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Was ist Zeit? - Xris.de

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„Wie religiös können Computer sein?“<br />

Interdisziplinäres Seminar<br />

Prof. Dr. Wolfgang Banzhaf, LS 11, Fachbereich 4 (Informatik)<br />

Prof. Dr. Ernstpeter Maurer, Fachbereich 14 (Ev. Theologie)<br />

Universität Dortmund<br />

Wintersemester 1998/99<br />

Ausarbeitung zum Vortrag<br />

<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?<br />

von Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen<br />

(Email: duentgen@fsinfo.cs.uni-dortmund.<strong>de</strong>)<br />

Dortmund, <strong>de</strong>n 14. Dezember 1998


Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?“ Seite 2/17<br />

Glie<strong>de</strong>rung<br />

1 LEITFRAGEN............................................................................................................................................. 3<br />

2 ZEIT AUS DER SICHT DES AURELIUS AUGUSTINUS ....................................................................... 3<br />

2.1 WOHER STAMMT DIE ZEIT?....................................................................................................................... 3<br />

2.2 WESEN UND ABLAUF DER ZEIT ................................................................................................................. 4<br />

2.2.1 <strong>Zeit</strong> als Dauer .................................................................................................................................. 4<br />

2.2.2 Das Gefüge <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong>......................................................................................................................... 4<br />

2.3 SCHLÜSSE................................................................................................................................................ 5<br />

3 ZEIT IN SIMULATIONEN ........................................................................................................................ 5<br />

3.1 SIMULATIONEN........................................................................................................................................ 6<br />

3.1.1 <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> ein System?.......................................................................................................................... 6<br />

3.1.2 <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> ein Mo<strong>de</strong>ll?.......................................................................................................................... 6<br />

3.1.3 <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> eine Simulation? .................................................................................................................. 6<br />

3.1.4 Einsatzgebiete von Simulationen...................................................................................................... 6<br />

3.2 MODELLIERUNG VON ZEIT IN SIMULATIONEN............................................................................................ 7<br />

3.2.1 <strong>Zeit</strong>begriffe in Simulationen............................................................................................................. 7<br />

3.2.2 <strong>Zeit</strong>scheiben-Ansatz ......................................................................................................................... 8<br />

3.2.3 Ereignisorientierter Ansatz .............................................................................................................. 8<br />

3.3 MANIPULATIONEN SIMULIERTER ZEIT ....................................................................................................... 9<br />

3.3.1 Erschaffung von künstlichen Systemen ............................................................................................. 9<br />

3.3.2 Beeinflussung <strong>de</strong>s <strong>Zeit</strong>flusses ........................................................................................................... 9<br />

3.4 SCHLÜSSE................................................................................................................................................ 9<br />

4 ZEIT IN DER NEUROBIOLOGIE...........................................................................................................10<br />

4.1 ERNST PÖPPEL........................................................................................................................................10<br />

4.1.1 <strong>Zeit</strong>schwellen in <strong>de</strong>r Wahrnehmung.................................................................................................10<br />

4.1.2 Drei-Sekun<strong>de</strong>n-Phänomen...............................................................................................................11<br />

4.2 DIRK EWERS...........................................................................................................................................12<br />

4.2.1 Grundlagen <strong>de</strong>r Sinneswahrnehmung ..............................................................................................12<br />

4.2.2 <strong>Zeit</strong>wahrnehmung und Bewußtsein ..................................................................................................12<br />

4.2.3 Wahrnehmung und Kognition..........................................................................................................13<br />

4.2.4 Das Gedächtnis <strong>de</strong>s Glaubens.........................................................................................................14<br />

4.3 SCHLÜSSE...............................................................................................................................................14<br />

5 ZEIT IN DER ERZÄHLUNG....................................................................................................................15<br />

6 ZEIT ALS RELATIVISTISCHE GRÖßE DER PHYSIK........................................................................15<br />

7 BEZÜGE ZU AUSGEWÄHLTEN SEMINARTHEMEN ........................................................................15<br />

7.1 IRREDUZIBILITÄT UND BESCHREIBUNGSEBENEN .......................................................................................15<br />

7.2 WIE EWIG UND ALLGEGENWÄRTIG IST DAS INTERNET?..............................................................................15<br />

7.3 BEWUßTSEIN UND MASCHINEN ................................................................................................................16<br />

7.4 GEIST UND LEBEN...................................................................................................................................16<br />

7.5 INFORMATION UND OFFENBARUNG ..........................................................................................................16<br />

7.6 PERSONALITÄT, IDENTITÄT, KONTINUITÄT..............................................................................................16<br />

8 ERGEBNISSE ............................................................................................................................................16<br />

9 ANHÄNGE .................................................................................................................................................17<br />

9.1 QUELLENVERZEICHNIS ............................................................................................................................17<br />

ANMERKUNG:<br />

Diese Ausarbeitung <strong>ist</strong> auch als Hypertextdokument über das WWW verfügbar unter <strong>de</strong>r URL<br />

http://fsinfo.cs.uni-dortmund.<strong>de</strong>/~duentgen/<strong>Was</strong>Ist<strong>Zeit</strong>/<strong>Was</strong>Ist<strong>Zeit</strong>.html


Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?“ Seite 3/17<br />

1 Leitfragen<br />

Wenn man sich mit <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> beschäftigt, wird stets eine Reihe von Fragen aufgeworfen. An<br />

dieser Stelle möchte ich jedoch diejenigen herausstellen, die im Verlauf <strong>de</strong>s Vortrags immanent<br />

mitschwingen und <strong>de</strong>ren „Beantwortung“ sich aus <strong>de</strong>n bearbeiteten Quellen ergeben könnte. Es<br />

sind dies die folgen<strong>de</strong>n vier Fragen:<br />

1. Woher kommt die <strong>Zeit</strong>?<br />

2. <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>de</strong>r Charakter / das Wesen <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong>?<br />

3. Wie erklärt sich unser <strong>Zeit</strong>empfin<strong>de</strong>n?<br />

4. Welche Zusammenhänge gibt es zwischen <strong>de</strong>m Wesen <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> und unserem eigenen?<br />

2 <strong>Zeit</strong> aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>s Aurelius Augustinus<br />

In seinen „Bekenntnissen“ [1] versucht Augustinus (354-430) verschie<strong>de</strong>ne philosophische<br />

Theorien zur Thematik <strong>Zeit</strong> mit <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>r Ewigkeit Gottes zu verknüpfen. An dieser<br />

Stelle sind jedoch vor allem AUGUSTINUS’ Gedanken zum Wesen <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> und <strong>de</strong>ren Verhältnis<br />

zum menschlichen Ge<strong>ist</strong> von Interesse.<br />

2.1 Woher stammt die <strong>Zeit</strong>?<br />

Gott<br />

• <strong>ist</strong> ewig<br />

• erschafft mittels seines<br />

schweigend-ewigen Wortes<br />

Nichts<br />

Vergangenheit<br />

Zukunft<br />

Gegenwart<br />

[Nach AUGUSTINUS: Gott erschafft Raum und <strong>Zeit</strong> ]<br />

t<br />

Schöpfung<br />

Raum und <strong>Zeit</strong><br />

Nach <strong>de</strong>m Weltbild, welches <strong>de</strong>r Kirchenvater AUGUSTINUS in seinen „Bekenntnissen“ [1]<br />

entfaltet, können Raum und <strong>Zeit</strong> nur einen gemeinsamen Ursprung haben. Sie entspringen<br />

Gottes Willen und manifestieren sich auf Geheiß seines „schweigend-ewigen Wortes“ aus <strong>de</strong>m<br />

„Nichts“ (creatio ex nihilo). Somit <strong>ist</strong> die <strong>Zeit</strong> Bestandteil <strong>de</strong>r Schöpfung. Entschei<strong>de</strong>nd <strong>ist</strong> die<br />

Ursächlichkeit <strong>de</strong>s göttlichen Schöpfungsaktes: ohne Gottes Einfluß gäbe es we<strong>de</strong>r die materielle<br />

Welt, wie die Menschen sie kennen, noch die <strong>Zeit</strong>, welche sie erleben. Gott steht außerhalb<br />

jeglichen <strong>Zeit</strong>begriffs – <strong>de</strong>m entspricht <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r „Ewigkeit Gottes“. Gott erschafft jedoch<br />

nicht nur die <strong>Zeit</strong> in <strong>de</strong>r Form, daß er bloß <strong>de</strong>n <strong>Zeit</strong>fluß initiiert, vielmehr erschafft er die Gesamtheit<br />

<strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong>lichkeit (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) <strong>de</strong>r Welt in einem.<br />

Mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s „schweigend-ewigen Wortes“ gelingt es AUGUSTINUS, die <strong>Zeit</strong>lichkeit<br />

<strong>de</strong>s göttlichen Schöpfungsaktes aufzulösen. Das „Wort“ <strong>de</strong>s Schöpfers <strong>ist</strong> nicht zeitlich, son<strong>de</strong>rn<br />

folgt Gottes „ewigem“ Charakter. Somit hat es keine zeitliche „Aus<strong>de</strong>hnung“ im vom<br />

Menschen meßbaren Sinne. Ebenso wird die Frage nach <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> vor <strong>de</strong>r Schöpfung gleichsam<br />

sinnlos:<br />

„Du rufst uns also auf, hier das »Gott-Wort bei Gott« zu verstehen, das immerwährend gesprochen<br />

wird und durch welches alles immerwährend gesprochen wird. Da <strong>ist</strong> kein Nacheinan<strong>de</strong>r, daß endigte,<br />

was gesprochen ward, und an<strong>de</strong>rs gesprochen wür<strong>de</strong>, damit alles könne gesprochen wer<strong>de</strong>n,


Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?“ Seite 4/17<br />

son<strong>de</strong>rn zugleich und immerwährend wird alles gesprochen; sonst wäre ja <strong>Zeit</strong>folge darin und nicht<br />

wahre Ewigkeit noch wahre Unvergänglichkeit.“, ([1] S. 615 f.).<br />

AUGUSTINUS erläutert auch <strong>de</strong>n Unterschied zwischen <strong>de</strong>m Charakter von <strong>Zeit</strong> und Ewigkeit<br />

(und an dieser Stelle im Vorgriff auch das Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und<br />

Zukunft zueinan<strong>de</strong>r):<br />

„Ja, er müßte sehen, daß auch langhin dauern<strong>de</strong> <strong>Zeit</strong> nur durch die bewegte Folge flüchtiger Augenblicke,<br />

die allzugleich nicht Platz greifen können, zur langen <strong>Zeit</strong> wird, daß aber im Ewigen nicht<br />

irgend etwas dahingeht, vielmehr das Ganze gegenwärtig <strong>ist</strong>, während es doch keinerlei <strong>Zeit</strong> gibt,<br />

die als Ganzes gegenwärtig wäre; er müßte endlich sehen, daß alles Vergangene verdrängt wird von<br />

Kommen<strong>de</strong>m, daß alles Kommen<strong>de</strong> auf Vergangenes folgt und daß alles Vergangene und alles<br />

Kommen<strong>de</strong> von <strong>de</strong>m, was stete Gegenwart <strong>ist</strong>, erschaffen wird und hervorbricht.“, ([1] S. 623).<br />

2.2 Wesen und Ablauf <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong><br />

2.2.1 <strong>Zeit</strong> als Dauer<br />

AUGUSTINUS geht von <strong>de</strong>m anschaulichen Ansatz aus, <strong>de</strong>r versucht, <strong>Zeit</strong> als eine Abfolge<br />

von Dauern aufzufassen. Er erkennt, daß eine Quantelung <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> unmöglich <strong>ist</strong>, bzw. nicht<br />

wirklich hilfreich sein kann, um das Wesen <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> zu begreifen. Durch eine immer feiner wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Unterteilung <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> in immer kürzere Einheiten (Dauern) kann man <strong>de</strong>n Charakter <strong>de</strong>r<br />

gegenwärtigen <strong>Zeit</strong> (d.h. andauern<strong>de</strong>n <strong>Zeit</strong>) nicht erklären – <strong>de</strong>nn diese Dauern konvergieren<br />

gegen einen Punkt, an <strong>de</strong>m die gegenwärtige <strong>Zeit</strong> ihre Dauer verliert:<br />

„Könnte man irgendwas von <strong>Zeit</strong> sich vorstellen, so winzig, daß es gar nicht mehr sich teilen läßt,<br />

auch nicht in Splitter von Augenblicken: solche <strong>Zeit</strong> allein wäre es, die man ,gegenwärtig’ nennen<br />

dürfte; sie aber fliegt so reißend schnell von Künftig zu Vergangen, daß auch nicht ein Weilchen<br />

Dauer sich <strong>de</strong>hnt. Denn sowie sie sich aus<strong>de</strong>hnt, zerfällt sie schon wie<strong>de</strong>r in Vergangenheit und Zukunft;<br />

aber als Gegenwart <strong>ist</strong> sie ohne Aus<strong>de</strong>hnung.“, ([1] S. 633 f.).<br />

Gleichsam we<strong>ist</strong> AUGUSTINUS jegliche Versuche zurück, <strong>Zeit</strong> auf die Bewegung von Körpern<br />

– seien es Objekte <strong>de</strong>r täglichen Anschauung o<strong>de</strong>r Himmelskörper – zu reduzieren. Er<br />

zeigt, daß man <strong>Zeit</strong> benutzt, um die Dauer von Bewegungen – o<strong>de</strong>r auch Nichtbewegungen –<br />

durch Vergleichung zu benennen und daß es <strong>de</strong>r Beobachtung von Anfang und En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Bewegungen<br />

bedürfe, um eine <strong>Zeit</strong>lichkeit aus <strong>de</strong>ren Bewegung herzuleiten. Diese Beobachtung sei<br />

jedoch oftmals nicht möglich und trotz<strong>de</strong>m könnten wir <strong>Zeit</strong> bemessen ([1] S. 647 ff.).<br />

2.2.2 Das Gefüge <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong><br />

AUGUSTINUS unterschei<strong>de</strong>t zwischen <strong>de</strong>n zeitlichen Begriffen von Vergangenheit, Gegenwart<br />

und Zukunft und stellt einen ex<strong>ist</strong>entiellen Zusammenhang her:<br />

„Aber zuversichtlich behaupte ich zu wissen, daß es vergangene <strong>Zeit</strong> nicht gäbe, wenn nichts verginge,<br />

und nicht künftige <strong>Zeit</strong>, wenn nichts herankäme, und nicht gegenwärtige <strong>Zeit</strong>, wenn nichts<br />

seiend wäre“, ([1] S. 629).<br />

Nach AUGUSTINUS fließt <strong>Zeit</strong> von <strong>de</strong>r Zukunft durch die Gegenwart in die Vergangenheit<br />

hinüber. An <strong>de</strong>n „versteckten Orten“ an <strong>de</strong>nen sich zukünftige und vergangene <strong>Zeit</strong> „befin<strong>de</strong>n“,<br />

schreibt AUGUSTINUS <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> jeweils „gegenwärtigen“ Charakter zu – so daß es nur eine Zukunft<br />

und eine Vergangenheit gibt ([1] S. 635 f.). So besitzt <strong>Zeit</strong> auch nur in Vergangenheit und<br />

Zukunft eine „Aus<strong>de</strong>hnung“, nicht jedoch in <strong>de</strong>r Gegenwart.<br />

Der beschriebene <strong>Zeit</strong>fluß wird nach AUGUSTINUS allein durch <strong>de</strong>n Ge<strong>ist</strong> in Gang gehalten:<br />

„So vollzieht sich das Ganze, in<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r gegenwärtige Bewußtseinsakt das noch Künftige in die<br />

Vergangenheit hinüberschafft, so daß um die Min<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Zukunft die Vergangenheit wächst, bis<br />

schließlich durch Aufbrauch <strong>de</strong>s Künftigen das Ganze vollends vergangen <strong>ist</strong>.“, ([1] S. 663).<br />

Unser Ge<strong>ist</strong> erlaubt es uns darüber hinaus, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in Form<br />

von Abbil<strong>de</strong>rn, nämlich unserem Augenschein, unserer Erinnerung und unserer Erwartung, zu<br />

vergegenwärtigen und so zur Messung von <strong>Zeit</strong> heranzuziehen:


Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?“ Seite 5/17<br />

Vergangenheit Gegenwart Zukunft<br />

Erinnerung<br />

= gegenwärtige Vergangenheit<br />

Erinnerung<br />

Ge<strong>ist</strong><br />

Augenschein<br />

Augenschein<br />

= gegenwärtige Gegenwart<br />

Erwartung<br />

... Vergangenheit Zukunft ... t<br />

Gegenwart<br />

Erwartung<br />

= gegenwärtiges Künftiges<br />

Die nebenstehen<strong>de</strong> Skizze veranschaulicht die<br />

Prozesse von <strong>Zeit</strong>fluß und Vergegenwärtigung.<br />

Dies <strong>ist</strong> be<strong>de</strong>utsam für die Möglichkeit, allgemeine <strong>Zeit</strong>en zu messen. AUGUSTINUS stellt<br />

nämlich fest, daß nur gegenwärtige <strong>Zeit</strong>, in ihrem Vorüberziehen, meßbar <strong>ist</strong>, und zwar durch<br />

Vergleichung mit an<strong>de</strong>ren Dauernlängen im Ge<strong>ist</strong>e vermittels <strong>de</strong>r Bewertung <strong>de</strong>r eigenen Erinnerungen<br />

(„In dir, mein Ge<strong>ist</strong>, messe ich die <strong>Zeit</strong>en.“, ([1] S. 661)). Insofern <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong> die „Aus<strong>de</strong>hnung<br />

<strong>de</strong>s Ge<strong>ist</strong>es“ ([1] S. 655). Messen wir vergangene o<strong>de</strong>r zukünftige „Dauern“, so messen wir tatsächlich<br />

ihre Dauern in unserer Erinnerung o<strong>de</strong>r Erwartung.<br />

Weiterhin beschreibt AUGUSTINUS die Be<strong>de</strong>utung von Eindrücken von Erscheinungen auf<br />

das <strong>Zeit</strong>empfin<strong>de</strong>n auf eine Weise, wie sie später in einem mo<strong>de</strong>rnen Erklärungsversuch von<br />

DIRK EWERS noch einmal aufgegriffen wird:<br />

„Der Eindruck, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Erscheinungen bei ihrem Vorüberziehen in dir erzeugt wird und dir zurückbleibt,<br />

wenn die Erscheinungen vorüber sind, <strong>de</strong>r <strong>ist</strong> es, <strong>de</strong>n ich messe als etwas Gegenwärtiges,<br />

nicht das, was da, <strong>de</strong>n Eindruck erzeugend, vorüberging; nur ihn, <strong>de</strong>n Eindruck, messe ich, wenn ich<br />

<strong>Zeit</strong>en messe. Also sind entwe<strong>de</strong>r die Eindrücke die <strong>Zeit</strong>en, o<strong>de</strong>r ich messe die <strong>Zeit</strong>en überhaupt<br />

nicht.“, ([1] S. 661).<br />

2.3 Schlüsse<br />

Nach AUGUSTINUS’ Ausführungen ergeben sich folgen<strong>de</strong> Zwischenergebnisse: Die Frage<br />

nach <strong>de</strong>m „wahren Wesen“ <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> bleibt unklar. Die <strong>Zeit</strong> <strong>ist</strong> Teil <strong>de</strong>r Schöpfung und für diese<br />

wichtig – nicht jedoch für <strong>de</strong>n Gott-Schöpfer. <strong>Zeit</strong> fließt von <strong>de</strong>r Zukunft durch die Gegenwart<br />

in die Vergangenheit.<br />

Die „wirkliche“ <strong>Zeit</strong> können wir nicht messen; vielmehr messen wir Dauern in unserem Ge<strong>ist</strong>e<br />

durch Vergleichen mit an<strong>de</strong>ren Dauern. Allerdings lassen sich nur gegenwärtig zeitigen<strong>de</strong><br />

Dauern miteinan<strong>de</strong>r vergleichen – und zwar immer nur direkt. Deshalb müssen wir die Fähigkeit<br />

unseres Ge<strong>ist</strong>es nutzen, Vergangenes und Zukünftiges in Form von Erinnerungen und Erwartungen<br />

zu „vergegenwärtigen“. Die Gegenwart erscheint uns nur in Gestalt unseres Augenscheins,<br />

während die wirkliche Gegenwart ungreifbar bleibt.<br />

Nach AUGUSTINUS <strong>ist</strong> Ge<strong>ist</strong> also unmittelbare Voraussetzung für jegliches <strong>Zeit</strong>empfin<strong>de</strong>n.<br />

3 <strong>Zeit</strong> in Simulationen<br />

Im folgen<strong>de</strong>n Abschnitt gehe ich auf die Simulation von Systemen ein und vergleiche Simulationen<br />

und ihre Eigenschaften mit <strong>de</strong>r Realwelt und <strong>de</strong>ren Eigenarten. Um eine breitere gemeinsame<br />

Basis für die auf <strong>de</strong>n Vortrag folgen<strong>de</strong> Diskussion zu schaffen, gehe ich in Abschnitt<br />

(3.1) nochmals vertiefend auf die Begriffe „System“ und „Mo<strong>de</strong>ll“ ein, obwohl diese im Vortrag<br />

zum Thema „IRREDUZIBILITÄT UND BESCHREIBUNGSEBENEN“ bereits behan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong>n.


Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?“ Seite 6/17<br />

Beson<strong>de</strong>rs interessiert hier im Rahmen <strong>de</strong>s Themas einerseits die Art und Weise, wie man<br />

<strong>Zeit</strong> und zeitliche Prozesse in Simulationen mo<strong>de</strong>lliert (3.2), an<strong>de</strong>rerseits, wie man in Simulationen<br />

die <strong>Zeit</strong> selbst manipulieren kann (3.3).<br />

3.1 Simulationen<br />

3.1.1 <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> ein System?<br />

Ein System <strong>ist</strong> ein Objekt unserer Anschauung o<strong>de</strong>r Vorstellung, <strong>de</strong>ssen Verhalten wir beobachten,<br />

beschreiben o<strong>de</strong>r erklären wollen. Ein System besteht aus seinen Komponenten (die<br />

wie<strong>de</strong>rum als Subsysteme betrachtet wer<strong>de</strong>n können) und Beziehungen o<strong>de</strong>r Wechselwirkungen<br />

zwischen diesen. Außer<strong>de</strong>m grenzen wir die Komponenten <strong>de</strong>s Systems in ihrer Gesamtheit<br />

von allen an<strong>de</strong>ren Objekten <strong>de</strong>s Universums scharf ab und nennen die Grenze „Systemgrenze“.<br />

Das System kann über die Systemgrenze hinaus mit seiner Umwelt (d.h. Objekten in<br />

unmittelbarer Nachbarschaft) kommunizieren. Denkt man sich die Systemgrenze als undurchsichtig<br />

(„black-box“-Prinzip) und beobachtet das System, so nennt man das beobachtete Verhalten<br />

„Systemverhalten“.<br />

3.1.2 <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> ein Mo<strong>de</strong>ll?<br />

Ein Mo<strong>de</strong>ll <strong>ist</strong> <strong>de</strong>r Versuch, ein System und <strong>de</strong>ssen Verhalten zu beschreiben o<strong>de</strong>r zu erklären.<br />

Dazu betrachtet man die Beziehungen <strong>de</strong>r Systemkomponenten zueinan<strong>de</strong>r und gibt Regeln<br />

für die Interaktion <strong>de</strong>r Komponenten und die Interaktion <strong>de</strong>s Systems mit <strong>de</strong>r Umwelt an.<br />

Ein Mo<strong>de</strong>ll besteht etwa aus grundlegen<strong>de</strong>n Systemeigenschaften, die man als verän<strong>de</strong>rliche<br />

o<strong>de</strong>r konstante mathematischen Größen (Variablen, Konstanten) mo<strong>de</strong>lliert, sowie mathematischen<br />

Formeln, die das Verhalten von Systemeigenschaften als Größen (Variablen) in Abhängigkeit<br />

an<strong>de</strong>rer Größen beschreiben. Die Gesamtheit <strong>de</strong>r Inhalte aller Variablen zu einem <strong>Zeit</strong>punkt<br />

nennt man <strong>de</strong>n Zustand <strong>de</strong>s simulierten Systems.<br />

3.1.3 <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> eine Simulation?<br />

Eine Simulation <strong>ist</strong> ein Verfahren, mit <strong>de</strong>m man das Verhalten eines Systems nachvollzieht,<br />

etwa um Informationen über die zu erwarten<strong>de</strong> Entwicklung <strong>de</strong>s Systems zu gewinnen. Dazu<br />

bedient man sich <strong>de</strong>r Aussagen eines Mo<strong>de</strong>lls für das interessieren<strong>de</strong> System. Dessen Regeln<br />

wer<strong>de</strong>n im einzelnen nachvollzogen und durch Beobachtung <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Variablen<br />

erhält man eine Beschreibung <strong>de</strong>s simulierten Systemverhaltens.<br />

Ein Simulatorprogramm <strong>ist</strong> ein Computerprogramm, welches solch eine Simulation eines<br />

dynamischen Mo<strong>de</strong>lls vornimmt. Dabei geht es wie folgt vor:<br />

• Von einem (gesetzten) Anfangszustand aus<br />

• wird <strong>de</strong>r Zustand <strong>de</strong>s simulierten Systems Ereignis nach Ereignis und insbeson<strong>de</strong>re je<strong>de</strong><br />

dabei auftreten<strong>de</strong> Zustandsän<strong>de</strong>rungen „Schritt für Schritt“ in zeitlicher Reihenfolge<br />

nachvollzogen.<br />

• Der somit „imitierte“ Verlauf von Zustandsverläufen (Zustandstrajektorien) <strong>ist</strong> „geeignet“,<br />

<strong>de</strong>n beobachteten (simulierten) Ablauf zu bewerten o<strong>de</strong>r zu beurteilen.<br />

3.1.4 Einsatzgebiete von Simulationen<br />

Simulationen wer<strong>de</strong>n eingesetzt, um Systeme zu studieren. Man möchte wissenschaftliche<br />

Hypothesen über die simulierten Systeme testen, Vorhersagen für ihre Zukunft treffen o<strong>de</strong>r<br />

ihre Vergangenheit untersuchen. Dadurch erhofft man sich vor allem einen Wissensgewinn.<br />

Der Nutzen, <strong>de</strong>n man aus <strong>de</strong>n gewonnenen Erkenntnissen zieht, kann vielfältiger Natur sein:<br />

reine Wissensgewinne (Astronomie, Physik), wirtschaftliche Profite (Börsenkurse), Entscheidungshilfen<br />

(Steuer- und Finanzpolitik, Umweltschutz); Überschneidungen sind jedoch die<br />

Regel.


Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?“ Seite 7/17<br />

Simulationen wer<strong>de</strong>n vor allem dann benutzt, wenn man keinen Einfluß auf das interessieren<strong>de</strong><br />

System hat (z.B. in <strong>de</strong>r Astrophysik), Beobachtungen und Experimente nicht möglich<br />

o<strong>de</strong>r äußerst aufwendig wären (Quantenphysik, Reaktionsmechanismen in <strong>de</strong>r Chemie, Weltwirtschafsprognosen,<br />

Meteorologie).<br />

Auch in Fällen, wo durch experimentelles Beobachten Erkenntnisse gewonnen wer<strong>de</strong>n können,<br />

erweisen sich Simulationen als nützliches Werkzeug. Sie zeichnen sich nämlich durch folgen<strong>de</strong><br />

Vorteile aus:<br />

• Simulationen sind frei von natürlichen Störungen<br />

Oftmals verfälschen Störgrößen die Ergebnisse realer Experimente und Beobachtungen.<br />

Von diesen Fehlerquellen kann man in Simulationen abstrahieren. Simulationen sind darüber<br />

hinaus beliebig exakt.<br />

• Simulationen lassen vielfältige Meßmetho<strong>de</strong>n zu<br />

In einer Simulation kann man alle Daten gleichzeitig unverfälscht messen und protokollieren.<br />

Dies <strong>ist</strong> in <strong>de</strong>r Realität in <strong>de</strong>r Regel unmöglich (Unschärferelation).<br />

• Simulationen sind leicht zu verän<strong>de</strong>rn.<br />

An<strong>de</strong>rs als die reale Welt läßt sich eine Computersimulation relativ leicht än<strong>de</strong>rn. Man<br />

kann etwa die Schwerkraft nach Belieben manipulieren uns schauen, was geschieht.<br />

• In Simulationen kann man in die <strong>Zeit</strong>lichkeit <strong>de</strong>s Systems eingreifen<br />

Dazu später mehr.<br />

Wichtige Nachteile bei einer Simulation sind:<br />

• Eine falsche Mo<strong>de</strong>llierung führt in <strong>de</strong>r Regel zu (im schlimmsten Fall unerkannten) falschen<br />

Beobachtungen und Ergebnissen (Entwurfsfehler).<br />

• Viele Mo<strong>de</strong>lle sind algorithmisch schlecht zu behan<strong>de</strong>ln und können nur umständlich simuliert<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

• Man benötigt unbedingt ein komplettes Mo<strong>de</strong>ll. Zufällige Erkenntnisse sind unwahrscheinlicher<br />

(Weltblindheit). Statt <strong>de</strong>ssen kann es leicht zur Bildung von Artefakten<br />

(durch die Annahmen bei <strong>de</strong>r Versuchsplanung induzierte Fehler) kommen.<br />

• Genaue Simulationen erfor<strong>de</strong>rn einen (zu) großen Aufwand an Ressourcen (Speicherplatz,<br />

Prozessorzeit). Das Mo<strong>de</strong>ll muß dann vereinfacht o<strong>de</strong>r die gewünschte Genauigkeit<br />

reduziert wer<strong>de</strong>n.<br />

3.2 Mo<strong>de</strong>llierung von <strong>Zeit</strong> in Simulationen<br />

3.2.1 <strong>Zeit</strong>begriffe in Simulationen<br />

Im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Erstellung von Simulatoren, also Computerprogrammen zur<br />

Durchführung von Simulationen, wer<strong>de</strong>n eine Reihe verschie<strong>de</strong>ner <strong>Zeit</strong>begriffe verwen<strong>de</strong>t.<br />

Dies wird erfor<strong>de</strong>rlich, weil man es hier immer gleichzeitig mit <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> im simulierten System<br />

und <strong>de</strong>r Realzeit tu tun hat.<br />

• Objektzeit nennt man jene <strong>Zeit</strong>, in <strong>de</strong>r (zumin<strong>de</strong>st hypothetisch) <strong>de</strong>r Betrieb eines realen<br />

Systems abläuft.<br />

• Mo<strong>de</strong>ll- o<strong>de</strong>r Simulationszeit, benennt man jene <strong>Zeit</strong>, die im Programm „Simulator“ manipuliert<br />

wird. Die Mo<strong>de</strong>llzeit imitiert die Objektzeit, <strong>ist</strong> also <strong>de</strong>ren Entsprechung innerhalb<br />

<strong>de</strong>r Simulation.<br />

• Realzeit heißt die <strong>Zeit</strong> <strong>de</strong>s ausführen<strong>de</strong>n Simulatorprogramms (das ja in einem realem <strong>Zeit</strong>intervall<br />

abläuft).<br />

• Die Ausführungszeit <strong>de</strong>s Simulatorprogramms <strong>ist</strong> jene <strong>Zeit</strong>, welche <strong>de</strong>r Computer benötigt,<br />

um das Simulatorprogramm auszuführen; diese CPU-<strong>Zeit</strong> <strong>ist</strong> interessant, da sie im Zusammenhang<br />

mit <strong>de</strong>m Ressourcenbedarf zu be<strong>de</strong>nken <strong>ist</strong>. Simulatoren sind notorische „Langläufer“,<br />

ihre „Effizienz“ (d.h. wieviel Mo<strong>de</strong>llzeit mit wieviel CPU-<strong>Zeit</strong> simuliert wer<strong>de</strong>n<br />

kann) <strong>ist</strong> ein regelmäßiges Problem.


Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?“ Seite 8/17<br />

3.2.2 <strong>Zeit</strong>scheiben-Ansatz<br />

In (Computer-) Simulationen wird das Verhalten <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>llierten dynamischen Systems<br />

nachvollzogen, in<strong>de</strong>m die Regeln <strong>de</strong>s Mo<strong>de</strong>lls nacheinan<strong>de</strong>r ausgewertet wer<strong>de</strong>n. Der Zustand<br />

<strong>de</strong>s simulierten Systems wird in Form von Zustän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r einzelnen Systemkomponenten gespeichert.<br />

Die Gesamtheit aller möglichen Kombinationen dieser Zustän<strong>de</strong> nennt man Zustandsraum.<br />

Während <strong>de</strong>s Simulationsvorgangs<br />

wird berechnet, welche Zustän<strong>de</strong> die Komponenten<br />

in Abhängigkeit von ihrem bisherigen Zustand und<br />

<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Komponenten bzw. <strong>de</strong>r Umwelt<br />

gemäß <strong>de</strong>n Regeln <strong>de</strong>s Mo<strong>de</strong>lls annehmen.<br />

Um diese Form <strong>de</strong>r Abfolge technisch durchführen<br />

zu können, betrachtet man <strong>de</strong>n Zustand <strong>de</strong>s<br />

Mo<strong>de</strong>lls nicht kontinuierlich, son<strong>de</strong>rn wählt (auf<br />

sinnvolle Art und Weise) ein <strong>Zeit</strong>intervall Δt. Nun<br />

berechnet man jeweils nur alle Zustän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Mo<strong>de</strong>lls,<br />

wie sie sich gemäß <strong>de</strong>r Regeln nach dieser<br />

„<strong>Zeit</strong>scheibe“ mit <strong>de</strong>r Dauer von Δt neu ergeben<br />

müßten. Diesen Vorgang <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r an<br />

sich kontinuierlichen <strong>Zeit</strong> anhand bestimmter <strong>Zeit</strong>punkte<br />

nennt man <strong>Zeit</strong>-Diskretisierung.<br />

s1 s2 s3 s4 s5<br />

Der Zustandsraum wird durch Teilung <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong><br />

in „<strong>Zeit</strong>scheiben“ S1 bis S5 zerlegt.<br />

Es <strong>ist</strong> im Allgemeinen nicht einfach, <strong>de</strong>n richtigen Wert für Δt zu bestimmen: Wählt man ihn<br />

zu groß, so entfernt sich das simulierte Systemverhalten möglicherweise stark von <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s<br />

natürlichen Systems (möglicherweise stellt sich das eigentliche Verhalten noch nicht einmal<br />

ein). Wählt man Δt zu klein, so steigt <strong>de</strong>r erfor<strong>de</strong>rliche Rechenaufwand durch die kleine Rasterung<br />

stark an - die Simulation läuft langsam und erfor<strong>de</strong>rt einen hohen <strong>Zeit</strong>aufwand, obwohl<br />

man keine zusätzlichen interessanten Erkenntnisse gewinnt.<br />

Innerhalb <strong>de</strong>s Simulatorprogramms wird die <strong>Zeit</strong> nun durch eine globale <strong>Zeit</strong>variable mo<strong>de</strong>lliert,<br />

ich möchte sie hier T nennen. Zu Beginn <strong>de</strong>r Simulation wird T auf einen beliebigen<br />

Startwert T0 (häufig 0) gesetzt. Beim Ablauf <strong>de</strong>r Simulation wird die <strong>Zeit</strong> in <strong>Zeit</strong>scheiben vom<br />

Umfang Δt abgearbeitet. In je<strong>de</strong>m Schritt wird T also um <strong>de</strong>n Betrag Δt erhöht: T=T+Δt. Auf<br />

diese Weise kann man innerhalb <strong>de</strong>s Simulatorprogramms je<strong>de</strong>rzeit die aktuelle Mo<strong>de</strong>llzeit<br />

ermitteln, in<strong>de</strong>m man <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>r Variablen T untersucht (etwa, weil einige Regeln <strong>de</strong>s Mo<strong>de</strong>lls<br />

Bezug auf die Mo<strong>de</strong>llzeit nehmen).<br />

3.2.3 Ereignisorientierter Ansatz<br />

Der unter (3.2.2) vorgestellte Ansatz <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>llzeit in gleichmäßige <strong>Zeit</strong>scheiben<br />

hat einige Nachteile. Beispielsweise muß man die Variable Δt „gut genug“ bestimmen,<br />

wenn man ausreichend genaue Ergebnisse erzielen, gleichzeitig jedoch ein Explodieren <strong>de</strong>r<br />

Ausführungszeit verhin<strong>de</strong>rn will. Häufig <strong>ist</strong> es so, daß die Rechenzeit vieler <strong>Zeit</strong>scheiben „vergeu<strong>de</strong>t“<br />

wird, da sie keine Verän<strong>de</strong>rungen innerhalb <strong>de</strong>s simulierten Systems hervorbringen.<br />

Um diesen Mißstand zu beheben, verwen<strong>de</strong>t man eine ereignisorientierte <strong>Zeit</strong>mo<strong>de</strong>llierung,<br />

wo immer dies möglich <strong>ist</strong>. Der ereignisorientierte Ansatz basiert auf <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Überlegungen:<br />

• Zustandsän<strong>de</strong>rungen im Simulierten System fin<strong>de</strong>n immer zu „Ereigniszeitpunkten“ ti statt.<br />

Zwischen aufeinan<strong>de</strong>rfolgen<strong>de</strong>n Ereignissen bleibt <strong>de</strong>r Gesamtzustand <strong>de</strong>s Systems jeweils<br />

unverän<strong>de</strong>rt.<br />

• Zwischen aufeinan<strong>de</strong>rfolgen<strong>de</strong>n Ereignissen verstreicht jeweils „<strong>Zeit</strong>“. Diese bleibt programmtechnisch<br />

als Mo<strong>de</strong>llzeit nachzuvollziehen.<br />

• Da die <strong>Zeit</strong>intervalle zwischen <strong>de</strong>n Ereignissen geschehnislos sind, kann <strong>de</strong>r gesamte<br />

<strong>Zeit</strong>ablauf mo<strong>de</strong>lliert wer<strong>de</strong>n als ein diskontinuierlicher Vorgang, <strong>de</strong>r unmittelbar von einem<br />

t


Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?“ Seite 9/17<br />

Ereignis-<strong>Zeit</strong>punkt auf <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n „springt“. Programmtechnisch be<strong>de</strong>utet dies, daß die<br />

globale <strong>Zeit</strong>-Variable T von <strong>de</strong>r „momentanen <strong>Zeit</strong>“ <strong>de</strong>r Reihe nach auf die <strong>Zeit</strong> <strong>de</strong>r Ereignis-<strong>Zeit</strong>punkte<br />

ti gesetzt wird.<br />

Setzt man diese Überlegungen in einem Simulatorprogramm um, so spart man mitunter einen<br />

Großteil an Ausführungszeit ein, die man beispielsweise in die Berechnung zusätzlicher<br />

Mo<strong>de</strong>llzeit investieren kann.<br />

3.3 Manipulationen simulierter <strong>Zeit</strong><br />

Bereits in Abschnitt (3.1.4) wur<strong>de</strong> behauptet, in Simulationen könne man Einfluß auf die<br />

<strong>Zeit</strong>lichkeit <strong>de</strong>s simulierten Systems nehmen. Dies wer<strong>de</strong> ich im folgen<strong>de</strong>n erläutern.<br />

3.3.1 Erschaffung von künstlichen Systemen<br />

Die in Simulationen „zum Leben erweckten“ Systemmmo<strong>de</strong>lle stehen außerhalb <strong>de</strong>s „realen“<br />

Zusammenhangs. Sie entstehen quasi aus <strong>de</strong>m „Nichts“ und verschwin<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m Been<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Simulation wie<strong>de</strong>r dorthin. Der Simulationsleiter kann also direkt Einfluß auf die<br />

Kontinuität und Kausalität dieser simulierten Systeme nehmen. Die Ex<strong>ist</strong>enz eines simulierten<br />

Systems kann je<strong>de</strong>rzeit been<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Simulierte Subsysteme können „ex nihilo“ erschaffen<br />

o<strong>de</strong>r spontan entfernt wer<strong>de</strong>n. Es lassen sich hypothetische Zustän<strong>de</strong> erschaffen, die in <strong>de</strong>r<br />

Realität aufgrund kausaler Zusammenhänge niemals eintreten können. Sämtliche Parameter <strong>de</strong>s<br />

Systems können beeinflußt wer<strong>de</strong>n. Daraus folgt etwa:<br />

• Simulationsläufe sind wie<strong>de</strong>rholbar.<br />

Die Wie<strong>de</strong>rholbarkeit erlaubt es, beliebige Ergebnisse aus Experimenten zu verifizieren<br />

und alle Beobachtungen im Detail zu analysieren.<br />

3.3.2 Beeinflussung <strong>de</strong>s <strong>Zeit</strong>flusses<br />

Da <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong>fluß für das in einer Simulation simulierte System simuliert wird, kann er je<strong>de</strong>rzeit<br />

beliebig verän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. Der <strong>Zeit</strong>fluß kann (auch für bestimmte Ereignisse) beliebig<br />

verlangsamt o<strong>de</strong>r (dies hängt jedoch stark von <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>llierung und <strong>de</strong>ren Simulationsaufwand<br />

ab) beschleunigt wer<strong>de</strong>n. Weiterhin kann man sogar die <strong>Zeit</strong> „zurückdrehen“ (siehe 3.3.1).<br />

Ein großer Vorteil von Simulationen <strong>ist</strong> also:<br />

• Simulationen können als <strong>Zeit</strong>raffer o<strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong>lupe dienen.<br />

Sehr schnelle (chemische Reaktionen, Fortschreiten eines Laserstrahls) o<strong>de</strong>r extrem langsame<br />

(Sternentwicklung, Geomorphologie) Prozesse können <strong>de</strong>r menschlichen Wahrnehmung<br />

zugänglich gemacht wer<strong>de</strong>n.<br />

3.4 Schlüsse<br />

Ich möchte nun die Eigenschaften natürlicher und simulierter Systeme einan<strong>de</strong>r tabellarisch<br />

gegenüberstellen:


Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?“ Seite 10/17<br />

„natürliches“ System – „analog“ simuliertes System – „digital“<br />

wir wissen letztendlich nicht, wie die Welt (o<strong>de</strong>r<br />

auch nur ein einzelnes System) tatsächlich funktioniert.<br />

Wir kennen me<strong>ist</strong> noch nicht einmal die<br />

Grenzen eines „Systems“<br />

die natürliche <strong>Zeit</strong> scheint nicht teilbar zu sein,<br />

son<strong>de</strong>rn kontinuierlich zu verstreichen<br />

natürliche <strong>Zeit</strong> wi<strong>de</strong>rsetzt sich bislang erfolgreich<br />

allen Bestrebungen, sie zu manipulieren<br />

man kann kein Experiment unter i<strong>de</strong>ntischen Bedingungen<br />

wie<strong>de</strong>rholen<br />

Eine Simulation implementiert ein Mo<strong>de</strong>ll eines<br />

interessieren<strong>de</strong>n Systems. Der Computer berechnet<br />

Entwicklungen <strong>de</strong>s Systems unter Berücksichtigung<br />

vorgegebener Umstän<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>llannahmen.<br />

D.h. es gibt klar <strong>de</strong>finierte Gesetzmäßigkeiten<br />

In Computer-Simulationen wird die <strong>Zeit</strong> me<strong>ist</strong> in<br />

Abschnitte beliebiger Länge unterteilt. Die Än<strong>de</strong>rungen<br />

<strong>de</strong>s simulierten Systems wer<strong>de</strong>n von einem<br />

zum darauffolgen<strong>de</strong>n <strong>Zeit</strong>schritt berechnet.<br />

Die Simulation kann als <strong>Zeit</strong>raffer o<strong>de</strong>r als <strong>Zeit</strong>lupe<br />

für mo<strong>de</strong>llierte Systeme eingesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />

Simulationen können wie<strong>de</strong>rholt und in beliebiger<br />

Genauigkeit analysiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Abschließend läßt sich feststellen, daß Simulationen zwar hilfreich beim Auf<strong>de</strong>cken zeitlicher<br />

(d.h. in <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> verlaufen<strong>de</strong>r) Phänomene sind, jedoch zur Klärung <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>m<br />

Wesen <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> nur wenig beitragen konnten.<br />

Auffällig <strong>ist</strong> die Linearität <strong>de</strong>s <strong>Zeit</strong>scheibenmo<strong>de</strong>lls, die <strong>de</strong>m Wesen <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> bei<br />

AUGUSTINUS entspricht. Darüber hinaus <strong>ist</strong> es <strong>de</strong>rzeit auch nicht möglich, <strong>Zeit</strong> befriedigend zu<br />

simulieren. Man benutzt zume<strong>ist</strong> die schon AUGUSTINUS bekannte „<strong>Zeit</strong>quantelung“ als Mittel,<br />

um von <strong>de</strong>r Kontinuität <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> zu abstrahieren.<br />

In <strong>de</strong>r ereignisorientierten Programmierung abstrahiert man gar von <strong>de</strong>r Dauer von Prozessen<br />

und ersetzt sie durch Anfangs- und Endzeitpunkte. Dies steht in einem Gegensatz zum<br />

natürlichen menschlichen <strong>Zeit</strong>empfin<strong>de</strong>n, das uns <strong>Zeit</strong> immer in Form von Dauern erleben läßt.<br />

4 <strong>Zeit</strong> in <strong>de</strong>r Neurobiologie<br />

Die Neurobiologie gibt Aufschluß über die Entstehung und das Wesen unseres <strong>Zeit</strong>empfin<strong>de</strong>ns.<br />

Da <strong>de</strong>r Mensch offenbar keinen „<strong>Zeit</strong>sinn“ besitzt, jedoch trotz<strong>de</strong>m (auch ohne Zuhilfenahme<br />

von Uhren) <strong>Zeit</strong>en messen und vergleichen kann, stellt sich die Frage, wie dies möglich<br />

<strong>ist</strong>.<br />

Die vorgestellten Texte geben außer<strong>de</strong>m interessante Einblicke auf die menschlichen Wahrnehmungs-<br />

und Kognitionsprozesse und <strong>de</strong>ren Bezug zur <strong>Zeit</strong>.<br />

4.1 Ernst Pöppel<br />

Der Neurophysiologe ERNST PÖPPEL erklärt im vorgestellten Text [2] elementare <strong>Zeit</strong>phänomene.<br />

Er führt sie auf neurophysiologische Eigenschaften <strong>de</strong>s Wahrnehmungsapparates zurück.<br />

Als zu beobachten<strong>de</strong> „elementare <strong>Zeit</strong>phänomene“ betrachtet PÖPPEL ([2] S. 202)<br />

1. Gleichzeitigkeit<br />

2. Ungleichzeitig<br />

3. Aufeinan<strong>de</strong>rfolge (früher – später)<br />

4. Gegenwartsdauer (Drei-Sekun<strong>de</strong>n-Phänomen), subjektive Gegenwart<br />

5. Dauer<br />

4.1.1 <strong>Zeit</strong>schwellen in <strong>de</strong>r Wahrnehmung<br />

(Subjektive) Gleichzeitigkeit liegt vor, wenn zwei Ereignisse als gleichzeitig wahrgenommen<br />

wer<strong>de</strong>n, Ungleichzeitigkeit, wenn dies nicht <strong>de</strong>r Fall <strong>ist</strong>. Wie PÖPPEL zeigen konnte,<br />

impliziert die Wahrnehmung <strong>de</strong>r Ungleichzeitigkeit zweier Stimuli jedoch noch nicht die Fähigkeit,<br />

die korrekte Abfolge <strong>de</strong>r Stimuli zu wahrzunehmen.<br />

Die Erklärung hierfür liegt darin, daß zur Bestimmung von Abfolgen höhere Gehirnfunktionen<br />

benötigt wer<strong>de</strong>n. Die Gleichzeitigkeit bzw. Ungleichzeitigkeit hingegen bereits in „nie<strong>de</strong>ren“<br />

Gehirnfunktionen hergestellt wird. PÖPPEL spricht von einer Gleichzeitigkeitsschwelle und<br />

einer Ordnungsschwelle ([2] S. 203). Innerhalb <strong>de</strong>r Gleichzeitigkeitsschwelle aufeinan<strong>de</strong>rfolgen-


Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?“ Seite 11/17<br />

<strong>de</strong> Ereignisse wer<strong>de</strong>n als gleichzeitig wahrgenommen – ihre Abfolge kann nicht bestimmt wer<strong>de</strong>n.<br />

Dies <strong>ist</strong> erst möglich, wenn <strong>de</strong>r Abstand <strong>de</strong>r Ereignisse die Ordnungsschwelle überschreitet.<br />

Dies zeigt sich an folgen<strong>de</strong>n experimentellen Befun<strong>de</strong>n:<br />

• Unterschiedliche Sinnesbereiche haben unterschiedliche Gleichzeitigkeitsschwellen im Bereich<br />

einiger ms (unsere Auflösung <strong>ist</strong> etwa für akustische Reize merklich höher als für visuelle).<br />

• Die Ordnungsschwelle <strong>ist</strong> für alle Modalitäten i<strong>de</strong>ntisch (30 ms). Daraus schließt PÖPPEL,<br />

daß es sich hier um eine höhere Gehirnfunktion han<strong>de</strong>lt.<br />

0 ms<br />

vollkommene<br />

subjektive<br />

Gleichzeitigkeit<br />

Gleichzeitigkeitsschwelle<br />

(einige ms)<br />

unvollkommene<br />

Gleichzeitigkeit<br />

erkennbare<br />

Reihenfolge<br />

Ordnungsschwelle<br />

30 ms<br />

Skizze: <strong>Zeit</strong>schwellen <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Wahrnehmung (nach<br />

PÖPPEL)<br />

Weiterhin hat PÖPPEL zeigen können, daß das Gehirn die Wahrnehmungen in Intervallen<br />

von etwa 30 ms „taktet“. Dies hat zur Folge, daß umfangreiche Funktionen mit <strong>de</strong>mselben<br />

Takt ausgeführt wer<strong>de</strong>n. PÖPPEL nennt hierzu die Entscheidung zwischen zwei Alternativen ([2]<br />

S. 205), sowie die Möglichkeit, per akustisch evorzierter Potentiale und eines EEGs ein oszillatorisches<br />

Erregungsmuster mit Perio<strong>de</strong>n von 30 ms abzuleiten. PÖPPEL spricht von einer inneren<br />

Uhr ([2] S. 205).<br />

Diese Uhr erlaubt es, die Umwelt zeitlich zu erleben und Informationen zu verarbeiten.<br />

Schaltet man die Oszillationen ab (etwa durch Gabe von Anästhetika), so fin<strong>de</strong>t keine <strong>Zeit</strong>wahrnemung<br />

und keine Informationsverarbeitung mehr statt. PÖPPEL folgert:<br />

„Die I<strong>de</strong>ntifikation elementarer Ereignisse <strong>ist</strong> also Grundlage <strong>de</strong>r zeitlichen Orientierung“,<br />

([2] S. 206).<br />

PÖPPEL vermutet, daß erst dieser Taktmechanismus es erlaubt, Dinge mit einer bestimmten<br />

o<strong>de</strong>r gleichmäßigen Geschwindigkeit ablaufen zu lassen ([2] S. 207 f.).<br />

4.1.2 Drei-Sekun<strong>de</strong>n-Phänomen<br />

Zusätzlich zum beschriebenen 30ms-Takt nimmt PÖPPEL die Ex<strong>ist</strong>enz eines weiteren subjektiven<br />

Mechanismus an, <strong>de</strong>r aus einzelnen Ereignissen eine subjektive Gegenwart erzeugt,<br />

in<strong>de</strong>m er einzelne Ereignisse aufeinan<strong>de</strong>r bezieht und aus aufeinan<strong>de</strong>rfolgen<strong>de</strong>n Ereignissen<br />

Wahrnehmungsgestalten bil<strong>de</strong>t.<br />

Die Ex<strong>ist</strong>enz dieses zeitlichen Integrationsmechanismus bestärkt er mittels Experimente, in<br />

<strong>de</strong>nen versucht wird, die Grenzen <strong>de</strong>r Integrationsfähigkeit <strong>de</strong>s beschriebenen Mechanismus<br />

aufzu<strong>de</strong>cken. Es zeigt sich, daß Wahrnehmungsgestalten eine zeitliche Dauer von etwa 3s nicht<br />

überschreiten können. Er nennt dieses Unvermögen Drei-Sekun<strong>de</strong>n-Phänomen ([2] S. 209).<br />

Dieselbe Dauer von 3s fin<strong>de</strong>t PÖPPEL auch und in psychophysischen Experimenten (Einordnen<br />

bzw. Vergleich von Reizintensitäten) und bei programmierten Bewegungsabläufen (wie es<br />

etwa das Öffnen einer Tür o<strong>de</strong>r ein Handschlag darstellt) wie<strong>de</strong>r. Auch können <strong>Zeit</strong>strecken<br />

über 3s nur sehr ungenau reproduziert wer<strong>de</strong>n, während dies bis 3s gelingt. PÖPPEL spricht von<br />

<strong>Zeit</strong>fenstern.<br />

Auch die Antizipation (Vorwegnahme) von Reizen durch das Gehirn <strong>ist</strong> über eine <strong>Zeit</strong> von<br />

mehr als 3s nicht korrekt möglich. PÖPPEL vermutet daher, daß „... eine Vorausplanung willentlich<br />

kontrollierter Handlungsabläufe nur für wenige Sekun<strong>de</strong>n möglich <strong>ist</strong>...“, ([2], S. 210). Alle bislang unter-<br />

t


Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?“ Seite 12/17<br />

suchten Sprachen weisen in Gedichten Verse bis zu einer Länge von 3s auf, so daß auch hier<br />

ein universelles <strong>Zeit</strong>phänomen vorzuliegen scheint. Vermutlich <strong>ist</strong> diese Segmentierung <strong>de</strong>r<br />

Wahrnehmung auch für das ästhetische Empfin<strong>de</strong>n von Be<strong>de</strong>utung, zumin<strong>de</strong>st haben viele musikalische<br />

Motive eine Dauer von bis zu 3s. Insgesamt gelangt PÖPPEL zur Aussage<br />

„Die Verfügbarkeit eines Bewußtseinsinhalts für nur wenige Sekun<strong>de</strong>n <strong>ist</strong> durch die zeitliche Begrenztheit<br />

<strong>de</strong>s zeitlichen Integrationsmechanismus bedingt“, ([2] S. 211).<br />

Dauer wird nach PÖPPEL ebenfalls durch cerebrale Mechanismen vermittelt. Diese erlauben<br />

es, „... <strong>de</strong>n subjektiven Fortgang <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> auf Schnelligkeit o<strong>de</strong>r Langsamkeit zu beurteilen“, ([2] S. 212).<br />

Damit erklärt PÖPPEL das zeitliche Paradox, welches dadurch entsteht, daß <strong>Zeit</strong>en, in <strong>de</strong>nen<br />

wenig Information verarbeitet wer<strong>de</strong>n, gegenwärtig als lang, im Rückblick jedoch als kurz<br />

empfun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n und solche <strong>Zeit</strong>en, in <strong>de</strong>nen viele Informationen verarbeitet wer<strong>de</strong>n, gegenwärtig<br />

als kurz, im Rückblick jedoch als lang.<br />

Der subjektive Eindruck einer zeitlichen Kontinuität auch unter <strong>de</strong>m Einfluß <strong>de</strong>s zeitlichen<br />

Integrationsprozesses wird laut PÖPPEL durch eine inhaltliche Vernetzung aufeinan<strong>de</strong>rfolgen<strong>de</strong>r<br />

Bewußtseinsinhalte gewährle<strong>ist</strong>et, so daß sich <strong>de</strong>r Eindruck einer subjektiven Kontinuität ergibt.<br />

4.2 Dirk Ewers<br />

Der Beitrag von EWERS [3] baut gewissermaßen auf <strong>de</strong>m vorgenannten Text von PÖPPEL [2]<br />

auf. Er beschreibt die zeitlichen Einflüsse im Wahrnehmungs- und Kognitionsprozeß und versucht,<br />

entsprechen<strong>de</strong> Prozesse in <strong>de</strong>r chr<strong>ist</strong>lichen Glaubensgemeinschaft aufzu<strong>de</strong>cken.<br />

4.2.1 Grundlagen <strong>de</strong>r Sinneswahrnehmung<br />

EWERS beginnt mit <strong>de</strong>r Frage, warum kognitive Systeme (etwa: Menschen) <strong>Zeit</strong>lichkeit in<br />

ihre Wahrnehmungsprozesse integrieren müssen. Er erkennt, daß eine erlebte <strong>Zeit</strong> im Hinblick<br />

auf das Prozessieren <strong>de</strong>r Wahrnehmung eine systemimmanente Voraussetzung für das Erleben<br />

<strong>ist</strong>. Kognitive Systeme benötigen dynamische Wahrnehmungsprozesse, die sich durch Verän<strong>de</strong>rungen<br />

ihrer Umwelt irritieren lassen.<br />

Sucht man nach einem „<strong>Zeit</strong>sinn“, so scheitert man, <strong>de</strong>nn es läßt sich keine Hirnregion einem<br />

<strong>Zeit</strong>sinn zuordnen; allerdings bestehen offenbar beson<strong>de</strong>rs enge Verbindungen <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong>wahrnehmung<br />

zum akustischen Sinn. PÖPPELs Ordnungsschwelle von 30ms begegnet uns bei<br />

EWERS als subjektives <strong>Zeit</strong>quantum (20-40 ms) wie<strong>de</strong>r. Dieses dient <strong>de</strong>r Harmonisierung <strong>de</strong>r<br />

Informationsverarbeitung im modular aufgebauten Gehirn und führt zum Phänomen <strong>de</strong>r Ordnungsschwelle.<br />

PÖPPELs Vermutung, daß dieses <strong>Zeit</strong>quantum durch neuronale Oszillatoren.<br />

erzeugt wird, wird aufgegriffen. Zu<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n nach neuere Studien circadiane Oszillatoren im<br />

Gehirn vermutet, die bestimmte Takte erzeugen.<br />

EWERS verwe<strong>ist</strong> auf Untersuchungen von BENJAMIN LIBET, <strong>de</strong>nen zufolge Erkennungszeiten<br />

für bestimmte Reize von <strong>de</strong>n Reizintensitäten und <strong>de</strong>r jeweiligen Modalität abhängig sind.<br />

Um diese systemimmanente Ungleichzeitigkeit <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Sinne zu nivellieren, erfolgt<br />

die Synthese einer Subjektiven Gleichzeitigkeit durch Rückdatierung <strong>de</strong>r bewußten Wahrnehmung<br />

(„innere zeitliche Korrektur, um kohärentes zeitliches Erleben zu ermöglichen“, ([3] S. 2)).<br />

4.2.2 <strong>Zeit</strong>wahrnehmung und Bewußtsein<br />

Weitere Untersuchungen lassen darauf schließen, daß Willkürhandlungen vorbewußt eingeleitet<br />

wer<strong>de</strong>n (ca. 250 ms vor <strong>de</strong>r Bewußtwerdung) und erst während <strong>de</strong>r Ausführung ins Bewußtsein<br />

gelangen, <strong>de</strong>m eine Art „Veto“-Funktion zukommt (bis 100-200 ms nach Bewußtwerdung).<br />

Dies läßt sich bei einer Vielzahl von Handlungen nachvollziehen. Weiterhin<br />

können durch künstliche Stimulation von Hirnregionen Handlungen ausgelöst wer<strong>de</strong>n, die<br />

später als selbst beabsichtige Handlung wahrgenommen wer<strong>de</strong>n. Es zeigt sich auch hier wie<strong>de</strong>r<br />

ein Wi<strong>de</strong>rsatz von Empfin<strong>de</strong>n und neurobiologischem Befund.


Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?“ Seite 13/17<br />

Dieser entsteht wie<strong>de</strong>rum durch einen Mechanismus, <strong>de</strong>r das Erleben eigener willentlicher<br />

Entscheidungen in <strong>de</strong>n internen Gleichzeitigkeitshorizont einbettet.<br />

Die Vorbereitung bzw. das Herbeiführen bewußter Entscheidungen in unbewußten Prozessen<br />

nennt J.H. FLAVELL Metakognition.<br />

Zusammen mit <strong>de</strong>r von PÖPPEL beschriebenen Kopplung <strong>de</strong>s Erlebens von Gegenwart an die<br />

Wahrnehmung von Dauern (also die Integration von Ereignissen zu Wahrnehmungsgestalten)<br />

und <strong>de</strong>n ebenfalls schon bei PÖPPEL aufgezeigten als gegenwärtig empfun<strong>de</strong>nen Erlebniskomplexen<br />

innerhalb von Gegenwartsfenstern (Dauern von 3-4 s) ergibt sich folgen<strong>de</strong> hierarchische<br />

Darstellung zeitlicher Wahrnehmung:<br />

1. <strong>Zeit</strong>takt (20-40 ms), Reg<strong>ist</strong>ration von Irritationen<br />

2. synchronisierte Jetztzeit (350-500 ms), basale Wahrnehmungsgestalten, Spontan- u.<br />

Willkürhandlungen, Integration von vorbewußten Entscheidungen in <strong>de</strong>n erlebten<br />

Gedächtnishorizont<br />

3. Gegenwartsfenster (3-4 s), Zusammenfassung von Wahrnehmungsgestalten<br />

EWERS charakterisiert unseren Wahrnehmungsapparat als ein LCCS („limited capacity control<br />

system“), <strong>de</strong>m es gelingen muß, seine knappen Ressourcen <strong>de</strong>n jeweils be<strong>de</strong>utendsten Ereignissen<br />

zuzuwen<strong>de</strong>n. Dies gelingt durch eine Zweiteilung <strong>de</strong>r Wahrnehmung in eine bewußte<br />

Wahrnehmung mit einer niedrigen Verarbeitungsgeschwindigkeit, bedingt durch eine serielle<br />

Verarbeitung mit stark begrenzter Kapazität und eine unbewußte Wahrnehmung mit hoher<br />

Verarbeitungsgeschwindigkeit innerhalb eines engen Bereichs (hohe Spezifität) durch eine parallele<br />

Verarbeitung mit einer insgesamt hohen Kapazität.<br />

4.2.3 Wahrnehmung und Kognition<br />

Die Steuerung <strong>de</strong>r bewußten Wahrnehmung wird erlernt und unterliegt einer Regelung über<br />

Parameter wie Aufmerksamkeit, Übung und Erwartung. Während <strong>de</strong>r Verarbeitung wer<strong>de</strong>n<br />

Reize und Wahrnehmungen ständig bewertet und gefiltert. Nur die be<strong>de</strong>utendsten Wahrnehmungen<br />

gelangen aus <strong>de</strong>m sensorischen Gedächtnis bis ins Kurzzeitgedächtnis (KZG), das eine<br />

Kapazität von nur 5-7 Informationen besitzt. Diese Informationen können jedoch aufgrund <strong>de</strong>r<br />

Integrations- und Abstraktionsprozesse eine hohe Informationsdichte besitzen. Durch Wie<strong>de</strong>rholung<br />

und elaborierte Verarbeitung im KZG können Informationen im Langzeitgedächtnis<br />

(LZG) gespeichert wer<strong>de</strong>n. Im LZG gespeicherte Informationen können mitunter lebenslang<br />

erhalten bleiben, sie sind im Gegensatz zu <strong>de</strong>n Informationen im KZG nicht in Engrammen<br />

(rückgekoppelten Nervenerregungen), son<strong>de</strong>rn wahrscheinlich biochemisch abgelegt.<br />

Das LZG läßt sich in ein prozedurales Gedächtnis und ein <strong>de</strong>klaratives Gedächtnis unterteilen.<br />

Das prozedurale Gedächtnis speichert Informationen zu Bewegungsabläufen, Verhaltensmuster<br />

und umfaßt die kognitiven Fähigkeiten. Das <strong>de</strong>klarative Gedächtnis speichert Faktenund<br />

Ereigniswissen und erlaubt einen schnellen, assoziativen Zugriff auf seine Inhalte. Willentlich<br />

kann man auf diese jedoch nur sehr begrenzt zugreifen.<br />

Schematisch lassen sich die Wahrnehmungs- und Kognitionsprozesse so darstellen:


Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?“ Seite 14/17<br />

Vergessen<br />

Verblassen<br />

Verdrängen<br />

Verblassen<br />

Verdrängen<br />

Verblassen<br />

Verdrängen<br />

Sinnesorgane<br />

mit Vorverarbeitung (Filterung, Kontrastverstärkung)<br />

Sensorisches Gedächtnis (sensorische Spur)<br />

Repräsentante von bis vor


Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?“ Seite 15/17<br />

<strong>de</strong>rn, daß wir unsere Umwelt kontinuierlich wahrnehmen können. Sogar unsere eigene Kontinuität<br />

spielen wir uns selbst nur vor.<br />

Dies beleuchtet unser <strong>Zeit</strong>empfin<strong>de</strong>n, bringt uns aber nicht weiter in <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>m<br />

tatsächlichen Wesen <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong>.<br />

5 <strong>Zeit</strong> in <strong>de</strong>r Erzählung<br />

Erzählungen spielen ständig mit <strong>de</strong>m Phänomen <strong>Zeit</strong>. THOMAS MANN faßt die wesentlichen<br />

Aspekte von <strong>Zeit</strong> in Erzählungen im 7. Kapitel <strong>de</strong>s „Zauberberg“ zusammen.<br />

Eine Erzählung erfüllt die <strong>Zeit</strong>, sie macht und unterteilt die <strong>Zeit</strong>. Ihre Aufgabe <strong>ist</strong> es, <strong>de</strong>m<br />

Leser die <strong>Zeit</strong> „anständig auszufüllen“. Dabei glie<strong>de</strong>rt sie die <strong>Zeit</strong> nach Belieben <strong>de</strong>s Erzählers.<br />

Erzählungen haben zweierlei <strong>Zeit</strong>: erstens die ihres eigenen Ablaufs, die während <strong>de</strong>r sie erzählt<br />

wer<strong>de</strong>n, und zweitens die ihres Inhalts o<strong>de</strong>r diejenige, welche in <strong>de</strong>r Erzählung vergeht.<br />

In Erzählungen können Erzähler und Leser in Situationen mit „Verwirrung und Verwischung<br />

zeitlich-räumlicher D<strong>ist</strong>anzen bis zur schwin<strong>de</strong>ligen Einerlei“ die erlebte <strong>Zeit</strong> manipulieren:<br />

„in ungemessener Monotonie <strong>de</strong>s Raumes ertrinkt die <strong>Zeit</strong>“. Dies geht hin bis zur <strong>Zeit</strong>losigkeit: „wo<br />

Bewegung nicht mehr Bewegung <strong>ist</strong>, <strong>ist</strong> keine <strong>Zeit</strong>“. Möglich <strong>ist</strong> dies, weil wir in unserem <strong>Zeit</strong>empfin<strong>de</strong>n<br />

vom Äußeren (hier: <strong>de</strong>r Erzählung) absolut abhängig sind.<br />

6 <strong>Zeit</strong> als relativ<strong>ist</strong>ische Größe <strong>de</strong>r Physik<br />

Die EINSTEINsche Relativitätstheorie beschreibt Raum und <strong>Zeit</strong> als ein untrennbar zusammengehöriges,<br />

gekrümmtes Gebil<strong>de</strong>. Schwere Objekte krümmen <strong>de</strong>n Raum und verlangsamen<br />

<strong>de</strong>n <strong>Zeit</strong>fluß, schnell bewegte Objekte unterliegen einem langsameren <strong>Zeit</strong>fluß als weniger<br />

schnell bewegte. <strong>Zeit</strong> verstreicht also nicht überall gleich schnell.<br />

STEPHEN HAWKING folgert aus <strong>de</strong>r Untrennbarkeit von Raum und <strong>Zeit</strong> weiter, daß ein <strong>Zeit</strong>fluß<br />

ohne Materie nicht vorstellbar <strong>ist</strong> [5].<br />

Dies zeigt nur einmal mehr, daß sich die <strong>Zeit</strong> unserer Vorstellung entrückt, sobald wir nach<br />

ihr zu greifen suchen. Gleichzeitig gibt <strong>de</strong>r relativ<strong>ist</strong>ische <strong>Zeit</strong>begriff Ansatzpunkte für Paradoxien,<br />

wie etwa die, welche im Zusammenhang mit Gedankenexperimenten um <strong>Zeit</strong>reisen<br />

aufkeimen.<br />

7 Bezüge zu ausgewählten Seminarthemen<br />

7.1 Irreduzibilität und Beschreibungsebenen<br />

Diese Thematik steht in unmittelbaren Zusammenhang zum Abschnitt (3). Der Systembegriff<br />

und <strong>de</strong>r Ansatz <strong>de</strong>s Reduktionismus wur<strong>de</strong>n vorgestellt und in diesem Vortrag noch einmal<br />

vergegenwärtigt. Der Reduktionismus <strong>ist</strong> charakter<strong>ist</strong>isch für das Vorgehen eines Systemanalytikers<br />

bei <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>llierung eines Systems (und <strong>de</strong>r Erstellung eines Simulatorprogramms).<br />

Am Beispiel <strong>de</strong>r erläuterten ereignisorientierten <strong>Zeit</strong>mo<strong>de</strong>llierung in Simulationen<br />

kann man leicht das Phänomen beobachten, daß dabei die Qualität <strong>de</strong>s betrachteten Gegenstan<strong>de</strong>s<br />

verän<strong>de</strong>rt wird: aus Dauern wer<strong>de</strong>n <strong>Zeit</strong>punkte, aus kontinuierlichen Größen diskrete.<br />

7.2 Wie ewig und allgegenwärtig <strong>ist</strong> das Internet?<br />

Der Abschnitt (2.1) liefert einen unmittelbaren Bezug zum Thema „Ewigkeit und Allgegenwart<br />

Gottes“. AUGUSTINUS beschreibt <strong>de</strong>n Unterschied zwischen <strong>de</strong>r Ewigkeit Gottes und <strong>de</strong>r<br />

<strong>Zeit</strong>lichkeit <strong>de</strong>r Schöpfung. Gott <strong>ist</strong> Ursprung aller <strong>Zeit</strong>lichkeit. Die Form von „Ewigkeit“, wie<br />

sie das Fortbestehen von Daten im Computernetzwerk Internet ermöglicht, bleibt auf einen<br />

zeitlichen (und somit nicht wirklich ewigen) Charakter beschränkt, da sie aus <strong>de</strong>r Schöpfung<br />

hervorgeht.


Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?“ Seite 16/17<br />

7.3 Bewußtsein und Maschinen<br />

In <strong>de</strong>r Seminarsitzung zum Thema BEWUßTSEIN UND MASCHINEN wur<strong>de</strong> die Be<strong>de</strong>utung von<br />

Reflexionsprozessen für die emergente Entstehung von Bewußtsein und Selbstbewußtsein herausgestellt.<br />

Ein andauern<strong>de</strong>r Reflexionsprozeß außerhalb je<strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> <strong>ist</strong> jedoch – zumin<strong>de</strong>st für<br />

menschliche Wesen – kaum vorstellbar. Von daher <strong>ist</strong> vielleicht anzunehmen, daß unsere Ex<strong>ist</strong>enz<br />

zeitlich <strong>ist</strong> in <strong>de</strong>m Sinne, daß <strong>Zeit</strong> eine unabdingbare Voraussetzung für die Entstehung<br />

unseres Bewußtseins <strong>ist</strong>.<br />

7.4 Ge<strong>ist</strong> und Leben<br />

Im Zuge <strong>de</strong>r „Selbstvergessenheit“ wur<strong>de</strong> ein dynamischer Prozeß als Kern <strong>de</strong>s religiösen<br />

Lebens und Ort <strong>de</strong>s Wirkens <strong>de</strong>s Heiligen Ge<strong>ist</strong>es ausgemacht. Ohne die <strong>Zeit</strong>lichkeit unserer<br />

Wahrnehmung und Empfindung wäre dieser Kreislaufprozeß von Selbsterkenntnis, von Befreitwer<strong>de</strong>n<br />

und Befreien gar nicht möglich. Möglicherweise wäre dieser Prozeß dann aber<br />

auch nicht mehr nötig und die Selbsterkenntnis könnte ständig (nicht ewig) anhalten.<br />

7.5 Information und Offenbarung<br />

Der Informationsgehalt von Wahrnehmungen wur<strong>de</strong> als abhängig vom Wissen, o<strong>de</strong>r besser:<br />

<strong>de</strong>r Erwartung, <strong>de</strong>s Empfängers dargestellt. Nun wur<strong>de</strong>n im Abschnitt (4) Mo<strong>de</strong>lle vorgestellt,<br />

wie Informationen prozessiert und gespeichert wer<strong>de</strong>n. Offensichtlich han<strong>de</strong>lt es sich bei<br />

Kommunikation um einen dynamischen Prozeß, <strong>de</strong>r zeitabhängig (weil vom bisher Erlebten<br />

beeinflußt) und abhängig von <strong>de</strong>r Wahrnehmung <strong>de</strong>r Beteiligten <strong>ist</strong>.<br />

7.6 Personalität, I<strong>de</strong>ntität, Kontinuität<br />

Wie in <strong>de</strong>r Veranstaltung zum Thema BEWUßTSEIN UND MASCHINEN wur<strong>de</strong>n Reflexionsprozesse<br />

als mögliche Ursache von Kontinuität, I<strong>de</strong>ntität und Personalität benannt. PÖPPEL<br />

versucht, <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r subjektive Kontinuität (Voraussetzung für ein Selbst-Bewußtsein) in<br />

seinem Mo<strong>de</strong>ll zu erklären (4.1.2).<br />

8 Ergebnisse<br />

Anhand <strong>de</strong>r vorgestellten Arbeiten erkennt man leicht, daß es sich bei <strong>de</strong>r „<strong>Zeit</strong>“ ein schwer<br />

zu erfassen<strong>de</strong>s Phänomen han<strong>de</strong>lt. Augenfällig <strong>ist</strong> insbeson<strong>de</strong>re, daß unsere Vorstellungen und<br />

Erkenntnisse bezüglich<br />

• <strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> als physikalischem Phänomen,<br />

• unseres natürliches <strong>Zeit</strong>empfin<strong>de</strong>n und<br />

• <strong>de</strong>r biologischen Grundlagen unseres <strong>Zeit</strong>empfin<strong>de</strong>ns<br />

nicht konvergieren, son<strong>de</strong>rn vielmehr in entgegengesetzte Richtungen auseinan<strong>de</strong>rlaufen.<br />

Auf <strong>de</strong>n alltäglichen Umgang mit <strong>Zeit</strong> wirken sich diese Vorstellungen offenbar nicht aus.<br />

Das umgängliche Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r dreigeteilten <strong>Zeit</strong> (Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft) bewährt<br />

sich seit Jahrtausen<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r täglichen Anwendung. Die Erkenntnis <strong>de</strong>s physikalischen Wesens<br />

<strong>de</strong>r <strong>Zeit</strong> hat (bislang) keine praktische Be<strong>de</strong>utung für das menschliche Leben. Und selbst neurobiologische<br />

Befun<strong>de</strong> zur Bewußtseinsforschung beunruhigen die Menschheit nicht tief.<br />

Vermutlich wer<strong>de</strong>n noch viele Generationen ohne das Wissen über das wahre Wesen <strong>de</strong>r<br />

<strong>Zeit</strong> auskommen müssen – allerdings scheint dies nach allgemeinem Dafürhalten nur allzu verschmerzbar<br />

zu sein.<br />

Überaus befriedigend empfin<strong>de</strong> ich <strong>de</strong>n überraschen<strong>de</strong>n Befund, daß die Implikationen <strong>de</strong>s<br />

chr<strong>ist</strong>lichen Schöpferglaubens in Bezug auf die <strong>Zeit</strong> sich mit unserem physikalischen Erkenntnisstand<br />

<strong>de</strong>cken können.


Chr<strong>ist</strong>ian Düntgen „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Zeit</strong>?“ Seite 17/17<br />

9 Anhänge<br />

9.1 Quellenverzeichnis<br />

[1] AURELIUS AUGUSTINUS: Confessiones XI, lat.-dt. Ausgabe von J. Bernhart, München<br />

1980, S. 602-671<br />

[2] ERNST PÖPPEL: Unterlagen zum Kurs „<strong>Zeit</strong>liche Kognition“, Proceedings IK 98, S. 202-<br />

212)<br />

[3] DIRK EWERS: Die Wahrnehmung von <strong>Zeit</strong> und das Gedächtnis <strong>de</strong>s Glaubens, Tübingen<br />

1998<br />

[4] THOMAS MANN: Der Zauberberg, Verlag S. Fischer<br />

[5] STEFAN KLEIN: Die Entmachtung <strong>de</strong>r Uhren, in: Der Spiegel 1/29.12.1997, Hamburg, S.<br />

92-101<br />

[6] HEINZ BEILNER: Folienkopien zur Vorlesung „Simulation“, Dortmund 1998

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