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Die Philosophie der Geist-Materie-Trennung

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Prof. Heiner Hastedt<br />

<strong>Die</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Geist</strong>-<strong>Materie</strong>-<strong>Trennung</strong><br />

Kurze Zusammenfassung und vom Autor geprüfte <strong>der</strong> Vorlesung von PD Dr. Jürgen Einfeldt<br />

1. Historisch – hermeneutische Bedeutung von Descartes<br />

Man tut Descartes unrecht, wenn man sein Postulat <strong>der</strong> <strong>Materie</strong>-<strong>Geist</strong> – o<strong>der</strong> Leib-Seele-<br />

<strong>Trennung</strong> allein im Blick auf das heutige Wissen und im Sinne des mo<strong>der</strong>nen<br />

Weltverständnisses belächelt o<strong>der</strong> als Irrweg abtut. Man muss Descartes im Lichte des<br />

Kenntnisstandes seiner Zeit und seiner eigenen geistigen Bemühungen sehen, die vor allem<br />

darauf zielen, die folgenden Anliegen gleichzeitig zu verfolgen:<br />

(a) Stärkung <strong>der</strong> neuen Naturwissenschaft<br />

Descartes ist als Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler brennend daran<br />

interessiert, den neu entstandenen Weltzugang <strong>der</strong> mathematisierten Naturwissenschaft in <strong>der</strong><br />

Konstellation des 17. Jahrhun<strong>der</strong>t zu sichern und zu verteidigen, da dieser keineswegs<br />

ungefährdet ist, son<strong>der</strong>n immer wie<strong>der</strong> von herrschenden Auslegungen des Christentums<br />

angegriffen wird (siehe den Fall Galilei). Descartes versucht also ganz wesentlich, die neue<br />

naturwissenschaftliche Weltbetrachtung zu legitimieren.<br />

(b) Humanismus<br />

In <strong>der</strong> Nachfolge des Renaissance-Humanismus hält Descartes an <strong>der</strong> Willensfreiheit des<br />

Menschen fest, die er als wesentlichen Bestandteil des Menschen ansieht.<br />

(c) Theologisches Interesse:<br />

Descartes hält an <strong>der</strong> gedanklicher Möglichkeit <strong>der</strong> Unsterblichkeit <strong>der</strong> menschliche Seele<br />

fest.<br />

Der Dualismus bei Descartes erhält seine Wirkungsmächtigkeit daraus, dass er diese in<br />

unterschiedliche Richtungen strebenden Anliegen zugleich verfolgen kann, indem er die<br />

Naturwissenschaft auf die Welt des Körperlichen eingrenzt und daneben Willensfreiheit und<br />

Unsterblichkeit <strong>der</strong> Seele zuweist.<br />

Auch heute noch kann man dualistische Anliegen haben, selbst wenn man einem<br />

Materialismus <strong>der</strong> Naturwissenschaft in seinem spezifischen Gebiet gar nicht direkt<br />

wi<strong>der</strong>sprechen will. So enthält eine Reflexionskultur des Menschen, die Distanz zu sich selbst<br />

ermöglicht, immer dualistische Impulse aus <strong>der</strong> ganz individuellen Erfahrung. Wir sprechen<br />

außerdem mehr als „eine Sprache“, z.B. nicht nur die naturwissenschaftliche Sprache, son<strong>der</strong>n<br />

auch eine an Gefühlen orientierte, eine poetische o<strong>der</strong> eine religiöse.<br />

(Natur-)Wissenschaft ist schließlich nicht alles, zumal die Wissenschaft selbst eine kulturelle<br />

Erfindung ist.<br />

Im Rahmen seiner Reflexionsphilosophie formuliert Descartes das Prinzip des Zweifelns:<br />

(in <strong>der</strong> Form: ich will nicht nur Kind meiner Vorfahren sein, ich will selber die Welt und<br />

meine Situation durchmustern.)<br />

Es gibt für Descartes:<br />

(a) Zweifel an meinen Sinnen u. meiner Wahrnehmung.<br />

(b) Zweifel an den Dingen (Objekten) <strong>der</strong> Welt schlechthin.<br />

(c) Zweifel auch an <strong>der</strong> Deutlichkeit <strong>der</strong> Mathematik (und Logik)<br />

In <strong>der</strong> Analyse kommt dann Descartes zu dem Schluss, dass Erkenntnisse <strong>der</strong> Mathematik<br />

(Logik) das Beste sind, was wir haben; Physik z.B. bekommt einen geringeren aber auch<br />

hohen Stellenwert für die Wahrheitsfindung.<br />

1


Es bleibt aber die Einsicht: alles ist zweifelhaft. Davon ausgehend kommt <strong>der</strong> Denker und<br />

Erkenntnistheoretiker Descartes zum Ausgangspunkt seiner Wahrheitssuche, dass die<br />

Gewissheit des Erkenntnistheoretiker im Subjekt liegt:<br />

„Ich denke (zweifle) , also bin ich“<br />

Das wird zum Fundament seiner Weltdeutung.<br />

2. Das Leib- Seele Problemen / Der Dualismus<br />

Aristoteles<br />

formulierte in seiner Interpretation von Platon ein Drei-Schichten-Modell unserer Welt:<br />

Körper (unbelebte Natur)<br />

– Seele (als das „belebende Prinzip“ = Leben) und<br />

– <strong>Geist</strong> (anima rationale, was nur dem Menschen eigen ist)<br />

Descartes machte ein Zwei-Schichten-Model daraus:<br />

<strong>Materie</strong> = „res extensa“ , womit er den Bereich <strong>der</strong> neuen Naturwissenschaft absteckte und<br />

eben das Ausgedehntsein des Körperlichen zum Prinzip erhob<br />

<strong>Geist</strong> + Seele = „res cogitans“, also die „denkende Substanz“, als den Bereich;<br />

in dem die neue Naturwissenschaft nichts zu suchen hat.<br />

<strong>Die</strong>ser Bereich ist also eine Restkategorie, eben das Nicht-<strong>Materie</strong>lle, die<br />

zugleich aber auch die Instanz <strong>der</strong> menschlichen Selbstkonfrontation markiert; denn<br />

es ist <strong>der</strong> Bereich, in dem unserer „freie Wille“ und die „Unsterblichkeit (s.o.)<br />

angesiedelt sind.<br />

Descartes philosophischer Leib-Seele-Dualismus beruht auf drei – sich logisch eigentlich<br />

wi<strong>der</strong>sprechenden - Annahmen:<br />

1. <strong>Die</strong> Seele ist nicht körperlich<br />

2. <strong>Die</strong> Körperwelt ist geschlossen und unterliegt <strong>der</strong> Kausalität<br />

( es gibt also keinen göttlichen Eingriff und keinen Eingriff <strong>der</strong> Seele in diesen<br />

Bereich) (das ist auch eine Ermächtigung <strong>der</strong> Naturwissenschaft, diesen materiellen<br />

Bereich frei und ohne Rücksichten zu erforschen).<br />

3. Seele und Körper interagieren kausal.<br />

<strong>Die</strong> Wahrheit <strong>der</strong> Körper wirkt auf unsere Seele (Emotionen, Gefühle, Motive..) und<br />

beeinflusst unsere inneren Einstellungen.<br />

Aber auch unsere Handlungen als Mensch in <strong>der</strong> materiellen Welt werden durch<br />

unsere Seele gesteuert. <strong>Die</strong>se Wechselbeziehung war für Descartes evident.<br />

Anmerkung: Für Descartes hatte die Seele im Körper einen Sitz ( also eine materielle Basis),<br />

nämlich die Zwirbeldrüse, was im Wi<strong>der</strong>spruch zur Annahme 1 steht.<br />

Das Leib-Seele-Problem ist bis heute ein Dilemma:<br />

Es gibt eine Reihe von Positionen dazu (die sich in Beziehung auf Descartes’ drei Annahmen<br />

erläutern lassen):<br />

1. Der Dualismus als<br />

(a) Interaktionismus (Position von Descartes)<br />

zwei getrennte Bereiche, aber es gibt Wechselwirkungen zwischen beiden<br />

(b) Parallelismus (unter Aufgabe <strong>der</strong> Annahme 3)<br />

es ist die „Standard-Position“ bis heute geblieben.<br />

Beide Ebenen existieren nebeneinan<strong>der</strong>,<br />

über eine Wechselbeziehung gibt es keine Aussagen<br />

2


2. Monismus<br />

(a) Materialismus (unter Aufgabe <strong>der</strong> Annahme 1)<br />

(b) Panpsychismus (Annahme 2 ist ohne Gegenstand,<br />

da alles in <strong>der</strong> Welt seelisch ist)<br />

3. Aspekt- und Sprachendualismus sind Positionen, die zwischen vermitteln Monismus<br />

und Dualismus, die die Dualitäten anerkennen, ohne einem materialistischen<br />

Monismus fundamental zu wi<strong>der</strong>sprechen.<br />

Um das Leib-Seele-Problem aufzulösen, sollte es zerglie<strong>der</strong>t werden und unter den<br />

verschiedenen Aspekten auch unterschiedlich behandelt werden.<br />

Drei Fragen werden zur Auflösung des einen Leib-Seele-Problems formuliert:<br />

1. Ontologische Ebene (also die Frage: „Was gibt es in <strong>der</strong> Welt?)<br />

z.B.: Gibt es die Seele in <strong>der</strong> Wirklichkeit?<br />

Wir müssen nach den naturwissenschaftlichen Kenntnissen sagen: Seele sind<br />

Prozesse im Gehirn.<br />

Aber Seele ist ihr Gegenstand (Bewusstsein, Gefühle , ….)<br />

Wir müssen feststellen, dass Gehirnforschung, Neurobiologie, Neurowissenschaften<br />

allg. – also Naturwissenschaft – Antworten zur Seele und zum Seele-Körper-Problem<br />

geben können.<br />

“Im Prinzip“ ist damit Seele erklärbar, ob praktisch und für den Menschen<br />

befriedigend, ist einen an<strong>der</strong>e Frage.<br />

2. Epistemische Ebene (erkenntnistheoretischer Bereich)<br />

<strong>Die</strong> Frage ist, sind die naturwissenschaftlichen Erklärungen auch sinnvoll und wieweit<br />

kommen sie in den jeweiligen menschlichen Erkenntnisinteressen entgegen (zum<br />

Beispiel im Umgang mit Krankheit und Gesundheit o<strong>der</strong> beim Versuch des<br />

persönlichen Verstehens). Gibt es nicht generell Aspekte, die eben nicht von <strong>der</strong><br />

Naturwissenschaft und ihren Methoden behandelt werden können (z.B. Fragen <strong>der</strong><br />

Ethik, <strong>der</strong> Bedingtheit je<strong>der</strong> Erkenntnis …)<br />

3. Normative Ebene<br />

Wollen wir (o<strong>der</strong> können wir überhaupt) in einer Welt leben, wo alles in<br />

Naturwissenschaft überführt wird?<br />

Müssen wir nicht über die rein naturwissenschaftliche Sicht hinauskommen, um<br />

beispielweise ein Leben als lebenswert zu empfinden?<br />

Liegt nicht ein Grundaspekt des Dualismus bereits im Menschen selbst und seinem<br />

Gegenübertreten zur Welt begründet?<br />

3. <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Gefühle (kurz)<br />

Es ist viel über die <strong>Philosophie</strong>n des <strong>Geist</strong>es ( Bewusstsein, Ich , Selbst..) gearbeitet worden,<br />

aber es ist legitim und notwendig auch eine <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Gefühle zu versuchen.<br />

Neurobiologen haben viele neue Einsichten in die Gefühle, ihre Verankerung im Gehirn und<br />

unsere Abhängigkeit von ihnen erbracht.<br />

Wenn S. Freud formulierte „Wir (als bewusstes Ich) sind nicht Herr im eigenen Haus“, wir<br />

werden also von Gefühlen und vom uns Unbewussten maßgeblich gesteuert. <strong>Die</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

3


Neurowissenschaften stützen diese Position vollkommen.<br />

Im Gegensatz dazu muss, man aber feststellen, dass in unserem Weltbild ( auch in <strong>der</strong><br />

Bildung) heute die Rationalität übertrieben wird, also eine Einstellung, die nicht dem<br />

Menschen und seinen Anlagen voll entspricht.<br />

<strong>Die</strong>se neue Sicht auf die Gefühle macht vielleicht unser Weltbild humaner.<br />

Der (philosophische) Ansatz zu diesem Unterfangen ist das Dreieck <strong>der</strong> Gefühle:<br />

privates Ich<br />

Kultur Natur<br />

Zu allen Eckpunkten kann man gute Argumente finden, wie sie auf die Gefühle einwirken<br />

und sie determinieren.<br />

Gefühle entstehen z.B. im Gegenüber von Einwirkungen von <strong>der</strong> Außenwelt, <strong>der</strong> Natur.<br />

Das (private / Persönliche) Ich formt die Gefühle und<br />

<strong>Die</strong> kulturellen Bedingungen <strong>der</strong> Lebenswelt haben Einfluss auf die Gefühle<br />

( z.B. empfinden Japaner Langeweile an<strong>der</strong>s und sie gehen ganz an<strong>der</strong>s mit ihren Gefühlen<br />

um.)<br />

Ein Reden über die Gefühle – eben auch eine <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Gefühle ist immer eine<br />

Rationalisierung.<br />

Ziel des Vortrages war es, das Leib-Seele-Problem auch in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Zeit verständlich zu<br />

machen und Ansätze für seine Zerglie<strong>der</strong>ung zu geben, um Lösungen zu finden.<br />

Allein die Naturwissenschaft kann es nicht befriedigend lösen, hier ist <strong>der</strong> Dialog und die<br />

Kooperation mit <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> und an<strong>der</strong>en <strong>Geist</strong>eswissenschaften gefragt.<br />

Literaturhinweis<br />

(insbeson<strong>der</strong>e zum Leib-Seele-Problem mit beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung <strong>der</strong> Gefühle):<br />

Heiner Hastedt: Gefühle. Philosophische Bemerkungen. Reclam Verlag. Stuttgart 2005. [164<br />

Seiten] [http://www.reclam.de/detail/978-3-15-018357-1]<br />

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