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Norbert Diel Rechtskunde in der Pflege - Herzlich Willkommen zur ...

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<strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong><br />

Praxiswissen <strong>Pflege</strong><br />

<strong>Rechtskunde</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong><br />

E<strong>in</strong> Unterrichtsskript <strong>zur</strong> praktischen Entscheidungshilfe im <strong>Pflege</strong>alltag<br />

_<br />

Köln


<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong><br />

- praktische Entscheidungshilfe im <strong>Pflege</strong>alltag -<br />

von<br />

<strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong><br />

Rechtsanwalt<br />

14. Auflage 2011<br />

Köln


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 3 von 180<br />

Vorwort<br />

Das vorliegende Skript stellt die gängigen rechtlichen Probleme <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> dar und zeigt dem Leser<br />

konkrete Lösungsmöglichkeiten auf.<br />

Es dient mehreren Zwecken. Zum e<strong>in</strong>en richtet es sich an die Praktiker <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege, <strong>der</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>krankenpflege und <strong>der</strong> Altenpflege, an<strong>der</strong>erseits an die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler <strong>in</strong> diesen<br />

Berufen. In diesem S<strong>in</strong>ne behandelt es die wichtigsten Rechtsprobleme im <strong>Pflege</strong>alltag ebenso wie<br />

den klassischen Prüfungsstoff <strong>in</strong> diesen Bereichen. Den Schülern soll es Leitfaden bei <strong>der</strong> Examensvorbereitung<br />

se<strong>in</strong>, dem Praktiker e<strong>in</strong> Nachschlagewerk für den Alltag. Was auf den ersten<br />

Blick wie e<strong>in</strong> Spagat kl<strong>in</strong>gt, liegt <strong>in</strong> Wirklichkeit eng beie<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Denn die Rechtsfragen stellen<br />

sich e<strong>in</strong>heitlich dem Schüler genauso wie dem Berufserfahrenen. Insoweit ist es angezeigt, diese<br />

e<strong>in</strong>heitlich zu erörtern.<br />

Um die Übersichtlichkeit zu wahren und die Darstellung möglichst e<strong>in</strong>fach halten zu können, habe<br />

ich mich für e<strong>in</strong>e Skriptdarstellung entschieden, die sowohl Prüfungsschema, als auch ausformulierten<br />

Text be<strong>in</strong>haltet. Wer dieses Skript durcharbeitet, braucht se<strong>in</strong>e Inhalte nicht auswendig zu lernen.<br />

Son<strong>der</strong>n er kann sich darauf beschränken, die dargestellten Rechtsprobleme durch bloßes logisches<br />

Denken zu lösen. Dazu wird es angehalten und es s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e ausgefeilten juristischen Kenntnisse<br />

erfor<strong>der</strong>lich, son<strong>der</strong>n es genügt e<strong>in</strong> ausgeprägtes Judiz, wie es jedem Menschen <strong>in</strong>ne wohnt.<br />

Der <strong>Pflege</strong>beruf ist längst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wissensgesellschaft angekommen. E<strong>in</strong>er Gesellschaft, <strong>in</strong> <strong>der</strong> laufend<br />

und <strong>in</strong> immer kürzerer Zeit neues Wissen produziert werden muss, weil vorhandenes so<br />

schnell verfällt. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass das mit <strong>der</strong> Ausbildung Erlernte im Gegensatz<br />

zu früheren Zeiten nicht mehr e<strong>in</strong> ganzes Berufsleben lang reicht und auch nicht mehr<br />

durch die im Verlaufe <strong>der</strong> Zeit erworbene Berufspraxis auf dem aktuellen Stand gehalten werden<br />

kann. Zukünftig müssen Angehörige <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>berufe über e<strong>in</strong>e fachliche und persönliche Kompetenz<br />

verfügen, die es ihnen ermöglicht, aufbauend auf ihren fachlichen Qualifikationen mit e<strong>in</strong>em<br />

generalistischen Verständnis an die verschiedenen Lebenssituationen ihres beruflichen Alltags heranzugehen.<br />

Der Berufsalltag for<strong>der</strong>t demgemäß e<strong>in</strong>e Persönlichkeitsstruktur, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage ist, alle<br />

Situationen mit dem Erlernten zu beherrschen und bestehende Wissenslücken mit fachlichmethodischer<br />

Herangehensweise zu schließen. Dies setzt den aktiven und permanent Lernwilligen<br />

Mitarbeiter voraus, <strong>der</strong> stets bemüht ist, se<strong>in</strong>e Handlungskompetenzen zu erweitern. Auch die Mentalität<br />

<strong>der</strong> Auszubildenden wird sich verän<strong>der</strong>n. Der Arbeitnehmer, <strong>der</strong> pflichtbewusst und rout<strong>in</strong>iert<br />

se<strong>in</strong>en Geschäften nachgeht, wird ersetzt durch den mitdenkenden Manager, <strong>der</strong> sich auf allen Ebenen<br />

<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>praxis <strong>zur</strong>echt f<strong>in</strong>det. Es kann von daher nicht schaden, schon früh mit dem „Denkenden<br />

Lernen“ zu beg<strong>in</strong>nen.<br />

Was bedeutet dies für die juristische Ausbildung und Schulung von Angehörigen <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>berufe ?<br />

Sicher ist jedenfalls, dass <strong>der</strong> bisherige Unterrichtstypus <strong>der</strong> Gesetzeskunde, <strong>der</strong> auf das Auswendiglernen<br />

von Gesetzes<strong>in</strong>halten und rechtlichen Dogmen fixiert war und damit eher S<strong>in</strong>gulärwissen<br />

produzierte, als überholt gilt.<br />

Denn dies hatte dazu geführt, dass die (angehende) <strong>Pflege</strong>kraft nur mit wenig S<strong>in</strong>n und Verstand für<br />

das Ganze e<strong>in</strong>fach nur auswendig gelernt hatte, was erlaubt und was verboten ist. Sie war <strong>in</strong>folge<br />

dessen häufig nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, die rechtlichen Gegebenheiten <strong>der</strong> verschiedenen Lebenssituationen<br />

ihres beruflichen Alltags zu erkennen, zu beurteilen und selbständig zu entscheiden, wie sie<br />

sich richtig zu verhalten hatten. Sie konnten dies auch nicht, weil sie das rechtskundige Denken<br />

nicht gelernt hatten.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 4 von 180<br />

Das heutige Verständnis geht daher folgerichtig dazu über, juristische Zusammenhänge als Denkprozesse<br />

zu vermitteln, die Hilfe <strong>in</strong> allen Entscheidungssituationen geben und dadurch Handlungssicherheit<br />

vermitteln. Insoweit wird die <strong>Rechtskunde</strong>, wie die juristische Ausbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege<br />

zutreffen<strong>der</strong> genannt werden sollte, die Eigenverantwortlichkeit und Selbstreflektion <strong>der</strong><br />

Krankenpflegeschüler klarer schulen.<br />

Dazu soll das Skript e<strong>in</strong>e Hilfe se<strong>in</strong>. Viel Freude beim Lesen!<br />

Anregungen s<strong>in</strong>d je<strong>der</strong>zeit willkommen: ra@norbert-diel.de<br />

Köln, den 20. März 2011


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 5 von 180<br />

Inhaltsübersicht<br />

Lerne<strong>in</strong>heit II.14: Zivil- und strafrechtliche Aspekte für Angehörige <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>berufe................................................. 13<br />

Lerne<strong>in</strong>heit I.17: Als Ersthelfer<strong>in</strong> <strong>in</strong> Notfall- und Katastrophensituation handeln (Teilsequenz) .................................. 27<br />

Lerne<strong>in</strong>heit I.29: Die <strong>Pflege</strong>bedürftigen aufnehmen, verlegen und entlassen................................................................. 35<br />

Lerne<strong>in</strong>heit I.34: Psychisch bee<strong>in</strong>trächtigte und verwirrte Menschen pflegen ............................................................... 51<br />

Lerne<strong>in</strong>heit I.38: Sterbehilfe und Strafrecht (e<strong>in</strong>schl. Patientenverfügung / Behandlungsabbruch) ............................... 59<br />

Lerne<strong>in</strong>heit II.15: Die zivilrechtliche Haftung des <strong>Pflege</strong>personals ............................................................................. 107<br />

Lerne<strong>in</strong>heit II.16: Arbeitsrechtliche Grundlagen .......................................................................................................... 124<br />

Lerne<strong>in</strong>heit II.26: Sexualdelikte und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ................................................................ 152<br />

Lerne<strong>in</strong>heit IV.b 11: Infektionsschutz .......................................................................................................................... 168


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 6 von 180<br />

Gesamtcurriculum <strong>Rechtskunde</strong><br />

- geglie<strong>der</strong>t nach den Gesamt<strong>in</strong>halten -<br />

Quelle: Ausbildungsrichtl<strong>in</strong>ie für die staatlich anerkannten Kranken- und K<strong>in</strong><strong>der</strong>krankenpflegeschulen <strong>in</strong> NRW<br />

Herausgeber: M<strong>in</strong>isterium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen<br />

Lernbereich I: <strong>Pflege</strong>rische Kernaufgaben Juristische Inhalte:<br />

Nr. Inhalt Std. Inhalt<br />

2 Std. Grundlagen des Rechts, Vermittlung methodischer Kenntnisse,<br />

Unterschied zwischen Rechtsquellen, Rechtsgebieten, Zivilrecht, Strafrecht, Verschulden<br />

und Tatbestand<br />

I.1 Haut und Körper pflegen (mit I.23), (mit II.6)<br />

I.2 Mund und Zähne pflegen (mit I.23)<br />

I.3 Sich bewegen (mitI.23), (mit II.6)<br />

I.4 Sehen und Hören<br />

I.5 Essen und Tr<strong>in</strong>ken 2 Std. Ziele des deutschen Lebensmittelrechts und dessen Überwachung,<br />

Verordnungen zu/r Kennzeichnung von Lebensmitteln, Zualssung von Zusatzstoffen,<br />

diätischen Lebensmitteln, Nährwertangaben, Schadstoffbelastung<br />

I.6 Ausscheiden<br />

I.7 Atmen<br />

I.8 Wach se<strong>in</strong> und Schlafen<br />

I.9 Hygienisch arbeiten (Teilsequenz)<br />

I.10 Vitalzeichen kontrollieren<br />

I.11 Medikamente verabreichen 2 Std. Das Arzneimittelgesetz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Bedeutung für den Umgang mit Medikamenten:<br />

Begriffsbestimmung „Arzneimittel“, E<strong>in</strong>teilung <strong>der</strong> Arzneimittel, Grundsätze zum<br />

Herstellen und Inverkehrbr<strong>in</strong>gen von Arzneimitteln, Informationen zu Arzneimitteln<br />

I.12 Injizieren<br />

I.13 Bei <strong>der</strong> Wundbehandlung assistieren<br />

I.14 Bei <strong>der</strong> Infusionstherapie assistieren<br />

I.15 Bei <strong>der</strong> Transfusionstherapie assistieren 0,5 Std. Grundlagen des Transfusionsrechts<br />

I.16 Bei Diagnose- und Therapieverfahren assistieren<br />

I.17 Als Ersthelfer<strong>in</strong> <strong>in</strong> Notfall- und Katastrophensituation handeln (Teilsequenz) 4 Std. Rechtliche (und Ethische) Aspekte <strong>zur</strong> Ersten Hilfe: Verpflichtung <strong>zur</strong> Hilfeleistung,<br />

rechtliche Konsequenten bei unterlassener o<strong>der</strong> fehlerhafter Hilfeleistung<br />

I.18 Beim Schock handeln


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 7 von 180<br />

I.19 Gespräche führen<br />

I.20 Beraten und anleiten<br />

I.21 Gespräche mit <strong>Pflege</strong>bedürftigen und Angehörigen führen<br />

I.22 Gespräche mit KollegInnen und Vorgesetzten führen<br />

I.23 Zu pflege<strong>in</strong>haltlichen Fragen beraten und anleiten<br />

I.24 <strong>Pflege</strong> planen und dokumentieren (Teilsequenz) 2 Std. S<strong>in</strong>n und Zweck <strong>der</strong> Dokumentation bzw. juristische Konsequenzen bei unterlassener<br />

o<strong>der</strong> fehlerhafter Dokumentation<br />

I.25 <strong>Pflege</strong> nach e<strong>in</strong>em System organisieren<br />

I.26 <strong>Pflege</strong> nach e<strong>in</strong>em Standard planen<br />

I.27 Mit an<strong>der</strong>en Berufsgruppen zusammenarbeiten<br />

I.28 Besprechungen und Visiten durchführen<br />

I.29 Die <strong>Pflege</strong>bedürftigen aufnehmen, verlegen und entlassen 2 Std. Vertragsrecht: Abschluss des Krankenhausaufnahmevertrages, des ärztlichen und<br />

pflegerischen Vertrages,<br />

Beendigung <strong>der</strong> Verträge<br />

I.30 Schwangere und Wöchner<strong>in</strong>nen pflegen<br />

I.31 Neugeborene K<strong>in</strong><strong>der</strong> und kranke K<strong>in</strong><strong>der</strong> pflegen 1 Std. K<strong>in</strong>desmisshandlung und rechtliche Bestimmungen bei K<strong>in</strong>desmissbrauch<br />

Rechtsfolgen <strong>der</strong> Geburt und des Todes,<br />

Meldepflichten<br />

I.32 Fieberkranken Menschen pflegen<br />

I.33 Schmerzbelastete Menschen pflegen 2 Std. Zentrale Aussagen des Betäubungsmittelgesetzes,<br />

Überwachung <strong>der</strong> gesetzlichen Bestimmungen,<br />

Konsequenzen für pflegerisches Handeln<br />

I.34 Psychisch bee<strong>in</strong>trächtigte und verwirrte Menschen pflegen 2 Std. Bundesrechtliche Bestimmungen <strong>zur</strong> Betreuung psychisch Kranker,<br />

Landesrechtliche Bestimmungen zum Schutz psychisch Kranker,<br />

Beendigung <strong>der</strong> Behandlung bei Sterbenden, die unter Betreuung stehen<br />

I.35 Chronisch kranke Menschen pflegen<br />

I.36 Tumorkranke Menschen pflegen<br />

I.37 Menschen nach Unfällen pflegen<br />

I.38 Sterbende Menschen pflegen 6 Std. Begriffsbestimmung(en) „Tod“ aus rechtlicher Sicht,<br />

Sterbehilfe, Sterbehilfe durch Angehörige <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>berufe,<br />

Zur beson<strong>der</strong>en Problematik <strong>der</strong> Tötung auf Verlangen, <strong>der</strong> Tötung Kranker gegen<br />

ihren Willen sowie <strong>der</strong> Tötung Kranker, von denen ke<strong>in</strong>e Willensäußerung vorliegt,<br />

PatientInnenverfügungen,<br />

Rechtliche Regelungen zum Thema „Testament“


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 8 von 180<br />

Lernbereich II: Ausbildungs- und Berufssituation von <strong>Pflege</strong>nden Juristische Inhalte:<br />

Nr. Inhalt Std. Inhalt<br />

II.1 Rechtliche Regelung <strong>der</strong> Ausbildung Rechtliche Vorgaben zu Ausbildungszielen, -<strong>in</strong>halten und -struktur,<br />

Ausbildungsvertrag, Rechte und Pflichten <strong>der</strong> Auszubildenden bzw. Ausbildenden,<br />

Rechtsgrundlagen zum Examen und Prüfungsmodalitäten seitens <strong>der</strong> Ausbildungsstätte<br />

II.2 Lernen und Lerntechniken<br />

II.3 Soziales Lernen<br />

II.4 E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die praktischen Ausbildungse<strong>in</strong>sätze<br />

II.5 Lernen <strong>in</strong> <strong>der</strong> praktischen Ausbildung<br />

II.6 Persönliche Grun<strong>der</strong>haltung<br />

II.7 Grundfragen und Modelle beruflichen <strong>Pflege</strong>ns<br />

II.8 Geschichte <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>berufe<br />

II.9 <strong>Pflege</strong>n als Beruf<br />

II.10 <strong>Pflege</strong> als Wissenschaft<br />

II.11 Ethische Herausfor<strong>der</strong>ungen für Angehörige <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>berufe<br />

II.12 EDV <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong><br />

II.13 Qualitätssicherung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong><br />

II.14 Zivil- und strafrechtliche Aspekte für Angehörige <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>berufe 6 Std. (Grundlagen des Rechts werden als eigenständiger Block zu Beg<strong>in</strong>n des Blocks<br />

behandelt [Begriffsbestimmungen, Rechtsquellen, Rechtsgebiete, Zivilrecht, Strafrecht,<br />

Verschulden, Tatbestand]),<br />

Welche <strong>Pflege</strong>handlungen können zivil-/strafrechtliche Konsequenzen haben ? (u.a.<br />

Körperverletzung),<br />

Schweigepflicht: Bedeutung des § 203 StGB für die Angehörigen <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>berufe,<br />

Freiheitsentziehung: Bedeutung des Grundrechts auf „Unverletzlichkeit <strong>der</strong> Freiheit<br />

<strong>der</strong> Person“ e<strong>in</strong>erseits und <strong>der</strong> Freiheitsentziehung im S<strong>in</strong>ne des Betreuungsrechts<br />

an<strong>der</strong>erseits für das pflegerische Handeln<br />

II.15 Haftungsrechtliche Aspekte für Angehörige <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>berufe 8 Std. Die auf Vertrag o<strong>der</strong> Delikt beruhende Schadensersatzhaftung des <strong>Pflege</strong>personals,<br />

Beson<strong>der</strong>heiten <strong>zur</strong> strafrechtlichen Haftung: Straftatbestände, Rechtswidrigkeit und<br />

Rechtfertigung, Schuld, Schuldfähigkeit und Strafmündigkeit<br />

Haftungs- und arbeitsrechtliche Zusammenhänge: Haftung wegen Nichterfüllung<br />

o<strong>der</strong> Schlechtleistung, Haftungse<strong>in</strong>schränkungen, arbeitsrechtliche Konsequenzen,<br />

die sich aus Straftatbeständen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schadensersatzhaftung ergeben können,<br />

Die beson<strong>der</strong>e rechtliche Problematik <strong>der</strong> „Delegation“<br />

II.16 Arbeitsrechtliche Grundlagen 8 Std. Der Arbeitsvertrag,<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen (z.B. allgeme<strong>in</strong>e Pflichten, Schweigepflicht, Geschenke),<br />

Die Arbeitszeit,<br />

Die Vergütung,


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 9 von 180<br />

Urlaub, Arbeitsbefreiung,<br />

Beendigung des Arbeitsverhältnisses,<br />

Geltungsbereich e<strong>in</strong>es Tarifvertrages<br />

II.17 Betriebliche ArbeitnehmerInnenvertretung Wahl und Zusammensetzung <strong>der</strong> ArbeitnehmerInnenvertretung, Mitbestimmung und<br />

Mitwirkung <strong>der</strong> ArbeitnehmerInnenvertretung im Betrieb, Vertretung von Auszubildenden,<br />

Aktivitäten <strong>der</strong> ArbeitnehmerInnenvertretung an <strong>der</strong> Ausbildungsstätte<br />

II.18 Betrieblicher Arbeitsschutz - Betriebliche Gesundheitsför<strong>der</strong>ung Bereiche, die durch Arbeitsschutzgesetze geregelt werden,<br />

Institutionen und rechtliche Grundlagen des Arbeitsschutzsystems <strong>in</strong> Deutschland,<br />

Arbeitsschutz und Berufskrankheiten,<br />

gesetzliche Grundlagen <strong>der</strong> betrieblichen Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />

II.19 Unfallverhütung 1 Std. Allgeme<strong>in</strong>e Unfallverhütungsvorschriften,<br />

Umgang mit gefährlichen Stoffen: Rechtsgrundlagen und Handlungsanleitungen<br />

II.20 Dienstplangestaltung 1 Std. Die Arbeitszeitverordnung<br />

Arbeitszeitregelungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong><br />

II.21 Macht und Hierarchie<br />

II.22 Gewalt<br />

II.23 Helfen und Hilflos se<strong>in</strong><br />

II.24 Angst und Wut<br />

II.25 Ekel und Scham<br />

II.26 Sexuelle Belästigung 2 Std. Sexualdelikte<br />

sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und rechtliche Möglichkeiten, sich <strong>zur</strong> Wehr<br />

zu setzen


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 10 von 180<br />

Lernbereich III: Zielgruppen, Institutionen und Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

pflegerischer Arbeit Juristische Inhalte:<br />

Nr. Inhalt Std. Inhalt<br />

III.1 K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche<br />

III.2 Alte Menschen<br />

III.3 Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te Menschen<br />

III.4 Menschen aus fremden Kulturen<br />

III.5 „Arme“ und „reiche“ Menschen 0,5 Std. Grundlagen des Bundessozialhilfegesetzes<br />

III.6 PatientInnen und „BewohnerInnen“ stationärer E<strong>in</strong>richtungen<br />

III.7 <strong>Pflege</strong>bedürftige und ihre Angehörigen im ambulanten Bereich<br />

III.8 Institutionen des Gesundheitswesens<br />

III.9 Gesundheitsför<strong>der</strong>ung und Prävention<br />

III.10 Das deutsche Sozial- und Gesundheitssystem<br />

III.11 Der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat („Staatsbürgerkunde“)<br />

III.12 Ökologische Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

III.13 Wirtschaftliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 11 von 180<br />

Lernbereich IVa: Gesundheits- und Krankenpflege bei bestimmten PatientInnengruppen<br />

Juristische Inhalte:<br />

Nr. Inhalt Std. Inhalt<br />

IVa.1 <strong>Pflege</strong> psychisch kranker und/o<strong>der</strong> abhängiger PatientInnen 2 Std. rechtliche Grundlagen <strong>der</strong> Fixierung und Zwangsmaßnahmen<br />

IVa.2 <strong>Pflege</strong> herzkranker PatientInnen<br />

IVa.3 <strong>Pflege</strong> von PatientInnen mit Störungen o<strong>der</strong> Erkrankungen des Kreislaufs<br />

IVa.4 <strong>Pflege</strong> von PatientInnen mit Störungen o<strong>der</strong> E<strong>in</strong>schränkungen <strong>der</strong> Beweglichkeit<br />

IVa.5 <strong>Pflege</strong> von PatientInnen mit Störungen des zentralen Nervensystems<br />

IVa.6 <strong>Pflege</strong> von PatientInnen mit Atemstörungen o<strong>der</strong> Erkrankungen <strong>der</strong> Atemorgane 2 Std. Geschichtliche Entwicklung, Ziele und Kernaussagen des Bundesseuchengesetzes<br />

IVa.7 <strong>Pflege</strong> von PatientInnen mit Störungen o<strong>der</strong> Erkrankungen des Ernährungs- und Verdauungssystems<br />

IVa.8 <strong>Pflege</strong> von PatientInnen mit Leber-, Gallen-, Pankreas- sowie Stoffwechselerkrankungen<br />

IVa.9 <strong>Pflege</strong> von PatientInnen mit Störungen <strong>der</strong> hormonellen Regulationsfunktion<br />

IVa.10 <strong>Pflege</strong> von PatientInnen mit Ur<strong>in</strong>ausscheidungsstörungen<br />

IVa.11 <strong>Pflege</strong> von PatientInnen mit Störungen <strong>der</strong> Sexualfunktionen o<strong>der</strong> Erkrankungen <strong>der</strong> Genitalorgane<br />

IVa.12 <strong>Pflege</strong> von PatientInnen mit Störungen <strong>der</strong> Immunreaktion<br />

IVa.13 <strong>Pflege</strong> von PatientInnen mit Störungen <strong>der</strong> Blutbildung und -ger<strong>in</strong>nung<br />

IVa.14 <strong>Pflege</strong> hautkranker PatientInnen<br />

IVa.15 <strong>Pflege</strong> seh- und hörerkrankter PatientInnen<br />

2 Std. Geschichtliche Entwicklung, Ziele und Kernaussagen des Gesetzes <strong>zur</strong> Bekämpfung<br />

<strong>der</strong> Geschlechtskrankheiten


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 12 von 180<br />

Lernbereich IVb: Gesundheits- und K<strong>in</strong><strong>der</strong>krankenpflege bei bestimmten<br />

PatientInnengruppen Juristische Inhalte:<br />

Nr. Inhalt Std. Inhalt<br />

IVb.1 <strong>Pflege</strong> von Neu- und Frühgeborenen 0,5 Std. Meldepflichten bei Neugeborenen<br />

IVb.2 <strong>Pflege</strong> herzkranker K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

IVb.3 <strong>Pflege</strong> psychisch kranker und/o<strong>der</strong> abhängiger K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlicher 2 Std. rechtliche Grundlagen <strong>zur</strong> Fixierung und Zwangsmaßnahmen,<br />

IVb.4 <strong>Pflege</strong> von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Störungen o<strong>der</strong> Erkrankungen des zentralen Nervensystems<br />

IVb.5 <strong>Pflege</strong> von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Störungen o<strong>der</strong> E<strong>in</strong>schränkungen <strong>der</strong> Beweglichkeit<br />

IVb.6 <strong>Pflege</strong> von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Atemstörungen o<strong>der</strong> Erkrankungen <strong>der</strong> Atemorgane 2 Std. Geschichtliche Entwicklung, Ziele und Kernaussagen des Bundesseuchengesetzes,<br />

IVb.7 <strong>Pflege</strong> von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Ernährungs-, Verdauungs- und Stoffwechselstörungen bzw. -<br />

erkrankungen<br />

IVb.8 <strong>Pflege</strong> von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Leber-, Gallen-, Pankreaserkrankungen<br />

IVb.9 <strong>Pflege</strong> von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Störungen <strong>der</strong> hormonellen Regulationsfunktion<br />

IVb.10 <strong>Pflege</strong> von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Ur<strong>in</strong>ausscheidungsstörungen<br />

IVb.11 <strong>Pflege</strong> von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Störungen <strong>der</strong> Geschlechtsentwicklung o<strong>der</strong> Erkrankungen im Urigenitalbereich<br />

IVb.12 <strong>Pflege</strong> von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen mit Störungen <strong>der</strong> Immunreaktion<br />

IVb.13 <strong>Pflege</strong> von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Störungen <strong>der</strong> Blutbildung und -ger<strong>in</strong>nung<br />

IVb.14 <strong>Pflege</strong> hautkranker K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

IVb.15 <strong>Pflege</strong> seh- und hörerkrankter K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

IVb.16 <strong>Pflege</strong> <strong>in</strong>fektionskranker K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

IVb.17 <strong>Pflege</strong> von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Verbrennungen und Verbrühungen<br />

2 Std. Geschichtliche Entwicklung, Ziele und Kernaussagen des Gesetzes <strong>zur</strong> Bekämpfung<br />

<strong>der</strong> Geschlechtskrankheiten,


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 13 von 180<br />

Lernziele:<br />

II. Teil<br />

Lerne<strong>in</strong>heit II.14:<br />

Zivil- und strafrechtliche Aspekte für Angehörige <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>berufe<br />

- Zeitdauer: 6 Std. -<br />

Den Kursteilnehmern sollen vermittelt werden:<br />

Grundlagen des Rechts: Begriffsbestimmungen, Rechtsquellen, Rechtsgebiete, Zivilrecht, Strafrecht, Verschulden,<br />

Tatbestand,<br />

Welche <strong>Pflege</strong>handlungen können zivil-/strafrechtliche Konsequenzen haben ? (u.a. Körperverletzung),<br />

Schweigepflicht: Bedeutung des § 203 StGB für die Angehörigen <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>berufe,<br />

Freiheitsentziehung: Bedeutung des Grundrechts auf „Unverletzlichkeit <strong>der</strong> Freiheit <strong>der</strong> Person“ e<strong>in</strong>erseits und <strong>der</strong><br />

Freiheitsentziehung im S<strong>in</strong>ne des Betreuungsrechts an<strong>der</strong>erseits für das pflegerische Handeln<br />

A. Allgeme<strong>in</strong>e Grundlagen des Rechts<br />

Fallbeispiel Sie werden entwe<strong>der</strong> im Fernsehen o<strong>der</strong> bei Bekannten folgende Situation so o<strong>der</strong><br />

ähnlich e<strong>in</strong>mal erlebt haben:<br />

A. Unterrichtsziel<br />

<strong>der</strong> <strong>Rechtskunde</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Altenpflege<br />

Der klägerische Anwalt befragt im Zivilprozeß e<strong>in</strong>en Zeugen. Er<br />

läßt ihn e<strong>in</strong>e bestimmte Situation schil<strong>der</strong>n. Am Ende bedankt sich<br />

<strong>der</strong> Anwalt beim Zeugen und erklärt dem Gericht, <strong>der</strong> Zeuge haben<br />

mit se<strong>in</strong>er Aussage die klägerische Position vollumfänglich gestützt.<br />

Der Klage sei damit stattzugeben und <strong>der</strong> Prozeß gewonnen. Der<br />

Richter nickt wohlwollend. Daraufh<strong>in</strong> erwi<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Gegenanwalt<br />

unter Bezugnahme auf e<strong>in</strong>e bis dah<strong>in</strong> völlig unbekannte Vorschrift,<br />

die er für alle Beteiligten und auch für das Gericht überraschend<br />

aus dem „Hut“ zaubert, dass <strong>der</strong> Zeuge mit se<strong>in</strong>er Aussage nolens<br />

volens die Klage <strong>in</strong> Grund und Bogen geredet habe.<br />

Nach kurzer Beratung weist das Gericht die Klage tatsächlich ab.<br />

Der Anwalt <strong>der</strong> Gegenseite und <strong>der</strong> Beklagte frohlocken. Der Kläger<br />

versteht die Welt nicht mehr. Denn <strong>der</strong> Zeuge hat alles wahrheitsgemäß<br />

geschil<strong>der</strong>t und es sah doch so gut aus. Er protestiert und<br />

wirft dem Richter Parte<strong>in</strong>ahme vor.<br />

Fälle wie dieser ereignen sich <strong>in</strong> Deutschland täglich zu Hun<strong>der</strong>ten. Nicht ohne<br />

Grund gilt im Volksmund: „Vor Gericht und auf hoher See ist man <strong>in</strong> Gottes<br />

Hand“. Sche<strong>in</strong>bar klare Fälle kippen <strong>in</strong> letzter M<strong>in</strong>ute und ausgekochte Anwälte<br />

argumentieren mit überraschenden gesetzlichen Regelungen und übervorteilen<br />

sche<strong>in</strong>bar jeden - den Gegner, das Gericht und manchmal auch den Mandanten.<br />

Nicht zuletzt deswegen wird dem Juristischen vielfach mangelnde Berechenbarkeit<br />

nachgesagt. Es ist nicht selten, daß sich die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Prozeß unterlegene Partei ungerecht<br />

behandelt fühlt. Beson<strong>der</strong>s deutlich wird dies <strong>in</strong> Strafprozessen, wenn Täter<br />

freigesprochen o<strong>der</strong> milde bestraft werden. Auch hier hört man häufig den<br />

Spruch: „Recht haben und Recht bekommen s<strong>in</strong>d zweierlei.<br />

Was bedeutet dies für den „<strong>Rechtskunde</strong>unterricht ?<br />

Der Unterricht soll verdeutlichen, daß die Jurisprudenz ke<strong>in</strong>e Geheimwissenschaft<br />

ist, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> Denkvorgang, <strong>der</strong> streng logischen und klaren Strukturen<br />

folgt, die für je<strong>der</strong>mann nachvollziehbar s<strong>in</strong>d.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 14 von 180<br />

B. Unterrichtsmethode<br />

C. Juristische<br />

Unterrichts<strong>in</strong>halte<br />

D. Was ist<br />

<strong>Rechtskunde</strong> ?<br />

Denn das juristische Denken befähigt den Anwen<strong>der</strong> zu erkennen, unter welchen<br />

Voraussetzungen menschliches Verhalten <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em jeweiligen sozialen Kontext<br />

(Lebensbereich) rechtlich zulässig bzw. verboten ist.<br />

Dazu muß man wissen, wie man sich <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Alltagssituationen zu verhalten<br />

hat. Die <strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Altenpflege greift hierzu die wichtigsten Lebensbereiche<br />

im <strong>Pflege</strong>alltag heraus und analysiert anhand von Gesetz und Rechtsprechung<br />

typische Verhaltensmuster, denen das <strong>Pflege</strong>personal täglich ausgesetzt<br />

ist. Diese Verhaltensmuster folgen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel aus typischen Konfliktsituationen<br />

im Umgang mit dem ärztlichen Personal sowie den Patienten.<br />

Mittelfristiges Ziel des <strong>Rechtskunde</strong>unterrichtes ist die Vermittlung<br />

e<strong>in</strong>es juristischen Verhaltens- und Entscheidungsmusters, mit dessen<br />

Hilfe sich Konflikte im pflegerischen Berufsalltag entschärfen<br />

und im Idealfall vermeiden lassen.<br />

Die Verhaltensmuster werden <strong>in</strong> Form juristischer Prüfungsschemata dargestellt.<br />

Sie sollen dem <strong>Pflege</strong>personal als argumentative Entscheidungshilfe dienen,<br />

um mit konkreten Konfliktsituationen <strong>zur</strong>echt zu kommen.<br />

Aus pädagogischen Gründen werden die Lehrgangsteilnehmer h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong><br />

bei den Prüfschemata zu verwendenden Argumente aus <strong>der</strong> anwaltlichen Sichtweise<br />

an die <strong>Rechtskunde</strong> herangeführt. Dadurch läßt sich die trockene Materie lebendiger<br />

vermitteln. Soweit erfor<strong>der</strong>lich, wird auf die Methoden richterlicher<br />

Entscheidungs-/ Urteilsf<strong>in</strong>dung <strong>zur</strong>ückgegriffen.<br />

In <strong>der</strong> Krankenpflege bestimmen folgende Rechtsgebiete das Entscheidungsverhalten<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> täglichen Berufspraxis und damit auch die Unterrichts<strong>in</strong>halte:<br />

- das allgeme<strong>in</strong>e Vertragsrecht (bei <strong>der</strong> Aufnahme und Entlassung des Patienten),<br />

- das (ärztliche und pflegerische) Haftungsrecht (hierbei ist die Frage entscheidend,<br />

wer für se<strong>in</strong>e eigenen und die Fehler an<strong>der</strong>er aufkommen muß),<br />

- das Schadensersatzrecht (dies wird relevant bei Schmerzensgeldansprüchen<br />

des Patienten gegenüber dem Krankenhaus und dem Arzt),<br />

- das Arbeitsrecht (bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stellung und Entlassung des <strong>Pflege</strong>personals),<br />

- das Strafrecht (bei <strong>der</strong> Behandlung und <strong>Pflege</strong> <strong>der</strong> Patienten),<br />

- die sog. juristischen Nebengebiete (wie etwa das Arzneimittel- o<strong>der</strong> Lebensmittelrecht),<br />

Die Unterrichtsziele und -<strong>in</strong>halte def<strong>in</strong>ieren im Weiteren den <strong>Rechtskunde</strong>unterricht<br />

wie folgt:<br />

Def<strong>in</strong>ition: <strong>Rechtskunde</strong> vermittelt den Inbegriff <strong>der</strong> Regeln (= Gebote, Verbote,<br />

Gewährungen), nach denen das <strong>Pflege</strong>personal se<strong>in</strong> Verhalten<br />

ausrichtet und an denen es sich verb<strong>in</strong>dlich messen lässt.<br />

Def<strong>in</strong>ition: Im vorstehenden S<strong>in</strong>ne kann juristische Verhaltenslehre als Summe<br />

von Prüfschemata (= Verhaltensschemata) verstanden werden,<br />

mit denen man Lebenssituationen <strong>in</strong> ihrem sozialen Kontext<br />

beurteilen und feststellen kann, ob man sich richtig verhalten hat.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 15 von 180<br />

E. Praktischer<br />

Ansatz:<br />

Wie muß man sich das praktisch vorstellen ?<br />

Die sozialen Lebenssituationen werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> juristischen Sprache <strong>der</strong> Lebenssachverhalt<br />

genannt. E<strong>in</strong> typischer Lebenssachverhalt ist etwa <strong>der</strong>, dass e<strong>in</strong> Arzt e<strong>in</strong>e OP macht<br />

und dabei vergisst, dem Patienten die Schere aus dem Bauch zu entnehmen. O<strong>der</strong>: Die<br />

Krankenschwester schließt e<strong>in</strong>en ihr missliebigen Patienten auf <strong>der</strong> Toilette e<strong>in</strong>, um ihn<br />

zu bestrafen. O<strong>der</strong>: Dem Oberarzt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gynäkologie soll gekündigt werden, weil er im<br />

Krankenhaus e<strong>in</strong>es katholischen Trägers e<strong>in</strong>e gutgehende Abtreibungspraxis führt.<br />

Hieran schließt sich stets die Frage an, ob das Verhalten erlaubt war und welche<br />

rechtlichen Konsequenzen (= Rechtsfolgen) sich daraus ergeben. Etwa:<br />

- Gegen welche Vorschriften hat <strong>der</strong> Arzt möglicherweise verstoßen, als er die<br />

Schere im Bauch vergaß und welche Ansprüche kann <strong>der</strong> Patient gegen Arzt<br />

geltend machen ?<br />

- Muß die Krankenschwester möglicherweise mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen<br />

(etwa mit e<strong>in</strong>er Abmahnung o<strong>der</strong> gar mit <strong>der</strong> fristlosen Kündigung) rechnen,<br />

weil sie den missliebigen Patienten auf <strong>der</strong> Toilette e<strong>in</strong>geschlossen hatte ?<br />

- Wie kann <strong>der</strong> katholische Krankenhausträger dem Oberarzt möglichst schnell<br />

se<strong>in</strong>e Abtreibungspraxis untersagen und ihn ggf. fristlos kündigen ?<br />

Alle vorstehenden Fragen resultieren immer aus e<strong>in</strong>er bestimmten Interessenlage<br />

<strong>der</strong> Betroffenen. Beispielsweise werden Ihnen im ersten Fall (Schere im Bauch)<br />

möglicherweise die an <strong>der</strong> OP beteiligten Kollegen den Sachverhalt schil<strong>der</strong>n, weil<br />

sie das Verhalten des Arztes bemängeln und möglicherweise gerichtliche Schritte<br />

des Patienten gegen den Arzt o<strong>der</strong> sich selbst fürchten.<br />

Es geht also im Zivilrecht schlicht um die Frage: Wer will was von wem woraus ?<br />

Ihre Vorgehensweise:<br />

Was macht<br />

das Prüfungsschema:<br />

Damit s<strong>in</strong>d wir mitten im juristischen Denken. Ihre Aufgabe sollte<br />

es nunmehr se<strong>in</strong>, sich das entsprechende Prüfungsschema herauszusuchen,<br />

das die mit <strong>der</strong> konkreten Frage angesprochene Lebenssituation<br />

(= den Sachverhalt) treffsicher erfasst und regelt.<br />

In unserem Fall werden Sie sich die Prüfungsschemata <strong>zur</strong> ärztlichen/pflegerischen<br />

Haftung und zum Schadensersatz heraussuchen.<br />

=> Das Prüfungsschema ist also Ihre Entscheidungshilfe und<br />

zwar nichts an<strong>der</strong>es als e<strong>in</strong>e Checkliste, mit <strong>der</strong> Sie beurteilen<br />

können, ob <strong>der</strong> Patient gegen den Arzt o<strong>der</strong> die OP-Hilfe<br />

Schadensersatzansprüche geltend machen kann.<br />

Im Weiteren stellt sich nunmehr die Frage, wie das Prüfungsschema<br />

(die Checkliste) den entsprechenden Lebenssachverhalt regelt ?<br />

Das Prüfungsschema greift sich hierzu aus den für den Sachverhalt<br />

e<strong>in</strong>schlägigen Gesetzen verschiedenste Paragraphen heraus und<br />

ordnet sie nach e<strong>in</strong>er bestimmten gedanklichen Reihenfolge. Hierdurch<br />

werden die <strong>in</strong> den Paragraphen enthaltenen Ge- und Verbote<br />

also nach e<strong>in</strong>em bestimmten Ordnungs- und Gerechtigkeitsmuster<br />

ane<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gereiht. In <strong>der</strong> Zusammenschau ergibt sich daraus<br />

e<strong>in</strong>e Verhaltensanleitung für den Lebenssachverhalt.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 16 von 180<br />

Problem:<br />

Unübersichtliche<br />

Gesetze<br />

und abstrakteFormulierungen<br />

Die Prüfschemata (Checklisten) greifen aber noch weitere Probleme<br />

auf:<br />

Problem:<br />

Häufig wird <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e von juristischen Laien bemängelt, dass<br />

die Gesetze und ihre Paragraphen trotz e<strong>in</strong>er gewissen thematischen<br />

Glie<strong>der</strong>ung unübersichtlich seien. Insbeson<strong>der</strong>e zeichne es<br />

pfiffige Rechtsanwälte aus, dass sie - wie im E<strong>in</strong>gangs geschil<strong>der</strong>ten<br />

Fall - aus „irgende<strong>in</strong>er Ecke“ e<strong>in</strong>e Regelung hervorzitierten,<br />

die e<strong>in</strong>en Fall „urplötzlich zum Kippen“ brächten.<br />

Lösung:<br />

Hierzu ist zu bemerken, dass Gesetze und Paragraphen e<strong>in</strong>e Unzahl<br />

von Lebenssachverhalten erfassen und regeln müssen. Sie<br />

würden schlicht zu unübersichtlich, wenn man die Gesetze gezielt<br />

auf bestimmte Lebenssachverhalte ausrichten würde. Es ist e<strong>in</strong>facher,<br />

Gesetze thematisch zu strukturieren (z.B. geordnet nach e<strong>in</strong>em<br />

Allgeme<strong>in</strong>en Teil o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em sachenrechtlichen Teil) und den<br />

Prüfungsschemata die Aufgabe zu überlassen, sich zu je<strong>der</strong> juristisch<br />

streitbaren Situation die richtigen Paragraphen problemlösungsorientiert<br />

aus allen Ecken des Gesetzes „zusammen zu suchen“<br />

und dann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e klare Reihenfolge zu br<strong>in</strong>gen. Nur wer diese<br />

Reihenfolge nicht kennt, für den sche<strong>in</strong>en Gesetze e<strong>in</strong> unübersichtlicher<br />

Dschungel zu se<strong>in</strong>.<br />

________________________________________________<br />

Problem:<br />

Zum an<strong>der</strong>en seien die Paragraphen viel zu abstrakt und allgeme<strong>in</strong><br />

formuliert, so dass diese kaum zu verstehen seien.<br />

Lösung:<br />

Der Grund, weshalb Paragraphen abstrakt formuliert s<strong>in</strong>d, liegt dar<strong>in</strong>,<br />

dass man nur so gewährleisten kann, möglichst viele Fälle aus<br />

dem Leben mit e<strong>in</strong>er Vorschrift zu erfassen (= <strong>der</strong> Regelungs<strong>in</strong>halt<br />

bed<strong>in</strong>gt also die sprachliche Formulierung). Würde man gesetzliche<br />

Regelungen allzu konkret formulieren, so würden diese immer<br />

nur bestimmte E<strong>in</strong>zelfälle regeln können. Dies ist jedoch verfassungsrechtlich<br />

unzulässig.<br />

________________________________________________<br />

Problem:<br />

Wie versteht man die abstrakte Sprache <strong>in</strong> Gesetzen ?<br />

Lösung:<br />

Um Gesetze und ihre e<strong>in</strong>zelnen Regelungen zu verstehen, muß<br />

man sie auslegen. Dies heißt, dass man ihren Text deuten muß.<br />

Man kann nach dem Wortlaut, <strong>der</strong> Historie, dem S<strong>in</strong>n und Zweck<br />

(Teleologie), und <strong>der</strong> Systematik auslegen.<br />

Merke: Eigentlich machen Juristen nichts an<strong>der</strong>es, als diese Prüfschemata<br />

(Checklisten) auswendig zu lernen, wobei die Kunst dar<strong>in</strong> besteht,<br />

für die jeweils juristisch zu beurteilende Situation das richtige<br />

Schema zu f<strong>in</strong>den und sicher anzuwenden.<br />

Beispielfall: Das sechsjährige K<strong>in</strong>d K wird <strong>in</strong> das Krankenhaus e<strong>in</strong>geliefert. Es hat<br />

e<strong>in</strong>e klaffende Wunde. Um K behandeln zu können, müssen Sie zuvor<br />

mit ihm e<strong>in</strong>en Behandlungsvertrag schließen. Können Sie mit K e<strong>in</strong>en<br />

Behandlungsvertrag schließen ? (Die Eltern s<strong>in</strong>d nicht erreichbar).


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 17 von 180<br />

Grundüberlegung:<br />

Um zu prüfen, ob man mit K überhaupt e<strong>in</strong>en Vertrag schließen kann,<br />

muß man sich zuvor vergewissern, ob K geschäftsfähig ist. Die Geschäftsfähigkeit<br />

ist <strong>in</strong> §§ 104 ff. BGB geregelt. Wenn Sie § 104 BGB<br />

befragen, werden Sie feststellen, dass Sie mit K ke<strong>in</strong>en Behandlungsvertrag<br />

schließen können. Denn K ist nicht geschäftsfähig.<br />

Problem:<br />

Diese Regelung ersche<strong>in</strong>t wi<strong>der</strong>s<strong>in</strong>nig. Denn mit <strong>der</strong> Regelung <strong>in</strong> §<br />

104 BGB verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t <strong>der</strong> Gesetzgeber ja eigentlich die Behandlung,<br />

weil er bereits verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t, dass das K<strong>in</strong>d mit dem Krankenhaus<br />

e<strong>in</strong>en Behandlungsvertrag schließen kann.<br />

Lösungsansatz:<br />

Die vorbezeichnete Lösung ist - wie auch <strong>der</strong> gesunde Menschenverstand<br />

nahe legt - nur vor<strong>der</strong>gründig richtig.<br />

Denn <strong>der</strong> Gesetzgeber möchte nicht verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, dass das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>en<br />

Behandlungsvertrag schließt bzw. dass zugunsten des K<strong>in</strong>des<br />

e<strong>in</strong> solcher Vertrag geschlossen wird. Vielmehr möchte <strong>der</strong> Gesetzgeber<br />

kle<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong> schützen, weil diese bis zu e<strong>in</strong>em bestimmten<br />

Alter die Konsequenzen ihres Handelns nicht überblicken<br />

und daher vor Schaden bewahrt werden sollen.<br />

Diesem Gesichtspunkt trägt e<strong>in</strong> Prüfungsschema <strong>in</strong> unserem Beispielsfall<br />

Rechnung.<br />

Prüfungsschema:<br />

Demgemäß besteht folgendes Prüfungsschema:<br />

Ausgangsfrage: Ist e<strong>in</strong> Behandlungsvertrag zustande gekommen ?<br />

Mit dem K<strong>in</strong>d K ?<br />

Ne<strong>in</strong>. Wegen <strong>der</strong> Regelung <strong>in</strong> § 104 BGB.<br />

Möglicherweise mit den Eltern für das K<strong>in</strong>d ?<br />

Ja. Und zwar nach den Regelungen <strong>der</strong> GoA<br />

(Geschäftsführung ohne Auftrag).


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 18 von 180<br />

F. Zusammenfassung<br />

A. Das „Abprüfen“<br />

von Prüfungsschemata<br />

Diese <strong>in</strong> § 677 BGB geregelte Konstruktion<br />

geht von <strong>der</strong> regelmäßigen Vermutung aus,<br />

dass die Eltern (die <strong>in</strong> unserem Fall nicht<br />

erreichbar waren) wünschen, dass ihr K<strong>in</strong>d<br />

behandelt wird.<br />

__________________________________________________<br />

Diesem Prüfungsschema liegt <strong>der</strong> Ordnungsgedanke zugrunde,<br />

dass man mit kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n ke<strong>in</strong>e Verträge schließen darf, weil<br />

diese die Tragweite ihres Handelns nicht überblicken können. Daher<br />

werden Verträge mit <strong>der</strong>en Eltern geschlossen, wie <strong>der</strong> Gesetzgeber<br />

dies u.a. über § 1629 BGB geregelt hat. S<strong>in</strong>d die Eltern<br />

also nicht anwesend und ist die Behandlung dr<strong>in</strong>gend erfor<strong>der</strong>lich,<br />

so kann <strong>der</strong> Vertrag auch nach den Regeln <strong>der</strong> GoA mit diesen geschlossen<br />

werden.<br />

Juristische Methodik kann im weiteren S<strong>in</strong>ne (!) auch mit juristischer Verhaltenslehre<br />

umschrieben werden.<br />

Diese geht immer von konkreten Lebenssituationen aus, die Lebenssachverhalt<br />

genannt werden; <strong>der</strong> Lebenssachverhalt hat immer e<strong>in</strong>e bestimmte Situation<br />

zum Gegenstand, <strong>in</strong> <strong>der</strong> etwas „schief“ gelaufen ist o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> zukünftig etwas<br />

„schief“ laufen könnte.<br />

Aufgabe des <strong>Rechtskunde</strong>unterrichtes ist es, die Schüler zu befähigen, gängige<br />

Lebenssachverhalte aus ihrem beruflichen Umfeld juristisch zu bewerten und<br />

ihnen e<strong>in</strong>e Entscheidungsgrundlage für ihr Verhalten zu geben.<br />

Hierzu wird auf e<strong>in</strong>schlägige Prüfungsschemata <strong>zur</strong>ückgegriffen.<br />

B. Beson<strong>der</strong>e Grundlagen des Rechts<br />

Es geht nunmehr darum, wie man e<strong>in</strong> juristisches Prüfungsschema „abprüft“.<br />

Hierbei wird zunächst vorausgesetzt, daß Sie sich bereits das zu Ihrem Fall passende<br />

Prüfungsschema herausgesucht habe. Wir er<strong>in</strong>nern und: Jedes Prüfungsschema<br />

steht thematisch unter e<strong>in</strong>er bestimmten Fallfrage. Die Fallfrage ist - bezogen<br />

auf den Lebenssachverhalt - problemorientiert. Dies bedeutet, daß das Prüfungsschema<br />

genau diejenige Frage aufgreift, die sich mit dem juristischen Kernproblem<br />

Ihrer Lebenssituation ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzt.<br />

Das Prüfungsschema filtert also für den Anwen<strong>der</strong> den Kern se<strong>in</strong>es Problems<br />

heraus und bietet ihm hierzu e<strong>in</strong>e gedankliche Entscheidungshilfe an.<br />

Die zu prüfenden<br />

Merkmale:<br />

Diese gedankliche Entscheidungshilfe ist <strong>der</strong> zentrale Punkt des<br />

Prüfungsschemas. Sie besteht aus e<strong>in</strong>em Kanon an Merkmalen, die<br />

aus den verschiedenen gesetzlichen Regelungen zusammengetragen<br />

wurden und für die juristische Regelung Ihres Problems von<br />

Bedeutung s<strong>in</strong>d (Checkliste).<br />

Es muß stets untersucht werden, ob alle (!) im Prüfschema genannten<br />

Merkmale erfüllt s<strong>in</strong>d. Der Anwen<strong>der</strong> prüft dabei, ob die<br />

im Prüfschema genannten Voraussetzungen (= die Merkmale) erfüllt<br />

s<strong>in</strong>d. Ist dies <strong>der</strong> Fall, so gibt das Prüfungsschema e<strong>in</strong>e bestimmte<br />

Rechtsfolge an, die unbed<strong>in</strong>gt beachtet werden muß. Im<br />

E<strong>in</strong>zelnen gilt:


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 19 von 180<br />

Die Subsumtionstechnik:<br />

Bei den im Prüfschema aufgelisteten Voraussetzungen handelt<br />

es sich um die Auflistung von bestimmten Merkmalen. Sie werden<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> juristischen Sprache „Tatbestandsmerkmale“ genannt.<br />

Die Tatbestandsmerkmale ergeben sich aus gesetzlichen<br />

Regelungen, die für Ihr Problem e<strong>in</strong>schlägig s<strong>in</strong>d und vom Prüfungsschema<br />

zusammengetragen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten Abfolge<br />

aufgelistet werden.<br />

S<strong>in</strong>d die Merkmale erfüllt, so schreibt das Gesetz e<strong>in</strong>e bestimmte<br />

zw<strong>in</strong>gende Handlungsweise, die Rechtsfolge vor.<br />

D.h., daß <strong>der</strong> Anwen<strong>der</strong> zunächst untersuchen muß, ob die im<br />

Schema genannten Merkmale erfüllt s<strong>in</strong>d. Dabei bedient man sich<br />

<strong>der</strong> sog. Subsumtionstechnik.<br />

Hierzu fragt man zu jedem Merkmal aus dem Prüfungsschema,<br />

ob dieses erfüllt se<strong>in</strong> könnte. Diese Fragetechnik heißt juristisch<br />

„Bildung e<strong>in</strong>es Obersatzes“. Der Obersatz wird im Konjunktiv<br />

formuliert und <strong>in</strong> die Frageform gekleidet. Beispiel:<br />

„Könnte es se<strong>in</strong>, daß das (Tatbestands-)Merkmal (...) erfüllt ist ?“.<br />

Sodann vergleicht man die tatsächliche Situation mit dem Merkmal<br />

und prüft, ob beide übere<strong>in</strong>stimmen (sog. „Untersuchungsprogramm“;<br />

jur.: Subsumtion). Ist dies <strong>der</strong> Fall, so geht man zum<br />

nächsten Merkmal über und fragt wie<strong>der</strong>um, ob es von <strong>der</strong> sog.<br />

„Lebenswirklichkeit“ erfüllt wird, also mit ihr übere<strong>in</strong>stimmt.<br />

Die Methode des Vergleichs ist vergleichbar mit dem Grundrechnen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Mathematik (4. Schuljahr [Grundschule]):<br />

B. Beispielfall Mathematik-Unterricht Jura<br />

1. Ich frage:<br />

↓<br />

„Wieviel ist 'c' ?“<br />

2. Ich rechne:<br />

↓<br />

„c = a + b “<br />

(= Anwendung <strong>der</strong><br />

mathematischen Formel)<br />

1. Ich frage:<br />

↓<br />

„RU könnte e<strong>in</strong>e Körperverletzung<br />

nach § 223 Abs. 1 StGB begangen<br />

haben“ (= Obersatz/E<strong>in</strong>leitungssatz)<br />

2. Ich subsumiere:<br />

↓<br />

Nennung des Tatbestandsmerkmals (=<br />

Anwendung <strong>der</strong> juristischen<br />

Formel):<br />

„Dann müßte RU den H vorsätzlich<br />

körperlich mißhandelt haben, ohne<br />

dazu berechtigt gewesen zu se<strong>in</strong>.“<br />

Def<strong>in</strong>ition (steht im Prüfungsschema):<br />

Körperverletzung ist jede körperliche<br />

Mißhandlung, die das körperliche<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den nicht nur unerheblich<br />

bee<strong>in</strong>trächtigt.<br />

Lebenssachverhalt (das ist Ihr Fall):<br />

Der heftige Schlag <strong>in</strong> das Gesicht von<br />

H hat dessen Wohlbef<strong>in</strong>den, weil er e<strong>in</strong>en<br />

nicht unerheblichen Schmerz verursacht<br />

hat. Das wollte RU auch und er<br />

war hierzu nicht berechtigt (beispielsweise<br />

lag ke<strong>in</strong>e Notwehr vor).<br />

Schlußfolgerung: „Der Schlag von RU<br />

ist folglich e<strong>in</strong>e körperliche Mißhandlung.“<br />

(= Ihr Prüfungsergebnis).


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 20 von 180<br />

C. Wichtige<br />

Prüfungsschemata<br />

3. Ich antworte:<br />

↓<br />

„Also ist: 'a + b' = c “<br />

3. Ich antworte:<br />

↓<br />

Also hat RU mit dem Schlag e<strong>in</strong>e<br />

Körperverletzung nach § 223 I StGB<br />

begangen (= er ist strafbar).<br />

Diese Technik wird bei jedem Prüfungsschema angewendet. Sie ist immer die<br />

gleiche. Es handelt sich um e<strong>in</strong>e Vorgehensweise, bei <strong>der</strong> streng logisch gefragt,<br />

gedacht (Vergleich mehrere möglicher Anworten) und geschlußfolgert wird.<br />

Nachfolgend werden die für die Krankenpflegepraxis wichtigsten juristischen Prüfungsschemata<br />

dargestellt. Es handelt sich hierbei um die des Zivilrechts und des<br />

Strafrechts. Dies s<strong>in</strong>d die Grundschemata. Sie werden auf alle zivilrechtlichen und<br />

strafrechtlichen Fälle angewandt und dabei immer an die praktische Lebenssituation<br />

angepaßt.<br />

H<strong>in</strong>weis: Die Rechtswissenschaften glie<strong>der</strong>n sich <strong>in</strong> drei große Rechtsgebiete. Diese s<strong>in</strong>d das Zivilrecht,<br />

das Strafrecht und das Öffentliche Recht. Hiervon ausgehend differenzieren sich die Rechtsgebiete<br />

weiter aus. So werden beispielsweise das Arbeitsrecht, das Zivilprozeßrecht, das Handelsrecht<br />

und das Gesellschaftsrecht unter das Zivilrecht (mit e<strong>in</strong>em Verfahrensteil) gefaßt. Auch das Strafrecht<br />

umfaßt das sog. materielle Strafrecht und das Verfahrensrecht. Im Öffentlichen Recht gibt es die Bereiche<br />

Verwaltungsrecht, Kommunalrecht, Baurecht, Auslän<strong>der</strong>recht und die Verwaltungsgerichtsordnung<br />

als öffentlich-rechtliches Verfahrensrecht, um nur e<strong>in</strong>ige Beispiele zu nennen.<br />

Das strafrechtliche und das zivilrechtliche Prüfungsschema<br />

(Anm.: Dies ist ke<strong>in</strong>e synoptische Gegenüberstellung)<br />

Strafrecht:<br />

Der Ausgangssatz lautet immer:<br />

„Der (Arzt) könnte sich gemäß<br />

§ 223 StGB strafbar gemacht<br />

haben, <strong>in</strong>dem er (den Patienten)<br />

<strong>in</strong> den Bauch geschlagen hat.“<br />

Zivilrecht:<br />

Der Ausgangssatz lautet immer:<br />

„Der (Patient) hat e<strong>in</strong>en Anspruch<br />

gegen (den Arzt) auf Behandlung,<br />

wenn e<strong>in</strong> wirksamer Vertrag<br />

zustande gekommen ist.“<br />

Allgeme<strong>in</strong>er Deliktaufbau Allgeme<strong>in</strong>er Anspruchsaufbau<br />

A. Vorprüfung A. Entstehung des Anspruchs<br />

I. Abgrenzung Tun / Unterlassen<br />

(es muß e<strong>in</strong> menschliches Verhalten<br />

vorliegen, das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Tun<br />

o<strong>der</strong> Unterlassen besteht)<br />

II. Handlungsqualität des Verhaltens<br />

(bei dem Tun / Unterlassen handelt<br />

es sich um menschl. Verhalten, das<br />

willensbeherrscht ist und e<strong>in</strong>e soziale<br />

Relevanz hat)<br />

I. Voraussetzungen <strong>der</strong> Anspruchsnorm<br />

(Vorliegen zweier übere<strong>in</strong>stimmen<strong>der</strong><br />

Willenserklärungen [= Angebot<br />

und Annahme])<br />

II. Es liegen ke<strong>in</strong>e Nichtigkeitsgründe vor<br />

(§§ 104; 106-118; 125; [126; 126a;<br />

126b]; 134; 138 I, II BGB)<br />

B. Tatbestand (=wor<strong>in</strong> bestand die Tat ?) B. Ke<strong>in</strong> Untergang des Anspruchs


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 21 von 180<br />

I. Objektiver Tatbestand<br />

das s<strong>in</strong>d äußerlich sichtbare Unrechtsmerkmale:<br />

- E<strong>in</strong>tritt des tatbestandlichen Erfolges<br />

<strong>der</strong> jeweiligen Norm (=<br />

z.B. Schlag <strong>in</strong>s Gesicht; wird von<br />

<strong>der</strong> Regelung des § 223 StGB erfasst)<br />

durch die Handlung -> zugleich<br />

darf ke<strong>in</strong> tatbestandsausschließendes<br />

E<strong>in</strong>verständnis des<br />

Verletzten vorliegen,<br />

- Kausalität (die Handlung muß<br />

den tatbestandlichen Erfolg herbeigeführt<br />

haben),<br />

- objektive Zurechnung (die durch<br />

die Handlung gesetzte Gefahr hat<br />

sich im Erfolg verwirklicht)<br />

II. Subjektiver Tatbestand<br />

das ist <strong>der</strong> Wille <strong>zur</strong> Verwirklichung<br />

des objektiven Tatbestandes<br />

und das Wissen darum (= Vorsatz)<br />

- Tatbestandsverwirklichung war<br />

Ziel <strong>der</strong> Handlung (= Absicht),<br />

- Handeln mit dem sicheren Wissen,<br />

daß <strong>der</strong> Erfolg e<strong>in</strong>tritt,<br />

- sog. Eventualvorsatz (Erfolg<br />

wird ernstlich für möglich gehalten,<br />

aber Täter f<strong>in</strong>det sich damit<br />

ab und handelt),<br />

- ggf. beson<strong>der</strong>e Merkmale: Bereicherungsabsicht,<br />

etc.)<br />

Es dürfen ke<strong>in</strong>e Erlöschensgründe<br />

vorliegen (=man verliert se<strong>in</strong>en<br />

Anspruch wie<strong>der</strong>)<br />

(= Fälle <strong>der</strong> rechtsvernichtenden<br />

E<strong>in</strong>reden)<br />

- <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e erfüllt nun doch: §§ 362,<br />

364, 378 BGB,<br />

- Anfechtung (§ 142, 119 ff. BGB),<br />

Rücktritt (§ 346 BGB), Aufrechnung<br />

(§§ 387 ff. BGB), Kündigung,<br />

Wi<strong>der</strong>ruf o<strong>der</strong> Rückgabe des<br />

Verbrauchers (§§ 355, 356, 357<br />

BGB)<br />

- Unmöglichkeit (§ 275, 326 BGB),<br />

Bed<strong>in</strong>gungse<strong>in</strong>tritt (§ 158 II BGB),<br />

- Wegfall <strong>der</strong> Geschäftsgrundlage (§<br />

242 BGB)<br />

C. Rechtswidrigkeit C. Durchsetzbarkeit des Anspruchs<br />

I. Ist grundsätzlich durch die Tatbestandsverwirklichung<br />

<strong>in</strong>diziert<br />

(es genügt i.d.R. die Feststellung, daß<br />

<strong>der</strong> Tatbestand verwirklicht ist; damit<br />

ist die Tat zunächst rechtswidrig.<br />

Ausnahme: § 240 II StGB: Hier ist<br />

die RW erst gegeben, wenn die Verwerflichkeitsprüfung<br />

positiv ausgefallen<br />

ist).<br />

II. Ausnahme: e<strong>in</strong> Rechtfertigungsgrund<br />

liegt vor<br />

- Notwehr (§§ 227 BGB, 32 BGB),<br />

Selbsthilfe (§§ 229, 562b, 859<br />

BGB), zivilrechtlicher Notstand (§§<br />

228, 589 BGB), strafrechtl. Notstand<br />

(§ 34 StGB), rechtfertigende E<strong>in</strong>willigung<br />

d. Verletzten, Festnahmerecht<br />

(§ 127 StPO),<br />

- Voraussetzungen <strong>der</strong> Rechtfertigung:<br />

Vorl. d. Rechtfertigungsgrundes<br />

+ Kenntnis u. Wille zum Handeln<br />

aufgrund Rechtfertigungsgrund<br />

D. Schuld (= war Täter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, Unrecht<br />

e<strong>in</strong>zusehen ?)<br />

I. Schuldfähigkeit<br />

- §§ 19, 20, 21 StGB,<br />

- Grundsätze <strong>der</strong> actio libera <strong>in</strong> causa<br />

(Achtung: nach BGH nicht anwendbar<br />

bei Straßenverkehrsdelikten u. bei<br />

bloßen Tätigkeitsdelikten),<br />

I. Es liegen ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>reden vor (=<br />

Fälle <strong>der</strong> rechtshemmenden E<strong>in</strong>reden)<br />

- sog. vorübergehende (Stundung<br />

[§ 202 I BGB], Bürgschaft),<br />

- sog. dauernde (z.B. Verjährung [§<br />

214 BGB], Kaufpreisverweigerung<br />

[§ 438 Abs. 4 S. 2 BGB], Mängele<strong>in</strong>rede<br />

des Bestellers [§ 634a Abs.<br />

4 S. 2 BGB], fakt. u. prakt. Unmöglichkeit<br />

[§ 275 BGB])<br />

II. Der Durchsetzung des Anspruchs<br />

steht nicht § 242 BGB entgegen<br />

(= es wäre treuwidrig, den Anspruch<br />

gerade jetzt e<strong>in</strong>zufor<strong>der</strong>n), z.B.:<br />

- den Anspruch jetzt e<strong>in</strong>zufor<strong>der</strong>n<br />

steht im Wi<strong>der</strong>spr. zum bish. Verhalten<br />

(„Verwirkung“: Zeit-/Umstandsmoment<br />

+ Vertrauen darauf),<br />

- Anspruchsausübung würde S<strong>in</strong>n u.<br />

Zweck des Rechts wi<strong>der</strong>sprechen,<br />

- die verlangte Leistung müßte aus<br />

and. Rechtsgrund alsbald wie<strong>der</strong> <strong>zur</strong>ückerstattet<br />

werden.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 22 von 180<br />

D. Das zivilrechtlichePrüfungsschema<br />

geordnet nach<br />

<strong>der</strong> gewünschten<br />

Rechtsfolge<br />

II. Persönliche Vorwerfbarkeit, z.B.:<br />

- ke<strong>in</strong> Unrechtsbewußtse<strong>in</strong> (Verbots-<br />

o<strong>der</strong> Erlaubnisirrtum [§ 17 StGB]),<br />

- Vorliegen v. Entschuldigungsgründen<br />

( § 33 StGB [<strong>in</strong>tensiver Notwehrexzess],<br />

§ 35 StGB [entschuldigen<strong>der</strong><br />

Notstand], übergesetzlicher<br />

entschuldigen<strong>der</strong> Notstand)<br />

E. Strafausschließungsgründe (= es<br />

darf nicht bestraft werden)<br />

z.B.:<br />

- Indemnität v. Abgeordneten<br />

Ergebnis Strafrecht:<br />

Der Schlußsatz lautet:<br />

„Der X hat sich gemäß § (...) StGB<br />

strafbar gemacht.“<br />

Ergebnis Zivilrecht:<br />

Der Schlußsatz lautet:<br />

„Der X hat e<strong>in</strong>en Anspruch gegen (...)<br />

auf (...die Leistung...), weil e<strong>in</strong> wirksamer<br />

Vertrag vorliegt.“<br />

H<strong>in</strong>weis: Bei den vorstehenden Prüfschemata handelt es sich um Grundschemata.<br />

Sie begegnen Ihnen im Verlaufe des Unterrichts <strong>in</strong> verschiedenen Ausgestaltungen<br />

wie<strong>der</strong>. Hierbei ist zumeist e<strong>in</strong>e Anpassung an spezifische Alltagssituationen erfolgt,<br />

die e<strong>in</strong>er juristischen Bewertung unterzogen s<strong>in</strong>d.<br />

Bei <strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong> zweckmäßigen zivilrechtlichen Rechtsverfolgung se<strong>in</strong>er Ansprüche<br />

wird zielgerichtet vorgegangen. Dies bedeutet, daß zuerst zu überlegen ist,<br />

was man von <strong>der</strong> Gegenseite haben möchte (Anspruchsziel) und sich dann das dazu<br />

passende Prüfungsschema aussucht, das die entsprechende Rechtsfolge für den<br />

Gegner herbeiführt.<br />

Die wichtigsten Anspruchsziele s<strong>in</strong>d: <strong>der</strong> Vertrag (hier: die Erfüllung des Vertrages,<br />

Ansprüche wegen e<strong>in</strong>er Leistungsstörung und Surrogate), sachenrechtliche<br />

Ansprüche (meist: Herausgabe e<strong>in</strong>er Sache o<strong>der</strong> Beseitigung e<strong>in</strong>er Sache), Bereicherungsansprüche<br />

und Schadensersatzansprüche.<br />

Anspruchsaufbau nach <strong>der</strong> begehrten Rechtsfolge<br />

A. Vertragliche Ansprüche<br />

I. Primäranspruch<br />

Dieser richtet sich auf die Erfüllung des Vertrages -> man möchte unbed<strong>in</strong>gt<br />

am Vertrag festhalten, daher klagt man zuerst auf Erfüllung.<br />

II. Sekundäranspruch<br />

Dieser Anspruch kommt bei Leistungsstörungen (= e<strong>in</strong>e Partei liefert<br />

später, gar nicht o<strong>der</strong> schlecht) <strong>in</strong> Betracht. Meist wird auf Schadensersatz<br />

o<strong>der</strong> Rücktritt gegangen.<br />

Mängelhaftung <br />

Unmöglichkeit<br />

Verzug Schlechterfüllung<br />

(pVV, §<br />

280 I BGB)<br />

Wegfall <strong>der</strong><br />

Geschäftsgrundlage


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 23 von 180<br />

E. Die Denkweise<br />

<strong>der</strong> Prüfschemata<br />

III. Tertiäranspruch<br />

Dieser Anspruch geht bei Untergang <strong>der</strong> Sache auf die Herausgabe des<br />

Surrogats. Man möchte vom Gegner das durch den Vertrag Erlangte, also<br />

das, was er für die Sache (etwa durch Weiterverkauf) bekommen hat<br />

(i.e. den Kaufpreis).<br />

B. Quasivertragliche Ansprüche<br />

Geschäftsführung ohne Auftrag<br />

(§ 677 ff. BGB)<br />

C. D<strong>in</strong>gliche Ansprüche<br />

Herausgabe und Sekundäransprüche<br />

1. §§ 985; 1007 I, II;<br />

861 I BGB,<br />

2. §§ 987 ff. BGB<br />

D. Bereicherungsrechtliche Ansprüche<br />

Beseitigung / Unterlassung<br />

1. § 894 BGB<br />

2. §§ 1004 I, 862 BGB<br />

Culpa <strong>in</strong> Contrahendo<br />

(§§ 280 I,311 II, 241 III BGB)<br />

Duldung <strong>der</strong><br />

Zwangsvollstreckung<br />

2. § 1147 BGB<br />

Leistungs- und Nichtleistungskondiktion<br />

Diese Ansprüche (vgl. §§ 812 ff. BGB) richten sich auf die Herausgabe<br />

e<strong>in</strong>er Sache / Leistung, die e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er ohne Grund erhalten hat.<br />

E. Deliktische Ansprüche<br />

Haftung für die Beschädigung frem<strong>der</strong> Rechtsgüter durch eigenes<br />

Verhalten o<strong>der</strong> das se<strong>in</strong>er Erfüllungsgehilfen<br />

Diese Ansprüche beziehen sich auf Rechtsgutsverletzungen außerhalb<br />

von Verträgen. Erfaßt werden hiervon etwa die Fälle mutwilliger o<strong>der</strong><br />

fahrlässiger Zerstörung frem<strong>der</strong> Rechtsgüter (Eigentum, Leib, Leben).<br />

Aus den Prüfungsschemata geht zugleich hervor, daß jedem Rechtsgebiet e<strong>in</strong>e<br />

jeweils eigene Denkweise (= je eigenes Prüfschema) zugrunde liegt. Diese Strukturen<br />

sollen nachfolgend erörtert werden.<br />

Hierbei wird auf die drei elementaren Rechtsgebiete (i.e. das Zivil, Straf- und Öffentliche<br />

Recht) Bezug genommen.<br />

Zivilrecht Wie zuvor dargelegt, denkt <strong>der</strong> „Zivilrechtler“ nach den Kategorien<br />

„Anspruch entstanden“, „Anspruch untergegangen“, „Anspruch<br />

durchsetzbar“. Dem Zivilrecht liegt das Denken auf <strong>der</strong><br />

Gleichordnungsebene zugrunde (= regelt die Rechtsbeziehungen<br />

<strong>der</strong> Bürger untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>). Dies bedeutet, daß es bei <strong>der</strong>


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 24 von 180<br />

Koord<strong>in</strong>ation <strong>der</strong> Interessen aller natürlichen und juristischen Personen<br />

(also alle Privatpersonen und Firmen) ke<strong>in</strong>e Hierarchie gibt.<br />

Klassisches Ausdrucksmittel dieser Interessenkoord<strong>in</strong>ation ist<br />

<strong>der</strong> Vertrag. Der Vertrag, <strong>der</strong> üblicherweise dem Austausch von<br />

Wirtschaftsgütern dient („Ware gegen Geld“), verpflichtet und berechtigt<br />

die an ihm beteiligten Parteien zu e<strong>in</strong>em Tun o<strong>der</strong> Unterlassen<br />

(= je nachdem, was man von dem an<strong>der</strong>en haben möchte).<br />

Beim Vertrag unterwerfen sich die Parteien freiwillig <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Verpflichtung. Diese wird wegen <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Privatautonomie<br />

(= je<strong>der</strong> kann selbst e<strong>in</strong>e Regelung se<strong>in</strong>er Lebensverhältnisse<br />

treffen) resultierenden Vertragsfreiheit (= je<strong>der</strong> ist frei <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Entscheidung, ob, mit wem und welchen Inhalts er Verträge<br />

schließen möchte) zuvor von ihnen frei ausgehandelt und rechtsverb<strong>in</strong>dlich<br />

vere<strong>in</strong>bart. Das Zivilrecht weist <strong>in</strong>soweit e<strong>in</strong> liberalistische<br />

und <strong>in</strong>dividualistische Grundhaltung auf; es basiert auf<br />

dem wirtschaftlichen Liberalismus.<br />

Diese Grundhaltung f<strong>in</strong>det sich im Bürgerlichen Gesetzbuch<br />

(BGB) wie<strong>der</strong>, mit dem das Privatrecht <strong>in</strong> die gesetzliche Gussform<br />

gebracht hat. Allerd<strong>in</strong>gs ist das BGB auf sozialen Ausgleich<br />

bedacht („...mit e<strong>in</strong>em Tropfen sozialen Öls gesalbt...“; [Brox,<br />

BGB AT, 26. Aufl. 2002, S. 19]) und mil<strong>der</strong>t damit allzu wirtschaftsliberale<br />

Tendenzen ab. Der Grund hierfür liegt dar<strong>in</strong>, die<br />

Vertragsfreiheit nur bei etwa gleichstarken Partnern zu gerechten<br />

Ergebnissen führt. Häufig stehen sich zwar formal gleichberechtigte,<br />

faktisch h<strong>in</strong>gegen jedoch ungleiche Parteien gegenüber, bei<br />

denen e<strong>in</strong>er unerfahren ist o<strong>der</strong> sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zwangslage bef<strong>in</strong>det.<br />

Daher enthält das BGB <strong>in</strong> vielen se<strong>in</strong>er Normen gezielte Ausgleichsregelungen,<br />

wie etwa im Kauf-, Arbeits- o<strong>der</strong> Mietrecht<br />

(Stichwort: „Verbraucherschutz“, „Arbeitnehmerschutz“, „Mieterschutz“).<br />

Die Prüfungsschemata zum Zivilrecht rekurrieren auf unzählige<br />

solcher Lebenssachverhalte (<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e das Prüfungsschema<br />

„Arbeitsrecht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege“), <strong>in</strong> denen es wegen faktischer<br />

Ungleichgewichte zwischen den Parteien zu groben Interessenschieflagen<br />

und damit Rechtsverlusten für e<strong>in</strong>en von beiden<br />

kommen kann.<br />

Strafrecht Beim Strafrecht h<strong>in</strong>gegen fehlt die Gleichordnungsebene. Hier<br />

gibt es zunächst e<strong>in</strong>en starken „Partner“. Dies ist die Gesellschaft<br />

<strong>in</strong> Gestalt <strong>der</strong> staatlichen Strafverfolgungsbehörden (daher ergehen<br />

Urteile stets „Im Namen des Volkes“). Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

stehen die Straftäter. Sie werden, nachdem sie gegen rechtliche<br />

Normen, die strafbewehrt s<strong>in</strong>d, verstoßen haben, entsprechend verfolgt<br />

und <strong>zur</strong> Verantwortung gezogen.<br />

Das Strafrecht, d.h. das Strafgesetzbuch enthält Normen, ohne <strong>der</strong>en<br />

E<strong>in</strong>haltung es zu Chaos und Anarchie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft käme.<br />

Mit Hilfe des Strafrechts wacht <strong>der</strong> Staat also über das<br />

friedvolle (o<strong>der</strong> auch nicht) Verhalten se<strong>in</strong>er Bürger. Dies ist<br />

ihm möglich, weil <strong>der</strong> Staat Inhaber des Gewaltmonopols 1 ist.<br />

Daher kann er das von gesetzlichen Normen abweichende Verhalten<br />

se<strong>in</strong>er Bürger zudem sanktionieren. Und zwar mit Gewalt-<br />

bzw. Zwangsmitteln. Für den Juristen bedeutet das: Wer von den<br />

Gesetzen abweicht, wird bestraft, weil er sich mit dieser Abweichung<br />

„strafbar“ gemacht hat.<br />

1 Die Befugnis, Gewalt auszuüben, hat <strong>der</strong> Staat von se<strong>in</strong>en souveränen Bürgern übertragen bekommen. Er ist <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige<br />

und hat damit das Monopol. Der Staat übt das Gewaltmonopol nur aus, um die Bürger <strong>zur</strong> E<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong> Gesetze zu<br />

bewegen. In diesem S<strong>in</strong>ne wachen die Bürger selbst über die Wahrung ihrer Regeln, weil das Staatsganze die Sache <strong>der</strong><br />

Bürger ist. Sie haben dies lediglich auf den Staat „delegiert“. Zur Vertiefung: Siehe: „Staatsbürgerkunde“.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 25 von 180<br />

F. Bedeutung<br />

<strong>der</strong> Unterscheidung<br />

von<br />

Rechtsgebieten<br />

Öffentliches<br />

Recht<br />

Die Prüfungsschemata zum Strafrecht befassen sich demgemäß<br />

mit allen e<strong>in</strong>schlägigen Lebenssachverhalten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege,<br />

bei denen sich das <strong>Pflege</strong>personal strafbar machen kann. Hier<br />

wird <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auf die Delikte <strong>zur</strong> Körperverletzung und <strong>zur</strong><br />

Freiheitsentziehung h<strong>in</strong>gewiesen. E<strong>in</strong>gegangen wird auch auf die<br />

E<strong>in</strong>willigung des Patienten, Fragen <strong>der</strong> Transplantation und des<br />

Behandlungsabbruchs bei unheilbar Kranken.<br />

Beim Öffentlichen Recht tritt uns <strong>der</strong> Staat nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Funktionen<br />

als strafrechtlicher „Sanktionierer“ menschlichen Verhaltens<br />

gegenüber, son<strong>der</strong>n als Handeln<strong>der</strong>. Aber - von wenigen Ausnahmen<br />

abgesehen - er tritt nicht wie im BGB als gleichberechtigter<br />

Partner <strong>der</strong> Bürger auf, son<strong>der</strong>n - wie im Strafrecht - im Über-<br />

/Unterordnungsverhältnis. Auch im öffentlichen Recht kann <strong>der</strong><br />

Staat Zwang ausüben. Im Unterschied zum Strafrecht macht er das<br />

aber nicht, um Menschen zu bestrafen. Son<strong>der</strong>n er möchte ihr<br />

Verhalten so zu lenken, daß es direkt dem Allgeme<strong>in</strong>wohl dient.<br />

Die Bürger haben e<strong>in</strong> Interesse daran, daß das allgeme<strong>in</strong>e Wohl<br />

verwirklicht wird. Der Staat dient daher diesem öffentlichen Interesse.<br />

Das im öffentlichen Interesse stehende Allgeme<strong>in</strong>wohl wird<br />

auf <strong>der</strong> kommunalen Ebene, also <strong>der</strong> untersten staatlichen Ebene<br />

durch die Dase<strong>in</strong>svorsorge erreicht. Das öffentliche Recht bündelt<br />

also die Interessen <strong>der</strong> Bürger, damit sie ihr „irdisches Dase<strong>in</strong>“<br />

möglichst geordnet leben und es sich quasi „schön e<strong>in</strong>richten“.<br />

Das Geme<strong>in</strong>wohl läßt sich allerd<strong>in</strong>gs nicht ohne gewissen äußeren<br />

Zwang erreichen. Aus diesem Gedanken folgt e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e wichtige<br />

Funktion des öffentlichen Rechts: Die Aufrechterhaltung <strong>der</strong><br />

öffentlichen Sicherheit und Ordnung.<br />

Der Staat handelt durch se<strong>in</strong>e Organe. Dazu zählen u.a. se<strong>in</strong>e Behörden.<br />

Die Prüfungsschemata zum Öffentlichen Recht befassen sich<br />

vorrangig mit den öffentlich-rechtlich strukturierten Fragen <strong>der</strong><br />

Gesundheitsvorsorge, zu denen auch die Arzneimittelsicherheit<br />

und das Seuchenwesen gehören. Hier werden für das <strong>Pflege</strong>personal<br />

typische Situationen aufgegriffen und e<strong>in</strong>er juristischen Lösung<br />

zugeführt.<br />

Die Unterscheidung <strong>in</strong> die verschiedenen Rechtsgebiete hat u.a. die Bedeutung:<br />

- Zum e<strong>in</strong>en hilft sie zu entscheiden, welche Rechtsnormen im E<strong>in</strong>zelfall anzuwenden<br />

s<strong>in</strong>d (zahlt <strong>der</strong> Hauseigentümer für die Re<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> Straße e<strong>in</strong>e [privatrechtliche]<br />

Vergütung an den von ihm beauftragten Unternehmer o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />

öffentlich-rechtliche Gebühr an die Stadt, wenn diese die Arbeiten ausführt ?)<br />

- Zum an<strong>der</strong>en gilt: Wer klagen will, muss das richtige Gericht anrufen. Die Zulässigkeit<br />

des e<strong>in</strong>zuschlagenden Rechtsweges richtet sich danach, welchem<br />

Rechtsgebiet e<strong>in</strong>e Streitigkeit zuzuordnen ist (Arbeits-, Straf-, Zivilrecht, Öffentliches<br />

Recht).


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 26 von 180<br />

C. Zusammenhang: zivil-, arbeits- und strafrechtliche Haftung<br />

A. Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

von zivil-<br />

und strafrechtlicher<br />

Haftung<br />

In vielen Fällen zieht das Verhalten im <strong>Pflege</strong>bereich sowohl zivil-, arbeits- wie<br />

auch strafrechtliche Implikationen nach sich.<br />

Dies bedeutet, dass e<strong>in</strong>e Krankenschwester etwa <strong>in</strong> dem Fall, wo Sie e<strong>in</strong>em Patienten<br />

zwar auf ärztliche Anweisung, jedoch gegen den erklärten Willen des Patienten<br />

e<strong>in</strong>e Injektion gibt, von diesem wegen Körperverletzung nach § 223 I StGB e<strong>in</strong>erseits<br />

strafrechtlich, wegen Schadensersatz und Schmerzensgeld zum an<strong>der</strong>en zivilrechtlich<br />

und arbeitsrechtlich wegen Verstoß gegen ihre arbeitsvertraglichen Sorgfaltspflichten<br />

<strong>zur</strong> Verantwortung gezogen werden kann.<br />

Folgende Übersicht soll dies verdeutlichen:<br />

.<br />

Injektion gegen den Willen des Patienten (ärztl. Anordnung)<br />

Zivilrechtliche<br />

Haftung<br />

Falschbehandlung:<br />

Schadensersatz,<br />

Schmerzensgeld<br />

Strafrechte<br />

Haftung<br />

Straftat: § 223 I<br />

StGB<br />

Freiheitsstrafe,<br />

Geldstrafe<br />

Arbeitsrechtliche<br />

Haftung<br />

Verletzung arbeitsvertraglicher<br />

Pflichten (trotz<br />

[unwirksamer]<br />

Anordnung):<br />

Abmahnung,<br />

Kündigung


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 27 von 180<br />

I. Teil<br />

Lerne<strong>in</strong>heit I.17:<br />

Als Ersthelfer<strong>in</strong> <strong>in</strong> Notfall- und Katastrophensituation handeln (Teilsequenz)<br />

Lernziele:<br />

- Zeitdauer: 4 Std. -<br />

Den Kursteilnehmern sollen vermittelt werden:<br />

Rechtliche (und Ethische) Aspekte <strong>zur</strong> Ersten Hilfe: Verpflichtung <strong>zur</strong> Hilfeleistung, rechtliche Konsequenten bei unterlassener<br />

o<strong>der</strong> fehlerhafter Hilfeleistung<br />

A. Geme<strong>in</strong>ge- Geme<strong>in</strong>gefährliche Straftaten<br />

fährliche<br />

Straftaten<br />

Im <strong>Pflege</strong>alltag stellt sich schnell die Frage, <strong>in</strong>wieweit das <strong>Pflege</strong>personal<br />

wegen unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323 c StGB strafrechtlich <strong>zur</strong><br />

Verantwortung gezogen werden kann, etwa wenn e<strong>in</strong>em auf <strong>der</strong> Station verunglückten<br />

Patient aus diversen Gründen nicht (rechtzeitig) geholfen wird<br />

(z.B. wegen Bestehens persönlicher Animositäten).<br />

Die unterlassene Hilfeleistung gehört nach <strong>der</strong> Legaldef<strong>in</strong>ition des Gesetzgebers übrigens zu den<br />

geme<strong>in</strong>gefährlichen Straftaten.<br />

I. Unterlassene Prüfungskarte Unterlassene Hilfeleistung<br />

Hilfeleistung<br />

1. Tatbestand<br />

a. objektiver Tatbestand<br />

Der objektive Tatbestand <strong>der</strong> unterlassenen Hilfeleistung setzt voraus, daß <strong>der</strong> Täter bei<br />

Unglücksfällen o<strong>der</strong> geme<strong>in</strong>er Gefahr o<strong>der</strong> Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erfor<strong>der</strong>lich<br />

und ihm den Umständen nach auch zumutbar war.<br />

aa. Unglücksfall<br />

Def.: Unglücksfall ist jedes plötzlich e<strong>in</strong>tretende Ereignis, das erhebliche Personen-<br />

o<strong>der</strong> Sachschäden anrichtet o<strong>der</strong> an<strong>zur</strong>ichten droht.<br />

(Dazu zählt e<strong>in</strong> vom Gefährdeten selbst verursachter Unglücksfall, wenn dieser<br />

nicht absichtlich herbeigeführt wurde [= Patient stürzt aus Unachtsamkeit]).<br />

bb. Unterlassen <strong>der</strong> möglichen Hilfeleistung<br />

cc. Erfor<strong>der</strong>lichkeit und Zumutbarkeit <strong>der</strong> möglichen hilfe<br />

Die vom Täter unterlaß. Hilfe muß erfor<strong>der</strong>lich und diesem zumutbar gewesen se<strong>in</strong>.<br />

Def.: Die Hilfe ist erfor<strong>der</strong>lich, wenn <strong>der</strong> Betroffene sich nicht selbst helfen kann<br />

und an<strong>der</strong>weitig ist ke<strong>in</strong>e ausreichende Hilfe verfügbar.<br />

Def.: Die Hilfe ist zumutbar, wenn sie nach allgeme<strong>in</strong>en sittlichen Maßstäben aufgebürdet<br />

werden kann, ohne daß sich <strong>der</strong> Täter dabei e<strong>in</strong>er erheblichen Eigengefahr<br />

aussetzt.<br />

a. subjektiver Tatbestand


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 28 von 180<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

3. Schuld<br />

II. E<strong>in</strong>zelfragen<br />

<strong>zur</strong> unterlasse- Ausgewählte E<strong>in</strong>zelfragen <strong>zur</strong> unterlassenen Hilfeleistung<br />

nen Hilfelei-<br />

stung<br />

1. objektiver Tatbestand<br />

a. Unglücksfall<br />

E<strong>in</strong>e schwere Krankheit ist ke<strong>in</strong> Unglücksfall. Der Nichtbesuch e<strong>in</strong>es<br />

Schwerkranken ist für den Arzt und das Krankenpflegepersonal<br />

jedenfalls dann ke<strong>in</strong>e unterlassene Hilfeleistung, wenn nicht gerade<br />

e<strong>in</strong> akuter Notfall vorliegt (Bsp.: Schwerkranker Patient stirbt ohne<br />

Vorwarnung nach Visite. -> Ke<strong>in</strong> § 323 c StGB für den Arzt).<br />

Aber: die plötzliche Wendung e<strong>in</strong>er Krankheit sehr wohl e<strong>in</strong>en<br />

Unglücksfall darstellt, <strong>der</strong> die Pflicht <strong>zur</strong> sofortigen Operation begründet.<br />

Als plötzliche Wendung gilt:<br />

schwere, andauernde Atemnot (OLG D'dorf, NJW 1995, 799),<br />

sich steigernde und nahezu unerträglich gewordene Schmerzen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Bauchhöhle (OLG Hamm, NJW 1975, 605),<br />

schlimme Atembeschwerden und Schmerzen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Brust,<br />

Eileiterschwangerschaft mit <strong>der</strong> Gefahr <strong>der</strong> Ruptur des Eileiters<br />

und <strong>der</strong> Folge des alsbaldigen Verblutens (BGH, NJW 1983, 350),<br />

b. Abgrenzung Tun / Unterlassen<br />

Zur Abgrenzung fragt man immer, wo <strong>der</strong> Schwerpunkt des strafrechtlich<br />

relevanten Verhaltens liegt: auf dem Tun o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Nichtvornahme.<br />

Bsp.: Abschalten Herz-Lungen-Masch<strong>in</strong>e ist Unterlassen <strong>der</strong> Weiterbehandlung.<br />

c. Zumutbarkeit und Erfor<strong>der</strong>lichkeit <strong>der</strong> Hilfe<br />

Bei <strong>der</strong> Ermittlung <strong>der</strong> Erfor<strong>der</strong>lichkeit kommt es darauf an, ob die<br />

Krankenschwester nach dem vorausschauenden Urteil e<strong>in</strong>es objektiven<br />

Beobachters e<strong>in</strong>e Chance <strong>zur</strong> Abwehr <strong>der</strong> Gefahr vertan hat.<br />

Voraussetzung für jede Hilfspflicht ist, daß die Möglichkeit <strong>zur</strong> Hilfe<br />

besteht und auch e<strong>in</strong>e gewisse räumliche Nähe zum Unglücksfall<br />

gegeben ist.<br />

Beachte: § 323 c StGB schafft ke<strong>in</strong>e absolute Son<strong>der</strong>pflicht für das<br />

<strong>Pflege</strong>personal <strong>zur</strong> Hilfeleistung. Jedoch s<strong>in</strong>d sie am ehesten <strong>zur</strong><br />

Hilfeleistung geeignet und verpflichtet.<br />

In beson<strong>der</strong>en E<strong>in</strong>zelfällen kann die Hilfeleistung dann unzumutbar<br />

se<strong>in</strong>, wenn es sich bei dem Betroffenen um e<strong>in</strong>en Aids-Infizierten<br />

handelt und e<strong>in</strong> akutes Infektionsrisiko mit direkter Lebensgefahr<br />

für den Hilfeleistenden bestünde.<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

Entfallen <strong>der</strong> Rechtswidrigkeit<br />

Der durch den Unglücksfall Betroffene verzichtet auf Hilfe und er<br />

bef<strong>in</strong>det sich nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er psychischen Ausnahmeverfassung von<br />

Krankheitswert.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 29 von 180<br />

III. Das Verlassen<br />

<strong>in</strong> hilfloser<br />

Lage<br />

1. Schutzrichtung<br />

2. Krankheitsbegriff<br />

des § 221<br />

StGB<br />

3. Begehungsweisen<br />

des §<br />

221 StGB<br />

4. Obhutspflicht<br />

i.s.d. § 221<br />

StGB<br />

Hier spielt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten e<strong>in</strong>e maßgebliche<br />

Rolle. Es ist - an<strong>der</strong>s als <strong>der</strong> Wille <strong>zur</strong> Selbsttötung - stets zu achten.<br />

Bleibt <strong>der</strong> Arzt o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Krankenschwester gegenüber e<strong>in</strong>em Behandlungsunwilligen<br />

untätig, dann liegt ke<strong>in</strong>e rechtswidrige Tat i.S.d. § 323 c StGB vor.<br />

Geme<strong>in</strong>gefährliche Straftaten (Fortsetzung)<br />

Das Verlassen <strong>in</strong> hilfsloser Lage<br />

Die Vorschrift des § 221 StGB schützt vor <strong>der</strong> Gefährdung<br />

hilfloser Personen an Leib und Leben.<br />

Hilflos ist je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> <strong>zur</strong> Tatzeit verschuldet o<strong>der</strong> unverschuldet<br />

außerstande ist, sich ohne Hilfe an<strong>der</strong>er gegen e<strong>in</strong>e se<strong>in</strong> Leben<br />

o<strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Gesundheit bedrohende Gefahr zu wehren.<br />

Die Hilflosigkeit bezieht sich daher auf unterschiedliche Ursachen<br />

wie Jugendlichkeit (Neugeborene o<strong>der</strong> Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>),<br />

Gebrechlichkeit (alte Menschen) o<strong>der</strong> auch Krankheit. Vor<br />

allem aus letztem Grund ist die Aussetzung, genauer gesagt die<br />

2. Alternative des Abs. 1 <strong>der</strong> Vorschrift, also das "Verlassen <strong>in</strong><br />

hilfloser Lage" für die Krankenpflege von Bedeutung.<br />

Krankheit wird nicht im engen mediz<strong>in</strong>ischen S<strong>in</strong>ne als pathologischer<br />

Zustand verstanden. Auch die schwere Angetrunkenheit<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zustand während <strong>der</strong> Geburt fallen darunter.<br />

Die bloße Schwangerschaft an sich kann nicht als hilflose Lage<br />

verstanden werden, weil die Schwangere durchaus <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage<br />

ist, sich gegen Angriffe auf ihr Leben o<strong>der</strong> ihre Gesundheit zu<br />

wehren. Das än<strong>der</strong>t sich erst mit dem Geburtsvorgang selbst.<br />

Die Vorschrift kennt zwei Arten <strong>der</strong> Tatbegehung:<br />

das Versetzen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e hilflose Lage<br />

das Verlassen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er hilflosen Lage trotz bestehen<strong>der</strong> Obhuts-<br />

bzw. Beistandspflicht.<br />

E<strong>in</strong> Verlassen <strong>in</strong> hilfloser Lage wird erst dann strafbar, wenn e<strong>in</strong>e<br />

Obhutspflicht vorliegt, die verletzt wurde. E<strong>in</strong>e Obhutspflicht<br />

kann sich ergeben aus:<br />

berufsständischen Regeln (z.B. Arzt),<br />

aus Arbeitsvertrag (Arzt, Krankenschwester),<br />

aus tatsächlicher Übernahme (Nachbar<strong>in</strong> verspricht, auf den<br />

Säugl<strong>in</strong>g aufzupassen).


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 30 von 180<br />

1. Tatbestand<br />

Prüfungskarte Verlassen <strong>in</strong> hilfloser Lage<br />

a. objektiver Tatbestand<br />

Täter des § 221 StGB kann nur se<strong>in</strong>, wer obhutspflichtig ist o<strong>der</strong> sonstwie für die Unterbr<strong>in</strong>gung<br />

o<strong>der</strong> Aufnahme des Hilfsbedürftigen (= Patienten) zu sorgen hat. Entscheidend<br />

ist, daß <strong>der</strong> Täter e<strong>in</strong>e Garantenstellung <strong>in</strong>ne hat. Damit kann auch die Krankenschwester<br />

mögliche Täter<strong>in</strong> des § 221 I 1.Alt. StGB se<strong>in</strong>.<br />

Tathandlung ist das Verlassen <strong>in</strong> hilfloser Lage. Charakteristisch ist, daß <strong>der</strong> Aufenthalt<br />

des Patienten unverän<strong>der</strong>t bleibt, statt dessen sich jedoch <strong>der</strong> Täter entfernt ! Nach Auffassung<br />

des BGH ist dazu unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e örtliche Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Beziehung zwischen Obhutspflichtigem<br />

und <strong>der</strong> hilflosen Person erfor<strong>der</strong>lich. Teile <strong>der</strong> Rechtsliteratur h<strong>in</strong>gegen lassen<br />

ausreichen, wenn <strong>der</strong> Täter den Schutzbefohlenen schon "im Stich" läßt.<br />

Bsp.: Die Krankenschwester, die am Bett des Patienten verbleibt und<br />

nichts unternimmt, obwohl dieser e<strong>in</strong>en Kollaps erleidet. Der BGH bestraft<br />

hier ggf. nach § 323 c StGB, die Literatur bereits nach § 221 I 2.<br />

Alt. StGB. Sie folgen jedoch <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung des BGH.<br />

Taterfolg ist, daß <strong>der</strong> Patient <strong>in</strong>folge des Verlassens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e vorher nicht vorhandene konkrete<br />

Gefahr gebracht worden ist. Das ist e<strong>in</strong>e Gefahr, <strong>in</strong> <strong>der</strong> ihn nur e<strong>in</strong> retten<strong>der</strong> Zufall<br />

vor Tod o<strong>der</strong> schwerem Gesundheitsschaden bewahren kann.<br />

b. subjektiver Tatbestand<br />

2. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

Abgrenzung<br />

zwischen §<br />

221 und §<br />

323c StGB<br />

Das Verlassen Hilfloser liegt tatbestandlich nicht schon vor, wenn<br />

die Krankenschwester den Patienten, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> ihrer Obhut bef<strong>in</strong>det,<br />

vernachlässigt. Dann greift § 323 c StGB. Erst wenn die Vernachlässigung<br />

e<strong>in</strong> Verlassen ist, ist § 221 I 2. Alt. StGB erfüllt.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 31 von 180<br />

Aktuelle Fälle <strong>zur</strong> Unterlassenen Hilfeleistung und zum Verlassen <strong>in</strong> hilfloser Lage<br />

Fall 1: Verlassen <strong>in</strong> hilfloser Lage<br />

Altenpfleger Gerd hat die Betreuung <strong>der</strong> 95-jährigen, l<strong>in</strong>ksseitig gelähmten, bettlägerigen Margret<br />

übernommen. Wegen <strong>der</strong>en kritischen Gesundheitszustandes war je<strong>der</strong>zeit mit e<strong>in</strong>em plötzlichen<br />

Herzversagen zu rechnen. Ohne sofortige Hilfe würde Margret sterben. Dennoch verließ er am<br />

07.04.2006 gegen 20.30 Uhr die Station und kehrte erst nach 14 Stunden wie<strong>der</strong> <strong>zur</strong>ück. Zwischenzeitlich<br />

hatte die Enkel<strong>in</strong> von Margret die <strong>Pflege</strong> übernommen, nachdem sie die Abwesenheit<br />

von Gerd bemerkt hatte.<br />

Fall nach: OLG Zweibrücken, Beschluß vom 18.08.1997 - 1 Ss 159/97<br />

Fall 2: Verlassen <strong>in</strong> hilfloser Lage<br />

Variante: Wie wäre <strong>der</strong> Fall 1 zu beurteilen, wenn es sich bei Margret um e<strong>in</strong>e 30-jährige Patient<strong>in</strong><br />

auf <strong>der</strong> Intensivstation gehandelt hätte ?<br />

Fall 3: Unterlassene Hilfeleistung<br />

Der 1942 geborene Angekl. war vom 1. 10. 1973 bis zum 31. 1. 1980 als planmäßiger Assistenzarzt<br />

auf <strong>der</strong> chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses G beschäftigt. 1979 wurde er als<br />

Funktions-Oberarzt im Bereitschaftsdienst e<strong>in</strong>gesetzt. Am frühen Nachmittag des 12. 12. 1979<br />

wurde die Patient<strong>in</strong> W im Kreiskrankenhaus G operiert. Ihr wurde die Milz entfernt, die krankhaft<br />

vergrößert e<strong>in</strong> Gewicht von ca. 2 kg aufwies. Die Patient<strong>in</strong> litt weiter an e<strong>in</strong>er Leberzirrhose. Das<br />

Blut <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> hatte nur e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Ger<strong>in</strong>nungsfähigkeit, weshalb <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> Blutfarbstoff<br />

zugeführt wurde. Aufgrund des Krankheitsbildes war mit Sickerungsblutungen zu rechnen. Deswegen<br />

wurden Dra<strong>in</strong>agen gelegt, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Sickerungsbeutel e<strong>in</strong>mündeten. Nach <strong>der</strong> Operation<br />

wurde die Patient<strong>in</strong> W <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Krankenzimmer <strong>der</strong> chirurgischen Abteilung verlegt, <strong>der</strong>en zuständiger<br />

Arzt nach Dienstende um 16.30 Uhr <strong>der</strong> Angekl. <strong>in</strong>folge Bereitschaftsdienstes war. Bevor <strong>der</strong><br />

Angekl. zwischen 19.00 und 19.30 Uhr das Krankenhaus verließ und sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e damals nahe<br />

dem Krankenhaus gelegene Wohnung begab, <strong>in</strong>formierte sich <strong>der</strong> Angekl. über den Krankheitszustand<br />

<strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> W. Er überzeugte sich davon, daß die Infusionen liefen und die Kreislaufverhältnisse<br />

<strong>in</strong>takt waren. In dem Auffangbeutel <strong>der</strong> Blutungsdra<strong>in</strong>age befanden sich zu diesem Zeitpunkt<br />

ca. 600 Milliliter. Die Infusionen hatte <strong>der</strong> zuständige Anaesthesiearzt angeordnet. Um 20.00<br />

Uhr übernahm die Nachtschwester, die Zeug<strong>in</strong> A, den Dienst auf <strong>der</strong> chirurgischen Station. Die<br />

Zeug<strong>in</strong> <strong>in</strong>formierte sich anhand <strong>der</strong> Krankenunterlagen über den Gesundheitszustand <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong><br />

W. Ebenfalls um 20.00 Uhr begann <strong>der</strong> Zeuge B se<strong>in</strong>enDienst als Sitzwache am Krankenbett <strong>der</strong><br />

Patient<strong>in</strong> W. Der Zeuge B, <strong>der</strong> ausgebildeter Rettungssanitäter ist, wurde je nach Bedarf seit ca. 2<br />

Jahren im Durchschnitt drei- bis viermal im Monat zu Sitzwachen im Kreiskrankenhaus G e<strong>in</strong>geteilt.<br />

Er hatte die Aufgabe, Blutdruck und Puls <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> W jede halbe Stunde zu messen und


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 32 von 180<br />

darüber h<strong>in</strong>aus allgeme<strong>in</strong> ihr Bef<strong>in</strong>den zu beobachten. Der Zeuge B teilte gegen 2.30 Uhr <strong>der</strong> Zeug<strong>in</strong><br />

A mit, daß <strong>der</strong> Blutdruck <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> W unter 100 mm Hg gesunken sei. Die Zeug<strong>in</strong> A rief<br />

den Angekl. zu Hause an und teilte ihm das Abs<strong>in</strong>ken des Blutdrucks mit. Der Angekl. ordnete<br />

dann telefonisch an, die Lage <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> zu verän<strong>der</strong>n, so daß Oberkörper und Kopf tiefer liegen<br />

und e<strong>in</strong>en schnelleren E<strong>in</strong>lauf <strong>der</strong> Infusion gewährleisten. Gegen 3.20 Uhr klagte die Patient<strong>in</strong> W<br />

über Schmerzen, worauf die Zeug<strong>in</strong> A den Angekl. wie<strong>der</strong> zu Hause anrief. Der Angekl. reagierte<br />

auf diesen Anruf wegen <strong>der</strong> Schmerzen etwas ungehalten, da postoperative Schmerzen e<strong>in</strong>e Rout<strong>in</strong>eangelegenheit<br />

darstellten und jede Krankenschwester gerade dafür ausgebildet sei, e<strong>in</strong>e solche<br />

Situation zu bewältigen. Der Angekl. ordnete an, daß <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> W das Schmerzmittel Fortral<br />

gespritzt werden soll. Gegen 3.45 Uhr sank <strong>der</strong> Blutdruck bei <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> W auf 50 mm Hg ab.<br />

Die Nachtschwester K rief den Angekl. dann zu Hause an. Der Angekl. ordnete an, die noch laufenden,<br />

von dem zuständigen Anaesthesiearzt angeordneten Infusionen schneller e<strong>in</strong>fließen zu lassen,<br />

bis <strong>der</strong> Blutdruck wie<strong>der</strong> konstant auf 100 angehoben sei. Kurz vor 5.00 Uhr verschlechterte<br />

sich <strong>der</strong> Zustand <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> W erneut. Die Patient<strong>in</strong> hatte blaue Lippen, <strong>der</strong> Blutdruck war nach<br />

den Messungen des Zeugen B bis auf 40 mm Hg abgesunken. Die blutige Wundflüssigkeit im Auffangbeutel<br />

hatte zugenommen. Die Zeug<strong>in</strong> A rief den Angekl. erneut zu Hause an. Nach wenigenM<strong>in</strong>uten<br />

kam <strong>der</strong> Angekl. ans Krankenbett <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> und untersuchte sie. Er ordnete e<strong>in</strong>e<br />

sofortige Infusion e<strong>in</strong>er Blutersatzflüssigkeit an, bis zwei Blutkonserven so angewärmt waren, daß<br />

diese e<strong>in</strong>geführt werden konnten. Der Angekl. verabreichte <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> erneut Fortral und ließ die<br />

Dopam<strong>in</strong><strong>in</strong>fusion vollständig e<strong>in</strong>laufen. Um 6.00 Uhr übernahm die Zeug<strong>in</strong> R als zuständige Krankenschwester<br />

die Patient<strong>in</strong> W. Die Zeug<strong>in</strong> R sah nach <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> und stellte fest, daß <strong>der</strong> Bauch<br />

prall und schmerzempf<strong>in</strong>dlich war. Die Patient<strong>in</strong> war nicht voll ansprechbar. Die Zeug<strong>in</strong> R rief<br />

dann e<strong>in</strong>en Arzt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Intensivstation an, <strong>der</strong> sagte, daß er kommen werde, sobald die Dienstbesprechung<br />

zu Ende sei. Als nach 10 M<strong>in</strong>uten aber ke<strong>in</strong> Arzt erschien, g<strong>in</strong>g die Zeug<strong>in</strong> R zum Operationssaal,<br />

da dort fast immer e<strong>in</strong> Arzt zu dieser Zeit anzutreffen ist. Aus dem OP-Trakt kam zunächst<br />

Dr. A, <strong>der</strong> sich die Patient<strong>in</strong> ansah. Kurz danach erschienen Dr. H und <strong>der</strong> Angekl., <strong>der</strong><br />

wie<strong>der</strong> von zu Hause <strong>in</strong> den Normaldienst <strong>zur</strong>ückkehrte. Kurz danach erschien auch <strong>der</strong> Chefarzt<br />

<strong>der</strong> Anaesthesie Dr. S, <strong>der</strong> die Patient<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kollapszustand antraf und die sofortige Verlegung<br />

<strong>in</strong> die Intensivstation anordnete. Dort wurde <strong>der</strong> Kreislauf <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> mittels Blutkonserven<br />

aufgefüllt und die Patient<strong>in</strong> für e<strong>in</strong>e Nachoperation vorbereitet. Diese Operation wurde vom Chefarzt<br />

des Krankenhauses, dem Zugen Dr. G, gegen 11.00 Uhr selbst vorgenommen. Bei <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong><br />

W war es zu erheblichen <strong>in</strong>neren Blutungen gekommen. 4 Liter Blut wurden abgesaugt. Zwischen<br />

7.00 und 7.30 Uhr waren die erheblichen <strong>in</strong>neren Blutungen für die behandelnden Ärzte erkennbar<br />

und die schnellstmögliche Nachoperation <strong>zur</strong> Stillung <strong>der</strong> Blutungen zw<strong>in</strong>gend erfor<strong>der</strong>lich<br />

geworden. Die Patient<strong>in</strong> W verstarb am 18. 12. 1979 im Kreiskrankenhaus G.<br />

Fall nach: AG Groß-Gerau, Urteil vom 30.07.1981 - 14 Js 37.888/79 - 3 Ls<br />

Fall 4: Unterlassene Hilfeleistung<br />

Frau B war seit Jahren auf Grund e<strong>in</strong>er Blutgefäßsklerose schwer herzkrank. Im Jahr 1979 erlitt sie<br />

e<strong>in</strong>en Herz<strong>in</strong>farkt. Seitdem bestand e<strong>in</strong>e Herz<strong>in</strong>suffizienz mit Herzrhythmusstörungen. Im Oktober<br />

1980 verstärkten sich die Beschwerden. Am Abend des 8. November 1980 (Samstag) verschlechterte<br />

sich ihr Bef<strong>in</strong>den. Sie klagte über Herzschmerzen, Schmerzen im l<strong>in</strong>ken Arm sowie allgeme<strong>in</strong>es<br />

Unwohlse<strong>in</strong>. Ihre Tochter, die Zeug<strong>in</strong> 0, rief gegen 0.30 Uhr den Angeklagten an, <strong>der</strong> während<br />

jenes Wochenendes Bereitschaftsdienst hatte. Sie unterrichtete ihn über den Zustand ihrer Mutter<br />

und bat um se<strong>in</strong>en sofortigen Hausbesuch. Nachdem er von ihr erfahren hatte, daß die Patient<strong>in</strong> seit<br />

längerem herzkrank war und aus diesem Grund Medikamente nahm, erklärte er ihr, es sei besser,<br />

wenn sie ke<strong>in</strong>e neuen Arzneimittel nehme. Als die Zeug<strong>in</strong> 0 ihre Bitte um e<strong>in</strong>en Hausbesuch wie-


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 33 von 180<br />

<strong>der</strong>holte, erwi<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Angeklagte, sie solle ihre Mutter <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Praxis fahren. Auf die Äußerung<br />

<strong>der</strong> Zeug<strong>in</strong>, daß dies nicht möglich sei, entgegnete er, dann solle sie die Patient<strong>in</strong> - nötigenfalls mit<br />

e<strong>in</strong>em Taxi - <strong>in</strong>s Krankenhaus br<strong>in</strong>gen. Das Landgericht hat nicht klären können, ob er die Zeug<strong>in</strong><br />

auf die Möglichkeit h<strong>in</strong>wies, den Notarzt zu verständigen. Weitere Anweisungen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

über die dr<strong>in</strong>gende Notwendigkeit e<strong>in</strong>er sofortigen Überführung ihrer Mutter <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Krankenhaus,<br />

erteilte er nicht. Nach diesem Telefongespräch war die Zeug<strong>in</strong> ratlos. Die sich im Wohnzimmer<br />

aufhaltende Patient<strong>in</strong> geriet wegen <strong>der</strong> Ablehnung des Hausbesuchs <strong>in</strong> große Unruhe. Sie wurde<br />

<strong>in</strong>s Schlafzimmer gebracht. Dabei erlitt sie e<strong>in</strong>en Schwächeanfall. Als sie schließlich im Bett lag,<br />

kam es zu e<strong>in</strong>em weiteren Herz<strong>in</strong>farkt. Der Schwiegersohn verständigte den Malteser-Hilfsdienst.<br />

Kurz darauf traf <strong>der</strong> Notarzt e<strong>in</strong> und veranlaßte die sofortige Überführung von Frau B <strong>in</strong>s Krankenhaus.<br />

Dort verbesserte sich zwar anfangs ihr Bef<strong>in</strong>den. Am Nachmittag des Sonntag kam es jedoch<br />

zu e<strong>in</strong>em Bewußtlosigkeitsanfall mit Atemstillstand. Die Patient<strong>in</strong> verstarb dann. Ihr Tod wäre<br />

zu diesem Zeitpunkt wahrsche<strong>in</strong>lich auch e<strong>in</strong>getreten, wenn die Zeug<strong>in</strong> 0 unmittelbar nach dem<br />

Telefongespräch mit dem Angeklagten den Notarzt verständigt hätte. Bei e<strong>in</strong>em Hausbesuch hätte<br />

<strong>der</strong> Angeklagte we<strong>der</strong> s<strong>in</strong>nvolle therapeutische Maßnahmen ergreifen, noch die Schmerzen <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong><br />

l<strong>in</strong><strong>der</strong>n können; <strong>in</strong> Betracht kam allenfalls die Verabreichung e<strong>in</strong>es Beruhigungsmittels. Da<br />

es sich bei Frau B um e<strong>in</strong>e Risikopatient<strong>in</strong> handelte und sich bei ihr die Symptome e<strong>in</strong>es Re<strong>in</strong>farkts<br />

zeigten, war es geboten, sie auf schnellstem Wege mit e<strong>in</strong>em für solche Fälle beson<strong>der</strong>s ausgerüsteten<br />

Rettungstransportwagen, <strong>der</strong> von e<strong>in</strong>em Notarzt begleitet wird, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Krankenhaus e<strong>in</strong>zuliefern.<br />

Die Gefahr, e<strong>in</strong>em Herz<strong>in</strong>farkt zu erliegen, ist am größten <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> ersten Stunde nach<br />

dem Infarkt. Sie kann nur durch ärztliche Sofortmaßnahmen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Krankenhaus wesentlich verr<strong>in</strong>gert<br />

werden. Dieser Zusammenhänge war sich <strong>der</strong> Angeklagte beim Telefongespräch mit <strong>der</strong><br />

Zeug<strong>in</strong> 0 bewußt.<br />

Fall nach BGH 2. Strafsenat, Urteil vom 3. April 1985, Az: 2 StR 63/85<br />

Fall 5: Unterlassene Hilfeleistung<br />

Die Ehefrau E. hat am 21. August 1992 im M <strong>in</strong> Düsseldorf e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d tot <strong>zur</strong> Welt gebracht. Sie<br />

und ihr Ehemann bezichtigen die verantwortlichen Ärzte und <strong>Pflege</strong>kräfte <strong>der</strong> Geburts-<br />

Gynäkologischen Abteilung dieses Krankenhauses, durch un<strong>zur</strong>eichende mediz<strong>in</strong>ische Betreuung<br />

den <strong>in</strong>trauter<strong>in</strong> Tod ihres voll entwickelten K<strong>in</strong>des verursacht und verschuldet zu haben. Gegen die<br />

verantwortlichen Personen haben sie aus allen <strong>in</strong> Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten<br />

Strafanzeige erstattet.<br />

Fall nach OLG Düsseldorf 1. Strafsenat, Beschluß vom 13. Januar 1995, Az: 1 Ws 1041/94<br />

Fall 6: Unterlassene Hilfeleistung<br />

Auf <strong>der</strong> He<strong>in</strong>fahrt von se<strong>in</strong>em Schichtdienst kommt <strong>der</strong> Krankenpfleger Kurt an e<strong>in</strong>em frischen<br />

Verkehrsunfall vorbei, bei dem mehrere Personen verletzt wurden. Er gibt sich als Krankenpfleger<br />

zu erkennen und bittet e<strong>in</strong>en nicht am Unfall beteiligten Autofahrer, ärztliche Hilfe über dessen<br />

Handy zu holen. Der Gebetene weist dies <strong>zur</strong>ück, <strong>in</strong>dem er me<strong>in</strong>t, Kurt solle sich nicht so aufspielen.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 34 von 180<br />

Fall 7:<br />

Krankenpfleger Rudi hat se<strong>in</strong>en verdienten Feierabend erreicht. Gerade als er nach Hause gehen<br />

will, kommt <strong>der</strong> Rettungswagen vorbei und liefert e<strong>in</strong>en Notfallpatienten e<strong>in</strong>. Dieser blutet stark, es<br />

muß etwas geschehen. Der Dienst habende Arzt bittet Rudi, länger zu bleiben, da starker Personalmangel<br />

herrscht und ke<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er <strong>Pflege</strong>r <strong>zur</strong> Verfügung steht. Rudi me<strong>in</strong>t jedoch, e<strong>in</strong> Recht auf<br />

Feierabend zu haben. Weiterer Dienst sei ihm nicht zumutbar, weil er bereits neun Stunden<br />

Schichtdienst h<strong>in</strong>ter sich habe. Ale er zudem erfährt, dass <strong>der</strong> Patient an AIDS erkrankt ist, hält er<br />

jede Hilfe - auch wegen <strong>der</strong> Ansteckungsgefahr - für unzumutbar.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 35 von 180<br />

Lernziele:<br />

I. Teil<br />

Lerne<strong>in</strong>heit I.29:<br />

Die <strong>Pflege</strong>bedürftigen aufnehmen, verlegen und entlassen<br />

- Vertragsrecht -<br />

- Zeitdauer: 3 Std. -<br />

Den Kursteilnehmern sollen vermittelt werden:<br />

Grundlagen des Vertragsrechts,<br />

Abschluss des Krankenhausaufnahmevertrages, des ärztlichen und pflegerischen Vertrages,<br />

Beendigung <strong>der</strong> Verträge<br />

A. Grundlagen des Vertragsschlusses: Rechts- und Parteifähigkeit<br />

A. Rechts- und<br />

Parteifähigkeit<br />

I. Beg<strong>in</strong>n, Inhalt<br />

und Ende <strong>der</strong><br />

Rechtsfähigkeit<br />

Bereits im Kreissaal verän<strong>der</strong>t sich <strong>der</strong> rechtliche Status des Neugeborenen. Denn<br />

es wird unmittelbar nach <strong>der</strong> Geburt zu e<strong>in</strong>er eigenen Rechtspersönlichkeit.<br />

E<strong>in</strong>e von mehreren Rechtsfolgen <strong>der</strong> Geburt ist die Fähigkeit des Neugeborenen,<br />

am Rechtsverkehr teilnehmen zu können.<br />

Def<strong>in</strong>ition: Unter <strong>der</strong> Rechtsfähigkeit wird die Fähigkeit verstanden, Träger<br />

von Rechten und Pflichten se<strong>in</strong> zu können. Träger von Rechten<br />

können natürliche Personen und juristische Personen se<strong>in</strong>.<br />

Natürliche Personen s<strong>in</strong>d alle Menschen; zu juristischen Personen<br />

zählen Firmen und Vere<strong>in</strong>e.<br />

Beg<strong>in</strong>n: Nach § 1 BGB beg<strong>in</strong>nt die Rechtsfähigkeit mit <strong>der</strong> Vollendung<br />

<strong>der</strong> Geburt. Dies ist <strong>der</strong> Fall, wenn das lebende K<strong>in</strong>d (Nachweis<br />

<strong>der</strong> sicheren Lebensfunktion) den Mutterleib vollständig verlassen<br />

hat. Die Nabelschnur muß aber noch nicht durchtrennt se<strong>in</strong>.<br />

Inhalt: Das Neugeboren ist somit rechtsfähig, wenn es sich entwe<strong>der</strong> um<br />

e<strong>in</strong>e Lebendgeburt o<strong>der</strong> um e<strong>in</strong>e (lebende) Frühgeburt handelt.<br />

Lebendgeburt: Sie liegt vor, wenn bei dem Neugeborenen nach<br />

<strong>der</strong> Scheidung <strong>der</strong> Nabelschnur vom Mutterleib<br />

entwe<strong>der</strong> das Herz geschlagen o<strong>der</strong> die Nabelschnur<br />

pulsiert o<strong>der</strong> die natürliche Lungenatmung<br />

e<strong>in</strong>gesetzt hat. Die Lebensfähigkeit ist dabei nicht<br />

entscheidend.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 36 von 180<br />

II. Parteifähigkeit<br />

III. Meldepflichten<br />

Frühgeburt: Sie liegt vor, wenn das K<strong>in</strong>d vor dem Ende <strong>der</strong> 37.<br />

bzw. 38 Schwangerschaftswoche mit e<strong>in</strong>em Lebendgewicht<br />

von 2500 g und weniger geboren<br />

wird. (Nach <strong>der</strong> Rspr. des BAG: Auch die Frühgeburt<br />

ist e<strong>in</strong>e Entb<strong>in</strong>dung i.S.d. MuSchG).<br />

Beachte: Auch wenn das K<strong>in</strong>d nach <strong>der</strong> Geburt wie<strong>der</strong> gestorben ist, hat<br />

es die Rechtsfähigkeit erworben und war sogar erbberechtigt.<br />

Auch Mißgeburten s<strong>in</strong>d voll rechtsfähig.<br />

Son<strong>der</strong>fälle:Rechtsschutz<br />

bereits<br />

im Mutterleib:<br />

Von dem Grundsatz, daß das K<strong>in</strong>d nach vor <strong>der</strong> vollendeten Geburt<br />

rechtsfähig ist, gibt es zwei Abweichungen:<br />

Nach § 1923 II BGB kann auch e<strong>in</strong> Fötus schon Erbe se<strong>in</strong>es Vaters<br />

se<strong>in</strong>, wenn er im Zeitpunkt des Todes des Elternteils schon<br />

gezeugt, aber noch nicht geboren war und lebend <strong>zur</strong> Welt<br />

kommt. Dann wird die Rechtsfähigkeit vorverlegt.<br />

Wird e<strong>in</strong> Fötus im Mutterleib durch die unerlaubte Handlung e<strong>in</strong>es<br />

an<strong>der</strong>en geschädigt (z.B. Verkehrsunfall), so steht ihm gegen<br />

den Verursacher e<strong>in</strong> Schadensersatzanspruch wegen vorgeburtlicher<br />

Schädigung zu, wenn er lebend <strong>zur</strong> Welt kommt.<br />

Daß die schädigende Handlung vor <strong>der</strong> Geburt liegt, ist <strong>in</strong>soweit<br />

unbeachtlich.<br />

Ende: Die Rechtsfähigkeit endet mit dem Tod. Damit enden auch die<br />

rechtlichen Beziehungen e<strong>in</strong>es Patienten aus dem Behandlungsvertrag.<br />

Aber: Die Beendigung <strong>der</strong> Rechtsfähigkeit ist Voraussetzung für<br />

die Organentnahme zu Transplantationszwecken.<br />

Die Parteifähigkeit ist die Fähigkeit, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Rechtsstreit vor Gericht Partei zu<br />

se<strong>in</strong>, also Kläger o<strong>der</strong> Beklagter.<br />

Nachdem Sie als Hebamme o<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Geburt (passiv) teilnehmendes <strong>Pflege</strong>personal<br />

die grundsätzliche Rechtsfähigkeit des Neugeborenen ermittelt haben, leiten<br />

sich hieraus für Sie weitere Rechte und Pflichten ab.<br />

In erster L<strong>in</strong>ie s<strong>in</strong>d die Meldepflichten zu nennen. Der staatlichen Rechtsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

ist Kenntnis zu geben, daß e<strong>in</strong> neuer Teilnehmer da ist, <strong>der</strong> nunmehr auch<br />

formell als voll rechtsfähiger Bürger <strong>in</strong> die Rechtsgeme<strong>in</strong>schaft aufzunehmen ist.<br />

Dies geschieht durch die Anmeldung <strong>der</strong> Geburt bei dem Standesamt, <strong>in</strong> dessen<br />

Bezirk das K<strong>in</strong>d geboren wurde.<br />

Lebendgeburt:<br />

E<strong>in</strong>e - anmeldepflichtige - Lebendgeburt liegt vor, wenn<br />

bei dem K<strong>in</strong>d nach Scheidung vom Mutterleib m<strong>in</strong>destens für<br />

wenige Sekunden,<br />

entwe<strong>der</strong> das Herz geschlagen hat und,<br />

die Nabelschnur pulsiert hat o<strong>der</strong>,<br />

die natürliche Lungenatmung e<strong>in</strong>gesetzt hat.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 37 von 180<br />

1. Die Anmeldung<br />

e<strong>in</strong>es neuen<br />

Bürgers<br />

2. Die Abmeldung<br />

e<strong>in</strong>es alten<br />

Bürgers<br />

Wer meldet<br />

wann?<br />

Was wird<br />

gemeldet ?<br />

Son<strong>der</strong>fälle:<br />

<strong>der</strong> eheliche Vater,<br />

die Hebamme, die bei <strong>der</strong> Geburt zugegen war,<br />

<strong>der</strong> Arzt, <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Geburt zugegen war,<br />

an<strong>der</strong>e Personen, die zugegen waren (z.B.: <strong>Pflege</strong>personal),<br />

die Mutter.<br />

Innerhalb e<strong>in</strong>er Woche nach <strong>der</strong> Geburt !<br />

Vor- und Familiennamen <strong>der</strong> Eltern.<br />

Beruf und Wohnort.<br />

Religionszugehörigkeit.<br />

Ort, Tag und Stunde <strong>der</strong> Geburt.<br />

Geschlecht des K<strong>in</strong>des u. Vornamen.<br />

Name, Wohnort, Beruf des die Geburt Anmeldenden.<br />

We<strong>der</strong> die Totgeburt, noch die Fehlgeburt s<strong>in</strong>d meldepflichtig.<br />

Def. Totgeburt: Nach <strong>der</strong> Trennung vom Mutterleib schlägt<br />

we<strong>der</strong> das Herz noch setzt die Lungenatmung e<strong>in</strong> und das Gewicht<br />

<strong>der</strong> Leibesfrucht beträgt m<strong>in</strong>destens 500 g.<br />

Def. Fehlgeburt: Die Totgeburt wiegt weniger als 500 g. Sie<br />

braucht nicht beim Standesamt gemeldet zu werden.<br />

Nach dem E<strong>in</strong>tritt des Todesfalles erfolgt die formelle Abmeldung des nicht mehr<br />

rechtsfähigen Menschen aus <strong>der</strong> Rechtsgütergeme<strong>in</strong>schaft. Dies geschieht:<br />

Am nächsten (Werk-)tag nach E<strong>in</strong>tritt des Todesfalls beim Standesamt.<br />

durch das Familienoberhaupt od. jede Person, die beim Tod zugegen war (also<br />

auch durch das <strong>Pflege</strong>personal, wenn <strong>der</strong> Patient im Krankenhaus gestorben ist).<br />

B. Grundlagen des Vertragsschlusses: Geschäftsfähigkeit<br />

I. Geschäftsfähigkeit<br />

Neben <strong>der</strong> Rechts- und Parteifähigkeit ist für den Vertragsschluss entscheidend, ob<br />

<strong>der</strong> Patient überhaupt e<strong>in</strong>e rechtswirksame Willenserklärung abgeben kann, die ihn<br />

und se<strong>in</strong>en Vertragspartner rechtlich b<strong>in</strong>det.<br />

Die Frage, ob jemand e<strong>in</strong>e Willenserklärung abgeben und damit e<strong>in</strong>en Arztvertrag<br />

o<strong>der</strong> Krankenhausaufnahmevertrag abschließen kann, bemisst sich nach <strong>der</strong> Geschäftsfähigkeit.<br />

Die Geschäftsfähigkeit hängt von <strong>der</strong> E<strong>in</strong>sichts- und Willensfähigkeit<br />

des Patienten ab.<br />

Def<strong>in</strong>ition: Unter Geschäftsfähigkeit versteht man die Fähigkeit, durch eigene<br />

Willenserklärungen Rechte und Pflichten e<strong>in</strong>gehen zu können.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 38 von 180<br />

I. E<strong>in</strong>schränkungen<br />

Arten: Geschäftsunfähigkeit: Sie besteht vom 1.-7. Lebensjahr. Willenserklärungen<br />

s<strong>in</strong>d immer unwirksam (§ 104 BGB). Folge: E<strong>in</strong><br />

Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d kann ke<strong>in</strong>en Krankenhausaufnahmevertrag schließen.<br />

E<strong>in</strong>schränkung:<br />

Beschränkte Geschäftsfähigkeit: Sie besteht vom 7.-18. Lebensjahr<br />

(§ 106 BGB). Nicht jede Willenserklärung ist wirksam. Folge:<br />

Nur rechtlich vorteilhafte Willenserklärungen o<strong>der</strong> solche gem.<br />

Taschengeldparagrafen s<strong>in</strong>d wirksam (§§ 107-113 BGB). Ansonsten<br />

s<strong>in</strong>d sie schwebend unwirksam und bedürfen <strong>der</strong> (nachträgl.) Genehmigung<br />

durch den gesetzl. Vertreter (z.B.: Eltern).<br />

Volle Geschäftsfähigkeit: Sie besteht ab dem 18. Lebensjahr.<br />

Folge: Jede Willenserklärung ist wirksam.<br />

Sog. geschäftsunfähige Erwachsene: Wer dement ist und unter Betreuung<br />

steht, kann unter den Voraussetzungen des § 105a BGB<br />

Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens im Bagatellbereich schließen.<br />

Die Geschäftsfähigkeit kann auch vorübergehend e<strong>in</strong>geschränkt<br />

se<strong>in</strong>. Dann kann man entwe<strong>der</strong> ke<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> nur bed<strong>in</strong>gt Verträge (=<br />

vorläufig) schließen. Wichtige E<strong>in</strong>schränkungsgründe s<strong>in</strong>d:<br />

Trunkenheit (dann: bis <strong>zur</strong> Ausnüchterung warten).<br />

Bewußtlosigkeit (Unfallpatient: ist vorübergehend aufzunehmen).<br />

Bei bewußtlosen Unfallpatienten besteht e<strong>in</strong>e vorübergehende Geschäftsunfähigkeit.<br />

Der Vertrag kommt über die GoA zustande.<br />

C. Annex: Die zivil- und strafrechtliche Verantwortlichkeit für rechtliches<br />

Fehlverhalten - Deliktfähigkeit / Strafmündigkeit<br />

Deliktfähigkeit,<br />

Strafmündigkeit<br />

I. Deliktfähigkeit<br />

Die Frage, ob man Patienten, die vorsätzlich Eigentum des Krankenhauses beschädigen<br />

o<strong>der</strong> das Personal tätlich angreifen, stellt sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis häufiger.<br />

Dabei ist schon im Vorfeld juristischer Schritte zu klären, ob sich e<strong>in</strong>e zivilrechtliche<br />

Schadensersatzklage lohnt bzw. wann e<strong>in</strong>e Strafanzeige bei <strong>der</strong> Polizei<br />

wegen Körperverletzung möglicherweise <strong>in</strong>s Leere läuft. Hier stellt sich für Sie die<br />

Frage, ob die Patienten deliktfähig, bzw. strafmündig s<strong>in</strong>d.<br />

Def<strong>in</strong>ition: Unter <strong>der</strong> Deliktfähigkeit wird die Fähigkeit verstanden, wegen<br />

unerlaubter Handlungen zivilrechtlich verpflichtet (= <strong>zur</strong> Verantwortung<br />

gezogen) zu werden.<br />

Abstufungen:<br />

Deliktunfähigkeit: Vom 1.-7. Lebensjahr ist <strong>der</strong> Mensch deliktunfähig.<br />

Folge: Er kann nicht <strong>zur</strong> Verantwortung gezogen werden.<br />

Beschränkte Deliktfähigkeit: Vom 7.-18. Lebensjahr ist <strong>der</strong><br />

Mensch beschränkt deliktfähig. Folge: Er kann nur dann <strong>zur</strong> Verantwortung<br />

gezogen werden, wenn er bei Begehung <strong>der</strong> Tat <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Lage war, das Unrecht se<strong>in</strong>er Handlung e<strong>in</strong>zusehen (§ 828 BGB).<br />

U.U. können die Eltern belangt werden (Aufsichtspflichtverletzung).<br />

Volle Deliktfähigkeit: Sie tritt ab dem 18. Lebensjahr e<strong>in</strong>.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 39 von 180<br />

II. Strafmündigkeit<br />

Annex:<br />

Def<strong>in</strong>ition: Strafmündigkeit bedeutet die Fähigkeit, wegen <strong>der</strong> Verletzung von<br />

Strafgesetzen <strong>zur</strong> Verantwortung gezogen zu werden.<br />

Abstufungen:<br />

Strafunmündigkeit: Bis zum 14. Lebensjahr ist <strong>der</strong> Mensch strafunmündig.<br />

Folge: Er kann strafrechtlich nicht <strong>zur</strong> Verantwortung<br />

gezogen werden („Zigeunerk<strong>in</strong><strong>der</strong> von Köln“).<br />

Bed<strong>in</strong>gte Strafmündigkeit: Vom 7.-18. Lebensjahr ist <strong>der</strong><br />

Mensch beschränkt deliktfähig. Folge: Er kann nur <strong>zur</strong> Verantwortung<br />

gezogen werden, wenn er bei Tatbegehung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage<br />

war, das Unrecht <strong>der</strong> Handlung e<strong>in</strong>zusehen (§ 828 Abs. 2 BGB).<br />

U.U. können die Eltern belangt werden (Aufsichtspflichtverletzung).<br />

Volle Strafmündigkeit: Ab dem 18. Lebensjahr ist <strong>der</strong> Mensch<br />

voll strafmündig nach dem Jugendstrafrecht; ab dem 21. Lebensjahr<br />

nach dem Erwachsenenstrafrecht.<br />

Es werden im Zivil- und Strafrecht verschiedene Arten von rechtlichen Verantwortlichkeiten<br />

unterschieden.<br />

I. Zivilrecht:<br />

II. Strafrecht:<br />

III. Übersicht:<br />

Rechtsfähigkeit (= Träger von Rechten und Pflichten [= grundsätzliche<br />

Fähigkeit, überhaupt rechtliche Verantwortung zu tragen/übernehmen]),<br />

Parteifähigkeit (= Fähigkeit, vor Gericht zu klagen und verklagt<br />

zu werden),<br />

Handlungsfähigkeit (= Fähigkeit, se<strong>in</strong> Handeln <strong>in</strong>tellektuell und<br />

voluntativ zu erkennen und zu bee<strong>in</strong>flussen),<br />

Geschäftsfähigkeit (= Fähigkeit, rechtlich verb<strong>in</strong>dlich zu handeln<br />

[= Verantwortlichkeit für Willenserklärungen]; Achtung:<br />

verschiedene Stufen !),<br />

Deliktfähigkeit (= „Fähigkeit“, für se<strong>in</strong> Verschulden an<strong>der</strong>en<br />

gegenüber zu haften/e<strong>in</strong>zustehen).<br />

Strafmündigkeit (= „Fähigkeit“, wegen <strong>der</strong> Verletzung von Strafgesetzen<br />

zu haften; Achtung: verschiedene Stufen !).<br />

6 Jahre: Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Schulpflicht.<br />

7 Jahre: beschränkte Geschäfts- (§§ 106 BGB) und Deliktfähigkeit<br />

(§ 828 BGB).<br />

14 Jahre: bed<strong>in</strong>gte Straffähigkeit, volle Religionsmündigkeit.<br />

16 Jahre: Personalausweispflicht, Fähigkeit Ablegung Zeugeneid,<br />

beschr. Testierfähigkeit, Ehefähigkeit<br />

18 Jahre: aktives u. passives Wahlrecht, volle Geschäfts- und<br />

Testierfähigkeit, Ehemündigkeit, volle Deliktfähigkeit, Jugendstrafrecht,<br />

Wehrpflicht<br />

21 Jahre: Strafmündigkeit als Erwachsener<br />

40 Jahre: Befähigung <strong>zur</strong> Wahl des Bundespräsidenten<br />

Senilität: Ausübung <strong>der</strong> Geschäftsfähigkeit durch e<strong>in</strong>en Vertreter<br />

(Betreuer).


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 40 von 180<br />

D. Der Vertrag: Zustandekommen und Beendigung Krankenhausaufnahme-<br />

und ärztlichen Behandlungsverträgen<br />

1. Wesen e<strong>in</strong>es<br />

Vertrages<br />

I. Der Vertragsschluss im Allgeme<strong>in</strong>en<br />

Dem Patienten muss erklärt werden, dass e<strong>in</strong> regulärer Vertrag geschlossen wird.<br />

Meist erfolgt dies - wie vorliegend - dadurch, daß man e<strong>in</strong>en solchen Vertrag im<br />

Wortlaut aufsetzt und unterschreibt (ausdrücklicher Vertragsschluß). O<strong>der</strong><br />

dadurch, daß man sich stillschweigend über die genauen Modalitäten e<strong>in</strong>igt (konkludenter<br />

Vertragsschluß [= durch schlüssiges Verhalten = den Parteien ist<br />

durch die allgeme<strong>in</strong>en Umstände „klar“, daß e<strong>in</strong> Vertrag geschlossen wird.<br />

Def<strong>in</strong>ition: Der Vertrag ist e<strong>in</strong>e Willense<strong>in</strong>igung. Es handelt sich um e<strong>in</strong> Geschäft<br />

aus <strong>in</strong>haltlich übere<strong>in</strong>stimmenden, mit Bezug aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

abgegebenen Willenserklärungen von m<strong>in</strong>d. zwei Personen.<br />

Voraussetzungen:<br />

Es müssen zwei Willenserklärungen vorliegen. Die zeitlich zuerst<br />

erfolgte Willenserklärung heißt Angebot (§ 145 BGB) und<br />

die zeitlich spätere heißt Annahme (§ 146 BGB).<br />

Angebot und Annahme müssen sich <strong>in</strong>haltlich die gleiche<br />

Kaufsache und den Kaufpreis beziehen.<br />

Neben <strong>der</strong> <strong>in</strong>haltlichen Verknüpfung müssen die Willenserklärungen<br />

auch mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verzweckt se<strong>in</strong> (Synallagma). D.h., daß<br />

jede Partei das von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en haben möchte, was sie nicht hat.<br />

E<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Form (Schriftform) ist nur dann erfor<strong>der</strong>lich,<br />

wenn es vom Gesetz so verlangt wird.<br />

Folgen: Die Parteien berechtigen und verpflichten sich gegenseitig. Damit<br />

gewähren sie sich gegenseitige Ansprüche, die je<strong>der</strong> beim an<strong>der</strong>en<br />

geltend machen kann (= e<strong>in</strong>for<strong>der</strong>n).<br />

Die Ansprüche ist meist sowohl schuldrechtlich (= Wille, die Sache<br />

zu verkaufen/kaufen) als auch d<strong>in</strong>glich (= die Verpflichtung<br />

<strong>zur</strong> Übertragung des Eigentums an <strong>der</strong> Sache)<br />

2. Grafische Vertragsschluß zwischen zwei Parteien, §§ 145 ff. BGB<br />

Übersicht:<br />

1. Angebot<br />

a. Vorliegen e<strong>in</strong>es Angebots<br />

b. Wirksamwerden des Angebots<br />

Das Angebot ist wirksam, wenn es <strong>in</strong> den Machtbereich des Empfängers<br />

gelangt ist; wenn er es also tatsächlich <strong>zur</strong> Kenntnis genommen hat.<br />

2. Annahme<br />

a. Vorliegen e<strong>in</strong>er Annahmeerklärung<br />

b. Wirksamwerden <strong>der</strong> Annahmeerklärung


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 41 von 180<br />

1. Krankenhausaufnahmevertrag<br />

Beson<strong>der</strong>heiten<br />

des Vertragsschlusses<br />

2. Arten von<br />

Krankenhausverträgen(<strong>in</strong>haltlicheAusgestaltung)<br />

3. Inhaltliche Übere<strong>in</strong>stimmung zwischen verzwecktem Angebot u. Annahme<br />

Ist <strong>der</strong> Vertrag geschlossen, ist <strong>der</strong> Anspruch des e<strong>in</strong>en gegen den an<strong>der</strong>en entstanden.<br />

Der vertragliche Anspruch ist e<strong>in</strong>klagbar. Er kann nur durch Kündigung,<br />

Rücktritt o.ä. wie<strong>der</strong> untergehen. Vgl. auch die Darlegungen <strong>zur</strong> Rechtsmethodik.<br />

II. Der Krankenhausaufnahmevertrag<br />

Mit Abschluß des Krankenhausaufnahmevertrages erlangt <strong>der</strong> Patient e<strong>in</strong>en Anspruch<br />

gegen den Krankenhausträger auf sämtliche ärztliche und pflegerische Leistungen<br />

sowie auf mediz<strong>in</strong>isch-technische Leistungen wie Unterkunft, Verpflegung<br />

und Befriedigung persönlicher Ansprüche wie Aufklärung und Beachtung <strong>der</strong><br />

Schweigepflicht.<br />

Vertragsschluß:<br />

a. Totaler<br />

Krankenhausaufnahmevertrag:<br />

Es gelten die Bed<strong>in</strong>gungen, die zuvor dargelegt wurden. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

ist zu beachten:<br />

Der Vertrag ist e<strong>in</strong> privatrechtlicher Dienstvertrag gemäß §<br />

611 BGB. Teilweise enthält er aber auch werkvertragliche (=<br />

Beköstigung) und mietvertragliche (= Raumüberlassung) Elemente.<br />

Fast alle Krankenhäuser verwenden beim Vertragsschluß<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Vertragsbed<strong>in</strong>gungen. Diese unterliegen nach <strong>der</strong><br />

Rechtsprechung <strong>der</strong> AGB-Kontrolle.<br />

Wie auch beim Behandlungsvertrag zwischen Patient und nie<strong>der</strong>gelassener<br />

Arzt kontrahieren auch Patient und Krankenhaus<br />

entwe<strong>der</strong> ausdrücklich o<strong>der</strong> konkludent.<br />

Br<strong>in</strong>gen die Eltern ihr K<strong>in</strong>d selbst <strong>in</strong>s Krankenhaus, kommt <strong>der</strong> Aufnahmevertrag<br />

als Vertrag zugunsten Dritter zustande, § 328 I BGB.<br />

Bei Notfällen, bei Bewußtlosen und bei M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigen, die<br />

nicht von ihren Eltern gebracht werden, kommt <strong>der</strong> Aufnahmevertrag<br />

über die Grundsätze <strong>der</strong> Geschäftsführung ohne Auftrag<br />

§ 677 BGB) zustande.<br />

Wie beim Arztvertrag gilt auch beim Krankenhausaufnahmevertrag<br />

<strong>der</strong> Grundsatz <strong>der</strong> Vertragsfreiheit. Ausnahme: Es liegt e<strong>in</strong><br />

Notfall für das Leben d. Patienten vor.<br />

Dies ist <strong>der</strong> Regelvertragstypus. Er umfaßt alle für die stationäre<br />

Behandlung erfor<strong>der</strong>lichen Leistungen e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> ärztlichen<br />

Behandlung. Es liegt e<strong>in</strong> Vertrag vor.<br />

Der Kassenpatient erhält eigene vertragliche Ansprüche gegen<br />

das Krankenhaus. Dieses ist verpflichtet, ihm alle Leistungen zu<br />

verschaffen, die e<strong>in</strong>e stationäre Aufnahme erfor<strong>der</strong>t. Neben Unterkunft<br />

und Verpflegung s<strong>in</strong>d das <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die ärztliche<br />

Versorgung e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> Operationen.<br />

Der angestellte Arzt und das nichtärztliche Personal s<strong>in</strong>d Erfüllungsgehilfen<br />

des Krankenhausträgers nach § 278 BGB. (Ausnahme: Leiten<strong>der</strong><br />

Oberarzt ist Organ, § 31 BGB). Mit dem Krankenhausarzt<br />

kommen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel ke<strong>in</strong>e vertraglichen Beziehungen zustande.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 42 von 180<br />

b. GespaltenerKrankenhausaufnahmevertrag:<br />

c. Totaler<br />

Krankenhausaufnahmevertrag<br />

mit<br />

Arztzusatzvertrag:<br />

Der Patient erhält alle Regelleistungen des Krankenhauses (Regelbehandlung).<br />

Er kann mit dem Krankenhausträger Zusatzvere<strong>in</strong>barungen<br />

h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Unterkunft (= Komfortunterkunft)<br />

o<strong>der</strong> Bereitstellung <strong>in</strong>dividueller Verpflegung treffen (=<br />

sog. nichtärztliche Wahlleistungen).<br />

Der Patient hat beim totalen Krankenhausaufnahmevertrag ke<strong>in</strong>en<br />

Anspruch auf die Behandlung durch e<strong>in</strong>en bestimmten<br />

Arzt o<strong>der</strong> bestimmtes <strong>Pflege</strong>personal. Aber: wenn <strong>der</strong> Patient<br />

se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>willigung zum E<strong>in</strong>griff ausdrücklich auf e<strong>in</strong>en bestimmten<br />

Arzt beschränkt, kann er nur durch diesen behandelt<br />

werden. Aber: Er riskiert, weil er ke<strong>in</strong>en vertraglichen Anspruch<br />

auf Behandlung durch e<strong>in</strong>en bestimmten Arzt hat, dass<br />

er ggf. unbehandelt bleibt, wenn se<strong>in</strong> Wunscharzt aus welchen<br />

Gründen auch immer verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t ist (BGH, MedR 2010, 788),<br />

Die weiteren Leistungsrechte und -pflichten s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> formularmäßigen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen festgelegt (AGB´s).<br />

Hier werden zwei Verträge abgeschlossen. E<strong>in</strong>er mit dem Krankenhaus<br />

und e<strong>in</strong>er mit dem Arzt. Der Krankenhausträger schuldet<br />

dann nur die Unterbr<strong>in</strong>gung und allgeme<strong>in</strong>e Versorgung<br />

und <strong>der</strong> Arzt ausschließlich die ärztliche Behandlung.<br />

Der Kassenpatient erhält eigene vertragliche Ansprüche sowohl<br />

gegen das Krankenhaus, als auch gegen den Arzt.<br />

Das nichtärztliche und ärztliche Personal (Ausnahme: Leiten<strong>der</strong><br />

Oberarzt) ist Erfüllungsgehilfe des Krankenhausträgers nach §<br />

278 BGB. Es haftet <strong>der</strong> Krankenhausträger für se<strong>in</strong> <strong>Pflege</strong>personal.<br />

Der Belegarzt h<strong>in</strong>gegen haftet für sich selbst und se<strong>in</strong> eigenes<br />

Verschulden. Problematisch ist die Schnittmenge. Sie<br />

liegt vor, wenn <strong>Pflege</strong>personal des Krankenhausträgers dem Belegarzt<br />

zugewiesen wird und e<strong>in</strong>en <strong>Pflege</strong>fehler begeht. Fraglich<br />

ist dann, als wessen Erfüllungsgehilfe das <strong>Pflege</strong>personal dann<br />

gehandelt hat. (Zu diesem Problem wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Übersicht „Schadensersatzrecht“<br />

ausführlicher Stellung bezogen).<br />

Der Patient erhält alle Regelleistungen des Krankenhauses (Regelbehandlung).<br />

Er kann mit dem Krankenhausträger auch Zusatzvere<strong>in</strong>barungen<br />

h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Unterkunft (= Komfortunterkunft)<br />

o<strong>der</strong> Bereitstellung <strong>in</strong>dividueller Verpflegung treffen<br />

(= sog. nichtärztliche Wahlleistungen).<br />

Die weiteren Leistungsrechte und -pflichten s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> formularmäßigen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen festgelegt (AGB´s).<br />

Bei diesem Typ schließt <strong>der</strong> Patient e<strong>in</strong>en totalen Krankenhausvertrag<br />

und e<strong>in</strong>en Behandlungsvertrag mit dem Arzt über zusätzliche<br />

Behandlungen. Der Arzt hat dabei e<strong>in</strong> eig. Liquidationsrecht.<br />

Typischerweise s<strong>in</strong>d dies die Krankenhausaufnahmeverträge,<br />

die mit Privatpatienten geschlossen werden.<br />

Das Krankenhaus ist <strong>zur</strong> Bereitstellung aller Leistungen <strong>der</strong> vollstationären<br />

Aufnahme verpflichtet. Obwohl e<strong>in</strong> Arztzusatzvertrag mit e<strong>in</strong>em<br />

liquidationsberechtigten Arzt vorliegt, ist das Krankenhaus aber<br />

auch verpflichtet die ärztliche Versorgung <strong>zur</strong> gewährleisten. Es liegt<br />

also ke<strong>in</strong> gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag vor.<br />

Arzt und nichtärztliches Personal s<strong>in</strong>d Erfüllungsgehilfen des<br />

Krankenhausträgers nach § 278 BGB. Ausnahme: Leiten<strong>der</strong><br />

Oberarzt ist Organ, § 31 BGB.<br />

Auch bei diesem Typ kann <strong>der</strong> Patient wie<strong>der</strong> wählen zwischen den<br />

Regelleistungen des Krankenhauses (Regelbehandlung) und den<br />

zusätzlich zu vere<strong>in</strong>barenden nichtärztlichen Wahlleistungen.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 43 von 180<br />

3. Pflichten aus<br />

Krankenhausaufnahmeverträgen<br />

4. Beendigung<br />

des Vertrages<br />

1. Vertragsschluß<br />

Die Leistungsrechte und -pflichten s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> formularmäßigen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen festgelegt (siehe oben : AGB-Kontrolle).<br />

Anm.: Beim totalen Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag<br />

tritt oft die Variante auf, daß Krankenhäuser bei Zusatzverträgen<br />

mit liquidationsberechtigten Ärzten statt dessen den<br />

Vertragstypus des gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrages<br />

vere<strong>in</strong>baren wollen, um sich von <strong>der</strong> Haftung für Fehler des liquidationsberechtigten<br />

Arztes freizuhalten (vgl.: Kramer, NJW<br />

1996, 2398 ff.). Dies ist grundsätzlich möglich; an die Wirksamkeit<br />

solcher Vere<strong>in</strong>barungen stellt <strong>der</strong> BGH <strong>in</strong>des hohe Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

(Zu den rechtlichen Voraussetzungen: BGH, NJW<br />

1993, 779 ff.; bes. OLG Koblenz, NJW 1998, 3425).<br />

Schließlich hat <strong>der</strong> Patient ke<strong>in</strong>en Anspruch auf die Behandlung<br />

durch e<strong>in</strong>en bestimmten Arzt.<br />

Aus den Krankenhausaufnahmevertrag ergeben sich unabhängig von dessen Typus<br />

folgende weitere vertragliche Verpflichtungen des Krankenhauses:<br />

Sicherstellung und Beachtung <strong>der</strong> organisatorischen und pflegerischen Sorgfaltspflichten<br />

(dazu mehr im Kapitel „Haftungsrecht“)<br />

Durchführung <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen und pflegerischen Dokumentation,<br />

Es muß dem Patienten E<strong>in</strong>sichtnahme <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Behandlungsunterlagen gewähren:<br />

Aber nur <strong>in</strong> die objektiven physischen Befunde und Berichte über Behandlungsmaßnahmen<br />

(Medikation, Operation),<br />

die Pflicht <strong>zur</strong> Gewährung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>sichtnahme kann aus therapeutischen Gründen e<strong>in</strong>geschränkt<br />

se<strong>in</strong>, um e<strong>in</strong>en gesundheitlichen Schaden beim Patienten zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

(BVerfG, MedR 1993, 232 ff.). Möglich ist jedoch, daß <strong>der</strong> Patient die Unterlagen im<br />

Beise<strong>in</strong> des Arztes e<strong>in</strong>sieht (sog. kontrollierte Beschäftigung mit <strong>der</strong> Krankheit),<br />

praktisch kann die E<strong>in</strong>sichtnahme vor Ort im Krankenhaus vorgenommen werden,<br />

Verwahrung und Sicherung <strong>der</strong> Wertgegenstände des Patienten,<br />

jedwede Unterstützung des Patienten bei <strong>der</strong> Errichtung e<strong>in</strong>es Nottestamentes.<br />

Das Krankenhaus muß ke<strong>in</strong>en Rechtsrat erteilen, allerd<strong>in</strong>gs muß es wissen, wie<br />

fachkundige Personen zu erreichen s<strong>in</strong>d, um die Errichtung vorzunehmen.<br />

Die Beendigung des Krankenhausaufnahmevertrages ist durch beide Parteien möglich;<br />

dies darf die Gesundheit o<strong>der</strong> das Leben des Patienten nicht gefährden.<br />

1. Durch den Krankenhausträger:<br />

- wenn die ärztliche Behandlung abgeschlossen ist,<br />

- wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt, <strong>Pflege</strong>person und Patient bee<strong>in</strong>trächtigt<br />

ist (z.B. Patient bezweifelt sorgfältige <strong>Pflege</strong>behandlung),<br />

- wenn sich <strong>der</strong> Patient nicht an die Anordnungen des Arztes hält,<br />

- Patient verstößt wie<strong>der</strong>holt und grob gegen die Hausordnung.<br />

2. Durch den Patienten:<br />

- <strong>in</strong>dem dieser die Kündigung erklärt und die Entlassung verlangt,<br />

- wenn er die weitere Behandlung verweigert und so die E<strong>in</strong>willigung <strong>zur</strong>ücknimmt<br />

(meist lassen sich die Ärzte aus haftungsrechtlichen Gründen auf e<strong>in</strong>em<br />

Formular bestätigen, daß sie den Patienten über die mediz<strong>in</strong>ischen Folgen<br />

des Behandlungsabbruchs aufgeklärt haben).<br />

III. Der ärztliche Behandlungsvertrag<br />

Der Vertrag zwischen Ihnen und Ihrem Hausarzt kommt nach den vorgenannten<br />

Grundsätzen von Angebot, Annahme und <strong>in</strong>haltlicher Übere<strong>in</strong>stimmung von Angebot<br />

und Annahme zustande.<br />

Es gilt <strong>der</strong> Grundsatz <strong>der</strong> Vertragsfreiheit (Patient kann den Arzt frei wählen).


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 44 von 180<br />

2. Vertrags<strong>in</strong>halt<br />

Für den Arzt gilt aber § 95 Abs. 3 SGB V, wonach <strong>der</strong> Arzt <strong>zur</strong> Teilnahme an<br />

<strong>der</strong> vertragsärztlichen Versorgung berechtigt und verpflichtet ist und wonach<br />

<strong>der</strong> Arzt grundsätzlich <strong>zur</strong> Behandlung verpflichtet (sog. Kontrahierungszwang,<br />

weil <strong>der</strong> Arzt e<strong>in</strong>en Behandlungsvertrag schließen muß) ist. Er kann die<br />

Behandlung nur <strong>in</strong> Ausnahmefällen ablehnen.<br />

Beson<strong>der</strong>heiten: <br />

Behandlungsvertrag<br />

mit Aids-<br />

Patienten ?<br />

Meist werden die Arztverträge konkludent, d.h. durch schlüssiges<br />

Verhalten, geschlossen. Also dadurch, daß <strong>der</strong> Patient zum<br />

Arzt geht und dieser mit <strong>der</strong> Behandlung beg<strong>in</strong>nt.<br />

Bei M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigen und Bewußtlosen kommt <strong>der</strong> Arztvertrag<br />

nach den Grundsätzen <strong>der</strong> GoA zustande.<br />

Der Vertrag wird als Dienstvertrag nach § 611 BGB geschlossen.<br />

Nur etwa bei Zahnprothesen o<strong>der</strong> Schuhe<strong>in</strong>lagen kommt<br />

e<strong>in</strong> Werkvertrag nach § 631 BGB zustande.<br />

Folge: Beim Dienstvertrag schuldet <strong>der</strong> Arzt nur die Behandlung<br />

selbst, also lediglich das Bemühen um den Heilungserfolg,<br />

nicht aber den Behandlungserfolg an sich.<br />

Zwar schließt <strong>der</strong> Arzt beim Kassenpatient mit <strong>der</strong> Krankenkasse<br />

e<strong>in</strong>en öffentlich-rechtlichen Vertrag. Dabei gelangt aber<br />

Dienstvertragsrecht <strong>zur</strong> Anwendung, weil die Übernahme <strong>der</strong><br />

Behandlung e<strong>in</strong>es Kassenpatienten den Arzt <strong>zur</strong> Sorgfalt nach<br />

den Vorschriften des BGB verpflichtet, § 76 Abs. 4 SGB V (vgl.<br />

Müller-Glöge, <strong>in</strong>: MüKo, Bd. 4, 3. Aufl. 1997, § 611 Rdnr. 48).<br />

Nur e<strong>in</strong> triftiger Grund erlaubt es dem nie<strong>der</strong>gelassenen Kassenarzt,<br />

e<strong>in</strong>en Aids-Patienten abzuweisen.<br />

Wirtschaftliche Gründe berechtigen nicht <strong>zur</strong> Ablehnung von<br />

HIV-Patienten: Der Arzt kann sich nicht darauf berufen, daß<br />

ggf. die Gefahr bestünde, daß Patienten se<strong>in</strong>er Praxis fernblieben,<br />

wenn er e<strong>in</strong>en Virusträger behandelt.<br />

Es zählen nur solche Gründe, die das Verhältnis Arzt - Patient<br />

betreffen und e<strong>in</strong> gestörtes Vertrauensverhältnis verursachen.<br />

Auch die (berufsbed<strong>in</strong>gte) Infektionsgefahr wiegt ke<strong>in</strong>esfalls so<br />

schwer, daß die Behandlung dieses Patienten unzumutbar wäre.<br />

(Man kann durch Schutzhandschuhe und gesteigerte Aufmerksamkeit<br />

das Risiko weith<strong>in</strong> beherrschen).<br />

Der Arzt schuldet dem Patienten als Hauptpflichten:<br />

die Behandlungspflicht (Pflicht <strong>zur</strong> fachgerechten Bemühung um Heilerfolg<br />

und mediz<strong>in</strong>ische Fürsorge für das Wohl des Patienten [= qualifizierte und sorgfältige<br />

mediz<strong>in</strong>ische Behandlung nach den anerkannten Regeln ärztlicher<br />

Kunst]; auch Betreuung und <strong>Pflege</strong>, dabei hat <strong>der</strong> Arzt <strong>in</strong> eigener Verantwortung<br />

zu behandeln),<br />

die Aufklärungspflicht (<strong>der</strong> Patient muß die Chancen und Risiken <strong>der</strong> Behandlung<br />

genau kennen),<br />

Dokumentationspflicht (die Krankenunterlagen s<strong>in</strong>d sorgfältig und vollständig<br />

zu führen; <strong>der</strong> Patient hat e<strong>in</strong> Recht auf E<strong>in</strong>sichtnahme <strong>in</strong> diese Unterlagen),<br />

Verschwiegenheitspflicht (Der Arzt muß über die Krankheit und alles, was<br />

ihm während <strong>der</strong> Behandlung bekannt geworden ist, schweigen),<br />

Besuchspflicht (<strong>der</strong> frei praktizierende Arzt ist verpflichtet, se<strong>in</strong>e Patienten ggf.<br />

zu Hause zu besuchen),<br />

Pflicht <strong>zur</strong> Gewährung von E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Krankenunterlagen (vgl. hierzu auch<br />

die Ausführungen zum Krankenhausaufnahmevertrag und <strong>der</strong> Dokumentation).


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 45 von 180<br />

3. Beendigung<br />

des Arztvertrages<br />

Der Patient schuldet dem Arzt:<br />

die Mitwirkungspflicht (Pflicht, an <strong>der</strong> Behandlung mitzuwirken; dies umfasst<br />

auch die Duldung <strong>der</strong> Untersuchung und Behandlung),<br />

die Honorarzahlung (bei Kassenpatienten ist <strong>der</strong> Honoraranspruch gegenüber<br />

<strong>der</strong> kassenärztlichen Vere<strong>in</strong>igung entstanden; bei Privatpatienten ist <strong>der</strong> Anspruch<br />

gegenüber dem Patienten selbst entstanden - hier wird nach <strong>der</strong> GOÄ<br />

abgerechnet).<br />

Beson<strong>der</strong>e<br />

vertraglichePflichten:<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus werden dem Patienten gegenüber aus dem ärztlichen<br />

Behandlungsvertrag folgende Leistungen geschuldet:<br />

sämtliche Handlungen, die geeignet s<strong>in</strong>d <strong>zur</strong> Ermittlung, Behandlung<br />

o<strong>der</strong> L<strong>in</strong><strong>der</strong>ung von Krankheiten,<br />

E<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen aller ärztlichen und heilkundlichen Kenntnisse<br />

<strong>zur</strong> Behandlung von Krankheiten, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e:<br />

Stellen <strong>der</strong> Heilanzeige (Indikation), mit <strong>der</strong> e<strong>in</strong> bestimmtes<br />

Heilverfahren <strong>zur</strong> Anwendung gelangt,<br />

Stellen <strong>der</strong> Prognose über den möglichen Behandlungserfolg,<br />

E<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen aller Maßnahmen, die <strong>zur</strong> Erkennung von Krankheiten<br />

(Diagnose) u. <strong>zur</strong> L<strong>in</strong><strong>der</strong>ung (Therapie) geeignet s<strong>in</strong>d,<br />

Aufklärung des Patienten über Umfang <strong>der</strong> Behandlung und<br />

Beachtung <strong>der</strong> Schweigepflicht,<br />

E<strong>in</strong>halten <strong>der</strong> aktuellen mediz<strong>in</strong>ischen Standards,<br />

kann <strong>der</strong> Arzt nicht die erfor<strong>der</strong>lichen<br />

organisatorischen, personellen und sachlichen<br />

Voraussetzungen für die Behandlung sicherstellen, ist <strong>der</strong> Patient<br />

an e<strong>in</strong>en geeigneten Arzt o<strong>der</strong> Krankenhaus zu überweisen.<br />

alle Arzneimittel und Mediz<strong>in</strong>produkte, die <strong>zur</strong> Behandlung<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden, müssen die gesetzlich vorgeschriebenen<br />

Qualitäts- und Sicherheitsanfor<strong>der</strong>ungen erfüllen (dafür tragen<br />

neben dem Arzt auch die pharmazeutischen Hersteller Verantwortung).<br />

Vertrauliche Behandlung <strong>der</strong> Patientendaten und -unterlagen;<br />

Weitergabe nur mit E<strong>in</strong>verständnis des Patienten,<br />

alle <strong>in</strong> Datenbanken gespeicherten Angaben s<strong>in</strong>d technisch und<br />

organisatorisch gegen Zerstörung, Än<strong>der</strong>ung und unbefugten<br />

Zugriff zu schützen.<br />

Der Arztvertrag endet entwe<strong>der</strong> durch den Abschluß <strong>der</strong> Behandlung nach erfolgter<br />

Heilung o<strong>der</strong> durch Kündigung.<br />

Kündigung<br />

durch den<br />

Arzt<br />

Kündigung<br />

durch den<br />

Patienten<br />

Der Arzt hat - da die ordentliche Kündigung ausscheidet (§ 621<br />

BGB) - e<strong>in</strong> Recht <strong>zur</strong> fristlosen Kündigung nach § 626 BGB wegen<br />

Unzumutbarkeit <strong>der</strong> Fortsetzung <strong>der</strong> Behandlung:<br />

wenn er überlastet ist,<br />

<strong>der</strong> Patient sich nicht an die ärztlichen Maßnahmen hält o<strong>der</strong><br />

querulativ ist (Schlechtmachen des Arztes bei Patienten).<br />

Bei Kündigung durch den Arzt darf ke<strong>in</strong>e Gefahr für Leib, Leben<br />

o<strong>der</strong> Gesundheit des Patienten entstehen, ggf. muß <strong>der</strong> Arzt <strong>in</strong> diesem<br />

Fall die Behandlung fortsetzen, bis e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er Arzt den Patienten<br />

weiter behandelt.<br />

Dem Patient steht das Recht <strong>zur</strong> fristlosen Kündigung nach § 627<br />

BGB wegen Störung des gegenseitigen Vertrauensverhältnisses<br />

zu. Dazu entzieht er dem Arzt se<strong>in</strong> Vertrauen. E<strong>in</strong> alternativer


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 46 von 180<br />

Kündigungsgrund besteht auch im Zurückziehen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>willigung<br />

<strong>in</strong> die Behandlung. Der Patient ist jedoch verpflichtet, dem<br />

Arzt die diesem bis zum Vertragsende zustehende Vergütung zu<br />

zahlen.<br />

E. Vertragliche Nebenpflichten des Arztvertrages: Die Patientenaufklärung<br />

I. Das Aufklärungsgespräch<br />

Der Arzt führt die Aufklärung des Patienten <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es normalen Patientengesprächs<br />

durch. Die Aufklärung soll durch umfassende Information über die Krankheit,<br />

den E<strong>in</strong>griff und die Folgen die E<strong>in</strong>sicht des Patienten <strong>in</strong> die Erfor<strong>der</strong>lichkeit<br />

des mediz<strong>in</strong>ischen E<strong>in</strong>griffs bewirken. Der Arzt ist <strong>zur</strong> Aufklärung verpflichtet.<br />

Kritik an <strong>der</strong> Aufklärung hat es immer gegeben. Dies verdeutlicht e<strong>in</strong> Satz aus<br />

dem Westöstlichen Diwan, Hikmet Nameh, Buch <strong>der</strong> Sprüche: „Wofür ich Allah<br />

höchlich dank ? Daß er Leiden und Wissen getrennt. Verzweifeln müßte je<strong>der</strong> Kranke,<br />

das Übel kennend, wie es <strong>der</strong> Arzt kennt“. (zitiert nach Laufs, Arztrecht, S. 92).<br />

1. S<strong>in</strong>n und<br />

Zweck <strong>der</strong><br />

Aufklärung<br />

2. Rechtsgrundlagen<br />

<strong>der</strong> Aufklärung<br />

3. Abgrenzung<br />

<strong>zur</strong><br />

Beratung<br />

4. Folgen<br />

<strong>der</strong> Aufklärung<br />

Je<strong>der</strong> Patient hat das Recht, Art und Umfang <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Behandlung selbst zu bestimmen und dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zuwilligen.<br />

Der Patient kann nur dann <strong>in</strong> die Behandlung e<strong>in</strong>willigen, wenn<br />

er weiß, worum es geht, d.h. er muß wissen, wor<strong>in</strong> er e<strong>in</strong>willigt.<br />

Bei mediz<strong>in</strong>ischen E<strong>in</strong>griffen ist daher e<strong>in</strong>e umfassende Aufklärung<br />

vor <strong>der</strong> E<strong>in</strong>willigung und dem E<strong>in</strong>griff erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Die Aufklärung resultiert aus dem allgeme<strong>in</strong>en Persönlichkeitsrecht<br />

aus Art. 2 GG und <strong>der</strong> Menschenwürde aus Art. 1 GG.<br />

Nur die Information kann die Entscheidungsfreiheit des Patienten,<br />

die Ausfluß se<strong>in</strong>es Persönlichkeitsrechts ist, gewährleisten.<br />

Die Aufklärungspflicht ist Hauptpflicht des Behandlungsvertrages<br />

und auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Musterberufsordnung <strong>der</strong> Ärzte geregelt<br />

Die Aufklärung führt die Entscheidungsfreiheit des Patienten<br />

vor e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>griff herbei. Er muß nach <strong>der</strong> Aufklärung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Lage se<strong>in</strong>, das Für und Wi<strong>der</strong> des E<strong>in</strong>griffs abzuwägen.<br />

Die Beratung leitet den Patienten zu gesundheitsgerechtem<br />

Verhalten an und vermittelt ihm mediz<strong>in</strong>isches Wissen für e<strong>in</strong>e<br />

verantwortliche und gesunde Lebensführung.<br />

Die Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflicht ist e<strong>in</strong><br />

ärztlicher Behandlungsfehler.<br />

Erst die Aufklärung versetzt den Patienten <strong>in</strong> rechtswirksamer<br />

Weise <strong>in</strong> die Lage zu entscheiden, ob er e<strong>in</strong>e Behandlung ablehnt<br />

o<strong>der</strong> abbricht, auch wenn diese mediz<strong>in</strong>isch geboten ist.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 47 von 180<br />

II. Rechtmäßig- Die Aufklärung ist ordnungsgemäß und damit rechtswirksam, wenn sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> richkeitsvoraussetzungen<br />

<strong>der</strong> Auftigen<br />

Weise, im gebotenen Umfang und rechtzeitig erfolgt.<br />

klärung 1. E<strong>in</strong>willigungsfähiger Patient<br />

Voraussetzung <strong>der</strong> Aufklärung ist <strong>der</strong> e<strong>in</strong>willigungsfähige und e<strong>in</strong>willigungsbereite<br />

Patient.<br />

Der Patient kann nur dann wirksam <strong>in</strong> die Behandlung e<strong>in</strong>willigen, wenn er die<br />

<strong>zur</strong> Aufklärung erfor<strong>der</strong>liche E<strong>in</strong>sichtsfähigkeit besitzt (dazu mehr im strafrechtlichen<br />

Teil dieses Skriptes).<br />

2. Richtige Weise<br />

Die Aufklärung ist richtig, wenn sie mündlich u. zus. durch Formblatt erfolgt.<br />

a. Allgeme<strong>in</strong>e Grundsätze beachtet ?<br />

Die Aufklärung ist nicht an e<strong>in</strong>e bestimmte Form - auch nicht an die<br />

Patientenunterschrift - gebunden.<br />

Die Unterschrift begründet aber die Urkundenechtheit <strong>der</strong> Aufklärung<br />

und erleichtert dem Arzt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em späteren Prozeß die Beweisführung<br />

ihrer Durchführung.<br />

Das Aufklärungsgespräch muß mündlich durch den behandelnden<br />

Arzt durchgeführt werden.<br />

b. E<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong> M<strong>in</strong>destanfor<strong>der</strong>ungen durch das Formblatt ?<br />

Das Formblatt darf nicht zu allgeme<strong>in</strong> se<strong>in</strong>. Es ergänzt die Aufklärung<br />

nur (!!) und kann sie nicht ersetzen (sog. „Protokollfunktion“).<br />

Es muß detailliert auf die speziellen, dem E<strong>in</strong>griff anhaftenden Risiken<br />

h<strong>in</strong>weisen (BGH, NJW 1994, 793) und den späteren E<strong>in</strong>griff genau abdecken<br />

(sog. „Individualisierungsfunktion“). Sonst ist das Formblatt<br />

nur e<strong>in</strong> Indiz dafür, dass e<strong>in</strong>e Aufklärung (mit dem Inhalt <strong>der</strong> formularmäßigen<br />

Bestätigung ) wohl stattgefunden hat (OLG Oldenburg,<br />

MedR 2010, 570 [571]).<br />

Es muß Angaben enthalten, ob <strong>der</strong> Patient den Arzt befragt hat o<strong>der</strong><br />

auf die Möglichkeit <strong>zur</strong> Befragung h<strong>in</strong>gewiesen wurde. Der Arzt muß<br />

sich hiervon überzeugt haben (sog. „Kontrollfunktion“).<br />

Das Formblatt muß ausgefüllt und unterschrieben se<strong>in</strong>! E<strong>in</strong> nicht<br />

ausgefülltes und unterschriebenes Aufklärungsformular <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenakte<br />

bildet e<strong>in</strong> Indiz nicht für, son<strong>der</strong>n gegen die Durchführung<br />

e<strong>in</strong>es Aufklärungsgesprächs (OLG München, MedR 2006, 431 [432]).<br />

Es hält <strong>der</strong> AGB-Kontrolle stand (=ke<strong>in</strong>e unangemessene Benachteiligung).<br />

c. Formblatt und Aufklärung s<strong>in</strong>d allgeme<strong>in</strong>verständlich?<br />

Sowohl die Aufklärung wie auch das Formblatt müssen verständlich<br />

se<strong>in</strong> und auf die psychische Ausnahmesituation des Patienten Rücksicht<br />

nehmen. Der Patient muß alles verstanden haben. Hierbei kommt<br />

es entscheidend auf den Empfängerhorizont des Patienten an.<br />

3. Gebotener Umfang<br />

Der Aufklärungsumfang ist ordnungsgemäß, wenn alle E<strong>in</strong>griffsrichtungen<br />

und -folgen je nach Art <strong>der</strong> Intensität <strong>in</strong>haltlich erfaßt s<strong>in</strong>d.<br />

Hierbei gilt aber, daß die Aufklärung nicht pauschal erfolgen kann, son<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> Umfang vom konkreten E<strong>in</strong>griff abhängt. Erst im Gespräch kann man merken,<br />

ob <strong>der</strong> Patient alles verstanden hat und ob er ausreichend aufgeklärt ist.<br />

a. Diagnoseaufklärung (Grund- o<strong>der</strong> Befundaufklärung)<br />

Die ist die Aufklärung über den ärztlichen Befund. In Anlehnung an<br />

das Selbstbestimmungsrecht des Patienten hat sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Form rationaler<br />

Kommunikation stattzuf<strong>in</strong>den mit <strong>der</strong> Folge, daß <strong>der</strong> Patient<br />

sachlich und schonen vollständig aufzuklären ist.<br />

Die Diagnoseaufklärung hat u.a. für den Arzt <strong>zur</strong> Folge, daß er verpflichtet<br />

ist, alle mediz<strong>in</strong>isch gebotenen Befunde zu erheben und zu sichern.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 48 von 180<br />

Verletzt er diese Pflicht, erschwert er dem Patienten wegen Fehlens des<br />

sonst als Beweismittel <strong>zur</strong> Verfügung stehenden Untersuchungsergebnisses<br />

die Beweisführung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em späteren Haftpflichtprozess. Daher führt e<strong>in</strong>e<br />

fehlerhafte Unterlassung <strong>der</strong> Befun<strong>der</strong>hebung zu e<strong>in</strong>er Beweislastumkehr<br />

h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Kausalität für Behandlungsfehler, wenn <strong>der</strong> Befund<br />

zu e<strong>in</strong>em positiven, unübersehbar reaktionspflichtigen Ergebnis geführt hätte<br />

(BGH, MDR 2004, 1056 [1057]).<br />

b. Verlaufsaufklärung<br />

Der Patient ist über Art, Umfang und Durchführung des E<strong>in</strong>griffs zu<br />

<strong>in</strong>formieren. Aber auch über die Folgen des E<strong>in</strong>griffs wie Operationsnarben,<br />

Unfruchtbarkeit o<strong>der</strong> Funktionse<strong>in</strong>bußen von Organen.<br />

c. Heilungsaufklärung<br />

Es s<strong>in</strong>d die Möglichkeiten und Chancen <strong>der</strong> Heilung zu erörtern.<br />

d. Behandlungsaufklärung<br />

Sie <strong>in</strong>formiert über die grundsätzliche Notwendigkeit des E<strong>in</strong>griffs.<br />

Es müssen auch Behandlungsalternativen u. <strong>der</strong>en Risiken dargestellt<br />

werden, wobei <strong>der</strong> Arzt die bevorzugte Methode empfehlen<br />

muss (OLG Koblenz, MedR 2010, 108).<br />

Der Arzt sollte versuchen, den Wi<strong>der</strong>stand e<strong>in</strong>es une<strong>in</strong>sichtigen Patienten<br />

mit Argumenten zu überw<strong>in</strong>den, wenn es <strong>der</strong> Gesundheit dient.<br />

Der Arzt darf aber nicht drängen, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich über die Folgen<br />

<strong>der</strong> Weigerung <strong>in</strong>formieren.<br />

Bricht <strong>der</strong> Patient die Behandlung ab, ist <strong>der</strong> Hausarzt zu <strong>in</strong>formieren.<br />

e. Risikoaufklärung<br />

Sie <strong>in</strong>formiert über nahe und entferntere Gefahren und Komplikationen,<br />

die dem E<strong>in</strong>griff spezifisch anhaften und mit denen bei Beachtung<br />

<strong>der</strong> ärztlichen und pflegerischen Aufklärung zu rechnen ist<br />

(BGH, NJW 2001, 2798).<br />

f. Dr<strong>in</strong>glichkeitsaufklärung<br />

Der Patient soll erfahren, ob e<strong>in</strong>e sofortige Operation/E<strong>in</strong>griff geboten<br />

ersche<strong>in</strong>t o<strong>der</strong> ob er noch Zeit hat, sich zu überlegen.<br />

g. Intensitätsumfang e<strong>in</strong>gehalten<br />

Der Patient soll behutsam über Chancen und Risiken des E<strong>in</strong>griffs<br />

unterrichtet werden. Aber:<br />

bei dr<strong>in</strong>genden E<strong>in</strong>griffen (Lähmung, Todesgefahr) braucht weniger<br />

<strong>in</strong>tensiv und detailliert aufgeklärt zu werden; <strong>der</strong> Patient ist <strong>in</strong><br />

diesen Situationen ehedem nicht geson<strong>der</strong>t aufnahmefähig. Zur<br />

Schonung des Patienten kann auch e<strong>in</strong>e Nichtaufklärung geboten<br />

se<strong>in</strong> (sog. therapeutisches Privileg).<br />

umgekehrt ist bei diagnostischen E<strong>in</strong>griffen ohne therapeutischen<br />

Zweck und drohende Komplikationen am <strong>in</strong>tensivsten aufzuklären.<br />

Der Patient entscheidet selbst, wie detailliert die Aufklärung se<strong>in</strong> soll.<br />

4. Richtiger Zeitpunkt<br />

Der Aufklärungszeitpunkt ist richtig gewählt, wenn <strong>der</strong> Patient ausreichend<br />

Gelegenheit hatte zu entscheiden, entwe<strong>der</strong> im krankhaften Zustand weiterzuleben<br />

o<strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Fachkunde des Arztes anzuvertrauen (Hoppe, NJW 1998,<br />

782 ff.).<br />

a. Zeitpunkt im Allgeme<strong>in</strong>en<br />

Bei e<strong>in</strong>fachen ambulanten E<strong>in</strong>griffen reicht e<strong>in</strong>e Aufklärung am Tag<br />

selbst; bei komplizierten ambulanten E<strong>in</strong>griffen e<strong>in</strong>e Frist e<strong>in</strong>en Tag<br />

vor dem E<strong>in</strong>griff (BGH, Urt. v. 25.02.2003, Az.: VI ZR 131/02 ).<br />

Bei operativen E<strong>in</strong>griffen ist schon aufzuklären, wenn <strong>der</strong> Arzt dazu<br />

rät und e<strong>in</strong>en Operationsterm<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>bart.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 49 von 180<br />

III. Folgen fehlerhafterAufklärung<br />

IV. Entlastungsmöglichkeit<br />

des<br />

Arztes bei fehlerhafterAufklärung<br />

V. Delegation<br />

<strong>der</strong> Aufklärung<br />

Bei Notfalloperationen reicht e<strong>in</strong>e Aufklärung kurz vor dem E<strong>in</strong>griff<br />

aus (OLG München, MedR 2007, 601 [604]),<br />

Bei narkotischen Maßnahmen erfolgt die Aufklärung am Vorabend.<br />

b. Zeitpunkt <strong>der</strong> Aufklärung bei <strong>in</strong>traoperativer E<strong>in</strong>griffserweiterung<br />

Zeitpunkt vor dem E<strong>in</strong>griff: Zeichnet sich schon vor <strong>der</strong> OP ab, daß<br />

es zu Ereiterungen kommen kann, ist <strong>der</strong> Patient hierüber bereits aufzuklären.<br />

Zeitpunkt während des E<strong>in</strong>griffs: Entdeckt <strong>der</strong> Arzt während <strong>der</strong><br />

OP, daß e<strong>in</strong>e Erweiterung vorzunehmen ist, dann ist die OP zu beenden<br />

und <strong>der</strong> Patient nachher erneut aufzuklären.<br />

Kann die OP aus mediz<strong>in</strong>ischen Gründen nicht unterbrochen werden,<br />

kann <strong>der</strong> E<strong>in</strong>griff nur dann fortgesetzt werden, wenn er von <strong>der</strong> mutmaßlichen<br />

E<strong>in</strong>willigung des Patienten gedeckt ist.<br />

Schlussfolgerung: Es empfiehlt sich die E<strong>in</strong>holung e<strong>in</strong>er vorsorglichen<br />

E<strong>in</strong>willigung, die nicht vorhersehbare OP-Erweiterungen abdeckt.<br />

Formulierungsvorschlag: „Mit Erweiterungen des E<strong>in</strong>griffs, die<br />

sich während <strong>der</strong> OP ergeben, b<strong>in</strong> ich e<strong>in</strong>verstanden, soweit sich diese<br />

als mediz<strong>in</strong>isch erfor<strong>der</strong>lich erweisen“.<br />

c. Zeitpunkt <strong>der</strong> Aufklärung bei bewußtlosem Patienten<br />

Hier ist die (vorherige) Aufklärung entbehrlich, wenn nur e<strong>in</strong>e sofortige<br />

Behandlung den Patienten vor dem sicheren Tod bewahren kann.<br />

Es gelten dann die Grundsätze <strong>der</strong> mutmaßlichen E<strong>in</strong>willigung.<br />

E<strong>in</strong>e fehlerhafte Aufklärung stellt e<strong>in</strong>en Behandlungsfehler dar.<br />

Zivilrechtlich ist <strong>der</strong> Arzt Schadensersatzansprüchen ausgesetzt, wenn dem Patienten<br />

<strong>in</strong> Folge des E<strong>in</strong>griffs e<strong>in</strong> Personen- o<strong>der</strong> Sachschaden entsteht. Anspruchsgrundlage<br />

ist § 823 BGB (Delikt) o<strong>der</strong> § 280 BGB (Vertrag): Verletzung<br />

des Persönlichkeitsrechts (= Selbstbestimmungsrecht), über das sich <strong>der</strong><br />

Arzt h<strong>in</strong>weggesetzt hat, als er ohne E<strong>in</strong>willigung operierte.<br />

Strafrechtlich führt die mangelnde Aufklärung <strong>zur</strong> Unwirksamkeit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>willigung<br />

<strong>in</strong> den E<strong>in</strong>griff. Dieser ist damit e<strong>in</strong>e strafbare Körperverletzung.<br />

Fazit:<br />

Die Aufklärung hat zwei Stoßrichtungen: E<strong>in</strong>mal schützt sie die körperliche<br />

Unversehrtheit des Patienten (über strafrechtliche Schiene) und zum an<strong>der</strong>en<br />

schützt sie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten (über zivilrechtliche<br />

Schiene).<br />

Der Arzt trägt die Beweislast dafür, daß <strong>der</strong> Patient ordnungsgemäß aufgeklärt<br />

wurde. An<strong>der</strong>nfalls wird vermutet, daß ke<strong>in</strong>e wirksame E<strong>in</strong>willigung <strong>in</strong> den<br />

E<strong>in</strong>griff vorliegt.<br />

In e<strong>in</strong>em zivilrechtlichen Schadensersatzprozess kann sich <strong>der</strong> Arzt allerd<strong>in</strong>gs<br />

dadurch entlasten, daß er beweist, daß sich <strong>der</strong> Patient auch bei ordnungsgemäßer<br />

Aufklärung für den E<strong>in</strong>griff entschieden hätte (BGH, MedR 1990, 331).<br />

Grundsätzlich obliegt die Aufklärung immer demjenigen Arzt, <strong>der</strong> den E<strong>in</strong>griff<br />

durchführt. Gleichwohl ist anerkannt, dass die Durchführung <strong>der</strong> Aufklärung<br />

delegiert werden kann. Damit trägt die Rechtsprechung dem hoch arbeitsteiligen<br />

Vorgehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em komplexen Krankenhaus Rechnung.<br />

Soweit e<strong>in</strong> Arzt die Aufklärung, etwa die Risikoaufklärung e<strong>in</strong>es Patienten e<strong>in</strong>em<br />

nachgeordneten Arzt überträgt, muss er darlegen, welche organisatorischen


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 50 von 180<br />

VI. Beteiligung<br />

<strong>Pflege</strong>personal<br />

VII. Schadenersatzansprüche<br />

des Patienten<br />

bei vorsätzlich<br />

falscher Aufklärung<br />

nach OEG<br />

Maßnahmen er ergriffen hat, um e<strong>in</strong>e ordnungsgemäße Aufklärung sicherzustellen<br />

und zu kontrollieren (BGH, MedR 2006, 169).<br />

Im E<strong>in</strong>zelnen muss er z.B. darlegen, dass:<br />

er sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em persönlichen Gespräch mit dem Patienten nochmals von <strong>der</strong><br />

ordnungsgemäßen Aufklärung durch den beauftragten Kollegen überzeugt<br />

hat, und<br />

er sich durch e<strong>in</strong>en Blick <strong>in</strong> die Krankenakte vom Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er von<br />

Patient und aufklärendem Arzt unterzeichneten E<strong>in</strong>verständniserklärung<br />

vergewissert hat, und<br />

dass e<strong>in</strong>e für e<strong>in</strong>en mediz<strong>in</strong>ischen Laien verständliche Aufklärung unter H<strong>in</strong>weis<br />

auf die spezifischen Risiken des vorgesehenen E<strong>in</strong>griffs erfolgt ist“ (vgl.<br />

dazu auch Ben<strong>der</strong>, MedR 2007, 171).<br />

Denn obgleich die Übertragung <strong>der</strong> Erfüllung se<strong>in</strong>er Aufklärungspflicht auf e<strong>in</strong>en<br />

an<strong>der</strong>en Arzt dazu führt, dass Aufklärungsversäumnisse zu Lasten dieses an<strong>der</strong>en<br />

Arztes gehen, entlastet das den behandelnden Arzt nicht von <strong>der</strong> vertraglichen (§<br />

278 BGB) und deliktischen (§ 831 Abs. 1 s. 2 BGB) Haftung. Bei fehlerhafter<br />

Überwachung <strong>der</strong> delegierten Aufklärungsarbeit kann dann auch <strong>der</strong> delegierende<br />

Arzt haftbar gemacht werden.<br />

Das <strong>Pflege</strong>personal darf ke<strong>in</strong>e mediz<strong>in</strong>ische o<strong>der</strong> ärztliche Patientenaufklärung<br />

durchführen. Es ist dann <strong>der</strong> Arzt zu rufen. Aber: Es darf ggf. die Aufklärung verdeutlichen.<br />

Wohl aber darf erfahrenes <strong>Pflege</strong>personal die pflegerische Patientenaufklärung<br />

durchführen. Diese muß aber mit dem behandelnden Arzt abgestimmt se<strong>in</strong> und<br />

dieser ist über den Umstand, wann und <strong>in</strong> welchem Umfang pflegerisch aufgeklärt<br />

wird, zu <strong>in</strong>formieren.<br />

Kann <strong>der</strong> Patient se<strong>in</strong>e zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche gegen den Arzt<br />

o<strong>der</strong> das Krankenhaus nicht durchsetzen, ist zu prüfen, ob ihm eventuell Ansprüche<br />

nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zustehen könnten.<br />

E<strong>in</strong> solcher Anspruch setzt nach § 1 OEG voraus,<br />

das Vorliegen e<strong>in</strong>es vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs,<br />

durch den das Opfer e<strong>in</strong>e gesundheitliche Schädigung erlitten haben muss.<br />

Nach jüngerer Rechtsprechung s<strong>in</strong>d diese Voraussetzungen auch erfüllt, wenn e<strong>in</strong><br />

Arzt sich die E<strong>in</strong>willigung des Patienten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e kosmetische Operation durch<br />

e<strong>in</strong>e vorsätzlich un<strong>zur</strong>eichende und falsche Aufklärung erschlichen hat - etwa<br />

weil er fürchtet, <strong>der</strong> Patient würde bei ordnungsgemäßer Aufklärung von <strong>der</strong> Operation<br />

absehen o<strong>der</strong> weil er schlichtweg aus Profitstreben heraus handelt - und <strong>der</strong><br />

Patient durch die Operation e<strong>in</strong>en dauerhaften Gesundheitsschaden erlitten hat<br />

(LSG NRW, MedR 2009, 433 ff.).<br />

Bedenken, die Entscheidung bewirkt, dass nahezu alle ärztlichen Behandlungsfehler<br />

zu Ansprüchen nach dem OEG führten, bestehen nicht, weil im Regelfall e<strong>in</strong>e<br />

ordnungsgemäße Patientenaufklärung durch den Arzt erfolgt und es sich bei ärztlichen<br />

Behandlungsfehlern fast immer um fahrlässige Delikte handelt.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 51 von 180<br />

Lernziele:<br />

I. Teil<br />

Lerne<strong>in</strong>heit I.34:<br />

Psychisch bee<strong>in</strong>trächtigte und verwirrte Menschen pflegen<br />

- Zeitdauer: 2 Std. -<br />

Den Kursteilnehmern sollen vermittelt werden:<br />

die Grundlagen <strong>der</strong> bundes- und landesrechtlichen Bestimmungen zum Betreuungsrecht<br />

A. E<strong>in</strong>führung Das Betreuungsrecht<br />

B. Im E<strong>in</strong>zelnen:<br />

I. Voraussetzungen<br />

<strong>der</strong> Betreuung<br />

S<strong>in</strong>n und Zweck des Betreuungsrechts ist es, dem Kranken o<strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten<br />

unter weitestgehen<strong>der</strong> Aufrechterhaltung se<strong>in</strong>er Rechte e<strong>in</strong>en Betreuer<br />

<strong>zur</strong> Seite zu stellen, wenn er se<strong>in</strong>e eigenen Angelegenheiten ganz o<strong>der</strong> teilweise<br />

nicht mehr besorgen kann und konkreter Handlungsbedarf besteht.<br />

1. Betreuungsvoraussetzungen<br />

2. Krankheit<br />

o<strong>der</strong><br />

Die Betreuung wird für e<strong>in</strong>en Volljährigen gem. § 1896 BGB<br />

angeordnet, wenn:<br />

er aufgrund e<strong>in</strong>e psychischen Krankheit o<strong>der</strong> körperlichen, geistigen o<strong>der</strong><br />

seelischen Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung vorübergehend o<strong>der</strong> auf Dauer nicht mehr <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Lage ist, se<strong>in</strong>e Angelegenheiten ganz o<strong>der</strong> teilweise zu besorgen.<br />

Der Betreuer weist sich im Rechtsverkehr gegenüber dem Arzt<br />

o<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>personal durch Orig<strong>in</strong>alvorlage se<strong>in</strong>er Bestellungsurkunde<br />

i.S.v. § 290 FamFG aus (bzw. notariell beurkundeter Vollmacht),<br />

die auch se<strong>in</strong>en Aufgabenkreis angibt (Diehn/Rebhan,<br />

NJW 2010, 329).<br />

Krankheit<br />

o<strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />

psychische Krankheit,<br />

körperliche Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung,<br />

geistige Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung,<br />

seelische Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung.<br />

Anordnung e<strong>in</strong>er Betreuung<br />

Bestellung e<strong>in</strong>es Betreuers<br />

Unfähigkeit <strong>zur</strong> Besorgung<br />

eigener Angelegenheiten<br />

nicht jede „Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung“<br />

reicht aus, um e<strong>in</strong>e Betreuung<br />

anzuordnen.<br />

Zwischen Krankheit o<strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung und <strong>der</strong> Unfähigkeit <strong>zur</strong><br />

Besorgung eigener Angelegenheiten muss e<strong>in</strong> ursächlicher Zusammenhang<br />

bestehen. D.h., dass e<strong>in</strong>e Krankheit alle<strong>in</strong>e noch<br />

nicht ausreicht, um e<strong>in</strong>e Betreuung anzuordnen, son<strong>der</strong>n gerade ihretwegen<br />

muss die Unfähigkeit bestehen.<br />

Als typische psychische Krankheiten i.S.d. Gesetzes gelten:<br />

endogene und exogene Psychosen (z.B. Schizophrenien, zyklotische<br />

Psychosen, Wahnvorstellungen, schizoaffektive Psychosen),


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 52 von 180<br />

3. Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />

4. Unfähigkeit<br />

<strong>zur</strong><br />

Besorgung<br />

eigener<br />

Angelegenheiten<br />

5. Erfor<strong>der</strong>lichkeit<br />

<strong>der</strong> Betreuung<br />

hirnorganische Erkrankungen (z.B. senile Demenz, Alzheimer<br />

Krankheit, Hirngefäßerkrankungen),<br />

Abhängigkeitskrankheiten (z.B. Alkohol-, Medikamenten- und<br />

Drogenabhängigkeit, wenn sie als psychische Krankheit e<strong>in</strong>zuordnen<br />

ist),<br />

Psychoterapien (z.B. Psychosen).<br />

Als typische Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen i.S.d. Gesetzes gelten:<br />

geistige Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung: Bei den geistigen Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen handelt<br />

es sich um angeborene o<strong>der</strong> frühk<strong>in</strong>dlich erworbene Intelligenzdefekte<br />

verschiedener Schweregrade,<br />

seelische Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung: Seelische Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen leigen vor bei<br />

bleibenden psychischen Bee<strong>in</strong>trächtigungen <strong>in</strong>folge von psychischen<br />

Erkrankungen.<br />

Körperliche Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung: Für e<strong>in</strong>en körperlich Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten<br />

darf e<strong>in</strong>e Betreuung nur angeordnet werden, wenn er dies selbst<br />

beantragt.<br />

Entscheidend ist, ob <strong>der</strong> Betroffene se<strong>in</strong>e Angelegenheiten noch<br />

erledigen kann. Das Vormundschaftsgericht hat daher von Amts<br />

wegen o<strong>der</strong> auf Antrag genau zu prüfen, welche Angelegenheiten<br />

aus Sicht des Betroffenen für ihn überhaupt im E<strong>in</strong>zelfall regelungsbedürftig<br />

s<strong>in</strong>d und ob dann diese aufgrund <strong>der</strong> Krankheit<br />

o<strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung nicht mehr vom Betroffenen erledigt werden<br />

können.<br />

In Betracht kommen alle denkbaren Angelegenheiten, Rechtsgeschäfte<br />

ebenso wie geschäftsähnliche Handlungen (praktisch<br />

bedeutsam v. a. E<strong>in</strong>willigung <strong>in</strong> ärztliche Behandlung) o<strong>der</strong> Realakte<br />

(Nahrungsaufnahme, Versorgung <strong>der</strong> Wohnung etc.), Angelegenheiten<br />

<strong>der</strong> Vermögenssorge ebenso wie <strong>der</strong> Personensorge.<br />

Es ist auch unerheblich, ob <strong>der</strong> Volljährige <strong>zur</strong> Besorgung se<strong>in</strong>er<br />

Angelegenheiten aus rechtlichen (etwa wegen Geschäftsunfähigkeit,<br />

§ 104 Nr. 2 BGB) o<strong>der</strong> tatsächlichen Gründen (Handlungsunfähigkeit<br />

bei schwerwiegenden Körperbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen, Antriebsarmut,<br />

Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung durch freiheitsentziehende Unterbr<strong>in</strong>gung)<br />

nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage ist.<br />

E<strong>in</strong>e Betreuung ist darüber h<strong>in</strong>aus nur zulässig, wenn sie für den Betroffenen<br />

erfor<strong>der</strong>lich ist und ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>en Hilfen <strong>zur</strong> Verfügung<br />

stehen (Grundsatz <strong>der</strong> Erfor<strong>der</strong>lichkeit und Nachrangigkeit).<br />

An<strong>der</strong>e Hilfen s<strong>in</strong>d z.B.<br />

private Hilfen (= Angehörige, Freunde, Nachbarn, Wohlfahrtsverbände,<br />

Sozilastationen),<br />

Öffentliche Hilfen (= s<strong>in</strong>d meist bei den Kommunen o<strong>der</strong> Landkreisen<br />

angesiedelt).<br />

Erfor<strong>der</strong>lichkeit:<br />

E<strong>in</strong> Betreuer darf nur bestellt werden für Aufgabenkreise, <strong>in</strong> denen<br />

e<strong>in</strong>e Betreuung erfor<strong>der</strong>lich ist. Dieser Grundsatz hat Verfassungsrang<br />

und ist für jeden e<strong>in</strong>zelnen Aufgabenkreis, <strong>der</strong> dem Betreuer<br />

übertragen werden soll, zu prüfen.<br />

Die nicht immer ausreichende Beachtung des Erfor<strong>der</strong>lichkeitsgrundsatzes<br />

durch die Vormundschaftsgerichte wird als e<strong>in</strong>e<br />

<strong>der</strong> Hauptursachen für den ständigen Anstieg von Betreuerbestellungen<br />

angesehen (Bienwald BtPrax 2002, 3).


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 53 von 180<br />

6. Aufgabenkreis<br />

=<br />

Umfang<br />

<strong>der</strong> Betreuung<br />

Nicht erfor<strong>der</strong>lich ist e<strong>in</strong>e Betreuung jedenfalls für Aufgaben,<br />

die ohne Schaden für den Betreuten auch unerledigt bleiben<br />

können o<strong>der</strong> wenn e<strong>in</strong> Betreuer die Aufgaben nicht wirksam<br />

wahrnehmen kann (BayObLG BtPrax 1994, 209), z. B. weil <strong>der</strong><br />

Betreute jeden Kontakt mit e<strong>in</strong>em Betreuer verweigert.<br />

E<strong>in</strong>e Betreuung gegen den Willen des Betroffenen (Zwangsbetreuung)<br />

kommt nur <strong>in</strong> Betracht, wenn se<strong>in</strong> Wohl es erfor<strong>der</strong>t (=<br />

Abwägungsvorgang !). Die Abwägung, wann die Wahrnehmung e<strong>in</strong>er<br />

bestimmten Aufgabe auch gegen den Willen des Betroffenen<br />

se<strong>in</strong>em Wohl entspricht, kann nicht statisch beurteilt werden son<strong>der</strong>n<br />

nur <strong>in</strong> Abwägung <strong>der</strong> jeweiligen Rechtsgüter des Betroffenen,<br />

<strong>der</strong> Vor- und Nachteile e<strong>in</strong>er jeden Entscheidung und unter Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Wertung des Betreuungsrechts grundsätzlich<br />

Vorrang genießenden Wünsche des Betroffenen.<br />

Beispiele aus <strong>der</strong> Rechtsprechung <strong>zur</strong> Erfor<strong>der</strong>lichkeit:<br />

Nicht erfor<strong>der</strong>lich:<br />

für die Vermögenssorge, wenn alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Taschengeld <strong>zur</strong><br />

Verfügung steht und <strong>der</strong> Betroffene zu dessen Verwendung<br />

selbst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage ist (LG Regensburg FamRZ 1993, 477);<br />

für die Entscheidung Organspen<strong>der</strong> zu werden (AG Mölln,<br />

FamRZ 1995, 118);<br />

wenn von vornhere<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Vertrauensverhältnis entstehen<br />

kann, weil <strong>der</strong> Betroffene die Bestellung des Betreuers als<br />

erniedrigend empf<strong>in</strong>det und dieser dadurch an e<strong>in</strong>er wirksamen<br />

Hilfe geh<strong>in</strong><strong>der</strong>t ist (BayObLG BtPrax 1994, 209);<br />

Erfor<strong>der</strong>lich:<br />

die Bestellung e<strong>in</strong>es Betreuers mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge<br />

kann auch erfor<strong>der</strong>lich se<strong>in</strong>, um e<strong>in</strong>e weitere<br />

Verschuldung e<strong>in</strong>es an sich bereits vermögenslosen Betreuten<br />

zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n (FamRZ 2001, 1245);<br />

kann e<strong>in</strong> Betreuer bestellt werden für die Gesundheitsfürsorge<br />

bei fehlen<strong>der</strong> Krankheitse<strong>in</strong>sicht (LG Regensburg FamRZ<br />

1993, 477);<br />

bei Gefahr künftiger erneuter Schübe e<strong>in</strong>er Psychose mit<br />

Notwendigkeit nervenärztlicher Behandlung (BayObLG<br />

BtPrax 2003, 177).<br />

Der Aufgabenkreis des Betreuers ist vom Vormundschaftsgericht<br />

im Beschluss <strong>zur</strong> Betreuerbestellung ausdrücklich festzulegen.<br />

Dabei kann das Gericht lediglich e<strong>in</strong>zelne Aufgaben beschreiben,<br />

z.B.:<br />

Geltendmachung e<strong>in</strong>es Rentenanspruchs,<br />

Verteidigung gegen e<strong>in</strong>e Gläubigerfor<strong>der</strong>ung,<br />

Auflösen e<strong>in</strong>es Mietverhältnisses,<br />

o<strong>der</strong> aber auch umfassen<strong>der</strong>e Bereiche festlegen, die verschiedene<br />

Tätigkeiten des Betreuers umfassen, wie z.B.:<br />

Wohnungsangelegenheiten,<br />

Aufenthaltsbestimmungen,<br />

Zustimmung <strong>zur</strong> Heilbehandlung,<br />

Verwaltung größerer Vermögenswerte wie z. B. e<strong>in</strong> Geschäft<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> größeres Mietshaus,<br />

Vertretung <strong>in</strong> Erbause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen,<br />

bis h<strong>in</strong> zu allen Aufgaben <strong>der</strong> Personensorge o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vermögenssorge.<br />

Auch die Übertragung aller Angelegenheiten ist denkbar.<br />

Dabei darf das Vormundschaftsgericht bei <strong>der</strong> Bestimmung<br />

des Aufgabenkreises über das erfor<strong>der</strong>liche Maß nicht h<strong>in</strong>ausgehen.<br />

Für jeden e<strong>in</strong>zelnen Aufgabenkreis, <strong>der</strong> dem Betreuer zuge-


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 54 von 180<br />

7. E<strong>in</strong>schränkungen<br />

<strong>der</strong><br />

Vertretungsmacht<br />

des<br />

Betreuers<br />

8. Beispiele<br />

für Aufgabenkreise<br />

wiesen werden soll, muss e<strong>in</strong>e Betreuung erfor<strong>der</strong>lich se<strong>in</strong><br />

(BayObLG BtPrax 2002, 216).<br />

Die gesetzliche Vertretungsmacht des Betreuers wird durch e<strong>in</strong>e<br />

Reihe von vormundschaftsgerichtlichen Genehmigungsvorbehalten<br />

beschränkt.<br />

Zum e<strong>in</strong>en gelten <strong>in</strong>soweit die meisten Vorschriften des Vormundschaftsrechts<br />

entsprechend (§ 1908i Abs. 1 S. 1), auch was die<br />

Vermögensverwaltung im allgeme<strong>in</strong>en betrifft (§§ 1803, 1805 ff.).<br />

Genehmigungspflichtig s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e´:<br />

Rechtsgeschäfte nach §§ 1812, 1821, 1822 (ohne Nr. 5, dafür aber § 1907),<br />

speziell für die Betreuung genehmigungspflichtige Handlungen<br />

(E<strong>in</strong>willigung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Untersuchung des Gesundheitszustandes,<br />

e<strong>in</strong>e Heilbehandlung o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en ärztlichen E<strong>in</strong>griff unter bestimmten<br />

Voraussetzungen, § 1904; E<strong>in</strong>willigung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Sterilisation,<br />

§ 1905; Unterbr<strong>in</strong>gung und unterbr<strong>in</strong>gungsähnliche<br />

Maßnahmen, § 1906; Kündigung e<strong>in</strong>er vom Betreuten gemieteten<br />

Wohnung, § 1907 u.a.m.).<br />

In den neuen Genehmigungsvorbehalten kommt zum Ausdruck,<br />

wie wichtig <strong>der</strong> Gesetzgeber die Aufgabe <strong>der</strong> Personensorge<br />

e<strong>in</strong>schätzt, während das bisherige Vormundschaftsrecht <strong>der</strong> Vermögensverwaltung<br />

das hauptsächliche Augenmerk widmete. Zugleich<br />

verstärkt sich durch Vermehrung <strong>der</strong> genehmigungspflichtigen<br />

Vorgänge die vormundschaftsgerichtliche Kontrolle.<br />

E<strong>in</strong>zelne Beispiele für Aufgabenkreise (nach Jürgens/Kröger/Marschner/W<strong>in</strong>terste<strong>in</strong><br />

Rz 88 ff.):<br />

Im Bereich <strong>der</strong> Vermögenssorge ist die konkrete Lebenssituation<br />

des Betreuten beson<strong>der</strong>s zu beachten, häufig hat <strong>der</strong> Betreute<br />

ke<strong>in</strong> eigenes Vermögen, son<strong>der</strong>n lediglich e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ges E<strong>in</strong>kommen.<br />

Als mögliche Aufgabenkreise kommen hier <strong>in</strong> Betracht:<br />

– Beantragung/Entgegennahme/E<strong>in</strong>teilung von Rente/Sozialhilfe/Arbeitslosengeld/Krankengeld/Versicherungsleistungen,<br />

– Geltendmachung/Entgegennahme/E<strong>in</strong>teilung von Arbeitslohn,<br />

– Geltendmachung von For<strong>der</strong>ungen gegen/Prüfung von Rechnungen/Abwehr<br />

von Ansprüchen von o<strong>der</strong> gegenüber Behörden/Banken/Krankenkassen/Versicherungsunternehmen/Versorgungse<strong>in</strong>richtungen<br />

– Antragstellung auf <strong>Pflege</strong>leistungen bei d. zuständigen <strong>Pflege</strong>kasse<br />

– Vertretung gegenüber Gläubigern/Schuldentilgung/Schuldenregulierung<br />

– Prüfung und Regelung von Unterhaltspflichten<br />

– Verwaltung/Verwertung von Grundvermögen und beweglichen<br />

Sachwerten,<br />

– Vermögenssorge mit Ausnahme von … (z. B. Verwaltung des<br />

Taschengeldes)<br />

Auch bei Wohnungsangelegenheiten gibt es verschiedene speziell<br />

zu prüfende Aufgabenkreise:<br />

Abwehr e<strong>in</strong>er Wohnungskündigung,<br />

Vertretung bei Kündigungs- und Räumungsverfahren,<br />

Regelung von Miet- und Wohnungsangelegenheiten<br />

Auflösung des Mietverhältnisses<br />

Aufgabe <strong>der</strong> Wohnung, Auflösung des Haushalts, Entrümpelung,<br />

Beschaffung e<strong>in</strong>er Wohnung und Regelung <strong>der</strong> Kosten/Mietvertragsabschluss.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 55 von 180<br />

II. Der Betreuer 1. Die Person<br />

des Betreuers<br />

Im Zusammenhang mit Erbfällen s<strong>in</strong>d ebenfalls e<strong>in</strong>zelne Aufgaben<br />

denkbar:<br />

Vertretung bei <strong>der</strong> Erbause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung,<br />

Regelung <strong>der</strong> Nachlassangelegenheiten nach dem …<br />

Geltendmachung <strong>der</strong> Rechte am Nachlass des …<br />

Klärung <strong>der</strong> Nachlassmasse/Ausschlagung <strong>der</strong> Erbschaft.<br />

Auch bei <strong>der</strong> häufig notwendigen Übersiedlung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Alten-<br />

o<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>heim kommen verschiedene Aufgaben <strong>in</strong> Betracht:<br />

Abschluss des Heimvertrages,<br />

Regelung <strong>der</strong> Heimkosten (aus dem eigenen Vermögen o<strong>der</strong><br />

durch Inanspruchnahme Unterhaltspflichtiger, <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>kasse<br />

o<strong>der</strong> Sozialhilfeträger)<br />

Vertretung gegenüber <strong>der</strong> Heimleitung,<br />

Überwachung <strong>der</strong> Taschengeldverwendung,<br />

Unterbr<strong>in</strong>gung mit Freiheitsentziehung.<br />

Im Bereich <strong>der</strong> Heilbehandlung darf e<strong>in</strong> Betreuer nur bestellt<br />

werden, soweit <strong>der</strong> Betroffene selbst e<strong>in</strong>willigungsunfähig ist,<br />

also Art, Bedeutung und Tragweite <strong>der</strong> jeweiligen Maßnahme<br />

auch nach entsprechen<strong>der</strong> ärztlicher Aufklärung und Beratung<br />

nicht zu erfassen und se<strong>in</strong>en Willen hiernach zu bestimmen<br />

vermag (BayObLG FamRZ 1994, 1060).<br />

Die E<strong>in</strong>willigungsfähigkeit <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne kann für e<strong>in</strong>fache<br />

Behandlungen e<strong>in</strong>er konkret nachvollziehbaren Krankheit<br />

(Erkältung, Knochenbruch, Zahnbehandlung) noch vorliegen,<br />

wo sie für kompliziertere E<strong>in</strong>griffe bei komplexeren Krankheitsbil<strong>der</strong>n<br />

(schwierige Operationen, Chemo- o<strong>der</strong> Strahlentherapie)<br />

fehlt. So kann auch etwa <strong>der</strong> Aufgabenkreis des Betreuers<br />

im Bereich <strong>der</strong> Gesundheitsfürsorge auf die nervenärztliche<br />

Behandlung beschränkt werden (BayObLG FamRZ<br />

1994, 1059 und 1060). In Betracht kommen etwa:<br />

Entscheidung über E<strong>in</strong>willigung <strong>zur</strong> Amputation des …,<br />

Zustimmung zu riskanten Untersuchungen, wie …,<br />

Zustimmung <strong>zur</strong> Heilbehandlung wegen <strong>der</strong> … Erkrankung,<br />

Sicherstellung <strong>der</strong> ärztlichen Heilbehandlung/stationär/ambulant/Nachsorge<br />

nach Operation,<br />

Geltendmachung von Rechten gegenüber Ärzten/Kl<strong>in</strong>ikleitung,<br />

Zustimmung <strong>zur</strong> Heilbehandlung, außer …,<br />

Entscheidung über (Zwangs-) Medikation,<br />

Organisation und Regelung <strong>der</strong> Kosten von Rehabilitationsmaßnahmen.<br />

Oberster Grundsatz bei <strong>der</strong> Bestimmung des Betreuers ist für das<br />

Gericht das Wohl des Betroffenen. Die Person des Betreuers<br />

muss geeignet se<strong>in</strong>, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen<br />

und ihn hierbei im erfor<strong>der</strong>lichen Umfang zu betreuen.<br />

Deshalb hat <strong>der</strong> Betreuer den Wünschen des Betreuten zu entsprechen,<br />

soweit dies dessen Wohl nicht zuwi<strong>der</strong>läuft und dem Betreuer<br />

zuzumuten ist (§ 1901 Abs. 3 S. 1); auch die vor Bestellung<br />

des Betreuers <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Betreuungsverfügung geäußerten Wünsche<br />

können hier noch relevant se<strong>in</strong> (§ 1901 Abs. 3 S. 2). Dem Betreuer<br />

ist die E<strong>in</strong>beziehung des Betreuten <strong>in</strong> wichtige Entscheidungen im<br />

Wege des Gesprächs auferlegt (§ 1901 Abs. 3 S. 3).<br />

a. fachlich<br />

Fachlich muss <strong>der</strong> Betreuer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage se<strong>in</strong>, die ihm zugewiesenen<br />

Aufgabenbereiche des Betroffenen, zu organisieren bzw. zu erledi-


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 56 von 180<br />

III. Das Betreuungsverfahren<br />

2. Pflichten<br />

des Betreuers<br />

3. Aufhebung<br />

<strong>der</strong><br />

Bestellung<br />

des Betreuers<br />

1. E<strong>in</strong>leitung<br />

gen. Er kann sich hierzu <strong>der</strong> Hilfe an<strong>der</strong>er bedienen, weil er nur <strong>zur</strong><br />

Organisation, nicht aber <strong>zur</strong> persönlichen Hilfe verpflichtet ist.<br />

b. persönlich<br />

Persönlich bedeutet, dass <strong>der</strong> Betreuer Zeit für den Betreuten haben<br />

muss. Zwischen beiden sollte <strong>in</strong> jedem Fall e<strong>in</strong> Vertrauensverhältnis<br />

bestehen.<br />

Der Betreuer ist mit <strong>der</strong> Bestellung durch das Vormundschaftsgericht<br />

diversen Pflichten unterworfen, die allesamt dem Wohl des<br />

Betreuten Rechnung tragen sollen.<br />

Im Allgeme<strong>in</strong>en wird von drei Kard<strong>in</strong>alpflichten gesprochen. Dies<br />

s<strong>in</strong>d die persönliche Betreuung, die Wünsche des Betreuten und<br />

die Besprechungspflicht.<br />

Persönliche Betreuung:<br />

Der Betreuer hat den persönlichen Kontakt zu se<strong>in</strong>em Betreuten zu<br />

suchen und zu pflegen, da nur dadurch gewährleistet ist, dass er<br />

se<strong>in</strong>e Bedürfnisse erkennt und e<strong>in</strong>e erfor<strong>der</strong>liche Vertrauensbasis<br />

geschaffen werden kann.<br />

Wünsche des Betreuten:<br />

Den Wünschen des Betreuten muss entsprochen werden, soweit<br />

sie dessen wohl nicht zuwi<strong>der</strong> laufen und dem Betreuer zuzumuten<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Besprechungspflicht:<br />

Wichtige Angelegenheiten hat <strong>der</strong> Betreuer mit diesem zu besprechen,<br />

bevor er sie erledigt o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Entscheidung trifft.<br />

Die Bestellung e<strong>in</strong>es Betreuers ist aufzuheben, wenn:<br />

die Voraussetzungen <strong>der</strong> Betreuung nicht mehr vorliegen,<br />

<strong>der</strong> Betreute dies beantragt, soweit er nur körperlich beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t<br />

ist,<br />

die Eignung des Betreuers nicht mehr gegeben ist,<br />

<strong>der</strong> Betreute e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e, gleich geeignete, bereitwillige Person<br />

vorschlägt,<br />

nach <strong>der</strong> Bestellung des Betreuers Umstände e<strong>in</strong>treten, die e<strong>in</strong>e<br />

Betreuung unzumutbar machen und <strong>der</strong> Betreuer se<strong>in</strong>e Entlassung<br />

verlangt,<br />

e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er wichtiger Grund vorliegt.<br />

Auf die Ausgestaltung e<strong>in</strong>es Verfahrens <strong>in</strong> Betreuungssachen, das<br />

die optimale Erfüllung rechtsstaatlicher Postulate anstrebt, ist beson<strong>der</strong>er<br />

Wert gelegt worden. Die ausführlichen Verfahrensvorschriften<br />

sollen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Wahrung <strong>der</strong> Selbstbestimmungs<strong>in</strong>teressen<br />

des Betroffenen und den E<strong>in</strong>satz fachlicher<br />

Kompetenz gewährleisten.<br />

Merkposten Betreuungsverfahren


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 57 von 180<br />

1. Voraussetzungen<br />

a. E<strong>in</strong>leitung des Betreuungsverfahrens<br />

Das Betreuungsverfahren wird entwe<strong>der</strong> von Amts wegen o<strong>der</strong> auf Antrag e<strong>in</strong>geleitet. Zuständig<br />

für das Betreuungsverfahren ist das Amtsgericht, <strong>in</strong> dessen Bezirk <strong>der</strong> Betroffene<br />

se<strong>in</strong>en gewöhnlichen Aufenthalt hat.<br />

aa. Persönliche Anhörung<br />

Vor <strong>der</strong> Bestellung sieht das Gesetz zw<strong>in</strong>gend die persönliche Anhörung<br />

des Betroffenen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er üblichen Umgebung durch den Vormundschaftsrichter<br />

vor.<br />

Der Richter soll sich e<strong>in</strong>en unmittelbaren E<strong>in</strong>druck vom Betroffenen machen.<br />

Hierbei darf e<strong>in</strong>e Person des Vertrauens des Betroffenen anwesend se<strong>in</strong>.<br />

bb. Absehen von <strong>der</strong> persönlichen Anhörung<br />

Von e<strong>in</strong>er persönlichen Anhörung kann nur abgesehen werden,<br />

wenn durch die Anhörung erhebliche Nachteile für die Gesundheit<br />

des Betroffenen zu befürchten s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Betroffene nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Lage ist, se<strong>in</strong>en Willen kund zu tun. Ob solche Nachteile zu erwarten<br />

s<strong>in</strong>d, muss sich aus e<strong>in</strong>em ärztlichen Gutachten ergeben.<br />

cc. Gutachten e<strong>in</strong>es Sachverständigen<br />

E<strong>in</strong> Betreuer darf erst bestellt werden, wenn das Gutachten e<strong>in</strong>es<br />

Sachverständigen über die Notwendigkeit <strong>der</strong> Bestellung e<strong>in</strong>es Betreuers<br />

e<strong>in</strong>geholt ist.<br />

Das Gutachten soll nicht nur über die Krankheit/Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung Aufschluss<br />

geben, son<strong>der</strong>n auch zu <strong>der</strong> Frage Stellung nehmen, <strong>in</strong>wieweit<br />

dadurch die Fähigkeit des Betroffenen, se<strong>in</strong>e eigenen Angelegenheiten<br />

zu besorgen, aufgehoben ist.<br />

dd. Schlussgespräch<br />

Nach Vorliegen des Gutachtens f<strong>in</strong>det die mündliche Erörterung<br />

mit dem Betroffenen statt. Hier soll mit ihm das Ergebnis des Gutachtens,<br />

<strong>der</strong> umfang des Aufgabenbereiches und die Person des<br />

Betreuers besprochen werden.<br />

ee. Verfahrenspfleger<br />

Soweit:<br />

von e<strong>in</strong>er persönlichen Anhörung abgesehen wurde,<br />

e<strong>in</strong> Betreuer <strong>zur</strong> Besorgung aller (!) Angelegenheiten bestellt<br />

werden soll o<strong>der</strong><br />

Gegenstand des Verfahrens die E<strong>in</strong>willigung <strong>zur</strong> Sterilisation ist,<br />

kann das Gericht e<strong>in</strong>en eigenen Verfahrenspfleger für das gesamte<br />

Verfahren bestellen, soweit dies <strong>zur</strong> Wahrung se<strong>in</strong>er eigenen Interessen<br />

erfor<strong>der</strong>lich ist.<br />

a. Weitere Verfahrensspezifika<br />

Mit <strong>der</strong> Anordnung des Betreuung wird zugleich festgelegt, zu welchem<br />

Zeitpunkt spätestens das Gericht über die Aufhebung o<strong>der</strong> Verlängerung<br />

<strong>der</strong> Anordnung zu entscheiden hat (spätestens nach fünf<br />

Jahren !),<br />

Bis <strong>zur</strong> endgültigen Entscheidung über die Anordnung e<strong>in</strong>er Betreuung<br />

vergeht i.d.R. e<strong>in</strong> erheblicher Zeitraum, so dass die Gerichte e<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>stweilige Anordnung treffen, um vorläufig e<strong>in</strong>en Betreuer zu bestellen.<br />

Die Anordnung gilt für längstens sechs Monate.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 58 von 180<br />

2. Rechtsfolgen<br />

Im Gegensatz <strong>zur</strong> Entmündigung alten Rechts hat die Bestellung e<strong>in</strong>es Betreuers<br />

ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten, dieser kann<br />

jedoch nach § 104 Nr. 2 geschäftsunfähig se<strong>in</strong>. Nur im Prozess steht e<strong>in</strong><br />

durch den Betreuer vertretener Betreuter e<strong>in</strong>er nicht prozessfähigen Person<br />

gleich (§ 53 ZPO). In jedem Falle ist <strong>der</strong> Betreuer im Rahmen se<strong>in</strong>es Aufgabenkreises<br />

gesetzlicher Vertreter des Betreuten (§ 1902).


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 59 von 180<br />

Situation:<br />

I. Teil<br />

Lerne<strong>in</strong>heit I.38:<br />

Sterbehilfe und Strafrecht (e<strong>in</strong>schl. Patientenverfügung / Behandlungsabbruch)<br />

I. Das vorsätzli-<br />

che Begehungsdelikt<br />

- Zeitdauer: 6 Std. -<br />

Die Strafbarkeit <strong>der</strong> Behandlung selbst<br />

Der Unfallpatient (volles Bewusstse<strong>in</strong>) lehnt die lebensrettende Behandlung<br />

ab. Der Arzt operiert trotzdem. Muss er mit strafrechtlichen Folgen rechnen?<br />

Der ärztliche E<strong>in</strong>griff ist strafrechtlich gesehen e<strong>in</strong>e Körperverletzung nach § 223 StGB.<br />

Dennoch werden Ärzte nie verurteilt, weil die Patienten <strong>in</strong> die Behandlung e<strong>in</strong>willigen.<br />

1. Tatbestand<br />

a. objektiver Tatbestand<br />

Hier werden die objektiven, d.h. äußerlich sichtbaren Merkmale, nach denen<br />

beurteilt werden kann, ob e<strong>in</strong>e Straftat vorliegt, überprüft. Dies s<strong>in</strong>d:<br />

E<strong>in</strong>tritt des tatbestandlichen Erfolges (z.B. Tod, Körperverletzung),<br />

durch e<strong>in</strong>e Handlung (z.B. Messerstich, Injektion, Operation),<br />

Kausalität (die Handlung ist ursächlich für E<strong>in</strong>tritt d. tatbestandlichen Erfolges),<br />

objektive Zurechnung (die kausale Handlung hat e<strong>in</strong> spezifisches Risiko gesetzt,<br />

das sich im Tatbestandlichen Erfolg realisiert hat [= typische Gefahr])<br />

Ausnahme: tatbestandsausschließendes E<strong>in</strong>verständnis<br />

a. subjektiver Tatbestand<br />

Es ist zu untersuchen, ob <strong>der</strong> Täter Vorsatz hatte (= Wissen + Wollen <strong>der</strong> Tatbestandsverwirklichung),<br />

als er die Tat beg<strong>in</strong>g:<br />

Absicht (= Täter kam es gerade auf Erfolg an),<br />

direkter Vorsatz (= Täter handelt u. weiß, dass er tatbest. Erfolg verwirklicht),<br />

bed<strong>in</strong>gter Vorsatz (= Täter hat billigend <strong>in</strong> Kauf genommen, dass tatbestandlicher<br />

Erfolg e<strong>in</strong>tritt).<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

Die Tatbestandsverwirklichung <strong>in</strong>diziert die Rechtswidrigkeit <strong>der</strong> Straftat. Ausnahme:<br />

Der Täter handelte gerechtfertigt. Rechtfertigungsgründe s<strong>in</strong>d:<br />

Notwehr (§ 227 BGB, § 32 StGB),<br />

Selbsthilfe (§§ 229, 561, 859 BGB),<br />

Notstand (§ 228 BGB, § 34 StGB),<br />

rechtfertigende E<strong>in</strong>willigung des Verletzten/Patienten,<br />

Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB),<br />

Festnahmerecht (§ 127 StPO).<br />

3. Schuld/Strafausschließungsgrund/Strafverfolgungsh<strong>in</strong><strong>der</strong>nis


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 60 von 180<br />

Schuld ist die Fähigkeit d. Täters, das von ihm begangene Unrecht d. Tat e<strong>in</strong>zusehen<br />

(kann durch Alkohol o<strong>der</strong> Drogen e<strong>in</strong>geschränkt se<strong>in</strong>).<br />

Strafausschließungsgründe greifen z.B. bei Abgeordneten (Indemnität, Art.<br />

46 I GG [Abg.: „Herr M<strong>in</strong>ister, Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Esel“ = straffrei]).<br />

Strafverfolgungsh<strong>in</strong><strong>der</strong>nisse (z.B. Verjährung d. Tat, §§ 78 ff. StGB)<br />

§ 35 StGB Entschuldigen<strong>der</strong> Notstand.<br />

II. Notwehr/ Prüfungskarte § 32 StGB - Notwehr/Nothilfe<br />

Nothilfe<br />

Die Notwehr kommt im pflegerischen/ärztlichen Bereich so gut wie nicht vor. Sie erlangt<br />

aber im privaten Bereich große Bedeutung.<br />

1. Notwehrlage = gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff (auf e<strong>in</strong>en selbst)<br />

a. Vorliegen e<strong>in</strong>es Angriffs<br />

Angriff ist jede Bedrohung rechtlich geschützter Interessen durch menschliches Verhalten.<br />

Angriff: kann sich gegen e<strong>in</strong>en selbst wie auch e<strong>in</strong>en Dritten richten (Nothilfe).<br />

b. <strong>der</strong> gegenwärtig<br />

gegenwärtig ist je<strong>der</strong> Angriff, <strong>der</strong> unmittelbar bevorsteht o<strong>der</strong> gerade stattf<strong>in</strong>det<br />

o<strong>der</strong> noch fortdauert.<br />

beendet ist <strong>der</strong> Angriff, wenn <strong>der</strong> Täter z.B. die Beute gesichert hat.<br />

c. und rechtswidrig ist<br />

<strong>der</strong> Angriff ist rechtswidrig, wenn er im Wi<strong>der</strong>spruch <strong>zur</strong> Rechtsordnung<br />

steht, bzw. den <strong>der</strong> Angegriffene nicht zu dulden braucht.<br />

2. Notwehrhandlung<br />

Notwehrhandlung ist diejenige Handlung, die erfor<strong>der</strong>lich und geboten ist, um<br />

den Angriff sofort zu beenden.<br />

sie ist erfor<strong>der</strong>lich, wenn sie objektiv geeignet ist und das mildeste Mittel<br />

darstellt, den Angriff zu beenden.<br />

die Notwehrhandlung darf sich nur gegen Rechtsgüter des Angreifers richten.<br />

3. E<strong>in</strong>schränkung des Notwehrrechts<br />

Die Notwehrhandlung ist aus diversen Gründen e<strong>in</strong>geschränkt. <strong>in</strong> diesen Fällen<br />

hat man e<strong>in</strong>e primäre Ausweichpflicht. Im e<strong>in</strong>zelnen:<br />

wenn <strong>der</strong> Angreifer erkennbar schuldlos war (Betrunkener),<br />

wenn die Notwehrlage erkennbar durch den die Notwehr ausübenden zuvor<br />

provoziert war,<br />

es sich um die sog. Unfugabwehr handelt (= Bagtellangriffe knapp unterhalb<br />

<strong>der</strong> Provokationsgrenze),<br />

es sich um Personen mit enger persönlicher Beziehung handelt (Lebenspartner,<br />

Ehegatte),<br />

wenn e<strong>in</strong> unerträgliches Missverhältnis zwischen verletztem und verteidigtem<br />

Rechtsgut besteht („K<strong>in</strong>d wegen Kirschenklau erschießen“).


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 61 von 180<br />

4. Verteidigungswille<br />

Schließlich muss <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> von se<strong>in</strong>em Notwehrrecht o<strong>der</strong> Nothilferecht Gebrauch<br />

macht, mit Verteidigungswillen handeln wollen. D.h., er muß Kenntnis von <strong>der</strong> Notwehrlage<br />

haben und se<strong>in</strong> Handeln von <strong>der</strong> Notwehrbefugnis getragen se<strong>in</strong>.<br />

III. Notstand Prüfungskarte § 34 StGB - (rechtfertigen<strong>der</strong>) Notstand<br />

Dem rechtfertigenden Notstand kommt <strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e entscheidende praktische Bedeutung<br />

zu. Nicht wenige ärztliche o<strong>der</strong> pflegerische Maßnahmen werden als Notstandshandlungen<br />

vorgenommen. Der häufigste Fall ist die Fixierung e<strong>in</strong>es Patienten<br />

nach <strong>der</strong> OP, weil sich dieser die Kanülen droht heraus<strong>zur</strong>eißen.<br />

Nachfolgend werden die allgeme<strong>in</strong>en Voraussetzungen des Notstandes erläutert. E<strong>in</strong>e Vertiefung<br />

erfolgt im Rahmen <strong>der</strong> Freiheitsberaubung.<br />

1. Vorprüfung: ke<strong>in</strong> Vorliegen e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>willigung o<strong>der</strong> des zivilrechtlichen<br />

Notstands (§ 228 BGB bezogen auf Sachen)<br />

2. Notstandslage = gegenwärtige Gefahr für e<strong>in</strong> beliebiges Rechtsgut (sowohl für<br />

e<strong>in</strong>en selbst als auch für an<strong>der</strong>e)<br />

Gefahr: bedeutet die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>es Schadense<strong>in</strong>tritts,<br />

gegenwärtig: ist die Gefahr, wenn sie je<strong>der</strong>zeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Schaden umschlagen<br />

kann,<br />

Rechtsgüter des Notstandes s<strong>in</strong>d: Leib, Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum<br />

sowie sonstige schutzwürdige und schutzbedürftige Rechtsgüter.<br />

3. Notstandshandlung<br />

Notstandshandlung = wenn jemand e<strong>in</strong>e (Straf-)Tat begeht, die erfor<strong>der</strong>lich<br />

ist, um die Gefahr abzuwenden.<br />

sie ist erfor<strong>der</strong>lich, wenn sie objektiv geeignet ist und das sicherste und mildeste<br />

Mittel darstellt, die Gefahr abzuwenden.<br />

4. Gefahrabwendungswille (= Kenntnis <strong>der</strong> rechtfertigenden Sachlage und<br />

Handeln aufgrund dieser Befugnis)<br />

5. Interessenabwägung<br />

Das geschützte (bedrohte) Interesse muß das bee<strong>in</strong>trächtigte wesentlich überwiegen.<br />

Kriterien s<strong>in</strong>d:<br />

e<strong>in</strong> eventuelles Rangverhältnis <strong>der</strong> Rechtsgüter (nicht bei Leben gegen Leben;<br />

sonst gilt, daß das höherwertige Rechtsgut zugunsten des nie<strong>der</strong>en geschützt<br />

werden muß),<br />

die Schutzwürdigkeit des betroffenen Rechtsgutes <strong>in</strong> <strong>der</strong> konkreten Lebenssituation,<br />

Grad <strong>der</strong> drohenden Gefahr,<br />

Intensität <strong>der</strong> Rechtsgutsverletzung.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 62 von 180<br />

6. sozialethische Angemessenheit <strong>der</strong> Tat<br />

u.a.:<br />

Die Bee<strong>in</strong>trächtigung des nie<strong>der</strong>rangigen Rechtsgutes muß im überwiegenden<br />

Interesse des Staates und <strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>heit liegen.<br />

H<strong>in</strong>weis: Der Notstand f<strong>in</strong>det ke<strong>in</strong>e Anwendung, wenn <strong>der</strong> Patient zwar im Vollbesitz se<strong>in</strong>er Kräfte, aber une<strong>in</strong>sichtig ist. Der Arzt darf e<strong>in</strong>e lebensnotwendige<br />

Behandlung dann nicht gegen den Willen des Patienten durchführen, er kann sich hierbei nicht auf den Notstand berufen.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 63 von 180<br />

IV. Überblick Übersichtskarte E<strong>in</strong>willigung/E<strong>in</strong>verständnis<br />

über das System<br />

von E<strong>in</strong>willigung<br />

und E<strong>in</strong>verständnis<br />

Die <strong>in</strong> <strong>der</strong> ärztlichen wie pflegerischen Praxis wichtigsten Rechtfertigungsgründe s<strong>in</strong>d die<br />

ausdrückliche und die mutmaßliche E<strong>in</strong>willigung. Aus rechtspolitischen Gründen scheidet<br />

das tatbestandsausschließende E<strong>in</strong>verständnis (etwa bei <strong>der</strong> Körperverletzung) aus.<br />

tatbestandsausschließendes<br />

E<strong>in</strong>verständnis<br />

Bei Handlungen, die ihren deliktischen<br />

Charakter dadurch erfahren, dass sie<br />

gegen den Willen des Betroffenen erfolgen,<br />

entfällt <strong>der</strong> obj. Tatbestand,<br />

wenn <strong>der</strong> Betroffene damit e<strong>in</strong>verstanden<br />

ist (= <strong>in</strong>nere E<strong>in</strong>stellung reicht<br />

aus). D.h.: es kommt erst gar nicht zu<br />

e<strong>in</strong>er Rechtsgutsverletzung.<br />

E<strong>in</strong> tatbestandsausschließendes E<strong>in</strong>verständnis<br />

kommt dann <strong>in</strong> Betracht,<br />

wenn sich <strong>der</strong> Tatbestand nicht ohne<br />

Rücksicht auf den Willen des Rechtsgutträgers<br />

feststellen läßt.<br />

Bsp.: §§ 239, 240, 249, 242 StGB (=<br />

ke<strong>in</strong> Diebstahl, wenn Betroffener mit Wegnahme<br />

Sache aus freien Stücken e<strong>in</strong>verstanden ist !).<br />

H<strong>in</strong>weis: Bei <strong>der</strong> Körperverletzung kann <strong>der</strong> Patient<br />

aus rechtlichen Gründen ke<strong>in</strong> tatbestandsausschließendes<br />

E<strong>in</strong>verständnis erteilen. Der Arzt<br />

ist also gezwungen, immer e<strong>in</strong>e Körperverletzung<br />

zu begehen, die grundsätzlich strafbar ist, wenn<br />

<strong>der</strong> Patient <strong>in</strong>folge mangeln<strong>der</strong> Aufklärung ke<strong>in</strong>e<br />

wirksame E<strong>in</strong>willigung erteilt hat.<br />

Grund: Der Patientenschutz soll stärker betont<br />

werden, <strong>in</strong>dem <strong>der</strong> Arzt immer unter dem Damoklesschwert<br />

<strong>der</strong> strafbaren Handlung steht<br />

und daher gezwungen wird, den Patienten sorgfältig<br />

aufzuklären, um e<strong>in</strong>e wirksame E<strong>in</strong>willigung<br />

zu erhalten; beim E<strong>in</strong>verständnis wären<br />

die Aufklärungserfor<strong>der</strong>nisse sehr viel niedriger.<br />

Zeitpunkt <strong>der</strong> E<strong>in</strong>willigungserklärung<br />

rechtfertigende<br />

E<strong>in</strong>willigung<br />

Bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>willigung handelt es sich<br />

um e<strong>in</strong>en Verzicht auf Rechtsschutz,<br />

obwohl die Rechtsgutsverletzung bereits<br />

e<strong>in</strong>getreten ist.<br />

Die E<strong>in</strong>willigung setzt voraus, dass<br />

man von se<strong>in</strong>em Selbstbestimmungsrecht<br />

Gebrauch macht.<br />

Bsp.: (-), weil gesetzlich nicht geregelt.<br />

Die E<strong>in</strong>willigung teilt sich <strong>in</strong> die ausdrücklich<br />

erklärte und die mutmaßliche<br />

E<strong>in</strong>willigung.<br />

Die beiden Arten <strong>der</strong> E<strong>in</strong>willigung unterscheiden<br />

sich dadurch, dass bei <strong>der</strong><br />

mutmaßlichen E<strong>in</strong>willigung ke<strong>in</strong>e tatsächliche<br />

E<strong>in</strong>willigung des Patienten<br />

vorliegt.<br />

die E<strong>in</strong>willigung muß immer vor dem Heile<strong>in</strong>griff erklärt werden.<br />

Ist <strong>der</strong> Patient geh<strong>in</strong><strong>der</strong>t, gelangen automatisch die Grundsätze <strong>der</strong> mutmaßlichen<br />

E<strong>in</strong>willigung <strong>zur</strong> Anwendung.<br />

Hauptanwendungsfälle <strong>der</strong> mutmaßlichen E<strong>in</strong>willigung s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> bewußtlos<br />

e<strong>in</strong>gelieferte Unfallpatient und die <strong>in</strong>traoperative E<strong>in</strong>griffserweiterung.<br />

Der Arzt muß dann entscheiden, ob ggf. die OP abzubrechen und die Aufklärung nachzuholen<br />

ist o<strong>der</strong> ob die Voraussetzungen <strong>der</strong> mutmaßlichen E<strong>in</strong>willigung im Zeitpunkt <strong>der</strong> OP vorliegen.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 64 von 180<br />

V. ausdrückli- Prüfungskarte ausdrückliche E<strong>in</strong>willigung des Patienten<br />

che E<strong>in</strong>willi-<br />

gung<br />

1. objektive Voraussetzungen<br />

a. Zulässigkeit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>willigung<br />

E<strong>in</strong>willigen<strong>der</strong> muß Inhaber des betreffenden Rechtsgutes se<strong>in</strong> (unproblematisch,<br />

weil Patienten allesamt Träger des Rechtsgutes <strong>der</strong> körperlichen <strong>in</strong>tegrität s<strong>in</strong>d).<br />

Das Rechtsgut muß <strong>der</strong> Dispositionsbefugnis des E<strong>in</strong>willigenden unterliegen<br />

(ist beim Rechtsgut „körperliche Integrität“ <strong>der</strong> Fall, nicht aber beim Rechtsgut „Leben“).<br />

b. Wirksamkeit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>willigung<br />

E<strong>in</strong>willigen<strong>der</strong> war e<strong>in</strong>willigungsfähig<br />

Patient muß e<strong>in</strong>willigungsfähig se<strong>in</strong>. er muß nach se<strong>in</strong>er sittlichen und<br />

geistigen Reife <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage se<strong>in</strong>, die Bedeutung des ärztlichen E<strong>in</strong>griffs<br />

und des Verzichts auf den Schutz des Rechtsgutes zu erkennen und<br />

sachgerecht zu beurteilen.<br />

Bsp.: Patient beharrt mit laienhaftem Unverstand auf selbstgestellter Diagnose und<br />

verlangt demgemäße Behandlung. Mangelnde Belehrbarkeit beruht sowohl auf Unkenntnis,<br />

als auch auf seelischer Verfassung, die e<strong>in</strong> verstandesgemäßes Abwägen <strong>der</strong><br />

Argumente verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t (= Patient hat sich „h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gesteigert“). Wenn es dem Arzt nicht<br />

gel<strong>in</strong>gt, das Vorstellungsbild des Patienten mit realistischen mediz<strong>in</strong>ischen Beurteilungen<br />

<strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu br<strong>in</strong>gen, ist jede trotzdem erteilte E<strong>in</strong>willigung unwirksam.<br />

ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>willigungsmängel liegen vor<br />

Die E<strong>in</strong>willigung muß frei von Willensmängeln se<strong>in</strong>. Sie darf nicht durch<br />

Zwang, Täuschung, Irrtum o<strong>der</strong> mangelnde Information zustande gekommen<br />

se<strong>in</strong> (= die Fehlvorstellung muß sich auf den E<strong>in</strong>griff selbst beziehen<br />

und nicht auf dessen Begleitumstände). D.h., daß <strong>der</strong> Patient umfassend<br />

vom Arzt aufgeklärt wurde; diese Aufklärung ist zu dokumentieren.<br />

Konkretisierung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>willigung<br />

Der Arzt muss sichergehen, dass <strong>der</strong> Patient se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>willigung <strong>in</strong> die Behandlung<br />

nicht auf e<strong>in</strong>en bestimmten Arzt konkretisiert hat mit <strong>der</strong> Folge,<br />

dass ggf. <strong>der</strong> behandelnde Arzt ohne E<strong>in</strong>willigung ist. Zwar hat e<strong>in</strong> Patient<br />

ke<strong>in</strong>en Anspruch auf Behandlung durch e<strong>in</strong>en bestimmten Arzt (OLG Köln,<br />

MedR 2009, 478 [479]). Er kann se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>willigung aber ausdrücklich o<strong>der</strong><br />

konkludent beschränken/konkretisieren mit <strong>der</strong> Folge, u.U. nicht behandelt zu<br />

werden, weil <strong>der</strong> bestimmte Arzt nicht verfügbar ist (OLG Köln, a.a.O., ebd.).<br />

E<strong>in</strong>e konkretisierte E<strong>in</strong>willigung kann nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e allg. umgedeutet werden!<br />

Vorliegen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>willigungserklärung selbst<br />

Die E<strong>in</strong>willigungserklärung muß nach außen vernehmbar abgegeben worden<br />

se<strong>in</strong>.<br />

ke<strong>in</strong>e Sittenwidrigkeit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>willigungserklärung<br />

Maßstab <strong>der</strong> Sittenwidrigkeit ist § 226a StGB, i.d.R. verstößt <strong>der</strong> ärztliche<br />

E<strong>in</strong>griff nicht gegen die guten Sitten.<br />

Zeitpunkt <strong>der</strong> E<strong>in</strong>willigungserklärung<br />

Die E<strong>in</strong>willigungserklärung muß vor <strong>der</strong> Tat (= Operation) erteilt worden<br />

se<strong>in</strong> und zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Tat (= Operation) noch andauern. E<strong>in</strong>e nachträglich<br />

erteilte Zustimmung rechtfertigt die Operation nicht.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 65 von 180<br />

2. subjektive Voraussetzungen<br />

Der Täter (= Arzt) muß <strong>in</strong> Kenntnis <strong>der</strong> E<strong>in</strong>willigung handeln. Dies ist <strong>in</strong><br />

aller Regel <strong>der</strong> Fall. Operiert <strong>der</strong> Arzt <strong>in</strong> Unkenntnis dessen, begeht er e<strong>in</strong>e<br />

versuchte Körperverletzung.<br />

VI. mutmaßliche Prüfungskarte mutmaßliche E<strong>in</strong>willigung des Patienten<br />

E<strong>in</strong>willigung<br />

1. objektive Voraussetzungen<br />

a. Vorprüfung<br />

es liegt aus tatsächlichen Gründen (= bewußtloser Unfallpatient) ke<strong>in</strong>e ausdrückliche<br />

E<strong>in</strong>willigung vor.<br />

es liegen ke<strong>in</strong>e Anhaltspunkte vor, die den Schluß zulassen, daß <strong>der</strong> Patient<br />

gegen die Vornahme des ärztlichen E<strong>in</strong>griffs ist.<br />

b. die ausdrückliche E<strong>in</strong>willigung wäre zulässig gewesen<br />

s.o. (hypothetische Prüfung).<br />

c. die ausdrückliche E<strong>in</strong>willigung wäre wirksam gewesen<br />

s.o. (hypothetische Prüfung).<br />

c. Annahme e<strong>in</strong>er mutmaßlichen E<strong>in</strong>willigungserklärung<br />

Ermittlung des hypothetischen Willens anhand persönlicher Umstände<br />

Der Arzt muß die persönlichen Umstände des Patienten nach Möglichkeit<br />

untersuchen und prüfen, welche<br />

- <strong>in</strong>dividuellen Wünsche,<br />

- Interessen,<br />

- Bedürfnisse,<br />

- Wertvorstellungen,<br />

- religiöse Überzeugungen<br />

<strong>der</strong> Patient hat, die Rückschlüsse auf die hypothetische Willensbildung<br />

zulassen. Die Willensbildung geht also aus von <strong>der</strong> Umfeldanalyse des<br />

Patienten und entwickelt darauf aufbauend den mutmaßlichen Willen.<br />

Ermittlung des hypothetischen Willens anhand sonstiger Umstände<br />

Ist die Umfeldanalyse nicht möglich, dann muß gefragt werden, wie sich e<strong>in</strong><br />

durchschnittlicher, normaler Bürger <strong>in</strong> <strong>der</strong> Situation verhalten hätte.<br />

Es ist also zu fragen, was geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> <strong>in</strong> dieser Situation als normal und<br />

vernünftig angesehen wird (BGH, NJW 1988, 2311).<br />

2. subjektive Voraussetzungen<br />

Der Täter (= Arzt) muß subjektiv die Absicht haben, im S<strong>in</strong>ne des Patienten<br />

zu handeln, und zwar nach dem GoA-Pr<strong>in</strong>zip:<br />

Zustimmung des Betroffenen konnte nicht mehr rechtzeitig e<strong>in</strong>geholt<br />

werden.<br />

Tat ist objektiv im Interesse des Patienten.<br />

Arzt ist gemäß vorstehen<strong>der</strong> Prüfung überzeugt, daß E<strong>in</strong>griff dem mutmaßlichen<br />

Willen des Patienten entsprach und dieser e<strong>in</strong>gewilligt hätte.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 66 von 180<br />

Stellt sich heraus, daß <strong>der</strong> E<strong>in</strong>griff nicht dem Willen des Patienten entsprach,<br />

dann ist <strong>der</strong> Arzt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Handeln dennoch gerechtfertigt, wenn<br />

er e<strong>in</strong>e gewissenhafte Prüfung nachweisen kann.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 67 von 180<br />

VII. Überblick Übersichtskarte <strong>zur</strong> strafrechtlichen Schuld<br />

über die Schuld<br />

Zweck Die Schuld des Täters muß festgestellt werden, weil die Schwere<br />

<strong>der</strong> Schuld das Strafmaß bestimmt: „ohne Schuld ke<strong>in</strong>e Strafe“.<br />

Anknüpfungspunkt <br />

Schuldfähigkeit <br />

E<strong>in</strong>schränkung <br />

Schuldausschließung <br />

Strafaufhebungsgründe<br />

Anknüpfung für die Schuld ist immer die E<strong>in</strong>zeltat und nicht<br />

die Eigenschaften <strong>der</strong> Täterpersönlichkeit o<strong>der</strong> die Art und Weise<br />

<strong>der</strong> Lebensführung des Täters.<br />

Gegenstand des Schuldvorwurfs ist die fehlerhafte E<strong>in</strong>stellung<br />

des Täters <strong>zur</strong> Rechtsordnung, die dar<strong>in</strong> besteht, daß er sich<br />

nicht zu e<strong>in</strong>em rechtmäßigen Handeln hat motivieren lassen,<br />

obwohl er sich für das Recht hätte entscheiden können (sog.<br />

An<strong>der</strong>shandeln-können“). Schuld impliziert Willensfreiheit.<br />

Schuld ist die Vorwerfbarkeit <strong>der</strong> Tat im H<strong>in</strong>blick auf die ihr<br />

zugrunde liegende, dem Recht wi<strong>der</strong>sprechende Haltung des Täters,<br />

die auf e<strong>in</strong>er fehlerhaften Willensbildung des Täters beruht<br />

(= die fehlerhafte Willensbildung ist also bewertet).<br />

Sie bezeichnet das M<strong>in</strong>destmaß an Selbstbestimmung, das vom<br />

Gesetz für die strafrechtliche Verantwortlichkeit verlangt wird.<br />

Wichtig ist hier § 19 StGB. Danach gilt:<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d schuldunfähig.<br />

Jugendliche von 14-18 Jahre s<strong>in</strong>d nach § 1 II JGG nicht automatisch<br />

schuldfähig. Diese muß nach § 3 JGG ausdrücklich<br />

festgestellt werden.<br />

für Heranwachsende von 18-21 Jahre gilt nach § 105 JGG dasselbe,<br />

denn er verweist auf § 3 JGG,<br />

Erwachsene s<strong>in</strong>d grundsätzlich schuldfähig.<br />

Nach §§ 20, 21 StGB ist die Schuldfähigkeit auf zweierlei Art<br />

e<strong>in</strong>geschränkt:<br />

durch mangelnde Fähigkeit <strong>zur</strong> Unrechtse<strong>in</strong>sicht (= <strong>in</strong>tellektueller<br />

o<strong>der</strong> biologischer Defekt [= Schwachs<strong>in</strong>n, Bewußtse<strong>in</strong>sstörung,<br />

seelische Störung] nach §§ 20, 21 StGB),<br />

durch den Ausschluß <strong>der</strong> Steuerungsfähigkeit (= übermäßiger<br />

Alkoholkonsum),<br />

Damit s<strong>in</strong>d die Entschuldigungsgründe geme<strong>in</strong>t. Zu nennen s<strong>in</strong>d<br />

§ 33 StGB, § 35 StGB, <strong>der</strong> sog. übergesetzliche Notstand und <strong>der</strong><br />

Verbotsirrtum.<br />

Daneben gibt es noch die Strafaufhebungsgründe. Sie beseitigen<br />

e<strong>in</strong>e bereits e<strong>in</strong>getretene Strafbarkeit rückwirkend, wie etwa <strong>der</strong><br />

Rücktritt vom Versuch nach § 24 StGB.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 68 von 180<br />

Situation:<br />

Sachverhalt: Strafbarkeiten im Behandlungsumfeld<br />

Die Krankenschwester K. geht am Ende ihrer Nachtschicht nach Hause, obwohl<br />

e<strong>in</strong> Patient kurz zuvor den Notruf betätigt hat.<br />

A. Geme<strong>in</strong>ge- Geme<strong>in</strong>gefährliche Straftaten<br />

fährliche<br />

Straftaten<br />

Im <strong>Pflege</strong>alltag stellt sich schnell die Frage, <strong>in</strong>wieweit das <strong>Pflege</strong>personal<br />

wegen unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323 c StGB strafrechtlich <strong>zur</strong><br />

Verantwortung gezogen werden kann, etwa wenn e<strong>in</strong>em auf <strong>der</strong> Station verunglückten<br />

Patient aus diversen Gründen nicht (rechtzeitig) geholfen wird<br />

(z.B. wegen Bestehens persönlicher Animositäten).<br />

Die unterlassene Hilfeleistung gehört nach <strong>der</strong> Legaldef<strong>in</strong>ition des Gesetzgebers übrigens zu den<br />

geme<strong>in</strong>gefährlichen Straftaten.<br />

I. Unterlassene Prüfungskarte Unterlassene Hilfeleistung<br />

Hilfeleistung<br />

1. Tatbestand<br />

a. objektiver Tatbestand<br />

Der objektive Tatbestand <strong>der</strong> unterlassenen Hilfeleistung setzt voraus, daß <strong>der</strong> Täter bei<br />

Unglücksfällen o<strong>der</strong> geme<strong>in</strong>er Gefahr o<strong>der</strong> Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erfor<strong>der</strong>lich<br />

und ihm den Umständen nach auch zumutbar war.<br />

aa. Unglücksfall<br />

Def.: Unglücksfall ist jedes plötzlich e<strong>in</strong>tretende Ereignis, das erhebliche Personen-<br />

o<strong>der</strong> Sachschäden anrichtet o<strong>der</strong> an<strong>zur</strong>ichten droht.<br />

(Dazu zählt e<strong>in</strong> vom Gefährdeten selbst verursachter Unglücksfall, wenn dieser<br />

nicht absichtlich herbeigeführt wurde [= Patient stürzt aus Unachtsamkeit]).<br />

bb. Unterlassen <strong>der</strong> möglichen Hilfeleistung<br />

cc. Erfor<strong>der</strong>lichkeit und Zumutbarkeit <strong>der</strong> möglichen hilfe<br />

Die vom Täter unterlaß. Hilfe muß erfor<strong>der</strong>lich und diesem zumutbar gewesen se<strong>in</strong>.<br />

Def.: Die Hilfe ist erfor<strong>der</strong>lich, wenn <strong>der</strong> Betroffene sich nicht selbst helfen kann<br />

und an<strong>der</strong>weitig ist ke<strong>in</strong>e ausreichende Hilfe verfügbar.<br />

Def.: Die Hilfe ist zumutbar, wenn sie nach allgeme<strong>in</strong>en sittlichen Maßstäben aufgebürdet<br />

werden kann, ohne daß sich <strong>der</strong> Täter dabei e<strong>in</strong>er erheblichen Eigengefahr<br />

aussetzt.<br />

a. subjektiver Tatbestand<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

3. Schuld


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 69 von 180<br />

II. E<strong>in</strong>zelfragen<br />

<strong>zur</strong> unterlasse- Ausgewählte E<strong>in</strong>zelfragen <strong>zur</strong> unterlassenen Hilfeleistung<br />

nen Hilfelei-<br />

stung<br />

1. objektiver Tatbestand<br />

a. Unglücksfall<br />

E<strong>in</strong>e schwere Krankheit ist ke<strong>in</strong> Unglücksfall. Der Nichtbesuch e<strong>in</strong>es<br />

Schwerkranken ist für den Arzt und das Krankenpflegepersonal<br />

jedenfalls dann ke<strong>in</strong>e unterlassene Hilfeleistung, wenn nicht gerade<br />

e<strong>in</strong> akuter Notfall vorliegt (Bsp.: Schwerkranker Patient stirbt ohne<br />

Vorwarnung nach Visite. -> Ke<strong>in</strong> § 323 c StGB für den Arzt).<br />

Aber: die plötzliche Wendung e<strong>in</strong>er Krankheit sehr wohl e<strong>in</strong>en<br />

Unglücksfall darstellt, <strong>der</strong> die Pflicht <strong>zur</strong> sofortigen Operation begründet.<br />

Als plötzliche Wendung gilt:<br />

schwere, andauernde Atemnot (OLG D'dorf, NJW 1995, 799),<br />

sich steigernde und nahezu unerträglich gewordene Schmerzen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Bauchhöhle (OLG Hamm, NJW 1975, 605),<br />

schlimme Atembeschwerden und Schmerzen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Brust.<br />

b. Abgrenzung Tun / Unterlassen<br />

Zur Abgrenzung fragt man immer, wo <strong>der</strong> Schwerpunkt des strafrechtlich<br />

relevanten Verhaltens liegt: auf dem Tun o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Nichtvornahme.<br />

Bsp.: Abschalten Herz-Lungen-Masch<strong>in</strong>e ist Unterlassen <strong>der</strong> Weiterbehandlung.<br />

c. Zumutbarkeit und Erfor<strong>der</strong>lichkeit <strong>der</strong> Hilfe<br />

Bei <strong>der</strong> Ermittlung <strong>der</strong> Erfor<strong>der</strong>lichkeit kommt es darauf an, ob die<br />

Krankenschwester nach dem vorausschauenden Urteil e<strong>in</strong>es objektiven<br />

Beobachters e<strong>in</strong>e Chance <strong>zur</strong> Abwehr <strong>der</strong> Gefahr vertan hat.<br />

Voraussetzung für jede Hilfspflicht ist, daß die Möglichkeit <strong>zur</strong> Hilfe<br />

besteht und auch e<strong>in</strong>e gewisse räumliche Nähe zum Unglücksfall<br />

gegeben ist.<br />

Beachte: § 323 c StGB schafft ke<strong>in</strong>e absolute Son<strong>der</strong>pflicht für das<br />

<strong>Pflege</strong>personal <strong>zur</strong> Hilfeleistung. Jedoch s<strong>in</strong>d sie am ehesten <strong>zur</strong><br />

Hilfeleistung geeignet und verpflichtet.<br />

In beson<strong>der</strong>en E<strong>in</strong>zelfällen kann die Hilfeleistung dann unzumutbar<br />

se<strong>in</strong>, wenn es sich bei dem Betroffenen um e<strong>in</strong>en Aids-Infizierten<br />

handelt und e<strong>in</strong> akutes Infektionsrisiko mit direkter Lebensgefahr<br />

für den Hilfeleistenden bestünde.<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

Entfallen <strong>der</strong> Rechtswidrigkeit<br />

Der durch den Unglücksfall Betroffene verzichtet auf Hilfe und er<br />

bef<strong>in</strong>det sich nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er psychischen Ausnahmeverfassung von<br />

Krankheitswert.<br />

Hier spielt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten e<strong>in</strong>e maßgebliche<br />

Rolle. Es ist - an<strong>der</strong>s als <strong>der</strong> Wille <strong>zur</strong> Selbsttötung - stets zu achten.<br />

Bleibt <strong>der</strong> Arzt o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Krankenschwester gegenüber e<strong>in</strong>em Behandlungsunwilligen<br />

untätig, dann liegt ke<strong>in</strong>e rechtswidrige Tat i.S.d. § 323 c StGB vor.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 70 von 180<br />

B. Straftaten Straftaten gegen das menschliche Leben<br />

gegen das Leben<br />

I. E<strong>in</strong>leitung Im <strong>Pflege</strong>bereich s<strong>in</strong>d aus dem Bereich <strong>der</strong> vorsätzlichen Straftaten unmittelbar<br />

gegen das menschliche Leben hauptsächlich die Aussetzung (§ 221 StGB), <strong>der</strong><br />

Mord (§ 211 StGB), <strong>der</strong> Totschlag (§ 212 StGB), <strong>der</strong> Schwangerschaftsabbruch<br />

(§§ 218 ff. StGB) und die Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) e<strong>in</strong>schlägig.<br />

Im Fahrlässigkeitsbereich dom<strong>in</strong>iert die fahrlässige Tötung (§ 222 StGB), die<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> ärztlichen Behandlungspraxis mit weitem Abstand an <strong>der</strong><br />

Spitze steht.<br />

1. Grundlagen<br />

und<br />

Grenzen<br />

des strafrechtlichenLebensschutzes<br />

2. Schutzrichtung<br />

3. Todeszeitpunkt<br />

und Symptome<br />

Rechtstechnisch gesehen verwandelt sich mit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Geburt<br />

die Leibesfrucht zum Menschen und untersteht dem absoluten<br />

Lebensschutz (<strong>in</strong> Abgrenzung vom allgeme<strong>in</strong>en Rechtsschutz,<br />

den bereits <strong>der</strong> Fötus genießt).<br />

Der strafrechtliche Lebensschutz verbietet jegliche Differenzierung<br />

und Bewertung menschlichen Lebens nach qualitativen<br />

o<strong>der</strong> quantitativen Kriterien. Es kommt daher nicht auf die Lebensfähigkeit<br />

o<strong>der</strong> den Lebenswert an.<br />

Frühgeburten, mißgebildete K<strong>in</strong><strong>der</strong> und sogar hirnlose K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d<br />

ebenso Menschen i.S.d. Strafrechts und damit strafrechtlichem<br />

Schutz zugänglich wie todkranke o<strong>der</strong> schwer hirngeschädigte<br />

Unfallopfer, die nur noch mit Hilfe <strong>der</strong> sog. Apparatemediz<strong>in</strong> am<br />

Leben erhalten werden.<br />

Strafrechtlich relevantes Verhalten muß sich immer gegen den lebenden<br />

Menschen richten, so daß aktive Handlungen nach dessen<br />

Tod ke<strong>in</strong>en Tötungstatbestand mehr erfüllen können.<br />

Jede <strong>zur</strong>echenbare Verursachung des Todes erfüllt die Tathandlung<br />

des Tötens, so daß auch Sterbende durch die Beschleunigung<br />

des Sterbevorganges getötet werden können.<br />

Nach herrschen<strong>der</strong> Auffassung von Mediz<strong>in</strong>ern und Juristen fixiert<br />

<strong>der</strong> Todeszeitpunkt auf den Funktionsausfall des Gesamthirns,<br />

d.h. des Großhirns und Stammhirns (vgl. dazu: Heun, JZ 1996,<br />

213 ff.).<br />

Symptome für e<strong>in</strong>e Hirntod-Diagnose (nach e<strong>in</strong>er Zusammenstellung<br />

<strong>der</strong> Bundesärztekammer):<br />

Bewußtlosigkeit,<br />

reaktionslose Pupillenerweiterung,<br />

Fehlen von Schmerzreizreaktionen und bestimmter Reflexe,<br />

Ausfall <strong>der</strong> Spontanatmung und bei weiterer kl<strong>in</strong>ischer Beobachtung<br />

ersatzweise Feststellung <strong>der</strong> Null<strong>in</strong>ie im Elektroenzephalogramm<br />

und/o<strong>der</strong> des Kreislaufstillstands im Hirn.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 71 von 180<br />

II. Die fahrlässige<br />

Tötung<br />

1. Rechtsgutsschutz<br />

2. Prozessuale<br />

Probleme<br />

bei den<br />

Sorgfaltsanfor<strong>der</strong>ungen<br />

1. Tatbestand<br />

a. Erfolgse<strong>in</strong>tritt<br />

Die Fahrlässige Tötung<br />

Rechtsgut und Gegenstand <strong>der</strong> Tat ist <strong>der</strong> lebende Mensch und damit<br />

auch e<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>toter Patient sowie e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> o<strong>der</strong> gleich nach <strong>der</strong> Geburt<br />

(m<strong>in</strong>destens muß <strong>der</strong> Geburtsvorgang e<strong>in</strong>gesetzt haben).<br />

Fahrlässig handelt, wer trotz Voraussehbarkeit e<strong>in</strong>er Rechtsverletzung<br />

e<strong>in</strong>en gesetzlichen Straftatbestand <strong>in</strong> pflichtwidriger Weise verwirklicht.<br />

In <strong>der</strong> Rechtsliteratur ist - zutreffend - immer wie<strong>der</strong> angemahnt worden, daß die Sorgfaltsanfor<strong>der</strong>ungen<br />

an den Arzt und das <strong>Pflege</strong>personal von Strafgerichten nicht überspannt werden<br />

dürfen.<br />

Begründet wird dies damit, daß Gerichte und Sachverständige Anfor<strong>der</strong>ungen an die Sorgfalt<br />

stellen, die häufig unbesehen <strong>der</strong> tatsächlichen Möglichkeiten normaler Krankenhäuser an<br />

den überdurchschnittlichen Standards von Spezialkl<strong>in</strong>iken festgemacht werden, wobei unberücksichtigt<br />

bleibt, daß <strong>der</strong>en optimaler Standard von solchen herkömmlichen Krankenhäusern<br />

nur selten erreicht werden kann, so daß "lediglich" <strong>der</strong> reguläre, aber mediz<strong>in</strong>isch völlig<br />

ausreichende Standard (auch <strong>in</strong> organisatorischer und personeller H<strong>in</strong>sicht) erreicht wird.<br />

Urteile gründen meist auf solchen "Idealausstattungen", die an <strong>der</strong> Realität <strong>der</strong> meisten Häuser<br />

vorbeigehen (Vgl. dazu: Ulsenheimer, S. 30 f.).<br />

Prüfungskarte fahrlässige Tötung<br />

Ursache des Todes des Patienten ist die kausale Handlung des Täters (Arzt/<strong>Pflege</strong>r).<br />

Der Patient ist Bluter o<strong>der</strong> er hat e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>s dünne Schädeldecke,<br />

E<strong>in</strong>tritt e<strong>in</strong>er Epidemie <strong>in</strong> dem Krankenhaus, <strong>in</strong> das <strong>der</strong> Verletzte e<strong>in</strong>geliefert wurde.<br />

b. Kausalität zwischen Täterverhalten und Tatbestandserfolg<br />

c. objektive Sorgfaltspflichtverletzung<br />

Die Sorgfaltspflichten ergeben sich für den Arzt und die Krankenschwester aus <strong>der</strong> Gesamtheit<br />

<strong>der</strong> beruflichen Ausbildung, woraus im e<strong>in</strong>zelnen beson<strong>der</strong>e Verhaltenspflichten<br />

folgen. E<strong>in</strong> Verstoß gegen Sorgfaltspflichten liegt <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e vor, wenn<br />

<strong>der</strong> Arzt e<strong>in</strong>en Behandlungsfehler begeht, dessen (Geschehens-)ablauf vorhersehbar<br />

war, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e wenn<br />

<strong>der</strong> Arzt entgegen anerkannter Regeln <strong>der</strong> ärztlichen Kunst operiert, weil er Anhänger<br />

an<strong>der</strong>er Heilverfahren ist,<br />

<strong>der</strong> Arzt E<strong>in</strong>griffe ohne vorherige Diagnose vornimmt,<br />

die Krankenschwester nicht über die im Beruf erfor<strong>der</strong>lichen M<strong>in</strong>destkenntnisse verfügt<br />

und <strong>in</strong>folgedessen Fehler <strong>in</strong> <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en <strong>Pflege</strong> begeht<br />

und <strong>in</strong> diesen Fällen <strong>der</strong> Patient zu Tode kommt.<br />

d. Pflichtwidrigkeitszusammenhang<br />

Der tatbestandliche Erfolg, also <strong>der</strong> Tod des Patienten muß gerade auf dem pflichtwidrigen<br />

Verhalten <strong>der</strong> Krankenschwester o<strong>der</strong> des Arztes beruhen.<br />

e. Schutzzweckzusammenhang<br />

§ 222 StGB will von se<strong>in</strong>er Schutzrichtung gerade den e<strong>in</strong>getretenen Erfolg verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />

2. Rechtswidrigkeit und Schuld


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 72 von 180<br />

III. Das Verlassen<br />

<strong>in</strong> hilfloser<br />

Lage<br />

1. Schutzrichtung<br />

2. Krankheitsbegriff<br />

des § 221<br />

StGB<br />

1. Tatbestand<br />

Das Verlassen <strong>in</strong> hilfsloser Lage (Aussetzung)<br />

Die Vorschrift des § 221 StGB schützt vor <strong>der</strong> Gefährdung<br />

hilfloser Personen an Leib und Leben dadurch, daß sich das<br />

<strong>Pflege</strong>personal unerlaubt von den Patienten entfernt, etwa <strong>in</strong>dem<br />

es die Station verlässt.<br />

Hilflos ist je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> <strong>zur</strong> Tatzeit verschuldet o<strong>der</strong> unverschuldet<br />

außerstande ist, sich ohne Hilfe an<strong>der</strong>er gegen e<strong>in</strong>e se<strong>in</strong> Leben<br />

o<strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Gesundheit bedrohende Gefahr zu wehren.<br />

Die Hilflosigkeit bezieht sich daher auf unterschiedliche Ursachen<br />

wie Jugendlichkeit (Neugeborene o<strong>der</strong> Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>),<br />

Gebrechlichkeit (alte Menschen) o<strong>der</strong> auch Krankheit.<br />

Krankheit wird nicht im engen mediz<strong>in</strong>ischen S<strong>in</strong>ne als pathologischer<br />

Zustand verstanden. Auch die schwere Angetrunkenheit<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zustand während <strong>der</strong> Geburt fallen darunter.<br />

Die bloße Schwangerschaft an sich kann nicht als hilflose Lage<br />

verstanden werden, weil die Schwangere durchaus <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage<br />

ist, sich gegen Angriffe auf ihr Leben o<strong>der</strong> ihre Gesundheit zu<br />

wehren. Das än<strong>der</strong>t sich erst mit dem Geburtsvorgang selbst.<br />

Prüfungskarte Verlassen <strong>in</strong> hilfloser Lage<br />

a. objektiver Tatbestand<br />

Tatobjekt ist <strong>der</strong> Patient, <strong>der</strong> sich nicht alle<strong>in</strong>e helfen o<strong>der</strong> selbst schützen kann. Es<br />

kommt nicht darauf an, ob die Hilflosigkeit verschuldet o<strong>der</strong> unverschuldet ist. Fast immer<br />

s<strong>in</strong>d Patienten hilflos i.s.d. Vorschrift des § 221 StGB.<br />

Täter des § 221 StGB kann nur se<strong>in</strong>, wer obhutspflichtig ist o<strong>der</strong> sonstwie für die Unterbr<strong>in</strong>gung<br />

o<strong>der</strong> Aufnahme des Hilfsbedürftigen (= Patienten) zu sorgen hat (Garantenpflicht).<br />

Entscheidend ist, daß <strong>der</strong> Täter e<strong>in</strong>e Garantenstellung <strong>in</strong>ne hat. Damit ist auch das<br />

<strong>Pflege</strong>personal Täter des § 221 I 1.Alt. StGB.<br />

Tathandlung ist das Verlassen des Patienten <strong>in</strong> hilfloser Lage. Charakteristisch ist, daß<br />

<strong>der</strong> Aufenthalt des Patienten unverän<strong>der</strong>t bleibt, stattdessen sich jedoch <strong>der</strong> Täter entfernt<br />

und dadurch die räumliche Nähe zum Patienten aufhebt.<br />

Taterfolg ist, daß <strong>der</strong> Patient <strong>in</strong>folge des Verlassens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e vorher nicht vorhandene konkrete<br />

Gefahr gebracht worden ist. E<strong>in</strong>e solche Gefahr besteht dann, wenn es nur vom Zufall<br />

abhängt, ob <strong>der</strong> Patient gerettet wird o<strong>der</strong> nicht.<br />

Dies ist auch dann <strong>der</strong> Fall, wenn sich die hilflose Person ohneh<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er latenten Gefahrenlage<br />

bef<strong>in</strong>det und ihr durch die Abwesenheit des Betreuenden Rettungschancen<br />

entzogen o<strong>der</strong> verr<strong>in</strong>gert werden (OLG Zweibrücken, NStZ 1997, 601 [602]).<br />

b. subjektiver Tatbestand<br />

Zum Vorsatz reicht dolus eventualis aus:<br />

Es genügt, daß die <strong>Pflege</strong>person e<strong>in</strong>e Verschlechterung des Gesundheitszustandes und die<br />

Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung von Rettungschancen für den Fall ihrer Abwesenheit für möglich hält und<br />

diese Folgen billigend <strong>in</strong> Kauf nimmt.<br />

2. Rechtswidrigkeit und Schuld


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IV. Der<br />

Schwangerschaftsabbruch<br />

Abgrenzung<br />

zwischen §<br />

221 und §<br />

323c StGB<br />

1. Entstehungsgeschichte<br />

2. Grundsatzentscheidung<br />

BVerfG<br />

3. Zeitweise<br />

doppelte<br />

Regelung<br />

Die Rechtswidrigkeit entfällt nicht etwa dadurch, daß z.B. e<strong>in</strong> Angehöriger des Patienten<br />

während <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> unerlaubten Abwesenheit des <strong>Pflege</strong>personals vom Patienten auf<br />

diesen aufpasst. Entscheidend ist, daß <strong>der</strong> Täter durch das Verlassen des Patienten se<strong>in</strong>e<br />

Garantenpflicht verletzt hat und dadurch e<strong>in</strong> erhöhtes Risiko herbeigeführt hat.<br />

Das Verlassen Hilfloser liegt tatbestandlich nicht schon vor, wenn<br />

die Krankenschwester den Patienten, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> ihrer Obhut bef<strong>in</strong>det,<br />

vernachlässigt. Dann greift § 323 c StGB. Erst wenn die Vernachlässigung<br />

e<strong>in</strong> Verlassen ist, ist § 221 I 2. Alt. StGB erfüllt.<br />

Der Schwangerschaftsabbruch<br />

Das geltende Recht zum Schwangerschaftsabbruch beruht auf<br />

Art. 14 SFHG (Schwangeren- und Familienhilfegesetz vom<br />

27.7.1992, BGBl. I S. 1398) <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fassung des 8. SFHÄndG<br />

(Schwangeren- und Familienhilfeän<strong>der</strong>ungsgesetz vom 21.8.1995,<br />

BGBl. I, S. 1050).<br />

Mit den gesetzlichen Neuregelungen <strong>in</strong> den Jahren 1992 und 1995<br />

wurde das vorläufige Ende e<strong>in</strong>er leidenschaftlichen, mehr als zwei<br />

Jahrzehnte währenden Diskussion erreicht, die zu e<strong>in</strong>er Fülle juristischer,<br />

politischer, philosophischer, theologischer und mediz<strong>in</strong>isch-ethischer<br />

Beiträge über dieses (Endlos-)thema geführt hatte.<br />

Den Ausgangspunkt bildete die Grundsatzentscheidung des<br />

BVerfG im Bd. 39, S. 1 ff.<br />

Danach ist das werdende Leben als selbständiges, höchstpersönliches<br />

Rechtsgut durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG<br />

verfassungsrechtlich anerkannt und geschützt, mit <strong>der</strong> Folge,<br />

daß <strong>der</strong> Staat verpflichtet ist, das Lebensrecht des Embryos<br />

nach <strong>der</strong> Nidation bis zum Ende <strong>der</strong> Schwangerschaft effektiv,<br />

d.h. notfalls auch mit Hilfe strafrechtlicher Sanktionen, gegenüber<br />

je<strong>der</strong>mann, also auch gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht<br />

<strong>der</strong> Mutter, zu schützen.<br />

Aus diesem Grunde verwarf das BVerfG zunächst auch die Fristenlösung<br />

(Straffreiheit <strong>der</strong> Abtreibung <strong>in</strong> den ersten drei Monaten <strong>der</strong> Schwangerschaft)<br />

als grundgesetzwidrig, zeigte aber zugleich den Weg zu e<strong>in</strong>er verfassungskonformen<br />

Lösung durch das sog. Indikationenmodell auf, das<br />

<strong>der</strong> Gesetzgeber mit dem 15. Strafrechtsän<strong>der</strong>ungsgesetz vom 18.5.11976<br />

verwirklichte.<br />

Dennoch verstummte die Diskussion um die entscheidende Frage: "Vorrang<br />

des Schutzes des ungeborenen Lebens o<strong>der</strong> weitere Liberalisierung<br />

bzw. völlige Straffreiheit <strong>der</strong> Abtreibung" nicht.<br />

Brisant wurde das Abtreibungsstrafrecht erst wie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Deutschen<br />

Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung, weil <strong>in</strong> <strong>der</strong> damaligen DDR die Fristenregelung galt<br />

und sich damit die Frage stellte, wie <strong>der</strong> Schwangerschaftsabbruch im<br />

ganzen Bundesgebiet e<strong>in</strong>heitlich geregelt werden sollte.<br />

Der E<strong>in</strong>igungsvertrag ließ diese Frage offen, verpflichtete den Gesetzgeber<br />

aber bis spätestens zum 31.12.1992 dazu, e<strong>in</strong>e Regelung zu treffen,


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 74 von 180<br />

4. Die Bedeutung<br />

des<br />

Schwangerschaftsabbruchs<br />

<strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Praxis<br />

5. WesentlicheRegelungen<br />

§§<br />

218 ff.<br />

StGB<br />

welche den Schutz des ungeborenen Lebens e<strong>in</strong>erseits und die Konfliktsituationen<br />

für Frauen an<strong>der</strong>erseits, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e das Recht auf Beratung<br />

und soziale Hilfe, zu e<strong>in</strong>em besseren Ausgleich br<strong>in</strong>gen sollte, als bislang.<br />

Dies stellt das Schwangeren- und Familienhilfegesetz (SFHG) vom<br />

27.7.1992 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fassung des 8. SFHÄndG (Schwangeren- und Familienhilfeän<strong>der</strong>ungsgesetz)<br />

vom 21.8.1995 auch sicher. Verfassungsrechtliche<br />

Bedenken gegen das nunmehr geltende Abtreibungsrecht s<strong>in</strong>d bislang<br />

nicht rechtswirksam erhoben worden. Das SFHG entspricht vor allem<br />

den vom BVerfG im 2. Fristenlösungsurteil (= BVerfGE 88, 203 ff.) gemachten<br />

Vorgaben und vollendet die durch die Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung notwendig<br />

gewordene Vere<strong>in</strong>heitlichung des Abtreibungsstrafrechts.<br />

(Zu den verfassungsrechtlichen Problemen des Abtreibungsstrafrechts<br />

siehe die Thematik: "Grundrechte" <strong>in</strong> <strong>der</strong> Staatsbürgerkunde).<br />

Die im Folgenden zu behandelnden e<strong>in</strong>schlägigen Strafvorschriften<br />

gegen den illegalen Schwangerschaftsabbruch spielen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

heutigen Justizpraxis nur e<strong>in</strong>e sehr untergeordnete Rolle.<br />

Trotz e<strong>in</strong>er geschätzten Zahl von jährlich ca. 120.000 Abtreibungen gibt<br />

es nur verschw<strong>in</strong>dend ger<strong>in</strong>ge strafrechtliche Verurteilungen: 1972:<br />

154; 1980: 30; 1985: 10; 1989: 8; 1990: 8; 1991: 3.<br />

Der strafrechtliche Schutz wird daher nicht umsonst als plakativ<br />

beschrieben (Ulsenheimer, S. 242). Die den Arzt betreffenden<br />

Strafbestimmungen <strong>der</strong> §§ 218 ff. StGB haben eher e<strong>in</strong>e Appell-<br />

und Warnfunktion als e<strong>in</strong>e praktische Bedeutung. Aus diesem<br />

Grunde ist aus Sicht <strong>der</strong> <strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege e<strong>in</strong>e<br />

Diskussion mit den zahlreichen Streitfragen und Stellungnahmen<br />

von untergeordneter Bedeutung. Sie gehört - wie bereits angesprochen<br />

- <strong>in</strong> den Bereich <strong>der</strong> Staatsbürgerkunde.<br />

Aus rechtlicher Sicht <strong>in</strong>teressanter ist <strong>der</strong> nahezu vollständige<br />

Ausschluß von mediz<strong>in</strong>ischen o<strong>der</strong> chemischen Abtreibungspraktiken<br />

<strong>in</strong> den sog. Tendenzbetrieben <strong>der</strong> Katholischen Kirche,<br />

die als e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> wenigen auf <strong>der</strong> Basis des über Art. 140 GG,<br />

137 WRV auch im staatlichen Rechtskreis geschützten und dort<br />

wirksamen <strong>in</strong>nerkirchlichen Rechts e<strong>in</strong>en effektiven und wirksamen<br />

Schutz des ungeborenen Lebens garantieren und sicherstellen,<br />

ohne dabei die Rechtsposition <strong>der</strong> Mutter zu vernachlässigen.<br />

a. Fristenlösung mit Beratungspflicht<br />

Nach § 218 a Abs. 1 StGB ist <strong>der</strong> Tatbestand des § 218 StGB<br />

nicht verwirklicht, wenn kumulativ folgende Voraussetzungen<br />

vorliegen:<br />

aa. § 218 a Abs. 1 Nr. 1 StGB<br />

Die Schwangere muß den Abbruch verlangen und dem Arzt<br />

e<strong>in</strong>e Besche<strong>in</strong>igung über e<strong>in</strong>e dem § 219 und dem Schwangerenkonfliktgesetz<br />

(SchwKG) gemäße Beratung vorlegen, die<br />

m<strong>in</strong>destens drei Tage vor dem E<strong>in</strong>griff erfolgt se<strong>in</strong> muß.<br />

(Anm.: Die Beratungsstellen müssen staatlich anerkannt se<strong>in</strong> sowie wirtschaftlich<br />

und organisatorisch von den E<strong>in</strong>richtungen getrennt se<strong>in</strong>, die die E<strong>in</strong>griffe vornehmen,<br />

§ 219 Abs. 2 Satz 3, § 9 Nr. 4 SchwKG. Die Beratung muß ergebnisoffen<br />

se<strong>in</strong>. Der Beratungssche<strong>in</strong> kann daher letztlich nicht verweigert werden).


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bb. § 218 a Abs. 1 Nr. 2 StGB<br />

Der Abbruch muß von e<strong>in</strong>em Arzt vorgenommen werden.<br />

cc. § 218 a Abs. 1 Nr. 3 StGB<br />

Seit <strong>der</strong> Empfängnis dürfen nicht mehr als 12 Wochen vergangen<br />

se<strong>in</strong>.<br />

b. Indikationen als strafrechtliche Rechtfertigungsgründe<br />

In § 218 a StGB geregelt s<strong>in</strong>d die Indikationen, welche die<br />

Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs entfallen lassen.<br />

Im e<strong>in</strong>zelnen s<strong>in</strong>d die mediz<strong>in</strong>ische und die krim<strong>in</strong>ologische<br />

Indikation neu geregelt worden.<br />

aa. § 218 a Abs. 2 StGB - mediz<strong>in</strong>isch-soziale Indikation<br />

Der § 218 a Abs. 2 StGB enthält die "mediz<strong>in</strong>isch-soziale Indikation".<br />

Erfaßt werden dadurch nur Schwangerschaftsunterbrechungen<br />

wegen für die Schwangere als unzumutbar angesehener<br />

psychischer Belastungen durch e<strong>in</strong> beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tes K<strong>in</strong>d:<br />

Die Schwangere muß <strong>in</strong> den Abbruch e<strong>in</strong>willigen. (Hier<br />

wird das Vorliegen e<strong>in</strong>er wirksamen E<strong>in</strong>willigung <strong>der</strong><br />

Schwangeren geprüft, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e muß sie <strong>der</strong> Arzt über<br />

die Maßnahme aufklären und beraten (= H<strong>in</strong>weis auf vertiefende<br />

psychosoziale Beratung). Grund: Die Abtreibung<br />

ist e<strong>in</strong>e eigene Straftat mit eigenen E<strong>in</strong>willigungsgründen:<br />

Es kann nur <strong>in</strong> § 218 Abs. 2 und 3 StGB e<strong>in</strong>gewilligt werden!<br />

E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>willigung <strong>in</strong> an<strong>der</strong>e Abtreibungsgründe ist<br />

unwirksam!).<br />

Es muß festgestellt werden, daß <strong>der</strong> Abbruch unter Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse<br />

<strong>der</strong> Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis<br />

(das heißt nicht: ärztliche Notwendigkeit !) angezeigt<br />

ist, um e<strong>in</strong>e wegen <strong>der</strong> Geburt e<strong>in</strong>es schwerbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten<br />

K<strong>in</strong>des drohenden Gefahr für den körperlichen<br />

o<strong>der</strong> seelischen Gesundheitszustand <strong>der</strong> Schwangeren o<strong>der</strong><br />

um e<strong>in</strong>e Gefahr für ihr Leben abzuwenden und die Gefahr<br />

nicht auf an<strong>der</strong>e für die Schwangere zumutbare Weise<br />

abgewendet werden kann.<br />

Auch bei e<strong>in</strong>er Spätabtreibung (20. Woche) muss <strong>der</strong> Arzt<br />

die Schwangere über ihren Anspruch auf weitere, vertiefende<br />

Beratung h<strong>in</strong>weisen und ggf. e<strong>in</strong>en Kontakt zu e<strong>in</strong>er<br />

solchen Beratungsstelle herstellen.<br />

Wenn die Bee<strong>in</strong>trächtigung des seelischen Gesundheitszustandes<br />

<strong>der</strong> Mutter durch die Geburt des schwerbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten<br />

K<strong>in</strong>des so groß ist, dass sie ihre Konstitution überfor<strong>der</strong>n,<br />

tritt das Lebensrecht des Ungeborenen <strong>zur</strong>ück.<br />

Zwischen <strong>der</strong> Beratung und dem Abbruch müssen drei<br />

Tage Abstand zwischen liegen.<br />

Erst dann kann <strong>der</strong> Abbruch durch e<strong>in</strong>en Arzt vorgenommen<br />

werden (aber an<strong>der</strong>er als <strong>der</strong>, <strong>der</strong> die Indikation<br />

ausgestellt hat). Dies kann bis zum Geburtsbeg<strong>in</strong>n se<strong>in</strong>.<br />

bb. § 218 a Abs. 1 Nr. 2 StGB - krim<strong>in</strong>ologische Indikation<br />

Es dürfen noch nicht mehr als 12 Wochen Schwangerschaft<br />

vergangen se<strong>in</strong>.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 76 von 180<br />

6. E<strong>in</strong>zelprobleme<br />

bei den §§<br />

218 ff.<br />

StGB<br />

Die Schwangere muß <strong>in</strong> den vom Arzt durchgeführten<br />

E<strong>in</strong>griff e<strong>in</strong>willigen (Zur E<strong>in</strong>willigung siehe oben).<br />

nach ärztlicher Erkenntnis (auch hier: nicht ärztliche Notwendigkeit<br />

!) ist an <strong>der</strong> Schwangeren e<strong>in</strong>e Straftat i.S.d.<br />

§§ 176-179 (= sexueller Mißbrauch, Vergewaltigung, sexuelle<br />

Nötigung, sexueller Mißbrauch Wi<strong>der</strong>standsunfähiger)<br />

begangen worden und es bestehen dr<strong>in</strong>gende Gründe,<br />

daß die Schwangerschaft auf dieser Tat beruht.<br />

Der Abbruch muß durch e<strong>in</strong>en Arzt vorgenommen werden<br />

(aber an<strong>der</strong>er als <strong>der</strong>, <strong>der</strong> die Indikation ausgestellt hat).<br />

Es besteht bei § 218 a Abs. 3 StGB ke<strong>in</strong>e Beratungspflicht.<br />

c. Flankierende Maßnahmen<br />

Ebenso gibt es noch weitere Delikte, die jedoch gegen über § 218 StGB<br />

subsidiär s<strong>in</strong>d:<br />

Der § 218 b StGB schützt darüber h<strong>in</strong>aus die ordnungsgemäße Feststellung<br />

<strong>der</strong> rechtfertigenden Indikationen. Danach darf e<strong>in</strong> Arzt den<br />

Schwangerschaftsabbruch nur dann vornehmen, wenn er sich vergewissert<br />

hat, daß die schriftliche Feststellung über das Vorliegen e<strong>in</strong>er<br />

Indikation (mediz<strong>in</strong>isch/krim<strong>in</strong>ologisch) vorgelegen hat.<br />

Zu erwähnen ist auch noch § 218 c StGB, <strong>der</strong> e<strong>in</strong> Bündel ärztlicher<br />

Pflichtverletzungen beim Schwangerschaftsabbruch<br />

selbst erfaßt. So wird hierüber die ärztlichen Verstöße gegen Darlegungs-,<br />

Beratungs- und Vergewisserungspflichten im Rahmen<br />

des Beratungskonzepts poenalisiert.<br />

§ 219 a StGB verbietet das Werben für Schwangerschaftsabbrüche<br />

(öffentlich o<strong>der</strong> auf Versammlung o<strong>der</strong> durch Aushänge).<br />

Erfaßt werden durch die Vorschrift aber auch Werbemaßnahmen<br />

für Präparate, die e<strong>in</strong>e Abtreibung ermöglichen (Pille RU 486).<br />

§ 219 b StGB setzt das Inverkehrbr<strong>in</strong>gen von Abtreibungsmitteln<br />

unter Strafe, soweit dadurch e<strong>in</strong> Schwangerschaftsabbruch<br />

nach § 218 StGB geför<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> erleichtert werden soll (Medikamentenhersteller<br />

s<strong>in</strong>d ausgenommen, wenn sie das allgeme<strong>in</strong>e<br />

Zulassungsverfahren e<strong>in</strong>halten).<br />

a. Abgrenzung zu den Tötungsdelikten<br />

Die rechtliche Bedeutung des Beg<strong>in</strong>ns <strong>der</strong> Geburt für die<br />

Krankenpflege<br />

Nach <strong>der</strong> gesetzlichen Regelung <strong>der</strong> §§ 218 ff. StGB ist e<strong>in</strong>e Tötung nach Beg<strong>in</strong>n<br />

<strong>der</strong> Geburt ke<strong>in</strong> Schwangerschaftsabbruch mehr, son<strong>der</strong>n die Tötung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des,<br />

also e<strong>in</strong>es Menschen. Mit dem Zeitpunkt <strong>der</strong> Geburt wird demzufolge e<strong>in</strong>e<br />

neue strafrechtliche Verantwortlichkeit markiert. Es ist jedoch zu beachten :<br />

nach § 8 StGB ist für die Begehung e<strong>in</strong>er Tat <strong>der</strong> Handlungszeitpunkt<br />

entscheidend und nicht <strong>der</strong> Zeitpunkt des Erfolgse<strong>in</strong>tritts. Ob e<strong>in</strong>e Tat<br />

Schwangerschaftsabbruch ist o<strong>der</strong> Tötung hängt davon ab, welche<br />

Rechtsqualität das Tatobjekt zum Zeitpunkt hat, <strong>in</strong> dem sich die Handlung<br />

auszuwirken beg<strong>in</strong>nt. Kommt das vorzeitig geborene Embryo<br />

unmittelbar nach <strong>der</strong> Geburt durch die E<strong>in</strong>wirkung selbst zu Tode,<br />

die vorgenommen wurde, als es noch e<strong>in</strong>e Leibesfrucht war (=<br />

ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>setzen von Wehen), liegt e<strong>in</strong> Schwangerschaftsabbruch<br />

vor. Wird allerd<strong>in</strong>gs noch e<strong>in</strong>e weitere Handlung durch den Täter vorgenommen,<br />

durch die <strong>der</strong> Tod des Geborenen während o<strong>der</strong> nach <strong>der</strong><br />

Geburt e<strong>in</strong>tritt, liegt Tötung nach § 212 StGB vor.<br />

bei fahrlässiger Verletzung <strong>der</strong> Berufspflichten durch das Krankenpflegepersonal<br />

im o<strong>der</strong> nach dem Geburtsvorgang kommen daher die<br />

fahrlässige Körperverletzung (§ 230 StGB) o<strong>der</strong> die fahrlässige Tötung<br />

(§ 222 StGB) als Delikte <strong>in</strong> Betracht, nicht aber die Abtreibung.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 77 von 180<br />

b. Der Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Geburt<br />

Der Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Geburt ist von <strong>der</strong> Rechtsprechung <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Wissenschaft festgelegt als <strong>der</strong> Zeitpunkt des E<strong>in</strong>setzens <strong>der</strong> Eröffnungswehen.<br />

Entscheidend ist das tatsächliche E<strong>in</strong>setzen <strong>der</strong> Geburtswehen ohne<br />

Rücksicht darauf, ob sie spontan e<strong>in</strong>treten o<strong>der</strong> künstlich hervorgerufen<br />

werden.<br />

(Der Gesetzgeber sche<strong>in</strong>t damit e<strong>in</strong>en gewissen Manipulationsspielraum<br />

<strong>in</strong> Kauf zu nehmen, beispielsweise wenn e<strong>in</strong><br />

Arzt bei e<strong>in</strong>er Schwangeren, bei <strong>der</strong> die mediz<strong>in</strong>ische Indikation<br />

vorliegt und auch sonst alle Anfor<strong>der</strong>ungen nach § 218 a<br />

Abs. 2 StGB erfüllt s<strong>in</strong>d, die Wehen herauszögert, um noch<br />

e<strong>in</strong>e straffreie Abtreibung durchführen zu können, die sich<br />

sonst als strafbarer Totschlag nach § 212 StGB darstellen<br />

würde).<br />

Problematisch ist die Bestimmung des Geburtsbeg<strong>in</strong>ns, wenn an<strong>der</strong>e Vorgängen<br />

als Wehen den Auftakt <strong>der</strong> Geburt bilden (Kaiserschnitt). Dies ist<br />

noch nicht ganz geklärt:<br />

- teils wird auf den Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> operativen ärztlichen Maßnahme<br />

abgestellt (Öffnen <strong>der</strong> Bauchdecke),<br />

- teils auf die Öffnung des Uterus,<br />

- teils auf die E<strong>in</strong>leitung <strong>der</strong> Narkose (m.w.N. bei Ulsenheimer, S.<br />

246).<br />

c. Die Tathandlungen des § 218 StGB<br />

aa. Def<strong>in</strong>ition Schwangerschaftsabbruch<br />

Abbruch <strong>der</strong> Schwangerschaft ist je<strong>der</strong> Vorgang, <strong>der</strong> zum Absterben <strong>der</strong> Leibesfrucht<br />

führt. (Beachte: Die Anwendung nidationshemmer Mittel [Spirale]<br />

ist ke<strong>in</strong>e Abtreibung, wohl aber die Anwendung fruchtabstoßen<strong>der</strong> Mittel ).<br />

bb. Vornahme <strong>der</strong> Abtreibungshandlung<br />

Die Abtreibungshandlung kann durch e<strong>in</strong>e Vornahme o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Unterlassen<br />

erfolgen, wobei dies für den Tod des Feten ursächlich se<strong>in</strong> muß.<br />

Probleme bei <strong>der</strong> Abtreibungshandlung für den Arzt<br />

Welche Maßnahmen muß e<strong>in</strong> Arzt als Garant <strong>zur</strong> Rettung <strong>der</strong> noch lebenden<br />

Leibesfrucht e<strong>in</strong>er hirntoten Mutter vornehmen ?<br />

=> Er muß dem mutmaßlichen Willen <strong>der</strong> toten Mutter folgen. Bei mutmaßlicher<br />

E<strong>in</strong>willigung muß er alles tun, um die bedrohte Leibesfrucht zu<br />

erhalten. An<strong>der</strong>erseits darf er im umgekehrten Fall ke<strong>in</strong>e Maßnahmen <strong>zur</strong><br />

Rettung des Embryos ergreifen.<br />

d. Das K<strong>in</strong>d als Schaden ?<br />

E<strong>in</strong>e weitere Fragestellung ist die, ob e<strong>in</strong> Arzt <strong>zur</strong> Zahlung von K<strong>in</strong>desunterhalt<br />

an die Eltern verpflichtet ist, wenn die Mutter e<strong>in</strong>e rechtmäßige<br />

Abtreibung (med.-soziale Indikation !) deshalb nicht hat vornehmen<br />

lassen, weil <strong>der</strong> Arzt aufgrund e<strong>in</strong>es Behandlungsfehlers<br />

nicht erkannt hat, daß das K<strong>in</strong>d mit schweren Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen <strong>zur</strong><br />

Welt kommen wird (BGH, NJW 2002, 2636 ff.).<br />

Problem: Die Frau ließ sich beim Gynäkologen behandeln, um<br />

feststellen zu lassen, ob das K<strong>in</strong>d gesund sei. Die<br />

Frau hätte die Geburt e<strong>in</strong>es beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten K<strong>in</strong>des psychisch<br />

nicht bewältigt. Der Arzt erkannte bei <strong>der</strong> Untersuchung<br />

die Schwerbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung des Fötus wegen<br />

mangeln<strong>der</strong> Sorgfalt (=Behandlungsfehler) nicht.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 78 von 180<br />

Rechtlicher<br />

Ansatz:<br />

Als Anspruchsgrundlage kommt pVV des ärztlichen<br />

Behandlungsvertrages <strong>in</strong> Betracht.<br />

Lösung: Es handelt sich um e<strong>in</strong>e vertragliche Schadenshaftung,<br />

<strong>der</strong> ärztliche Fehler lag <strong>in</strong> <strong>der</strong> unzulänglichen Untersuchung<br />

bzw. <strong>der</strong> unterlassenen Mitteilung des<br />

Untersuchungsergebnisses (= K<strong>in</strong>d beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t) an<br />

die Mutter,<br />

es deutete sich zu dem Zeitpunkt aber schon die<br />

Prognose an, dass die Mutter bei Geburt e<strong>in</strong>es<br />

schwerbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten K<strong>in</strong>des schwerwiegende<br />

Bee<strong>in</strong>trächtigungen ihres seelischen Zustandes<br />

erleiden würde (u.a. Suizidgefahr)<br />

damit lag die mediz<strong>in</strong>isch-soziale Indikation objektiv<br />

vor, ohne daß die Mutter dies wußte,<br />

die Mutter konnte wegen <strong>der</strong> Unkenntnis über das<br />

Vorliegen <strong>der</strong> Indikation nicht frei entscheiden,<br />

ob sie das schwerbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te K<strong>in</strong>d austragen wollte,<br />

die Haftung beruht also auf dem Unterlassen<br />

<strong>der</strong> Erteilung e<strong>in</strong>er notwendigen Information,<br />

über den Gesundheitszustand des K<strong>in</strong>des, die<br />

bei pflichtgemäßer Untersuchung hätte erteilt<br />

werden können (und auch müssen !),<br />

da die Eltern bei Bekannt werden <strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />

das K<strong>in</strong>d hätten abtreiben lassen (med.-soziale<br />

Indikation) lag e<strong>in</strong> Unterhaltsschaden vor,<br />

d.h. daß nicht das K<strong>in</strong>d selbst, son<strong>der</strong>n se<strong>in</strong> Unterhaltsbedarf<br />

<strong>der</strong> Schaden ist,<br />

zu ersetzen ist <strong>der</strong> Aufwand an Unterhalt, den<br />

die Eltern wegen des K<strong>in</strong>des haben,<br />

die Schadenshöhe umfasst den normalen Regelunterhalt<br />

für das K<strong>in</strong>d, <strong>der</strong> vom Arzt zu ersetzen<br />

ist,<br />

wichtig: Bei Feststellung e<strong>in</strong>er Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung ist<br />

e<strong>in</strong> Arzt nach Auffassung des BGH nicht verpflichtet,<br />

die Patient<strong>in</strong> auf die Möglichkeit e<strong>in</strong>er<br />

Abtreibung h<strong>in</strong>zuweisen (Spickhoff, NJW<br />

2003, 1701 [1706]).<br />

H<strong>in</strong>weis: Bei <strong>der</strong> Entscheidung des BGH g<strong>in</strong>g es nicht um<br />

die Frage, ob <strong>der</strong> Arzt haften muß, weil er wegen<br />

<strong>der</strong> mangelhaften Untersuchung e<strong>in</strong>e höchstwahrsche<strong>in</strong>lich<br />

von <strong>der</strong> Schwangeren veranlasste Abtreibung<br />

vereitelt hat.<br />

Unterhaltsproblematik:<br />

Der BGH hat <strong>in</strong> dem Urteil überdies festgestellt,<br />

daß <strong>der</strong> ärztliche Behandlungsvertrag wegen <strong>der</strong><br />

Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> Behandlung (Untersuchung auf<br />

Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung des K<strong>in</strong>des) von se<strong>in</strong>em Schutzumfang<br />

auch Unterhaltsaufwendungen umfasst,<br />

wenn<br />

sich gerade die Belastung durch den späteren<br />

Unterhalt für das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> entscheiden<strong>der</strong> Weise<br />

negativ auf den Gesundheitszustand <strong>der</strong> Mutter<br />

auszuwirken droht.<br />

Die Schadensersatzpflicht des Arztes erstreckt sich<br />

dann - neben dem regulären Schmerzensgeldanspruch<br />

- auch auf den Unterhaltsbedarf des K<strong>in</strong>des.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 79 von 180<br />

Parallelproblematik: <br />

Son<strong>der</strong>problem:<br />

Die K<strong>in</strong>d-als-Schaden Diskussion tritt auch bei<br />

sog. Teenagerschwangerschaften auf (ca. 13.000<br />

Mädchen unter 18 Jahre werden jedes Jahr<br />

schwanger). Hier werden an das Vorliegen <strong>der</strong><br />

mediz<strong>in</strong>isch-sozialen Indikation des Teenagers<br />

jedoch hohe Anfor<strong>der</strong>ungen gestellt, z.B. drohende<br />

E<strong>in</strong>lieferung wegen <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Schwangerschaft<br />

e<strong>in</strong>hergehenden psychischen Probleme <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e psychiatrische Kl<strong>in</strong>ik, OLG Köln, MedR<br />

2010, 43).<br />

Kann auch e<strong>in</strong> nichtehelicher Vater gegen den Arzt<br />

e<strong>in</strong>en Schadensersatzanspruch wegen <strong>der</strong> Unterhaltslast<br />

für e<strong>in</strong> ungewolltes K<strong>in</strong>d haben ?<br />

(OLG Karlsruhe, Urt. v. 01.02.2006, Az.: 13 U 134/04,<br />

rechtskräftig durch BGH, Az. VI ZR 48/06)<br />

Sachverhalt: Die 21-jährige Kläger<strong>in</strong> ließ sich vom Gynäkologen e<strong>in</strong><br />

langwirkendes Kontrazeptivum mit e<strong>in</strong>em Plastikröhrchen<br />

oberhalb <strong>der</strong> Ellenbeuge <strong>in</strong> die Haut e<strong>in</strong>pflanzen. Sie<br />

wollte damit e<strong>in</strong>e Schwangerschaft verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Tatsächlich<br />

wurde sie schwanger, weil das Implantat fehlerhaft<br />

e<strong>in</strong>gesetzt worden war. Die Kläger<strong>in</strong> war mit dem Vater<br />

des K<strong>in</strong>des nur wenige Monate befreundet und lebte nicht<br />

mit ihm zusammen. Beide argumentieren, dass sie we<strong>der</strong><br />

jetzt noch später e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d haben wollten. Die Kläger<strong>in</strong><br />

klagte aus abgetretenem Recht des unehelichen Vaters.<br />

Lösung: In Betracht kommt pVV des Arztvertrages, <strong>der</strong> auf die<br />

Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Schwangerschaft gerichtet war.<br />

Zentral ist hierbei die Frage, ob die Familienplanung<br />

auch bei e<strong>in</strong>er jungen Mutter schon abgeschlossen se<strong>in</strong><br />

kann, so dass sich die Unterhaltsbelastung <strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>er<br />

ungewollten Schwangerschaft als Schaden erweist.<br />

Ansatz des Gerichts:<br />

E<strong>in</strong>e fehlgeschlagene Familienplanung liegt schon<br />

dann vor, wenn die gegenwärtige Familienplanung<br />

aufgrund e<strong>in</strong>es unvorhergesehenen Ereignisses<br />

durchkreuzt wird und die zukünftige Planung noch<br />

nicht absehbar ist.<br />

Für den Fall bedeutet dies:<br />

Die Familienplanung <strong>der</strong> jungen Mutter bestand dar<strong>in</strong>,<br />

noch ke<strong>in</strong>e Ehe e<strong>in</strong>zugehen und ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d mit ihrem<br />

geme<strong>in</strong>samen Partner haben zu wollen. Diese Planung<br />

ist durch die fehlgeschlagene Verhütung gestört worden.<br />

Es spielt ke<strong>in</strong>e Rolle, ob die Mutter irgendwann<br />

e<strong>in</strong>mal K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben will. Durch die aufgrund des Behandlungsfehlers<br />

verursachte fehlgeschlagene Verhütung<br />

ist für die Frau e<strong>in</strong>e unerwünschte Unterhaltsbelastung<br />

e<strong>in</strong>getreten (= unerwünscht, weil Familienplanung<br />

fehlgeschlagen), diese ist e<strong>in</strong> Schaden.<br />

Rechtsposition des nichtehelichen Vaters:<br />

Bislang war nur <strong>der</strong> Ehegatte <strong>der</strong> Mutter <strong>in</strong> den<br />

Schutzbereich des ärztlichen Vertrages <strong>zur</strong> Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Schwangerschaft e<strong>in</strong>bezogen.<br />

In diesem Fall jedoch hatte das Gericht e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>bezie-


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 80 von 180<br />

hung des nichtehelichen Vaters angenommen, weil<br />

auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ungefestigten, nur vorübergehenden<br />

Partnerschaft <strong>der</strong> übere<strong>in</strong>stimmende Wille gegeben<br />

se<strong>in</strong> könnte, ke<strong>in</strong>e Familie zu gründen und die Mutter<br />

<strong>in</strong> diesem Fall das Interesse habe, durch den Arztvertrag<br />

den nichtehelichen Vater vor ungewollten<br />

Unterhaltslasten zu schützen wie sich selbst. Denn:<br />

geme<strong>in</strong>sam geplante Empfängnisverhütung sei ke<strong>in</strong><br />

Privileg ehelicher Lebensgeme<strong>in</strong>schaft.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 81 von 180<br />

V. Prüfung Prüfungskarte Schwangerschaftsabbruch<br />

Schwanger-<br />

schaftsabbruch 1. Tatbestand<br />

a. objektiver Tatbestand des § 218 StGB<br />

(aa) Tatobjekt: Ist die noch nicht abgestorbene, aber e<strong>in</strong>genistete Leibesfrucht.<br />

(bb) Tathandlung/Taterfolg: Abbrechen <strong>der</strong> Schwangerschaft durch jede Handlung, die sich<br />

auf die Leibesfrucht auszuwirken beg<strong>in</strong>nt und <strong>zur</strong>echenbar <strong>der</strong>en Absterben bewirkt.<br />

(cc) ke<strong>in</strong> Tatbestandsausschluß: Fristenregelung nach Pflichtberatung. Voraussetzungen<br />

des Tatbestandsausschlusses nach § 218 a Abs. 1 StGB:<br />

12.Schwangerschaftswoche noch nicht überschritten,<br />

Verlangen des Abbruchs durch die Schwangere,<br />

Nachweis Schwangerschaftskonfliktberatung (§ 219, §§ 5, 6 SchwKG) -> Beratungssche<strong>in</strong>,<br />

Abbruch durch e<strong>in</strong>en dritten Arzt, <strong>der</strong> noch nicht <strong>in</strong> Situation e<strong>in</strong>gebunden.<br />

b. subjektiver Tatbestand<br />

Vorsatz bezüglich des Vorliegens <strong>der</strong> objektiven Tatumstände des § 218 StGB und m<strong>in</strong>d.<br />

Eventualvorsatz bezüglich des Nichtvorliegens des Tatbestandsausschlusses.<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

Die Rechtswidrigkeit entfällt nur bei den speziellen Rechtfertigungsgründen des § 218 a Abs. 2, 3.<br />

a. Voraussetzungen <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>isch-sozialen Indikation, § 218a IV StGB<br />

(1) anwendbar bis zum Geburtsbeg<strong>in</strong>n,<br />

(2) Wirksame E<strong>in</strong>willigung <strong>der</strong> Schwangeren (ke<strong>in</strong> Zwang od. Täuschung; Aufklär.),<br />

(3) unzumutbare und nicht an<strong>der</strong>s überw<strong>in</strong>dbare Gefahr für Leben o<strong>der</strong> schwerwiegende<br />

Bee<strong>in</strong>trächtigung des körperlichen, psychischen Gesundheitszustands <strong>der</strong> Schwangeren<br />

gegenwärtig o<strong>der</strong> zukünftig durch Geburt e<strong>in</strong>es schwerbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten K<strong>in</strong>des,<br />

(4) Abbruch durch e<strong>in</strong>en Arzt (bislang nicht <strong>in</strong>volviert),<br />

(5) subjektives Rechtfertigungselement.<br />

b. Voraussetzungen <strong>der</strong> krim<strong>in</strong>ologischen Indikation, § 218a IV StGB<br />

3. Schuld<br />

(1) Die 12. Schwangerschaftswoche ist noch nicht überschritten,<br />

(2) Wirksame E<strong>in</strong>willigung <strong>der</strong> Schwangeren (ke<strong>in</strong> Zwang od. Täuschung; Aufklär.),<br />

(3) Schwangere nach ärztlicher Erkenntnis Opfer e<strong>in</strong>er Straftat gem. §§ 176-179 StGB<br />

und Schwangerschaft beruht darauf,<br />

(4) Abbruch durch e<strong>in</strong>en Arzt (bislang nicht <strong>in</strong>volviert),<br />

(5) subjektives Rechtfertigungselement.<br />

4. Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgrund nach § 218 a Abs. 4 StGB<br />

a. Die Strafe ist für die Schwangere ausgeschlossen, wenn<br />

die 22. Schwangerschaftswoche ist noch nicht überschritten,<br />

die Beratung nach § 219 StGB ist durchgeführt,<br />

Abbruch durch e<strong>in</strong>en Arzt.<br />

b. Es kann von <strong>der</strong> Strafe abgesehen werden, wenn<br />

sich die Schwangere <strong>zur</strong> Zeit des E<strong>in</strong>griffs <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er Bedrängnis befunden hat.<br />

5. Beson<strong>der</strong>s schwerer Fall des Schwangerschaftsabbruchs, § 218 Abs. 2 StGB<br />

<strong>der</strong> Arzt gegen den Willen <strong>der</strong> Schwangeren handelt,<br />

o<strong>der</strong> wenn <strong>der</strong> Arzt leichtfertig die Gefahr des Todes o<strong>der</strong> <strong>der</strong> schweren Gesundheitsverletzung<br />

für die Schwangere verursacht hat.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 82 von 180<br />

VI. Gegenüberstellungstaatlichen<br />

und kirchlichenRechtsgrundsätze„Schwangerschaftsabbruch“<br />

Grafische Gegenüberstellung <strong>der</strong> staatlichen und kirchlichen (röm.-kath.)<br />

Rechtskreise betreffend den Schwangerschaftsabbruch<br />

Mutter Fötus<br />

Geschöpf Gottes;<br />

Gott = „Lebenswächter“ u.<br />

Letztentscheidungs<strong>in</strong>stanz<br />

ke<strong>in</strong>e Verfügbarkeit<br />

des Menschen<br />

über Leben<br />

-> ist absolut,<br />

darf nur Gott<br />

Rechtsauffassung <strong>der</strong><br />

röm. Amtskirche<br />

ke<strong>in</strong>e Verfügbarkeit<br />

des Menschen<br />

über Leben<br />

-> ist absolut,<br />

darf nur Gott<br />

ergo: ke<strong>in</strong>e Abwägung<br />

<strong>der</strong> Rechtsgüter:<br />

Selbstbest. Frau Leben K<strong>in</strong>d<br />

ke<strong>in</strong>e Abtreibung (außer:<br />

Leben <strong>der</strong> Frau <strong>in</strong> Gefahr)<br />

Staatliche<br />

Rechtsauffassung<br />

Geschöpf Gottes;<br />

Gott = „Lebenswächter“ u.<br />

Letztentscheidungs<strong>in</strong>stanz<br />

Mutter Fötus<br />

Staat = Lebensgarantie u.<br />

Letztentscheidungs<strong>in</strong>stanz<br />

aller „irdischen“ Fragen<br />

Staat regelt selbst Frage v.<br />

Leben u. Tod im Rahmen<br />

RechtsO gem. humanen/sittlichen<br />

Maßstäben<br />

zwar staatl. Lebensschutz,<br />

aber ke<strong>in</strong>e abs. Lebensgarantie;<br />

Abwägung Lebensrecht<br />

Fötus Selbstbestimmung<br />

Frau möglich<br />

Staat = Lebensgarantie u.<br />

Letztentscheidungs<strong>in</strong>stanz<br />

aller „irdischen“ Fragen<br />

Staat regelt selbst Frage v.<br />

Leben u. Tod im Rahmen<br />

RechtsO gem. humanen/sittlichen<br />

Maßstäben<br />

zwar staatl. Lebensschutz,<br />

aber ke<strong>in</strong>e abs. Lebensgarantie;<br />

Abwägung Lebensrecht<br />

Fötus Selbstbestimmung<br />

Frau möglich<br />

Abtreibung = Kollision Rechtsgüter Frau K<strong>in</strong>d;<br />

Lösung: Fristenregelung


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 83 von 180<br />

C. Sonstige Sonstige berufsrelevante Straftatbestände<br />

Straftatbe-<br />

stände<br />

I. Verletzung Die Verletzung von Patientengeheimnissen<br />

von Patienten-<br />

geheimnissen<br />

Die mit den Vorschriften <strong>der</strong> §§ 203, 204 StGB unter Strafe gestellte Verletzung<br />

und Verwertung von Privatgeheimnissen garantiert speziell im Krankenhausbereich<br />

den verschwiegenen Umgang mit Patientendaten.<br />

Die Schweigepflicht geht als Kernstück ärztlicher Berufsethik vom Hippokratischen<br />

Eid aus und hat sich ursprünglich aus den Beziehungen zwischen Arzt und<br />

Patient entwickelt. Sie erfaßt mittlerweile jedoch alle Bereiche <strong>der</strong> ärztlichen<br />

und nachgeordneten nichtärztlichen Berufe. Die ärztliche wie nichtärztliche<br />

Schweigepflicht wird von <strong>der</strong> Rechtsordnung unter umfassenden zivil-, berufs-<br />

und strafrechtlichen Schutz gestellt, um das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt<br />

und Patient zu gewährleisten.<br />

1. Herleitung<br />

2. Bedeutung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Justizpraxis<br />

3. Bedeutung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

ärztlichen<br />

Praxis<br />

Die Wahrung von Patientengeheimnissen wurzelt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Menschenwürde<br />

und dem allgeme<strong>in</strong>en Persönlichkeitsrecht aus<br />

Art. 1 Abs. 1; 2 Abs. 1 GG. Daher steht <strong>der</strong> Wille des e<strong>in</strong>zelnen,<br />

so höchstpersönliche D<strong>in</strong>ge wie die Beurteilung se<strong>in</strong>es Gesundheitszustandes<br />

durch e<strong>in</strong>en Arzt vor fremdem E<strong>in</strong>blick zu bewahren,<br />

auch unter dem Schutz <strong>der</strong> Verfassung.<br />

Im Justizalltag s<strong>in</strong>d Strafverfahren wegen <strong>der</strong> Verletzung <strong>der</strong> ärztlichen<br />

Schweigepflicht außerordentlich selten. Dies hat vor allem<br />

zwei Gründe:<br />

Die Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 StGB ist<br />

e<strong>in</strong> sog. absolutes Antragsdelikt, § 205 StGB. Die Tat wird<br />

von <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft nur dann verfolgt, wenn <strong>der</strong> Patient<br />

tätig wird. Dies verlangt von ihm Aktivität, Mühe und Kosten,<br />

um die Strafverfolgung <strong>in</strong> Gang zu setzen.<br />

Zum an<strong>der</strong>en ist § 203 StGB e<strong>in</strong> Vorsatztatbestand und setzt<br />

den bewußten und gewollten Geheimnisbruch voraus. Dieser<br />

ist jedoch regelmäßig kaum nachweisbar.<br />

Die Wirkung <strong>der</strong> Strafnorm beruht daher weniger auf ihrer<br />

Sanktion (Freiheitsstrafe/Geldstrafe), son<strong>der</strong>n ist als Appell an<br />

den Arzt psychologischer Natur. (Der Arzt würde se<strong>in</strong>e ethische<br />

Berufsbasis zerstören, wenn bekannt wäre, daß er mit Patientengeheimnissen<br />

nicht sorgsam umgeht).<br />

Die Schweigepflicht gehört anerkanntermaßen zu den unentbehrlichen<br />

Berufspflichten des Arztes und dient nicht nur dem Interesse<br />

des E<strong>in</strong>zelnen an se<strong>in</strong>er Geheimnissphäre, son<strong>der</strong>n auch dem<br />

Schutz <strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>heit.<br />

Ebenso hat die Öffentlichkeit e<strong>in</strong> Interesse daran, daß das Vertrauen<br />

zwischen Arzt und Patient als Grundvoraussetzung ärzt-


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 84 von 180<br />

lichen Wirkens nicht bee<strong>in</strong>trächtigt wird und sich Kranke nicht<br />

aus Zweifeln an <strong>der</strong> Verschwiegenheit des Arztes davon abhalten<br />

lassen, ärztliche Hilfe <strong>in</strong> Anspruch zu nehmen.<br />

Es muß klar ausgeschlossen se<strong>in</strong>, daß dem Patienten aus <strong>der</strong> ärztlichen<br />

Konsultation o<strong>der</strong> <strong>der</strong> ärztlichen wie auch beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> pflegerischen Behandlung<br />

wegen <strong>der</strong> Schwatzhaftigkeit <strong>der</strong> Vertrauenspersonen irgendwelche<br />

persönlichen Nachteile, Schwierigkeiten o<strong>der</strong> Pe<strong>in</strong>lichkeiten erwachsen.<br />

II. Prüfungs- Prüfungskarte Verletzung von Patientengeheimnissen<br />

schema Ver-<br />

letzung von<br />

Patientenge- 1. Tatbestand<br />

heimnissen<br />

a. objektiver Tatbestand<br />

Die Person aus dem Täterkreis des § 203 StGB muß e<strong>in</strong> fremdes Geheimnis, das ihr <strong>in</strong> ihrer beruflichen<br />

Eigenschaft anvertraut wurde o<strong>der</strong> bekannt gemacht wurde, unbefugt offenbart.<br />

aa. Täterkreis<br />

Schweigepflichtige Person nach § 203 Abs. 1 Nr. 1-6 StGB, beson<strong>der</strong>s:<br />

Ärzte, Krankenschwestern, K<strong>in</strong><strong>der</strong>krankenschwestern, Krankenpflegehelfer,<br />

Hebammen, Entb<strong>in</strong>dungspfleger, Rettungsassistenten.<br />

gemäß § 203 Abs. 3 StGB auch die Gehilfen <strong>der</strong> oben genannten Personenkreise:<br />

Sprechstundenhilfen, Sekretär<strong>in</strong>nen, Pförtner im Krankenhaus, auch<br />

dessen Verwaltungsdirektor (NJW 1992, 2615) u. Mitarbeiter Krankenhausverwaltung<br />

(OVG NW [unveröff.]).<br />

bb. Tatobjekt<br />

anvertrautes Geheimnis<br />

Def. Geheimnis: Dies ist jede Tatsache, <strong>der</strong>en Kenntnis nicht allgeme<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n<br />

nur für e<strong>in</strong>en bestimmten, begrenzten Personenkreis gegeben ist und an <strong>der</strong>en<br />

Geheimhaltung <strong>der</strong> Patient e<strong>in</strong> verständliches, d.h. sachlich begründetes und<br />

damit schutzwürdiges Interesse hat.<br />

Def. anvertraut: Anvertrauen ist das E<strong>in</strong>weihen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Geheimnis unter solchen<br />

Umständen, aus denen sich e<strong>in</strong>e Pflicht <strong>zur</strong> Verschwiegenheit ergibt.<br />

cc. Tathandlung<br />

unbefugte Offenbarung an e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en bzw. Verwertung<br />

Def. Offenbaren: Das Geheimnis ist offenbart, wenn sowohl die geheime Tatsache<br />

wie auch die Person des Geheimnisgeschützten e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en mitgeteilt<br />

worden s<strong>in</strong>d (= die Person des Betroffenen muß ersichtlich se<strong>in</strong>).<br />

Def. Verwerten: Verwerten bedeutet die eigene wirtschaftliche Nutzung des <strong>in</strong><br />

dem Geheimnis verkörperten Wert zum Zweck <strong>der</strong> Gew<strong>in</strong>nerzielung.<br />

Def. unbefugt: Die Offenbarung geschieht unbefugt, wenn die Geheimnismitteilung<br />

ohne Zustimmung des Verfügungsberechtigten und ohne e<strong>in</strong> Recht <strong>zur</strong><br />

Mitteilung erfolgt.<br />

a. subjektiver Tatbestand<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

Die Rechtswidrigkeit kann entfallen, wenn <strong>der</strong> Geheimnisträger ausnahmsweise befugt handelt.<br />

Dies kann durch erfolgen:<br />

- mittels ausdrücklicher o<strong>der</strong> mutmaßlicher E<strong>in</strong>willigung des Patienten<br />

z.B. ist von e<strong>in</strong>er mutmaßlichen E<strong>in</strong>willigung des Patienten auszugehen, wenn er vom Hausarzt<br />

<strong>in</strong>s Krankenhaus e<strong>in</strong>gewiesen wird, so daß dieser den Krankenhausarzt ggf. über den<br />

Krankheitsverlauf unterrichten darf;


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 85 von 180<br />

- durch den rechtfertigenden Notstandes nach § 34 StGB, wobei die Offenbarung dem<br />

Schutz höherrangiger Interessen dient:<br />

z.B. wenn <strong>der</strong> Arzt <strong>der</strong> Ehefrau se<strong>in</strong>es Aids-Patienten dieser die Krankheit ihres Mannes offenbart,<br />

<strong>der</strong> das bislang aus Une<strong>in</strong>sichtigkeit unterlassen hat.<br />

3. Schuld<br />

4. Strafantrag<br />

Das Opfer muß nach § 205 StGB Strafantrag stellen, dem <strong>in</strong> jedem Fall nachgegangen wird.<br />

III. E<strong>in</strong>zelpro- E<strong>in</strong>zelprobleme bei den §§ 203, 204 StGB<br />

bleme bei den<br />

§§ 203, 204 StGB 1. objekti- a. Täterkreis<br />

ver Tatbe-<br />

stand Der Täterkreis umfaßt zusätzlich zu den <strong>in</strong> <strong>der</strong> Prüfungskarte genannten<br />

Personen auch:<br />

Krankengymnasten, mediz<strong>in</strong>ische Bademeister, Physiotherapeuten,<br />

technische Assistenten <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>, Diätassistenten, pharmazeutischtechnische<br />

Assistenten, Arbeits- und Beschäftigungstherapeuten,<br />

Arzthelfer/Zahnarzthelfer, nicht aber den Heilpraktiker, weil für diese<br />

Berufsgruppe noch ke<strong>in</strong>e staatliche Ausbildung gefor<strong>der</strong>t ist.<br />

b. Geheimnis<br />

Der Geheimnisbegriff ist angesichts se<strong>in</strong>er em<strong>in</strong>enten Bedeutung<br />

weit auszulegen. Erfaßt werden von ihm:<br />

mediz<strong>in</strong>ische Tatsachen (z.B.: Name des Patienten ebenso wie<br />

die Identität [= Name] von Mitpatienten, Art <strong>der</strong> Krankheit,<br />

Anamnese, Diagnose, Therapiemaßnahmen, Prognose, psychische<br />

Auffälligkeiten, körperliche Mängel o<strong>der</strong> Beson<strong>der</strong>heiten, Patientenakten,<br />

Röntgenaufnahmen, Untersuchungsmaterial, Untersuchungsergebnisse).<br />

private Tatsachen (sämtliche Angaben über persönliche, familiäre,<br />

berufliche, wirtschaftliche o<strong>der</strong> f<strong>in</strong>anzielle Umstände).<br />

Tatsachen aus <strong>der</strong> Anbahnung des Beratungs- und Behandlungsverhältnisses<br />

(Arzt und Krankenschwestern s<strong>in</strong>d verpflichtet,<br />

über die näheren Umstände bei <strong>der</strong> Aufnahme von Prom<strong>in</strong>enten<br />

o<strong>der</strong> Straftätern zu schweigen, aber auch über Tatsachen wie<br />

Defloration, Geschlechtskrankheiten, Sterilisation, Drogenkonsum,<br />

Ergebnis e<strong>in</strong>es Aids-Testes).<br />

Das Geheimhaltungs<strong>in</strong>teresse:<br />

bestimmt sich nicht nach objektiven Kriterien, son<strong>der</strong>n ausschließlich<br />

nach <strong>der</strong> persönlichen Sicht des Patienten, wobei jedoch<br />

Willkür o<strong>der</strong> Launen des Patienten rechtlich unbeachtlich s<strong>in</strong>d.<br />

Was <strong>der</strong> Patient beliebigen Dritten mitteilt o<strong>der</strong> was offenkundig<br />

ist (Be<strong>in</strong>amputation, Querschnittslähmung), ist nicht geheim.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 86 von 180<br />

Die Verschwiegenheitspflicht gilt deshalb:<br />

auch postmortal, sofern sie nicht durch e<strong>in</strong>e Willenserklärung<br />

des Verstorbenen zu Lebzeiten aufgehoben wurde,<br />

auch gegenüber Kollegen und übergeordneten Personen, die<br />

nicht <strong>in</strong> die Behandlung <strong>in</strong>volviert s<strong>in</strong>d (beispielsweise ist die<br />

Krankenschwester gegenüber dem Verwaltungsdirektor<br />

schweigepflichtig).<br />

c. Kenntnis<br />

§ 203 StGB schützt nur solche Informationen, die <strong>der</strong> Geheimnisträger<br />

durch e<strong>in</strong>en Vertrauensakt o<strong>der</strong> im Rahmen e<strong>in</strong>es typischerweise<br />

auf Vertrauen beruhenden Son<strong>der</strong>verhältnisses (= <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Eigenschaft als Arzt/Krankenschwester bei se<strong>in</strong>er Berufsausübung)<br />

erhalten hat.<br />

Die Art und Weise sowie die Örtlichkeit ist dabei egal. Die Information<br />

kann er also mündlich, schriftlich, durch Zeichen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sprechstunde,<br />

auf <strong>der</strong> Straße o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Behandlung erhalten haben.<br />

2. Recht- a. ausdrückliche E<strong>in</strong>willigung<br />

fertigung<br />

Die ausdrückliche E<strong>in</strong>willigung <strong>in</strong> das Offenbaren kann sowohl<br />

durch klare Artikulation, als auch durch schlüssiges Verhalten<br />

(stillschweigend/konkludent) des Patienten erteilt werden. (Es gelten:<br />

allgeme<strong>in</strong>e Rechtmäßigkeitsanfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>willigung.)<br />

Die konkludent erteilte, jedoch ausdrücklich gewollte E<strong>in</strong>willigung<br />

bildet den <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis häufigsten Fall:<br />

Aufgrund des technischen Fortschritts und <strong>der</strong> Arbeitsteilung<br />

im Krankenhaus wird häufig nur noch <strong>in</strong> Teams unterschiedlicher<br />

Fachrichtungen (Orthopäde, Chirurg) und Qualifikationen<br />

(Oberarzt, Facharzt, Krankenschwester) gearbeitet, die alle <strong>in</strong><br />

die Behandlung des Patienten e<strong>in</strong>gebunden s<strong>in</strong>d. Sie gehören<br />

sämtlich zum Kreis <strong>der</strong> "Wissenden", <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong>er Mitteilungen<br />

über den Patienten von dessen konkludenter E<strong>in</strong>willigung<br />

<strong>in</strong> die Weitergabe se<strong>in</strong>er Geheimnisse gedeckt ist (VG<br />

Münster, MedR 1984, 118 f.; Langkeit, NStZ 1994, 7).<br />

Ke<strong>in</strong>e stillschweigend erteilte E<strong>in</strong>willigung ist gegenüber an<strong>der</strong>en<br />

Abteilungen im Krankenhaus anzunehmen, die nicht <strong>in</strong> den<br />

Behandlungsprozeß e<strong>in</strong>gebunden s<strong>in</strong>d.<br />

Die stillschweigend erteilte ausdrückliche E<strong>in</strong>willigung ist nicht<br />

bei Patienten <strong>in</strong> Mehrbettzimmern anzunehmen. Zuvor ist die<br />

e<strong>in</strong>deutige Erklärung des Patienten e<strong>in</strong>zuholen.<br />

b. mutmaßliche E<strong>in</strong>willigung<br />

Die mutmaßliche E<strong>in</strong>willigung ist überall dort von Bedeutung, wo<br />

<strong>der</strong> Patient sich nicht mehr selbst äußern kann. Beispielsweise <strong>in</strong>folge<br />

Tod, Bewußtlosigkeit o<strong>der</strong> Geistesschwäche. Hier gilt: Se<strong>in</strong><br />

mangelndes Interesse an <strong>der</strong> Geheimhaltung muß deutlich zum<br />

Ausdruck kommen.<br />

c. rechtfertigen<strong>der</strong> Notstand (§ 34 StGB)<br />

Die unbefugte Offenbarung ist des weiteren durch den Rechtfertigungsgrund<br />

aus § 34 StGB gedeckt, wenn diese zum Schutz e<strong>in</strong>es<br />

höherrangigen Rechtsgutes erfor<strong>der</strong>lich und als angemessenes Mittel<br />

<strong>der</strong> Gefahrenabwehr anzusehen ist. Wichtig ist, daß das geschützte<br />

Rechtsgut das bee<strong>in</strong>trächtigte wesentlich überwiegt. Diese<br />

Abwägung müssen Sie sehr sorgfältig (!) treffen und durchprüfen.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 87 von 180<br />

Wichtige Fälle s<strong>in</strong>d:<br />

Mitteilung an die Polizei bei K<strong>in</strong>desmissbrauch,<br />

Mitteilung <strong>der</strong> Aids-Erkrankung des Patienten an die unwissende<br />

Ehefrau, wenn Patient une<strong>in</strong>sichtig ist (Interesse Gesundheit<br />

Ehefrau wiegt höher als Geheimhaltungs<strong>in</strong>teresse des Patienten),<br />

allerd<strong>in</strong>gs: ke<strong>in</strong>e Mitteilung <strong>der</strong> Personenidentität von Mitpatienten,<br />

wenn e<strong>in</strong> verletzter Patient den Namen wissen möchte,<br />

um e<strong>in</strong>en zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch durchsetzen<br />

zu können (ärztliche und pflegerische Schweigepflicht wiegt<br />

höher als Informations<strong>in</strong>teresse, OLG Karlsruhe, Urt. vom<br />

11.08.2006, Az 14 U 45/04).<br />

Begründung: Ärztliche Schweigepflicht ist für Verhältnis zu<br />

Patienten von substantieller Bedeutung, ist überdies vertragliche<br />

Hauptpflicht. Dass <strong>der</strong> Arzt o<strong>der</strong> se<strong>in</strong>e berufsmäßigen<br />

Gehilfen e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Patienten bei <strong>der</strong> Geltendmachung<br />

von gegen diesen Patienten gerichteten, etwaigen<br />

Schadensersatzansprüchen hilft, ist dagegen nachvertragliche<br />

Nebenpflicht (OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.08.2006).<br />

d. beson<strong>der</strong>e Rechtfertigungsgründe<br />

Schließlich ist die unbefugte Offenbarung durch Rechtfertigungsgründe<br />

gedeckt, die durch Gesetz bestehen. Die Offenbarung<br />

schlägt dabei um <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Offenbarungs- bzw. Anzeigepflicht. Dies<br />

gilt beispielsweise bei:<br />

Verbrechen wie Mord, Totschlag, Raub, räuberische Erpressung<br />

und ähnliche Delikte bei zuverlässiger Kenntnis von <strong>der</strong>en geplanter<br />

Ausführung.<br />

§§ 12, 13 Geschlechtskrankheitengesetz,<br />

§§ 3 ff., 6, 9 Bundesseuchengesetz.<br />

IV. Übersicht Die Freiheitsberaubung (Fixierung)<br />

Freiheitsberaubung<br />

(Fixierung)<br />

Fallgestaltung<br />

E<strong>in</strong> Patient steht nach e<strong>in</strong>er OP unter den Wirkungen <strong>der</strong> Narkose. Er erhält<br />

e<strong>in</strong>e lebensnotwendige Infusion, die er sich aber immer wie<strong>der</strong> heraus<strong>zur</strong>eißen<br />

versucht. Daraufh<strong>in</strong> wird er fixiert. Als die Angehörigen dies erfahren,<br />

drängen sie das <strong>Pflege</strong>personal, die Fixierung zu beenden, weil sie die Maßnahme<br />

für rechtswidrig halten.<br />

Zweck <strong>der</strong><br />

Vorschrift<br />

Zweck <strong>der</strong> Vorschrift ist <strong>der</strong> Schutz <strong>der</strong> persönlichen Fortbewegungsfreiheit<br />

des Menschen. Geschützt ist <strong>der</strong> freie,<br />

natürliche Willen des Patienten se<strong>in</strong>en Aufenthaltsort zu<br />

verän<strong>der</strong>n, wobei das Alter ebenso unerheblich ist wie die<br />

Frage se<strong>in</strong>er Zurechnungsfähigkeit.<br />

Aber: Wenn Patienten ihren Aufenthaltsort nur mit Hilfe von<br />

Fortbewegungsmitteln verän<strong>der</strong>n können, liegt Freiheitsberaubung<br />

vor, wenn ihnen diese Hilfsmittel weggenommen<br />

werden.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 88 von 180<br />

Freiheit auf<br />

Fortbewegung<br />

Lösungsansatz<br />

Den Fortbewegungswillen haben nicht:<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Alter, <strong>in</strong> dem sie noch nicht laufen können,<br />

Schlafende o<strong>der</strong> Bewußtlose (h.M., aber streitig).<br />

Es kommt immer wie<strong>der</strong> vor, daß Patienten kurzzeitig festgehalten werden<br />

müssen, da von ihnen e<strong>in</strong>e Gefahr ausgeht und sie an<strong>der</strong>nfalls sich selbst o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en (ungewollt) Schaden zufügen würden.<br />

V. Strafbarkeit Strafbarkeit <strong>der</strong> Fixierung (Freiheitsberaubung)<br />

Fixierung<br />

1. Tatbestand<br />

a. objektiver Tatbestand<br />

aa. Tatobjekt<br />

Je<strong>der</strong> Mensch, <strong>der</strong> im natürlichen S<strong>in</strong>ne (= also pr<strong>in</strong>zipiell) die<br />

Fähigkeit besitzt, e<strong>in</strong>en solchen Fortbewegungswillen zu fassen<br />

und zu realisieren.<br />

Auch <strong>der</strong> Schlafende ist taugliches Tatobjekt, obwohl er <strong>zur</strong> Tatzeit<br />

gar ke<strong>in</strong>en Fortbewegungswillen hat.<br />

Begründung: Die gesetzliche Vorschrift schützt bereits die potentielle Fortbewegungsfreiheit<br />

unabhängig davon, ob das Opfer aktuell <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage ist, se<strong>in</strong>en<br />

Fortbewegungswillen zu bilden; es kann ja je<strong>der</strong>zeit aufwachen und den Willen bilden.<br />

Für diese strenge Auffassung spricht nach herrschen<strong>der</strong> Auffassung, daß die<br />

Freiheit <strong>der</strong> Person e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s wichtiges Rechtsgut ist, was durch die Erhebung<br />

zum Grundrecht zum Ausdruck kommt.<br />

bb. Tathandlung<br />

E<strong>in</strong>sperren o<strong>der</strong> sonstige Beraubung <strong>der</strong> Fortbewegungsmöglichkeit<br />

gegen den Willen des Opfers:<br />

Def. E<strong>in</strong>sperren: Festhalten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em umschlossenen Raum, so<br />

daß das Opfer objektiv geh<strong>in</strong><strong>der</strong>t wird, sich von <strong>der</strong> Stelle zu<br />

bewegen, wenn es das wollte (z.B. Fixierung).<br />

Def. Berauben <strong>der</strong> Fortbewegung: H<strong>in</strong><strong>der</strong>ung des Ortswechsels<br />

beim Opfer, die m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e kurze Zeit dauern muß<br />

(RGSt 7, 259 [260]: „Die Dauer e<strong>in</strong>es Vaterunser genügt“; OLG<br />

Hamm, 1964: „E<strong>in</strong>ige Sekunden reichen aus“).<br />

Folgende Handlungen stellen e<strong>in</strong>e Freiheitsberaubung dar:<br />

Jedes Fixieren o<strong>der</strong> Festb<strong>in</strong>den von Patienten (auch dann,<br />

wenn die Patienten nur so vor e<strong>in</strong>er Selbstschädigung bewahrt<br />

werden können),<br />

das Anbr<strong>in</strong>gen von Bettgittern am Bett alter Menschen, wenn<br />

diese das Gitter nicht selbst überw<strong>in</strong>den können,<br />

Narkose,<br />

Anb<strong>in</strong>den des Armes beim Anlegen e<strong>in</strong>er Infusion,<br />

Festb<strong>in</strong>den des Arms während <strong>der</strong> Operation.<br />

cc. Tatbestandsausschließendes E<strong>in</strong>verständnis<br />

Der Tatbestandsausschluß kommt <strong>in</strong> Betracht durch das vom Patienten<br />

- ohne List zustande gekommene und - erteilte E<strong>in</strong>verständnis.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 89 von 180<br />

Fallgestaltungen <strong>der</strong> „erlaubten Freiheitsberaubung“:<br />

Während e<strong>in</strong>er Behandlung wird e<strong>in</strong> Körperteil des Patienten<br />

fixiert und dieser wi<strong>der</strong>spricht trotz voller E<strong>in</strong>sichtsfähigkeit<br />

nicht (z.B. Festschnallen Arm vor Injektion).<br />

Patient willigt <strong>in</strong> Narkose e<strong>in</strong>, nachdem er zuvor aufgeklärt<br />

wurde.<br />

e<strong>in</strong> Patient, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>willigungsunfähig ist und unter Betreuung<br />

steht, darf fixiert werden, wenn zuvor das E<strong>in</strong>verständnis des<br />

Betreuers und bei lebensgefährlichen Behandlungen die Genehmigung<br />

des Vormundschaftsgerichts e<strong>in</strong>geholt wurde<br />

H<strong>in</strong>weis: Ist die Betreuung noch nicht angeordnet, obwohl <strong>der</strong> Patient geisteskrank<br />

ist, darf er aufgrund <strong>der</strong> mutmaßlichen E<strong>in</strong>willigung solange fixiert werden,<br />

bis er formal unter Betreuung gestellt wurde und hiernach die E<strong>in</strong>willigung<br />

des Betreuers o<strong>der</strong> des Vormundschaftsgerichts erteilt wurde.<br />

Fallgestaltungen rechtswidriger Freiheitsberaubung:<br />

Patient ist im Vollbesitz se<strong>in</strong>er Kräfte und willigt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e notwendige<br />

Behandlung nicht e<strong>in</strong>; er darf nicht gegen se<strong>in</strong>en Willen<br />

festgehalten werden, auch wenn dies zu se<strong>in</strong>em Schaden ist.<br />

Patient wird vom <strong>Pflege</strong>personal mit sedierenden Medikamenten<br />

behandelt, die e<strong>in</strong>e starke Ruhigstellung bezwecken<br />

(E<strong>in</strong>schränkung <strong>der</strong> Mobilität). Das gilt auch für Psychopharmaka,<br />

die neben ihrer sedierenden Wirkung e<strong>in</strong>e Wesensverän<strong>der</strong>ung<br />

o<strong>der</strong> langfristige gesundheitliche Risiken mit sich<br />

br<strong>in</strong>gen.<br />

In beiden Fällen liegt e<strong>in</strong>e Freiheitsberaubung vor, wenn die<br />

Maßnahmen ohne e<strong>in</strong>e richterliche Genehmigung durchgeführt<br />

werden.<br />

Patient wacht nach OP aus Narkose auf, steht aber erkennbar<br />

nicht mehr unter <strong>der</strong>en Nachwirkungen und möchte das<br />

Krankenhaus verlassen, obwohl die Wunden wie<strong>der</strong> aufreißen<br />

könnten und er hierüber e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich aufgeklärt wurde; er<br />

darf nicht gegen se<strong>in</strong>en Willen festgehalten werden.<br />

b. subjektiver Tatbestand<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

a. E<strong>in</strong>willigung<br />

In manchen Lehrbüchern wird das tatbestandsausschließende E<strong>in</strong>verständnis des Patienten<br />

als rechtfertigende E<strong>in</strong>willigung behandelt. Dies ist <strong>in</strong> dieser Form nicht zutreffend.<br />

b. Notwehr<br />

E<strong>in</strong> Patient kann auch dann fixiert werden, wenn er aggressiv ist<br />

und das <strong>Pflege</strong>personal, Mitpatienten und Besucher angreift. Er geht<br />

dann e<strong>in</strong> gegenwärtiger rechtswidriger Angriff von ihm aus <strong>der</strong> durch<br />

die Fixierung beendet wird.<br />

c. Notstand (§ 34 StGB)<br />

Der Notstand liegt vor, wenn von dem Patienten zwar ke<strong>in</strong> gegenwärtiger<br />

Angriff zu befürchten ist, aber von ihm e<strong>in</strong>e unmittelbare<br />

und gegenwärtige Gefahr ausgeht.<br />

Fallgestaltung (s.o.):<br />

Patient wacht nach OP aus Narkose auf, steht erkennbar noch unter<br />

den Nachwirkungen <strong>der</strong> Narkose und versucht immer wie<strong>der</strong>, sich<br />

den lebenswichtigen Infusionsschlauch heraus<strong>zur</strong>eißen.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 90 von 180<br />

VI. ZivilrechtlicheImplikationen<br />

d. Fixierung<br />

Lösung:<br />

Hier muß man erkennen, daß die Nachwirkungen <strong>der</strong> Narkose zum<br />

vorübergehenden Ausschluß <strong>der</strong> E<strong>in</strong>willigungsfähigkeit führen.<br />

Von dem Patient, <strong>der</strong> sich den Infusionsschlauch herausreißen möchte,<br />

geht dann e<strong>in</strong>e Gefahr für sich selbst aus, weil er ohne die Infusion<br />

stirbt. Damit liegt e<strong>in</strong>e Notstandslage vor.<br />

Notstandshandlung ist das Fixieren, weil es das Herausreißen <strong>der</strong><br />

Infusion sofort unterb<strong>in</strong>det.<br />

Der Rettungswille liegt vor, weil <strong>der</strong> Arzt dem Patienten helfen möchte.<br />

Bei <strong>der</strong> Interessenabwägung steht das Recht des Patienten auf Leben<br />

(!) und Gesundheit gegen das auf (Fortbewegungs-)freiheit.<br />

Beide Rechtsgüter s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Rangverhältnis zu br<strong>in</strong>gen. Maßstab<br />

ist die Frage, welches Rechtsgut schutzwürdiger ist.<br />

Sodann s<strong>in</strong>d sie gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> abzuwägen. Hier ist dem Recht auf<br />

Gesundheit <strong>der</strong> Vorzug vor <strong>der</strong> E<strong>in</strong>schränkung <strong>der</strong> Fortbewegungsfreiheit<br />

zu geben. Denn die OP und <strong>der</strong> Krankenhausaufenthalt<br />

dienen <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> Gesundheit. Das Recht auf<br />

Fortbewegung kann hierh<strong>in</strong>ter vorläufig <strong>zur</strong>ückstehen.<br />

Bei <strong>der</strong> sozialethischen Angemessenheit ist zu berücksichtigen, daß<br />

die Fixierung nur vorübergehen<strong>der</strong> Zustand vorgenommen wird,<br />

also ke<strong>in</strong> Dauerzustand ist und letztlich dem Schutz des Patienten<br />

vor sich selbst dient. Das ist auch im Interesse des Staates und <strong>der</strong><br />

Allgeme<strong>in</strong>heit.<br />

d. gesetzliche Erlaubnisse (Auswahl)<br />

Die Freiheitsberaubung kann auch gesetzlich gerechtfertigt se<strong>in</strong>:<br />

Verhaftung und vorläufige Festnahme (§§ 112, 127 StPO),<br />

e<strong>in</strong>stweilige Unterbr<strong>in</strong>gung (§ 126a StPO),<br />

zwangsweise Blutentnahme (§ 81a StPO).<br />

Fallgestaltung<br />

Die zivilrechtlichen Implikationen<br />

<strong>der</strong> Freiheitsberaubung (Fixierung)<br />

E<strong>in</strong> Patient steht nach e<strong>in</strong>er OP unter den Wirkungen <strong>der</strong> Narkose. Er erhält e<strong>in</strong>e lebensnotwendige<br />

Infusion, die er sich aber immer wie<strong>der</strong> heraus<strong>zur</strong>eißen versucht. Daraufh<strong>in</strong><br />

wird er kurzfristig fixiert. Als die Angehörigen dies erfahren, drängen sie das <strong>Pflege</strong>personal,<br />

die Fixierung zu beenden, weil sie die Maßnahme für rechtswidrig halten.<br />

1. Anlass<br />

<strong>der</strong> Fixierung<br />

Die Fixierung wird nur bei e<strong>in</strong>willigungsunfähigen Patienten<br />

o<strong>der</strong> bei e<strong>in</strong>willigungsfähigen Patienten, bei denen aus<br />

sonstigen Gründen die E<strong>in</strong>willigung fehlt, vorgenommen.<br />

Hierbei s<strong>in</strong>d folgende Anlässe Auslöser für die Maßnahme:<br />

Abwehr e<strong>in</strong>er Gefährdung Dritter durch den Patienten<br />

(Fremdgefährdung),<br />

Abwehr e<strong>in</strong>er erheblichen Eigengefährdung (z.B. Selbstverletzung;<br />

aber: allgeme<strong>in</strong>es Sturzrisiko reicht nicht aus,<br />

weil Lebensrisiko, son<strong>der</strong>n nur i.V.m. Medikation),<br />

Durchführung e<strong>in</strong>er mediz<strong>in</strong>ischen Untersuchung o<strong>der</strong><br />

Behandlung (z.B. Verabreichung e<strong>in</strong>er Infusion bzw.<br />

Spritze [OLG München, NJW-RR 2005, 1531]),


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 91 von 180<br />

2. Anordnung<br />

<strong>der</strong><br />

Fixierung,<br />

Verfahren<br />

und Fristen<br />

Die Fixierung darf nur von e<strong>in</strong>em Arzt, und nur schriftlich<br />

angeordnet werden. Die anschließende Durchführung <strong>der</strong><br />

Fixierung obliegt dem <strong>Pflege</strong>personal. Das <strong>Pflege</strong>personal<br />

darf die Fixierung nur dann auf eigenen Antrieb ohne ärztliche<br />

Weisung durchführen, wenn Gefahr im Verzug besteht (z.B.<br />

Patient ist gewalttätig) und e<strong>in</strong> Arzt nicht greifbar ist. Aber: Es<br />

muss sich die Maßnahme sofort nach Durchführung vom Arzt<br />

(schriftlich, dokumentieren) genehmigen lassen.<br />

a. Fixationsarten<br />

Es werden zwei Arten <strong>der</strong> Fixierung unterschieden:<br />

Akutfixierung,<br />

Langzeitfixierung.<br />

Die Akutfixierung ist maßnahme- und e<strong>in</strong>zelfallbezogen,<br />

d.h., sie wird punktuell <strong>zur</strong> Sicherung und Durchführung<br />

e<strong>in</strong>er mediz<strong>in</strong>ischen Untersuchung o<strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen<br />

/ pflegerischen Behandlung vorgenommen und<br />

dauert auch nur solange an, bis die Maßnahme beendet ist.<br />

Hierbei wird vorausgesetzt, daß die Maßnahme immer nur<br />

kurze Zeit dauert (maximal stundenweise).<br />

Beispiele:<br />

- Bettgitter nur für die Nacht,<br />

- Fixation, um e<strong>in</strong>e Injektion zu verabreichen.<br />

Die Langzeitfixierung ist begleiten<strong>der</strong> und fester Teil e<strong>in</strong>er<br />

allgeme<strong>in</strong>en Behandlungsmaßnahme und wird angeordnet,<br />

wenn bei dem Patient je<strong>der</strong>zeit die Gefahr e<strong>in</strong>er Eigen-<br />

und Fremdgefährdung besteht, welche die Behandlung<br />

<strong>in</strong>sgesamt bee<strong>in</strong>trächtigen kann. Auslöser kann auch e<strong>in</strong>e<br />

plötzliche, akut auftretende Gefährdungssituation se<strong>in</strong>.<br />

Beispiele:<br />

- Tablettbrett am Rollstuhl (wegen Dauerhaftigkeit),<br />

- Klettriemen am Rollstuhl (wegen Dauerhaftigkeit),<br />

- Bettgitter, das Tag und Nacht angebracht ist,<br />

- medikamentöse Sedierung des Patienten.<br />

b. Genehmigungserfor<strong>der</strong>nis<br />

Die Akutfixierung bedarf ke<strong>in</strong>er vormundschaftsgerichtlichen<br />

Genehmigung. Auch dann nicht, wenn die<br />

Behandlung und damit die Fixation <strong>in</strong> regelmäßigen Abständen<br />

durchgeführt wird (arg. ex. BGH, NJW 2001, 888;<br />

OLG München, NJW-RR 2005, 1530 [1531]).<br />

Die Langzeitfixierung bedarf stets <strong>der</strong> vormundschaftsgerichtlichen<br />

Genehmigung, weil sie bereits unterbr<strong>in</strong>gungsähnlichen<br />

Charakter hat. Die Genehmigung ist bis spätestens<br />

24 Stunden nach E<strong>in</strong>leitung <strong>der</strong> Fixierung beim zuständigen<br />

Gericht schriftlich (vorab auch per Telefax) zu<br />

beantragen. Dazu ist e<strong>in</strong> ärztliches Zeugnis erfor<strong>der</strong>lich,<br />

das die mediz<strong>in</strong>ischen und pflegerischen Notwendigkeiten<br />

<strong>der</strong> Fixierung darlegt. Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung<br />

ist maximal e<strong>in</strong> Jahr gültig und muss dann erneuert<br />

werden (BGH, FGPrax 1995, 130).<br />

Ergänzen<strong>der</strong> H<strong>in</strong>weis:<br />

Bei <strong>der</strong> Unterbr<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>es Patienten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geschlossenen<br />

Anstalt (Psychiatrie, sog. öffentlich-rechtliche Unterbr<strong>in</strong>gung)<br />

ist <strong>in</strong> jedem Fall <strong>in</strong>nerhalb von 24 Stunden e<strong>in</strong>e vormundschaftsgerichtliche<br />

Genehmigung, ggf. im Wege des<br />

e<strong>in</strong>stweiligen Verfahrens, zu beantragen. Auch dann, wenn<br />

<strong>der</strong> Patient nur vorübergehend e<strong>in</strong>gewiesen werden soll.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 92 von 180<br />

3. Zusammenfassung:<br />

a. Haftung wegen rechtswidriger Fixierung<br />

strafrechtlicheImplikationen <br />

Freiheitsberaubung<br />

Geldstrafe,<br />

Freiheitsstrafe<br />

rechtswidrige Fixierung<br />

b. Wann muss die Fixierung gerichtlich genehmigt werden?<br />

bei Akutfixierung<br />

nicht - auch nicht<br />

wenn Behandlung<br />

und Fixierung<br />

immer wie<strong>der</strong>holt<br />

werden<br />

zivilrechtlicheImplikationen<br />

Verletzung<br />

Rechtsgut,<br />

z.B. aus §<br />

823 BGB<br />

Schadensersatz,Schmerzensgeld<br />

Gerichtliche Genehmigung<br />

bei Langzeitfixierung<br />

immer -<br />

spätestens nach<br />

24 Stunden<br />

c. Strafbarkeit <strong>der</strong> Fixierung im Überblick<br />

Tatbestand<br />

Rechtswidrigkeit<br />

Rechtfertigung<br />

arbeitsrechtlicheImplikationen <br />

arbeitsvertraglicherPflichtenverstoß<br />

Abmahnung,<br />

Kündigung,<br />

Schadensersatz<br />

- auch <strong>der</strong> schlafende Patient,<br />

- alle Maßnahmen, die die<br />

natürliche Fortbewegung d.<br />

Patienten verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

- E<strong>in</strong>willigung d. Patienten ausdrücklich<br />

o<strong>der</strong> konkludent<br />

- nach vorheriger Aufklärung<br />

- § 34 StGB (enge Voraussetzungen!)


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 93 von 180<br />

VII. Son<strong>der</strong>problem:<br />

Die<br />

Voraussetzungen<br />

und Grenzen<br />

<strong>der</strong> ärztlichenZwangsbehandlung<br />

4. Dokumentation<br />

<strong>der</strong> Fixierung<br />

5. Durchführung<br />

<strong>der</strong> Fixierung<br />

Die Fixierung - sowohl die Akut- wie auch die Langzeitfixation<br />

- ist genauestens, vor allem im H<strong>in</strong>blick auf den auslösenden<br />

Vorfall und die Dauer, zu dokumentieren. Es empfiehlt<br />

sich, e<strong>in</strong>en sog. Fixierbogen anzufertigen und auszufüllen,<br />

<strong>der</strong> m<strong>in</strong>d. folgende Angaben enthalten soll:<br />

Name, Geburtsdatum und Unterbr<strong>in</strong>gungsart des Patienten,<br />

Grund des Fixierung (dabei Erwähnung, daß Alternativen <strong>zur</strong><br />

Fixierung erörtert und für nicht ausreichend erachtet wurden),<br />

Art <strong>der</strong> Fixierung,<br />

Ort <strong>der</strong> Fixierung (Bett o<strong>der</strong> Stuhl),<br />

Name und Berufsbezeichnung des Fixierenden (m<strong>in</strong>d. 2 Personen),<br />

wobei sichergestellt se<strong>in</strong> muß, daß die Fixierenden im<br />

Umgang mit Fixiergurten und -techniken erprobt s<strong>in</strong>d,<br />

Art, Inhalt und Umfang <strong>der</strong> Kontrollüberwachungen des<br />

Fixierten e<strong>in</strong>schl. <strong>der</strong> Sitzwachen (ggf. geson<strong>der</strong>ter Kontrollbogen<br />

<strong>der</strong> Dokumentation h<strong>in</strong>zufügen),<br />

Datum und Unterschrift des zuständigen Arztes.<br />

H<strong>in</strong>weis: Die vorstehende Aufzählung ist nicht abschließend,<br />

son<strong>der</strong>n stellt nur den M<strong>in</strong>destkanon an Angaben dar, <strong>der</strong> bei<br />

Fixierungen zu beachten ist.<br />

Bei e<strong>in</strong>er Fixierung gegen den Willen des Patienten (nonkompliante<br />

Fixierung) s<strong>in</strong>d folgende Aspekte zu beachten:<br />

die Fixierung sollte nur <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Bettgittern<br />

vorgenommen werden,<br />

<strong>der</strong> Patient ist regelmäßig zu überwachen, je nach Gefährdungslage<br />

halb- o<strong>der</strong> ganzstündlich (am besten ist<br />

jedoch Sitzwache sowie alle zwei Stunden ärztliche Überwachung<br />

<strong>der</strong> Notwendigkeit <strong>der</strong> Fixierung),<br />

es sollte m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e Drei-Punkt-Fixierung, besser<br />

aber e<strong>in</strong>e Fünf-Punkt-Fixierung vorgenommen werden,<br />

Patienten mit Epilepsien sollten <strong>in</strong> jedem Fall unter Daueraufsicht<br />

(Sitzwache) gestellt werden, weil es bei Krampfanfällen<br />

<strong>in</strong> Fixiergurten zu Frakturen kommen kann,<br />

Son<strong>der</strong>problem:<br />

Ärztliche Zwangsbehandlung sog. une<strong>in</strong>sichtiger Patienten<br />

Obwohl Patienten vor jedem E<strong>in</strong>griff bzw. vor je<strong>der</strong> Behandlung umfassend<br />

aufgeklärt werden, kommt es vor, dass diese e<strong>in</strong>e mediz<strong>in</strong>isch s<strong>in</strong>nvolle o<strong>der</strong><br />

gar gebotene Maßnahme ablehnen.<br />

Problematisch kann diese Situation werden, wenn <strong>der</strong> Arzt die Behandlung<br />

auch gegen den erklärten Willen des Patienten fortsetzen o<strong>der</strong> gar aufnehmen<br />

möchte, weil er dies aus mediz<strong>in</strong>ischen Gründen für zw<strong>in</strong>gend erfor<strong>der</strong>lich<br />

hält.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 94 von 180<br />

1. Fallgestaltungen<br />

2. Rechtsgrundsätze<br />

Für die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen <strong>der</strong><br />

sog. une<strong>in</strong>sichtige Patient vom Arzt zwangsbehandelt werden<br />

darf, müssen drei Fallgestaltungen unterschieden werden:<br />

Patient steht unter Betreuung,<br />

Patient ist m<strong>in</strong><strong>der</strong>jährig,<br />

Patient steht nicht unter Betreuung.<br />

Jede mediz<strong>in</strong>ische (und pflegerische) Behandlung muss sich <strong>der</strong><br />

freien Willensbildung und <strong>der</strong> damit e<strong>in</strong>hergehenden Selbstbestimmung<br />

des Patienten unterordnen (arg. ex BVerfGE 32, 98<br />

ff.). Denn Selbstbestimmung und freie Willensbildung gewährleisten<br />

erst die Freiheit des Patienten, sich für o<strong>der</strong> gegen e<strong>in</strong>e<br />

Behandlung zu entscheiden. Ob <strong>der</strong> Patient also e<strong>in</strong>e Behandlung<br />

will o<strong>der</strong> sie ablehnt setzt - neben se<strong>in</strong>er Aufklärung -<br />

voraus, dass er auch bei klarem Verstand ist und die ihm vorliegenden<br />

Informationen über die Behandlung nach se<strong>in</strong>er sittlichen<br />

wie geistigen Reife verarbeiten kann. Verkürzt gesagt:<br />

Der Patient muss e<strong>in</strong>willigungsfähig se<strong>in</strong>.<br />

3. Lösung Für die Beurteilung <strong>der</strong> Zulässigkeit und Grenzen ärztlicher<br />

Zwangsbehandlung bedeutet dies:<br />

a. Patient steht unter Betreuung<br />

Steht <strong>der</strong> Patient unter Betreuung, ist se<strong>in</strong> Wille grundsätzlich<br />

unbeachtlich. D.h., dass sowohl <strong>der</strong> Behandlungsabbruch<br />

wie auch die Aufnahme/Fortführung <strong>der</strong> Behandlung<br />

nur dann erfolgen können, wenn <strong>der</strong> Betreuer dem vorher zugestimmt<br />

hat. Auf dessen Willen kommt es an.<br />

aa) rechtskonforme Ausübung <strong>der</strong> Betreuung<br />

Übt <strong>der</strong> Betreuer die Personensorge für den Betreuten rechtskonform<br />

aus, scheidet e<strong>in</strong>e Zwangsbehandlung des Betreuten<br />

gegen den erklärten Willen des Betreuers aus. Die Behandlung<br />

darf nicht fortgesetzt werden, bzw. sie ist abzubrechen.<br />

An<strong>der</strong>nfalls macht sich <strong>der</strong> Behandelnde mangels<br />

wirksamer E<strong>in</strong>willigung wegen Körperverletzung gem. §<br />

223 StGB strafbar. Der Patient ist zu entlassen, nachdem er<br />

zuvor vom ärztlichen und pflegerischen Personal über die<br />

beson<strong>der</strong>en Konsequenzen des Behandlungsabbruchs aufgeklärt<br />

wurde und dies schriftlich o<strong>der</strong> vor Zeugen bestätigt<br />

hat. Der Abbruch ist (ggf. mit Benennung <strong>der</strong> Zeugen)<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Patientenakte zu dokumentieren. We<strong>der</strong> Arzt noch<br />

<strong>Pflege</strong>personal haften für eventuelle gesundheitliche Folgen,<br />

die <strong>der</strong> Patient <strong>in</strong>folge des von ihm verursachten Behandlungsabbruchs<br />

erleidet.<br />

bb) rechtsmissbräuchliche Ausübung <strong>der</strong> Betreuung<br />

Gibt es jedoch offenkundige Anzeichen dafür, dass <strong>der</strong> Betreuer<br />

se<strong>in</strong>e Entscheidungsgewalt rechtsmissbräuchlich zu<br />

Lasten des Betreuten ausübt, gibt es folgende Handlungsmöglichkeiten<br />

für den Arzt:


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 95 von 180<br />

(1) Ke<strong>in</strong>e mediz<strong>in</strong>ische Eilbedürftigkeit <strong>der</strong> Behandlung<br />

Besteht bei <strong>der</strong> Behandlung des Betreuten ke<strong>in</strong>e hohe Dr<strong>in</strong>glichkeit<br />

und duldet diese Aufschub, so hat <strong>der</strong> Arzt e<strong>in</strong>e Entscheidung<br />

des Vormundschaftsgerichts über die Durchführung<br />

<strong>der</strong> Behandlung e<strong>in</strong>zuholen.<br />

(2) Mediz<strong>in</strong>ische Eilbedürftigkeit <strong>der</strong> Behandlung<br />

Bef<strong>in</strong>det sich <strong>der</strong> Betreute jedoch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er akuten Gefahrensituation<br />

für Leib o<strong>der</strong> Leben und kann diese akute Gefahrensituation<br />

nicht an<strong>der</strong>s, als durch die sofortige mediz<strong>in</strong>ische<br />

Behandlung abgewehrt werden und handelt <strong>der</strong> Arzt <strong>in</strong><br />

dem Bewusstse<strong>in</strong>, dem Patienten helfen zu wollen, darf er<br />

den Betreuten ausnahmsweise mediz<strong>in</strong>isch zwangsbehandeln.<br />

Er ist über den rechtfertigenden Notstand aus § 34<br />

StGB <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Handeln legitimiert. Das Vormundschaftsgericht<br />

ist über die Maßnahme im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> zu unterrichten.<br />

b. Patient ist m<strong>in</strong><strong>der</strong>jährig<br />

Bei m<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigen Patienten entscheiden die Eltern als Erziehungsberechtigten<br />

, da sie für das Wohl und Wehe ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

verantwortlich s<strong>in</strong>d. Da die K<strong>in</strong><strong>der</strong> i.d.R. die Behandlungssituation<br />

nicht umfänglich erfassen können, obliegt den Eltern die<br />

Beurteilung, ob ihr K<strong>in</strong>d behandelt wird o<strong>der</strong> nicht (Anm.: Dies<br />

gilt auch für den Fall, dass das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten Behandlungssituation<br />

e<strong>in</strong>willigungsfähig ist, denn ihm fehlt die<br />

volle Geschäftsfähigkeit).<br />

aa) rechtskonforme Ausübung <strong>der</strong> elterlichen Personensorge<br />

Üben die Eltern ihre Personensorge für das K<strong>in</strong>d rechtskonform<br />

aus, scheidet e<strong>in</strong>e Zwangsbehandlung des K<strong>in</strong>des gegen<br />

den erklärten Willen <strong>der</strong> Eltern aus.<br />

Die Behandlung darf nicht fortgesetzt werden, bzw. sie ist<br />

abzubrechen. An<strong>der</strong>nfalls macht sich <strong>der</strong> Behandelnde<br />

mangels wirksamer E<strong>in</strong>willigung wegen Körperverletzung<br />

gem. § 223 StGB strafbar. Der Patient ist zu entlassen,<br />

nachdem er zuvor vom ärztlichen und pflegerischen Personal<br />

über die beson<strong>der</strong>en Konsequenzen des Behandlungsabbruchs<br />

aufgeklärt wurde und dies schriftlich o<strong>der</strong> vor Zeugen<br />

bestätigt hat. Der Abbruch ist (ggf. mit Benennung <strong>der</strong><br />

Zeugen) <strong>in</strong> <strong>der</strong> Patientenakte zu dokumentieren. We<strong>der</strong><br />

Arzt noch <strong>Pflege</strong>personal haften für eventuelle gesundheitliche<br />

Folgen, die <strong>der</strong> Patient <strong>in</strong>folge des von ihm verursachten<br />

Behandlungsabbruchs erleidet.<br />

bb) rechtsmissbräuchliche Ausübung <strong>der</strong> Personensorge<br />

Gibt es jedoch offenkundige Anzeichen dafür, dass die Eltern<br />

ihre Entscheidungsgewalt rechtsmissbräuchlich zu<br />

Lasten des K<strong>in</strong>deswohls ausüben, gibt es folgende Handlungsmöglichkeiten<br />

für den Arzt:<br />

(1) Ke<strong>in</strong>e mediz<strong>in</strong>ische Eilbedürftigkeit <strong>der</strong> Behandlung<br />

Besteht bei <strong>der</strong> Behandlung des K<strong>in</strong>des ke<strong>in</strong>e hohe Dr<strong>in</strong>glichkeit<br />

und duldet diese Aufschub, so kann <strong>der</strong> Arzt über das<br />

Vormundschaftsgericht die Entscheidung <strong>der</strong> Eltern ersetzen<br />

lassen.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 96 von 180<br />

(2) Mediz<strong>in</strong>ische Eilbedürftigkeit <strong>der</strong> Behandlung<br />

Bef<strong>in</strong>det sich das K<strong>in</strong>d jedoch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er akuten Gefahrensituation<br />

für Leib o<strong>der</strong> Leben und kann diese akute Gefahrensituation<br />

nicht an<strong>der</strong>s, als durch die sofortige mediz<strong>in</strong>ische Behandlung<br />

abgewehrt werden und handelt <strong>der</strong> Arzt <strong>in</strong> dem<br />

Bewusstse<strong>in</strong>, dem Patienten helfen zu wollen, darf er das<br />

K<strong>in</strong>d ausnahmsweise mediz<strong>in</strong>isch zwangsbehandeln. Der<br />

Arzt ist über den rechtfertigenden Notstand aus § 34 StGB<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Handeln legitimiert (<strong>in</strong>struktiv dazu auch <strong>der</strong> Fall<br />

AG Nordenham, MedR 2008, 225 f.).<br />

Beachte: Die Frage, wann Eltern/Betreuer ihre Personensorge<br />

für das K<strong>in</strong>d/den Betreuten rechtsmissbräuchlich ausüben<br />

ist ke<strong>in</strong>e juristische, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e tatsächliche und bedarf<br />

sorgsamer Feststellung im konkreten E<strong>in</strong>zelfall.<br />

c. Patient steht nicht unter Betreuung<br />

Beim Patient, <strong>der</strong> nicht unter Betreuung steht, darf die mediz<strong>in</strong>ische<br />

Zwangsbehandlung nur dann erfolgen, wenn<br />

dem Patienten trotz Aufklärung aufgrund außergewöhnlicher<br />

Umstände die <strong>in</strong>tellektuelle E<strong>in</strong>sichtsfähigkeit<br />

vorübergehend fehlt („Patient ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Situation nicht<br />

bei ‚klarem‘ Sachverstand“ = vorübergehend e<strong>in</strong>willigungsunfähig)<br />

UND<br />

<strong>der</strong> Patient im Zustand <strong>der</strong> E<strong>in</strong>willigungsunfähigkeit e<strong>in</strong>e<br />

mediz<strong>in</strong>isch gebotene Behandlung hartnäckig ablehnt<br />

(äußert sich Patient nicht, gelangen Grundsätze <strong>der</strong> mutmaßlichen E<strong>in</strong>willigung<br />

<strong>zur</strong> Anwendung)<br />

UND<br />

sich <strong>der</strong> Patient <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er akuten Gefahrensituation für<br />

Leib o<strong>der</strong> Leben bef<strong>in</strong>det<br />

UND<br />

diese akute Gefahrensituation nicht an<strong>der</strong>s, als durch die<br />

sofortige mediz<strong>in</strong>ische Behandlung abgewehrt werden kann<br />

UND<br />

<strong>der</strong> Arzt <strong>in</strong> dem Bewusstse<strong>in</strong> handelt, dem Patienten helfen<br />

zu wollen.<br />

Liegen die vorgenannten Kriterien kumulativ vor, erfolgt die<br />

ärztliche Zwangsbehandlung aus dem Gesichtspunkt des<br />

rechtfertigenden Notstandes gem. § 34 StGB.<br />

Liegen die vorgenannten Kriterien h<strong>in</strong>gegen nicht vor, darf<br />

die Behandlung nicht fortgesetzt werden, bzw. ist sie abzubrechen.<br />

An<strong>der</strong>nfalls macht sich <strong>der</strong> Behandelnde mangels<br />

wirksamer E<strong>in</strong>willigung wegen Körperverletzung gem. §<br />

223 StGB strafbar. Der Patient ist zu entlassen, nachdem er<br />

zuvor vom ärztlichen und pflegerischen Personal über die<br />

beson<strong>der</strong>en Konsequenzen des Behandlungsabbruchs aufgeklärt<br />

wurde und dies schriftlich o<strong>der</strong> vor Zeugen bestätigt<br />

hat. Der Abbruch ist (ggf. mit Benennung <strong>der</strong> Zeugen)<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Patientenakte zu dokumentieren. We<strong>der</strong> Arzt noch<br />

<strong>Pflege</strong>personal haften für eventuelle gesundheitliche Folgen,<br />

die <strong>der</strong> Patient <strong>in</strong>folge des von ihm verursachten Behandlungsabbruchs<br />

erleidet.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 97 von 180<br />

Abgrenzung:<br />

Beispiele vorübergehend e<strong>in</strong>sichtsunfähiger Patienten:<br />

Der Patient gerät <strong>in</strong> totale Panik, er weiß nicht, was er tut,<br />

er ist nicht mehr ansprechbar und kann nicht mehr beruhigt<br />

werden,<br />

Patient steht erkennbar unter Folgen e<strong>in</strong>er Anästhesie,<br />

Patient ist volltrunken und lehnt die Behandlung ab (ist er<br />

volltrunken und äußert sich nicht [ähnlich dem bewusstlosen<br />

Patient], gelangen die Grundsätze <strong>der</strong> mutmaßlichen<br />

E<strong>in</strong>willigung <strong>zur</strong> Anwendung, für § 34 StGB ist dann ke<strong>in</strong><br />

Raum!)<br />

Um Missverständnissen vorzubeugen, ist die hier beschriebene<br />

E<strong>in</strong>willigungsunfähigkeit des Patienten gegen die Geschäftsunfähigkeit<br />

abzugrenzen:<br />

Geschäftsfähigkeit bedeutet die Fähigkeit, durch eigene<br />

Willenserklärungen Rechte und Pflichten e<strong>in</strong>gehen zu<br />

können (altersabhängig, kann aber beschränkt werden)<br />

E<strong>in</strong>willigungsfähigkeit ist die natürliche E<strong>in</strong>sichts- und<br />

Urteilsfähigkeit des Patienten. Er muss fähig se<strong>in</strong>, Bedeutung<br />

und Tragweite <strong>der</strong> beabsichtigten ärztlichen Maßnahme<br />

zu erfassen und nach se<strong>in</strong>em Willen zu bestimmen.<br />

Die E<strong>in</strong>willigungsfähigkeit hängt von <strong>der</strong> aktuellen psychischen<br />

Leistungsfähigkeit des Patienten <strong>in</strong> Bezug auf die<br />

zu entscheidenden Frage ab.<br />

Merke:<br />

Auch nicht voll geschäftsfähige heranwachsende M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährige<br />

und psychisch Kranke können e<strong>in</strong>willigungsfähig se<strong>in</strong>.<br />

Umgekehrt kann e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>willigungsunfähiger nicht auch geschäftsfähig<br />

se<strong>in</strong>.<br />

VIII. Organ- Die Transplantation von Organen<br />

transplantation<br />

1. E<strong>in</strong>führung Das am 1.12.1997 <strong>in</strong> Kraft getretene Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung<br />

von Organen - Transplantationsgesetz (TPG) (BGBl. I 1997, S. 2631 ff.)<br />

beendete se<strong>in</strong>erzeit e<strong>in</strong>e lang und zäh geführte Diskussion um die Regelung e<strong>in</strong>es<br />

seit mehr als 30 Jahren offenen Themas.<br />

Das Gesetz glie<strong>der</strong>t sich <strong>in</strong> acht Abschnitte, von denen <strong>der</strong> sechste e<strong>in</strong>e Verbotsnorm<br />

und <strong>der</strong> siebte mit den §§ 18 und 19 TPG Straf- und Bußgeldvorschriften<br />

zum Organhandel enthält. Insoweit ist das TPG für den strafrechtlichen Teil <strong>der</strong><br />

Krankenpflegeausbildung relevant.<br />

a. Regelung<br />

des §<br />

18 TPG<br />

b. Def. Organhandel<br />

Nach dieser Vorschrift kann <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> mit Organen, die e<strong>in</strong>er<br />

Heilbehandlung zu dienen bestimmt s<strong>in</strong>d, handelt, mit Freiheitsstrafe<br />

bis zu 5 Jahren o<strong>der</strong> mit Geldstrafe bestraft werden.<br />

Organhandel ist <strong>der</strong> gew<strong>in</strong>norientierte Umgang mit menschlichen<br />

Organen.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 98 von 180<br />

c. S<strong>in</strong>n und<br />

Zweck des<br />

Verbots des<br />

Organhandels<br />

d. Schutzrichtung<br />

des § 18<br />

TPG<br />

e. Täterkreis<br />

f. Tathandlung<br />

H<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Vorschrift des § 18 TPG steht die Tatsache, daß sich<br />

<strong>der</strong> Organhandel bzw. dessen Auswüchse mit normalen Mitteln<br />

nicht verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n läßt. Der Transplantationsschwarzmarkt - angetrieben<br />

durch den deutlichen Mangel an Spen<strong>der</strong>organen und<br />

den sog. Organtourismus vornehmlich <strong>in</strong> Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Dritten<br />

Welt - drohte wegen <strong>der</strong> enormen Gew<strong>in</strong>nspannen auch <strong>in</strong> Europa<br />

an Bedeutung zugew<strong>in</strong>nen. Dabei wurden vornehmlich sozialschwache<br />

Menschen als "Materiallager" mißbraucht.<br />

Transplantationsmediz<strong>in</strong>er, die Weltgesundheitsorganisation und<br />

<strong>der</strong> Europarat <strong>in</strong>itiierten daher <strong>in</strong> Mitteleuropa e<strong>in</strong>e Gesetzgebungswelle,<br />

die das Ziel hatte, die Kommerzialisierung des Organhandels<br />

auszuschließen und auch den ökonomisch diskutierten<br />

Modellen e<strong>in</strong>er marktgerechten Organgew<strong>in</strong>nung ("kontrollierter<br />

Organhandel") e<strong>in</strong>e klare Absage zu erteilen.<br />

Der Gesetzgeber ahndet das Verbot des Organhandels aus § 17<br />

TPG über § 18 TPG mit den Mitteln des Strafrechts.<br />

Begründung:<br />

Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Ausnutzung gesundheitlicher Notlagen von<br />

potentiellen Organempfängern wie auch die Vermeidung <strong>der</strong><br />

Ausnutzung wirtschaftlicher Notlagen von potentiellen Spen<strong>der</strong>n.<br />

Schutz <strong>der</strong> körperlichen Integrität des Lebenden, <strong>der</strong> Menschenwürde<br />

und des Pietätsgefühls <strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>heit.<br />

Täter s<strong>in</strong>d alle Personen, die <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Weise an e<strong>in</strong>er Transplantation<br />

beteiligt s<strong>in</strong>d, <strong>der</strong> e<strong>in</strong> Organhandel zugrunde liegt (§§ 17, 18 TPG):<br />

Also je<strong>der</strong> - auch <strong>der</strong> Arzt -, <strong>der</strong> e<strong>in</strong> Organ entnimmt/überträgt,<br />

das Gegenstand e<strong>in</strong>es Organhandels ist/war/se<strong>in</strong> soll.<br />

Auch <strong>der</strong> Organspen<strong>der</strong>, soweit er sich e<strong>in</strong> Organ entnehmen<br />

läßt, das Gegenstand verbotenen Handeltreibens ist.<br />

Sowie <strong>der</strong> Organempfänger, wenn er sich e<strong>in</strong> Organ übertragen<br />

läß, das Gegenstand verbotenen Handeltreibens war.<br />

Die strafrechtlich relevante Handlung erfaßt mehrere Täter und<br />

be<strong>in</strong>haltet unterschiedliche Tathandlungen. Diese bestehen im<br />

Wesentlichen dar<strong>in</strong>, daß:<br />

e<strong>in</strong>e Person Organhandel betreibt (§ 18 Abs. 1 TPG), o<strong>der</strong><br />

die Person gewerblichen Organhandel betreibt (§ 18 Abs. 2<br />

TPG), o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Arzt wissentlich e<strong>in</strong>e Transplantation vornimmt bei Organen,<br />

die Gegenstand e<strong>in</strong>es Organhandels waren, o<strong>der</strong><br />

Organspen<strong>der</strong> und Organempfänger wissen, daß die transplantierten<br />

Organe Gegenstand verbotenen Organhandels s<strong>in</strong>d<br />

(§ 18 Abs. 1 TPG), o<strong>der</strong><br />

Organe entnommen werden, ohne daß folgende Voraussetzungen<br />

e<strong>in</strong>gehalten werden (§ 19 Abs. 1 und 2 TPG):


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 99 von 180<br />

g. Organübertragung<br />

- beim Toten:<br />

(1) <strong>der</strong> Spen<strong>der</strong> ist wirklich tot (= nicht behebbarer Ausfall<br />

von Großhirn, Kle<strong>in</strong>hirn, Hirnstamm),<br />

(2) zwei Ärzte haben unabhängig vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> den Hirntod<br />

festgestellt,<br />

(3) <strong>der</strong> Herz- und Kreislaufstillstand liegt drei Stunden <strong>zur</strong>ück,<br />

(4) Spen<strong>der</strong> hatte (zu Lebzeiten) ausdrücklich <strong>in</strong> die Organentnahme<br />

e<strong>in</strong>gewilligt,<br />

(5) alternativ: er hat zu Lebzeiten <strong>der</strong> Organentnahme jedenfalls<br />

nicht wi<strong>der</strong>sprochen,<br />

(6) hilfsweise: <strong>der</strong> nächste Angehörige ist zu fragen, ob ihm<br />

e<strong>in</strong>e entsprechende Erklärung des Toten bekannt ist. Wenn<br />

nicht, dann kann das Organ entnommen werden, wenn <strong>der</strong><br />

Angehörige <strong>der</strong> Organentnahme zustimmt und dabei den<br />

mutmaßlichen Willen des Spen<strong>der</strong>s berücksichtigt hat,<br />

(7) e<strong>in</strong> Arzt nimmt den E<strong>in</strong>griff vor,<br />

- beim lebenden Mensch:<br />

(1) <strong>der</strong> Spen<strong>der</strong> ist volljährig und e<strong>in</strong>willigungsfähig,<br />

(2) er ist über Umfang und Folgen <strong>der</strong> Organentnahme umfassend<br />

und im Beise<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Arztes und Sachverständigen<br />

aufgeklärt worden,<br />

(3) das Aufklärungsgespräch ist protokolliert und von allen<br />

drei (Spen<strong>der</strong>, Arzt, Sachverständiger) unterschrieben,<br />

(4) e<strong>in</strong> Gutachten (= Kommission mit Arzt, Jurist, Psychologe)<br />

über die Freiwilligkeit <strong>der</strong> Spende vorliegt,<br />

(5) nach ärztlicher Beurteilung <strong>der</strong> Spen<strong>der</strong> als solcher geeignet ist,<br />

(6) das zu spendende Organ nicht alternativ von e<strong>in</strong>em toten<br />

Spen<strong>der</strong> verfügbar ist,<br />

(7) bei nicht regenerierbaren Organen: die Spende nur zum<br />

Zwecke <strong>der</strong> Übertragung auf Ehegatte, Verwandter 1./2.<br />

Grades, Verlobter, beson<strong>der</strong>s nahestehende Person vorgenommen<br />

wird,<br />

(8) e<strong>in</strong> Arzt nimmt den E<strong>in</strong>griff vor,<br />

(9) die Organspende <strong>zur</strong> Lebenserhaltung o<strong>der</strong> Heilung e<strong>in</strong>er<br />

schweren Krankheit dient,<br />

(10) sich Spen<strong>der</strong> und Empfänger <strong>zur</strong> Nachbetreuung verpflichtet<br />

haben.<br />

o<strong>der</strong> jemand vorsätzlich o<strong>der</strong> fahrlässig e<strong>in</strong>er nicht empfangsberechtigten<br />

Person Informationen aus dem Organspen<strong>der</strong>egister<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Koord<strong>in</strong>ierungsstelle für Transplantationsstellen<br />

erteilt, weitergibt o<strong>der</strong> nutzt, (= Verbot <strong>der</strong> Kenntniserlangung<br />

Dritter darüber, wer Organspen<strong>der</strong> ist), § 19 Abs. 3 TPG.<br />

Der Kranke, <strong>der</strong> jedoch selbst e<strong>in</strong> Organ erwirbt, das er bei<br />

sich e<strong>in</strong>gepflanzt wissen möchte, begeht ke<strong>in</strong>en Handel mit<br />

Organen (BT-Drs 13/4355, S. 31).<br />

Die Organübertragung von Herz, Niere, Leber, Lunge, Darm und<br />

Bauchspeicheldrüse (= sog. vermittlungspflichtige Organe) muß<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Transplantationszentrum vorgenommen werden (an<strong>der</strong>e<br />

Organe können auch auch außerhalb des Transplantationszentrums<br />

übertragen werden); bei toten Spen<strong>der</strong>n muß die Vermittlungsstelle<br />

zuvor das vermittlungspflichtige Organ vermittelt haben.<br />

Dazu wird anhand e<strong>in</strong>er Warteliste vorgegangen.<br />

h. Tatobjekt Taugliches Tatobjekt s<strong>in</strong>d menschliche Organe, Organteile und Gewebe,<br />

soweit sie e<strong>in</strong>er Heilbehandlung zu dienen bestimmt s<strong>in</strong>d.<br />

i. Konsequenzen<br />

Das TPG hat Auswirkungen auf die Organentnahme im Krankenhaus,<br />

da auch dort die Regelungen des TPG gelten.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 100 von 180<br />

2. Prüfungs-<br />

schema Straf-<br />

barkeit Organ-<br />

handel<br />

Prüfungskarte Strafbarkeit des Organhandels sowie Weitergabe<br />

von Daten des Organspen<strong>der</strong>s (§§ 18, 19 TPG)<br />

1. Tatbestand<br />

a. objektiver Tatbestand<br />

Strafbar ist, wer Organhandel betreibt o<strong>der</strong> Transplantationen vornimmt, denen e<strong>in</strong> Organhandel<br />

zugrunde liegt.<br />

aa. Täter<br />

Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> mit Organen handelt o<strong>der</strong> solche Organe transplantiert o<strong>der</strong> weiß, daß mit<br />

den eigenen o<strong>der</strong> verpflanzten Organen gehandelt wird.<br />

bb. Tatobjekt<br />

S<strong>in</strong>d menschliche Organe, Organteile und Gewebe, soweit sie e<strong>in</strong>er Heilbehandlung<br />

zu dienen bestimmt s<strong>in</strong>d.<br />

cc. Tathandlung<br />

Die Tathandlung manifestiert sich <strong>in</strong> diversen Handlungen, <strong>in</strong>sb., wenn e<strong>in</strong>e Person:<br />

mit Organen handelt o<strong>der</strong> gewerblich mit Organen handelt,<br />

wissentlich gehandelte Organe transplantiert,<br />

weiß, daß die ihr entnommenen o<strong>der</strong> verpflanzten Organe gehandelt werden/wurden,<br />

vorsätzlich o<strong>der</strong> fahrlässig nicht empfangsberechtigten Personen Informationen<br />

aus dem Organspen<strong>der</strong>egister o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Koord<strong>in</strong>ierungsstelle für Transplantationsstellen<br />

erteilt, weitergibt o<strong>der</strong> nutzt,<br />

Organe entnimmt, ohne daß folgende zivilrechtlichen Grundsätze beachtet wurden:<br />

- Toter:<br />

(1) <strong>der</strong> Hirntod ist e<strong>in</strong>deutig festgestellt,<br />

(2) von zwei Ärzten unabhängig vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong>,<br />

(3) <strong>der</strong> Herz- und Kreislaufstillstand liegt mehr als drei Stunden <strong>zur</strong>ück,<br />

(4) Spen<strong>der</strong> hatte zu Lebzeiten ausdrücklich e<strong>in</strong>gewilligt,<br />

(5) alternativ: er hatte nicht ausdrücklich wi<strong>der</strong>sprochen<br />

(6) hilfsweise: nächster Angehöriger wird gefragt, ob ihm entsprechende Erklärung<br />

d. Toten bekannt ist: Wenn nicht, kann Totem Organ entnommen<br />

werden, wenn Angehöriger Organentnahme zustimmt und dabei<br />

mutmaßlichen Willen des Spen<strong>der</strong>s berücksichtigt hat,<br />

(7) e<strong>in</strong> Arzt nimmt den E<strong>in</strong>griff vor.<br />

- Leben<strong>der</strong>:<br />

(1) Spen<strong>der</strong> ist volljährig und e<strong>in</strong>willigungsfähig,<br />

(2) er ist umfassend u. im Beise<strong>in</strong> v. Arzt und Sachverständigem über E<strong>in</strong>griff<br />

und Folgen aufgeklärt worden,<br />

(3) die Aufklärung ist protokolliert u. von allen drei unterzeichnet worden,<br />

(4) Kommissionsgutachten (Arzt, Jurist, Psychologe) hat Freiwilligkeit Organspende besche<strong>in</strong>igt,<br />

(5) nach ärztlicher Beurteilung <strong>der</strong> Spen<strong>der</strong> als solcher geeignet ist,<br />

(6) das zu spendende Organ nicht alternativ von e<strong>in</strong>em toten Spen<strong>der</strong> verfügbar ist,<br />

(7) bei nicht regenerierbaren Organen: die Spende, nur zum Zwecke <strong>der</strong><br />

Übertragung auf Ehegatten, Verlobten, Verwandten 1./2. Grades, beson<strong>der</strong>s<br />

nahestehende Person vorgenommen wird,<br />

(8) e<strong>in</strong> Arzt den E<strong>in</strong>griff vornimmt,<br />

(9) die Organspende <strong>zur</strong> Lebenserhaltung o<strong>der</strong> Heilung e<strong>in</strong>er schweren Krankheit dient,<br />

(10) Spen<strong>der</strong> und Empfänger haben sich <strong>zur</strong> Nachuntersuchung verpflichtet.<br />

dd. Tatbestandsausschluß<br />

Kranker hat das Organ selbst u. zu Zwecken d. Eigentransplantation erworben.<br />

a. subjektiver Tatbestand<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

3. Schuld<br />

4. Strafausschließungs-/Strafaufhebungsgründe/Strafverfolgungsh<strong>in</strong><strong>der</strong>nisse<br />

Bei <strong>der</strong> Strafzumessung können die Gerichte bestimmte mil<strong>der</strong>nde o<strong>der</strong> strafschärfende Umstände<br />

berücksichtigen, so ist z.B. <strong>der</strong> Organhandel aus re<strong>in</strong>em Gew<strong>in</strong>nstreben stärker zu bestrafen, als die<br />

lediglich eigennützige („nur“ verzweckte) o<strong>der</strong> gar uneigennützige Organvermittlung.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 101 von 180<br />

Situation:<br />

I. E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong><br />

die Problematik<br />

II. Juristischer<br />

Kontext<br />

Sachverhalt: Am Sterbebett<br />

Der Patient Günther Grabrucker bef<strong>in</strong>det sich aufgrund vorangegangener<br />

Komplikationen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em irreversiblen Zustand <strong>der</strong> Bewusstlosigkeit und<br />

schwerster Dauerschäden es Gehirns. Er wird künstlich ernährt, damit er<br />

nicht stirbt. Se<strong>in</strong> Sohn, <strong>der</strong> als Betreuer e<strong>in</strong>gesetzt ist, legt dem Arzt e<strong>in</strong>e Patientenverfügung<br />

vor, die genau für diesen Fall die E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong> Behandlung<br />

anordnet. Der Arzt stellt daraufh<strong>in</strong> die Geräte ab und <strong>der</strong> Patient stirbt. Wie<br />

ist dies strafrechtlich zu werten ?<br />

A. Die Sterbehilfe<br />

Tod und Sterbehilfe s<strong>in</strong>d seit je her e<strong>in</strong> Thema, das die Gemüter erhitzt. Allgeme<strong>in</strong>e<br />

Ursache hierfür s<strong>in</strong>d die mo<strong>der</strong>nen mediz<strong>in</strong>ischen Methoden (z.B. PEG-<br />

Sonden, Katheterisierung), die e<strong>in</strong>e Lebensverlängerung um Monate o<strong>der</strong> gar Jahre<br />

ermöglichen.<br />

Bei <strong>der</strong> Diskussion um die Sterbehilfe drängt sich die Frage auf, wo die Grenzen <strong>der</strong><br />

Manipulierbarkeit des Todes liegen. E<strong>in</strong>e Antwort hierauf gibt das verfassungsrechtlich<br />

verankerte Selbstbestimmungsrecht des Patienten.<br />

Im engeren S<strong>in</strong>ne geht es stets um das Spannungsfeld zwischen <strong>der</strong> Menschenwürde<br />

(= ke<strong>in</strong>e Lebenserhaltung gegen den Willen des Patienten = Recht auf<br />

menschenwürdigen Tod) und dem Recht auf Leben (= ke<strong>in</strong>e gezielte Lebensverkürzung<br />

gegen den Willen des Patienten).<br />

Dieses Spannungsfeld wird rechtsdogmatisch überwiegend im Verfassungsrecht<br />

über die Grundrechtsdiskussionen behandelt. Für die ärztliche Behandlungspraxis<br />

h<strong>in</strong>gegen stellt sich h<strong>in</strong>gegen die Frage nach dem richtigen Verhalten. Der Arzt<br />

muss wissen, was er darf und was nicht und wie er sich konkret zu verhalten hat.<br />

Juristisch wie praktisch wird die Sterbehilfeproblematik daher fast ausschließlich<br />

beim Strafrecht relevant. Konkret stellt sich die Frage, wann Sterbehilfe strafbar ist<br />

und unter welchen Voraussetzungen nicht.<br />

1. Voraussetzungen<br />

v.<br />

Sterbehilfe<br />

2. Def<strong>in</strong>ition<br />

von Sterbehilfe<br />

Sterbehilfe setzt voraus, dass das Grundleiden des Patienten unumkehrbar<br />

(irreversibel) ist, die Krankheit e<strong>in</strong>en tödlichen Verlauf<br />

genommen hat und <strong>der</strong> Tod <strong>in</strong> kurzer Zeit e<strong>in</strong>tritt.<br />

Sterbehilfe erfasst hiernach alle Maßnahmen gegenüber dem Sterbenden,<br />

die ihm das Sterben erleichtern, <strong>in</strong>dem entwe<strong>der</strong><br />

Schmerzen gel<strong>in</strong><strong>der</strong>t o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> qualvolles Leben verkürzt wird.<br />

Die Maßnahmen können <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em aktiven Tun (Vornahme bestimmter<br />

Maßnahmen) o<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Unterlassen (Abbruch von<br />

Rettungsmaßnahmen).


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 102 von 180<br />

III. Fallgestaltungen<br />

<strong>der</strong> Sterbehilfe<br />

3. Arten <strong>der</strong><br />

Sterbehilfe Sterbehilfe<br />

(Auswahl)<br />

4. Behandlungsabbruch<br />

5. Formen des<br />

Behandlungsabbruchs<br />

Hilfe im Sterben Hilfe zum Sterben<br />

Patient liegt unmittelbar im<br />

Sterben; er erhält schmerzl<strong>in</strong><strong>der</strong>nde<br />

Mittel, ohne Lebensverkürzung.,<br />

wobei<br />

aber vorzeitiger Tod <strong>in</strong><br />

Kauf genommen wird<br />

Sterbevorgang beim Patienten<br />

hat e<strong>in</strong>gesetzt, er liegt aber<br />

nicht unmittelbar im Sterben.<br />

aktive Sterbehilfe passive Sterbehilfe<br />

aktives Tun, um das Leben<br />

zu verkürzen.<br />

Totschlag (§ 212 StGB), ggf.<br />

Mord (§ 211 StGB); wenn<br />

Patient aktive Hilfe wünscht,<br />

liegt Tötung auf Verlangen<br />

vor (§ 216 StGB).<br />

Unterlassen von Weiterbehandlungsmaßnahmen.<br />

straflos, wenn Behandlungsabbruch<br />

vom Patientenwillen<br />

gedeckt; sonst<br />

Mord o<strong>der</strong> Totschlag (§§<br />

211, 212 StGB).<br />

Wer e<strong>in</strong>em Todkranken <strong>in</strong>des e<strong>in</strong> Mittel beschafft, dass dieser<br />

anschließend e<strong>in</strong>nimmt und daran stirbt, macht sich nicht strafbar<br />

(Beihilfe <strong>zur</strong> Selbsttötung, wo es an rw Haupttat fehlt).<br />

Der Behandlungsabbruch stellt sich unabhängig davon, ob er<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Nichtaufnahme e<strong>in</strong>er gebotenen Behandlung o<strong>der</strong><br />

dem Unterlassen e<strong>in</strong>er bereits begonnenen Behandlung besteht<br />

immer als Fall <strong>der</strong> passiven Sterbehilfe (= durch Unterlassen) dar.<br />

Der Behandlungsabbruch stellt sich <strong>in</strong> unterschiedlichen Formen<br />

dar. Die gängigsten Fallgestaltungen s<strong>in</strong>d:<br />

E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong> Verabreichung lebenserhalten<strong>der</strong> Medikamente,<br />

Abstellen <strong>der</strong> künstlichen Ernährung,<br />

Abschalten technischer, das Leben aufrechterhalten<strong>der</strong> Geräte,<br />

Aber: Alle Fallgestaltungen setzen voraus, dass Arzt und <strong>Pflege</strong>kräfte<br />

zuvor alles Erdenkliche unternommen haben, um den<br />

Krankheitszustand des Patienten zu verbessern.<br />

Sterbehilfe wird dann relevant, wenn es nur noch darum geht, den Tod des Patienten<br />

h<strong>in</strong>auszuschieben. Es stellt sich dann regelmäßig die Frage, wann die weitere<br />

Behandlung durchgeführt werden muß bzw. wann sie abgebrochen werden darf:<br />

1. ausdrücklicher<br />

Wille<br />

Wenn <strong>der</strong> Patient trotz Aufklärung die Behandlung ausdrücklich<br />

ablehnt und e<strong>in</strong>willigungsfähig ist, muss sie abgebrochen<br />

werden. E<strong>in</strong> Behandlungszwang ist rechtlich nicht geregelt.<br />

Grund: Die Rechtsordnung stuft das Selbstbestimmungsrecht des Patienten höher e<strong>in</strong> als<br />

se<strong>in</strong> Wohl. Es wird befürchtet, dass <strong>der</strong> Patient an<strong>der</strong>nfalls zum Objekt ärztlichen Paternalismus<br />

degradiert werden könnte. Er soll immer eigenverantwortlich handeln können.<br />

Will <strong>der</strong> Patient h<strong>in</strong>gegen ausdrücklich weiterbehandelt werden,<br />

darf diese <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Fall abgebrochen werden.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 103 von 180<br />

2. mutmaßlicher<br />

Wille<br />

Kann <strong>der</strong> Patient se<strong>in</strong>en Willen nicht mehr äußern, ist se<strong>in</strong> mutmaßlicher<br />

Wille zu erforschen. Die Entscheidung wird dann daran<br />

ausgelegt. Wichtige Indizien <strong>zur</strong> Erforschung des Patientenwillens<br />

s<strong>in</strong>d die Patientenverfügung und die Befragung naher<br />

Angehöriger.<br />

Patientenverfügung:<br />

Problematisch bei e<strong>in</strong>er Patientenverfügung ist <strong>der</strong> Umstand Ihrer<br />

Verb<strong>in</strong>dlichkeit. Dies bedeutet, daß e<strong>in</strong>e vor vielen Jahren<br />

ausgestellte Verfügung nicht mehr unbed<strong>in</strong>gt dem aktuellen Willen<br />

des Patienten entsprechen muß, weil er es sich zwischen zeitlich<br />

auch an<strong>der</strong>s überlegt haben könnte.<br />

Lösungsansatz:<br />

Es kommt <strong>in</strong> den Fällen, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>e Patientenverfügung bereits<br />

mehrere Jahre alt ist darauf an, dass erforscht wird, ob diese noch<br />

dem gegenwärtigen Willen des Patienten entspricht. D.h., daß konkrete<br />

Anhaltspunkte vorliegen müssen, die besagen, daß <strong>der</strong> Patient<br />

se<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>erzeitige Auffassung geän<strong>der</strong>t hat, § 1901a I BGB).<br />

3. Betreuer Liegt ke<strong>in</strong>e ausdrückliche schriftliche o<strong>der</strong> mündliche E<strong>in</strong>willigung<br />

vor, ist aber e<strong>in</strong> Betreuer bestellt, so muss dieser den aktuellen<br />

mutmaßlichen Willen des Patienten ermitteln, § 1901a II BGB.<br />

Verweigert e<strong>in</strong> Betreuer rechtswidrig se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>willigung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

offensichtlich vom Patienten gewünschten Behandlungsabbruch,<br />

so besteht für das Vormundschaftsgericht die Möglichkeit, ihn<br />

gemäß § 1908 BGB zu entlassen.<br />

B. Son<strong>der</strong>problem:<br />

Beendigung des Krankenhausaufnahmevertrages durch Behandlungsabbruch nach Vorlage<br />

e<strong>in</strong>er Patientenverfügung bei komatösen Patienten durch nahe Angehörige o<strong>der</strong> Betreuer<br />

I. Fallgestaltung E<strong>in</strong> Krankenhausaufnahmevertrag kann unproblematisch durch den Patienten<br />

selbst gekündigt werden, <strong>in</strong>dem er die weitere Behandlung ablehnt. Fraglich ist,<br />

wie die Fälle zu behandeln s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> denen <strong>der</strong> Patient unter Betreuung steht und <strong>der</strong><br />

Betreuer aufgrund e<strong>in</strong>er wirksamen Patientenverfügung die Entscheidung trifft,<br />

die Behandlung e<strong>in</strong>zustellen und den Krankenhausvertrag zu kündigen.<br />

Fall (BGH,<br />

NJW 2003,<br />

1588 ff.)<br />

Dazu hatte <strong>der</strong> BGH folgenden Fall zu entscheiden:<br />

Der Patient hatte im Jahre 2000 e<strong>in</strong>en Herz<strong>in</strong>farkt erlitten. Un<strong>zur</strong>eichende<br />

Sauerstoffzufuhr im Gehirn hatte e<strong>in</strong>en Ausfall <strong>der</strong> Hirnr<strong>in</strong>de<br />

<strong>zur</strong> Folge. Das Stammhirn blieb jedoch <strong>in</strong>takt. Der Patient war<br />

völlig entscheidungs- und handlungsunfähig. Jede Kontaktaufnahme<br />

mit ihm war unmöglich. Die Ernährung erfolgte über e<strong>in</strong>e sog. PEG-<br />

Sonde direkt <strong>in</strong> den Magen. Der Zustand war irrevisibel, wenngleich<br />

<strong>der</strong> Sterbevorgang noch nicht e<strong>in</strong>gesetzt hatte.<br />

Im Jahre 2001 legte <strong>der</strong> Betreuer des Patienten - se<strong>in</strong> Sohn (Aufgabenkreis:<br />

Sorge für die Gesundheit des Betroffenen) - e<strong>in</strong>e ordnungsgemäße<br />

Patientenverfügung vor („...im Falle ... schwerster Dauerschäden<br />

me<strong>in</strong>es Gehirns ... E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong> Ernährung ...“) und beantragte beim<br />

Vormundschaftsgericht gem. § 1904 BGB die E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong> Ernährung.<br />

Das Gericht war <strong>in</strong>des <strong>der</strong> Auffassung, dass se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>willigung<br />

nicht erfor<strong>der</strong>lich sei. Der Fall gelangte schließlich zum BGH.


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 104 von 180<br />

II. Problemaufriss<br />

III. Die Falllösung<br />

nach <strong>der</strong><br />

neuen gesetzlichen<br />

Regelung<br />

Rechtsproblem<br />

In dem Fall geht es um die Frage, ob e<strong>in</strong>e Patientenverfügung<br />

ausreicht, e<strong>in</strong>en Behandlungsabbruch durch den Betreuer herbeizuführen<br />

o<strong>der</strong> ob dazu e<strong>in</strong>e (wie auch immer geartete) Entscheidung<br />

des Betreuungsgerichts herbeizuführen ist.<br />

Entschei-<br />

dungsan-<br />

satz des<br />

BGH<br />

Der BGH räumt dem Persönlichkeitsrecht und damit das<br />

Selbstbestimmungsrecht des Patienten absoluten Vorrang<br />

e<strong>in</strong>. Der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er wirksamen Patientenverfügung manifestierte<br />

Patientenwille ist für Arzt und Betreuer b<strong>in</strong>dend.<br />

Kernlösung: Sechs Jahre nach dem Urteil des BGH hat <strong>der</strong> Gesetzgeber 2009<br />

durch das Dritte Gesetz <strong>zur</strong> Än<strong>der</strong>ung des Betreuungsrechts die<br />

Rechtslage erstmals verb<strong>in</strong>dlich geregelt. Dies bedeutet für den Fall:<br />

- <strong>der</strong> Krankheitsverlauf muss e<strong>in</strong>en irreparabel tödlichen Verlauf genommen<br />

haben,<br />

- es ist dann die Aufgabe des Betreuers, den tatsächlich geäußerten<br />

bzw. mutmaßlichen Willen des Patienten anhand <strong>der</strong> Patientenverfügung<br />

ausf<strong>in</strong>dig zu machen und danach die sich hieraus abzuleitende<br />

Entscheidung über den Behandlungsabbruch umzusetzen:<br />

- Nach § 1901a BGB muss <strong>der</strong> Betreuer dazu zunächst prüfen, ob<br />

die Patientenverfügung noch auf die gegenwärtige Lebens- und<br />

Behandlungssituation zutrifft, also dem aktuellen Willen des Patienten<br />

entspricht<br />

- Hat <strong>der</strong> Betreuer den Willen des Betreuten h<strong>in</strong>sichtlich des Behandlungsabbruchs<br />

festgestellt, dann muß er den Arzt hierüber<br />

<strong>in</strong>formieren;<br />

- <strong>der</strong> Arzt muß sodann die Weiterbehandlung e<strong>in</strong>stellen, wenn<br />

dies aus <strong>der</strong> Patientenverfügung hervorgeht und er sich dar<strong>in</strong><br />

mit dem Betreuer e<strong>in</strong>ig ist, bei dieser Fallkonstellation ist<br />

ke<strong>in</strong>e Zustimmung o<strong>der</strong> Überprüfung des Vormundschaftsgerichts<br />

erfor<strong>der</strong>lich! (§ 1094 IV, V BGB),<br />

- Hat <strong>der</strong> Betreuer den Willen des betreuten Patienten dah<strong>in</strong>gehend<br />

ausgelegt, dass die Behandlung fortgesetzt werden soll<br />

ohne dass <strong>der</strong> Patient im E<strong>in</strong>zelnen festgelegt hat, wie die behandelt<br />

werden soll, so muss <strong>der</strong> Arzt die angemessene Behandlung<br />

gem. dem mutmaßlichen Willen des Patienten bestimmen<br />

(§1901b I BGB; das ist e<strong>in</strong> Novum, dass <strong>der</strong> Arzt <strong>in</strong><br />

diesen Fällen die Entscheidungsbefugnis für die Indikation hat,<br />

vgl. dazu auch Kurtze, MedR 2011, 531 [532]); soweit noch Zeit<br />

verbleibt, sollen auch die Angehörigen e<strong>in</strong>bezogen werden (§<br />

1901b II BGB),<br />

- wenn die Behandlungsmaßnahme allerd<strong>in</strong>gs geeignet se<strong>in</strong><br />

könnte (begründete Gefahr!), das Leben des Patienten zu gefährden<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en schweren o<strong>der</strong> dauerhaften Schaden an<strong>zur</strong>ichten,<br />

so muss <strong>der</strong> Betreuer für se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>willigung <strong>in</strong> die<br />

Behandlung zuvor die Genehmigung des Betreuungsgerichts<br />

e<strong>in</strong>holen (§ 1904 I BGB),<br />

- dies gilt auch für den Fall, dass er se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>willigung <strong>in</strong> die<br />

Behandlung nicht erteilt bzw. wi<strong>der</strong>ruft (= Behandlungsabbruch)<br />

und dadurch das Leben des Patienten gefährdet o<strong>der</strong><br />

dieser dauerhaften Schaden nimmt (§ 1904 II BGB),<br />

- <strong>in</strong> beiden Fällen muss das Betreuungsgericht die Genehmigung<br />

erteilen, wenn die E<strong>in</strong>willigung dem Patientenwillen entspricht,<br />

- auch wenn <strong>der</strong> Arzt ungeachtet und entgegen <strong>der</strong> Patientenverfügung<br />

noch mediz<strong>in</strong>ische Maßnahmen anbietet, um den<br />

Patienten künstlich am Leben zu halten, kann <strong>der</strong> Betreuer das<br />

Betreuungsgericht anrufen, das die Feststellung des Betreuers<br />

(also meist: Abbruch <strong>der</strong> Behandlung) kontrolliert und dem<br />

Betreuer bei <strong>der</strong> Umsetzung des Patientenwillens hilft,


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 105 von 180<br />

IV. Folgen <strong>der</strong><br />

gesetzlichen Regelung<br />

V. H<strong>in</strong>weis <strong>zur</strong><br />

Patientenverfügung: <br />

Konsequenzen<br />

für die<br />

Praxis:<br />

- das Vormundschaftsgericht trifft hierbei ke<strong>in</strong>e eigene Entscheidung<br />

über den Behandlungsabbruch, son<strong>der</strong>n es überprüft<br />

die Feststellung des Betreuers auf se<strong>in</strong>e Rechtmäßigkeit und<br />

stimmt <strong>der</strong> Entscheidung dann zu o<strong>der</strong> nicht,<br />

- ggf. kann es den Betroffenen und die nächsten Angehörigen anhören<br />

- dies kann u.U. zu dem Ergebnis führen, daß wenn <strong>der</strong> Betreuer<br />

<strong>der</strong> lebensverlängernden mediz<strong>in</strong>ischen Maßnahme entgegen dem<br />

feststellbaren Willen des Patienten zugestimmt hat, das Vormundschaftsgericht<br />

diese Zustimmung wie<strong>der</strong> aufheben (und durch<br />

se<strong>in</strong>e eigene ersetzen) kann, wenn es <strong>der</strong> Auffassung ist, dass <strong>der</strong><br />

Patient nicht weiter behandelt werden möchte,<br />

Die Entscheidung des BGH bedeutet für Krankenpflegepraxis, dass<br />

e<strong>in</strong>e bloße Patientenverfügung bereits unmittelbar zum Behandlungsabbruch<br />

berechtigt,<br />

<strong>der</strong> Arzt den Patienten nicht an Geräte anschließen darf, die ihn<br />

künstlich am Leben halten, wenn dieser <strong>in</strong> Würde sterben möchte,<br />

<strong>in</strong> Streitfällen mit dem trotzdem behandlungswilligen Arzt<br />

vielmehr vormundschaftsgerichtlich festgestellt werden muss,<br />

daß <strong>der</strong> Wille des Patienten auf Behandlungsabbruch vom Betreuer<br />

richtig ermittelt wurde,<br />

Um sicher zu gehen, sollte/kann <strong>der</strong> Betreuer <strong>in</strong> jedem Fall<br />

se<strong>in</strong>e Entscheidung vom Vormundschaftsgericht prüfen lassen.<br />

Für die Wirksamkeit e<strong>in</strong>er Patientenverfügung kommt es nicht darauf an, wie<br />

alt e<strong>in</strong>e Patientenverfügung se<strong>in</strong> darf, um noch wirksam se<strong>in</strong> zu können:<br />

Der re<strong>in</strong>e Zeitablauf macht e<strong>in</strong>e Patientenverfügung nicht unbeachtlicher. Sie wirkt<br />

als Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts fort und macht e<strong>in</strong>e wie<strong>der</strong>holte Erneuerung<br />

entbehrlich. Auch die zwischenzeitlich e<strong>in</strong>getretene E<strong>in</strong>willigungsunfähigkeit (z.B. bei<br />

komatösen Patienten) än<strong>der</strong>t nach dem Rechtsgedanken des § 130 Abs. 2 BGB an <strong>der</strong><br />

fortdauernden Maßgeblichkeit des früher erklärten Willens nichts (BGH, NJW 2003, 1589 ff.).<br />

Entscheidend ist, dass die Patientenverfügung dem aktuellen Willen des Patienten<br />

entspricht – dies ist auch bei „alten“ Verfügungen immer zu prüfen.<br />

Etwas an<strong>der</strong>s gilt nur, wenn zwischenzeitlich klare Anhaltspunkte für e<strong>in</strong>e Än<strong>der</strong>ung<br />

des Patientenwillens ersichtlich o<strong>der</strong> bekannt werden.<br />

Übersicht: Entscheidungswese Patientenverfügung. Quelle und Autor: Beckmann, <strong>in</strong>: MedR 2009, 582 (585)


©RA <strong>Norbert</strong> <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege/Skript, Stand: 20. März 2011/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/Seite 106 von 180<br />

Lösung:<br />

Der Arzt hat sich nicht strafbar gemacht.


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 107 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

II. Teil<br />

Lerne<strong>in</strong>heit II.15:<br />

Die zivilrechtliche Haftung des <strong>Pflege</strong>personals<br />

- Zeitdauer: 8 Std. -<br />

Übersicht:<br />

Die zivilrechtliche Schadensersatzhaftung<br />

Vertraglich:<br />

Haftung für Schäden, die<br />

bei <strong>der</strong> Erfüllung von<br />

Verträgen e<strong>in</strong>em Dritten<br />

zugefügt wurden.<br />

Bsp.: Arzt macht bei Patienten<br />

im Rahmen des Behandlungsverhältnisses<br />

(Vertrag!) e<strong>in</strong>en Behandlungsfehler,<br />

<strong>der</strong> <strong>zur</strong> Amputation<br />

e<strong>in</strong>es F<strong>in</strong>gers führt.<br />

System <strong>der</strong> zivilrechtlichen Haftung<br />

Die zivilrechtliche Haftung<br />

glie<strong>der</strong>t sich <strong>in</strong>:<br />

Deliktisch:<br />

Haftung für alle Schäden,<br />

die Dritten zugefügt werden,<br />

ohne dass man mit<br />

ihnen <strong>in</strong> vertraglichen<br />

Beziehungen steht.<br />

Bsp: Fred Müller schlägt<br />

e<strong>in</strong>en Passanten auf <strong>der</strong><br />

Strasse nie<strong>der</strong> und bricht<br />

ihm die Nase, weil ihm danach<br />

zu Mute war.


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 108 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

Das zivilrechtliche Haftungssystem (Anspruchsgrundlagen)<br />

A. Das Haftungs- Der Schadensersatz unterscheidet <strong>in</strong> die Haftung aus Vertrag und aus unerlaubter (deliktischer) Handlung.<br />

system im Über-<br />

blick Der zivilrechtliche Schadensersatz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflege<br />

(Beide Ansprüche nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> möglich)<br />

Praxistip: E<strong>in</strong>er Prüfung<br />

<strong>der</strong> deliktischen<br />

Haftung bedarf es<br />

nicht mehr, soweit<br />

bereits die Voraussetzungen<br />

<strong>der</strong> vertraglichenGefährdungshaftung<br />

vorliegen;<br />

denn <strong>der</strong> Geschädigte<br />

gew<strong>in</strong>nt nichts h<strong>in</strong>zu<br />

Vertragshaftung Deliktische Haftung<br />

1. Anspruchsgrundlage: Schlechterfüllung<br />

KrkhausaufnVrtrg (§§ 280 I, III, 281 BGB)<br />

2. Anspruchsvoraussetzungen:<br />

Vorliegen ärztl. Behandlungsvertrag<br />

od. <strong>Pflege</strong>vertrag (Leistungspflicht)<br />

Nicht-/Schlechterfüllung v. vertraglichen<br />

Pflichten: Verletzung von vertragl./organisator.<br />

Haupt-<br />

/Nebenleistungspflichten (eig./Personal)<br />

-> Patient muß beweisen<br />

Schadense<strong>in</strong>tritt bei Patient an<br />

Körper, Gesundheit, Freiheit, sexueller<br />

Selbstbestimmung (§ 253 II).<br />

Kausalität Schaden - Pflichtverletzung.;<br />

Problem: hypothetische<br />

E<strong>in</strong>willigung<br />

Rechtswidrigkeit<br />

Verschulden nach § 276 (Vors./Fahrl.) o<strong>der</strong><br />

Nicht-Vertreten-Müssen Verschulden<br />

wird wg. Verl. äuß. + <strong>in</strong>n. Sorgfalt vermutet<br />

§ 280 I 2 i.V.m. §§ 276, 278 BGB); Arzt /<br />

<strong>Pflege</strong>r muß sich entlasten (§ 280 I 2 BGB);<br />

z.B.: äußere + <strong>in</strong>nere Sorgfalt bzw. Höchstmaß<br />

an Sorgfalt beachtet; schuldloser Irrtum;<br />

Sorgfaltsanfor<strong>der</strong>ungen haben sich<br />

kurz zuvor verschärft (Beweislastumkehr)<br />

ke<strong>in</strong> Entlbeweis bei Verrichtungs-/Erfüllungsgehilfe,<br />

wenn Schmerzensgeld gefor<strong>der</strong>t,<br />

Geltendmachung Anspruch:<br />

erfolglose Nachfristsetzung (§<br />

280 III i.V.m. § 281 I 1, wenn<br />

nicht nach § 281 I 3 entbehrlich)<br />

3. Anspruchsumfang und -folge:<br />

Schadensersatzleistung durch Schädiger<br />

an Verletzten (auch an Dritte, die<br />

im Schutzbereich d.er Norm s<strong>in</strong>d =<br />

Fälle <strong>der</strong> GoA = K<strong>in</strong><strong>der</strong> u. [vorübergehend]<br />

E<strong>in</strong>willigungsunfähige).<br />

Umfang: § 249 BGB: unmittelb.<br />

Personen-, Sach-, Vermögens-, Gefährdungsschaden.<br />

Auch: Schmerzensgeld<br />

(§ 253 II BGB), wenn Verletzung<br />

vorsätzlich od. fahrlässig verursacht<br />

wurde o<strong>der</strong> Schaden unter<br />

Berücksichtigung s. Art und Dauer<br />

nicht unerheblich (dann ke<strong>in</strong> Verschulden nötig).<br />

4. Untergang des Anspruchs:<br />

durch Verjährung und Verwirkung.<br />

Verjährungsfrist: 3 Jahre ab Kenntniserlangung,<br />

man hat bei Verletzung v. Leib, Leben, Körper,<br />

Gesundheit, Freiheit 30 Jahre Zeit <strong>zur</strong> Kenntniserlangung<br />

(§ 199 II BGB). 10 Jahre bei Verletzung<br />

Selbstbestimmungsrecht (§ 199 III Nr. 1 BGB).<br />

1. Anspruchsgrundlage: § 823 BGB<br />

(bei eig. Verschulden).<br />

2. Anspruchsvoraussetzungen:<br />

Verletzung e<strong>in</strong>es <strong>in</strong> § 823 BGB<br />

genannten Rechtsgutes des Patienten:<br />

Leib, Leben, Körper, Gesundheit,<br />

Freiheit, Selbstbestimmungsrecht,<br />

Eigentum.<br />

Durch Schädiger.<br />

Durch Handlung (Tun/Unterlassen).<br />

Schadense<strong>in</strong>tritt bei Patient (§ 253 II).<br />

Kausalität/obj. Zurechnung;<br />

Problem: hypothetische E<strong>in</strong>willigung<br />

Rechtswidrigkeit<br />

Vorsätzliches o<strong>der</strong> fahrlässiges<br />

Handeln (§ 280 I 2, §§ 276 I, II;<br />

278 BGB).<br />

Bei Verrichtungsgehilfe: Haftung<br />

nach<br />

§ 831 BGB (an<strong>der</strong>er Aufbau, dezentraler<br />

Entl.bew.), wenn regulärer<br />

Schadensersatz angestrebt ist<br />

§ 278 BGB, wenn Schemrzensgeld<br />

verlangt werden soll; Folge: <strong>der</strong><br />

über § 831 BGB mögliche dezentrale<br />

Entlastungsbeweis kann nicht<br />

geführt werden wegen § 253 II.<br />

3. Anspruchsumfang und -folge:<br />

Schadensersatzleistung durch<br />

Schädiger.<br />

Grds.: Personen-, Sach-, Vermögens-,<br />

Gefährdungsschaden,<br />

Schmerzensgeld.<br />

Umfang: § 249 BGB: unmittelb.<br />

Personenschaden, Sachschaden, Vermögensschaden.<br />

Auch: Schmerzensgeld<br />

(§ 253 II BGB), wenn Verletzung<br />

vorsätzlich od. fahrlässig verursacht<br />

wurde o<strong>der</strong> Schaden unter<br />

Berücksichtigung s. Art und Dauer<br />

nicht unerheblich (dann ke<strong>in</strong> Verschulden nötig).<br />

4. Untergang des Anspruchs:<br />

durch Verjährung und Verwirkung.<br />

Verjährungsfrist: 3 Jahre ab Kenntniserlangung,<br />

man hat bei Verletzung v. Leib, Leben, Körper,<br />

Gesundheit, Freiheit 30 Jahre Zeit <strong>zur</strong> Kenntniserlangung<br />

(§ 199 II BGB). 10 Jahre bei Verletzung<br />

Selbstbestimmungsrecht (§ 199 III Nr. 1 BGB).


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 109 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

Krankenhausvertrag <br />

Schlechterfüllung<br />

von Leistungen <br />

Schadense<strong>in</strong>tritt<br />

Kausalität<br />

Pflichtverletzung-<br />

Schaden<br />

Verschulden<br />

Rechtswidrigkeit<br />

<strong>der</strong><br />

Pflichtverletzung <br />

Schadensersatz/Schmerzensgeld<br />

Die vertragliche Haftung des Krankenhauses<br />

gegenüber dem Patienten<br />

- Überblick -<br />

Verletzung vertraglicher<br />

Hauptleistungspflichten, u.a.:<br />

weil ke<strong>in</strong>e bestmögliche ärztliche<br />

o<strong>der</strong> pflegerische Behandlung erfolgt<br />

ist,<br />

weil e<strong>in</strong> ärztlicher o<strong>der</strong> pflegerischer<br />

Behandlungsfehler begangen<br />

wurde,<br />

weil Patient rechtswidrig zwangsbehandelt<br />

wird<br />

Verletzung vertraglicher Nebenleistungspflichten.<br />

u.a.:<br />

weil ke<strong>in</strong> kompetentes, sorgfältiges<br />

und wachsames Personal vorhanden<br />

ist,<br />

weil zu wenig Personal vorgehalten<br />

wird und es deshalb zu Engpässen<br />

bei <strong>der</strong> Versorgung<br />

kommt,<br />

weil die pflegerischen o<strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Standards nicht e<strong>in</strong>gehalten<br />

wurden<br />

weil nicht die ärztlichen Regeln<br />

<strong>der</strong> Kunst (=Schulmediz<strong>in</strong>) angewendet<br />

wurden,<br />

weil Patient nicht ordnungsgemäß<br />

überwacht wird (Monitorpatient!),<br />

weil Patient <strong>in</strong> rechtswidriger<br />

Weise fixiert wird,


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 110 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

B. Schadensersatz<br />

des Patienten<br />

ggü. dem<br />

Anspruch des Patienten gegen das Krankenhaus wegen <strong>der</strong> Verletzung vertraglicher<br />

Hauptleistungspflichten durch eig. Verhalten o<strong>der</strong> das des <strong>Pflege</strong>personals<br />

(Erfüllungsgehilfe) während <strong>der</strong> stationären Behandlung.<br />

Krankenhaus<br />

aus Vertrag<br />

(Hauptleistungs-<br />

pflichten 1. Anspruchsgrundlage<br />

Schlechterfüllung des Krankenhausaufnahmevertrages (§§ 280 I, III, 281 BGB)<br />

2. Anspruchsvoraussetzungen<br />

a. Vorliegen e<strong>in</strong>es Krankenhausaufnahmevertrages<br />

Meist totaler Krankenhausaufnahmevertrag. Folge: Vorliegen e<strong>in</strong>es<br />

Arzt- und <strong>Pflege</strong>vertrages <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em.<br />

b. Schlechterfüllung von Pflichten aus dem Krankenhausaufnahmevertrag<br />

Das Krankenhaus verletzt aus dem Vertrag resultierende Hauptleistungspflichten<br />

h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> ärztlichen o<strong>der</strong> pflegerischen Behandlung<br />

(= Vorliegen e<strong>in</strong>es ärztlichen o<strong>der</strong> pflegerischen Behandlungsfehlers):<br />

In Betracht kommt die Verletzung für eigenes Verhalten wie auch<br />

für dasjenige von Erfüllungsgehilfen.<br />

Der Patient muß das Vorliegen <strong>der</strong> Hauptpflichtverletzung nachweisen<br />

(Näheres zu den Beweisfragen vgl. unten E.). Erst dann wird<br />

das Vertretenmüssen des Arztes/<strong>Pflege</strong>personals vermutet.<br />

Die Verletzung sonstiger Pflichten, die ke<strong>in</strong>e Hauptleistungspflichten<br />

s<strong>in</strong>d, also etwa re<strong>in</strong>e Verhaltenspflichten, bei denen etwa mediz<strong>in</strong>ische<br />

und pflegerische Qualitätsstandards e<strong>in</strong>zuhalten s<strong>in</strong>d,<br />

richtet sich nach etwas an<strong>der</strong>en Kriterien.<br />

c. Vorliegen <strong>der</strong> sonstigen Haftungsvoraussetzungen<br />

Schadense<strong>in</strong>tritt<br />

Kausalität Sorgfaltspflichtverletzung - Schaden (Patient = Mitursächlichkeit beweisen).<br />

Rechtswidrigkeit <strong>der</strong> Hauptleistungspflichtverletzung (wird <strong>in</strong>diziert).<br />

Vorsatz/Fahrlässigkeit (§ 276 BGB) und Nicht-Vertreten-müssen (§ 280 BGB)<br />

Liegt die Pflichtverletzung vor, dann müssen <strong>der</strong> Arzt o<strong>der</strong> das <strong>Pflege</strong>personal<br />

darlegen, daß diese nicht von ihm zu vertreten s<strong>in</strong>d. Zu Vertreten s<strong>in</strong>d<br />

nach § 276 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit (Pat. muß beweisen).<br />

Aber: Verschuldens<strong>zur</strong>echnung kann auch entfallen bei Nicht-Vertreten-<br />

Müssen nach § 280 BGB; dann muss Arzt Verschuldensvermutung wi<strong>der</strong>legen<br />

(Beweislastumkehr ! zug. Patient): Anhaltspunkte können u.a. se<strong>in</strong>:<br />

Beachtung <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren und äußeren Sorgfalt:<br />

Die äußere Sorgfalt stellt auf das sichtbare sachgemäße Verhalten<br />

ab. Die Nichte<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong> Sorgfalt im Äußeren <strong>in</strong>diziert auch die<br />

Nichte<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Sorgfalt, welche <strong>zur</strong> Durchsetzung des<br />

Normbefehls und <strong>zur</strong> Durchsetzung <strong>der</strong> Befolgung e<strong>in</strong>gesetzt wird.<br />

Höchstmaß und Normalmaß an Sorgfalt<br />

Die Außerachtlassung des Höchstmaßes an Sorgfalt begründet die<br />

handlungsbezogene Rechtswidrigkeit.<br />

Entschuldbarer Irrtum<br />

Dies umfaßt den schuldlosen Irrtum.<br />

Verwirklichung von eigentlich beherrschbaren Risiken<br />

E<strong>in</strong>e Beweislastumkehr ist auch dann gegeben, wenn es sich um Risiken<br />

handelt, die nicht aus den Eigenheiten des menschlichen Körpers<br />

erwachsen, son<strong>der</strong>n durch den Kl<strong>in</strong>ikbetrieb o<strong>der</strong> die Arztpraxis gesetzt<br />

und eigentlich durch sachgerechte Organisation und Koord<strong>in</strong>ation des<br />

Behandlungsgeschehens obj. voll beherrscht werden können, z.B.<br />

Verwendung von nicht sterilem OP-Gerät (BGH, MedR 2010, 30).


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 111 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

C. Schadensersatz<br />

des Patienten<br />

ggü. dem<br />

3. Anspruchsfolge<br />

Patient erhält Personen-, Sach- u. Vermögensschäden ersetzt, sowie Schmerzensgeld.<br />

Anspruch des Patienten gegen das Krankenhaus wegen <strong>der</strong> Verletzung von<br />

Nebenpflichten (meist: Verhaltenspflichten) durch eig. Verhalten o<strong>der</strong> das des<br />

<strong>Pflege</strong>personals während <strong>der</strong> stationären Behandlung.<br />

Krankenhaus<br />

aus Vertrag<br />

(Nebenpflichten) 1. Anspruchsgrundlage<br />

Schlechterfüllung des Krankenhausaufnahmevertrages (§§ 280 I, III, 281 BGB)<br />

2. Anspruchsvoraussetzungen<br />

a. Vorliegen e<strong>in</strong>es Krankenhausaufnahmevertrages<br />

b. Schlechterfüllung von Pflichten aus dem Krankenhausaufnahmevertrag<br />

Das Krankenhaus verletzt aus dem Vertrag resultierendeNebenpflichten.<br />

dies können se<strong>in</strong>: Verhaltenspflichten o<strong>der</strong> auch organisatorische Sorgfaltspflichten<br />

h<strong>in</strong>sichtl. Unterkunft und Betreuung d. Patienten:<br />

Verhaltenspflichten, Pflicht, ärztliche Regeln <strong>der</strong> Kunst anzuwenden,<br />

m<strong>in</strong>destens aber die gesicherten Erkenntnisse <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen Wissenschaft,<br />

ohne den mediz<strong>in</strong>ischen (Fach-)Arzt Standard zu unterschreiten<br />

(Vogeler, MedR 2009, 697 [700]; Merke: Aufklärung = vertragl. Nebenpflicht<br />

des Arzt, trotzdem muß Arzt Durchführung Aufklärung beweisen<br />

u. nicht <strong>der</strong> Patient (Sp<strong>in</strong>dler, JuS 2004, 272 [275]).<br />

Personelle Organisationspflichten, es muß das für die Behandlung erfor<strong>der</strong>liche<br />

und qualifizierte Personal (= Berufsanfänger kontrollieren und überwachen)<br />

bereitstellen, um die bestmögliche mediz<strong>in</strong>ische Betreuung des Patienten<br />

sicherzustellen (Patient darf deswegen ke<strong>in</strong>en Schaden erleiden).<br />

1. Son<strong>der</strong>problem: das Krankenhaus muss das ärztliche und pflegerische<br />

Personal so vorhalten, dass e<strong>in</strong>e zeitnahe Versorgung <strong>der</strong> Patienten<br />

sichergestellt ist; überdies müssen Anweisungen, Pläne und Rout<strong>in</strong>en<br />

vorliegen, ob und wann e<strong>in</strong>e Aufnahmeschwester e<strong>in</strong>en erfahrenen<br />

Arzt h<strong>in</strong>zuziehen muss, wenn e<strong>in</strong> solcher gerade nicht vor Ort ist - man<br />

darf sich nicht darauf verlassen, dass das <strong>Pflege</strong>personal von sich aus<br />

die mediz<strong>in</strong>ischen Notwendigkeiten e<strong>in</strong>er Behandlung erkennt (OLG<br />

Bremen, MedR 2007, 660 [661]).<br />

2. Son<strong>der</strong>problem: e<strong>in</strong> Krankenhaus verletzt nicht von vorne here<strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>e personellen und pflegerischen Organisationspflichten, wenn e<strong>in</strong>e<br />

Nachtschwester für vier Stationen mit durchschnittlich 15-20 Betten<br />

zuständig ist und während ihrer Schicht m<strong>in</strong>d. drei Rundgänge<br />

macht (OLG Schleswig, NJW-RR 2004, 237).<br />

Organisationspflichten des mediz<strong>in</strong>ischen Standards, wenn es<br />

ke<strong>in</strong>e Geräte vorhält und e<strong>in</strong>setzt, die geeignet s<strong>in</strong>d, den mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Erfolg herbeizuführen. Aber: Muß nicht neuestes Gerät vorhalten.<br />

Überwachung sedierter Patient nach ambulanter OP vor Selbstschädigung;<br />

darf nicht unkontrolliert entlassen werden (BGH, NJW 2003, 2309).<br />

Sonstige Organisationspflichten s<strong>in</strong>d verletzt, wenn vermeidbare<br />

Engpässe auftreten und Patienten dadurch zu Schaden kommen.<br />

Das <strong>Pflege</strong>personal verletzt u.a. pflegerische Sorgfaltspflichten, wenn:<br />

<strong>der</strong> Patient nicht auf Aufbewahrung Schmuck im Safe h<strong>in</strong>gewiesen ist,<br />

es den Patienten entgegen <strong>der</strong> ärztlichen Weisung fixiert,<br />

es den Patienten nicht regelmäßig gemäß <strong>der</strong> ärztlichen Anweisung<br />

überwacht,<br />

Son<strong>der</strong>problem: Haftung wegen nicht durchgängiger Beobachtung von<br />

monitorüberwachten Patienten<br />

E<strong>in</strong> grobes pflegerisches Versäumnis liegt bei e<strong>in</strong>em monitorüberwachten Patienten<br />

auch dann vor, wenn <strong>der</strong>en Zustand unauffällig ist und die Vitalparameter<br />

(arterieller Blutdruck, Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung des Blutes) über Sen-


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 112 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

D. Schadensersatz<br />

des Patienten<br />

ggü. dem<br />

Krankenhaus<br />

aus Delikt<br />

soren und Monitore, die bei unruhigen Bewegungen des Patienten e<strong>in</strong> Alarmsignal<br />

auslösen, überwacht werden und dann über e<strong>in</strong>en gewissen Zeitraum (hier: 15-20<br />

M<strong>in</strong>.) unbeobachtet gelassen werden, ohne daß die Beobachtung an e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es<br />

Mitglied des pflegerischen Personals übergeben wurde (OLG Düsseldorf, NJOZ<br />

2004, 2187 f.).<br />

Aber: E<strong>in</strong>e Haftung kommt <strong>in</strong> diesen Fällen nur dann <strong>in</strong> Betracht:<br />

- bei Patienten mit unkritischem Zustand (dann besteht nämlich<br />

ke<strong>in</strong>e Pflicht, den Patienten im Krankenzimmer an dessen<br />

Bett zu überwachen, son<strong>der</strong>n es genügt die Überwachung vom<br />

Dienstzimmer aus), wenn e<strong>in</strong> Unfall dann hätte verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden<br />

können, wenn sich die <strong>Pflege</strong>cxkraft im Dienstzimmer aufgehalten<br />

hätte (OLG Düsseldorf, a.a.O., ebd.),<br />

- bei Patienten mit kritischem Zustand (dann besteht nämlich<br />

i.d.R. die Pflicht, den Patienten im Krankenzimmer an se<strong>in</strong>em<br />

Bett zu überwachen), wenn e<strong>in</strong> Unfall dann hätte verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden<br />

können, wenn sich die <strong>Pflege</strong>kraft im Krankenzimmer am Patientenbett<br />

aufgehalten hätte (OLG Düsseldorf, a.a.O., ebd.).<br />

die Nachtschwester den Arzt vor E<strong>in</strong>setzen <strong>der</strong> Wehen nicht <strong>in</strong>formiert<br />

und sich selbst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Therapie versucht,<br />

die <strong>Pflege</strong>kraft die Thrombosegefährdung des Patienten nicht beachtet<br />

und ke<strong>in</strong>en Arzt verständigt,<br />

auf <strong>der</strong> Intensivstation bei Risikopatienten nicht auf eig. Antrieb<br />

häufigere Kontrollen durchgeführt werden,<br />

die <strong>Pflege</strong>kraft nicht die Instrumente für die OP bereitstellt und entsorgt,<br />

die OP-Geräte nicht steril, son<strong>der</strong>n sogar verunre<strong>in</strong>igt s<strong>in</strong>d (BGH, MedR<br />

2010, 30).<br />

Patient muß Vorliegen Pflichtverletzung beweisen.<br />

H<strong>in</strong>weis: Das Krankenhauses haftet beim totalen Krankenhausaufnahmevertrag<br />

für Sorgfaltspflichtverletzungen des <strong>Pflege</strong>personals (= Erfüllungsgehilfe).<br />

Beim gespaltenen Krankenhausvertrag haften Belegarzt und Krankenhaus<br />

gesamtschuldnerisch für Fehler des <strong>Pflege</strong>personals, weil e<strong>in</strong>e<br />

Gemengelage an pflegerischen Pflichten und Aufgaben besteht.<br />

Die Haftung für Fehler <strong>der</strong> Ambulanz kommt nur dann <strong>in</strong> Betracht,<br />

wenn das Krankenhaus als Institution die Haftung übernimmt.<br />

b. Vorliegen <strong>der</strong> sonstigen Haftungsvoraussetzungen<br />

Schadense<strong>in</strong>tritt<br />

Kausalität Sorgfaltspflichtverletzung - Schaden (Patient = Mitursächlichkeit beweisen).<br />

Rechtswidrigkeit <strong>der</strong> Sorgfaltspflichtverletzung (wird <strong>in</strong>diziert).<br />

Vorsatz/Fahrlässigkeit (Vertreten-müssen/Nicht-Vertreten-müssen).<br />

3. Anspruchsfolge<br />

Patient erhält Personen-, Sach- u. Vermögensschäden ersetzt sowie Schmerzensgeld.<br />

Anspruch des Patienten gegen das Krankenhaus wegen <strong>der</strong> deliktischen Verletzung<br />

von Rechtsgütern durch eig. Verhalten o<strong>der</strong> das des <strong>Pflege</strong>personals während<br />

<strong>der</strong> stationären Behandlung.<br />

1. Anspruchsgrundlage(n)<br />

§ 823 BGB bei eigenen und § 831 BGB bei Handlungen <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>personals.<br />

2. Anspruchsvoraussetzungen<br />

a. Verletzung Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Selbstbestimmung<br />

Verletzung des Lebens liegt vor, wenn <strong>der</strong> Tod e<strong>in</strong>getreten ist.<br />

Körperverletzung (= Misshandlung, die körperl. Wohlbef<strong>in</strong>den nicht unerheblich<br />

bee<strong>in</strong>trächtigt; od.: Hervorrufen od. Steigern patholog. Zustand).


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 113 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

Freiheitse<strong>in</strong>griffe s<strong>in</strong>d E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> die Bewegungsfreiheit (Fixierung).<br />

Eigentumsverletzungen (= Sachen d. Patienten gestohlen od. zerstört).<br />

das Selbstbestimmungsrecht ist verletzt, wenn <strong>der</strong> Arzt trotz un<strong>zur</strong>eichen<strong>der</strong>/unwirksamer<br />

Aufklärung e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>griff vornimmt.<br />

b. durch Krankenhaus / Arzt o<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>personal (Verrichtungsgehilfe)<br />

Das Krankenhaus verletzt se<strong>in</strong>e organisatorischen Sorgfaltspflichten<br />

h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> allg., nichtmediz<strong>in</strong>ischen/nichtpatientenbezogenen<br />

Betriebsabläufe (sog. deliktisches Organisationsverschulden), § 823:<br />

Betriebsabläufe h<strong>in</strong>sichtlich Toiletten, Strom und Wasser, Feuerlöscher<br />

und Aschenbecher auf Stationen funktionieren nicht,<br />

Patienten können Wertsachen nicht verschließen,<br />

Infusionslösungen werden durch unsaubere Räume verseucht.<br />

E<strong>in</strong> angestellter Arzt kann bei totalem Krankenhausvertrag gegenüber<br />

dem Patienten auch selbst deliktischer Verursacher se<strong>in</strong>, weil<br />

er für die aufgrund <strong>der</strong> organisatorischen Weisung übernommene Behandlungsaufgabe<br />

e<strong>in</strong>e Garantenstellung erlangt hat, die er bei unsorgfältigem<br />

Verhalten verletzen kann. Das Krankenhaus haftet <strong>in</strong><br />

diesem Fall nicht selbst deliktisch (BGH, NJW 2000, 2741 [2742]).<br />

Das <strong>Pflege</strong>personal verletzt als Verrichtungsgehilfe (= Krankenschwester<br />

wird mit Wissen und Wollen des. Krankenhauses von diesem<br />

mit typischer Tätigkeit beauftragt und ist dabei weisungsabhängig) <strong>in</strong><br />

Ausführung dieser Verrichtung Rechtsgüter (s.o.) von Patienten, § 831<br />

c. durch kausale und <strong>zur</strong>echenbare Handlung/Unterlassen<br />

d. Vertreten müssen: Vorsatz/Fahrlässigkeit<br />

das Krankenhaus hat se<strong>in</strong> eigenes schädigendes Verhalten zu vertreten,<br />

wenn vorsätzlich o<strong>der</strong> fahrlässig gehandelt wurde, § 823er Haftung<br />

bei Haftung für Verrichtungsgehilfen wird vermutet, daß das Krankenhaus<br />

Gehilfen unsorgfältig ausgesucht o<strong>der</strong> mangelhaft überwacht<br />

und daher zu vertreten hat, § 831er Haftung<br />

e. ggf. dezentraler Entlastungsbeweis des Krankenhauses<br />

bei Haftung für Verrichtungsgehilfen kann sich Krankenhaus durch<br />

Führen des dezentralen Entlastungsbeweises von Haftung befreien,<br />

es muß darlegen, daß Krankenschwester sorgfältig ausgesucht (gute<br />

Zeugnisse, nie etwas passiert <strong>in</strong> Vergangenheit) u. überwacht hat.<br />

Aber: Wenn Schmerzensgeld verlangt wird, greift <strong>der</strong> dezentrale Entlastungsbeweis<br />

wegen <strong>der</strong> Regelung <strong>in</strong> § 278 BGB nicht (Wagner, NJW 2002, 2056).<br />

f. Rechtswidrigkeit und Schadense<strong>in</strong>tritt<br />

3. Anspruchsfolge<br />

Patient erhält Personen-, Sach- u. Vermögensschäden ersetzt und Schmerzensgeld.<br />

E. Beweisfragen Die erfolgreiche Geltendmachung e<strong>in</strong>es schadensersatzrelevanten Behandlungsfehlers<br />

setzt voraus, daß dies bewiesen werden kann.<br />

1. Ärztlicher Behandlungsfehler<br />

Bei e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>fachen Behandlungsfehler muß <strong>der</strong> Patient sowohl Fehler,<br />

Schaden und Kausalität beweisen. Ausnahme: Vorliegen e<strong>in</strong>es Dokumentationsfehlers<br />

(vgl. dazu unten VI.) o<strong>der</strong> z.B. Unterlassen <strong>der</strong> Befun<strong>der</strong>hebung.<br />

Wird e<strong>in</strong> grober Behandlungsfehler festgestellt, kommt es <strong>zur</strong> Beweis-


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F. Schmerzensgeld<br />

G. Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong><br />

Verjährungsfrist<br />

ab Kenntnisnahme<br />

vom<br />

Schaden<br />

lastumkehr h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Kausalität. Folge: Der Arzt muß beweisen, daß<br />

<strong>der</strong> vom Patienten geltend gemachte Schaden nicht typischerweise durch den<br />

Behandlungsfehler hervorgerufen wurde (Sp<strong>in</strong>dler, JuS 2004, 272 [275]).<br />

Def. grober<br />

Behandlungsfehler:<br />

Feststellung grober Behandlungsfehler:<br />

Es liegt e<strong>in</strong> Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregelungen<br />

o<strong>der</strong> gesicherte mediz<strong>in</strong>ische Erkenntnisse vor und darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong><br />

Fehler, <strong>der</strong> aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich ersche<strong>in</strong>t,<br />

weil e<strong>in</strong>em Arzt dies schlechterd<strong>in</strong>gs nicht unterlaufen darf.<br />

Die Beurteilung dessen, ob e<strong>in</strong> grober Behandlungsfehler vorliegt, obliegt<br />

dem Tatrichter, <strong>der</strong> hierzu meist auf die (gerichtliche) E<strong>in</strong>holung mediz<strong>in</strong>ischer<br />

Sachverständigengutachten angewiesen ist.<br />

Merke: Inhaltliche reichen allgeme<strong>in</strong>e Erwägungen des Sachverständigen o<strong>der</strong> Darlegungen<br />

über die Kumulation von Fehlern nicht aus; er muß konkret darlegen, daß<br />

<strong>der</strong> festgestellte Fehler e<strong>in</strong>em Arzt schlechterd<strong>in</strong>gs nicht unterlaufen darf. Der bloße<br />

H<strong>in</strong>weis auf e<strong>in</strong> ärztliches Vorgehen, das nach <strong>der</strong> Ansicht des Gutachters nicht den<br />

anerkannten mediz<strong>in</strong>ischen Standards entspricht, reicht nicht aus für die Annahme e<strong>in</strong>es<br />

groben Behandlungsfehlers.<br />

2. <strong>Pflege</strong>fehler<br />

Bei <strong>Pflege</strong>fehlern gilt das zuvor zum ärztlichen Behandlungsfehler Gesagte.<br />

Der geschädigte Patient kann gegenüber Arzt, <strong>Pflege</strong>personal und Krankenhaus -<br />

auch <strong>in</strong> Bagatellfällen - Schmerzensgeld wegen des erlittenen Schadens e<strong>in</strong>klagen.<br />

1. Dogmatische E<strong>in</strong>ordnung<br />

Der Schmerzensgeldanspruch ist gemäß § 253 II BGB auf die Fälle <strong>der</strong> Verletzung<br />

von Körper, Gesundheit, Freiheit sexuelle Selbstbestimmung erstreckt.<br />

2. Entlastungsbeweis<br />

Der dezentrale Entlastungsbeweis des Arztes/Krankenhaus ist bei Hilfspersonen<br />

wegen § 278 S. 1 BGB im Rahmen des Schmerzensgeldanspruchs<br />

nicht mehr möglich (sonst schon, arg. ex. Sp<strong>in</strong>dler, JuS 2003, 272 [276]).<br />

Die Verjährungsfrist für die Haftung bei Arzt- o<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>fehlern beg<strong>in</strong>nt mit <strong>der</strong><br />

positiven Kenntnis des Patienten von dem Fehler bzw. <strong>der</strong> grob fahrlässigen Unkenntnis<br />

(= es hätte sich ihm aufdrängen müssen).<br />

Das Problem:<br />

Regelmäßig stellt sich hier die Frage, wann für den Patienten konkrete Anhaltspunkte<br />

für das Bestehen se<strong>in</strong>es Anspruchs ersichtlich s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> se<strong>in</strong> müssen,<br />

also wann sich ihm <strong>der</strong> Verdacht e<strong>in</strong>er möglichen Schädigung hätte aufdrängen<br />

müssen, so dass er konkrete Schritte zu se<strong>in</strong>er Aufdeckung und Verfolgung<br />

hätte e<strong>in</strong>leiten müssen.<br />

Die Lösung des BGH (MedR 2010, 258 f.)<br />

Der Bundesgerichtshof stellt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Urteil fest, dass alle<strong>in</strong>e <strong>der</strong> negative<br />

Ausgang e<strong>in</strong>er Behandlung noch nicht dazu führen muss, dass <strong>der</strong> Patient<br />

konkret tätig werden muss, um die drohende Verjährung zu vermeiden. Denn


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 115 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

G. Ärztliche<br />

und pflegerische<br />

Dokumentation<br />

im haftungsrechtlichen<br />

Be-<br />

weisverfahren<br />

das Ausbleiben des ärztlichen Erfolgs muss nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Unzulänglichkeit<br />

ärztlicher Bemühungen liegen.<br />

Vielmehr muss <strong>der</strong> Patient<br />

– aus se<strong>in</strong>er Laiensicht<br />

– ohne dass er dazu beson<strong>der</strong>e Recherchen durchführen müßte<br />

– und ohne dass er „die Augen verschließt“<br />

– allerd<strong>in</strong>gs aufgrund verständlich ersche<strong>in</strong>en<strong>der</strong> Nachfragen an den Arzt<br />

konkrete Tatsachen kennen, aus denen sich ergibt, dass <strong>der</strong> Arzt schuldhaft<br />

von dem üblichen mediz<strong>in</strong>ischen Vorgehen abgerückt ist o<strong>der</strong> nicht die<br />

Maßnahmen ergriffen hat, die den Behandlungserfolg herbeiführen können<br />

(= schuldhaftes Fehlverhalten).<br />

Vorher beg<strong>in</strong>nt die (dreijährige) Verjährungsfrist nicht zu laufen (= patientenfreundliche<br />

Sicht des BGH).<br />

Ärztliche und pflegerische<br />

Dokumentationspflicht (im Beweisverfahren)<br />

Soweit die Patienten ihre Schadensersatzansprüche nach den allgeme<strong>in</strong>en<br />

Haftungsgrundsätzen geltend machen wollen, müssen sie beweisen, daß <strong>der</strong><br />

Arzt o<strong>der</strong> das Krankenhaus ihnen durch fehlerhaftes Verhalten e<strong>in</strong>en Schaden<br />

zugefügt haben.<br />

Um den Beweis überhaupt führen zu können, müssen die Patienten E<strong>in</strong>sicht<br />

<strong>in</strong> ihre Patientenakte, beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> die Dokumentationsunterlagen nehmen.<br />

Denn <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e über die Dokumentation kann <strong>der</strong> Patient Beweiserleichterungen<br />

(bis h<strong>in</strong> <strong>zur</strong> Beweislastumkehr) <strong>in</strong> Anspruch nehmen, wenn <strong>Pflege</strong>personal<br />

und Arzt die Dokumentationspflicht verstoßen haben (Feststellung erfolgt über<br />

E<strong>in</strong>sichtnahme <strong>in</strong> Patientenakte!).<br />

S<strong>in</strong>n u.<br />

Zweck <strong>der</strong><br />

Dokumentation:<br />

Ärztliches und pflegerisches Personal unterliegen <strong>der</strong> Pflicht <strong>zur</strong><br />

Dokumentation ihrer Maßnahmen.<br />

Die Dokumentationspflicht ist Nebenpflicht des ärztlichen Behandlungsvertrages<br />

u. d. Krankenhausbehandlungsvertrages.<br />

Durch die Dokumentation soll die Behandlung transparent und ihr<br />

therapeutischer Nutzen sichtbar werden, die Dokumentation<br />

dient nicht <strong>der</strong> Beweissicherung für den Patienten (vgl. OLG<br />

Oldenburg, MedR 2008, 375 [376],<br />

dabei reichen e<strong>in</strong>e schlagwortartige Abkürzung o<strong>der</strong> zeichnerische<br />

Darstellungen völlig aus, wenn sie von e<strong>in</strong>em Fachmann<br />

verstanden werden können.<br />

1. Inhalt und Umfang <strong>der</strong> Dokumentationspflicht<br />

a. Die ärztliche Dokumentation muss enthalten<br />

Die ärztliche Dokumentation soll <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die wesentlichen mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Daten und Fakten für den Behandlungsverlauf sicherstellen.<br />

Sie muss demgemäß enthalten:


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die wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen,<br />

alle wichtigen Punkte <strong>der</strong> Anamnese, Diagnose und Therapie,<br />

alle Untersuchungsbefunde und Berichte über Behandlungsmaßnahmen,<br />

chronologisch aufbereitete Krankengeschichte (Verlaufsbericht),<br />

Verlaufskurven mit E<strong>in</strong>tragungen von Körpertemperatur, Blutdruck-<br />

und Pulswerten,<br />

die ärztliche Aufklärung,<br />

Nicht <strong>der</strong> ärztlichen Dokumentationspflicht unterliegen:<br />

Rout<strong>in</strong>emaßnahmen (Des<strong>in</strong>fektion vor OP [OLG Hamburg, MDR 2002, 1315]), nebensächliche<br />

Sachverhalte (u.a. Weigerung Patient, e<strong>in</strong>en AIDS-Test zu machen),<br />

Bagatelleuntersuchungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Notfallambulanz,<br />

b. Die <strong>Pflege</strong>dokumentation muss enthalten<br />

Grundsätzlich umfasst die <strong>Pflege</strong>dokumentation den lückenlosen<br />

Nachweis aller Maßnahmen, die <strong>der</strong> unmittelbaren körperlichen <strong>Pflege</strong><br />

und Versorgung des Patienten dienen. Dazu zählen auch die<br />

menschlich-psychologische Betreuung sowie die damit verbundene Patientenbeobachtung<br />

und -überwachung.<br />

Medikation u. <strong>der</strong>en Wirkung, Fieber-, Puls-, Blutdruck- u. sonst. Kontrollen<br />

o<strong>der</strong> die Durchführung beson<strong>der</strong>er Hygienemaßnahmen (lückenlos !),<br />

beson<strong>der</strong>e <strong>Pflege</strong>bedürfnisse, Ermahnungen an die Patienten o<strong>der</strong><br />

ärztliche Anweisungen (Bettruhe, Diät),<br />

bes. Vorkommnisse (Sturz aus Bett und Gegenmaßnahmen [Bettgitter]),<br />

bei Fehlen konkreter ärztlicher Maßnahmen <strong>zur</strong> <strong>Pflege</strong> müssen im<br />

Krankenblatt dokumentiert se<strong>in</strong>: Medikation, Injektionen, Infusionen,<br />

Anlegen von Verbänden, mediz<strong>in</strong>ische Bä<strong>der</strong>, Bedarfsmedikation.<br />

2. Organisation und zeitliche Abfolge <strong>der</strong> Dokumentation<br />

Für die ärztliche Dokumentation ist <strong>der</strong> behandelnde Arzt zuständig. Die<br />

Organisation <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>dokumentation obliegt <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>dienstleitung<br />

nach Abstimmung mit dem ärztlichen Dienst.<br />

Beachte: Nach herrschen<strong>der</strong> Auffassung ist die <strong>Pflege</strong>dokumentation<br />

Teil <strong>der</strong> ärztlichen Dokumentationspflicht. Juristisch gesehen wird die<br />

Durchführungsverantwortung dieser Pflicht auf das <strong>Pflege</strong>personal delegiert<br />

u. <strong>in</strong> Form d. Grund- und Behandlungspflege ausgestaltet. Daß die<br />

<strong>Pflege</strong>dokumentation von <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>dienstleitung organisiert wird, än<strong>der</strong>t<br />

also nichts an <strong>der</strong> grundsätzlichen Verantwortung des Arztes für e<strong>in</strong>e<br />

ordnungsgemäße Gesamtdokumentation.<br />

Bei Verstößen gegen die <strong>Pflege</strong>dokumentationspflicht kann sich <strong>der</strong> Arzt<br />

nur dadurch exkulpieren, dass er nachweist, daß die mit <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>dokumentation<br />

betrauten Kräfte sorgfältig ausgewählt wurden.<br />

Daneben trifft auch den Krankenhausträger e<strong>in</strong>e Haftung, wenn er nicht<br />

nachweisen kann, daß die mit <strong>der</strong> Organisation <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>dokumentation<br />

betraute <strong>Pflege</strong>dienstleitung die Abläufe <strong>der</strong> Dokumentation nicht sorgfältig<br />

strukturiert und überwacht hat (bei Verstoß: Haftung wegen Organisationsverschulden).<br />

Die Dokumentation soll unmittelbar nach <strong>der</strong> Behandlung erfolgen, wobei<br />

e<strong>in</strong> kurzer handschriftlicher Vermerk ausreicht.<br />

Die Re<strong>in</strong>schrift muss jedoch spätestens aber <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Woche erfolgen.<br />

3. Folgen <strong>der</strong> Dokumentation bzw. <strong>der</strong> fehlerhaften o<strong>der</strong> unterbliebenen<br />

Dokumentation<br />

a. Folgen <strong>der</strong> Dokumentationspflicht<br />

Aus <strong>der</strong> Dokumentationspflicht resultiert die Notwendigkeit <strong>der</strong> Aufbewahrung<br />

von Patientendaten und Dokumentationen.


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Wegen etwaiger Schadensersatzprozesse empfiehlt sich für den Arzt<br />

o<strong>der</strong> Krankenhausträger e<strong>in</strong>e Aufbewahrungszeit <strong>der</strong> Patientenunterlagen<br />

und Dokumentationen von 30 Jahren.<br />

Die Unterlagen s<strong>in</strong>d vertraulich zu behandeln<br />

b. Folgen <strong>der</strong> fehlerhaften Dokumentation<br />

E<strong>in</strong>e mangelhafte o<strong>der</strong> fehlende Dokumentation kann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schadensersatzprozess<br />

gegen den Arzt o<strong>der</strong> das Krankenhaus wegen e<strong>in</strong>es<br />

ärztlichen o<strong>der</strong> pflegerischen Behandlungsfehlers entwe<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Beweiserleichterung o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Beweislastumkehr <strong>zur</strong> Folge haben.<br />

Begründung: Es besteht die Vermutung, dass <strong>der</strong> Arzt/<strong>Pflege</strong>personal<br />

alle Maßnahmen, die nicht o<strong>der</strong> nicht h<strong>in</strong>reichend klar dokumentiert<br />

s<strong>in</strong>d, nicht getroffen wurden. Dies geht zu se<strong>in</strong>en Lasten.<br />

E<strong>in</strong>schub: Beweiserleichterungen und Beweislastumkehr<br />

wegen ärztlicher Behandlungsfehler<br />

Beweiserleichterung: Sie betrifft ärztliche Behandlungsfehler.<br />

Es wird bei Vorliegen bestimmter Tatsachen auf<br />

e<strong>in</strong>en Behandlungsfehler geschlossen, wobei letzte Details<br />

als vorliegend angenommen werden.<br />

Beweislastumkehr: Sie betrifft grobe Behandlungsfehler.<br />

Nicht <strong>der</strong> Patient muß beweisen, daß <strong>der</strong> Arzt e<strong>in</strong>en<br />

Behandlungsfehler begangen hat, son<strong>der</strong>n Arzt o<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>person<br />

müssen beweisen, daß ihr Verhalten nicht ursächlich<br />

war für beim Patienten e<strong>in</strong>getretenen Schaden.<br />

Die Beweislastumkehr greift auch, wenn:<br />

Patient kann grob. <strong>Pflege</strong>fehler nachweisen (= pfleger. Verhalten<br />

obj. nicht nachvollziehbar = Fehler darf so nicht unterlaufen),<br />

<strong>der</strong> Patient vom Arzt unvollständig aufgeklärt wurde.<br />

c. Strafrechtliche Folgen <strong>der</strong> nachträglichen Verän<strong>der</strong>ung von Dokumentation<br />

und sonstigen E<strong>in</strong>tragungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Patientenakte<br />

bei <strong>der</strong> Patientenakte handelt es sich um e<strong>in</strong>e Urkunde im strafrechtlichen<br />

S<strong>in</strong>ne,<br />

sobald e<strong>in</strong>e Dokumentation von <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>kraft (bzw. dem Arzt) beendet<br />

und <strong>der</strong> Vorgang abgeschlossen ist, dürfen die Dokumentation<br />

o<strong>der</strong> auch an<strong>der</strong>e E<strong>in</strong>träge <strong>in</strong> <strong>der</strong> Patientenakte nur dann verän<strong>der</strong>t<br />

werden, wenn die Än<strong>der</strong>ungen als solche kennzeichlich gemacht<br />

werden, <strong>in</strong>dem:<br />

<strong>der</strong> ursprüngliche Text durchgestrichen wird,<br />

<strong>der</strong> daneben gesetzte und ergänzte Text als solcher gekennzeichnet wird,<br />

die Än<strong>der</strong>ung datiert und paraphiert wird, so daß erkennbar wird,<br />

wer diese vorgenommen hat.<br />

an<strong>der</strong>nfalls handelt es sich um e<strong>in</strong>e strafbare Urkundenfälschung<br />

i.S.d. § 267 StGB,<br />

E<strong>in</strong>e strafbare Urkundenfälschung i.S.d. § 267 StGB liegt <strong>in</strong> jedem<br />

Falle vor, wenn jemand:<br />

e<strong>in</strong>e Än<strong>der</strong>ung an den von ihm vorgenommenen Daten <strong>der</strong> Patientenakte<br />

vornimmt und nicht deutlich macht, daß es sich um e<strong>in</strong>e<br />

nachträgliche Än<strong>der</strong>ung handelt,<br />

Daten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Patientenakte verän<strong>der</strong>t, die nicht von ihm verfasst wurden<br />

und er nicht kenntlich macht, daß die Än<strong>der</strong>ungen von ihm s<strong>in</strong>d.<br />

4. Allgeme<strong>in</strong>e Checkliste Dokumentation<br />

Zusammenfassend kann man die wichtigsten praktischen Tips <strong>zur</strong> Durchführung<br />

e<strong>in</strong>er ordnungsgemäßen Dokumentation wir folgt zusammenfassen:


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 118 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

Benutzen Sie pflegerische/mediz<strong>in</strong>ische Fachbegriffe, die alle kennen,<br />

Benutzen Sie dokumentenechte Kugelschreiber,<br />

Dokumentieren Sie pr<strong>in</strong>zipiell alles,<br />

Dokumentationsfehler werden mit e<strong>in</strong>em waagerechten Strich markiert,<br />

<strong>der</strong> alte Text muss dabei lesbar bleiben, Radierungen, Überklebungen und<br />

Tip-Ex s<strong>in</strong>d verboten,<br />

Lassen Sie mediz<strong>in</strong>ische Anordnungen vom Arzt e<strong>in</strong>tragen und abzeichnen,<br />

bei telefonischen Anordnungen ist die Unterschrift zeitnah nachzuholen,<br />

je<strong>der</strong> im <strong>Pflege</strong>- und Behandlungsteam trägt se<strong>in</strong>e eigene Dokumentation<br />

<strong>in</strong> die Patientenakte e<strong>in</strong>,<br />

Formulieren Sie kurz und knapp, stichwortartige Beschreibungen o<strong>der</strong><br />

Zeichnungen genügen, Abkürzungen s<strong>in</strong>d erlaubt, wenn sie verständlich<br />

bleiben,<br />

ke<strong>in</strong>e eigenen Wertungen o<strong>der</strong> Interpretationen dokumentieren, gleichwohl<br />

aber eigene Beobachtungen, ggf. mit Zitaten arbeiten,<br />

immer lückenlos und für an<strong>der</strong>e verständlich und logisch dokumentieren,<br />

paraphieren Sie Ihre eigenen Dokumentationen,<br />

dokumentieren Sie zeitnah<br />

5. Son<strong>der</strong>problem: E<strong>in</strong>sichtnahme <strong>in</strong> die Patientenakte zu Beweiszwecken<br />

a. Rechtliche Grundlagen des E<strong>in</strong>sichtnahmeanspruchs:<br />

Soweit <strong>der</strong> Patient o<strong>der</strong> se<strong>in</strong> Prozessvertreter e<strong>in</strong>e Schadensersatzklage<br />

vorbereiten, kommt es häufig dazu, dass <strong>der</strong> Wunsch geäußert wird,<br />

die Patientenakte e<strong>in</strong>zusehen.<br />

E<strong>in</strong>e Herausgabe <strong>der</strong> Patientenakten ist nicht möglich, da diese im Eigentum<br />

des Arztes stehen.<br />

Begründung: Mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>sichtnahme erhofft <strong>der</strong> Patient, die erfor<strong>der</strong>lichen<br />

Informationen zu erhalten, mit denen er ggf.<br />

e<strong>in</strong>en Behandlungsfehler o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> sonstiges schuldhaftes<br />

und vertragswidriges Verhalten des Arztes o<strong>der</strong><br />

des <strong>Pflege</strong>personals leichter nachweisen zu können.<br />

Die E<strong>in</strong>sichtnahme dient also Beweissicherungszwecken.<br />

Je<strong>der</strong> Patient hat das Recht, die ihn betreffenden ärztlichen und pflegerischen<br />

Behandlungsunterlagen e<strong>in</strong>zusehen und auf se<strong>in</strong>e Kosten<br />

Kopien o<strong>der</strong> Ausdrucke von den Unterlagen fertigen zu lassen. Er muss<br />

se<strong>in</strong> rechtliches Interesse an <strong>der</strong> E<strong>in</strong>sichtnahme nicht begründen (vgl.<br />

MedR 2007, 663, zuletzt BGH, MedR 2010, 851 unter ausdrücklicher<br />

E<strong>in</strong>beziehung auch <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>akten).<br />

Merke:<br />

Auch nahe Angehörige haben nach dem Tod des Patienten e<strong>in</strong> Recht auf<br />

E<strong>in</strong>sichtnahme <strong>in</strong> dessen Akte, wenn dies dem mutmaßlichen Willen<br />

des Verstorbenen entspricht und wenn sie e<strong>in</strong>e Schadensersatzklage<br />

vorbereiten möchten (OlG München, MedR 2009, 49 f. [50]).<br />

Aber:<br />

Möchte h<strong>in</strong>gegen hat <strong>der</strong> Krankenversicherer bei Heimbewohnern (!)<br />

nach E<strong>in</strong>willigung des Patienten <strong>in</strong> die ärztlichen und pflegerischen Behandlungsunterlagen<br />

E<strong>in</strong>sicht nehmen, so kann er das bei den ärztlichen<br />

ohne Weiteres nach Vorlage <strong>der</strong> Patientene<strong>in</strong>willigung, bei den<br />

pflegerischen Unterlagen muss er e<strong>in</strong> konkretes rechtliches Interesse<br />

geltend machen, weil diese Akten beson<strong>der</strong>s höchstpersönliche Angaben<br />

über den Patienten enthalten, die <strong>in</strong> starker Weise se<strong>in</strong> Selbstbestimmungsrecht<br />

berühren (BGH, MedR 2010, 851)


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 119 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

Rechtliche<br />

Verankerung:<br />

b. Ort <strong>der</strong> E<strong>in</strong>sichtnahme:<br />

Das Recht <strong>zur</strong> E<strong>in</strong>sichtnahme <strong>in</strong> die Behandlungsunterlagen<br />

bzw. Patientenakten ist Nebenpflicht des<br />

ärztlichen Behandlungsvertrages sowie des Krankenhausaufnahmevertrages.<br />

Es dient <strong>der</strong> Stärkung des Persönlichkeitsrechts des<br />

Patienten (Recht auf <strong>in</strong>formationelle Selbstbestimmung).<br />

Das E<strong>in</strong>sichtnahmerecht erfährt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rechtsprechung<br />

e<strong>in</strong>e zunehmende Gewichtung und Ausweitung<br />

zugunsten des Patienten (vgl. LG Bremen, MedR<br />

2009, 480 ff. mit H<strong>in</strong>weisen von Raschorn).<br />

Der Patient darf se<strong>in</strong>e Akte <strong>in</strong> den Räumlichkeiten des Arztes bzw.<br />

Krankenhauses e<strong>in</strong>sehen. An<strong>der</strong>e Örtlichkeiten als diese kommen nicht<br />

<strong>in</strong> Betracht.<br />

Jedoch ist für den Fall von Röntgenbil<strong>der</strong>n entschieden, dass <strong>der</strong> Patient<br />

e<strong>in</strong>en Anspruch auf Übersendung <strong>in</strong> die Kanzleiräume se<strong>in</strong>es Rechtsanwaltes<br />

hat. E<strong>in</strong>e Übersendung auf dem Postwege ist unproblematisch<br />

(LG Kiel, MedR 2007, 733 [734]).<br />

c. Umfang und E<strong>in</strong>schränkung des E<strong>in</strong>sichtnahmeanspruchs:<br />

Der Anspruch auf E<strong>in</strong>sichtnahme erstreckt sich auf alle objektiven Feststellungen<br />

über den Gesundheitszustand des Patienten, d.h.<br />

alle naturwissenschaftlich objektivierbaren physischen Befunde,<br />

Ergebnisse von Laboruntersuchungen sowie von Untersuchungen am<br />

Patienten wie EKG und Röntgenbil<strong>der</strong>,<br />

Aufzeichnungen über die Umstände und den Verlauf <strong>der</strong> Behandlung,<br />

wie Angaben über verabreichte o<strong>der</strong> verordnete Arzneimittel,<br />

Operationsberichte, Arztbriefe<br />

nicht aber erstreckt sich das E<strong>in</strong>sichtsrecht auf Aufzeichnungen, die<br />

subjektive E<strong>in</strong>schätzungen und E<strong>in</strong>drücke des Arztes betreffen o<strong>der</strong><br />

die im Rahmen e<strong>in</strong>er psychiatrischen Behandlung die Rechte an<strong>der</strong>er,<br />

<strong>in</strong> die Behandlung e<strong>in</strong>bezogenen Personen betreffen<br />

die Pflicht <strong>zur</strong> Gewährung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>sichtnahme kann aus therapeutischen<br />

Gründen e<strong>in</strong>geschränkt se<strong>in</strong>, um e<strong>in</strong>en gesundheitlichen Schaden<br />

beim Patienten zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n (BVerfG, MedR 1993, 232 ff.).<br />

Möglich ist jedoch, daß <strong>der</strong> Patient die Unterlagen im Beise<strong>in</strong> des Arztes<br />

e<strong>in</strong>sieht (sog. kontrollierte Beschäftigung mit <strong>der</strong> Krankheit),<br />

d. Eidesstattliche Versicherung <strong>der</strong> Richtigkeit o<strong>der</strong> Vollständigkeit<br />

von Patientenakten:<br />

Der Arzt ist über die Pflicht <strong>zur</strong> Gewährung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>sichtnahme <strong>in</strong> die<br />

Patientenakte nicht verpflichtet, dem Patienten an Eides statt zu versichern,<br />

dass die dem Patienten zugänglich gemachten Kopien <strong>der</strong><br />

Behandlungsunterlagen diese vollständig abbilden (OLG München,<br />

MedR 2007, 47 [48]).<br />

Es ist auch ke<strong>in</strong>e Rechtsgrundlage für e<strong>in</strong> Verlangen des Patienten<br />

ersichtlich, <strong>der</strong> Arzt möge eidesstattlich versichern o<strong>der</strong> schriftlich<br />

bestätigen, dass die dem Patienten vorgelegten Orig<strong>in</strong>albehandlungsunterlagen<br />

authentisch und vollständig (OLG München,<br />

MedR 2007, 47 [48]) o<strong>der</strong> richtig (LG Düsseldorf, MedR 2007, 663<br />

[664]) s<strong>in</strong>d.


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 120 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

Son<strong>der</strong>problem: Die Haftung bei <strong>der</strong> Delegation ärztlicher Aufgaben<br />

A. Problemaufriss<br />

E<strong>in</strong> häufiges Problem ist die Haftung des <strong>Pflege</strong>personals für die fehlerhafte<br />

Ausführung delegierter ärztlicher Aufgaben wie <strong>in</strong>travenöse Injektionen<br />

1. Systematik<br />

<strong>der</strong> Aufgabendelegation:<br />

2. Rechtslage:<br />

Quelle: Bundesärztekammer<br />

.<br />

Arztvorbehalt<br />

höchstpersönliche<br />

Leistungen (nicht delegierbar)<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e:<br />

– Untersuchung,<br />

– Anästhesie,<br />

– Verschreibung von verschreibungspflichtigenArzneien<br />

– künstliche Befruchtung<br />

– Anamnese<br />

– Stellen v. Diagnose u. Befund<br />

– Aufklärung Patient und Beratung<br />

– Entscheidung über Therapie<br />

– Kernleistung operativer E<strong>in</strong>griffe<br />

an<strong>der</strong>e Ärzte<br />

Ausübung <strong>der</strong> Heilkunde<br />

zu begrenzt selbständigemHeilkundeausübenbefugte<br />

Fachberufe<br />

(z.B. Hebammen)<br />

delegierbare Leistungen<br />

z.B:<br />

– Durchführung technischer<br />

Untersuchungen,<br />

– Blutentnahmen/Infusionen,<br />

– Blasenkatheter,<br />

– Wundversorgung,<br />

– Abgabe von Medikamenten,<br />

– subkutane Injektion,<br />

– Anlegen e<strong>in</strong>facher Verbände<br />

Angehörige<br />

nichtärztlicher<br />

Fachberufe<br />

(qualifiziertes <strong>Pflege</strong>personal)<br />

angelernte<br />

Kräfte (<strong>Pflege</strong>helfer)<br />

E<strong>in</strong>e gesetzliche Rechtsgrundlage, welche die Delegation ärztlicher<br />

Aufgaben an das <strong>Pflege</strong>personal explizit regelt, besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

überwiegenden Zahl <strong>der</strong> Fälle nicht.<br />

Folglich hängt es meist von <strong>der</strong> Rechtsprechung ab, ob die Delegation<br />

von ärztlichen Aufgaben im E<strong>in</strong>zelfall erlaubt ist o<strong>der</strong> nicht.<br />

Für die Delegation von Injektionen auf Angehörige des <strong>Pflege</strong>personals<br />

bedeutet dies:<br />

Grundsätzlich gilt, daß e<strong>in</strong> ärztlicher Behandlungsfehler vorliegt,<br />

wenn e<strong>in</strong>e ärztliche Aufgabe - und dazu gehören <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

die <strong>in</strong>tramuskuläre und die subkutane Injektion - auf dafür nicht<br />

ausreichend ausgebildetes Hilfspersonal übertragen wird (OLG<br />

Köln, VersR 1988, 44 [45]).


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 121 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

B. Delegation <strong>in</strong><br />

Son<strong>der</strong>situationen<br />

3. Voraussetzungen<br />

<strong>der</strong> Delegation:<br />

4. Folgen<br />

bei fehlerhafterDelegation:<br />

Delegation<br />

auf Krankenpflegeschüler<br />

?<br />

C. Rechtsfolgen 1. Haftungsgrundsätze:<br />

In <strong>der</strong> Rechtsprechung (vgl. LG Berl<strong>in</strong>, NJW-RR 1994, 801 f.) ist<br />

jedoch anerkannt, dass die Übertragung <strong>in</strong>tramuskulärer und subkutaner<br />

Injektionen auf das <strong>Pflege</strong>personal grundsätzlich zulässig<br />

ist, soweit folgende Voraussetzungen erfüllt s<strong>in</strong>d:<br />

bei <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Erkrankung und <strong>der</strong> Lokalisation <strong>der</strong> Spritze drohen<br />

ke<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>en Komplikationen,<br />

das <strong>Pflege</strong>personal wurde sorgfältig ausgewählt und hat se<strong>in</strong>e<br />

Qualifikation unter beson<strong>der</strong>er fachlicher Anleitung e<strong>in</strong>es Arztes<br />

erworben und aktualisiert,<br />

es hat zuvor bereits mehrfach unter kompetenter Überwachung<br />

<strong>der</strong>artige Injektionen gegeben, wovon sich <strong>der</strong> Arzt überzeugt<br />

hat,<br />

<strong>der</strong> Arzt hält sich während <strong>der</strong> Maßnahme <strong>in</strong> Rufweite auf,<br />

und <strong>der</strong> Patient <strong>in</strong> die Maßnahme e<strong>in</strong>gewilligt hat.<br />

Es wird bei <strong>der</strong> Delegation nicht zwischen Berufsgruppen wie <strong>Pflege</strong>kräften,<br />

Arzthelfern, technischen Assistenten etc. unterschieden.<br />

Erfüllt e<strong>in</strong> Krankenpfleger die vorstehenden Voraussetzungen<br />

nicht, wenn er e<strong>in</strong>en Patienten spritzt und kommt es wegen unsachgemäßer<br />

Behandlung zu Komplikationen, so muß <strong>der</strong> Arzt bzw. das<br />

Krankenhaus nachweisen, daß<br />

die fehlende Qualifikation nicht kausal für den Schaden war,<br />

und sich <strong>der</strong> Arzt <strong>in</strong> regelmäßigen Abständen durch Kontrollen von<br />

<strong>der</strong> fachgerechten Injektionstechnik se<strong>in</strong>er Mitarbeiter überzeugt hat.<br />

E<strong>in</strong> Son<strong>der</strong>problem ist die Frage, ob die Übertragung <strong>der</strong> Injektion auch<br />

auf Krankenpflegeschüler im dritten Ausbildungsjahr zulässig ist ?<br />

die selbständige Erteilung von <strong>in</strong>tramuskulären, subkutanen Injektionen<br />

von Krankenpflegeschülern im ersten und zweiten<br />

Ausbildungsjahr ohne Anleitung und Überwachung ist unzulässig.<br />

Begründung: Das Geben e<strong>in</strong>er Injektion erfor<strong>der</strong>t mediz<strong>in</strong>ische<br />

Umfeldkenntnisse und -fertigkeiten. Diese werden erst mit dem<br />

Abschluß des <strong>Pflege</strong>examens abschließend erworben und nachgewiesen.<br />

Würde man die Injektion auch nicht exam<strong>in</strong>ierten<br />

Kräften gestatten, liefen die Vorschriften des KrPflG leer, weil<br />

man solche Aufgaben dann auch ohne jegliche Fachausbildung<br />

erledigen dürfte. Das KrPflG will aber genau dies verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />

die Erteilung von Injektionen von Krankenpflegeschülern im letzten<br />

Ausbildungsjahr unter ärztlicher Anleitung und Überwachung ist<br />

h<strong>in</strong>gegen zulässig, wenn <strong>der</strong> Schüler nachweislich beson<strong>der</strong>s qualifiziert<br />

und über das Ausbildungsziel h<strong>in</strong>aus geübt ist.<br />

Bei <strong>der</strong> Übertragung ärztlicher Aufgaben s<strong>in</strong>d stets auch die Haftungsfragen<br />

zu beachten. Sie stellen sich, wenn e<strong>in</strong> Patient durch e<strong>in</strong>e<br />

fehlerhafte Injektion des <strong>Pflege</strong>personals e<strong>in</strong>en Schaden erleidet.<br />

Der Patient kann zunächst aus deliktischer Haftung nach § 823<br />

BGB gegen das <strong>Pflege</strong>personal vorgehen, das ihm die fehlerhafte<br />

Injektion erteilte, die dann auch zum Schaden geführt hat.<br />

Ebenso kann er gegen den diese Maßnahme anordnenden Arzt<br />

vorgehen. Der Arzt haftet dann wegen <strong>der</strong> Verletzung von Sorgfaltspflichten,<br />

die als Nebenpflichten aus dem Behandlungsvertrag<br />

folgen.


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 122 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

2. Haftungsverteilung<br />

3. Son<strong>der</strong>fall:Spritzensche<strong>in</strong><br />

Schließlich kann er gegen das Krankenhaus vorgehen, wenn<br />

sich ergibt, daß das <strong>Pflege</strong>personal wegen organisatorischer Mängel<br />

auf Seiten <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>dienstleitung bei <strong>der</strong> Injektion dem Patienten<br />

e<strong>in</strong>en Schaden zugefügt hat (etwa: das <strong>Pflege</strong>personal kam<br />

von e<strong>in</strong>er beendeten Nachtschicht und wurde durch die <strong>Pflege</strong>dienstleitung<br />

angewiesen, e<strong>in</strong>em Patienten im übermüdeten Zustand<br />

e<strong>in</strong>e Spritze setzen, weil aufgrund von Dienstplanversäumnissen<br />

ke<strong>in</strong>e ausgeruhte Fachkraft <strong>zur</strong> Verfügung stand).<br />

Bei <strong>der</strong> Übertragung ärztlicher Aufgaben s<strong>in</strong>d stets auch die Haftungsfragen<br />

zu beachten. Sie stellen sich, wenn e<strong>in</strong> Patient durch e<strong>in</strong>e<br />

fehlerhafte Injektion des <strong>Pflege</strong>personals e<strong>in</strong>en Schaden erleidet.<br />

Den Arzt, <strong>der</strong> die ärztliche Aufgabe an das <strong>Pflege</strong>personal delegiert,<br />

trifft die sog. Anordnungsverantwortung.<br />

die Delegation muss NICHT schriftlich erfolgen, son<strong>der</strong>n<br />

kann mündlich erteilt werden; hierbei muss sie aber klar<br />

und e<strong>in</strong>deutig se<strong>in</strong> und die zu erbr<strong>in</strong>gende Leistung zulässig;<br />

außerdem ist die Delegation genau zu dokumentieren<br />

(Bergmann, MedR 2009, 7)<br />

dies umfasst die fehlerfreie Auswahl des <strong>Pflege</strong>personals<br />

sowie die Richtigkeit des Anordnungs<strong>in</strong>halts<br />

<strong>der</strong> Arzt muss - während die delegierte Aufgabe durchgeführt<br />

wird -, <strong>in</strong> Rufweite des Ausführenden bleiben (OLG Dresden,<br />

MedR 2009, 411 f.)<br />

bei telefonischen Anweisungen durch den diensthabenden<br />

Arzt an die Nachtschwester gelten erhöhte Anfor<strong>der</strong>ungen;<br />

so ist etwa die Anordnung e<strong>in</strong>er Bedarfsmedikation am Telefon<br />

unzulässig. In jedem Fall muß die telefonische Anweisung<br />

genau dokumentiert werden.<br />

Mit <strong>der</strong> Übernahme <strong>der</strong> angeordneten ärztlichen Maßnahme unterliegt<br />

das <strong>Pflege</strong>personal <strong>der</strong> Übernahme- und Durchführungsverantwortung.<br />

dies ist die Verantwortung für die sachgerechte Ausführung<br />

<strong>der</strong> Anordnung.<br />

Überschätzt jedoch das die Aufgabe übernehmende <strong>Pflege</strong>personal<br />

se<strong>in</strong>e Fähigkeiten, so kommt es zum Übernahmeverschulden.<br />

Dieser Haftung kann man dadurch entgehen, daß<br />

man gegenüber dem Arzt darlegt, <strong>zur</strong> Durchführung <strong>der</strong> angewiesenen<br />

Tätigkeit subjektiv nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage zu se<strong>in</strong>. Bei e<strong>in</strong>er<br />

berechtigten Weigerung s<strong>in</strong>d arbeitsrechtliche Konsequenzen<br />

ausgeschlossen.<br />

H<strong>in</strong>weis:<br />

Der Patient muss i.d.R nicht darüber aufgeklärt werden, wenn<br />

e<strong>in</strong>e ärztliche Leistung delegiert wurde; er ist über die allgeme<strong>in</strong>en<br />

Haftungsregelungen (vor allem Sorgfaltspflicht) h<strong>in</strong>reichend<br />

geschützt (Bergmann, MedR 2009, 8).<br />

Häufig versuchen Ärzte und Krankenhäuser, durch die Erteilung<br />

sog. Spritzensche<strong>in</strong>e die Aufgabenbereiche des <strong>Pflege</strong>personals<br />

pauschal zu erweitern („...bei uns dürfen dies exam<strong>in</strong>ierte Kräfte<br />

mit drei Berufsjahren Erfahrung...“) und dadurch die Haftung wegen<br />

<strong>der</strong> Delegation ärztlicher Aufgaben auf den Arzt bzw. das<br />

Krankenhaus zu übertragen.<br />

Dies ist rechtlich problematisch, weil es bei <strong>der</strong> Übertragung<br />

ärztlicher Aufgaben immer auf die Qualifikation im E<strong>in</strong>zelfall<br />

ankommt.


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 123 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

Folge:<br />

E<strong>in</strong> formularmäßig erteilter Spritzensche<strong>in</strong> ist daher unwirksam,<br />

wenn sich <strong>der</strong> Arzt nicht zuvor geson<strong>der</strong>t von den Kenntnissen,<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>person überzeugt<br />

hat (arg. ex. VGH Kassel, NJW 2000, 2760 [2761]).<br />

Dies geschieht dadurch, daß <strong>der</strong> Arzt zusätzlich zum Spritzensche<strong>in</strong>:<br />

auf qualifizierte Arbeitszeugnisse <strong>zur</strong>ückgreift,<br />

zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit dem betreffenden Mitarbeiter<br />

e<strong>in</strong>en Test durchführt, um sich so e<strong>in</strong>en Überblick<br />

über die praktischen und theoretischen Kenntnisse <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>person<br />

verschaffen<br />

S<strong>in</strong>d dem Arzt Unerfahrenheit, Unsicherheit o<strong>der</strong> Unzuverlässigkeit<br />

<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>person bekannt, liegt e<strong>in</strong>e fehlerhafte<br />

Ausübung se<strong>in</strong>es Auswahlermessens vor, wenn er die E<strong>in</strong>griffsdurchführung<br />

gleichwohl überträgt.<br />

Unterschreitet <strong>der</strong> nichtärztliche Mitarbeiter e<strong>in</strong>en bestimmten<br />

Qualifikationslevel, verbietet sich grundsätzlich die Übertragung<br />

(z. B. die Betrauung <strong>der</strong> Krankenpflegehelfer<strong>in</strong> mit<br />

<strong>der</strong> Verabfolgung e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tramuskulären Spritze [Hahn, NJW<br />

1981, 1977 {1983 f.}).


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 124 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

Der rechtliche Zyklus des Arbeitslebens<br />

II. Teil<br />

Lerne<strong>in</strong>heit II.16:<br />

Arbeitsrechtliche Grundlagen<br />

- Zeitdauer: 8 Std. -<br />

„Arbeitsleben“<br />

Stellenaus- Vorstellungs- Arbeitsver- Beendi-<br />

schreibung gespräch trag (AV) gung AV<br />

I. E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong><br />

das Arbeitsvertragsrecht<br />

Das Arbeitsverhältnis zwischen Krankenschwester und Krankenhaus setzt den Abschluß<br />

des Arbeitsvertrages voraus. Dieser ist i.d.R. e<strong>in</strong> Dienstvertrag gem. § 611<br />

BGB. Bei Vertragsschluss können die Parteien se<strong>in</strong>en Inhalt selbst bestimmen und<br />

aushandeln (Vertragsfreiheit). Die Vertragsfreiheit ist im Arbeitsrecht jedoch durch<br />

zahlreiche Arbeitsschutzbestimmungen, gesetzliche Regelungen, Tarifverträge<br />

und Betriebsvere<strong>in</strong>barungen, betriebliche Übungen und das Direktionsrecht zugunsten<br />

des Arbeitnehmers sowie durch die Anwendung <strong>der</strong> AGB-Kontrolle bei standardisierten<br />

Arbeitsverträgen e<strong>in</strong>geschränkt.<br />

1. Bewerbungs-<br />

und<br />

E<strong>in</strong>stellungsverfahren(Diskrim<strong>in</strong>ierungsverbot)<br />

Bereits im Vorfeld des Abschlusses e<strong>in</strong>es Arbeitsvertrages kann<br />

es zu arbeitsrechtlichen Implikationen kommen - und zwar dann,<br />

wenn <strong>der</strong> Arbeitgeber e<strong>in</strong>en potentiellen Bewerber etwa durch Formulierungen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Stellenausschreibung, durch das Führen des<br />

Vorstellungsgesprächs o<strong>der</strong> aber auch durch die E<strong>in</strong>stellungsentscheidung<br />

selbst diskrim<strong>in</strong>iert und damit gegen die Bestimmungen<br />

des Allgeme<strong>in</strong>en Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verstößt.<br />

a. Stellenausschreibung<br />

Die Stellenausschreibung, mit denen etwa e<strong>in</strong> Krankenhaus<br />

e<strong>in</strong>e <strong>Pflege</strong>kraft sucht, darf ke<strong>in</strong>e diskrim<strong>in</strong>ierenden Formulierungen<br />

o<strong>der</strong> sonstige Tatbestände enthalten. An<strong>der</strong>nfalls<br />

kann es von e<strong>in</strong>em Bewerber, <strong>der</strong> nicht e<strong>in</strong>gestellt wurde,<br />

auf Schadensersatz verklagt werden.<br />

Es s<strong>in</strong>d daher alle Formulierungen zu vermeiden, die Indizien<br />

für e<strong>in</strong>e Diskrim<strong>in</strong>ierung schaffen. Als solche gelten z.B.:<br />

beim Schalten <strong>der</strong> Anzeige:<br />

- ausschließlich im Internet (= diskrim<strong>in</strong>iert ältere Bewerber),<br />

- ausschließlich <strong>in</strong> Frauenzeitschriften (diskrim<strong>in</strong>iert<br />

Männer),<br />

- ausschließlich <strong>in</strong> Fachzeitschriften für Krankenpflegepersonal<br />

(Tageszeitung sollte zusätzlich genommen werden),<br />

bei <strong>der</strong> Eigendarstellung des Arbeitgebers <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stellenanzeige:


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 125 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

- Formulierungen wie „junges, aufstrebendes Team“ (=<br />

mittelbar altersdiskrim<strong>in</strong>ierend),<br />

- Fotos, bei denen nur Männer o<strong>der</strong> Frauen bzw. nur jüngere<br />

o<strong>der</strong> nur ältere Personen abgebildet s<strong>in</strong>d,<br />

bei Darstellung <strong>der</strong> ausgeschriebenen Tätigkeit selbst:<br />

- immer geschlechtsneutral (also für bei<strong>der</strong>lei Geschlecht)<br />

formulieren,<br />

- ke<strong>in</strong>e Alters(ober)grenzen für die Stelle benennen,<br />

bei <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung, Bewerbungsunterlagen zu übersenden:<br />

- e<strong>in</strong> Lichtbild e<strong>in</strong>for<strong>der</strong>n (= nährt den Verdacht, daß unzulässige<br />

Motive e<strong>in</strong> Rolle spielen könnten),<br />

- Angaben zum Alter (Achtung: Ausnahmen <strong>in</strong> engen<br />

Grenzen zulässig), Geburts- o<strong>der</strong> Wohnort (= Diskrim<strong>in</strong>ierung<br />

von Pendlern) zu verlangen,<br />

- e<strong>in</strong>e Frist <strong>zur</strong> E<strong>in</strong>sendung <strong>der</strong> Bewerbungsunterlagen<br />

zu benennen (= Diskrim<strong>in</strong>ierung bei Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung wegen<br />

Krankheit o<strong>der</strong> Urlaub)<br />

- idealerweise sollte daher die Formulierung verwendet<br />

werden: „Ihre ausführlichen/aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen<br />

senden Sie bitte an ...“.<br />

b. Bewerbungs- und E<strong>in</strong>stellungsverfahren<br />

Nach Schaltung <strong>der</strong> Anzeige und Durchführung <strong>der</strong> Vorauswahl<br />

<strong>der</strong> Bewerber werden die Kandidaten zum Vorstellungsgespräch<br />

geladen, damit <strong>der</strong> Arbeitgeber diese<br />

näher kennen lernen kann. Regelmäßig werden Fragen gestellt.<br />

Auch diese müssen den Vorgaben des AGG entsprechen.<br />

Hierbei besteht die Beson<strong>der</strong>heit, daß <strong>der</strong> Bewerber<br />

unzulässige Fragen nicht beantworten muss. Lügt er bei<br />

e<strong>in</strong>er unzulässigen Frage, so dürfen ihm hieraus ke<strong>in</strong>e<br />

Nachteile entstehen.<br />

Zulässig s<strong>in</strong>d Fragen nach:<br />

beruflichem Werdegang (Leistungen, Zeugnisse),<br />

Krankheiten, die E<strong>in</strong>fluß auf die Arbeitsleistung haben<br />

können (akute Aidserkrankung, die Infektion nur bei <strong>in</strong>fektionsgefährdenen<br />

Tätigkeiten (etwa Chirurg, Krankenschwester),<br />

Religions-/Parteizugehörigkeit, e<strong>in</strong>getragene Lebenspartnerschaft<br />

und nichteheliche Lebensgeme<strong>in</strong>schaft,<br />

wenn <strong>der</strong> Arbeitgeber e<strong>in</strong> Tendenzbetrieb ist,<br />

Vorstrafen, wenn die Stellenbesetzung (Kassierer) dies erfor<strong>der</strong>t,<br />

Unzulässig s<strong>in</strong>d Fragen nach:<br />

Schwerbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung,<br />

Gewerkschaftszugehörigkeit o<strong>der</strong> Heirat,<br />

Religionszugehörigkeit, wenn <strong>der</strong> Arbeitgeber ke<strong>in</strong> Tendenzbetrieb<br />

ist,<br />

Schwangerschaft, wenn allgeme<strong>in</strong> danach gefragt wird<br />

und die Schwangerschaft die Ausübung des Berufes nicht<br />

dauerhaft bee<strong>in</strong>trächtigt; auch dann, wenn im betreffenden<br />

Krankenpflegebereich etwa aus Gründen des Mutterschutzes<br />

für Schwangere e<strong>in</strong> Beschäftigungsverbot besteht.<br />

Begründung: das schwangerschaftsbed<strong>in</strong>gte Beschäftigungsh<strong>in</strong><strong>der</strong>nis<br />

ist nur vorübergehen<strong>der</strong> Natur und führt<br />

nicht zu e<strong>in</strong>er dauerhaften Störung des Vertragsverhältnisses,<br />

BAG, Urt. v. 6.2.2003, Az. 2 AZR 621/01 (e<strong>in</strong>e deswegen<br />

verweigerte E<strong>in</strong>stellung verstößt gegen das <strong>in</strong> § 611a BGB geregelte<br />

geschlechtsbezogene Diskrim<strong>in</strong>ierungsverbot), also:<br />

ke<strong>in</strong>e Anfechtung wg. arglistiger Täuschung nach § 123 BGB,<br />

es besteht „Recht <strong>zur</strong> Lüge“,


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 126 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

alle sonstigen Fragen, die <strong>in</strong> die Intim- o<strong>der</strong> Privatsphäre<br />

des Arbeitnehmers e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen und die für die<br />

Erbr<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Arbeitsleistung ohne Relevanz s<strong>in</strong>d,<br />

den Rauchgewohnheiten des Mitarbeiters. Rauchen ist<br />

e<strong>in</strong> gesundheitsgefährdendes Hobby, das den Arbeitgeber<br />

nichts angeht (= auch hier Recht <strong>zur</strong> Lüge). Allerd<strong>in</strong>gs darf<br />

<strong>der</strong> Arbeitgeber auf e<strong>in</strong> allg. Rauchverbot h<strong>in</strong>weisen.<br />

c. E<strong>in</strong>stellungsentscheidung<br />

Grundsätzlich ist <strong>der</strong> Arbeitgeber frei zu entscheiden, welchen<br />

Bewerber als Arbeitnehmer e<strong>in</strong>stellt. Das AGG sanktioniert<br />

lediglich die Ablehnung von Bewerbern, wenn diese<br />

e<strong>in</strong> Diskrim<strong>in</strong>ierungsmerkmal erfüllt.<br />

Als Beweis für e<strong>in</strong>e diskrim<strong>in</strong>ierungsfreie Ablehnung kann<br />

das Anfor<strong>der</strong>ungsprofil aus <strong>der</strong> Stellenbeschreibung herangezogen<br />

werden:<br />

- alle Bewerber, die nicht <strong>in</strong> das Profil passen, können<br />

von vorne here<strong>in</strong> abgelehnt werden,<br />

- die an<strong>der</strong>en, die nach dem Vorstellungsgespräch für ungeeignet<br />

befunden werden (ggf. auch weil ihre Ablehnung<br />

auf e<strong>in</strong>e Maßnahmediskrim<strong>in</strong>ierung o<strong>der</strong> Legalausnahme<br />

gestützt werden kann), können nach re<strong>in</strong> sachlichen Kriterien<br />

abgelehnt werden,<br />

- H<strong>in</strong>weis: Es sollte auf e<strong>in</strong>e geson<strong>der</strong>te Begründung<br />

<strong>der</strong> Ablehnung verzichtet werden. Das Ablehnungsschreiben<br />

sollte wie folgt formuliert werden:<br />

„... vielen Dank für Ihre Bewerbung und Ihr dadurch<br />

zum Ausdruck gebrachte Interesse an unserem Unternehmen.<br />

Wir müssen Ihnen lei<strong>der</strong> mitteilen, dass wir<br />

uns zwischenzeitlich an<strong>der</strong>weitig entschieden haben.<br />

Anliegend überreichen wir Ihre Bewerbungsunterlagen<br />

zu unserer Entlastung mit Dank <strong>zur</strong>ück.“<br />

d. Diskrim<strong>in</strong>ierungsausnahmen:<br />

Nicht jede Benachteiligung - sei es im Bewerbungsverfahren<br />

o<strong>der</strong> auch während <strong>der</strong> beruflichen Tätigkeit selbst - ist auch<br />

e<strong>in</strong>e verbotene Diskrim<strong>in</strong>ierung. Das AGG lässt <strong>in</strong>soweit<br />

Ausnahmen zu.<br />

E<strong>in</strong>e gezielte unterschiedliche Behandlung (sog. „Maßnahmediskrim<strong>in</strong>ierung“)<br />

von Bewerbern ist zulässig, wenn:<br />

dadurch bestehende Nachteile für e<strong>in</strong>e Personengruppe<br />

verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t o<strong>der</strong> ausgeglichen werden sollen (z.B. vermehrtes<br />

E<strong>in</strong>stellen von Frauen, um e<strong>in</strong>e Unterrepräsentierung<br />

im Betrieb abzubauen und e<strong>in</strong>e ausgewogene Personalstruktur<br />

zu erreichen)<br />

die benachteiligende Maßnahme nach §§ 8-10, 20 AGG<br />

gerechtfertigt ist (Legalausnahme).<br />

Die Legalausnahmen <strong>der</strong> §§ 8-10, 20 AGG im E<strong>in</strong>zelnen:<br />

aa. Tätigkeitsbezogene „Diskrim<strong>in</strong>ierung“ (§ 8 AGG)<br />

E<strong>in</strong>e benachteiligende Diskrim<strong>in</strong>ierung (z.B. Alter o<strong>der</strong><br />

Geschlecht) ist zulässig, wenn:<br />

- die Art <strong>der</strong> auszuübenden Tätigkeit o<strong>der</strong><br />

- die Bed<strong>in</strong>gungen ihrer Ausübung<br />

e<strong>in</strong>e wesentliche und entscheidende berufliche Anfor<strong>der</strong>ung<br />

darstellt.


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Beispiele:<br />

- Frauenzeitschrift sucht weibliche Redakteur<strong>in</strong>,<br />

- Zeitschrift für Schwule sucht homosexuellen Redakteur,<br />

Aber:<br />

Die Erwartungshaltung <strong>der</strong> Kunden h<strong>in</strong>sichtlich bei<br />

berufsbezogenen Tätigkeiten ke<strong>in</strong>e Rolle (BAG, NJW<br />

1990, 67), so dass es weiterh<strong>in</strong> unzulässig ist, ausschließlich<br />

weibliche Sekretariatskräfte o<strong>der</strong> männliche<br />

Kfz-Mechaniker zu suchen.<br />

bb. sog. „Kirchenklausel“ (§ 9 AGG)<br />

Hiernach ist es den als korporierte Körperschaften anerkannten<br />

Kirchen und Religionsgeme<strong>in</strong>schaften<br />

unter H<strong>in</strong>weis auf <strong>der</strong>en Selbstbestimmungsrecht erlaubt,<br />

Benachteiligungen vorzunehmen, wenn diese<br />

aus <strong>der</strong>en Innenrecht folgen und die Art <strong>der</strong> Tätigkeit<br />

dies erfor<strong>der</strong>t.<br />

Beispiele:<br />

Ist die Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>er Religionsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

nach <strong>in</strong>nerkirchlichen Bestimmungen nicht wesentliche<br />

Voraussetzung für die Tätigkeit, so darf beispielsweise<br />

vom Re<strong>in</strong>igungspersonal nicht verlangt<br />

werden, Mitglied <strong>der</strong> Religionsgeme<strong>in</strong>schaft zu se<strong>in</strong><br />

(dagegen vom Chefarzt e<strong>in</strong>es katholischen Krankenhauses<br />

schon).<br />

In NRW untersagt § 57 Abs. 4 SchulG NW Lehrkörpern,<br />

religiöse Bekundungen abzugeben. Dies bedeutet,<br />

dass Lehrer we<strong>der</strong> e<strong>in</strong> islamisches Kopftuch, noch<br />

ähnliche Bekleidungen, die dem nahe kommen, tragen<br />

dürfen. Entsprechende Abmahnungen s<strong>in</strong>d rechtmäßig<br />

(ArbG Düsseldorf, Entscheidung vom 29.06.2007 - 12<br />

Ca 175/07).<br />

cc. Unterschiedliche Behandlungen wegen des Alters<br />

(§ 10 AGG)<br />

Der § 10 AGG gestattet e<strong>in</strong>e unterschiedliche Behandlung<br />

von Bewerbern und Arbeitnehmern, wenn<br />

diese objektiv und angemessen sowie durch e<strong>in</strong> legitimes<br />

Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel müssen allerd<strong>in</strong>gs<br />

<strong>zur</strong> Erreichung dieses Ziels angemessen und erfor<strong>der</strong>lich<br />

se<strong>in</strong>. Also solche gelten:<br />

- Berufszulassungsregeln (z.B. Ausbildung, Studium),<br />

- Beschäftigungs- und Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen,<br />

- Bed<strong>in</strong>gungen für Entlohnung und Beendigung<br />

von Beschäftigungsverhältnissen,<br />

- berufliche E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungsmaßnahmen für Jugendliche<br />

und Ältere bzw. „Bedürftige“ (z.B. Schwerbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te),<br />

- M<strong>in</strong>destanfor<strong>der</strong>ungen an Alter, Berufserfahrung<br />

und Dienstalter im H<strong>in</strong>blick auf Zugang zu<br />

dieser Tätigkeit (z.B. Berufserfahrung bei Stellenausschreibung<br />

für Geschäftsführer) o<strong>der</strong> mit <strong>der</strong><br />

Tätigkeit verbundene Vorteile (z.B. Bonus bei<br />

Erreichen von Umsatzzielen)<br />

- Festsetzung von Höchstaltersgrenzen für die E<strong>in</strong>stellung<br />

(z.B. Höchstaltersgrenze für E<strong>in</strong>stellung<br />

als Beamter),


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2. SchadensersatzwegenDiskrim<strong>in</strong>ierung<br />

im Bewerbungs-<br />

und<br />

E<strong>in</strong>stellungsverfahren<br />

- Festlegung von Altersgrenzen für Leistungen aus<br />

sozialen Sicherungssystemen,<br />

- Vere<strong>in</strong>barungen für Vorruhestandsregelungen,<br />

- Vere<strong>in</strong>barungen für altersgestaffelte Abf<strong>in</strong>dungen<br />

bei Entlassungen.<br />

dd. Weitere Differenzierungskriterien (§ 20 AGG)<br />

Die Vorschrift des § 20 AGG präzisiert die Kriterien<br />

für e<strong>in</strong>e unterschiedliche Behandlung wegen <strong>der</strong> Religion,<br />

des Alters, <strong>der</strong> sexuellen Identität o<strong>der</strong> des Geschlechts.<br />

Diese s<strong>in</strong>d u.a. zulässig, wenn<br />

- dadurch Gefahren o<strong>der</strong> Schäden vermieden bzw.<br />

verhütet werden o<strong>der</strong> das Interesse nach Schutz <strong>der</strong><br />

Intimsphäre bzw. <strong>der</strong> persönlichen Sicherheit befriedigt<br />

werden,<br />

- versicherungsmathematische und statistische Daten<br />

e<strong>in</strong>e Risikobewertung zulassen, die zu e<strong>in</strong>er unterschiedlichen<br />

Kalkulation führen.<br />

Anmerkungen <strong>zur</strong> Arbeitnehmervergütung:<br />

Unterschiedliche Vergütung gleichrangiger Mitarbeiter:<br />

Soweit <strong>der</strong> Arbeitgeber die Vergütung se<strong>in</strong>er Mitarbeiter<br />

nicht nach e<strong>in</strong>em festen Tarifsystem vergibt, ist e<strong>in</strong> differenziertes<br />

Vergütungssystem, bei dem auch Zulagen, Tantiemen,<br />

Ergebnisbeteiligungen, etc. zulässig, wenn es Gründe<br />

für e<strong>in</strong>e jeweils unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern<br />

gibt. Die pr<strong>in</strong>zipiell zulässigen Unterschiede bei <strong>der</strong><br />

Vergütung außertariflicher Angestellter („Grundsatz <strong>der</strong> Vertragsfreiheit“)<br />

dürfen aber ausschließlich leistungsbed<strong>in</strong>gt<br />

se<strong>in</strong>. Es empfiehlt sich daher, Unterschiede bei den Tätigkeiten<br />

zu dokumentieren.<br />

Ist e<strong>in</strong> Bewerber unter Verstoß gegen das Diskrim<strong>in</strong>ierungsverbot<br />

abgelehnt worden, so kann er Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche<br />

gegen den Arbeitgeber geltend machen. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus kann er sich auch an die Beschwerdestelle beim Arbeitgeber<br />

bzw. beim Bund wenden.<br />

Beachte:<br />

E<strong>in</strong> Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot begründet ke<strong>in</strong>en<br />

Anspruch des Betroffenen auf Begründung e<strong>in</strong>es Beschäftigungsverhältnisses<br />

bzw. des beruflichen Aufstiegs.<br />

a. Schadensersatz nach § 15 I AGG<br />

Anspruchs<strong>in</strong>haber ist <strong>der</strong>jenige Bewerber, <strong>der</strong> ohne die<br />

Benachteiligung e<strong>in</strong>gestellt worden wäre bzw. e<strong>in</strong>en beruflichen<br />

Vorteil erlangt hätte.<br />

Anspruchsvoraussetzung ist eigenes Verschulden des Arbeitgebers.<br />

Haftungsmaßstab ist § 276 BGB: Vorsatz und<br />

grobe Fahrlässigkeit. Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit,<br />

sich nach § 15 I 2 AGG zu exculpieren.<br />

Anspruchsziel ist e<strong>in</strong> (fiktiver) Verdienstausfall, welcher<br />

<strong>der</strong> Höhe nach über die Differenzhypothese bemessen wird.<br />

Anspruchsobergrenze ist <strong>der</strong> frühestmögliche Zeitpunkt ei-


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II. Arbeitsvertrag<br />

und arbeitsvertraglicheBeson<strong>der</strong>heiten <br />

Arbeitsverhältnis <br />

M<strong>in</strong>dest<strong>in</strong>haltArbeitsvertrag <br />

Auswirkungen<br />

des<br />

AGG auf<br />

die Arbeits-<br />

ner hypothetischen Kündigung durch den Arbeitgeber. Den<br />

Diskrim<strong>in</strong>ierten trifft e<strong>in</strong>e Pflicht <strong>zur</strong> Schadensm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />

(§ 254 II BGB): er ist mith<strong>in</strong> gehalten, e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e zumutbare<br />

Beschäftigung aufzunehmen und dadurch den (fiktiven)<br />

Kündigungszeitpunkt nach vorne zu verschieben.<br />

Die Geltendmachung des Anspruchs hat gegenüber dem<br />

Arbeitgeber und <strong>in</strong>nerhalb von zwei Monaten nach Zugang<br />

<strong>der</strong> Ablehnung <strong>der</strong> Bewerbung bzw. <strong>in</strong> allen sonstigen Fällen<br />

<strong>der</strong> Benachteiligung mit Erlangung <strong>der</strong> Kenntnisnahme<br />

von <strong>der</strong> Benachteiligung zu erfolgen.<br />

Die Frist kann durch Tarifvertrag verlängert werden.<br />

Zurechnung von Fremdverschulden gem. § 278 BGB, wenn<br />

sich <strong>der</strong> Arbeitgeber e<strong>in</strong>er Agentur („Headhunter“) bedient.<br />

b. Entschädigung nach § 15 II AGG<br />

Anspruchs<strong>in</strong>haber ist <strong>der</strong>jenige Bewerber, <strong>der</strong> ohne die<br />

Benachteiligung e<strong>in</strong>gestellt worden wäre bzw. e<strong>in</strong>en beruflichen<br />

Vorteil erlangt hätte.<br />

Der Anspruch ist zwar verschuldensunabhängig, jedoch<br />

gelangen die Grundsätze <strong>der</strong> „Sphärenhaftung“ <strong>zur</strong> Anwendung.<br />

Danach haftet <strong>der</strong> Arbeitgeber für jegliches Verhalten<br />

se<strong>in</strong>er Mitarbeiter am Arbeitsplatz bzw. für die von ihm<br />

veranlassten Dienstreisen/Außendiensttätigkeiten (z.B. <strong>in</strong>dem<br />

e<strong>in</strong> Mitarbeiter pflichtwidrig die E<strong>in</strong>stellung e<strong>in</strong>es<br />

neuen Kollegen „verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t“). Für außerdienstliche Benachteiligungen<br />

haftet er h<strong>in</strong>gegen nicht.<br />

Die Anspruchshöhe ist bei e<strong>in</strong>er Nichte<strong>in</strong>stellung begrenzt<br />

auf drei Monatsgehälter.<br />

Das Arbeitsverhältnis wird nicht erst durch die tatsächliche E<strong>in</strong>stellung<br />

des Arbeitnehmers, son<strong>der</strong>n bereits durch den Abschluß<br />

des Arbeitsvertrages begründet (Vertragstheorie).<br />

E<strong>in</strong> Arbeitsvertrag enthält als <strong>in</strong>haltliche M<strong>in</strong>destanfor<strong>der</strong>ungen:<br />

Name und Anschrift <strong>der</strong> Vertragsparteien,<br />

Zeitpunkt des Beg<strong>in</strong>ns und <strong>der</strong> Dauer des Arbeitsverhältnisses,<br />

<strong>der</strong> Arbeitsort,<br />

Bezeichnung <strong>der</strong> vom Arbeitnehmer zu leistenden Tätigkeit,<br />

Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgeltes <strong>in</strong>cl. Zuschläge,<br />

vere<strong>in</strong>barte Arbeitszeit,<br />

Dauer des jährlichen Erholungsurlaubes,<br />

Kündigungsfristen,<br />

H<strong>in</strong>weis auf Tarifverträge, Betriebs- o<strong>der</strong> Dienstvere<strong>in</strong>barungen.<br />

Die umfangreichen Diskrim<strong>in</strong>ierungsverbote des AGG wirken sich<br />

auch auf die Gestaltung von Arbeitsverträgen aus. Im E<strong>in</strong>zelnen<br />

s<strong>in</strong>d folgende vertragliche Regelungen problematisch (Auswahl):


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vertragsgestaltung <br />

Betriebliche<br />

Übung<br />

Gleichbehandlungsgrundsatz<br />

Altersabhängige Vergütung: Vielfach sehen Verträge vor, dass<br />

Löhne und Entgelte <strong>in</strong> Abhängigkeit zum Lebensalter gestaffelt<br />

s<strong>in</strong>d („wer mehr Lebenserfahrung hat, bekommt mehr“). Dies ist<br />

altersdiskrim<strong>in</strong>ierend i.S.v. § 10 AGG. Besser ist e<strong>in</strong>e Regelung,<br />

die nach Berufserfahrung o<strong>der</strong> auch Betriebszugehörigkeit des<br />

Arbeitnehmers differenziert,<br />

Verbot <strong>der</strong> geschlechtsspezifischen Diskrim<strong>in</strong>ierung: Das Verbot<br />

<strong>der</strong> Geschlechterdiskrim<strong>in</strong>ierung ist im deutschen Recht seit<br />

Langem verankert und <strong>in</strong> den arbeitsvertraglichen Klauseln meist<br />

schon berücksichtigt. Sie erfahren durch das AGG ke<strong>in</strong>e Än<strong>der</strong>ungen.<br />

Rasse und ethnische Herkunft: Maßgeblich wird bei diesen<br />

Klauseln darauf abgestellt, dass Angehörige <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>berufe über<br />

ausreichende Deutschkenntnisse verfügen und dies <strong>in</strong> Sprachtests<br />

nachgewiesen haben. Dies ist zulässig, wenn gute Deutschkenntnisse<br />

für die berufliche Tätigkeit als <strong>Pflege</strong>r etc. unablässig s<strong>in</strong>d.<br />

(Insoweit s<strong>in</strong>d mangelnde Deutschkenntnisse e<strong>in</strong>es britischen<br />

Staatsbürgers ke<strong>in</strong>e Diskrim<strong>in</strong>ierung i.S.d. AGG, wenn diese<br />

vom Stellenprofil gefor<strong>der</strong>t s<strong>in</strong>d, weil Sprachkenntnisse nicht<br />

<strong>der</strong> Ethnie zu<strong>zur</strong>echnen s<strong>in</strong>d und daher ke<strong>in</strong>e Benachteiligung<br />

wegen <strong>der</strong> ethnischen Herkunft darstellen).<br />

Bekleidungsvorschriften und Gebetspausen: Soweit die Arbeitsstätte<br />

nicht <strong>in</strong> den Zuordnungsbereich e<strong>in</strong>es kirchlichen Tendenzbetriebes<br />

fällt (hier gibt es Ausnahmevorschriften des AGG)<br />

kann etwa das Verbot des Tragens e<strong>in</strong>es Kopftuches diskrim<strong>in</strong>ierend<br />

se<strong>in</strong> dann, wenn <strong>der</strong> Arbeitgeber das Verbot alle<strong>in</strong>e (!) auf<br />

die Befürchtung stützt, die Bekleidung könnte abschreckend auf<br />

Kunden wirken. Es sollte daher auf solche arbeitsvertraglichen<br />

Bekleidungsverbote verzichtet werden.<br />

Bei Gebetspausen sollte <strong>der</strong> Arbeitgeber auf diese Belange des<br />

Arbeitnehmers Rücksicht nehmen. Dieser darf im E<strong>in</strong>zelfall nach<br />

Rücksprache mit dem Vorgesetzten den Arbeitsplatz kurzfristig<br />

<strong>zur</strong> Abhaltung von Gebeten verlassen. Soweit die Pausen zu erheblichen<br />

betrieblichen Störungen führen (OP, Intensivbetreuung<br />

von Patienten), kann e<strong>in</strong> ausdrückliches Verbot von Gebetspausen<br />

arbeitsvertraglich vere<strong>in</strong>bart werden.<br />

Der Inhalt des Arbeitsvertrages kann durch e<strong>in</strong> hiervon abweichendes<br />

Verhalten <strong>der</strong> Parteien modifiziert, bzw. erweitert werden.<br />

Und zwar durch die betriebliche Übung. Hierunter versteht man<br />

e<strong>in</strong> Verhalten, das aufgrund ständiger Übung - also durch praktische<br />

Gewohnheiten und Bräuche - Ansprüche des Arbeitnehmers<br />

auf freiwillige Leistungen (Weihnachtsgeld, Gratifikationen<br />

bei Urlaub, Geschäfts-/Dienstjubiläum) des Arbeitgebers entstehen<br />

lassen kann (sog. schuldrechtlicher Verpflichtungstatbestand, <strong>der</strong><br />

durch Vertrag [BAG, NZA 2000, 49/50] geschaffen wird).<br />

Voraussetzungen: Der Arbeitgeber wie<strong>der</strong>holt se<strong>in</strong> freiwilliges<br />

Verhalten m<strong>in</strong>destens dreimal h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ohne Vorbehalt.<br />

Ke<strong>in</strong>e betriebliche Übung: Arbeitgeber trifft mit Son<strong>der</strong>leistung<br />

erkennbar nur e<strong>in</strong>e auf das jeweilige Jahr bezogene Entscheidung,<br />

Folge: Son<strong>der</strong>leistung ist Bestandteil des Arbeitsvertrages,<br />

Beendigung <strong>der</strong> Übung: Dies geht nicht unter H<strong>in</strong>weis auf die<br />

schlechte Geschäftsentwicklung, son<strong>der</strong>n nur durch: Aufhebungsvertrag,<br />

Än<strong>der</strong>ungskündigung o<strong>der</strong> - wie<strong>der</strong>um - betriebliche<br />

Übung (= 3x h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ohne Vorbehalt ke<strong>in</strong> Zahlung Weihnachtsgeld<br />

und ohne daß Arbeitnehmer sich dagegen wehren).<br />

Inhalt:<br />

er verpflichtet den Arbeitgeber, alle Arbeitnehmer gleich zu<br />

behandeln, d.h., Differenzierungen nur aus sachlichen Gründen<br />

vorzunehmen und nicht willkürlich,


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Direktionsrecht<br />

(im<br />

Allgeme<strong>in</strong>en) <br />

Direktionsrecht<br />

(im<br />

Beson<strong>der</strong>en) <br />

Direktionsrecht(E<strong>in</strong>schränkungen)<br />

<strong>der</strong> Gleichbehandlungsgrundsatz ist anwendbar bei allen Maßnahmen,<br />

die <strong>der</strong> e<strong>in</strong>seitigen Gestaltungsmacht des Arbeitgebers<br />

unterliegen (= Versorgungszulagen, Leistungszulagen, allg.<br />

Zulagen, sonstige soziale (Zusatz-)leistungen,<br />

nicht dagegen bei <strong>in</strong>dividuell ausgehandelten Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen,<br />

Die Gleichbehandlung gilt auch nicht bei E<strong>in</strong>stellungen und<br />

Lohnvere<strong>in</strong>barungen, wenn <strong>der</strong> Lohn <strong>in</strong>dividuell vere<strong>in</strong>bart ist.<br />

Wird bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stellung die Tätigkeit als Krankenschwester nur fachlich<br />

umschrieben, kann ihr <strong>der</strong> Arbeitgeber (Vorgesetzte) aufgrund<br />

des ihm zustehenden Direktionsrechts jede Tätigkeit zuweisen, die<br />

sich <strong>in</strong>nerhalb des Berufsbildes „Krankenschwester“ bewegt.<br />

Rechtsgrundlage: § 106 GewO,<br />

Inhalt: Die Direktionsbefugnis des Arbeitgebers ist das Recht,<br />

die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers nach Zeit, Art und Ort zu<br />

konkretisieren und diesem bestimmte Aufgaben zuzuweisen.<br />

Folge: Der Arbeitgeber kann anordnen, was zu tun ist und wie<br />

es zu tun ist. Aber er darf ke<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gwertigere Arbeit außerhalb<br />

des arbeitsvertraglichen Berufsfeldes zuweisen.<br />

Das Direktionsrecht (Weisungsrecht) des Arbeitgebers ist e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>seitiges<br />

Leistungsbestimmungsrecht. Die Vorschrift lautet:<br />

§ 106 GewO Weisungsrecht des Arbeitgebers<br />

1 Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit <strong>der</strong> Arbeitsleistung nach billigem<br />

Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen nicht<br />

durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen e<strong>in</strong>er Betriebsvere<strong>in</strong>barung, e<strong>in</strong>es<br />

anwendbaren Tarifvertrages o<strong>der</strong> gesetzliche Vorschriften festgelegt<br />

s<strong>in</strong>d. 2 Dies gilt auch h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Ordnung und des Verhaltens <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />

im Betrieb. 3 Bei <strong>der</strong> Ausübung des Ermessens hat <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

auch auf Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.<br />

Die Ausgestaltung <strong>der</strong> Arbeitspflichten h<strong>in</strong>sichtlich Ort, Zeit<br />

(Arbeitgeber kann Anzahl Nachtschichten festlegen !) und Inhalt<br />

<strong>der</strong> Arbeitsleistung obliegt grundsätzlich den Arbeitsvertragsparteien;<br />

<strong>in</strong>nerhalb dieses Rahmens kann <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

über die Aufgabenverteilung im konkreten Fall entscheiden<br />

(ggf. ist Umsetzung und Versetzung möglich).<br />

Dabei ist er allerd<strong>in</strong>gs an die Grundsätze des billigen Ermessens<br />

gebunden, § 106 GewO. Arbeitgeber muß dies beweisen.<br />

Aber: Soweit die Parteien detaillierte Regelungen über Ort, Zeit und den konkreten<br />

Inhalt <strong>der</strong> Leistungspflicht getroffen haben, ist die Zuteilung <strong>der</strong> arbeitsvertraglichen<br />

Leistungspflichten lediglich <strong>der</strong> Vollzug dieser vertraglichen Vere<strong>in</strong>barung,<br />

ohne dass die Bezugnahme auf e<strong>in</strong> billiges Ermessen erfor<strong>der</strong>lich ist.<br />

H<strong>in</strong>gegen gilt nach § 106 S. 3 GewO, daß - wegen <strong>der</strong> nicht abschließenden<br />

Bezugnahme auf Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen (§ 2 I SGB IX) des<br />

Arbeitnehmers - i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB den Arbeitgeber bei<br />

<strong>der</strong> Ausübung des Weisungsrechts beson<strong>der</strong>e Rücksichtnahmepflichten<br />

auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitnehmers<br />

treffen (= auch Rücksichtnahme auf beson<strong>der</strong>e Umstände).<br />

Das Direktionsrecht kann gerichtlich überprüft werden.<br />

Die Vergütungs- u. Arbeitspflicht unterliegen nicht dem DirektionsR.<br />

Se<strong>in</strong>e Grenzen f<strong>in</strong>det das Direktionsrecht <strong>in</strong> den Vorschriften <strong>der</strong><br />

Gesetze, des Kollektiv- und E<strong>in</strong>zelarbeitsvertragsrechts.<br />

E<strong>in</strong>schränkungen des Direktionsrechts ergeben sich z.B.:<br />

zum e<strong>in</strong>en dadurch, daß die E<strong>in</strong>zelheiten <strong>der</strong> Beschäftigung<br />

des Arbeitnehmers, <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satzort, Umfang und Lage <strong>der</strong> Arbeitszeit<br />

im Arbeits-/Tarifvertrag festgeschrieben s<strong>in</strong>d,


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 132 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

Fall zum<br />

Direktionsrecht<br />

durch gebotene Rücksichtnahme auf familiäre Pflichten (§ 8<br />

TzBfG und §§ 15 V ff. BErzGG),<br />

durch Rücksichtnahme auf die Gewissensfreiheit,<br />

durch e<strong>in</strong>getretene Konkretisierung, wenn sich das ursprünglich<br />

verän<strong>der</strong>ungsoffene Arbeitsverhältnis durch mehrjährige<br />

praktische Übung und das H<strong>in</strong>zutreten weiterer Umstände o<strong>der</strong><br />

Erklärungen auf bestimmte Inhalte verengt (= Zustandekommen<br />

e<strong>in</strong>er schlüssigen, konkludenten Vertragsän<strong>der</strong>ung), so dass e<strong>in</strong>e<br />

nicht e<strong>in</strong>vernehmliche Umsetzung nur noch durch Än<strong>der</strong>ungsvertrag<br />

o<strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ungskündigung zu bewirken ist.<br />

Denn Folge ist dann e<strong>in</strong> Anspruch <strong>der</strong> Krankenschwester auf<br />

die konkretisierte Tätigkeit (LAG Hessen, Az. 5 SaGa 1623/02)<br />

Beispiel: Bei mehrjähriger Beschäftigung am selben Arbeitsplatz und zu bestimmten<br />

Arbeitszeiten kann die Konkretisierung <strong>der</strong> Arbeitspflicht dar<strong>in</strong> liegen,<br />

daß <strong>der</strong> Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vorbehaltlos über längere Zeit e<strong>in</strong>e bestimmte<br />

Tätigkeit o<strong>der</strong> Arbeitszeit zuweist, so daß <strong>der</strong> Arbeitnehmer <strong>in</strong> diesem<br />

Fall aus dem fehlenden Vorbehalt darauf schließen und darauf vertrauen darf,<br />

auch künftig nur für die ihm über längere Zeit vorbehaltlos zugewiesene Tätigkeit<br />

o<strong>der</strong> Arbeitszeit e<strong>in</strong>gesetzt zu werden (vgl. Hunold, NZA-RR 2001, S. 340),<br />

viele Fälle des Weisungsrechts s<strong>in</strong>d mitbestimmungspflichtig,<br />

nicht aber: Weisungen zum Arbeitsverhalten (§ 87 I 1 BetrVG).<br />

ABER: In Notfällen, <strong>zur</strong> Schadensabwehr, kann kurzfristig und<br />

auch gegen den Willen des Arbeitnehmers umgesetzt werden<br />

Wegen personeller Engpässe werden <strong>Pflege</strong>helfer von <strong>der</strong> Stationsleitung<br />

zum Nachtdienst e<strong>in</strong>geteilt. Krankenpflegehelfer<br />

Gustav Gerne ist dazu nicht bereit, weil dies im Arbeitsvertrag<br />

nicht geregelt ist, wie er zutreffend ausführt. (Beispiel nach Hell,<br />

Alles Wissenswerte über Staat, Bürger, Recht, 3. Aufl. 2000, S. 317).<br />

Lösung:<br />

Die Weisung <strong>der</strong> Stationsleitung ist rechtswirksam, wenn die Durchführung<br />

des Nachtdienstes zu den Aufgaben des Krankenpflegehelfers gehört.<br />

Hier hilft e<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> das Krankenpflegegesetz weiter.<br />

§ 4 Abs. 2 regelt: Die Ausbildung für Krankenpflegehelfer<strong>in</strong>nen und Krankenpflegehelfer<br />

soll die Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten für die Versorgung <strong>der</strong><br />

Kranken, sowie die damit verbundenen hauswirtschaftlichen und sonstigen Assistenzaufgaben<br />

<strong>in</strong> Stations-, Funktion und sonstigen Bereichen des Gesundheitswesens<br />

vermitteln (Ausbildungsziel).<br />

Daraus folgt, daß <strong>der</strong> Krankenpflegehelfer nur Assistenzaufgaben<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Grundpflege zu leisten hat. Im Nachtdienst stehen aber die<br />

Behandlungspflege und die Krankenbeobachtung im Vor<strong>der</strong>grund,<br />

die zum Aufgabengebiet <strong>der</strong> Krankenpflege gehören (§ 3 Abs. 2<br />

Nr. 1, 2, 3 KrPflG) so daß die Weisung nicht rechtswirksam ist.<br />

Ausnahme: Im Arbeitsvertrag ist geregelt, daß Krankenpflegehelfer <strong>in</strong><br />

Ausnahmefällen zum Nachtdienst herangezogen werden können.<br />

Umgekehrt gilt:<br />

Es ist unzulässig, wegen Personalmangels e<strong>in</strong>en Intensivpfleger<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Küche aushelfen zu lassen, wenn ke<strong>in</strong> Notfall besteht.<br />

Unzulässig ist auch, e<strong>in</strong>e OP-Schwester anzuweisen, e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>travenöse<br />

Injektion zu geben, wenn sie sich das nicht zutraut.<br />

Es ist unzulässig, die Schwester anzuweisen assistenzärztliche<br />

Aufgaben zu übernehmen, wenn ke<strong>in</strong> Notfall vorliegt.<br />

Dies wi<strong>der</strong>spricht dem Berufsbild und ist meist im AV nicht geregelt.<br />

Zulässig ist aber, daß Krankenschwestern den Dienst gegenseitig<br />

tauschen, wenn die <strong>Pflege</strong>dienstleitung damit e<strong>in</strong>verstanden ist. Es<br />

besteht Erlaubnispflicht, weil die Schwester nämlich ihre Arbeitsleistung<br />

entgegen Arbeitsvertrag nicht höchstpersönlich erbr<strong>in</strong>gt.


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 133 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

III. Wesentliche<br />

arbeitsvertragliche<br />

Pflichten<br />

IV. Verletzung<br />

arbeitsvertraglicher<br />

Pflichten<br />

Pflichten<br />

aus Arbeitsvertrag<br />

1. Arten <strong>der</strong><br />

Pflichtverletzung<br />

2. Nichtleistung<br />

Der Arbeitsvertrag verpflichtet beide Parteien <strong>zur</strong> Erfüllung ihrer<br />

jeweiligen Pflichten.<br />

1. Hauptpflichten des Arbeitnehmers (Krankenschwester)<br />

Erbr<strong>in</strong>gung se<strong>in</strong>er Arbeitsleistung,<br />

höchstpersönlich (Problem: Diensttausch bei Schichten),<br />

gemäß Stellenbeschreibung Arbeitsvertrag,<br />

Ausnahme: im Notfall auch berufsfremde Tätigkeit erbr<strong>in</strong>gen,<br />

Umfang: Höchstzeit gemäß ArbzV und gem. Tarifvertrag,<br />

Verweigerung Arbeitsleistung löst SE-Ansprüche des Arbeitgebers<br />

aus, weil Arbeitsleistung e<strong>in</strong>klagbar, aber nicht vollstreckbar.<br />

2. Hauptpflichten des Arbeitgebers (Krankenhaus)<br />

Vergütungspflicht (Lohnzahlung),<br />

ggf. auch im Krankheitsfall („Lohn ohne Arbeit“),<br />

Fürsorgepflicht (Gefahrenabwehr, Entwicklung Persönlichkeit),<br />

Arbeitnehmer zu beschäftigen, ihm angemessene Arbeit zu geben,<br />

Arbeitnehmer Urlaub zu gewähren,<br />

3. Nebenpflichten des Arbeitnehmers (Krankenschwester)<br />

Treue-, Gehorsams-, Schweigepflicht.<br />

Bei <strong>der</strong> Erbr<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> arbeitsvertraglichen Hauptpflicht des<br />

<strong>Pflege</strong>personals, <strong>der</strong> Arbeitsleistung, kommt es immer wie<strong>der</strong> zu<br />

vertragswidrigen Abweichungen. Geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d hiermit die Fälle<br />

<strong>der</strong> Verletzung von Arbeitspflichten.<br />

Das <strong>Pflege</strong>personal kann se<strong>in</strong>e hauptsächlichen Arbeitspflichten<br />

dadurch verletzen, dass es die ihm zugewiesene Arbeit:<br />

überhaupt nicht leistet,<br />

verspätet leistet,<br />

mangelhaft erfüllt (sog. Schlechtleistung).<br />

Die Pflicht <strong>zur</strong> Ableistung <strong>der</strong> Arbeit ist höchstpersönlich (§ 613<br />

BGB) und sie darf nicht durch e<strong>in</strong>e Ersatzperson erfüllt werden, die<br />

für den ursprünglich vorgesehenen Arbeitnehmer e<strong>in</strong>spr<strong>in</strong>gt und ihn<br />

vertritt. Die wichtigsten Fälle <strong>der</strong> Nichtleistung s<strong>in</strong>d:<br />

a. Nichtleistung wegen Schichttausch<br />

E<strong>in</strong>e Stationsschwester, die <strong>zur</strong> Nachtschicht e<strong>in</strong>geteilt ist,<br />

kann nicht ohne Weiteres mit e<strong>in</strong>er Kolleg<strong>in</strong>, die <strong>zur</strong> Spätschicht<br />

e<strong>in</strong>geteilt ist, die Schicht tauschen.<br />

Begründung: Die Höchstpersönlichkeit <strong>der</strong> Arbeitsleistung<br />

impliziert die Pflicht, diese <strong>zur</strong> e<strong>in</strong>geteilten<br />

Zeit zu erbr<strong>in</strong>gen.<br />

Folge: Gegen o<strong>der</strong> ohne den Willen des Arbeitgebers kann<br />

das <strong>Pflege</strong>personal die Schicht nicht tauschen.<br />

Auch <strong>der</strong> H<strong>in</strong>weis, daß e<strong>in</strong> Ersatz „da“ war, greift<br />

nicht. Es besteht <strong>in</strong> diesen Fällen ke<strong>in</strong> Lohnanspruch<br />

<strong>der</strong> tauschenden <strong>Pflege</strong>kräfte (eventuell bestehen<br />

aber Bereicherungsansprüche <strong>der</strong> gearbeitet<br />

habenden <strong>Pflege</strong>kraft).<br />

Ausnahme: Der Arbeitgeber (i.e. die <strong>Pflege</strong>dienstleitung)<br />

ist mit dem Diensttausch e<strong>in</strong>verstanden.<br />

b. Nichtleistung wegen Krankheit o<strong>der</strong> Urlaub<br />

Die Pflicht <strong>zur</strong> höchstpersönlichen Erbr<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Arbeits-


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 134 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

3. Spätleistung<br />

4. Schlechtleistung<br />

leistung entfällt gemäß <strong>der</strong> Regelungen im Lohnfortzahlungsgesetz<br />

und dem Bundesurlaubsgesetz bei Krankheit<br />

und im Urlaub. In diesen Fällen hat <strong>der</strong> Arbeitnehmer die<br />

Nichtleistung nicht zu vertreten, d.h., nicht schuldhaft und<br />

<strong>in</strong> vorwerfbarer Weise herbeigeführt. Es bleibt folglich<br />

auch <strong>der</strong> Lohnanspruch <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>kraft bestehen. Achtung:<br />

Bei häuf. Kurzerkrank. auch schon Vorlage Attest am ersten Tag zulässig.<br />

c. Nichtleistung wegen berechtigter Arbeitsverweigerung<br />

E<strong>in</strong> weiterer Fall <strong>der</strong> Nichtleistung ist <strong>der</strong> aufgrund berechtigter<br />

Arbeitsverweigerung. Damit ist die unzulässige Delegation<br />

ärztlicher Aufgaben an das <strong>Pflege</strong>personal geme<strong>in</strong>t.<br />

Hiervon erfaßt ist die Situation, wonach das <strong>Pflege</strong>personal<br />

e<strong>in</strong>em Patienten aufgrund ärztlicher Anordnung e<strong>in</strong>e<br />

Injektion geben soll, ohne zuvor jemals dar<strong>in</strong> ausgebildet<br />

worden zu se<strong>in</strong>. Wenn das <strong>Pflege</strong>personal den Arzt hierauf<br />

aufmerksam gemacht hat und dieser trotzdem die Anweisung<br />

erteilt, darf die Injektion nicht vorgenommen werden. Da es<br />

sich erkennbar um e<strong>in</strong>en Fall <strong>der</strong> Nichtvertretbarkeit handelt,<br />

bleibt <strong>der</strong> Anspruch auf Lohn erhalten.<br />

Der Fall <strong>der</strong> Spätleistung ist das nicht pünktliche Ersche<strong>in</strong>en am<br />

Arbeitsplatz.<br />

„Zuspätkommen“<br />

Wer aus Unachtsamkeit o<strong>der</strong> Nachlässigkeit o<strong>der</strong> wegen e<strong>in</strong>es<br />

Unfalls auf dem Weg <strong>zur</strong> Arbeit zu spät kommt, hat<br />

die Nichtleistung zu vertreten und damit se<strong>in</strong>en Anspruch<br />

auf Lohn verwirkt (bei Unfällen gilt, daß <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />

das sog. Wegerisiko trägt und deshalb bei Unfällen zu Arbeit<br />

währenddessen auf se<strong>in</strong>en Lohn verzichten muß).<br />

Das <strong>Pflege</strong>personal erbr<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e Schlechtleistung, wenn es für<br />

se<strong>in</strong>e Verhältnisse zu langsam o<strong>der</strong> zu flüchtig arbeitet und ihm<br />

das Arbeitsergebnis nicht gel<strong>in</strong>gt.<br />

a. Mangelndes Arbeitsergebnis<br />

Bei Fehlleistungen - e<strong>in</strong> Patient fällt beim Umbetten auf<br />

den Boden - ist zu prüfen, ob das <strong>Pflege</strong>personal diesen<br />

Fehler zu vertreten hat (= Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit).<br />

Ist dies <strong>der</strong> Fall, entfällt <strong>der</strong> Lohnanspruch für die<br />

Dauer <strong>der</strong> Zeit, <strong>in</strong> welchem die fehlerhafte Leistung erbracht<br />

wurde. Bei ständigen Fehlleistungen steht dem Arbeitgeber<br />

überdies e<strong>in</strong> Recht <strong>zur</strong> Kündigung zu.<br />

b. Haftungsgrundsätze bei betrieblich veranlaßter Arbeit<br />

In <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>praxis hat sich <strong>in</strong>des herausgestellt, daß sich Fehler<br />

und daraus resultierende arbeitsbed<strong>in</strong>gte Schäden nie ganz<br />

vermeiden lassen. Dies passiert selbst den sorgfältigsten Arbeitnehmern.<br />

Weil kle<strong>in</strong>e Fehler des <strong>Pflege</strong>personals große<br />

Schäden verursachen können, die <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Verhältnis<br />

zum Arbeitslohn stehen (und daher auch vom Arbeitnehmer<br />

nicht ohne Weiteres kompensiert werden können), hat die<br />

Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eigene Grundsätze<br />

entwickelt, wie das Haftungsrisiko gerecht zwischen Arbeitgeber<br />

und Arbeitnehmer verteilt werden kann.


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 135 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

V. Die Kündigung<br />

des Arbeitsverhältnisses<br />

bei ordentlicherKündigung<br />

Vorsatz<br />

Verursacht das <strong>Pflege</strong>personal vorsätzlich e<strong>in</strong>en<br />

Schaden, haftet es voll und une<strong>in</strong>geschränkt.<br />

Grobe Fahrlässigkeit<br />

Handelt das <strong>Pflege</strong>personal grob fahrlässig, haftet es<br />

grundsätzlich unbeschränkt (= nicht immer) für<br />

den entstandenen Schaden.<br />

Ausnahme: Der Verdienst steht <strong>in</strong> deutlichem Mißverhältnis<br />

zum Schadensrisiko <strong>der</strong> Arbeit (= ke<strong>in</strong>e<br />

angemessene Bezahlung bei hochriskanter Tätigkeit).<br />

Mittlere/Leichte Fahrlässigkeit<br />

In diesen fällen teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer<br />

unter Berücksichtigung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelfallumstände<br />

die Schadensbegleichung.<br />

Leichteste Fahrlässigkeit<br />

In diesem Fall haftet das <strong>Pflege</strong>personal nicht.<br />

Gegen die ordentliche Kündigung durch das Krankenhaus kann sich das betroffene<br />

<strong>Pflege</strong>personal mit <strong>der</strong> Kündigungsschutzklage wehren.<br />

Obersatz: „Die Kündigungsschutzklage hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist“.<br />

1. Zulässigkeit <strong>der</strong> Kündigungsschutzklage<br />

a. Zuständigkeit des Arbeitsgerichts<br />

§ 2 Abs. 1 Nr. 3 b ArbGG sachlich; § 46 II ArbGG i.V.m. §§ 13-37 ZPO örtlich,<br />

Entscheidungsform gem. § 2 Abs. 5, 46 Abs. 1, 8 Abs. 1 ArbGG: Urteil,<br />

b. Klageart und Klage<strong>in</strong>teresse<br />

Feststellungsklage gem. § 256 ZPO,<br />

Feststellungs<strong>in</strong>teresse: (+), weil Klage e<strong>in</strong>zige Möglichkeit, die nach §§ 4, 7, 13<br />

I KSchG drohende Heilung <strong>der</strong> Sozialwidrigkeit zu beseitigen,<br />

c. Klagefrist (= 3 Wochen, § 13 I 2, 4 S. 1, 5 KSchG, auch wenn KSchG unanwendbar;<br />

wenn Kündigung nicht schriftlich bekannt gegeben, kann Klage auch nach Ablauf <strong>der</strong> Dreiwochenfrist<br />

erhoben werden, weil die Kündigung wegen § 125 BGB nichtig ist [Richardi, BB 2004, 486 {489}])<br />

2. Begründetheit <strong>der</strong> Kündigungsschutzklage<br />

Die Klage ist begründet, wenn die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt ist.<br />

a. Wirksames Arbeitsverhältnis, das gekündigt wurde<br />

Arbeitsvertrag bestand im Zeitpunkt Kündigung,<br />

Vorliegen schriftlicher ordnungsgemäßer Kündigungserklärung sowie<br />

Kündigungsbegründung, daß und weshalb fristgemäß gekündigt wurde<br />

(Textform [Email] reicht nicht aus [§ 623 BGB]).<br />

c. Wirksamkeit <strong>der</strong> Kündigung<br />

ke<strong>in</strong> Ausschluß Kündigung durch Arbeitsvertrag, Mutterschutzgesetz (§ 9),<br />

Tarifvertrag od. Betriebsvere<strong>in</strong>barung, Betriebsratszugehörigkeit<br />

ke<strong>in</strong>e Nichtigkeit nach § 134, 138, 242 BGB,<br />

ordnungsgem. Anhörung Betriebsrat, § 102 BetrVG (sonst Künd. unwirksam; man<br />

kann vere<strong>in</strong>baren, daß Wi<strong>der</strong>spruch d. Betriebsrates gegen Kündigung diese zunächst nicht<br />

wirksam werden läßt u. dann von <strong>der</strong> Schiedsstelle entschieden wird; im Regelfall hat Wi<strong>der</strong>-


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 136 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

spruch ke<strong>in</strong>e Rechtswirkung, Arbeitnehmer erhält aber Abschrift des Wi<strong>der</strong>spruchs),<br />

d. E<strong>in</strong>greifen des Kündigungsschutzes nach KSchG<br />

KSchG anwendbar: § 23 I 2, 1 I KSchG (m<strong>in</strong>d. 6 Arbeitnehmer beschäftigt, Arbverhältnis<br />

besteht länger als 6 Monate ununterbrochen; ist Arbverhältnis nach dem<br />

31.12.2003 e<strong>in</strong>gegangen, ist KSchG für diesen betreffenden Arbeitnehmer erst anwendbar,<br />

wenn er m<strong>in</strong>d. <strong>der</strong> 11 beschäftigte Arbeitnehmer ist [teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer<br />

mit e<strong>in</strong>er regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20<br />

Stunden zählen mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75]), diese Regelung gilt<br />

NICHT für bereits angestellte Mitarbeiter <strong>in</strong> Betrieben mit mehr als fünf Beschäftigten.<br />

E<strong>in</strong>haltung Klagefrist 3 Wochen (§ 4 S. 1, 5 I KSchG), Versäumung Frist heilt<br />

alle Unwirksamkeitsgründe mit Ausnahme <strong>der</strong> Schriftform !, Klagefrist gilt auch<br />

für Kle<strong>in</strong>betriebe; und auch <strong>in</strong> den ersten 6 Monaten des Arbeitsverhältnisses,<br />

Merke: 3 Wochenfrist gilt bei ordentlicher und außerordentlicher Kündigung,<br />

(ordentliche) Kündigung muß sozial gerechtfertigt se<strong>in</strong>:<br />

personenbed<strong>in</strong>gte Kündigung:<br />

langanhaltende Krankheit, bei <strong>der</strong> Ende nicht absehbar ist (neg. Prognose) und die<br />

wg. Ungewißheit erhebliche und unzumutbare Bee<strong>in</strong>trächtigungen betrieblicher<br />

Interessen (Kosten wg. Überbrückung, Planungsprobleme !) verursacht,<br />

häufige Kurzerkrankungen, die betriebl. Interessen unzumutbar be<strong>in</strong>trächtigen (n.P.),<br />

krankheitsbed<strong>in</strong>gte M<strong>in</strong><strong>der</strong>ung Leistungsfähigkeit, die quantitativ und qualitativ<br />

erheblich ist, u. betriebl. Interessen unzumutbar bee<strong>in</strong>trächtigt (+ neg. Prognose),<br />

immer: Abwägung Interessen Betrieb gegen Arbeitnehmer vornehmen !<br />

verhaltensbed<strong>in</strong>gte Kündigung:<br />

Fälle: schwere Pflichtverletzungen (Pünktlichkeit); Störung Vertrauensbereich; Verletzung<br />

arbvertragl. Nebenpflicht; außerdienstl. Verhalten belastet Arbverhältnis,<br />

verschuldet und wie<strong>der</strong>holt,<br />

erfolglose Abmahnung, die zwecklos geblieben ist,<br />

betriebsbed<strong>in</strong>gte Kündigung:<br />

außerbetriebliche Faktoren (Auftragsrückgang, Rohstoffmangel),<br />

<strong>in</strong>nerbetriebliche Faktoren (Stillegung, Rationalisierung als Unternehmerentscheidung),<br />

Faktoren machen Weiterbeschäftigung Krankenschwester (ArbN) unmöglich<br />

Verhältnismäßigkeit (Weiterbeschäftigung unzumutbar, ultima ratio, Int.abwägng),<br />

hier wird - wenn es sich um e<strong>in</strong>e betriebsbed<strong>in</strong>gte Kündigung hält - die sog. Umsetzung<br />

des Mitarbeiter geprüft: Der Arbeitgeber muß dem Arbeitnehmer dabei jeden (!)<br />

freien Arbeitsplatz anbieten, auch e<strong>in</strong>en solchen, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Qualifizierung erfor<strong>der</strong>t,<br />

als die bisherige Stelle (Ausnahme: Personalchef soll Pförtner werden); <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

muß dem Arbeitnehmer dazu e<strong>in</strong>e Än<strong>der</strong>ungskündigung aussprechen; <strong>der</strong><br />

Arbeitnehmer muß dann wählen und entscheiden, ob er e<strong>in</strong>e Weiterbeschäftigung unter<br />

den verän<strong>der</strong>ten Bed<strong>in</strong>gunen für zumutbar hält o<strong>der</strong> nicht (dann muß er aber im Zweifel<br />

gehen) (BAG, Urt. v. 21.04.2005, Az. 2 AZR 244/04)<br />

Sozialauswahl (nur betriebsbed<strong>in</strong>gte Kündigung !): nur Entlassung v. Arbeitnehmer,<br />

<strong>der</strong> am wenigsten auf Arbeitsplatz angewiesen ist; Kriterien (abschließend):<br />

Lebensalter, Dauer Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten, Schwerbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />

(§ 1 II, III KSchG); Kriterien haben gleiches Gewicht; weitere soziale Kriterien (alle<strong>in</strong><br />

erziehen<strong>der</strong> Elternteil, <strong>Pflege</strong> v. Angehörigen) s<strong>in</strong>d nur noch bei vor dem 31.12.2003 geschlossenen<br />

Arbeitsverträgen zu berücksichtigen (Ba<strong>der</strong>, NZA 2004, 65 [66]);<br />

Ausnahme: e<strong>in</strong> Arbeitnehmer wurde wegen se<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en Kenntnisse, Fähigkeiten,<br />

Leistungen o<strong>der</strong> <strong>zur</strong> Sicherung e<strong>in</strong>er ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs<br />

(sog. Leistungsträgerklausel) aus <strong>der</strong> sozialen Auswahl ausgenommen, weil<br />

se<strong>in</strong>e Weiterbeschäftigung im betrieblichen Interesse liegt,<br />

Grundkündigungsfrist (vier Wochen, § 622 Abs. 1 BGB) e<strong>in</strong>gehalten<br />

e. Beifügen <strong>der</strong> Stellungnahme des Betriebsrates<br />

Hat <strong>der</strong> Arbeitnehmer gegen die betriebsbed<strong>in</strong>gte Kündigung E<strong>in</strong>spruch beim Betriebsrat<br />

e<strong>in</strong>gelegt, soll er dessen Stellungnahme <strong>der</strong> Klage anbei fügen (§§ 3,4 KSchG),<br />

f. ke<strong>in</strong> gesetzlicher Abf<strong>in</strong>dungsanspruch bei Kündigungsschutzklage<br />

hat <strong>der</strong> Arbeitnehmer gegen die ordentliche Kündigung die Kündigungsschutzklage erhoben,<br />

steht ihm nach § 1a KSchG ke<strong>in</strong> gesetzlicher Anspruch auf Abf<strong>in</strong>dung i.H.v.<br />

0,5 Monatsgehältern (brutto) für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses zu,<br />

trotzdem verbleibt Möglichkeit e<strong>in</strong>er gerichtlich verfügten Abf<strong>in</strong>dung,<br />

wenn Richter Kündigung für unwirksam erklärt (dazu vgl. unten Punkt VI.)


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VI. Die Kündigung<br />

des Arbeitsverhältnis- <br />

Gegen die außerordentliche Kündigung durch das Krankenhaus kann sich<br />

das betroffene <strong>Pflege</strong>personal mit <strong>der</strong> Kündigungsschutzklage wehren.<br />

Obersatz: „Die Kündigungsschutzklage hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist“.<br />

ses bei außeror-<br />

dentlicher Kün-<br />

digung 1. Zulässigkeit <strong>der</strong> Kündigungsschutzklage<br />

a. Zuständigkeit des Arbeitsgerichts<br />

§ 2 Abs. 1 Nr. 3 b ArbGG sachlich; § 46 II ArbGG i.V.m. §§ 13-37 ZPO örtlich,<br />

Entscheidungsform gem. § 2 Abs. 5, 46 Abs. 1, 8 Abs. 1 ArbGG: Urteil,<br />

b. Klageart und Klage<strong>in</strong>teresse<br />

Feststellungsklage gem. § 256 ZPO,<br />

Feststellungs<strong>in</strong>teresse: (+), weil Klage e<strong>in</strong>zige Möglichkeit, die nach §§ 4, 7, 13 I KSchG<br />

drohende Heilung <strong>der</strong> Sozialwidrigkeit zu beseitigen,<br />

c. Klagefrist (= 3 Wochen, § 13 I 2, 4 S. 1, 5 KSchG, auch wenn KSchG unanwendbar;<br />

wenn Kündigung nicht schriftlich bekannt gegeben, kann Klage auch nach Ablauf <strong>der</strong> Dreiwochenfrist<br />

erhoben werden, weil die Kündigung wegen § 125 BGB nichtig ist [Richardi, BB 2004, 486 {489}])<br />

2. Begründetheit <strong>der</strong> Kündigungsschutzklage<br />

Klage begründet (+), wenn die Kündigung nicht durch wichtigen Grund gerechtfertigt ist.<br />

a. Wirksames Arbeitsverhältnis, das außerordentlich gekündigt wurde<br />

Arbeitsvertrag bestand im Zeitpunkt Kündigung,<br />

Vorliegen schriftlicher ordnungsgemäßer Kündigungserklärung sowie Kündigungsbegründung,<br />

daß und weshalb fristlos gekündigt wurde<br />

E<strong>in</strong>haltung Kündigungsfrist: Kündigungserklärung erfolgt <strong>in</strong>nerhalb von zwei Wochen<br />

nach Bekanntwerden <strong>der</strong> außerordentlichen Kündigungsgründe (§ 626 II BGB).<br />

c. Wirksamkeit <strong>der</strong> Kündigung<br />

ke<strong>in</strong> Ausschluß Kündigung durch § 9 MuSchG, § 18 BErzGG, §§ 20, 21 SchwbG, BetrVG.<br />

ke<strong>in</strong>e Nichtigkeit nach § 134, 138, 242 BGB,<br />

ordnungsgem. Anhörung Betriebsrat, § 102 BetrVG (sonst Künd. unwirksam; man kann vere<strong>in</strong>baren,<br />

daß Wi<strong>der</strong>spruch d. Betriebsrates gegen Kündigung diese zunächst nicht wirksam werden läßt und dann von<br />

<strong>der</strong> Schiedsstelle entschieden wird; im Regelfall hat Wi<strong>der</strong>spruch ke<strong>in</strong>e Rechtswirkung; Arbeitnehmer erhält<br />

dann aber Abschrift des Wi<strong>der</strong>spruchs),<br />

d. Vorliegen e<strong>in</strong>es wichtigen Kündigungsgrundes<br />

Vorliegen von Tatsachen, die gegen die Fortdauer des Arbeitsverhältnisses sprechen (Beleidigung<br />

Vorgesetzter [„Arschloch“], eigenmächtiger Urlaubsantritt, Vortäuschen Arbeitsunfähigkeit,<br />

geschäftsschädigende Äußerungen, Nebentätigkeit während attestierter<br />

Krankheit, Konkurrenztätigkeit, anzügl. sex. Bemerkung mit Wdhgl. „Ausraster“),<br />

od. Vorliegen dr<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> Verdachtsmomente bzgl. schweren Fehlverhaltens (= Straftaten<br />

zu Lasten des Betriebes [Achtung: Arbeitgeber darf bei klaren Verdachtsmomenten dem Arbeitnehmer<br />

mit Kündigung und Strafanzeige drohen, um ihn zum Geständnis e<strong>in</strong>es Diebstahls<br />

zu br<strong>in</strong>gen], Arbeitskollegen o<strong>der</strong> schwere arbeitsvertragliche Verfehlungen [Verstoß<br />

gegen Verschwiegenheitspflicht]), die durch obj. Tatsachen gestützt werden und nicht aus<strong>zur</strong>äumen<br />

s<strong>in</strong>d; Arbeitgeber hat alles <strong>zur</strong> Sachverhaltsaufklärung Erfor<strong>der</strong>liche getan<br />

so daß <strong>in</strong>sgesamt das <strong>zur</strong> Fortdauer des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen irreparabel<br />

zerstört ist (z.B. Annahme v. Schmiergel<strong>der</strong>n, Tätlichkeiten im Betrieb,<br />

Diebstahl)<br />

Achtung: Beim Diebstahl genügt bereits die Entwendung von Gegenständen mit<br />

ger<strong>in</strong>gem Wert (Pfandbons, Stück Kuchen, das weggeworfen werden soll), ohne<br />

dass dem Arbeitgeber e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er Schaden entstanden ist und dies auch als Ersttat,<br />

um e<strong>in</strong>e fristlose Kündigung zu begründen, wenn durch diese Tat das Vertrauen<br />

des Arbeitsgebers <strong>in</strong> den Mitarbeiter irreparabel zerstört ist (BAG, Urt.v.<br />

10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – „Emmely“); <strong>in</strong> diesem Fall braucht <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

ke<strong>in</strong>e zweite Tat abzuwarten (LAG Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz, Az 8 Sa 361/07), Wichtig:<br />

Schutz des Eigentums des Arbeitgebers ist vorrangig geschützt, so dass Diebstahl<br />

immer e<strong>in</strong>e schwerwiegende Pflichtverletzung ist und es hier ke<strong>in</strong>e Bagatellgrenze<br />

gibt (Walker, NZA 2011, 1 [2]),<br />

ke<strong>in</strong>e Heilung d. Fehlens d. wichtigen Grundes nach § 7 KSchG durch Versäumen 3wöchiger<br />

Kündigungsfrist<br />

e. Interessenabwägung<br />

Außerordentliche Kündigung (E<strong>in</strong>zelfallabwägung) darf nur ultima ratio se<strong>in</strong>, weil mil<strong>der</strong>e<br />

Mittel (Versetzung, Abmahnung) unzumutbar wären (Abwägung Int. ArbG/ArbN).


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VII. Prozessuale<br />

Folgen e<strong>in</strong>er erfolgreichen<br />

Kün-<br />

digungsschutzklage<br />

VIII. Gesetzlicher<br />

Anspruch<br />

auf Abf<strong>in</strong>dung<br />

bei betriebsbed<strong>in</strong>gterKündigung<br />

Bei <strong>der</strong> Abwägung Kündigung als ultimatives – Abmahnung/Versetzung als mil<strong>der</strong>es Mittel<br />

s<strong>in</strong>d zu berücksichtigen:<br />

Gewicht und Auswirkungen <strong>der</strong> Vertragspflichtverletzung,<br />

Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers,<br />

mögliche Wie<strong>der</strong>holungsgefahr, „Ist Arbeitnehmer zukünftig vertragstreu?“,<br />

Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie dessen störungsfreier Verlauf<br />

Beachte: bei <strong>der</strong> Abwägung, ob das Vertrauen durch den Diebstahl ger<strong>in</strong>gwertiger<br />

Sachen irreparabel zerstört wurde, muss <strong>der</strong> Arbeitgeber bei langjährigen Arbeitsverhältnissen,<br />

die bislang störungsfrei waren, e<strong>in</strong> gewisses „Vertrauenskapitals“ zugrunde<br />

legen und prüfen, ob dieses durch diese e<strong>in</strong>malige Tat schon vollständig aufgezehrt<br />

wurde (BAG, aaO – „Emmely“),<br />

E<strong>in</strong>er Abmahnung bedarf es jedenfalls dann nicht, wenn e<strong>in</strong>e zukünftige Verhaltensän<strong>der</strong>ung<br />

selbst durch Abmahnung nicht zu erwarten ist bzw. die Pflichtverletzung so gravierend<br />

ist, dass man schlichtweg nicht mit e<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>nahme durch den Arbeitgeber rechnen<br />

kann (absolutes „no go“),<br />

f. erfolglose Fristsetzung und vorherige Abmahnung<br />

die Abmahnung muß i.d.R. erfolgt se<strong>in</strong>. Ausnahme: irreparable Zerstörung des Vertrauensverhältnisses<br />

(wird bei Diebstahl angenommen), ernsthafte Leistungsverweigerung.<br />

Vor <strong>der</strong> Abmahnung sollte gemäß § 314 II 1 BGB zuvor erst e<strong>in</strong>e (erfolglose) Frist <strong>zur</strong><br />

Abhilfe gesetzt werden.<br />

g. Unzumutbarkeit <strong>der</strong> Kündigung bis zum regulären Kündigungsterm<strong>in</strong><br />

auch hierbei ist nochmals abzuwägen, ob das Arbeitsverhältnis nicht doch fortgesetzt werden<br />

kann. Wenn (-), dann kann sofort gekündigt werden.<br />

Stellt das Gericht fest, daß die ordentliche/außerordentliche Kündigung nicht gerechtfertigt ist<br />

(= Klage begründet), wird es die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu dem Zeitpunkt feststellen,<br />

zu dem es bei sozialer Rechtfertigung (für die ordentliche Kündigung) bzw. bei E<strong>in</strong>tritt<br />

des wichtigen Kündigungsgrundes (für die Außerordentliche Kündigung) geendet hätte. Es<br />

kann den Arbeitgeber dann bei Unzumutbarkeit <strong>der</strong> Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses <strong>zur</strong><br />

Zahlung e<strong>in</strong>er angemessenen Abf<strong>in</strong>dung verurteilen.<br />

Annex zum Abf<strong>in</strong>dungsanspruch des Arbeitnehmers bei betriebsbed<strong>in</strong>gter<br />

Kündigung<br />

Nach § 1a KSchG hat <strong>der</strong> Arbeitnehmer e<strong>in</strong>en gesetzlichen Anspruch auf Abf<strong>in</strong>dung,<br />

wenn ihm <strong>der</strong> Arbeitgeber betriebsbed<strong>in</strong>gt kündigt.<br />

1. Grund<br />

<strong>der</strong> Regelung<br />

2. Rechtscharakter<br />

Der <strong>in</strong> § 1a KSchG nie<strong>der</strong>gelegte gesetzliche Anspruch auf Abf<strong>in</strong>dung<br />

des ordentlich gekündigten Arbeitnehmers bei Nichterhebung<br />

<strong>der</strong> Kündigungsschutzklage trägt dem Umstand Rechnung,<br />

das die meisten Kündigungsschutzprozesse nur geführt<br />

werden, um e<strong>in</strong>e Abf<strong>in</strong>dung zu erhalten. Diese Abf<strong>in</strong>dung kann<br />

<strong>der</strong> Arbeitgeber nur bereits bei Ausspruch <strong>der</strong> Kündigung versprechen,<br />

um den Prozess zu vermeiden.<br />

Rechtstechnisch handelt es sich bei dem Anspruch des Arbeitnehmers<br />

um die bloße Möglichkeit, e<strong>in</strong> Angebot des Arbeitgebers<br />

nach § 1a KSchG anzunehmen.<br />

Der Arbeitgeber ist daher nicht verpflichtet, den H<strong>in</strong>weis<br />

auf die Abf<strong>in</strong>dungssumme zu erteilen und er muß auch nicht<br />

die Höhe dessen beziffern.<br />

Auch bleibt es ihm unbenommen, weiterh<strong>in</strong> bei personen- und verhaltensbed<strong>in</strong>gter<br />

bzw. außerordentlicher Kündigung e<strong>in</strong>e Abf<strong>in</strong>dung<br />

zu zahlen. Dies ist dann aber ke<strong>in</strong> Angebot nach § 1a KSchG.


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 139 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

3. Voraussetzungen<br />

4. Inhalt d.<br />

Angebots<br />

5. Folgen<br />

fehlen<strong>der</strong><br />

o<strong>der</strong> fehlerhafter<br />

Erklärung<br />

6. Verwirkung<br />

/ E<strong>in</strong>klagung<br />

/<br />

Besteuerung<br />

Voraussetzung für den Anspruch ist, dass <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />

ke<strong>in</strong>e Kündigungsschutzklage erhebt (3-Wochen-Frist),<br />

<strong>der</strong> Arbeitgeber auf die dr<strong>in</strong>genden betrieblichen Gründe<br />

<strong>der</strong> Kündigung<br />

und im Kündigungsschrieben auf den gesetzlichen Anspruch<br />

auf Abf<strong>in</strong>dung nach Verstreichen lassen <strong>der</strong> Kündigungsfrist<br />

h<strong>in</strong>gewiesen hat (Arbnehmer: Annahmefiktion nach § 151 BGB),<br />

für das Angebot des Arbeitgebers gilt nach § 623 BGB das<br />

Schriftformerfor<strong>der</strong>nis; d.h., daß Textform (elektronisch per<br />

Email) unzulässig ist.<br />

Hierbei sollte <strong>der</strong> Arbeitgeber auch die Abf<strong>in</strong>dungssumme (0,5 Monatsgehälter<br />

brutto pro Jahr <strong>der</strong> Betriebszugehörigkeit) konkret ausweisen.<br />

Das Unterlassen des H<strong>in</strong>weises auf den Abf<strong>in</strong>dungsanspruch,<br />

das falsche Berechnen (auch bei offenkundigem Rechenfehler)<br />

o<strong>der</strong> Nichtbenennen <strong>der</strong> Abf<strong>in</strong>dungssumme ist für den Arbeitgeber<br />

ungünstig, weil dann <strong>der</strong> Abf<strong>in</strong>dungsanspruch nicht<br />

wirksam entstanden ist und<br />

sich <strong>der</strong> Arbeitnehmer dann aus Klarstellungsgründen meist<br />

noch vor Ablauf <strong>der</strong> 3-Wochen-Frist <strong>zur</strong> Erhebung <strong>der</strong> Kündigungsschutzklage<br />

veranlasst sieht, sowie<br />

<strong>der</strong> Arbeitnehmer im E<strong>in</strong>zelfall durch das Gericht doch noch<br />

e<strong>in</strong>e höhere Abf<strong>in</strong>dung als die gesetzlich vorgeschriebene zu<br />

erzielen versucht (Bauer/Krieger, NZA 2004, 77).<br />

Merke: Trotz <strong>der</strong> gesetzlichen Fiktion des § 269 III 1 ZPO,<br />

wonach e<strong>in</strong>e <strong>zur</strong>ückgenommene Klage wie e<strong>in</strong>e nicht anhängig<br />

gewordene behandelt wird, entsteht <strong>der</strong> Abf<strong>in</strong>dungsanspruch<br />

bei erhobener und später <strong>zur</strong>ückgenommener Kündigungsschutzklage<br />

nicht (Ba<strong>der</strong>, NZA 2004, 65 [71]),<br />

<strong>der</strong> Abf<strong>in</strong>dungsanspruch muß vom ehemaligen Arbeitnehmer<br />

e<strong>in</strong>geklagt werden, falls <strong>der</strong> Arbeitgeber nicht freiwillig erfüllt,<br />

nach § 3 Nr. 9 EstG liegen die Steuerfreibeträge für Abf<strong>in</strong>dungen<br />

bei € 7.200,- bis € 9.000,-.<br />

IX. Nachschieben<br />

von Gründen<br />

im Klageverfah-<br />

Annex zum Klageverfahren<br />

ren Dem klagenden Arbeitnehmer bleibt es unbenommen, auch während des arbeitsgerichtlichen<br />

Klageverfahrens noch bis zum Schluß <strong>der</strong> mündlichen Verhandlung erster Instanz<br />

(Tatsachen<strong>in</strong>stanz) Gründe für die Unzulässigkeit <strong>der</strong> Kündigung vorzubr<strong>in</strong>gen, die<br />

er nicht <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Klagefrist vorgetragen hat (sog. Nachschieben von Gründen).<br />

X. Übersicht<br />

über sonstige<br />

Beendigungsgründe<br />

des Arbeitsverhätnisses<br />

Sonstige Beendigungsgründe<br />

Das Arbeitsverhältnis kann entwe<strong>der</strong> e<strong>in</strong>vernehmlich o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>seitig gestaltend (gegen<br />

den Willen des an<strong>der</strong>en Vertragspartners) gekündigt werden. Im e<strong>in</strong>zelnen:<br />

Aufhebungsvertrag<br />

Anfechtung und e<strong>in</strong>seitige Lossagung vom faktischen Arbeitsverhältnis,<br />

Tod des Arbeitnehmers,


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XI. Arbeitszeit<br />

exam<strong>in</strong>ierter<br />

Arbeitskräfte<br />

außerordentliche/ordentliche Kündigung,<br />

Auflösung durch Gerichtsurteil, §§ 9, 10 KSchG,<br />

Befristungsablauf,<br />

E<strong>in</strong>tritt e<strong>in</strong>er auflösenden Bed<strong>in</strong>gung.<br />

Normale<br />

Arbeitszeit<br />

Schichtdienst<br />

Arbeitszeit exam<strong>in</strong>ierter <strong>Pflege</strong>kräfte<br />

1. Dauer <strong>der</strong> Arbeitszeit<br />

a. gesetzliche Regelung<br />

die tägliche Arbeitszeit soll nicht mehr als 8 Stunden und darf<br />

höchstens 10 Std. betragen (§ 3 S. 2 ArbZG),<br />

die Arbeitszeit kann auch mehr als zehn Stunden betragen, wenn<br />

dar<strong>in</strong> auch Bereitschaftszeit fällt (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 a ArbZG),<br />

bei 6-9 Std. Arbeit gibt es 30 m<strong>in</strong>. Pause (§ 4 S. 1 ArbZG),<br />

ab 9 Std. Arbeit gibt es 45 m<strong>in</strong>. Pause (§ 4 S. 1 ArbZG),<br />

nicht länger als 6 Std. ohne Pause (§ 4 S. 3 ArbZG),<br />

die wöchentliche Arbeitszeit darf höchstens 48 Stunden durchschnittlich<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Ausgleichszeitraum von höchstens 6 Kalen<strong>der</strong>monaten o<strong>der</strong><br />

24 Wochen betragen (§ 3 S. 2 ArbZG),<br />

Wegefahrt zählt nicht <strong>zur</strong> Arbeitszeit.<br />

nach Ende <strong>der</strong> Arbeit: m<strong>in</strong>d. 11 Std. Ruhe (§ 5 Abs. 1 ArbZG),<br />

Bereitschaftsdienst <strong>in</strong> Diensträumen ist Arbeitszeit (!) -> VG<br />

M<strong>in</strong>den – Az.: 4 K 3162/00 (Urt. v. Nov. 2001).<br />

b. tarifliche Regelung<br />

wöchentliche Arbeitszeit durchschnittlich 38, 5 Std., gemessen an e<strong>in</strong>em<br />

52-Wochen-Zeitraum als Regelfall (§ 15 Abs. 1 BAT bzw. § 8<br />

KrPflSchülerInnenTV i.V.m. § 15 Abs. 1 BAT),<br />

Überstunden nur <strong>in</strong> dr<strong>in</strong>genden Fällen, dafür Ersatzfreizeiten o<strong>der</strong>,<br />

wenn das betrieblich nicht geht, f<strong>in</strong>anzielle Überstundenabgeltung (SR<br />

2 a Nr. 6 A zu § 15 Abs. 6 a und b und zu § 17 BAT); für Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenpflegeausbildung ist die Überstundenanordnung<br />

nur ausnahmsweise zulässig (§ 8 Abs. 2 Ende KrPflSchülerInnenTV).<br />

Son<strong>der</strong>problem: Anspruch auf Raucherpausen?<br />

Rauchen ist Privatsache und nicht Teil <strong>der</strong> Berufsausübung.<br />

Es gibt also ke<strong>in</strong> Recht auf Rauchen im Betrieb und auch<br />

ke<strong>in</strong> Recht, dafür e<strong>in</strong>e Auszeit zu nehmen - auch nicht<br />

aus Gewohnheitsrecht. Wenn <strong>der</strong> Arbeitgeber es nicht toleriert,<br />

dass man h<strong>in</strong> und wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Raucherpause e<strong>in</strong>legt<br />

o<strong>der</strong> er gar die verlorene Arbeitszeit vom Gehalt abzieht,<br />

müssen die Mitarbeiter ihre Sucht <strong>in</strong> den regulären Pausen<br />

stillen<br />

2. Schichtarbeitszeit<br />

a. gesetzliche Regelung<br />

Nachtzeit ist von 23.00 - 06.00 Uhr.<br />

Nachtarbeitszeit beträgt 8 Std. (§ 6 Abs. 2 ArbZG),<br />

sie kann um bis zu 2 Std. überschritten werden, wenn <strong>in</strong>nerhalb<br />

e<strong>in</strong>es Monats o<strong>der</strong> 4 Wochen tagsüber nicht mehr als 8 Std. gearbeitet<br />

wird (§ 6 Abs. 2 ArbZG),<br />

bei Nacht- und Schichtarbeit Berücksichtigung <strong>der</strong> gesicherten<br />

arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse über die menschengerechte<br />

Gestaltung <strong>der</strong> Arbeit (§ 6 Abs. 1 ArbZG),<br />

Sicherstellung <strong>der</strong> 48-Stunden-Woche <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Kalen<strong>der</strong>monats<br />

o<strong>der</strong> von vier Wochen (§ 6 Abs. 2 S. 2 ArbZG),<br />

regelmäßige arbeitsmediz<strong>in</strong>ische Untersuchungen und Anspruch auf


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Sonn-<br />

/Feiertage<br />

Versetzung auf e<strong>in</strong>en geeigneten Tagesarbeitsplatz unter bestimmten<br />

Voraussetzungen (§ 6 S. 3 und 4 ArbZG),<br />

angemessene Zahl bezahlter freier Tage o<strong>der</strong> Nachtarbeitszeitzuschlag<br />

(§ 6 Abs. 5 ArbZG).<br />

b. tarifliche Regelung<br />

Nachtarbeit darf im Jahresdurchschnitt nur e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong> regelmäßigen<br />

Arbeitszeit betragen; Nachtarbeit darf nicht mehr als 4 zusammenhängende<br />

Wochen betragen, es sei denn <strong>der</strong> Arbeitnehmer will<br />

auf eigenen Wunsch diese Dauer überschreiten (SR 2 a Nr. 5 Abs. 2<br />

zu § 15 BAT bzw. § 8 Abs. 2 KrPflSchülerInnenTV i.V.m. diesen<br />

Vorschriften),<br />

3. Sonn- und Feiertage<br />

Freizeiten 4. Freizeiten<br />

a. gesetzliche Regelung<br />

für Sonn- und Feiertagsarbeit je e<strong>in</strong> Ersatzruhetag bei Sonntagsarbeit<br />

<strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es den Beschäftigungstag e<strong>in</strong>schließenden Zeitraums von<br />

2 Wochen o<strong>der</strong> bei Wochenfeiertagen 8 Wochen; m<strong>in</strong>destens 15 Sonntage<br />

im Jahr müssen beschäftigungsfrei se<strong>in</strong> (§ 11 ArbZG),<br />

b. tarifliche Regelung<br />

Arbeitnehmer, die regelmäßig an Sonn- und Feiertagen arbeiten<br />

müssen, erhalten <strong>in</strong>nerhalb von zwei Wochen zwei arbeitsfreie Tage,<br />

wovon e<strong>in</strong> freier Tag aus e<strong>in</strong>en Sonntag fallen soll (SR 2 a Nr.<br />

5 Abs. 1 zu § 15 BAT bzw. § 8 Abs. 2 KrPflSchülerInnenTV<br />

i.V.m. diesen Vorschriften),<br />

bei Überstunden entsprechende Ersatzfreizeiten möglichst <strong>in</strong>nerhalb<br />

e<strong>in</strong>es Monats; wenn <strong>in</strong>nerhalb von drei Monaten ke<strong>in</strong>e Ersatzfreizeit<br />

möglich, Überstundenvergütung (SR 2 a Nr. 6 A zu § 15<br />

Abs. 6 a und zu § 17 BAT bzw. § 8 Abs. 2 KrPflSchülerInnenTV<br />

i.V.m. diesen Vorschriften).<br />

a. angemessene Ruhepausen s<strong>in</strong>d zu gewähren bei e<strong>in</strong>er Arbeitszeit<br />

von mehr als 6 Stunden, und zwar e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> mehrere Arbeitsunterbrechungen<br />

von m<strong>in</strong>d. ¼ Std. mit folgen<strong>der</strong> Staffelung:<br />

bei mehr als 6-9 Std.: 30M<strong>in</strong>.<br />

bei mehr als 9 Std.: 45 M<strong>in</strong>. (§ 4 ArbZG).<br />

b. tägliche ununterbrochene Freizeit:<br />

i.d.R. 11 Std. (§ 5 ArbZG),<br />

<strong>in</strong> Krankenhäusern u. and. E<strong>in</strong>richtungen <strong>zur</strong> Behandlung, Betreuung<br />

u. <strong>Pflege</strong> von Personen m<strong>in</strong>d. 10 Std., wenn <strong>in</strong>nerh. v. e<strong>in</strong>em Kalen<strong>der</strong>monat<br />

od. vier Wochen e<strong>in</strong> Ausgleich durch Verlängerung e<strong>in</strong>er<br />

and. Ruhezeit auf m<strong>in</strong>d. 12 Wochen erfolgt (§ 5 Abs. 2 ArbZG), abweich.<br />

v. <strong>der</strong> 11-stündigen Ruhezeit können <strong>in</strong> Krankenhäusern u.<br />

and. E<strong>in</strong>richtungen <strong>zur</strong> Behandlung, Betreuung u. <strong>Pflege</strong> von Personen<br />

Kürzungen <strong>der</strong> Ruhezeiten, die durch Rufdienst (nicht Bereitschaftsdienst<br />

[!], weil dieser <strong>zur</strong> Arbeitszeit zählt) entstehen zu and. Zeiten<br />

ausgeglichen werden, wobei m<strong>in</strong>d. die Hälfte <strong>der</strong> Ruhezeit (= 5,5 Std.)<br />

im Zusammenhang erfolgen muß (§ 5 Abs. 3 ArbZG).


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XII. Annex <strong>zur</strong><br />

Sozialauswahl bei<br />

<strong>der</strong> Kündigung<br />

Annex <strong>zur</strong> sozialen Rechtfertigung <strong>der</strong> Kündigung<br />

Kommt das Kündigungsschutzgesetz <strong>zur</strong> Anwendung, ist e<strong>in</strong>e Arbeitgeberkündigung nur<br />

im Falle ihrer sozialen Rechtfertigung wirksam. Diese ist gegeben, wenn <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

dr<strong>in</strong>gende personen-, verhaltens- o<strong>der</strong> betriebsbed<strong>in</strong>gte Gründe für die Kündigung geltend<br />

machen kann.<br />

Bei <strong>der</strong> ordentlichen Kündigung gemäß dem KSchG kann <strong>der</strong> Arbeitgeber aber nur dann<br />

aus personen-, verhaltens- o<strong>der</strong> betriebsbed<strong>in</strong>gten Gründe kündigen, wenn er zuvor die wi<strong>der</strong>streitenden<br />

Interessen gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> abgewogen hat.<br />

1. personenbed<strong>in</strong>gte Kündigung<br />

Personenbed<strong>in</strong>gte Gründe beruhen auf persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des<br />

Arbeitnehmers. Dazu gehören <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e:<br />

mangelnde körperliche o<strong>der</strong> geistige Eignung (Fälle <strong>der</strong> sog. M<strong>in</strong><strong>der</strong>- o<strong>der</strong> Schlechtleistung<br />

des Arbeitnehmers)<br />

Erkrankungen, die die Verwendbarkeit des Arbeitnehmers erheblich herabsetzen und<br />

wenn es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit erheblichen Fehlzeiten gekommen ist (sechs Wochen <strong>in</strong><br />

den letzten drei Jahren [BAG, Urt. v. 16.2.1989, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969<br />

Krankheit]). Bei den Krankheiten wird unterschieden <strong>in</strong>: lang andauernde Erkrankungen,<br />

Kurzerkrankungen und krankheitsbed<strong>in</strong>gte Leistungsm<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen.<br />

=> Bei lang andauernden Erkrankungen, bei denen die Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> Gesundheit<br />

objektiv nicht absehbar ist und <strong>der</strong> Arbeitsplatz aus betrieblichen Gründen<br />

wie<strong>der</strong> neu besetzt werden muß, kommt es auf die Umstände des E<strong>in</strong>zelfalles an.<br />

Hier kann e<strong>in</strong>e Kündigung ausnahmsweise gerechtfertigt se<strong>in</strong>.<br />

=> Bei häufigen Kurzerkrankungen gilt: nicht jede Erkrankung führt <strong>zur</strong> Arbeitsunfähigkeit;<br />

zudem muß diese ausdrücklich vom Arzt festgestellt werden.<br />

H<strong>in</strong>weis: Bei häufigen Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers kann <strong>der</strong> Arbeitgeber unabhängig<br />

von e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>weitigen Regelung im Tarifvertrag die sofortige Vorlage e<strong>in</strong>es Attests<br />

verlangen, ohne an die Drei-Tages-Frist gebunden zu se<strong>in</strong>, weil e<strong>in</strong> wichtiger Grund<br />

(= häufige Kurzerkrankungen) vorliegt; die wegen verspäteter Vorlage des Attests ausgesprochene<br />

Abmahnung ist rechtmäßig (ArbG Frankfurt, Az.: 6 Sa 463/03). Dazu ist <strong>in</strong><br />

diesem Fall auch nicht die Mitbestimmung des Betriebsrates erfor<strong>der</strong>lich.<br />

=> Bei krankheitsbed<strong>in</strong>gter Leistungsm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung kommt es darauf an, ob e<strong>in</strong>e erhebliche<br />

Absenkung des Leistungsniveaus unter den Durchschnitt gegeben ist und ob <strong>der</strong><br />

betriebliche Ablauf durch die Leistungsm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung konkret gefährdet ist.<br />

=> Prozessualer H<strong>in</strong>weis: Krankheitsbed<strong>in</strong>gte Kündigungen müssen <strong>in</strong> drei Stufen vorgenommen<br />

werden (wird vom zuständigen Richter überprüft):<br />

1. Stufe: Es muß e<strong>in</strong>e negative Prognose h<strong>in</strong>sichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes<br />

vorliegen. D.h., daß im Zeitpunkt <strong>der</strong> Kündigung objektive<br />

Tatschen vorliegen, nach denen e<strong>in</strong>e ernste Besorgnis zu weiteren Krankheiten<br />

im bisherigen Umfang besteht. Häufige Kurzerkrankungen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Vergangenheit (meist geht man drei Jahre <strong>zur</strong>ück) können e<strong>in</strong> Indiz für die<br />

entsprechende Entwicklung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zukunft se<strong>in</strong>.<br />

Der Arbeitnehmer kann aber den Gegenbeweis führen. Dazu reicht aber<br />

nicht darzulegen, daß die Krankheiten ausgeheilt s<strong>in</strong>d (Kock, BB 2006, 1907).<br />

2. Stufe: Aus den bisherigen und nach <strong>der</strong> Prognose zu erwartenden betrieblichen<br />

Auswirkungen des Gesundheitszustandes müssen sich erhebliche Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />

betrieblicher Interessen ergeben (= Betriebsablaufstörungen<br />

[ständige Neuorganisation, Überstunden, etc.] o<strong>der</strong> wirtschaftliche<br />

Belastungen [hohe Entgeltfortzahlungskosten für den betreffenden<br />

Arbeitnehmer, wenn dieser mehr als sechs Wochen im Jahr fehlt; es<br />

kommt hierbei nicht darauf an, ob das Unternehmen selbst die Lohnfortzahlung<br />

leisten muß, son<strong>der</strong>n welche Kosten das konkrete Arbeitsverhältnis<br />

<strong>in</strong>sgesamt verursacht - egal ob für Krankenkasse o<strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

{Kock, BB 2006, 1907}]).<br />

3. Stufe: Sodann ist im Rahmen <strong>der</strong> Interessenabwägung zu prüfen, ob betriebliche<br />

Bee<strong>in</strong>trächtigungen zu e<strong>in</strong>er nicht h<strong>in</strong>nehmbaren Belastung führen, die<br />

das Bestandsschutz<strong>in</strong>teresse des Arbeitnehmers überwiegen<br />

Grundsätzlich gilt, daß die Kündigung e<strong>in</strong>e sorgfältige Interessenabwägung voraussetzt.<br />

Der Arbeitgeber hat alle Maßnahmen darauf zu prüfen, durch die das Arbeitsverhältnis<br />

auch erhalten werden kann (z.B. Umsetzung, Umschulung).


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Es gilt: bei e<strong>in</strong>em kurzen Arbeitsverhältnis kann sich <strong>der</strong> Arbeitgeber eher auf krankheitsbed<strong>in</strong>gte<br />

Ausfallzeiten bei <strong>der</strong> Kündigung berufen; bei e<strong>in</strong>em längeren h<strong>in</strong>gegen<br />

muß er solche Fehlzeiten h<strong>in</strong>nehmen. Ist die Erkrankung auf betriebliche Gründe rückführbar<br />

(z.B. Mobb<strong>in</strong>g), geht dies zu Lasten des Arbeitgebers. Bei Alkoholerkrankungen<br />

müssen diese zunächst ärztlich festgestellt werden. Danach ist dem Arbeitnehmer erst die<br />

Gelegenheit <strong>zur</strong> Entziehungskur zu geben. Wird er rückfällig, kann ihm gekündigt werden.<br />

Ausnahme: Rückfall beruht auf persönlichen Gründen (z.B. Scheidungsverfahren).<br />

2. verhaltensbed<strong>in</strong>gte Kündigung<br />

Diese stützt sich auf folgende Gründe:<br />

Vertragsverletzungen,<br />

außerdienstliches Verhalten, das das Arbeitsverhältnis konkret bee<strong>in</strong>trächtigt,<br />

Pflichtverletzung d. Arbeitn. im Leistungsbereich (z.B. Arbeitsverweigerung, Arbeitsversäumnis),<br />

Vorspiegeln nicht vorhandener Eigenschaften o<strong>der</strong> Fähigkeiten bei E<strong>in</strong>stellungsverhandlungen,<br />

Verletzung von Verhaltenspflichten, die die betriebliche Ordnung betreffen,<br />

den persönlichen Vertrauensbeweis (z.B. Bestechlichkeit).<br />

Es muß für den Arbeitgeber unzumutbar se<strong>in</strong>, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Auch<br />

hier s<strong>in</strong>d die Interessen sorgfältig abzuwägen. Bei verhaltensbed<strong>in</strong>gten Kündigungen<br />

muß <strong>der</strong> Arbeitnehmer vorher abgemahnt werden.<br />

3. betriebsbed<strong>in</strong>gte Kündigung<br />

Sie ist gerechtfertigt, wenn dr<strong>in</strong>gende betriebliche Erfor<strong>der</strong>nisse e<strong>in</strong>er Weiterbeschäftigung<br />

entgegenstehen. Die betriebsbed<strong>in</strong>gte Kündigung ist im Krankenpflegebereich sehr<br />

selten. Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt se<strong>in</strong>:<br />

a. dr<strong>in</strong>gende betriebliche Erfor<strong>der</strong>nisse<br />

Zunächst müssen <strong>in</strong>nerbetriebliche Gründe (= Umstellung, E<strong>in</strong>schränkung <strong>der</strong> Produktion,<br />

Rationalisierungsmaßnahmen mit <strong>der</strong> Folge e<strong>in</strong>er Organisationsän<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Fremdvergabe<br />

bestimmter Arbeiten) o<strong>der</strong> außerbetriebliche Gründe (= Auftrags- o<strong>der</strong> Absatzrückgang; Arbeitgeber<br />

muß dazu konkrete Zahlen vorlegen [LAG Ma<strong>in</strong>z – Az.: 9 Sa 11/03]) vorliegen,<br />

die e<strong>in</strong>en unmittelbaren Arbeitsplatzbezug (= Auswirkung auf die E<strong>in</strong>satzmöglichkeit des<br />

gekündigten Arbeitnehmers mit <strong>der</strong> Folge, daß <strong>der</strong> Arbeitsplatz wegfällt) haben.<br />

b. freie Unternehmerentscheidung<br />

Ursache des Wegfalls von Arbeitsplätzen muß e<strong>in</strong>e Unternehmerentscheidung se<strong>in</strong>. Also<br />

die Entscheidung des Arbeitgebers (= Unternehmers), die technischen o<strong>der</strong> organisatorischen<br />

Maßnahmen e<strong>in</strong>zuleiten, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes führen. Hierbei<br />

sollte <strong>der</strong> Arbeitgeber prüfen, Arbeitsplätze nur <strong>in</strong> dem Umfang abzubauen, wie dies<br />

durch die geltend gemachten Umstände (z.B. Auftragsmangel) gerechtfertigt ist (Schiefer,<br />

DB 2007, 54 [es besteht aber ke<strong>in</strong>e Verpflichtung]). H<strong>in</strong>weis: Die unternehmerischen<br />

Entscheidungen s<strong>in</strong>d von Arbeitsgerichten nur e<strong>in</strong>geschränkt überprüfbar („nur“<br />

Mißbrauchskontrolle).<br />

c. Dr<strong>in</strong>glichkeit<br />

Die betrieblichen Gründe müssen dr<strong>in</strong>gend se<strong>in</strong>. D.h., daß für den Arbeitgeber e<strong>in</strong>e<br />

Zwangslage bestand, die e<strong>in</strong>e Kündigung unvermeidbar machte; die Kündigung muß<br />

notwendige Folge <strong>der</strong> betrieblichen Erfor<strong>der</strong>nisse se<strong>in</strong>:<br />

<strong>in</strong>nerbetriebliche Versetzung: <strong>der</strong> Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer nicht auf e<strong>in</strong>en<br />

an<strong>der</strong>en freien, vergleichbaren und gleichwertigen (= Umsetzung möglich) Arbeitsplatz<br />

im Unternehmen versetzen:


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Hier gelten beson<strong>der</strong>e rechtliche Voraussetzungen:<br />

- wenn nur e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gwertigerer Arbeitsplatz frei ist, dann kann es trotzdem zulässig<br />

se<strong>in</strong>, den Mitarbeiter dorth<strong>in</strong> zu versetzen, wenn folgende Voraussetzungen<br />

erfüllt s<strong>in</strong>d:<br />

<strong>der</strong> Mitarbeiter verfügt über die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten für<br />

diese Tätigkeit,<br />

es kommt darauf an, ob die ger<strong>in</strong>gwertigere Stelle dem Mitarbeiter subjektiv<br />

zumutbar ist, wobei er gewisse Verschlechterungen h<strong>in</strong>nehmen muß, wie etwa<br />

die Reduzierung des Jahresgehalts von € 140.000,- auf 70.000,-; die Reduzierung<br />

des monatlichen E<strong>in</strong>kommens von € 2.800,- auf € 1.400,-, wobei ernsthafte<br />

Zweifel, ob das verbliebene E<strong>in</strong>kommen die Familie ernähren kann, unbeachtlich<br />

s<strong>in</strong>d (Nachweise bei Bauer/W<strong>in</strong>zer, BB 2006, 266 [267]).<br />

ebenso kommt es darauf an, ob die Besetzung <strong>der</strong> freien ger<strong>in</strong>gwertigeren Stelle<br />

durch den Arbeitnehmer auch dem Arbeitgeber zumutbar ist, dies wird aber<br />

i.d.R. dadurch angenommen, wenn er diesem die Stelle anbietet.<br />

- wenn mehrere gleichwertige Arbeitsplätze - auch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Standorten - frei<br />

s<strong>in</strong>d:<br />

hier stellt sich die Frage, welchen freien Arbeitsplatz <strong>der</strong> Arbeitgeber anbieten<br />

muß: das ist <strong>der</strong>, <strong>der</strong> die ger<strong>in</strong>gsten Nachteile für den Arbeitnehmer nach sich<br />

zieht, was anhand objektiver Kriterien zu bemessen ist,<br />

haben beide <strong>der</strong> angebotenen Stellen <strong>in</strong> etwa die gleichen Nachteile, so ist<br />

nach billigem Ermessen zu entscheiden<br />

- wenn mehrere Arbeitnehmer um die gleiche freie Stelle konkurrieren:<br />

<strong>in</strong> diesen Fällen wird e<strong>in</strong>e Sozialauswahl unter den konkurrierenden Arbeitnehmern<br />

vorgenommen und gefragt, welchem Arbeitnehmer am ehesten die<br />

Än<strong>der</strong>ung se<strong>in</strong>er Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen zumutbar ist.<br />

an<strong>der</strong>weitige Versetzungsmöglichkeiten: dem Arbeitgeber dürfen an<strong>der</strong>weitige<br />

Versetzungsmöglichkeiten (<strong>in</strong>nerhalb des Konzerns) nicht möglich se<strong>in</strong>,<br />

Än<strong>der</strong>ungskündigung: ebenso muß <strong>der</strong> Arbeitgeber prüfen, ob er den Arbeitnehmer<br />

nach e<strong>in</strong>er Än<strong>der</strong>ungskündigung etwa unter verän<strong>der</strong>ten Bed<strong>in</strong>gungen weiterbeschäftigen<br />

kann (e<strong>in</strong>e Woche Bedenkzeit),<br />

zumutbare Fortbildung: zu prüfen ist, ob <strong>der</strong> Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach<br />

e<strong>in</strong>er eventuellen Fortbildung an e<strong>in</strong>em freien Arbeitsplatz weiter beschäftigen kann,<br />

absolute Sozialwidrigkeit: die betriebsbed<strong>in</strong>gte Kündigung ist <strong>in</strong> jedem Fall absolut<br />

sozialwidrig, wenn <strong>der</strong> Betriebsrat aus e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> <strong>in</strong> § 1 Abs. 2 Satz 2, 3 KSchG genannten<br />

Gründe form- und fristgerecht gekündigt hat,<br />

Beurteilungszeitpunkt: Die soziale Rechtfertigung <strong>der</strong> Kündigung ist im Zeitpunkt<br />

des Kündigungszuganges zu beurteilen; än<strong>der</strong>n sich die tatsächlichen Umstände nach<br />

Zugang <strong>der</strong> Kündigung, kann e<strong>in</strong>e Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>stellung bzw. Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />

geboten se<strong>in</strong>.<br />

4. Interessenabwägung bei personen- u. verhaltensbed<strong>in</strong>gten Kündigungen<br />

Auf Seiten des Arbeitnehmers (spricht gegen Kündigung):<br />

Art, Häufigkeit u. Schwere <strong>der</strong> vorgeworfenen Pflichtwidrigkeit,<br />

früheres Verhalten des Arbeitnehmers,<br />

Dauer <strong>der</strong> Betriebszugehörigkeit und Lebensalter,<br />

soziale Lage des Arbeitsnehmers,<br />

Lage auf dem Arbeitsmarkt und Umsetzungsmöglichkeiten.<br />

Auf Seiten des Arbeitgebers (spricht für Kündigung):<br />

Funktionsfähigkeit des Betriebes,<br />

Arbeitsdiszipl<strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitarbeiter,<br />

E<strong>in</strong>tritt e<strong>in</strong>es konkreten Schadens,<br />

Wie<strong>der</strong>holungsgefahr,<br />

e<strong>in</strong>schneidende Schädigung des Ansehens des Arbeitgebers.<br />

4a. Interessenabwägung bei betriebsbed<strong>in</strong>gten Kündigungen:<br />

die Interessenabwägung ist bei <strong>der</strong> betriebsbed<strong>in</strong>gten Kündigung e<strong>in</strong>geschränkt, weil<br />

die unternehmerische Entscheidung nicht „über die H<strong>in</strong>tertüre“ überprüft werden soll.<br />

die Interessenabwägung kann also nur noch <strong>in</strong> seltenen Fällen zu e<strong>in</strong>er für den Arbeitnehmer<br />

günstigen Entscheidung führen,<br />

mögliche Interessen s<strong>in</strong>d etwa die nur vorübergehende Weiterbeschäftigung, weil <strong>der</strong><br />

Mitarbeiter aufgrund schwerwiegen<strong>der</strong> persönlicher Umstände beson<strong>der</strong>s schutzwürdig<br />

ist (etwa: Todesfall allernächster Angehöriger).


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XIII. Umgang<br />

mit sog. „Low-<br />

Performern“<br />

5. Sozialauswahl (=Schutzbedürftigkeit Arbeitnehmer)<br />

Die Sozialauswahl wird nur bei <strong>der</strong> betriebsbed<strong>in</strong>gten Kündigung geprüft ! Hierbei wird gefragt,<br />

wie bzw. wer zu kündigen ist. Wird fehlerhaft sozial ausgewählt, ist die Kündigung<br />

sozialwidrig und damit nichtig.<br />

Die Sozialauswahl vollzieht sich <strong>in</strong> drei Schritten:<br />

Ermittlung vergleichbarer Arbeitnehmer,<br />

Auswahl <strong>der</strong> zu kündigenden Arbeitnehmer nach den <strong>in</strong> § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten<br />

sozialen Gesichtspunkten (abschließende Kriterien: Lebensalter, Dauer <strong>der</strong> Betriebszugehörigkeit,<br />

Unterhaltspflichten, Schwerbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung),<br />

H<strong>in</strong>weis: Die Kriterien <strong>der</strong> Sozialauswahl s<strong>in</strong>d lediglich „ausreichend“ zu berücksichtigen;<br />

d.h., dass die Kriterien nur „vertretbar“ ersche<strong>in</strong>en müssen und nicht <strong>der</strong><br />

Entscheidung entsprechen müssen, die auch e<strong>in</strong> Gericht getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich<br />

soziale Erwägungen hätte anstellen müssen,<br />

Ausschluss <strong>der</strong> Weiterbeschäftigung wegen berechtigter betrieblicher Bedürfnisse<br />

(wirtschaftliche Bedürfnisse, wichtige Kundenkontakte),<br />

Ausnahme: e<strong>in</strong> Arbeitnehmer wurde wegen se<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en Kenntnisse, Fähigkeiten,<br />

Leistungen o<strong>der</strong> <strong>zur</strong> Sicherung e<strong>in</strong>er ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs<br />

(sog. Leistungsträgerklausel) aus <strong>der</strong> sozialen Auswahl ausgenommen, weil se<strong>in</strong>e<br />

Weiterbeschäftigung im betrieblichen Interesse liegt, § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG. Nach<br />

<strong>der</strong> Rechtsprechung ist allerd<strong>in</strong>gs auch immer das Interesse des sozial schwächeren<br />

Arbeitnehmers gegen das betriebliche Interesse auf Herausnahme des Leistungsträgers<br />

abzuwägen. Da meist (aber nicht immer) jüngere Arbeitnehmer zu den Leistungsträgern<br />

gehören, ist bei <strong>der</strong>en Herausnahme zu prüfen, <strong>in</strong>wieweit dar<strong>in</strong> nicht zugleich<br />

e<strong>in</strong>e Diskrim<strong>in</strong>ierung i.S.d. AGG liegen könnte (bei guter Begründung aber<br />

unproblematisch).<br />

Auswahlrichtl<strong>in</strong>ien (nach § 95 BetrVG können Betriebsrat und Arbeitgeber festlegen,<br />

wie die Auswahlrichtl<strong>in</strong>ien nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG zu berücksichtigen und im<br />

Verhältnis zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu bewerten s<strong>in</strong>d).<br />

Daher gibt es bei <strong>der</strong> Sozialauswahl e<strong>in</strong> sog. Punkteschema, nach dem bestimmt werden<br />

soll, wie die e<strong>in</strong>zelnen Sozialkriterien zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu gewichten s<strong>in</strong>d. Dieses Punkteschema<br />

ist zulässig und empfiehlt sich <strong>in</strong> gewissen Fällen, weil das Gericht im Rahmen<br />

<strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong> richtigen Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers diese nur noch<br />

auf grobe Fehlerhaftigkeit bei <strong>der</strong> Anwendung des Punkteschemas prüfen kann.<br />

6. Darlegungs- und Beweislast<br />

Wenn das KSchG Anwendung f<strong>in</strong>det, so muß <strong>der</strong> Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess<br />

alle Tatsachen vortragen und beweisen, die die ausgesprochene Kündigung rechtfertigen.<br />

Aber: Bei <strong>der</strong> betriebsbed<strong>in</strong>gten Kündigung reicht nicht aus, sich pauschal auf<br />

die „schlechte Auftragslage“ o<strong>der</strong> „Rationalisierungsmaßnahmen“ zu berufen.<br />

Vielmehr gelten die Grundsätze <strong>der</strong> abgestuften Darlegungslast:<br />

Der Arbeitgeber muß zunächst darlegen, daß und wie die Maßnahme durchgeführt<br />

werden soll und daß sie durchführbar ist,<br />

Der Arbeitnehmer muß sodann darlegen, daß die Maßnahme unvernünftig, unsachlich<br />

o<strong>der</strong> willkürlich ist,<br />

schließlich legt <strong>der</strong> Arbeitgeber dar, wie die gleiche o<strong>der</strong> verm<strong>in</strong><strong>der</strong>te Arbeitsmenge<br />

nach se<strong>in</strong>en Vorstellungen <strong>in</strong> Zukunft von wem bewältigt werden soll.<br />

Son<strong>der</strong>problem: Umgang mit sog.<br />

„Low-Performern<br />

Obgleich <strong>der</strong> Arbeitsvertrag wie <strong>der</strong> Dienstvertrag nur vorsieht, daß <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />

dem Arbeitgeber se<strong>in</strong>e Arbeitskraft für e<strong>in</strong>ige Zeit <strong>zur</strong> Verfügung zu<br />

stellen hat und dar<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e bestimmte Quantität o<strong>der</strong> Qualität geschuldet ist, muß<br />

die Arbeit dennoch gewissen Maßstäben genügen, die durchaus als Erfolgskriterien<br />

bezeichnet werden können.<br />

Problematisch ist daher, wie e<strong>in</strong> Arbeitgeber mit sog. leistungsschwachen Mitarbeitern,<br />

den „low-performern“ umgeht. Insbeson<strong>der</strong>e ist zu fragen, wie er diese


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kündigen kann. Dies ist <strong>der</strong> Fall, wenn e<strong>in</strong>e erhebliche Schlechtleistung <strong>der</strong> Arbeit<br />

durch den Arbeitnehmer vorliegt.<br />

1. Festellung, ob <strong>der</strong> Mitarbeiter e<strong>in</strong> sog. Low-Performer ist, also e<strong>in</strong>e erhebliche<br />

Schlechtleistung erbr<strong>in</strong>gt<br />

E<strong>in</strong> Mitarbeiter ist e<strong>in</strong> Low-Performer, wenn er<br />

über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum Leistungen erbr<strong>in</strong>gt, die unter dem Durchschnitt<br />

liegen,<br />

wenn er deutlich schlechtere Leistungen erbr<strong>in</strong>gt, als früher,<br />

wenn er Weisungen des Vorgesetzten ungenügend ausführt,<br />

wenn er die Vorgaben aus Zielvere<strong>in</strong>barungen nicht erreicht,<br />

wenn er über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum ohne Erfolg bleibt.<br />

Unterdurchschnittliche Leistung über längeren Zeitraum<br />

Zur Ermittlung <strong>der</strong> Durchschnittsleistung zieht die Rechtsprechung des BAG<br />

die vergleichbare Leistung an<strong>der</strong>er Mitarbeiter heran, wobei auch überdurchschnittliche<br />

Leistungen herangezogen werden.<br />

Diese werden anschließend <strong>in</strong> Relation zu denen des betreffenden Arbeitnehmers<br />

gesetzt. Von diesen muß se<strong>in</strong>e Leistung über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum um<br />

m<strong>in</strong>destens 1 /3 abweichen. Dieser Zeitraum kann Wochen o<strong>der</strong> Monate umfassen.<br />

Abweichen von <strong>der</strong> früheren Leistung<br />

Das Abweichen von <strong>der</strong> eigenen Leistung ist leichter messbar für den Arbeitgeber,<br />

als e<strong>in</strong> Abweichen von <strong>der</strong> Vergleichsgruppe. Dafür muß <strong>in</strong> diesen Fällen<br />

die 30%-Quote nicht e<strong>in</strong>gehalten werden. Es genügt auch schon e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>geres<br />

Nachlassen.<br />

Abweichen von Vorgaben für die Leistungserbr<strong>in</strong>gung<br />

Soweit <strong>der</strong> Arbeitnehmer von den realistischen Vorgaben des Arbeitgebers<br />

abweicht bzw. diese nicht ausreichend beachtet, liegt ebenfalls e<strong>in</strong>e Schlechtleistung<br />

vor.<br />

Mehrmaliges Nichterreichen des vere<strong>in</strong>barten Jahresziels<br />

Mehrmaliges Nichterreichen e<strong>in</strong>es vere<strong>in</strong>barten Jahresziels ist nicht zweifelsfrei<br />

e<strong>in</strong>e Schlechtleistung. Die e<strong>in</strong>seitige Vorgabe von Zielen o<strong>der</strong> die e<strong>in</strong>vernehmliche<br />

Festlegung von Prämien reichen jedenfalls nicht aus. Wenn jedoch<br />

<strong>der</strong> Arbeitnehmer bei Vorliegen e<strong>in</strong>er Zielvere<strong>in</strong>barung darlegt, daß er diese für<br />

erreichbar hält und dann mehrfach unterschreitet, liegt e<strong>in</strong>e Schlechtleistung<br />

vor.<br />

Vollkommene Erfolglosigkeit<br />

In Ausnahmefällen erkennt die Rechtsprechung an, dass das völlig Ausbleiben<br />

des vom Arbeitgeber vorausgesetzten Erfolges gleichwohl e<strong>in</strong>e kündigungsrelevante<br />

Schlechtleistung se<strong>in</strong> kann. Hierbei kommt es jedoch auf den E<strong>in</strong>zelfall<br />

an.<br />

Beispiel:<br />

E<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenleiter<strong>in</strong>, die ihre Mitarbeiter schikaniert, auf die zu betreuenden<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht e<strong>in</strong>geht und zu ke<strong>in</strong>er sachlichen Kommunikation mit den Eltern<br />

imstande ist, kann wegen Erfolglosigkeit (Führungsschwäche) gekündigt<br />

werden.<br />

2. Konsequenzen: Kündigung von sog. Low-Performern<br />

Leistet <strong>der</strong> Arbeitnehmer - wie gesagt - über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum schlecht,<br />

so kommt e<strong>in</strong>e Kündigung <strong>in</strong> Betracht. Meist e<strong>in</strong>e solche aus verhaltens- o<strong>der</strong><br />

personenbed<strong>in</strong>gten Gründen.


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XIV. Zugang <strong>der</strong><br />

Kündigungserklärung<br />

Verhaltensbed<strong>in</strong>gte Kündigung<br />

Die Schlechtleistung rechtfertigt e<strong>in</strong>e verhaltensbed<strong>in</strong>gte Kündigung, wenn sie<br />

vorwerfbar ist. Vorwerfbar s<strong>in</strong>d Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Konkret<br />

geht es darum, daß <strong>der</strong> Arbeitnehmer schlecht arbeitet, obwohl er es besser<br />

könnte.<br />

Erfor<strong>der</strong>lich ist e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>schlägige und vorherige Abmahnung des Arbeitnehmers.<br />

Die Zeit zwischen Abmahnung und Kündigung darf nicht zu kurz bemessen<br />

se<strong>in</strong>, um dem Arbeitnehmer die Gelegenheit zu geben, se<strong>in</strong>e Leistung<br />

zu bessern. Die noch vorzunehmende Interessenabwägung dürfte <strong>in</strong> diesen Fällen<br />

zugunsten des Arbeitgebers ausgehen, weil das Verschulden dann e<strong>in</strong>deutig<br />

beim Arbeitnehmer liegt. Meist kommt es dann <strong>zur</strong> außerordentlichen Kündigung.<br />

Personenbed<strong>in</strong>gte Kündigung<br />

Auch wenn dem Arbeitnehmer die Schlechtleistung nicht vorwerfbar ist, kann<br />

sie e<strong>in</strong>e Kündigung rechtfertigen. Etwa dann, wenn die Schlechtleistung auf<br />

fortgeschrittenem Alter, auf Krankheit o<strong>der</strong> fehlenden Softskills (z.B. „mangelnde<br />

Führungsfähigkeit“) <strong>zur</strong>ückzuführen ist.<br />

In solchen Fällen bedarf es ke<strong>in</strong>er Abmahnung, weil <strong>der</strong> Arbeitnehmer von<br />

vorne here<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Leistungen nicht verbessern kann. Bei <strong>der</strong> Interessenabwägung<br />

ist allerd<strong>in</strong>gs dem Schutz älterer, langjähriger Arbeitnehmer Rechnung zu<br />

tragen. Regelmäßig wird es eher <strong>zur</strong> ordentlichen Kündigung kommen.<br />

3. Praktische Vorgehensweise des Arbeitgebers<br />

Meistens ist es schwierig zu eruieren, worauf die Schlechtleistung des Arbeitnehmers<br />

beruht. Dem trägt das BAG durch die sog. abgestufte Darlegungslast<br />

des Arbeitgebers Rechnung.<br />

Zunächst muß <strong>der</strong> Arbeitgeber die Schlechtleistung konkret darlegen. Dann<br />

muß <strong>der</strong> Arbeitnehmer dazu dezidiert Stellung beziehen. Schließlich muß <strong>der</strong><br />

Arbeitgeber diese en detail wi<strong>der</strong>legen.<br />

In <strong>der</strong> Praxis haben sich daher folgende Vorgehensweisen als zweckmäßig erwiesen:<br />

Geme<strong>in</strong>sames Gespräch im Beise<strong>in</strong> des Betriebsrates<br />

Ist <strong>der</strong> Arbeitgeber <strong>der</strong> Auffassung, <strong>der</strong> Arbeitnehmer arbeite schlecht, so sollte<br />

er zunächst e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Gespräch mit ihm führen, um vielleicht die möglichen<br />

Gründe zu erfahren - ggf. unter Beiziehung des Betriebsrates. So kann er<br />

sich auf die Situation besser e<strong>in</strong>stellen. Das Gespräch sollte protokolliert se<strong>in</strong><br />

und vom Arbeitnehmer nach Möglichkeit unterzeichnet werden.<br />

Arbeitskontrolle<br />

Der Arbeitgeber sollte zugleich die Leistungen des Arbeitnehmers regelmäßig<br />

kontrollieren und alle Mängel möglichst präzise und umfassend dokumentieren.<br />

Es s<strong>in</strong>d nach Möglichkeit alle greifbaren Schlechtleistungen abzumahnen.<br />

Erst nach mehrmaliger Abmahnung ist an e<strong>in</strong>e Kündigung zu denken.<br />

Annex zum Zugang <strong>der</strong> Kündigungserklärung<br />

Die Kündigung des Arbeitnehmers ist erst wirksam, wenn sie ihm zugegangen ist<br />

und er Kenntnis ihr erlangt hat. Es wird differenziert zwischen <strong>der</strong> dem Zugang<br />

<strong>der</strong> Kündigungserklärung unter Anwesenden und unter Abwesenden.


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XV. Das Arbeitszeugnis<br />

1. Zugang <strong>der</strong> Kündigungserklärung unter Anwesenden<br />

Die Kündigungserklärung ist zugegangen, wenn das Schreiben an den Gekündigten<br />

persönlich ausgehändigt wurde.<br />

2. Zugang <strong>der</strong> Kündigungserklärung unter Abwesenden<br />

Die Kündigungserklärung ist zugegangen, wenn sie so <strong>in</strong> den Machtbereich<br />

des Empfängers gelangt ist, daß <strong>der</strong> Absen<strong>der</strong> damit rechnen kann, daß <strong>der</strong><br />

Gekündigte unter regelmäßigen Umständen Kenntnis von dem Inhalt nimmt.<br />

Das Schreiben gelangt <strong>in</strong> den Machtbereich des Empfängers (Gekündigten),<br />

wenn es:<br />

durch den Postboten, e<strong>in</strong>en sonstigen Boten o<strong>der</strong> den Kündigenden selbst<br />

<strong>in</strong> den Hausbriefkasten des Gekündigten geworfen wird,<br />

e<strong>in</strong>em erwachsenen Hausgenossen (Ehegatte, älteres K<strong>in</strong>d) o<strong>der</strong> ihm selbst<br />

ausgehändigt wird,<br />

als E<strong>in</strong>schreiben aufgegeben wurde und <strong>in</strong> den Hausbriefkasten geworfen<br />

wurde (bei Übergabee<strong>in</strong>schreiben erst bei Aushändigung an den Empfänger<br />

selbst; zuvor kann ihm nicht schon <strong>der</strong> Vorwurf <strong>der</strong> Zugangsvereitelung<br />

gemacht werden, wenn er das zunächst bei <strong>der</strong> Post aufbewahrte<br />

Übergabee<strong>in</strong>schreiben nicht abgeholt hat [ArbG Frankfurt, Az. 5 Ca<br />

6077/02]),<br />

Nach <strong>der</strong> Kündigung: Das Arbeitszeugnis<br />

Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat das <strong>Pflege</strong>personal e<strong>in</strong>en Anspruch<br />

auf e<strong>in</strong> schriftliches Zeugnis. Dies folgt aus § 630 BGB, §§ 109, 113 GewO.<br />

1. Entstehung des Anspruchs<br />

Der Zeugnisanspruch entsteht schon angemessen Zeit vor Ablauf <strong>der</strong> tatsächlichen<br />

Arbeitszeit, damit sich <strong>der</strong> Arbeitnehmer bei e<strong>in</strong>em neuen Arbeitgeber<br />

leichter bewerben kann. Er verjährt nach drei Jahren. Um e<strong>in</strong>er möglichen<br />

Verwirkung des Anspruchs vor Ablauf <strong>der</strong> Verjährung entgegenzutreten ist<br />

an<strong>zur</strong>aten, dass <strong>der</strong> Arbeitnehmer se<strong>in</strong>en Zeugnisanspruch bereits kurze Zeit<br />

vor o<strong>der</strong> nach dem Ausscheiden bei se<strong>in</strong>em alten Arbeitgeber den Anspruch<br />

geltend macht.<br />

Schon nach Ausspruch <strong>der</strong> Kündigung, Abschluss des Aufhebungsvertrages<br />

o<strong>der</strong> <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es angemessenen Zeitraumes vor Ablauf e<strong>in</strong>es befristeten<br />

Arbeitsverhältnisses kann das Zeugnis bereits begehrt werden.<br />

Wird das Zeugnis durch Verschulden des Arbeitgebers zu spät ausgestellt,<br />

kann dies Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers auslösen, weil<br />

sich dieser dann nicht rechtzeitig bei an<strong>der</strong>en Firmen bewerben kann.<br />

2. Inhalt des Anspruchs<br />

Der Arbeitgeber muss nur dann e<strong>in</strong> Zeugnis erstellen, wenn <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />

dies verlangt. Der Arbeitgeber muß hierbei:<br />

<strong>der</strong> Arbeitgeber kann die Ausstellung des Arbeitszeugnisses zwar delegieren<br />

auf e<strong>in</strong>e nachgelagerte E<strong>in</strong>heit - jedoch muß das Zeugnis stets von e<strong>in</strong>em<br />

ranghöheren Vorgesetzten des Arbeitnehmers unterschrieben


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se<strong>in</strong>, dessen Stellung muß sich aus dem Zeugnis ergeben (BAG, Urt. v.<br />

04.10.2005, Az.: 9 AZR 507/04),<br />

die Formalitäten e<strong>in</strong>halten (ungefalteter Geschäftsbogen DIN A 4 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitlicher<br />

Masch<strong>in</strong>enschrift [Zeugnis kann aber gefaltet an Arbeitnehmer<br />

gesandt werden, das er meist Kopien hiervon anfertigt, bei denen die Falte<br />

nicht zu sehen ist]; Orig<strong>in</strong>alunterschrift; mit PC geschrieben; Überschrift<br />

[„Zeugnis“]; Text muß ohne Merkmale se<strong>in</strong> [ke<strong>in</strong> Fett, Kursiv, Un<strong>der</strong>l<strong>in</strong>e<br />

o<strong>der</strong> Ausrufezeichen]; ke<strong>in</strong>e Schreibfehler, Verbesserungen, Flecken,<br />

Streichungen [BAG, Az.: 5 AZR 182/92]),<br />

das Zeugnis rechtzeitig <strong>zur</strong> Abholung bereithalten,<br />

das Zeugnis muß <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em sachlichen Gehalt vollständig se<strong>in</strong>, den Tatsachen<br />

entsprechen und darf nichts Unwahres enthalten,<br />

es muß auch den allg. <strong>in</strong>haltlichen Anfor<strong>der</strong>ungen entsprechen (Personenangaben<br />

Arbeitnehmer [Name, Titel etc., ke<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nerbetrieblichen Bezeichnungen<br />

{„Ober<strong>in</strong>genieur“}]; E<strong>in</strong>- / Austrittsdatum [ohne Fehlzeiten,<br />

etc.]; Tätigkeitsbeschreibung [Beschreibung des Aufgabengebietes u. bei<br />

leitenden Angestellten die Stellung <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Hierarchie]; Betriebsratszugehörigkeit<br />

/ Gewerkschaftstätigkeit [nur bei freigestellten Betriebs- u.<br />

Gewerkschaftsräten]),<br />

die Schlussformulierung (Beendigungsgründe müssen nicht zw<strong>in</strong>gend<br />

aufgenommen werden, auch nicht die „Dankes-Bedauerns-Formel“ sowie<br />

die guten Zukunftswünsche); fehlt die Schlussformel, ist <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

froh, den Mitarbeiter los zu se<strong>in</strong>.<br />

Bei unrichtigem Zeugnis (sachlich, <strong>in</strong>haltlich und grammatikalisch) hat <strong>der</strong><br />

Arbeitnehmer e<strong>in</strong>en Zeugnisberichtigungsanspruch (BAG, Betrieb 2005,<br />

2360). Dies gilt erst recht für die Fälle, wo <strong>der</strong> Arbeitgeber den grammatikalisch<br />

motivierten Berichtigungswunsch des Arbeitnehmers nutzt, um<br />

nachträglich auch <strong>in</strong>haltliche Verän<strong>der</strong>ungen vorzunehmen (BAG, a.a.O.,<br />

ebd.).<br />

3. Art und Umfang des Anspruchs<br />

a. Zwischenzeugnis<br />

Das Zwischenzeugnis wird nur bei Vorliegen triftiger Gründe erteilt.<br />

Diese s<strong>in</strong>d:<br />

beträchtliche betriebliche Verän<strong>der</strong>ungen (z.B. Betriebsübernahme,<br />

Insolvenz, Wechsel des Vorgesetzten),<br />

persönliche Verän<strong>der</strong>ungen des Mitarbeiters (z.B. Umsetzung,<br />

Fortbildung, längere Arbeitsunterbrechung ab e<strong>in</strong>em Jahr [Erziehungsurlaub]),<br />

zwecks Vorlage bei Behörden und Gerichten, für e<strong>in</strong>en Kreditantrag<br />

o<strong>der</strong> auch für e<strong>in</strong>e Bewerbung.<br />

b. e<strong>in</strong>faches Zeugnis<br />

Das e<strong>in</strong>fache Zeugnis bestätigt Art und Dauer des Dienstverhältnisses.<br />

Es ist e<strong>in</strong> bloßer Beschäftigungsnachweis und Wertungen werden<br />

dar<strong>in</strong> nicht vorgenommen. Inhaltlich erstreckt es sich nur auf obj.<br />

Tatbestände, die je<strong>der</strong>zeit nachprüfbar s<strong>in</strong>d.<br />

c. qualifiziertes Zeugnis<br />

Das qualifizierte Arbeitszeugnis muß <strong>der</strong> Arbeitgeber nur auf Verlangen<br />

ausstellen. Es handelt sich um e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches Zeugnis, das um e<strong>in</strong>e<br />

Beschreibung und Beurteilung <strong>der</strong> Leistung und Führung des Arbeitnehmers<br />

erteilt wird. Es soll:<br />

die Gesamtpersönlichkeit des Arbeitnehmers wie<strong>der</strong>geben und<br />

würdigen,<br />

das körperliche und geistige Arbeitsvermögen erfassen,


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das Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen wie<strong>der</strong>geben,<br />

die Fachkenntnisse, Verhandlungsgeschick, Ausdrucksvermögen,<br />

Integrationsfähigkeit, Durchsetzungsfähigkeit und Entscheidungsbereitschaft<br />

würdigen,<br />

bei alledem sollen die Formulierungen zwischen Wahrheit und<br />

Wohlwollen balancieren (Folge: es werden ke<strong>in</strong>e negativen gewählt,<br />

son<strong>der</strong>n abgestuft positive Formulierungen),<br />

die Bewertung erfolgt meist <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er umschriebenen Benotung.<br />

4. Ausgestaltung des Zeugnis<strong>in</strong>halts<br />

Das qualifizierte Zeugnis muss Aussagen treffen über die Leistungsfähigkeit<br />

und Sozialverhalten des Mitarbeiters. Dennoch s<strong>in</strong>d auch gewisse Tabus zu<br />

beachten, die nachstehend dargelegt werden.<br />

a. Leistungsbeurteilung<br />

Die Leistungsbeurteilung enthält Aussagen über die Arbeitsmenge<br />

und -güte sowie die Arbeitsbereitschaft des Zeugnisempfängers. Es<br />

werden folgende Faktoren bewertet:<br />

Fachwissen,<br />

Auffassungsgabe und Problemlösungsfähigkeit,<br />

Leistungsbereitschaft und Eigen<strong>in</strong>itiative,<br />

Belastbarkeit,<br />

Denk- und Urteilsvermögen,<br />

Zuverlässigkeit,<br />

Fachkönnen und ggf. Führungsfähigkeit.<br />

b. Verhaltensbeurteilung<br />

Bei <strong>der</strong> Bewertung des Verhaltens geht es vornehmlich um das Sozialverhalten<br />

(Vorgesetzten, Kollegen und Dritten gegenüber) bzw. die<br />

Menschenführung. Im E<strong>in</strong>zelnen:<br />

Teamfähigkeit,<br />

Kontaktvermögen,<br />

Kommunikations- und Hilfsbereitschaft,<br />

Aufgeschlossenheit,<br />

Loyalität.<br />

c. Tabus<br />

Negative Beobachtungen und Bemerkungen s<strong>in</strong>d im Arbeitszeugnis<br />

unzulässig. Vorgänge vor Dienstbeg<strong>in</strong>n und außerdienstliches Verhalten<br />

gehören nicht hierh<strong>in</strong>. Dazu gehören etwa:<br />

Gehalt,<br />

Kündigungsgründe,<br />

Vorstrafen,<br />

Abmahnungen,<br />

Krankheiten / Fehlzeiten,<br />

Leistungsabfall,<br />

Alkoholabhängigkeit,<br />

Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen.<br />

5. Zeugnisformulierungen<br />

a. Gesamtleistungsbeurteilung<br />

sehr gut: „stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“


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Obwohl das Adjektiv „voll“ nicht steigerbar ist, hat sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Praxis die vorstehende Formulierung e<strong>in</strong>gebürgert - <strong>zur</strong> Vermeidung<br />

<strong>der</strong> grammatikalischen Unrichtigkeit kann auch wie folgt<br />

formuliert werden: „waren wir stets außerordentlich zufrieden“:<br />

gut: „stets zu unserer vollen Zufriedenheit“.<br />

befriedigend: „zu unserer vollen Zufriedenheit“.<br />

ausreichend: „zu unserer Zufriedenheit“.<br />

mangelhaft: „im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit“.<br />

b. Allgeme<strong>in</strong>e Formulierungsbeispiele<br />

Er/Sie bewies für die Belange <strong>der</strong> Belegschaft stets E<strong>in</strong>fühlungsvermögen:<br />

Er/Sie suchte Sexualkontakte im Betrieb.<br />

Er/Sie hat <strong>zur</strong> Verbesserung des Betriebsklimas beigetragen: Er/Sie<br />

hatte gegen e<strong>in</strong>en Schluck Alkohol im Dienst nichts e<strong>in</strong>zuwenden.<br />

Er/Sie trat engagiert für die Interessen <strong>der</strong> Arbeitnehmer/Kollegen<br />

auf: Er/Sie war als Betriebsrat tätig.<br />

Se<strong>in</strong>e/Ihre Auffassung wusste er/sie <strong>in</strong>tensiv zu vertreten: Der Mitarbeiter<br />

war vorlaut.<br />

Se<strong>in</strong>/Ihr Verhalten gegenüber Mitarbeitern und Vorgesetzten war<br />

stets e<strong>in</strong>wandfrei: Die Kollegen werden zuerst genannt. Der Arbeitnehmer<br />

hatte also zu se<strong>in</strong>en Kollegen e<strong>in</strong> besseres Verhältnis<br />

als zu se<strong>in</strong>em Vorgesetzten.<br />

Er/Sie war e<strong>in</strong> gutes Vorbild durch se<strong>in</strong>e/ihre Pünktlichkeit: Er/Sie<br />

war nur pünktlich und hat schlechte Arbeitsleistungen erbracht.<br />

Er/Sie hat alle Arbeiten ordnungsgemäß erledigt: Er/Sie zeigte ke<strong>in</strong>erlei<br />

Eigen<strong>in</strong>itiative.


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I. Fallgeschehen<br />

II. Teil<br />

Lerne<strong>in</strong>heit II.26:<br />

Sexualdelikte und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz<br />

- Zeitdauer: 2 Std. -<br />

Lerne<strong>in</strong>heit: Strafrechtliche Folgen sexueller Belästigung<br />

Der Angeklagte, e<strong>in</strong> Oberarzt, nahm an Patient<strong>in</strong>nen, die stationär <strong>in</strong> <strong>der</strong> neurologischen<br />

Universitätskl<strong>in</strong>ik aufgenommen waren, im Rahmen von neurologischen Untersuchungen<br />

und von Therapien sexuelle Handlungen vor, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e täuschte<br />

er Untersuchungshandlungen an den Brüsten und im Genitalbereich vor, die zum<br />

Teil mit e<strong>in</strong>er Stimmgabel, zum Teil mit den F<strong>in</strong>gern durchgeführt wurden. E<strong>in</strong>er<br />

Patient<strong>in</strong> griff er sogar während e<strong>in</strong>er Therapiesitzung <strong>in</strong> die Schamhaare.<br />

II. Ansatz Der vorliegende Fall war vom Bundesgerichtshof zu entscheiden (BGH, NStZ 2004,<br />

631). Es stellt sich die Frage nach <strong>der</strong> Strafbarkeit sexueller Handlungen unter dem<br />

Deckmantel mediz<strong>in</strong>ischer Behandlung. E<strong>in</strong>schlägig ist § 174a Abs. 2 StGB.<br />

III. Prüfung Prüfungskarte Sexueller Missbrauch von Kranken (§ 174a II StGB)<br />

1. Vorbemerkung<br />

a. Geschütztes Rechtsgut<br />

Der § 174a Abs. 2 StGB schützt ausschließlich die Freiheit des Kranken o<strong>der</strong><br />

Hilfsbedürftigen. Denn se<strong>in</strong> Zustand erschwert e<strong>in</strong>en normalen Wi<strong>der</strong>stand und<br />

se<strong>in</strong>e Abhängigkeit von Hilfe und Betreuung kann als Druckmittel <strong>zur</strong> Überw<strong>in</strong>dung<br />

von Wi<strong>der</strong>stand ausgenutzt werden.<br />

Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund ist für die Strafbarkeit entscheidend, dass <strong>der</strong> Täter das<br />

Opfer gerade unter Ausnutzung von dessen Krankheit missbraucht.<br />

b. Tatobjekt<br />

2. Tatbestand<br />

Die Vorschrift erfasst den sexuellen Missbrauch von Personen, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>richtung<br />

für Kranke o<strong>der</strong> Hilfsbedürftige aufgenommen s<strong>in</strong>d, wobei auch hier nur<br />

mit körperlicher Berührung verbundene sexuelle Kontakte strafbar s<strong>in</strong>d.<br />

a. objektiver Tatbestand<br />

Tathandlung ist die aktive wie passive Vornahme sexueller Handlungen am<br />

Kranken o<strong>der</strong> durch den Kranken.<br />

E<strong>in</strong>richtung: Hierunter fallen vor allem Kl<strong>in</strong>iken, Kurheime, Rehazentren,<br />

Nervenheilanstalten, Heime, Wohnstätten für Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te und Altenheime,<br />

soweit sie <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> Hilfebedürftiger und Kranker dienen,<br />

Anvertrauen <strong>zur</strong> Beaufsichtigung o<strong>der</strong> Betreuung: In diesem Verhältnis<br />

stehen Ärzte, das Stationspflegepersonal, Masseure und mediz<strong>in</strong>ische Bademeister,<br />

wenn sie generell o<strong>der</strong> im E<strong>in</strong>zelfall für die Beaufsichtigung zu sorgen<br />

haben (= nicht <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>r auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Station),


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Ausnutzen <strong>der</strong> Krankheit: Täter weiß, dass Opfer physisch und psychisch<br />

geschwächt ist und Hilfe benötigt; er spiegelt ihm die sexuelle Handlung als<br />

mediz<strong>in</strong>isch notwendige Maßnahme vor (nicht: Ausnutzen des Vertrauens,<br />

das Patienten dem Arzt gewöhnlich entgegenbr<strong>in</strong>gen),<br />

das Opfer muss die Handlung an sich dulden, weil es sich dadurch Hilfe erhofft<br />

(BGH, NStZ 2004, 353),<br />

Sexuelle Handlungen: Dies s<strong>in</strong>d alle solchen Handlungen, die <strong>in</strong> ihrem Gesamtvorgang<br />

e<strong>in</strong>en Sexualbezug aufweisen, nicht dagegen äußerlich völlig<br />

neutrale Handlungen, die ke<strong>in</strong>erlei H<strong>in</strong>weis auf das Geschlechtliche enthalten<br />

(auch wenn sie e<strong>in</strong>em sexuellen Motiv entspr<strong>in</strong>gen).<br />

Merke: Auf den Ort des sexuellen Kontaktes kommt es ebenso wenig an<br />

(auch: Spaziergang im Kl<strong>in</strong>ikpark) , wie auf die Dauer <strong>der</strong> Unterbr<strong>in</strong>gung.<br />

b. subjektiver Tatbestand<br />

3. Rechtswidrigkeit<br />

4. Schuld<br />

In gewissen Fällen kann es wegen <strong>der</strong> Anwendung des § 21 StGB <strong>zur</strong> M<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />

des Schuldvorwurfes kommen, wenn <strong>der</strong> Sexualstraftäter an e<strong>in</strong>er<br />

Persönlichkeitsstörung (Triebstörung) leidet, die zu e<strong>in</strong>em Steuerungsverlust<br />

führen kann.<br />

5. Beispielsfall aus <strong>der</strong> Tagespresse:<br />

Quelle: Focus Onl<strong>in</strong>e vom 23.06.2008, 18.04 Uhr<br />

Narkosearzt unter Missbrauchsverdacht<br />

In e<strong>in</strong>em bayerischen Kl<strong>in</strong>ikum soll e<strong>in</strong> Oberarzt mehrere Mädchen sexuell missbraucht haben. Offenbar<br />

täuschte er se<strong>in</strong>en Opfern e<strong>in</strong>e mediz<strong>in</strong>ische Studie vor.<br />

Nach Angaben <strong>der</strong> Krim<strong>in</strong>alpolizei im oberpfälzischen Amberg soll <strong>der</strong> 49-Jährige die zehn bis<br />

zwölf Jahre alten K<strong>in</strong><strong>der</strong> ohne die Eltern <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Zimmer bestellt haben. So soll <strong>der</strong> Arzt die Mädchen<br />

dazu gebracht haben, sich vor ihm auszuziehen. Dann soll er sich an den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n vergangen<br />

haben.<br />

Die genaue Zahl <strong>der</strong> Opfer stehe noch nicht fest, sagte e<strong>in</strong> Polizeisprecher. Die Ermittler gehen von<br />

fünf bis zehn Schüler<strong>in</strong>nen aus. Bislang ist unklar, ob es neben unsittlichen Berührungen auch zu<br />

schwereren Missbrauchsfällen kam. Der Anästhesist macht zu den Vorwürfen ke<strong>in</strong>e Angaben.<br />

Die Taten sollen sich bereits Ende 2007 ereignet haben. Die Ermittlungen kamen <strong>in</strong>s Rollen, als die<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> dann später ihren Eltern davon erzählten. Nach Angaben des Krankenhauses hatte zudem<br />

e<strong>in</strong>e Bekannte des 49-Jährigen den Kl<strong>in</strong>ikvorstand kürzlich über sexuelle Übergriffe des Arztes auf<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> im privaten Bereich <strong>in</strong>formiert.<br />

Vor zwei Wochen wurde <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Büro vorübergehend festgenommen, e<strong>in</strong> Haftbefehl<br />

wurde allerd<strong>in</strong>gs nicht beantragt. Nach den Vernehmungen kam er wie<strong>der</strong> auf freien Fuß. Die<br />

Krim<strong>in</strong>albeamten beschlagnahmten die Festplatte des Dienstcomputers des Arztes sowie e<strong>in</strong>en privaten<br />

tragbaren Rechner. Die Daten würden <strong>der</strong>zeit ausgewertet, sagte <strong>der</strong> Polizeisprecher.<br />

Das städtische Krankenhaus teilte mit, dass <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>er sofort suspendiert worden sei und Hausverbot<br />

erhalten habe. Zudem sei <strong>der</strong> Arbeitsvertrag e<strong>in</strong>e Woche nach Bekanntwerden <strong>der</strong> Vorwürfe<br />

von <strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ik gekündigt worden. Der Anästhesist hatte 17 Jahre <strong>in</strong> dem Oberpfälzer Kl<strong>in</strong>ikum gearbeitet<br />

und <strong>in</strong> dieser Zeit auch e<strong>in</strong> regionales Rettungszentrum mit aufgebaut. Nach bisherigen Ermittlungen<br />

hat <strong>der</strong> Mann über se<strong>in</strong>e Rettungstätigkeit Kontakt zu den betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n gehabt.<br />

Der Vorgesetzte des entlassenen Arztes sagte, dass <strong>der</strong> Kollege <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit e<strong>in</strong>e gute Arbeit<br />

gemacht habe. Die Kl<strong>in</strong>ikleitung erklärte, dass sich die möglichen Taten außerhalb <strong>der</strong> Dienstzeit<br />

des Mediz<strong>in</strong>ers ereignet hätten und daher nicht direkt Patienten betroffen gewesen seien. Die<br />

Polizei wollte dies so nicht bestätigen. Die Kl<strong>in</strong>ik hat <strong>in</strong>sgesamt rund 1300 Mitarbeiter.


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 154 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

I. Fallgeschehen<br />

5. Annex: DNA-Analyse<br />

Nach § 81g StPO können e<strong>in</strong>em Sexualstraftäter zum Zwecke <strong>der</strong> Identitätsfeststellung<br />

<strong>in</strong> künftigen Strafverfahren Körperzellen entnommen werden, um<br />

Beweise für zukünftige Strafverfahren zu gew<strong>in</strong>nen (sog. DNA-Analyse).<br />

Voraussetzungen:<br />

es besteht <strong>der</strong> Verdacht e<strong>in</strong>er Straftat von erheblichem Gewicht,<br />

Verbrechen o<strong>der</strong> Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung<br />

(NICHT: Exhibitionismus [§ 183 StGB], Erregung öffentlichen Ärgernisses<br />

[§ 183a StGB] und Ausübung <strong>der</strong> verbotenen Prostitution [§ 184a<br />

StGB]),<br />

gefährliche Körperverletzung,<br />

beson<strong>der</strong>s schwerer Diebstahl,<br />

durch diese Maßnahme muß <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em künftigen Strafverfahren e<strong>in</strong> Aufklärungserfolg<br />

zu erwarten se<strong>in</strong> (dies wird immer angenommen bei Straftaten,<br />

bei denen <strong>der</strong> Täter im Rahmen <strong>der</strong> Tatausführung Körperzellen ausson<strong>der</strong>t<br />

[= vor allem bei Sexualstraftaten]),<br />

es ist die Prognose zu stellen, ob <strong>der</strong> Täter auch künftig erneut Straftaten<br />

von erheblichem Gewicht (= Sexualstraftaten) begehen wird. Anhaltspunkte<br />

s<strong>in</strong>d:<br />

Anlasstat (= Tat, weswegen DNA-Probe angeordnet werden soll),<br />

Vorstrafen (ggf. Haftstrafen),<br />

Rückfallgeschw<strong>in</strong>digkeit (etwa wegen Betäubungsmittelabhängigkeit),<br />

Prägung <strong>in</strong> Richtung bestimmte Delikte,<br />

Motivationslage bei früheren Delikten,<br />

<strong>der</strong>zeitige Lebensumstände.<br />

die Maßnahme wurde von e<strong>in</strong>em Ermittlungsrichter angeordnet,<br />

Merke: die Entnahme <strong>der</strong> Speichelprobe bedarf ke<strong>in</strong>er richterlichen Anordnung,<br />

wohl aber <strong>der</strong>en Sicherung und Speicherung !<br />

es liegt bislang ke<strong>in</strong> DNA-Identifizierungsmuster vor.<br />

Liegen die vorbezeichneten Voraussetzungen nicht vor und wird dennoch e<strong>in</strong>e<br />

Speichelprobe entnommen, darf sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em späteren Strafverfahren nicht<br />

verwertet werden (= sog. Verwertungsverbot).<br />

Die gewonnenen DNA-Identifizierungsmuster dürfen gemäß § 2 DNA-IFG<br />

beim BKA zentral gespeichert und genutzt werden.<br />

Der Angeklagte, e<strong>in</strong> Oberarzt, nahm an Patient<strong>in</strong>nen, die aufgrund ihrer geistigen<br />

Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung im Landeskrankenhaus aufgenommen waren, sexuelle<br />

Handlungen vor.<br />

II. Prüfung Prüfungskarte Sexueller Missbrauch von geistig und seelisch<br />

Kranken (§ 174c StGB)<br />

1. Vorbemerkung<br />

a. Geschütztes Rechtsgut<br />

Der § 174c StGB schützt die sexuelle Selbstbestimmung von Personen, die aufgrund<br />

e<strong>in</strong>er psychischen Bee<strong>in</strong>trächtigung o<strong>der</strong> Suchtkrankheit <strong>in</strong> Abhängigkeit zu den sie<br />

beratenden, behandelnden o<strong>der</strong> betreuenden Personen geraten können und diesen<br />

gegenüber deshalb e<strong>in</strong>es beson<strong>der</strong>en Schutzes vor sexuellen Übergriffen bedürfen.


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 155 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

I. Fallgeschehen<br />

b. Geschützter Personenkreis<br />

Zum geschützten Personenkreis gehört jede Person <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er psychotherapeutischen<br />

Behandlung. Also e<strong>in</strong>er Behandlung, die <strong>der</strong> Feststellung, Behebung o<strong>der</strong> L<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />

e<strong>in</strong>es konkreten psychischen Leidens dient.<br />

Nicht dagegen seelsorgerische Gespräche o<strong>der</strong> Beratung <strong>in</strong> Lebenslagen.<br />

c. Berufsrechtliche Auswirkungen<br />

2. Tatbestand<br />

Die Vorschrift schützt darüber h<strong>in</strong>aus auch die Integrität und Lauterkeit <strong>der</strong> betreffenden<br />

Behandlungs- und Betreuungsverhältnisse sowie das Vertrauen <strong>der</strong><br />

Allgeme<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> diese.<br />

a. objektiver Tatbestand<br />

Tathandlung ist die aktive wie passive Vornahme sexueller Handlungen am<br />

Kranken o<strong>der</strong> durch den Kranken.<br />

geistige o<strong>der</strong> seelische Krankheiten: Dies s<strong>in</strong>d alle krankhaften seelischen<br />

Störungen, die sich als bleibend o<strong>der</strong> lang anhaltend herausstellen. Als geistige<br />

Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung gelten alle angeborenen o<strong>der</strong> erworbenen Intelligenzdefekte.<br />

das Opfer ist dem Täter <strong>zur</strong> Behandlung/Betreuung anvertraut.<br />

Tathandlung:<br />

<strong>der</strong> Täter nimmt an <strong>der</strong> ihm anvertrauten Person sexuelle Handlungen vor<br />

o<strong>der</strong> lässt diese an sich vornehmen unter Missbrauch des Behandlungs-<br />

o<strong>der</strong> Betreuungsverhältnisses,<br />

entscheidend ist nicht das Ausnutzen von Behandlungsabhängigkeiten,<br />

son<strong>der</strong>n dass sexuelle Kontakte zu den Anvertrauten generell unterbunden<br />

werden,<br />

dies gilt auch für psychotherapeutische Behandlungsverhältnisse, weil die<br />

Patienten oft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e tiefgreifende Abhängigkeit zum Therapeuten geraten,<br />

beson<strong>der</strong>es Augenmerk gilt den sog. körperbetonten Therapieformen, bei<br />

denen geprüft werden muß, ob die Erheblichkeitsschwelle überschritten ist.<br />

b. subjektiver Tatbestand<br />

3. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

Der 77-jährige Patient Walter B. ist bettlägerig. Als die junge und attraktive<br />

Krankenschwester Berta H. ihn umbetten möchte, macht er ihr gegenüber anzügliche<br />

Bemerkungen und fasst ihr leicht an das Gesäß.<br />

Auf e<strong>in</strong>mal holt er e<strong>in</strong> Messer hervor und for<strong>der</strong>t Berta auf, ihn gegen ihren<br />

Willen oral zu befriedigen. Sie sieht ke<strong>in</strong>e Chance und fügt sich.<br />

II. Prüfung Prüfungskarte Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung<br />

(§ 177 StGB)


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 156 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

1. Vorbemerkung<br />

2. Tatbestand<br />

Geschütztes Rechtsgut<br />

Der § 177 StGB schützt die sexuelle Selbstbestimmung von Personen, gleich welchen<br />

Geschlechts o<strong>der</strong> Alters.<br />

a. objektiver Tatbestand <strong>der</strong> sexuellen Nötigung<br />

Die sexuelle Nötigung setzt voraus, dass e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Person mit Gewalt, durch<br />

Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib o<strong>der</strong> Leben o<strong>der</strong> unter Ausnutzung<br />

e<strong>in</strong>er Lage, <strong>in</strong> <strong>der</strong> das Opfer <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wirkung des Täters schutzlos ausgeliefert<br />

ist, genötigt wird, sexuelle Handlungen des Täters an sich zu dulden o<strong>der</strong> an<br />

dem Täter vorzunehmen.<br />

Die sexuelle Nötigung besteht aus zwei Akten: Der Nötigung und <strong>der</strong> damit <strong>in</strong> Zusammenhang<br />

stehenden sexuellen Handlung.<br />

aa. Nötigungskomponente<br />

Die Nötigung muß durch Gewalt, Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für<br />

Leib und Leben o<strong>der</strong> unter Ausnutzung e<strong>in</strong>er Lage, <strong>in</strong> <strong>der</strong> das Opfer dem Täter<br />

schutzlos ausgeliefert ist, erfolgen.<br />

Merke: Schutzlos ausgeliefert ist das Opfer schon dann, wenn es sich aufgrund physischer<br />

Unterlegenheit o<strong>der</strong> psychischer Hemmung nicht selbst zu verteidigen weiß und<br />

auch ke<strong>in</strong>e Hilfe Dritter erlangen kann.<br />

bb. sexuelle Komponente<br />

Die Nötigung muß das f<strong>in</strong>ale (= ziel- und zweckgerichtete) Mittel <strong>zur</strong> Erzw<strong>in</strong>gung<br />

<strong>der</strong> sexuellen Handlung se<strong>in</strong>.<br />

Das Abgenötigte Verhalten (= auch die Duldung e<strong>in</strong>es sexuellen Verhaltens )<br />

besteht dar<strong>in</strong>, dass das Opfer sexuelle Handlungen des Täters an sich duldet<br />

o<strong>der</strong> am Täter vornimmt. Auch muss die Kausalität zwischen <strong>der</strong> sexuellen<br />

Handlung und <strong>der</strong> Nötigungshandlung bestehen.<br />

b. objektiver Tatbestand <strong>der</strong> Vergewaltigung<br />

Die Vergewaltigung ist e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s schwerer Fall <strong>der</strong> sexuellen Nötigung.<br />

Tathandlung ist:<br />

dass <strong>der</strong> Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht o<strong>der</strong><br />

ähnliche Handlungen am Opfer vornimmt o<strong>der</strong> an sich vornehmen lässt, die dieses<br />

beson<strong>der</strong>s erniedrigen<br />

Analverkehr,<br />

Oralverkehr (BGH, Beschl. v. 28.07.2004, Az. 2 StR 207/04),<br />

E<strong>in</strong>führen des F<strong>in</strong>gers <strong>in</strong> den After (BGH, NStZ 1999, 325)<br />

Qualifikationshandlung:<br />

<strong>der</strong> Täter führt e<strong>in</strong> Messer o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e sonstige Waffe mit sich, um den Wi<strong>der</strong>stand<br />

des Opfers zu brechen.<br />

c. subjektiver Tatbestand<br />

Der Vorsatz entfällt aber etwa, wenn <strong>der</strong> Täter nicht weiß, das die anfangs bestehende<br />

Bereitschaft des Opfers nicht mehr gegeben ist.<br />

3. Rechtswidrigkeit<br />

4. Schuld


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 157 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

I. Fallgeschehen<br />

Der <strong>Pflege</strong>direktor Manfred M. des Kölner Universitätskl<strong>in</strong>ikums stellt <strong>der</strong><br />

Krankenschwester Berta B. im Treppenhaus nach, packt sie an den Armen,<br />

zeigt <strong>der</strong> verdutzten Frau se<strong>in</strong> entblößtes und erigiertes Geschlechtsteil und<br />

beg<strong>in</strong>nt zu masturbieren.<br />

II. Prüfung Prüfungskarte Strafbarkeit Exhibitionismus<br />

(§ 183 StGB)<br />

1. Vorbemerkung<br />

2. Tatbestand<br />

Geschütztes Rechtsgut<br />

Der § 183 StGB soll den E<strong>in</strong>zelnen vor ungewollter Konfrontation mit möglicherweise<br />

schockierenden sexuellen Handlungen an<strong>der</strong>er schützen, nicht aber primär das<br />

Interesse <strong>der</strong> Bevölkerung, dass sich niemand <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit entblößt.<br />

a. objektiver Tatbestand<br />

Def. Exhibitionistische Handlung:<br />

E<strong>in</strong>e exhibitionistische Handlung liegt vor, wenn <strong>der</strong> Täter e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en (regelmäßig<br />

e<strong>in</strong>er Frau o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d) ohne dessen E<strong>in</strong>verständnis und vielfach<br />

überraschend se<strong>in</strong>en entblößten Geschlechtsteil vorzeigt, um sich entwe<strong>der</strong><br />

alle<strong>in</strong> dadurch o<strong>der</strong> durch die Beobachtung <strong>der</strong> Reaktion des an<strong>der</strong>en sexuell<br />

zu erregen, se<strong>in</strong>e sexuelle Erregung zu steigern o<strong>der</strong> (ggf. durch Masturbation)<br />

zu befriedigen (H<strong>in</strong>weis: Das Opfer muß die sexuelle Handlung auch als solche<br />

erkennen können).<br />

Ke<strong>in</strong>e exhibitionistische Handlung ist das Entblößen des Geschlechtsteils:<br />

zu Provokation,<br />

<strong>zur</strong> Demonstration <strong>der</strong> Nacktheit,<br />

beim Ur<strong>in</strong>ieren.<br />

Durch die Handlung muß das Opfer belästigt worden se<strong>in</strong>, wozu jede negative Gefühlsempf<strong>in</strong>dung<br />

von e<strong>in</strong>igem Gewicht ausreicht.<br />

Ke<strong>in</strong>e Belästigung liegt vor, wenn<br />

<strong>der</strong> Betroffene lediglich Mitleid mit dem Täter empf<strong>in</strong>det,<br />

über die Tat verwun<strong>der</strong>t ist,<br />

die Handlung nicht versteht (K<strong>in</strong>d).<br />

b. subjektiver Tatbestand<br />

3. Rechtswidrigkeit<br />

4. Schuld


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I. Fallgeschehen<br />

5. Sicherungsverwahrung<br />

Stellen sich exhibitionistische Handlungen vor K<strong>in</strong><strong>der</strong>n als Symptomtaten<br />

von e<strong>in</strong>igem Gewicht heraus, so kann die Sicherungsverwahrung nach § 66<br />

StGB bei Vorliegen <strong>der</strong> dort genannten Voraussetzungen angeordnet werden<br />

(BGH, Beschl. v. 06.02.2004, Az. 2 StR 266/03):<br />

<strong>der</strong> Täter wurde wegen vorsätzlicher Straftaten schon zweimal jeweils zu<br />

e<strong>in</strong>er Freiheitsstrafe von (m<strong>in</strong>destens) 1 Jahr verurteilt,<br />

<strong>der</strong> Täter hat durch diese Straftaten von e<strong>in</strong>em gewissen Gewicht gezeigt,<br />

dass er für die Allgeme<strong>in</strong>heit gefährlich ist,<br />

se<strong>in</strong>e Vortaten müssen symptomatisch für den Hang des Täters zu erheblichen<br />

Straftaten se<strong>in</strong>; sie müssen als Indiz für e<strong>in</strong>en solchen Hang gewertet<br />

werden können.<br />

Der <strong>Pflege</strong>direktor Manfred M. des Kölner Universitätskl<strong>in</strong>ikums geht auf dem Neumarkt<br />

<strong>in</strong> Köln spazieren und lässt se<strong>in</strong> entblößtes und erigiertes Geschlechtsteil aus<br />

<strong>der</strong> Hose ragen, so dass dies von an<strong>der</strong>en Passanten problemlos wahrgenommen<br />

werden kann.<br />

II. Prüfung Prüfungskarte Strafbarkeit Erregung öffentlichen Ärgernisses<br />

(§ 183a StGB)<br />

1. Vorbemerkung<br />

2. Tatbestand<br />

Geschütztes Rechtsgut<br />

Der § 183a StGB schützt den E<strong>in</strong>zelnen vor ungewollter Konfrontation mit dem sexuellen<br />

Verhalten des Täters und nicht primär das Interesse <strong>der</strong> Bevölkerung, dass<br />

sexuelle Handlungen nicht <strong>in</strong> die Öffentlichkeit gehören.<br />

a. objektiver Tatbestand<br />

Voraussetzung für die Erregung öffentlichen Ärgernisses ist:<br />

die Vornahme e<strong>in</strong>er sexuellen Handlung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit,<br />

welche von e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en beobachtet wird,<br />

<strong>der</strong> daran Anstoß nimmt,<br />

Die sexuelle Handlung muß öffentlich vorgenommen werden. Dazu muß sie:<br />

von e<strong>in</strong>em nach Zahl und Zusammensetzung unbestimmten Personenkreis o<strong>der</strong><br />

von e<strong>in</strong>em nach Zahl und Zusammensetzung bestimmten Personenkreis, <strong>der</strong> aber<br />

nicht untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> durch persönliche Beziehungen mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verbunden ist<br />

wahrgenommen werden.<br />

Merke:<br />

Auf die Öffentlichkeit des Ortes kommt es nicht an,<br />

Ist Tatort e<strong>in</strong>e Straße, so fehlt es an <strong>der</strong> Öffentlichkeit, wenn <strong>der</strong> Täter nicht von<br />

jedem Passanten beobachtet werden kann (BGH, NJW 1969, 853),<br />

f<strong>in</strong>det die Handlung am Fenster e<strong>in</strong>es Privathauses statt, so ist die Öffentlichkeit<br />

gegeben, wenn sie von e<strong>in</strong>er gegenüberliegenden Fabrik (o<strong>der</strong> Haus) beobachtet<br />

werden kann,<br />

<strong>der</strong> Täter erregt e<strong>in</strong> Ärgernis, wenn e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er den sexuellen Vorgang wahrgenommen,<br />

den sexuellen Gehalt erfasst hat und hierdurch se<strong>in</strong> Scham- und Anstandsgefühl<br />

verletzt sieht.


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 159 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

b. subjektiver Tatbestand<br />

3. Rechtswidrigkeit<br />

4. Schuld


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Lerne<strong>in</strong>heit: Arbeitsrechtliche und zivilrechtliche Folgen und Schutz<br />

vor sexueller Belästigung<br />

II. Das Allgeme<strong>in</strong>eGleichbehandlungsgesetz<br />

Seit dem 18.08.2006 ist das Allgeme<strong>in</strong>e Gleichbehandlungsgesetz (AGG, früher<br />

auch Antidiskrim<strong>in</strong>ierungsgesetz genannt) <strong>in</strong> Kraft. Es richtet sich grundsätzlich an alle<br />

Arbeitgeber. Mit se<strong>in</strong>em Ziel, Benachteiligungen vielfacher Art zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />

zu beseitigen, greift es tief <strong>in</strong> die allgeme<strong>in</strong>e Personalarbeit e<strong>in</strong>es jeden Betriebes e<strong>in</strong>.<br />

Es gilt Begriffe wie "Rasse", ethnische Herkunft, Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung, sexuelle Belästigung<br />

o<strong>der</strong> sexuelle Identität zu klären.<br />

Gründe für die Benachteiligung, die es zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n gilt, s<strong>in</strong>d<br />

Rasse<br />

ethnische Herkunft<br />

Geschlecht<br />

Religion o<strong>der</strong> Weltanschauung<br />

Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />

Alter<br />

sexuelle Identität<br />

Soweit e<strong>in</strong> Angehöriger <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>berufe sexueller Belästigung ausgesetzt ist, kann er<br />

neben den Schutzmöglichkeiten des Beschäftigungsschutzgesetzes auch zivilrechtlich<br />

gegen se<strong>in</strong>en Pe<strong>in</strong>iger vorgehen und auf Schmerzensgeld klagen. (Dazu mehr unter II.)<br />

Schutzzweck<br />

<strong>der</strong> beiden<br />

Gesetze<br />

geschützter<br />

Personenkreis<br />

Zeitpunkt<br />

<strong>der</strong> Schutz-<br />

Schutzpflicht <br />

Schutzpflichtiger<br />

Das AGG soll die Würde von Frauen und Männern durch den<br />

Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz wahren.<br />

Der Arbeitgeber soll immer dann e<strong>in</strong>schreiten, wenn<br />

E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> das berufsbezogenen Persönlichkeitsrecht <strong>der</strong><br />

Betroffenen drohen/stattf<strong>in</strong>den,<br />

und dadurch die ungeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te Entfaltung <strong>der</strong> beruflichen Fähigkeiten<br />

beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t wird,<br />

bzw. e<strong>in</strong> fe<strong>in</strong>dliches Arbeitsumfeld die Leistungsfähigkeit<br />

e<strong>in</strong>schränkt,<br />

bestehende Belästigungen bereits die Gesundheit <strong>der</strong> Betroffenen<br />

bee<strong>in</strong>trächtigt haben,<br />

In den Schutzbereich <strong>der</strong> Gesetze fallen alle Beschäftigten. Beispielsweise:<br />

alle Arbeitnehmer und Auszubildende,<br />

Beamte,<br />

Richter und Soldaten,<br />

Heimarbeiter,<br />

arbeitnehmerähnliche Mitarbeiter.<br />

Die Schutzpflicht des Arbeitgebers gegenüber dem verfolgten<br />

Beschäftigten setzt bereits mit Bestehen <strong>der</strong> Gefahr e<strong>in</strong>er künftigen<br />

Belästigung e<strong>in</strong>, nicht erst nach E<strong>in</strong>tritt <strong>der</strong> Rechtsverletzung.<br />

Schutzpflichtiger ist <strong>der</strong> Arbeitgeber o<strong>der</strong> Dienstvorgesetzte. Der<br />

Arbeitgeber kann se<strong>in</strong>e Schutzpflicht übrigens nicht durch die<br />

Übertragung von Führungsaufgaben und damit e<strong>in</strong>hergehen<strong>der</strong><br />

Weisungsbefugnis auf e<strong>in</strong>en Beschäftigten mit Vorgesetztenfunktion<br />

verlagern. Er kann sich zwar e<strong>in</strong>es solchen Mitarbeiters be-


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 161 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

Begriff <strong>der</strong><br />

sexuellen<br />

Belästigung<br />

Beispiele<br />

sexueller<br />

Belästigung<br />

Inhalt <strong>der</strong><br />

Pflicht<br />

dienen, bleibt dadurch aber immer noch Adressat dieser Pflicht.<br />

E<strong>in</strong>e sexuelle Belästigung (am Arbeitsplatz) ist e<strong>in</strong>e unerwünschte,<br />

sexuell bestimmte Verhaltensweise, die bezweckt o<strong>der</strong> bewirkt,<br />

dass die Würde <strong>der</strong> betroffenen Person verletzt wird.<br />

Das ist <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e dann <strong>der</strong> Fall, wenn e<strong>in</strong> fe<strong>in</strong>dliches Umfeld<br />

geschaffen wird. Maßstab für das Vorliegen e<strong>in</strong>er sexuellen Belästigung<br />

ist – wie bei <strong>der</strong> Belästigung – die Sicht e<strong>in</strong>es objektiven<br />

Beobachters.<br />

Dazu gehören sexuelle Handlungen und Verhaltensweisen,<br />

die nach den strafgesetzlichen Vorschriften unter Strafe gestellt s<strong>in</strong>d,<br />

sonstige sexuelle Handlungen und Auffor<strong>der</strong>ungen zu diesen,<br />

sexuell bestimmte körperliche Berührungen,<br />

Bemerkungen sexuellen Inhalts,<br />

Zeigen und sichtbares Anbr<strong>in</strong>gen von pornographischen Darstellungen,<br />

die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden.<br />

Als sexuelle Belästigung wird verstanden (vgl. dazu Schlachter,<br />

Erfurter Kommentar, 5. Aufl. 2005, § 2 BeschSchG, Rdnr. 5):<br />

Erzw<strong>in</strong>gen sexueller Handlungen und tätliche Bedrohung,<br />

Zurschaustellung des Genitales,<br />

aufgedrängte Küsse,<br />

Auffor<strong>der</strong>ung zu sexuellem Verkehr,<br />

Versprechen beruflicher Vorteile für sexuelle Gefälligkeiten,<br />

Androhen beruflicher Nachteile bei Verweigerung <strong>der</strong>artiger<br />

Gefälligkeiten,<br />

Berührung <strong>der</strong> Brust/Genitalien (egal wie schwer o<strong>der</strong> kurz),<br />

Gespräche/Briefe mit sexuellen Anspielungen,<br />

Kneifen o<strong>der</strong> Klapsen des Gesäßes,<br />

E<strong>in</strong>ladungen mit e<strong>in</strong>deutiger Absicht,<br />

anzügliche Bemerkungen über die Figur o<strong>der</strong> das sexuelle Verhalten<br />

im Privatleben,<br />

pornographische Bil<strong>der</strong> am Arbeitsplatz.<br />

Der Arbeitgeber hat den Arbeitsplatz des Betroffenen zu schützen.<br />

Arbeitsplatz wird hierbei funktional verstanden und me<strong>in</strong>t<br />

jedwede berufliche Sphäre, auf <strong>der</strong>en Organisation <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

E<strong>in</strong>fluss nehmen kann (z.B. Betriebausflüge, Dienstreisen,<br />

Sem<strong>in</strong>are, Lehrgänge).<br />

Der Arbeitgeber hat sofort nach Bekannt werden von Belästigungsfällen<br />

Gegenmaßnahmen zu ergreifen bzw. im Vorfeld<br />

von Rechtsverletzungen vorbeugende Maßnahmen zu treffen.<br />

In jedem Fall hat er<br />

e<strong>in</strong>e betriebliche Anlaufstelle für Beschwerden zu schaffen,<br />

<strong>der</strong> Arbeitgeber ist verpflichtet, die dort e<strong>in</strong>gegangenen Beschwerden<br />

zu bearbeiten,<br />

er muß dazu den Sachverhalt mit se<strong>in</strong>em ihm <strong>zur</strong> Verfügung<br />

stehenden Mitteln aufklären,<br />

er muß gewährleisten, dass das Opfer wegen <strong>der</strong> Beschwerde<br />

vor Repressalien geschützt ist,<br />

es besteht ke<strong>in</strong> Anspruch auf vollständig vertrauliche Behandlung<br />

<strong>der</strong> Beschwerde (wegen Aufklärungspflicht geht das<br />

auch nicht),<br />

geeignete Maßnahmen im E<strong>in</strong>zelfall zu treffen, um die Fort-


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 162 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

Reaktionen<br />

des Betroffenen <br />

ProblemfallaußerdienstlicheBelästigung<br />

setzung <strong>der</strong> Belästigung zu unterb<strong>in</strong>den:<br />

dazu zählen alle angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen<br />

gegen den „Belästiger“, von <strong>der</strong> Abmahnung, über die<br />

Umsetzung bis h<strong>in</strong> <strong>zur</strong> Kündigung,<br />

Grund: E<strong>in</strong>e Belästigung durch den Arbeitgeber verletzt dessen<br />

Fürsorgepflichten gegenüber dem Betroffenen; e<strong>in</strong>e Belästigung<br />

unter Mitarbeitern verletzt die dem Arbeitgeber gegenüber<br />

bestehende Pflicht <strong>zur</strong> Wahrung des Betriebsfriedens<br />

und des betrieblichen Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>s,<br />

daher ist die Befürchtung, durch die Maßnahmen e<strong>in</strong>en wichtigen<br />

Mitarbeiter zu verlieren, ke<strong>in</strong> Grund, untätig zu bleiben,<br />

alle arbeitsrechtlichen Maßnahmen s<strong>in</strong>d im Wege des verhältnismäßigen<br />

Ausgleichs <strong>der</strong> Interessen bei<strong>der</strong> Konfliktparteien<br />

und <strong>der</strong> des Arbeitsgebers zu treffen,<br />

<strong>der</strong> belästigende Mitarbeiter kann sich daher se<strong>in</strong>erseits auf<br />

se<strong>in</strong> berechtigtes Interesse nach verhältnismäßiger Herstellung<br />

<strong>der</strong> verletzten Rechtspositionen berufen,<br />

arbeitsrechtliche Maßnahmen kann <strong>der</strong> Arbeitgeber allerd<strong>in</strong>gs<br />

nur gegenüber denen ergreifen, zu denen er arbeitsvertragliche<br />

Beziehungen unterhält,<br />

<strong>der</strong> Arbeitgeber braucht ke<strong>in</strong>en optimalen Schutz vor sexueller<br />

Belästigung zu bieten, son<strong>der</strong>n „nur“ effektiven Schutz.<br />

Ergreift <strong>der</strong> Arbeitgeber trotz Belästigung ke<strong>in</strong>e Maßnahmen,<br />

kann <strong>der</strong> Betroffene<br />

die Umsetzung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Abteilung for<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>klagen,<br />

von se<strong>in</strong>em Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch machen<br />

(er darf zu Hause bleiben und erhält se<strong>in</strong>en vollen Lohn weiter),<br />

die allgeme<strong>in</strong>en zivilrechtlichen Rechtsbehelfe geltend machen,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Schadensersatz und Schmerzensgeld.<br />

Problematisch ist, wie zu verfahren ist, wenn Belästigungen zwischen<br />

Arbeitskollegen bzw. zwischen Vorgesetztem und Untergebenem<br />

außerdienstlich stattf<strong>in</strong>den, aber die Bekanntschaft <strong>der</strong><br />

beiden auf <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen Tätigkeit im Betrieb beruht.<br />

Lösungsansatz:<br />

Im Ergebnis wird <strong>der</strong> Anwendungsbereich des Beschäftigtenschutzgesetzes<br />

verne<strong>in</strong>t, weil <strong>der</strong> Bezug zum Arbeitsverhältnis<br />

bei außerdienstlicher Belästigung nicht stark genug ist. Zudem - so<br />

wird weiter angeführt - ist das Arbeitsrecht nicht zum Schutz <strong>der</strong><br />

Privatsphäre bestimmt, son<strong>der</strong>n dies übernehmen die allgeme<strong>in</strong>en<br />

Rechtsnormen (Schlachter, NZA 2001, 121 [125]).<br />

Aber:<br />

E<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>s schwerwiegende sexuelle außerdienstliche Belästigung<br />

e<strong>in</strong>es Mitarbeiters berechtigt sehr wohl <strong>zur</strong> Kündigung,<br />

Ebenso kann <strong>der</strong> Arbeitgeber trotz außerdienstlicher Belästigung<br />

dann arbeitsrechtliche Maßnahmen ergreifen, wenn Belästigte<br />

von ihren „Belästigern“ wegen ihrer Reaktion auf den Vorfall<br />

im Betrieb von diesen ausgegrenzt, von Informationen abgeschnitten<br />

o<strong>der</strong> schikaniert werden,<br />

Kündigung E<strong>in</strong>e (ordentliche/außerordentliche) Kündigung ohne vorhergehende<br />

Abmahnung wurde <strong>in</strong> folgenden Fällen <strong>der</strong> sexuellen Belästigung<br />

als adäquate Maßnahme des Arbeitgebers anerkannt:<br />

<strong>in</strong>time Berührung e<strong>in</strong>er Auszubildenden durch den Ausbil<strong>der</strong>,


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 163 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

II. Allg. zivilrechtlicher<br />

Schadensersatz<br />

ZivilR<br />

Schadensersatz<br />

Saunabesuch bei Arbeitsplatzbewerber<strong>in</strong>nen,<br />

<strong>in</strong>time Berührung e<strong>in</strong>er Patient<strong>in</strong> durch den Therapeuten,<br />

Berührung e<strong>in</strong>er Kolleg<strong>in</strong> an <strong>der</strong> Brust nach vorangegangenen<br />

verbalen Belästigungen,<br />

Gewaltandrohung bei <strong>der</strong> Ablehnung sexueller Kontakte,<br />

Tätlichkeiten gegenüber e<strong>in</strong>er Untergebenen.<br />

Neben den arbeitsrechtlichen Möglichkeiten, die das Beschäftigtenschutzgesetz<br />

bietet, kann das Opfer se<strong>in</strong>en Pe<strong>in</strong>iger auch zivilrechtlich<br />

auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verklagen.<br />

1. Anspruchsgrundlage<br />

§ 825 BGB: Wer e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en durch H<strong>in</strong>terlist, Drohung o<strong>der</strong> Missbrauch e<strong>in</strong>es Abhängigkeitsverhältnisses<br />

<strong>zur</strong> Vornahme o<strong>der</strong> Duldung sexueller Handlungen bestimmt, ist ihm zum Ersatz<br />

des daraus entstandenen Schadens verpflichtet.<br />

H<strong>in</strong>weis: § 825 BGB (punktuelle Norm) schließt daneben die Anwendung von §<br />

823 BGB wegen Verletzung des allg. Persönlichkeitsrechts nicht aus.<br />

2. Anspruchsvoraussetzungen<br />

a. Bestimmung zu sexuellen Handlungen<br />

Sexuelle Handlungen: hier kann die Begriffsdef<strong>in</strong>ition aus § 184c StGB<br />

herangezogen werden (Wagner, <strong>in</strong> MüKo, 4. Aufl. 2004, § 825, Rdnr. 5 f.),<br />

Bestimmungsmittel:<br />

H<strong>in</strong>terlist (vorbedachtes, die wahre Absicht verdeckendes Handeln<br />

zu dem Zweck, den unvorbereiteten Zustand <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Person für<br />

die Verwirklichung <strong>der</strong> eigenen Ziele auszunutzen [= Verabreichung<br />

berauschen<strong>der</strong> Getränke, Vorspiegelung/Unterdrückung von<br />

Tatsachen, um das Opfer gefügig zu machen]),<br />

Drohung (Inaussichtstellen e<strong>in</strong>es Übels, durch das <strong>der</strong> Adressat <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e Zwangslage versetzt wird),<br />

Missbrauch e<strong>in</strong>es Abhängigkeitsverhältnisses (Kennzeichen des<br />

Abhängigkeitsverhältnisses ist die Überlegenheit des e<strong>in</strong>en Teils über den<br />

an<strong>der</strong>en, die ihrerseits auf wirtschaftlichen, rechtlichen o<strong>der</strong> sonstigen<br />

Gründen beruht [Erziehungs-, Ausbildungs-, Arbeitsverhältnisse]),<br />

Gewalt (die Gewaltanwendung ist zwar <strong>in</strong> § 825 BGB nicht explizit genannt,<br />

wird aber nach allg. Auffassung <strong>in</strong> die Vorschrift h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gelesen).<br />

b. Bestimmung <strong>zur</strong> Vornahme/Duldung <strong>der</strong> Handlungen<br />

c. durch kausale und <strong>zur</strong>echenbare Handlung<br />

d. Vertreten müssen: Vorsatz<br />

die Tathandlung muß vorsätzlich erbracht worden se<strong>in</strong>, wobei sich<br />

<strong>der</strong> Vorsatz auf die Tathandlung beziehen muß,<br />

bei dem durch die Tathandlung e<strong>in</strong>getretenen Schaden genügt Fahrlässigkeit.<br />

e. Rechtswidrigkeit und Schadense<strong>in</strong>tritt<br />

Schäden s<strong>in</strong>d beispielsweise die Kosten e<strong>in</strong>er Schwangerschaft und Entb<strong>in</strong>dung<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verlust des Arbeitsplatzes. Daneben kann die geschädigte Person<br />

Gel<strong>der</strong>satz für die erlittenen immateriellen Bee<strong>in</strong>trächtigungen verlangen.<br />

3. Anspruchsfolge<br />

Der Schädiger schuldet Schadensersatz nach §§ 249 ff. BGB.Patient erhält<br />

Personen-, Sach- u. Vermögensschäden ersetzt und Schmerzensgeld.


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III. ArbeitsrechtlicheVertragshaftung<br />

Verjährung:<br />

Für die Verjährung des Schadensersatzanspruchs aus § 825 BGB ist § 208 BGB zu beachten,<br />

wonach <strong>der</strong> Lauf <strong>der</strong> Verjährung solange gehemmt ist, bis das Opfer das e<strong>in</strong>undzwanzigste<br />

Lebensjahr vollendet UND die häusliche Geme<strong>in</strong>schaft mit dem Pe<strong>in</strong>iger beendet hat.<br />

E<strong>in</strong> Arbeitsgeber ist bereits auf <strong>der</strong> Grundlage des Arbeitsvertrages mit dem e<strong>in</strong>zelnen<br />

Arbeitnehmer gehalten, diesen vor sexuell motivierten E<strong>in</strong>griffen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />

physischen und immateriellen Persönlichkeitsrechte zu schützen.<br />

Verletzt er diese Pflicht und verübt e<strong>in</strong> Arbeitskollege e<strong>in</strong> Sexualdelikt gegenüber dem<br />

Beschäftigten, haftet <strong>der</strong> Arbeitgeber auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> §§ 280, 241 Abs. 2 BGB.<br />

Aber:<br />

Die Arbeitgeberhaftung kann nach §§ 104 ff. SGB VII ausgeschlossen se<strong>in</strong>, wenn e<strong>in</strong> Mitarbeiter e<strong>in</strong>em<br />

Arbeitskollegen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er -kolleg<strong>in</strong> während <strong>der</strong> Arbeitszeit o<strong>der</strong> auf dem Arbeitsweg e<strong>in</strong>e Gesundheitsverletzung<br />

zufügt. Das kann auch für e<strong>in</strong>e Vergewaltigung durch den Vorgesetzten gelten. Voraussetzung<br />

ist jedoch, dass das Delikt während <strong>der</strong> Arbeitszeit begangen wird bzw. e<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerer Zusammenhang<br />

mit <strong>der</strong> versicherten Tätigkeit besteht, die es rechtfertigt, das betreffende Verhalten <strong>der</strong> versicherten<br />

Tätigkeit zu<strong>zur</strong>echnen (BSG, NJW 2002, 388 ff.). In diesem Fall würde die Vergewaltigung als Arbeitsunfall<br />

gelten mit <strong>der</strong> Folge, dass die gesetzliche Unfallversicherung e<strong>in</strong>tritt.<br />

Klage gegen<br />

den<br />

Arbeitgeber <br />

Klagemuster<br />

Ergreift <strong>der</strong> Arbeitgeber trotz Belästigung ke<strong>in</strong>e Maßnahmen,<br />

kann <strong>der</strong> Betroffene - wie vorh<strong>in</strong> bereits dargelegt - gegen den Arbeitgeber<br />

auf Ergreifung von Maßnahmen klagen, die geeignet<br />

s<strong>in</strong>d, die sexuelle Belästigung abzustellen.<br />

An das<br />

Arbeitsgericht<br />

. . . . . . . . . . .<br />

Klage<br />

<strong>der</strong> kaufmännischen Angestellten . . . . . . . . . . .<br />

- Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt . . . . . . . . . . .<br />

Kläger<strong>in</strong><br />

gegen<br />

die Firma . . . . . . . . . . .<br />

Beklagte<br />

wegen sexueller Belästigung<br />

Namens und mit Vollmacht <strong>der</strong> Kläger<strong>in</strong> erhebe ich Klage und beantrage<br />

zu erkennen:<br />

I. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Angestellten<br />

. . . . . . . . . . . . (= Belästiger) aus <strong>der</strong> Buchhaltung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

an<strong>der</strong>e Abteilung zu versetzen:<br />

II. Die Beklagte zu verurteilen, <strong>der</strong> Kläger<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Entschädigung<br />

<strong>in</strong> Höhe von . . . . . . . . . . . . EUR zu zahlen<br />

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.


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Begründung<br />

Die am . . . . . . . . . . . . geborene, ledige Kläger<strong>in</strong> hat bei <strong>der</strong> Beklagten<br />

e<strong>in</strong>e Ausbildung als Industriekauffrau gemacht. Nach <strong>der</strong><br />

Ausbildung ist sie am . . . . . . . . . . . . als kaufmännische Angestellte<br />

e<strong>in</strong>gestellt worden. Sie arbeitet <strong>in</strong> <strong>der</strong> Buchhaltung. Abteilungsleiter<br />

<strong>der</strong> Buchhaltung ist <strong>der</strong> Angestellte . . . . . . . . . . .<br />

Das Verhältnis zwischen <strong>der</strong> Kläger<strong>in</strong> und dem Abteilungsleiter<br />

war nie gut. Der Abteilungsleiter hatte stets etwas an <strong>der</strong> Kläger<strong>in</strong><br />

auszusetzen. Am . . . . . . . . . . . . ist es zu e<strong>in</strong>er heftigen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />

gekommen. Der Abteilungsleiter hat <strong>der</strong> Kläger<strong>in</strong> dabei<br />

erklärt, ihr Verhältnis werde sich schlagartig än<strong>der</strong>n, wenn sie<br />

nicht so prüde wäre. Dabei hat er ihr an die Brust gegriffen und <strong>in</strong>s<br />

Gesäß gekniffen . . . . . . . . . . .<br />

Die Kläger<strong>in</strong> hat sich darauf bei <strong>der</strong> Geschäftsleitung beschwert.<br />

Dort ist ihr alsdann gesagt worden, sie solle sich nicht so anstellen<br />

. . . . . . . . . . . . Wenn sie Gruppenleiter<strong>in</strong> werden wolle, müsse sie<br />

sich mit dem Abteilungsleiter gut stellen . . . . . . . . . . .<br />

Sowohl <strong>der</strong> Abteilungsleiter wie die Geschäftsleitung haben die<br />

Kläger<strong>in</strong> wegen ihres Geschlechts diskrim<strong>in</strong>iert. Die Geschäftsleitung<br />

hätte e<strong>in</strong>e Maßnahme gegen den Abteilungsleiter ergreifen<br />

müssen. Dies hat sie unterlassen, obwohl sie dazu verpflichtet war.<br />

Sie hätte den Abteilungsleiter wegen se<strong>in</strong>es untragbaren Verhaltens<br />

versetzen müssen . . . . . . . . . . .<br />

Die Beklagte schuldet aber auch e<strong>in</strong>e Entschädigung nach § 611 a<br />

Abs. 2, 4 BGB . . . . . . . . . . .<br />

Der Anspruch ist am . . . . . . . . . . . . geltend gemacht worden (§<br />

611 a Abs. 4 BGB).<br />

Rechtsanwalt<br />

(Quelle: Schaub, Prozessformularbuch, 9. Aufl., IV.A.18)


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I. Die elterliche<br />

Sorge<br />

Lerne<strong>in</strong>heit: Sorgerechtliche Folgen<br />

und Schutz vor sexuellen Straftaten<br />

Grundsätzlich wird die elterliche Sorge als Folge des sog. Elternrechts aus Art. 6 I<br />

und II GG beiden Eltern geme<strong>in</strong>sam zuerkannt. Unter Umständen kann die elterliche<br />

Sorge aber auch nur e<strong>in</strong>em Elternteil obliegen.<br />

1. Inhaber<br />

des Sorgerechts<br />

2. Ausübung<br />

des<br />

Sorgerechts<br />

bei<br />

Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten<br />

3. Inhalt<br />

und Folgen<br />

des Sorgerechts<br />

Es werden folgende Ausgestaltungen (Fälle) <strong>der</strong> elterlichen Sorge<br />

unterschieden:<br />

geme<strong>in</strong>sames Sorgerecht <strong>der</strong> Eltern: beide s<strong>in</strong>d verheiratet<br />

o<strong>der</strong> haben e<strong>in</strong>e entsprechende Sorgerechtserklärung abgegeben<br />

(z.B. bei sog. „wil<strong>der</strong> Ehe“),<br />

Sorgerecht nur e<strong>in</strong>es Elternteils: die Mutter ist ledig (wegen<br />

„wil<strong>der</strong> Ehe“), das Gericht hat das Sorgerecht nur e<strong>in</strong>em übertragen<br />

(und dem an<strong>der</strong>en entzogen), e<strong>in</strong> Elternteil ist verstorben,<br />

nach e<strong>in</strong>er Trennung o<strong>der</strong> Scheidung: die Eltern können weiterh<strong>in</strong><br />

geme<strong>in</strong>sam das Sorgerecht ausüben, das Gericht hat das<br />

Sorgerecht nur e<strong>in</strong>em übertragen (und dem an<strong>der</strong>en entzogen).<br />

Üben beide Eltern das Sorgerecht geme<strong>in</strong>sam aus und kommt es<br />

zu Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten, so müssen sich beide grundsätzlich<br />

e<strong>in</strong>igen. Kommt es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Frage, die für das K<strong>in</strong>d von erheblicher<br />

Bedeutung ist, zu gravierenden Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten,<br />

die nicht lösbar ersche<strong>in</strong>en, so kann das Gericht auf Antrag<br />

e<strong>in</strong>es Elternteils die Entscheidung über diese Frage auf e<strong>in</strong> Elternteil<br />

übertragen. Hierbei trifft das Gericht die Entscheidung<br />

also nicht selbst.<br />

Beispiele: Religionsbekenntnis, Art <strong>der</strong> Ausbildung, Durchführung<br />

e<strong>in</strong>er Impfung.<br />

Die Eltern müssen nach § 1631 II BGB ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> gewaltfrei erziehen<br />

und es s<strong>in</strong>d körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen<br />

und an<strong>der</strong>e entwürdigende Erziehungsmaßnahmen zu<br />

unterlassen.<br />

Was den Erziehungsstil <strong>der</strong> Eltern anbelangt, so wird im Gesetz<br />

lediglich ansatzweise beschrieben, dass den Eltern auferlegt wird,<br />

bei Ausübung von <strong>Pflege</strong> und Erziehung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong>en wachsende<br />

Fähigkeit und wachsendes Bedürfnis zu selbstständigem<br />

und verantwortungsbewusstem Handeln zu respektieren.<br />

Das geme<strong>in</strong>same Sorgerecht bewirkt, dass die Eltern das K<strong>in</strong>d<br />

nur geme<strong>in</strong>schaftlich vertreten können. Daher muss etwa die<br />

E<strong>in</strong>willigung zu e<strong>in</strong>em ärztlichen E<strong>in</strong>griff (Behandlung) immer<br />

von beiden Eltern erteilt werden.<br />

Die elterliche Sorge umfasst zwei Arten. Dies s<strong>in</strong>d die Personensorge<br />

und die Vermögenssorge.<br />

Personensorge<br />

Sorge für das leibliche Wohl (Verpflegung, Bekleidung, Behandlung<br />

im Krankheitsfall)<br />

Erziehung


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II. Verletzung<br />

von Elternpflichten<br />

III. Folgen <strong>der</strong><br />

Verletzung von<br />

Elternpflichten<br />

Aufsicht<br />

Bestimmung des Aufenthalts<br />

Regelung des Umgangs<br />

Vermögenssorge<br />

Vermögensverwaltung<br />

Verletzen die Eltern e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> ihnen auferlegten Pflichten <strong>in</strong> gravieren<strong>der</strong> Weise,<br />

so kann das Gericht <strong>in</strong> die elterliche Sorge e<strong>in</strong>greifen (§ 1666 I BGB). Hierfür<br />

müssen folgende Voraussetzungen erfüllt se<strong>in</strong>:<br />

Das körperliche, geistige o<strong>der</strong> seelische Wohl des K<strong>in</strong>des muss gefährdet se<strong>in</strong>,<br />

e<strong>in</strong> elterliches Fehlverhalten o<strong>der</strong> das Verhalten e<strong>in</strong>es Dritten muss vorliegen,<br />

dieses muss für die Gefährdung ursächlich se<strong>in</strong> („durch“) und<br />

die Eltern müssen unfähig o<strong>der</strong> unwillig se<strong>in</strong>, die Gefahr abzuwenden.<br />

Maßnahmenkatalog<br />

Liegen alle vier Voraussetzungen des § 1666 I BGB vor, so hat<br />

das Familiengericht die „erfor<strong>der</strong>liche Maßnahme“ zu ergreifen.<br />

Dies ist die Anordnung des Gesetzes, nach dem Grundsatz <strong>der</strong><br />

Verhältnismäßigkeit zu verfahren. Für die Sanktion <strong>der</strong> Trennung<br />

des K<strong>in</strong>des von den Eltern und den Entzug <strong>der</strong> gesamten Personensorge<br />

spricht das Gesetz dies <strong>in</strong> § 1666a BGB noch e<strong>in</strong>mal<br />

ausdrücklich aus.<br />

Welches die „erfor<strong>der</strong>liche Maßnahme“ ist, kann nur aus <strong>der</strong> jeweiligen<br />

<strong>in</strong>dividuellen Situation heraus gesagt werden.<br />

Das Gesetz selber zählt beispielhaft e<strong>in</strong> paar Möglichkeiten staatlicher<br />

Reaktionen auf, was aber nicht bedeutet, dass es nicht an<strong>der</strong>e<br />

s<strong>in</strong>nvolle Maßnahmen gibt:<br />

Das Gericht kann e<strong>in</strong>e rechtsgeschäftliche E<strong>in</strong>willigung ersetzen<br />

(§ 1666 III BGB). Wenn die Eltern sich z.B. weigern, ihre<br />

Zustimmung <strong>zur</strong> Unterbr<strong>in</strong>gung ihres K<strong>in</strong>des bei Onkel und<br />

Tante zu geben, dann kann das Gericht selber diese E<strong>in</strong>willigungserklärung<br />

abgeben.<br />

Das Gericht kann Maßnahmen gegen e<strong>in</strong>en Dritten verhängen<br />

(§ 1666 IV BGB). Es kann also dem Drogenhändler aufgeben,<br />

sich dem Mädchen nicht mehr zu nähern, dem Zuhälter<br />

verbieten, dem Mädchen vor <strong>der</strong> Schule aufzulauern. Diese<br />

Maßnahmen können aber auch schon - ohne Gefährdung des<br />

K<strong>in</strong>des - auf <strong>der</strong> Basis des § 1632 II , III BGB getroffen werden,<br />

was allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>en Antrag <strong>der</strong> Eltern voraussetzt.<br />

Das Gericht kann den Eltern die Vermögenssorge entziehen,<br />

wenn sie ihre Unterhaltspflicht verletzen o<strong>der</strong> Anordnungen,<br />

die das Gericht h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Vermögenssorge für das K<strong>in</strong>d<br />

trifft, missachten (§ 1666 II BGB).<br />

Das Gericht kann den Eltern auch Teile ihres Sorgerechts<br />

(Umkehrschluss aus § 1666a II BGB) o<strong>der</strong> das gesamte Sorgerecht<br />

entziehen. Bei e<strong>in</strong>em Teilentzug kommen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

die Teile <strong>in</strong> Betracht, <strong>in</strong> denen die Eltern versagt haben. Wenn<br />

sie z.B. auf Grund ihres Alkoholmissbrauchs ihren Sohn nicht<br />

mehr <strong>in</strong> die Schule geschickt haben o<strong>der</strong> nichts dagegen unternommen<br />

haben, dass er die Schule immer wie<strong>der</strong> geschwänzt<br />

hat, dann könnten ihnen alle Recht im Zusammenhang mit dem<br />

Schulbesuch entzogen werden. - Die völlige Entziehung des<br />

Sorgerechts kommt nur <strong>in</strong> Ausnahmefällen <strong>in</strong> Betracht. Die Eltern<br />

müssen dann praktisch auf <strong>der</strong> ganzen L<strong>in</strong>ie versagt haben.


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IV. Teil<br />

Lerne<strong>in</strong>heit IV.b 11:<br />

Infektionsschutz<br />

- Zeitdauer: 2 Std. -<br />

Lerne<strong>in</strong>heit: Geschichtliche Entwicklung, Ziele und Kernaussagen des<br />

Infektionsschutzgesetzes<br />

I. Entstehungsgeschichte<br />

des<br />

IfSG<br />

Das Gesetz <strong>zur</strong> Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen<br />

(Infektionsschutzgesetz [IfSG]) ist seit dem 01.01.2001 <strong>in</strong> Kraft und hat<br />

u.a. das bis dah<strong>in</strong> geltende Bundesseuchengesetz sowie das Gesetz <strong>zur</strong> Bekämpfung<br />

von Geschlechtskrankheiten abgelöst.<br />

1. NationalerRahmen<br />

des<br />

IfSG: Anlass<br />

des<br />

Gesetzgebers<br />

zum<br />

Handeln<br />

2. Europarechtlicher<br />

Rahmen<br />

des IfSG:<br />

Pflicht <strong>zur</strong><br />

Umsetzung<br />

von EG-<br />

Richtl<strong>in</strong>ien<br />

Seit Beg<strong>in</strong>n des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts wurden erhebliche Fortschritte<br />

bei <strong>der</strong> Bekämpfung von Infektionskrankheiten erzielt. Die Verbesserung<br />

des allgeme<strong>in</strong>en Lebensstandards, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> hygienischen<br />

Verhältnisse, <strong>der</strong> flächendeckende E<strong>in</strong>satz von Schutzimpfungen<br />

und <strong>der</strong> Ausbau des staatlichen Gesundheitswesen<br />

hattn zunävhst dazu beigetragen, dass viele sog. Volksseuchen<br />

(z.B. Cholera, Pocken, Typhus, Ruhr, K<strong>in</strong><strong>der</strong>lähmung) nahezu<br />

ausgerottet wurden bzw. als besiegbar gelten.<br />

Die Zunahme <strong>der</strong> Globalisierung, <strong>der</strong> hohen Mobilität <strong>der</strong> Menschen<br />

und <strong>der</strong> Migration großer Bevölkerungsgruppen vor allem <strong>in</strong><br />

den Industrienationen haben das Risiko <strong>der</strong> Ausbreitung von Infektionskrankheiten<br />

(AIDS, BSE) wie<strong>der</strong> rasant steigen lassen und<br />

auch die zunehmende Resistenz von Krankheitserregern gegen<br />

Antibiotika, vor allem jedoch das Entstehen neuer, zum Teil mutierter<br />

Krankheitserreger haben es nötig gemacht, die Kontrolle<br />

und Therapie dieser Krankheiten neu zu organisieren und zu strukturieren.<br />

Denn das bis dato geltende Seuchenrecht stammte noch<br />

aus den 50er und 60er Jahren und wurde nicht mehr für ausreichend<br />

erachtet, den mo<strong>der</strong>nen gesundheitspolitischen Erfo<strong>der</strong>nissen<br />

zu genügen.<br />

Das Infektionsschutzgesetz trägt den neuen Erkenntnissen und<br />

Entwicklungen Rechnung. Es stellt e<strong>in</strong>e umfassende Reform <strong>der</strong><br />

bisherigen gesetzlichen Regelungen zum Schutz <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

vor übertragbaren Krankheiten dar.<br />

Mit dem IfSG erfüllt <strong>der</strong> Bundestag zugleich Vorgaben des europäischen<br />

Normgebers, <strong>der</strong> die Vere<strong>in</strong>heitlichung <strong>der</strong> nationalen<br />

Infektionsschutzgesetze vorschreibt.<br />

Denn Deutschland ist verpflichtet, die Richtl<strong>in</strong>ie des Rates <strong>der</strong> Europäischen<br />

Geme<strong>in</strong>schaft vom 3. November 1998 (98/83/EG) über<br />

die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch bis Ende<br />

des Jahres 2000 und die bereits am 3. Januar 1999 <strong>in</strong> Kraft getretene<br />

Entscheidung Nr. 2119/98/EG des Europäischen Parlaments<br />

und des Rates vom 24. September 1998 über die Schaffung e<strong>in</strong>es<br />

Netzes für die epidemiologische Überwachung und die Kontrolle<br />

übertragbarer Krankheiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Europäischen Geme<strong>in</strong>schaft<br />

umzusetzen.


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II. Schutzelemente<br />

des IfSG<br />

3. Zweck<br />

des IfSG<br />

Leitgedanke des IfSG ist neben dem Erkennen und Bekämpfen<br />

von Infektionskrankheiten die Prävention übertragbarer Krankheiten<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e durch die Verbesserung <strong>der</strong> Infektionsepidemiologie.<br />

Als Schutzelemente des IfSG def<strong>in</strong>iert <strong>der</strong> Gesetzgeber:<br />

- Vorbeugung,<br />

- frühzeitige Erkennung von Infektionen<br />

- Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Weiterverbreitung.<br />

1. Vorbeugung<br />

2. FrühzeitigeErkennung<br />

3. Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong><br />

Weiterverbreitung<br />

Die Vorbeugung e<strong>in</strong>er Infektion ist die wirksamste, kostengünstigste<br />

und damit wichtigste Maßnahme zum Schutz vor übertragbaren<br />

Krankheiten.<br />

Maßnahmen <strong>der</strong> Vorbeugung s<strong>in</strong>d:<br />

- Aufklärung und Information <strong>der</strong> Bevölkerung,<br />

- persönliche Hygiene,<br />

- <strong>der</strong> Aufbau und Erhalt e<strong>in</strong>es ausreichenden Impfschutzes<br />

- Präventionsmaßnahmen <strong>in</strong> Lebensmittel- und an<strong>der</strong>en Bereichen<br />

e<strong>in</strong>schließlich Geme<strong>in</strong>schaftse<strong>in</strong>richtungen.<br />

Vorbeugen bedeutet, dass je<strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelne aufgerufen ist, sich selbst<br />

vor Krankheiten zu schützen. Denn wer sich schützt, wirkt auch<br />

<strong>der</strong> Weiterverbreitung von Krankheiten entgegen. Je mehr sich<br />

schützen, desto effektiver werden Krankheitsherde abgeriegelt.<br />

Ohne e<strong>in</strong> frühzeitiges Erkennen des Auftretens und <strong>der</strong> Ausbreitung<br />

übertragbarer Krankheiten können Maßnahmen <strong>der</strong> Vorbeugung<br />

nicht ausreichend und gezielt geplant und die Weiterverbreitung<br />

<strong>der</strong> Krankheitserreger nicht wirksam verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden.<br />

Erkennen umfasst:<br />

- die ärztliche o<strong>der</strong> labormediz<strong>in</strong>ische Diagnose,<br />

- die Veranlassung antiepidemischer Maßnahmen im E<strong>in</strong>zelfall,<br />

- die Übermittlung <strong>der</strong> diagnostischen Beobachtungen an koord<strong>in</strong>ierende<br />

Stellen<br />

- die Analyse und Bewertung dieser Meldungen.<br />

Alle verfügbaren Erkenntnisse über Auftreten und Ausbreitung<br />

übertragbarer Krankheiten sowie über Eigenschaften <strong>der</strong> Krankheitserreger<br />

müssen für gesundheitspolitische Konzepte <strong>der</strong> Prävention<br />

und effektive Bekämpfungsmaßnahmen zum Schutz <strong>der</strong><br />

Bevölkerung genutzt werden.<br />

Die Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Weiterverbreitung von Infektionskrankheiten<br />

hängt davon ab, dass<br />

- die staatlichen Gesundheitsämter<br />

- die nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzte aller Fachrichtungen,<br />

- die Krankenhäuser,<br />

- die wissenschaftlichen E<strong>in</strong>richtungen<br />

nach bestimmten Regeln des IfSG<br />

- organisiert,


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III. Struktur<br />

und Aufbau des<br />

IfSG (Quelle: Hell, 4.<br />

Aufl., S. 431)<br />

IV. Begriffsbestimmungen<br />

des<br />

IfSG<br />

Begriffsbestimmungen<br />

Bekämpfung<br />

übertragbarer<br />

Krankheiten<br />

Tätigkeit mit Krankheitserregern <br />

Def<strong>in</strong>itionen<br />

des<br />

IfSG<br />

- effektiv und<br />

- vertrauensvoll zusammenarbeiten.<br />

Aufbau und Inhalt des Infektionsschutzgesetzes<br />

Koord<strong>in</strong>ierung<br />

und Früherkennung<br />

Vorschriften für<br />

Schulen etc.<br />

Entschädigung<br />

Meldewesen<br />

Beschaffenheit<br />

von Wasser<br />

Verhütung<br />

übertragbarer<br />

Krankheiten<br />

Beschäftigung<br />

im Lebensmittelbereich<br />

Straf- und Bußgeldvorschriften<br />

Um das IfSG sicher und zweifelsfrei anwenden zu können, def<strong>in</strong>iert<br />

das Gesetz, was es unter bestimmten Begriffen versteht. Dies<br />

s<strong>in</strong>d im E<strong>in</strong>zelnen:<br />

1. Krankheitserreger<br />

e<strong>in</strong> vermehrungsfähiges Agens (Virus, Bakterium, Pilz, Parasit) o<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong> sonstiges biologisches transmissibles Agens, das bei Menschen<br />

e<strong>in</strong>e Infektion o<strong>der</strong> übertragbare Krankheit verursachen kann.<br />

2. Infektion<br />

die Aufnahme e<strong>in</strong>es Krankheitserregers und se<strong>in</strong>e nachfolgende<br />

Entwicklung o<strong>der</strong> Vermehrung im menschlichen Organismus.<br />

3. übertragbare Krankheit<br />

e<strong>in</strong>e durch Krankheitserreger o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en toxische Produkte, die<br />

unmittelbar o<strong>der</strong> mittelbar auf den Menschen übertragen werden,<br />

verursachte Krankheit.<br />

4. Kranker<br />

e<strong>in</strong>e Person, die an e<strong>in</strong>er übertragbaren Krankheit erkrankt ist.<br />

5. Krankheitsverdächtiger<br />

e<strong>in</strong>e Person, bei <strong>der</strong> Symptome bestehen, welche das Vorliegen<br />

e<strong>in</strong>er bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen.<br />

6. Ausschei<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>e Person, die Krankheitserreger ausscheidet und dadurch e<strong>in</strong>e<br />

Ansteckungsquelle für die Allgeme<strong>in</strong>heit se<strong>in</strong> kann, ohne krank<br />

o<strong>der</strong> krankheitsverdächtig zu se<strong>in</strong>.<br />

7. Ansteckungsverdächtiger<br />

e<strong>in</strong>e Person, von <strong>der</strong> anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger<br />

aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig o<strong>der</strong> Ausschei<strong>der</strong><br />

zu se<strong>in</strong>.


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 171 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

8. nosokomiale Infektion<br />

e<strong>in</strong>e Infektion mit lokalen o<strong>der</strong> systemischen Infektionszeichen als<br />

Reaktion auf das Vorhandense<strong>in</strong> von Erregern o<strong>der</strong> ihrer Tox<strong>in</strong>e,<br />

die im zeitlichen Zusammenhang mit e<strong>in</strong>em Krankenhausaufenthalt<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er ambulanten mediz<strong>in</strong>ischen Maßnahme steht, soweit<br />

die Infektion nicht bereits vorher bestand.<br />

9. Schutzimpfung<br />

die Gabe e<strong>in</strong>es Impfstoffes mit dem Ziel, vor e<strong>in</strong>er übertragbaren<br />

Krankheit zu schützen.<br />

10. an<strong>der</strong>e Maßnahme <strong>der</strong> spezifischen Prophylaxe<br />

die Gabe von Antikörpern (passive Immunprophylaxe) o<strong>der</strong> die<br />

Gabe von Medikamenten (Chemoprophylaxe) zum Schutz vor<br />

Weiterverbreitung bestimmter übertragbarer Krankheiten.<br />

11. Impfschaden<br />

die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge e<strong>in</strong>er über das übliche<br />

Ausmaß e<strong>in</strong>er Impfreaktion h<strong>in</strong>ausgehenden gesundheitlichen<br />

Schädigung durch die Schutzimpfung; e<strong>in</strong> Impfschaden liegt auch<br />

vor, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und<br />

e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e als die geimpfte Person geschädigt wurde.<br />

12. Gesundheitsschädl<strong>in</strong>g<br />

e<strong>in</strong> Tier, durch das Krankheitserreger auf Menschen übertragen<br />

werden können.<br />

13. Sent<strong>in</strong>el-Erhebung<br />

e<strong>in</strong>e epidemiologische Methode <strong>zur</strong> stichprobenartigen Erfassung<br />

<strong>der</strong> Verbreitung bestimmter übertragbarer Krankheiten und <strong>der</strong><br />

Immunität gegen bestimmte übertragbare Krankheiten <strong>in</strong> ausgewählten<br />

Bevölkerungsgruppen.<br />

V. Meldewesen Das Meldewesen ist das Kerntück des IfSG. Wesentlich für die Verhütung und<br />

Bekämpfung übertragbarer Krankheiten ist, dass die staatlichen Behörden möglichst<br />

früh Kenntnis von übertragbaren Krankheiten erlangen.<br />

Erkenntnisquelle s<strong>in</strong>d vor allem den Ärzte und Krankenhäuser sowie Labore. Insoweit<br />

regelt das Gesetz, wer was an wen zu melden hat.<br />

1. Organisation<br />

des<br />

Meldewesens<br />

Meldepflichtige<br />

Krankheiten<br />

Namentliche Meldung<br />

Meldepflichtige Personen<br />

Quelle: Hell, 4. Aufl. 2001, S. 434<br />

Meldewesen des IfSG<br />

Meldepflichtige<br />

Nachweise von<br />

Krankheitserregern<br />

Nichtnamentliche<br />

Meldung<br />

Meldungsempfänger


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2. MeldepflichtigeKrankheiten<br />

3. Meldepflichtige<br />

Nachweise<br />

Wesentliche Neuerung gegenüber den alten gesetzlichen Regelungen<br />

ist, dass das IfSG nicht mehr zwischen Seuchen o<strong>der</strong> Geschlechtskrankheiten<br />

unterscheidet, son<strong>der</strong>n nur noch zwischen<br />

namentlich meldepflichtigen o<strong>der</strong> namentlich nicht meldepflichtigen<br />

Krankheiten.<br />

a. Namentlich dem Gesundheitsamt meldepflichtig s<strong>in</strong>d:<br />

Erkrankung, <strong>der</strong> Verdacht <strong>der</strong> Erkrankung und <strong>der</strong> Tod an:<br />

Botulismus,<br />

Cholera<br />

Diphterie<br />

humaner spongiformer Enzephalopathie, außer familiär-<br />

hereditärer Formen<br />

akuter Virushepatitis<br />

enteropathischem hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS)<br />

virusbed<strong>in</strong>gtem hämorrhagischem Fieber<br />

Masern<br />

Men<strong>in</strong>gokokken-Men<strong>in</strong>gitis o<strong>der</strong> -Sepsis<br />

Milzbrand<br />

Poliomyelitis (als Verdacht gilt jede akute schlaffe Lähmung, außer<br />

wenn traumatisch bed<strong>in</strong>gt)<br />

Pest<br />

Tollwut<br />

Typhus/Paratyphus<br />

sowie die Erkrankung und <strong>der</strong> Tod an e<strong>in</strong>er behandlungsbedürftigen Tuberkulose,<br />

auch wenn e<strong>in</strong> bakteriologischer Nachweis nicht vorliegt,<br />

die Erkrankung und <strong>der</strong> Verdacht <strong>der</strong> Erkrankung an:<br />

e<strong>in</strong>er mikrobiell bed<strong>in</strong>gten Lebensmittelvergiftung o<strong>der</strong> an e<strong>in</strong>er akuten<br />

<strong>in</strong>fektiösen Gastroenteritis, wenn<br />

e<strong>in</strong>e Person betroffen ist, die e<strong>in</strong>e Tätigkeit im S<strong>in</strong>ne des § 42 Abs. 1<br />

ausübt,<br />

zwei o<strong>der</strong> mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen e<strong>in</strong><br />

epidemischer Zusammenhang wahrsche<strong>in</strong>lich ist o<strong>der</strong> vermutet wird,<br />

<strong>der</strong> Verdacht:<br />

e<strong>in</strong>er über das übliche Ausmaß e<strong>in</strong>er Impfreaktion h<strong>in</strong>ausgehenden gesundheitlichen<br />

Schädigung,<br />

die Verletzung:<br />

e<strong>in</strong>es Menschen durch e<strong>in</strong> tollwutkrankes o<strong>der</strong> -verdächtiges Tier sowie<br />

die Berührung e<strong>in</strong>es solchen Tieres o<strong>der</strong> Tierkörpers<br />

das Auftreten:<br />

e<strong>in</strong>er bedrohlichen Krankheit o<strong>der</strong><br />

von zwei o<strong>der</strong> mehr gleichartigen Erkrankungen, bei denen e<strong>in</strong> epidemischer<br />

Zusammenhang wahrsche<strong>in</strong>lich ist o<strong>der</strong> vermutet wird,<br />

wenn dies auf e<strong>in</strong>e schwerwiegende Gefahr für die Allgeme<strong>in</strong>heit h<strong>in</strong>weist<br />

und Krankheitserreger als Ursache <strong>in</strong> Betracht kommen, die nicht <strong>in</strong> § 7 genannt<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

die Verweigerung <strong>der</strong> bzw. <strong>der</strong> Abbruch <strong>der</strong> Behandlung:<br />

e<strong>in</strong>er behandl<strong>in</strong>gsbedürftigen Lungentuberkolose,<br />

b. Nichtnamentlich dem Gesundheitsamt meldepflichtig ist:<br />

das gehäufte Auftreten:<br />

nosokomialer Infektionen, bei denen e<strong>in</strong> epidemischer Zusammenhang<br />

wahrsche<strong>in</strong>lich ist o<strong>der</strong> vermutet wird,<br />

Des weiteren unterscheidet das Gesetz zwischen namentlich und<br />

nichtnamentlich meldepflichtigen Nachweisen von Krankheitserregern.


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 173 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

von Krank-<br />

Krankheitserregern<br />

a. Namentlich dem Gesundheitsamt meldepflichtig s<strong>in</strong>d:<br />

<strong>der</strong> direkte o<strong>der</strong> <strong>in</strong>direkte Nachweis bei folgenden Krankheitserregern,<br />

soweit die Nachweise auf e<strong>in</strong>e akute, d.h. frische<br />

Infektion h<strong>in</strong>weisen:<br />

Adenoviren; Meldepflicht nur für den direkten Nachweis im Konjunktivalabstrich<br />

Bacillus anthracis<br />

Borrelia recurrentis<br />

Brucella sp.<br />

Campylobacter jejuni<br />

Chlamydia psittaci<br />

Clostridium botul<strong>in</strong>um o<strong>der</strong> Tox<strong>in</strong>nachweis<br />

Corynebacterium diphteriae, Tox<strong>in</strong> bildend<br />

Coxiella burnetii<br />

Cryptosporidium parvum<br />

Ebolavirus<br />

Escherichia coli, enterohämorrhagische Stämme (EHEC)<br />

Escherichia coli, sonstige darmpathogene Stämme<br />

Francisella tularensis<br />

FSME-Virus<br />

Gelbfiebervirus<br />

Giardia lamblia<br />

Haemophilus <strong>in</strong>fluenzae; Meldepflicht nur für den direkten Nachweis<br />

aus Liquor o<strong>der</strong> Blut<br />

Hantaviren<br />

Hepatitis-A-Virus<br />

Hepatitis-B-Virus<br />

Hepatitis-C-Virus; Meldepflicht für alle Nachweise, soweit nicht bekannt<br />

ist, dass e<strong>in</strong>e chronische Infektion vorliegt<br />

Hepatitis-D-Virus<br />

Hepatitis-E-Virus<br />

Influenzaviren; Meldepflicht nur für den direkten Nachweis<br />

Lassavirus<br />

Legionella sp.<br />

Leptospira <strong>in</strong>terrogans<br />

Listeria monocytogenes; Meldepflicht nur für den direkten Nachweis<br />

aus Blut, Liquor o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en normalerweise sterilen Substraten sowie<br />

aus Abstrichen von Neugeborenen<br />

Marburgvirus<br />

Masernvirus<br />

Mycobacterium leprae<br />

Mycobacterium tuberculosis/africanum, Mycobacterium bovis; Meldepflicht<br />

für den direkten Erregernachweis sowie nachfolgend für das Ergebnis<br />

<strong>der</strong> Resistenzbestimmung; vorab auch für den Nachweis säurefester<br />

Stäbchen im Sputum<br />

Neisseria men<strong>in</strong>gitidis; Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus<br />

Liquor, Blut, hämorrhagischen Haut<strong>in</strong>filtraten o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en normalerweise<br />

sterilen Substraten<br />

Norwalk-ähnliches Virus; Meldepflicht nur für den direkten Nachweis<br />

aus Stuhl<br />

Poliovirus<br />

Rabiesvirus<br />

Rickettsia prowazekii<br />

Rotavirus<br />

Salmonella Paratyphi; Meldepflicht für alle direkten Nachweise<br />

Salmonella Typhi; Meldepflicht für alle direkten Nachweise<br />

Salmonella, sonstige<br />

Shigella sp.<br />

Trich<strong>in</strong>ella spiralis<br />

Vibrio cholerae O 1 und O 139<br />

Yers<strong>in</strong>ia enterocolitica, darmpathogen<br />

Yers<strong>in</strong>ia pestis<br />

an<strong>der</strong>e Erreger hämorrhagischer Fieber.,<br />

Krankheitserreger, soweit <strong>der</strong>en örtliche und zeitliche Häufung<br />

auf e<strong>in</strong>e schwerwiegende Gefahr für die Allgeme<strong>in</strong>heit<br />

h<strong>in</strong>weist,


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4. Meldepflichtige<br />

Personen<br />

b. Nichtnamentlich dem Gesundheitsamt meldepflichtig s<strong>in</strong>d<br />

folgende Krankheitserreger:<br />

<strong>der</strong> direkte o<strong>der</strong> <strong>in</strong>direkte Nachweis:<br />

Treponema pallidum<br />

HIV<br />

Ech<strong>in</strong>ococcus sp.<br />

Plasmodium sp.<br />

Rubellavirus; Meldepflicht nur bei konnatalen Infektionen<br />

Toxoplasma gondii; Meldepflicht nur bei konnatalen Infektionen.<br />

Zur Meldung o<strong>der</strong> Mitteilung s<strong>in</strong>d verpflichtet:<br />

<strong>der</strong> feststellende Arzt; <strong>in</strong> Krankenhäusern o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en E<strong>in</strong>richtungen<br />

<strong>der</strong> stationären <strong>Pflege</strong> ist für die E<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong> Meldepflicht<br />

neben dem feststellenden Arzt auch <strong>der</strong> leitende Arzt, <strong>in</strong><br />

Krankenhäusern mit mehreren selbständigen Abteilungen <strong>der</strong><br />

leitende Abteilungsarzt, <strong>in</strong> E<strong>in</strong>richtungen ohne leitenden Arzt<br />

<strong>der</strong> behandelnde Arzt verantwortlich,<br />

die Leiter von Mediz<strong>in</strong>aluntersuchungsämtern und sonstigen<br />

privaten o<strong>der</strong> öffentlichen Untersuchungsstellen e<strong>in</strong>schließlich<br />

<strong>der</strong> Krankenhauslaboratorien,<br />

die Leiter von E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> pathologisch-anatomischen<br />

Diagnostik, wenn e<strong>in</strong> Befund erhoben wird, <strong>der</strong> sicher o<strong>der</strong> mit<br />

hoher Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit auf das Vorliegen e<strong>in</strong>er meldepflichtigen<br />

Erkrankung o<strong>der</strong> Infektion durch e<strong>in</strong>en meldepflichtigen<br />

Krankheitserreger schließen lässt,<br />

bei Tieren, mit denen Menschen Kontakt gehabt haben, <strong>der</strong><br />

Tierarzt,<br />

Angehörige e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>en Heil- o<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>berufs, <strong>der</strong> für die<br />

Berufsausübung o<strong>der</strong> die Führung <strong>der</strong> Berufsbezeichnung e<strong>in</strong>e<br />

staatlich geregelte Ausbildung o<strong>der</strong> Anerkennung erfor<strong>der</strong>t,<br />

<strong>der</strong> verantwortliche Luftfahrzeugführer o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kapitän e<strong>in</strong>es<br />

Seeschiffes,<br />

die Leiter von <strong>Pflege</strong>e<strong>in</strong>richtungen, Justizvollzugsanstalten,<br />

Heimen, Lagern o<strong>der</strong> ähnlichen E<strong>in</strong>richtungen,<br />

<strong>der</strong> Heilpraktiker.<br />

Ke<strong>in</strong>e Meldepflicht besteht<br />

für Personen des Not- und Rettungsdienstes, wenn <strong>der</strong> Patient unverzüglich<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ärztlich geleitete E<strong>in</strong>richtung gebracht wurde.<br />

wenn dem Meldepflichtigen e<strong>in</strong> Nachweis vorliegt, dass die<br />

Meldung bereits erfolgte und an<strong>der</strong>e als die bereits gemeldeten<br />

Angaben nicht erhoben wurden.<br />

für Personen, die die Untersuchung zum Nachweis von Krankheitserregern<br />

außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes<br />

durchführen lassen.<br />

Merke: Der Meldepflichtige hat dem Gesundheitsamt unverzüglich<br />

mitzuteilen, wenn sich e<strong>in</strong>e Verdachtsmeldung nicht bestätigt hat.


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5. Inhalt<br />

<strong>der</strong> namentlichen<br />

Meldung<br />

und Frist<br />

6. Inhalt<br />

<strong>der</strong> nichtnamentlichenMeldung<br />

und<br />

Frist<br />

7. Meldeweg<br />

In den Fällen, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>e namentliche Meldung vorgeschrieben<br />

ist, muss diese folgende Angaben enthalten:<br />

Name, Vorname des Patienten<br />

Geschlecht<br />

Tag, Monat und Jahr <strong>der</strong> Geburt<br />

Anschrift <strong>der</strong> Hauptwohnung und, falls abweichend: Anschrift<br />

des <strong>der</strong>zeitigen Aufenthaltsortes<br />

Tätigkeit des Patienten <strong>in</strong> bestimmten E<strong>in</strong>richtungen (z.B. K<strong>in</strong><strong>der</strong>kripeen,<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten, Schulen, Heimen, Krankenhäusern)<br />

Diagnose bzw. Verdachtsdiagnose<br />

Tag <strong>der</strong> Erkrankung o<strong>der</strong> Tag <strong>der</strong> Diagnose, gegebenenfalls<br />

Tag des Todes<br />

wahrsche<strong>in</strong>liche Infektionsquelle<br />

Land, <strong>in</strong> dem die Infektion wahrsche<strong>in</strong>lich erworben wurde; bei<br />

Tuberkulose Geburtsland und Staatsangehörigkeit<br />

Name, Anschrift und Telefonnummer <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Erregerdiagnostik<br />

beauftragten Untersuchungsstelle<br />

Überweisung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Krankenhaus beziehungsweise Aufnahme<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Krankenhaus o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en E<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> stationären<br />

<strong>Pflege</strong> und Entlassung aus <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung, soweit dem<br />

Meldepflichtigen bekannt<br />

Blut-, Organ- o<strong>der</strong> Gewebespende <strong>in</strong> den letzten sechs Monaten<br />

Name, Anschrift und Telefonnummer des Meldenden<br />

Die namentliche Meldung muss bis spätestens <strong>in</strong>nerhalb von 24<br />

Stunden nach erlangter Kenntnis gegenüber dem für den Betroffenen<br />

zuständigen Gesundheitsamt erfolgen.<br />

Die nichtnamentlichen Meldungen dienen re<strong>in</strong> epidemologischen<br />

Zwecken. Die liefern Daten für die gezielte Aufklärungsmaßnahmen<br />

und für gesundheitspolitische Entscheidungen; sie<br />

haben spätestens am dritten Arbeitstag <strong>der</strong> folgenden Woche, an<br />

die zuständige Landesbehörde sowie von dort <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Woche<br />

an das Robert Koch-Institut ausschließlich mit folgenden Angaben<br />

übermittelt zu werden:<br />

Geschlecht<br />

Monat und Jahr <strong>der</strong> Geburt<br />

erste drei Ziffern <strong>der</strong> Postleitzahl <strong>der</strong> Hauptwohnung<br />

Untersuchungsbefund<br />

Monat und Jahr <strong>der</strong> Diagnose<br />

Art des Untersuchungsmaterials<br />

Nachweismethode<br />

wahrsche<strong>in</strong>licher Infektionsweg, wahrsche<strong>in</strong>liches Infektionsrisiko<br />

Land, <strong>in</strong> dem die Infektion wahrsche<strong>in</strong>lich erworben wurde<br />

Name, Anschrift und Telefonnummer des Meldenden<br />

bei Malaria: Angaben <strong>zur</strong> Expositions- und Chemoprophylaxe.<br />

Für die namentlichen Meldungen ist e<strong>in</strong> dreistufiger Meldeweg<br />

vorgeschrieben:<br />

1. Stufe:<br />

Die meldepflichtige Person meldet unverzüglich an das Gesundheitsamt.<br />

2. Stufe:


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VI. Verhütung<br />

übertragbarer<br />

Krankheiten<br />

Das Gesundheitsamt übermittelt an die zuständige Landesbehörde<br />

wöchentlich <strong>in</strong> anonymisierter Form<br />

3. Stufe:<br />

Die Landesbehörde übermittelt <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Woche an das Robert-Koch-Institut.<br />

Die Verhütung übertragbarer Krankheiten hat Vorrang vor <strong>der</strong> Bekämpfung.<br />

Verhütungsmaßnahmen sollen im Vorfeld dafür sorgen, dass Krankheitserreger<br />

den Menschen nicht erreichen.<br />

1. Befugnisse<br />

<strong>der</strong><br />

Behörden<br />

2. Maßnahmen<br />

bei sexuell<br />

übertragbarenKrankheiten <br />

Schutzimpfungen<br />

als<br />

Maßnahmen<br />

Werden Tatsachen festgestellt, die zum Auftreten e<strong>in</strong>er übertragbaren<br />

Krankheit führen können, o<strong>der</strong> ist anzunehmen, dass solche<br />

Tatsachen vorliegen, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen<br />

Maßnahmen <strong>zur</strong> Abwendung <strong>der</strong> dem E<strong>in</strong>zelnen o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Allgeme<strong>in</strong>heit hierdurch drohenden Gefahren.<br />

In diesen Fällen s<strong>in</strong>d die Beauftragten <strong>der</strong> zuständigen Behörde<br />

und des Gesundheitsamtes <strong>zur</strong> Durchführung von Ermittlungen<br />

<strong>zur</strong> Überwachung <strong>der</strong> angeordneten Maßnahmen berechtigt,<br />

Grundstücke, Räume, Anlagen und E<strong>in</strong>richtungen sowie Verkehrsmittel<br />

aller Art zu betreten<br />

Bücher o<strong>der</strong> sonstige Unterlagen e<strong>in</strong>zusehen und hieraus Abschriften,<br />

Ablichtungen o<strong>der</strong> Auszüge anzufertigen<br />

sonstige Gegenstände zu untersuchen o<strong>der</strong> Proben <strong>zur</strong> Untersuchung<br />

zu for<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> zu entnehmen.<br />

Der Inhaber <strong>der</strong> tatsächlichen Gewalt ist verpflichtet, den Beauftragten<br />

<strong>der</strong> zuständigen Behörde und des Gesundheitsamtes<br />

Grundstücke, Räume, Anlagen, E<strong>in</strong>richtungen und Verkehrsmittel<br />

sowie sonstige Gegenstände zugänglich zu machen.<br />

Das Gesundheitsamt bietet bezüglich sexuell übertragbarer Krankheiten<br />

und Tuberkulose Beratung und Untersuchung an o<strong>der</strong> stellt<br />

diese <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit an<strong>der</strong>en mediz<strong>in</strong>ischen E<strong>in</strong>richtungen<br />

sicher.<br />

Diese sollen für Personen, <strong>der</strong>en Lebensumstände e<strong>in</strong>e erhöhte<br />

Ansteckungsgefahr für sich o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e mit sich br<strong>in</strong>gen, auch<br />

aufsuchend angeboten werden und können im E<strong>in</strong>zelfall die ambulante<br />

Behandlung durch e<strong>in</strong>en Arzt des Gesundheitsamtes umfassen,<br />

soweit dies <strong>zur</strong> Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Weiterverbreitung <strong>der</strong> sexuell<br />

übertragbaren Krankheiten und <strong>der</strong> Tuberkulose erfor<strong>der</strong>lich<br />

ist.<br />

Die Angebote können bezüglich sexuell übertragbarer Krankheiten<br />

anonym <strong>in</strong> Anspruch genommen werden.<br />

Da ke<strong>in</strong>e Impfpflicht <strong>in</strong> Deutschland besteht, <strong>in</strong>formieren die<br />

zuständige obere Bundesbehörde, die obersten Landesgesundheitsbehörden<br />

und die von ihnen beauftragten Stellen sowie die<br />

Gesundheitsämter die Bevölkerung über die Bedeutung von<br />

Schutzimpfungen und an<strong>der</strong>en Maßnahmen <strong>der</strong> spezifischen Prophylaxe<br />

übertragbarer Krankheiten.


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VII. BekämpfungübertragbarerKrankheiten<br />

VIII. Zusätzliche<br />

Regelungen<br />

für Schulen und<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten<br />

Ggf. ist die Bevölkerung gezielt zu öffentlichen Schutzimpfungen<br />

auf<strong>zur</strong>ufen bzw. sollen diese empfohlen werden.<br />

Ergibt sich o<strong>der</strong> ist anzunehmen, dass jemand<br />

an e<strong>in</strong>er meldepflichtigen Krankheit erkrankt<br />

mit e<strong>in</strong>em meldepflichtigen Krankheitserreger <strong>in</strong>fiziert ist<br />

dass e<strong>in</strong> Verstorbener, <strong>der</strong> an e<strong>in</strong>er meldepflichtigen Krankheit erkrankt o<strong>der</strong><br />

mit e<strong>in</strong>em meldepflichtigen Krankheitserreger <strong>in</strong>fiziert war, nach dem vermuteten<br />

Zeitpunkt <strong>der</strong> Infektion Blut-, Organ- o<strong>der</strong> Gewerbespen<strong>der</strong> war,<br />

so hat das Gesundheitsamt die zuständigen Behörden von Bund und Län<strong>der</strong>n unverzüglich<br />

über den Befund o<strong>der</strong> Verdacht zu unterrichten.<br />

Schutzmaßnahmen<br />

Personen,<br />

Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige<br />

o<strong>der</strong> Ausschei<strong>der</strong> festgestellt o<strong>der</strong> ergibt sich, dass e<strong>in</strong> Verstorbener<br />

krank, krankheitsverdächtig o<strong>der</strong> Ausschei<strong>der</strong> war, so trifft die<br />

zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen.<br />

Diese s<strong>in</strong>d:<br />

Beobachtung. Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige<br />

und Ausschei<strong>der</strong> können e<strong>in</strong>er Beobachtung unterworfen<br />

werden.<br />

Quarantäne. Personen, die an Lungenpest o<strong>der</strong> an von Mensch<br />

zu Mensch übertragbarem hämorrhagischem Fieber erkrankt<br />

o<strong>der</strong> dessen verdächtig s<strong>in</strong>d, können unverzüglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Krankenhaus o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er für diese Krankheiten geeigneten E<strong>in</strong>richtung<br />

abgeson<strong>der</strong>t werden.<br />

Berufliches Tätigkeitsverbot. Die zuständige Behörde kann<br />

Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen<br />

und Ausschei<strong>der</strong>n die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten<br />

ganz o<strong>der</strong> teilweise untersagen.<br />

die <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaftse<strong>in</strong>richtungen arbeiten, also <strong>in</strong> E<strong>in</strong>richtungen, <strong>in</strong> denen<br />

überwiegend Säugl<strong>in</strong>ge, K<strong>in</strong><strong>der</strong> o<strong>der</strong> Jugendliche betreut werden (= K<strong>in</strong><strong>der</strong>krippen,<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten, K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätten, K<strong>in</strong><strong>der</strong>horte, Schulen o<strong>der</strong> sonstige<br />

Ausbildungse<strong>in</strong>richtungen, Heime, Ferienlager und ähnliche E<strong>in</strong>richtungen)<br />

und die erkrankt s<strong>in</strong>d an<br />

Cholera, Diptherie, Enteritis durch enterohämorrhagische E. coli (EHEC), virusbed<strong>in</strong>gtem<br />

hämorrhagischem Fieber, Haemophilus <strong>in</strong>fluenzae Typ b-<br />

Men<strong>in</strong>gitis, Impetigo contagiosa (ansteckende Borkenflechte), Keuchhusten,<br />

ansteckungsfähiger Lungentuberkulose, Masern, Men<strong>in</strong>gokokken-Infektion,<br />

Mumps, Paratyphus, Pest, Poliomyelitis, Scabies (Krätze), Scharlach o<strong>der</strong> sonstigen<br />

Streptococcus pyogenes-Infektionen, Shigellose, Typhus abdom<strong>in</strong>alis, Virushepatitis<br />

A o<strong>der</strong> E, W<strong>in</strong>dpocken,<br />

dürfen <strong>in</strong> den Geme<strong>in</strong>schaftse<strong>in</strong>richtungen ke<strong>in</strong>e Lehr-, Erziehungs-, <strong>Pflege</strong>-,<br />

Aufsichts- o<strong>der</strong> sonstige Tätigkeiten ausüben, bei denen sie Kontakt zu den dort<br />

Betreuten haben, bis nach ärztlichem Urteil e<strong>in</strong>e Weiterverbreitung <strong>der</strong><br />

Krankheit o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verlausung durch sie nicht mehr zu befürchten ist (z.B.<br />

Schulverbot bei eigener Masernerkrankung [VG München, Beschl. v. 24.03.2009,<br />

Az. M 18 E 09.1208]).


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 178 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

IX. Beschaffenheit<br />

von Wasser<br />

X. Beschäftigung<br />

im Lebensmittelbereich<br />

XI. Straf- und<br />

Bußgeldvorschriften<br />

Wasser für den menschlichen Gebrauch muss so beschaffen se<strong>in</strong>, dass durch se<strong>in</strong>en<br />

Genuss o<strong>der</strong> Gebrauch e<strong>in</strong>e Schädigung <strong>der</strong> menschlichen Gesundheit, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

durch Krankheitserreger, nicht zu besorgen ist.<br />

Schwimm- o<strong>der</strong> Badebeckenwasser <strong>in</strong> Gewerbebetrieben, öffentlichen Bä<strong>der</strong>n sowie<br />

<strong>in</strong> sonstigen nicht ausschließlich privat genutzten E<strong>in</strong>richtungen muss so beschaffen<br />

se<strong>in</strong>, dass durch se<strong>in</strong>en Gebrauch e<strong>in</strong>e Schädigung <strong>der</strong> menschlichen Gesundheit,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e durch Krankheitserreger, nicht zu besorgen ist.<br />

Personen, die<br />

an Typhus, Paratyphus, Cholera, Shigellenruhr, Salmonellose, e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en <strong>in</strong>fektiösen<br />

Gastroenteritis o<strong>der</strong> Virushepatitis A o<strong>der</strong> E erkrankt o<strong>der</strong> dessen verdächtig<br />

s<strong>in</strong>d,<br />

an <strong>in</strong>fizierten Wunden o<strong>der</strong> an Hautkrankheiten erkrankt s<strong>in</strong>d, bei denen die<br />

Möglichkeit besteht, dass <strong>der</strong>en Krankheitserreger über Lebensmittel übertragen<br />

werden können,<br />

die Krankheitserreger Shigellen, Salmonellen, enterohämorrhagische Escherichia<br />

coli o<strong>der</strong> Choleravibrionen ausscheiden<br />

dürfen nicht tätig se<strong>in</strong> o<strong>der</strong> beschäftigt werden<br />

beim Herstellen, Behandeln o<strong>der</strong> Inverkehrbr<strong>in</strong>gen von Lebensmittel, wenn sie<br />

dabei mit diesen <strong>in</strong> Berührung kommen, o<strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> Küchen von Gaststätten und sonstigen E<strong>in</strong>richtungen mit o<strong>der</strong> <strong>zur</strong> Geme<strong>in</strong>schaftsverpflegung.<br />

Lebensmittel im S<strong>in</strong>ne des IfSG s<strong>in</strong>d:<br />

Fleisch, Geflügelfleisch und Erzeugnisse daraus<br />

Milch und Erzeugnisse auf Milchbasis<br />

Fische, Krebse o<strong>der</strong> Weichtiere und Erzeugnisse daraus<br />

Eiprodukte<br />

Säugl<strong>in</strong>gs- und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>nahrung<br />

Speiseeis und Speiseeishalberzeugnisse<br />

Backwaren mit nicht durchgebackener o<strong>der</strong> durcherhitzter Füllung o<strong>der</strong> Auflage,<br />

ausgenommen Dauerbackwaren<br />

Fe<strong>in</strong>kost-, Rohkost- und Kartoffelsalate, Mar<strong>in</strong>aden, Mayonnaisen, an<strong>der</strong>e<br />

emulgierte Soßen, Nahrungshefen.<br />

Durch beson<strong>der</strong>e Straf- und Bußgeldvorschriften sollen die Ge- und Verbote des<br />

IfSG durchgesetzt werden. Insoweit begehrt <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> gegen Melde-, Anzeige-,<br />

Mitteilungs-, Auskunfts- und Duldungsvorschriften verstößt, angeordnete Untersuchungen<br />

nicht duldet o<strong>der</strong> sonstige, im IfSG genannte Pflichten verletzt, kann mit e<strong>in</strong>er<br />

Geldbuße i.H.v. bis zu € 25.000,- geanhdet werden.


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 179 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de<br />

XI. Muster


Rechtsanwalt <strong>Diel</strong>/<strong>Rechtskunde</strong> Krankenpflege/Stand: 20. März 2011/ Seite 180 von 180/Ke<strong>in</strong>e Gewähr für Inhalt und Richtigkeit/www.krankenpflegeausbildung.de

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