"Erhalt uns Herr, bei deinem Wort" - Dr. Dr. Peter Schneemelcher
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1:<br />
06.01.13<br />
Liebe Gemeinde, den ersten Vers des Liedes, das wir soeben gesungen haben,<br />
möchte ich gern noch einmal wiederholen:<br />
„<strong>Erhalt</strong> <strong>uns</strong> <strong>Herr</strong> <strong>bei</strong> <strong>deinem</strong> Wort und steure deiner Feinde Mord,<br />
die Jesus Christus, Deinen Sohn, wollen stürzen von Deinem Thron.“<br />
Es ist ein sperriger Text und auf jeden Fall erklärungsbedürftig, zumal es auch noch<br />
die gereinigte Fassung ist, die wir gesungen haben, denn auch wenn unter dem Lied<br />
die Jahreszahl 1543 steht, so ist das nicht korrekt! Die Fassung aus dem<br />
Magdeburgischen Gesangbuch von 1543 lautet: - ich zitiere im modernen<br />
Hochdeutsch -:<br />
„<strong>Erhalt</strong> <strong>uns</strong> <strong>Herr</strong> <strong>bei</strong> <strong>deinem</strong> Wort<br />
Und steure des Papstes und der Türken Mord,<br />
die Jesum Christum Deinen Sohn, stürzen wollen von Deinem Thron.“<br />
Das Lied hat eine abenteuerliche Geschichte, die einen eigenen Vortrag wert wäre;<br />
es ist der klassische Kriegsgesang des Protestantismus, der erst Mitte des 18.<br />
Jahrhunderts ökumenisch zur heutigen Fassung gemildert wurde.<br />
Dazu ein ganz kurzer Ausflug in die Geschichte:<br />
1541 setzen die Türken unter Süleyman I erneut zum Sturm auf Europa an, Ungarn<br />
wird überrannt und Wien ist nicht mehr weit. Der Islam steht also wieder vor der<br />
mitteleuropäischen Haustür, nur sind die europäischen Mächte durch die<br />
Reformation tief gespalten, Todfeinde, untereinander uneins,<br />
und damit nicht genug, läuft im Volk auch noch das Gerücht, der Papst habe sich<br />
mit Frankreich und den Türken verbündet, um die abgefallenen protestantischen<br />
Territorien wieder unter seine Oberhoheit zu zwingen - es ist damals wie heute, je<br />
abenteuerlicher eine Verschwörungstheorie , desto mehr wird sie geglaubt!<br />
Die deutschen Fürsten nehmen da<strong>bei</strong> die türkische Gefahr sehr ernst, und einer ihrer<br />
Mächtigsten, der sächsische Kurfürst Johann Friedrich beauftragt seine Geistlichen,<br />
in Predigt und Gebet vor der Türkengefahr zu warnen und um Abwendung zu beten.<br />
Und zu seinen führenden Geistlichen gehört ein Martin Luther (1483 – 1546);<br />
Und so stößt dieser Auftrag auf einen Mann, der um die Zeit noch vier Jahre zu<br />
leben hat , aber auch ,- da sind sich die Luther – Forscher einig- , beherrscht wird<br />
von apokalyptischen Ängsten, Depressionen und vor allem von tiefer Sorge um den<br />
Fortbestand seines Werkes .Er sieht es akut bedroht, von zwei Seiten :<br />
Da sind die Türken, der Islam- wie er es nennt: die Mohammedaner: die Zuchtrute<br />
des Teufels, wie Luther es nennt, handelnd im Auftrag Gottes, um die Christenheit<br />
zur Buße zu zwingen und die Kinder wieder das Beten zu lehren.<br />
Und da ist Papst, - und hier, liebe Gemeinde, sei eindringlich eingefügt, dass wir das<br />
Zeitalter der Renaissance schreiben, und keinerlei Parallelen zum heutigen Papsttum<br />
erlaubt sind. Auch der Protestant kann z.B. dankbar sein für das exzellente Jesus<br />
Buch des heutigen Papstes - . Aber damals ist er für Luther der Feind Christi, das
2:<br />
Feindbild par excellence, der Antichrist, der nach weltlicher Macht strebt, das<br />
Evangelium den Menschen mit Hilfe einer Priesterkaste vorenthält und die Seelen ins<br />
Verderben führt. Hat er, Luther, nicht geschrieben gegen ihn: Wider das Papsttum<br />
zu Rom vom Teufel gestiftet?<br />
Liebe Gemeinde, soweit ganz kurz zur Einordnung - nur bedarf es noch eines<br />
Hinweises auf die Biographie Luthers. Sehen Sie mir diese Erinnerung an Ihren<br />
Religions – und Geschichtsunterricht ein wenig nach!<br />
Es geht um den jungen Luther vor 1517: ein psychisch höchst gefährdete<br />
Persönlichkeit, die an ihrem Gottesbild zu zerbrechen droht!<br />
.<br />
Und dieses Gottesbild ist in der Tat nach heutigen Maßstäben grauenhaft,<br />
angsterregend. Da sitzt im Himmel ein strafender Übervater, der von seinen Kindern<br />
letztlich perfektes Tun und Handeln bis hin zur Heiligung, ja Heiligkeit erwartet, der<br />
durch permanente Buß – Übungen besänftigt werden muss, der im jüngsten Gericht<br />
richten und verdammen wird.<br />
Und nicht nur für Luther, sondern für unendlich viele seiner Zeitgenossen steht so im<br />
Zentrum ihrer Frömmigkeit das Streben danach, dem Gericht zu entgehen, durch<br />
Buße, gute Werke und persönliche Umkehr diesen Vater gnädig zu stimmen. Das<br />
ist eine ganz wesentliche Grundstimmung dieser Übergangszeit von Mittelalter zur<br />
Neuzeit. !<br />
Und dann kommt das, was die Kirchengeschichte das reformatorische Urerlebnis<br />
nennt, was im 19. Jahrhundert dann zur Geburtsstunde des Protestantismus<br />
hochstilisiert wurde, diese Erkenntnis: “dass wir nicht durch Werke, sondern durch<br />
den Glauben an Christus gerecht und selig werden.“ 1<br />
So beschreibt es Luther gegen Ende seines Lebens selbst, was ihm da an<br />
Erkenntnis widerfahren ist.<br />
Aber was heißt hier Erkenntnis?<br />
Das ist mehr als eine gefühlsmäßige oder gedankliche Kehrtwendung, es ist die<br />
Konzentration der gesamten Existenz hin auf den gekreuzigten Jesus.<br />
Sein, Jesu Opfer ist mehr als genug, um die Menschheit auf ewig mit Gott zu<br />
versöhnen!<br />
Und Gott hat dieses Opfer seines einzigen Sohnes angenommen, die Welt mit sich<br />
versöhnt. Vertrau allein darauf, glaube das fest, und der Weg zu Gott, zum Paradies<br />
ist frei, - wie haben wir gesungen? der Cherub steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob,<br />
Ehr und Preis! 2<br />
Liebe Gemeinde, sehen Sie mir diesen Ausflug in protestantisches Basis Wissen ein<br />
wenig nach, aber es ist ein notwendiger Baustein zum Verständnis dieser harten<br />
Zeilen von 1543: „Steure des Papstes und der Türken Mord“<br />
1 K. Aland, Luther Deutsch, Bd. 2, 17<br />
2 EG 27, 6
3:<br />
Da hat endlich einer Ruhe, Seelenfrieden gefunden, die absolute Wahrheit für die<br />
ganze Welt - und sieht nun finstere Mächte am Werk, die genau diese<br />
unverzichtbare Lebensbasis in Frage stellen, vernichten wollen!<br />
Wer hier recht hat, auf wessen Seiten Gott steht, das ist für Luther keine Frage!<br />
Die Tod - Feinde Christi sind am Werk, Gott allein weiß warum.<br />
Zum einen eben der Islam, in dem Christus zum Menschen, wenn auch zu einem<br />
besonderen, aber eben nur Propheten degradiert wird und die Kirche unterdrückt<br />
und verfolgt wird<br />
,<br />
Und dann der für Luther prototypische Papst, der sich als angeblicher Stellvertreter<br />
Christi auf Erden selbst zum Mittler zwischen Gott und Mensch macht und das<br />
ewige Heil verwalten will, möglichst gegen Gebühr - wo es doch durch den Glauben<br />
geschenkt wird.<br />
Und vielleicht verstehen Sie jetzt besser diesen Aufschrei eines Menschen zu<br />
Gott: Das darf nicht sein, „Steure Deiner Feinde Mord!“<br />
Nun haben sich seitdem die Zeiten erheblich geändert.<br />
Zum einen ist mit Recht angezweifelt worden, ob das Bild, das Luther von der<br />
katholischen Kirche und dem Papst hatte, wirklich so zutraf, aber Differenzierung war<br />
zu dieser Zeit nicht gerade angesagt,<br />
Zum anderen ist das alles heute anno 2013 in Europa kaum noch vorstellbar, dass<br />
die Frage, was kommt nach dem Tod, wie komme ich ins Paradies und vermeide die<br />
ewige Hölle, Massen bewegen, auf die Straße treiben konnte. Das schafft<br />
heutzutage allenfalls noch die Schuldenkrise in Europa.<br />
Und ein drittes. Luther hat seinen Blick allein auf Christus gerichtet. Für ihn war klar,<br />
wenn Gott dieses Opfer annimmt, dann nur, weil es das gewaltigste aller Opfer ist,<br />
der Sohn Gottes selbst, Teil Gottes, sitzend auf seinem Gottes Thron.<br />
Damit bleibt er voll in der Lehrtradition der Kirche, innerhalb der Christologie – so<br />
nennt man die Lehre über Christus.<br />
Nur einem altgedienten Religionslehrer geht da<strong>bei</strong> die einfache Frage von Schülern<br />
Frage nicht aus dem Sinn: wie hat man sich das denn vorzustellen?<br />
Und damit, liebe Gemeinde, sind wir – was Aktualität angeht - <strong>bei</strong> einem ganz<br />
großen Problem in <strong>uns</strong>erer christlichen Kirche, ich nenne es einmal: die<br />
christologische Sprachlosigkeit.<br />
Gottes Sohn – das lassen wir als Titel so stehen,<br />
aber über mehr als tausend Jahre hin hat die christliche Kirche das mit handfesten<br />
Vorstellungen gefüllt. Vielleicht haben Sie einmal in einem Festgottesdienst das<br />
Nizänum – Constantinopolitanum von 381 gebetet (steht noch im Gesangbuch), wo
4:<br />
es über Jesus heißt: ‚ Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott,<br />
gezeugt, nicht geschaffen, vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen‘.<br />
Das war nicht als Bild gedacht, sondern wurde von den Menschen als Realität<br />
gesehen, genauso wie das ewige Feuer in der Hölle. Der glaubende Mensch braucht<br />
zu allen Zeiten handfeste Vorstellungen, die sich verselbstständigen können und<br />
dann nicht mehr als Bilder gesehen werden. Davon ist keiner von <strong>uns</strong> frei.<br />
Und dann wird es schwierig!<br />
Sie kennen den Haupteinwand breiter moslemischer Kreise gegen die christliche<br />
Trinitätslehre, nämlich dass damit ja der Monotheismus aufgegeben würde.<br />
Wenn Gott einen Sohn hat, dann muss es letztlich zwei Götter geben – das ist<br />
Volkes Meinung.<br />
Und dann ist es im Dialog manchmal ein mühseliges Geschäft, klar zu machen, dass<br />
das Bild vom Sohn nur heißt, dass sich, ganz biologisch, Wesenszüge,<br />
Eigenschaften des Vaters widerspiegeln, ja finden lassen, die ein wenig<br />
Rückschlüsse auf den Vater zulassen, ohne ihn, den Vater da<strong>bei</strong> erschöpfend zu<br />
beschreiben, ja, dass der Ausdruck Vater schon ein Bild bleiben muss, um einfach zu<br />
sagen, dass es jenseits <strong>uns</strong>eres Zut<strong>uns</strong> einen Anfang des Lebens gibt.<br />
Wir sollten da<strong>bei</strong> nicht auf die klassischen Glaubensbekenntnisse verzichten. Sie<br />
sind Zeugnis davon, dass wir in einer langen Tradition stehen und der Glaube und<br />
die Kirche nicht erst mit <strong>uns</strong> anfangen. Und sie zeigen auch Grenzen auf, die nicht<br />
überschritten werden können, ohne die Identität des christlichen Glaubens<br />
preiszugeben, wie etwa den Glauben an die Auferstehung.<br />
Doch christologische Sprachlosigkeit bedeutet für mich, ein Mangel an Wissen von<br />
und über Jesus Christus. Ich fürchte, dass in der kirchlichen Verkündigung allzu sehr<br />
und allzu schnell vom Text weg auf die ethische Komponente abgezielt wird. Friede,<br />
soziale Gerechtigkeit und Versöhnung kommt immer gut an. Doch dann wird der Text<br />
nur noch zur Staffage.<br />
Doch wenn sich in Jesus Christus Gott widerspiegelt, Spuren von IHM zu finden sind,<br />
dann muss ich die Geschichten von Jesus wissen, kennen. Und da haben wir in<br />
<strong>uns</strong>erer Gesellschaft eine handfeste Bildungskatastrophe!<br />
Zum einen geht es schlicht und ergreifend um die Kenntnis der neutestamentlichen<br />
Geschichten, auch als Teil christlicher Allgemeinbildung. Ich habe den Verdacht,<br />
dass ob Lehrerin für Religion, Erzieherin oder Eltern, der Kreis derer, die noch von<br />
Jesus erzählen wollen oder können arg zusammenschrumpft. Das kann auch ein<br />
Konfirmandenunterricht nicht wettmachen.<br />
Und falls zum anderen heute Morgen Großeltern unter <strong>uns</strong> sind, die noch Ahnung<br />
haben, dann ergeht die herzliche Bitte, davon auch an Enkel weiterzugeben, bevor<br />
die Generation des christlichen Bildungsbürgertums, deren große literarischen Werke<br />
man ohne Bibelkenntnis nicht verstehen kann, dass diese Generation ganz<br />
ausstirbt und wir nur noch mit einer Generation zu tun habe, die Vatertag für normal<br />
hält und Christi Himmelfahrt als Spezialausdruck aus der Raumfahrt verbucht.<br />
Da<strong>bei</strong> ist mir schon klar, dass, wenn man die Fülle der biblischen Geschichten auf<br />
sich wirken lässt, ein höchst komplexes Jesus – Bild entsteht.
5:<br />
Das geht <strong>bei</strong>m Johannes – Evangelium los, das den irdischen Jesus kaum zur<br />
Kenntnis nimmt, und das setzt sich in den drei anderen Evangelien fort, wo <strong>uns</strong> ein<br />
sehr irdischer Jesus begegnet , eben ein Mensch, ein Mann, ein Jude ,nach<br />
jüdischer Tradition beschnitten, - bedenken Sie das bitte auf dem Hintergrund<br />
heutiger Diskussionen und theologischer Richtungen - , er vollbringt Wunder, trennt<br />
sich von seiner Familie, mutet seinen Jüngern eine schier untragbare Hypothek an<br />
Nächstenliebe zu, hat Angst vor dem Tod, treibt einen Paulus hinaus in die Welt, um<br />
die Grenzen Israels, seines Volkes, religiös zu sprengen, und offenbart sich am Ende<br />
als der Auferstandene. Das ergibt ein verwirrendes, widersprüchliches Bild mit immer<br />
neuen Facetten, macht Theologie aufregend, ärgerlich und spannend.<br />
Und am Ende vielleicht die Ahnung, das alles das auch ein Seite Gottes ist, dir wir<br />
nur ahnen können.<br />
Das Spannende und Faszinierende an fast 2000 Jahren Theologie, ist die Erkenntnis<br />
und Erfahrung, wie Menschen sich an diesem Jesus Christus abgear<strong>bei</strong>tet haben<br />
und noch abar<strong>bei</strong>ten, mit immer anderen Ergebnissen und Konsequenzen für ihr<br />
Leben und das zeigt auch die Lebendigkeit ein er Kirche, einer Gemeinde, ja jeder<br />
einzelnen Christin, wenn er oder sie an dieser Stelle, dem Nachspüren der Person<br />
Jesu Christi keine Ruhe geben , nicht müde werden , zu fragen, wer er denn<br />
eigentlich war, oder besser ist.<br />
Natürlich bleibt da<strong>bei</strong> immer die Frage nach dem verbindenden roten Faden.<br />
Und der besteht für mich, liturgisch gesagt, in der unlösbaren Verbindung von<br />
Weihnachten und Ostern. Das eine geht ohne das andere nicht, oder es wird sinnlos<br />
äußerlich. Das Kind aus der Krippe wird Menschen, erwachsen, lebt mit einem<br />
unbegrenzten Gottvertrauen, stirbt und erfährt, dass Gott ihn auch da , im Tod nicht<br />
alleine lässt, sondern herausholt, zu einem ewigen Leben <strong>bei</strong> sich.<br />
ER ist der erste, der Exemplarische, der den Weg freigemacht hat, damit wir mit<br />
weniger Angst als einst ein Martin Luther <strong>uns</strong>eren Weg Gott entgegen gehen<br />
können. Alles geht auf ein Ende zu, wir aber haben ein Ziel, Gott sei Dank.