23.10.2012 Aufrufe

Harald Rüssel - Journal International

Harald Rüssel - Journal International

Harald Rüssel - Journal International

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

üssels und die region<br />

<strong>Harald</strong> rüssel und seine<br />

Familie (rechts) sind fest<br />

in der region verwurzelt.<br />

konsequent setzt<br />

der Starkoch auf die<br />

Produkte ortsansässiger<br />

Winzer, Fischer, Jäger<br />

und Metzger<br />

Fine Dining<br />

Der Hausherr steht am alten Mühlbach unweit<br />

des Hauses und schaut ins klare Wasser.<br />

Hier hält er Saiblinge und Flusskrebse:<br />

„Die möchte ich lebend haben.“ Er bückt<br />

sich, greift in eines der im Wasser hängenden<br />

Netze und hält einen zappelnden Krebs<br />

auf der Handfläche. Später, im Restaurant,<br />

wird er die Flusskrebse auf geräuchertem<br />

Rhabarber servieren, mit mariniertem Fenchel, gefülltem<br />

Schweinefuß und einer Grapefruitvinaigrette. Die Saiblinge<br />

kauft <strong>Rüssel</strong> als Jährlinge bei einem Züchter in der Nähe und<br />

setzt sie in den rauschenden Bach („der hat Trinkwasserqualität“),<br />

aus dem sie so frisch in die Küche kommen, dass man sie über<br />

Nacht liegen lassen muss, bevor man die Gräten ziehen kann.<br />

Den Bachsaibling bringt <strong>Rüssel</strong> dann fein pochiert auf den<br />

Tisch, in einem kräftigen Roggenbrotsud, begleitet von Lauch<br />

und Perlzwiebeln sowie, als süßlicher wie farblicher Akzent, einem<br />

Rote­Bete­Gelee. Es ist ein Gericht, das <strong>Harald</strong> <strong>Rüssel</strong>s<br />

Küchenphilosophie perfekt veranschaulicht: regional, saisonal und<br />

so naturbelassen wie möglich. Dass man auch so auf sehr hohem<br />

Niveau kochen kann, belegen 18 Punkte im Gault­Millau­Guide.<br />

ländlicH im besten sinne<br />

Viele Spitzenköche, zumal in der Großstadt, haben heute nur<br />

noch wenig Bezug zu ihren Viktualien. Zwar gehört es zum<br />

guten Ton, das eine oder andere regionale Produkt oder Gericht<br />

auf der Karte zu führen. Aber die wenigsten stehen regelmäßig<br />

auf Kuhweiden oder in Gemüsebeeten. Man ordert per Telefon<br />

bei Rungis oder anderen Großhändlern. Das Ergebnis: Von Sylt<br />

bis Garmisch bekommt der Gast die gleichen Produkte, die<br />

gleichen uniformen Geschmackserlebnisse serviert. Die allermeisten<br />

Spitzenköche von heute haben sich weit von ihren<br />

Produkten entfremdet. <strong>Harald</strong> <strong>Rüssel</strong> ist den umgekehrten Weg<br />

gegangen – er zog zu den Lebensmitteln. Nach Lehr­ und Wanderjahren,<br />

die ihn unter anderem nach Grevenbroich zu Dieter Kaufmann<br />

und nach Wertheim­Bettingen in die „Schweizer Stuben“<br />

zu Dieter Müller und später Fritz Schilling führten, machte er<br />

sich mit 26 Jahren selbstständig. Er erinnert sich, wie er damals<br />

mit seiner Frau Ruth vor dem alten Mühlenanwesen in Naurath/<br />

Wald stand. Und wie beide sofort wussten: Das ist es!<br />

Seither hat er seine Küche – früher eher französisch­mediterran<br />

geprägt – Schritt für Schritt an die Natur, die ihn umgibt, angepasst.<br />

„Ob Fisch, Wild oder Gemüse – das beste Produkt ist<br />

37<br />

immer das mit dem kürzesten Weg in die Küche“,<br />

das ist <strong>Rüssel</strong>s Überzeugung. Während<br />

der sechs Jahre als Präsident der deutschen<br />

Sektion der Jeunes Restaurateurs d’Europe<br />

engagierte er sich dafür, dass auch in den Küchen<br />

der heute 54 Mitgliedsbetriebe regionale<br />

Lebensmittel Einzug hielten – bis heute einer<br />

der wichtigsten Grundsätze der internationalen<br />

Köchevereinigung. Bei ihm selbst fährt beinahe täglich der<br />

Metzger aus dem nahe gelegenen Mehring mit seinem Lieferwagen<br />

vor. Heute bringt er ein Schaf, ein Hirschkalb und ein<br />

halbes Schwein. <strong>Rüssel</strong> nimmt vorzugsweise ganze Tiere ab.<br />

„Alles, was ich mache, ist langfristig geplant“, sagt er. „Ich kann<br />

nicht zum Hörer greifen und sagen, ich brauche jetzt ein<br />

Schwein.“ Normalerweise wird ein Schwein heute im Alter von<br />

drei Monaten geschlachtet. <strong>Rüssel</strong> verarbeitet nur Schweine, die<br />

mindestens neun<br />

Monate in freier Na­<br />

Die Bachsaiblinge kommen so frisch in die Küche, dass man<br />

sie über Nacht liegen lassen muss, um die Gräten zu ziehen<br />

tur gelebt haben. So<br />

ein Tier kann sich<br />

ganz in Ruhe bis zu<br />

50 Prozent Fett anfuttern<br />

und dadurch<br />

eine viel würzigere Struktur als herkömmliches Schweinefleisch<br />

entwickeln. „Mein Schwein kostet mich so viel wie ein<br />

Rinderfilet“, sagt <strong>Harald</strong> <strong>Rüssel</strong>. Auf seiner Speisekarte taucht<br />

so ein natürlich langsam und in Ehren gewachsenes Prachtstück<br />

als „Schweinerei vom Bunten Bentheimer“ auf, mit Selleriestrudel,<br />

Kreuzkümmel­Senfsaatjus und Geiztrauben­Kraut. Geiztrauben?<br />

Wieder so eine Zutat, die auf keiner anderen deutschen<br />

Speisekarte fungieren dürfte. Dafür steht landauf, landab „Verjus<br />

du Périgord“ auf der Karte. Doch wozu braucht einer wie <strong>Rüssel</strong><br />

das Périgord, wenn er die Mosel vor der Haustüre hat? Er überzeugte<br />

den Winzer Bernhard Kirsten aus Klüsserath, ihm einen<br />

Saft aus den unreifen Trauben der Nachtriebe (im Volksmund Geiztriebe<br />

genannt) für säurebetonte Saucen zu pressen.<br />

„icH möcHte wissen, woHer die Produkte kommen!“<br />

Im Laufe der Jahre hat <strong>Harald</strong> <strong>Rüssel</strong> in der Umgebung ein Netz<br />

von rund 25 Lieferanten aufgebaut. Landwirte, Fischer und<br />

Jäger haben erkannt, wie sehr auch sie von diesem Küchenchef<br />

mit seinem an Besessenheit grenzenden Engagement profitieren.<br />

Weil er ihnen hilft, die Qualität zu steigern, nach den Bedürfnissen<br />

der Spitzenküche zu produzieren und auch immer<br />

wieder ganz neue Produkte zu entwickeln. Seinen Obstbauern<br />

überredete er, wieder selbst Apfelsaft herzustellen. In Cochem<br />

fand er jemanden, der ihm einen Balsamicoessig macht. Und<br />

der Mann einer Mitarbeiterin produziert für ihn ein kalt gepresstes<br />

Rapsöl, das herrlich buttrig und weich schmeckt. Rund 80<br />

Prozent seiner Lebensmittel, darauf ist er stolz, stammen aus der

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!