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'Organisierte Gewalt' - Vater unser in der Hölle

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solange her, daß es überhaupt e<strong>in</strong>en öffentlichen Diskurs darüber geben darf,<br />

20 o<strong>der</strong> 30 Jahre. Gewalt ist e<strong>in</strong>e massive Grenzüberschreitung. Nicht nur<br />

Gewalttäter verletzen Grenzen. Auch Opfer verlieren ihre Grenzen. Helfer<br />

beachten die eigenen Grenzen nicht mehr und überfor<strong>der</strong>n sich massiv.<br />

Berichterstatter überfluten Zuschauer, Hörer, Leser mit Gewaltbil<strong>der</strong>n. Das<br />

führt zu massiven Gegenreaktionen: Abwehr, die auch die Form von Unglauben<br />

nimmt. Wie beim Squash prallt <strong>der</strong> Ball zurück gegen den, <strong>der</strong> ihn<br />

geschlagen hat.<br />

Wenn man sich so lange wie ich beruflich mit Gewalt beschäftigt –als Journalist<strong>in</strong>,<br />

als Soziolog<strong>in</strong>, als Mensch <strong>in</strong> dieser Gesellschaft suche ich seit fast<br />

zwanzig Jahren nach immer neuen Formen, Bil<strong>der</strong>n, an<strong>der</strong>en Worten, um das<br />

Unsagbare zu sagen–, dann weiß man, wie heftig die Gegenreaktionen se<strong>in</strong><br />

können. Backlash nennen wir e<strong>in</strong>e gesellschaftliche Reaktion, die Fachleuten,<br />

welche mit Opfern organisierter Gewalt arbeiten, <strong>in</strong> den letzten Jahren manche<br />

Probleme bereitet hat. Lieber soll es das Ausmaß <strong>der</strong> Gewalt, von dem<br />

Überlebende berichten, nicht geben. Lieber sollen sich ganze Berufsstände<br />

–Therapeuten, Ärzte, Berater– diese Berichte ausgedacht haben.<br />

Warum ist die Reaktion auf e<strong>in</strong> tabuisiertes Thema manchmal heftiger als<br />

die auf e<strong>in</strong>en konkreten Tabubruch? Weil uns <strong>der</strong> klare Blick auf das Ausmaß<br />

<strong>der</strong> Gewalt <strong>in</strong> <strong>unser</strong>er Gesellschaft so bedroht. Er nimmt uns die Illusion von<br />

Sicherheit, ohne die wir nicht funktionieren können. Und was dann passiert,<br />

beschreibt die amerikanische forensische Psycholog<strong>in</strong> Anna Salter so: ‘Wenn<br />

man den Glauben <strong>der</strong> Leute an ihre Sicherheit <strong>in</strong> Frage stellt, hackt man<br />

gegen e<strong>in</strong>e Pfahlwurzel, die so tief ist, daß man froh se<strong>in</strong> kann, wenn man<br />

nicht gelyncht wird.’ Die Annahme von Sicherheit ist die Grundlage aller<br />

Verhaltensmuster, nur dann können wir normal funktionieren. Selbst wenn<br />

es e<strong>in</strong>e falsche Annahme ist. Wer e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>bruch erlebt hat, weiß, wie<br />

schnell sich dieses Gefühl <strong>der</strong> Sicherheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> eigenen Wohnung verflüchtigen<br />

kann. In den letzten 15 Jahren erschienen weltweit rund 300 Untersuchungen<br />

zu optimistischer Vore<strong>in</strong>genommenheit. Ergebnis: die Menschen s<strong>in</strong>d gesün<strong>der</strong>,<br />

glücklicher und erreichen mehr, wenn sie die Realität <strong>in</strong> positiver Weise<br />

verfälschen.<br />

c○ Ulla Fröhl<strong>in</strong>g 2007<br />

Diese Illusionen halten uns aufrecht. Menschen wollen sich sicher fühlen. Sie<br />

wollen glauben, daß sie Bösartigkeit erkennen können. Und es ist tatsächlich<br />

psychisch gesund, das zu glauben.<br />

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