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Vorbemerkungen der Redaktion

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<strong>Vorbemerkungen</strong> <strong>der</strong> <strong>Redaktion</strong><br />

Uns smeint, daB man sim in <strong>der</strong> Vergangenheit siillsmweigend und viel zu<br />

selbstverstandlim daran gewohnt hat, das Ermittlungs- und Erkenntnisverfahren<br />

gegen den Besmuldigten einerseits und seine Resozialisierung an<strong>der</strong>erseits so<br />

streng voneinan<strong>der</strong> zti trennen, als ginge das eine das an<strong>der</strong>e nimts an, als sei<br />

das Ziel des Strafverfahrens nur darauf gerimtet, die Tat gewissermaBen memism<br />

rein herauszudestillieren, darzustellen, daB ihr Urheber sim durm die Tat<br />

yon <strong>der</strong> Gesellsmaft isoliert babe, urn dann erst mit clem Urteil an den Tater<br />

den Ansprum zu stellen, in die Gesellsmaft zurii~zufinden, bestenfalls eine<br />

solme Resozialisierung mehr o<strong>der</strong> weniger energism zu for<strong>der</strong>n. Es wird dies<br />

gerne mit <strong>der</strong> aus clem Remtsstaatsprinzip folgenden Unsmuldsvermutung geremtfertigt,<br />

die angeblim dazu zwinge, yon einer Resozialisierung erst zu spremen,<br />

wenn clem Angeklagten eine Straftat namgewiesen sei. Die sim damit<br />

ergebende Zweiteilung zwismen Strafverfahren und Resozialisierung ermoglimt<br />

es clem Rimter simerlim, sim yon <strong>der</strong> einzelnen vor ihm als Angeklagtem ersmeinenden<br />

Person zu distanzieren, die Tat yon clem Tater zu trennen, ermoglimt<br />

es ibm, Geremtigkeit zu iiben, wenn man unter Geremtigkeit die gleime<br />

Sanktion fiir die vergleimbare Tat versteht. Die Zweiteilung ermoglimt es aber<br />

aum, sim <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit diesem Individuum und seinen spezifismen<br />

Problemen, den Antworten dieses Mensmen auf drangende Fragen, einem<br />

degoutant hautnahen Kontakt zu entgehen. Wir wollen jedom nimt <strong>der</strong> billigen<br />

Frage na~spiiren, ob die 'Resozialisierung des Angeklagten nimt nur aus Bequemlimkeit<br />

auf die Zeit nam clem Urteil versmoben wird. Wir soli ten aber<br />

gegeniiber den Versumen, die Trennung yon Strafverfahren und Resozialisierung<br />

zu remtfertigen, iiberlegen, ob bier nimt Vorstellungen yom Sinn staatlimen<br />

Strafens in die Gegenwart iibertragen worden sind, die in ihrer Einseitigkeit in<br />

an sim iiberwundenen Epomen unseres Strafremtes wurzeln und die ein unbequemes<br />

Namdenken ersparen, ob die Veran<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Zielvorstellungen yom<br />

staatlimen Strafen durm die Betonung des Strafzwe~es <strong>der</strong> Resozialisierung<br />

nimt aum Veran<strong>der</strong>ungen in Einstellungen und Verhaltensweisen bei <strong>der</strong> Hand-<br />

~habung des Ermittlungs- und des Erkenntnisverfahrens yon Anbeginn an bedingen.<br />

Der Rimter, <strong>der</strong> sim den Strafzwe~en <strong>der</strong> General- und <strong>der</strong> Spezialpravention<br />

verhaftet sieht, kann als in Smwarz gehiillter Halbgott auf erhobenem<br />

Podest mit einem Strafansprum <strong>der</strong> Gesellsmaft drohep. ohne gegen die Unsmuldsvermutung<br />

des Angeklagten zu verstoBen? Nun, <strong>der</strong>, <strong>der</strong> keine Sc1tuld<br />

auf sim geladen hat, braumt nimts zu befiirmten, er steht mit den Normen <strong>der</strong><br />

Gesellsmaft im Einklang, und dies wird sim im Verfahren erweisen. VerstoBt<br />

<strong>der</strong> Staatsanwalt und <strong>der</strong> Rimter, <strong>der</strong> sim yon Anbeginn des Verfahrens an<br />

clem gesellsmaftlimen Ansprum darauf orientiert, je<strong>der</strong>mann babe sozialgemaB<br />

zu leben und entspremende Verhaltensweisen gegebenenfalls zu erlernen. auf<br />

diese Weise gegen remtsstaatlime Prinzipien?<br />

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Beeintramtigt das denjenigen, clem ein strafremtlim sanktionierter GesetzesverstoB<br />

nimt namgewiesen werden kann? Dabei miissen wir dom aum bedenken,<br />

daB deviantes Verhalten nur zu einem -nimt einmal erheblimen -Teil<br />

strafremtlim relevant ist. Die Sozialisationsdefizite, die ihm immer zugrunde<br />

liegen, konnen nur in verhaltnismaBig geringem Umfang im Ansd1luB an die<br />

Verurteilung durm den Strafrimter behandelt werden. Der Ansprum, Sozialisationshilfen<br />

zu bekommen, ist yom Strafremt losgelost und viel umfassen<strong>der</strong>,<br />

als <strong>der</strong> Teilaspekt <strong>der</strong> Resozialisierung, weil er aus clem Sozialstaatsprinzip des<br />

Art. 20 GG folgt. Bei finer strafremtlimen Verurteilung kann es nur darum<br />

gehen, daB <strong>der</strong> grundsatzlime Ansprum auf Sozialisationshilfen, den je<strong>der</strong>mann<br />

hat, sim mit einem Ansprum <strong>der</strong> Gesellsmaft an den Betroffenen ded..t. Es ist<br />

daher nid1t geredttfertigt, die Resozialisierung niit Hilfe <strong>der</strong> Unsd1uldsvermutung<br />

des Angeklagten aus clem Strafverfahren hinauszubefor<strong>der</strong>n.<br />

Freilim werden Gedankengange dieser Art yon <strong>der</strong> iiberwiegenden Mehrzahl<br />

<strong>der</strong> Rimter und Staatsanwalte nimt geteilt, und sie sind nimt einmal im Vordringen<br />

begriffen. Das Gegenteil smeint vielmehr <strong>der</strong> Fall zu sein, je selbstverstandlimer<br />

die Bewahrungshilfe Teil des Instrumentariums unseres Strafremts<br />

wird, je mehr <strong>der</strong> Strafvollzug sim <strong>der</strong> Resozialisierungsidee unterordnet, je<br />

arbeitsteiliger damit. das System unseres Strafremts begriffen werden kann.<br />

Hinzu mag nom nadt clem Taumel d~r sogenannten Liberalisierung des Strafremts<br />

cine gewisse Erniimterung kommen, eine gewisse, zum Teil bered1tigte<br />

Skepsis fiber das Vermogen des Justizjuristen, die Wie<strong>der</strong>einglie<strong>der</strong>ung des Delinquenten<br />

sinnvoll betreiben zu konnen. Sdton auBerlim kommt das in finer<br />

haufig kritisierten Abkehr <strong>der</strong> Rimter und Staatsanwalte vor allem zum Ausdrud..,<br />

was mit <strong>der</strong> Behandlung des Verurteilten wahrend <strong>der</strong> Strafvollstrekkung<br />

zu tun hat. Symptomatism hierfiir ist, daB vielerorts die Einfiihrung <strong>der</strong><br />

Strafvollstred..ungskammern als Fehlsdtlag empfunden wird, symptomatisdt<br />

audt die sim Jahr fUr Jahr wie<strong>der</strong>holenden Klagen <strong>der</strong> Bewahrungshelfer fiber<br />

das mangelnde Interesse <strong>der</strong> Ridttersmaft an ihrer Arbeit.<br />

Die smarfe Trennung zwisdten den Zielen des Strafverfahrens und denen<br />

staatlimen Strafens, die sidt aus <strong>der</strong> HaltUng <strong>der</strong> Ridttersdtaft ergibt, ist yon<br />

den Bewahrungshelfern, die sidt hier in finer Art Mittlerrolle zwismen Ridttern<br />

und Staatsanwalten einerseits und clem Betroffenen an<strong>der</strong>erseits fUhlen, immer<br />

wie<strong>der</strong> gebrandmarkt und in ihren vermeidbaren, negativen Auswirkungen herausgestellt<br />

worden. Haufig wird dabei darauf verwiesen, daB sid1 das Gerimt<br />

wahrend des Verfahrens nimt urn die Erkenntnisse kiimmert, die fin friiher eingesdtalteter<br />

Bewahrungshelfer sammeln konnte. Es wird ebenso beharrlid1 wie<br />

erfolglos gefor<strong>der</strong>t, clem Bewahrungshelfer in einem spateren Strafverfahren<br />

gegen den Probanden einen festen Platz zu versdtaffen. Urn iiberhaupt den<br />

Gedanken <strong>der</strong> Resozialisierung starker in das Verfahren einzubringen, wird die<br />

Idee propagiert, den ProzeB <strong>der</strong> Wahrheitsfindung yon clem <strong>der</strong> Straffestsetzung<br />

durm eine 'z;weiteilung des Verfahrens zu trennen. Diesen Bestrebungen, die<br />

zwangslaufig die Sdtwerfalligkeit des Strafverfahrens verstarken, wird freilidt<br />

entgegengehalten, daB <strong>der</strong> StrafprozeB heutzutage ohnehin zu lange dauert.<br />

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Aum steht einer <strong>der</strong>art tiefgreifenden Veran<strong>der</strong>ung des Strafverfahrensremts<br />

eine gewisse Reformunlust entgegen. Abgesehen davon muB man sim fragen ~<br />

das Beispiel <strong>der</strong> versandenden Strafvollstre~ungskammern und <strong>der</strong> Diskussion<br />

urn die Absmaffung <strong>der</strong> gerade erst gesmaffenen Fuhrungsaufsimt gibtdazu<br />

alIen AniaB -, ob die starkere Einbeziehung des Resozialisierungsziels in das<br />

Verfahren yom Gesetzgeber erzwungen werden kann, ja uberhaupt erzwungen<br />

werden sollte, solange die Zeit dafur nom nimt reif ist. Eine Veran<strong>der</strong>ung ist<br />

aum dadurm moglim und velleimt aum nur so wirklim wirksam zu erreimen,<br />

daB <strong>der</strong> Geist des Verfahrens veran<strong>der</strong>t wird. DaB dies keineswegs eine utopisme<br />

Vorstellung ist, smeint uns die inzwismen verklungene Debatte urn den<br />

ruden Ton vor Gerimt zu beweisen. "Eine <strong>der</strong> ,unangenehmsten Peinlimkeiten<br />

in deutsmen Gerimtssalen", smrieb Tumolsky im Jahre 1927, "ist die Oberheblimkeit<br />

<strong>der</strong> Vorsitzenden im Ton den Angeklagten gegenuber". Nom .1974<br />

berimtete die Tagespresse fiber Untersumungen des Psymologismen Institutes<br />

<strong>der</strong> Universitat in Hamburg, die jene Kritik bestatigte. Auf diesem Gebiet ist in<br />

den letzten Jahren ein entsmeiden<strong>der</strong> Wandel zum Besseren eingetreten, wobei<br />

allerdings aum cine veran<strong>der</strong>te Einstellung des Burgers gegenuber obrigkeitlimen<br />

Verhaltensweisen mitursamlim gewesen sein mag. Diese an<strong>der</strong>s gewordene Erwartungshaltung<br />

des Burgers gegenuber <strong>der</strong> Justiz, die vielfaltige Kritik an .<br />

ihren Institutionen yon alIen Seiten hat das Verstandnis dafur gewe~t, wie<br />

wimtig die Art und Weise des Umgangs mit clem Angeklagten bereits wahrend<br />

des Verfahrens fur sein weiteres Smi~sal sein kann, daB nimt alleine durm die<br />

yom Rimter fur ein bestimmtes Verhalten verhangte Sanktion, son<strong>der</strong>n smon<br />

durm das Verfahren an sim <strong>der</strong> LernprozeB in Gang gesetzt werden kann, <strong>der</strong><br />

eine .verlorengegangene Integration in die Gesellsmaft herstellen muB. In <strong>der</strong><br />

Dissertation des jungen Darmstadter Rimters Dieter Haberstroh, den wir gebeten<br />

haben, seine Oberlegungen clem Leserkreis ungerer Zeitsmrift naherzubring<br />

en, werden diese Gedanken im einzelnen ausgefuhrt. Die Autoren, die sim<br />

in den namfolgenden Beitragen zu clem Smwerpunktthema "Strafverfahren und<br />

Resozialisierung" auBern, haben als beson<strong>der</strong>es Problem die Verbesserung <strong>der</strong><br />

Kommunikation zwismen Gerimt und Angeklagtem in den Vor<strong>der</strong>grund gesmoben.<br />

Wir halten das ebenfalls fur ein entsmeidendes Anliegen, warnen aber<br />

davor, die Einbeziehung <strong>der</strong> Resozialisierungsidee in den ProzeB auf die Frage<br />

<strong>der</strong> Qualitat des Gesprams wahrend <strong>der</strong> Verhandlung zu reduzieren. Uns geht<br />

es darum, die Diskussion fiber einen Themenkreis in Gang zu halten, <strong>der</strong> es<br />

lohnt, bewegt, mit Ideen und Phantasie bewaltigt zu werden. Wir konnten uns<br />

vorstellen, daB am Ende des Denkprozesses, <strong>der</strong> bier nom zu leisten ware, die<br />

gegenwartige Antinomie zwismen Strafverfahren und Resozialisierung uberwunden<br />

werden kann. Das Strafverfahren gegen den Tater mit Sozialisationsdefiziten<br />

konnte dann als Teil des umfassenden Sozialisationsprozeses begriffen<br />

werden, in einen sol men ProzeB eingebettet ersmeinen. Das mag fur manmen<br />

eine feme Utopie sein und yon vielen bekampft werden. Oberlegungen dieser<br />

Art waren aber fur den Verein Deutsmer Bewahrungshilfe maBgebend, als er<br />

sim entsmloB, die Tragersmaft fur die Hamburger Haftentsmeidungshilfe zu<br />

ubernehmen, die den dortigen Haftrimterq die Moglid1keit bietet, die Erkennt-<br />

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nisse yon Sozialarbeitern zu nutzen, wenn es darum geht, Tatverdamtige von<br />

<strong>der</strong> Untersumungshaft zu versmonen, Haftbefehle zu erlassen o<strong>der</strong> auBer Vollzug<br />

zu setzen. Dieses Modell darE durmaus als ein Beitrag zum Thema "Strafverfahren<br />

und Resozialisierung" verstanden werden. Der Hinweis auf jenen<br />

Versum mag zugleim die Dimensionen aufzeigen, die sid1 hinter clem Sd1werpunktthema<br />

dieses Heftes verbergen, yon uns aber bewuBt au~geklammert wurden,<br />

um einige beson<strong>der</strong>s wimtige Bereime angemessen vertiefen zu konnen.<br />

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