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Begriff der „Verkehrsintelligenz“ - auto-Mobil

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

Bernd P. Rothenberger<br />

Einleitung: Der <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> <strong>„Verkehrsintelligenz“</strong> und sein Bezug zum Motto des 38.<br />

Kongresses für Verkehrspsychologie<br />

Das Motto des 38. BDP-Kongresses „Verkehrspsychologie bewegt – Personen, Systeme,<br />

Daten“ macht uns auf die intrinsische Komplexität des Phänomens <strong>der</strong> Bewegung<br />

aufmerksam. Wie ich zeigen werde liegt dem Phänomen <strong>der</strong> senso-motorischen Bewegung,<br />

wie <strong>der</strong> motorisierten Bewegung, eine Einheit und Einzigartigkeit zugrunde, die auch noch die<br />

psychologische Rationalitätsform <strong>der</strong> intelligenten Fahrzeugführung begründet. Die<br />

Rationalitätsform <strong>der</strong> Bewegung in <strong>der</strong> Zeit hat schon Platon erkannt und in <strong>der</strong> Einheit von<br />

bewegen und bewegt werden auf den <strong>Begriff</strong> gebracht. Diese Einheit will ich im folgenden<br />

beschreiben und zweierlei zeigen.<br />

Erstens, dass im Prozess des Autofahrens die intellektuellen Fertigkeiten nicht von den<br />

perzeptuell-motorischen Fertigkeiten des Fahrzeugführens getrennt werden können und dass<br />

beide Intelligenzformen wie<strong>der</strong>um nicht wertfrei und abgesehen von Tugenden und<br />

Gerechtigkeitsfragen betrachtet werden können. Zweitens, dass <strong>der</strong> unbestimmte Rechtsbegriff<br />

<strong>der</strong> „Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs“ nur dann korrekt begriffen werden kann, wenn<br />

er mit einem gemischt empirisch-normativen und damit anomalen ( nicht allein in einer<br />

naturwissenschaftlichen Sprache formulierbaren) <strong>Begriff</strong> explizit gemacht werden kann. Einen<br />

solchen <strong>Begriff</strong> habe ich im <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> <strong>„Verkehrsintelligenz“</strong> gefunden.<br />

Mit dem Tagungsmotto wird dreierlei suggeriert:<br />

- Erstens, dass die Verkehrspsychologie sich bewegt o<strong>der</strong> aber selbst bewegt sei.<br />

- Zweitens, dass die Verkehrspsychologie tatsächlich den Unterschied in <strong>der</strong> (natürlichen und<br />

kulturellen) Bewegung von Menschen – im Gegensatz zur (technischen o<strong>der</strong> elektronischen) Bewegung<br />

von Daten, Gütern, Systemen und Informationen- kennt und korrekt beschreiben kann. (Denn eine<br />

Beschreibung von Bewegung darf nur dann psychologisch genannt werden, wenn sie nicht nur eine<br />

physikalische Ortsverän<strong>der</strong>ung enthält, die eine Ordnung in <strong>der</strong> Beziehung zwischen Objekten darstellt.<br />

Sie muss auch eine geistige und soziale Verän<strong>der</strong>ung innerhalb <strong>der</strong> Identität beschreiben, was<br />

psychologisch als eine zeitliche Beziehung <strong>der</strong> Selbstentwicklung und als eine soziale Beziehung<br />

zwischen Subjekten begriffen werden muss.)<br />

- Drittens, dass die Verkehrspsychologie uns als Verkehrspsychologen bewegt und zwar im Sinne<br />

sowohl einer kognitiven Aktivierung als auch eines emotionalen Berührtseins durch die mo<strong>der</strong>nen<br />

gesellschaftlichen Konstruktionen von Verkehr, Transport und Verkehrspsychologie.<br />

All die folgenden Fragen, die mit unserem Tagungsmotto verbunden sind, bleiben rätselhaft und geben<br />

weiterhin Anlass zum Staunen. 1<br />

- Worin besteht die unauflösliche Verbindung von motorisierter Bewegung, Zeit und Selbst;<br />

- was macht Verkehrspsychologie (als wissenschaftliche Praxis) aus und wie unterscheidet; sie sich von<br />

Technik und (menschlicher) Natur, wovon sie abhängig ist,<br />

- welchem wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel unterliegen die begrifflichen und die<br />

politischen Bewegungen <strong>der</strong> Verkehrspsychologie 2 ,<br />

- wie ist <strong>Mobil</strong>ität in einer bewegten Welt von Verkehrsteilnehmern insgesamt zu verstehen und<br />

gegebenenfalls zu verän<strong>der</strong>n und nicht zuletzt:<br />

1<br />

Vgl. dazu den Vortrag von Xaver Bacherle (2002): Erlebtes Staunen, in diesem Band<br />

2<br />

Siehe mein Paper, in dem ich den begrifflich-theoretischen sowie den gesellschaftlich-normativen<br />

Rahmen einer nicht nur diagnostisch, son<strong>der</strong>n interventionistisch orientierten Verkehrspsychologie zu<br />

rekonstruieren versuche: „Über Verkehrspsychologie, Teil 1. Ms., Esslingen 1996<br />

5<br />

Der Körper-Seele-Dualismus in <strong>der</strong> Einteilung <strong>der</strong> Gebiete sicherer, Menschen möglicher Erfahrung und<br />

Erkenntnis wie<strong>der</strong>holt sich <strong>der</strong>zeitig innerhalb <strong>der</strong> psychologischen Wissenschaft als Geist-Gehirn-<br />

Dualismus und verwirrt die Forscher ebenso stark, wie er sie motiviert, ihn einseitig aufzulösen: entwe<strong>der</strong><br />

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aus.<br />

- welche Denk- und Gemütsbewegung löst die Verkehrspsychologie in uns Verkehrspsychologen<br />

Schwierigkeiten im Verständnis psychomotorischer Bewegungen<br />

Wir verstehen spontan, was jemand tut, wenn er Auto fährt und bemüht ist, sich im<br />

Straßenverkehr rücksichtsvoll gegenüber an<strong>der</strong>en Verkehrsteilnehmern zu verhalten. Wenn wir<br />

aber wissen wollen, was jemand tut, <strong>der</strong> Auto fährt, dann verstehen wir das nicht von selbst.<br />

Unser Verständnis <strong>der</strong> psychologischen Grundlagen des Erwerbs und des Aufbaus von<br />

psychomotorischen Operationen ist verglichen mit dem Verständnis von kognitiven Operationen<br />

immer noch sehr unterentwickelt. Wenn wir miteinan<strong>der</strong> über das Gebiet von „Kognition,<br />

Handeln, Sprache, Gedächtnis, und Wissen“ kommunizieren, dann können wir leicht feststellen,<br />

ob wir über das Selbe reden und ob <strong>der</strong> jeweils Zuhörende schon begriffen hat, was <strong>der</strong> jeweilig<br />

Sprechende gerade gemeint hat. Wenn wir aber miteinan<strong>der</strong> über das Gebiet von „Bewegen<br />

und Bewegt-werden“ kommunizieren, wie z.B. auf Bäume klettern, rote Beeren vor grünem<br />

Hintergrund pflücken, Auto o<strong>der</strong> Motorrad fahren, Tanzen, Fechten, Fußball spielen, dann<br />

verirren wir uns leicht in den Worten und <strong>Begriff</strong>en, die wir benutzen. Wie wird das Denken<br />

damit fertig? Wir vollziehen im Denken und Sprechen – gedankenlos und wie<br />

selbstverständlich - die die Mo<strong>der</strong>ne kennzeichnende Körper-Seele-Spaltung, die auch bei <strong>der</strong><br />

Einteilung <strong>der</strong> Wissens- und Forschungsgebiete in Psychologie, Soziologie, Politik und<br />

Geschichte einerseits und in Physiologie, Neurobiologie, Neurochemie und Genetik an<strong>der</strong>seits<br />

Pate stand. 5<br />

Wie ich später (im Abschnitt: „Von <strong>der</strong> Kraftfahreignung zur <strong>„Verkehrsintelligenz“</strong>) genauer<br />

zeigen werde, handelt es sich um das gleiche Phänomen <strong>der</strong> Spaltung in Körper (Bewegung<br />

und Handeln) und Geist (Selbstgefühl und Denken): in <strong>der</strong> Praxis bemühen wir uns, und in <strong>der</strong><br />

Regel gelingt es uns auch, elegant und sicher Motorrad zu fahren, wissen aber nicht, dass es<br />

sich hierbei um hochkomplexe und hochintelligente Leistungen handelt. Im Denken<br />

überbewerten wir den Unterschied zwischen psychomotorischen und kognitiven Leistungen,<br />

statt unseren psychomotorischen Bewegungen die Intelligenz zurückzugeben, die sie in sich<br />

haben und die in unserem Leib "verkörpert" sind. Damit sind wir beim <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>„Verkehrsintelligenz“</strong> angekommen, dessen wahre Bedeutung mir erst nach und nach klar<br />

geworden ist.<br />

Verkehrsintelligenz als die zentrale Frage <strong>der</strong> Verkehrspsychologie<br />

Es geht es um die wissenschaftlich spannende Frage: Wie konnte es dem mo<strong>der</strong>nen Mensch<br />

gelingen, nicht nur diejenigen kognitiven o<strong>der</strong> intelligenten, son<strong>der</strong>n auch diejenigen<br />

personalen und sozialen Fähigkeiten zu entwickeln, die den so komplexen psychomotorischen<br />

Prozessen wie dem Bewegen von Kraftfahrzeugen sowie dem motorisierten Bewegtwerden im<br />

heutigen Straßenverkehr zugrunde liegen. Wir Verkehrspsychologen, so meine ich, sollten<br />

in einem naturalistischen Monismus (die neurobiologischen Kognitionswissenschaften) o<strong>der</strong> in einem<br />

existenziellen Dualismus (Geistes- und Sozial- versus Naturwissenschaften). Die weitere Entwicklung<br />

wird mit guten Gründen auf einen nicht-naturalistischen Monismus (eine Art „objektiven Idealismus“ wie<br />

ihn Jean Piaget in seinem Forschungsprogramm verfolgt hat) hinauslaufen. Siehe mein Papier: Darwin,<br />

Piaget und Entwicklung, Ms.: Esslingen, 2001<br />

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darauf eine (Kopf und Hand) umfassende psychologische und nicht bloß eine kognitive Antwort<br />

parat haben. 6 Dies schon deshalb, weil es bei dem Phänomen <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz um mehr<br />

geht als um die bloß naturalisierte Beschreibung und Verän<strong>der</strong>ung psychomotorischer und<br />

kognitiver Fähigkeiten. Es handelt sich zusätzlich auch um das praktisch normative Problem<br />

<strong>der</strong> Fahreignung, um das, was man mit dem Charakter, mit den praktischen Prinzipien o<strong>der</strong> mit<br />

den Tugenden des guten Kraftfahrers meint. 7<br />

Statisch betrachtet geht es bei dem Phänomen <strong>der</strong> motorisierten Bewegung im Straßenverkehr<br />

um eine doppelte Verwandlung im Prozess <strong>der</strong> zunehmenden Distanzierung von Mensch und<br />

Natur mit Hilfe <strong>der</strong> Technik. Der Mensch verwandelt sich in eine Naturkraft, die <strong>der</strong> Fahrer<br />

immer dann an sich selbst erfährt, wenn er sich in seinem Fahrzeug im Straßenverkehr<br />

bewegt: das Subjekt „Mensch“ wird in <strong>der</strong> Verkehrsteilnahme zu dem technisch bewegten<br />

Objekt „Autofahrer“, das seine Subjektivität dabei jedoch nicht verliert. Gleichzeitig wird auch<br />

das Objekt „Fahrzeug“ in ein geliebtes Objekt 8 <strong>der</strong> technischen Beherrschung von Natur<br />

verwandelt, insofern es von Technikern hergestellt wurde und von Menschen benutzt wird.<br />

Damit ist die Naturkraft <strong>der</strong> Bewegung durch den Menschen technisiert, humanisiert und<br />

sozialisiert geworden. An<strong>der</strong>s ausgedrückt: während <strong>der</strong> Verkehrsteilnahme wird das technisch<br />

hergestellte „Kraftfahrzeug“ - als ein den Gesetzen <strong>der</strong> empirischen Natur folgendes Objekt „<br />

motorisiertes Fahrzeug“ - in das humanisierte und sozialisierte, den normativen Gesetzen <strong>der</strong><br />

Politik und des Rechts folgende Objekt „mein Auto“ verwandelt.<br />

Genetisch betrachtet ereignet sich diese technisch hergestellte Verwandlung im Verlauf <strong>der</strong><br />

Entwicklung von Subjekt und Objekt immer als eine sensomotorische und zugleich intelligente<br />

Bewegung in <strong>der</strong> Zeit. 9<br />

Einheit von <strong>Mobil</strong>ität, Emotion und Zeit in <strong>der</strong> Geschichte<br />

Im Folgenden gehe ich nur die Frage nach <strong>der</strong> unauflöslichen Verbindung von motorisierter<br />

Bewegung, Selbstbewegung und Zeit ein. Ich konzeptualisiere die Verbindung von Bewegung<br />

und Zeit als eine (einer Entwicklungslogik folgende) Einheit von natürlicher und zugleich<br />

technisch hergestellter Bewegung von Kraftfahrzeugen einerseits und von Verän<strong>der</strong>ung des<br />

Fahrers im lebensumspannenden Verlauf seiner Verkehrsteilnahme an<strong>der</strong>erseits. Dafür bringe<br />

ich die Einheit <strong>der</strong> Bewegung von (technisch hergestelltem) Automobil und (<strong>auto</strong>mobil<br />

gemachtem) Autofahrer in <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz auf den <strong>Begriff</strong>.<br />

In <strong>der</strong> Erfahrung von Bewegung verbergen sich so große kognitive Dissonanzen und grundbegriffliche<br />

Verwirrungen, dass es 2000 und mehr Jahre gedauert hat, bevor diese Wi<strong>der</strong>sprüche<br />

im Rahmen einer Theorie gefasst und damit begreifbar gemacht werden konnten.<br />

6 Die Sicht <strong>der</strong> kognitiven Psychologie wird umfassend dargestellt von: Groeger, J.A.: Un<strong>der</strong>standing<br />

driving. Applying cognitive psychology to a complex everyday task. East Sussex: Psychology Press,<br />

2000<br />

Die handlungstheoretische Sicht, wonach psychomotorische und kognitive Fertigkeiten ( Akte des<br />

Wahrnehmens, Bewegens und Denkens) sich psychologisch eher gleichen als unterscheiden, insofern<br />

alle Formen <strong>der</strong> Erfahrungsbildung und des Wissenserwerbs performatorisch sind, wird als Überblick<br />

brillant dargestellt von D.A. Rosenbaum, R.A. Carlson, Rick O. Gilmore: Acquisition of Intellectual an<br />

Perceptual-Motor-Skills, in: Ann. Rev. Psychol., 2001, 52; 453-70.<br />

7 Damit ist zunächst nur das Problem einer wissenschaftlich anschlussfähigen und praktischen<br />

Verkehrspsychologie unverzerrt und theoretisch unverkürzt benannt. Dennoch ist praktisch viel erreicht,<br />

denn das Problem einer Verkehrssicherheitsarbeit muss als solches begriffen sein, bevor man das<br />

gesellschaftliche Problem <strong>der</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Verkehrssicherheit in <strong>der</strong> Praxis erfolgreich bewältigen<br />

kann.<br />

8 Siehe dazu die umfassende Darstellung geliebter Objekt von Tilman Habermas, 1996<br />

9 Bruno Latour (1998) beschreibt nicht nur eine Verwandlung, son<strong>der</strong>n eine vollkommen neue<br />

Erschaffung von bislang unbekannten Wesen, die aus einer Vermischung von Natur und Kultur, sowie<br />

aus <strong>der</strong> Trennung des Menschen und <strong>der</strong> Gesellschaft von <strong>der</strong> Natur entstanden sind. Es handelt sich<br />

dabei um "Hybriden o<strong>der</strong> "Quasi-Objekte"", die damit sowohl natürlich, als auch sozial determiniert sind.<br />

Das Automobil ist ein gutes Beispiel für solch einen geliebten Hybriden.<br />

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Zenon hebt mit seiner argumentativen Kraft die Bewegung auf, indem er auf die Wi<strong>der</strong>sprüche<br />

<strong>der</strong> Bewegung im Sinne einer Ortsverän<strong>der</strong>ung hinweist. In seinem berühmten Beispiel läuft <strong>der</strong><br />

schnellfüßige Achill vergeblich <strong>der</strong> ungleich langsameren Schildkröte nach. Indem er sich<br />

bewegt ist er nicht mehr am ersten Ort, aber noch nicht am zweiten. Das gleiche gilt für die<br />

Bewegungen <strong>der</strong> Schildkröte. Achill wird mithin die Schildkröte niemals einholen können. Gibt<br />

es also keine Bewegung und wenn doch, was setzt sie voraus?<br />

Platon begreift die Seele als eine Selbst-Bewegte o<strong>der</strong> eine Selbstbewegliche. Im Deutschen<br />

haben wir für diese Selbstbewegung das gemischt griechisch-lateinische Wort „Automobil“.<br />

Noch heute bezeichnen die Griechen das mechanisierte Fahrzeug, das wir „Automobil“ nennen<br />

mit dem Wort „Autokineton“. Platons Konzept von Seele als geordneter Selbstbewegung meint,<br />

dass es die Zeit ist, die die Seele konstituiert und dass die Zeit die Seele zu einer Ordnung von<br />

Bewegung macht. Sich aus sich heraus bewegen zu können, genauer: von sich aus immer<br />

wie<strong>der</strong> neu anfangen zu können, das ist für Platon <strong>der</strong> nicht-mechanistische, auf dem Prinzip<br />

<strong>der</strong> Lebendigkeit beruhen<strong>der</strong> <strong>Begriff</strong> von Seele. Ein auf solche Weise selbstbewegtes, wie wir<br />

heute sagen, psychologisch strukturiertes Konzept <strong>der</strong> Ordnungs- und Bedeutungsfunktion von<br />

„Seele“ resultiert weniger aus direkter, subjektiver Erfahrung im Umgang mit Bewegung, als<br />

vielmehr aus einer reflexiven Vertrautheit mit sich selbst als einem intentional handelnden,<br />

denkenden und fühlenden (e-motionalen) 10 Wesen. Nach Platon resultiert das nichtmechanistische<br />

Konzept von Psyche auf einer Selbstbezüglichkeit, in <strong>der</strong> das Bewegende und<br />

das Bewegte dasselbe sind. Ist es aber nicht ein hölzernes Eisen, wenn von einer Bewegung<br />

gesprochen wird, die sich selbst bewegt? O<strong>der</strong> haben wir Menschen ein angeborenes<br />

Gewissen, das uns ermöglicht, im Verlauf unserer Entwicklung die Fähigkeit zu erwerben uns<br />

untereinan<strong>der</strong> moralisch zu verantworten und uns und die an<strong>der</strong>en als selbstbewegte und damit<br />

als freie und frei bewegliche Wesen zu verstehen, die unserem Selbst ähnlich sind?<br />

Leibniz und Newton lösen das Rätsel von Zenon auf, wie Ortsverän<strong>der</strong>ung durch Bewegung<br />

möglich sind und können als erste erklären, warum sich die Geschwindigkeiten von Objekten im<br />

freien Fall erhöhen.<br />

Darwin und die Anthropologie des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts konnten die aristotelische Bestimmung des<br />

Menschen als politisches Wesen verständlich machen, wonach Tiere im Gegensatz zu Pflanzen<br />

im Raum wohl Pfade haben, aber nur Menschen die Technik entwickeln konnten, Wege und<br />

Straßen herzustellen. 11<br />

Und erst Piaget gelang es begreifbar zu machen, dass und warum Tiere und Kleinkin<strong>der</strong> mit<br />

dem Bewegungsvermögen ihres Leibes (in Weiterentwicklung ihres Systems sensomotorischer<br />

Operationen) präoperative Denkbewegungen ausführen können, in keinem Fall aber konkrete<br />

und abstrakte Sprechbewegungen o<strong>der</strong> kritisch-reflexive Denkbewegungen.<br />

In meinem Vortrag will ich mich, wie gesagt, auf die erste Frage nach <strong>der</strong> verzeitlichten<br />

Beziehung von Bewegung (Intelligenz) und Emotion (Selbst) beschränken. Die Antwort, die ich<br />

im <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz gebe, ist eine platonische. Sie geht von <strong>der</strong> im Menschen sich<br />

zeigen<strong>der</strong> Einheit von Zeit und Selbst aus. Die begriffliche Brüche und die psychophysischen<br />

Ungereimtheiten einer technisch bewegten intelligenten Bewegung werden in ihrer<br />

Konzeptualisierung aufgelöst, indem die erkannten Wi<strong>der</strong>sprüche in einer Theorie <strong>der</strong><br />

Verkehrsintelligenz begrifflich erfasst und damit begreifbar gemacht werden.<br />

Noch eine letzte Vorbemerkung: Beim Thema „Begreifen von Verkehrsintelligenz“ geht es mir<br />

weniger um ein philosophisches Glasperlenspiel mit <strong>Begriff</strong>en, als darum, dem Mangel an<br />

10<br />

Im "Langenscheidts Großes Schulwörterbuch Lateinisch-Deutsch" werden die Wörter motus und<br />

moveo folgen<strong>der</strong>maßen übersetzt: motus, us m (moveo) 1. a) Bewegung meist als Zustand = das<br />

Sichbewegen od. Bewegtwerden; b) Lauf, Gang, Wendung; c) Erschütterung d) Aufbruch, Abreise; e)<br />

Körperbewegung, taktmäßige Bewegung, Tanz; f) mil. Schwenkung; 2. a) Gemütsbewegung, Erregung,<br />

Leidenschaft; b) geistige Tätigkeit; c) Trieb, Antrieb, Begeisterung; 3. politische Bewegung, Aufstand,<br />

Aufruhr, auch politische Umwälzung 4. (bei Quintilian) (rhet. t.t.) bildlicher Ausdruck, Tropus – motu<br />

proprio (aus eigenem Antrieb) Formel in Reskripten <strong>der</strong> Päpste, die auf <strong>der</strong>en eigene Anregung<br />

zurückgehen.<br />

11<br />

: Maxwell G. Lay: Die Geschichte <strong>der</strong> Straße. Vom Trampelpfad zur Autobahn. Frankfurt: Campus,<br />

1994, beschreibt in <strong>der</strong> Kultur- und Technikgeschichte <strong>der</strong> <strong>Mobil</strong>ität, wie im Prozess <strong>der</strong> Zivilisierung <strong>der</strong><br />

Bewegung die Tierpfade vom Mensch in ein einheitliches System gebracht wurden.<br />

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wissenschaftlichen und politischen Begreifen in <strong>der</strong> Praxis entgegenzuwirken, einem Mangel,<br />

<strong>der</strong> auf ein frühes Entwicklungsstadium einer gering entwickelten theoretischen Kultur hinweist<br />

- nicht nur in <strong>der</strong> Verkehrspsychologie, son<strong>der</strong>n auch in <strong>der</strong> psychologischen Wissenschaft<br />

insgesamt.<br />

Entwicklung von <strong>Mobil</strong>ität: zunehmende Distanz von Mensch und Umwelt<br />

Erst <strong>der</strong> erwachsene Mensch kann die Distanz zwischen sich selbst und seiner Mit- und Umwelt<br />

so weit vergrößern, dass er zu einer bewussten Lebensführung, sowie zu sozialen und<br />

politischen Denkbewegungen fähig wird. Das abstrakt o<strong>der</strong> reflexiv operatorisch denkende<br />

Individuum kann sich selbst als Teil einer Pluralität von Welten begreifen und nicht nur als Teil<br />

einer konkret sichtbare, fühlbare o<strong>der</strong> hörbare Welt. Es allein ist fähig diese seine Bil<strong>der</strong>,<br />

Befindlichkeiten und inneren Stimmen zu seinem eigenen Verhalten, innerem Erleben und<br />

Wollen in Beziehung zu setzen. Es wird fähig sich nach selbst gegebenen Maßstäben glücklich<br />

o<strong>der</strong> verzweifelt zu fühlen, indem es in <strong>der</strong> Zeit in eine Distanz zu seinem bewussten Handeln,<br />

Wollen und Erleben geht. Diese Leistungen sind immer an den Leib, den wir Menschen haben,<br />

gebunden o<strong>der</strong> genauer ausgedrückt: sie sind in dem Leib, <strong>der</strong> wir sind „verkörpert“.<br />

Dies kann zu <strong>der</strong> Einsicht führen, dass die perzeptuell-motorischen Fertigkeiten zum Führen<br />

eines Fahrzeugs nicht weniger intelligent sind als die kognitiven und sozialen Fertigkeiten.<br />

Bedenken wir dazu folgendes: im Jahre 1997 hat man ein Computerprogramm entwickelt, das<br />

den amtierenden Weltmeister im Schach besiegen konnte, aber immer noch nicht einen<br />

Roboter, <strong>der</strong> so erfolgreich auf einen Baum klettern kann wie ein fünfjähriger Junge,<br />

geschweige denn einen Roboter, <strong>der</strong> ein Auto so intelligent auf unseren Straßen und Plätzen zu<br />

bewegen weiß, wie ein 18-jähriger Fahranfänger. Dies bedenkend erkennen wir leicht, dass<br />

unser psychologisches Verständnis <strong>der</strong> psychologischen Grundlagen perzeptuell-motorischer<br />

Fertigkeiten und raum-zeitlicher Orientierung noch sehr gering entwickelt ist verglichen mit dem<br />

Verständnis, das wir in <strong>der</strong> Psychologie über die kognitiven und sozialen Fertigkeiten des<br />

Handelns, Entscheiden und Nachdenkens entwickelt haben.<br />

Im Gegensatz zum Mensch kann ein Affe Kognitionen und Emotionen, z.B. Angst nur direkt und<br />

ohne Distanz zu seinem Verhalten fühlen und infolge davon nur Fluchtbewegungen ausführen.<br />

Ein Affe ist wohl ein fühlendes und auch intentional handelndes Wesen, aber erst <strong>der</strong> Mensch<br />

kann sich als fühlendes und denkendes Wesen begreifen. Aus dieser Differenz, welche die<br />

Intelligenz und die Einheit von Bewegen (Nachdenken) und Bewegtwerden (Wahrnehmen,<br />

Fühlen) im menschlichen Handeln betont, wird die zentrale theoretische Frage <strong>der</strong><br />

Verkehrspsychologie verständlich: Wie ist <strong>der</strong> Zusammenhang in <strong>der</strong> Einheit von motorisierter<br />

Bewegung, intelligenten Kognitionen und reflexivem Selbst zu denken?<br />

Wenn nun die durch technisch hergestellte <strong>Mobil</strong>ität bedingte zunehmende Distanzierung von<br />

Mensch und Natur im Nachdenken bewusst wird, können diese immer noch unbegriffenen<br />

Distanzerfahrungen in <strong>der</strong> verkehrspsychologischen Therapie an den auffälligen<br />

Verkehrsteilnehmer weitergegeben werden. Auf diese Weise trägt die verkehrspsychologische<br />

Theorie und Therapie sowohl zur individuellen Bewältigung <strong>der</strong> durch die motorisierte <strong>Mobil</strong>ität<br />

bewirkten Distanz von Mensch und Natur bei, als auch zur För<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Kompensation <strong>der</strong><br />

Verkehrsintelligenz <strong>der</strong>jenigen, die mit <strong>der</strong> Vergrößerung dieser Distanz von Mensch und Natur<br />

im Straßenverkehr noch nicht zurechtgekommen sind. Und diese verkehrspsychologische<br />

Leistung gelingt in <strong>der</strong> Praxis auch. Sie darf aber erst dann als wirksam gelten, wenn auch<br />

theoretisch begriffen wurde, warum es die von Natur aus bedingte Mittelbarkeit von Mensch und<br />

Natur ist, die durch technisch hergestellte <strong>Mobil</strong>ität noch mehr vergrößert wurde. Und wenn<br />

auch begriffen wurde, dass es diese Distanz selbst ist, die dem Entwicklungsprozess <strong>der</strong><br />

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Vergrößerung des Abstands zwischen <strong>auto</strong>mobil gewordenem Subjekt „Fahrer“ und <strong>auto</strong>mobil<br />

gemachten Objekt „Fahrzeug“ zugrunde liegt. 12<br />

Das Phänomen <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

Beginnen wir mit einer naiv-psychologischen Beschreibung des Phänomens <strong>der</strong><br />

Verkehrsintelligenz und erinnern uns staunend an die folgenden drei Themen:<br />

1 Der Wunsch nach <strong>Mobil</strong>ität in Raum und Zeit ist ein uralter Traum <strong>der</strong> Menschheit.<br />

Bewegen und Sehen sind biologische Grundbedürfnisse des Menschen. Die<br />

Koordination von Motorik und Sensorik stellen den Beginn menschlicher Tätigkeit wie<br />

Wahrnehmen, Wollen, Fühlen und Nachdenken dar. Ein breiter Sektor <strong>der</strong> Technik gilt <strong>der</strong><br />

Motivation, die auf die Koordination von Bewegung und Sehen ausgerichtet ist. Die technische<br />

Herstellung von Geschirr, Sattel und Steigbügel haben es dem Menschen ermöglicht,<br />

bequemer zu reiten und tierische Zug- und Tragkräfte optimaler zu nutzen.<br />

Die Erfindung des Rades machte es geradezu zum Symbol <strong>der</strong> Technik. Ohne Rad gäbe es<br />

keine Drehbank, keine Spinnfabrik, we<strong>der</strong> Schiff, Flugzug, Auto, noch Eisenbahn, aber auch<br />

keine Globalisierung, kein Tourismus und keine mo<strong>der</strong>ne Wirtschaft.<br />

Die Bewegung von Fahrzeugen ohne Pferde hat die menschliche Phantasie seit dem Altertum<br />

beschäftigt. Vorbil<strong>der</strong> fand <strong>der</strong> Mensch in <strong>der</strong> tierischen Muskelkraft, im Wind und im Dampf,<br />

mithin in <strong>der</strong> Natur. Noch die Bewegungen des Fliegens hatte Natur, nämlich den Vogelflug<br />

zum Vorbild. Erst die Raketen hatten keine Vorläufer mehr in <strong>der</strong> Natur. Die Raumfahrt<br />

entwickelte sich ganz aus dem menschlichen Geist, aus <strong>der</strong> Einheit von menschlicher<br />

Phantasie, technischem Können, sozialer Organisation und wissenschaftlichem<br />

Erkenntnisdrang. Diese Einheit von Technik, Wissenschaft und Phantasie wie<strong>der</strong>um<br />

verweist auf eine Vision von Verkehrsintelligenz. 13<br />

2 Vielleicht kann uns die Erfahrung <strong>der</strong> Unterschiede in <strong>der</strong> Bewegung und in <strong>der</strong> ihr zugrundeliegenden<br />

räumlichen Intelligenz von Tier und Mensch lehren das Wesentliche und<br />

Beson<strong>der</strong>e des menschlichen Verkehrsverhalten genauer zu verstehen.<br />

Bei einem Besuch in einem Zoo können wir uns fragen, welche Unterschiede und<br />

Gemeinsamkeiten es in <strong>der</strong> spezifischen Beweglichkeit von Tier und Mensch gibt und ob wir in<br />

den Unterschieden <strong>der</strong> Tiere untereinan<strong>der</strong> und in dem Unterschied und <strong>der</strong> Gemeinsamkeit<br />

zwischen Tier und Mensch eine Entwicklungslogik von Bewegung und Leiberfahrung erkennen<br />

können. Stellen die Hilfsmittel im Zoo, die den einzelnen Tierarten zur Verfügung gestellt<br />

werden, damit sie sich auch in ihrer neuen Umgebung wohl fühlen und möglichst frei und<br />

artgemäß bewegen können, nicht biologisch sensible Techniken dar, die den Besuchern die<br />

unterschiedlichen Intelligenzformen in <strong>der</strong> Bewegung und räumlichen Orientierung von Tier und<br />

Mensch verständlich machen können?<br />

In <strong>der</strong> folgenden Reihe <strong>der</strong> Übergänge vom Fisch zum Mensch können wir erste Umrisse einer<br />

Entwicklungslogik <strong>der</strong> Bewegung in den speziesspezifischen Raumfel<strong>der</strong>n erkennen:<br />

• Für die spezifische Bewegungsfähigkeit von Fischen braucht es nur Wasser, um ihre<br />

Bewegungsintelligenz zu zeigen und zu för<strong>der</strong>n.<br />

12<br />

Jean Piaget hat fast sein gesamtes wissenschaftliches Werk <strong>der</strong> Beschreibung dieses<br />

Äqulibrationsprozesses gewidmet und in seinem Buch „Biologie <strong>der</strong> Erkenntnis“ (1970) diesen Prozess<br />

dadurch auf den <strong>Begriff</strong> gebracht, dass er einen Parallelismus zwischen sensomotorischen<br />

<strong>Mobil</strong>itätsformen und den entsprechenden psychologischen Formationsprozessen annimmt.<br />

13<br />

Die Freiheit zur Verän<strong>der</strong>ung des uns sinnlich Gegebenen mit Hilfe von selbstkonstruierten<br />

motorischen Bil<strong>der</strong>n weist auf eine spezifische menschliche Freiheit des Denkens hin. Diese Freiheit ist<br />

im technischen Bereich zukunftsoffen und hat bislang zu den uns heute bekannten Fahr- und Flugzeugen<br />

geführt. Im psychologischen Bereich ist diese Freiheit jedoch grundsätzlich, insoweit sie den Übergang<br />

von den sensomotorischen zu den kognitiven Operationen bewirkt.<br />

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• Vögel benötigen Plätze zum Starten und Landen, um mit ihrem Körper ihre<br />

Flugbewegungen zu gestalten und zu optimieren.<br />

• Säugetiere bekommen Balken zum balancieren, tischartige Plätze zum Ausruhen, Rutschen<br />

zum Erproben ihrer Geschicklichkeit und auch Bälle und große Reifen, um ihren Körper im<br />

Erfassen dieser Rauminstallationen zu erfahren.<br />

• Menschenaffen werden Schaukeln, Leitern, Kisten, Stäbe, Stühle, ja ganze Zimmereinrichtungen<br />

zur Verfügung gestellt, um ihre auf Erfolg ausgerichtete räumliche Intelligenz<br />

erproben und vertiefen zu können.<br />

• Wer einen mo<strong>der</strong>nen Zoo o<strong>der</strong> ein Museum für Kin<strong>der</strong> besucht, kann dort die unterschiedlichsten<br />

Spielzeuge für Menschenkin<strong>der</strong> betrachten, mit denen versucht wird sie<br />

anzuregen, ihre räumliche <strong>Mobil</strong>ität und ihre präoperative Intelligenz zu beweisen und sie<br />

unter kalkuliertem Risiko zu erproben: bewegliche Treppen, enge Röhren, Hin<strong>der</strong>nisse mit<br />

Stricken, sowie künstliche Kletterwände simulieren eine <strong>der</strong> den Tieren ähnliche natürliche<br />

Wildnis für das Menschenkind, die es zu erkunden und zu bewältigen gilt.<br />

• Im Auto und noch mehr im Flugzeug hat <strong>der</strong> erwachsene Mensch den Abstand zwischen<br />

seinem Körper, seinen Kognitionen und Emotionen einerseits und seiner natürlichen wie<br />

sozial determinierten Umwelt an<strong>der</strong>erseits technisch so weit vergrößert, dass es ihm<br />

möglich wurde neue Raum- und Kausalitätsvorstellungen zu entwickeln, und auch völlig<br />

neue und zunächst kontraevidente Vorstellungen über sein selbstbewegtes Selbst und<br />

dessen unauflösliche Verbindung mit <strong>der</strong> Zeit. 14 Mit <strong>der</strong> technischen Konstruktion von Autos,<br />

Flugzeugen und Raketen hat <strong>der</strong> Mensch eine Technisierung seiner eigenen Natur<br />

vorgenommen, die Folgen hat für das Begreifen und Bewältigen des Zusammenspiels von<br />

Naturkraft, technologisch bestimmten und geliebten Objekten und menschlichem Geist.<br />

3 Der technisch hergestellten Distanz von <strong>auto</strong>mobilem Mensch und motorisierter Umwelt<br />

entsprechen die sozial konstruierten und gesellschaftlich hergestellten Risiken und in eins damit<br />

auch die Freiheiten einer bewegten Welt, die im Anschluss an Ulrich Beck als Risikogesell-<br />

schaft mit zunehmen<strong>der</strong> Individualisierung beschriebenen werden können. Wir werden später<br />

(in Abschnitt 5.3) darauf zurückkommen.<br />

14 Siehe dazu vertiefend Norbert Elias: Über die Zeit. Suhrkamp: Frankfurt 1989, sowie Hans Jonas:<br />

Bewegung und Gefühl. Über die Tierseele, in: Hans Jonas: Das Prinzip Leben, Suhrkamp: Frankfurt<br />

1997.<br />

Mit <strong>der</strong> technischen Erfindung des Automobils löst sich <strong>der</strong> Mensch von den Fesseln seiner<br />

Wahrnehmung und seiner Bewegung, aber nur um neue, technikspezifische perzeptuell-motorische<br />

Fertigkeiten zum Lenken eines Fahrzeugs unter den bestehenden Verkehrsverhältnissen zu erwerben.<br />

In <strong>der</strong> theoretischen Reflexion und technischen Realisation auf das reflexiv gewordene Selbst erreicht<br />

die Distanz zwischen Subjekt und Objekt, die in <strong>der</strong> tierischen Evolution begann, ihre bislang höchste und<br />

riskanteste Gestalt: das Automobil und noch mehr das Flugzeug und die Rakete ermöglichen es dem<br />

Menschen sich von seiner Bewegung, seiner Wahrnehmung und schließlich auch seinem Denken zu<br />

lösen und gänzlich neue Raumvorstellungen und Zeitempfindungen zu entwickeln. In <strong>der</strong>selben Weise, in<br />

welcher <strong>der</strong> Blick vom Mond zurück auf die Erde die Wahrnehmung <strong>der</strong> Erde verän<strong>der</strong>te, verän<strong>der</strong>te<br />

beinahe hun<strong>der</strong>t Jahre zuvor die Erfindung des Verbrennungsmotors unsere <strong>auto</strong>-mobilen, d.h. durch das<br />

Automobil in Beschleunigung geratene Raum-Zeit-Wahrnehmungsformen von Orten, Plätzen und<br />

Straßen.<br />

Nähe und Ferne, Bewegung und Stillstand, Sein und Zeit, Werden und Raum haben sich in diesem<br />

Prozess <strong>der</strong> zunehmenden Mittelbarkeit durch motorisierte <strong>Mobil</strong>ität mit verän<strong>der</strong>t. Mit Einsicht in die<br />

Interaktion dieser <strong>Begriff</strong>e hat sich die Distanz zwischen Mensch und Umwelt um einen weiteren Schritt in<br />

eben diese Mittelbarkeit durch <strong>Mobil</strong>ität vergrößert. Die Anfor<strong>der</strong>ungen an eine <strong>Mobil</strong>ität ohne Grenzen<br />

erhöhen sich damit zwangsläufig. Und das Erstaunlichste an diesem auf zunehmende Freiheit und<br />

Verwirklichung von Subjektivität gerichteten Prozess ist: er ist immer noch unabgeschlossen und<br />

unvollständig. Und er ist nicht korrekt zu beschrieben ohne Rücksicht auf die Evolution <strong>der</strong> Intelligenz in<br />

den menschlichen Bewegungen und Wahrnehmungen, einer Intelligenz, die auch noch in ihrer höchsten<br />

Entwicklung Teil des Organischen und des Materiellen <strong>der</strong> Natur ist.<br />

17<br />

Vgl. dazu Eysenck, H.J. (1993): Personality, stress and disease. The Grossarth-Maticek contribution,<br />

in: Zeitschrift für Gesundheitspsychologie 1, 183-190.<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

Vier allgemeinpsychologische Zugänge zu Verkehrsintelligenz<br />

Am Beispiel <strong>der</strong> psychologischen Theorie (1.) <strong>der</strong> multiplen Intelligenz, (2.) <strong>der</strong> Persönlichkeitseigenschaften,<br />

(3.) <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Intelligenz und (4.) <strong>der</strong> naiv-psychologischen<br />

Konzepte von Intelligenz und Verstand soll <strong>der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz exemplarisch<br />

erklärt werden.<br />

Der <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz kann einfach und klar strukturiert dargestellt werden, sobald<br />

man die Interaktion wissenschaftshistorischer mit sachlogischer Dimensionen in den<br />

differenten Forschungstraditionen <strong>der</strong> angewandten und <strong>der</strong> allgemeinen Psychologie<br />

berücksichtigt. Wie bekannt, entstammen die Theorien <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Persönlichkeit und<br />

<strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Intelligenz aus <strong>der</strong> Forschungstradition <strong>der</strong> experimentellen Psychologie.<br />

Die Entwicklung von Persönlichkeitstests und die Intelligenzmessung hatte sich dagegen nicht<br />

an theoretischen Interessen, son<strong>der</strong>n an den Zwängen und den Wünschen <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Praxis zu orientieren. Und so blieb die Psychodiagnostik und die differentielle Psychologie viele<br />

Jahrzehnte ohne Kontakt zu den Grundlagen <strong>der</strong> forschenden Wissenschaft <strong>der</strong> Allgemeinen-<br />

und <strong>der</strong> Entwicklungspsychologie.<br />

Ich will mit <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> vier Zugänge zeigen, dass alle in diesen Zugängen enthaltenen<br />

vier Forschungstraditionen <strong>der</strong> Psychologie zu kurz greifen, wenn wir sie vor dem Hintergrund<br />

eines platonischen Verständnisses von Intelligenz und Bewegung betrachten. Damit glaube ich<br />

auch zeigen zu können, warum allein ein Verständnis von Verkehrsintelligenz als Fähigkeit und<br />

als Tugend sowohl dem Problem <strong>der</strong> Bewältigung <strong>der</strong> Risiken und Chancen <strong>der</strong> motorisierten<br />

Verkehrsteilnahme, als auch dem Problem <strong>der</strong> Beschreibung und Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Kraftfahreignung gerecht werden kann.<br />

1 Der intelligenztheoretische Zugang zur Verkehrsintelligenz<br />

Es mussten seit Beginn <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Psychodiagnostik (Binet und Simon 1905) ungefähr 70<br />

Jahre vergehen, bevor eine Verbindung zwischen dem Gebiet <strong>der</strong> Denkpsychologie und <strong>der</strong><br />

Praxis <strong>der</strong> Psychodiagnostik hergestellt werden konnte. Dann konnte in <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Psychologie die Frage aufgeworfen werden, was ein Intelligenztest überhaupt testet (kognitive<br />

Leistungen, affektive Zustände und Eigenschaften o<strong>der</strong> doch eher die Länge <strong>der</strong> Schulkarriere<br />

und Höhe des soziokulturellen Status <strong>der</strong> Eltern) und ob die Ergebnisse von Intelligenzmessungen<br />

mit den Ergebnissen <strong>der</strong> denkpsychologischen Erforschung intelligenter Leistungen<br />

übereinstimmen. Für die Verkehrspsychologie relevant wurden diese und ähnliche Fragen, weil<br />

in <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Begutachtung schon in den 60er Jahren erkannt wurde, dass die Höhe des<br />

Intelligenzquotienten verkehrsauffälliger Kraftfahrer nicht mit <strong>der</strong>en Fähigkeit zum sichern<br />

Fahren zusammenhängt. Eine theoretische Fundierung von Intelligenz erscheint m.E. für die<br />

Verkehrspsychologie nützlicher zu sein, als die psychodiagnostische Bestimmung <strong>der</strong> Höhe des<br />

Intelligenzquotienten. Warum?<br />

Die Grundlagenforschung hat mit <strong>der</strong> Analyse des <strong>Begriff</strong>s <strong>der</strong> Intelligenz einen Durchbruch<br />

erzielt. Die Theorie <strong>der</strong> triarchischen Intelligenz von Sternberg und die Theorie <strong>der</strong> vielfachen<br />

Intelligenz von Gardner sind theoretisch fruchtbare Versuche „jenseits von IQ und emotionaler<br />

Intelligenz“ diejenigen Formen von Intelligenz zu bestimmen, die <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong><br />

Kompetenz zum Lösen realer Probleme in alltäglichen Situationen zugrunde liegt.<br />

Howard Gardner ( 2002) geht von einem Verständnis von Intelligenzen aus, das seiner Meinung<br />

nach wissenschaftlich am besten fundiert, weil es <strong>der</strong> Vielfalt des menschlichen Geistes<br />

und <strong>der</strong> Einzigartigkeit des individuellen Intelligenzprofils am ehesten gerecht wird und weil es<br />

für das 21. Jahrhun<strong>der</strong>t den maximalen gesellschaftlichen Nutzen zu versprechen scheint:<br />

seine eigene Theorie <strong>der</strong> vielfachen Intelligenz. Gardner (1991) postuliert ursprünglich sieben<br />

Intelligenzen: zwei theoretische Intelligenzen: die sprachliche und die logisch-mathematische;<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

drei technisch-künstlerische Intelligenzen: die musikalische, die körperlich-kinästhetische und<br />

die räumliche; sowie zwei personale Intelligenzen: die interpersonelle und die intrapersonale.<br />

Es scheint aus verkehrspsychologischer Sicht einleuchtend, dass es sich beim intelligenten<br />

Verkehrsverhalten eines guten Autofahrers um eine Kombination <strong>der</strong> Intelligenzform des<br />

Sehens und Raumdenkens mit <strong>der</strong> Raum- und Körperintelligenz und <strong>der</strong> psychosozialen<br />

Intelligenz handelt. Unser virtueller Besuch in einem mo<strong>der</strong>nen Zoo hat ebenfalls zu <strong>der</strong>selben<br />

Einsicht geführt, wonach es im motorisierten Verkehrsverhalten vor allem darum geht, das<br />

Raum-Zeit-Problem zu bewältigen, das sich aus <strong>der</strong> Vergrößerung des Abstands zwischen<br />

unserem Körper und unserer inneren Natur sowie unserer äußeren Verkehrsumwelt ergibt.<br />

Verkehrspsychologisch fruchtbar könnte die von Gardner(1983, 2002) postulierte Form <strong>der</strong><br />

Raum- und Körperintelligenz werden, wenn allgemein anerkannt wird, dass sich in <strong>der</strong> <strong>Mobil</strong>ität<br />

des motorisierten Verkehrsverhaltens eine Intelligenzform zeigt, die die intelligente<br />

Kombination <strong>der</strong> Bewegung des Körpers mit <strong>der</strong> Orientierung im Raum bestimmt.<br />

Eine von Gardner inspirierte These könnte lauten: Es gibt eine räumliche und/o<strong>der</strong> eine<br />

personale Intelligenz, die für das intelligente Führen eines Fahrzeugs bedeutsam ist.<br />

Verkehrsauffällig gewordene Kraftfahrer verfügen über eine gering entwickelte räumliche und<br />

personale Intelligenz. Sie kommen mit <strong>der</strong> verkehrstechnisch hergestellten Distanz zwischen<br />

sich als Verkehrsteilnehmer und ihrer inneren Natur sowie zwischen sich und den äußern<br />

Verkehrs- verhältnissen nicht mehr ausreichend gut zurecht. These 1: Es mangelt an <strong>der</strong><br />

körperlich-kinästhetischen Intelligenz in den perzeptuell-motorischen Strategien, die für das<br />

Führen eines Fahrzeugs notwendig sind. These 2: Das für das intelligente Führen eines<br />

Fahrzeugs notwendige Gleichgewicht von räumlicher und personaler Intelligenz ist gestört.<br />

These 3: Es mangelt an <strong>der</strong> personalen Intelligenz, die für das intelligente Führen eines<br />

Fahrzeugs notwendig ist.<br />

Diskussion und Kritik des intelligenztheoretischen Ansatzes:<br />

Eine grundlegende Definitionsproblematik jeglichen <strong>Begriff</strong>s von Intelligenz seit Binet und<br />

Simon (1905), und nicht erst desjenigen Intelligenzbegriffs, den Gardner (2002) benutzt, besteht<br />

darin, dass in <strong>der</strong> akademischen Psychologie die Frage nach dem Wesen <strong>der</strong> Intelligenz von<br />

<strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong> richtigen Anwendung von Intelligenz getrennt wird. Die Durchführung einer<br />

intelligenten Leistung "im Leben draußen" wird als ein normatives Problem begriffen und als<br />

eine Frage <strong>der</strong> Werte behandelt, von <strong>der</strong> die Akademie glaubt, sie müsse und dürfe sich, <strong>der</strong><br />

Wertfreiheit <strong>der</strong> Wissenschaft folgend, damit überhaupt nicht befassen.<br />

In <strong>der</strong> Neuzeit hat <strong>der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Intelligenz nur noch mit <strong>der</strong> Psychologie und den Kognitionswissenschaften<br />

zu tun und nichts mehr mit Moral, mehr mit Berechnung und Informationsverarbeitung,<br />

als mit Pflichten und Tugenden. Das war in <strong>der</strong> Antike und im Mittelalter nicht so.<br />

Bekanntlich geht <strong>der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Intelligenz auf den philosophischen <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Klugheit (lat.<br />

prudentia, griech. phronesis) zurück. Für Kant war Klugheit schon keine <strong>der</strong> vier<br />

Kardinaltugenden mehr. Prudentia hat man im Deutschen mit Klugheit übersetzt, so wie Cicero<br />

den griechischen <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> phronesis mit prudentia übersetzt hat. Bei Hans-Georg Gadamer<br />

(1985, Griechische Philosophie I) können wir lernen was mit phronesis gemeint ist, nämlich eine<br />

intellektuelle Tugend, die auch mit Besonnenheit verbunden ist, insofern sie als das Gegenteil<br />

von Sorglosigkeit die Disposition darstellt, in einer konkreten Situation urteilsfähig und<br />

handlungsfähig zu bleiben. 11<br />

Psychologisch weiterführend ist das triarchische Modell <strong>der</strong> Intelligenz von Sternberg (1999,<br />

Teil II), in <strong>der</strong> er die folgenden Facetten intelligenten Verhaltens beschreibt: Erstens die<br />

kognitiven Mechanismen, die intelligentem Verhalten zugrunde liegen, zweitens <strong>der</strong> freie<br />

Gebrauch <strong>der</strong> mentalen Anpassung an die Anfor<strong>der</strong>ungen und die Anregungen aus <strong>der</strong> Umwelt<br />

und drittens die repräsentative o<strong>der</strong> explikative Funktion <strong>der</strong> Intelligenz ( Geist als passive<br />

Wi<strong>der</strong>spiegelung <strong>der</strong> Natur: „Spiegel“ o<strong>der</strong> Geist als aktive Offenbarung <strong>der</strong> Natur: „Lampe“),<br />

um den Abstand zwischen <strong>der</strong> inneren und <strong>der</strong> äußern Welt zu managen. Um die drei Facetten<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

intelligenter Leistungen in ihrem Zusammenspiel zu begreifen entwickelt Sternberg drei<br />

Subtheorien: eine Subtheorie <strong>der</strong> Komponenten, <strong>der</strong> Kontexte und <strong>der</strong> Erfahrungsbildung in <strong>der</strong><br />

Intelligenz.<br />

Sternbergs Kritik an <strong>der</strong> herkömmlichen Intelligenztheorie und <strong>der</strong> psychometrischen Praxis<br />

Intelligenzmessung geht von dem Verständnis von Intelligenz als Erfolgsintelligenz aus<br />

(Sternberg 1999, Teil I und III.) Dazu schil<strong>der</strong>t er die böse Geschichte von den zwei Jungs, die<br />

in <strong>der</strong> Wildnis wan<strong>der</strong>n gingen. Den ersten Jungen hielten seine Eltern und Lehrer für klug und<br />

intelligent. Er verfügte über einen hohen IQ, gute Zensuren und hervorragende Zeugnisse. Den<br />

zweiten Jungen hielten bislang nur wenige für intelligent. Beide begegneten in <strong>der</strong> Wildnis<br />

einem Problem in <strong>der</strong> Gestalt eines Grizzlybären. Was passiert? Der erste Junge rechnet sich<br />

korrekt und extrem schnell aus, dass ihn <strong>der</strong> Bär in 17,4 Sekunden wird eingeholt haben und<br />

gerät in eine klinisch relevante Panik. Der zweite Junge zeigt sich emotional stabiler. Er zieht<br />

sich seelenruhig seine Wan<strong>der</strong>schuhe aus und seine Joggingschuhe an. Der erste Junge: „Bist<br />

du wahnsinnig? Meinst du wir könnten schneller laufen als <strong>der</strong> Grizzly?“ Der zweite Junge:<br />

„Nicht wirklich, aber ich muss ja nur schneller laufen als du!“ Sternberg kommentiert (1999, S.<br />

136), ohne auf die egoistische Ungeselligkeit des Zweiten einzugehen: Beide Knaben sind<br />

intelligent. Der erste hat das Problem brillant analysiert, aber nur <strong>der</strong> zweite hat<br />

Erfolgsintelligenz bewiesen, weil er nicht nur eine angemessene Problemanalyse, son<strong>der</strong>n auch<br />

eine kreative und praktische Problemlösung gefunden hat.<br />

2 Der persönlichkeitspsychologische Zugang zur Verkehrsintelligenz<br />

Die Hoffnung, durch verkehrspsychologische Maßnahmen einen Einfluss auf die Verkehrsintelligenz<br />

auffällig gewordener Kraftfahrer nehmen zu können, ist in <strong>der</strong> Praxis immer mit <strong>der</strong><br />

Einsicht in die folgende therapeutische Notwendigkeit verbunden gewesen. Man muss auf den<br />

Charakter und die normativ begründeten Einstellungen <strong>der</strong> Kraftfahrer verän<strong>der</strong>nd einwirken<br />

und nicht nur auf ihr Verhalten o<strong>der</strong> ihre Wahrnehmungs- und Steuerungsfähigkeit, um<br />

langfristig stabile Verän<strong>der</strong>ungen in ihrer Persönlichkeit und in ihren Motiven bewirken zu<br />

können.<br />

Ein persönlichkeitspsychologisch informierter Kliniker geht in <strong>der</strong> Regel davon aus: Die Gruppe<br />

<strong>der</strong> auffällig gewordenen Kraftfahrer weist eine Reihe charakteristischer personenbezogener<br />

Eigenschaften (traits) und Zustände (states) auf, die schon vor <strong>der</strong> Alkoholkarriere und vor dem<br />

Begehen ihrer Straftaten bestanden haben. Sie haben sich nicht erst in Folge des süchtigen<br />

und/o<strong>der</strong> abweichenden Verhaltens entwickelt. Solche prädispositionellen Merkmale von<br />

auffällig gewordenen Kraftfahrern lassen sich mit dem Fünf-Faktoren-Modell <strong>der</strong> Persönlichkeit<br />

(„big five“) beschreiben (McCrae, Costa, 1999). Für die Klinische Verkehrspsychologie scheinen<br />

die folgenden drei Faktoren in engem Zusammenhang mit Verkehrsverhalten zu stehen:<br />

Erstens <strong>der</strong> Faktor Extraversion versus Introversion, zweitens <strong>der</strong> Faktor Neurotizismus:<br />

„emotionale Stabilität versus emotionale Labilität“ und drittens <strong>der</strong> Faktor Gewissenhaftigkeit:<br />

„Besonnenheit versus Sorglosigkeit“.<br />

Hans Jürgen Eysenck hat einen Zusammenhang zwischen den Persönlichkeitseigenschaften Extraversion,<br />

Neurotizismus und Psychotizismus einerseits und riskantem Gesundheitsverhalten an<strong>der</strong>erseits<br />

postuliert 17 . Bei aller gebotenen Vorsicht und mit ironischer Distanz zum Beschriebenen lassen sich diese<br />

drei Faktoren im Modell <strong>der</strong> big five zur Beschreibung verkehrsauffälliger Kraftfahrer kombinieren, um den<br />

Idealtypus des alkoholauffälligen Kraftfahrers, des BTM-Konsumenten, des Punkte-Täters und des guten<br />

Autofahrers zu konstruieren.<br />

- Der typische Lenker im alkoholbezogenen Trink-Fahr-Konflikt ist <strong>der</strong> impulsive und sorglose Autofahrer:<br />

extravertiert, emotional instabil ( leicht ängstlich o<strong>der</strong> depressiv) und wenig gewissenhaft. Er sucht in und<br />

mit seinem Auto nach neuen Reizen und Vergnügungen, er liebt schnelle Autos mit hell-aktiven Farben,<br />

ist dabei stressanfällig und passiv in seinem Bewältigungsverhalten in komplexen Verkehrssituationen. Er<br />

dissoziiert während seines Alkoholkonsums und gerät in diesem dissoziativen Zustand in eine „kognitive<br />

Blockade“, in <strong>der</strong> ihm seine Vorsätze kognitiv unbewusst bleiben. Deshalb ist er auch unfähig Alkohol und<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

Autofahren streng zu trennen. Er ist oftmals auch nikotinabhängig und weist immer auch ein riskantes<br />

Verkehrsverhalten auf. Sein riskanter Fahrstil ist Ausdruck seiner Erregungssuche und einer erhöhten<br />

Risikobereitschaft, als einer Furcht vor Langsamkeit, Langeweile und eintönigen Bewegungsabläufen.<br />

Ein gutes Beispiel ist Marian Faithfull, die ehemalige Freundin von Mick Jagger. Viele junge Fahranfänger<br />

und die sog. Stressreduktionstrinker sind typische Sorglose, die nicht gut mit Sorgen und negativen<br />

Gefühlen umgehen können.<br />

- Der typische Lenker mit BTM-Konsum während <strong>der</strong> Verkehrsteilnahme ist <strong>der</strong> naiv-hedonistische<br />

Autofahrer, gekennzeichnet durch Extraversion, emotionale Stabilität und Mangel an Gewissenhaftigkeit.<br />

Er zeigt sich sozial zugewandt, emotional und körperlich stabil, spaßorientiert an fun und action, no risk<br />

no fun, ein eher jugendlicher Vertreter unsere Spaßgesellschaft, <strong>der</strong> gut mit Stress und Sorgen umgehen<br />

kann. Idealtypische und in diesem Sinne gute Beispiele sind die Figur des Fieslings aus <strong>der</strong> Dallas-Serie<br />

„J.R. Ewing“, <strong>der</strong> heutige Boris Becker, <strong>der</strong> späte Helmut Kohl, <strong>der</strong> Entertainer Thomas Gottschalk o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Musiker Willy deVille.<br />

- Der typische Punktetäter ist ein riskanter und gefährlicher Autofahrer, <strong>der</strong> sich im Straßenverkehr<br />

introvertiert, emotional instabil und wenig gewissenhaft zeigt. Er verhält sich im Umgang mit an<strong>der</strong>en eher<br />

schüchtern und scheu, ist hoch empfindlich gegenüber Stress und Belastung, mit einem deutlichen<br />

Mangel an Emotionskontrolle, wobei eher negative Gefühle (Sorgen, Ärger, Unzufriedenheit,<br />

Ressentiments) vorherrschen, bei Fehlen positiver Gefühle. Sein riskanter Fahrstil und seine Spielernatur<br />

sind ihm nicht bewusst. Er ist <strong>der</strong> innerlich angepasste Verkehrsstraftäter mit dem guten Gewissen, denn<br />

er fühlt sich als guter Autofahrer und „neutralisiert“ die negativen Folgen seines wenig intelligenten<br />

Verkehrsver-haltens. Es wäre aber eine psychologische Fehleinschätzung, wenn sein riskanter Fahrstil<br />

als bloßer Ausdruck einer egozentrischen Unfähigkeit zur Rücksichtnahme o<strong>der</strong> zur Ablehnung <strong>der</strong><br />

Straßenverkehrsgesetze gewertet würde. Das Gegenteil trifft in den allermeisten Fällen zu: er fährt im<br />

Straßenverkehr gefährlich, obwohl er Rasen in seinem moralischen Bewusstsein generell verurteilt, dabei<br />

die bestehenden sozialen Normen übernimmt und die herrschenden Gesetze gut heißt. Der gefährliche<br />

Fahrer rast, weil er glaubt, damit seine inneren Spannungen managen sowie seine negativen Gefühle<br />

reduzieren zu können. Sein riskanter Fahrstil ist Selbstausdruck seines Bedürfnisses nach<br />

Spannungsreduktion, entstanden aus seiner Furcht vor zu starken und zu vielen negativen Gefühlen.<br />

Gute Beispiele sind das Rumpelstilzchen, Oskar Matzerath in <strong>der</strong> „Blechtrommel“ von Günther Grass<br />

und Prinzessin Diana, die frühere Ehefrau von Prinz Charles.<br />

- Kraftfahrer mit den folgenden Eigenschaften haben bei einer Begutachtung ihre Kraftfahreignung gute<br />

Chancen. Denn Verkehrspsychologen stellen sich den Typus des guten Autofahrers als einen Politiker,<br />

Unternehmer o<strong>der</strong> Helden vor: extravertiert, emotional stabil, und gewissenhaft. Im Straßenverkehr<br />

zeigen die guten Fahrer hohe soziale und emotionale Fähigkeiten in bezug auf ihre Selbstwahrnehmung<br />

eigener Gefühle und auf ihre Wahrnehmung <strong>der</strong> Auswirkung frem<strong>der</strong> Handlungen und Gefühle. Sie sind<br />

in <strong>der</strong> Regel selbstbeherrscht und zeigen ein mittleres Maß an Risikobereitschaft, gepaart mit <strong>der</strong><br />

Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme, sowie zur Ausübung von rücksichtsvollem Handeln und<br />

vorausschauendem Denken auch und gerade in belastenden Situationen wie Verkehrsteilnahme. Der<br />

gute Autofahrer zeigt sich besonnen, stressresistent, selbstbeherrscht, verfügt über wirksame<br />

Bewältigungsstrategien und neigt we<strong>der</strong> zu Angst- o<strong>der</strong> Ärger-Exzessen noch zu ängstlich-besorgter<br />

Vorsicht. Gute Beispiele finden sich im Wissenschaftsmanagement, in <strong>der</strong> Wirtschaft, in Kultur und<br />

Politik, wie z.B. Max Planck, Hans-Martin Schleier, <strong>der</strong> Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld und Hans-<br />

Dietrich Genscher.<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

Für den N-Faktor sind nach meinen klinischen Erfahrungen die folgenden <strong>der</strong> sechs<br />

Neurotizismusfassetten 18 für die Beschreibung des Verkehrsverhaltens beson<strong>der</strong>s relevant:<br />

N1: Angst (stark ausgeprägt)<br />

- Erhöhte emotionale Labilität o<strong>der</strong> Sensibilität für aversive Reize, d.h. für unangenehme und<br />

negativ getönte Gefühle<br />

- tägliche und belastende Distresserfahrungen.<br />

N2: Ärgerliche Feindseligkeit<br />

- erhöhte Aggressivität, Ärger-out-Reaktionen und hohe Ärgerkontrolle bei einem Mangel an<br />

Emotionskontrolle.<br />

N5: Impulsivität<br />

- Geringe Motivation Kontrollverhalten zu entwickeln, speziell Impulskontrolle auszuüben, in<br />

Verbindung mit dem gefühlten Verlangen und dem körperlich oftmals stark erlebtem Drang<br />

Alkohol trinken zu müssen um innere Spannungen abbauen zu können.<br />

- Unfähigkeit Impulsen, Gefühlsstürmen und augenblicklichen Versuchungen, die <strong>der</strong> Alltag<br />

hervorruft, zu wi<strong>der</strong>stehen, sowie Bedürfnisbefriedigungen aufzuschieben.<br />

N6: Vulnerabilität gegenüber Stress<br />

- Unfähigkeit aus Erfahrung zu lernen in Verbindung mit dysfunktionalen Kontrolltechniken,<br />

geringen Streßbewältigungsfähigkeiten und zu hohen Willenshemmungen, auch wenn die<br />

Personen motiviert sind, Selbstkontrolle einzusetzen und den eigen Willen bei fehlen<strong>der</strong><br />

(intrinsischer) Motivation einzuschalten.<br />

- geringe Frustrationstoleranz den normalen ultradianen Stimmungsschwankungen gegenüber.<br />

Für den E-Faktor erscheinen die folgenden <strong>der</strong> sechs Extraversionsfassetten für die<br />

Beschreibung des Verkehrsverhaltens relevant:<br />

E4: Aktivität<br />

- Erhöhte Aktivität ausgewiesen in schnellen Bewegungsabläufen, in dem Wunsch dauernd mit<br />

irgend etwas beschäftigt sein zu wollen, sowie in dem rasanten Tempo einer raumgreifenden,<br />

expansiven Lebensführung<br />

- Schwierigkeit sich zu entspannen und z.B. die Langsamkeit <strong>der</strong> <strong>Mobil</strong>ität zu genießen<br />

- Furcht vor Langeweile und Nichtstun<br />

E5: Erregungssuche (excitement seeking)<br />

- Erhöhtes Verlangen nach Erregung, Stimulation und thrill. Verkehrsauffällig gewordene<br />

Kraftfahrer lieben schnelle Autos, laute Umgebung und hell-aktive Farben.<br />

- erhöhte Risikobereitschaft und "Gladiatorenmentalität" (Falko Rheinberg)<br />

Für den C-Faktor erscheinen die folgenden <strong>der</strong> sechs Gewissenhaftigkeitsfassetten für die<br />

Beschreibung des Verkehrsverhaltens relevant:<br />

C3: Gewissensorientierung (dutifulness) (gering ausgeprägt)<br />

- Mangel an Regelbewusstsein, geringe Bereitschaft sozialen Normen und bestehenden<br />

Gesetzen zu folgen<br />

- Mangel an Schuldbewusstsein, Schamgefühlen und an<strong>der</strong>en positiven „sozialen Gefühlen“ wie<br />

Bedauern, Mitgefühl, Verständnis für die Sorgen und Nöte an<strong>der</strong>er<br />

C5: Selbstdisziplin und Wille<br />

- Unfähigkeit eine begonnene Aufgabe zu Ende zu führen, vor allem bei aufkommen<strong>der</strong><br />

Langeweile, fehlen<strong>der</strong> Motivation o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>n Ablenkungen<br />

C6: Besonnenheit (deliberation)<br />

- Mangel an <strong>der</strong> Fähigkeit vor <strong>der</strong> Handlungsausführung ausreichend genau und lang<br />

nachzudenken<br />

- Hastiges und undeutliches Sprechen<br />

18 Ich folge frei den Beschreibungen <strong>der</strong> einzelnen Fassetten <strong>der</strong> big five in: T. Costa and Th. Widiger<br />

(1993): Personality disor<strong>der</strong>s and the five-factor model of personality APA: Washington, Anhang<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

- Mangel an Bedürfnisaufschub<br />

Im Anschluss an R.J. Smith (1978,1995) Kritik einer psychologischen Theorie <strong>der</strong><br />

Psychopathie, an Gray`s behaviorales Inhibitionssystem (BIS) (Gray, 1976, 1982, 1987) sowie<br />

an Kuhls 2. Modulationshypothese (1998, 2001, sowie Kuhl&Kazen, 1997) lässt sich eine<br />

dynamischere Beschreibung des auffällig gewordenen Verkehrsteilnehmers gewinnen, die ich<br />

hier jedoch nicht näher ausführen kann. Idealtypisch zeigt ein Verkehrsteilnehmer mit einem<br />

deutlichen Mangel an Verkehrsintelligenz eine nie<strong>der</strong>e zentralnervöse Reaktionsfähigkeit (ein<br />

hypoaktives BIS). Das Vorhandensein negativer Stimmungen, mithin auch das Fehlen positiver<br />

Gefühle, sowie eine Erhöhung seines Bestrafungssystems führen zu einer Inkongruenz<br />

(mismatch) von Erwartung und Wahrnehmung und erhöhen die Auftretenswahrscheinlichkeit<br />

für Phänomene wie sensation-seeking, erhöhter Risikobereitschaft, Intensivierung aversiver<br />

Einzelempfindungen, unkontrollierbares Grübeln, Entfremdung von eigenen Gefühlen,<br />

Dissoziation o<strong>der</strong> gar Desintegration <strong>der</strong> Persönlichkeit sowie antisoziales o<strong>der</strong><br />

psychopathisches Verhalten (DSM-IV 301.7) (Kuhl, J. 2001)<br />

Bedeutsam für die Verkehrspsychologie erscheinen die big five nicht nur deshalb, weil sie die<br />

Komplexität <strong>der</strong> Persönlichkeit vor dem Auftreten einer Verkehrsauffälligkeit und/o<strong>der</strong> einer<br />

psychischen Störung mit Krankheitswert zu ordnen helfen. Aus klinischer Sicht sind die big five<br />

vor allem in <strong>der</strong> differentiellen Ursachenforschung des Mangels an verkehrsintelligenten<br />

Verhalten nützlich, weil sie eine direkte Beziehung (1) zur seelischen Gesundheit und zu einer<br />

Therapietheorie (Peter Becker, 1995, 1999), (2) zur Theorie und Therapie <strong>der</strong><br />

Persönlichkeitsstörungen (Costa&Widiger, 1993, L.S. Benjamin, 1993, Peter Fiedler 2001) und<br />

(3) vor allem zu den Grundlagen einer empiriegeleiteten Psychotherapie (Grawe, 1998,1999)<br />

aufweisen.<br />

3 Der entwicklungspsychologische Zugang zur Verkehrsintelligenz<br />

Verkehrsintelligenz kann grundsätzlich und entwicklungspsychologisch mit <strong>der</strong> vom Kind her<br />

bekannten Form <strong>der</strong> Intelligenz begriffen werden, die auf das Praktische ausgerichtet ist, um<br />

Erfolge zu erzielen. Das ist die sensomotorische Intelligenz. Seit Piaget (1936) wissen wir, dass<br />

die kognitiven und affektiven Strukturen sich aus Handeln, genauer aus sensomotorischen<br />

Operationen entwickeln, die dem Neugeborenen die ersten auf seinen Leib bezogenen<br />

Orientierungen in seiner neuen Umwelt ermöglichen. Das System <strong>der</strong> sensomotorischen<br />

Operationen darf damit als die theoretische Grundlage zum Verständnis <strong>der</strong> Entwicklung von<br />

Verkehrsintelligenz betrachtet werden. Sie bestimmt auch noch das motorisierte<br />

<strong>Mobil</strong>itätsverhalten des Erwachsenen mit. Die perzeptuell-motorischen Kompetenzen mögen<br />

sich in ihren Ausdrucksformen von den kognitiven Kompetenzen wesentlich unterscheiden,<br />

insofern die ersten nichtsymbolisch und aktional, die zweiten symbolisch repräsentiert sind. Die<br />

psychologischen Mechanismen des Erwerbs <strong>der</strong> beiden Kompetenzen sind jedoch<br />

überraschend ähnlich. (Rosenzweig, Carlson, Gilmore, 2001).<br />

Offensichtlich verän<strong>der</strong>t sich das <strong>Mobil</strong>itätsverhalten im Laufe des Lebens. So muss es<br />

verkehrspsychologisch möglich werden eine Entwicklung zu verstehen, die die gesamte<br />

Lebensspanne übergreift. Sie kann jedoch nicht begriffen werden kann ohne die selbstreflexiven<br />

und selbstregulatorischen Kreisprozesse von Wissen und Handeln zu verstehen.<br />

Dies führt aus verkehrspsychologischer Sicht dazu, dass die auf den individuellen<br />

Lebensverlauf einwirkenden historischen, kulturellen und technischen Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong><br />

Distanz von Mensch und Natur mit zu berücksichtigen sind. Es handelt sich um<br />

gesellschaftliche Prozesse des juristischen, kulturellen und technologischen Wandels in den<br />

Machtbalancen zwischen Menschen, die mit den Prozessen individueller Entwicklung<br />

(Ontogenese) so verbunden sind, dass <strong>der</strong> Verkehrsteilnehmer die Entwicklung seiner<br />

Verkehrsintelligenz aktiv beeinflussen kann, und zwar dadurch, dass er mit seinem<br />

Verkehrsverhalten und mit seinen Erfahrungen über die Konsequenzen seines<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

Verkehrsverhaltens seine Verkehrsintelligenz direkt beeinflusst und durch die sozialen<br />

Prozesse direkt beeinflusst wird (siehe Abbildung 1, Seite 16)<br />

Baltes (1997, 1998) hat einen auf <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> Lebensspanne beruhenden genetischen<br />

Ansatz vorgeschlagen, um die Entwicklung <strong>der</strong> Intelligenz mit zwei eigenständigen<br />

Komponenten des kognitiven Funktionierens erklären zu können: die flüssige Mechanik sowie<br />

die kristallisierte Pragmatik <strong>der</strong> Intelligenz. Im Gegensatz zur Entwicklung <strong>der</strong> Mechanik nimmt<br />

die Entwicklung <strong>der</strong> Pragmatik, die den Einfluss des individuellen Wissens, Handelns und <strong>der</strong><br />

Kultur offen legt, auch im höheren Alter nicht ab. Sein Zwei-Komponenten Modell, das die<br />

Lebensspanne <strong>der</strong> kognitiven Entwicklung umfasst, kann erklären, warum die Zahl <strong>der</strong><br />

Verkehrsunfälle mit dem Alter kontinuierlich abnimmt und nicht etwa zunimmt. Baltes (1998)<br />

unterschiedet ein soziales, normatives und kontextuelles Wissen von einem<br />

personenspezifischen Wissen, in dem die individuellen Erfahrungen als entwicklungsfähiges<br />

Expertenwissen gespeichert ist. Die Verkehrsintelligenz entwickelt sich im Sinne eines solchen<br />

personenspezifischen Expertenwissens, dessen Unterschiede extrem groß sein können.<br />

Speziell in <strong>der</strong> Weisheit, ein personenspezifisches Expertenwissen über die Bedeutung und<br />

Führung eines (bewussten) Lebens, steckt ein Potenzial für positive und individuell extrem<br />

unterschiedliche Verän<strong>der</strong>ungen, die auch noch im hohen Alter möglich sind. Das auf Weisheit<br />

bezogene Expertenwissen gilt als ein gut erforschter Prototyp für diese Form des<br />

personenspezifischen Wissens.(Staudinger&Baltes, 1996 und Baltes, P.B. 1998)<br />

Eine Entwicklungslogik <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz und <strong>der</strong> Verkehrspsychotherapie<br />

Ich favorisiere eine allgemein- und entwicklungspsychologische Rekonstruktion von<br />

Verkehrsintelligenz, weil sie m. E. erlaubt eine Entwicklungslogik <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz und<br />

<strong>der</strong> Psychotherapie des Mangels an Verkehrsintelligenz zu rekonstruieren:<br />

Die Intelligenz stellt sich am Ende <strong>der</strong> sensomotorischen Periode mit eineinhalb o<strong>der</strong> zwei<br />

Jahren als ein System sensomotorischer Schemata dar, das zu einer Logik des Handelns sowie<br />

zu einer Strukturierung <strong>der</strong> Subjektivität des Handelnden führt. Diese grundlegende<br />

entwicklungspsychologische Fragestellung will ich hier nicht näher ausführen. Vielmehr möchte<br />

ich sie zugunsten <strong>der</strong> Darstellung des verkehrspsychologischen Anwendungspotenzials dieser<br />

psychomotorischen Entwicklungslogik zurückstellen. Es geht uns Verkehrspsychologie ja auch<br />

nicht nur um Kin<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n auch um Erwachsene. Und zwar um Erwachsene, die Mängel in<br />

ihrem technisch hergestellten <strong>Mobil</strong>itätsverhalten aufweisen, dem eine doppelte Intelligenz<br />

zugrunde liegt: im technisch hergestellten <strong>Mobil</strong>itätsverhalten des motorisierten Kraftfahrers<br />

zeigt sich sowohl die psychologisch beschreibbare Logik seines <strong>Mobil</strong>itätsverhaltens und seiner<br />

„<strong>auto</strong>mobil“ gewordenen Subjektivität und Verantwortlichkeit im Umgang mit den an<strong>der</strong>en<br />

Verkehrsteilnehmern, als auch die naturwissenschaftlich beschreibbare Logik, die in <strong>der</strong><br />

Technik <strong>der</strong> Kraftfahrzeuge und in <strong>der</strong> motorisierten Beweglichkeit des Autofahrers steckt.<br />

Metaphorisch gesprochen begegnet <strong>der</strong> Autofahrer im Fahren seines Kraftfahrzeugs sich selbst<br />

als Objekt und als Subjekt im Straßenverkehr.<br />

Auf Grund <strong>der</strong> Entwicklungsoffenheit des Lebens, das sich auf <strong>der</strong> höchsten Stufe<br />

menschlichen Verhaltens als Dialog und Dialektik konstituiert, vergrößert sich <strong>der</strong> Abstand des<br />

Kraftfahrers zu seiner Umwelt im Verlauf <strong>der</strong> Entwicklung immer mehr:<br />

1 Mit seinem Verbildlichen und Versprachlichen hört <strong>der</strong> Fahrer im Straßenverkehr auf, die<br />

immer schon geliebten Objekte in seiner Welt direkt und unmittelbar wahrzunehmen: er sieht<br />

sie durch die immer affektiv geladenen Schemata seiner Vorstellungen, Grundüberzeugungen<br />

und Gedanken. (Fahrer und Fahrzeuge zeigen sich als Formen des Bewusstseins)<br />

2 Ein höherer Grad von Distanz ist erreicht, wenn <strong>der</strong> Fahrer als Subjekt allen Objektivierens<br />

in <strong>der</strong> theoretischen Reflexion sich selbst als Objekt begreift und damit seinerseits Objekt wird<br />

für immer neue reflexive Formen des Verhältnisses von Fahrer (Subjekt) und Fahrzeug<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

(Objekt). (Das Bewusstsein des Fahrers zeigt sich als Reflexion und Selbstgefühl beim<br />

Autofahren)<br />

3 Mit <strong>der</strong> technischen Erfindung des Automobils löst sich <strong>der</strong> Mensch noch mehr von den<br />

Fesseln seiner Wahrnehmung und seiner Bewegung. In <strong>der</strong> theoretischen Reflexion und<br />

technischen Realisation auf das reflexiv gewordene Selbst erreicht die Subjekt-Objekt-Spaltung,<br />

die in <strong>der</strong> tierischen Evolution begann, ihre bislang höchste und riskanteste Gestalt: das<br />

Automobil und noch mehr das Flugzeug und die Rakete ermöglichen es dem Menschen sich<br />

von seiner Bewegung, seiner Wahrnehmung und schließlich auch seinem Denken zu lösen und<br />

gänzlich neue Raumvorstellungen und Zeitempfindungen zu entwickeln. (Das Bewusstsein<br />

zeigt sich als spekulative Einheit von theoretischer Reflexion und technischer Realisation)<br />

Auch die Psychotherapie im allgemeinen und die Verkehrspsychotherapie im speziellen 19<br />

lassen sich entwicklungslogisch rekonstruieren:<br />

Die Psychotherapie entfaltet sich beziehungslogisch in einer Entwicklung über drei Stadien<br />

hinweg. Sie entwickelt sich ausgehend von einer (vormo<strong>der</strong>nen) als eine personenbezogene<br />

soziale Dienstleistung begriffene Ein-Personen-Therapie, im zweiten Stadium als eine<br />

(mo<strong>der</strong>ne) systemisch begriffene, verrechtlichte und bürokratisch organisierte Institutionen-<br />

Psychologie (Psychologie <strong>der</strong> Politik, des Gesundheitswesen, <strong>der</strong> Wirtschaft, des Transports<br />

und Verkehrs, <strong>der</strong> Kunst, <strong>der</strong> Religion, <strong>der</strong> Wissenschaft) zum dritten Stadium einer<br />

(utopischen) sozialen Psychotherapie, die es dem Patienten ermöglichen würde ein sich seiner<br />

Individualität bewusstes Selbstdenken und den Selbstausdruck freier Selbstentwicklung und<br />

Willensbildung innerhalb <strong>der</strong> bestehenden Institutionen zu praktizieren. Damit kann es für den<br />

Einzelnen keine Freiheit ohne die Gerechtigkeit <strong>der</strong> Institutionen (auch <strong>der</strong> Institutionen-<br />

Psychologie) geben. Personenbezogene und institutionenbezogene Dienstleistungen ergänzen<br />

sich: die Verwirklichung <strong>der</strong> Gerechtigkeit <strong>der</strong> Institutionen und <strong>der</strong> Freiheit des Einzelnen wird<br />

als politischer Auftrag verstanden und geht als konkrete Aufgabe an die "Verwalter" und<br />

Betroffenen <strong>der</strong> Institutionen gemeinsam.<br />

Entwicklungslogisch betrachtet erfüllt sich die Beziehung zwischen Patient und Therapeut<br />

zunächst in <strong>der</strong> individuellen Verantwortung für den sozial isoliert gedachten Patienten, dann in<br />

<strong>der</strong> sozialen Verantwortung für die öffentliche Gesundheit und schließlich über die Lebenden<br />

hinausreicht in die solidarische Verantwortung mit den gewesenen und den kommenden<br />

Generationen. 20<br />

4 Der naiv-psychologische Zugang zur Verkehrsintelligenz<br />

Die Erinnerung an Intelligenz als einer Rationalitätsform <strong>der</strong> räumlichen und <strong>der</strong> zeitlichen<br />

Orientierung erscheint intuitiv und spontan einleuchtend. In naiv-psychologischer Sicht steht<br />

Verkehrsintelligenz im Nachdenken unserer Klienten vor allem im Dienste des Erwerbs ihrer<br />

motorisierten <strong>Mobil</strong>ität. In <strong>der</strong> täglichen Arbeit haben wir 22 erfahren:<br />

19 Zu einer an den vorkonventionellen und konventionellen Stufen <strong>der</strong> Entwicklung des moralischen<br />

Urteilens orientierten Rekonstruktion einer reflexiv gewordenen Verkehrspsychologie siehe B. P.<br />

Rothenberger (Esslingen: Ms. 1996)<br />

20 Diese Entwicklungslogik verkehrspsychotherapeutisch zu rekonstruieren bleibt spannend, kann aber<br />

als eine zukünftige Aufgabe nicht mehr Ziel dieses Referates sein. Siehe dazu exemplarisch: Hans<br />

Jonas: Ärztliche Kunst und menschliche Verantwortung, In: Ders: Technik, Medizin und Ethik Frankfurt:<br />

Insel 1985. sowie Fußnote 23.<br />

22 Wir erproben z.Z. in unserer Partnerschaftsgesellschaft „<strong>auto</strong>-MOBIL“ einen vom Referenten<br />

konstruierten Satzergänzungstest zur Bestimmung des kognitiv-affektiven Handlungsfelds unserer<br />

Klienten von <strong>„Verkehrsintelligenz“</strong>, <strong>der</strong> im Anschluss an Loevinger (1970) aufgebaut und auswertet wird,<br />

mit Items wie: “Wenn ich ein Kraftfahrzeug fahre...“. „Mein Auto und ich....“,<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

1 Die naiv verstandene Verkehrsintelligenz umfaßt erstens die Lizenz zur Teilnahme am<br />

Straßenverkehr und zur Partizipation an <strong>der</strong> immer als ungerecht erlebten Verteilung einer<br />

administrativ geregelten Freiheit <strong>der</strong> Individualmobilität.<br />

2 Verkehrsintelligenz erscheint zweitens als Selbstausdruck eines "<strong>auto</strong>mobilen" Lebensstils,<br />

des Erwachsenseins, als etwas, das Unabhängigkeit und soziale Anerkennung garantiert.<br />

3 Sie ist drittens ein Mittel zur Selbstdarstellung, zur Inszenierung demonstrativer Sorglosigkeit<br />

und zum Genießen des symbolischen Gehalts und <strong>der</strong> öffentlichen Folgeerscheinungen eines<br />

oftmals prestigeträchtigen, immer aber geliebten Automobilbesitzes.<br />

4 Sie kann viertens in den Dienst <strong>der</strong> emotionalen Regulierung erlebter persönlicher Defizite,<br />

alltäglicher Distresserfahrungen und gefühlter Ungerechtigkeiten gestellt werden.<br />

5 Sie eröffnet fünftens die Freude an ungewöhnlichen Bewegungserlebnissen und<br />

Grenzerfahrungen, die über den Alltag hinausweisen<br />

6 Sie hat sechstens die Funktion riskantes Verkehrsverhalten als Quelle <strong>der</strong> Stimulierung o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Dämpfung von Emotionen und Stimmungen zu benutzen, o<strong>der</strong> aber auch als Mittel <strong>der</strong><br />

sozialen Abgrenzung, um seine Erfahrungen, seinen Affekthaushalt und seine Zufriedenheit mit<br />

dem eigenen Verkehrsverhalten auf ein persönlich angenehmes Niveau zu bringen.<br />

7 Für Verkehrspsychologen steht siebtens die Verkehrsintelligenz zusätzlich und immer schon<br />

im Dienste <strong>der</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Verkehrssicherheit.<br />

Im Bewegungsfeld <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz unserer Klienten lassen sich bislang die folgenden<br />

sechs Dimensionen naiv-psychologischer Verkehrsintelligenz unterscheiden:<br />

(1) Die Verkehrsintelligenz allgemein: Fertigkeiten, die Fahrfehler eher verhin<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> eher<br />

begünstigen.<br />

(2) Die Konflikträume Alkohol, Aggression (Mangel an Impulskontrolle) und Sorglosigkeit im<br />

Straßenverkehr. Der Problemraum „Überidentifikation mit dem eigenen Fahrzeug“.<br />

(3) Selbst- und Fremdbild des guten, verkehrsintelligenten Autofahrers.<br />

(4) Regeln und Normbewusstsein eines guten, verkehrsintelligenten Autofahrers.<br />

(5) Das naiv-psychologische Konzept von Verkehrspsychotherapie und Kraftfahreignung<br />

(6) Die naiv-psychologischen Erklärungsmuster für das Begehen o<strong>der</strong> Vermeiden eigener und<br />

frem<strong>der</strong> Verkehrsstraftaten sowie für die Entstehung und Aufrechterhaltung eines<br />

persönlichen Mangels an Verkehrsintelligenz.<br />

5 Diskussion und Ergebnis<br />

Das Wesentliche und Beson<strong>der</strong>e des menschlichen <strong>Mobil</strong>itätsverhaltens ist eng mit einem<br />

wissenschaftlich angemessenen Problemverständnis von Bewegung und Verkehrspsychologie<br />

verbunden. Es gilt die unauflöslichen Zusammenhänge von Selbst und Zeit, von Intelligenz und<br />

Bewegung, von Natur, Technik und Geist, von perzeptuell-motorischen und kognitiven<br />

Fertigkeiten, von Denken und Wahrnehmen einfach und sachgerecht zu beschreiben. Einem<br />

solchen Verständnis <strong>der</strong> Zusammenhänge nähern wir uns immer mehr an.<br />

Die psychologischen Prozesse im individuellen Verkehrsverhalten lassen sich mit theoretischen<br />

Ansätzen <strong>der</strong> Intelligenz, <strong>der</strong> Persönlichkeit und <strong>der</strong> Motivation, sowie <strong>der</strong> Entwicklung<br />

beschreiben. Sie sind auch den Betroffenen intuitiv zugänglich.<br />

Die Ebene 1: KRAFTFAHREIGNUNG<br />

Macht- und Rechts-<br />

verhältnisse<br />

Funktionales Soziale Kontrolle dysfunktionalen<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

Verkehrsverhalten Verkehrsverhaltens<br />

Die Ebene 2:<br />

Verkehrspsychologische VERKEHRSINTELLIGENZ ( VI)<br />

Wissensformen<br />

Verkehrsintelligente Das verkehrsintelligente Selbst:<br />

Verhaltensgewohnheiten Moralische und rechtliche<br />

Verantwortungsübernahme für<br />

Verkehrsintelligenz<br />

Die Ebene 3:<br />

Individuelle<br />

Subjektivitätsprozesse,<br />

Rechtsbewußtsein und Verhalten<br />

im Straßenverkehr<br />

VERKEHRSSITUATION<br />

Abbildung 1: Die wechselseitige Konstitution von Gesellschaft, Institution und Individuum sowie die<br />

komplexe Einheit von Machtverhältnissen, psychologischen Wissensformen und<br />

Verhaltensgewohnheiten am Beispiel einer verrechtlichten und bürokratisch organisierten<br />

Verkehrspsychologie<br />

Der <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz erklärt die zentrale These, dass die<br />

psychologischen Mechanismen mit <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung des individuellen Verkehrsverhaltens<br />

verbunden sind<br />

(1.) auf gesellschaftlicher Ebene mit Verän<strong>der</strong>ungen durch die Rechts- und Machtverhältnisse<br />

in den Machtbalancen <strong>der</strong> Menschen untereinan<strong>der</strong>, sowie durch den sozialen und<br />

technologischen Wandel des <strong>Mobil</strong>itätsverhaltens, von Transport und Verkehrsformen<br />

(2.) auf institutioneller Ebene mit Verän<strong>der</strong>ungen durch das Rechtssystem (auf Ebene 1)<br />

legitimierten verkehrspsychologischen Wissensformen und schließlich<br />

(3.) auf individueller Ebene mit Verän<strong>der</strong>ungen durch die spezifischen Selbstregulierungs- und<br />

Selbsterziehungsprozessen im Aufbau perzeptuell-motorischer Fertigkeiten zum<br />

intelligenten Lenken eines Fahrzeugs sowie im Aufbau <strong>der</strong> dafür notwendigen sozialen und<br />

moralischen Fähigkeiten eines intelligenten Autofahrers.<br />

Kurz: Im Konzept <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz konkretisiert sich die aus <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nitätstheorie<br />

abgeleitete These von <strong>der</strong> wechselseitigen Konstitution und Einheit von (1.) Macht- und<br />

Rechtsverhältnissen, (2.) verkehrspsychologischen Wissensformen und (3.) individuellen<br />

Subjektivitätsprozessen, Verhaltensgewohnheiten und Tugenden des intelligenten Autofahrers.<br />

Ergebnis<br />

Verkehrsintelligenz kann systematisch unter <strong>der</strong> integrativen Perspektive <strong>der</strong> Verkehrspsychologie<br />

als Gleichgewichtsverhältnis zwischen drei Hauptfaktoren <strong>der</strong> Entwicklung beschrieben<br />

werden. Die Entwicklung <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz ist Resultat aus (1) den personalen und<br />

motivationalen Bedingungen des Verkehrsverhalten, (2) dem situativen Einfluss <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Verkehrssituation im Zusammenhang mit den verstandenen Verkehrsregeln und (3) den<br />

Äquilibrationsfaktoren <strong>der</strong> Selbstregulierung und Selbsterziehung. Dieser dritte Faktor in <strong>der</strong><br />

Entwicklung von Verkehrsintelligenz ist <strong>der</strong> therapeutisch interessanteste. Verstanden als Hilfe<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

zur Selbsthilfe, Selbsterziehung und Selbstwirksamkeit (im Sinne von Bandura) beschreibt er<br />

den Prozess, an dem die therapeutische Intervention ansetzen muss, und <strong>der</strong> die Stabilität<br />

des Verkehrsverhaltens durch Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> personalen (bis hin zu den<br />

verhaltensgenetischen) Bedingungen bewirkt. Xaver Bacherle wir heute nachmittag ein<br />

verkehrspsychotherapeutisches Beispiel geben, das von <strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ung des „<strong>auto</strong>-mobilen“<br />

Selbstkonzepts und damit des Äquilibrationsfaktor <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz erzählt.<br />

- Davon ausgehend kann Verkehrsintelligenz als das Passungsverhältnis (Äquilibration) von<br />

intelligentem Verkehrsverhalten einerseits und den permanenten und aktuellen Risiken und<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen bei <strong>der</strong> Teilnahme am Straßenverkehr an<strong>der</strong>seits beschrieben werden.<br />

Derjenige verfügt praktisch über seine Verkehrsintelligenz, <strong>der</strong> seine Intelligenz im Umgang mit<br />

sich selbst, seinem Fahrzeug und den an<strong>der</strong>en Verkehrsteilnehmern so zu gebrauchen weiß,<br />

dass daraus ein erfolgsintelligentes Verkehrsverhalten, eine rationales Gefahren- und<br />

Risikobewusstsein sowie eine verantwortungsbewusste Teilnahme am motorisierten<br />

Straßenverkehr erfolgt.<br />

- Der Mangel an Verkehrsintelligenz verweist entsprechend auf die Nicht-Passung von<br />

Verkehrsintelligenz einerseits und dem Verkehrsteilnahmerisiko an<strong>der</strong>erseits.<br />

- Verkehrsauffälligkeit kann als ein Mangel an Verkehrsintelligenz beschrieben werden, sein<br />

Verhalten im Straßenverkehr mit Geist, Intelligenz und Verantwortung steuern zu können, d.h.<br />

mit an<strong>der</strong>en Worten sein Verkehrsverhalten als mental verursacht begreifen, mit<br />

verteidigbaren Argumenten rational begründen und es sozial und rechtlich verantworten zu<br />

können.<br />

Man beachte: in den beiden Fällen von <strong>„Verkehrsintelligenz“</strong> und „Verkehrsauffälligkeit“ musste<br />

ich nicht auf <strong>Begriff</strong>e wie „Fahruntauglichkeit“, „körperlich-seelische Behin<strong>der</strong>ung“ o<strong>der</strong><br />

„Störung“ zurückgreifen. Gemäß <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz sind Fahreignung,<br />

Fahruntauglichkeit und dysfunktionales Verkehrsverhalten weniger durch rechtlich definierte<br />

Straftaten, weniger durch medizinisch beschreibbare und gruppenspezifisch bestimmte<br />

Krankheiten und weniger durch sozioökonomisch interpretierte Klassen- und<br />

Schichtzugehörigkeit bedingt. Fahreignung und Fahruntauglichkeit sind vielmehr durch das<br />

mehr o<strong>der</strong> weniger intelligente Verhalten und die entsprechenden mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

rationalen Einstellungen und Persönlichkeitseigenschaften des einzelnen Verkehrsteilnehmers<br />

bedingt. 23<br />

Deshalb ist begrifflich daran festzuhalten: Es ist bei jugendlichen Fahranfängern nicht <strong>der</strong><br />

Mangel an Erfahrung als solcher, es ist bei dem älteren Verkehrsteilnehmer nicht das<br />

Nachlassen ihrer Konzentrationsfähigkeit, und es ist bei dem betrunkenen Verkehrsteilnehmer<br />

nicht die absolute Fahruntauglichkeit mit einer BAK von mehr als 1,1 Promille, die zu einem<br />

gering entwickelten verkehrsintelligenten Verhalten führen.<br />

Es ist, wie schon gesagt, primär <strong>der</strong> Mangel an ausreichend entwickelten psychologischen<br />

Kompetenzen wie „Erwerb intelligenter perzeptuell-motorischen Fertigkeiten im Lenken eines<br />

Fahrzeugs“, verbunden mit dem Mangel an <strong>der</strong> Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme, <strong>der</strong><br />

eine gering entwickelte Verkehrsintelligenz zur Folge hat. Es ist oft das Fehlen einer<br />

emotionalen und moralischen Selbstkontrolle auf Grund einer nur egozentrisch ausgebildeten<br />

Fähigkeit zur Rollenübernahme mit dem zu antizipierenden Verhalten und Erleben <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Verkehrsteilnehmer, es sind mithin Kompetenzmängel und/o<strong>der</strong> Performanzdefizite an<br />

gesellschaftlich wertvollen Eigenschaften (Tugenden, Verantwortungsübernahme) und<br />

Zuständen (Besonnenheit), die die geringe Höhe <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz bedingen.<br />

Verkehrspsychologische Interpretationen<br />

23<br />

Siehe dazu die im persönlichkeitspsychologischen Zugang zur Verkehrsintelligenz beschriebenen<br />

Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Verkehrsverhalten (S. 10 - 12 im Referat)<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

Diese Ergebnisse möchte ich Ihnen dadurch verständlich machen, dass ich auf die verkehrspsychologische<br />

Realität zurückgehe, die dadurch gekennzeichnet ist, dass unsere Arbeit mit<br />

Verkehrsteilnehmern, sei es Begutachtung o<strong>der</strong> sei es Therapie, verrechtlicht und bürokratisch<br />

organisiert ist, d.h. immer unter Berücksichtigung <strong>der</strong> juristischen Vorgaben des<br />

Straßenverkehrsrechts und <strong>der</strong> entsprechen Verwaltungsvorschriften zu erfolgen hat. Diese<br />

Realität verkehrspsychologischer Praxis muß aber vom Psychologen und teilweise auch von<br />

seinem Klienten begriffen werden, um erfolgreich arbeiten und mitarbeiten zu können. Deshalb<br />

kann, wie schon gesagt, etwas begriffliche Arbeit und terminologische Klärungen helfen, die<br />

immer auch psychologische Arbeit an den jeweils eigenen Einstellungen und Überzeugungen<br />

sind<br />

Exkurs Anfang<br />

Hier folgt ein Text unseres Jüngsten, gerade 16 Jahre alt geworden, <strong>der</strong> mich, während ich<br />

gerade meinen Vortag am Laptop überarbeite, gefragt hat ob er auch etwas zu meinem Referat<br />

beitragen darf. Ich habe gesagt, natürlich darfst du das, wenn du etwas zu sagen hast. Und hier<br />

lesen Sie seinen ersten Beitrag zur Verkehrspsychologie:<br />

Hallöle Bandy Tandy, wie geht’s? Wie mir es geht ist ja nicht schwer zu erraten.<br />

Mein Grund für mein gutes Befinden heißt “YAMAHA DT 125“<br />

Noch Fragen?????<br />

Gut!!!!!<br />

Viel Spaß noch beim Schreiben an deinem Text!!!<br />

Christoph<br />

Exkurs Ende<br />

Terminologisches zu Verkehrsverhalten und Verkehrsintelligenz - und die Folgen<br />

Um im Dickicht <strong>der</strong> verkehrspsychologischen und verkehrsrechtlichen Diskussion beweglich zu<br />

bleiben, schlage ich vor, zwischen <strong>„Verkehrsintelligenz“</strong> und „Verkehrsverhalten“ zu<br />

unterscheiden, sowie zwischen dem normativen Problem <strong>der</strong> Eignung zum Führen eines<br />

Fahrzeugs und dem empirischen Phänomen <strong>der</strong> sozialen Kontrolle des dysfunktionalen<br />

Verkehrsverhaltens. (Siehe dazu die Abbildung 1)<br />

1 Verkehrsverhalten kann entwe<strong>der</strong> funktional o<strong>der</strong> dysfunktional sein. Verkehrsverhalten ist<br />

funktional, wenn es zuvor festgelegten Standards o<strong>der</strong> Normen intelligenter Verkehrsteilnahme<br />

genügt, z.B <strong>der</strong> Aufrechterhaltung o<strong>der</strong> Erhöhung des Verkehrsflusses ohne Risiken.<br />

In <strong>der</strong> Bestimmung rationaler Standards folgt die gesetzliche Kontrolle des<br />

Straßenverkehrsverhaltens (lei<strong>der</strong> immer noch) nicht den psychologischen Gesetzen des<br />

Lernens und <strong>der</strong> Entwicklung. Straßenverkehrsgesetze definieren keine Pflichten intelligenten<br />

Verkehrsverhaltens. In Folge davon helfen sie nicht einen positiven Punktekatalog o<strong>der</strong> eine<br />

öffentliche Beurkundung (Stichwort „goldenes Verkehrsabzeichen“) zu bestimmen. Wer als<br />

Verkehrsteilnehmer sich funktional - o<strong>der</strong> wie ich jetzt sagen will - verkehrsintelligent im<br />

Straßenverkehr verhält, wird nicht öffentlich belohnt. Die Verstärkung, die öffentliche<br />

Belohnung o<strong>der</strong> Beurkundung verkehrsintelligenten Verhaltens jedoch würde aus<br />

lerntheoretischer und neurobiologischer Sicht <strong>der</strong> Verkehrssicherheit mehr dienen, als die<br />

öffentliche Bestrafung dysfunktionalen Verkehrsverhaltens.<br />

Soziologisch betrachtet steht <strong>der</strong> Mangel an verkehrsintelligentem Verhalten unter sozialer<br />

Kontrolle. Das von <strong>der</strong> Norm abweichende und dysfunktionale Verhalten kann rechtlich bestraft,<br />

zumindest aber mit einer Ordnungswidrigkeit belegt werden. Als Verhalten än<strong>der</strong>t sich auch<br />

das Verkehrsverhalten in Abhängigkeit von personalen und situativen Bedingungen. Dies gilt<br />

(lei<strong>der</strong>) auch dann, wenn keine neuen Erfahrungen gemacht wurden und keine Verän<strong>der</strong>ungen<br />

in den psychomotorischen, den kognitiven o<strong>der</strong> den personalen Kompetenzen zu beobachten<br />

sind.<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

2 Intelligentes Verkehrsverhalten wie<strong>der</strong>um kann nicht als unter sozialen Kontrolle stehend<br />

gedacht werden. Es kann als intelligent und selbstkontrolliert bezeichnet werden, wenn es nicht<br />

heteronom, son<strong>der</strong>n <strong>auto</strong>nom bestimmt ist, d.h. wenn es im Dienste einer <strong>Mobil</strong>ität steht, die<br />

durch ein verkehrsintelligent gemachtes Selbst kontrolliert wird und damit als selbstreguliert<br />

o<strong>der</strong> selbstkontrolliert gilt.<br />

Im Gegensatz zum beobachtbaren Verkehrsverhalten meint die immer mental verursachte und<br />

nie beobachtbare Verkehrsintelligenz die Selbstwirksamkeit, die Selbsterziehung und die<br />

entwickelte Selbstkompetenz zu intelligentem Verkehrsverhalten.<br />

Daraus folgt: Verkehrsintelligenz verhält sich zu Verkehrsverhalten, wie das Ei zum Wasser, in<br />

dem es gekocht wird. Während das Ei sich nach dem Kochen in seiner Eigenschaft/ Substanz<br />

verän<strong>der</strong>t hat, kehrt das Wasser in seinen Ausgangszustand zurück. Zeigt <strong>der</strong> Verkehrsteilnehmer<br />

ein geän<strong>der</strong>tes Verkehrsverhalten, müssen sich seine Einstellungen zum<br />

Straßenverkehr, sein Bild von sich als Autofahrer und seine verkehrsrelevanten<br />

Persönlichkeitseigenschaften nicht notwendigerweise auch verän<strong>der</strong>t haben: seine<br />

Verkehrsintelligenz bleibt durch Erfahrung unverän<strong>der</strong>t.<br />

Von <strong>der</strong> Kraftfahreignung zum <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

Die genaue theoretische und praktisch durchschlagende Bedeutung meiner These von <strong>der</strong><br />

Verkehrsintelligenz ist mir erst spät im meinem beruflichen Leben klar geworden. Was<br />

Verkehrsintelligenz nicht ist und vor allem, dass sie kein Wissensproblem ist, son<strong>der</strong>n ein<br />

psychomotorisches und ein normatives Handlungsproblem enthält, wurde mir erst nach und<br />

nach in beruflichen Diskussionen deutlich, in denen ich therapeutisch und gutachterlich tätige<br />

Kollegen fragte, was - psychologisch betrachtet - Fahreignung ist: Was hat <strong>der</strong><br />

Verkehrspsychotherapeut, was <strong>der</strong> (normale, nicht doppelt qualifizierte) Psychotherapeut nicht<br />

hat? Wenn ich ihren Mangel an Sprachlosigkeit auf den <strong>Begriff</strong> bringen will, so meint er eine<br />

Verwirrung in ihrem Denken und eine Gedankenlosigkeit gegenüber dem, was sie in <strong>der</strong> Praxis<br />

so und nicht an<strong>der</strong>s tun, ohne schon zu wissen warum.<br />

Was in <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Begutachtung und För<strong>der</strong>ung von Kraftfahrern problemlos gelingt, muss<br />

im Bewusstsein und im Nachdenken nicht ebenso unproblematisch sein. Meine innovative<br />

Einsicht, die von Rosenzweig, Carlson und Gilmore (2001) bestätigt wird, lautet, dass wir nur<br />

ein gering entwickeltes psychologisches Verständnis von den verkehrsintelligenten<br />

Bewegungen und den psychomotorischen Lenkungen eines Kraftfahrzeugs haben. Dem<br />

Descartschen Irrtum einer Körper-Seele-Spaltung folgend, haben die Forschungen <strong>der</strong><br />

akademischen Psychologen mehr zum Verständnis von kognitiven und psychosozialen als von<br />

psychomotorischen Operationen beigetragen. Und so können auch klinisch tätige<br />

Verkehrspsychologen oftmals nicht sagen, was sie in ihrer Therapie spezifisch an<strong>der</strong>s machen<br />

als approbierte Psychotherapeuten mit ihrem Suchtklientel.<br />

Im theoretischen Prozess des Begreifens helfen Definitionen und juristische Klärungen. Wenn<br />

aber im Theoretisieren <strong>der</strong> Leib-Seele-Dualismus wie<strong>der</strong>holt wird, dann kann die Beschäftigung<br />

mit <strong>Begriff</strong>en und Normen zu völlig unangemessenen theoretischen Lösungen führen, falls sie<br />

nicht von Anfang an gänzlich in die Irre führt, ohne dass <strong>der</strong> theoretische Irrtum aufgedeckt<br />

werden kann.<br />

In <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Begutachtung und <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung helfen Fertigkeiten und Motivationen. Einige<br />

Praktiker sind zu <strong>der</strong> Meinung gelangt, es sei besser ganz den Kontakt zur wissenschaftlichen<br />

Psychologie abzubrechen, weil die Forschungsergebnisse praktisch irrelevant seien, wenn sie<br />

nicht sogar demotivierend o<strong>der</strong> praxisdestabilisierend wirken würden. An<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um<br />

glauben zentrale praktische Probleme mit Hilfe <strong>der</strong> rechtlichen Systematik und mit juristischem<br />

Sachverstand o<strong>der</strong> mit wissenschaftstheoretischen Reflexionen und terminologischen<br />

Differenzierungen auflösen zu können. Und so weiß <strong>der</strong> theoretisch gut informierte Praktiker,<br />

dass er ein Sollen nicht aus einem Sein, eine Regel nicht aus einem deskriptiven Datum, eine<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

Vorschrift nicht aus einer Tatsachenfeststellung und ein Normenbewußtsein nicht aus einem<br />

empirisch beobachtbaren Verhalten ableiten darf.<br />

Aber sowohl in unserem Alltag als auch in <strong>der</strong> professionellen Praxis <strong>der</strong> Begutachtung und<br />

För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Fahreignung ist <strong>der</strong> Übergang von <strong>der</strong> Norm zur Wirklichkeit, vom Sollen zum<br />

Sein, vom Bewusstsein zum Verhalten - und auch umgekehrt von <strong>der</strong> Wirklichkeit zur Norm -<br />

gänzlich unproblematisch: Im Schließen vom Sein auf ein Sollen steckt tatsächlich nur ein<br />

theoretisches und kein praktisches Problem – und dieses praktische Problem habe ich mit dem<br />

<strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz gelöst. Worin besteht die Lösung? Sie besteht darin, dass<br />

ich auf die Synthese <strong>der</strong> Gegensätze von Sein und Sollen in einem einheitlichen<br />

Selbstbegriff vom Menschen verweise.<br />

Allein schon in <strong>der</strong> Natur personaler Eigenschaften zeigt sich die Einheit von empirischen<br />

Eigenschaften und sozialer Wertschätzung dieser Eigenschaften. Verkehrsintelligenz meint<br />

damit immer auch die Übernahme <strong>der</strong> Verantwortung für seine Fahrfähigkeit und sein aktuelles<br />

Verkehrsverhalten. Man muss sich seiner Verantwortung für die Weiterentwicklung seiner<br />

Verkehrsintelligenz bewusst sein und prüfen, ob man ihr in seinem Verkehrsverhalten gerecht<br />

geworden ist. Die Präsenz von Verantwortlichkeit nur naiv zu unterstellen, um sich das gute<br />

Gefühl zu verschaffen, schon ein guter Fahrer zu sein und es nicht erst werden zu müssen,<br />

setzt an die Stelle <strong>der</strong> notwendigen Prüfung <strong>der</strong> Intelligenz und Rationalität seines Verhalten<br />

im Straßenverkehr die Zufriedenheit mit seinem guten Gewissen und dem daraus<br />

entspringenden komfortablen Gefühl. Das selbsterzeugte gute Gefühl eines selbstgewissen<br />

guten Gewissens unterläuft jedoch das gemeinsame verantwortungsbezogene Gespräch<br />

darüber, welche Werte aus einer Analyse <strong>der</strong> eigenen Fahrfehler bewusst werden können und<br />

welche Normen für ein intelligentes Fahren vorausgesetzt werden müssen. Hört eine solche<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> eigenen Person als Verkehrsteilnehmer auf und werden die<br />

Verantwortlichkeiten und Folgen des eigenen Verkehrsverhaltens aus dem Nachdenken<br />

ausgeblendet, dann wird die Persönlichkeit ärmer, das Gewissen verkümmert und es entsteht<br />

jene gefährliche und verantwortungslose Welt, in <strong>der</strong> wir an einem chaotischen und<br />

rücksichtslosen Straßenverkehr teilnehmen, den wir uns nicht wünschen und vor dem wir uns<br />

fürchten.<br />

Ergebnis<br />

Heute erkenne ich, dass ich im <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz einen anomalen, d.h. einen<br />

gemischten normativen und empirischen <strong>Begriff</strong> gefunden habe, <strong>der</strong> normativ-juristische und<br />

empirisch-verkehrspsychologische <strong>Begriff</strong>santeile umfasst. Der <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> <strong>„Verkehrsintelligenz“</strong><br />

enthält in seinem <strong>Begriff</strong>sumfang (seiner Extension) sowohl den normativen und<br />

kontrafaktischen <strong>Begriff</strong>santeil <strong>der</strong> Kraftfahreignung, <strong>der</strong> das Sollen und das allgemein<br />

Wünschenswerte meint, als auch den empirischen und faktische <strong>Begriff</strong>santeil <strong>der</strong> sozialen<br />

Kontrolle des Verkehrsverhaltens, <strong>der</strong> das Sein (states und traits) und das Können<br />

(Kompetenzen und skills) meint, sowie auch die soziale Kontrolle des Verkehrsverhaltens. Was<br />

die öffentliche Kontrolle intelligenten Verkehrsverhaltens betrifft, so verstehe ich nach und nach<br />

die Asymmetrie besser, die sich in <strong>der</strong> sozialen Kontrolle und öffentlichen Aufmerksamkeit von<br />

funktionalem und dysfunktionalen Verkehrsverhaltens zeigt. Diese Asymmetrie besteht darin,<br />

dass Gesetzestreue nicht belohnt, Gesetzesübertretung dagegen bestraft wird. Damit ist ein<br />

wichtiges Thema im Rahmen von Verkehrsintelligenz angesprochen. Es kann aber hier nicht<br />

weiter verfolgt werden.<br />

Der unbestimmte Rechtsbegriff <strong>der</strong> Kraftfahreignung und <strong>der</strong> naturalistische Fehlschluss<br />

Zunächst gilt es diskursiv anzuerkennen: Kraftfahreignung ist ein normativer <strong>Begriff</strong>.<br />

Intelligentes, verantwortungsbewusstes, sicheres o<strong>der</strong> mit ähnlichen Adjektiven<br />

gekennzeichnetes Verkehrsverhalten und die es strukturierende Verkehrsintelligenz sind<br />

anomale <strong>Begriff</strong>e, die nicht unter das im Bereich <strong>der</strong> Naturwissenschaften gültige Prinzip <strong>der</strong><br />

Seite - 21 -


Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

kausalen Verursachung fallen. Sie können nicht im nomologischen Netz <strong>der</strong> physikalischen<br />

Theorie eingefangen werden, um die berühmte Formulierung von Donald Davidson (1980) zu<br />

zitieren.<br />

Warum ist das so?<br />

1. Niemals wird ein Psychologe allein mit empirischen Mitteln den normativen Gehalt eines<br />

ethischen <strong>Begriff</strong>s (z.B. <strong>der</strong> Tugend) o<strong>der</strong> eines Rechtsbegriffs (hier die Angemessenheit <strong>der</strong><br />

charakterlichen o<strong>der</strong> personalen Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs) angemessen<br />

beschreiben können, geschweige denn begründen können. Wer so vorgeht begeht den<br />

„naturalistischen Fehlschluss“ des unbegründeten Übergangs vom Sein auf ein Sollen, von<br />

einer Tatsachenfeststellung auf eine Regelbegründung.<br />

2. Allein schon <strong>der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> „Intelligenz“, und nicht erst <strong>der</strong> <strong>Begriff</strong> einer auf <strong>Mobil</strong>ität und<br />

räumliche Orientierung bezogenen Intelligenz, stellt eine Verknüpfung von gemischt<br />

normativen und empirischen <strong>Begriff</strong>en dar. Aufbau und Anwendung von Intelligenz meint eine<br />

psychologische Einheit von Sein und Sollen, als die vom Individuum herzustellende<br />

Verbindung von Können und sozial Erwünschten, meint die in <strong>der</strong> Person realisierte Einheit von<br />

wünschenswerten Intelligenzleistungen und einer in den Ansprüchen <strong>der</strong> Person verankerten<br />

dauerhaften Anwendung seiner Intelligenz: Verkehrsintelligenz ist in ihrer höchst entwickeltsten<br />

Form eine Moral <strong>der</strong> Verkehrseinstellungen, so wie die Verkehrsmoral für die Person des<br />

Verkehrsteilnehmers eine Logik seines Verkehrsverhaltens darstellt.<br />

3. Im <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> "Verkehrsintelligenz" habe ich die psychologische Einheit von Sein und<br />

Sollen auch in <strong>der</strong> biographischen Einheit <strong>der</strong> Person des Verkehrsteilnehmers auf den <strong>Begriff</strong><br />

gebracht. Allein schon mit dem <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> „Person“ ist die gemischte Einheit von<br />

Persönlichkeitseigenschaften und sozialer Wertschätzung und Verpflichtung zur Anwendung<br />

dieser Eigenschaften gemeint.<br />

Man beachte, dass zur Entwicklung <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz in naiv-psychologischer Sicht nicht<br />

nur <strong>der</strong> Erwerb entsprechen<strong>der</strong> perzeptuell-motorischer und kognitiver Fertigkeiten zum Führen<br />

eines Fahrzeugs gehört. Es bedarf auch des Aufbaus personaler Eigenschaften und<br />

Grundüberzeugungen eines Fahrers, die –auf individuell unterschiedliche Art und Weise – die<br />

konkreten Erwartungen, die Ansprüche an sich selbst und an<strong>der</strong>e, sowie die<br />

Selbstverpflichtungen bedingen, ein guter Autofahrer zu sein. Wie wir aus empirischer<br />

Forschung wissen, bedecken viele Autofahrer die faktischen Schwächen in ihrem<br />

Verkehrsverhalten mit normativen For<strong>der</strong>ungen an sich selbst. In ihrem idealen Selbstbild<br />

wünschen sie sich sie ein guter Autofahrer zu sein, <strong>der</strong> davon überzeugt sein darf, und zwar<br />

allein Kraft seiner Wünsche, besser als <strong>der</strong> Durchschnitt <strong>der</strong> Autofahrer fahren zu können. Sie<br />

fühlen, dass sie sich augenblicklich fair und rücksichtsvoll verhalten, sobald sie hinter dem<br />

Steuer ihres Wagens sitzen. So begehen sie den naturalistischen Fehlschluß <strong>der</strong> Verwechslung<br />

von Wunsch und Wirklichkeit, von Denken/Fühlen und Handeln.<br />

Der unbestimmte Rechtsbegriff <strong>der</strong> Kraftfahreignung und die soziale Kontrolle des<br />

dysfunktionalen Verkehrsverhaltens<br />

Fassen wir zusammen:<br />

- Im <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> <strong>„Verkehrsintelligenz“</strong> konkretisiert sich teilweise <strong>der</strong> unbestimmte Rechtsbegriff<br />

<strong>der</strong> "Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen".<br />

- Der unbestimmte Rechtsbegriff kann in zwei empirische <strong>Begriff</strong> aufgeteilt werden und mit dem<br />

einen empirischen <strong>Begriff</strong> des faktischen Verkehrsverhaltens und mit dem an<strong>der</strong>en empirischen<br />

<strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> „sozialen Kontrolle“ des Verkehrsverhaltens näher bestimmt werden. Mit dieser<br />

Zweiteilung ist jedoch die juristische Dimension von Recht und Gesetz und das moralische<br />

Problem <strong>der</strong> Verantwortungsübernahme für sein Verkehrsverhalten und die Folgen seines<br />

Verkehrsverhaltens noch nicht beschrieben!<br />

Seite - 22 -


Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

- Der anomale <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz muss deutlich von dem rein normativen <strong>Begriff</strong><br />

<strong>der</strong> juristischen und moralischen Verantwortung für sein Verkehrsverhalten und die Folgen<br />

getrennt werden. Der normative <strong>Begriff</strong> setzt einen gesellschaftlichen Standpunkt voraus und<br />

wird im nächsten Abschnitt (Verkehrsintelligenz und reflexive Mo<strong>der</strong>ne) weiter ausgeführt.<br />

Die Ebene <strong>der</strong><br />

NORM<br />

KRAFT-<br />

FAHR-<br />

EIGNUNG<br />

Die Ebene <strong>der</strong><br />

ÄQUILIBRATION<br />

Die Ebene <strong>der</strong><br />

WIRKLICHKEIT<br />

KLIENT<br />

und seine<br />

Verantwortung<br />

für sein<br />

Verkehrsverhalt<br />

en<br />

RECHT und GESETZ<br />

( RuG)<br />

VERKEHRS-<br />

INTELLIGENZ (VI)<br />

VERKEHRS-<br />

SITUATION<br />

Abbildung 2: Eine Rekonstruktion <strong>der</strong> systemischen Beziehungen <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz in den drei<br />

Hauptfaktoren (1.) <strong>der</strong> Subjektivität und <strong>der</strong> Verhaltensgewohnheiten: Patient und Therapeut (Ebene <strong>der</strong><br />

Wirklichkeit), (2.) des Wissensformen: Verkehrspsychologie und Verkehrsintelligenz (Ebene <strong>der</strong><br />

Äquilibration), (3.) <strong>der</strong> Rechts- und Machtverhältnisse: Recht und Gesetz, sowie die daraus abgeleitete<br />

Kraftfahreignung (Ebene <strong>der</strong> Norm)<br />

In Abbildung 2 kann die empirische Beschreibung <strong>der</strong> sozialen Kontrolle von<br />

<strong>„Verkehrsintelligenz“</strong> bildhaft angeschaut werden. Es geht um die folgenden drei Elemente, die<br />

zusammen aus „Recht und Gesetz“, „Kraftfahreignung“ und „soziale Kontrolle“ das „Dreieck <strong>der</strong><br />

sozialen Kontrolle dysfunktionalen Verkehrsverhaltens“ bilden, das von dem übergeordneten<br />

Element „Recht und Gesetzt“ bestimmt wird.<br />

Seite - 23 -<br />

SOZIALE<br />

KONTROLLE<br />

dysfunktionalen<br />

Verkehrsverhaltens<br />

VERKEHRS-<br />

PSYCHOLOGE<br />

als Repräsentant<br />

<strong>der</strong> Verkehrs-<br />

intelligenz


Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

Mit <strong>der</strong> Zweiteilung des unbestimmten Rechtsbegriffs <strong>der</strong> „Kraftfahreignung“ in die zwei<br />

empirischen <strong>Begriff</strong>e des funktionalen Verkehrsverhaltens und des dysfunktionalen<br />

Verkehrsverhaltens eröffnet sich das weite Problemfeld sozialer Kontrolle. Von diesem weiten<br />

Feld weiß ich, dass es für Verkehrspsychologen schwer zu verstehen ist, gleichgültig ob es sich<br />

um Gutachter o<strong>der</strong> um Therapeuten handelt. 24<br />

Es ist das Problemfeld, das Robert Castel (2000) mit dem <strong>Begriff</strong> "negativer Individualismus"<br />

benennt und John Galtung mit dem <strong>Begriff</strong> „strukturelle Gewalt“. Die negative Form des<br />

Individualismus kann von dem davon Betroffenen mehr nicht als Unabhängigkeit und<br />

Eigenständigkeit erlebt und als Autonomie begriffen werden, son<strong>der</strong>n nur noch in <strong>Begriff</strong>en von<br />

zugeschriebenen Defiziten und erlebten Mängeln. Der auffällig gewordene Verkehrsteilnehmer,<br />

dessen Handeln in <strong>der</strong> Tat einen Mangel an Verkehrsintelligenz ausdrückt, erlebt seine eigene<br />

Individualität nicht länger aus eigener Wirksamkeit, son<strong>der</strong>n allein noch im Prozess <strong>der</strong><br />

Teilnahme an einem rechtlich definierten System ungleicher Verteilung <strong>der</strong> Teilnahmechancen<br />

am Straßenverkehr. Er muss es als ein ihm feindlich gesonnenes und unpersönliches System<br />

<strong>der</strong> Aufrechterhaltung <strong>der</strong> Verkehrssicherheit verstehen, insofern es ihn in eine neue Art <strong>der</strong><br />

Abhängigkeit von Instanzen und Experten sozialer Kontrolle führt. Diesen Prozess, <strong>der</strong> auf die<br />

Bestimmung des Einzelnen gerichtet ist und sozial negativ über Ausgrenzung und<br />

Stigmatisierung erfolgt, nennt Robert Castel (2000) „negative Individualisierung“. Darin zeigt<br />

sich eine Form struktureller Gewalt: die einen können den Individualisierungsschub <strong>der</strong><br />

Mo<strong>der</strong>ne im positiven Sinne als Unabhängigkeit erleben, die an<strong>der</strong>n tragen ihn als Stigma <strong>der</strong><br />

Abhängigkeit, weil ihre Form <strong>der</strong> Individualität für einen Mangel an Verantwortung und an<br />

personalen Eigenschaften wie Ich-Stärke o<strong>der</strong> Sorgfalt steht und das Fehlen von Kompetenz<br />

und Macht, sowie von sozialer Anerkennung anzeigt.<br />

Begutachtung als soziale Kontrolle<br />

Für Gutachter ist <strong>der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> sozialen Kontrolle weniger kritischer als für Therapeuten.<br />

Mit Hilfe <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz lässt sich eine Kritik an dem gruppenstatistisch<br />

erfassten <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Fahrfähigkeit formulieren. Weil <strong>der</strong> Gutachter von Gruppennormen und<br />

nicht vom Individuum ausgeht sowie von den statistischen Risikofaktoren im Straßenverkehr<br />

auffällig zu werden, kann er <strong>der</strong> moralischen o<strong>der</strong> charakterlichen Individualität des einzelnen<br />

Verkehrsteilnehmers nur wenig Beachtung schenken. So exploriert er seinen Probanden relativ<br />

dekontextualisiert, wobei er dessen Fahrfähigkeit vor allem mit sprachlichen und empirischen<br />

Mitteln festzustellen beansprucht, ohne Berücksichtigung des normativen Kontextes, in dem<br />

<strong>der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> „juristischen o<strong>der</strong> sozialen Verantwortung für das eigene Verkehrsverhalten“<br />

steht. Und genau hier liegt die Stärke des individualisierenden <strong>Begriff</strong>s <strong>der</strong> <strong>„Verkehrsintelligenz“</strong>.<br />

Er ermöglicht es, Fähigkeit und Verantwortung, Kompetenz und Tugend in <strong>der</strong> Person des<br />

Fahrers zusammenzudenken.<br />

Zu fragen wäre: Können Kurse, die nur gruppenstatistisch ermittelte und rein psychologisch<br />

informierte Kurswirkungen beschreiben, überhaupt mit Rechtsfolgen versehen werden, ohne<br />

dass man dadurch den naturalistischen Fehlschluss begeht? Müsste <strong>der</strong> Gutachter mit seinem<br />

Probanden nicht auch in einen Verantwortungsdiskurs über dessen Verkehrsverhalten und<br />

dessen Verkehrseinstellungen eintreten?<br />

Die Theorie <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz erlaubt es darüber hinaus eine kritische Frage an die<br />

expertenorientiert konstruierte Situation <strong>der</strong> Begutachtung <strong>der</strong> Fahrereignung zu stellen. Wenn<br />

allein nur <strong>der</strong> Gutachter definieren darf, wer die Fahreignung „hat“, dann sind diejenigen, die<br />

sie nicht haben Opfer von Etikettierung und Stigmatisierungen, was– wie oben gezeigt - einer<br />

Ungleichbehandlung gleichkommt. Hier stellt sich die kritische Frage: Das affirmative Ziel jedes<br />

24 Siehe dazu meine Ausführungen über „Kraftfahreignungsmodifikation als soziale Kontrolle, in: B. P.<br />

Rothenberger, 1996<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

auffällig gewordenen Kraftfahrers ist <strong>der</strong> Erwerb des Führerscheins. Je<strong>der</strong> möchte seinen<br />

Führerschein wie<strong>der</strong> bekommen o<strong>der</strong> behalten. Weil dies das Ziel aller Autofahrer ist und nicht<br />

nur <strong>der</strong> jungen Fahranfänger, kann gefragt werden: Brauchen verkehrsauffällig gewordene<br />

Kraftfahrer ihre Verkehrsintelligenz um die Fragen <strong>der</strong> Gutachter erfolgreich zu beantworten<br />

o<strong>der</strong> ist die Verkehrsintelligenz tatsächlich ein prognostisch valides Kriterium dafür, wie intelligent<br />

<strong>der</strong> Betroffene am Straßenverkehr wird teilnehmen können? Solange <strong>der</strong> Gutachter nicht<br />

in <strong>der</strong> Lage ist theoretisch zu beschreiben was Kraftfahreignung ist, kann er im Einzelfall nicht<br />

nachweisen, ob er nur zur Verbesserung des Verkehrssicherheitsdiskurses in <strong>der</strong> Begutacht-<br />

ungsstelle beitragen hat, o<strong>der</strong> aber tatsächlich zur Verbesserung <strong>der</strong> Verkehrssicherheit auf<br />

unseren Straßen. Ich gebe zu Bedenken: ein Gutachter kann nicht wissen, was er tut, solange<br />

er sich nicht seinen <strong>Begriff</strong> von „Kraftfahreignung“ explizit gemacht hat.<br />

Therapie als soziale Kontrolle<br />

Für den Therapeuten meint <strong>der</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> sozialen Kontrolle die radikale Kritik an <strong>der</strong><br />

Heteronomie und <strong>der</strong> Unwissenschaftlichkeit seines beruflichen Handelns, wonach <strong>der</strong><br />

Therapeut sich seiner eigenen Freiheit des Nachdenkens beraubt und seine Klienten<br />

entmündigt, indem er sich selbst und seinen Klienten moralischen Gefühle und moralische<br />

Urteilsfähigkeit im Rahmen von Psychotherapie abspricht.<br />

Insofern <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>gelassene Verkehrspsychotherapeut sich den juristischen Vorgaben<br />

unterordnet, erlaubt er, dass die Verkehrspsychotherapie verrechtlicht und bürokratisiert<br />

organisiert angewandt wird. Damit verliert er den Status eines freien Berufs. Darüber hinaus<br />

bedeutet soziale Kontrolle durch Psychotherapie eine Festlegung <strong>der</strong> Therapieziele auf<br />

Anpassung an bestehende Gesetze und gesellschaftliche Normen. Das zentrale Problem, dass<br />

sich Therapeuten in ihrer Zielbestimmung zunehmend an <strong>der</strong> Anpassung ihres Klienten an den<br />

bestehenden Gesetzen und Umständen orientieren, besteht im Kern darin, dass sie die<br />

normative Dimension des moralischen Urteilens und <strong>der</strong> juristisch-moralischen Verantwortung<br />

ausblenden und zwar auf Seiten des Klienten wie des Therapeuten. Was <strong>der</strong> Therapeut an<br />

moralischen und Gerechtigkeitsproblem im Handeln und Erleben seines Klienten nicht erkennt<br />

und anerkennt, kann er auch nicht an seinen Klienten weitergeben. Eine naturalisierte<br />

Psychotherapie ist wohl wertfrei, aber auch richtungs- und orientierungslos. Der normativ zu<br />

begreifende Wunsch seinen Führerschein wie<strong>der</strong> zu bekommen wird zum empirisch begriffenen<br />

Auslöser für therapeutische Interventionen an <strong>der</strong> Person dessen, <strong>der</strong> keinen Führerschein<br />

mehr besitzt. Insofern ist ein naturalistischer Fehlschluß zu diagnostizieren. Die Idee, dass <strong>der</strong><br />

Wunsch nach Wie<strong>der</strong>erlangung seines Führerscheins eine eigene, nämlich einen normative<br />

o<strong>der</strong> Gerechtigkeitsdimension hat, die darüber hinaus eng mit <strong>der</strong> Verkehrssicherheit aller<br />

verbunden ist, wird vom rein therapeutisch orientierten Psychologen ausgeblendet. Wir<br />

erkennen hier ein Dilemma verrechtlicht organisierter Psychotherapie. Sie muss ihren eigenen<br />

und moralischen Weg zwischen <strong>der</strong> Scylla <strong>der</strong> direkten Übernahme normativer Vorgaben durch<br />

das Justizsystem und <strong>der</strong> Charybdis <strong>der</strong> Leugnung jeglicher normativer Dimension<br />

therapeutischen Handelns finden. Nur so kann sie einen Zugang zur Moral und zum<br />

Rechtsverständnis ihres Klientels finden und es för<strong>der</strong>n und weiterentwickeln.<br />

Wenn nun <strong>der</strong> Verkehrspsychologe sich an die bestehenden Normen und Vorschriften des<br />

Straßenverkehrsrechts orientiert und sich als Magd <strong>der</strong> Justiz begreift, dann kann ich darin mit<br />

Einschränkungen nichts unmoralisches und unwissenschaftliches erkennen. Solange eine<br />

Einsicht in die Begrenztheit einer law-and-or<strong>der</strong>-Konzeption von Verkehrspsychotherapie<br />

vorhanden ist, kann <strong>der</strong> Verkehrspsychotherapeut begreifen, dass Institutionen und Normen<br />

nicht unabhängig von Personen untersucht und verän<strong>der</strong>t werden dürfen. Diese Einsicht kann<br />

handlungspraktisch werden, sobald er als Therapeut über ein entwicklungsfähiges und damit<br />

zukunftsoffenes Konzept seines Handelns verfügt und die darin vorhandenen moralischen und<br />

ethischen Probleme nicht naturalisiert o<strong>der</strong> paternalistisch anwendet. Dann weiß er auch, wie<br />

und in welche Richtung er seine therapeutische Konzeption weiterentwickeln kann und soll. Und<br />

er begreift, wie seine therapeutischen Interventionen Fortsetzungen finden können, sowohl im<br />

therapeutischen setting für ihn selbst, wie auch im „Leben draußen“ für seinen Klienten.<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

Solange er zukunftsfähig bleibt, kann er auch fair mit <strong>der</strong> in <strong>der</strong> verrechtlichten<br />

Verkehrspsychotherapie verborgenen „negativen Individualität“ und „strukturellen Gewalt“<br />

umgehen. Wer jedoch seine Psychotherapie von Verkehrsteilnehmern verkehrspsychologisch<br />

blind organisiert und sie moralisch minimalistisch bis privatistisch umsetzt, kann die Gefahr<br />

einer rein technischen, entwe<strong>der</strong> naturalisierten o<strong>der</strong> aber paternalistischen Anwendung von<br />

Psychotherapie gar nicht erkennen. Er wird deshalb im Einzelfall mehr schaden als nützen,<br />

insofern er seinem Patienten einen „therapeutischen Bückling“ antrainiert, den dieser dann, was<br />

nur konsequent erscheint, in <strong>der</strong> Begutachtungssituation vor dem Gutachter wie<strong>der</strong>holt.<br />

Falls nun <strong>der</strong> Gutachter auf dieses pseudotherapeutisch strukturierte Angebot ebenfalls mit<br />

einer therapeutisch informierten Haltung antwortet, entsteht eine Interaktionsstruktur<br />

professionell hergestellter Unsicherheit: <strong>der</strong> Gutachter verschleiert seinen diagnostischen<br />

Auftrag und kann damit seinem Probanden nicht mehr als Gutachter gerecht werden. Damit<br />

begeht er nicht nur einen Stilbruch, son<strong>der</strong>n labilisiert den gesellschaftlichen Wert <strong>der</strong><br />

Begutachtung <strong>der</strong> Fahreignung. Zugleich wie<strong>der</strong>holt er das Risiko, dass die im therapeutischen<br />

setting induzierten Verän<strong>der</strong>ungen nicht intrinsisch in den Handlungs- und kognitiven Strukturen<br />

seiner Klienten verankert werden und damit auch nicht resistent gegen Verän<strong>der</strong>ung sind.<br />

Falls <strong>der</strong> Therapeut die im System <strong>der</strong> Erteilung einer Fahrerlaubnis organisierten strukturellen<br />

Zwänge nicht durchschauen kann, in denen <strong>der</strong> Betroffene sich gezwungen fühlt irrationale<br />

Begründungsmuster für seinen Mangel an Verkehrsintelligenz zu entwickeln, wie<strong>der</strong>holt <strong>der</strong><br />

Therapeut nur die strukturellen Zwänge. Damit bewirkt er genau die negative<br />

Individualisierung, die seinen therapeutischen Intentionen im Kern zuwi<strong>der</strong>läuft und baut im<br />

professionellen Umgang mit seinem Patienten – auch gegen seinen erklärten Willen - das auf,<br />

was ich eine gewaltstrukturierte therapeutische Beziehung nennen würde.<br />

Verkehrsintelligenz und reflexive Mo<strong>der</strong>ne<br />

Der <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> "Verkehrsintelligenz" erlaubt <strong>der</strong> Verkehrspsychologie den Anschluss an die<br />

soziologische Theorie <strong>der</strong> reflexiven Mo<strong>der</strong>nisierung, und nicht nur - wie wir schon gesehen<br />

haben - an die Rechtswissenschaft und an die allgemeine Psychologie.<br />

Die soziologische These <strong>der</strong> reflexiven Mo<strong>der</strong>nisierung, aufgestellt von Ulrich Beck (1986,<br />

1996) und auf den Bereich von Transport und Verkehr übertragen, könnte lauten: In nicht mehr<br />

traditionellen Gesellschaftsformen werden auch die Risiken und Chancen des Transports und<br />

Verkehrs von Personen, Gütern und Informationen in die umfassend gewordene reflexive<br />

Mo<strong>der</strong>nisierung (Ulrich Beck 1996) einbezogen.<br />

Der soziale Mangel an Verkehrsintelligenz, das daraus resultierende Verkehrschaos auf<br />

unseren Straßen sowie die daraus resultierenden individuellen Einstellungen in den Köpfen <strong>der</strong><br />

Verkehrsteilnehmer können auch als Folge von Prozessen sozialen und technologischen<br />

Wandels in den Teilnahmebedingungen am Straßenverkehr begriffen werden 25<br />

In einer als Einheit begriffenen und dadurch wissenschaftlich gewordenen<br />

verkehrspsychologischen Praxis können die einzelnen Elemente dieser Praxis zunächst einmal<br />

als die verschiedenen Spektralfarben verstanden werden, die sich in den verschiedenen<br />

Formen <strong>der</strong> Beziehungen zwischen den Elementen brechen, die zusammen wie<strong>der</strong>um die<br />

Einheit <strong>der</strong> Verkehrspsychologie bilden: die Beziehung von Klient und Therapeut, die<br />

Beziehung von Klient und dem System sozialer Kontrolle, die Beziehung von<br />

Verkehrspsychologie und Recht und Gesetz, aber auch <strong>der</strong> Brechungsfaktor auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong><br />

Beziehung von Norm und Wirklichkeit, nämlich die Beziehung von Recht und Gesetz und<br />

(vermittelt über die Verkehrsintelligenz <strong>der</strong> Verkehrsteilnehmer) die Teilnahmebedingungen am<br />

Straßenverkehr, usw.<br />

25<br />

Ich kann mich an dieser Stelle beschränken. Näheres zum Konzept <strong>der</strong> reflexiven Mo<strong>der</strong>nisierung und<br />

zum Projekt einer reflexiv gewordenen Verkehrspsychologie siehe: Rothenberger, B. 1996, Teil 1)<br />

Seite - 26 -


Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

Wenn wir nun den Fahrstil und das Verkehrsverhalten des Autofahrers vor diesem einheitlich<br />

beschriebenen Hintergrund beobachten, wie er in Abbildung 2 zu sehen ist, dann können wir<br />

folgendes entdecken:<br />

- Die Struktur <strong>der</strong> therapeutischen Beziehung von Klient und Verkehrspsychologe wird nicht<br />

nur als eine Zwei-Personen-Beziehung beschrieben, was im Selmanschen Ansatz <strong>der</strong><br />

Struktur <strong>der</strong> Rollenübernahme einer Stufe-2-Konzeption von Verkehrspsychologie<br />

entsprechen würde. Kann in Abgrenzung von einer Fixierung auf die reziproke Beziehung<br />

zwischen Therapeut und Klient diese therapeutische Beziehung auch in <strong>der</strong> Perspektive des<br />

nicht-anwesenden Dritten, z.B. des Gesetzgebers betrachtet werden, entsteht eine Stufe-3-<br />

Rekonstruktion <strong>der</strong> Struktur <strong>der</strong> verkehrspsychotherapeutischen Interaktion. 26<br />

- Der unbestimmte Rechtsbegriff <strong>der</strong> Kraftfahreignung zweiteilt sich nicht nur - wie wir schon<br />

gesehen haben – in die beiden empirischen <strong>Begriff</strong>e von „Klient und sein Fahrverhalten“<br />

und „soziale Kontrolle des Klienten und seiner Kraftfahreignung“. Vielmehr wird <strong>der</strong><br />

Rechtsbegriff <strong>der</strong> Kraftfahreignung in den anomalen <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz und in<br />

den rein normativen <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> "Verantwortung des Verkehrsteilnehmers für sein<br />

Verkehrsverhalten" - und damit auch für die "För<strong>der</strong>ung eigener wie frem<strong>der</strong><br />

Verkehrsintelligenz" - ausdifferenziert. Hier geht es um das rein normative Dreieck, das die<br />

Elemente „RuG“, „Klient“ und „Verkehrspsychologe“ bilden, mit <strong>„Verkehrsintelligenz“</strong> als<br />

Element personaler Selbstorganisation in <strong>der</strong> Mitte des Dreiecks.<br />

- Die Ebene <strong>der</strong> Norm wird von <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Wirklichkeit we<strong>der</strong> begrifflich noch praktisch<br />

getrennt. Vielmehr erscheinen die beiden Ebenen von Verkehrsgesetzen und<br />

Verkehrssituation über den vermittelnden Prozess <strong>der</strong> „Äquilibration“ so miteinan<strong>der</strong><br />

verbunden, dass in den Institutionen von „Recht und Gesetz“ die sozialen Wirklichkeiten<br />

des Verkehrsteilnehmers, des Verkehrspsychologen, <strong>der</strong> Instanzen sozialer Kontrolle und<br />

<strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> Kraftfahreignung von oben nach unten, top down reguliert werden.<br />

Dies entspricht im Kohlbergschen Ansatz <strong>der</strong> Stufen des moralischen Urteilens einer Stufe-<br />

4-Konzeption von <strong>„Verkehrsintelligenz“</strong>. Es wird redundant sein anzumerken, dass eine<br />

solche Konzeption nicht <strong>der</strong> psychologischen Erkenntnis letztes Wort sein muss. 27<br />

- Betrachten wir die Abbildung 2 als Einheit von Zusammenhängen, dann können wir leicht<br />

den zentralen Problemstand <strong>der</strong> gegenwärtigen Verkehrspsychologie <strong>der</strong> Kraftfahreignung<br />

erkennen und nachvollziehen: Statt sich nur auf einen einzigen Aspekt von<br />

Kraftfahreignung von Verkehrsteilnehmern zu beschränken und die bestehende Praxis <strong>der</strong><br />

Begutachtung und Therapie <strong>der</strong> Kraftfahreignung zu thematisieren, beschäftigt sich die in<br />

26 Siehe dazu mein Papier „Über Verkehrspsychologie, Teil 1. Kap. IV: Reflexive Verkehrspsychologie",<br />

1996<br />

27 Da eine solche „systemische“ Stufe-4 Konzeption <strong>der</strong> bestehenden Praxis <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Verkehrsintelligenz immer noch meilenweit entfernt ist, habe ich auf die Ausarbeitung einer (immer<br />

schon kontrafaktischen) postkonventionellen Konzeption von Verkehrspsychotherapie bislang verzichtet.<br />

Sie hätte m.E. in <strong>der</strong> Praxis nur dann „Bodenkontakt“, wäre mithin nur dann praktisch in einer diesseitigen<br />

Welt, die vor unser aller Augen liegt und die nicht auf eine Welt des Sollens und des Rechts verweist,<br />

wenn , wie in Abbildung 1 angedeutet, von <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> Realität von Institutionen und<br />

Wissensformen <strong>der</strong> Verkehrspsychologie auf die Beschreibung <strong>der</strong> Realität von Personen und<br />

Bewusstsein umgestellt wird. Es gilt (mit Hegel und gegen Kant und Kohlberg) zu erkennen und<br />

anzuerkennen: Gänzlich verwirklicht sich ein System <strong>der</strong> Verkehrssicherheit nur im individuellen<br />

Verhalten und Erleben und im individuellen Selbstbewusstsein <strong>der</strong> Verkehrsteilnehmer. Daher sind die<br />

Maßnahmen zur Verbesserung <strong>der</strong> Verkehrssicherheit, die z.B. in den Institutionen <strong>der</strong> Begutachtung und<br />

För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Kraftfahreignung die Sicherheit <strong>der</strong> Verkehrsteilnehmer zum Ausdruck bringen, erst dann<br />

rational, wirksam o<strong>der</strong> wirklich, wenn nicht nur die betroffenen Verkehrsteilnehmer verstehen und<br />

begreifen lernen, warum und wie alle Verkehrsteilnehmer in diesen Institutionen und Wissensformen<br />

gerecht, frei und verkehrssicher sein können. Es wäre Aufgabe und Vision einer wissenschaftlich und<br />

praktisch gewordenen rationalen und objektiven Verkehrspsychotherapie bei den Betroffenen die<br />

Entwicklung eines solchen Verständnis zu för<strong>der</strong>n.<br />

28 Siehe dazu den Sammelband Edelstein, u.a.: "Moral und Person". Frankfurt: Suhrkamp 1993<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

<strong>der</strong> Abbildung rekonstruierte Verkehrspsychologie mit <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> motorisierten<br />

Bewegung und den Teilnahmebedingungen von Verkehr insgesamt.<br />

Es darf wohl als theoretischer Skandal gelten, dass in <strong>der</strong> bestehenden Praxis <strong>der</strong><br />

Verkehrspsychologie seit Jahren <strong>der</strong> Rechtsbegriff <strong>der</strong> Kraftfahreignung und das Grundrecht<br />

auf <strong>Mobil</strong>ität selbst schon für eine Theorie <strong>der</strong> Verkehrspsychologie gehalten wird. Anstatt<br />

eine theoretisch befriedigende Antwort auf das zu geben, was <strong>Mobil</strong>ität ist und was<br />

Verkehrs- psychologie bewegt und zu fragen, wie sie sich von dem, was sich ihr anschließt<br />

(Soziologie, Medizin, Pädagogik, Politikwissenschaft) und von dem, wovon sie abhängig ist<br />

unterscheidet, nämlich Recht (und Moral), Technik, Natur, Ökonomie und Politik, wird in <strong>der</strong><br />

gegenwärtigen Praxis intensiv erörtert, z.B. was „Verkehrstherapie“ ist, welche<br />

Legalbewährungsdaten sie liefert o<strong>der</strong> was die angemessenen Grundsätze für eine faire<br />

und sachgerechte Begutachtung <strong>der</strong> Kraftfahreignung sind.<br />

Naiv ist schon die Annahme, allein mit fairen Beurteilungsgrundsätzen den Gutachtern eine<br />

Entscheidungshilfe für den Einzelfall geben zu können. So wenig eine Theorie <strong>der</strong><br />

Gerechtigkeit eine Theorie <strong>der</strong> Politik o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft ersetzt, so wenig erlauben<br />

Beurteilungsgrundsätze eine Praxis <strong>der</strong> Begutachtung zu fundieren.<br />

Mit <strong>der</strong> Unterscheidung in sieben Elemente kann erstmals die gesamte verkehrspsychologische<br />

Praxis, mithin alles, was Verkehrspsychologie bewegt und diese Bewegung ausmacht, nämlich,<br />

wie wir erfahren haben, ihr gesellschaftlicher Vollzug o<strong>der</strong>, besser vielleicht, ihr Selbstausdruck<br />

von „Verkehrs- und Bewegungsintelligenz“ zum Problembestand <strong>der</strong> verkehrspsychologischen<br />

Theorie werden. In einer „systemischen“ Rekonstruktion von Verkehrspsychologie drücken sich<br />

mithin die folgenden sieben Konstitutionsbedingungen einer an Recht und Gesetz orientierten<br />

verkehrspsychologischer Praxis aus, in denen sich die Verkehrsintelligenz ausdrückt:<br />

1. Die Frage <strong>der</strong> Macht, als die Frage nach dem Recht und den Gesetzen und Vorschriften<br />

2. Die Prozesse <strong>der</strong> Verrechtlichung, Bürokratisierung und Ökonomisierung <strong>der</strong><br />

Beziehungen zwischen den beteiligten und betroffenen Personen und Institutionen<br />

3. Die Instanzen und Organisationen <strong>der</strong> sozialen Kontrolle des dysfunktionalen<br />

Verkehrsverhaltens<br />

4. Die zentrale selbstregulatorische Rolle <strong>der</strong> <strong>„Verkehrsintelligenz“</strong> als Entwicklungs-,<br />

genauer Äquilibrationsfaktor in den Teilnahmebedingungen am Straßenverkehr<br />

5. Die Bedürfnisse, Defizite und Störungen des einzelnen Verkehrsteilnehmers, speziell<br />

sein Verkehrsverhalten und seine darin sich ausdrückenden<br />

Verkehrsverhaltenseinstellungen<br />

6. Die verkehrspsychologischen Wissensformen und <strong>der</strong> Status des Verkehrspsychologen<br />

7. Die faktische, crossnationale „europäische“ Situation von Verkehr und Transport<br />

Die Verkehrsintelligenz als Tugend<br />

Wenn wir den naturwissenschaftlichen Suggestionen wi<strong>der</strong>stehen, den <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong><br />

Verkehrsintelligenz zu naturalisieren und dadurch fähig werden zu begreifen, dass die Frage<br />

nach <strong>der</strong> Entwicklung und den Voraussetzungen für verkehrsintelligentes Verhalten nicht durch<br />

die Entdeckung von Naturgesetzen allen lösbar ist, dann lehrt uns <strong>der</strong> anomale <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong><br />

Verkehrsintelligenz, dass Verkehrspolitik und Verkehrspsychologie nicht nur eine Frage <strong>der</strong><br />

(theoretischen) Vernunft ist, son<strong>der</strong>n auch eine ethische Frage. Die Lösung dieser Frage<br />

erfor<strong>der</strong>t nicht nur die theoretische Fähigkeit Beweise zu führen und Wissen zu erkennen,<br />

son<strong>der</strong>n auch den praktischen Willen zum Entscheiden aus Glauben und Überzeugungen.<br />

Als Verkehrspsychologen sind wir wohl eher als an<strong>der</strong>e fähig die volitionale Tatsache<br />

anzuerkennen, das Menschen nicht dadurch zu intelligenten und rücksichtsvollen Autofahrern<br />

werden, dass sie wissen, was vernünftig und rücksichtsvoll ist. Wir wissen, dass sie motiviert<br />

sein o<strong>der</strong> von uns o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en motiviert werden müssen, intelligent und sozial zu handeln. In<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

<strong>der</strong> altmodischen Sprache <strong>der</strong> Antike ausgedrückt: Sie beginnen die Intelligenz und die<br />

Rücksichtnahme zu lieben und damit wissen sie, was ihnen ihre Intelligenz und ihre<br />

Rücksichtnahme „bedeuten“. In diesem Sinne unterstützen wir unseren Klienten, ein moralisch<br />

begriffenes Verständnis von sich selbst zu entwickeln: ein moralisches Selbst 28 das, kantisch<br />

gesprochen , nicht nur Rechtspflichten, son<strong>der</strong>n auch Tugendpflichten kennt.<br />

Die theoretische Fähigkeit zum Erkennen und Wissen darf nicht mit <strong>der</strong> praktischen Fähigkeit<br />

zum Entscheiden und Handeln verwechselt werden. In <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Begutachtung wie in <strong>der</strong><br />

Praxis <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung vertreten die Klienten oft Meinungen und Überzeugungen, die aus einem<br />

undifferenzierten Gesamt aus nachvollziehbaren Gründen und privaten Glauben bestehen. Mit<br />

solchen Unterscheidungen zurechtzukommen ist auch für die Verkehrspsychologen nicht leicht,<br />

worauf wir im Abschnitt über soziale Kontrolle schon hingewiesen haben<br />

Die auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Subjektivität angesiedelte zentrale Einsicht im Hinblick auf das<br />

Explizitmachen des <strong>Begriff</strong>s <strong>der</strong> <strong>„Verkehrsintelligenz“</strong> kann die sein:<br />

• In <strong>der</strong> therapeutischen Praxis kommt es zentral darauf an mit dem Klienten in einen<br />

moralischen Verantwortungsdiskurs beginnen zu können. Seine affektive Empörung, seinen<br />

Führerschein verloren zu haben, muss gemeinsam mit ihm nicht nur als Tatsache begriffen<br />

werden, die eine Ursachenforschung notwendig macht, son<strong>der</strong>n auch auf dem normativen<br />

Hintergrund seiner eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen diskutiert werden können. Dass es<br />

dabei nicht nur um ein Durcharbeiten <strong>der</strong> Kränkung, seinen Führerschein aktiv verloren zu<br />

haben, gehen kann, dürfte spontan einsichtig sein. Wie ich weiter unten im letzten Punkt<br />

ausführen werde zielt <strong>der</strong> juristische Verantwortungsdiskurs auf die Bewusstmachung <strong>der</strong><br />

öffentlichen Zumutung, mit Alkohol am Steuer selbst zur Gefährdung im Straßenverkehr<br />

beigetragen zu haben.<br />

• Bei <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz geht es im Kern nicht um ein auf Lerngesetzen<br />

beruhendes Intelligenztraining, son<strong>der</strong>n vielmehr um einen die gesamte Lebenspanne<br />

umgreifenden Entwicklungsprozess <strong>der</strong> Selbstentwicklung. Zwar können<br />

Interventionsformen, wie z.B. Alkohol trinken und Auto fahren zu trennen, für diejenigen<br />

Verkehrsteilnehmer sinnvoll sein, die das Stadium des Nachdenkens bereits verlassen und<br />

schon im Stadium des Handelns (Prochaska, Norcross, DiClemente 1999) und damit<br />

ohnehin schon bereit sind, ihr Trink- und Fahrverhalten zu än<strong>der</strong>n. Es bleibt aber eine<br />

Illusion, beruhend auf dem naturalistischen Fehlschluss, zu glauben, man könne<br />

Verkehrsintelligenz als Technik wie eine bloße Fertigkeit erlernen. Verkehrsintelligenz ist<br />

vielmehr eine Tugend, die wie an<strong>der</strong>e Tugenden auch und wie alle gesellschaftlich<br />

wünschenswerten Personeneigenschaften sich in einem lebenslangen Entwicklungsprozess<br />

entfalten, <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>um die Gesetze des Lernens bestimmt und nicht umgekehrt.<br />

• Mit <strong>der</strong> Festlegung <strong>der</strong> Therapieziele entwe<strong>der</strong> auf das Ziel <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Entwicklung<br />

einer Verkehrsintelligenz, statt auf das Ziel <strong>der</strong> Anpassung an die bestehenden<br />

Verkehrsregeln und an die vorhandenen sozialen Normen o<strong>der</strong> aber auf das auf das Ziel<br />

<strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung des guten Autofahrers, was nicht als den Paternalismus eines<br />

expertenkonstruierten Persönlichkeitsmodells darstellt, lassen sich komplizierte moralische<br />

Probleme <strong>der</strong> Rechtfertigung von Therapiezielen lösen. Es ist klar, dass wir diese<br />

Ansprüche in diesem Rahmen hier nicht einlösen können. 30<br />

• Die doppelte Verantwortungsübernahme des Verkehrspsychotherapeuten für ein<br />

angemessenes Verständnis von Recht und Gesetz einerseits und für ein<br />

bedürfnisgerechtes Verstehen und Verän<strong>der</strong>n <strong>der</strong> individuellen Problemlagen und Mängel in<br />

<strong>der</strong> Verkehrsintelligenz seiner Klienten an<strong>der</strong>erseits kann deutlich gemacht werden. Denn<br />

Eines steht fest: Mit psychotherapeutischen Mitteln allein können die Verkehrssicherheit<br />

und die Verkehrsintelligenz we<strong>der</strong> analysiert noch geför<strong>der</strong>t werden. Der sensible<br />

Verkehrspsychotherapeut zeichnet sich durch eine Doppelkompetenz aus: er muss<br />

zugleich Verkehrspsychologe und Psychotherapeut sein, dessen verkehrspsychologisches<br />

30 Siehe dazu Kohlberg, 1971 (From Is to Ought) und Kohlberg und Turiel, 1978.<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

Selbstverständnis und dessen therapeutische Entscheidungen für die zu erreichenden<br />

Therapieziele ethisch begrenzt sind. Den Doppelzwang eines sensiblen Moralgefühls und<br />

Rechtsverständnis sowie eines sensiblen therapeutischen Gewissens als professionellen<br />

Selbstzwang übernehmend, hat <strong>der</strong> Klinische Verkehrspsychologe als Therapeut von den<br />

juristischen Vorgaben auszugehen und die Entwicklung eines verkehrsintelligenten Selbst<br />

zu för<strong>der</strong>n. Wie er das macht, ist nicht mehr Inhalt dieses Referates. 31<br />

• Auch die zentrale Bedeutung des juristischen Verantwortungsdiskurses im Rahmen einer<br />

verkehrspsychologischen Begutachtung o<strong>der</strong> Therapie und - in Wechselbeziehung damit<br />

stehend - die individuellen und sozialen Anfor<strong>der</strong>ungen an die intelligente Teilnahme am<br />

Straßenverkehr können in <strong>der</strong> Graphik klar und deutlich gemacht werden. Während es sich<br />

bei <strong>der</strong> sozialen Kontrolle dysfunktionalen Verkehrsverhaltens um gruppenstatistisch<br />

abgesicherte Normen handelt, die als wertfrei gelten, geht es in <strong>der</strong><br />

verkehrspsychotherapeutischen Kontrolle des Verkehrsverhaltens um individuelle<br />

Problemlagen vor dem Hintergrund <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz. Sie drückt sich in einem<br />

anomalen Modell <strong>der</strong> Bedingungen intelligenter Teilnahme am Straßenverkehr aus, in die<br />

explizit juristische und moralische, bzw. moralpsychologische Bestandteile aufgenommen<br />

werden, die eine risikoarme Verkehrsteilnahme garantieren.<br />

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31 Dazu Rothenberger, 1997: Über Verkehrspsychologie Teil 2: Die Praxis <strong>der</strong> verkehrspsychologischen<br />

Therapie<br />

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Dr. Bernd P. Rothenberger: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Verkehrsintelligenz<br />

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