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Martin Immenschuh - CAJ Freiburg

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Gott hat der Hoffnung einen Bruder gegeben.<br />

Er heißt Erinnerung<br />

(Michelangelo 1475 – 1564)<br />

Kongress „Vamos Caminando – Wir stehen erst am Anfang“<br />

30 Jahre Partnerschaft <strong>CAJ</strong> <strong>Freiburg</strong> – JOC del Peru<br />

20 Jahre Partnerschaft KAB <strong>Freiburg</strong> – MTC Peru<br />

Dokumentation der Arbeitsgruppe vom Nachmittag des 05.09.2009<br />

Er war auch eine Gelegenheit für ein Wiedersehen, dieser Kongress anlässlich des 30jährigen<br />

Jubiläums der Partnerschaft der <strong>CAJ</strong> <strong>Freiburg</strong> und der JOC del Peru, eine Gelegenheit für ein<br />

Wiedersehen für uns als ehemalige Verantwortliche, Aktivisten und Aktivistinnen der <strong>CAJ</strong> <strong>Freiburg</strong><br />

in den 80er Jahren und zu Beginn der 90er Jahre: <strong>Martin</strong> <strong>Immenschuh</strong>, Karl Weber, Jörg Fröhlich,<br />

Hans-Jörg Lammer, Regina Kessner, Klaus Kessner, Wolfgang Laifer, Engelbert Reck, Susanne<br />

Hartmann.<br />

Wir waren neugierig: neugierig darauf zu erfahren, was sie heute ist, diese Partnerschaft zwischen<br />

der <strong>CAJ</strong> <strong>Freiburg</strong> und der JOC del Peru, diese Partnerschaft, die wir mitbegründet und<br />

mitentwickelt hatten und wir waren neugierig darauf, uns wieder zu sehen, zu sehen, wer wir heute<br />

sind, zu sehen, was uns heute bewegt und uns gegenseitig zu befragen, was wir heute noch<br />

bewegen.<br />

Es geht nicht um einen romantischen Blick zurück auf unsere „wilden“ Jahre in der <strong>CAJ</strong>. Es geht<br />

nicht um die Glorifizierung der eigenen Verdienste in der Partnerschaft. Es geht nicht um den<br />

Strauß von Anekdoten, den jede und jeder von uns aus den verschiedenen Intercambios entfalten<br />

könnte und es geht auch nicht um eine unkritische Idealisierung der Geschichte der Partnerschaft.<br />

Vielleicht ist es einer der bemerkenswertesten Verdienste Nachkriegs-Deutschlands, dass wir aus<br />

unserer Geschichte gelernt haben, Erinnerung so zu gestalten, dass daraus Hoffnung und<br />

Versöhnung erwächst. Erinnerung verpflichtet, Wegweiser für die Zukunft zu konstruieren.<br />

Wenn wir heute sagen, dass wir der <strong>CAJ</strong> immer noch dankbar sind; wenn wir sagen, dass wir<br />

immer noch stolz auf diese Partnerschaft sind, dann müssen wir dafür ein paar mehr Gründe<br />

benennen können als nur Dankbarkeit für ein paar nette Erinnerungen, dokumentiert in langsam<br />

vergilbenden Fotoalben, oder den Stolz darauf, vor 30 Jahren eine Idee gehabt zu haben, die<br />

inzwischen hundertfach mehr oder weniger gelungen von anderen Organisationen, Institutionen<br />

oder Pfarrgemeinden kopiert wird.<br />

Beruflich und familiär unterscheiden sich unsere Lebenssituationen. Wir haben unterschiedliche<br />

Ausbildungen, unterschiedliche Berufe, unterschiedliche Karrieren und leben in unterschiedlichen<br />

Familienphasen: verheiratet oder nicht verheiratet, mit und ohne Kinder, im eigenem Haus oder in<br />

Miete, auf dem Land oder in der Stadt und inzwischen ist es für uns alle nicht nur Theorie, sondern<br />

Erfahrung, dass kein Lebensentwurf die Gewähr für´s Glücklichsein bietet. Das Leben hat sich als<br />

komplizierter, riskanter, brüchiger, verlustreicher erwiesen als wir es mit zwanzig vermutet hatten.<br />

Wir sind um ein paar Illusionen ärmer und um einige Erfahrungen reifer. Gemeinsam ist uns allen,<br />

dass wir immer noch in „Aktion“ sind: als Betriebsräte und Betriebsrätinnen, in der Gewerkschaft,<br />

im Gemeinwesen, in der Pfarrgemeinde, in Verbänden oder Vereinen. „Einmal <strong>CAJ</strong>ler - immer<br />

<strong>CAJ</strong>ler“ oder „Nichts verändert sich, außer Du tust es“ – mit solchen alten „Kalendersprüchen“ der<br />

<strong>CAJ</strong> tut man sich jenseits der vierzig schwerer als mit zwanzig, aber manchmal bringen solche<br />

Sätze die Dinge doch immer noch auf den Punkt.<br />

Die Werte und Überzeugungen, auf denen unser heutiges Engagement basiert, sind die Werte und<br />

Überzeugungen, die in der <strong>CAJ</strong> grundgelegt wurden, auch wenn es heute nicht mehr die <strong>CAJ</strong> ist,<br />

in der wir uns engagieren, sondern andere Organisationen und Institutionen. Wir sind immer noch<br />

in „Aktion“, weil wir in der <strong>CAJ</strong> gelernt haben,<br />

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dass die Würde des Menschen unantastbar ist<br />

dass Gerechtigkeit Einsatz braucht<br />

dass Veränderung möglich ist<br />

dass Veränderung am konkreten Leben, an den konkreten Erfahrungen der Menschen<br />

ansetzen muss<br />

dass Veränderung Ausdauer, Geduld und langen Atem braucht<br />

Das Selbstvertrauen und das Selbstbewusstsein, mit dem wir heute die Herausforderungen und<br />

Aufgaben, die uns in unserem Engagement begegnen, annehmen, wurzelt in den Erfahrungen, die<br />

wir als Bezirks- Diözesan- oder Bundesleiter und –leiterinnen der <strong>CAJ</strong> gesammelt haben. Wir sind<br />

immer noch in „Aktion“, weil wir in der <strong>CAJ</strong> gelernt haben,<br />

Verantwortung zu übernehmen und in Verantwortung hineinzuwachsen<br />

Menschen und ihre Interessen zu organisieren,<br />

Gruppen und Organisationen zu führen und zu leiten<br />

gesellschaftliche Prozesse (mit) zu gestalten<br />

Konflikte auszuhalten und auszutragen<br />

Gott dort ins „Spiel zu bringen“, wo es sich sonst niemand traut<br />

Unsere „Aktionsformen“ haben sich verändert. Wir sind weniger bei Demonstrationen auf der<br />

Straße, sondern sitzen inzwischen meist an Verhandlungstischen. Um etwas zu bewegen, haben<br />

wir uns hineingewagt in die Gremien und Räte, die Kommissionen und Bündnisse. „Schwarz oder<br />

weiß“- so einfach ist die Welt nicht (mehr) im Alltag der Betriebsratsarbeit, im Alltag der<br />

Gewerkschaften, im Alltag politischer Bündnisse, bei der Suche nach Mehrheiten und der<br />

Organisation von Interessen in einer pluralen, individualisierten Welt. Wir haben gelernt, einfachen<br />

Antworten zu misstrauen, Problemlagen differenziert zu betrachten, Kompromisse zu schließen<br />

und Rückschläge, Niederlagen einzustecken. Wenn man sich engagiert, wenn man mitmischt,<br />

wenn man hineingeht in die Strukturen der Macht, läuft man Gefahr, sich zu verstricken in diesen<br />

Strukturen, in Abhängigkeiten, in Verpflichtungen, in den Regeln, in der Logik des Systems. Man<br />

läuft Gefahr, sich korrumpieren zu lassen von Erfolg, Ansehen, Prestige, Macht. Man läuft Gefahr,<br />

„gemäßigt“ und letztlich dann „mäßig“ zu werden. Man läuft Gefahr, die Radikalität der Analyse<br />

und des Engagements zu verlieren. Radikal – das kommt vom lateinischen Wort „radix“ = Wurzel.<br />

Die Erfahrungen, die wir durch die Partnerschaft zwischen der <strong>CAJ</strong> <strong>Freiburg</strong> und der JOC del Peru<br />

gemacht haben, waren radikalisierende Erfahrungen. Sie haben uns verwurzelt oder besser<br />

gesagt: wir haben uns in dieser Erfahrungen verwurzelt. Bis heute „schützen“ sie uns davor, mäßig<br />

zu werden. Bis heute „schützen“ uns diese Erfahrungen davor, nur bis zu unserem eigenen<br />

Tellerrand zu sehen. Bis heute bewerten wir, das was wir tun, das, was wir erreichen, das, was wir<br />

als „Fortschritt“ oder „Sieg“ feiern, auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen. Unser Engagement ist<br />

verwurzelt in Begegnungen mit Menschen, deren Gesichter uns immer noch begleiten: Victor,<br />

Clementina, Juan, Martha, Jorge, Vicky, Marco, Elvira, Hernan, Rosa, Lorenzo, Silvia, Alejandro …<br />

Die Frage, ob wir das, was wir heute tun, ob wir das, was wir heute leben, rechtfertigen könnten<br />

vor den Menschen, die wir bei den Begegnungen durch die Partnerschaft kennenglernt haben, ist<br />

immer noch Maßstab und Korrektiv unseres Engagement – unabhängig davon, wo wir uns heute<br />

engagieren.<br />

Die Partnerschaft besteht nicht aus Umarmungen. Es gab in den letzten dreißig Jahren vermutlich<br />

mehr Schwierigkeiten als Feste, mehr Unterschiede als Übereinstimmungen, mehr anstrengende<br />

Diskussionen als amüsante Anekdoten. Dreißig Jahre Partnerschaft – das ist nicht Friede, Freude,<br />

Eierkuchen, sondern das erfordert Anstrengung, Ernsthaftigkeit, Konfliktfähigkeit und -bereitschaft<br />

auf beiden Seiten. Interkulturelle Kompetenz bedeutet nicht, dass Unterschiede der<br />

Erfahrungswelten, der Lebenssituationen, der Traditionen, der Kulturen, der Biographien verwischt<br />

oder „weggeschwätzt“ werden, sondern dass diese Unterschiede bewusst wahrgenommen und als<br />

wesentlicher Bestandteil der Partnerschaft anerkannt werden. Das Geheimnis liegt darin, das<br />

„Andere“, den „Fremden“ zu respektieren, auch und gerade wenn die „Anderen“ schwierig und<br />

unverständlich sind. Es geht darum, die „fremde Situation“ als Chance zum gemeinsamen Lernen<br />

zu gestalten und trotz aller Unterschiede das Verbindende, das Gemeinsame, die Verständigung<br />

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zu suchen. In unserem Engagement als Betriebsräte – und Betriebsrätinnen in weltweit<br />

operierenden Unternehmen, als zivilgesellschaftliche Akteure und Akteurinnen in einer<br />

Einwanderungsgesellschaft, als Konsumenten und Konsumentinnen in einer globalisierten<br />

Weltwirtschaft profitieren wir nicht nur vom Wissen über weltweite Zusammenhänge, das wir in der<br />

Partnerschaft erworben haben, sondern vor allem auch von der interkulturellen Kompetenz, die wir<br />

in der Partnerschaft entwickelt haben.<br />

Auch wenn wir keine aktive Rolle (mehr) in der <strong>CAJ</strong> haben, war der Kongress für uns eine wichtige<br />

Möglichkeit zum Austausch und zur Reflexion. Es ist notwendig, sich gelegentlich der eigenen<br />

Wurzeln zu vergewissern, um ihre Kraft neu zu entdecken. Es ist notwendig, sich gelegentlich<br />

anfragen und nachfragen zu lassen – von den alten „Weggefährten“ von damals, von den jungen<br />

Aktiven der <strong>CAJ</strong>, von den alten Aktiven der KAB, von den anderen, den Priestern, Politikern,<br />

Experten, um nicht selbstgefällig oder betriebsblind zu werden. Dafür war der Kongress ein gutes<br />

Forum. Es war ein Austausch zwischen jung und alt, zwischen Männer und Frauen, zwischen<br />

Vertretern und Vertreterinnen unterschiedlicher Organisationen und Institutionen, zwischen<br />

Menschen unterschiedlicher Lebenserfahrung, zwischen Menschen in unterschiedlichen<br />

Lebenssituationen, aus unterschiedlichen Berufsgruppen, zwischen Menschen unterschiedlicher<br />

Ausbildung, unterschiedlicher Überzeugungen, unterschiedlicher Einkommensverhältnisse,<br />

unterschiedlichem sozialem Status, unterschiedlichen Talenten, unterschiedlichen<br />

Temperamenten, unterschiedlichen Kleidungsstilen, unterschiedlichem Musikgeschmack,<br />

unterschiedlichen Biographien, unterschiedlicher gesellschaftlicher Teilhabe und zuletzt war es<br />

auch ein Austausch von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten. Unterschiedliche Kultur macht<br />

sich längst nicht nur an der Staatsangehörigkeit fest. Interkulturelle Kompetenz setzt voraus, dass<br />

man sich kontinuierlich, verbindlich, ernsthaft und reflektiert mit dem „anderen“ beschäftigt. Es geht<br />

um eine dauerhafte, nachhaltige „Lernpartnerschaft“, nicht um häufig wechselnde Beziehungen auf<br />

internationalem Niveau.<br />

Die Vielfalt, die in diesem Kongress präsent war, hat uns bereichert. Sie hat dazu beigetragen,<br />

unsere eigene Perspektive zu erweitern und den Blick auf die wesentlichen Entwicklungen und<br />

Probleme zu konzentrieren. Beispielsweise haben wir für uns auf Grund der Erfahrungen auf<br />

diesem Kongress unter anderem folgende Handlungsfelder identifiziert:<br />

Der Aufbau interkultureller Kompetenz durch internationale Begegnungen und Kontakte in<br />

Ausbildung und im Berufsleben ist immer noch überwiegend als Privileg von<br />

Führungskräften, Studenten/-innen und Absolventen von Gymnasien organisiert.<br />

Interkulturelle Kompetenz ist in einer globalisierten Weltwirtschaft und in einer<br />

Einwanderungsgesellschaft aber unverzichtbar für alle Arbeitnehmer und<br />

Arbeitnehmerinnen und damit auch als Zugangsbedingung für alle, die Arbeit suchen. Das<br />

heißt für uns, dass wir uns dort, wo wir Einfluss beispielsweise als Betriebsräte,<br />

Gewerkschafter, Elternbeiräte, Vertreter von Verbände, Vereinen oder<br />

Nichtregierungsorganisationen, oder in anderen Funktionen haben, dafür einsetzen wollen,<br />

dass es Zugänge zu Lernfeldern für interkulturelle Kompetenz auch für nicht privilegierte<br />

Schüler/-innen und Arbeitnehmer/-innen gibt. Dabei geht es nicht darum in möglichst kurzer<br />

Zeit möglichst viele vierwöchige Praktika in möglichst vielen Ländern „abzureißen“, sondern<br />

um nachhaltige, begleitete und angeleitete Begegnungen, auch auf persönlicher Ebene.<br />

Die Pluralisierung von Lebenswelten führt immer mehr zur Sprachlosigkeit zwischen den<br />

unterschiedlichen Milieus. Freiheit und Toleranz werden zu Synonymen für Indifferenz und<br />

Entsolidarisierung. Das heißt für uns, dass wir uns dort, wo wir Einfluss haben, dafür<br />

einsetzen wollen, dass gezielt in gemeinsamen Projekten die Begegnung und der<br />

Austausch zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen, zwischen unterschiedlichen<br />

Funktions- und Hierarchieebenen in Betrieben, zwischen Schüler- und Schülerinnen<br />

unterschiedlicher Schularten, zwischen verschiedenen Gruppen und Nationen im<br />

Gemeinwesen initiiert wird, um Ignoranz, Vorurteile und Sprachlosigkeit zu überwinden und<br />

Gemeinschaft statt bloßer Koexistenz zu stiften.<br />

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Die demographische Entwicklung ist eine der zentralen gesellschaftlichen<br />

Herausforderungen der Zukunft und birgt zahlreiche Risiken für das Zusammenleben der<br />

Generationen. Es geht nicht (mehr) darum, dass Alte und Junge je ihr eigenes Terrain<br />

bestellen und sich nach Möglichkeit gegenseitig in Ruhe lassen. Es nützt den Jugendlichen<br />

nichts und auch den Alten nichts mehr, wenn die Alten den Jungen eine „jugendspezifische<br />

Spielwiese“ zugestehen, sie aber von ernsthafter gesellschaftlicher Teilhabe ausschließen<br />

und die nachfolgenden Generationen mit immer neuen Hypotheken belasten. Das heißt für<br />

uns, dass wir uns dort, wo wir Einfluss haben, dafür einsetzen wollen, dass der Dialog<br />

zwischen jung und alt auf Augenhöhe aufgenommen wird. Ein guter Anfang war dabei der<br />

gemeinsame Kongress zwischen <strong>CAJ</strong>/JOC und KAB/MTC.<br />

Susanne Hartmann<br />

Die Erinnerung ist eine mysteriöse Macht.<br />

Sie bildet Menschen um.<br />

Wer das, was schön war, vergisst wird böse.<br />

Wer das, was schlimm war, vergisst wird dumm<br />

Erich Kästner (1899 – 1974)<br />

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