Harald Rüssel - Journal International
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üssels und die region<br />
<strong>Harald</strong> rüssel und seine<br />
Familie (rechts) sind fest<br />
in der region verwurzelt.<br />
konsequent setzt<br />
der Starkoch auf die<br />
Produkte ortsansässiger<br />
Winzer, Fischer, Jäger<br />
und Metzger<br />
Fine Dining<br />
Der Hausherr steht am alten Mühlbach unweit<br />
des Hauses und schaut ins klare Wasser.<br />
Hier hält er Saiblinge und Flusskrebse:<br />
„Die möchte ich lebend haben.“ Er bückt<br />
sich, greift in eines der im Wasser hängenden<br />
Netze und hält einen zappelnden Krebs<br />
auf der Handfläche. Später, im Restaurant,<br />
wird er die Flusskrebse auf geräuchertem<br />
Rhabarber servieren, mit mariniertem Fenchel, gefülltem<br />
Schweinefuß und einer Grapefruitvinaigrette. Die Saiblinge<br />
kauft <strong>Rüssel</strong> als Jährlinge bei einem Züchter in der Nähe und<br />
setzt sie in den rauschenden Bach („der hat Trinkwasserqualität“),<br />
aus dem sie so frisch in die Küche kommen, dass man sie über<br />
Nacht liegen lassen muss, bevor man die Gräten ziehen kann.<br />
Den Bachsaibling bringt <strong>Rüssel</strong> dann fein pochiert auf den<br />
Tisch, in einem kräftigen Roggenbrotsud, begleitet von Lauch<br />
und Perlzwiebeln sowie, als süßlicher wie farblicher Akzent, einem<br />
RoteBeteGelee. Es ist ein Gericht, das <strong>Harald</strong> <strong>Rüssel</strong>s<br />
Küchenphilosophie perfekt veranschaulicht: regional, saisonal und<br />
so naturbelassen wie möglich. Dass man auch so auf sehr hohem<br />
Niveau kochen kann, belegen 18 Punkte im GaultMillauGuide.<br />
ländlicH im besten sinne<br />
Viele Spitzenköche, zumal in der Großstadt, haben heute nur<br />
noch wenig Bezug zu ihren Viktualien. Zwar gehört es zum<br />
guten Ton, das eine oder andere regionale Produkt oder Gericht<br />
auf der Karte zu führen. Aber die wenigsten stehen regelmäßig<br />
auf Kuhweiden oder in Gemüsebeeten. Man ordert per Telefon<br />
bei Rungis oder anderen Großhändlern. Das Ergebnis: Von Sylt<br />
bis Garmisch bekommt der Gast die gleichen Produkte, die<br />
gleichen uniformen Geschmackserlebnisse serviert. Die allermeisten<br />
Spitzenköche von heute haben sich weit von ihren<br />
Produkten entfremdet. <strong>Harald</strong> <strong>Rüssel</strong> ist den umgekehrten Weg<br />
gegangen – er zog zu den Lebensmitteln. Nach Lehr und Wanderjahren,<br />
die ihn unter anderem nach Grevenbroich zu Dieter Kaufmann<br />
und nach WertheimBettingen in die „Schweizer Stuben“<br />
zu Dieter Müller und später Fritz Schilling führten, machte er<br />
sich mit 26 Jahren selbstständig. Er erinnert sich, wie er damals<br />
mit seiner Frau Ruth vor dem alten Mühlenanwesen in Naurath/<br />
Wald stand. Und wie beide sofort wussten: Das ist es!<br />
Seither hat er seine Küche – früher eher französischmediterran<br />
geprägt – Schritt für Schritt an die Natur, die ihn umgibt, angepasst.<br />
„Ob Fisch, Wild oder Gemüse – das beste Produkt ist<br />
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immer das mit dem kürzesten Weg in die Küche“,<br />
das ist <strong>Rüssel</strong>s Überzeugung. Während<br />
der sechs Jahre als Präsident der deutschen<br />
Sektion der Jeunes Restaurateurs d’Europe<br />
engagierte er sich dafür, dass auch in den Küchen<br />
der heute 54 Mitgliedsbetriebe regionale<br />
Lebensmittel Einzug hielten – bis heute einer<br />
der wichtigsten Grundsätze der internationalen<br />
Köchevereinigung. Bei ihm selbst fährt beinahe täglich der<br />
Metzger aus dem nahe gelegenen Mehring mit seinem Lieferwagen<br />
vor. Heute bringt er ein Schaf, ein Hirschkalb und ein<br />
halbes Schwein. <strong>Rüssel</strong> nimmt vorzugsweise ganze Tiere ab.<br />
„Alles, was ich mache, ist langfristig geplant“, sagt er. „Ich kann<br />
nicht zum Hörer greifen und sagen, ich brauche jetzt ein<br />
Schwein.“ Normalerweise wird ein Schwein heute im Alter von<br />
drei Monaten geschlachtet. <strong>Rüssel</strong> verarbeitet nur Schweine, die<br />
mindestens neun<br />
Monate in freier Na<br />
Die Bachsaiblinge kommen so frisch in die Küche, dass man<br />
sie über Nacht liegen lassen muss, um die Gräten zu ziehen<br />
tur gelebt haben. So<br />
ein Tier kann sich<br />
ganz in Ruhe bis zu<br />
50 Prozent Fett anfuttern<br />
und dadurch<br />
eine viel würzigere Struktur als herkömmliches Schweinefleisch<br />
entwickeln. „Mein Schwein kostet mich so viel wie ein<br />
Rinderfilet“, sagt <strong>Harald</strong> <strong>Rüssel</strong>. Auf seiner Speisekarte taucht<br />
so ein natürlich langsam und in Ehren gewachsenes Prachtstück<br />
als „Schweinerei vom Bunten Bentheimer“ auf, mit Selleriestrudel,<br />
KreuzkümmelSenfsaatjus und GeiztraubenKraut. Geiztrauben?<br />
Wieder so eine Zutat, die auf keiner anderen deutschen<br />
Speisekarte fungieren dürfte. Dafür steht landauf, landab „Verjus<br />
du Périgord“ auf der Karte. Doch wozu braucht einer wie <strong>Rüssel</strong><br />
das Périgord, wenn er die Mosel vor der Haustüre hat? Er überzeugte<br />
den Winzer Bernhard Kirsten aus Klüsserath, ihm einen<br />
Saft aus den unreifen Trauben der Nachtriebe (im Volksmund Geiztriebe<br />
genannt) für säurebetonte Saucen zu pressen.<br />
„icH möcHte wissen, woHer die Produkte kommen!“<br />
Im Laufe der Jahre hat <strong>Harald</strong> <strong>Rüssel</strong> in der Umgebung ein Netz<br />
von rund 25 Lieferanten aufgebaut. Landwirte, Fischer und<br />
Jäger haben erkannt, wie sehr auch sie von diesem Küchenchef<br />
mit seinem an Besessenheit grenzenden Engagement profitieren.<br />
Weil er ihnen hilft, die Qualität zu steigern, nach den Bedürfnissen<br />
der Spitzenküche zu produzieren und auch immer<br />
wieder ganz neue Produkte zu entwickeln. Seinen Obstbauern<br />
überredete er, wieder selbst Apfelsaft herzustellen. In Cochem<br />
fand er jemanden, der ihm einen Balsamicoessig macht. Und<br />
der Mann einer Mitarbeiterin produziert für ihn ein kalt gepresstes<br />
Rapsöl, das herrlich buttrig und weich schmeckt. Rund 80<br />
Prozent seiner Lebensmittel, darauf ist er stolz, stammen aus der