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Thesenpapier zu einer Neugestaltung des ... - Bodo Ramelow

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DIE LINKE. Fraktion im Thüringer Landtag, Jürgen-Fuchs-Straße 1, 99096 Erfurt<br />

Thüringer Innenminister<br />

Jörg Geibert<br />

Steigerstraße 24<br />

99096 Erfurt<br />

<strong>Thesenpapier</strong> <strong>zu</strong> <strong>einer</strong> <strong>Neugestaltung</strong> <strong>des</strong> Verfassungsschutzes<br />

in Thüringen<br />

Sehr geehrter Herr Geibert,<br />

<strong>Bodo</strong> <strong>Ramelow</strong><br />

Fraktionsvorsitzender<br />

Jürgen-Fuchs-Straße 1<br />

99096 Erfurt<br />

Telefon 0361 / 377 2323<br />

Telefax 0361 / 377 2416<br />

ramelow@die-linke-thl.de<br />

www.die-linke-thl.de<br />

Sparkasse Mittelthüringen<br />

Konto-Nr. 130 089 796<br />

BLZ 820 510 00<br />

Erfurt, 18.01.2013<br />

<strong>zu</strong>nächst möchte ich mich für die eingeräumte Möglichkeit der frühzeitigen Stellungnahme <strong>zu</strong> einem<br />

geplanten Vorhaben der Lan<strong>des</strong>regierung bedanken und Ihnen gerne die Auffassung der Fraktion<br />

DIE LINKE im Thüringer Landtag <strong>zu</strong> dem übersandten <strong>Thesenpapier</strong> <strong>zu</strong> <strong>einer</strong> <strong>Neugestaltung</strong> <strong>des</strong><br />

Verfassungsschutzes in Thüringen übersenden.<br />

Allerdings ist fest<strong>zu</strong>stellen, dass die dem <strong>Thesenpapier</strong> <strong>zu</strong>grunde liegende „Analyse der<br />

gegenwärtigen Organisation und Arbeitsweise <strong>des</strong> Thüringer Lan<strong>des</strong>amtes für Verfassungsschutz“<br />

von Dr. Schäfer und Dr. Klee den Fraktionen bisher nicht bekannt ist, so dass eine Bewertung<br />

lediglich der Vorschläge selbst vorgenommen, nicht aber ein Zusammenhang mit der durch die<br />

Gutachter vorgefundenen Arbeitsweise hergestellt werden kann. Im Sinne der im <strong>Thesenpapier</strong><br />

postulierten Transparenz und Offenheit der Arbeit <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>amtes in der Zukunft ist es<br />

alternativlos, mit den Analyseergebnissen der Arbeit <strong>des</strong> TLfV in der Vergangenheit ebenso<br />

transparent und offen um<strong>zu</strong>gehen. Insofern hoffen wir, dass die <strong>zu</strong>gesagte Übersendung Analyse<br />

zeitnah erfolgen kann.<br />

Die eingangs <strong>des</strong> <strong>Thesenpapier</strong>s vorgenommene Zielbestimmung, dass das TLfV ein<br />

„demokratisches Selbstverständnis leben“ muss, ist ein Offenbarungseid für die Tätigkeit <strong>des</strong><br />

Thüringer Lan<strong>des</strong>amtes für den Verfassungsschutz in den vergangenen mehr als 20 Jahren und für<br />

diejenigen, die diese Arbeit in diesem Zeitraum verteidigt und auch politisch genutzt haben. Die<br />

Zielbestimmung beschreibt aber <strong>zu</strong>gleich einen Grundkonflikt in der Tätigkeit eines<br />

Geheimdienstes, der seine Zuspit<strong>zu</strong>ng erfährt, wenn diesem Grundprinzipien der Transparenz, der<br />

Offenheit und der Kooperation nun auferlegt werden sollen, die in der Vergangenheit nicht galten.<br />

Dieser Grundkonflikt ist bei Beibehaltung eines mit nachrichtendienstlichen Befugnissen<br />

ausgestatteten Dienstes unabhängig <strong>des</strong>sen organisatorischer Einbettung unauflösbar. Aus diesem<br />

Grund ist für die Fraktion DIE LINKE ihre seit Jahren vertretene Forderung nach ersatzloser<br />

Abschaffung <strong>des</strong> Thüringer Lan<strong>des</strong>amtes für Verfassungsschutz weiterhin aktuell und grundlegend<br />

für die Bewertung <strong>des</strong> von Ihnen übersandten <strong>Thesenpapier</strong>s.<br />

Unsere Vorschläge <strong>zu</strong>r <strong>Neugestaltung</strong> eines tatsächlich gesellschaftlich verankerten und<br />

getragenen Schutzes von in der Verfassung verankerten politischen und sozialen Grundrechten<br />

sind Ihnen in Form <strong>des</strong> Entwurfes der Fraktion für ein Thüringer Gesetz <strong>zu</strong>r Auflösung <strong>des</strong><br />

Lan<strong>des</strong>amtes für Verfassungsschutz und Neuordnung der Aufgaben <strong>zu</strong>m Schutz


verfassungsrechtlicher Grundwerte vom 13.03.2012 in DS 5/4161 bekannt. Auf diesen möchten wir<br />

verweisen, ebenso auf die Ergebnisse <strong>einer</strong> von der Fraktion DIE LINKE am 08.06.2012<br />

durchgeführten Anhörung <strong>zu</strong>m Thema, die ich Ihnen beiliegend in Form der Dokumentation der<br />

Anhörungsbeiträge übersende.<br />

Verweisen möchten wir darauf, dass die Umset<strong>zu</strong>ng der von Ihnen vorgestellten Thesen unseres<br />

Erachtens <strong>zu</strong> einem erheblichen Ausbau <strong>des</strong> Geheimdienstes sowohl personell als auch technischorganisatorisch<br />

mit der entsprechenden haushalterischen Unterset<strong>zu</strong>ng führt, die wir bereits<br />

aufgrund der vorangestellten grundsätzlichen demokratietheoretischen Überlegungen strikt<br />

ablehnen und unserer Forderung nach Abschaffung <strong>des</strong> TLfV diametral entgegensteht.<br />

Mit dem von Ihnen vorgelegten <strong>Thesenpapier</strong> werden Vorschläge unterbreitet, die aus Sicht <strong>einer</strong><br />

grundsätzlichen Befürwortung eines nach innen gerichteten Geheimdienstes für sich betrachtet eine<br />

scheinbare Demokratisierung darstellen können, im Kern aber <strong>zu</strong> <strong>einer</strong> gefährlichen Tarnung eines<br />

Geheimdienstes als solchen durch die angestrebte zivilgesellschaftliche Verankerung führen und<br />

eine öffentliche Kontrolle sogar noch erschweren. Bevor <strong>zu</strong> einzelnen Vorschlägen dezidiert<br />

Stellung genommen wird, einige Anmerkungen <strong>zu</strong> im <strong>Thesenpapier</strong> unberührt gebliebenen<br />

Sachverhalten, die grundsätzlich wesensbildend für einen Geheimdienst sind und offenbar<br />

unangetastet bleiben sollen.<br />

Das <strong>Thesenpapier</strong> benennt als Zielstellung eine abschließende Aufzählung der Befugnisse in einem<br />

neu gestalteten Verfassungsschutzgesetz selbst, lässt aber den Anwendungsbereich der und die<br />

Eingriffsschwellen für die Befugnisse vollkommen unberührt. Demnach soll der Verfassungsschutz<br />

auch in Zukunft ohne einen konkreten Verdacht oder tatsächliche Anhaltspunkte <strong>einer</strong> Gefahr in<br />

Grundrechte in nicht unerheblichem Maße durch die verdeckte Erhebung von Daten und<br />

Informationen eingreifen können. Er bedient sich dabei <strong>des</strong> rechtlich unbestimmten Begriffes der<br />

„Bestrebung“, der kein konkretes bzw. planvolles Handeln erfordert, sondern regelmäßig<br />

Wertungsergebnis bestenfalls subjektiver Unterstellung, regelmäßig aber politischer Motivation ist.<br />

Auch die fortgesetzte Verwendung <strong>des</strong> Begriffes der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“,<br />

der keinesfalls juristisch in nachvollziehbarer Weise definiert ist und seit Jahrzehnten eher einem<br />

übergesetzlichen Dogma gleicht, eröffnet dem TLfV einen <strong>zu</strong>nächst schrankenlosen Zugriff auf den<br />

Befugniskatalog eines Nachrichtendienstes. Dies wird insofern noch belegt, dass im <strong>Thesenpapier</strong><br />

auf „extremistische Bestrebungen“ Be<strong>zu</strong>g genommen wird. Mit der Verwendung <strong>des</strong><br />

Extremismusbegriffs geht regelmäßig einher, dass alternative Demokratie- und<br />

Gesellschaftsvorstellungen und Minderheitenpositionen als politisch illegitim diskreditiert werden.<br />

Dieser aus dem Vorgenannten zwangsläufig entstehende demokratiefeindliche Charakter eines<br />

Geheimdienstes wäre nur dadurch <strong>zu</strong> beseitigen, wenn der Einsatz insbesondere<br />

nachrichtendienstlicher Befugnisse an das Vorhandensein eines konkreten Verdachtes und <strong>einer</strong><br />

daraus ab<strong>zu</strong>leitenden konkreten Gefahr bzw. an das Vorhandenseins <strong>einer</strong> bereits begangenen<br />

Straftat, was beispielsweise die Vorbereitung <strong>einer</strong> schweren staatsgefährdenden Gewalttat gem. §<br />

89a StGB und den Versuch <strong>des</strong> Begehens von Verbrechen einschließt, gekoppelt wäre. Dann aber<br />

würde sich die Befugnis <strong>zu</strong>r Abwehr <strong>einer</strong> Gefahr bzw. <strong>zu</strong>r Aufklärung <strong>einer</strong> Straftat bereits aus dem<br />

Polizeiaufgabengesetz bzw. der Strafprozessordnung ableiten. Damit würde <strong>zu</strong>gleich sichergestellt<br />

sein, dass das verfassungsrechtlich gebotene Übermaßverbot eingehalten wird, weil verdeckte<br />

Methoden der Informationsgewinnung nur dann <strong>zu</strong>m Einsatz kommen dürfen, wenn andere<br />

Ermittlungsmethoden mit einem geringeren Grundrechtseingriff nahe<strong>zu</strong> aussichtslos sind. In jedem<br />

Fall wäre ein Geheimdienst schlicht überflüssig, da sowohl im Gefahrenabwehrrecht als auch im<br />

Strafprozessrecht ausreichend Befugnisse <strong>zu</strong>m institutionellen Schutz vorrätig sind. Über deren<br />

Ausgestaltung und sowohl öffentliche als auch parlamentarische Kontrolle wäre an anderer Stelle<br />

<strong>zu</strong> diskutieren. Zur Frage der Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Schutzes verweise ich noch<br />

einmal auf den Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE in DS 5/4161 und auf unten stehende Nr. 5.<br />

Ungeachtet unserer grundsätzlichen Ablehnung <strong>des</strong> Fortbestan<strong>des</strong> <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>amtes für den<br />

Verfassungsschutz als Geheimdienst <strong>zu</strong> Vorschlägen im Einzelnen:


1. Die organisatorische Eingliederung <strong>des</strong> bisherigen TLfV als Abteilung in das Thüringer<br />

Innenministerium (Ziff. 1) mag Informationsverluste aufgrund bislang ein<strong>zu</strong>haltender<br />

Dienstwege verringern können, zwangsläufig ist dies in Anbetracht der technischen<br />

Kommunikationsmöglichkeiten ebenso wie auch der unterstellte Umstand, dass eine<br />

räumliche Trennung <strong>zu</strong> Inhaltsverlusten führt, nicht. Überdenkenswert ist aber die Tatsache,<br />

dass die mit der Einbindung <strong>des</strong> TLfV in das Ministerium verbundene Auflösung der<br />

Behörde, diese als solche sich der öffentlichen Wahrnehmung entzieht und damit<br />

insbesondere die öffentliche, aber auch die parlamentarische Kontrolle durch den Landtag<br />

als Ganzes sich erschwert. Auf die Gefahren für das Trennungsgebot wird in Nr. 3<br />

hingewiesen.<br />

2. Der Versuch der vollständigen und abschließenden Verrechtlichung der Befugnisse (Ziff. 6)<br />

und der Fachaufsicht (Ziff. 3) folgt dem Ansinnen, einen dem Wesen nach geheim und damit<br />

auch in weiten Teilen grenzenlos - weil nicht kontrollierbar – agierenden Dienst <strong>zu</strong> zügeln.<br />

Der demokratiefeindliche Charakter der untersten Eingriffsschwelle, weil ohne konkreten<br />

Verdacht auskommend und politisch beliebig interpretierbar, wird aber nicht dadurch<br />

überwunden, indem Befugnisse <strong>zu</strong>m Eingriff in Grundrechte abschließend aufgezählt<br />

werden. Damit würde zwar juristisch sauber dem Gesetzesvorbehalt entsprochen, der<br />

Grundrechtseingriff durch den Staat unter fragwürdigen Vorausset<strong>zu</strong>ngen aber weiterhin<br />

allein dadurch legitimiert werden, dass er im Gesetz verankert ist. Der grundsätzliche<br />

Widerspruch zwischen der rechtspraktischen Notwendigkeit und demokratietheoretischen<br />

Überlegungen ist wiederum nur durch die Überwindung <strong>des</strong> TLfV als Geheimdienst<br />

auf<strong>zu</strong>lösen.<br />

3. Ein weiteres Beispiel für den nicht auflösbaren Widerspruch ist das dem sogenannten<br />

Polizeibrief der Militärgouverneure der westdeutschen Besat<strong>zu</strong>ngszonen an den<br />

Parlamentarischen Rat vom 14. April 1949 <strong>zu</strong> entnehmende Trennungsgebot zwischen<br />

einem Geheimdienst und der Polizei sowie dem Informationsbegehren aus der Arbeit <strong>des</strong><br />

Geheimdienstes, das in den Thesen (Ziff. 1, 5) <strong>zu</strong>m Ausdruck kommt. Dem<br />

Informationsbegehren Folge <strong>zu</strong> leisten, bedeutet in der Konsequenz, ohne konkreten<br />

Verdacht verdeckt erworbene Informationen <strong>zu</strong>r Grundlage und <strong>zu</strong>m Gegenstand exekutiver<br />

Maßnahmen <strong>zu</strong> machen. Damit erhält die Polizei bei richtigerweise Fehlen eigener<br />

Kompetenzen im Polizeiaufgabengesetz das wenngleich nicht selbst steuerbare Instrument<br />

der Ermittlungen ohne konkreten Anfangsverdacht bzw. der Beschaffung eines<br />

Anfangsverdachts. Die fehlende Steuerbarkeit <strong>des</strong> Instrumentes wird darüber hinaus auch<br />

noch dadurch in Frage gestellt, dass der künftige Geheimdienst als gleichberechtigte<br />

Abteilung neben der Polizei im Innenministerium behördlich, organisatorisch als auch<br />

räumlich eingeordnet werden soll. Die dem <strong>Thesenpapier</strong> <strong>zu</strong> entnehmende faktische<br />

Abschaffung <strong>des</strong> Trennungsgebotes zwischen einem Geheimdienst und der Polizei bzw.<br />

<strong>des</strong>sen Reduzierung auf eine rein strukturell organisatorische Trennung findet unsere<br />

entschiedene Ablehnung. Entgegen der Auffassung einiger einseitig juristisch<br />

argumentierender Verfassungsrechtler sehen wir in dem Trennungsgebot eine den<br />

Erfahrungen <strong>des</strong> Nationalsozialismus entspringende Notwendigkeit <strong>einer</strong> qualitativen<br />

Trennung, die nicht allein durch eine strukturelle Trennung erfüllt sein kann.<br />

4. Besorgniserregend ist die Zielstellung der Verbesserung der „Internetkompetenz bei der<br />

Recherche“ (Ziff. 7). Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass hierbei das Nutzen<br />

einschlägiger Suchmaschinen und das Lesen öffentlich <strong>zu</strong>gänglicher Internetseiten gemeint<br />

sein kann, verstehen wir diese Zielstellung als die Absicht, künftig verstärkt unter<br />

Zuhilfenahme <strong>einer</strong> Legende in Foren und sozialen Netzwerken ohne Wissen der<br />

Betroffenen Informationen und personenbezogene Daten nachrichtendienstlich <strong>zu</strong> erlangen<br />

und den Bereich der technischen Überwachung unter Verwendung sogenannter<br />

Spähsoftware aus<strong>zu</strong>bauen. Diese beabsichtigte Ausweitung eines geheimdienstlichen


Betätigungsfel<strong>des</strong> ruft gleichermaßen wie andere geheimdienstliche Befugnisse selbst<br />

unsere begründete Ablehnung hervor.<br />

5. Als besonders ablehnenswert finden wir das Ansinnen, den nach innen, also gegen die<br />

EinwohnerInnen gerichteten Geheimdienst, „als leistungsfähige Institution in der Mitte der<br />

Gesellschaft“ <strong>zu</strong> positionieren (Ziff. 12). Es sollte sich gerade vor dem Hintergrund der<br />

historischen Erfahrungen in den neuen Bun<strong>des</strong>ländern verbieten, einen Geheimdienst, der<br />

Telefone abhört, Spitzel anwirbt, Wohnungen überwacht und Menschen observiert, einen<br />

zivilgesellschaftlichen Anstrich <strong>zu</strong> verpassen. Ebenso wird der Versuch <strong>zu</strong>rückgewiesen,<br />

einen solchen Geheimdienst mit einem zivilgesellschaftlichen Beirat (Ziff. 11)<br />

auf<strong>zu</strong>hübschen. Spitzelei und Überwachung stehen im krassen Widerspruch <strong>zu</strong><br />

Zivilgesellschaft und gesamtgesellschaftlichen Engagement <strong>zu</strong>m Schutz von politischen und<br />

sozialen Grundrechten. In diesem Zusammenhang ist auch die angestrebte Präsenz in der<br />

Öffentlichkeit (Ziff. 8) sowie verstärkte Angebote der Prävention und Bildung (Ziff. 9, 11)<br />

<strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>weisen. Ein Geheimdienst verliert nicht <strong>des</strong>halb seinen antidemokratischen<br />

Charakter, wenn er sich mit Demokraten umgibt oder diese mit seinen verdeckt und ohne<br />

konkreten Verdacht erworbenen Informationen versorgt. Diese Vorhaben charakterisieren<br />

wir als den Versuch, einen Geheimdienst als Teil <strong>einer</strong> zivilen Gesellschaft <strong>zu</strong> verklären und<br />

ihn als Geheimdienst <strong>zu</strong> tarnen.<br />

6. Die Übertragung eines Bildungsauftrages an einen Geheimdienst lehnen wir strikt ab. Hinter<br />

dem Ansinnen steht das Konzept eines „Verfassungsschutz durch Aufklärung“, das die<br />

Debatte um einen nach Innen gerichteten Geheimdienst seit <strong>des</strong>sen Gründung begleitet.<br />

Positiver Verfassungsschutz im Sinne <strong>einer</strong> Befähigung <strong>zu</strong>r demokratischen Partizipation<br />

erfordert eine aufklärerische und emanzipatorische Bildung, die den Grundsätzen der<br />

Einbeziehung <strong>einer</strong> gesellschaftskritischen Perspektive, der diskursiven<br />

Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit gesellschaftlichen Kontroversen, eines bestehenden<br />

Vertrauensverhältnisses, der Ergebnisoffenheit der aus der Analyse <strong>zu</strong> ziehenden Schlüsse<br />

und der Unabhängigkeit von staatlichen Interessen entsprechen muss. Diesen Grundsätzen<br />

kann ein Geheimdienst aufgrund s<strong>einer</strong> undemokratischen Aufgabenbeschreibung und<br />

deren politischer Interpretierbarkeit, s<strong>einer</strong> Machtposition, der Verwendung verdeckt<br />

gewonnener Informationen und seinem für die politische Bildung wenig sinnvollen<br />

Festhalten an der wissenschaftlich unbegründeten sogenannten Extremismustheorie nicht<br />

gerecht werden.<br />

7. Bis auf eine Ausnahme geht aus dem <strong>Thesenpapier</strong> an k<strong>einer</strong> Stelle hervor, wie die<br />

Notwendigkeit eines als Geheimdienst institutionalisierten Verfassungsschutzes überhaupt<br />

begründet wird. Dies erscheint auch folgerichtig, gibt es doch keine begründete<br />

Notwendigkeit, die innerhalb <strong>einer</strong> freiheitlich und demokratisch verfassten<br />

Gesellschaftsstruktur <strong>zu</strong> akzeptieren ist. Befugnisse <strong>zu</strong>m institutionellen Schutz sind – wie<br />

beschrieben – ausreichend vorhanden. Bleibt die in Ziffer 12 beschriebene vermeintliche<br />

Notwendigkeit der <strong>zu</strong>r Verfügung Stellung von „Wissen“ und „Analyse“ für die Politik. Die<br />

Erfahrungen haben gezeigt, dass es nicht an Wissen und Analyse gefehlt habe, sehr wohl<br />

aber an der Ernsthaftigkeit in der Politik, das bei JournalistInnen, antifaschistischen und<br />

bürgerrechtlichen Initiativen als auch bei wissenschaftlichen Institutionen breit vorhandene<br />

Wissen und die erarbeiteten Befunde <strong>zu</strong>r Kenntnis nehmen. Insofern ist zwar richtig, dass<br />

Polizei und Justiz kein Frühwarnsystem darstellen, daraus aber ein Fehlen eines<br />

Frühwarnsystems bei Abschaffung <strong>des</strong> Geheimdienstes ab<strong>zu</strong>leiten, negiert vollkommen<br />

gesellschaftliche Realitäten. Auch im Bereich der Prävention und Bildung (Ziff. 9, 11) gibt es<br />

keinen qualitativen Mangel, wohl aber in Teilen einen strukturellen, der mit <strong>einer</strong><br />

ausreichenden Finanzierung von Jugend- und Erwachsenenbildungsträgern sowie<br />

projektbezogen für Initiativen beseitigt werden kann. Eine Notwendigkeit für einen<br />

Geheimdienst lässt sich hieraus keinesfalls ableiten, vielmehr aber die der Evaluation <strong>des</strong><br />

Thüringer Lan<strong>des</strong>programms gegen Rechtsextremismus.


8. Die vermeintliche Ausweitung parlamentarischer Kontrollbefugnisse (Ziff. 13) lässt den<br />

geheimen Charakter der den Geheimdienst kontrollierenden parlamentarischen<br />

Kontrollkommission unberührt und macht die Berichterstattung der <strong>zu</strong> kontrollierenden<br />

Lan<strong>des</strong>regierung <strong>zu</strong>m Gegenstand der Kontrolle. Daraus ergeben sich zwangsläufig zwei<br />

Fragen. Zum einen die nach der Kontrolle der Kontrolleure und die <strong>zu</strong> den der Kontrolle<br />

entzogenen Bereichen, die nicht der Berichtspflicht der Lan<strong>des</strong>regierung unterliegen. Die<br />

parlamentarische Kontrolle wird <strong>zu</strong>dem dadurch unterlaufen, dass die Mitglieder <strong>des</strong><br />

Kontrollgremiums von Mitwissern <strong>zu</strong> Mitverantwortlichen (Ziff. 13, 4. Anstrich) gemacht<br />

werden sollen, mithin also die Kontrolleure sich selbst <strong>zu</strong>m Gegenstand der Kontrolle<br />

machen müssen.<br />

Sehr geehrter Herr Geibert,<br />

gerade der letzte Punkt verdeutlicht die grundsätzliche Schwäche <strong>des</strong> <strong>Thesenpapier</strong>s in aller<br />

Deutlichkeit. Das <strong>Thesenpapier</strong> geht gedanklich einen ersten richtigen Schritt, verliert dann die<br />

notwendige Konsequenz und bleibt am ideologischen Dogma der Notwendigkeit eines als<br />

Geheimdienst institutionalisierten Verfassungsschutzes, das dem sogenannten Kalten Krieg und<br />

der Zeit <strong>des</strong> Antikommunismus der BRD-alt entsprang, verhaftet. Die Folge ist, dass der<br />

zwangsläufig zwischen <strong>einer</strong> ohne totalitäre Staatselemente auskommenden freien Gesellschaft<br />

<strong>einer</strong>seits und andererseits einem Geheimdienst bestehende Widerspruch fortbesteht und in Teilen<br />

sogar noch <strong>zu</strong>gespitzt wird.<br />

Unsere politische Zielstellung ist es, diesen Widerspruch <strong>zu</strong>gunsten <strong>einer</strong> bürgerrechtlich verfassten<br />

Gesellschaft durch Abschaffung <strong>des</strong> Geheimdienstes auf<strong>zu</strong>lösen. Eine äußere Notwendigkeit <strong>zu</strong>m<br />

Fortbestand <strong>des</strong> als Geheimdienst institutionalisierten Verfassungsschutzes wird nicht gesehen.<br />

Auch in Kenntnis Ihrer hiervon abweichenden Position hoffe ich, Ihnen mit unserer Stellungnahme<br />

einige Anregungen für die weitere Debatte, die durch den aufgezeigten gesellschaftlichen<br />

Widerspruch <strong>zu</strong>vorderst auch immer eine politische Debatte über den Charakter eines<br />

demokratischen Staatswesens sein wird, gegeben <strong>zu</strong> haben.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

<strong>Bodo</strong> <strong>Ramelow</strong>

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