Jan Holthues 5 people + Fünf Menschen im Raum ... - Andreas Sell
Jan Holthues 5 people + Fünf Menschen im Raum ... - Andreas Sell
Jan Holthues 5 people + Fünf Menschen im Raum ... - Andreas Sell
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Jan</strong> <strong>Holthues</strong><br />
5 <strong>people</strong> +<br />
<strong>Fünf</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>im</strong> <strong>Raum</strong>, verloren, zerbrechlich, ansprechbar, von <strong>Andreas</strong> <strong>Sell</strong> dazu<br />
bereitgestellt, ihre Eindrücke von <strong>Raum</strong> und Kunst denjenigen Besuchern der Flick<br />
Collection zu schildern, die auf sie aufmerksam geworden sind. Die Besucher sollten die<br />
als Beobachter und Mit-teiler vorbereiteten fünf <strong>Menschen</strong> als solche identifizieren und<br />
durch sie erfragen, was durch jene beobachtet werden konnte.<br />
Sie werden aber nicht angesprochen, ziehen <strong>im</strong> <strong>Raum</strong> ihre Runden, ohne daß das<br />
eintrifft, was eigentlich, wenn auch konspirativ, geplant worden war. Die geplante<br />
Kommunikation mit den anderen Besuchern der Ausstellung findet nicht statt, da die von<br />
<strong>Sell</strong> bereit gestellten Beobachter keinen Anschluß finden, sie bei sich bleiben, obschon<br />
sie bereit für einen anderen sind, für den das Kunstwerk auch etwas hätte haben<br />
können. Die Beobachter müssen aushalten, daß die Brücken, die Hinweisschilder, die<br />
an der Wand auf seine Existenz und Bereitschaft hätten hinweisen sollen, abgebrochen,<br />
abgeräumt worden sind. Die Museumswärter entfernten die Schilder, die auf die<br />
ansprechbaren Beobachter hätten hinweisen können, sobald sie sie entdeckten. Das<br />
Kunstwerk, an welchem die Besucher als Teil hätten Teil nehmen können, konnte nicht<br />
ins Werk gesetzt werden.<br />
Die in der unfreiwilligen Möglichkeitsform realisierte Arbeit hätte auf etwas hinweisen<br />
sollen, auf die Art hinweisen sollen, wie die sie umgebenden Arbeiten rezipiert worden<br />
sind, was aber ausbleibt, weil nicht auf die bereitstehenden Rezipienten dieser Arbeiten<br />
hingewiesen wird. Verweis funktioniert nur, wenn auf den Verweisenden verwiesen wird.<br />
Resonanz hat nur, was respondieren kann. Arbeit und Arbeitende aber blieben stumm,<br />
so wie Verdauungs- und Fortpflanzungsysteme der Betrachter <strong>im</strong> <strong>Raum</strong> stumm<br />
geblieben sind.<br />
Beobachtet wird in diesem Text, was nicht beobachtet wurde, zumindest nicht von<br />
denjenigen, von denen es hätte beobachtet werden wollen. Beobachtet wurde, was<br />
zuvor versuchte, unbeobachtet zu bleiben und an den Beobachtern des Museums<br />
gescheitert ist. Der institutionelle Beobachter, die Argusaugen des über seine Werke<br />
wachenden Museums, blieb als solcher aber untätig, nachdem er den Hinweis auf eine<br />
Beobachtung der Beobachtung anderer entfernt hatte. Der institutionelle Beobachter<br />
beobachtet, daß es nichts weiter zu beobachten gilt. Das reicht ihm. Das Recht, sich<br />
beobachten zu lassen, welches den Ausstellungsstücken zugesprochen wurde, bleibt<br />
ungeteilt. Weder das Recht, beobachtet zu werden, noch die Beobachtungen der<br />
zusätzlichen Beobachter werden geteilt. Es bleibt Potential ungenutzt, ohne auch nur<br />
erahnt werden zu können.<br />
Wir sehnen die Beobachtungssituation der Glyptothek herbei: Der Barberinische Faun<br />
läßt sich beobachten, beobachtet uns, wie aus der Anspannung seiner Muskeln deutlich<br />
wird, mit den Ohren und allem, was nicht Schauen heißt. Der Barberinische Faun will<br />
beobachtet werden, aber nicht kommunizieren. Das tut er nur in unserer Phantasie.<br />
Eruptiv. So hoffen wir. Irgendwann. Und sind nicht einmal enttäuscht, wenn wir diesmal<br />
unüberfallen wieder gehen – und wiederkommen müssen. Alles halb so wild, seit 2000<br />
Jahren, denn seine Haltung, seine Anspannung verweist auf die Möglichkeit einer<br />
Aktion. Das reicht uns schon, um in Spannung gehalten zu bleiben.
Hier spannt sich nichts, da es an Polen fehlt, auf die hin etwas gespannt werden könnte.<br />
Es ist Spannung in den von <strong>Sell</strong> eingesetzten Beobachtern, die auf sich selbst zurück<br />
geworfen sind. Die Hoffnung auf eine Verbindung nach draußen ist so groß, daß selbst<br />
die Wärter zu Ansprechpartnern werden. Jenseits des eigentlichen Themas, aber<br />
<strong>im</strong>merhin als Erlösung von der Stille. Es halten <strong>Menschen</strong> Stille aus, die sich sonst nicht<br />
danach sehnen. Dies ist keine Kartause, sondern ein vorübergehender Zustand, der als<br />
solcher nie geplant war. Oder doch?<br />
Den Gegenständen werden Namen gegeben, die Beobachter nähern sich ihnen <strong>im</strong>mer<br />
wieder, von allen Seiten, versuchen die vorhandenen Objekte so gut es geht zu<br />
befragen, etwas aus ihnen zu gewinnen. Das Ganze gewinnt etwas Verzweifeltes, wenn<br />
schon keiner nach einer Rezeption fragt, dann soll zumindest für den Beobachter selbst<br />
etwas dabei herauskommen. Es stellt sich eine Frage ein, die weder gestellt, noch<br />
beantwortet wird: Was, wenn in den Objekten auch nicht viel ist? Der <strong>Raum</strong> mit ihnen so<br />
leer ist, wie ohne sie? Immerhin wird <strong>im</strong> <strong>Raum</strong> gefragt, ob etwas in ihm sein könnte.<br />
Wenn es die Frage gibt, dann ist nicht nichts <strong>im</strong> <strong>Raum</strong>.<br />
Selbst wer weiß, daß es einen zu befragenden Beobachter <strong>im</strong> <strong>Raum</strong> gibt, der angesichts<br />
des so deutlich differierenden Passagetempos der meisten Besucher auch leicht zu<br />
identifizieren ist, findet es schwierig, den Beobachter anzusprechen. Die Arbeit von<br />
<strong>Andreas</strong> <strong>Sell</strong> provoziert ein Tabu. Man spricht in der Meditationshalle der Bürgerlichen<br />
jenseits des religiösen Zeitalters niemanden einfach so an. Auch ohne Kloster hat sich<br />
der Respekt vor der Stille <strong>im</strong> Saal erhalten. Wer sich der Flick Collektion nähert meint es<br />
ernst, zumindest mit sich selbst. Eine Gesprächsanknüpfung könnte als Unsicherheit vor<br />
dem Objekt verstanden werden, die sich schlecht mit der an Kunst geknüpften<br />
Repräsentationshaltung der Moderne verträgt. Wer vor schwarzen Kreuzen oder<br />
arrangiertem Gartengerümpel ins Schw<strong>im</strong>men gerät, der schw<strong>im</strong>mt nicht mit, gibt die<br />
Souveränität seiner eigenen Verweisungsmacht auf andere Kunst, das sicher Gemeinte,<br />
das anderswo bereits Erfahrene auf, outet sich als out, nicht mit dem Code dieser Kunst<br />
vertraut. Es könnte sogar noch schl<strong>im</strong>mer kommen und ein Interesse am Beobachter<br />
jenseits der Kunst vermutet werden. Die Arbeit von <strong>Andreas</strong> <strong>Sell</strong> arbeitet mit Blößen,<br />
läßt sie spürbar werden und legt sie deswegen nicht frei. Es bleibt stumm und still <strong>im</strong><br />
Saal.<br />
Wer ist hier warum?