Winter 2001 - SLF
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Feldversuche zur Wirksamkeit einiger Lawinenrettungsgeräte<br />
(<strong>Winter</strong> <strong>2001</strong>)<br />
Martin Kern, <strong>SLF</strong> (Kontakt)<br />
Der Lawinenairbag ist ein Rettungsgerät, das ein Untergehen in fliessenden Lawinen<br />
verhindern soll. Es besteht aus zwei Ballons mit einem Gesamtvolumen von 150<br />
Litern, die in einen Skitouren-Rucksack integriert sind und bei Ziehen eines<br />
Auslösegriffs innert 1-2 Sekunden aus einer Druckluftpatrone sowie über ein<br />
Ventilsystem mit Umgebungsluft aufgeblasen werden. Am <strong>SLF</strong> durchgeführte,<br />
umfangreiche Feldversuche sowie die Auswertung von Unfällen, in die Personen mit<br />
Lawinenairbag verwickelt waren, bestätigen die prinzipielle Wirksamkeit des<br />
Systems.<br />
Ein Skifahrer mit ausgelöstem Lawinen-Airbag-System. In einer fliessenden Lawine bleibt der Träger aufgrund<br />
des sogenannten Sortierungseffektes in der Nähe der Oberfläche. Eine Bergung aus den Schneemassen wird so<br />
wesentlich erleichtert. (Foto <strong>SLF</strong>)<br />
Die Wirkung des Lawinenairbag beruht nicht auf Schwimmen im klassischen Sinn, da<br />
das spezifische Gewicht eines Skifahrers selbst mit aufgeblasenen Ballons grösser<br />
ist als das von fliessendem Schnee, so dass man nach den Gesetzen der Hydrostatik<br />
auch mit aufgeblähtem Ballon in einer Lawine untergehen müsste. Dass der Airbag<br />
trotzdem die erwünschte Wirkung hat, ist mit einem<br />
Sortierungseffekt zu erklären. Eine Lawine, die sich ja aus<br />
Schneebrocken verschiedener Grösse zusammensetzt, ist<br />
physikalisch betrachtet ein strömendes Granulat. Unter dem<br />
Einfluss der Schwerkraft geschieht eine Entmischung, die<br />
sogenannte inverse Segregation, durch die grosse Partikel<br />
eher an die Oberfläche, kleinere eher in die unteren<br />
Schichten gelangen. Der Lawinenairbag macht seinen<br />
Träger zu einem grossen Partikel, das von diesem<br />
Sortierungseffekt profitiert und mit grösserer<br />
Wahrscheinlichkeit an der Lawinenoberfläche abgelagert werden wird. Mittels<br />
Computersimulationen und Feldversuchen wurde am <strong>SLF</strong> ein vertieftes<br />
physikalisches Verständnis der inversen Segregation erarbeitet, das in die<br />
Weiterentwicklung des Lawinenairbags einfliesst.
Feldversuch zur Verschüttungstiefe verschieden geformter Körper in realen<br />
Schneelawinen<br />
Es stellt sich die Frage, ob auch die Form die Wirkung (also das<br />
Segregationsverhalten) des Lawinenairbags beeinflusst. Um eine Antwort auf diese<br />
Frage zu finden, wurden 12 Körper mit gleichem Volumen, gleicher Dichte aber<br />
verschiedener Form in einen steilen Hang gelegt. Bei den Versuchskörpern handelte<br />
es sich um Hüllen aus dem selben Stoff aus dem auch die Lawinenairbags gefertigt<br />
werden. Diese Hüllen wurden mit Schnee vollgestopft, so dass sie die gewünschte<br />
Form annahmen und eine grössere Dichte als der umgebende Schnee hatten. Bei<br />
den Versuchskörpern handelte es sich um je 3 Kugeln, 3 Zylinder, 3 Würfel und 3<br />
Tetraeder.<br />
Feldversuche (Foto <strong>SLF</strong>)<br />
In dem Versuchshang wurde per Sprengung eine Lawine ausgelöst, die 6 der Körper<br />
mit sich riss. Im Ablagerungsgebiet der Lawine wurden die Versuchskörper<br />
ausgegraben und ihre Verschüttungstiefe bestimmt. Dabei stellte sich heraus, dass<br />
die Kugeln an der Oberfläche sichtbar waren, die anderen Körper aber umso tiefer<br />
verschüttet waren, je "kantiger" ihre Form war. Die "Kantigkeit" eines geometrischen<br />
Körpers wird durch das Verhältnis seiner Oberfläche zu seinem Volumen<br />
beschrieben, das von Kugel über Zylinder und Würfel bis hin zum Tetraeder<br />
zunimmt. Mit zunehmender "Kantigkeit" nahm auch die Verschüttungstiefe der<br />
Körper zu, woraus man den Schluss ziehen kann, dass die Kugelform das<br />
Segregationsverhalten und damit die Wirkung eines entsprechend geformten Airbags<br />
begünstigt. Der Lawinenairbag kommt diesem Ideal schon recht nahe, während der<br />
den Airbag tragende Skifahrer recht "kantig" ist. Allerdings bleiben die aus dem<br />
Versuch gewonnenen Erkenntnisse eher spekulativer Natur: Aufgrund der geringen<br />
Zahl von Versuchskörpern sind die Ergebnisse statistisch nicht signifikant.<br />
Feldversuch zur Wirksamkeit einiger Notfallausrüstungen<br />
Im März <strong>2001</strong> wurde ein Feldversuch durchgeführt, in dem insgesamt 13<br />
menschenähnliche Dummies mit ABS-Lawinenairbags, Prototypen der avagear<br />
Rettungsweste und mit dem Avalanche Ball ausgerüstet und in einem Lawinenhang<br />
abgelegt wurden. Per Sprengung wurde der Lawinenhang ausgelöst und das<br />
Verhalten der Dummies während des Lawinenabgangs beobachtet sowie ihre<br />
Verschüttungstiefe in den Lawinenablagerungen gemessen.
Es zeigte sich, dass Lawinenairbags bzw. Rettungswesten die Verschüttungstiefe der<br />
Dummies gegenüber den Dummies ohne Airbags/Rettungsweste verringern können,<br />
wenn sie nicht gar eine Ganzverschüttung verhindern, bei der das Gesicht der<br />
verschütteten Person schneebedeckt ist, was einen lebensbedrohlichen Zustand<br />
bedeutet. In jedem Fall waren die Airbags bzw. die aufgeblasenen Rettungswesten<br />
auf den Ablagerungen der Lawine sichtbar, was im Ernstfall eine schnelle Ortung und<br />
Bergung der Verunfallten ermöglicht.<br />
Die Avalanche Balls erwiesen sich als unkomplizierte und intuitiv zu gebrauchende<br />
Ortungsmittel, die eine problemlose Ortung und Bergung der mit ihnen ausgestatteten<br />
und ganzverschütteten Dummies ermöglichten.<br />
Dummy mit Prototyp der avagear Rettungsweste (Foto: <strong>SLF</strong>)<br />
Dummy mit ABS-Lawinenairbag (Foto: <strong>SLF</strong>)