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Chemisch Zinn – wer spielt mit dem Schmuddelkind ... - APL - smarttin

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LEITERPLATTENTECHNIK<br />

<strong>Chemisch</strong> <strong>Zinn</strong> –<br />

<strong>wer</strong> <strong>spielt</strong> <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> <strong>Schmuddelkind</strong>? Teil 1<br />

Lutz Bruderreck, TechnoLab Berlin, Leiter Geschäftsbereich Laboranalytik, Qualifizierungen von Leiterplatten<br />

und Schadensanalytik und Mitarbeiter in der DKE – Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik<br />

1 Vorbetrachtung<br />

Als chemisch <strong>Zinn</strong> sich vor über 15 Jahren als<br />

Endoberfläche auf den Leiterplattenmarkt drängte,<br />

war die anfängliche Euphorie groß.<br />

Gegenüber den Oberflächen chemisch Nickel-Gold<br />

und chemisch Silber kann chemisch <strong>Zinn</strong> einige<br />

wichtige Vorteile aufweisen:<br />

Das Verfahren ist kostengünstig – etwa Faktor 0,7<br />

gegenüber chemisch Nickel-Gold<br />

Kurze Prozesszeiten ziehen eine geringe Belastung<br />

von Basismaterial und Lötresist der<br />

Leiterplatte nach sich<br />

Die Prozessführung ist prinzipiell unkompliziert.<br />

Das Verfahren eignet sich daher auch für Leiterplattenhersteller<br />

Die abgeschiedene Schicht weist eine hohe Planarität<br />

auf<br />

Die Bindungsphysik zum Lot<strong>wer</strong>kstoff ist gut<br />

beschrieben. Benetzungsmängel im Lötprozess<br />

führen zu optisch und röntgentechnisch gut erkennbaren<br />

Fehlern<br />

Keine Neigung zur unerwünschten Abscheidung<br />

auf organischen Schichten. Eine Abscheidung<br />

erfolgt prozessbedingt nur auf metallischem<br />

Kupfer<br />

Nacharbeitsfähig, das heißt chemisch <strong>Zinn</strong> ist<br />

die einzige Lötoberfläche, welche sich bei Überlagerung<br />

oder bei schlechter Lötbarkeit im industriellen<br />

Maßstab refreshen lässt<br />

Anpassung an kundenspezifische Forderungen<br />

(Schichtdicke)<br />

Gerade die deutliche Erkennung von Lötfehlern als<br />

Folge von Benetzungsmängeln ist ein Argument,<br />

das im Vergleich zu ENIG klar für chemisch <strong>Zinn</strong><br />

spricht. Bei chemisch Nickel-Gold ist die Situation<br />

möglich, dass Lötstellen hergestellt <strong>wer</strong>den,<br />

die im optischen Befund regelkonform sind. Bei<br />

der mechanischen Belastung zeigen diese Lötver-<br />

bindungen dann jedoch eine mangelhafte Robustheit.<br />

Gleichermaßen ist es bei ENIG möglich, dass<br />

eine regelkonforme Benetzung bei der Primärlötung<br />

erfolgt. Bei der Sekundärlötung – Rework<br />

oder Wärmeeintrag bei weiteren Lötprozessen wie<br />

Welle – erfolgt dann jedoch eine Entnetzung.<br />

Gegen diese Fehlerbilder zeigt die Endoberfläche<br />

chemisch <strong>Zinn</strong> keine Anfälligkeit.<br />

Trotz dieser positiven Eigenschaften ist in den<br />

letzten Jahren ein negativer Trend zu beobachten.<br />

<strong>Chemisch</strong> <strong>Zinn</strong> wird vielerorts <strong>mit</strong> Vorbehalten<br />

betrachtet und hat einen schlechten Ruf. Hier drängen<br />

sich die Fragen auf:<br />

Gelten diese Vorbehalte einem Verfahren <strong>mit</strong><br />

prinzipiell schlechten Eigenschaften?<br />

Ist das Verfahren prinzipiell gut und nur seine<br />

mangelhafte technische Umsetzung verursacht<br />

dann Probleme durch unerwünschte Effekte?<br />

Kritik gegen chemisch <strong>Zinn</strong> richtet sich vorrangig<br />

gegen die folgenden Punkte:<br />

Verschlechterung der Lötbarkeit durch Transport<br />

und Lagerung<br />

Verschlechterung der Lötbarkeit nach der ersten<br />

Wärmebelastung<br />

Sporadisches Auftreten von einzelnen Pads, die<br />

bereits beim ersten Lotkontakt nicht benetzbar<br />

sind<br />

Einschränkungen bei den verwendbaren Basismaterialien<br />

Einschränkungen bei den verwendbaren Lötstoppmasken<br />

Whiskerbildung<br />

Tendenz zur Lotperlenbildung beim Wellen und<br />

Selektivlöten<br />

hohe ionische Kontamination<br />

Unsicherheit über die Tauglichkeit von Kriterien<br />

für die optische Inspektion<br />

1528 PLUS 7 /2009


Unsicherheit über anwendbare Akzeptanzkriterien.<br />

Auf der Grundlage des vorhandenen technischen<br />

Regel<strong>wer</strong>ks ist die Rechtsposition nicht<br />

sicher. Häufigste Kritikpunkte sind hier die<br />

Vorgaben zu Schichtdicke und Schichtstruktur<br />

sowie zu Prüfung der Lötbarkeit.<br />

Im Labor von Technolab gehören Untersuchungen<br />

an Baugruppen und Leiterplatten <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Finish<br />

chemisch <strong>Zinn</strong> zur Tagesroutine. An <strong>dem</strong> über die<br />

Jahre zur Untersuchung vorgelegten Probenmaterial<br />

waren die oben genannten beschriebenen Fehlerbilder<br />

in ihrer gesamten Bandbreite vertreten.<br />

Da das Labor in erster Linie Schadensfälle zur<br />

Be<strong>wer</strong>tung erhält, ist das Probenmaterial breit gestreut<br />

über die Hersteller von Leiterplatte und<br />

Leiterplattenfinish sowie über die Prozessparameter.<br />

Häufig ist der genaue Werdegang der Proben<br />

nicht bekannt oder lässt sich nicht sicher nachvollziehen.<br />

Eine systematische Be<strong>wer</strong>tung der Möglichkeiten<br />

des Finishs chemisch <strong>Zinn</strong> ist <strong>mit</strong> dieser Datenbasis<br />

nicht sinnvoll. Es lassen sich jedoch über die<br />

Menge des Probenmaterials Trends ausmachen.<br />

Leiterplatten aus <strong>dem</strong> asiatischen Raum sind beispielsweise<br />

überproportional häufig <strong>mit</strong> Fehlerbildern<br />

vertreten, die auch nur hier auftreten. Zum<br />

anderen zeigt die Erfahrung, dass die hier erfassten<br />

Fehlerbilder auch nicht immer ganz trennscharf nur<br />

<strong>dem</strong> Finish zuzuordnen sind.<br />

Um die Möglichkeiten des Finishs chemisch <strong>Zinn</strong><br />

systematisch be<strong>wer</strong>ten zu können, wurden Untersuchungen<br />

an Demonstratoren vorgenommen.<br />

2 Versuchsmaterial<br />

Die verwendeten Leiterplatten sind Demonstratoren<br />

für die Evaluierung von Leiterplattenprozessen.<br />

Im vorliegenden Fall richtet sich das Interesse<br />

nur gegen das Finish (Abb. 1 und 2).<br />

Kenndaten der Demonstratoren<br />

LEITERPLATTENTECHNIK<br />

Die Herstellung der Leiterplatte erfolgte bei der<br />

SEAG Schramberg <strong>mit</strong> den Standardverfahren bis<br />

zum Prozessschritt Lötstoppmaske aushärten.<br />

Das Aufbringen des Finishs erfolgte beim externen<br />

Dienstleister <strong>APL</strong> Oberflächentechnik GmbH.<br />

Das Unternehmen ist ein unabhängiger Dienstleister<br />

für die Beschichtung von Leiterplatten <strong>mit</strong> der<br />

Löt- und Einpressoberfläche <strong>smarttin</strong> ® (chemisch<br />

<strong>Zinn</strong>). Dieses gestattet die Abscheidung einer sehr<br />

gleichmäßigen und homogenen Schicht <strong>mit</strong> variabler<br />

Schichtstärke auf Leiterplatten der unterschiedlichsten<br />

Technologievarianten. Je nach Vorgabe und<br />

Notwendigkeit <strong>wer</strong>den <strong>Zinn</strong>schichten zwischen<br />

0,8 bis 1,3 µm aufgebracht. Es können starre und<br />

flexible Leiterplatten <strong>mit</strong> Dimensionen bis maximal<br />

1500 mm x 630 mm und einer Mindestabmessung<br />

von etwa 130 mm x 100 mm beschichtet <strong>wer</strong>den.<br />

Die Beschichtung erfolgt <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Finish <strong>smarttin</strong> ® .<br />

Basis für <strong>smarttin</strong> ® ist der Prozess Stannatech von<br />

Atotech.<br />

Prozessparameter in der Horizontalanlage<br />

Prozessschritt Temperatur<br />

(°C)<br />

Abmessung 100 mm x 130 mm<br />

Dicke 1,6 mm<br />

Basismaterial Typ FR4 (Standard, keine weitere Vorgabe)<br />

Leiterbild doppelseitig durchkontaktiert, Schichtstärke Kupfer 35µm<br />

Lötstoppmaske Imagecure T4 Smart<br />

Dauer<br />

(s)<br />

Vorbehandlung zweistufig 25-30 300<br />

<strong>Chemisch</strong> <strong>Zinn</strong> dreistufig 70 500-900<br />

Spülen 50-65 400<br />

Trocknen<br />

Als Schichtstärke wurde ein Wert von 0,8 µm <strong>mit</strong><br />

einem cpk-Wert von 1,333 vorgegeben. Der Wert<br />

von 0,8 µm wurde hier bewusst niedrig gewählt,<br />

um eine bessere Trennschärfe für die Be<strong>wer</strong>tung<br />

der Proben nach der Alterung zuzulassen. Der von<br />

<strong>APL</strong> empfohlene Wert liegt bei 1 µm <strong>mit</strong> einem cpk-<br />

Wert von 1,333 für bleifreie Mehrfachlötprozesse.<br />

PLUS 7 /2009 1529


LEITERPLATTENTECHNIK<br />

Abb. 1: Übersicht Demonstrator top Abb. 2: Übersicht Demonstrator bottom<br />

Ein Teil der Proben wurde nach der Prozessierung<br />

und nach einer gestaffelten Alterungen einem Refresh<br />

unterzogen, so dass sich die Be<strong>wer</strong>tung auf<br />

folgende Varianten bezieht (Abb. 3-14):<br />

Anlieferzustand<br />

Refresh nach Alterung Lagerung 1Tag bei Raumtemperatur<br />

Alterung Lagerung 1/2 Jahr bei Raumtemperatur<br />

Refresh nach Alterung Lagerung 1/2 Jahr bei<br />

Raumtemperatur<br />

Alterung Lagerung 1 Jahr bei Raumtemperatur<br />

Refresh nach Alterung Lagerung 1 Jahr bei<br />

Raumtemperatur<br />

Die weitere Be<strong>wer</strong>tung zielt darauf ab, Aussagen zu<br />

den oben genannten Kritikpunkten gegen chemisch<br />

<strong>Zinn</strong> zu finden. Im Zentrum der Betrachtung steht<br />

dabei die Frage, ob ein Finish chemisch <strong>Zinn</strong> bei<br />

geeigneter Abscheidung nicht auch bereits bei geringen<br />

Schichtstärken technisch brauchbare Eigenschaften<br />

aufweist.<br />

3 Be<strong>wer</strong>tungsverfahren:<br />

Optische Inspektion<br />

Die Inspektion unter <strong>dem</strong> Stereomikroskop bei 3-<br />

bis 50-facher Vergrößerung zeigt über die Menge<br />

des Probenmaterials ein gleichmäßiges Finish <strong>mit</strong><br />

einem matten silbrig-grauen Schimmer. Farbsäume,<br />

flächenhafte Verfärbungen oder irisierende Schichten<br />

sind nicht auffällig.<br />

Die Inspektion unter <strong>dem</strong> Metallmikroskop bei<br />

50- bis 1000-facher Vergrößerung zeigt an keiner<br />

Probe Whisker.<br />

Abb. 3: Oberfläche Anlieferzustand Abb. 4: Oberfläche Anlieferzustand Detail<br />

1530 PLUS 7 /2009


Abb. 5: Oberfläche Anlieferzustand <strong>mit</strong> Refresh<br />

Abb. 7: Oberfläche Alterung Lagerung 1/2 Jahr bei<br />

Raumtemperatur<br />

Abb. 9: Oberfläche Alterung Lagerung 1/2 Jahr bei<br />

Raumtemperatur <strong>mit</strong> Refresh<br />

LEITERPLATTENTECHNIK<br />

Abb. 6: Oberfläche Anlieferzustand <strong>mit</strong> Refresh Detail<br />

Abb. 8: Oberfläche Alterung Lagerung 1/2 Jahr bei<br />

Raumtemperatur Detail<br />

Abb. 10: Oberfläche Alterung Lagerung 1/2 Jahr bei<br />

Raumtemperatur <strong>mit</strong> Refresh Detail<br />

PLUS 7 /2009 1531


LEITERPLATTENTECHNIK<br />

Abb. 11: Oberfläche Alterung Lagerung 1 Jahr bei Raumtemperatur<br />

Abb. 13: Oberfläche Alterung Lagerung 1 Jahr bei Raumtemperatur<br />

<strong>mit</strong> Refresh<br />

4 Be<strong>wer</strong>tungsverfahren:<br />

Elektronenoptische Inspektion – REM<br />

Aus den Proben <strong>wer</strong>den in der Mitte und im Randbereich<br />

Probeabschnitte herausgetrennt. Die Proben<br />

<strong>wer</strong>den durch Bedampfen <strong>mit</strong> Kohlenstoff vorbehandelt.<br />

Die Inspektion erfolgt bei Spannungen<br />

zwischen 10 und 25 KV.<br />

Zusammenfassung<br />

Die beiden angewendeten Inspektionsverfahren<br />

lassen keine Merkmale erkennen, die auf eine intensive<br />

Degradation der Schicht hinweisen.<br />

Bereits durchgeführt wurden Solderability Tests<br />

nach IPC-J-STD-003-B Test A1 und C1 an den bis<br />

zu 12 Monaten Echtzeit gelagerten Targets. Die Proben<br />

zeigten hierbei eine regelkonforme Lötbarkeit.<br />

Abb. 12: Oberfläche Alterung Lagerung 1 Jahr bei Raumtemperatur<br />

Detail<br />

Abb. 14: Oberfläche Alterung Lagerung 1 Jahr bei Raumtemperatur<br />

<strong>mit</strong> Refresh Detai<br />

Aus diesem Grund soll in weiteren Untersuchungen<br />

die Stressfaktoren erhöht <strong>wer</strong>den um die technischen<br />

Grenzen auszuloten.<br />

Hierzu wird die Lötbarkeit der Proben und die Benetzbarkeit<br />

der Schicht nach weiterer thermischer<br />

Belastung <strong>mit</strong> einem Reflowprofil nach DIN EN<br />

61760 untersucht.<br />

Über diese Untersuchungen und über die Ergebnisse<br />

der metallographischen Präparation wird in<br />

der Folge berichtet.<br />

Kontaktadressen<br />

<strong>APL</strong> Oberflächentechnik GmbH, Walter Tastl, Im Entenbad 17, D-79541<br />

Lörrach-Hauingen, Tel. +49/7621/914-648, wt@apl-electrolesstin.de,<br />

www.<strong>smarttin</strong>.de<br />

TechnoLab GmbH, Lutz Bruderreck, Am Borsigturm 46, D-13507<br />

Berlin, Tel. +49/30/4303 3162, Lutz.Bruderreck@technolab.de, www.<br />

technolab.de<br />

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