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Stimmgewaltig, bildschön, erfolgreich – die russische Opern ...

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Fotos: Esther Haase/Deutsche Grammophon, picture-alliance/Hans Klaus Techt<br />

14 STILikonen Stilist<br />

e<br />

ANNA<br />

<strong>Stimmgewaltig</strong>,<br />

bildschön, <strong>erfolgreich</strong> –<br />

<strong>die</strong> <strong>russische</strong> <strong>Opern</strong>sängerin<br />

Anna Netrebko<br />

gilt als der Popstar<br />

der Klassik. Sie vereint<br />

alle Attribute einer<br />

Stilikone. Und will<br />

doch keine sein<br />

– V o n M A R T I N K I E N Z L<br />

k<br />

1971 geboren, zählt Anna Netrebko heute von der Westküste Amerikas – wo sie<br />

als Klassik-Künstlerin in puncto Glamourfaktor regelmäßig mit Hollywood-Stars mithalten<br />

kann – bis nach Japan zu den Ikonen der Musikwelt. Nach ihrem Gesangsstudium am Konservatorium<br />

in Sankt Petersburg stand <strong>die</strong> charismatische Sopranistin 1994 erstmals auf<br />

einer deutschen Bühne – und überzeugte auch hierzulande sofort. Bei ihren Auftritten<br />

füllt <strong>die</strong> Mutter eines einjährigen Sohnes ganze Sta<strong>die</strong>n mit Klassik-Liebhabern aus aller<br />

Welt. Ihr Faszinosum wirkt auf Belcanto-Fans wie auf Society-Kiebitze. Wir wollen der<br />

Frage nachspüren, warum Letzteres der Fall ist. Auf beiden Parketten – Bühne und Lifestyle<br />

– beweist <strong>die</strong> durch eine strenge Schule gegangene Russin vor allem eines: Erdung.<br />

Ihr Gesang hat nichts Gezwungenes – rein, klar und ehrlich entströmt dem ganzen Körper<br />

von der Fußsohle bis zur Haarspitze ihr leuchtender, geschmeidiger Sopran.<br />

Alice im Wunderland<br />

Ihre Annäherung an <strong>die</strong> schönen Dinge des Lebens ist ähnlich offen und direkt. Unvergesslich<br />

für alle, <strong>die</strong> dabei waren, zum Beispiel jene Szene, <strong>die</strong> sich bei einem Fotoshooting<br />

in einer eigens gebuchten, hypermodernen Wiener Terrassenwohnung abspielte. Vor<br />

Eintreffen der Netrebko waren dort zu beobachten: Repräsentanten des Münchner Modelabels<br />

Escada bei der sorgfältigen Ausbreitung wertvoller Roben, Fotografen auf gewissenhafter<br />

Suche nach den besten Positions- und Lichtverhältnissen, gestrenge Hüter der<br />

von Chopard extra aus der Schweiz eingeflogenen Juwelen, Journalisten, Agenten, Kosmetiker,<br />

Verlagsbosse und der Leiter der Deutschen Grammophon, bei der Anna<br />

Netrebko exklusiv unter Vertrag steht. Alle hoch konzentriert und ernst. Und dann kam<br />

SIE! Die Tür ging auf und Alice im Wunderland wirbelte durch das Penthouse. „Wow, sind<br />

das tolle Kleider, mein Gott, ein Pool, von dem aus man beim Schwimmen über ganz Wien<br />

blickt, habt Ihr <strong>die</strong> Küche gesehen? Fantastisch!“ Alles wurde von der Netrebko begeistert<br />

in Augenschein genommen, <strong>die</strong> Kostbarkeiten bewundernd berührt. Die Freude übertrug<br />

sich. Hatten denn alle vorher nicht <strong>die</strong>se Herrlichkeit wahrgenommen? Es musste ein Weltstar,<br />

in dem zum Glück noch das einstige „Sowjetkind“ steckt, kommen, um sie darauf aufmerksam<br />

zu machen!<br />

Das Schöne an <strong>die</strong>ser Geschichte ist, dass Anna Netrebko sehr wohl um <strong>die</strong> Gefährdung<br />

<strong>die</strong>ser spontanen Begeisterungsfähigkeit weiß. Ihr ist bewusst, dass um <strong>die</strong> Ecke Saturiertheit<br />

und Dekadenz lauern – und dass <strong>die</strong>se den Genuss an Schönheit und Luxus<br />

gründlich verderben können. Entbehrungen von einst verdrängt sie daher nicht oder<br />

schämt sich ihrer gar – im Gegenteil, sie kultiviert <strong>die</strong> Erinnerung daran! Umso besser<br />

15 STILikonen Stilist Anna Netrebko<br />

HEUTE ROMANTISCH,<br />

morgen rockig. Anna Netrebko<br />

will sich nicht festlegen<br />

>


16 STILikonen Stilist Anna Netrebko<br />

BLONDINE FÜR DIE BÜHNE<br />

Anna Netrebko während der<br />

Generalprobe für den <strong>Opern</strong>ball<br />

2007 in der Wiener Staatsoper<br />

schmecken dann ihre geliebten Marillenpalatschinken in<br />

einem Wiener Gourmettempel, wenn sie erzählt, „dass einmal<br />

eine von meinen Zimmerkolleginnen einen Riegel Mars ins<br />

Studentenheim mitgebracht hat. Das war damals in Petersburg<br />

eine Sensation. Wir haben ihn nicht gleich gegessen, sondern<br />

für den Abend aufgehoben, in winzig kleine Stücke geschnitten,<br />

sodass jede von uns etwas davon hatte und jeden der nur<br />

zwei Bissen genossen!“<br />

Freude statt Dekadenz<br />

Damit sind wir gleich beim Thema „den Mund besser nicht<br />

zu voll nehmen“. Symptomatisch eine kleine Szene bei Louis<br />

Vuitton. Anna Netrebko ist im Pariser Flagship-Store, um eine<br />

Tasche für sich abzuholen. Der Blick schweift über <strong>die</strong> Regale:<br />

„Ist <strong>die</strong>ser Koffer nicht auch schön? Oder der? Aber den kauf<br />

ich mir heute nicht mehr, den Wunsch erfülle ich mir erst in<br />

einem Jahr …“ Es sind keine finanziellen Überlegungen, <strong>die</strong> zu<br />

<strong>die</strong>sem Entschluss führen. Anna Netrebko hat nur nicht vergessen:<br />

„Vorfreude ist <strong>die</strong> schönste Freude!“<br />

Es ist auch Freude, <strong>die</strong> ihren Stil und ihr Interesse an Mode<br />

beflügelt. Deshalb ist sie in Modedingen bestens bewandert,<br />

nicht weil es gesellschaftlich opportun wäre. Wenn sie bei der<br />

Begrüßung einer Freundin angesichts deren Robe bewundernd<br />

„Oh, Chanel!“ ausruft, so ist <strong>die</strong>s Ausdruck spontaner Begeisterung.<br />

Kein Unterton von „na gehört sich doch so“ schwingt<br />

da mit. Denn auf das, was „man“ gerade so zu tragen hat, ist<br />

<strong>die</strong> stilsichere Künstlerin nicht explizit erpicht. Auch <strong>die</strong>se<br />

Seite, <strong>die</strong> der unkonventionellen Persönlichkeit und Künstlerin,<br />

macht Anna Netrebkos gesellschaftliches Faszinosum aus.<br />

Diese Freiheiten ausleben zu können und zu dürfen, ist ihr<br />

eine Herzensangelegenheit. Als in einer repressiven kommunistischen<br />

Diktatur Aufgewachsene weiß sie nur zu gut um <strong>die</strong><br />

Gefährdung des kostbaren Guts „Freiheit“ Bescheid. Die materiellen<br />

Werte des Lebens verlieren in Relation dazu für sie<br />

an Wertigkeit. Familie, Freundschaften, Gesundheit, Erfüllung<br />

in der Arbeit stehen bei ihr höher im Kurs. Zu philosophischen<br />

Betrachtungen über all <strong>die</strong>s und das Leben im Allgemeinen<br />

kann und will sie sich aber nicht aufschwingen. „Warum zermarterst<br />

du dir damit den Kopf?! Versuche hier, heute, mit deinen<br />

Mitmenschen glücklich zu leben“, hatte sie einmal einem<br />

sich mit Philosophie, Politik und Religion viel beschäftigenden<br />

Kollegen gesagt, „wir kleinen Menschen wissen ja letztendlich<br />

doch nichts und werden auch nie etwas über das letzte Geheimnis<br />

unserer Existenz erfahren ...“<br />

Der Wiener Autor und <strong>Opern</strong>kritiker Martin Kienzl gilt als Experte<br />

der Klassik – ob durch seine Arbeit mit Universal Music Austria,<br />

seine Position als Künstler- und Orchestertourneemanager der<br />

Konzertagentur Baron oder wegen seines Wirkens für das Schleswig-<br />

Holstein Musik Festival. Mit Anna Netrebko verbindet ihn eine über<br />

<strong>die</strong> vielen Jahre gemeinsamer Arbeit gewachsene Freundschaft.<br />

<strong>Opern</strong>diva, Verwandlungskünstlerin<br />

und Mädchen von<br />

nebenan – Anna Netrebko<br />

ist immer alles zugleich

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