experimentiert das Kind.<br />
Gegen Ende des ersten Lebensjahres beschränkt<br />
es sich mehr und mehr auf die Lalllaute, die in<br />
der jeweiligen Muttersprache tatsächlich vorkommen.<br />
Besondere Aufmerksamkeit hat der Säugling für<br />
das Gesicht der Mutter. Es vermittelt ihm Emotionen,<br />
die mit Sprachlauten verbunden sind. Beispielsweise<br />
bereiten mütterliche Mimik und<br />
akustische Wahrnehmungen den Säugling auf<br />
den Spracherwerb vor. Dahingegen kann ein<br />
Fernsehsprecher – und spricht er auch noch so<br />
perfekt – einen Säugling nicht auf das Sprechen<br />
vorbereiten. Das Kind schenkt dem Sprecher<br />
keine Beachtung. Eine gemeinsame Gefühlsbe-<br />
ziehung ist Voraussetzung dafür, dass der Säugling<br />
den Sprechenden beachtet (Bensel und<br />
Haug-Schnabel, 2004).<br />
Die Sprache ist zentral für das menschliche<br />
Leben, sie dient dem Ausdruck von Intentionen,<br />
Wünschen und Abneigungen. Sie ermöglicht die<br />
Kommunikation mit anderen Menschen. Sie<br />
steht in enger Beziehung zu kognitiven und sozialen<br />
Fähigkeiten. Viele Fortschritte des Denkens<br />
werden erst durch die Sprache ermöglicht. Die<br />
Sprache spielt weiterhin eine essentielle Rolle für<br />
den Erwerb kultureller Formen und kulturellen<br />
Wissens. Die sich entwickelnde Sprache verändert<br />
die Kognition in bedeutsamen Hinsichten<br />
und eröffnet ein Wissenspotential, das ohne die<br />
Sprache überhaupt nicht zugänglich wäre.<br />
Die Entwicklung der Sprache verläuft also nicht<br />
getrennt von der Entwicklung anderer Fähigkeiten<br />
und Leistungsbereiche. Das sprachliche Wissen<br />
entsteht vielmehr in enger Beziehung zu<br />
kognitiven und sozialen Fähigkeiten, sowie zur<br />
Verhaltensregulation. Die Störungen der sprachlichen<br />
Kompetenz verweisen entsprechend<br />
immer auch auf Störungen in diesen nicht<br />
sprachlichen Bereichen.<br />
Die prosodische Kompetenz ist über das Erkennen<br />
und die Produktion der Rhythmik von<br />
Spracheinheiten definiert, an der Tonhöhe, Lautheit,<br />
Länge der Sprachlaute, sowie die Pausengebung<br />
beteiligt sind. Schon sehr früh ist es<br />
Kindern möglich, prosodische Merkmale zu erkennen.<br />
Schon vor der Geburt reagiert der Fötus auf<br />
sprachliche Reize. Föten im Gestationsalter zwischen<br />
28. und36. SSW reagieren auf sprachliche<br />
Reize mit einem sehr kräftigen Augenzwinkern<br />
(Birnholz und Benacerrat 1983). Locke (1993)<br />
stellt fest, dass die Föten besonders auf solche<br />
Laute reagieren, deren Frequenzbereich den intensiveren<br />
Lauten der mütterlichen Stimme entspricht.<br />
Es zeigt sich, dass die Säuglinge nach der<br />
Geburt eine ganz klare Präferenz für die mütterliche<br />
Stimme zeigen.<br />
Drei Bereiche solcher Vorausläuferfähigkeiten:<br />
II. Themen 97
05-08-2008-II._Themen-3_Modul:<strong>Dokumentation</strong> <strong>Grundtvig</strong> 2 25.08.2008 16:42 Seite 98<br />
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
î a) die soziale Kognition<br />
î b) die Wahrnehmung<br />
î c) die Kognition<br />
Dies sind zunächst generelle Fähigkeiten der<br />
Wahrnehmung und der Kognition. Säuglinge<br />
sind also von Beginn an mit generellen Fähigkeiten<br />
genetisch ausgestattet, um überhaupt Dinge<br />
in der Welt lernen zu können. Hierzu gehören Fähigkeiten,<br />
die Aufmerksamkeit auf Objekte und<br />
Ereignisse zu richten, diese voneinander zu unterscheiden<br />
und die Unterschiede im Gedächtnis<br />
zu behalten. Säuglinge verarbeiten von Beginn<br />
an aktiv Informationen und suchen Regularitäten.<br />
Im Erlernen der Sprache werden diese in spezifischer<br />
Weise als sprachrelevante Operationen<br />
wirksam.<br />
Zusammenwirken dieser schrittweisen Operationen<br />
ermöglicht dann dem Kind erste Wörter zu<br />
produzieren und so sich schließlich Sprache anzueignen.<br />
Das Ergebnis ist schließlich eigenständiges<br />
Sprachmodul, das dann eine<br />
Komponentenstruktur aufweist (siehe Tabelle<br />
S.15).<br />
Das Sprachmodul ist also das Ergebnis eines Lernprozesses,<br />
der auf dem Zusammenwirken von<br />
Vorausläuferfähigkeiten beruht.<br />
Diese Sichtweise hat bedeutsame praktische<br />
Konsequenzen für die Diagnose und Intervention,<br />
da frühzeitige Störungen von Vorausläuferfähigkeiten<br />
als Hinweise interpretiert werden<br />
können, dass Störungen bei der Sprachentwicklung<br />
zu erwarten sind. So sind Kinder, die im<br />
Alter von 12 – 15 Monaten nur wenige Gesten<br />
verwenden, in ihrem späteren Wortschatzerwerb<br />
deutlich verzögert.<br />
Die Aufmerksamkeit des Säuglings ist besonders<br />
auf das Gesicht der Mutter gerichtet. Hier liegt<br />
eine Dynamik, wobei Gesichtsausdruck und<br />
stimmlicher Ausdruck eine affektive Einheit bilden.<br />
Die Mutter schaut den Säugling an, lächelt<br />
und spricht zu ihm mit zärtlicher und prosodisch<br />
stark modulierter Stimme. Das Kind reagiert<br />
schon am 2. Lebenstag auf diese affektive Mitteilung.<br />
Für Locke (1993, 1994) ist dieser frühe<br />
Mutter-Kind-Dialog die erste kritische Phase der<br />
Sprachentwicklung. Innerhalb der letzten Gestationsmonate<br />
bis zum 6. Lebensmonat steht der<br />
II. Themen<br />
Säugling unter prosodischer Kontrolle und lernt<br />
seine Vokalisation auf die mütterliche Stimme abzustimmen.<br />
Auch in der 2. Phase, die einen Zeitraum<br />
von etwa 14 Monaten umfasst, ahmt der<br />
Säugling soziale Gesten nach und beteiligt sich<br />
zunehmend aktiv an Spielen, die die Mutter inszeniert.<br />
Als besonders wichtig für den Spracherwerb<br />
hat sich die Herstellung eines<br />
gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus (Fokus of<br />
attention) erwiesen. Dem Säugling wird im Rahmen<br />
einer Spielroutine die Sprache durch die<br />
wiederholte Zentrierung der Aufmerksamkeit<br />
nahe gebracht. (siehe Bruner 1975). In dieser frühen<br />
primär-affektiven sozialen Phase arbeitet das<br />
Kind schon sehr aktiv an der Sprache, es hat offensichtlich<br />
eine starke Motivation mit der Mutter<br />
und anderen wichtigen Personen zu<br />
kommunizieren. Der Säugling verbringt also täglich<br />
Stunden damit, auf die Sprache zu achten,<br />
sowie Lautverbindungen zu imitieren. Er setzt<br />
dies als Instrument für den sozialen Austausch<br />
ein. So kann geschlossen werden, dass er die Beziehung<br />
zwischen Laut und Bedeutung verstanden<br />
hat.<br />
Ein kritischer Stellenwert der sozial-kognitiven<br />
Vorausläuferfähigkeiten, nämlich der Imitation,<br />
der Aufmerksamkeitszentrierung und der Verwendung<br />
von Gesten kommt für die Sprachentwicklung<br />
zu: (Locke 1994) . Je häufiger Mütter<br />
gemeinsam mit ihren Kleinkindern Episoden der<br />
geteilten Aufmerksamkeit des Typs „ Sieh her –<br />
das ist“ herstellen, desto größer ist der produktive<br />
Wortschatz der Kinder im Alter von 21 Monaten.<br />
Natürlich belegen auch Defizite die zentrale Bedeutung<br />
der sozialen kognitiven Vorausläuferfähigkeiten:<br />
Wenn Kinder zwischen 18 und 34<br />
Monaten eine Sprachentwicklungsverzögerung<br />
aufweisen, zeigen sie auch eine Verzögerung bei<br />
sozial orientierten Verhaltensweisen, wie beispielsweise<br />
im Nachahmen von motorischen<br />
Spielroutinen.<br />
Außerordentliche Sprachwahrnehmungsfähigkeiten<br />
sind schon bei sehr jungen Säuglingen vorhanden<br />
(Kuhl 1991). Sie nehmen von Geburt an<br />
innerhalb der ersten Lebenswoche alle in der<br />
Sprache benutzten Kontraste wahr.
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
Trehup und Trainor 1990 haben vier Regeln formuliert,<br />
denen die Säuglinge folgen:<br />
Regel 1: Von Beginn an unterscheiden Säuglinge<br />
sprachliche von nicht sprachlichen Lauten.<br />
Regel 2: Säuglinge zeigen schon kurz nach der<br />
Geburt eine Präferenz für die mütterliche<br />
Stimme. Auch eine Präferenz für die Muttersprache.<br />
Vier Tage alte Säuglinge können prosodische<br />
Merkmale nutzen, um die Muttersprache von der<br />
Fremdsprache zu unterscheiden.<br />
Als Untersuchungsmethode wird das Habituierungsexperiment<br />
eingesetzt.<br />
Gewählt wird dann oft die Saugrate zu Messung.<br />
Begriffe sind Habituierung und Dishabituierung.<br />
Es konnte gezeigt werden, dass Säuglinge die<br />
Muttersprache allein wegen ihrer besonderen<br />
Prosodierung vorziehen. Säuglinge diskriminieren<br />
nicht zwischen Fremdsprachen. Die Diskriminierungsleistung<br />
beruht auf einer größeren<br />
Vertrautheit mit der Muttersprache.<br />
Die vorgeburtlichen Erfahrungen mit der mütterlichen<br />
Sprache zeigen Präferenz der Säuglinge für<br />
diese Sprache. Spricht die Mutter während der<br />
Schwangerschaft eine andere Sprache, wird die<br />
Muttersprache nicht bevorzugt. (Bertoncini et al<br />
1989). Die vorgeburtliche Erfahrung wird also als<br />
Wiedererkennungs- und Differenzierungsleistung<br />
eingesetzt.<br />
Regel 3: Prosodische Merkmale werden für wichtige<br />
Differenzierungsleistungen genutzt. Säuglinge<br />
sind im Habituierungsexperiment in der<br />
Lage durch Veränderungen ihrer Saugrate die<br />
mütterliche Stimme aktiv hervorzurufen ( De Kasper<br />
et Fifer 1980).<br />
Säuglinge ziehen eine gut strukturierte Sprachgestalt<br />
einer weniger gut strukturierten vor.<br />
Interpretationsmöglichkeit: Muttersprache ist für<br />
das vorsprachliche Kind kein undifferenzierter<br />
Strom von Lauten, sondern eine erkennbare kohärente<br />
internationale Struktur (Hirsh/Pasek<br />
1987).<br />
Regel 4: Der Säugling nutzt die Aufmerksamkeit<br />
selektiv auf die kindgerichtet Sprache („Babytalk“).<br />
Babytalk hat eine überzogene Intonationskontur,<br />
einen hohen Tonfall, lange Pausen am Phrasen-<br />
Strukturgrenzen. Sprachepräferenz des Säuglings<br />
mit 4 Monaten. Die Sprache in einer Tonlage zwischen<br />
400 und 600 Hz entspricht der Fähigkeit<br />
des Babys höhere Töne besser differenzieren zu<br />
können als tiefere. Anpassung an die rhythmisch<br />
prosodische Struktur der Sprache.<br />
Die Motivation zum Spracherlernprozess ist zu<br />
Beginn hoch affektbetont, gewinnt im Laufe der<br />
Entwicklung zunehmend eine kognitive Qualität.<br />
Zwischen der Geburt und dem 9. Lebensmonat<br />
entwickelt sich die Fähigkeit, Begriffe und Kategorien<br />
zu bilden. Objektkategorien bilden die<br />
Basis für die Benennungsfunktion. Ab dem 10.<br />
Lebensmonat können die ersten Wörter produziert<br />
werden. Mitteilung über die Dinge wird an<br />
referentiellen und konventionalisierten Gesten<br />
deutlich (z.B. Kopfschütteln oder Winken mit der<br />
Hand). Die Gesten bestehen aus fest gefügten<br />
Bedeutungs- und Handlungszusammenhängen<br />
und haben so eine Brückenfunktion für den<br />
Übergang vom nicht sprachlichen zum sprachlichen<br />
Handeln. Die symbolisch verwendete Geste<br />
ist also eine Form eines Erreichens eines kognitiven<br />
Meilensteines, der den Gebrauch konventionalisierter<br />
sprachlicher Zeichen möglich macht.<br />
Kinder, die früh Gesten benutzen, werden auch<br />
frühe Sprecher, wohingegen späte Gestenbenutzer<br />
späte Sprechen sind.<br />
Alles wird im Gedächtnis gespeichert. Gedächtnis<br />
und Sprache haben viel miteinander zu tun. Gehörte<br />
Sprache muss phonologisch analysiert und<br />
repräsentiert werden, damit sie erkannt und artikulatorisch<br />
als Output wiedergegeben werden<br />
kann. Dies leistet der phonologische Kurzspeicher.<br />
Ist die phonologische Repräsentationsfähigkeit<br />
defizitär, so kann ein normaler<br />
Spracherwerbsprozess nicht erfolgen (Gathercole<br />
and Baddely 1989).<br />
7. Zusammenfassung:<br />
Der Säugling bringt angeborene oder sehr früh<br />
erworbene Voraussetzungen mit, um mit dem<br />
Medium Sprache zunehmend bereichsspezifischer<br />
Weise umzugehen. Bis ungefähr zum 10.<br />
Lebensmonat haben sich die 3 Bereiche der Vorausläuferfähigkeiten<br />
zunehmend entwickelt<br />
und interagieren miteinander. Intensive frühe Erfahrungen<br />
im kommunikativen Austausch mit<br />
der Umwelt tragen dazu bei, dass diese Entwicklungslinien<br />
zunehmend eigene Organisationen<br />
II. Themen 99
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100<br />
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
ausweisen, die dann im weiteren Entwicklungsverlauf<br />
zu einem übergeordneten Sprachmodul<br />
zusammengeführt werden. Liegt eine Verzögerung<br />
irgendwelcher Art der Gehirnreifung vor, so<br />
verzögert sich dieser Prozess und führt zu<br />
sprachlichen Defiziten.<br />
Lernziele des Moduls 1:<br />
î - Vermittlung von Kenntnissen über den<br />
kindlichen Entwicklungsstand im Alter von 3<br />
Jahren.<br />
î - Herausarbeitung und Darstellung von Fähigkeiten,<br />
derer die Kinder in der Übergangssituation<br />
Elternhaus- Kindergarten besonders<br />
bedürfen (Bindungstheorie, Bindungsfähigkeit,<br />
Bindung als Voraussetzung<br />
für Trennungsfähigkeit, Fähigkeit mit mehreren<br />
Personen soziale Interaktionen einzugehen,<br />
Entstehung von Angst – Trennungsangst<br />
– Akzeptanz von Neuem – Unabhängigkeit,<br />
Entwicklung von Empathie, Verstehen<br />
von Zusammenhängen)<br />
î - Herausarbeitung und Darstellung von Fähigkeiten<br />
und Haltungen der Erziehenden,<br />
um den Kindern, die in diesen Bereichen<br />
Schwierigkeiten haben Hilfestellung zu leisten<br />
(Bereitschaft der ErzieherInnen Elternersatzfunktionen<br />
zu übernehmen, die Abhängigkeit<br />
der Kinder zu akzeptieren, Selbständigkeit:<br />
Richtiges Maß zwischen Forderung<br />
und Überforderung)<br />
î - Erkennen spezifischer Schwächen und<br />
Stärken des Kindes in den verschiedenen<br />
Entwicklungsbereichen (z.B. körperliche,<br />
geistige Behinderung oder Entwicklungsverzögerung),<br />
Erarbeitung von Unterstützungsmöglichkeiten.<br />
Mögliche Gliederung der Unterrichtseinheiten:<br />
î Kognitive Entwicklung<br />
î Piagets Stadien der kognitiven Entwicklung<br />
î Entwicklung von Konzepten<br />
î Geistige Entwicklung<br />
î Theorie der Informationsverarbeitung<br />
î (Lehrmaterial: Tabellen)<br />
II. Themen<br />
î Entwicklung von Moral<br />
î Kohlbergs Niveaus und Stufen des moralischen<br />
Urteils<br />
î Temperament und die Entwicklung des Gewissens<br />
bei Kleinkindern<br />
î Ebenen des prosozialen Verhaltens<br />
î (Lehrmaterial: Tabellen)<br />
î Emotionale Entwicklung<br />
î Temperamentsdimensionen auf verschiedenen<br />
Altersstufen<br />
î Meilensteine emotionaler Entwicklung während<br />
der ersten zwei Lebensjahre<br />
î Zwei verschiedenene Modellvorstellungen<br />
von Temperament<br />
î Bindung und Entwicklung des Selbst<br />
î Die Fremden-Situationen und ihre Episoden<br />
î Entwicklung des Selbst nach Daniel Stern<br />
î Beziehung zu Gleichaltrigen und Sozialentwicklung<br />
î Beliebte/abgelehnte/ignorierte Kinder<br />
î Zusammenhänge zwischen Bindung und sozialer<br />
Kompetenz<br />
î Körperliche Entwicklung<br />
î Wachstum und Entwicklung des Körpers<br />
î Entwicklung der Wahrnehmung<br />
î Motorische Entwicklung<br />
î Herausarbeitung und Darstellung von Fähigkeiten,<br />
derer die Kinder in der Übergangssituation<br />
Elternhaus- Kindergarten besonders<br />
bedürfen anhand des in den vorangegangenen<br />
Unterrichtseinheiten vermittelten Wissens<br />
über den kindlichen Entwicklungsstand.<br />
î Herausarbeitung und Darstellung von Fähigkeiten<br />
und Haltungen der Erziehenden, um<br />
den Kindern, die in diesen Bereichen<br />
Schwierigkeiten haben Hilfestellung zu leisten
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
î Erkennen spezifischer Schwächen und Stärken<br />
des Kindes in den verschiedenen Entwicklungsbereichen,<br />
Erarbeitung von Unterstützungsmöglichkeiten.<br />
Zusammenfassung<br />
Wie in der Entwicklungspsychologie üblich, werden<br />
die einzelnen Entwicklungsbereiche dargestellt.<br />
In dieser Darstellung wird vor allem auf<br />
amerikanische Literatur zurückgegriffen. Es<br />
wurde versucht, schwerpunktmäßig die Entwicklungsaltersbereiche<br />
zu betonen, in denen für das<br />
Kind Übergänge stattfinden. Wir haben hier vor<br />
allem den Entwicklungsstand um das 3. Lebensjahr<br />
herausgearbeitet, weil dies das Alter ist, wo<br />
in der Regel in Deutschland die Kinder in den Kindergarten<br />
kommen.<br />
Etwas ausführlicher haben wir die „Selbst“ - Entwicklung<br />
dargestellt und haben uns hier an den<br />
„Selbst“ – Entwicklungsschritten, wie von Dr.<br />
Stern dargestellt, orientiert.<br />
Etwas ausführlicher haben wir die Sprachentwicklung<br />
formuliert, anlehnend an die Sprachentwicklungsuntersuchungen<br />
von Grimm.<br />
Die in den verschiedenen Entwicklungsbereichen<br />
dargestellten Parameter sollen dem Übergangshelfer<br />
behilflich sein, den Entwicklungsstand des<br />
jeweilig zu begleitenden Kindes zu verstehen und<br />
in der Integration beim Wechsel in die entsprechende<br />
Institution – Kindergarten, Schule – dem<br />
Kind und der Familie zur Seite zu stehen. Die vorgeschlagenen<br />
Curricula sollen dazu dienen, Verständnis<br />
für die Entwicklung des Kindes zu<br />
erzielen.<br />
II. Themen 101
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II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
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104<br />
CURRICULUM - TRANSITION - Ausbildung zum/r Übergangsbegleiter/in für frühkindliche Bildungsprozesse - Socrates <strong>Grundtvig</strong> 1.1 Projekt<br />
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106<br />
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CURRICULUM - TRANSITION - Ausbildung zum/r Übergangsbegleiter/in für frühkindliche Bildungsprozesse - Socrates <strong>Grundtvig</strong> 1.1 Projekt<br />
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108<br />
CURRICULUM - TRANSITION - Ausbildung zum/r Übergangsbegleiter/in für frühkindliche Bildungsprozesse - Socrates <strong>Grundtvig</strong> 1.1 Projekt<br />
II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
Anhang:<br />
II. Themen
05-08-2008-II._Themen-3_Modul:<strong>Dokumentation</strong> <strong>Grundtvig</strong> 2 25.08.2008 16:42 Seite 109<br />
CURRICULUM - TRANSITION - Ausbildung zum/r Übergangsbegleiter/in für frühkindliche Bildungsprozesse - Socrates <strong>Grundtvig</strong> 1.1 Projekt<br />
II. Themen<br />
3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
II. Themen 109
05-08-2008-II._Themen-3_Modul:<strong>Dokumentation</strong> <strong>Grundtvig</strong> 2 25.08.2008 16:42 Seite 110<br />
110<br />
CURRICULUM - TRANSITION - Ausbildung zum/r Übergangsbegleiter/in für frühkindliche Bildungsprozesse - Socrates <strong>Grundtvig</strong> 1.1 Projekt<br />
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3. Modul „Entwicklungspsychologische Ansätze<br />
II. Themen