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Betreibermodelle - Kontiki

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kontiki • Handlungsempfehlungen 2003<br />

4 <strong>Betreibermodelle</strong><br />

4.1 Vorbemerkungen<br />

Verkehrsunternehmen, die sich für ein elektronisches Ticketingsystem entscheiden,<br />

stehen vor finanziellen und technisch komplexen Herausforderungen.<br />

Diese sind mit den bisherigen Finanzierungs- und Organisationsstrukturen<br />

nicht immer zu bewältigen.<br />

Eine mögliche Lösung sind Finanzierungs- und <strong>Betreibermodelle</strong> als<br />

gemeinsame Partnerschaft privater und öffentlicher Unternehmen (PPP) mit<br />

privatwirtschaftlicher Vertragsbindung.<br />

Knappe Finanzmittel und die zugleich steigende Komplexität der Systeme<br />

lassen es sinnvoll erscheinen, nur größere Betreiberstrukturen mit entsprechendem<br />

Abwicklungsvolumen in Betracht ziehen. Obwohl kleinere <strong>Betreibermodelle</strong><br />

denkbar sind, darf die Beherrschbarkeit der künftigen Systemkomplexität<br />

nicht außer Acht gelassen werden.<br />

Die Rahmenbedingungen für künftige staatliche Förderungen von<br />

Vertriebssystemen sind von der Haushaltssituation der jeweiligen Länder<br />

abhängig.<br />

Schon heute unterliegen staatliche Förderungen strengen Richtlinien,<br />

sind in der Regel projektbezogen und die Förderquote vom entsprechenden<br />

Kundennutzen abhängig.<br />

Im Folgenden befasst sich diese Handlungsempfehlung mit dem Spektrum<br />

der unterschiedlichen Ausprägung einer Betreibergesellschaft.<br />

4.2 Der Begriff der Betreibergesellschaft<br />

Betreibergesellschaften sind rechtlich eigenständige Unternehmen. Sie übernehmen<br />

den Auftrag zur Leistungserbringung von öffentlichen (Stadt, Kommune,<br />

Kreis, kommunale Verkehrsunternehmen) und/oder privaten Auftraggebern.<br />

Ihre Dienstleistungen können sie selbstständig erstellen und/oder<br />

über vertragliche Bindungen mit Subauftragnehmern erbringen. Zwischen<br />

Auftraggeber und Betreibergesellschaft besteht ein Vertragsverhältnis.<br />

Werden Vertriebssysteme öffentlich gefördert, sind diese in der Regel an<br />

Förderbedingungen gebunden. Übernimmt eine Betreibergesellschaft diese<br />

Systeme, sind die Förderbedingungen weiterhin zu beachten und in die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung<br />

der Gesellschaft einzubeziehen.<br />

Ist die Betreibergesellschaft der Eigentümer der Vertriebsinfrastrukturen,<br />

dann steht Investitionsschutz für vorhandene Vertriebsgeräte im Vordergrund.<br />

Die zweckgebundene und gebietsbezogene Nutzung sichert alte Investitionen.<br />

51


BETREIBERMODELLE<br />

kontiki • Handlungsempfehlungen 2003<br />

Business Case einer Betreibergesellschaft<br />

ABB. 4.2<br />

Markt<br />

Bedarf<br />

Kunden<br />

Mitfinanzierung Gesellschafter<br />

Betreibergesellschaft<br />

Leistungserbringung<br />

Ein Ziel der Betreibergesellschaft ist die Sicherstellung einer wirtschaftlichen<br />

Betriebsführung.<br />

Weitere Ziele können u.a. sein:<br />

• die Bewältigung komplexer Systeme,<br />

• die Berücksichtigung überregionaler Aspekte,<br />

• die Bündelung von Know-how und Ressourcen der Vertragspartner<br />

zu einer Interessengemeinschaft.<br />

Der Zweck, die Aufgabe und die Geschäftsverteilung müssen klar definiert<br />

werden und Grundlage eines Business-Case sein. Die Wirtschaftlichkeit<br />

der Betreibergesellschaft für die nächsten Jahre leitet sich aus dem Business-<br />

Case ab. Die Einbeziehung privater Partner bedingt eine gewinnorientierte<br />

Unternehmensstrategie.<br />

Häufig gründen Finanzierer und Systembetreiber eine gemeinsame Gesellschaft.<br />

Diese Partnerschaft ist jedoch nicht zwingend, wenn die jeweils fehlende<br />

Finanzierung oder Dienstleistung über Verträge mit Dritten abgedeckt wird.<br />

Die Gründung einer Betreibergesellschaft mit komplexen Strukturen,<br />

Rechts- und Finanzierungsformen ist mit einem hohen Initialaufwand verbunden.<br />

Der hohe Aufwand für Vertriebsinfrastruktur und deren Hintergrundsysteme<br />

erscheint erst ab einem Investitionsvolumen von ca. j 50 Mio.<br />

gerechtfertigt.<br />

4.3 Leistungen von Betreibergesellschaften<br />

• Kontrolle<br />

• Ertrag<br />

• Know-how<br />

• Image<br />

Dienstleister<br />

Subunternehmer<br />

Die organisatorischen Strukturen und Prozesse der Betreibergesellschaft sind<br />

abhängig von der Ausgangssituation und der Zielsetzung.<br />

Grundsätzlich können Betreibergesellschaften das gesamte Leistungsspektrum<br />

eines elektronischen Ticketingssystems (Stufe 3 der VDV Kernapplikation)<br />

abdecken. Aber auch Betreibergesellschaften mit eingeschränkten<br />

Leistungsangeboten sind denkbar.<br />

52


BETREIBERMODELLE<br />

kontiki • Handlungsempfehlungen 2003<br />

Für die Definition der Leistungen, die die Gesellschaft erbringen sollte,<br />

ist nachfolgende Handlungskette zu durchlaufen:<br />

• Marktanalyse zur Ermittlung des konkreten Bedarfs<br />

• Selektion der selbsterbrachten Leistungen<br />

• Definition der Service-Level-Agreements<br />

• Selektion der Dienstleister<br />

• Gestaltung des Leistungsportfolios<br />

Leistungen von Betreibergesellschaften<br />

ABB. 4.3<br />

Ein erweitertes Produkt- bzw. Dienstleistungsportfolio der Betreibergesellschaft<br />

wirkt im Allgemeinen so auf Kunden und Markt, dass neuer Bedarf<br />

generiert wird.<br />

4.3.1 Leistungen im Rahmen des elektronischen Ticketing<br />

Im Rahmen des elektronischen Ticketing können Leistungen der Gesellschaft<br />

z.B. sein:<br />

Assets<br />

• Vertriebssystemkomponenten<br />

• IT-Strukturen (Netze, Hard- und Software)<br />

• Kommunikationstechnik<br />

• Karten<br />

Betrieb/Dienstleistung<br />

Datentechnische Dienstleistungen:<br />

• Systemverwaltung<br />

• Qualitätsmanagement<br />

• Monitoring<br />

• Abrechnung<br />

• Kundenbetreuung (Auftraggeber)<br />

• Beratung im Umfeld von Daten<br />

• Sicherheit der gespeicherten Daten vor unberechtigtem Zugriff<br />

Hardwareseitige Dienstleistungen<br />

• Instandhaltung<br />

• Regelbetrieb<br />

Betreibergesellschaft<br />

Bedarf<br />

Markt Kunden<br />

Selbst erbrachte<br />

Leistungen<br />

Dienstleistungsprodukte<br />

53


BETREIBERMODELLE<br />

kontiki • Handlungsempfehlungen 2003<br />

• Serviceleistungen<br />

• Verbrauchsgüterdisposition<br />

• Instandsetzung<br />

Planung, Einkauf, Koordination des Vertriebssystems<br />

Transaktionsmanagement<br />

• Kontenführung und Verwaltung<br />

• Leistungsverkauf an Fachkunden im Auftrag der VU bzw. Aufgabenträger<br />

• Abrechnung im Namen der VU bzw. Aufgabenträger<br />

• Transaktionsverarbeitung<br />

• Managementinformationssystem<br />

• Bereitstellung von Informationen (Linienerfolgsrechnung, Reports, Tarifdatensimulationen)<br />

an Aufgabenträger, VU, u.a.<br />

Kartenmanagement<br />

• Blacklist -/Whitelistverwaltung<br />

• Kartenlogistik<br />

• Personalisierung<br />

• Verwaltung der Kartenapplikationen und Emittenten<br />

• Key-Management<br />

• Kartenherausgabe<br />

Akquisition und Vertrieb<br />

• Mehrwertdienste – Akquisition (Veranstalter)<br />

• Neukundengewinnung (Fahrgäste/Endkunden) im Auftrag der Aufgabenträger;<br />

VU, andere<br />

Costumer Care Center<br />

• Betreuungscenter (Call Center) für zentrale Rückfragen der Fahrgäste<br />

bzw. Endkunden<br />

Marketing<br />

• Produktgestaltung<br />

• Kundenbindungsmanagement (Kundenbriefe, Werbung, Infos)<br />

4.4 Die Gründungsphase der Betreibergesellschaft<br />

Neben den Leistungen der Gesellschaft sind die Fragen zu klären<br />

• Welche Rahmenbedingungen müssen für die Gesellschafter geschaffen werden?<br />

• Welcher Gestaltungsspielraum ergibt sich?<br />

Die Gründungsphase der Betreibergesellschaft<br />

ABB. 4.4<br />

Gestaltungsmöglichkeiten<br />

Kernthemen der<br />

Betreibergesellschaft<br />

Risiko Gewinn<br />

54


BETREIBERMODELLE<br />

kontiki • Handlungsempfehlungen 2003<br />

Weitere Grundsatzfragen sind bereits mit der Aufgabenstellung des Kapitels 2<br />

bearbeitet.<br />

Die Extremfälle der Wertschöpfung können sein:<br />

• keine eigene Wertschöpfung (Managementgesellschaft)<br />

• hohe eigene Wertschöpfung (Vertriebsgesellschaft)<br />

Eine fundierte Kosten-Nutzen-Analyse ist für die (potentiellen) Gesellschafter<br />

einer Betreibergesellschaft unerlässlich.<br />

4.5 Rahmenbedingungen<br />

Für eine Betreibergesellschaft im ÖPV sind Steuer-, Gesellschafts- und öffentliches<br />

Recht von besonderer Bedeutung.<br />

Die Kommunen und kommunale Unternehmen als Partner in der Betreibergesellschaft<br />

sind an die Bestimmungen der jeweiligen Gemeindeordnung gebunden.<br />

So sieht z.B. die Gemeindeordnung NRW unter anderem vor, dass<br />

Gemeinden/kommunale Unternehmen nur dann Einrichtungen des privaten<br />

Rechts gründen oder sich an solchen beteiligen dürfen, wenn die Haftung der<br />

Gemeinden beschränkt ist, sie einen angemessenen Einfluss – insbesondere in<br />

einem Überwachungsorgan – erhalten, die Einrichtung bzw. der Geschäftszweck<br />

auf den öffentlichen Zweck ausgerichtet ist und ein Jahresabschluss<br />

und Lagebericht nach den Vorschriften des Dritten Buches des HGB (Handelsgesetzbuch)<br />

aufgestellt und geprüft wird (vgl. § 108 GO NW). Die kommunale<br />

Aufsichtsbehörde, in den meisten Fällen der Regierungspräsident, ist somit<br />

einzubeziehen.<br />

Allgemeines Kartellrecht ist bei der Gründung entsprechend zu beachten.<br />

Es wird empfohlen, frühzeitig die Kartellbehörde (z. B. Landeskartellamt) einzubinden<br />

und das Betreibermodell vorzustellen und abzustimmen. Hilfreich kann,<br />

je nach Situation, eine Unbedenklichkeitsbestätigung des Kartellamtes sein.<br />

Einem Interessenkonflikt zwischen speziellen Interessen privater Partner<br />

einer Betreibergesellschaft und den Anforderungen des ÖPV ist durch entsprechende<br />

Vertragsgestaltung vorzubeugen.<br />

4.6 Kunden<br />

Denkbare Kunden für eine Betreibergesellschaft sind:<br />

• Aufgabenträger<br />

• Verkehrsunternehmen<br />

• Verbünde<br />

• Zweckverband<br />

Der Kunde „Fahrgast“ als unmittelbarer Nutzer des ÖPV scheidet aus Sicht<br />

der Betreibergesellschaft als direkter Kunde aus.<br />

4.7 Motivation<br />

Eine Reihe von Beweggründen können ein Verkehrsunternehmen/einen<br />

Verkehrsverbund zur Gründung einer Betreibergesellschaft veranlassen.<br />

• Starker Kostendruck<br />

• Konzentration auf das Kerngeschäft<br />

• Politischer Druck zur Anwendung moderner Technologien<br />

• Synergieeffekte<br />

• Erzeugen der kritischen Masse für die Anwendung bestimmter Technologien<br />

55


BETREIBERMODELLE<br />

Einflussfaktoren<br />

ABB. 4.9<br />

Gemeinwohl<br />

Daseinsfürsorge<br />

kontiki • Handlungsempfehlungen 2003<br />

• Komplexität neuartiger Systeme<br />

• Verkehrspolitische Vorgaben<br />

• Anforderungen und Bedürfnisse der Fahrgäste<br />

• Minimieren von wirtschaftlichen, strategischen und technologischen Risiken<br />

• Bündelung von Branchen- und Prozess-Know-how (Alleinstellungsmerkmal)<br />

4.8 Mögliche Gesellschafter<br />

Gesellschafter einer Betriebsgesellschaft können sein:<br />

• Industrieunternehmen<br />

• Verkehrsunternehmen<br />

• Verbünde/Zweckverbünde<br />

• Kreditwirtschaft<br />

• Venture Capital<br />

4.9 Gesellschafterstrukturen<br />

Die Rechtsform der Gesellschaft sollte eine GmbH oder eine AG sein. Bei der<br />

Gesellschaftsform bzw. -struktur muss der Ausgewogenheit der Dynamik und<br />

Innovationsbereitschaft einerseits und dem gebotenen Sicherheitsbedürfnis,<br />

insbesondere der Öffentlichen Hand, entsprechend Rechnung getragen werden.<br />

4.9.1 Interessengemeinschaft<br />

Wenn sich mehrere kleine Unternehmen an einer Betreibergesellschaft beteiligen<br />

wollen, bietet sich die Bündelung ihrer Interessen in eine Beteiligungsgesellschaft<br />

bzw. Interessengemeinschaft an. Dadurch bleibt die Handlungsfähigkeit<br />

der Betreibergesellschaft erhalten.<br />

4.9.2 Gewichtung der Gesellschafter<br />

Bei der Gewichtung der Gesellschafter ist zu berücksichtigen, ob Aufträge<br />

von den beteiligten Verkehrsunternehmen an die Betreibergesellschaft dem<br />

Vergaberecht unterliegen.<br />

public privat<br />

Beständigkeit<br />

Spannungsbogen<br />

Leistungsorientierung<br />

Gewinnorientierung<br />

Generell sind folgende Kriterien<br />

für die Aufnahme und Eignung<br />

von Gesellschaftern zu berücksichtigen:<br />

• technologische Kompetenz<br />

• steuerrechtliche<br />

Gesichtspunkte<br />

• juristische Bedingungen<br />

• wirtschaftliche Situation<br />

• Mentalität, Flexibilität der<br />

Partnergesellschafter<br />

• kulturelle Unterschiede.<br />

Der Erfolg der Betreibergesellschaft<br />

liegt in der Bündelung<br />

des Wissens, der<br />

Finanzkraft sowie im Ausgleichs<br />

der kulturellen<br />

Unterschiede.<br />

56


BETREIBERMODELLE<br />

kontiki • Handlungsempfehlungen 2003<br />

4.10 Der Gesellschaftervertrag<br />

Privatrechtliche und öffentliche Unternehmen gehen in der Gründungsphase<br />

einen Gesellschaftervertrag unter Wahrung der gemeinsamen Interessenausgleichs<br />

ein.<br />

Dabei werden die unterschiedlichen Beweggründe zur Gründung einer<br />

Betreibergesellschaft analysiert, speziell werden die Schwerpunktthemen:<br />

Markt, Kunden und Bedarf bewertet.<br />

4.11 Finanzierung der Gesellschaft<br />

Die Finanzierung einer Betreibergesellschaft kann erfolgen als<br />

• Private Finanzierung<br />

• Finanzierung über bestehende Strukturen der kommunalen Gesellschafter<br />

(z.B. Kommunaldarlehen etc.)<br />

• Finanzierung über steueroptimierte Modelle ( Ausnutzung von Steuervorteilen<br />

auf dem internationalen Markt)<br />

• Finanzierung über Stille Gesellschafter mit Risiko-Kapital<br />

• Einbringung materieller und immaterieller Güter (Asset)<br />

• Leasing (Vorsicht! Leasing ist die teuerste Form der Finanzierung)<br />

Für die Nutzung steueroptimierter Modelle ist ein Finanzierungsvolumen<br />

von etwa j 50 Millionen erforderlich. Die Betreibergesellschaft muss ihre<br />

Kosten durch Einnahmen decken.<br />

Dazu können gehören:<br />

• Provisionen (x % vom Umsatz)<br />

• Festpreise (beispielsweise für jede herausgegebene Karte<br />

oder je Transaktion)<br />

• Mischformen von Festpreis/Provision<br />

• Einnahmen aus Mehrwertdiensten<br />

• Pauschalbetrag für den Gesamtbetrieb eines Ticketingsystems<br />

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